KLIMASCHWANKUNG ODER KLIMA-MODIFIKATION?...des Jahrhunderts um (32) — wie übrigens von H. G....

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Sonderdruck aus Arbeiten zur allgemeinen Klimatologie Seiten 291-309 KLIMASCHWANKUNG ODER KLIMA-MODIFIKATION? von HERMANN FLOHN 1971 WISSENSCHAFTLICHE BUCH GESELLSCHAFT DARMSTADT

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• •Sonderdruck

aus

Arbeiten zur allgemeinen KlimatologieSeiten 291-309

KLIMASCHWANKUNGODER KLIMA-MODIFIKATION?

von

HERMANN FLOHN

1971

W I S S E N S C H A F T L I C H E BUCH G E S E L L S C H A F T

DARMSTADT

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N. KLIMASCHWANKUNGODER KLIMA-MODIFIKATION?

Das Problem der Klimaschwankungen — das zu Beginn unseres Jahr-hunderts von bedeutenden Fachleuten beinahe als nicht existent betrachtetworden war — ist gerade in diesem Jahrhundert in seiner Realität drastischunter Beweis gestellt worden. Hatten wir in der Zeit von 1880 bis etwa 1945eine globale, in fast allen Breiten nachweisbare Erwärmung um ziemlichgenau Oj01°/a erlebt, so kehrte sich überraschend dieser Trend um die Mittedes Jahrhunderts um (32) — wie übrigens von H. G. Wille« (46) schon 1951vorhergesagt, wenn auch kaum mit überzeugenden Argumenten —, und eskam besonders in arktischen und subarktischen Breiten zu einem deutlichenTemperaturrückgang von ähnlichem Betrage. Zweifellos sind hierbei extremkalte Winter, wie 1962/3 in Europa, 1968/9 in großen Teilen Rußlands,Sibiriens und Nordamerikas, nur Episoden, bei denen advektive Prozesse —eine Neuverteilung der Wärme — eine Hauptrolle spielen. Die Auswirkungdieser Klimaschwankung betrifft vornehmlich den europäisch-atlantischenPolarsektor — Schwankungen in der Ausdehnung (und noch mehr imVolumen) des arktischen Meereises, Verlagerung der Fischgründe, radikaleÄnderungen in der Wirtschaftsweise z. B. in Grönland (10) usw. Aber etwader weltweite Rückgang der Hochgebirgsgletscher (mit Ausnahme des west-lichen Nordamerika) wirft auch in der Wasser- und Energiewirtschaft derHochgebirgsländer erhebliche Probleme auf: ein großer Teil der sommer-lichen Wassermengen der Alpenflüsse stammt von diesem Massenverlust derGletscher, so daß bei deren erneutem Wachstum mit langanhaltendenWasserklemmen gerechnet werden muß.

Noch bedeutungsvoller sind die Niederschlagsschwankungen in der Näheder Trockengrenze, z. B. in den Great Plains in den USA (um den Meridian100° W), in Australien, in Rajasthan und Sindh (Indo-Pakistan) und inKasachstan (UdSSR). Hier treten immer wieder mehrjährige Dürre- undFeuchtperioden auf, die die Landwirtschaft weiter Gebiete schwerstens inMitleidenschaft ziehen. Die Variabilität der Niederschläge ist groß, währenddie Verdunstung (abhängig in erster Linie von der Strahlungsbilanz) sichvon Jahr zu Jahr geringfügig ändert („halbinvariant"). Halten diese Dürre-oder Trockenperioden mehr als 2—3 Jahre hintereinander an, dann tauchtnotwendig die Frage auf: Klimaschwankung oder nicht? In verschiedenenGebieten — so Nordost-Brasilien (13) — treten dabei reelle ÄnderungenlOjähriger.Mittelwerte um 50% und mehr auf, mit katastrophalen Folgen

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für die betroffenen Gebiete. Die Weltorganisation für Meteorologie muß sichdeshalb mit den Kriterien für diese Schwankungen sehr ernsthaft be-schäftigen (33); zusammenfassende Darstellungen der instrumenteil nach-weisbaren Klimaschwankungen der letzten 2—3 Jahrhunderte verdankenwir H. H. Lamb (24) und H. v. Rudloff (40). Von besonderem Interessewaren dabei die immer zahlreicheren Zeugnisse eindrucksvoller Klima-schwankungen der historischen Zeit und natürlich ganz besonders der Post-glazialperiode., auf die hier nicht eingegangen werden kann (17).

Die nüchterne Feststellung solcher Tatsachen, die Prüfung der Beob-achtungsreihen auf etwaige Fehler und Inhomogenitäten, die vergleichendeBetrachtung der Anomalien in großräumigem Maßstab ist die erste Aufgabedes Wissenschaftlers. Aber sofort wird er vor die zweite gestellt: die Prognoseder weiteren Entwicklung. Diese Fragestellung ist eine der schwierigsten,die einem verantwortlichen Wissenschaftler gestellt werden kann: seine Ant-wort kann entscheidend sein für Investitionen von Milliardenhöhe, fürganze Volkswirtschaften, für Überschuß-Produktion oder Hungersnot. Erdarf sich nicht leichtsinnigerweise mit der einfachen Extrapolation des herr-schenden Trends begnügen — die Umkehr des Temperaturganges um 1945sollte ein warnendes Beispiel sein. Damit steht er aber vor einer Frage,deren ernsthafte Diskussion noch vor 30 Jahren fast unvorstellbar gewesenwäre (14,16): Was sind die physikalischen Ursachen dieser Klimaschwan-kungen? Sind es nur zufällige Variationen, Ausdruck des statistischen„Rauschens", oder liegen hier physikalisch faßbare Zusammenhänge vor,die nicht nur eine vage Vorausschätzung („foreshadowing"), sondern einephysikalisch begründete Vorhersage zulassen?

Diese Fragestellung hängt zusammen mit einem sehr viel weitergreifendenProblem, das — im Zeitalter der Computer und der Satelliten, um nur zweider wichtigsten technologischen Entwicklungen zu nennen — immer bedeut-samer wird: wir bezeichnen es mit einem Schlagwort: Futurologie. Ingenieure,Wirtschaftswissenschaftler, Soziologen, aber auch Physiker (18) und anderebeschäftigen sich mit (nur scheinbar utopischen) Modellen künftiger Ent-wicklungen, ihren Potenzen, aber auch (hoffentlich) mit ihren Gefahren.Auf der anderen Seite müssen sich Vertreter der Erdwissenschaften (Geo-physik, Meteorologie, Ozeanographie; Geologie, Geographie) und derbiologischen Wissenschaften immer wieder mit den Folgen fehlgeplanterIngenieursprojekte auseinandersetzen. Versteppung durch Grundwasser-absenkung, Versalzung in Bewässerurigsgebieten, Ausbreitung von Zoonosen(Seuchen), die katastrophale Verschmutzung von Flüssen, Seen und der Luft:das sind nur einige dieser Folgen mangelhafter und unvollständiger Planung.Je dichter aber die Bevölkerung der Erde wird, desto umfangreicher undkostspieliger müssen die technischen Projekte sein; desto weniger könnenwir uns aber solche katastrophalen Fehler leisten. Je dichter die Bevölkerung

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wird: diese (in manchen Kreisen bewußt verharmloste) Entwicklung zwingtdem verantwortungsbewußten Wissenschaftler Überlegungen auf, an die dieGeneration unserer Großeltern noch nicht zu denken brauchte, die aber derGeneration unserer Kinder und Enkel notwendig vertraut werden müssen.Es handelt sich dabei nicht nur um die Ausnützung und Umwandlung derNaturschätze für den Bedarf einer wachsenden Bevölkerung; bei einer jähr-lichen Bevölkerungszunahme von etwas über 2% (Entwicklungsländer2,5—3%!) — das entspricht z. Z. über 2 pro Sekunde! — wird die 'Welt-bevölkerung noch vor Ende dieses Jahrhunderts von jetzt 3,5 auf 6 Milliardenanwachsen. Es handelt sich auch um die erregende Frage: inwieweit sind wiretwa selbst an dem kausalen Mechanismus der aktuellen Klimaschwankungenmitbeteiligt? Eine gleiche Frage stellt sich heute auch der Geophysiker hin-sichtlich der Auslösung von Erdbeben.

"wenn wir diese Frage beantworten wollen, dann müssen wir notwendigauf die physikalischen Ursachen des Klimas zurückgehen, auf die klimato-genetischen Faktoren. Dabei steht im Mittelpunkt die Erörterung der Bi-lanzen im atmosphärischen Energiehaushalt: Strahlungsbilanz, Wärmehaus-halt und "Wasserhaushalt des Systems Atmosphäre + Erdoberfläche +Hydrosphäre. Im Mittel über längere Zeiträume (mindestens ein Jahr) undsummiert über die gesamte Erde halten sich die Einstrahlung von der Sonneund die Ausstrahlung des Systems Erde + Atmosphäre die Waage, ebensoEinnahme und Abgabe von Wärme der Atmosphäre oder der Erdoberfläche.Ebenso halten sich die globalen Summen von Niederschlag und Verdunstungdas Gleichgewicht, sofern nicht Speicherung oder Abgabe von Wasser ausden großen Reservoirs (Ozeane, Inlandeis von Antarktika und Grönland)eintritt.

Betrachten wir zunächst einmal den Strabltmgsbau.sha.lt an der Erdober-fläche:

(S + H)(l-aB)-(E-G) = Q

Die Zustrahlung von der Sonne (Solarkonstante) kann für alle praktischenZwecke als konstant angesehen werden; diese Einstrahlung — vorwiegendim kurzwelligen Bereich (0,3—3 |j,) des Spektrums — beträgt an der Ober-grenze der Atmosphäre im Mittel auf eine horizontale Oberfläche rund700 gcal/cm2 (Langley = Ly) und Tag (d). In der Atmosphäre wird einbeträchtlicher Anteil absorbiert und direkt umgesetzt. Ein weiterer Teil wirddurch den Dunst- und Staubgehalt der Atmosphäre zerstreut, wobei etwa37% nach rückwärts in den Weltraum gestreut wird und damit verlorengeht. Der größere Anteil (63%) erreicht die Erdoberfläche als diffuse oderHimmelsstrahlung H. Das Verhältnis zwischen der direkten SonnenstrahlungS und H beträgt an der Erdoberfläche im Mittel l : 1. Der Verlust an diffuserStrahlung (und damit aber auch an der Globalstrahlung S + H) hängt starkab von der Luftverschmutzung — das ist ein anthropogener, vom Menschen

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erzeugter Effekt. In Großstädten kann S im Jahresmittel um 20—30 % (S+Halso um 7—10%) des ungestörten Wertes zurückgehen. Quellen der Luft-verschmutzung bilden keinesfalls nur die Großstädte. Quantitativ wichtigerist die Tatsache, daß in den meisten semiariden Tropenländern •während derTrockenzeit die natürliche Vegetation abgebrannt wird — die entstehendenRauchwolken sind vom Flugzeug aus über weite Strecken hin sichtbar underzeugen die charakteristische Trübung mit dem weißlichen Tropenhimmel.Ähnlich bedeutsam ist die Vernichtung der natürlichen Vegetation im Bereichder ariden Steppen und "Wüstensteppen durch die Überweidung — die unkon-trollierte Zunahme des Weideviehs in den Randgebieten der Sahara, in Süd-afrika oder Australien. Sie ist nicht nur verantwortlich für die Bodenerosionmit all ihren Konsequenzen; überall da, wo der Boden nicht nur aus grobemKies oder Fels besteht, werden die feineren Partikel außerhalb des Schutzesder Vegetation vom Wind gehoben und bis in große Höhen getragen. DieserEffekt ist ganz besonders wirksam in der Umgebung der zentralasiatischenHochgebirge mit ihren staubfeinen Lößböden, so in der Indusebene, inAfghanistan und Belutschistan. Hier bildet sich bei Partikelgrößen um0,5—1 |x, die besonders lange schweben und erst zuletzt ausgewaschen werden(15), eine dichte Dunstschicht bis 4—5 km, gelegentlich bis 8 km Höhe hinauf.Sie ist nach Flugzeugbeobachtungen in Pakistan (4) eher noch dichter als derberüchtigte „smog" von Los Angeles, vor allem aber ist sie viel ausgedehnterund kein lokaler, sondern ein regionaler Effekt.

Leider fehlt bisher ein vergleichbares, homogenes Netz von Messungender Luftverschmutzung, so daß nur wenige Angaben über deren Zunahmein den letzten Jahrzehnten verfügbar sind. Im mittleren Westen der USA (3)wie in britischen Industriegebieten (30) beläuft sich die Staubablagerung proTag auf 0,3—3 g/m2 — in Bitterfeld im mitteldeutschen Industriegebiet heuteauf 7 g/m2 (39) gegenüber etwa 2 g/m2 im Jahrzehnt 1938-47. Im völligungestörten winterlichen Yellowstone-Park hat V. Schaefer (41) eine Zu-nahme der Aitken-Kerne um einen Faktor 10 in 5 Jahren gemessen; Davi-taya (9) hat im Eis eines Kaukasusgletschers eine Zunahme des Staubgehaltesum einen Faktor 25 gegenüber dem fast konstanten Wert der Zeit 1793—1922ermittelt. Aus den Messungen der direkten Sonnenstrahlung an 4 Stationender UdSSR (Karadagh — Krim, Tiflis, Taschkent, Alma-Ata) ergibt sichüber 25—40 Jahre hinweg ein Rückgang von. S um durchschnittlich 0,4%pro Jahr. Für das weitab von allen möglichen Verschmutzungsquellen lie-gende Mauna-Loa-Observatorium (3394 m) auf Hawaii ergibt sich nach Bry-son (5) eine Zunahme von Linkes Trübungsfaktor in 10 Jahren von 2,5 auf3,2, ohne Berücksichtigung der durch den Vulkan Agung (Bali) 1963—65erzeugten Trübung. Ein erheblicher Teil dieser Verschmutzung entstehtflächenhaft als Produkt der Buschbrände und der Vegetationszerstörung inden semiariden Klimazonen.

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Demgegenüber ist. der Anteil der hochindustrialisierten Gebiete natürlichkeinesfalls zu vernachlässigen — wir haben uns in Mittel- und "Westeuropaschon so an die mäßige Sicht in der aerosolreichen Luft gewöhnt, daß wir dieKlarheit der Sicht in den Rocky Mountains oder in den Hochgebirgen Zen-tralasiens als ganz ungewöhnlich empfinden, um so stärker noch im subark-tischen Lappland oder in Neuseeland. Eine näherungsweise Abschätzungdieses Effektes können wir aus den (heute gar nicht mehr „modernen")Messungen der direkten Sonnenstrahlung (Zusammenstellung [28, Tab. 35])nach F. Steinhauser 1934 ableiten. Am Waldgürtel der Breitenzone 50—60° Nergibt sich Linkes Trübungsfaktor im Sommer — wo Temperatur und Wasser-dampfgehalt der Luft nur gering variieren — für ungestörte Stationen (Hel-sinki, Pawlowsk, Kostroma, Swerdlowsk, Irkutsk, Jakutsk) im Mittel zu3,05, für wenig gestörte Lagen in Mitteleuropa (Danzig, Potsdam, Braun-lage/Harz, St. Blasien, Taunus-Obs., De Eilt) zu 3,67, für europäische Groß-städte (Warschau, Wien, Aachen, Paris, Kew: Messungen jedoch vor 1932!)zu 4,40. Dieser Faktor gibt an, wieviel mal stärker die Atmosphäre getrübtist als eine reine, molekulare (Rayleigh-)Atmosphäre; hierbei sind allerdingsWasserdampfabsorption und Dunststreuung zusammen berücksichtigt. Ausder Abnahme der Globalstrahlung mit wachsendem Trübungsfaktor (ab-hängig von der Sonnenhöhe) läßt sich (28, Tab. 59) ableiten, daß die Global-strahlung S + H bei einer Zunahme von T von 3,05 auf 4,40 (3,67) um9—13 % (4—5,5 °/o) abnimmt. Aus diesen Daten dürfen wir schließen, daßseit der Industrialisierung die Globalstrablung in Mitteleuropa um etwa5%, lokal um über 10% abgenommen hat.

Das Reflexionsvermögen des Erdbodens oder die Albedo ag ist ebenfallsstark vom Menschen beeinflußbar: alle landwirtschaftlichen Operationen,ganz besonders die Umwandlung der natürlichen Vegetation in Kulturlandbewirken auch eine Änderung von aß. Diese bleibt jedoch im allgemeinenzwischen 5 °/o (bewegtes Wasser bei hohem Sonnenstand) und etwa 30%(helle, nackte Sandböden); nur bei der Schneedecke (70—80%) treten nochgrößere Effekte auf. Kung und Mitarbeiter (23) haben regelmäßige Meßflügeüber Nordamerika durchgeführt; aus diesen Daten wurden Albedo-Kartenfür die verschiedenen Jahreszeiten abgeleitet.

Demgegenüber sind die Einflüsse bei der langwelligen Strahlung (Wellen-länge 3—50 p,) geringer, wenn auch sicher nicht vemachlässigbar. Bei derAusstrahlung E spielt nur die Variation der Oberflächentemperatur Ts

(E proportional T54) eine gewisse, fast immer geringe Rolle. Bei der Gegen-strahlung G dagegen emittiert eine Dunsthaube über einer Großstadt erheb-liche Mengen langwelliger Strahlung; das ist die Hauptursache der drücken-den, warmen Nächte in vielen Stadtlandschaften, aber auch in ariden Ge-bieten (Westpakistan, Death Valley) und erzeugt nicht selten lokale Tem-peraturdifferenzen von 5—8° C. Beide Strahlungsströme sind mit 700 bis

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900 Ly/d stärker als die Solarkonstante S0; nur ihre Differenz E—G wirktsich aus.

Seit Beginn der unbeabsichtigten Eingriffe des Menschen in diesen Haus-halt — d. h. in den letzten 8000 Jahren — haben sich alle Terme.der Strah-lungsbilanz geändert; ob die Netto-Strahlung Q (im globalen Mittel rund200 Ly/d) zu- oder abgenommen hat, läßt sich schwer allgemein abschätzen.Denn hier spielen noch zwei Prozesse eine Rolle: die Erzeugung von Eis-wolken durch hochfliegende Flugzeuge (Kondensstreifen) und die Zu-sammensetzung der Atmosphäre, besonders ihr Gehalt an Wasserdampf undKohlendioxyd, beides wirksame Absorber und Emittenten langwelligerStrahlung. Auf den Wasserdampf kommen wir noch zurück; der CO2-Gehalthat seit dem Ende des letzten Jahrhunderts um etwa 12% zugenommen (16)und steigt weiter um 0,2—0,3 "/o pro Jahr an. Ohne auf diesen kompliziertenProzeß — industrielle Verbrennungsprozesse fossiler Brennstoffe (Kohle, Erd-öl), Speicherung im Meer, in der Luft, Umsätze Atmosphäre/Biosphäre —einzugehen, sei nur gesagt, daß nach etwas älteren Modellrechnungen (36)hierdurch die Temperatur der Atmosphäre global etwa um 0,01°/a zunehmenkann; das ist über 50—80 Jahre hinweg schon ein recht wirksamer Betrag,wie seine Auswirkungen in den Jahren 1910—1945 in der Arktis gezeigthaben. Diese Rechnung ist jedoch wegen der Nichtberücksichtigung des"wasserdampfes unvollständig (34); ihre Bedeutung für die Diskussion derderzeitigen Klimaschwankungen wird dadurch verringert, daß sich seit etwa20 Jahren der Trend zur globalen Erwärmung umgekehrt hat. Die physi-kalische Ursache dieser (besonders in der Arktis recht wirksamen) Abkühlungkann in der Zunahme der Staubtrübung liegen (5); eine vollständige Durch-rechnung dieses mindestens teilweise „anthropogenen" Effektes ist noch nichtveröffentlicht. Möglicherweise ist dabei ein polwärts gerichteter Transportvulkanischer Partikel in der Stratosphäre beteiligt (H. Lamb).

Zu'diesen Modifikationen des natürlichen Strahlungshaushaltes kommt— worauf unlängst Budyko, Drozdov und Judin (7) hingewiesen haben —ein anderer, bislang kaum berücksichtigter Effekt hinzu: die künstliche Ener-giezufuhr. Hierbei handelt es sich bisher noch fast ausschließlich (49) umfossile Brennstoffe (Erdöl, Kohle mit je 39%, Erdgas mit fast 20%), d.h.um biologisch umgesetzte, gespeicherte Sonnenenergie aus Zeiträumen derGrößenordnung 250 Millionen Jahre. Hydroelektrizität liefert im Welt-maßstab nur einen unwesentlichen Anteil (2%), erst recht die Ausnutzungder geothermischen Energie (Neuseeland, Italien). Die Hydroelektrizitätmüßte eigentlich hier unberücksichtigt bleiben; ohne anthropogene Nutzungmüßte sie als Reibungswärme beim Abwärtsfließen des Wassers wirksamwerden. Beides sind natürliche Energiequellen, von denen die letztgenannte— der Wärmestrom, aus dem Erdinnern — im Mittel über die ganze Erde0,13 Ly/d liefert, gegenüber einer mittleren Strahlungsbilanz (Nettostrah-

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lung) Yon rund 200 Ly/d an der Erdoberfläche. Der Anteil der Nuklear-energie (0,2 °/o) fällt im "Weltmaßstab heute noch nicht ins Gewicht.

Verteilen wir diese antbropogene Energiezufu-br einmal gleichmäßig überalle Kontinente und nehmen wir für 1970 den leicht extrapolierten (49) Satzvon 7,5 • l O9 Tonnen Steinkohlen-Äquivalent (SKE) mit einem Brennwertvon 8100 cal/g an, dann ergibt sich ein Betrag von 0,11 Ly/d, also etwasweniger als der (in den meisten Rechnungen Vernachlässigte) Anteil desWärmestromes aus dem Erdinnern. Verteilen wir diesen Betrag — 6,1 • 1019

cal pro Jahr (a) — gar auf die ganze Erde, so ergibt sich 0,03 Ly/d; abereine solche flächenmäßige Verteilung ist durchaus unrealistisch. In Wirklich-keit handelt es sich um Punktquellen, die in Industriegebieten und Groß-städten konzentriert sind; in weiten Gebieten selbst hochindustrialisierterLänder — denken wir an den Bayrisch-böhmischen Wald, an das schottischeHochland — ist die anthropogene Energiezufuhr nicht -wesentlich größer alsim kontinentalen Mittel.

Eine realistischere Abschätzung erhalten wir, wenn wir uns auf die Flä-chen beziehen, über denen tatsächlich diese Energiequellen wirksam werden:die dichtbesiedelten Industriegebiete und Großstadtlandschaften der Erde,wie etwa die Megalopolis der USA zwischen Boston und Washington oderdas Industrierevier von Dortmund/Hamm bis Antwerpen und Namur.Schätzen wir einmal ganz grob ihre Gesamtfläche auf 500000 km2 — dasist rund l Promille der Erdoberfläche, 3,3 Promille aller Kontinente oderzweimal die Fläche der Bundesrepublik Deutschland — und nehmen ebensogrob an, daß hier nur die Hälfte des anthropogenen Energieverbrauchs kon-zentriert ist, dann ergibt sich für diese Gebiete ein Schätzwert von fast17 Ly/d. Dieser Wert liegt nahe der Größenordnung der Wärmebilanz ganzerKontinente — Europa nach Budyko (6) 33 kLy/a oder 90 Ly/d — und unsererZentren (Hamburg, Paris je etwa 100 Ly/d im Jahresmittel); er ist alsoheute schon nicht mehr vernachlässigbar.

Diese Abschätzung ist aber — so grob sie uns zunächst scheinen mag —völlig realistisch, jedenfalls für Gebiete von der Größenordnung 10S bis104 km2. So gibt Meetham (30) für einen Wintertag 1952 den Kohlenver-brauch von Groß-London (rund 1600 km2) zu 70000 Tonnen an: das ent-spricht 35 Ly/d. Im' Jahresmittel (1952) wurde für die Industriestadt Shef-field (19) ein Wert von 40 Ly/d ermittelt (ohne Flächenangabe). Für ganzNordrhein-Westfalen (33700 km2) ergibt sich 1967 ein gut gesicherter Wertvon 8,6 Ly/d. Hier wird ziemlich genau 60% der im Lande erzeugten Ener-gie (50) — 89% der Steinkohlenproduktion, 85% der Braunkohlenproduk-tion, 40 % der Mineralölverarbeitung der Bundesrepublik (48) — im Landeverbraucht, der Rest exportiert. Der Energiekonsum des Ruhrgebiets imengeren Sinn (4400 km2 mit 5,5 Mill. Einwohnern) läßt sich leider ohneerheblichen zusätzlichen Arbeitsaufwand nur näherungsweise abschätzen,

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Unter der Annahme, daß der Energieverbrauch pro Kopf in Nordrhein-Westfalen überall konstant sei (dies liefert sicher zu niedrige Werte!), ergibtsich für das Ruhrgebiet 22 Ly/d. Für die Zentren amerikanischer Großstädtesind noch höhere "Werte bekannt geworden: Montreal im "Winter 313 Ly/d(Sommer 117) (35), der New-Yorker Stadtteil Manhattan im Jahresmitteletwa 250 Ly/d (2) — aber das sind Punktwerte für wenige km2 mit den über-heizten amerikanischen Bürohochhäusern, deren Wärmeverlust bei den star-ken Winden inHöhen von 100—400m natürlich enorm ist. Für dichtbesiedelte,hochindustrialisierte Regionen in der Größenordnung 1000—10 000 km2 müs-sen wir hiernach bereits mit einer anthropogenen Energieabgabe an dieAtmosphäre von 20—50 Ly/d rechnen: das ist bei einer mittleren jährlichenStrahlungsbilanz von 100 Ly/d unter keinen Umständen mehr vernachlässig-bar, ganz besonders im Winter, wo die natürliche Strahlungsbilanz in unserenBreiten negativ wird. Diese Zahlen überraschen: sie liegen — nicht in ihrerabsoluten Höhe, wohl aber in ihrer flächenhaften Erstreckung — z. T. deut-lich über denen von Budyko, Drozdov und Judin (7)!

Wenn man die vorliegenden Zahlenangaben (47) für die Länder derOECD (Organisation for Economic Cooperation and Development) gleich-mäßig auf deren Fläche verteilt, ergibt sich die folgende Tabelle l:

Tab. l: Energieverbraudisdidite charakteristischer Industrieländer

Benelux-LänderBundesrepublik DeutschlandGroßbritannienFrankreichItalienÖsterreich, Schweiz

Mittel- und WesteuropaJapanUSA, 14 StaatenUSA insgesamt

Zum Vergleich

Deutsche Dem. Republik

Fläche103km2

73246242573299124

1557366932

7760

108

Energie-verbrauch1016 cal/a

(1967)

9212532

. 220414111198215

84811966

(6410)13876

1130

Energieverbrauchs-dichte

1962

2.722.542.420.510.620.34

1.240.81

0.41

1967

3.44 Ly/d2.822.500.671.100.47

1.491.471.890.49

2.87

Hierbei ist der Energieverbrauch von 14 relativ dicht besiedelten Staatender USA auf die gleiche Weise wie oben (unter Annahme einer konstantenRate pro Kopf) ermittelt worden — es handelt sich etwa um das Dreieck

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Boston—St. Louis—Norfolk (Virginia). Das Gesamtergebnis ist sehr bemer-kenswert: auf zusammenhängenden Flächen von der Größenordnung 0,5 bisl Million km2 ist (bei einer fiktiven gleichmäßigen Verteilung der Punkt-quellen) die mittlere anthropogene Energieverbraucbsdicbte rund 1,5—3 Ly/d.Für die Benelux-Länder, Großbritannien, die DDR und die Bundesrepublikergibt sich im Mittel fast 3 Ly/d auf zusammenhängenden 669 000 km2, undwenn man ganz "Westeuropa (einschließlich der Alpenländer), Japan undden Osten der USA zusammenfaßt, ergibt sich auf 2,85 Mill. km2 eine mitt-lere Energieabgabe an die Atmosphäre von immerhin 1,62 Ly/d, d. h. überl °/o der natürlichen Strahlungsbilanz. In der gleichen Größenordnung dürfteauch der Energiekonsum der Industriezentren der Sowjetunion, der osteuro-päischen Industrieländer und Chinas liegen.

Von besonderer Bedeutung für unsere Fragestellung ist aber die jährlicheWachstumsrate (49) dieser anthropogenen Energieproduktion: sie betrug um1900 3 °/o, heute 4—5 °/o (in Japan und Italien 10 °/o und mehr) und liegtdamit deutlich über der Rate der Bevölkerungszunahme von 2 °/o pro Jahr.Diese exponentiellen Wachstumsraten treten erst dann in das richtige Licht,wenn man aus ihnen — mit der simplen Fragestellung der Zinseszins-Rech-nung — die Zeiträume ableitet, in denen sich der Wert verdoppelt bzw.verzehnfacht (Tab. 2).

Tab. 2: Exponentielle Zuwachsraten und Multiplikationszeiten (abgerundet)

Zuwachsrate l 1,5 2 2,5 3 3,5 4 5 6 8 10 15%pro Jäh/

Wachstum mal 2 in 70 46 35 28 24 20 18 14 12 9,0 7,3 5,0 Jahren"Wachstum mal 5 in 162 108 81 65 54 46 41 33 28 21 17 11,5 JahrenWachstum mal 10 in 231 155116 93 78 67 67 47 40 30 24 16,5 Jahren

In rund 50 Jahren wird in großen Teilen Mittel- und Westeuropas ein Viertelder natürlichen Energie erreicht sein; wegen der starken lokalen Temperatur-gradienten werden neue, stationäre, thermisch betriebene Zirkulationenentstehen, wie sie gelegentlich schon für Großstädte nachgewiesen wordensind.

Bisher ist noch kein ernsthaftes Argument zu erkennen, das diesem Trendin naher Zukunft Einhalt gebieten könnte. So schließen Budyko, Drozdovund Judin (7), daß bei einer Wachstumsrate von 4°/o/a die Gesamtmengeder erzeugten künstlichen Energie in weniger als 200 Jahren die Beträgeder Strahlungsbilanz des Festlandes erreicht. Dann wird das Klima in derHauptsache ein Produkt der Tätigkeit des Menschen (7), erheblich hinaus-gehend über die bereits 1941 (14) erörterten Zusammenhänge. Nach denoben gegebenen Zahlen stehen wir — in Gebieten von l O3—l O4 km2 — schon

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jetzt an der Schwelle einer Klima-Eigenproduktion. Natürlich gibt es vieleFreiheitsgrade der Entwicklung: es erscheint daher wohl zweckmäßig, sichzunächst nur auf eine Extrapolation auf eine bis zwei Generationen, d. h. bisin den Beginn des nächsten Jahrhunderts hinein zu beschränken. Doch gibtes ein wichtiges Argument, das noch für eine weitere Zunahme der bisherigenWachstumsrate der anthropogenen Energieproduktion in den kommendenJahrzehnten spricht: das ist die Wasserversorgung, auf die wir noch zurück-kommen.

Mindestens ebenso wichtig wie der Betrag der zur Verfügung stehendenStrahlungsenergie ist ihre Verwendung im Wärmebaushalt. Er wird beschrie-ben (abgesehen von einigen unwesentlichen Termen) durch die Gleichung:

Q = UB/M + UL + Uy + UBM

Hierbei ist ÜB der Wärmeumsatz zwischen Erdoberfläche und Boden: erkann durch Maßnahmen der Bodenbearbeitung und -bedeckung in der Land-wirtschaft sehr wirksam beeinflußt werden, beträgt aber (im Tagesmittel)selten mehr als 10— 15 o/o von Q. Über dem Meere (Uy) ist das ganz anders:Speicherung der Wärme imMeer und Wiederabgabe an die Atmosphäre liefernsehr große Beträge, die im Extremfall — im Winter an den Ostküsten Sibi-riens und Nordamerikas — 1000 Ly/d erreichen oder überschreiten können.Da eine wirksame Beeinflussung dieser Prozesse heute noch unrealistischerscheint — das mag in 30—50 Jahren anders sein! — verzichten wir auf eineweitere Diskussion dieses Terms. Der an letzter Stelle genannte Term UBIOIumfaßt die gesamten biologischen Energieumsätze von Pflanze und Tier:diese Grundlage aller Lebensvorgänge — deren fossile Überreste wir heuteals Kohle und Erdöl verbrennen — verbraucht nicht mehr als 0,5—1 % derNettostrahlung Q. Das ist im hochindustrialisierten Mitteleuropa nur noch20— 30% der künstlichen Energieproduktion — die zumeist aus fossilenBrennstoffen entstammt.

Die für unsere Betrachtung wichtigsten Terme sind der Strom fühlbarerWärme UL (die direkte Heizung der Luft von der Unterlage her) sowie diefür die Verdunstung von Wasser benötigte Energie Uy. Diese wird als latenteWärme des Wasserdampfs mit der Luft über weite Strecken weg transportiertund erst dort frei, wo der Wasserdampf kondensiert und irreversibel alsNiedersdilag ausfällt. Da jedes Wasserdampfmolekül im Mittel 9—11 Tagein der Atmosphäre verbleibt und pro Tag viele 100 km weit transportiertwird, wird diese Energie erst in großer Entfernung von ihrem Ursprungwieder frei. Im Mittel über die ganze Erde werden rund 75 % der Netto-strahlung Q für Uy verwendet, während nur etwa 25 °/o zur direkten Hei-zung der Atmosphäre (UL) dienen. Über dem Meere ist das Verhältnis nochanders: UL nimmt im Jahresmittel nur lO^/o von Q in Anspruch, gegenüber90'°/o für die Verdunstung Uy. Die Meeresverdunstung liefert ebenso auch

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N. Klimaschwankung oder Klima-Modifikation? 301

fast 90 % des Niederschlages der ganzen Erde, einschließlich der Landgebiete,die ja nur 29 % der Gesamtfläche einnehmen.

Über Land ist das Verhältnis Ui/Uy — das sogenannte Bowen-Verhältnis —die für das Mikro-Kleinklima, aber auch (unter Berücksichtigung der Advek-tion ortsfremder Luftmassen) für das Makroklima entscheidende Größe. Siewird durch fast alle Kulturmaßnahmen in der Landwirtschaft auf dasstärkste modifiziert. In den letzten 800 Jahren sind sicher mehrere 10 Mil-lionen km2 Waldland und Grasland in Kulturland umgewandelt worden:seit dieser Zeit ändert sich das Bowen-Verhältnis in wachsendem Umfang.In Wüsten, aber auch in den Steinwüsten unserer Großstädte, in denen 60 bis80% des fallenden Regens sofort durch die Kanalisation abgeführt wird,geht die Verdunstung zurück auf minimale Beträge, im Extremfall — wennkein Wasser zum Verdampfen zur Verfügung steht — auf Null; dann kanndie ganze Nettostrahlung Q zur direkten Erwärmung der Luft verbrauchtwerden. Über ständig bewässerten Feldern, über feuchten Wäldern erreichtdie Verdunstung etwa die gleichen Werte wie über offenem Wasser. Uj/Uykann also in weitesten Grenzen — mindestens im Bereich unter 0,1 bis über10 — manipuliert werden; es wird sogar über Oasen oder mäßig großen Seennegativ, wenn die aus der Umgebung herbeigeführte Luft wärmer ist als dieverdunstende Oberfläche. Bei diesem Oaseneffekt liefert UL zusätzliche Ener-gie für die Verdunstung Uy. Am klarsten lassen sich diese Verhältnisse anden großen Trockengebieten zeigen, so etwa im Niltal (16); hier wirken sichauch die Unterschiede in der Albedo, sowie in der langwelligen Strahlungs-bilanz E—G aus:

Tab. 3: Repräsentative Werte des Wärmehaushalts (Jahresmittel), Ägypten

"Wüste Ackerland

GlobalstrahlungAlbedoeffektive AusstrahlungÜSTetto-Strahlungsbilanz

Verdunstung (Jahr)Wärmeumsatz durch Verdunstung

Übriger WärmeumsatzBowen-Verhältnis

S + HaE-GQ

VUY

UL + UB

UL/UY

550 Ly/d25%66 Ly/d

346 Ly/d

2 cm/a3,3 Ly/d= l%vonQ99 % von Q

104

550 Ly/d10%77 Ly/d

418 Ly/d

220 cm/a361 Ly/d= 86%vonQ14 °/o von Q

0,16

Die Folgen für das Klima zeigen sich in einem aus mehreren Stationspaarenfür Russisch-Zentralasien (etwa 42° N Breite) abgeleiteten Vergleich desSommerklimas (Juni—August): während große Oasen im Mittel 2,7° C

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kühler sind als die Wüste, ist der Wasserdampfgehalt der Luft um 55%höher (7).

Die Einrichtung großer Stauseen steigert — je nach der zur Verfügungstehenden Energie — die Verdunstung und damit den Wasserdampfgehalt derAtmosphäre. Da Niederschläge nur als Folge aufsteigender Lufbbewegungentstehen können, •wird ihre Menge in einem humiden Klima mit häufigenNiederschlägen zweifellos mit dem Gesamtwasserdampfgehalt der Atmo-sphäre („precipitable water") zunehmen; eine zahlenmäßige Abschätzunghat Drozdov (12) versucht. Wo aber großräumige Strömungsdivergenzenabsteigende Luftbewegung erzwingen, -wie in allen vollariden Klimaten,bleibt jede Zunahme des Wasserdampfgehaltes für den Niederschlag wir-kungslos; das ist zweifellos der Fall beim Assuan-Stausee, trotz dessen Ver-dunstung von ca. 2,5—3 m pro Jahr in einem Gebiet höchster Netto-strahlung Q.

Da die Gesamtfläche der künstlich bewässerten Gebiete nach den (etwaswidersprechenden) Angaben in der Literatur heute bei mindestens 1,5 Mill.km2 liegt (= l °/o der Landfläche der Erde), spielen diese Fragen heute einenicht mehr vernachlässigbare Rolle. Das gilt allgemein für den Wasserhaus-halt (22) der Kontinente, während wir den Wasserhaushalt der Meere wegenihrer großen Ausdehnung und ihres riesigen Volumens (mittlere Tiefe fast3800 m) als konstant und zunächst kaum manipulierbar ansehen. Die Ver-schrnutzung der Meeresoberfläche mit ölrückständen drückt die Verdunstungherab und erhöht die Wassertemperatur; auch dieser Effekt ist bisher sichernur minimal. Da der Wasserbedarf nicht nur mit der Bevölkerungszahl zu-nimmt, sondern darüber hinaus mit dem Lebensstandard auch der Verbrauchpro Kopf, wird die Bewirtschaftung des Rohstoffes Wasser zu einem immerdringlicheren Problem, nicht nur in den Entwicklungsländern im ariden Ge-biet. Die Wasserhaushaltsgleichung für die Kontinente lautet:

N = V + A + (R-B)

Ober der Bundesrepublik wird der Niederschlag N — nach Anbringung einerInstrumental-Korrektur — auf 81 cm/a, der Abfluß A auf 36 cm und dieVerdunstung V auf 45 cm pro Jahr geschätzt. In trockenen Jahren kann derNiederschlag lokal unter 30 cm zurückgehen, während die Verdunstungwegen ihres Zusammenhanges mit Q nur geringen Schwankungen unterliegt.Wir sind also keinesfalls frei von Sorgen um unseren Wasserbedarf — diesenehmen im Gegenteil von Jahr zu Jahr zu. Die Speichergrößen R (Rück-haltung) und B (Aufbrauch) des Wasserhaushaltes sind — unter der allerdingsunrealistischen Voraussetzung eines konstanten Grundwasserspiegels — imlangjährigen Mittel vernachlässigbar klein. Diese Verdunstung von 45 cm/averbraucht 73 Ly/d oder etwa zwei Drittel der hier zur Verfügung stehendenNettoenergie (~ 110 Ly/d). In der Bundesrepublik werden (22) 32 mm

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oder 4f l/o des gesamten Niederschlags (9°/o des Abflusses) vom Menschengenutzt: auch diese Zahl wächst von Jahr zu Jahr1. Für das engere Ruhrgebietallein ergibt sich aus der Differenz zwischen Aufkommen und Ableitung anIndustriewasser allein (48) ein jährlicher Verlust von rund 630 • 106 m3

entsprechend einer zusätzlichen Verdampfung von 14 cm/a bzw. einer Ener-gie von 23 Ly/d. Für dieses vielleicht typische Industriegebiet ergibt sich alsohinsichtlich des künstlichen Energieanteils ein B o wen-Verhältnis von 0,32.Setzen wir einmal den heutigen Wasserverbrauch in den USA mit 4000 lpro Kopf und Tag (8) als in Zukunft repräsentativ für die Bundesrepublikan — das ist wegen der höheren Sommertemperaturen und der teilweisenAridität des USA-Klimas stark übertrieben —, so ergäbe das nicht wenigerals 35 cm/a, d. h. ebensoviel wie der gesamte Abfluß!

Wegen der Konstanz von Q und der der Meeresverdunstung VM — die90% der globalen Verdunstung liefert — bleibt die Gesamtmenge V = Nauf der Erde konstant. Alle derzeitigen Anstrengungen auf dem Gebiet derkünstlichen Regenerzeugung mit Methoden der "Wolkenphysik können— selbst bei optimistischer Betrachtung — die Gesamtmenge nicht ändern;sie können höchstens in einigen Gebieten, unter speziellen Bedingungen, eineNeuverteilung der Niederschläge herbeiführen. Steigt die Bevölkerungszahlweiter an, dann wächst der Wasserbedarf in den Trockengebieten immerstärker. Dieser zusätzliche Bedarf kann nur aus dem Ozean, d. h. durch eine

1 Bei dem internationalen Symposium über die Welt-Wasserbilanz in Reading(Großbritannien, Juli 1970) hat R. Keller (Freiburg) eine Neuberechnung derWasserbilanz der Bundesrepublik Deutschland vorgelegt, die signifikante Ände-rungen gegenüber den älteren Daten aufzeigt. Von ihr seien hier die wichtigstenZahlen in mm/Jahr -wiedergegeben:

N NiederschlagA Abfluß, Flüsse

Abfluß, unterirdischV Evapotranspiration

1891 bis1930

800336

60404

1931 bis1960

82529644

485

Differenz

+ 3%- 12 °/o

—+ 20%

Quelle

MessungMessungSchätzungRestglied

Selbst wenn die Schätzungen des unterirdischen Abflusses (vom Rhein zur Maas ander holländischen Grenze) als zu unsicher vernachlässigt -werden, so ergibt sich dochaus den einwandfrei gemessenen Daten von N—A eine signifikante Zunahme derGebietsverdunstung V um 15—20%. Der Wasserverbrauch der Industrie allein hatvon 8 mm (1931—40) auf 45 mm (1961—70) zugenommen, bezogen auf die gesamteFläche der Bundesrepublik; eine Zunahme der Pflanzentranspiration um rund 20 %>führt Keller — im Einzelnen wohl noch unsicher — auf die starke Zunahme derlandwirtschaftlichen Produktion zurück (Internat. Assoc. Scient. Hydrol. Publ. 93,1970,3.300—314).

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Beschleunigung des Wasserkreislaufs entnommen werden. Für die meistenTrockengebiete ist Entsalzung oder Destillation des Meerwassers die einzigeLösung auf lange Sicht; beides benötigt erhebliche Energiemengen und wirddaher die Energieproduktion noch vergrößern, soweit nicht SonnenenergieVerwendung findet. Beides führt eine anfangs ganz geringfügige Zunahmeder globalen Verdunstung herbei und damit eine Erhöhung der Umschlags-geschwindigkeit des Wassers. Dieser Bedarf erfordert also eine Erhöhungder Energieproduktion: eine Sättigung dürfte nicht eintreten, solange dieBevölkerungszunahme anhält. So muß die Wachstumsrate der Energie-produktion in den nächsten Jahrzehnten noch ansteigen; Werte von 5—6 °/ozu Beginn des nächsten Jahrhunderts erscheinen eher zu niedrig als zu hoch.Damit sind unsere obigen Schätzungen offenbar alle zu konservativ unddürften von der künftigen Entwicklung noch überholt werden.

Eine vollständige Betrachtung des Strahlungshaushaltes des Systems Erde+ Atmosphäre ergibt sich aus der Bilanzgleichung an der Obergrenze derAtmosphäre:

S0 (l - ap) n R2 = s ff TE* • 4 jt R2

Hierin ist S0 die Solarkonstante (= Einstrahlung auf eine Oberfläche senk-recht zur Strahlungsrichtung)3 ap die planetarische Albedo (Albedo der Erd-oberfläche und der Wolken), R der Erdradius, e der Emissionskoeffizient imlangwelligen Bereich, er die Stefan-Boltzmann-Konstante und TE die effek-tive Strahlungstemperatur des Systems Erde + Atmosphäre. In dieser Glei-

• chung können mit Hilfe von Satelliten (38) ap und e o" TE* unmittelbargemessen werden; für S0 liegen neue Bestimmungen im Stratosphären-Flug-zeug vor (25). Die bisherigen Annahmen (S0 = 2,00 Ly/min, ap = 0,35)sind durch diese Messungen bereits revidiert worden, doch sind die WerteS0 = 1,95 und ap = 0,30 bzw. 0,32 wohl kaum schon endgültig gesichert;auf dieses fundamentale Problem der Strahlungsbilanz können wir hier leidernicht näher eingehen. Die Tätigkeit des Menschen beeinflußt hierbei denEmissionsfaktor a (über CO2 und Wasserdampf) und den Absorptionsfaktorl — ap (über -die Albedo der Erdoberfläche ag und anthropogenen Dunst undNebel) des Systems Erde + Atmosphäre; hinzu kommt noch der lokaleEffekt der zugeführten Energie, der sich in Tg (etwa — 20° C) unmittelbarauswirken muß. Bisher sind alle Effekte wegen der Größe der Erde noch weitunterhalb der heute erzielbaren Meßgenauigkeit; das dürfte in wenigenJahrzehnten anders sein. Bryson hat kürzlich (5) eine für weitere Kreisebestimmte Erörterung der Ursachen der Klimaschwankung an Hand dieserBilanzgleichung veröffentlicht.

Seit mindestens 8000 Jahren greift der Mensch in die natürlichen Bilanzenein: seit dem Übergang von der Jagd und dem Hirten-Nomadentum zuAckerbau, Bewässerung und Stadtsiedlung geht dieser Prozeß erst ganz un^merklich, aber exponentiell wachsend vor sich. Schon auf früher Kulturstufe

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geschehen weitgehende Eingriffe: die Brandwirtschaft der Hirtennomadenverwandelt die Trockenwälder der Randtropen in baumarme Savannen, dieÜberweidung verwandelt Steppen in Halbwüsten; der sicher übertriebeneSlogan „Ziegen fraßen die Sahara kahl" hat einen richtigen Kern. Die Ent-waldung der Gebirge.hat nicht nur im östlichen Mittelmeer, sondern auchin den großen asiatischen Hochgebirgen und in vielen anderen Gebieten denWasserhaushalt stark beeinflußt — man darf jedoch nicht vergessen, daß der"Wasserverbrauch der "Wälder sehr erheblich ist, in feuchten Klimaten kaumgeringer als die Verdunstung offener "Wasserflächen.

Industrie, Verkehr, Intensivierung der Landwirtschaft haben diese Prozesseso gesteigert, daß diese Eingriffe nicht mehr lokaler oder regionaler Natursind, sondern sich immer mehr in kontinentalem, ja globalem Maßstab aus-wirken. Glücklicherweise sind wir heute in der Lage, die Auswirkung dieserEingriffe auf das Klima zahlenmäßig abzuschätzen. "Wenn auch dem Meteo-rologen der 'Weg des physikalischen Experiments großen Stils versperrt ist:der "Weg des numerischen Experiments, der Modellrechnung, steht ihm offen,und diese erlaubt eine weitgehende Simulation der natürlichen Bedingungen,besonders für Klimaprobleme. Eine einfache derartige Modellrechnung istz. B. jetzt in Bonn für die Ausbreitung von Wasserdampf und damit dieVerdunstung eines Sees in einer Wüste durchgeführt worden (11), eine andereModellrechnung befaßt sich mit der Simulation der atmosphärischen Groß-zirkulation auf einer idealisierten Erde (42), zum besseren Verständnis derMonsunzirkulation und der Klimaschwankungen geologischer Vorzeiten.

Sehr viel größer angelegte Modellrechnungen zur Zirkulation der Atmo-sphäre sind heute an verschiedenen Stellen im Gang: genannt seien nur dieArbeitsgruppen von Smagorinsky-Manabe (ESSA, Princeton N. J.), vonKasahara und Leith (NCAR, Boulder Colo.), von Mintz-Arakawa (UCLA,Los Angeles). Die aufwendigsten Modelle berücksichtigen bereits die kli-matologisch entscheidend wichtige Wechselwirkung Ozean-Atmosphäre(K. Bryan). Es kann nicht Aufgabe dieses Aufsatzes sein, diese für die heu-tige Meteorologie entscheidenden Arbeiten im Einzelnen zu besprechen (20,26, 31, 44). Während Modelle auf empirischer Grundlage — z.B. (43) —wegen der Vernachlässigung der Physik der atmosphärischen Prozesse bishernoch kaum wirklich überzeugende Resultate geliefert haben, erbrachten dieArbeiten von Manabe (29) über die Gleichgewichtstemperatur in Abhängig-keit von zahlreichen Parametern des Strahlungshaushaltes viele sehr wichtigeErgebnisse, wenn auch ohne Berücksichtigung der Zirkulation. Auf der Basissolcher Modelle wird es schon in naher Zukunft möglich sein, physikalischbegründete Abschätzungen über die möglichen Auswirkungen der anthro-pogenen Modifikationen auf das Klima zu gewinnen.

Damit tritt aber die Klimatologie — bisher als deskriptive, rein empirischeWissenschaft nicht selten über die Achsel angesehen — in den Rang einer

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exakten Naturwissenschaft5. Nur eine quantitative Behandlung der wirken-den Kräfte erlaubt das Ziel einer Prognose und damit der praktischen An-wendung auf Probleme der Klimamodifikation. Die im Gange befindlicheBevölkerungsexplosion zwingt uns, von dem Stadium der unbeabsichtigtenKlimamodifikation — als Folge immer stärkerer Eingriffe in die natürlichenHaushalte — überzugehen in das Stadium einer bis in. alle Konsequenzenwohl überlegten Planung. Bisher haben sich viele kleine, aber flächenhaftausgedehnte Eingriffe ausgewirkt; in Zukunft können — wie neuere russischeArbeiten (37) eindrucksvoll zeigen — auch großzügige Maßnahmen in ihrenFolgewirkungen abgeschätzt werden. Das gilt auch für die vorgeschlagenenEingriffe zur „Korrektion der Natur": Schaffung riesiger Stauseen in Sibirienoder den Trockengebieten der Erde, Schließung der Beringstraße oder Be-seitigung des arktischen Meereises. Solche Unternehmen sind — heute oder innaher Zukunft — der fortschreitenden Technik zugänglich. Aber ihre Folge-wirkungen erstrecken sich über ganze Kontinente, ja über die ganze Erde:Änderungen im Wärmehaushalt der Polargebiete, z. B. in der Ausdehnungdes polaren Meereises, müssen sich durch Verlagerungen ganzer Klimazonenbis in die Tropen hinein auswirken.

Diesen Möglichkeiten gegenüber sind die Effekte der direkten Wetter-beeinflussung — Erzeugung von Niederschlag, Verhinderung von Hagel, Be-kämpfung von Frost — immer nur lokaler, kleinräumiger Natur. Auch siesind von weitreichenden Konsequenzen begleitet; aber sie greifen nur inuntergeordneter "Weise in die großräumigen Energiebilanzen ein. "Wo Nieder-schlag am dringendsten gebraucht wird — in den Trockengebieten —, da sindalle Maßnahmen dieser Art wirkungslos; es kann sich immer nur um eineNeuverteilung handeln. So groß ihre mögliche praktische Bedeutung auchsein mag: diejenige der beabsichtigten oder unbeabsichtigten Klimamodi-

2 Verschiedentlich wurde in den letzten Jahren von einer „Renaissance" derKlimatologie gesprochen. Das ist sicher berechtigt im Hinblick auf die vielen neuenMöglichkeiten — Einsatz von Computern für leistungsfähigere statistische Verfahren,Beobachtungen von "Wettersatelliten (Bewölkung, Strahlung), flächenhafte Radar-Untersuchungen der Niederschläge, paläoklimatische Messungen mittels Isotopen, umnur einige zu erwähnen. Solche Techniken sind im Bereich eines modernen Wetter-dienstes unerläßlich. Unter den heutigen Bedingungen und erst recht unter den inZukunft auf uns zukommenden Problemen muß aber meines Erachtens eine echteRenaissance über die bisherige deskriptive Klimatographie oder eine „Klimageogra-phie" (1) hinausgehen — so viele noch ungelöste ebenso wichtige wie reizvolle regio-nale Fragen hier noch liegen mögen. In Anbetracht der oben umrissenen Fragestellun-gen — deren „gesellschaftliche Relevanz" wohl niemand bezweifeln wird — kann ichden Appell von Weischet (45) nur unterstützen, besonders für die wenigen Geogra-phen, die sich jenseits aller Modeströmungen die notwendigen Grundlagen aus Physikund Mathematik angeeignet haben.

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fikation ist zweifellos größer. Diese Klimamodifikation erstreckt sich, überalle Größenskalen, vom Lokalklima (0,1—1 km) bis zur ganzen Erde. Siewird zu einer der zentralen Aufgaben der Klimatologie der nächsten Gene-rationen: sie zwingt uns zur Entwicklung einer physikalisdi-niathematischfundierten Klimatologie als Zweig einer allgemeinen Geophysik (51).

Abgeschlossen August 1969.

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Page 21: KLIMASCHWANKUNG ODER KLIMA-MODIFIKATION?...des Jahrhunderts um (32) — wie übrigens von H. G. Wille« (46) schon 1951 vorhergesagt, wenn auch kaum mit überzeugenden Argumenten —,

NACHWORT

Die Entwicklung der Meteorologie als Physik der Atmosphäre hat in denletzten 20 Jahren ein ungeahntes Tempo angenommen — neue Beobachtungs-methoden (Radar, Lidar, Wettersatelliten, driftende Ballone) und vor allemder Einsatz leistungsfähiger Computer eröffnen ungeahnte Perspektiven undmachen eine Fülle neuer Aufgaben einer quantitativen Behandlung auf phy-sikalisch-mathematischer Basis zugänglich. In einem solchen Zeitpunkt istes eine heikle Aufgabe, Veröffentlichungen aus dieser 20jährigen Zeitspannezusammenzustellen, in denen versucht wird, Konsequenzen dieser Entwick-lung für die Klimatologie aufzuzeigen, soweit sie auch heute noch lesenswerterscheinen. Da eine Neubearbeitung aus verschiedenen Gründen undurch-führbar ist, wird auf Anregung des Verlages die hier getroffene Auswahlvorgelegt; auf einige besonders wichtige Weiterentwicklungen soll in diesemNachwort wenigstens hingewiesen werden.

Die Klimatologie — gemeinsames Interessengebiet der Meteorologen undGeographen, zugleich Grenzgebiet für viele andere Wissenschaften von derBiologie und Medizin, Land- und Forstwirtschaft her bis zur Technik — spieltin den letzten Jahren in dieser Entwicklung im Rahmen der Meteorologieeine immer größere Rolle; diese wird in den Arbeiten L und N angedeutet.Zu der klassischen, mehr oder minder deskriptiven Klimatographie tritt diephysikalische Analyse des Klimas auf dem Wege über den Strahlungs-,Wärme- und Wasserhaushalt, seine unabsichtliche oder bewußte Modifikationund die Vorhersage künftiger Änderungen.

Die Arbeit A ist der dritte Abschnitt einer größeren Untersuchung zurallgemeinen Zirkulation der Atmosphäre, deren erster Teil sich mit grund-sätzlichen Problemen auseinandersetzt (hier unter Lit. 96 zitiert). Dieser ersteAbschnitt ist hier nicht abgedruckt, da nach 20 Jahren intensiver Forschungdie Zusammenhänge heute sehr viel präziser gegeben werden müssen; erwurde von japanischer Seite in eine Sammlung grundlegender Arbeiten>General Atmospheric Circulation< aufgenommen. Der hier abgedruckte dritteAbschnitt brachte — im Gegensatz zu der bis auf Halley und Woeikof zurück-gehenden Schulmeinung — die tropischen und außertropischen Monsune inein geschlossenes System im Rahmen der planetarischen Zirkulation. Unab-hängig davon kam gleichzeitig S. P. Chromow (Geogr. Fakultät Lomonos-sow-Univ. Moskau) zu nahezu dem gleichen Ergebnis, das er auch in Karten-form niederlegte (siehe Arbeit H). Das Problem der äquatorialen "Westwinde- zuerst 1945 von R. D. Fletcher (US-Air Weather Service) formuliert — bot