Klimawandel und Armut - PIK Research Portal...16 „Die Ungleichheit in der Welt ... Neun der zehn...

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Klimawandel und Armut Eine Herausforderung für gerechte Weltpolitik Maurer in Kalkutta nach einer Überflutung. Mehr und mehr Menschen sind bedroht durch die zunehmende Heftigkeit der Monsunregen. Foto: Ruchiro Ein Dossier des Projekts „Klimawandel und Gerechtigkeit. Klimapolitik als Baustein einer gerechten Globalisierung und nachhaltigen Armutsbekämpfung” in Zusammenarbeit mit der Redaktion „welt-sichten”. 5-2008 Dossier

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Klimawandel und ArmutEine Herausforderung für gerechte Weltpolitik

Maurer in Kalkutta nach einer Überflutung. Mehr und mehr Menschen

sind bedroht durch die zunehmende Heftigkeit der Monsunregen.

Foto: Ruchiro

Ein Dossier des Projekts „Klimawandel und Gerechtigkeit. Klimapolitik als Bausteineiner gerechten Globalisierung und nachhaltigen Armutsbekämpfung”in Zusammenarbeit mit der Redaktion „welt-sichten”.

5-2008 Dossier

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Soziale Gerechtigkeit ist ein kulturübergrei-fendes Ideal und ein universeller Bezugs-punkt des politischen Denkens. Es schafftauch den Bezugsrahmen für die Beiträge die-ses Dossiers. Was die Globalisierung bereitsdeutlich gemacht hat, zeigt der beginnendeKlimawandel in aller Schärfe: Gerechtigkeits-überlegungen sind heute in einer globalenPerspektive anzustellen. Eine global vermit-telbare ethische Argumentation in die Klima-verhandlungen einzubringen, ist eine „He-rausforderung für gerechte Weltpolitik“, soder Untertitel dieses Heftes.

Vielleicht sollte er besser lauten: „Eine He-rausforderung für ungerechte Weltpolitik“.Denn die ungerechte Verteilung des Reich-tums und damit des Energiekonsums ist einewesentliche Ursache dafür, dass arme Men-schen im Süden die Hauptbetroffenen einesKlimawandels sind, den sie gar nicht ver-schuldet haben. Die Beiträge zu diesem Dos-sier stellen fest, dass dies eine in ihren Folgenbesonders dramatische Ungerechtigkeit ist.Und sie fragen, welche Korrekturen geeignetsind, diese Gerechtigkeitslücke zu schließenund den ungerechten Zuständen abzuhelfen.

Nötig ist zunächst, Ressourcen gerechter zuverteilen und die Menschen in den Länderndes Südens bei der Bewältigung der Auswir-kungen des Klimawandels zu unterstützen.Da die Klimakatastrophe im Süden beginnt,müssen ihre Folgen dort zuerst eingedämmtwerden. Zugleich muss die Erderwärmunggebremst werden. Wer sich für die Lebens-chancen der am stärksten vom KlimawandelBetroffenen einsetzt, verbessert auch die Le-benschancen der Menschheit insgesamt undder nachfolgenden Generationen.

3 „Global Deal“ für Klima- und EntwicklungspolitikMichael Reder und Anika Schroeder

5 Die Armen trifft es am härtestenThomas Loster

7 Was macht verwundbar gegenüber Klimafolgen?Hans-Martin Füssel

9 Emissionen müssen etwas kostenOttmar Edenhofer und Hermann Lotze-Campen

12 Klimaverhandlungen brauchen ein ethisches LeitbildJohannes Wallacher und Michael Reder

14 Indonesien zwischen Armutsbekämpfung undKlimaschutzJohannes Müller

16 „Die Ungleichheit in der Weltdarf sich bei den Anpassungsmaßnahmennicht wiederholen“Interview mit Bernd Bornhorst

18 Gerechter, effektiver und dauerhafter WaldschutzAnika Schroeder, Katrin Vohland und Alexander Popp

20 Mikroversicherungen gegen Klimarisiken Dirk Reinhard

23 Ausblicke und Service

Editorial

Anja Ruf ist freie Journalistin in

Frankfurt/Main und betreut für „welt-sichten“

die Dossiers.

Inhalt

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Klimawandel Dossier 3

| Michael Reder und Anika Schroeder

Der Klimawandel wird schwere Aus-wirkungen haben, insbesondere aufdie Armen in den Entwicklungslän-dern. Klimaschutz kann deshalb einenwichtigen Beitrag zur Armutsbekämp-fung leisten. Klima- und Entwicklungs-politik müssen eng miteinander ver-bunden werden.

Die Industriestaaten sind die Hauptverursa-cher des Klimawandels, die Armen in den Ent-wicklungsländern dagegen besonders starkvon seinen schädlichen Folgen betroffen. Sosind sie aufgrund ihrer geographischen Lageviel stärker extremen Wetterereignissen aus-gesetzt, die bereits jetzt vermehrt auftreten.80 Prozent der Opfer von Wetterkatastrophenseit 1980 lebten in Asien, Afrika und Latein-amerika. Dies liegt auch daran, dass die Ent-wicklungsländer deutlich weniger Möglich-keiten haben, extreme Wetterereignisse zubewältigen und sich an die veränderten Be-dingungen anzupassen.

Das Auseinanderfallen von Verursachern undprimär Betroffenen weist auf ein Gerechtig-keitsproblem hin, das nur dann angemessengelöst werden kann, wenn Gerechtigkeit so-wohl in räumlicher als auch in zeitlicher Per-

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„Global Deal“ – ein Pakt für Klima- und EntwicklungspolitikKlimaschutz und Armutsbekämpfung gehören zusammen

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Hochgebirgstal in Kirgistan. Dunkle Aussichtenauch für den internationalen Klimaschutz?

Bis zu einem wirksamen Abkommen sind jeden-falls noch große Barrieren zu überwinden.

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Dossier Klimawandel4

spektive erweitert wird. Die enge Verknüp-fung von Klimawandel und Armut legt zu-dem nahe, die Gerechtigkeitsfrage nicht aufdie Verteilung von Emissionsrechten zu ver-kürzen, sondern darüber hinaus auch dieweltweite Verteilung von Vermögen in einemumfassenden Verständnis (Natur-, Human-und Sozialkapital) einzubeziehen.

Dass Klimaschutz und Entwicklung nicht im-mer einfach zu verbinden sind, wird in die-sem Dossier am Beispiel Indonesien deutlichgemacht. Der Abbau von Naturkapital, in die-sem Fall die Abholzung des Regenwaldes, hatschwerwiegende Folgen sowohl für das Klima(lokal und global) als auch für die ärmerenKleinbauern. Der Schutz des Regenwaldesmuss deshalb genauso Bestandteil der Klima-schutzpolitik sein wie die Beachtung der Si-tuation der Menschen in den Entwicklungs-ländern selbst. Der Erhalt der Wälder würdefreilich für Länder wie Indonesien hohe Ver-luste bei den Exporteinnahmen bedeuten, diedas Land auch für seinen Schuldendienst drin-gend benötigt.

Gerechtigkeitsfragen werden auch in den in-ternationalen Klimaverhandlungen eine ent-scheidende Rolle spielen. Eine globale Klima-politik muss den Klimawandel auf ein nochbewältigbares Maß begrenzen und Hand-lungsmöglichkeiten entwickeln, um sich andie Folgen der schon jetzt nicht mehr ver-meidbaren Erderwärmung anzupassen. Inbeiden Fällen ist eine faire Aufteilung der Las-ten eine zentrale Vorbedingung.

Notwendig ist ein „Global Deal“ für Klima-und Entwicklungspolitik. Dieser Begriff, der indie internationale Klimadebatte bereits einge-führt ist, meint einen Aushandlungsprozessaller Betroffenen. Globaler Klimaschutz lässtsich nur erreichen, wenn den Entwicklungs-und Schwellenländern ein faires Angebot un-terbreitet wird. Dabei zeigen die Berichte desWeltklimarates deutlich, dass Klimaschutznicht teuer ist und sich gerade hinsichtlich derArmutsbekämpfung langfristig auszahlenwird. Neben globalen Emissionsminderungen

und einer fairen Verteilung zukünftiger Emis-sionsrechte sind die Förderung und der Trans-fer innovativer Technologien Kernelemente ei-nes solchen „Global Deal“. Er wäre ein politi-sches Instrument, mit dem das Ziel von nichtmehr als zwei Grad Erderwärmung umgesetztwürde und gleichzeitig Gelder vom Norden inden Süden fließen könnten.

Teil des „Global Deals“ sind auch neue Finan-zierungsinstrumente für Klimaschutz, Anpas-sung, Waldschutz und Technologietransfer.Damit soll den Armen und armen Ländern da-bei geholfen werden, einen emissionsarmenEntwicklungspfad einzuleiten und die Folgendes Wandels zu bewältigen. Einschlägige Stu-dien gehen davon aus, dass allein für die An-passung an den Klimawandel bis zu 86 Milli-arden US-Dollar im Jahr nötig sein werden. Al-lerdings muss sichergestellt werden, dass dasGeld da ankommt, wo es am nötigsten ist undtatsächlich nachhaltig wirkt. Dazu ist eine en-ge Verzahnung der Anpassungsschritte mit-tels nationaler Entwicklungsstrategien undder internationalen Entwicklungszusammen-arbeit nötig. Hierbei kann auch die Stärkunginnovativer Instrumente zur Armutsbekämp-fung helfen, wie beispielsweise Mikroversi-cherungen für die Armen. | |

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Anika Schroederist Diplom-Umweltwissen-schaftlerin und Referentinfür Klimawandel und Entwicklung bei MISEREORin der Abteilung Entwick-lungspolitik.

Dr. Michael Rederist Mitarbeiter des IGP und Dozent für Sozial- undReligionsphilosophie ander Hochschule für Philoso-phie in München.

In dem Projekt „Klimawandel und Ge-rechtigkeit“ analysieren das Potsdam-In-stitut für Klimafolgenforschung, das In-stitut für Gesellschaftspolitik an derHochschule für Philosophie in München,die Münchener Rück Stiftung und MISE-REOR Wechselwirkungen zwischen derVermeidung eines gefährlichen Klima-wandels und der Bekämpfung weltwei-ter Armut. Wie innerhalb eines globalenDeals für Klima- und Entwicklungspoli-tik eine gerechte Lastenaufteilung beimKlimaschutz organisiert und die schädli-chen Folgen des Klimawandels für dieArmen abgemildert werden können, istdie politische Kernfrage des Projekts.

Dialog mit dem Süden: Um zu einer ge-meinsamen globalen Handlungsstrate-gie zu gelangen, spielt der Dialog mitVertretern anderer Länder und Kulturenüber Klimafolgen und Anpassungsstrate-gien eine wichtige Rolle im Projekt.

Öffentlichkeit in Deutschland: Durch Dis-putationen zwischen Wissenschaft, Wirt-schaft, Kirchen, Zivilgesellschaft und Poli-tik soll eine breite Öffentlichkeit für dieDiskussion des Zusammenhangs von Kli-mawandel und Armut gewonnen werden.

Als Mitglieder des Projektbeirates beglei-ten acht renommierte Vertreter aus Wis-senschaft, Zivilgesellschaft und Mediendas Projekt:• Hartmut Graßl (Max-Planck-Institut für

Meteorologie – Klimaprozesse)• Volker Angres (ZDF-Umweltredaktion)• Joachim von Braun (International Food

Policy Research Institute)• Saleemul Huq (International Institute

for Environment and Development)• Martin Khor (Third World Network)• Stephan Klasen (Universität Göttingen)• Dirk Messner (Deutsches Institut für

Entwicklungspolitik) • Wilhelm Vossenkuhl (Uni München)

Informationen unter www.klima-und-gerechtigkeit.de oderwww.climate-and-justice.de

Das Projekt

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Klimawandel Dossier 5

| Thomas Loster

Neun der zehn schwersten Naturkata-strophen des vergangenen Jahres – ge-messen an der Zahl der Todesopfer –waren Wetterkatastrophen. Alle trafenEntwicklungs- oder Schwellenländer.Schleichende Entwicklungen wie Hit-zewellen oder Dürren sind oftmals so-gar noch gefährlicher als einzelne Ka-tastrophen.

Im Jahr 2007 wurden weltweit fast 1000 Na-turkatastrophen gezählt, bei denen mehr als16.000 Menschen ums Leben kamen. Die größ-te Katastrophe löste mit 3300 Opfern der Zy-klon Sidr aus, der Mitte November die Küsten-gebiete von Bangladesch verwüstete. 50.000Menschen wurden verletzt, mehr als drei Mil-lionen verloren ihr Zuhause. Bereits im Juliund August des Jahres hatte der Monsun in In-dien, Nepal und Bangladesch zu großflächigenÜberschwemmungen geführt, die mehr als2000 Menschen in den Tod rissen.

Auch die Langzeittrends der Schadenstatisti-ken sprechen eine klare Sprache: Wetterkata-strophen haben in den letzten Jahrzehntendramatisch zugenommen, nicht nur in derHäufigkeit, sondern auch in ihrer Intensität. Beiden Elementarschäden sind Stürme und Über-schwemmungen auf dem Vormarsch. Darüberhinaus treten rund um den Globus atemberau-bende Wetterrekorde auf: So fiel der weltweitstärkste Tagesniederschlag 2005 im indischenMumbai. Der Hurrikan Wilma, ebenfalls 2005,machte in der Karibik mit dem tiefsten jemalsgemessenen Kerndruck auf sich aufmerksam.Außerdem war in dem gleichen Jahr der tropi-sche Atlantik seit Beginn der Messungen wär-mer als je zuvor. Die Folgen des Klimawandelssind dramatisch: Der Meeresspiegel steigtschneller, Gletscher schmelzen ab und die Jah-reszeiten verändern sich.

Die Zustandsberichte des Weltklimarats(IPCC) lassen erkennen, dass die Folgen derKlimaänderung Entwicklungsländer sowie

generell arme Bevölkerungsschichten unver-hältnismäßig treffen werden: Ihre Chancenauf einen gerechten Zugang zu Nahrung, sau-berem Wasser und anderen Ressourcen wer-den weiter sinken, ihr Gesundheitszustandwird sich verschlechtern. Neuere wissen-schaftliche Arbeiten, zum Beispiel der Klima-wandelindex CCI der Eidgenössischen Techni-schen Hochschule Zürich 2007, untermauernebenfalls, dass die Armen vom Klimawandelüberproportional betroffen sind. Sich an ver-änderte Bedingungen anzupassen, wird fürsie immer schwerer werden. Schon jetzt ist ih-re Ausgangslage ungünstig.

Wenn auch – gerade in den vergangenen Jah-ren – Großereignisse wie das Erdbeben von Iz-mit 1999 mit 20.000 Opfern oder von Bam2003 mit 30.000 Toten sowie der Tsunami2004 mit mehr als 200.000 Opfern die Schlag-zeilen beherrschten, sind schleichende Ent-wicklungen wie Hitzewellen und Dürren oft-mals gefährlicher. Sie zehren über Jahre gan-ze Landstriche aus. In ärmeren Ländern sind

schon heute Millionen Menschen betroffen.Beispiel Afrika: Allein in Äthiopien starben inden 1970er und 1980er Jahren etwa 600.000Menschen, rund sieben Millionen waren lan-gen Dürreperioden ausgesetzt. Danebenkämpften auch der Sudan, Malawi, der Tschadoder Mosambik mit extremer Trockenheit.Nach Schätzungen der Weltbank litten in den1980er und 1990er Jahren auf dem afrikani-schen Kontinent rund 100 Millionen Men-schen unter Dürren, bereits in wenigen Jah-ren soll sich die Zahl verdoppelt haben.

Wenn man untersucht, wie sich die humani-tären Folgen der weltweiten Wetterkatastro-phen verteilen, liegen Länder, die sich noch ineinem frühen Entwicklungsstadium befin-den, schon heute weit vorne. Die Weltbankteilt die Länder dazu entsprechend ihres Brut-tosozialprodukts in vier Gruppen (G) von 1(reich) bis 4 (arm) ein. Für den Zeitraum 1980bis 2007 lassen sich folgende Schlüsse ziehen:

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Die Armen trifft es am härtestenDie Häufigkeit und Schwere von Wetterkatastrophen nimmt zu

Wandmalerei in einem von Hurrikan Stan betroffenen Maya-Dorf in Guatemala.

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• Etwa die Hälfte der rund 15.000 weltweit re-gistrierten Wetterkatastrophen ereignete sichin gut entwickelten Ländern (G1), ein Drittelin den Ländergruppen G3 und G4.

• Mehr als zwei Drittel der knapp eine MillionTodesopfer sind in der Ländergruppe der nied-rigsten Einkommensstufe (G4) zu beklagen,nur zwölf Prozent der Opfer stammten aus derwohlhabenden Welt (G1).

• Die größten monetären Schäden entfielenmit 74 Prozent erwartungsgemäß auf die Län-dergruppen G1 und G2, die ärmeren Länder G3und G4 trugen 26 Prozent der Belastungen.

Schadensmindernde Versicherungen sind inden ärmeren Ländern deutlich unterrepräsen-tiert, nur ein Prozent der versicherten Schädenentfiel auf die Ländergruppen G3 und G4.

Der Vierte Sachstandsbericht des IPCC 2007misst dem Zusammenhang zwischen globalerErwärmung und häufigeren oder intensiverenExtremereignissen erheblich mehr Bedeutungbei als der Vorgängerbericht von 2001. Die wis-senschaftlichen Belege, dass Überschwem-

mungen und Dürren weiter zunehmen wer-den, sind signifikant. Der zu erwartende An-stieg des Meeresspiegels wird in zahlreichenRegionen tief liegende Küstenebenen, Fluss-deltas und Inselgruppen überfluten, weite Tei-le von Bangladesch oder Inseln im Pazifik wieTuvalu und die Marshall-Inseln werden baldunbewohnbar sein. Während reiche Ländersich mit Deichbau und anderen technischenMaßnahmen schützen können, sind MillionenMenschen in ärmeren Ländern den Bedrohun-gen hilflos ausgeliefert.

Weil nicht weniger als die Zukunft ganzer Re-gionen auf dem Spiel steht, kommt der Errich-tung effizienter Frühwarnsysteme und ande-ren Maßnahmen zur Prävention von Katastro-phen eine große Bedeutung zu. Letztendlichsind auch die Millenniumsziele der VereintenNationen nur dann zu erreichen, wenn dieMenschen in Entwicklungsländern nicht stän-dig Häuser, Schulen, Krankenhäuser und die In-frastruktur bei Katastrophen verlieren. Das oh-nehin weitmaschige soziale Netz wird durch

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Thomas Losterist Geschäftsführer derMünchener Rück Stiftungund Diplom-Geograf.

Prozentuale Verteilung nach wirtschaftlicher Entwicklung

Länder mit hohem Einkommen(GNI* > 11.116 US$)

Länder mit höherem Einkommen (GNI* 3.595 – 11.116 US$)

Länder mit niedrigerem Einkommen (GNI* 906 – 3.595 US$)

Länder mit niedrigem Einkommen (GNI* < 905 US$)

*GNI = mittleres Einkommen/Kopf

Quellen: Munich Re NatCatSERVICE (loss information 3/2008), Word Bank (country classification 6/2007), Originalschäden

Weltweite Naturkatastrophen 1980 – 2007

17.000 Schadenereignisse

900.000 Todesopfer VolkswirtschaftlicheSchäden 1.400 Mrd. US$

Versicherte Schäden420 Mrd. US$

solch massive Schadenereignisse noch löchri-ger, so dass die bestehenden Solidarsystemeversagen.

Experten rechnen nicht mehr damit, dass sichder Klimawandel aufhalten lässt. Doch liegt esin der Hand der Menschheit, ihn zumindest zubremsen. So genannte „No-regret“ oder „Win-win“-Strategien, also Ressourcenschonung oderVerringerung des Energieverbrauchs, sind indiesem Zusammenhang besonders hervorzu-heben. Eine Schlüsselrolle kommt der Steige-rung der Energieeffizienz zu. Dazu müssen wirbereits heute rund um den Globus zukunftsfä-hige Energiepfade festlegen, auf die sich alleLänder verbindlich einigen können. Das Kioto-Protokoll und die Vereinbarungen für ein Folge-abkommen sind dabei ein erster Schritt. DasKioto-Protokoll verlangt von den 36 Industrie-ländern, die Treibhausgasemissionen zu redu-zieren. Insgesamt sollen die Emissionen im Zeit-raum von 2008 bis 2012 um mindestens fünfProzent im Vergleich zum Jahr 1990 verringertwerden. Für die Zeit nach dem Ende der erstenVerpflichtungsperiode – „Post-2012“– habenVerhandlungsrunden unter der Leitung der Ver-einten Nationen bereits ein Arbeitsprogrammbeschlossen, das eine nahtlose Fortsetzung derEmissionsminderung garantieren soll.

Doch eine globale Klimaschutz-Vereinbarungmuss viel umfassender und größer sein. Ohneeinen „Global Deal“ mit deutlichen Verpflich-tungen für die Verursacher der Klimaänderungkommen wir nicht weiter. Denn eines ist klar:In unserer globalisierten Welt bringen nurpartnerschaftliche und nachhaltige Strategiennach dem Vorsorgeprinzip am Ende mehr Ge-winner als Verlierer hervor. Vor allem die In-dustrieländer sind gefordert, jetzt Verantwor-tung zu übernehmen. | |

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Klimawandel Dossier 7

| Hans-Martin Füssel

Häufig wird die Frage gestellt, welcheBevölkerungsgruppen, Regionen oderWirtschaftszweige besonders ver-wundbar gegenüber dem globalen Kli-mawandel sind. Meist heißt es dann,dass arme Länder und arme Menschenbesonders verwundbar seien und da-her auch den dringendsten Anspruchauf internationale Hilfe hätten. Ist Ar-mut gleich Verwundbarkeit?

Vergleichende Aussagen über die Verwundbar-keit verschiedener Bevölkerungsgruppen (oderRegionen und Wirtschaftszweige) stehen vor ei-ner Reihe von Schwierigkeiten: Erstens ist derBegriff „Verwundbarkeit“ (englisch: vulnerabi-lity) nicht eindeutig definiert. In diesem Beitragwird Verwundbarkeit allgemein als ein Maßdafür verstanden, wie stark eine Bevölkerungs-gruppe durch eine äußere Bedrohung gefähr-det ist. Zweitens können manche entscheiden-den Aspekte des künftigen Klimawandels der-zeit nicht sicher vorhergesagt werden. WährendKlimamodelle für den Mittelmeerraum über-einstimmend höhere Temperaturen und ver-ringerten Niederschlag prognostizieren, gibt esetwa für die Sahelzone bislang keine Gewiss-heit, ob zukünftig mit verstärkten oder gerin-geren Niederschlägen oder gar mit einemWechsel zwischen niederschlagsreichen undtrockenen Perioden zu rechnen ist. Die Gefähr-dung des Sahels infolge des Klimawandels lässtsich derzeit also nicht verlässlich abschätzen.

| Soziale Entwicklungen spielen einegroße Rolle

Drittens ist der Klimawandel natürlich nichtder einzige Faktor, der die Entwicklung von Ge-sellschaften bestimmt. So weisen Entwick-lungsländer im Vergleich zu Industriestaatenmeist ein höheres Bevölkerungswachstum, ei-ne schnellere Urbanisierung und häufig aucheine stärkere politische und wirtschaftliche

Dynamik auf. Wenngleich solche sozialen Ent-wicklungen für die Abschätzung der langfristi-gen Gefährdung von Regionen infolge des Kli-mawandels zentral sind, so ist deren Berück-sichtigung in entsprechenden Untersuchun-gen häufig nur begrenzt möglich. Wer könnteetwa sicher vorhersagen, ob ohne den Klima-wandel Armut, Hunger und Krankheitsratenim südlichen Afrika in den nächsten Jahrzehn-ten deutlich abnehmen oder sogar noch wei-ter ansteigen würden?

Viertens lässt sich auf sehr unterschiedlicheWeise messen, wie stark eine Region durch denKlimawandel gefährdet ist. 1991 verwüsteteWirbelsturm Gorky die Küste von Bangladesch;1992 traf der ähnlich starke Wirbelsturm An-drew auf die Golfküste der USA. Gorky kostete140.000 Menschenleben, ließ 10 MillionenMenschen obdachlos zurück und verursachteetwa 1,5 Milliarden US-Dollar an materiellenSchäden, von denen nur 3 Millionen US-Dollarversichert waren. Andrew dagegen kostete„nur“ 26 Menschenleben und ließ 250.000 Ob-dachlose zurück, verursachte aber mehr als 25Milliarden US-Dollar an materiellen Schäden,darunter mehr als 15 Milliarden US-Dollar ver-sicherte Schäden. Offensichtlich waren (undsind) in Bangladesch die Menschen um einVielfaches verwundbarer gegenüber Wirbel-stürmen als an der Golfküste der USA, wäh-rend in den USA das versicherte Vermögen undmöglicherweise die Infrastruktur im Allgemei-nen verwundbarer sind. Untersuchungen, dieAbschätzungen sozialer und ökonomischerSchäden miteinander kombinieren, könntenalso zu ganz unterschiedlichen Bewertungender Verwundbarkeit dieser beiden Regionengegenüber Wirbelstürmen kommen.

Angesichts dieser Schwierigkeiten ist es wis-senschaftlich nicht möglich, ein eindeutigesRanking von Regionen hinsichtlich ihrer Ver-wundbarkeit gegenüber dem Klimawandel zu

erstellen. Ein solches Ranking erfordert eineVielzahl von Annahmen, die bis zu einem ge-wissen Grad willkürlich sind. Dennoch ist esnatürlich notwendig, die Risiken durch den Kli-mawandel für verschiedene Bevölkerungs-gruppen abzuschätzen und soweit möglichmiteinander zu vergleichen. Solche Informatio-nen werden u.a. benötigt, um das gesamteAusmaß der Bedrohung gegenüber dem Kli-mawandel zu bestimmen, Prioritäten bei derUnterstützung armer Regionen zur Anpassungan den Klimawandel zu setzen und Hinweisefür die Berücksichtigung des Klimawandels inProjekten und Programmen der wirtschaftli-chen Entwicklung zu geben.

| Bestimmungsfaktoren für die Verwundbarkeit

Die Verwundbarkeit verschiedener Regionenund Bevölkerungsgruppen gegenüber dem an-thropogenen, also dem vom Menschen verur-sachten Klimawandel wird von folgenden Fak-toren bestimmt:

• Ausmaß des regionalen Klimawandels. Derglobale Klimawandel wirkt sich nicht überallgleich aus. So ist die Erwärmung in den arkti-schen Polarregionen deutlich stärker als in an-deren Weltregionen. Die Niederschläge werdensich in manchen Regionen kaum verändern, inanderen jedoch stark ab- oder zunehmen.

• Empfindlichkeit gegenüber Klimaänderun-gen. Dieselbe Klimaänderung kann in ver-schiedenen Regionen ganz unterschiedlicheFolgen haben. So wird eine Erwärmung um ei-nige Grad in einer kalten Region wie Nordeuro-pa das landwirtschaftliche Potenzial eher erhö-hen, in einer ohnehin warmen Region wie In-dien hingegen eher verringern.

• Bewältigungs- und Anpassungsfähigkeit. Diesozialen Auswirkungen des Klimawandelshängen entscheidend von der Bewältigungs-und Anpassungsfähigkeit der betroffenen Be-völkerungsgruppe ab. So könnte Australien ei-nen klimabedingten Rückgang der Nahrungs-mittelproduktion um ein Fünftel wegen seiner

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Wer ist den Schäden am stärksten ausgesetzt?Das Ausmaß regionaler Klimaänderungen ist nur ein Faktor für die Verwundbarkeit

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Dossier Klimawandel8

Wirtschaftskraft wohl noch recht gut mittelsverstärkter Zukäufe auf dem Weltmarkt kom-pensieren, während derselbe Rückgang in In-dien große Bevölkerungsteile in tiefe Armutund Hunger stürzen würde.

Basierend auf diesen Überlegungen hat derUN-Weltklimarat in seinem kürzlich veröffent-lichten vierten Sachstandsbericht die folgen-den Regionen als „besonders betroffen“ durchden Klimawandel bezeichnet:

• die Arktis wegen der besonders schnellen Er-wärmung

• Afrika, insbesondere südlich der Sahara, we-gen der geringen Anpassungskapazität undder großen Bedeutung der Landwirtschaft fürdie Bevölkerung

• kleine Inseln, weil die Bevölkerung und dieInfrastruktur einem steigenden Meeresspiegelund Sturmfluten ausgesetzt sind

• große Flussmündungen in Asien aufgrund ih-rer hohen Bevölkerungsdichte und weil sieebenfalls einem steigenden Meeresspiegel,Sturmfluten und Hochwässern stark ausge-setzt sind.

Welche Schlussfolgerungen ergeben sich ausdieser Betrachtung für die Verwundbarkeit ar-mer Bevölkerungsgruppen gegenüber dem Kli-mawandel? Erstens: Arme Menschen lebenzwar nicht gehäuft in Regionen, in denen derKlimawandel an sich besonders ausgeprägt ist;sie leben aber überdurchschnittlich häufig inRegionen, die heute schon ein marginales Kli-ma haben (heiß, trocken, hohe Variabilität)oder die besonders stark von extremen Wetter-ereignissen (Wirbelstürmen, Fluten) betroffensind. Zweitens: Der Lebensunterhalt armerMenschen beruht überdurchschnittlich starkauf klimasensitiven Tätigkeiten, insbesondereder Landwirtschaft. Drittens: Arme Länder ha-ben weniger Möglichkeiten, Klimadaten zu be-obachten und auszuwerten, und arme Men-schen haben meist schlechteren Zugang zuvorhandenen Informationen. Hierdurch sind

Arme schlechter in der Lage, sich rechtzeitigauf drohende Gefährdungen vorzubereiten.Viertens: Arme Menschen haben weniger Ver-mögen, um persönliche Schutzmaßnahmentreffen zu können. Fünftens: Wenn arme Men-schen auch politisch marginalisiert sind, er-schwert dies den Zugang zu staatlicher Unter-stützung nach Naturkatastrophen. Sechstens:Wenn Verwundbarkeit absolut definiert wird(etwa als das Risiko von Unterernährung),dann sind arme Menschen schon deshalb be-sonders verwundbar, da sie diesem bedrohli-chen Zustand bereits viel näher sind.

Diese Vielzahl von Gründen zeigt, dass Armevom Klimawandel in der Regel deutlich stärkerbedroht sind als Reiche. Es sollte daher offen-sichtlich sein, dass Arme einen moralischenAnspruch auf Unterstützung bei der Anpas-sung an den Klimawandel und der Bewälti-gung von dessen Folgen haben. Dies gilt umsomehr, da die Armen weit unterdurchschnitt-lich zum globalen Klimawandel beigetragenhaben. Historisch gesehen ist der anthropoge-ne Klimawandel also ein Problem, das über-wiegend von den reichen Ländern verursachtwurde, dessen Folgen aber überwiegend vonden armen Ländern zu tragen sind. Die Berück-sichtigung der Ungerechtigkeit, die sich aus derungleichen Verteilung von Ursache und Folgendes Klimawandels ergibt, ist eine zentrale He-rausforderung für die internationale Klimapo-litik. Gleichzeitig gilt aber auch, dass effektiverKlimaschutz mittelfristig ohne die Mitwirkungder wichtigsten Schwellenländer nicht mög-lich ist, da diese aufgrund ihres hohen Bevölke-rungswachstums und ihrer zum Teil sehrschnellen wirtschaftlichen Entwicklung einenimmer größeren Anteil am weltweiten Aus-stoß von Treibhausgasen haben. | |

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Dr. Hans Martin Füsselist Mitarbeiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Diplom-System-wissenschaftler.

Verlassenes Dorf an einem ausgetrockneten Seein Libyen. Früher haben die Leute hier von derKrebsfischerei gelebt. Als der See sein Wasserverlor, verloren sie ihre Lebensgrundlage.

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Klimawandel Dossier 9

| Ottmar Edenhofer und Hermann Lotze-Campen

Die Klimadebatte, so argumentierenkonservative Ökonomen, diene nur derEinschränkung der wirtschaftlichenFreiheit. Ohne Gerechtigkeit wird glo-baler Klimaschutz jedoch nicht gelin-gen. Und auch Freiheit kann es ohneGerechtigkeit nicht geben. Das Ver-hältnis zwischen wirtschaftlicher Frei-heit und sozialer Gerechtigkeit mussdaher in der Klimadebatte neu be-stimmt werden – ebenso wie das Ver-hältnis zwischen Kosten und Nutzeneiner globalen Strategie zur Emissions-senkung.

Nicht der Klimawandel sei das Problem, son-dern die Armut, behauptet der dänische Sta-tistiker Björn Lomborg. Er drückt mit wün-schenswerter Klarheit aus, was viele denken:Der globale Klimaschutz beschränke das Wirt-schaftswachstum und damit auch die Chan-cen für eine effektive Armutsbekämpfung.Das in Bali beschlossene Mandat zum Aus-handeln eines weltweiten Klimaschutzab-kommens erweise den Entwicklungsländerneinen Bärendienst – nicht weniger Emissio-nen der Industriestaaten schützten die Ent-wicklungsländer vor dem Klimawandel, son-dern vor allem vermehrter Wohlstand derEntwicklungsländer. Denn je wohlhabenderEntwicklungsländer würden, um so leichterkönnten sie sich an den Klimawandel anpas-sen – Klimaanlagen, höhere Dämme und si-chere Wohnungen könnten sich eben nur dieWohlhabenden leisten. Der Klimaschutz seinicht mehr und nicht weniger als ein Angriffauf das Projekt einer gerechten Globalisie-rung. Die Freiheit der Märkte mit ihrem enor-men Potenzial zur Schaffung von Wohlstandwerde vor allem zu Lasten jener Länder be-schränkt, die den Wohlstand der USA, Europasoder Japans erst noch erringen wollten. Wasalso ist bedroht – das Klima oder die Entwick-lungschancen der Armen?

Die Frage ist falsch gestellt. Ein gefährlicher Kli-mawandel ist eine Bedrohung für die Armen.Kluger Klimaschutz dagegen kann erheblichzur Armutsbekämpfung beitragen. Aber: Werglobalen Klimaschutz will, wird dies nur errei-chen, wenn er den Entwicklungs- und Schwel-lenländern ein faires Angebot unterbreitet, dasihre Interessen berücksichtigt. Es geht also inder Klimadebatte um eine Neubestimmungder Balance zwischen der Freiheit individuel-ler Entscheidungen und den damit verbunde-nen Markt- und Entwicklungsprozesse einer-seits und einer fairen und gerechten Verteilungder Lasten und Chancen, die mit einer umfas-senden Klimaschutzstrategie verbunden sind,andererseits.

Der Vierte Sachstandsbericht des Weltklimara-tes (IPCC) konstatiert für den Zeitraum von1970 bis 2004 einen Anstieg des Ausstoßes vonTreibhausgasen um 70 Prozent. Zwar sinkt dieEnergieintensität der Weltwirtschaft (also derEnergieverbrauch pro Einheit Sozialprodukt)ebenso wie die Kohlenstoffintensität der Ener-gieproduktion, doch diese emissionsmindern-

den Effekte werden vom Anstieg der Weltbe-völkerung und der Steigerung der Arbeitspro-duktivität (Sozialprodukt pro Kopf) bei weitemüberkompensiert. Erst wenn die Energie- undKohlenstoffintensität schneller reduziert wirdals Bevölkerung und Arbeitsproduktivität stei-gen, können auch die weltweiten Emissionensinken.

Um eine Klimakatastrophe zu verhindern, istdie Begrenzung der Erderwärmung auf maxi-mal zwei Grad im Vergleich mit dem vorindus-triellen Temperaturniveau unverzichtbar. Umdieses Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, müssen dieglobalen Emissionen bis zum Jahre 2020 stabi-lisiert und bis zur Mitte des Jahrhunderts ge-genüber dem Niveau von 1990 um deutlichmehr als die Hälfte reduziert werden. Auchwenn man die Abholzung schnell verhindernkönnte, werden die energiebedingten Emissio-nen mit einem Gesamtanteil von knapp 70Prozent dennoch die Hauptlast der Vermei-dung tragen müssen. Manche Energiepolitiker

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Emissionen müssen etwas kostenDie Reduktionsziele sind erreichbar, wenn Klimapolitik gerecht gestaltet wird

Foto: Günther Grusz

Kohlekraftwerk im Ruhrgebiet. Kraftwerke wiedieses werden zunehmend zum Zankapfel der

deutschen Klimaschutzpolitik.

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Dossier Klimawandel10

und viele Energiestrategen in den großen Kon-zernen halten das Zwei-Grad-Ziel bereits fürunerreichbar.

| Fehlerhafte ThesenAngesichts der gewaltigen Aufgaben werdenNachrichten gerne gehört, die die Gefahren desKlimawandels als gering erscheinen lassen. Sohat Björn Lomborg zu zeigen versucht, dassselbst die volkswirtschaftlichen Schäden einesungebremsten Klimawandels weit geringerseien als die Kosten der Emissionsminderung.Auch wenn seine Thesen im Gewand ökono-mischer Vernunft die Bühne betreten – sie sindgrob fehlerhaft, weil sie entscheidende Effektevernachlässigen: die fortschreitende Versaue-rung der Ozeane, das Austrocknen der tropi-schen Regenwälder, die Veränderung der Mon-sundynamik in China und Indien oder dasSchmelzen der Gletscher im tibetischen Hoch-land. Hier werden Kippschalter im Erdsystemaktiviert, die kaum überschaubare Problemeerzeugen und praktisch nicht mehr zurückge-nommen werden können. Ein Abschmelzender Gletscher im tibetischen Hochland führtzunächst zu vermehrten Überschwemmungenan den großen Flüssen Chinas; wenn der kon-tinuierliche Abfluss der Gletscher ausbleibt,werden sie jahreszeitlich bedingt austrocknen.Solche weitreichenden Schäden, die die Funk-tionsfähigkeit des gesamten Erdsystems beein-trächtigen, können nicht sinnvoll in Geldgrö-ßen ausgedrückt werden. Sie machen aber

deutlich, dass die Kippschalter erst gar nichtaktiviert werden dürfen. Dann aber ist der tief-greifende Umbau des weltweiten Energiesys-tems unvermeidbar.

Als wichtigste Optionen dafür werden im Be-richt des Weltklimarates die Steigerung derEnergieeffizienz, die Förderung der erneuerba-ren Energien sowie die Kohlendioxid-Abschei-dung und -einlagerung im geologischen Unter-grund bezeichnet. Die letztere Option ist schondeshalb wichtig, weil sie die emissionsarmeNutzung von Kohle in China und Indien er-laubt. Die Atomenergie und die Substitutionvon Kohle durch Gas, das ein geringeres Treib-hauspotenzial als Kohle besitzt, werden vomIPCC als eher nachrangige Vermeidungsoptio-nen eingeschätzt. Mittelfristig (bis 2030) bie-ten laut IPCC Maßnahmen zur Energieeffi-zienz, dazu die Verminderung von anderenTreibhausgasen als CO2 (zum Beispiel Lachgasund Methan) außerhalb des Energiesektorsund schließlich der Einsatz von erneuerbarenEnergien das größte Vermeidungspotenzial.

| Ein Prozent des weltweiten Sozialprodukts

Ein Umbau des globalen Energiesystems ist zuakzeptablen volkswirtschaftlichen Kostenmöglich und daher auch der Gesellschaft ver-mittelbar. Im Gegensatz zu den früher vorge-legten IPCC-Berichten zeigt die ArbeitsgruppeIII im Vierten Sachstandsbericht, dass die Kos-ten eines Reduktionsprogrammes, um die Kon-zentration der Emissionen in der Atmosphäre

auf einem Niveau zu stabilisieren, das mit demZwei-Grad-Ziel vereinbar ist, relativ geringsind: Sie lägen bei etwa einem Prozent desweltweiten Sozialproduktes bis 2030.

Für das Erreichen solcher politischer Ziele gibtes jedoch eine Mindestvoraussetzung: Die At-mosphäre darf nicht weiter kostenlos genutztwerden. Erst wenn es etwas kostet, CO2 zuemittieren, lohnt es sich betriebswirtschaftlich,über erneuerbare Energieträger oder die Koh-lenstoffabscheidung nachzudenken. Ein welt-weiter Markt für Emissionsrechte wäre das ge-eignete Mittel, um dies zu erreichen.

Will man das Zwei-Grad-Ziel erreichen, so be-deutet dies, dass die globalen CO2-Emissionenvon heute durchschnittlich 4,9 Tonnen CO2 proKopf der Weltbevölkerung auf 1,5 Tonnen proKopf im Jahr 2050 abgesenkt werden müssen.In den politischen Verhandlungen ist jedoch dieFrage entscheidend, wie die Emissionsrechteauf die verschiedenen Staaten gerecht verteiltwerden sollen. Durch die Zuteilung von Emissi-onsrechten wird zugleich über die Verteilungder Kosten des Klimaschutzes entschieden.

Für die gerechte Zuteilung von Emissionsrech-ten wird immer wieder der Vorschlag ins Spielgebracht, dass jedem Erdenbürger bis zum Jahr2050 das gleiche Emissionsrecht zugestandenwerden solle: Ausgehend von ihren heutigenPro-Kopf-Emissionen werden den Industrie-staaten schrittweise weniger Emissionsrechtezugeteilt, während die Entwicklungsländer zu-nehmend mehr Emissionsrechte erhalten, bisim Jahr 2050 jedes Land die gleichen Pro-Kopf-Rechte erhält. Dies würde bedeuten, dass dieEmissionsrechte der Industriestaaten gegen-über dem heutigen Niveau um 80 Prozent ab-gesenkt werden müssten. Allerdings würdendie Industrieländer ihre Emissionsminderun-gen nicht notwendigerweise in ihren heimi-schen Volkswirtschaften erbringen müssen.Über den Emissionshandel können sie den Ent-wicklungsländern Emissionsrechte abkaufen.

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Im Juni 2007 wütete Superzyklon Gonu in Oman.Selbst in dem reichen Ölförderland, das seiner-seits Klimaünder ist, schädigt ein solcher Wirbel-sturm die wirtschaftliche und soziale Entwick-lung.

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Klimawandel Dossier 11

Mit den Verkaufserlösen können die Emissio-nen in den Entwicklungsländern zu geringe-ren Kosten reduziert werden als in den Indus-triestaaten.

| Erlöse aus dem EmissionshandelWenn die durchschnittlichen Vermeidungskos-ten in Entwicklungsländern geringer sind alsdie Zertifikatspreise – was offenkundig der Fallist –, dann werden die Entwicklungsländervom Emissionshandel finanziell erheblich pro-fitieren. Die Erlöse aus dem Emissionshandel

könnten beispielsweise die heu-tige Entwicklungshilfe für Afri-ka bei weitem übersteigen. Diesist auch deshalb bedeutsam,weil die Entwicklungsländer von den Folgendes Klimawandels besonders betroffen seinwerden.

Ein globaler Emissionshandel wird sich nichtsofort einführen lassen, er wird sich schrittwei-se entwickeln. Die EU hat das Verfahren bereitseingeführt. Insgesamt 25 Staaten in den USA,das ist immerhin die Hälfte aller US-Bundes-staaten, planen die Einführung von drei ver-schiedenen regionalen Emissionshandelssys-temen. Damit erhöht sich auch der Druck aufWashington, in den USA zügig ein einheitli-ches nationales System zu etablieren. Mittler-weile wurde mit der International Carbon Acti-on Partnership (ICAP) eine Plattform gegrün-det, die die Frage klären wird, ob und wie sichdas europäische Emissionshandelssystem mitden neu entstehenden regionalen Emissions-handelssystemen in den USA, aber auch mitdem schrittweise ab 1. Januar 2008 in Neusee-land eingeführten System, verzahnen ließe.

Angesichts der energiepolitischen Anforderun-gen infolge des Klimawandels gilt es überdies,die Anstrengungen zur Entwicklung emissi-onsarmer Energietechnologien zu vervielfa-chen. In Wahrheit sind aber die globalen Aus-gaben für Forschung und Entwicklung imEnergiebereich in den vergangenen zwanzigJahren gesunken. Hier müssen also dringendöffentliche Investitionen einspringen. Staatli-che Förderung für Demonstrationsprojekte imBereich der erneuerbaren Energieträger undzur Entwicklung der Kohlenstoffabscheidungund -speicherung ist daher unverzichtbar. Somüssten in den nächsten 15 Jahren etwa 30 De-monstrationskraftwerke errichtet werden, umzu zeigen, dass die gesamte Sequenz von derAbscheidung über den Transport bis hin zurEinlagerung des CO2 technisch machbar undwirtschaftlich tragbar ist. Auch im Bereich dererneuerbaren Energieträger sind technische

Durchbrüche nur zu erwarten,wenn im Bereich der Solarther-mie und der Fotovoltaik De-monstrationsprojekte öffent-

lich finanziert werden.

Auch wenn sich die Weltgesellschaft auf dasambitionierte Zwei-Grad-Ziel einigt und esauch erreicht, wird es zu Klimaveränderungenkommen, die nicht mehr aufzuhalten sind. DenFolgen dieses in jedem Falle stattfindenden Kli-mawandels muss in den betroffenen Regionenmit den entsprechenden Maßnahmen begeg-net werden. Hauptverursacher des unabwend-baren Schadens sind die industrialisiertenWeltregionen. Sie stehen also für die Finanzie-rung dieser Kosten in der Verantwortung. Hiergilt es, geeignete Finanzierungsmechanismen– wie etwa einen Anpassungsfonds – sowie Re-geln für die Verteilung der Mittel und Kostenzu identifizieren.

Die politischen Anforderungen eines solchenGlobal Deals sind groß. Aber die Politik kanndarauf vertrauen, dass Marktwirtschaften auchmit vorübergehend steigenden Preisen für CO2fertig werden, denn die Überwindung vonKnappheiten war immer schon die Hauptauf-gabe freier Märkte. Mit innovativen Marktwirt-schaften hat die Menschheit bislang gute Er-fahrungen gemacht; mit gefährlichem Klima-wandel würde sie aller Voraussicht nachschlechte machen. | |

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Dr. Hermann Lotze-Campenist Agrarökonom am Potsdam-Institut für Klima-folgenforschung.

Dr. Ottmar Edenhoferist stellvertretender Direktor und Chefökonomam Potsdam-Institut fürKlimafolgenforschung.

Worin liegt Ihrer Meinung nach diegrößte Gerechtigkeitslücke in der Klimaschutzpolitik?

Hartmut Graßl:Die zentrale Gerechtigkeitslücke ist dieschleichende Zerstörung der Heimat vie-ler Menschen in den semi-ariden Gebie-ten infolge der Verschiebung der Nieder-schlagsgürtel.

Stephan Klasen:Die größte Gerechtigkeitslücke liegt inder ungeklärten Frage der globalen Ver-teilung von Emissionsrechten sowie derBerücksichtigung der Emissionen ausden vergangenen Jahrzehnten.

Joachim von Braun:Die größte Gerechtigkeitslücke ist auf demLande zu erkennen, wo die Mehrheit derärmsten Bevölkerung lebt und über gerin-ge Anpassungsfähigkeit verfügt. Auch dienächste Generation wird besonders starkvom Klimawandel betroffen sein.

Dirk Messner:Klimawandel macht die Ärmsten nochärmer. Klimagerechtigkeit wird zu einerder zentralen Herausforderungen derWeltpolitik.

Hartmut Graßl (Max-Planck-Institut für Meteo-rologie – Klimaprozesse), Stephan Klasen (Uni-versität Göttingen), Joachim von Braun (Interna-tional Food Policy Research Institute) und DirkMessner (Deutsches Institut für Entwicklungs-politik) sind Beiratsmitglieder bei dem Projekt„Klimawandel und Gerechtigkeit“. | |

Gerechtigkeitslücken Globalen Klimaschutzwird man nur errei-chen, wenn man denEntwicklungs- undSchwellenländern einfaires Angebot unterbreitet, das ihreInteressen berück-sichtigt.

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Dossier Klimawandel12

| Johannes Wallacher und Michael Reder

Die Gerechtigkeitsfragen, die sich imKontext von Klimawandel und Armuts-bekämpfung stellen, müssen in denKlimaverhandlungen systematisch be-rücksichtigt werden. Dazu ist zunächstein überzeugendes Verständnis vonGerechtigkeit zu entfalten.

Eine global nachhaltige Entwicklung erfordertdie Überwindung von Armut und den Erhaltunserer natürlichen Lebensgrundlagen. Kli-maschutz und Armutsbekämpfung bedingeneinander wechselseitig. Diese Ziele sind frei-lich nicht einfach in Übereinstimmung zubringen, denn es geht dabei unweigerlich auchum konkurrierende Ansprüche und Interes-sen. Da nicht alle Ansprüche zugleich und invollem Umfang befriedigt werden können,braucht es ethische Leitbilder wie „Gerechtig-keit“, die im Konfliktfall eine angemesseneVerteilung von Ansprüchen ermöglichen.

Allerdings existieren unterschiedliche Ge-rechtigkeitskonzepte, aus denen unterschied-liche, teils sogar gegensätzliche politischeStrategien abgeleitet werden. Ein Beispiel da-für ist die Debatte um die Verteilung künfti-ger Emissionsrechte mit einem weiten Spek-trum von Vorschlägen, die sich alle auf Ge-rechtigkeitsprinzipien berufen. Die einen ori-entieren sich primär am Gewohnheitsrecht,andere an der Verletzbarkeit gegenüber demKlimawandel oder am Recht auf Entwicklung,wieder andere plädieren für zukünftig gleichePro-Kopf-Emissionsrechte.

Gerechtigkeitskonzepte beinhalten normati-ve Vorentscheidungen. Eine wichtige Aufga-be der Ethik besteht genau darin, diese oft ver-

borgenen Implikationen aufzudecken und zureflektieren. Sie legt so auch offen, von wel-chem Standpunkt aus die Frage nach der Ge-rechtigkeit gestellt wird. Geht es um Gerech-tigkeit für alle Menschen oder nur für eineGruppe? Eine ethische Reflexion, die überzeu-gen kann, erfordert einen möglichst unpar-teiischen Standpunkt. Nachdem dieser entwi-ckelt und begründet ist, kann davon ausge-hend bestimmt werden, welche Aspekte vonGerechtigkeit wichtig sind. Diese Bestim-mung der zentralen Aspekte von Gerechtig-keit bildet wiederum den Ausgangspunkt fürdie Übersetzung von Gerechtigkeitsprinzipienin angemessene politische Strategien.

| Die Menschenwürde als Ausgangspunkt

Ein geeigneter Ausgangspunkt für eine globalvermittelbare ethische Argumentation ist dieMenschenwürde. Der Standpunkt der Men-schenwürde bietet den Vorteil, dass er vonverschiedenen ethischen Traditionen her be-gründbar und an andere kulturelle wie reli-giöse Traditionen anschlussfähig ist. Implizitliegt ihm die in allen Kulturen bekannte Gol-dene Regel zugrunde, die in ihrer einfachstenVersion lautet: „Was du nicht willst, das mandir tu’, das füg auch keinem anderen zu!“

Die normativ-ethischen Ansprüche, die allenMenschen aufgrund ihrer Menschenwürdeunterschiedslos und in gleicher Weise zukom-men, werden in den Menschenrechten aus-buchstabiert. Diese umfassen nicht nur bür-gerliche und politische, sondern auch wirt-schaftliche, soziale und kulturelle Rechte.

Aus der Menschenwürde können drei Gerech-tigkeitsprinzipien abgeleitet werden, die fürdie Verknüpfung von Klimaschutz und Ar-mutsbekämpfung besonders wichtig sind: dieBedarfs-, die Chancen- und die Verfahrensge-rechtigkeit. Diese drei Prinzipien stehen in ei-nem dynamischen Wechselverhältnis zuei-nander. Der Befriedigung fundamentalermenschlicher Bedürfnisse nach ausreichen-der Nahrung oder sauberem Trinkwasserkommt allerdings ein prinzipieller Vorrang zu.Das heißt, die Grundbedürfnisse der Men-schen und damit die Bedarfsgerechtigkeit ste-hen im Zentrum aller Bemühungen um Ar-mutsbekämpfung und Klimaschutz. Alle po-litischen Maßnahmen müssen daher auch da-raufhin ausgerichtet werden, die Möglichkei-ten zur Versorgung mit lebensnotwendigenGrundgütern zu verbessern.

Aus der Menschenwürde folgt freilich auch,dass die Menschen selbst Ausgangspunkt,Träger und Ziel aller Bemühungen zur Be-kämpfung der Armut sowie zur Bewältigungder schädlichen Folgen des Klimawandelssein sollen. Diesem Grundverständnis einer„Entwicklung von unten“ entspricht das Prin-zip der Partizipation. Es ist nicht nur ein ethi-sches Gebot, sondern auch eine Vorausset-zung für eine dauerhafte Reduzierung der so-zialen Verwundbarkeit. Verringert werdenmuss diese Verwundbarkeit nicht nur für, son-dern besonders mit und von den Menschenselbst. Dazu müssen die Armen und die ar-men Länder freilich eine faire Chance haben,sich am Klimaschutz zu beteiligen, ohne ihreEntwicklungschancen einzuschränken, wes-halb die Chancengerechtigkeit ein zweiterwichtiger Aspekt ist. Dies legitimiert zum Bei-

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Prinzipien der GerechtigkeitDie Klimaverhandlungen brauchen ein ethisches Leitbild

Damit die Armen nicht im Regen stehen – globale Klimapolitik muss die Würde der

Armen verteidigen.

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Klimawandel Dossier 13

spiel den Transfer von ange-passten, emissionssparendenTechnologien in ärmere Länderzu Vorzugsbedingungen. Es begründet auchInvestitionen in Menschen, um deren Hand-lungsvermögen zu stärken, damit sie die vomKlimawandel bedingten neuen Risiken bessermeistern können.

Mehr Bedarfsgerechtigkeit und mehr Chan-cengerechtigkeit werden ohne gerechte poli-tische Verfahren kaum zu erreichen sein. DasPrinzip der Verfahrensgerechtigkeit ist daherein dritter wichtiger Aspekt in den Gerechtig-keitsüberlegungen. Ob Ordnungsstrukturengerecht sind oder nicht, hängt in hohem Ma-ße davon ab, wie ordnungspolitische Rah-menbedingungen zustande kommen, undwer entscheidet, welche Regeln zu welchemZeitpunkt gelten oder außer Kraft gesetztwerden. Weil das so ist, muss weit mehr alsbisher institutionell gesichert werden, dassauch die ärmeren Länder und die Armen, diein besonderer Weise vom Klimawandel be-troffen sind, angemessen an Beratungen undEntscheidungsprozessen beteiligt werden.

| Räumliche und zeitliche ErweiterungDer Klimawandel weist wie kaum ein ande-res Problem auf weltweite Verflechtungenund Abhängigkeiten hin. In einer interdepen-denten Welt haben Handlungen immer auchFernwirkungen. Gerechtigkeitsüberlegungensind also notwendigerweise in einer globalenPerspektive zu erörtern. Dies folgt auch direktaus dem gewählten normativen Standpunktder Menschenwürde. Den primären Bezugs-punkt können dann nicht mehr nur Nationenbilden, da der dabei üblicherweise verwende-te Durchschnitt von Einkommen oder Emissi-onsrechten pro Kopf die meist erheblichenUngleichheiten innerhalb der Länder ver-nachlässigt. Es geht vielmehr darum, entspre-chende Rechte direkt auf die einzelnen Men-schen zu beziehen, auch wenn nationalstaat-liche Institutionen zweifelsohne wichtige In-strumente sind, um diese Rechte zu sichern.

Gerechtigkeit ist im Kontextvon Klimawandel und Ar-mutsbekämpfung nicht nur in

räumlicher, sondern auch in zeitlicher Per-spektive zu erweitern. Dies ist Gegenstand derintergenerationellen Gerechtigkeit, die so-wohl die Vergangenheit als auch die Zukunfteinbezieht. Grundlage dieses Maßstabs ist dieanthropologische Annahme, dass der Menschein geschichtliches Wesen ist. Danach dürfenzum einen die in den letzten Jahrzehnten vorallem von den Industrieländern angehäuftenBestände an Kohlenstoffemissionen nichteinfach vergessen und aus der ethischen Re-flexion ausgeschlossen werden, auch wennim Einzelnen zu prüfen ist, welche Maßnah-men geeignet sind, dieser besonderen Verant-wortung der wohlhabenden Länder für ver-gangene Emissionen gerecht zu werden. Derpolitisch durchaus ehrgeizige Vorschlag, künf-tige Nutzungsrechte an der Atmosphäre ein-fach zwischen allen gleich zu verteilen, dürf-te in dieser Hinsicht kaum ausreichen.

Die Herstellung intergenerationeller Gerech-tigkeit erfordert zum anderen, die Lebens-chancen nachfolgender Generationen in dieÜberlegungen einzubeziehen. Das ist beimKlimawandel besonders relevant, da es sichum ein langfristiges Problem handelt und vie-le seiner Folgen erst in der Zukunft sichtbarwerden. Dabei gilt es besonders die Pfadab-hängigkeit von Entscheidungen (zum Beispielin der Energiepolitik) zu beachten. Weichen-stellungen ziehen oft langfristige Folgen nachsich, nicht nur ökonomisch.

Neben der Sicherung zukünftiger Entwick-lungschancen erfordert das Leitbild „interge-nerationelle Gerechtigkeit“ immer auch, dieaktuelle Armut zu bekämpfen. Klimaschutzund Armut dürfen nicht gegeneinander aus-gespielt werden, denn das ist nicht nur sach-lich unangemessen, sondern auch ethischfahrlässig. Die Zeitlichkeit menschlicher Exis-tenz und die damit verbundenen Verantwor-tungsverhältnisse zwischen den Generatio-nen legen eine Verschränkung beider Per-spektiven nahe. Dies ist nur möglich, wenn

nicht bewältigbare Folgen des Klimawandelsvermieden werden und gleichzeitig alles da-für getan wird, dass nicht vermeidbare Folgendurch Anpassung bewältigt werden können.

| Präzisierung der geeigneten„Währung“

Eine integrierte Betrachtung von Klimaschutzund Armutsbekämpfung macht deutlich, dasses nicht ausreicht, die Lösung der Gerechtig-keitsfrage allein auf die Verteilung von Emis-sionsrechten zu begrenzen. Vielmehr geht esum eine faire weltweite Verteilung von Ver-mögen in all seinen Formen: Sach-, Natur-,Human- und Sozialkapital beeinflussen dieFähigkeit zur Überwindung der Armut wiezur Anpassung an den Klimawandel. Das istfreilich nie absolut bestimmbar. Was bei-spielsweise zu den Grundbedürfnissen zurechnen ist oder welche Aspekte unter derForderung nach Chancengerechtigkeit subsu-miert werden, muss vor dem jeweiligen sozio-kulturellen Hintergrund in einem gesell-schaftlichen Diskurs ausbuchstabiert werden.Es geht so gesehen also um die Bestimmungder „Währung“ der jeweiligen Gerechtigkeits-überlegungen. Gerechtigkeit ist ein Leitbild,das in einem gesellschaftlichen und auch in-terkulturellen Gespräch immer wieder neu zupräzisieren ist. | |

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Klimaschutz und Armut dürfen nichtgegeneinander aus-gespielt werden, denndas ist nicht nur sach-lich unangemessen,sondern auch ethischfahrlässig.

Prof. Dr. Dr. Johannes Wallacherist Mitarbeiter des IGP undProfessor für Sozialwissen-schaften und Wirtschafts-ethik an der Hochschule fürPhilosophie in München.

Dr. Michael Rederist Mitarbeiter des IGP und Dozent für Sozial- und Religionsphilosophiean der Hochschule für Philosophie in München.

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Dossier Klimawandel14

| Johannes Müller

Der Klimawandel erfordert eine ge-meinsame Klimapolitik möglichst vie-ler Staaten, aber auch maßgeschnei-derte Lösungen für die einzelnen Län-der. Noch schwieriger ist die Feinjustie-rung, wenn zugleich armenorientierteMaßnahmen ergriffen werden sollen.Das Beispiel Indonesien zeigt, wiekomplex die Probleme sind.

Indonesien zählt etwa 225 Millionen Einwoh-ner und ist damit der viertbevölkerungsreichs-te Staat der Erde. Es gehört nicht zu den ärms-ten Ländern, ist aber auch noch kein Schwellen-land. Laut Weltbank betrug im Jahr 2002 derAnteil der extrem Armen, die mit weniger alseinem US-Dollar pro Tag auskommen müssen,an der indonesischen Bevölkerung 7,5 Prozent,jener der Armen mit einem Einkommen unterzwei Dollar pro Tag 52,4 Prozent. Die Arbeitslo-senquote, eine wesentliche Ursache von Ar-

mut, lag 2006 nach Angaben der Internationa-len Arbeitsorganisation ILO bei 10,5 Prozent, inder Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen sogarbei 30,6 Prozent, wobei diese Zahlen nur den of-fiziellen Arbeitsmarkt widerspiegeln. Ange-sichts solcher Daten versteht es sich von selbst,dass eine starke wirtschaftliche Entwicklungals Voraussetzung für erfolgreiche Armutsbe-kämpfung im Zentrum der indonesischen Poli-tik steht. Lässt eine solche Entwicklung aberauch Raum für eine entschlossene Umwelt-und Klimapolitik?

| Indonesien als KlimasünderWas die CO2-Emissionen betrifft, so lag Indo-nesien 2002 mit 1,4 t pro Kopf und Jahr weithinter den Industrieländern. Es verursacht al-lerdings 6,5 mal mehr CO2-Emissionen mitdem Abbrennen von Torfland als durch Ver-brennen fossiler Brennstoffe. Nimmt mannoch Methan- und andere Treibhausgase hin-zu, so ist Indonesien nach jüngsten Studien ab-solut gesehen der drittgrößte Emittent vonTreibhausgasen.

Die Ursachen sind vielfältig. Tropische Hölzersind eine einträgliche Devisenquelle, auf die In-donesien angesichts einer Auslandsschuld von140 Milliarden US-Dollar kaum verzichtenkann. Immer wichtiger wird der Export vonPalmöl, das für Lebensmittel, Kosmetik- undWaschmittelprodukte und zunehmend für Bio-treibstoffe verwendet wird. Aufgrund der glo-balen Nachfrage ist sein Weltmarktpreis starkangestiegen. Deshalb gibt es in Indonesien Plä-ne, die Produktion von Rohpalmöl von 2006 bis2025 von 110 auf 4700 MillionenLiter zu stei-gern. Dies würde weitere gewaltige Abholzun-gen und Brandrodungen zur Folge haben, umLand für Palmölplantagen zu gewinnen.

Die Gewinner sind vor allem die in dieser Bran-che tätigen Unternehmen und ihre Handlan-ger in Politik und Militär. Für sie ist der Exportvon Holz und Palmöl eine wichtige Finanzquel-le. Ein nach wie vor korruptes politisches Sys-tem und der Mangel an staatlicher Kontrollesind mit dafür verantwortlich, dass etwa 80Prozent des Holzes illegal geschlagen werden.Gesetze bewirken hier wenig. Überkapazitäten

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Indonesien in der ZwickmühleStrategiesuche zwischen Energie- und Armutspolitik

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Klimawandel Dossier 15

der indonesischen Zellstoff- und Papierindus-trie mit ihrer Nachfrage nach Holz verstärkenden Druck.

| Indonesien als Opfer des Klimawandels

Der Klimawandel wird aber auch Indonesienhart treffen, angefangen von noch höherenTemperaturen, die die Ausbreitung von Krank-heiten begünstigen, bis hin zum Anstieg desMeeresspiegels, der zur Versalzung von Acker-land durch Überschwemmungen führen wird.Ein Meeresanstieg von 60 Zentimetern würdeden Verlust von 2000 Inseln und die Umsied-lung von 800.000 Häusern bedeuten. Außer-dem werden sich die Regenzeiten verändern,was längere Trockenperioden sowie kürzereund heftigere Regenperioden zur Folge hat. Dasist schon heute spürbar, es wird nicht dadurchaufgewogen, dass einige Regionen Indonesiensunter Umständen profitieren werden.

Die Abholzung und boomende Palmölpreisehaben widersprüchliche Auswirkungen aufdie Armut. Manche einst arme Bauern undStädte in Sumatra und Borneo sind reich ge-worden, die Mehrzahl ist in diesem rauen Ge-schäft dagegen völlig verarmt. Am folgen-reichsten sind die gestiegenen Energie- undNahrungsmittelpreise, die vom Weltmarkt be-stimmt sind. Sie haben dazu beigetragen, dassdie Ernährungssicherheit Indonesiens zuneh-mend als gefährdet gilt.

Ein Haupthindernis für die wirtschaftliche Ent-wicklung sind schon seit langem große Engpäs-se in der Versorgung mit Energie, vor allem mitElektrizität. Seit langem verfügt Indonesienüber eigenes Erdöl, doch die geförderte Mengedeckt inzwischen nicht mehr den Eigenbedarf.Dies hat in Verbindung mit den stark gestiege-nen Weltmarktpreisen dazu geführt, dass dieRegierung im Jahr 2005 die nach wie vor erheb-lich subventionierten Preise für Erdölprodukteerhöht hat, für Benzin etwa um 125 Prozent. Dadie Energiekosten für die Wirtschaft und die Be-völkerung bis zu 30 Prozent ihrer Ausgaben aus-machen, hat dies gravierende Folgen für die Un-ternehmen und die Armen.

Indonesien steht somit vor enormen Investi-tionen im Energiesektor, und die gewähltenEnergiepfade werden auf lange Zeit kaum re-vidierbar sein. Eine naheliegende Möglichkeitist der Bau von Kohlekraftwerken. Mindestensebenso bedenklich ist der geplante Bau einesAtomkraftwerks in Nordzentraljava, einer dichtbesiedelten und höchst erdbebengefährdetenRegion. Eine klimafreundliche Alternative wä-re es, die enormen geothermischen Möglich-keiten Indonesiens zu nutzen. Dies verlangt je-doch hohe Investitionen, die das Land allein si-cher nicht aufbringen kann. Dazu ist ein Glo-bal Deal werforderlich, in dessen Rahmen sichdas Land auch zum Schutz seines tropischenWaldes und zu armenorientierten Maßnah-men verpflichten könnte

Armutsbekämpfung wie Klimapolitik stehennicht nur in Indonesien vor dem Problem, dassstets eine gewisse Spannung zwischen Makro-,

Meso- und Mikroperspektive besteht. Was glo-bal oder auch national wünschenswert ist, ent-spricht oft nicht den Bedürfnissen armer Län-der bzw. der Armen an einem bestimmten Ort,und umgekehrt. Der Klimawandel erfordert ei-ne gemeinsame Klimapolitik möglichst vielerStaaten, was aber nur gelingen wird, wenn esmaßgeschneiderte Lösungen für die einzelnenLänder gibt. Noch schwieriger ist eine Feinjus-tierung, welche die spezifischen Notlagen derärmeren Bevölkerung vor Ort angemessen be-rücksichtigt.

Dabei sind die Opportunitätskosten von hohenAusgaben für Anpassungsmaßnahmen zu be-rücksichtigen. Es besteht nämlich die Gefahr,dass Mittel für Regionen und Menschen, dievon den Auswirkungen des Klimawandels ammeisten betroffen sind, zu Lasten jener gehen,die immer schon extrem arm waren, aber nichtdirekt unter den Folgen des Klimawandels zuleiden haben. Dies kann zu Verschiebungen imStaatshaushalt führen, die verteilungspolitischungerecht sind und die gesamtwirtschaftlicheEntwicklung fehlleiten.

Einerseits ist der Blick auf einzelne Länder un-erlässlich, wenn man die Komplexität der Pro-bleme erfassen will. Andererseits darf dasnicht blind dafür machen, dass es erheblicheKonkurrenz zwischen Entwicklungsregionengibt, besonders zwischen jenen, die vom Kli-mawandel besonders stark betroffen, aber kli-mapolitisch nicht sehr wichtig sind (Afrika),und jenen, die vielleicht weniger betroffen sind(Indonesien), aber auf jeden Fall in einen Glo-bal Deal einbezogen werden müssen. Mankann insofern von einer zweifachen, aber un-terschiedlichen Verwundbarkeit sprechen. | |

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Prof. Dr. Johannes Müllerist Leiter des IGP und Professor für Sozialwissen-schaften und Entwick-lungspolitik an der Hoch-schule für Philosophie inMünchen.

In Jakarta landen die Menschen, die ihr Land aufgrund der expandierenden Plantagen-wirtschaft verlassen mussten. Unter den Auto-bahnen am Fluss sind sie häufig Opfer von Über-schwemmungen, die aufgrund der Abholzungenauch in Jakarta zunehmen.

„Dies war einmal mein Land“:Ein Mann auf seinem ehemaligen Feld,das ohne seine Zustimmung und ohneEntschädigung in eine Palmölplantageumgewandelt wurde.

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Dossier Klimawandel16

Herr Bornhorst, wenn in der Diskussion überden Klimawandel von „Anpassung“ die Redeist, was ist damit gemeint?

Der Begriff hat sich in der Klima-Diskussionfür die gesellschaftlichen und wirtschaftli-chen Veränderungen eingebürgert, die ange-sichts des Klimawandels notwendig sind. Ausentwicklungspolitischer Sicht meinen wir da-mit aber nicht etwa die Anpassung von Skior-ten an Schneemangel mittels Schneekano-nen oder den Anbau von Merlot statt Ries-ling. Uns geht es um eine Anpassung, die aufdie Hauptbetroffenen des Klimawandels, dieÄrmsten der Armen, ausgerichtet ist. Anpas-sung ist dabei das Pflaster, das wir jetzt brau-chen, aber genauso zentral ist es, die Wundezu schließen, indem man den CO2-Ausstoßherunterschraubt. Vermieden werden soll da-durch eine Erwärmung von mehr als zweiGrad gegenüber dem Jahr 1900. Seit der in-dustriellen Revolution hat sich die Erdatmo-sphäre bereits um 0,8 Grad erwärmt.

Da wären ja noch 1,2 Grad übrig – das hört sichso an, als habe man eigentlich noch viel Zeit?

Zwei Grad zusätzliche Erwärmung machen,global gesehen, die jetzige Wärmezeit zur Hit-zezeit. Und selbst wenn die Erwärmung un-terhalb der zwei Grad bleibt, wird sie Konse-quenzen haben, an die man sich anpassenmuss. Schon jetzt passen etwa Deutschlandund Holland ihren Hochwasserschutz an denzukünftigen Meeresspiegelanstieg an, weilman davon ausgeht, dass das notwendig seinwird. Und auch im Süden findet der Klima-wandel bereits statt. Arme Menschen redennatürlich nicht vom Klimawandel, sondernvom Wetter. Sie erzählen, dass Unwetternicht mehr vorhersehbar sind, neue Fischar-ten sich ansiedeln, Bekannte in andere Regio-nen abwandern, Ernten ausfallen, weil derRegen nicht mehr wie gewohnt kommt, oderdass sie immer häufiger von Dürren betrof-fen sind. Es gibt bereits heute einen Anpas-sungsbedarf, mit dem sich gerade die ärms-ten Menschen konfrontiert sehen. Die Zeitläuft uns also eher davon.

Gibt es einen Punkt, ab dem dann auch Anpas-sung keinen Sinn mehr macht? Etwa wenn –wie es ein gebräuchliches Szenario beschreibt –Bangladesch im Meer versinkt?

Schon aus ethischen Prinzipien heraus kannsich uns die Frage so nicht stellen. Wir müs-sen erstens vermeiden, dass das, was Sie be-schreiben, passiert, und zweitens den Men-schen schon jetzt dabei helfen, die steigendenFluten und Stürme ohne größere Verluste zubewältigen. Doch auch dann wird Anpassungnotwendig sein. Anpassung und Vermeidunggehören unbedingt zusammen. Entscheidendsind die nächsten 10 bis 15 Jahre. Unsere Ge-neration muss die Weichen stellen, muss mitaller Kraft sowohl vermeiden als auch anpas-sen.

Wie sehen die erforderlichen Anpassungsmaß-nahmen aus? Heißt es zum Beispiel, Häuser alsPfahlbauten auf Stelzen zu bauen, wie beimWiederaufbau der 2004 vom Tsunami zerstör-ten Dörfer?

Das kann eine Maßnahme sein. Währendman allerdings im Süden solche Häuser baut,entwickelt man hier im Norden schwimmen-de Villen. Ihre hohlen Fundamente sind anStahlpfosten befestigt, die im Flussbett veran-kert sind und die Hauskonstruktion bei Über-schwemmungen wie eine Boje über Wasser

halten. In armen Ländern dagegen werdengefährdete Dorfgemeinschaften darauf trai-niert, mit Überschwemmungen zu leben, in-dem man Schwimmwesten anbietet. Des-mond Tutu, der frühere Erzbischof von Kap-stadt, warnt daher zu Recht vor einer „Kli-maapartheid“: Die Bürger der reichen Weltseien vor dem Unheil geschützt, die Armendagegen der harschen Realität des Klima-wandels in ihrem alltäglichen Leben ausge-setzt. Die Ungleichheit in der Welt darf sichbei den Anpassungsmaßnahmen nicht wie-derholen.

Welche anderen Anpassungsmaßnahmen hal-ten Sie für nötig?

Wichtig sind zum Beispiel Maßnahmen derKatastrophenprävention: Frühwarnsystemefür Unwetter, der Ausbau klimaresistenter In-frastruktur, wie etwa Straßen, die auch beimehr Unwettern oder einem höheren Mee-resspiegel nutzbar sind, außerdem der Schutzvon Wohngebieten durch Deiche und die an-gepasste Gesundheitsversorgung. Aber auchdie Landwirtschaft muss sich an die sich ver-ändernden Bedingungen anpassen und mithoher Vielfalt arbeiten. Nur so kann gewähr-leistet werden, dass Pflanzen auch unter ver-änderten klimatischen Bedingungen ausrei-chend Nahrung bieten. Am meisten Unter-stützung muss den Menschen gegeben wer-den, die über schlechte Böden und wenig Bil-dung verfügen, und denjenigen, die an Hän-gen und Flussrändern siedeln, weil sie sichkeinen anderen Wohnraum leisten können.

Es geht also darum, dass die Leute dort überle-ben, wo sie sind, und dass man Völkerwande-rungen verhindert?

Klimaflüchtlinge wird es geben, zum Beispielwenn die Böden einfach nichts mehr herge-ben. Aber unser Ziel muss es sein, dass dievom Klimawandel Betroffenen dort lebenkönnen, wo sie zu Hause sind. Als erstes mussman also – um beim Beispiel des Meeresspie-gels zu bleiben – verhindern, dass dieser wei-ter steigt. Zweitens muss man Deiche bauen,

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„Die Ungleichheit in der Welt darf sich bei den Anpassungsmaßnahmen nicht wiederholen“Interview mit Dr. Bernd Bornhorst, Leiter der Abteilung Entwicklungspolitik bei MISEREOR

Dr. Bernd Bornhorst

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In Bali wurde ein Adaptionsfonds beschlos-sen, der unter UN-Mandat stehen und nachdem Prinzip „Ein Land – eine Stimme“ verwal-tet werden soll. Entwicklungsländer habenhier gleichberechtigte Mitsprache bei der Ver-wendung der Mittel. Seine Einrichtung stärktim Süden die Glaubwürdigkeit der Industrie-nationen und gilt als Gegenleistung für dieAufnahme eigener Klimaschutzbestrebun-gen. Dem Süden wird ja auch ein Entwick-lungsmodell abverlangt, das wir selbst nochnicht erreicht haben, ein so genanntes „emis-sionsarmes Wirtschaftswachstum“, das ver-hindern soll, dass die CO2-Belastung nochweiter steigt.

Kürzlich haben allerdings die USA, Japan undGroßbritannien mit Millionen gewinkt undverkündet, dass sie einen neuen Adaptions-fonds bei der Weltbank einrichten. Denn hierhätten sie die Entscheidungsmacht über dieVerwendung der Mittel. Das würde das ka-putt machen, was in Bali erreicht wurde –Vertrauen zwischen Entwicklungs- und In-dustrienationen, den Wunsch, das Problemgemeinsam und paritätisch anzugehen. Umden internationalen Prozess nicht zu gefähr-den, fordern wir, dass der vereinbarte Anpas-sungsfonds gestärkt und finanziell adäquatausgestattet wird. Natürlich ist aber auch beidem UN-Fonds, wenn er denn realisiert wür-de, nicht automatisch gewährleistet, dass ausunserer Sicht sinnvolle Projekte ausgeführt

Klimawandel Dossier 17

um die Menschen zu schützen. Dann mussdie Reisproduktion auf den Feldern aufrechterhalten werden, aber mit Reis aus solchentraditionellen Sorten, die gegen Salzwasserrelativ unempfindlich sind – damit die Bau-ern weiterhin davon leben können. Viertensmuss man Krankheiten, die klimabedingt zu-nehmen werden, effizient bekämpfen. Das al-les sind auch Felder der klassischen Armuts-bekämpfung. Erst der letzte Punkt in einerlangen Reihe wäre die Evakuierung. Damit zubeginnen, entspräche nicht unserem Bildvom menschenwürdigen Leben. Die Men-schen sollen selbstbestimmt entscheidenkönnen, wo sie leben möchten.

Wie unterstützen Sie sie dabei?

Indem wir die Potenziale der Menschen vorOrt nutzen und fördern. Wir helfen den Be-troffenen mit Beratung, dem Transfer vonWissen und Technologie und der Förderungund Weiterentwicklung des lokalen Wissens.Neben Infrastrukturprogrammen wird einenachhaltige Landwirtschaft besonders wich-tig sein, um die Ernährung zu sichern.

Den Klimawandel haben unsere Partner imSüden schon hautnah zu spüren bekommen,bevor er in aller Munde war. So haben wir et-wa angepassten Landbau der Bauern im Sü-den unterstützt – und dann langsam ge-merkt, wie der Boden verkarstete, das Wassernicht mehr abfloss oder Dürrezeiten sich aus-dehnten. Viele Projekte beschäftigen sich be-reits mit den Auswirkungen des Klimawan-dels, ohne den Stempel „Anpassung an denKlimawandel zu tragen“. Diese Projekte sindjedoch ein Klacks im Vergleich zu dem, wasnotwendig ist. Über die Hilfswerke und nicht-staatlichen Organisationen hinaus müssendazu die Staaten des Nordens eingebundenwerden. Während gleichzeitig die Staaten desSüdens befähigt werden zu tun, was notwen-dig ist.

Wie wird Anpassung in den Ländern des Sü-dens finanziert?

werden. MISEREOR wird sich daher weiterhindafür einsetzen, dass die Bevölkerung vor Ortan der Verwendung der Mittel beteiligt istund dass das Geld für die Ärmsten der Armeneingesetzt wird.

Wie viel Geld ist notwendig, und wo soll dasherkommen?

Der in Bali vereinbarte Adaptionsfonds wirdfinanziert aus einer zweiprozentigen Steuerauf den Emissionshandel zugunsten von Kli-maschutzprojekten in Entwicklungsländern.Der bislang dort eingezahlte Betrag von 26Millionen Euro ist allerdings höchstens einTropfen auf den heißen Stein – er entsprichtdem, was Großbritannien in einer Woche fürKüstenschutzmaßnahmen ausgibt. SeriöseSchätzungen gehen davon aus, dass bis zu 86Milliarden Dollar benötigt werden.

Dieses Geld muss zusätzlich zu dem bereitge-stellt werden, was die Regierungen der Indus-triestaaten seit langem versprechen, nämlichmindestens 0,7 Prozent ihres Bruttonational-einkommens für öffentliche Entwicklungshil-fe aufzuwenden. Die Industrieländer habenden Wohlstand auf Kosten des Klimawandelsaufgebaut. Spätestens seit der Klimarahmen-konvention 1992 haben wir öffentlich be-kannt, dass uns dies bewusst ist. Wir sind alsoverantwortlich für den Schaden in Entwick-lungsländern und müssen dafür aufkommen– entsprechend unserer Verantwortung. | |

Die Fragen stellte Anja Ruf.

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Bauern errichten ge-meinsam eine Erosions-schutzmauer in einemWaldgarten auf Haiti.Dieses Projekt, gefördertvon MISEREOR, ist ein Beispiel für nachhaltigeLandwirtschaft. Es hilf,die Ernährung in Zeitendes Klimawandels zu sichern.

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Dossier Klimawandel18

| Anika Schroeder, Katrin Vohland und Alexander Popp

Entwaldung trägt rund ein Fünftel zuden weltweiten Treibhausgasemissio-nen bei. Verloren gehen vor allem gro-ße Flächen in den Entwicklungslän-dern. Im Rahmen des Klimaschutzab-kommens kommt der Waldschutz end-lich voran. Doch falsch eingeleitet,birgt er große Risiken.

Wald ist nicht nur ein Holzreservoir, eine Koh-lenstoffsenke oder ein Ökosystem, sondernauch Lebens- und Wirtschaftsraum von Men-schen. Sie jagen hier und sammeln Früchte, Pil-ze oder Medizinalpflanzen. Bewaldung schütztzudem vor den Folgen extremer Wetterereig-nisse und wird damit in Zeiten des Klimawan-dels wichtiger denn je. Zudem ist ein vielfälti-ges Ökosystem besser in der Lage, sich an ver-änderte Umweltbedingungen anzupassen.Trotz der Bedeutung der tropischen Wälder für

das Klima, die Menschen und die Biodiversitätgibt es bisher kein wirksames internationalesAbkommen zum Schutz des Waldes. Ein inter-nationales Waldprotokoll im Rahmen der Bio-diversitäts-Konvention oder gar eine eigeneWaldkonvention liegt in weiter Ferne. Daherkonzentrieren sich alle Hoffnungen auf einemeffektiven Waldschutz im Rahmen der interna-tionalen Klimaschutzpolitik.

Diskutiert wird nun über das InstrumentREDD. Die Abkürzung steht für Reducing Emis-sions from Deforestation and Degradation, al-so Reduktion von Emissionen aus Entwaldungund Schädigung von Wäldern. Es wird ausge-lotet, ob Waldschutzmaßnahmen unter REDDüber marktorientierte Mechanismen wie denglobalen Emissionshandel finanziert werdenkönnen. Dies wäre allerdings mit erheblichenRisiken verbunden. Feuer und Kettensägenkönnen alle Schutzerfolge schnell zunichte ma-chen. Würden Waldschutzgebiete dann nochEmissionsrechte generieren, mit deren Kauf In-dustriestaaten das Recht erwerben würden,

mehr Treibhausgase auszustoßen, wäre derKlimaschutz unterminiert. Und würden nurvereinzelte Waldschutzgebiete finanziert, na-tionale Waldschutzprogramme aber nicht um-gesetzt, bestünde die Gefahr, dass der Wald ein-fach in benachbarten Regionen oder Nachbar-ländern abgeholzt würde.

„Vermiedene Entwaldung“ – also die Sicherunggefährdeter Wälder – kann zwar den Verlustvon Biodiversität verhindern. Allerdings gibt eskeine international anerkannte Definition vonWald. Das Marrakesh-Protokoll definiert Waldals Fläche, die zu mindestens 15 Prozent mitBäumen bestanden ist. Damit fallen Palmöl-plantagen, die den artenreichen tropischen Re-genwald verdrängen, in die gleiche Kategoriewie intakter Regenwald. Auch die Reduzierungvon Wald auf die Menge des in den Bäumengebundenen Kohlenstoffs könnte dazu führen,dass Geld aus REDD für Plantagen gezahlt wird.

Um vor den sozialen Risiken zu warnen, de-monstrierten während der Klimakonferenz inBali 2000 Menschen, vorwiegend aus der indo-nesischen Zivilgesellschaft, gegen die Aufnah-me des Waldschutzes in das Klimaschutzab-kommen. Sie fürchten, dass die Funktion derWälder als Lebens- und Wirtschaftsraum fürdie lokale Bevölkerung und deren traditionelleNutzungsrechte nicht ausreichend berücksich-tigt werden. So werden bei der Einrichtung vonSchutzgebieten häufig Menschenrechte ver-letzt. Das kann zu gewalttätigen Konfliktenführen. Beispielsweise wurde der NationalparkModhupur Eco-Park Project in Bangladesch oh-ne Einbeziehung der lokalen Bevölkerung aus-gerufen. Ein Teil der ansässigen Bevölkerung,vor allem aus dem Volk der Garo, wurde ver-trieben, ein anderer durfte den ummauertenPark weiterhin bewohnen. Nachts gingen dieTore zu. Bei Protesten gegen den Nationalparkwurden 2004 25 Personen verletzt und einMann getötet. Auch bei Aufforstungsprojektenfür den internationalen Klimaschutz treten im-mer wieder Konflikte auf, obwohl diese nachdem Klimaschutzabkommen eine nachhaltigeEntwicklung vor Ort fördern sollen. Rund umden Nationalpark Mount Elgon im östlichen

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Wald ist nicht nur eine KohlenstoffsenkeGerechter, effektiver und dauerhafter Waldschutz durch ein neues Instrument der Klimaschutzpolitik?

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Ein Stück intakter Regenwald auf den Philippi-nen. Für einen globalen Waldschutz müsseneffektive Instrumente geschaffen werden.

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Klimawandel Dossier 19

Uganda etwa wurde ein Ring aus Eukalyptus-plantagen errichtet, um den Wald vor „Ein-dringlingen“ zu schützen. Dies verstärkt lokaleKonflikte rund um den Nationalpark.

| Nachhaltigkeitsstandards für Waldschutzmaßnahmen unter REDD?

Internationale Sozial- und Umweltstandardswirken sich nur bedingt auf die Verhältnisse vorOrt aus, denn sie werden nach dem Souveräni-tätsprinzip durch die nationalen Regierungenbestimmt. Das heißt: In Ländern mit ungeklär-ten Landrechtsverhältnissen verhält sich die lo-kale Bevölkerung illegal, die sich gegen die Er-richtung von Schutzgebieten oder Plantagenzur Wehr setzt, und nicht derjenige, der sie we-gen Aufforstung oder Waldschutzmaßnahmenvon ihrem angestammten Land vertreibt.

Soll Entwaldung effektiv verringert werden,müssen die Ursachen der Abholzung genauanalysiert werden. In Brasilien verdrängen derAusbau von Infrastruktur und die Rinderzuchtden Wald. In Indonesien hingegen überwiegendie Umwandlung von Wald in Plantagen fürPapier sowie der Anbau von Palmöl für Kosme-tika, Nahrungsmittel und Biokraftstoffe. Groß-konzerne profitieren Hand in Hand mit loka-len Entscheidungsträgern vom Raubbau.

Die Rolle der Kleinbauern bei der Entwaldungist umstritten und regional sehr unterschied-lich. Armut und fehlender Zugang zu Land so-wie gezielte Umsiedlung oder Verdrängungdurch Konzerne treiben die Menschen in dieWälder und in unbekannte Vegetations- undAnbauzonen. Eine nachhaltige Landnutzungist ihnen so kaum möglich. Zudem fehlenLandrechte. Nur diese geben Anreize zu nach-haltiger Landwirtschaft und ermöglichen soerst langfristige Waldschutzprogramme in Zu-sammenarbeit mit den Kleinbauern.

Der britische Ökonom Sir Nicolas Stern betont,dass Landrechtsreformen und die Errichtungund Stärkung von Landtiteln für bewaldetesLand entscheidend für dessen Schutz sind. DieHoffnung vieler Nationalstaaten und Groß-grundbesitzer auf hohe Einnahmen aus Kom-

pensationszahlungen je Hektar oder TonneKohlestoff für den Verzicht auf die Nutzung desWaldes wären demnach nicht begründet. Trotz-dem ist davon auszugehen, dass auf Wunschvon Regierungen waldreicher Länder auch derSchutz von Wäldern ohne Landreformen unddie Stärkung politischer Schutzinstitutionenhonoriert wird. In diesem Fall wird es wichtigsein, die „Aufwandsentschädigung“ flexibel andie sich verändernden (derzeit steigenden)Marktpreise für landwirtschaftliche Produkteanzupassen, die auf der Waldfläche angebautwerden könnten.

Erhalten Landbesitzer und Konzessionäre Kom-pensationszahlungen, wenn sie die Abholzungeinstellen, dann können allerdings weitere Ge-rechtigkeitslücken entstehen. Zum Beispielkönnte eine Firma finanzielle Anreize erhalten,die Kommunen, deren Bewohner keine Land-rechte besitzen oder bereits eine nachhaltigeWaldnutzung betreiben, hingegen keine. Aufzwischenstaatlicher Ebene stellt sich die Frage,ob die Staaten profitieren, die schon lange ih-ren Wald schützen, oder diejenigen, die jetzterst aufgrund des Geldsegens damit beginnen.

| Gerechtigkeit befördernDie politische Rahmensetzung zur Umsetzungvon REDD und daraus resultierende internatio-nale Finanzierungsmechanismen müssen Ge-rechtigkeit befördern. Dazu müssen ausrei-chende Beträge zum Schutz von natürlichenRessourcen durch Industrieländer bereitge-stellt und wirksame Kontrollmechanismen inden waldreichen Staaten etabliert werden. Da-bei müssen Waldschutzprogramme die jewei-

ligen Ursachen der Entwaldung berücksichti-gen und darauf zielen, dass keine Konzessio-nen zur Zerstörung wertvoller Waldgebietemehr vergeben werden und Land denen zuge-sprochen wird, die Gewohnheitsrechte haben.

Um sicherzustellen, dass ökologisch intakte Ge-biete geschützt werden, muss eine internatio-nal gültige Definition von Wäldern anerkanntwerden, die deren ökologische Funktionen vollumfasst. Die Partizipation bei der Planung, zu-mindest aber die vorherige informierte Zu-stimmung der Bewohner betroffener Waldge-biete, muss unbedingt gewährleistet sein. Al-lerdings darf auch nicht vergessen werden,dass der große Druck auf den Wald insbeson-dere dem Lebensstil der globalen Konsumen-ten geschuldet ist. Dazu gehören der hoheFleischkonsum sowie in zunehmendem Maßeder Anbau von „Bioenergie“. Zudem forciert dieexterne Staatsverschuldung eine nicht-nach-haltige, exportorientierte Landwirtschaft, diezur Abholzung der Wälder führt. Daher sollteauch die Frage nach der Entschuldung neu ge-stellt werden. | |

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Dr. Alexander Poppist Mitarbeiter amPotsdam-Institut für Klimafolgenforschung mitdem Schwerpunkt (Verän-derung von) Landnutzung.

Dr. Katrin Vohlandist Biologin am Potsdam-Institut für Klimafolgenfor-schung mit SchwerpunktKlimawandel, Biodiversitätund nachhaltige Entwick-lung.

Anika Schroederist Diplom-Umweltwissen-schaftlerin und Referentinfür Klimawandel und Entwicklung bei MISEREORin der Abteilung Entwick-lungspolitik.

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Eine Palmölplantage entsteht:Nach der Rodung von indonesischem Regenwaldwerden Baumstümpfe entfernt und Entwässe-rungsgräben gezogen.

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| Dirk Reinhard

Kredite und Versicherungen könnenfür Menschen mit geringem und unre-gelmäßigem Einkommen eine wichti-ge Hilfe sein: Viele Familien könnendamit ihre Existenz aufbauen und sichgegen wirtschaftliche Notlagen absi-chern. Doch bislang gibt es noch zuwenige entsprechende Angebote fürdiejenigen, die vom Klimawandel amstärksten betroffen sein werden, dieÄrmsten der Armen.

Seitdem Ende der 1970er Jahre in Bangladescherstmals Kleinstkredite, so genannte Mikro-kredite, von der Grameen Bank vergeben wor-den sind, haben sich derartige Programme alswirksames Instrument zur selbstbestimmtenwirtschaftlichen Entwicklung und Armutsbe-kämpfung bewährt. Schätzungsweise mehrals eine halbe Milliarde Menschen profitiereninzwischen von Kleinstkrediten oder anderenMikrofinanzprodukten. Diese unterstützenden Aufbau einer wirtschaftlichen Existenzund weisen so einen selbstbestimmten Weg

aus der Armut, die mit wachsender Weltbevöl-kerung ein immer dringenderes Problemwird. Die Anerkennung dieser Hilfe zur Selbst-hilfe fand 2006 in Form des Friedensnobel-preises an den Gründer der Grameen Bank,Professor Yunus, ihren Höhepunkt.

Eine wichtige Ergänzung erfahren Mikrofi-nanzprodukte durch das Konzept der Mikro-versicherungen, die in den jeweiligen Regio-nen meist maßgeschneidert für die Hauptrisi-ken der Menschen entwickelt werden. DieZahl der Konzepte und der versicherten Per-sonen hat in den letzten Jahren zwar stark zu-genommen, allerdings von sehr niedrigem Ni-

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Abgesichert aus der Armut?Mikroversicherungen gegen Klimarisiken

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Klimawandel Dossier 21

veau aus. Doch in weiten Teilen der Entwick-lungsländer sind selbst minimale Finanz-dienstleistungen für arme Menschen immernoch selten verfügbar. Ende 2006 hatten nachErhebungen der amerikanischen Beratungs-gesellschaft „The MicroInsurance Centre“nicht einmal drei Prozent der Armen in den100 ärmsten Ländern, das entspricht wenigerals 80 Millionen Menschen, Zugang zu sol-chen Versicherungslösungen.

Dies ist insbesondere im Hinblick auf die in-folge des Klimawandels zunehmenden Risi-ken viel zu wenig. Im UNDP-Bericht zurmenschlichen Entwicklung von 2007 wird ex-plizit auf die Tatsache hingewiesen, dass auf-grund von fehlendem oder lückenhaftem Ver-sicherungsschutz, niedrigem Einkommen undgeringen finanziellen Rücklagen ärmere Fa-milien bei extremen Wetterereignissenschnell ins Hintertreffen geraten.

| Neue Absicherungskonzepte für Naturkatastrophen gefragt

Untersuchungen eines Netzwerks von Mikro-versicherungsexperten, der CGAP WorkingGroup on Microinsurance, unter der Leitungder Internationalen Arbeitsorganisation ILOhaben gezeigt, dass arme Haushalte mit ge-ringem Einkommen den Ausfall desjenigen,der für das Einkommen sorgt, als ihr höchstes

Risiko bewerten. Die Risiken Krankheit oderTod werden dabei am häufigsten genannt.Doch selbst wenn der Ernährer direkt nicht zuSchaden kommt, kann beispielsweise nach ei-ner Flut die Arbeit nicht mehr erreichbar seinund das Einkommen fällt aus. Naturkatastro-phen zählen deshalb ebenfalls zu den größ-ten Risken.

Mikroversicherungen sind im Grundsatz nor-male Versicherungen: Schäden einzelner wer-den von der Solidargemeinschaft getragen.Die Kunden sind jedoch Menschen, die bis-lang keinen Zugang zu Finanzinstrumentenhatten. Dabei ist viel Aufklärung notwendig.Viele Menschen sind Analphabeten. Häufigwerden das Konzept und die Funktionsweiseeiner Versicherung nicht verstanden („Insu-rance illiteracy“, Verwechslung mit einer Lot-terie etc.). Die Policen müssen deshalb in derRegel sehr einfach strukturiert sein und soll-ten keine komplizierten Ausschlüsse haben.Auch muss die Prämienzahlung flexibel ge-staltet werden können. Sonst verlieren Versi-cherte gleich wieder ihren Schutz, wenn sieaufgrund unregelmäßiger Einkommen diePrämie nicht pünktlich zahlen können. DasFehlen einer Finanzinfrastruktur erfordertneue Vertriebswege. Damit bei den geringenPrämien pro Kopf nicht die Kosten explodie-ren, sind effiziente Verwaltungssysteme ge-fragt. Dabei wird die Entwicklung entspre-chender Technologien, etwa mobile Datener-fassungsgeräte, in Zukunft eine wichtige Rol-le spielen.

Je nachdem, welche Risiken abgesichert wer-den, gibt es zwei grundsätzliche Richtungen inder Entwicklung von Mikroversicherungen.Die eine zielt darauf ab, soziale Sicherungssys-teme (zum Beispiel Krankenversicherung)auch für Arme zugänglich zu machen. Die an-dere versucht, mittels Entwicklung passenderund profitabler Produkte das Marktsegmentder Menschen mit geringem Einkommen zuerschließen. Die Übergänge sind fließend. Da-bei sollten Mikroversicherungen insbesondereim Hinblick auf Naturkatastrophen um spe-ziell entwickelte Katastrophenbonds oder Wet-terderivate sowie maßgeschneiderte Rückver-sicherungen ergänzt werden, so dass Mikrover-sicherungs-Programme nicht durch Extremer-eignisse in ihrer Existenz gefährdet werden.

| Wirtschaftliche Entwicklung nachhaltig gestalten

Zahlreiche Bedarfsanalysen machen deutlich,dass nicht die Ärmsten der Armen die poten-ziellen Nachfrager von Mikroversicherungensein werden. Für diese müssen andere Lösun-gen gefunden werden. Es geht vielmehr umdie Menschen, die gerade dabei sind, sich ausder Armut zu befreien, zum Beispiel weil ih-nen mit einem Mikrokredit ermöglicht wurde,sich eine eigene Existenz aufzubauen. Alleinin Indien schätzt die lokale Versicherungsauf-sicht, dass eine viertel Milliarde Menschen fürMikroversicherungen in Frage kommen könn-ten. Ohne eine adäquate Absicherung würden

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Reich

Nicht arm

Vulnerabel,nicht arm

Moderat arm

Sehr arm

Hilflos

Quelle: Protecting the poor – A microinsurance compendium, München, Genf, 2006.

Risikoabsicherung kann den Weg aus der Armut erleichtern

Messerverkäufer in Mumbai, Indien:Hunderttausende Menschen in Entwicklungs-und Schwellenländern haben sich mit Kleinst-gewerben eine Existenz aufgebaut. Durch Krank-heit, Naturkatastrophen oder andere Ereignisseverursachte ökonomische Krisen bringt sieschnell in Existenznöte. Mikroversicherungenkönnen hier Abhilfe schaffen.

Armutsgrenze

Sicherheitsnetz

Wirtschaftliche Schocks

Ohne Optionen für ein Risikomanagement

Mit Risikomanagement

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Dossier Klimawandel22

sie im Fall von wirtschaftlichen Schocks mitgroßer Wahrscheinlichkeit wieder in die Ar-mut zurückfallen (siehe Grafik).

Fallstudien von Mikroversicherungsexpertenhaben auch gezeigt, dass Arme sehr wohl be-reit sind, für eine Absicherung zu zahlen, so-fern sie einen echten Mehrwert für ihre Prä-mie bekommen. Denn langfristig „zahlen“ sieohne Absicherung häufig viel mehr. Etwaüber einen Einkommensverlust, weil sie eineKuh zur Begleichung einer Arztrechnung ver-kaufen mussten oder für die Einkommenser-zielung notwendige Produktionsgüter zer-stört wurden.

Eine Versicherung ist dabei nur eines aus ei-ner Reihe von Instrumenten, mit denen Armeihre Risiken managen können. Sparen, die

Aufnahme eines Kreditsoder traditionelle Absiche-rungsmethoden – etwa in-nerhalb eines Dorfes oder ei-ner Familie – können jedoch schnell an ihreGrenzen stoßen, wenn mehrere Schadenser-eignisse schnell hintereinander auftreten. Zu-dem bieten der Vorsorgegedanke von Versi-cherungen und eine sachkundige Risikobe-wertung ein enormes Potenzial, Schäden unddamit häufig verbundenes menschliches Leidzu verhindern.

Im Gegensatz zu staatlicher Unterstützungoder Nothilfe durch Dritte ist eine Versiche-rung außerdem ein verlässlicheres Instru-ment, sich einen selbst bestimmten Weg auseiner Krisensituation zu bahnen. So hat dieVergangenheit gezeigt, dass die Nothilfe starkvom Medienecho auf eine Katastrophe wievon der Region abhängt, sich die Betroffenenalso nicht wirklich darauf verlassen können.Auch ist sicher niemand gerne auf Almosenangewiesen.

| Kooperationen mit der Versicherungswirtschaft

Um Mikroversicherungen zum Durchbruchzu verhelfen, ist auch die Versicherungswirt-schaft gefordert. Da viele Versicherer den fi-nanziellen und administrativen Aufwandscheuen und nur selten Zugang zu den betrof-fenen Menschen haben, müssen Entwick-lungshilfeorganisationen, lokale nichtstaatli-che Organisationen, Regierungsvertreter unddie Versicherungswirtschaft gemeinsam dieInitiative ergreifen und enger zusammenar-beiten. Gerade Aufsichtsbehörden sind gefor-dert, mit entsprechenden rechtlichen Rah-menbedingungen die Entwicklung von Mi-kroversicherungen zu erleichtern.

Ohne ausreichende Ressourcen würde dieEntwicklung adäquater Mikroversicherungennur langsam vorankommen. Seit kurzer Zeitist die Bill & Melinda Gates Foundation als be-deutende Förderin auf den Plan getreten. Siefördert in den nächsten Jahren mit rund 16Millionen Euro die Microinsurance Agency,

die von dem Mikrofinanznetz-werk Opportunity Internationalgegründet wurde. Sie hat das Ziel,bis 2012 über 20 Millionen Men-

schen mit Mikroversicherungen zu versorgen.Mit über 20 Mio. Euro fördert die Gates Foun-dation die „Microinsurance Innovation Facili-ty“ der CGAP Working Group on Microinsu-rance , die Startkapital für innovative Mikro-versicherungsprojekte, technische Unterstüt-zung und Forschung zur Verfügung stellt.

Auch die kommerziellen Versicherer zeigenwachsendes Interesse. Die Schweizer Rück unddie Münchener Rück sowie Erstversicherer wiedie Allianz, Zurich Financial Services oder Axabeginnen den potenziellen Wachstumsmarktzu erschließen. Die amerikanische AIG bringtes in Uganda bereits auf mehr als 1,5 MillionenKunden, ein Joint Venture der Amerikaner mitder indischen TATA erwartet für 2008 mehr als100.000 und bis 2012 sogar eine Million Kun-den. In Anbetracht des Bedarfs werden weite-re Unternehmen auf den Plan treten.

Mikroversicherungen bieten zweifelsohne einriesiges Potenzial, um Menschen in Entwick-lungsländern adäquat auch gegen Wetterex-treme und -katastrophen besser abzusichern.Momentan wird diskutiert, ob die Prämie al-lein von den Betroffenen zu zahlen ist. Denk-bar ist es, einen Teil über Klimafonds zu finan-zieren, die von Verursachern des Klimawan-dels gespeist werden. Derartige Debatten fin-den bereits im Rahmen der internationalenKlimaverhandlungen statt. und sie werdennoch lebhafter werden. | |

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Dirk Reinhardist stellvertretender Geschäftsführer der Münchener Rück Stiftungund Diplom-Wirtschaftsin-genieur.

Im Vergleich zu staat-licher Unterstützungoder Nothilfe durchDritte ist eine Versi-cherung ein verläss-licheres Instrument,sich selbst einen Wegaus Krisensituationenzu bahnen.

Auf diesem Acker in Burkina Faso wächst nichtsmehr. Die Ärmsten der Armen werden sich Mikroversicherungen für die zunehmenden Ernteausfälle nicht leisten können. Ihre Versiche-rungsprämie sollte von den Verursachern des Klimawandels mitgetragen werden.

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Öffentliche Veranstaltungen im Rahmen des Projekts „Klimawandelund Gerechtigkeit“

23. bis 25. Mai 2008 Veranstaltung „Klimawandel und Gerechtigkeit“, in der Evangelischen Akademie Tutzing.

6./7. Juni 2008 Interdisziplinäres Symposion des Rotten-dorf-Projekts, einem Forschungs- und Studienprojekt: „Klima und globale Armut“, in der Hochschule für Philosophiein München.

September 2008 Ludwigshafener Gespräche: „Welche Klimapolitik ist entwicklungsgerecht?“,im Heinrich-Pesch-Haus in Ludwigshafen.Veranstalter: Heinrich-Pesch-Haus, Insti-tut für Gesellschaftspolitik und Misereor.

LiteraturhinweiseBericht über die menschliche Entwick-lung 2007/2008.Den Klimawandel bekämpfen: Mensch-liche Solidarität in einer geteilten Welt.Deutsche Gesellschaft für die VereintenNationen. Veröffentlichung für das Entwicklungsprogramm der VereintenNationen (UNDP). Deutsche Ausgabe,Berlin 2007, 440 Seiten

Atlas der Globalisierung spezial – Klima.taz-Publikationen, Februar 2008,96 Seiten

S. Rahmstorf / H. J. SchellnhuberDer Klimawandel.Diagnose, Prognose, Therapie.C.H. Beck-Verlag, München 2006,144 Seiten | |

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Hartmut Graßl:Seit der 13. Vertragsstaatenkonferenz in Balisehe ich stark gestiegene Chancen für einwirksames globales Abkommen. Hauptbar-rieren sind die Gewinne, die man macht,wenn man bereits abgeschriebene Anlagenoder Produkte weiter verwendet, statt siedurch weniger verschmutzende zu ersetzen.

Stephan Klasen:Die Chancen für einen wirksamen Klima-schutz steigen beständig. Viel hängt vomAusgang der amerikanischen Präsident-schaftswahl ab, wobei ja alle aussichtsrei-chen Kandidaten im Rennen deutlich mehrtun wollen als der Amtsinhaber. Nur wenndie USA aktiv mitmachen, wird man auchChina, Indien und andere aufstrebende Na-tionen integrieren können. InternationaleAbkommen sind immer schwierig, da sie nurim Konsens beschlossen werden können unddie aktive Beteiligung aller (zumindest derwichtigsten) Emittenten entscheidend ist.

Joachim von Braun:Die Chancen für einen wirksamen Klima-schutz ab 2009 sehe ich durchaus positiv.Die Welt ist jetzt sehr sensibilisiert, insbe-sondere wegen der Preissteigerungen im

Agrarbereich. Die größte Barriere auf demWeg zum Klimaschutz ist die vermeintlicheProblematik, dass er „Wachstum kostet".

Dirk Messner:Es besteht die Gefahr, dass es zu weichen Re-duktionsverpflichtungen kommt, um dieVerhandlungen nicht platzen zu lassen – mitdem Preis, dass das Zwei-Grad-Ziel faktischaufgegeben würde. Der Zeitdruck bis zurnächsten UN-Klimakonferenz 2009 in Ko-penhagen ist angesichts der komplexen In-teressenkonflikte enorm. Die Debatte übereine drohende globale Rezession könnte inden kommenden anderthalb Jahren die in-ternationale Klimadiskussion von der Tages-ordnung verdrängen. Es mangelt an „globalleadership“ auf dem Weg nach Kopenhagen:Die EU ist auf dem richtigen Weg, verfügtaber nur über begrenzte globale Gestal-tungsmacht; die UN sind die Plattform desKlimaprozesses, aber kein politisches Kraft-zentrum; die USA sind noch immer Kern desProblems, nicht der Lösung.

Hartmut Graßl (Max-Planck-Institut für Meteorologie– Klimaprozesse), Stephan Klasen (Universität Göttin-gen), Joachim von Braun (International Food Policy Re-search Institute) und Dirk Messner (Deutsches Institutfür Entwicklungspolitik) sind Beiratsmitglieder beidem Projekt „Klimawandel und Gerechtigkeit“. | |

AusblickeWie sehen Sie die Chancen für den wirksamen internationalenKlimaschutz ab 2009? Und was sind Ihrer Meinung nach diegrößten Barrieren auf dem Weg dahin?

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Dieses Dossier ist eine Beilage zurAusgabe 5/2008 von „welt-sichten“

Konzept und Redaktion:„Klimawandel und Gerechtigkeit” (i.V. MichaelReder und Anika Schroeder) Anja Ruf (im Auftrag von „welt-sichten“)

Gestaltung:Angelika Fritsch, Silke Jarick

Projekt „Kimawandel und Gerechtigkeit”c/o Bischöfliches Hilfswerk Misereor e. V.Mozartstraße 9 52064 Aachen Telefon: +49 (0) 241 442-0 www.klima-und-gerechtigkeit.de

Redaktion „welt-sichten“Bernd Ludermann (Chefredakteur)Postfach 50 05 50D-60394 Frankfurt/MainTel.: 069-58098-138www.welt-sichten.org

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„Gerechte Klimapolitik istwirksame Entwicklungshilfe.“

Prof. Dr. Hans Joachim SchellnhuberDirektor des Potsdam-Instituts

für Klimafolgenforschung

Mit Zorn und Zärtlichkeitan der Seite der Armen

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