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In Schleswig-Holstein kennt man den von ei- nem aus vielen überregionalen Verbänden ge- tragenen Kuratorium an wechselnden Orten im Land ausgerichteten Schleswig-Holstein-Tag seit 1978 als Volksfest – in der letzten Zeit un- ter aufreizend beliebigen Motti wie „Fit für die Zukunft“, „Schleswig-Holstein maritim“ oder „So bunt wie das Land“. Seit der Entstehung des Schleswig-Hol- stein-Tages nimmt der Schleswig-Holsteinische Heimatbund (SHHB) 1 die Geschäftsführung des Landeskuratoriums wahr. Laut dessen Darstellung wurde das Projekt seinerzeit „von der Landesre- gierung auf Anregung des Schleswig-Holsteinischen Heimatbundes ins Leben gerufen“, und zwar mit der explizit politischen Zielset- zung, „die Beziehung der Menschen zu Schleswig-Holstein zu stärken und den Gemeinsinn und das Zusammenleben von Alt- und Neubürgern zu fördern“ und somit „dem Landesbewusstsein“ zu dienen. 2 Diese Begründung verweist auf ein objektives Problem: Schleswig-Holstein hatte nach dem Zweiten Weltkrieg plötzlich mit einer immensen Zuwanderung durch die Vertriebenen umge- hen müssen, die nicht nur zu außerordentlichen sozialen Belas- tungen, sondern auch zu starken Überfremdungsängsten und Ressentiments unter vielen Einheimischen geführt hatte. 3 Ob- gleich das bald gegründete Land sich im Unterschied zu ande- ren Territorien der Bundesrepublik wie beispielsweise Nieder- sachsen auf eine lange Tradition zu berufen wusste, zeichnete es sich auch Dekaden später noch durch eine daraus resultie- rende soziale Heterogenität aus. Nach Einschätzung des Lan- desverbandes der vertriebenen Deutschen stellten die Vertrie- benen 1969 immerhin noch ein Drittel der Bevölkerung. 4 Erst die Konstruktion der verbindenden Klammer eines Landes- bewusstseins versprach somit, die Schleswig-Holsteiner auch mental zu integrieren und den von nicht Wenigen ge- teilten Eindruck des nicht lebensfähigen „Armenhauses“ der Bundesrepublik abzuschütteln. 5 Vor diesem Hintergrund zeichnet dieser Beitrag die Entstehung und Funktionalisierung des Schleswig-Hol- stein-Tages nach. Wer waren die Akteure, was ihre Inten- tionen, wie die Umstände, die mit dem Schleswig-Hol- stein-Tag eine Institution zur Verbreitung eines solchen Landesbewusstseins schufen, die zudem offensichtlich so stark im Gegensatz zu der Veranstaltung gleichen Na- mens unserer Tage steht ? Die Gründung des Schleswig-Holstein-Tages und ihre Umstände. Richten wir unseren Blick also auf die Situation in den 1970er Jahren. In dieser Zeit verschoben sich die politi- schen Machtverhältnisse zuungunsten der seit 1950 re- gierenden CDU. 6 Ihr Aufstieg und ihre Vorherrschaft 1 Der SHHB wurde am 15. Januar 1947 als Dachverband der Heimatvereine Schleswig- Holsteins gegründet und engagierte sich in erster Linie im deutsch-dänischen Kultur- kampf um das Grenzland. Nachdem sich die Situation Ende der 1950er Jahre zunehmend beruhigte, verlagerte sich der Schwerpunkt mehr und mehr auf die Stiftung einer schleswig- holsteinischen Landesidentität unter konservati- vem Vorzeichen. Seit Mitte der 1970er wurden weitere Arbeitsfelder in Landschaftsschutz, Um- weltpflege und Trachtenwesen erschlossen und der SHHB konnte bis zu 50.000 Mitglieder ver- sammeln. Seit Anfang der 1990er Jahre gab der Heimatbund seine enge politische Anbindung an die Landes-CDU ebenso wie die hierarchischen Struktu- ren auf und wandelte sich zu einem modernen, über- parteilichen und pluralistischen Verband. 2 URL: <http://www.shtag.de/contentpix/Ge- schichte.pdf> [10.05.2009]. 3 Tobias Hermann/Karl Heinrich Pohl (Hrsg.), Flücht- linge in Schleswig-Holstein nach 1945. Zwischen Aus- grenzung und Integration, Bielefeld 1999; Karl Hein- rich Pohl (Hrsg.), Regionalgeschichte heute. Das Flücht- lingsproblem in Schleswig-Holstein nach 1945, Bielefeld 1997. 4 URL: http://www.vimu.info/general_04.jsp?id= mod_14_6&lang=de&u=general&flash=true&s= 91F7CC568D856BED6AD20BDCB4F7C3F4 [10.05.2009]. 5 Diesen Begriff benutzte und popularisierte nicht zuletzt der erste gewählte Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, Hermann Lüdemann (SPD), der sich auch vehement – und nicht als letzter – für die Überführung des Landes in einen größeren Nordstaat stark gemacht hatte. Vgl. Rolf Fischer, Herman Lüdemann und die deutsche Demokratie, Neumünster 2006, S. 162. 6 Robert Bohn/UweDanker, Schleswig-Holstein. Geschichte auf den Punkt gebracht, Neumünster 2008, S. 165. Knud Andresen: Die Erfindung des Schleswig- Holstein-Tages Knud Andresen Die Erfindung des Schleswig-Holstein-Tages 381

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In Schleswig-Holstein kennt man den von ei-nem aus vielen überregionalen Verbänden ge-tragenen Kuratorium an wechselnden Orten imLand ausgerichteten Schleswig-Holstein-Tagseit 1978 als Volksfest – in der letzten Zeit un-ter aufreizend beliebigen Motti wie „Fit für dieZukunft“, „Schleswig-Holstein maritim“ oder

„So bunt wie das Land“. Seit der Entstehung des Schleswig-Hol-stein-Tages nimmt der Schleswig-Holsteinische Heimatbund(SHHB)1 die Geschäftsführung des Landeskuratoriums wahr. Lautdessen Darstellung wurde das Projekt seinerzeit „von der Landesre-gierung auf Anregung des Schleswig-Holsteinischen Heimatbundesins Leben gerufen“, und zwar mit der explizit politischen Zielset-zung, „die Beziehung der Menschen zu Schleswig-Holstein zustärken und den Gemeinsinn und das Zusammenleben von Alt-und Neubürgern zu fördern“ und somit „dem Landesbewusstsein“zu dienen.2

Diese Begründung verweist auf ein objektives Problem:Schleswig-Holstein hatte nach dem Zweiten Weltkrieg plötzlichmit einer immensen Zuwanderung durch die Vertriebenen umge-hen müssen, die nicht nur zu außerordentlichen sozialen Belas-tungen, sondern auch zu starken Überfremdungsängsten undRessentiments unter vielen Einheimischen geführt hatte.3 Ob-gleich das bald gegründete Land sich im Unterschied zu ande-ren Territorien der Bundesrepublik wie beispielsweise Nieder-sachsen auf eine lange Tradition zu berufen wusste, zeichnetees sich auch Dekaden später noch durch eine daraus resultie-rende soziale Heterogenität aus. Nach Einschätzung des Lan-desverbandes der vertriebenen Deutschen stellten die Vertrie-benen 1969 immerhin noch ein Drittel der Bevölkerung.4 Erstdie Konstruktion der verbindenden Klammer eines Landes-bewusstseins versprach somit, die Schleswig-Holsteinerauch mental zu integrieren und den von nicht Wenigen ge-teilten Eindruck des nicht lebensfähigen „Armenhauses“der Bundesrepublik abzuschütteln.5

Vor diesem Hintergrund zeichnet dieser Beitrag dieEntstehung und Funktionalisierung des Schleswig-Hol-stein-Tages nach. Wer waren die Akteure, was ihre Inten-tionen, wie die Umstände, die mit dem Schleswig-Hol-stein-Tag eine Institution zur Verbreitung eines solchenLandesbewusstseins schufen, die zudem offensichtlich sostark im Gegensatz zu der Veranstaltung gleichen Na-mens unserer Tage steht ?

Die Gründung des Schleswig-Holstein-Tages und ihre Umstände.Richten wir unseren Blick also auf die Situation in den1970er Jahren. In dieser Zeit verschoben sich die politi-schen Machtverhältnisse zuungunsten der seit 1950 re-gierenden CDU.6 Ihr Aufstieg und ihre Vorherrschaft

1 Der SHHB wurde am 15. Januar 1947 alsDachverband der Heimatvereine Schleswig-Holsteins gegründet und engagierte sich inerster Linie im deutsch-dänischen Kultur-kampf um das Grenzland. Nachdem sich dieSituation Ende der 1950er Jahre zunehmendberuhigte, verlagerte sich der Schwerpunktmehr und mehr auf die Stiftung einer schleswig-holsteinischen Landesidentität unter konservati-vem Vorzeichen. Seit Mitte der 1970er wurdenweitere Arbeitsfelder in Landschaftsschutz, Um-weltpflege und Trachtenwesen erschlossen undder SHHB konnte bis zu 50.000 Mitglieder ver-sammeln. Seit Anfang der 1990er Jahre gab derHeimatbund seine enge politische Anbindung an dieLandes-CDU ebenso wie die hierarchischen Struktu-ren auf und wandelte sich zu einem modernen, über-parteilichen und pluralistischen Verband.2 URL: <http://www.shtag.de/contentpix/Ge-schichte.pdf> [10.05.2009].3 Tobias Hermann/Karl Heinrich Pohl (Hrsg.), Flücht-linge in Schleswig-Holstein nach 1945. Zwischen Aus-grenzung und Integration, Bielefeld 1999; Karl Hein-rich Pohl (Hrsg.), Regionalgeschichte heute. Das Flücht-lingsproblem in Schleswig-Holstein nach 1945, Bielefeld1997.4 URL: http://www.vimu.info/general_04.jsp?id=mod_14_6&lang=de&u=general&flash=true&s=91F7CC568D856BED6AD20BDCB4F7C3F4[10.05.2009].5 Diesen Begriff benutzte und popularisierte nicht zuletztder erste gewählte Ministerpräsident Schleswig-Holsteins,Hermann Lüdemann (SPD), der sich auch vehement – undnicht als letzter – für die Überführung des Landes in einengrößeren Nordstaat stark gemacht hatte. Vgl. Rolf Fischer,Herman Lüdemann und die deutsche Demokratie, Neumünster2006, S. 162.6 Robert Bohn/UweDanker, Schleswig-Holstein. Geschichte aufden Punkt gebracht, Neumünster 2008, S. 165.

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hatten auf der Selbstdarstellung als unideologische „schleswig-holsteinische Landespartei“ (Heinz Josef Varain) beruht, die einbreites Integrationsangebot machte.7 Allmählich geriet dieserStatus jedoch durch eine zunehmende Differenzierung der Ge-sellschaft in Gefahr. Verantwortlich dafür war der Gegensatzzwischen den beiden großen Parteien. Seit der sozial-liberalenWende des Jahres 1969 in Bonn zeichnete sich eine höhereWechselbereitschaft schleswig-holsteinischer Wähler ab, wo-durch die SPD immer näher zur CDU aufschließen konnte. Zwarerreichten die Christdemokraten im Land seit 1971 die absoluteMehrheit, aber die SPD erreichte immer auch Ergebnisse über40 Prozent. Und dadurch, dass die FDP 1975 wieder in denLandtag einzog, verfügte Ministerpräsident Gerhard Stoltenbergschließlich nur noch über eine fragile Mehrheit von einer Stim-me.8 Es kam deshalb zu einer extremen Polarisierung zwischenden beiden großen Parteien, um die Wähler zu binden. So wurdedie Landes-SPD zum linken Flügel in der Bundespartei, woge-gen die CDU zum traditionalistischen Flügel der Union zu rech-nen war.9 Deutlich wurde diese Positionierung insbesondere ander scharfen Ablehnung der Ostpolitik von Bundeskanzler WillyBrandt, weil die Konservativen sich das große Potenzial der ehe-maligen Vertriebenen in Schleswig-Holstein sichern wollten.10

Ein geschlossenes konservatives Milieu war nicht mehr gege-ben. Im Gegenteil war „die Bindekraft des politischen Vorfel-des“ geschwunden, die zuvor erfolgreich die verschiedenen In-teressen hatte vermitteln können.11 Außerhalb des Parlamentstraten neue Akteure auf den Plan, Bürgerinitiativen trugen stritti-ge Themen in die Öffentlichkeit. In Schleswig-Holstein kam esspeziell um den von Stoltenberg selbst protegierten Bau desAKW Brokdorf seit 1974 zu hart ausgetragenen Konflikten.12

Aus diesen Bewegungen gingen schließlich die Grünen hervor,die in Schleswig-Holstein 1978 ihre ersten Erfolge bei den Kom-munalwahlen erzielten.13

Als Mitte der 1970er Jahre dieser Kampf zwischen Links undRechts entfacht wurde, wuchs auch die Bedeutung der Geschich-te für politische Argumentationslinien und es kam zu erbittertgeführten Geschichtsdebatten. Von links mussten sich alte Werteund Strukturen in der Folge einer kritischen Prüfung unterziehenlassen, alte Identifikationsmuster schienen hinfällig zu werden,viele Geschichtsbilder, die der Stiftung kollektiver Identitätdienten, wurden in Frage gestellt.14 Das konservative Lagerbrachte gegen diese Angriffe seinerseits die These von der deut-schen Identitätskrise hervor, die nur durch eine Rückbesinnungauf ein vorgeblich unpolitisches Geschichtsbewusstsein bestan-den werden könne. Dieses Konzept zielte darauf, die Gesell-schaft durch ein Geschichtsbild unter konservativem Vorzeichenzu einer Gemeinschaft zu formieren.15 Analog war es Minister-präsident Stoltenbergs bestimmendes Anliegen, den Menschenin Schleswig-Holstein ein „Wir-Gefühl“ zu vermitteln und da-

7 Heinz Josef Varain, Parteien und Verbände.Eine Studie über ihren Aufbau, ihre Verflech-tung und ihr Wirken in Schleswig-Holstein1945-1958, Köln/Opladen 1964.8 Uwe Danker, Die Jahrhundert-Story, Bd. 2,Flensburg 1999, S. 228f., S. 234.9 Ulrich Lange (Hrsg.), Geschichte Schleswig-Holsteins. Von den Anfängen bis zur Gegen-wart, 2. Aufl., Neumünster 2003, S. 743-749.10 Klaus Rehbein, Die westdeutscheOder/Neiße-Debatte. Hintergründe, Prozessund das Ende des Bonner Tabus, Berlin 2006,S. 107.11 Frank Bösch, Die CDU. Weltanschaulicheund organisatorische Grundlagen einer Samm-lungspartei, in: Burkhard Jellonnek/BerndRauls/Marie-Luise Recker (Hrsg.), Bilanz. 50Jahre Bundesrepublik, St. Ingbert 2001, S. 83-109, hier S. 106.12 Als 1976 gewalttätige Ausschreitungen aufdem Baugelände stattfanden, machte die Re-gierung kommunistische Aufrührer verantwort-lich, die die AKW-Gegner unterwandert hätten.In der Folge wurde der Baugrund durch Gräbenund Zäune sowie Wasserwerfer in eine Festungverwandelt. Auf der anderen Seite demonstrier-ten schließlich 25.000 Gegner des AKW. Auchaufgrund von Auseinandersetzungen vor Gerichtkonnte mit dem Bau erst 1981 fortgefahrenwerden. Vgl. Peter Borowsky, Deutschland1969-1982, 2. Aufl., Hannover 1989, S. 141-145.13 Hermann Glaser, Deutsche Kultur 1945-2000, 2. Aufl., München 1999, S. 474.14 Jörg-Dieter Gauger/Manfred Kittel (Hrsg.),Die Vertreibung der Deutschen aus dem Ostenin der Erinnerungskultur, St. Augustin 2004;Kurt Sontheimer/Wilhelm Bleek, Grundzügedes politischen Systems der BundesrepublikDeutschland, 11. Aufl., München 1999,S. 188ff.15 Edgar Wolfrum, Der Nationalsozialismus imöffentlichen Bewusstsein der BundesrepublikDeutschland. Kulturen der Vergangenheitsauf-arbeitung 1949-1999, in:Jellonnek/Rauls/Recker, Bilanz (wie Anm.11), S. 221-237, hier S. 229ff.

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durch „Klassen- und Gruppenhass“ zu überdecken.16 Als Grundlagebot sich die schleswig-holsteinische Landesgeschichte an. Der Kiel-er Landeshistoriker Kurt Jürgensen hatte bereits 1976 vom „ge-schichtsbewussten Bürger von heute“ gefordert, das Land Schles-wig-Holstein in seiner gegenwärtigen Form als Fluchtpunkt der Ge-schichtsdeutung anzusetzen.17

Es dauerte nicht lange, bis in der CDU das herausragende Poten-zial des – in erster Linie über die Landesgeschichte definierten –Heimatbegriffs für die Sicherung der Macht erkannt wurde. In ei-nem Brief legte der Ostholsteiner Kreispräsident Ernst-GüntherPrühs Anfang 1977 Ministerpräsident Stoltenberg folgende Überle-gung ans Herz: „Die vergangenen Wahlkämpfe, aber auch meinetäglichen Begegnungen mit Bürgern und Organisationen des Krei-ses, zeigen, dass sich die Bevölkerung stark vom Heimatgedankenansprechen lässt. Die CDU muss erreichen, dass sie als „die Parteider Heimat“ in Schleswig-Holstein angesehen und empfundenwird.“ Prühs schlug des Weiteren vor, eine Schleswig-Holstein-Me-daille zu stiften, um Persönlichkeiten, die sich im regionalen Rah-men um den „Heimatgedanken, aber auch charakterliche Tugendenwie „Kameradschaft, Treue, Hilfsbereitschaft“ und „Bildungsarbeit“verdient gemacht hatten, auszuzeichnen.18

Für die Umsetzung brachte sich der eingangs erwähnte SHHBkurz darauf gegenüber Stoltenberg mit einem Schreiben in Vor-schlag.19 Schon 1975 war es zu einer Zusammenarbeit gekommen,als der Heimatbund ein großes Schleswig-Holsteiner-Treffen inMolfsee ausgerichtet hatte, auf dem man der deutschen Minderheitin Nordschleswig, den Vertriebenen, vor allem aber Ministerpräsi-dent Stoltenberg, Gelegenheit gegeben hatte, sich zu präsentieren.20

Der Verband hatte Stoltenberg damit ein Forum geboten, um übereine vorgeblich unpolitische Folie breite Kreise erreichen zu kön-nen. Zudem darf man einen kurzen Dienstweg zwischen dem Mini-sterpräsidenten und dem Vorsitzenden des SHHB, Werner Schmidt,annehmen; letzterer, der vormalige Amtschef des Sozial- und danndes Innenministeriums des Landes, war erst wenige Jahre zuvor inden Ruhestand gewechselt.21 Tatsächlich konstatierte er in seinemHalbzeitbericht vor dem Landtag, dass das Landesbewusstsein einerengen Bindung der Menschen an das Land und der Zusammen-gehörigkeit der Schleswig-Holsteiner Vorschub leiste. Er hob spezi-ell den SHHB hervor, der die Heimatbewegung trage und dafür sor-ge, „die Eigenart des Landes aufgrund geschichtlicher und kulturel-ler Überlieferung zu bewahren und fortzuentwickeln“.22

Von der Staatskanzlei wurden diese Überlegungen fortgeführtund ausgebaut. Man plante dort nach dem Muster des Schleswig-Holsteiner-Treffens des Heimatbundes von 1975 einen jährlichenSchleswig-Holstein-Tag auszurichten, um das Heimatbewusstseinzu fördern und „dem wiedererwachten Interesse an Tradition entge-genzukommen“. Tatsächlich war diese Vorgabe jedoch nur schwer-lich umzusetzen: Einerseits sollte eine schleswig-holsteinische Tra-dition beschworen werden, andererseits galt es zugleich, der hetero-

16 Gerhard Stoltenberg, Neue Aufgabender Politik in Land und Bund. Rede vordem 23. Landesparteitag der CDU am 19.und 20. November 1971 in Husum, hg.vom CDU-Landesverband Schleswig-Hol-stein, Kiel 1971; ders., Erinnerungen undEntwicklungen. Deutsche Zeitgeschichte1945-1999, Flensburg 1999, S. 15.17 Kurt Jürgensen, Die Gründung des Lan-des Schleswig-Holstein im heutigen Ge-schichtsbewusstsein, in: ZSHG 101(1976), S. 309-319.18 Kreispräsident Prühs an Ministerpräsi-dent Stoltenberg, 20.1.1977, Landesar-chiv Schleswig-Holstein (LAS), 605.6038,Schleswig-Holstein-Tag, Allgemeines 1977-1987.19 Anlage zum Protokoll an Ministerpräsi-dent Stoltenberg, 3.5.1977, LAS,422.17.18, Vorstandssitzungsprotokolleund Einladungen 1959, 1961, 1964,1974-1979.20 Vgl. LAS, 422.17.952, Schleswig-Hol-steiner-Treffen in Molfsee 1975-1976.21 Vgl. Schleswig-Holsteinisches Freilicht-museum (Hrsg.), Werner Schmidt in Me-moriam, Kiel 1991.22 Protokoll vom 4.5.1977, LAS,422.17.18, Vorstandssitzungsprotokolleund Einladungen 1959, 1961, 1964,1974-1979.

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genen Bevölkerung – also unterschiedlichen sozialen Gedächtnissenund entsprechenden Erinnerungskulturen – gerecht zu werden. Manwar sich in der Staatskanzlei durchaus bewusst, dass ein „geeignetergeschichtlicher Hintergrund aus der Zeit vor 1945 schwer zu findensein dürfte“:23 Die seinerzeit populären Erinnerungsorte des Landesbezogen sich samt und sonders auf den früheren deutsch-dänischenGegensatz.24 Man musste davon ausgehen, dass Vertriebene ausPommern beispielsweise mit dem Leitspruch „up ewig ungedeelt“,der im Zuge des Kulturkampfes im deutsch-dänischen Grenzland indas kulturelle Gedächtnis der Einheimischen eingeschrieben wordenwar, wohl kaum etwas verbinden konnten. Auch kamen die zu inte-grierenden Vertriebenen schließlich nicht darin vor. Aus der Zeitnach 1945 fand man in der Staatskanzlei jedoch nur zwei Daten: diestaatsrechtliche Bestimmung zum selbstständigen Land durch diebritische Militärregierung vom 23. August 1946 und den Zusam-mentritt des ersten gewählten Landtages am 8. Mai 1947. Doch bei-de Ereignisse schätzte man ohne ein rundes Jubiläum als Bezug fürdas Landes- und Geschichtsverständnis der Bevölkerung als zu un-bedeutend ein. Es fehlte demnach paradoxerweise ein belastbarerVergangenheitsbezug, um das gerade historisch fundierte Landesbe-wusstsein zu begründen. Als Lösung dieser Misere wurde eine fragi-le Konstruktion ersonnen: „Denkbar wäre es indessen, dass versuchtwürde, von dem festgelegten Termin ausgehend, rückblickend einegrößere Anzahl von – wenn auch weniger wichtigen, so doch in zeit-licher Beziehung stimmigen – Begebenheiten aufzuspüren, die aufder Linie des mit dem Fest beabsichtigten Zwecks liegen und die ineiner aus diesem Anlass herauszugebenden Denkschrift zusammen-gestellt werden könnten.“

Diese Begebenheiten sollten ein positives Bild des gegenwärti-gen Schleswig-Holsteins stützen, in „der Verbundenheit mit Land,Geschichte und Heimat, die Vielfalt aufzeigen, die besondere Rolleder Vertriebenen würdigen und den Modellfall der Minderheitenre-gelungen herausstellen“ und so die Identifikation der Bevölkerungmit dem Land befördern. Zudem sollten im Rahmen des Schleswig-Holstein-Tages die Auszeichnungen von Personen und Gruppen,„die sich um das Land oder die Heimatpflege besonders verdient ge-macht haben“, wie von Kreispräsident Prühs vorgeschlagen, in nochzu klärender Form vorgenommen werden. Da eine direkte Organisa-tion der Veranstaltung durch die Landesregierung die politischeZielsetzung allzu offensichtlich hätte werden lassen, sah die Staats-kanzlei den SHHB als den passenden Partner an, der auch die Initia-tive zur Einrichtung ergreifen sollte. „Eingeführt wird der Schles-wig-Holstein-Tag durch eine Erklärung der Landesregierung. (…)Als wünschenswert würde es weiter erscheinen, wenn die Erklärungauf eine entsprechende Anregung des Schleswig-HolsteinischenHeimatbundes Bezug nehmen könnte.“25

In zweierlei Hinsicht war dieser Entwurf der Staatskanzlei kon-stitutiv für das im Folgenden schnell Bedeutung erlangende Konzeptdes Landesbewusstseins sowie das zu seiner Verbreitung ersonnene

23 Vermerk Staatskanzlei (StK) 100,27.6. und 14.7.1977, LAS, 605.6038,Schleswig-Holstein-Tag, Allgemeines 1977-1987.24 Carsten Fleischhauer/Guntram Turkow-ski (Hrsg.), Schleswig-Holsteinische Erin-nerungsorte, Schleswig 2006; Bea Lundt(Hrsg.), Nordlichter. Geschichtsbewusst-sein und Geschichtsmythen nördlich derElbe, Köln, Weimar, Wien 2004.25 Vermerk StK 100, 27. 6. und14.7.1977, LAS, 605.6038, Schleswig-Holstein-Tag, Allgemeines 1977-1987.

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Vehikel des Schleswig-Holstein-Tages. Zum einen wurden drei Er-zählstränge, die gemeinsam eine identitätsstiftende Wirkung für dieheterogene Bevölkerung entfalten sollten, benannt: die GeschichteSchleswig-Holsteins vor dem Krieg, die eine lange Traditionsliniedes Landes belegen sollte, die Integration der Vertriebenen und dergemeinsame Aufbau Schleswig-Holsteins. Zum anderen trug dieStaatskanzlei dem Heimatbund die entscheidende Rolle als Akteurzu, um die politische Zielsetzung unter einem kulturellen Deckman-tel zu verbergen und außerhalb des Regierungsapparates aufzubau-en.

Wiederum war die SHHB-Spitze offensichtlich gut vernetzt. Be-reits eine Woche, nachdem die Staatskanzlei das Papier intern vorge-legt hatte, eröffnete der Vorsitzende, ohne Bezug auf eine etwaigeVorlage zu nehmen, gegenüber dem Vorstand den Plan, durch dieDurchführung eines alljährlichen Schleswig-Holstein-Tages nachdem Muster von 1975 das „Landesbewusstsein zu heben“. Hierzusollte der Heimatbund die Initiative übernehmen und weitere Ver-bände einbinden.26

In dem Maße, in dem der Heimatbund sich für die Förderung desLandesbewusstseins einsetzte, erhielt der Verband Mittel aus demLandeshaushalt. Von nun an trug die Landesregierung den Verbandpraktisch allein und unmittelbar.27 Mit dem Wegfall der finanziellenFörderung der Grenzverbände durch den Bund für 1978 wurde beimKultusministerium ein neuer Titel „Volkstumsarbeit des SHHB“ an-gelegt, der mehr als eine bloße Verlagerung der Kontoverbindungbedeutete. Nachdem der Bund dem Verband 1977 60 000 DM unddas Land 100 000 DM überwiesen hatte, trug Schleswig-Holstein1978 allein 255 000 DM.28 Stoltenberg persönlich hatte auf der Ka-binettssitzung vom 5. Juli 1977 eine stattliche Steigerung der Zuwei-sungen an den SHHB um 37 Prozent vorgeschlagen.29 Dem Vorstanderklärte der Vorsitzende, dass die Landesregierung für die erheblichsteigende Zuweisungen vom SHHB erwartete, das „Landesbewusst-sein zu heben“.30 Und im Oktober 1977 bat Ministerpräsident Stol-tenberg Vertreter des Heimatbundes zu einem Gespräch über dieseZielsetzung.31 Eine symbiotische Beziehung zwischen dem neuenalleinigen Finanzier und dem breit verankerten Kulturverband zurSicherung der konservativen Deutungshoheit mittels des Landesbe-wusstseins war geknüpft.

Der erste Schleswig-Holstein-Tag 1978. Zeitgleich liefen im SHHB undder Staatskanzlei die Planungen für den ersten Schleswig-Holstein-Tag 1978 an.32 Dabei orientierte sich der Heimatbund durchaus anVorbildern in der Bundesrepublik wie zum Beispiel dem Hessen-Tag.33 Das Ergebnis spricht jedoch dafür, dass vor allen Dingen dieErfahrungen des Schleswig-Holstein-Treffens von 1975 und dieoben vorgestellten Überlegungen der Staatskanzlei Eingang in diekonkreten Vorbereitungen fanden. Eine Art Probelauf im kleinerenRahmen hatten die beteiligten Seiten zudem 1977 zur 750 Jahr-Feierder Schlacht von Bornhöved absolvieren können. Unter der Schirm-

26 Protokoll vom 22.7.1977, LAS,422.17.18, Vorstandssitzungsprotokolleund Einladungen 1959, 1961, 1964,1974-1979.27 Ursprünglich war der Heimatbund alsGrenzverein in erster Linie von den Grenz-mitteln des Bundes finanziert worden. Vordem Hintergrund der positiven Entwicklungin den deutsch-dänischen Beziehungen unddes Sparzwangs verlor der Bund das Inter-esse an der finanzintensiven Förderung derGrenzverbände.28 Vermerk StK, 4.6.1982, LAS,605.5667, SHHB 1976-1985.29 Vermerk StK 160, 28.12.1982, LAS,605.6256, SHHB 1977-1985.30 Protokoll vom 8.8.1977, LAS,422.17.18, Vorstandssitzungsprotokolleund Einladungen 1959, 1961, 1964,1974-1979.31 Protokoll vom 1.10.1977, LAS,422.17.18, Vorstandssitzungsprotokolleund Einladungen 1959, 1961, 1964,1974-1979.32 Protokoll vom 8.8.1977, LAS,422.17.18, Vorstandssitzungsprotokolleund Einladungen 1959, 1961, 1964,1974-1979.33 Werner Schmidt an Gerhard Seib,22.8.1977, LAS, 422.17.445, Schrift-wechsel des Vorsitzenden Dr. WernerSchmidt mit Außenstehenden 1974-1981.

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herrschaft des Ministerpräsidenten und gefördert vom Kultusmini-sterium hatte der SHHB eine zentrale Feierstunde für Heimat undVolkstum ausgerichtet – mit angeschlossenem Jugendtreffen derFolkloregruppen des Verbandes, einer Ausstellung, einem Jahr-markt, einer Reiterveranstaltung und einem Spielmannszug, wobeider Sonntag dezidiert als „Schleswig-Holstein-Tag“ begangen wor-den war.34

Aufbauend auf diesen Erfahrungen, legte der verbandsinterneVorbereitungsausschuss im März 1978 die Grobplanung vor. Da-nach sollte die Festveranstaltung mit allen Programmpunkten in di-rekter Nachbarschaft zur Idstedt-Halle stattfinden, deren Wieder-eröffnung der Höhepunkt des Fests war. Um den unideologischenEvent-Charakter herauszustreichen, wurde zudem ein großes Ring-reiterturnier mit zirka 200 Teilnehmern angesetzt. Dass man mit re-gem Besuch rechnete, macht die Tatsache deutlich, dass ein Festzeltfür eintausend Personen bestellt worden war. Das Gelände sollte mitden Fahnen der Bundesrepublik Deutschland und von Schleswig-Holstein geschmückt werden. Auf dem Festplatz waren zudem Fah-nen der Patenländer Mecklenburg und Pommern zu setzen, um dieIntegration der Vertriebenen deutlich zu machen. Analog zumSchleswig-Holstein-Treffen wurde das Fest ebenfalls wieder auf denTag der Heimat gelegt und mit den Vertriebenen gemeinsam began-gen. So sollte gewährleistet werden, dass der Schleswig-Holstein-Tag als Veranstaltung nicht in Konkurrenz zu eingeführten regiona-len Festen treten, stattdessen das Land einmal im Jahr unter einengemeinsamen Leitgedanken versammeln und dadurch das Heimat-bewusstsein zu einem Landesbewusstsein erweitern würde.35

In der Staatskanzlei revidierte man unterdessen im Interesse desgemeinsamen Projekts „Landesbewusstsein“ die früheren Einwändegegen eine Schleswig-Holstein-Medaille und bezog den SHHB indie Umsetzung mit ein.36 Am 23. Mai stiftete der Ministerpräsidentdie Ehrung für „hervorragende Verdienste um die Heimat“. Der ent-sprechende Erlass verstand darunter die Stärkung des Heimat- undLandesbewusstseins, die Festigung des Zusammengehörigkeitsge-fühls von Einheimischen und Vertriebenen, die Darstellung derschleswig-holsteinischen Geschichte, die Förderung der Landesent-wicklung, des Naturschutzes und der Volkskunst wie des Sports.37

Schließlich berief Stoltenberg zur jährlichen Vorbereitung undDurchführung des Schleswig-Holstein-Tages sowie für die Auswahlder mit der Medaille zu Ehrenden am 21. Juni 1978 das „Landesku-ratorium Schleswig-Holstein-Tag“, das aus über dreißig landesweittätigen Verbänden bestand. In einer Pressemitteilung versuchte dieStaatskanzlei durch diese Organisationsform den Eindruck zu er-wecken, das Land in seiner Vielfalt und von der Landesregierungpolitisch unabhängig wiederzugeben. Dazu wurden die Rollen vonLandesregierung und SHHB geschickt dargestellt, angeblich sei dieInitiative allein vom Heimatbund ausgegangen. Auch suggeriertedie Staatskanzlei eine breite, die Bevölkerung repräsentierende Trä-gerschaft. Tatsächlich übernahm jedoch der SHHB die Geschäfts-

34 Lotte Fritsch, Im Geiste europäischerVerständigung. Bornhöved feiert vom 21.bis zum 24. Juli, in: Schleswig-Holstein 7(1977), S. 152; Tausend waren in Born-höved dabei, in: Schleswig-Holstein 9(1977).35 Tischvorlage zur Vorstandsitzung vom17.3.1978, LAS, 422.17.18, Vorstands-sitzungsprotokolle und Einladungen 1959,1961, 1964, 1974-1979; WernerSchmidt, Schleswig-Holstein-Tag, in:Schleswig-Holstein 5 (1978), S. 1.36 Vermerk StK 210, 10.2.1978, LAS,605.6038, Schleswig-Holstein-Tag, Allge-meines 1977-1987.37 Erlass des Ministerpräsidenten vom23. Mai 1978, in: Amtsblatt für Schles-wig-Holstein (25) 1978.

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führung des Kuratoriums und sein Vorsitzender Schmidt auf Vor-schlag Stoltenbergs auch in diesem Gremium den Vorsitz. Damithielt der Verband die Fäden in der Hand, um eine Ausrichtung in Ab-sprache mit der Landesregierung zu gewährleisten.38 Die Pläne fürden ersten Schleswig-Holstein-Tag hatte der SHHB schließlich be-reits seit März in der Schublade.

Die Einbindung des Erinnerungsortes Idstedt. Im Zentrum des Projektes lagdie Wiedereröffnung der Idstedt-Halle, deren Umbau der SHHBwiederum mit Landesmitteln seit 1975 vorantrieb. Das Gebäude war1930 neugebaut worden, um die ältere Sammlung und Ausstellungaufzunehmen, die zuvor in einer notdürftigen Kammer unterge-bracht gewesen war.39 Mittlerweile war der Zustand der Anlage je-doch arg heruntergekommen. Und auch die vermittelten Inhaltepassten aufgrund ihrer Orientierung am deutsch-dänischen Gegen-satz nicht mehr in die Zeit. Weil der Idstedt-Ausschuss als Träger derEinrichtung dem SHHB seit 1969 als Mitglied angehörte, hatte derHeimatbund Kenntnis von den Plänen erhalten, die Halle zu reno-vieren und neu zugestalten. Schmidt hatte das geschichtspolitischePotenzial von Idstedt als institutionalisiertem Erinnerungsort er-kannt und die Kontrolle an sich gezogen. Er hatte angeregt, die „au-genblicklichen Chancen“ der „Nostalgiewelle“ zu nutzen, Land,Kreis, Stadt, Amt, Gemeinden, SHHB, Bundeswehrverband undSoldatenbund sowie den Bund an einer Stiftung „Stammkomitee Id-stedt“ zu beteiligen, um so eine Sanierung von Halle und Ausstel-lung zu ermöglichen.40 Dabei gelang es Schmidt auch namhafte Lan-deshistoriker von dem Vorhaben zu überzeugen.41

Obgleich „Flensborg Avis“ gefordert hatte, bei der Neukonzepti-on die dänische Seite zu beteiligen, sorgte Schmidt dafür, dass dieModernisierung der Ausstellung der Führung von Gert Stolz oblag,seines Zeichens bei der Staatskanzlei angestellt, und keine däni-schen Wissenschaftler beteiligt wurden.42 Basierend auf der Vorgabedes SHHB, die Idstedt-Halle als „wichtigen Ansatz für die Entwick-lung des Selbstbewusstseins der Schleswig-Holsteiner“ zu erhalten,entwickelte ein Arbeitskreis das neue Konzept. Zentral war das In-teresse, breite Kreise zu erreichen und dafür didaktische Überlegun-gen einfließen zu lassen, um trotz der kleinen Ausstellungsfläche„das Bewusstsein einer deutschen Zusammengehörigkeit und derEinheit Deutschlands“ zu fördern sowie der „gemeinsamen Ge-schichte mit Dänemark“ gerecht zu werden.43 Es fand eine Umwer-tung statt: Idstedt sollte nicht mehr als Symbol des nach der Nieder-lage am Ende doch erfolgreichen Kampfes der Schleswig-Holsteinergegen Dänemark verstanden werden, sondern nun analog die Hoff-nung auf die Rückkehr der deutschen Ostgebiete, die durch die Ost-politik der sozialliberalen Koalition getrübt worden war, wieder be-stärken. Nach dieser Deutung hätten die Schleswig-Holsteiner durchdie Schlacht von Idstedt ihren Willen zur Einheit der Herzogtümerdemonstriert, der die Vorbedingung für die in späterer Zeit folgendeEingliederung in das Deutsche Reich gewesen sei. Dazu beeilten

38 Auch die folgenden Sitzungen des Ku-ratoriums zeigten, dass der SHHB die wirk-liche Leitung des Kuratoriums innehatteund de facto nicht primus inter pares war.Pressemitteilung des Ministerpräsidenten,21.6.1978, LAS, 605.6037, Schleswig-Holstein-Tag, Allgemeines 1978-1984;Vermerk StK 210 v. 12.7.1978 über diekonstituierende Sitzung des Landeskurato-riums Schleswig-Holstein-Tag am 21. Juni1978.39 Matthias Schartl, Idstedt. Erinnerungs-ort gemeinsamer deutsch-dänischer Ge-schichte. 1. Teil: Gebäude und Ausstellun-gen bis 1945, in: Grenzfriedenshefte(GFH) 4 (2005), S. 289-300, 2. Teil: Von1945 bis zur neuen Ausstellung 2005, in:GFH 1 (2006), S. 29-47.40 Jahresbericht 1969, LAS,422.17.458, Jahrestagung 1969 in Wykund 1970 in Eutin; Dr. Christiansen an denIdstedt-Ausschuss, 13.3.1974, LAS,422.17.768, Idstedt-Stiftung: TechnischerAuschuss für die Arbeiten an der Idstedt-Halle 1976-1979; Protokoll vom18.6.1975, Protokollentwurf für die ge-meinsame Sitzung von Idstedt-Ausschuss,SHHB, Soldatenbund und Landrat,18.11.1975, LAS, 422.17.18, Vorstands-sitzungsprotokolle und Einladungen 1959,1961, 1964, 1974-79; Schartl, Idstedt,2. Teil (wie Anm. 39).41 Schleswig-Holstein. Heute: Stiftung fürdie Idstedt-Halle, in: Schleswig-Holstein 9(1977).42 Flensborg Avis, 7. Februar 1977; Pro-tokoll vom 22.7.1977, LAS, 422.17.18,Vorstandssitzungsprotokolle und Einladun-gen 1959, 1961, 1964, 1974-1979.43 Neukonzeption der Idstedt-Halle, un-datiert, LAS, 422.17.771, Idstedt-Stif-tung.

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sich die Autoren herauszustellen, dass die damalige Armee vom„ganzen Volk“ getragen gewesen sei, Freiwillige aus ganz Deutsch-land hätten für eine „gesamtdeutsche Komponente“ gesorgt.44

Am 25. Juli 1978, dem 128. Jahrestag der Schlacht, konnte dieErrichtung der Idstedt-Stiftung in Schleswig bekanntgegeben wer-den. Die umliegenden Gemeinden, Kyffhäuserbund45 und SHHB so-wie der Ministerpräsident brachten verschieden hohe Beträge alsStiftungskapital ein. Auch der Landrat und die Bürgermeister derGegend waren als Gründungsmitglieder gewonnen worden. Die Zu-sammenarbeit zwischen dem Heimatbund und MinisterpräsidentStoltenberg hatte ausgezeichnet funktioniert. Für das Stiftungskapi-tal hatte der Ministerpräsident eine Sonderförderung von 10 000 DMeingebracht. Des Weiteren gewährte er 15 000 DM für neue Fensterund 10 000 DM für die Sanierung des Daches der Idstedt-Halle zu.Als ein Kanonenrohr aus dem Kopenhagener Zeughaus als Dauer-leihgabe für die Idstedt-Halle gewonnen werden konnte, gab der Mi-nisterpräsident weitere 10 000 DM für den Nachbau einer Lafetteaus seinem Verfügungsfonds. Auch der Innenminister bewilligte50 000 DM für die Renovierung der Halle. Und der Kultusministerunterstützte mit 3000 DM die Beschaffung einer historischen Bild-karte. Neben der Landesregierung kam Unterstützung auch vonKreis, Amt und den tangierten Gemeinden. 1977 und 1978 gingenzusätzlich Spenden aus der Bevölkerung in Höhe von insgesamtüber 77.000 DM ein.46

In diversen Beiträgen machte der SHHB-Vorsitzende Schmidtdie Leser der Verbandszeitschrift „Schleswig-Holstein“ mit der Aus-deutung Idstedts vertraut. Dabei blieb der Nukleus der alten Konno-tation des Erinnerungsortes, das „Ausharren in fast aussichtsloserLage im Bewusstsein historischen und menschlichen Rechts“, beste-hen, wurde nun aber entsprechend für die Gegenwart fruchtbar ge-macht. In bewährter Manier deutete Schmidt zum einen die letzteSchlacht als unumgängliche Vorbedingung des seinerzeit bestim-menden Themas der deutsch-dänischen Annäherung, wodurch derüberkommene Erinnerungsort Idstedt im Rahmen der neuen Meis-tererzählung des „Modellfalls“ deutsch-dänischen Minderheiten-schutzes gleichsam als Traditionsverlängerung anschlussfähig wur-de. Zum anderen gewann Schmidt eine geschichtspolitische Argu-mentationsstrategie für die aktuelle politische Auseinandersetzungum die Ostpolitik der Bundesregierung: Demzufolge sei Idstedt ein„Lehrstück gesamtdeutscher Geschichte“. Diese Parallele stellteeine Handlungsaufforderung dar, eben auch in „aussichtsloser Lage“am „historischen und menschlichen Recht“ festzuhalten, um für dieZukunft die deutsche Wiedervereinigung zu ermöglichen. Idstedtwurde als „gesamtdeutsches Erlebnis“ und Vorwegnahme der deut-schen Einheit dargestellt.47

Der Schleswig-Holstein-Tag als Vermittlungsform. Wolfgang Kaschuba un-terscheidet „eigene Geschichte, Sprache, Religion oder entsprechen-

44 Thesenpapier Idstedt, undatiert, LAS,422.17.781, Idstedt-Stiftung, Berichteund Beiträge. Verkauf von Schriften. Son-stiges. 1978-1982. Die Entstehung dürfteaber im Frühjahr 1977 liegen, die erstma-lige Erwähnung findet sich im Protokoll derVorstandsitzung vom 4. Mai, vgl. Protokol-le vom 4.5.1977 und 17.3.1978, LAS,422.17.18, Vorstandssitzungsprotokolleund Einladungen 1959, 1961, 1964,1974-1979.45 Der Kyffhäuserbund etablierte sichzunächst unter der Bezeichnung „Deut-scher Kriegerbund“ als Dachverband derKriegervereine im 19. Jahrhundert undsetzte sich seit 1888 für den Bau desgleichnamigen Denkmals ein, das sich ab1900 auch im Namen niederschlug. ImKaiserreich wirkte der Bund gegen die So-zialdemokratie. Die Nationalsozialistenschalteten den Verband gleich. 1952 wur-de der Kyffhäuserbund wiederbegründetals Schießsportvereinigung und Interessen-vertretung von Reservisten.46 Innenminister an KreisausschussSchleswig-Flensburg, 14.4.1978, LAS,422.17.769, Idstedt-Stiftung, Baumaß-nahmen, Dauerleihgaben des Zeughausmu-seums in Kopenhagen 1977-1978; Minis-terpräsident Stoltenberg an WernerSchmidt, 22.3.1977, Verwendungsnach-weise vom 19.9.1977, 17.4.1978 und18.5.1978, LAS, 422.17.776, Idstedt-Stiftung, Förderung durch Ministerpräsi-dent und Kultusministerium 1977-1978;Amtlicher Anzeiger. Beilage zum Amtsblattfür Schleswig-Holstein, 32 (1978), LAS,422.17.777, Idstedt-Stiftung, Errichtungund Genehmigung (1974) 1978; WernerSchmidt an Titzck, 10.7.1978; Abrech-nung für Idstedt zum 31. Dezember 1978,LAS, 422.17.778, Idstedt-Stiftung. Betei-ligungen 1977-1979.47 Werner Schmidt, Idstedt 1978, in:Schleswig-Holstein 7 (1978), S. 1; ders.,Gedanken auf dem Schlachtfeld bei Id-stedt, in: Schleswig-Holstein 9 (1978),S. 14-16.

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de Werthorizonte“ als große, Alltagsbezogenes wie „Esskultur,Sport, Musik oder Witze“ dagegen als kleine Bausteine, die jedochbeide für die Bildung und Stabilisierung von Wir-Bildern verant-wortlich seien.48 Letztere sind dabei deutlich subtiler und sprechenMenschen direkt an. Kaschubas hilfreiche Unterscheidung lässt sicham vorliegenden Fall illustrieren. Um das große Narrativ „Idstedt-Halle“ als geschichtspolitisches Kernstück herum wurde der Schles-wig-Holstein-Tag als vorgeblich unideologisches Vehikel, von ei-nem vielseitigen Festprogramm gerahmt, für die Verbreitung desLandesbewusstseins konzipiert. Die Post gab einen spezifischenStempel zur Wiedereröffnung der Halle heraus. Neben den Ringrei-tern sorgten Fallschirmspringen und ein Tanzabend mit Folklore-Gruppen aus allen Teilen des Landes für Attraktionen. Die Erwach-senen versuchte man darüber hinaus durch verschiedene Gesprächs-kreise zu diversen kulturpolitischen Themen und eine Buchausstel-lung schleswig-holsteinischen Schrifttums einzubinden, für Jugend-liche wurden ein Zeltlager und ein Fußballturnier um den neugestif-teten Idstedt-Pokal, für die ganz Kleinen ein Kinderfest und Laterne-gehen angeboten.49 Und eine Fahnenbandverleihung durch Minister-präsident Stoltenberg an sieben Einheiten der Bundeswehr mitanschließendem großen Zapfenstreich vor Schloss Gottorf, die ge-zielt nicht das Kriegerische herausstellte, sondern die Hilfeleistun-gen der Bundeswehr in zivilen Notsituationen in den Vordergrundstellte, bezog auch das Militär in die Tradition des Landes ein.50 Innoch größerem Maßstab als bereits anlässlich des Schleswig-Hol-stein-Treffens in Molfsee wurde somit eine breite Ansprache der Be-völkerung vorgesehen, in der die Geschichtspolitik mit Kultur, Spielund Spaß verbunden und niedrigschwellig adressiert werden sollte.Alle Bestandteile überdachte das als „natürlich“ vermittelte, schles-wig-holsteinische Landesbewusstsein, mit einer durchgehenden Tra-dition seit dem Mittelalter als über den politischen Zeitläuften ste-hend verklärt, um eine konservative Formierung der Gesellschaft zuerreichen.

Zentrale Botschaft der Veranstaltung war die Vermittlung des ausdrei Erzählsträngen bestehenden Geschichtsbildes von Schleswig-Holstein, die bereits auf dem Schleswig-Holstein-Treffen 1975 ihrePremiere gehabt hatte. In seiner Rede vor den Festteilnehmern un-terstrich der Ministerpräsident die historischen Wurzeln, die Schles-wig-Holstein im Gegensatz zu anderen Bundesländern als „ge-schichtlich gewachsen“ und somit den Status quo gewissermaßenals natürlich erscheinen lassen sollten: „Jahrhundertelang wirkendehistorische Kräfte haben unser Land zur Einheit geformt.“ Der seitdem Krieg sozialstrukturell und kulturell vielfältigeren Bevölkerungder hier Geborenen, einst Vertriebenen und Wahl-Schleswig-Hol-steiner unterbreitete er das Integrationsangebot, gemeinsam stolzdarauf zu sein, aus dem „Armenhaus“ der Nachkriegszeit ein erfolg-reiches Land gemacht zu haben. Nach außen begründete er die Inte-grität des Landes durch seine distinktive Funktion als „Brücken-land“ in „europäischer Funktion“ nach Skandinavien. Entsprechend

48 Wolfgang Kaschuba, Deutsche Wir-Bil-der nach 1945. Ethnischer Patriotismus alskollektives Gedächtnis?, in: Jörg Baberow-ski/Hartmut Kaelble/Jürgen Schriewer(Hrsg.), Selbstbilder und Fremdbilder. Re-präsentation sozialer Ordnungen im Wan-del, Frankfurt am Main 2008, S. 295-331, hier S. 297.49 Der Nordschleswiger, 27.7.1978;Flensburger Tageblatt, 6.9.1978.50 Ausstellungstexte der Volkskunde überden SHHB, LAS, 422.17.982 Schriftwech-sel mit Vereinen Verbänden und Institutio-nen.

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Der Schleswig-Holstein-Tag 1994 stand un-ter einem historischen Motto. Jedochmachte bereits die grafische Gestaltungdes Werbematerials deutlich, dass der ge-schichtliche Bezug gegenüber dem Volks-festcharakter nur noch eine untergeordne-te Relevanz aufwies.

Linke Seite:Das Programm des ersten Schleswig-Hol-stein-Tages im Jahre 1978 zeigt den zen-tralen Stellenwert der historischen Vermitt-lung sowie die Einbindung in ein Volksfest.

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2008 finden sich keine Hinwei-se mehr auf geschichtspoliti-sche Ambitionen. Stattdessenwird die Identitätsstiftung da-durch betrieben, dass verschie-dene Typen von Menschen dieBevölkerung des Landes reprä-sentieren sollen.

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bezog er den Erinnerungsort Idstedt neu in die Geschichtserzählungein: Dieser sei nicht mehr „Gedenkplatz für nationalistische Front-stellung“, die mittlerweile einer Partnerschaft zwischen Deutschlandund Dänemark gewichen sei, sondern Idstedt „soll das Streben nachdeutscher Einheit – damals wie heute – symbolisieren“.51 Auf dieseWeise war nicht nur die frühere grenzkämpferische Aufladung neu-tralisiert, sondern zugleich die Forderung nach den deutschen Ost-gebieten begründet. Im neugestalteten Idstedt-Signet, zugleich Sym-bol des Festes, war zu diesem Zweck der doppelköpfige Reichsadlerstilisiert, den – nach der Darstellung des SHHB – die schleswig-hol-steinischen Soldaten 1850 als Symbol des Deutschen Bundes zu-sammen mit dem schleswig-holsteinischen Wappen an ihrer Uni-form auf der Brust getragen hatten. Damit sollte die Verbindung derschleswig-holsteinischen zu den Einheits- und Freiheitsbestrebun-gen Deutschlands herausgestellt werden.52

So sollte der Erinnerungsort, dessen „demokratische und frei-heitliche Traditionen (…) nach 1864/67 durch die preußische Ge-schichtsschreibung überdeckt“ worden seien, mit seinen mehrwerti-gen Anschlussmöglichkeiten zum Zentrum des neuen Landesbe-wusstseins werden. Entsprechend schrieb Schmidt in der Folge anden Kultusminister, um ihm nahezulegen, die Schulen in Schleswig-Holstein auf die Halle und ihre Bedeutung aufmerksam zu machenund Idstedt eine weite Rezeption zu ermöglichen. Auch dem Territo-rialkommando Schleswig-Holstein im Bereich der Allied ForcesNorthern Europe (AF-North) stellte er die Idstedt-Halle als demo-kratischen Erinnerungsort für das Geschichtsbewusstsein der Truppevor.53

Die interne Bewertung des Schleswig-Holstein-Tages fiel sehrgut aus. In der Abschlussbesprechung wurde festgestellt, dass nachPolizeiangaben etwa 5000 Besucher und 2000 Mitwirkende anwe-send waren, die allgemeine Wirkung jedoch erheblich größer gewe-sen sei: „Presse, Rundfunk und Fernsehen haben allgemein positivbis überschwänglich über Veranstaltungen berichtet“.54 Tatsächlich,so kann man die öffentliche Rezeption interpretieren, wurde derHeimatbund von allen Bevölkerungsgruppen mit Ausnahme der dä-nischen Minderheit unangefochten als Hauptakteur in der Konstruk-tion der neuen Meistererzählung des Landes gehandelt.55 Im NDR 2lobte man Schmidt im großen Stil für seine Neuausrichtung desSHHB, die dem Verband ermögliche, als „legitimer Sprecher derschleswig-holsteinischen Bevölkerung aufzutreten“. Dabei stellteder Kommentator besonders heraus, dass Schmidt Heimatbewusst-sein und Landesbewusstsein nicht nur für die seit Generationen hierAnsässigen zur Deckung zu bringen vermöge, sondern auch für dieVertriebenen mit dem Schleswig-Holstein-Tag ein schleswig-hol-steinisches Zusammengehörigkeitsgefühl als „politisches Ereignis“erzeugte.56 Auch in der Folge entwickelten sich die Schleswig-Hol-stein-Tage weiter erfolgreich und wurden zum Selbstgänger. 1980zählte man bereits 30 000 ehrenamtliche Helfer und stellte zur allge-meinen Überraschung hohe Besucherzahlen fest. Die Institutionali-

51 Pressemitteilung des Ministerpräsiden-ten, Ansprache von Ministerpräsident Dr.Gerhard Stoltenberg zur Verleihung derSchleswig-Holstein-Medaille am 9.9.1978in Gottorf, Entwurf Rede des Ministerpräsi-denten in Idstedt, LAS, 605.6038, Schles-wig-Holstein-Tag, Allgemeines 1977-1987.52 Broschüre zum Schleswig-Holstein-Tag1978, LAS, 422.17.39.53 Vgl. Werner Schmidt an den Befehlsha-ber des Territorialkommandos Schleswig-Holstein, den deutschen Bevollmächtigtenim Bereich AF-North, Konteradmiral Feindt,5.6.1979, ders. an Bendixen, 8.6.1979,LAS, 422.17.781, Idstedt-Stiftung, Be-richte und Beiträge, Verkauf von Schriften,Sonstiges, 1978-1982.54 Ergebnisniederschrift der Abschlussbe-sprechung Schleswig-Holstein-Tag 1978 inIdstedt, Gaststätte „Alte Schule“ am29.9.1978, LAS, 422.17.39, Broschürezum Schleswig-Holstein-Tag 1978.55 Flensborg Avis sah im Schleswig-Hol-stein-Tag und seiner Zielsetzung der Förde-rung eines schleswig-holsteinischen Lan-desbewusstsein, ein Aufleben des „Schles-wigholsteinismus“. Zwar sei dieser nichtmehr wie zu früheren Zeiten gegen Däne-mark oder die dänische Minderheit gerich-tet, jedoch natürlich nicht dazu geeignet,die Minderheit für den Tag einzunehmen.Vgl. Grenzland Schleswig, in: Schleswig-Holstein 11 (1978), S. 24.56 Kommentar zum Schleswig-Holstein-Tag, NDR 2, 11.9.1980, 18.25-18.30,LAS, 422.17.39.57 Ergebnisniederschrift des Arbeitsaus-schusses Landeskuratorium Schleswig-Hol-stein-Tag vom 16.1.1979; StK 210, Sit-zung des Landeskuratoriums Schleswig-Holstein-Tag am 11.10.1979,22.10.1979, LAS, 605.6037, Schleswig-Holstein-Tag, Allgemeines 1978-1984.

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sierung schritt voran und es wurde ein einheitliches Symbol eta-bliert.57

Der Schleswig-Holstein-Tag als geschichtspolitisches Werkzeug. Das Landes-bewusstsein bildete in der Folge eine breit rezipierte, konsensualeFolie für politische Legitimation und Identitätsstiftung. Beispiels-weise anlässlich des 30. Jahrestags der Verabschiedung der Landes-satzung nutzte Landtagspräsident Helmut Lemke die Erzählsträngevom Wiederaufbau, der Integration der Vertriebenen und des „Mo-dellfalls“ der deutsch-dänischen Minderheitenpolitik und betonte,dass „dieses Land nicht nur materiell wieder aufgebaut sei. DerSchleswig-Holsteiner sei in dieser Zeit zu einem Landesbewusstseingekommen“.58 Über den Kieler Historiker Kurt Jürgensen fand einederartige Einschätzung gar Eingang in die Geschichtswissenschaft:„Es ist ein Landesbewusstsein gewachsen, das alljährlich in den imAuftrag des Landes Schleswig-Holstein vom Schleswig-Holsteini-schen Heimatbund durchgeführten Schleswig-Holstein-Tagen einendeutlichen Ausdruck findet. Heute sind in Schleswig-Holstein dieGeschichte dieses Raumes, die im Laufe der Jahrhunderte zur engenverfassungsrechtlichen Zusammengehörigkeit beider Teile geführthat, und die Gegenwart, in der Schleswig-Holstein ein selbstver-ständlicher Gliedstaat im deutschen Staatsverband ist, zu einer en-gen Einheit verbunden.“59 Und der Journalist Günter Pipke bemerkteim NDR, dass aus dem „Armenhaus“ der Nachkriegszeit durch dengemeinsamen Wiederaufbau von Einheimischen und Vertriebenen„eine Heimat“, ein „gefestigtes Land geworden sei, dessen Bürge-rinnen und Bürger tatsächlich weitgehend in jenem gemeinsamenGefühl übereinstimmen, das die Politiker Landesbewusstsein nen-nen“. Schließlich zitierte er bezeichnenderweise am Ende den Slo-gan der CDU zum Landtagswahlkampf 1971: „Ein Land, in demsich’s leben lässt.“60

Im Kontext der auf Bundesebene geführten Geschichtsdebattenum die deutsche Identität, heruntergebrochen auf die spezifischenBedingungen des Landes und seine Erinnerungskultur, stellte derhinter den Kulissen in erster Linie von der Staatskanzlei entwickelteund vom SHHB umgesetzte Schleswig-Holstein-Tag für die Dauerder Ägide Stoltenbergs als Ministerpräsident aus zwei Gründen einwirkmächtiges Werkzeug zur politischen Legitimation und Iden-titätsstiftung dar: Zum einen gelang es, mit den drei Erzählsträngendes Landesbewusstseins verschiedenen Teilgruppen und -gedächt-nissen gerecht zu werden, indem eine verbindende und ausschließ-lich positiv besetzte Erfolgsgeschichte des Landes zur gemeinsamenIdentifikation synthetisiert wurde. Dabei wurde zudem den aktuel-len Rahmenbedingungen Rechnung getragen; der vormals die Ge-schichtsdarstellung des Landes beherrschende Gegensatz zu Däne-mark, der spätestens seit dem EG-Beitritt Dänemarks 1973 in kei-nem Fall mehr zeitgemäß gewesen war, wurde aufgegeben und imGegenteil der „Modellfall“ der Minderheitenlösung als Leistung desLandes in die Erzählung eingeschrieben. Zum anderen bürgte die

58 Alfred Lange, Geburtstag der Landes-satzung Schleswig-Holsteins, in: Schles-wig-Holstein 1 (1980), S. 22f.59 Kurt Jürgensen, Entscheidung für dasBundesland Schleswig-Holstein. Zur Entste-hung der Länderordnung in der britisch be-setzten Zone Deutschlands, in: HartmutBoockmann (Hrsg.), Geschichte und Ge-genwart. Festschrift für Karl Dietrich Erd-mann, Neumünster 1980, S. 525-672,hier S. 665.60 NDR 1, 12.6.1981, 17.55-18.00,LAS, 422.17.503, Zusammenarbeit mitdem NDR 1975-1981, 1986.

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Trägerschaft des Landeskuratoriums sowie die vielseitige Gestal-tung der Veranstaltung als Volksfest mit zahlreichen Elementen vonSpaß und Spiel für eine vorgeblich unpolitische und unideologischeVermittlung der Inhalte, obgleich hinter den Kulissen SHHB undStaatskanzlei die Fäden gemeinsam zogen und insbesondere mit derallgegenwärtigen Aufladung des Erinnerungsortes Idstedt, trotzschlechter Aussichten weiterhin für die Rückkehr der ehemals deut-schen Ostgebiete einzustehen, eine durchaus kontrovers diskutiertePosition vertraten.

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