Klinische Diagnostik und Zeichen der Nervenschädigung der Hand · nus, dass ich Dir mit der Ulna...

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FACHARTIKEL 6 Zeitschrift für Handtherapie 2/03 Die volle Funktionsfähigkeit der Nerven zur Versorgung der Hand und der Muskulatur des Unterarmes ist von größter Bedeutung für den Gebrauchswert der Hand. Die Komplexität der Anatomie der Hand ist die Ursache, dass Ärzte und Therapeuten, die sich nicht intensiv mit der Hand beschäfti- gen, viele Funktionsstörungen nicht erken- nen oder falsch interpretieren. Wer sich aber in die Anatomie und Physiologie der Hand eingearbeitet hat, kann Funktions- störungen der Hand, die durch Nerven- schädigungen verursacht wurden, häufig sehr leicht und auch sehr genau durch eine einfache Untersuchung der Hand in kürzester Zeit feststellen. Die Hand und der Unterarm werden im wesentlichen durch die drei großen Ner- ven, den N. medianus, den N.ulnaris und den N. radialis versorgt. Diese drei Nerven können akut durch Verletzungen oder chronisch durch Kompression isoliert geschädigt werden. Die chronische Ner- venschädigung durch eine Polyneuropathie wird hier außer Acht gelassen. Im folgen- den Text werden die Anatomie und die wichtigsten klinisch relevanten Ausfallser- scheinungen dieser drei Nerven beschrie- ben. 1. Nervus medianus 1.1. Anatomie des N. medianus: Der N. medianus zieht ulnar des Bizepsseh- nenansatzes durch die Ellenbeuge und gibt hier bereits die ersten motorischen Äste zur Beugemuskulatur des Handgelenks und der Finger ab. Vom N. medianus wer- den alle Beugemuskeln mit Ausnahme des tiefen Beugers des Ringfingers und des Kleinfingers sowie des ulnaren Handge- lenksbeugers innerviert. Bei einer Schädi- gung des N. medianus auf Höhe des Ellen- bogens oder weiter schulterwärts können daher an einer Hand mit gestreckten Fin- gern nur der Ringfinger und der Kleinfin- ger (durch den N. ulnaris) gebeugt wer- den. Daumen, Zeigefinger und Mittelfin- ger bleiben gestreckt, was zum Bild der „Schwurhand“ führt. Bei einer Schädi- gung des N. medianus erst auf Handge- lenkshöhe sind die Äste zur Beugemusku- latur der Finger noch intakt und der Faust- schluss ist voll. Der alte Merkspruch der Hand „Ich schwöre beim heiligen Media- nus, dass ich Dir mit der Ulna die Augen auskratze, wenn Du vom Rad fällst“ oder schöner (Prof. Pera, Münster): „Die Nerven der Hand gefasst in Gedicht, Mediziner schwören nicht, vom Rad darfst Du nicht fallen, denn Ulli, der hat Krallen“ hat bei den meisten Medizinstudenten, Physiothe- rapeuten, Ergotherapeuten und Pflege- kräften zwar als dauerhafte Eselsbrücke für die Namen der Nerven gedient, aber nicht zum Verständnis der Anatomie geführt. Knapp distal des Ellenbogens gibt der N. medianus einen relativ kräftigen Ast ab, der als gesonderter Nerv bezeichnet wird, aber auch nur ein weitgehend moto- rischer Ast zur Unterarmmuskulatur ist. Dieser Ast ist der N. interosseus anterior und versorgt den langen Daumenbeuger, M. flexor pollicis longus, und den tiefen Zeigefingerbeuger. Etwa 6 bis 8 cm vor der wichtigsten Handgelenksbeugefurche, der Rascetta, gibt der N. medianus einen klei- nen Hautast ab, den R. palmaris des N. medianus. Dieser Hautast versorgt einen Bereich so groß wie etwa zwei 1 Euro- Stücke beugeseitig am Daumenballen. Kleine Äste dieses Nervens werden relativ häufig bei der Karpaltunneloperation durchtrennt und sind für die lokale Schmerzen, „pillar pain“, nach der Opera- tion verantwortlich. Etwa ab der Rascetta beginnt der Karpaltunnel. Dieser Tunnel hat eine Länge von etwa 3 cm und beginnt ungefähr an der Rascetta und liegt etwa dort, wo sich Daumenballen und Kleinfingerballen fast berühren. Die mei- sten Medizinstudenten glauben leider auch noch nach dem Anatomiekurs, dass der Karpaltunnel dort sei, wo Tennisspieler ihr Schweißband tragen. Der Tunnel wird begrenzt: am Boden durch die Handwur- zelknochen (Kahnbein, Mondbein, Kopf- bein, Dreiecksbein, Hakenbein), an der Daumenseite durch das große Vielec- kbein, kleinfingerseitig durch den Haken- fortsatz des Hakenbeines (Hamulus ossis hamati) und das Erbsenbein. Das Dach wird durch das Retinaculum flexorum gebildet. Distal des Karpaldaches ist der N. medianus bereits geteilt und versorgt mit einem radialen und einem ulnaren Ast den Daumen, ein kräftiger Ast zieht zur Radialseite des Zeigefingers, ein Ast (R. digitalis palmaris communis II) zieht zur Ulnarseite des Zeigefingers und zur Radial- seite des Mittelfingers und ein weiterer Ast (R. digitalis palmaris communis III) zur Ulnarseite des Mittelfingers und zur Radial- seite des Ringfingers. Die Ulnarseite des Ringfingers und der Kleinfinger werden komplett vom N. ulnaris versorgt. Knapp distal des Hamulus findet sich aber meist noch eine Verbindung zwischen N. media- nus und N. ulnaris, die sogenannte Berret- tini-Verbindung, die in etwa 80% der Pa- tienten vorliegt und häufig sehr kräftig ausgebildet ist, aber in den meisten Ana- tomie-Büchern nicht dargestellt oder beschrieben wird und daher häufig unbe- kannt ist. An den Fingern versorgen die palmaren Nerven die gesamte beugeseiti- ge Haut bis zur Fingerspitze, die Haut des Fingerrückens wird am Zeigefinger und Mittelfinger (zumindest die Hälfte des Mittelfingers) vom Nervus radialis von pro- ximal bis etwa zur Mittelgelenkshöhe ver- sorgt, von dort an innervieren die dorsalen Klinische Diagnostik und Zeichen der Nervenschädigung der Hand OA Dr. med. Martin Langer

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6 Zeitschrift für Handtherapie 2/03

Die volle Funktionsfähigkeit der Nerven zurVersorgung der Hand und der Muskulaturdes Unterarmes ist von größter Bedeutungfür den Gebrauchswert der Hand. DieKomplexität der Anatomie der Hand ist dieUrsache, dass Ärzte und Therapeuten, diesich nicht intensiv mit der Hand beschäfti-gen, viele Funktionsstörungen nicht erken-nen oder falsch interpretieren. Wer sichaber in die Anatomie und Physiologie derHand eingearbeitet hat, kann Funktions-störungen der Hand, die durch Nerven-schädigungen verursacht wurden, häufigsehr leicht und auch sehr genau durcheine einfache Untersuchung der Hand inkürzester Zeit feststellen.Die Hand und der Unterarm werden imwesentlichen durch die drei großen Ner-ven, den N. medianus, den N.ulnaris undden N. radialis versorgt. Diese drei Nervenkönnen akut durch Verletzungen oderchronisch durch Kompression isoliertgeschädigt werden. Die chronische Ner-venschädigung durch eine Polyneuropathiewird hier außer Acht gelassen. Im folgen-den Text werden die Anatomie und diewichtigsten klinisch relevanten Ausfallser-scheinungen dieser drei Nerven beschrie-ben.

1. Nervus medianus

1.1. Anatomie des N. medianus:Der N. medianus zieht ulnar des Bizepsseh-nenansatzes durch die Ellenbeuge und gibthier bereits die ersten motorischen Ästezur Beugemuskulatur des Handgelenksund der Finger ab. Vom N. medianus wer-den alle Beugemuskeln mit Ausnahme destiefen Beugers des Ringfingers und desKleinfingers sowie des ulnaren Handge-lenksbeugers innerviert. Bei einer Schädi-gung des N. medianus auf Höhe des Ellen-bogens oder weiter schulterwärts können

daher an einer Hand mit gestreckten Fin-gern nur der Ringfinger und der Kleinfin-ger (durch den N. ulnaris) gebeugt wer-den. Daumen, Zeigefinger und Mittelfin-ger bleiben gestreckt, was zum Bild der„Schwurhand“ führt. Bei einer Schädi-gung des N. medianus erst auf Handge-lenkshöhe sind die Äste zur Beugemusku-latur der Finger noch intakt und der Faust-schluss ist voll. Der alte Merkspruch derHand „Ich schwöre beim heiligen Media-nus, dass ich Dir mit der Ulna die Augenauskratze, wenn Du vom Rad fällst“ oderschöner (Prof. Pera, Münster): „Die Nervender Hand gefasst in Gedicht, Medizinerschwören nicht, vom Rad darfst Du nichtfallen, denn Ulli, der hat Krallen“ hat beiden meisten Medizinstudenten, Physiothe-rapeuten, Ergotherapeuten und Pflege-kräften zwar als dauerhafte Eselsbrückefür die Namen der Nerven gedient, abernicht zum Verständnis der Anatomiegeführt. Knapp distal des Ellenbogens gibtder N. medianus einen relativ kräftigen Astab, der als gesonderter Nerv bezeichnetwird, aber auch nur ein weitgehend moto-rischer Ast zur Unterarmmuskulatur ist.Dieser Ast ist der N. interosseus anteriorund versorgt den langen Daumenbeuger,M. flexor pollicis longus, und den tiefenZeigefingerbeuger. Etwa 6 bis 8 cm vor derwichtigsten Handgelenksbeugefurche, derRascetta, gibt der N. medianus einen klei-nen Hautast ab, den R. palmaris des N.medianus. Dieser Hautast versorgt einenBereich so groß wie etwa zwei 1 Euro-Stücke beugeseitig am Daumenballen.Kleine Äste dieses Nervens werden relativhäufig bei der Karpaltunneloperationdurchtrennt und sind für die lokaleSchmerzen, „pillar pain“, nach der Opera-tion verantwortlich. Etwa ab der Rascettabeginnt der Karpaltunnel. Dieser Tunnelhat eine Länge von etwa 3 cm und

beginnt ungefähr an der Rascetta und liegtetwa dort, wo sich Daumenballen undKleinfingerballen fast berühren. Die mei-sten Medizinstudenten glauben leiderauch noch nach dem Anatomiekurs, dassder Karpaltunnel dort sei, wo Tennisspielerihr Schweißband tragen. Der Tunnel wirdbegrenzt: am Boden durch die Handwur-zelknochen (Kahnbein, Mondbein, Kopf-bein, Dreiecksbein, Hakenbein), an derDaumenseite durch das große Vielec-kbein, kleinfingerseitig durch den Haken-fortsatz des Hakenbeines (Hamulus ossishamati) und das Erbsenbein. Das Dachwird durch das Retinaculum flexorumgebildet. Distal des Karpaldaches ist derN. medianus bereits geteilt und versorgtmit einem radialen und einem ulnaren Astden Daumen, ein kräftiger Ast zieht zurRadialseite des Zeigefingers, ein Ast (R. digitalis palmaris communis II) zieht zurUlnarseite des Zeigefingers und zur Radial-seite des Mittelfingers und ein weiterer Ast(R. digitalis palmaris communis III) zurUlnarseite des Mittelfingers und zur Radial-seite des Ringfingers. Die Ulnarseite desRingfingers und der Kleinfinger werdenkomplett vom N. ulnaris versorgt. Knappdistal des Hamulus findet sich aber meistnoch eine Verbindung zwischen N. media-nus und N. ulnaris, die sogenannte Berret-tini-Verbindung, die in etwa 80% der Pa-tienten vorliegt und häufig sehr kräftigausgebildet ist, aber in den meisten Ana-tomie-Büchern nicht dargestellt oderbeschrieben wird und daher häufig unbe-kannt ist. An den Fingern versorgen diepalmaren Nerven die gesamte beugeseiti-ge Haut bis zur Fingerspitze, die Haut desFingerrückens wird am Zeigefinger undMittelfinger (zumindest die Hälfte desMittelfingers) vom Nervus radialis von pro-ximal bis etwa zur Mittelgelenkshöhe ver-sorgt, von dort an innervieren die dorsalen

Klinische Diagnostik und Zeichender Nervenschädigung der HandOA Dr. med. Martin Langer

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Äste der Fingernerven nach distal des N.medianus die Fingerrückenhaut. Die Ästedes R. superficialis des N. radialis ziehenam Daumen dagegen bis weit nach distal,so dass sogar noch der proximale Nagel-wall vom N. radialis innerviert wird.

1.2. Funktionsstörungen des Nervusmedianus - KarpaltunnelsyndromDas Karpaltunnelsyndrom ist die mitAbstand häufigste Nervenschädigung ander Hand. Es ist das klassische Nervenkom-pressionssyndrom. Durch den osteofibrö-sen Kanal, d. h. durch einen nicht dehn-baren Kanal, verläuft der N. medianuszusammen mit den Beugesehnen desHandgelenkes und der Finger. Obwohl eszahlreiche Ursachen gibt, liegt meist eineZunahme des Sehnenscheidengleitgewe-bes innerhalb des Kanals vor und durch dieDruckerhöhung kommt es zu Funktions-störungen des N. medianus. Diese Funk-tionsstörungen betreffen alle Nervenästedes Nervus medianus, die distal der Kom-pressionsstelle weiterziehen. Diese Ästesind: 1. der motorische Thenarast, der diegesamte Daumenballenmuskulatur mitAusnahme des M. adductor pollicis undeines Teiles der M. flexor pollicis brevisinnerviert, 2. die motorischen Äste zum M.lumbricalis zum Zeigefinger und Mittelfin-ger, 3. die sensiblen Fingernerven auf derBeugeseite des Daumens, des Zeigefin-gers, des Mittelfingers und der radialenSeite des Ringfingers. Das Karpaltunnelsyndrom ist so häufig,dass dieses Krankheitsbild eigentlich jedemArzt bekannt sein müsste. Trotzdem kom-men immer wieder Patienten bereits mitirreversiblen Schädigungen des Nervusmedianus zur Operation, da eine frühzeiti-ge Diagnose und eine rechtzeitige Einlei-tung einer Therapie verpasst wurden. DieDiagnose des Karpaltunnelsyndroms kannmit großer Sicherheit und relativ einfachklinisch gestellt werden.

1.2.1. AnamneseWie bei jeder anderen Erkrankung ist auchhier die Anamnese von größter Bedeu-tung. Das Karpaltunnelsyndrom entwickeltsich bei einem Großteil der Patienten (Frau-en/Männer-Verhältnis etwa 3/1) langsam.

Die Patienten klagen über Missempfindun-gen und Sensibilitätsminderungen im Aus-breitungsgebiet des Nervus medianus ander Hand, also im Bereich des Daumens,Zeigefingers, Mittelfingers und der Radial-seite des Ringfingers. Die Qualität der Mis-sempfindungen wird mit „Ameisenlaufen“,„brennend“, „pelzig“ oder „Kribbeln“beschrieben. Dabei fällt es den Patientenhäufig schwer, Schmerzen und Parästhesienin den Fingern genau zu lokalisieren. Ganztypisch ist auch das nächtliche Aufwachen(3 Uhr bis 6 Uhr morgens) durch die Paräs-thesien, die „Brachialgia paraestheticanocturna“ (Schulte 1947). Die sensiblenMissempfindungen in der Nacht verschwin-den relativ schnell durch Schütteln (flicksign, Pryse-Phillips 1984), was von hoherdiagnostischer Bedeutung ist. Sehr häufigbeginnt die Sensibilitätsminderung in derMittelfingerkuppe und breitet sich dann aufdie übrigen genannten Finger weiter aus.Bei etwa der Hälfte der Patienten strahlendie Missempfindungen nach proximal aus,hier werden häufig Ellenbogenregion undlaterale Schulteregion angegeben. Tagsüberkönnen die Beschwerden durch eine gleich-förmige Haltung von Arm und Hand ausge-löst werden. Dazu gehören Stricken, Schrei-ben, Halten einer Zeitung, Autofahren, Rad-fahren, Tragen einer Tasche, Fegen. Die Fin-ger fühlen sich dann geschwollen und steifan. Mit zunehmender Krankheitsdauer ver-schwinden die Symptome auf Schüttelnund Reiben nicht mehr so schnell oder nurnoch unvollständig.

Die sensiblen Störungen gehen den moto-rischen Störungen immer voraus. Diesemotorischen Störungen drücken sich durcheine zunehmende Ungeschicklichkeit beifeinmotorischen Arbeiten (Nadel aufhe-ben, Hemdknopf schließen) aus. Bei länge-ren feinmotorischen Arbeiten können sichauch Krämpfe in der Thenarmuskulatureinstellen. Mit zunehmender Dauer derErkrankung zeigt sich eine Verminde-rung der Daumenballenmuskulatur, eine Thenaratrophie. Zur Anamnese gehören auch Fragen nachVerletzungen, Operationen, Chemothera-pie (Vincristin), hormonellen Störungen(Akromegalie), Schwangerschaft, Dialyse(Beta-2-Microglobulin), Nikotinabusus.

1.2.2. InspektionBei etwa 10-20% der Patienten imponiertbei der Inspektion eine leichte Schwellungin der distalen beugeseitigen Unterarmre-gion, als Hinweis für eine chronische Syn-ovialitis der Beugesehnen. Im fortgeschrit-tenen Stadium zeigt sich zusätzlich eineDelle im Daumenballen, die Thenarmusku-latur ist atrophisch. Am deutlichsten isthier immer die Atrophie des M. abductorpollicis und des M. flexor pollicis brevis zuerkennen, da diese Muskeln an der Ober-fläche der Thenarmuskelgruppe liegen. DieSchwäche des nicht sichtbaren M. oppo-nens pollicis ist dagegen für das Karpaltun-nelsyndrom sehr charakteristisch zu testen.Bei der Aufforderung Daumen- und Klein-fingerkuppen zusammen zu pressen, kann

Abb. 1: Oppositionsschwäche. Die Daumenspitzekann den Kleinfinger nicht mehr berühren, derDaumen kann von der Hohlhand nicht abgehobenwerden, der Daumennagel ist nur seitlich im Profilzu sehen (s. Text).

Abb. 2: Deutliche Atrophie der vom Medianus ver-sorgten Thenarmuskulatur.

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durch die Schwäche des M. opponens pol-licis der gestreckte Daumen den Kleinfin-ger kaum berühren. Der Daumen kann beidiesem Versuch auch nur unvollständiggedreht (opponiert) werden, so dass derDaumennagel nur im Profil zu sehen ist(Mumenthaler 1982). Diese Schwäche der Palmarabduktion undder Opposition des Daumens zeigt sichauch, wenn der Patient aufgefordert wirdeine Flasche zu halten. Durch die unvoll-ständige Abspreizung des Daumens blei-ben zwischen Daumen und ZeigfingerHautfalten bestehen und die Haut derersten Kommissur legt sich der Flaschenicht an (Flaschenzeichen nach Lüthy). Bei lang anhaltenden Nervenschäden, (dasKarpaltunnelsyndrom ist hier kein gutesBeispiel, da eine gewisse Restinnervationnoch verbleibt), z. B. nach Nervendurch-trennungen ohne Wiederherstellung derKontinuität, verändert sich die Fingerkup-pe. Die Fingerbeere schrumpft, wird zurük-kgebildet, das Papillarlinienmuster (Finger-abdruck) verschwindet, die Haut wird glattund glänzend, trocken, da auch dieSchweißsekretion nachlässt. Diegeschrumpfte Fingerbeere sieht auf denersten Blick noch einigermaßen normalaus, bei der genauen Betrachtung zeigtsich aber dass die Haut dem Knochen sehreng aufliegt und dass die Verbindung zwi-schen Nagelplatte und Fingerspitze, dassogenannte Sohlenhorn, die Fingerspitzebildet. Die Patienten berichten nicht selten,dass es beim Nägelschneiden blutet. Die-ses Zeichen wird Alföldi-Zeichen genannt.

1.2.3. Provokationstests

1.2.3.1. Hoffmann-Tinel-Zeichen (1915)Hoffmann und Tinel haben unabhängigvoneinander im Jahre 1915 das elektrisie-rende Gefühl beim Beklopfen eines geschä-digten Nervens beschrieben. Dieses Zeichentrifft für jeden Nerven an jeder geschädigtenStelle zu. Allerdings bildet sich dieses Zei-chen erst nach einer gewissen Zeit aus undist nicht sofort am Tag der Nervenschädi-gung vorhanden. Das Hoffmann-Tinel´scheKlopfzeichen hat auch für das Karpaltunnel-syndrom eine große Bedeutung, ist abernicht in allen Fällen vorhanden. In neutralerHandgelenkposition wird knapp proximaloder auf Höhe der Rascetta über dem Ner-vus medianus mit der Fingersitze geklopft.

1.2.3.2. Phalen-Test (1951)Bei diesem Test wird der Ellenbogen auf

dem Untersuchungstisch aufgestützt undbei senkrechtem Unterarm das Handge-lenk durch die Schwerkraft gebeugt. Tre-ten innerhalb von 60 Sekunden Parästhe-sien im Medianusgebiet auf, so ist der Testals positiv zu bewerten. 1.2.3.3. Reverser Phalen-Test (Werner 1994)Anstatt der Handgelenksbeugung wird beidiesem Test das Handgelenk durch denPatienten aktiv gestreckt. Der Test ist posi-tiv, wenn Parästhesien innerhalb von 2Minuten eintreten.

1.2.3.4. Durkan-Test (1991)Dieser Test ist insbesondere dann geeignet,wenn der Phalen-Test aufgrund vonSchmerzen oder Bewegungseinschränkun-gen des Handgelenkes nicht durchgeführtwerden kann. Der Untersucher kompri-miert mit einem Gerät mit einem standar-

Abb. 3: Synovialitische Schwellung kurz proximaldes Karpalkanals.

Abb. 4: Durch die Schwäche der Thenarmuskulaturkann der Daumen nicht von der Palmarebeneabgespreizt werden.

Abb. 5: Flaschenzeichen nach Lüthy bei einer voll-ständigen Medianus-Parese.

Abb. 6: Hoffmann-Tinel-Klopfzeichen Abb. 7: Phalen-Test

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disierten Druck den Karpalkanal. Stellensich innerhalb von 30 Sekunden Parästhe-sien ein, ist der Test als positiv zu werten.

1.2.3.5. McMurtry-Test (1987)Bei Supination und gestrecktem Handge-lenk wird durch direkten Druck mit demDaumen des Untersuchers der Karpalkanalkomprimiert. Hier ist der Test positiv, wennsich nach 15-20 Sekunden Parästhesieneinstellen oder verstärkt werden.

1.2.3.6. Gilliatt-Test (1953)Hier wird am Oberarm eine Blutdruckman-schette angelegt und bis knapp vor demsystolischen Blutdruck aufgepumpt. DerTest ist positiv, wenn innerhalb von 60Sekunden Parästhesien einstellen.

1.2.3.7. Tetro-Test (1998)Hier handelt e sich um einen kombiniertenKompressions- und Flexionstest des Hand-gelenkes. Das Handgelenk wird 60°gebeugt und mit dem Daumen ein Druckauf das Retinaculum flexorum ausgeübt.Parästhesien sollten sich innerhalb von 60Sekunden einstellen.

1.2.3.8. Statische Zwei-Punkte Diskri-mination nach Weber (1835)Die statische Zwei-Punkte Diskrimination,also die Unterscheidbarkeit von 2 Druk-kpunkten gleichzeitig auf der Haut, ist anden Fingern bis 5mm noch normal, liegendie Werte über 6mm, so liegt eine Sensibi-litätsminderung vor.

1.2.3.9. Dynamische Zwei-Punkte Diskrimination (Dellon 1981)Werden die Druckpunkte auf der Hautparallel verschoben, werden auch dieschnell adaptierenden Nervenfasern (A-Beta) gereizt. Sensibilitätsminderungen lie-gen vor, wenn ein Abstand von wenigerals 5mm nicht als zwei Druckpunkte unter-schieden werden können.

1.2.3.10. Semmes-Weinstein Monofilament-Test (1960)Mit standardisierten Kunststoff-Fasernunterschiedlicher Dicke wird die Schwelleder Druckempfindung (bis sich die Faserbiegt) bestimmt. Als obere Grenze für dienormale Sensibilität gilt die Stärke 2,83.

1.2.3.11. Vibrationsempfinden Eine Stimmgabel mit einer Schwingfre-quenz von 256 Hz wird auf die Fingerspit-zen gehalten. Unterschiede in der Vibra-tionsstärke werden als positiv gewertet.

1.2.4. Neurologische DiagnostikSämtliche klinische Tests sind nicht objektivund von der Mitarbeit des Patientenabhängig. Vor einer Operation sollte daherauch bei klinisch eindeutiger Symptomatikeine neurologische Untersuchung mitBestimmung der Nervenleitgeschwindig-keit und der distalen motorischen und sen-siblen Latenz erfolgen. Da von verschiede-nen Neurologen unterschiedliche Messme-thoden und Messpunkte benutzt werden,können die Messwerte von verschiedenenNeurologen nur bedingt miteinander ver-

glichen werden. Dazu findet sich auch eineAltersabhängigkeit bezüglich der Normal-werte für die Nervenleitgeschwindigkeit.Für einen 30-jährigen Patienten liegen dieNormwerte für die motorische Nervenleit-geschwindigkeit bei 51-65m/sec, für einen75-jährigen bei 43-55m/sec. Die sensibleLeitungsgeschwindigkeit hat ihre Norm-werte bei 52-70m/sec für 30 jährige und40-58m/sec für 75 jährige Patienten. Beider distalen motorischen und sensorischenLatenz sind Werte über 4,5ms motorischund Werte über 3,5ms sensorisch bei einerReizdistanz von 6 cm pathologisch. Auch zum Ausschluss neurologischerKrankheitsbilder (Multiple Sklerose, Amyo-trophe Lateralsklerose, zerebrale Durchblu-tungsstörungen, generalisierte Polyneuro-pathien) sollte immer auch eine neurologi-sche Untersuchung erfolgen.

1.2.5. Sonstige Untersuchungen und DifferentialdiagnostikZur Differentialdiagnostik und Ausschlussanderer Ursachen für die Beschwerdesymp-tomatik ist eine gründliche Untersuchungvon der Halswirbelsäule bis zur Hand erfor-derlich. Dis wichtigste Differentialdiagnoseist eine Radikulopathie von C6, wenigerC7. Die Entwicklung der Beschwerden isteher akut, das sensibel betroffene Gebiethat eine radikuläre Verteilung, vorwiegendist die Algesie bei den sensiblen Qualitätenbetroffen und es kann zu entsprechendenReflexausfällen kommen. Eine Untersu-chung der Muskelkraft beim Faustschlussist daher immer wichtig zum Ausschlusseiner höheren Medianus-Schädigung (Ple-xus, Pronator teres-Syndrom). Bei der loka-len Untersuchung sollten bei der PalpationRaumforderungen (Lipome, Ganglien,Hämangiome, fehlverheilte Frakturen,Luxationen (perilunäre Luxation), Gichtto-phi, Fremdkörper, etc.), aber auch lokaleSchmerzpunkte (Pseudarthrose des Hamu-lus ossis hamati, Pisotriquetralarthrose,Rhizarthrose) festgestellt werden. Bestehtder Verdacht auf eine andere Ursache, soll-te eine standardisierte Röntgenaufnahmedes Handgelenkes in zwei Ebenen (dorso-palmar und exakt seitlich) und eine Karpal-tunnel-Zielaufnahme durchgeführt wer-den. Computertomographien oder Kern-

Abb. 8: Reverser Phalen-Test Abb. 9: McMurtry-Test

spintomographien bleiben für ganz spe-zielle Fragestellungen vorbehalten.

1.3. Funktionsstörungen des N. media-nus – Pronator teres SyndromBeim Durchtritt des N. medianus durchden M. pronator teres oder weiter distal,wenn er unter der fibrösen Ursprungsarka-de des M. flexor digitorum superficialishindurchtritt, kann eine Engstelle die Funk-tion des N. medianus behindern. Die Funk-tionsausfälle gleichen in weiten Teilendenen des Karpaltunnelsyndroms, es tre-ten aber zusätzlich Schwächen der Beuge-muskulatur (Faustschluss) auf. Der Phalen-Test ist negativ, aber ein Hoffmann-Tinel´sches Zeichen findet sich über derEinengungsstelle und bei einer Druckbela-stung über dem Bereich der Nervenkom-pression entsteht häufig ein lebhafterSchmerz. Der Schmerz kann auch häufigbei Pronation des gestreckten Armes pro-voziert werden.

1.4. Funktionsstörungen des N. media-nus: Interosseus anterior-SyndromDas Interosseus anterior Syndrom oderKiloh-Nevin-Syndrom wird durch eine iso-lierte Schädigung des N. interosseus ante-rior hervorgerufen. Diese Schädigung trittbei Kindern relativ häufig im Rahmen einerEllenbogengelenksverletzung (Suprakon-dylika) durch Zerrung des Nerven oder alsKompressionssyndrom durch sehnigeUrsprünge des oberflächlichen Beugersdes Mittelfingers oder des Caput ulnae desM. pronator teres auf. Die Patienten habenin der Regel keine Sensibilitätsstörungen,klagen aber vornehmlich über die Beuge-unfähigkeit des Daumens (im Endgelenk).Da der Nerv aber gleichzeitig auch die tiefeBeugesehne des Zeigefingers innerviert, istneben dem M. flexor pollicis longus (Beu-gung des Daumenendgliedes) auch dieBeugung des Zeigefingerendgliedes aufge-hoben. Wenn die Patienten aufgefordertwerden, mit Daumen und Zeigefinger ein„O“ zu bilden, gelingt dies nur auf dergesunden Seite. Auf der betroffenen Seitegelingt lediglich eine Tropfenform.

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2. Nervus ulnaris

2.1. Anatomie des N. ulnarisDer N. ulnaris verläuft am distalen Ober-arm zwischen dem ulnaren Trizepskopfund dem Septum musculare mediale. Etwa8cm proximal des Ellenbogens kann ein Septum oder ein Knochensporn (Stru-ther’sche Arcade oder Proc. supracondyla-ris Strutheri) dicht am Nerven vorbeiziehenoder den Nerven irritieren. Zwischen demEpicondylus ulnaris humeri und dem Ole-cranon liegt der N. ulnaris dann im Sulcusn. ulnaris und wird in den meisten Fällennur von einer Membran, gelegentlich aberauch einem Band (Lig. epitrochleoanco-neum) oder sogar einem Muskel (M. epi-trochleoanconeum) überspannt. Im weite-ren Verlauf taucht der N. ulnaris dann zwi-schen den beiden Köpfen des M. flexorcarpi ulnaris in die Unterarmmuskulaturein. Diese beiden Köpfe des M. flexor carpiulnaris sind durch eine verstärkte Faszie(Osborne´sche Arkade) verbunden, die denNerven abdeckt und gelegentlich auch ein-engen kann. Auf dieser Höhe gibt der N.ulnaris auch seine ersten motorischen Ästeab. Es sind die Äste zum M. flexor carpiulnaris und M. flexor digitorum profundusfür den Ringfinger und Kleinfinger. Wäh-rend des Verlaufes am Unterarm gibt derN. ulnaris dann keine motorischen Ästemehr ab und gibt nur meist sensible Äste

im Austausch mit dem N. medianus (Mar-tin-Gruber-Verbindung) oder kleine sensi-ble Äste (Henle´scher Nerv) ab. Auf Hand-gelenkshöhe zieht der N. ulnaris dannzusammen mit der A. ulnaris in die sogenannte „Loge de Guyon“ ein. Bei deranatomischen Präparation dieser Regionist man aber meist enttäuscht, da sich dieerwartete tunnelartige Passage des Ner-vens gar nicht so spektakulär darstellt.Noch am distalen Unterarm wird der Nervvon einer meist zarten Faszie (Lig. carpipalmare) überdeckt. Im Hypothenarbereichfindet sich dann als Abdeckung nebenreichlich Fettgewebe der M. palmaris bre-vis, der auch einen der ersten motorischenAbgänge aus dem N. ulnaris erhält. Ulnar-seitig finden sich Faszien, die zum Os pisi-forme ziehen, radialseitig liegen die fas-zienartigen Ausläufer des Karpaldaches(Retinaculum flexorum). Der Nerv über-quert das sehr feste Lig. pisohamatum undteilt sich dann bereits in den sensiblen-oberflächlichen und den motorischen-tie-fen Ulnarisast auf. Der oberflächliche Astteilt sich dann sehr schnell in den ulnarenKleinfingernerven und den N. digitaliscommunis für die Radialseite des Kleinfin-gers und die Ulnarseite des Ringfingersauf. Der tiefe (motorische) Ast versorgt diegesamte Muskulatur des Hypothenars (M.abductor digiti minimi, M. flexor digitiminimi brevis, M. opponens digiti minimi).

Abb. 10: Kind mit suprakondylärer Humerusfraktur und Interosseus anterior-Schädigung.

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Im weiteren Verlauf zusammen mit demtiefen arteriellen Hohlhandbogen versorgter die gesamte kleine Handmuskulatur(Mm. interossei dorsales und palmares),die Mm. lumbricales für den Ringfingerund Kleinfinger, sowie einen Teil der Dau-menballenmuskulatur (M. adductor pollicisund einen Teil des M. flexor pollicis brevis.

2.2. Funktionsstörungen des N. ulnaris Durch die frühzeitige Trennung des N.medianus vom N. ulnaris im Plexusbereichkann eine isolierte Funktionsstörung des N.ulnaris auf Höhe des Oberarmes oder wei-ter distal zu einer Schwäche der tiefenBeugemuskulatur für den Ring- und Klein-finger (FDP IV und FDP V) kommen. DieserUlnaris-Schaden fällt aber meist nichtdurch die Schwäche des FDP IV und V(Pollock-Zeichen) auf, sondern eherdurch die typische Schwäche und Atrophieder kleinen Handmuskulatur mit einempermanent abduzierten kleinen Finger(Wartenberg-Zeichen), Schwäche des M.adductor pollicis und des 1. dorsalen Inter-osseus Muskels (Froment-Zeichen),Schwäche des M. interosseus dorsalis IIIund IV mit einer Schwäche der Radial- undUlnar-Duktion des Mittelfingers im Grund-gelenk (Pitres-Testut-Zeichen undEgawa-Zeichen) und in späteren Phasenmit einer Krallenstellung des Ring- undKleinfingers (Duchenne-Zeichen) undeiner Abflachung des Metakarpalbogens(Masse-Zeichen).Zur differentialdiagnostischen Abgrenzung

der Höhenlokalisation einer motorischenUlnaris-Schwäche kann es aber dann hilfreichsein, die Kraft des FDP IV und V zu testen, daeine Läsion des N. ulnaris auf Höhe des Ellen-bogens oder weiter proximal zu einemKraftverlust dieser Muskeln führt. Eine Läsi-on weiter distal (z. B. auf Höhe der Loge deGuyon) aber keinen Kraftverlust zeigt. Isolierte Schädigungen der motorischenÄste zum FDP IV und V können nach Ver-letzungen im Ellenbogengelenksbereich,nach iatrogener Schädigung dieser Ästebei einer Neurolyse des N. ulnaris im Sul-cus nervi ulnaris –Bereich oder bei Tumo-ren (Lipome, Ganglien) in der Abgangsre-gion dieser Nervenäste auftreten.

Mumenthaler-ZeichenAls einer der ersten motorischen Äste ausdem N. ulnaris am Handgelenk entspringtein kleiner Ast zum M. palmaris brevis.Dieser kleine Muskel – eigentlich ein Haut-muskel – kann in der Regel nicht willkür-lich angespannt werden. Er spannt sichaber gut an, wenn der Kleinfinger gegenWiderstand abduziert wird. Dann entstehtan der ulnaren Seite des Kleinfingerballenseine kleine Hautfurche. Fehlt diese Furchebei diesem Provokationstest im Seitenver-gleich, muss eine Nervenschädigung min-destens auf Handgelenkshöhe oder weiterproximal angenommen werden.

Abb. 11: Permanent abduzierter Kleinfinger (Wartenberg-Zeichen)

Abb. 12: Abflachung des Metakarpalbogens(Masse-Zeichen)

Abb. 13: Am deutlichsten ist die Atrophie des 1.dorsalen Interosseus-Muskels (breiter Pfeil). Bei dergenauen Inspektion ist die gesamte Interosseusmu-skulatur atrophiert.

Abb.14: Der feinste Test zur Überprüfung der Beein-trächtigung der vom N. ulnaris versorgten Muskulaturist der Apley-Test. Werden die Finger gespreizt undmit den Kleinfingerkuppen aneinander gelegt unddann die Hände gegeneinander gedrückt, so gibt derKleinfinger der betroffenen Hand schnell nach.

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Cross-Finger-ZeichenDie Interosseus-Muskel haben neben derAufgabe, die Fingermittel- und Fingerend-gelenke zu strecken, auch noch die Funk-tion, die Finger zu spreizen oder zu addu-zieren. Patienten mit einer Ulnarisparesekönnen die Finger nur unzureichend odergar nicht (je nach Paresegrad) überein-anderschlagen und somit die Finger zukreuzen. Bei ungeübten Patienten gelingtdas Fingerkreuzen am besten zwischenMittelfinger und Zeigefinger. Hierdurchwerden aber nur die Interosseusmuskelnzwischen Zeigefinger und Mittefingergestestet. Um auch die übrigen Interosseus-muskeln zu testen wird die Hand flach aufden Tisch gelegt und die Finger leichtgespreizt. Der zu untersuchende Fingerwird aktiv leicht angehoben, was durch dieintakte Streckmuskulatur (N. radialis) in derRegel gut gelingt. Der Patient wird dannaufgefordert, den angehobenen Finger seit-lich hin- und her zu bewegen (Egawa-Test).

Froment-ZeichenDer M. adductor pollicis hat eine sehrwichtige Funktion für die Gebrauchsfähig-keit des Daumens. Durch einen Ausfalloder eine Kraftminderung dieses Muskelssinkt die Kraft, den gestreckten Daumenzu adduzieren und somit etwa einenSchlüssel fest an das Zeigefingergrundge-lenk zu pressen. Zur Untersuchung nimmtman eine kleine Karte und lässt diese vomPatienten im Schlüsselgriff (mit möglichstgestrecktem Daumen) festhalten und ziehtan der Karte. Eine Schwäche des M.adductor pollicis wird sofort auffällig. AlsTrickbewegung versuchen dann vielePatienten eine größere Kraft in diesemGriff dadurch zu erlangen, dass der M. fle-xor pollicis longus mit eingesetzt wird. DasEndgelenk wird dann maximal gebeugt.

2.3 Sulcus-ulnaris-SyndromDas Sulcus nervus ulnaris – Syndrom ist einKompressionssyndrom des N. ulnaris aufHöhe des Ellenbogens. Die Ursachen sindvielfältig von einfachen Einengungendurch Faszien, überzählige Muskeln, knö-chernen Veränderungen nach Ellenbogen-gelenksverletzungen, Tumore wie Gan-glien, Lipome etc.. Die Symptomatik

beginnt meist mit einer Sensibilitätsminde-rung am Kleinfinger und der Ulnarseite desRingfingers. Beim Sulcus ulnaris – Syndromin typischer Weise auch auf der Ulnarseitedes Handrückens, da hier der nach dorsalziehende Ast etwa 10-12cm proximal desHandgelenkes vom Hauptnervenstammabzweigt. Relativ rasch fällt dann aberauch eine Schwäche der kleinen Handmu-skulatur auf. Erst im fortgeschrittenen Sta-dium kommt es zur Krallenstellung desRing- und Kleinfingers (insbesondere wenndie Fingergelenke nicht permanent beübtwurden). Als klinischer Test eignet sich hierebenfalls der Klopftest über dem Sulcus(Hoffmann-Tinel-Zeichen). Als Provoka-tionstest kann der Ellenbogen maximalgebeugt werden. Treten hier Parästhesieninnerhalb von 30 Sekunden auf, sprichtdies für eine Einengung im Ellenbogenbe-reich und für eine gute Prognose durch dieOperation. Da die Strecke zwischen Ellen-bogen und kleiner Handmuskulatur aberschon recht lang ist (über 40 cm), kann beieiner schweren Kompression des Nervensund einer deutlichen Atrophie der kleinenHandmuskulatur nicht mit einer schnellenund auch nicht mit einer vollständigenErholung der Muskelfunktion nach derOperation gerechnet werden. Aus diesemGrund sollte eine Therapie bei beginnen-der Muskelatrophie rasch einsetzen.

2.4 Loge de Guyon-SyndromBei einer Nervenkompression des N. ulnarisauf Höhe des Handgelenkes treten die

gleichen Ausfallserscheinungen wie beimSulcus nervi ulnaris-Syndrom auf – mit fol-genden Unterschieden. 1. Die Kraft derBeugung des Kleinfingers und des Ringfin-gers sind nicht beeinträchtigt, 2. Die Sensi-bilität am Handrücken ist nicht beeinträch-tigt. Die Ursache liegt meist in einer Kom-pression durch Faszien, Ganglien, Tumore,Muskeln. Es kann aber auch eine Throm-bose der A. ulnaris über dem Hamulusossis hamati (Hypothenar-Hammer-Syn-drom) vorliegen. Die Sensibilität auf derBeugeseite des Kleinfingers und des Ring-fingers kann, muss aber nicht herabgesetztsein. Die kleine Handmuskulatur istgeschwächt.

3. Nervus radialis

3.1 Anatomie des N. radialisDer N. radialis verläuft schultergelenksnahzunächst noch medial, zieht dann abersehr schnell nach dorsal unter dem radia-len Kopf des M. triceps brachii und windetsich um den Oberarmknochen. Währendseines Verlaufes am Oberarmschaft gibt ernur wenige Äste ab. Die motorischen Ästeziehen zum M. triceps und zum M. anco-naeus, der sensible Ast ist der N. cutaneusbrachii dorsalis. Erst wieder in der Nähedes Ellenbogens, also im distalen Schaft-drittel des Oberarmes, werden weitereÄste abgegeben. Dies sind die Äste zumM. brachioradialis, zum M. extensor carpiradialis longus et brevis sowie der N. cuta-neus antebrachii lateralis. Knapp distal des

Abb.15: Komplette Radialisparese mit dem Versuch der Streckung, was nur über die kleine Handmuskulaturgelingt. Das Daumenendglied ist durch den Tenodese-Effekt gestreckt.

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Ellenbogengelenkes teilt sich der N. radialisin einen sensiblen und einen motorischenAst auf. Der sensible Ast ist der R. superfi-cialis des N. radialis, der unterhalb des M.brachioradialis zur Radialseite des Handge-lenkes zieht und die radiale Seite des Han-drückens und fast den gesamten Daumen-rücken versorgt. Der R. profundus des N.radialis zieht knapp distal des Ellenbogen-gelenkes unter einer Faszienarkade (Froh-se´schen Arkade), die zwischen demhumeralen und ulnaren Ursprung des M.supinator ausgebildet ist, weiter durch denM. supinator nach distal und verzweigtsich in die Muskeläste zu den übrigenStreckmuskeln des Unterarmes. Lediglichein kleiner sensibler Ast, der N. interosseusposterior zieht noch auf der Membranainterossea bis zum Handgelenk.

3.2 Schädigungen des N. radialisDurch seinen engen Verlauf am Knochenwird der Nervus radialis am häufigsten beiKnochenbrüchen des Oberarmschaftesgeschädigt. Es resultiert dann eine kom-plette Radialis-Parese mit dem klassischenBild einer Fallhand. Das Handgelenk kannnicht mehr gestreckt werden, da M. exten-sor carpi radialis longus und brevis und derM. extensor carpi ulnaris ausgefallen sind.Die Finger können in den Grundgelenkennicht mehr gestreckt werden, da dieMuskeln: M. extensor indicis, M. extensordigitorum communis und M. extensor digi-ti minimi ausgefallen sind. Der Daumenkann nicht mehr extendiert und abduziertwerden, da die Muskeln: M. extensor polli-cis longus, M. extensor pollicis brevis undM. abductor pollicis ausgefallen sind.Dagegen können die Mittel- und Endge-lenke der Finger noch gestreckt werden,da die kleine Handmuskulatur durch denN. ulnaris noch voll funktionsfähig ist. Diefehlende dorsale Stabilisierung des Hand-gelenkes bewirkt einen enormen Kraftver-lust der Hand beim Faustschluss.

3.2.1. Supinator Logen-SyndromBeim Supinator-Logen-Syndrom liegt dieNervenschädigung distal der Nervenab-gänge zu den Muskeln M. brachioradialis,M. extensor carpi radialis longus und bre-vis. Das Handgelenk kann noch gestreckt

Korrespondenzadresse

Dr. Martin LangerUniversitätsklinikum MünsterWaldeyerstr. 1 · 48149 Münsterwww.uni-muenster.de

Dr. med. Martin Langer

Studium der Humanmedizin in Mün-ster 1984 bis 1991

Chirurgische Ausbildung in der Klinikund Poliklinik für Allgemeine Chirurgie,Westfälische Wilhelms-UniversitätMünster, Univ.-Prof. Dr. med. H. Bünte1992 bis 1995

Friedrich-Alexander-Universität Erlan-gen, Abteilung für Hand- und Plasti-sche Chirurgie, Prof. Dr. med. J. Grü-nert, 1996 –1998. 1998 Oberarzt

Universitätsklinikum Münster, Oberarztin der Klinik und Poliklinik für Unfall-und Handchirurgie, Univ.-Prof. Dr.med. E. Brug, 1998 bis 2000

Inselspital Bern, Oberarzt in der Abtei-lung für Handchirurgie, Prof. Dr. med.U. Büchler. 2000 bis 2001

Seit 2001 Universitätsklinikum Münster,Oberarzt der Klinik für Unfall- und Hand-chirurgie, Univ.-Prof. Dr. med. M. Rasch-ke.

Der Autor

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werden, aber die Grundgelenke der Fingernicht mehr. Bei diesem Patienten lag einriesiges Ganglion vor, das aus dem proxi-malen Radioulnargelenk hervorging unddas den Nerven an der Frohse´schen Arka-de eindrückte.

3.2.2. Wartenberg-SyndromEtwa 8-10 cm proximal des Handgelenkesdurchbricht der R. superficialis n. radialisdie Unterarmfaszie oder z.T. sogar dieSehne des M. brachioradialis, um in dasUnterhautfettgewebe zu gelangen. An die-ser Stelle kann der Nerv komprimiert seinund ausstrahlende Schmerzen an der dor-soradialen Seite der Hand auslösen. DieSensibilität in diesem Versorgungsgebietkann vermindert sein. Ein Klopfen über die-ser Durchtrittsstelle (Hoffmann-Tinel´schesKlopfzeichen) kann schmerzhaft sein undist daher als positiver Test zu werten. DieSchmerzen können auch durch bestimmteHaltungen (Anspannen des gesamten Ner-ven) verstärkt werden. Eine Haltung ist z. B.eine maximale Pronation des gesamtenArmes, „so, als ob man hinter seinem Rük-ken eine Tür schließen möchte“.