KÖLNER PAPIERE ZUR KRIMINALPOLITIK...

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Rechtswissenschaftliche Fakultät | Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht 1 Lehrstuhl für Strafrecht, Strafrechtstheorie und Strafrechtsvergleichung KÖLNER PAPIERE ZUR KRIMINALPOLITIK COLOGNE PAPERS ON CRIMINAL LAW POLICY Michael Kubiciel (Hrsg.)

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Rechtswissenschaftliche Fakultät | Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht 1

Lehrstuhl für Strafrecht, Strafrechtstheorie und Strafrechtsvergleichung

KÖLNER PAPIERE ZUR KRIMINALPOLITIK – COLOGNE PAPERS ON CRIMINAL LAW POLICY Michael Kubiciel (Hrsg.)

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Universität zu Köln 2

DIE VERBANDSSTRAFE

VERFASSUNGSKONFORMITÄT, SYSTEMKOMPATIBI-LITÄT, FOLGEN

Michael Kubiciel

Kölner Papier zur Kriminalpolitik 2/2014

Zitiervorschlag: Verf., KPKp 2/2014

Lehrstuhl für Strafrecht, Strafrechtstheorie und Strafrechtsvergleichung

Prof. Dr. Michael Kubiciel Universität zu Köln

Albertus-Magnus Platz 50923 Köln

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I. Gegenläufige Entwicklungslinien∗

In dem seit Jahrzehnten andauernden Streit um die Strafbarkeit von Verbänden

zeichnen sich bemerkenswerte Veränderungen ab. Lehnten Wissenschaft und

Rechtspolitik eine Verbandsstrafe bislang aus prinzipiellen Erwägungen ab,

mehren sich seit einiger Zeit die Stimmen jener, die zu einer pragmatischen

Diskussion über die kriminalpolitischen Vor- und Nachteile einer Verbandsstrafe

aufrufen. Begründet werden die Forderungen nach einer Pönalisierung von

Verbänden mit Präventionszielen: Eine Strafandrohung habe einen größeren

Abschreckungseffekt als die geltenden Bußgeldvorschriften und stärke die

Compliance-Anstrengungen der Unternehmen, heißt es1. Dabei wachsen aus-

gerechnet in den USA, dem „gelobten Land“ der corporate criminal liability2, die

Zweifel an der general- und spezialpräventiven Wirkkraft der Unternehmens-

strafe, so dass dort die individual criminal liability wieder in den Mittelpunkt der

staatsanwaltschaftlichen Aktivitäten rückt.

Dies wirft die Frage auf, wie sich die gegenläufigen Entwicklungstendenzen

dies- und jenseits des Atlantiks deuten und miteinander in Einklang bringen las-

sen: Zwingen die Zweifel an der präventiven Praktikabilität gar zu einer Vernei-

nung der Verfassungskonformität? Dem ist nicht so. Nach hiesiger Auffassung

sprechen die in den USA gewonnenen Erkenntnisse nicht gegen die Verbands-

strafe, sondern für einen Austausch des Legitimationsmodells. Nach dem im

Folgenden entwickelten Gedankengang ist die Bestrafung eines Unternehmens

nicht legitimiert, weil und soweit dies Präventionszielen dient; gerechtfertigt ist

sie vielmehr, wenn der juristischen Person eine Verletzung des Rechts zuge-

rechnet werden kann. Positive Auswirkungen der Strafe in der Zukunft sind will-

kommen, ihr tatsächlicher Eintritt ist aber keine Voraussetzung für das Recht zu

strafen. Strafe ist vielmehr eine legitime Reaktion auf die schuldhafte Verlet-

∗ Der Text basiert auf einem Vortrag, den der Verf. am 8.4.2014 bei einer von ihm und der DAJV, Wistev und dem Amerika-Haus veranstalteten Konferenz mit dem Titel „Unternehmensstrafe – The Times They Are A-Changin“ in der Fritz-Thyssen-Stiftung (Köln) gehalten hat. Eine kürzere Fassung erscheint in Zeitschrift für Rechtspolitik 5/2014. 1 Umfassend Heine, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, 1995, S. 75 ff.

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zung von Rechtsnormen, deren Geltung eine Voraussetzung personaler Frei-

heit ist. Dieser Gedanke ist nicht neu: Er trägt vielmehr auch die Strafvollstre-

ckung an natürlichen Personen, deren Präventionsnutzen (ebenfalls) nicht hin-

reichend empirisch nachweisbar ist3, ohne dass dies verfassungsrechtlich prob-

lematisch wäre4. Mit Hilfe dieses allgemeingültigen Legitimationsmodells kann

eine Verbandsstrafe mit den Anforderungen der Verfassung und jenen des

Strafrechtssystems in Einklang gebracht werden. Damit ist zugleich eine Grund-

lage für eine verfassungskonforme Ausgestaltung der Zurechnungstatbestände

gefunden.

II. Die veränderte Diskussionslage in Deutschland

1. Dogmatik als Ausschlussgrund?

Der Gesetzgeber könne überall dort zur „legislativen Verwendung der Strafe“

greifen, wo die Gesellschaft ohne sie nicht auskomme; „doctrinäre Gründe“

könnten ihn nicht dazu veranlassen, seine „Hände in den Schooß zu legen“,

meinte Rudolf von Jhering mit Blick auf das (Wirtschafts-)Strafrecht im Jahr

18935. Dessen ungeachtet nimmt die Strafrechtwissenschaft seit ihrer Formie-

rungsphase im frühen 19. Jahrhundert für sich in Anspruch, dem Gesetzgeber

rechtsphilosophische oder strafrechtssystematische Grenzen zu ziehen6. Noch

heute fällt es ihr schwer anzuerkennen, dass es „Sache des demokratisch legi-

timierten Gesetzgebers ist, ebenso wie die Strafzwecke auch die mit den Mitteln

des Strafrechts zu schützenden Güter festzulegen und die Strafnormen gesell-

schaftlichen Entwicklungen anzupassen.“7 So waren es im 20. Jahrhundert vor

allem dogmatische Erwägungen, welche die Strafrechtswissenschaft gegen die

2 Schünemann, FS Tiedemann, 2008, S. 429 (440). 3 Vgl. Eisenberg, Kriminologie, 6. Aufl. 2005, § 41 Rn. 6, § 42 Rn. 3; Hassemer, Warum Strafe sein muss, 2009, S. 89; Gärditz, Der Staat 49 (2010), 331 (337). 4 Vgl. Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, 1991, S. 51 f. 5 v. Jhering, Der Zweck im Recht, Bd. 1, 1893, S. 488 (490). 6 Näher dazu Kubiciel, Die Wissenschaft vom Besonderen Teil des Strafrechts, 2013, S. 14 ff. 7 BVerfGE 120, 224 (240). S. auch Hilgendorf, NK 2010, 125; Gärditz, Der Staat 49 (2010) 331 (346); Stuckenberg, GA 2011, 653.

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Einführung der Unternehmensstrafe ins Feld führte. Juristische Personen, heißt

es seit rund einhundert Jahren, seien weder handlungs- noch schuldfähig und

damit auch keine potenziellen Adressaten von Strafrechtsnormen, auf deren

Verletzung das Strafrecht mit einem Strafübel und einem Tadel reagiere8. An

diese „sachlogischen“ Strukturen des Strafrechts sei der Gesetzgeber gebun-

den9. Von Zweckmäßigkeitserwägungen dürfte er sich daher nicht blenden las-

sen: Eine Bestrafung juristischer Personen lasse sich mit Begriff und Rechtferti-

gung der Strafe nicht vereinbaren10. Bei all dem läuft die Strafrechtswissen-

schaft freilich Gefahr, sich von der Überzeugungskraft der eigenen Begriffe

blenden zu lassen. Werden hier nicht Begriffe von Schuld und Strafe als absolut

und überzeitlich gültig ausgewiesen, die in Wahrheit soziokulturell wandelbar

und folglich offen für die Einbeziehung juristischer Personen sind? Verstößt die

Unternehmensstrafe wirklich gegen Regeln der Sachlogik, obgleich Korporatio-

nen in Deutschland bis in das 19. Jahrhundert hinein bestraft wurden und heute

in vielen Ländern der Erde (wieder) bestraft werden?

Die von großen Teilen der Strafrechtwissenschaft praktizierte „technokratische

Politikberatung“11 war in den letzten Jahrzehnten nur mäßig erfolgreich12. Denn

der Strafrechtswissenschaft fehlen seit langem die Begriffe und Methoden für

eine gleichermaßen kritische wie überzeugende Begleitung der Gesetzge-

bung13. Zudem neigen nicht wenige ihrer Vertreter dazu, einen Teil für das

Ganze zu nehmen: Indem sie komplexe soziale Probleme ausschließlich durch

den Filter der Dogmatik betrachten, reduzieren sie das Regelungsproblem auf

die Frage nach der Kompatibilität möglicher Lösungen mit strafrechtssystemati-

8 S. u.a. Engisch, Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, 1953, Gutachten E, S. 7, 23 ff.; Heinitz, ebd., S. 67 ff.; Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände, 1958, S. 178 ff., 196 f., 231; Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, 1979, S. 232 ff.; Ransiek, Unternehmensstrafrecht, 1996, S. 343; v. Freier, Kritik der Verbandsstrafe, 1998, S. 179 f.; Bock, Criminal Compliance, 2011, S. 397. 9 Zieschang, GA 2014, 91 (95 f.). Ähnlich Bock (o. Fn. 8), S. 400; Schünemann, ZIS 2014, 1 (2 f.). 10 v. Freier, GA 2009, 98 (102 ff.). S. auch Schünemann, ZIS 2014, 1 (4). 11 Heinrich/Lange, in: Lange (Hrsg.) Kriminalpolitik, 2008, S. 431 (433). 12 Den geringen Einfluss beklagen Albrecht, in: Institut für Kriminalwissenschaften (Hrsg.), Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts, 1995, S. 429 ff.; Hirsch, FS Tröndle, 1989, S. 19 (38); Lackner, FS Tröndle, S. 41 (42). 13 Kubiciel (o. Fn. 6), S. 2 f., 78 ff., 115 ff.

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schen Vorgaben. Demgegenüber hat der Gesetzgeber eine Vielzahl höchst un-

terschiedlicher Informationen rechtlicher, ökonomischer, sozialer und genuin

politischer Art gegeneinander abzuwägen14. Bei der Bewertung der Hand-

lungsoptionen kann die Politik die Steuerungswirkungen einer Unternehmens-

strafe und die Bürokratiekosten für Unternehmen und Strafverfolgungsbehör-

den15 ebenso berücksichtigen wie die in der Gesellschaft verbreiteten Anschau-

ungen über eine angemessene Reaktion auf Wirtschaftskriminalität. In diesem

politischen Kraftfeld, aus dem Gesetze hervorgehen, kann die Rechtswissen-

schaft zwar Impulse setzen. Die Zeiten aber, in denen sie sich als „Herrin“ ver-

stehen konnte, die der Legislative Weisungen gibt16, sind mit der Etablierung

eines demokratischen Verfassungsstaates vorüber17. Es ist das Grundgesetz,

das die Geltungsgrenzen des demokratischen Gesetzes beschreibt. Über deren

Einhaltung kann die Wissenschaft zwar wachen; verbindlich festgestellt werden

können Grenzverletzungen aber nur durch das BVerfG. Mit „doktrinären Grün-

den“ (Jhering) kann die Wissenschaft daher auch die Frage nach der Strafbar-

keit von Verbänden nicht letztgültig beantworten.

2. Renaissance der Rechtspolitik

Die Debatte um die Unternehmensstrafe ist denn auch in den vergangenen

Jahrzehnten nicht zum Erliegen gekommen. Korruptionsskandale namhafter

deutscher Konzerne und die (auch) von Banken ausgelöste Finanzmarktkrise

haben ihr in den letzten Jahren jedoch eine neue Dynamik verliehen. Sichtbars-

tes Zeichen ist der im Jahr 2013 vom Justizminister des Landes Nordrhein-

Westfalen vorgelegte „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtli-

chen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden“18, den die

84. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister als Diskussionsgrund-

14 Heinrich/Lange (o. Fn. 11). S. 432 f., 435. 15 Vogel, StV 2012, 427 (429). 16 Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Aufl. 1965, S. 223. 17 Vgl. Appel, Verfassung und Strafe, 1998, S. 390; ders., KritV 1999, 278 (301 ff.); Gärditz, Der Staat 49 (2010), 331; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996, S. 162 f.; Stuckenberg, GA 2011, 653 (654 ff.).

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lage begrüßt hat19. Der Koalitionsvertrag enthält den kryptisch formulierten Auf-

trag, „ein Unternehmensstrafrecht für multinationale Konzerne“ zu prüfen20.

Diese Stellungnahmen zeigen, dass eine kritische Masse an Rechtspolitikern im

Bund und in den Ländern die Pönalisierung juristischer Personen für ein grund-

sätzlich zulässiges Instrument zur Verhütung unternehmensbezogener Krimina-

lität erachtet. Die Idee eines Verbandsstrafrechts ist folglich kein „kriminalpoliti-

scher Zombie“21, sondern höchst vital22.

Auch in der Strafrechtswissenschaft haben sich die seit Jahrzehnten verfestig-

ten Meinungen aufgelöst23. Wie schon in der Vergangenheit ist es eine ver-

gleichsweise kleine Schrift gewesen24, die den unter der Oberfläche weit fortge-

schrittenen Meinungsumschwung deutlich gemacht hat. In einem Aufsatz kon-

statiert Joachim Vogel, dass die Frage nach der Zulässigkeit einer Unterneh-

mensstrafe „eher wenig mit Dogmatik und eher viel mit Kriminalpolitik zu tun

hat.“25 Grundsätzlich sei es Sache des Gesetzgebers zu bestimmen, wer Zu-

rechnungsendpunkt eines strafrechtlich relevanten Verhaltens sei26. Schüfe er

eine Unternehmensstrafe, hätten Unternehmen fortan als strafrechtlich hand-

lungs- und schuldfähig zu gelten27. Die Strafrechtswissenschaft könne diese

Entscheidung nicht ignorieren, ohne die Geltung eines demokratisch legitimier-

ten Gesetzes zu bestreiten28. Damit ist die Diskussion um die Unternehmens-

18 Gesetzesantrag des Landes NRW: „Gesetz zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden.“ 19 Beschluss der 84. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister 2013, Beschluss TOP II.5: Unternehmensstrafrecht. 20 Deutschlands Zukunft gestalten – Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode, S. 145. 21 So Schünemann, ZIS 2014, 1. 22 S. nur die Monographien Kempf/Lüderssen/Volk (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, 2012; Pieth/Ivory (Hrsg.), Corporate Criminal Liability, 2011; Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, 2013; Tschierschke, Die Sanktionierung des Unternehmensverbundes, 2013. 23 Zieschang, GA 2014, 91 (93). 24 Heinitz (o. Fn. 8), S. 71, weist auf eine kleine Schrift aus dem Jahr 1793 hin, die zur Ablehnung der ehedem anerkannten strafrechtlichen Haftung von Korporationen führte. 25 Vogel, StV 2012, 427; ders., JA 2012, Editorial Heft 1. Ebenso Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, 4. Aufl. 2013, Rn. 372. 26 Dazu und zum Folgenden Vogel, StV 2012, 427 (428). 27 Ähnlich Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems, 2000, S. 192; Dannecker, FS Böttcher, 2007, S. 465 (484); Salditt, FS Achenbach, 2011, S. 433 (440 f.). 28 Vogel, StV 2012, 427 (428). Vorsichtig zustimmend Hoven/Wimmer/Schwarz/Schumann, NZWiStr 2014, 161 (162); Mitsch, NZWiStr 2014, 1 (3).

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strafe vom dogmatischen Kopf auf die kriminalpolitischen Füße gestellt worden.

Dies zu Recht: Der Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers ist nichts ande-

res als die Kehrseite der verfassungsrechtlich verbürgten Form demokratischer

Selbstbestimmung29.

3. Verfassungsrechtliche Vorgaben

Diese Betrachtungsweise hat den Vorwurf auf sich gezogen, sie sei Ausfluss

„erzpositivistischen“ Rechtsdenkens30. Kennzeichnend für ein rechtspositivisti-

sches Verständnis der Gesetzgebung ist die Annahme, die Legislative sei zur

Rechtschöpfung ex nihilio berechtigt, könne also im Rahmen der Verfassung

beliebige Regeln erlassen31. Tatsächlich hat der Strafgesetzgeber nach Auffas-

sung des BVerfG lediglich jene Grenzen zu beachten, die ihm das Grundgesetz

zieht32. Diese Grenzen sind jedoch weit gespannt, denn zu Fragen wie die

Schuld- und Straffähigkeit juristischer Personen verhält sich das Grundgesetz

nicht explizit33. Doch ist der Gesetzgeber damit nicht zu einer „beliebigen“

Rechtssetzung ermächtigt. Will der Gesetzgeber ein Regelungsproblem in einer

tatsächlich und normativ angemessenen Weise lösen34, hat er auch jene

Rechtswerte und Prinzipien zu beachten, die das Bundesverfassungsgericht

dem Strafrecht unterlegt hat. Diese „Grammatik“ des Strafrechts hat der Ge-

setzgeber bei der Fortschreibung des Rechts zu berücksichtigen. Dabei handelt

es sich nicht allein um ein Gebot der politischen Klugheit35, sondern um einen

Verfassungsauftrag: Wer eine (juristische) Person Strafzwang unterwirft, den er

nur formell-vordergründig als Strafe ausweisen, nicht aber materiell-kohärent

rechtfertigen kann, verletzt die Grundrechte der strafunterworfenen (juristi-

schen) Person36.

29 Gärditz, Der Staat 49 (2010), 331 (347). 30 So Schünemann, ZIS 2014, 1 (4). 31 Braun, Einführung in die Rechtsphilosophie, 2. Aufl. 2011, S. 372. 32 Deutlich BVerfGE 120, 224 (240). 33 Vgl. Landau, ZStW 121 (2009), 965 (970). 34 Frisch, in: Stürner (Hrsg.), Die Bedeutung der Rechtsdogmatik für die Rechtsentwicklung, 2010, S. 169 (173). 35 So aber Gärditz, Der Staat 49 (2010), 331 (366). 36 Insoweit wie hier Zaczyk, Der Staat 50 (2011), 295 (300).

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Daher darf auch die Einführung einer Unternehmensstrafe nicht jenen grundle-

genden Regeln widersprechen, die dem geltenden Strafrecht eingeschrieben

sind. Deren Fundament bildet die Straftheorie, also die Antwort auf die Frage

nach dem Recht des Staates zu strafen37. Zwar bekennt sich das BVerfG eben-

so wenig zu einer Straftheorie wie sich die Wissenschaft auf eine Straftheorie

verständigt hat38. Gleichwohl ist sich das BVerfG mit der Wissenschaft zumin-

dest darin einig, dass die Schuld Grund und Grenze der Strafe ist39. Die Strafe

sei vornehmlich eine repressive Übelszufügung als Reaktion auf schuldhaftes

Verhalten, „welche – jenseits anderer denkbarer zusätzlicher Strafzwecke, die

die Verfassung nicht ausschließt – dem Schuldausgleich dient.“40 Demzufolge

beruhe das Strafrecht auf dem Schuldgrundsatz, der in der – juristische Perso-

nen nicht erfassenden41 – Menschenwürdegarantie und im – auch hier gelten-

den42 – Rechtsstaatsprinzip verankert sei43. Der Schuldgrundsatz ist nicht nur

verfassungsrechtlich verbürgt, er gehört auch zur „inneren Einrichtung“ unseres

liberalen und rationalen Strafrechts44.

Dennoch lässt sich die Bestrafung juristischer Personen nicht allein deshalb für

unzulässig erklären, weil das Schuldprinzip vor dem Hintergrund eines auf na-

türliche Personen bezogenen Strafrechts entwickelt worden ist45. Denn der

Satz, dass Strafe Schuld voraussetzt, ist weder biologisch noch anthropologisch

oder sachlogisch begründet46, sondern normativ und funktional. Er soll gewähr-

leisten, dass die Strafe nur verhängt wird, wenn dies vor den Sinn- und Zweck-

37 Zur Bedeutung der Straftheorie Kubiciel (o. Fn. 6), S. 120 ff.; Pawlik, FS Jakobs, 2007, S. 469 ff. 38 BVerfGE 45, 187 (253 ff.); Hörnle, Straftheorien, 2011, S. 15 ff.; Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, 2013, S. 61 ff. 39 Zur Bedeutung der Schuld Roxin, JöR 59 (2011), 1 (11 f.); Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 5. Aufl. 1996, S. 23. 40 BVerfGE 128, 326 (374); 109 (133); 168 (173); 99 (96, 140 f.). 41 So schon Böse, FS Jakobs, 2007, S. 15 (18). 42 Schünemann, ZIS 2014, 1 (8). 43 BVerfGE 123, 267 (413). S. auch H.A. Wolff, AöR 124 (1999), 55 ff. 44 Zu letzterem Kubiciel (o. Fn. 6), S. 135 ff. 45 S. den berechtigten Hinweis von Sachs, in: Kempf/Lüderssen/Volk (o. Fn. 22), S. 195 (197). 46 NRW-Gesetzesvorschlag (o. Fn. 18), S. 29.

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zuschreibungen der Strafe gerechtfertigt werden kann47. Lassen sich die Sinn-

und Zweckzuschreibungen der Strafe auf juristische Personen übertragen, kann

mithin auch Verbänden eine Schuldfähigkeit attestiert werden.

III. Präventionsmodelle

Die Forderungen nach Einführung einer Unternehmensstrafe werden heute

ausnahmslos mit der Präventionsleistung begründet. Kriminalstrafrechtliche

Sanktionen, liest man in unterschiedlichen Variationen, könnten eine stärkere

Präventionswirkung entfalten als die Bußgelder, die nach §§ 30, 130 OWiG

verhängt werden können48. Eine solche Begründung steht freilich vor dem Prob-

lem, dass sie die Legitimation der Strafe an empirisch nachweisbare Präven-

tionserfolge koppelt49. Denn man kann die Bestrafung nicht mit dem Verweis

auf die verfolgten Zwecke rechtfertigen, wenn keine Klarheit darüber besteht,

ob diese Ziele realistischerweise erreicht werden können50. Angesichts dessen

ist der rechtsvergleichende Blick in Länder lohnend, die bereits Erfahrungen mit

der Unternehmensstrafe haben51. Trotz des internationalen „Megatrends“52 zur

Verschärfung der Sanktionen gegen Unternehmen ist das Anschauungsmaterial

jedoch weniger umfangreich als man annehmen könnte. Denn in der Rechts-

entwicklung fließen sowohl echte strafrechtliche als auch – dem deutschen

Ordnungswidrigkeitenrecht vergleichbare – parastrafrechtliche Haftungsregime

zusammen53. Daher fehlt vielen ausländischen Sanktionstatbeständen die Aus-

sagekraft für die in Deutschland zu treffende Entscheidung, ob die strafähnli-

chen Bußgeldvorschriften durch echte Straftatbestände ersetzt werden sollen.

Andere Regelungen sind bislang ohne aussagekräftige praktische Wirkungen

47 Insoweit übereinstimmend Roxin, Strafrecht AT I, 4. Aufl. 2006, § 19 Rn. 47; Jakobs, Schuld und Prävention, 1976, S. 8 ff. S. auch Böse (o. Fn. 41), S. 19. 48 Insofern übereinstimmend Alwart, ZStW 105 (1993), 752 (772); Dannecker (o. Fn. 27), S. 483; Salditt (o. Fn. 27), S. 436; Wessing, ZHW 2012, 301 (305); NRW-Entwurf (o. Fn. 18) S. 2, 4, 22. Krit. Rübenstahl, ZRFC 2014, 26 ff. 49 LK-Weigend, StGB, Bd. 1, 12. Aufl. 2007, Einl. Rn. 59. 50 Bosch, Organisationsverschulden in Unternehmen, 2002, S. 37 f. 51 Zur Bedeutung der Rechtsvergleichung Eser, FS Frisch, 2013, S. 1441 (1450 ff.); Kubiciel, RW 2012, 212 (217 ff.). 52 In diese Richtung Wohlers, in: Kempf/Lüderssen/Volk (o. Fn. 22), S. 231 (245 f.).

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geblieben54. Daher wird im Folgenden der Blick in die USA gerichtet, die seit

mehr als 100 Jahren Erfahrungen mit einer echten Verbandsstrafe sammeln

konnten55.

1. Abschreckung?

In den USA wird die corporate criminal liability traditionell mit der Abschre-

ckungswirkung gerechtfertigt56. Dem wird entgegengehalten, eine Geldstrafe

habe keine größere Abschreckungswirkung als zivilrechtliche Rechtsfolgen oder

verwaltungsrechtliche Bußgelder, weil die Abschreckungswirkung von der Höhe

der zu zahlenden Geldsumme abhänge57. Der Einwand überzeugt nicht. Er ver-

nachlässigt den Umstand, dass die Bezeichnung der Sanktion als Strafe zu ei-

nem größeren Reputationsverlust führen und damit eine stärkere Lenkungswir-

kung entfalten kann als andere Reaktionsformen58. Doch weist das abschre-

ckungstheoretische Rechtfertigungsmodell eine grundlegende Schwäche auf.

Eine Unternehmensstrafe trifft primär die juristische Person und sekundär die

hinter dieser stehenden natürlichen Personen, etwa Anteilseigner, nicht jedoch

die Geschäftsführung und andere Entscheidungsträger im Unternehmen59. Eine

Sanktionsandrohung kann sich aber nur dann auf das Unternehmenshandeln

auswirken, wenn der Normbefehl über vermittelnde Schritte, etwa verschärfte

Compliance-Vorgaben der Anteilseigner60, an die Entscheidungsträger weiter-

53 Pieth/Ivory, in: dies. (o. Fn. 22), S. 1 (13 f.); Pieth, in: Kempf/Lüderssen/Volk (o. Fn. 22), S. 395 (400); Schünemann, ZIS 2014, 1 (12). 54 Für die Schweiz Hilf, ZStR 129 (2011), 258 (274 f.). Für Österreich Fuchs u.a., Generalpräventive Wirksamkeit, Praxis und Anwendungsprobleme des Verbands-verantwortlichkeitsgesetzes (VbVG), 2011, S. 3 f. 55 S. dazu Diskant, Yale L. Journal 118 (2008), 126 (134 ff.). 56 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, 2010, S. 541 ff.; Kelly-Kilgore/Smith, American Criminal L. Review 48 (2011), 421 (436). 57 Brown, University of Pennsylvania L. Review 149 (2001), 1295 (1325); Leipold, ZRP 2013, 34 (37). 58 Modlinger, Brauchen wir zur Korruptionsbekämpfung ein Unternehmensstrafrecht?, 2010, S. 79; Wessing, ZHR 2012, 301 (305). A.A.: Leipold, FS Gauweiler, 2009, S. 375 (380); Ransiek, NZWiSt 2012, 45 (46). 59 Prüfer, Korruptionssanktionen gegen Unternehmen, 2004, 81 ff. 60 Kudlich, in: Kuhlen/Kudlich/Ortiz de Urbina (Hrsg.), Compliance und Strafrecht, 2013, S. 209 (212 ff.); Prüfer (o. Fn. 59), S. 104 f.

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getragen wird61. Auf diesen Mechanismus zu vertrauen, begegnet zwei Ein-

wänden. Zunächst begründet die Normverletzung für sich nur die Schuld des

handelnden Entscheidungsträgers, nicht jene des Unternehmens62. Daher lässt

das abschreckungstheoretische Modell die entscheidende Frage offen, weshalb

die Normverletzung des Entscheidungsträgers dem Verband als eigene Schuld

zugerechnet werden kann. Dies stellt eine verfassungsrechtlich erhebliche Legi-

timationslücke dar. Einem Verband allein deshalb fremde Schuld zuzurechnen,

weil er selbst nicht schuldfähig ist63, ignoriert das Legitimationsproblem, löst es

aber nicht. Unabhängig davon ist die präventive „Hebelwirkung“, die von einer

Pönalisierung des Unternehmens auf das Handeln der Geschäftsleitung aus-

geht, eine Second-best-Lösung: Deutlich größer ist die Abschreckungswirkung,

wenn die Strafverfolgung der handelnden Manager verschärft wird. Daher baut

die amerikanische Rechtspolitik seit Jahren die strafrechtliche Verantwortung

von Managern aus64. Zudem führen auch die Staatsanwaltschaften Untersu-

chungen gegen Unternehmen häufig nur noch zu dem Zweck, strafrechtliche

Ermittlungen gegen Individuen vorzubereiten oder zu unterstützen65.

2. Verbesserung der corporate governance?

Eine andere Wirkung, die der Verbandsstrafe zugeschrieben wird, ist die der

positiven Spezialprävention, d.h. der Besserung. Die Androhung und Verhän-

gung einer Strafe soll Verbände nach dieser Logik zur Implementierung interner

Kontrollsysteme anhalten66. In den USA ist der Compliance-Ansatz eine wichti-

ge Legitimationsstütze der corporate criminal liability67. Er ist aber keineswegs

unumstritten. So wird darauf hingewiesen, dass die Unternehmen durch die Ge-

61 Dannecker, GA 2001, 110 f.; Freier, GA 2009, 98 (115); Wohlers, in: Kempf/Lüderssen/Volk (o. Fn. 22), S. 231 (243). 62 Vgl. auch Schünemann, ZIS 2014, 1 (3). 63 S. aber Vogel, StV 2012, 427. Krit. Hoven, ZIS 2014, 19 (21); Freier, GA 2009, 98 (108); ders. (o. Fn. 8), S. 95 ff., 162 ff.; Schünemann (o. Fn. 8), S. 209, 225. 64 Dazu Schünemann (o. Fn. 2), S. 443 ff. 65 Diskant, Yale L. Journal 118 (2008), 126 (168 f.). Vgl. auch Hamdani/Klement, Stanford L. Review 61 (2008), 271 (304 f.). 66 Dannecker (o. Fn. 27), S. 483; Schmitt-Leonardy (o. Fn. 22), S. 332 f.; Tschierschke (o. Fn. 22), S.146. 67 Engelhart (o. Fn. 56), S. 542 f., 654.

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fahr strafrechtlicher Ermittlungen zur Etablierung von Compliance- und Kontroll-

strukturen motiviert werden, welche die Verantwortung vom Unternehmen auf

Individuen verlagern68. Tatsächlich haben Compliance-Strukturen betriebsintern

die Funktion, die Haftung des Unternehmens zu vermeiden69. Hat die Präventi-

on versagt und droht dem Unternehmen Strafe, handelt es rational, wenn es

das intern erkannte Delikt nach außen kaschiert70 oder die Verantwortung bei

einzelnen Mitarbeitern isoliert71. Die Folge eines Unternehmensstrafrechts muss

also nicht die Verbesserung der corporate governance sein, sie kann auch der

Bildung von Strukturen Vorschub leisten, welche die corporate liability minimie-

ren72. Unabhängig davon lässt sich bezweifeln, dass es einer Strafandrohung

bedarf, um die Leitungsorgane zur Implementierung von Compliance-Regeln zu

motivieren. Denn in Deutschland verfügen bereits 74% aller Unternehmen über

entsprechende Regeln und Programme73, ohne dass dazu eine Unternehmens-

strafe notwendig gewesen wäre. Ausschlaggebend für diese Welle waren die

Einsicht in die strategische Bedeutung solcher Vorkehrungen74 sowie die Sorge

vieler Geschäftsleiter, beim Fehlen hinreichender Compliance-Strukturen selbst

zivilrechtlich zu haften oder strafrechtlich verfolgt zu werden75. Von einer Unter-

nehmensstrafe dürften keine entscheidenden zusätzlichen Impulse ausgehen76.

Die Integritätswelle, welche die Privatwirtschaft in den letzten Jahren erfasst

hat, lässt auch erwarten, dass kleinere und mittlere Unternehmen jene Compli-

ance-Defizite ausgleichen, die kürzlich die EU festgestellt hat77. Schließlich führt

auch der Compliance-Ansatz zu der bereits beschriebenen Legitimationslücke:

Wenn Vorstände und andere Entscheidungsträger keine hinreichenden Integri-

tätsstrukturen schaffen, verletzen sie eigene gesellschafts- oder arbeitsrechtli-

68 Hamdani/Klement, Stanford L. Review 61 (2008), 271 ff. 69 Saliger, RW 2013, 263 (266). 70 Kölbel, ZStW 125 (2013), 499 (504 f.). 71 Bock (o. Fn. 8), S. 227; Wessing, ZHW 2012, 301 (302). 72 Baer, Boston University L. Journal 92 (2012) 577 (636); Kelly-Kilgore/Smith, American Criminal L. Review 48 (2011), 421 (436). 73 Nestler/Salvenmoser/Bussmann, Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur, 2013, S. 26. 74 Rotsch, ZStW 125 (2013), 481 (485 ff.); Saliger, RW 2013, 263 (275 ff.). 75 Vgl. dazu Leyendecker, SZ v. 14.1.2011. 76 Ebenso Rotsch, in: ders. (Hrsg.), Criminal Compliance vor den Aufgaben der Zukunft, 2013, S. 3 (10). S. ferner Kudlich (o. Fn. 60), S. 224. 77 Dazu Kubiciel/Spörl, Journal of Business Compliance 2014, 5 ff.

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che Pflichten. Weshalb diese Pflichtverletzung zugleich die Schuld des Unter-

nehmens begründet, bleibt innerhalb dieses Rechtsfertigungsmodells offen.

IV. Alternativer Legitimationsansatz

1. Retribution

Angesichts der Schwächen der präventionstheoretischen Begründung der Un-

ternehmensstrafe kann es nicht überraschen, dass in den USA zunehmend ret-

ributive Erwägungen zur Rechtfertigung der corporate criminal liability einge-

führt werden78. Diese sehen in der Strafe primär einen Ausgleich begangenen

Unrechts und lassen erst im zweiten Schritt eine Zweckorientierung der Strafe,

d.h. spezial- oder generalpräventive Überlegungen gelten79. Auch die Unter-

nehmensstrafe hat dann die primäre Funktion, auf die Verletzung des Rechts zu

reagieren80. Der Charme dieses Legitimationsmodells besteht nicht nur darin,

dass es die Berechtigung der Strafvollstreckung von der Erreichung von Prä-

ventionszielen entkoppelt. Es gewährleistet auch eine „Mindestparallelität“ 81 mit

dem für Menschen geltenden Strafrecht, dessen Grundlage der Gedanke des

Schuldausgleichs bildet.

Indes setzt der retributive Ansatz voraus, was es nach h.M. nicht geben kann:

eine eigene Schuld des Verbandes82. Schuld und Verantwortung sind die Kehr-

seite von Freiheit. Auch die Freiheit von Verbänden, am Sozial- und Wirt-

schaftsleben teilzunehmen und dabei jene rechtliche Infrastruktur zu nutzen, die

Freiheit allererst ermöglicht, begründet mithin Verpflichtungen. Verletzen sie

diese Pflichten, müssen sie sich gefallen lassen, dass auf ihre Kosten die Un-

78 Vgl. Baer, Boston University L. Journal 92 (2012) 577 (621, 629); Buell, Indiana L. Journal 81 (2006), 473 (516 ff.); Harlow, Duke L. Journal 61 (2011), 123 (137, 143); Neumann Vu, Columbia L. Review 104 (2004), 459 (492 f.). 79 Kubiciel (o. Fn. 6), S. 171; Zaczyk, Der Staat 50 (2011), 295. 80 Hirsch, ZStW 107 (1995), 285 (295). 81 Wendung: Vogel, StV 2012, 427 (430). 82 Zusammenfassend Hoven, ZIS 2014, 19 (20 ff.).

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verbrüchlichkeit des Rechts demonstriert wird83. Der Ausgleich des Geltungs-

schadens, den die Person durch die Verletzung des Rechts angerichtet hat, ist

mithin legitim84. Überträgt man diesen Zusammenhang von Freiheit, Fairness

und Strafe auf die Verbände heißt das: Da Verbände die vom Strafrecht ge-

schützten Freiheiten (etwa die Wettbewerbsfreiheit, §§ 298 f. StGB) genießen,

können sie sich nicht beschweren, wenn sie für die ihnen zurechenbaren Ge-

fährdungen der Freiheit selbst bestraft werden85.

Für welche Gefährdungen der Freiheit aber sind sie zuständig? Nicht zuständig

ist ein Verband für das Unterlassen (betriebsbezogener) Straftaten; Träger die-

ser Verpflichtung sind nur die eigenverantwortlich handelnden Individuen. Wohl

aber schuldet der Verband eine Binnenorganisation, welche die Begehung von

Straftaten aus dem Verband heraus bzw. zu seinem Nutzen erschwert. Zwar

hängt auch diese interne Organisation faktisch von Handlungen natürlicher Per-

sonen ab: Compliance-Regeln können nur von Menschen erarbeitet werden.

Doch lässt sich aus der Tatsache, wer eine Pflicht erfüllt, nicht schließen, wen

diese Pflicht rechtlich trifft, wer also Subjekt der Pflicht ist86. Bedient sich bei-

spielsweise eine Person zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen eines Erfüllungsge-

hilfen (§ 278 BGB), wird diese nicht aus ihrer Pflichtenstellung entlassen. Daher

kann auch das Unternehmen eine Pflicht zur sorgfältigen Betriebsorganisation

treffen, obgleich es der Geschäftsführung oder besonders Beauftragten obliegt,

diese Pflicht faktisch umzusetzen. Unbeschadet eigener Pflichten der Ge-

schäftsführer und sonstigen Mitarbeiter kann der Verband mithin Verantwortung

für seine Binnenorganisation tragen87. Organisationsverschulden meint also

nicht Zurechnung fremder Straftaten88, sondern Zuständigkeit für organisatori-

sche Fehler89.

83 Vgl. Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, 2004, S. 87, 90 f. 84 Vgl. Kubiciel (o. Fn. 6), S. 164 f. 85 Ähnlich Schmitt-Leonardy (o. Fn. 22), S. 333 f. Vgl. auch Löffelmann, JR 2014, 185 (188). 86 So aber offenbar Bock (o. Fn. 8), S. 403; Löffelmann, JR 2014, 185 (189); Schünemann, in: LK (o. Fn. 49), Vor § 25 Rn. 24. 87 Vgl. Böse (o. Fn. 41), S. 20 f.; Heine (o. Fn. 1), S. 264 f.; Schmitt-Leonardy (o. Fn. 22), S. . 407 ff., 532; Tiedemann (o. Fn. 25), Rn. 375, 377; ders., NJW 1988, 1169, 1172. Ähnlich Dannecker (o. Fn. 27). S. 484. 88 Dazu krit. Bosch (o. Fn. 50), S. 48. 89 Schünemann (o. Fn. 8), S. 238.

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Damit bleibt die Frage zu beantworten, ob die Fehlerhaftigkeit der Binnenorga-

nisation dem Verband auch strafrechtlich zugerechnet werden kann. Dies ist zu

bejahen. Denn die Schuldfähigkeit einer Person ist keine natürliche Eigen-

schaft, sondern eine (rechts-)kulturelle: Sie wird zugeschrieben, wobei sich die-

se rechtliche Zuschreibung an sozialen Zuschreibungsprozessen orientiert90.

Anders wäre es auch nicht zu erklären, dass Kooperationen in Deutschland bis

in das 19. und 20. Jahrhundert hinein bestraft werden konnten91. Auch die heu-

tige Gesellschaft hat sich seit langem (wieder) daran gewöhnt, Unternehmen

Verantwortung und Schuld für betriebsbezogene Straftaten zuzuschreiben92.

Der Gesetzgeber kann diesen sozialen Anschauungen Rechnung tragen und

damit das Strafrecht auf die Höhe der Zeit bringen. Denn in unserem Sozial-

und Wirtschaftsleben sind Kollektivsubjekte wie (Unternehmens-)Verbände

längst von „bloßen Randphänomenen“93 zu bedeutenden Destinatären gesell-

schaftlicher Freiheit geworden, die zugleich das Potenzial haben, die sozialen

und politischen Voraussetzungen unserer Freiheit zu gefährden94. Der Gesetz-

geber ist verpflichtet, den von Verbänden ausgehenden Gefahren für das Ge-

meinwesen und die Grundrechte der Bürger mit angemessenen Mitteln zu be-

gegnen95. Die Strafe ist eine verfassungskonforme und mit den Prinzipien des

Strafrechts kompatible Reaktion auf ein Organisationsverschulden eines Ver-

bandes.

2. Folgen für die Gesetzgebung

Die Verbandsstrafe reagiert auf eine unzureichende Innenorganisation. Sie ist

folglich eine „echte“ Strafe, die auf denselben Grundlagen ruht wie die her-

kömmliche Strafe. Es steht dem Gesetzgeber daher frei, die Bußgeldvorschrif-

ten der §§ 30, 130 OWiG durch einen oder mehrere Straftatbestände zu erset-

90 Hassemer, ZStW 121 (2009) 829 (848 ff.); Kindhäuser, ZStW 121 (2009), 954 (955); Kubiciel (o. Fn. 6), S. 91 f. 91 Heinitz (o. Fn. 8), S. 70 ff.; Tiedemann, NJW 1988, 1169. 92 So auch Hirsch, ZStW 107 (1995), 285 (292). 93 Alwart, ZStW 105 (1993), 751 (757). 94 Zur politischen Dimension von Wirtschaftsstraftaten Kubiciel, ZIS 2013, 53 ff.

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zen. Weil eine Verbandsstrafe auch innerhalb des Strafrechts kein aliud dar-

stellt, etwa eine kriminalpräventive Sanktion eigener Art, besteht auch keine

systematische Notwendigkeit, für sie ein eigenes, vom StGB getrenntes Gesetz

zu schaffen. Gleichwohl ist die legalistische Trennung sinnvoll. Zum einen trägt

dies dem Umstand Rechnung, dass nicht jeder Tatbestand des StGB als Aus-

druck einer betrieblichen Fehlorganisation Anknüpfungspunkt für eine Verband-

strafe sein kann96. Zum anderen ist es ungeklärt, ob sämtliche Regeln des All-

gemeinen Teils des StGB auf die Verbandsstrafe Anwendung finden können.

Sollte sich bei der Anwendung herausstellen, dass die Besonderheiten der Ver-

bandsstrafe Regelanapassungen notwendig machen, welche die Rechtspre-

chung nicht durch eine Interpretation der lex lata vornehmen kann, lässt ein ei-

genes Gesetz Raum für die Einführung besonderer Anwendungsregeln. Inso-

fern ist der Vorschlag Nordrhein-Westfalens zu begrüßen, ein eigenes Ver-

bandsstrafgesetz zu schaffen. Das gewählte Vorgehen ist zudem von hohem

politischem Symbolwert: Ähnlich wie der Transfer des Umweltstrafrechts vom

Verwaltungsrecht in das StGB während der 1980er Jahre97 macht die Umwand-

lung der bisherigen Bußgeldvorschriften in Straftatbestände mitsamt der Einfüh-

rung eines besonderen Gesetzes deutlich, dass der Gesetzgeber die Gefahren,

die von unzureichend organisierten Verbänden ausgehen, erkannt hat, diese

ernst nimmt und ihnen in einer Weise entgegen tritt, die große Teile der Bevöl-

kerung als angemessen erachten. Dass die Sanktion für die Errichtung eines

Systems schwarzer Kassen zu Korruptionszwecken denselben Namen trägt wie

ein Alltagsvergehen im Straßenverkehr, ist gesellschaftlich und politisch nicht

mehr zu vermitteln.

Verfassungsrechtlich bedenklich an dem NRW-Entwurf ist jedoch ein nicht un-

bedeutender Teil seiner „Kernvorschrift“98. Nach § 2 I VerbStrG-E wird eine

„Verbandssanktion“ verhängt, wenn durch einen Entscheidungsträger in Wahr-

nehmung der Angelegenheiten des Verbandes vorsätzlich oder fahrlässig eine

95 S. etwa BVerfGE 31, 1 (44 ff.); 90, 145 (174); 120, 224 (240). 96 Vgl. dazu Kudlich, in: Kempf/Lüderssen/Volk (o. Fn. 22), S. 217 ff. 97 Dazu Saliger, Umweltstrafrecht, 2012, S. 7 ff. 98 Hoven/Wimmer/Schwarz/Schumann, NZWiStr 2014, 161 (162).

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verbandsbezogene Zuwiderhandlung begangen worden ist. Im Ergebnis

schließt diese Vorschrift zwingend von einer Straftat des Einzelnen auf ein Or-

ganisationsverschulden des Verbandes99. Da nach dem oben Gesagten die

schuldhafte Pflichtverletzung eines Organs nicht mit der Schuld des Verbandes

identisch ist100, ist ein solcher Schluss systematisch unzulässig. Vor allem ist er

verfassungsrechtlich problematisch: Denn den Verband für eine Straftat eines

Entscheidungsträgers ohne Nachweis seines Organisationsfehlers zwingend

haften zu lassen, widerspricht nicht nur dem Schuldprinzip, sondern ist auch

unverhältnismäßig. Die Begründung, mit welcher die Entwurfsverfasser diesem

Problem beikommen wollen, überzeugt nicht. Soweit es sich nicht um eine Ex-

zesstat ohne Verbandsbezug handele, beweise die Begehung einer Zuwider-

handlung durch einen Entscheidungsträger, dass der Verband sein Personal

mangelhaft ausgesucht oder kontrolliert habe, heißt es101. Zwar ist die von ei-

nem Entscheidungsträger begangene Zuwiderhandlung ein Indiz für eine unzu-

reichende Verbandsorganisation. Doch ist es ohne Weiteres vorstellbar, dass

eine leitende Person erst lange nach ihre Einstellung eine Straftat begeht, die

trotz zureichender Compliance-Systeme nicht zu verhindern gewesen ist. Der

Fall des ehemaligen Risikovorstands der BayernLB, Gribowsky, legt davon be-

redetes Zeugnis ab. Wer das politische Projekt „Verbandsstrafe“ nicht mit dieser

offen zu Tage liegenden verfassungsrechtlichen Problematik belasten will, hat

zwei Optionen: Die schlechtere Option ist es, auf eine restriktive Auslegung des

§ 2 I VerbStrG-E in der Praxis zu vertrauen, die Fälle wie den geschilderten als

Exzesstat einstuft und dem Verband nicht zurechnet. Vorzugswürdig wäre hin-

gegen eine Ergänzung der Vorschrift. Diese müsste klarstellen, dass eine Ver-

bandsstrafe nicht verhängt werden darf, wenn der Verband nachweist, dass er

jene Compliance-Vorkehrungen getroffen hat, die nach einer objektiven ex-ante

Prognose notwendig und zumutbar erscheinen, um Zuwiderhandlungen zu ver-

hindern102. Diese Regel-Ausnahme-Lösung trüge der oben skizzierten Indizwir-

kung Rechnung, gäbe dem Verband aber die Möglichkeit, sich durch den

99 Zutr. kritisch Hoven, ZIS 2014, 19 (21). Befürwortend hingegen Tiedemann (o. Fn. 25), Rn. 377. 100 Böse (o. Fn. 41), S. 20 f. 101 NRW-Entwurf (o. Fn. 18), S. 45. 102 Tiedemann (o. Fn. 25), Rn. 377.

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Nachweis hinreichender Compliance-Strukturen zu exkulpieren. Damit würde

die verfassungsrechtliche Hürde mit Sicherheit überwunden.

V. Ausblick

Aufgabe der Kriminalpolitik ist die fortdauernde Anpassung der Strafen an die

gesellschaftliche Realität103. Will der Gesetzgeber diesem Auftrag heute gerecht

werden, wäre die Verbandsstrafe eine verfassungskonforme Reaktion auf jene

Gefahren, die von unzureichend organisierten Verbänden ausgehen. Der Ent-

wurf des Landes NRW bietet für die Einführung einer solchen Strafe eine exzel-

lente Grundlage.

Wird er Gesetz, stellen sich straf-, verfahrens- und gesellschaftsrechtliche An-

wendungsfragen, die wegen der jahrzehntelangen Diskussion um das „Ob“

größtenteils nicht einmal gestellt worden sind, die aber von eminenter prakti-

scher Bedeutung für die unternehmerische, rechtsberatende und gerichtliche

Praxis sind. Beispielhaft seien genannt:

! Wie weit reicht die materiell-strafrechtliche Zurechenbarkeit von Zuwi-

derhandlungen zum Unternehmen?

! Welche Compliance- und sonstigen Verhaltensanforderungen können an

Unternehmen, abhängig von ihrer Größe, gestellt werden?

! Welche Regeln des Allgemeinen Teils des StGB sind auf die Verbands-

strafe übertragbar?

! Welche Tatbestände des Besonderen Teils sind zulässige Anknüpfungs-

punkte für eine Verbandsstrafe?

! Welche Rechte und Pflichten hat der Verband im Strafverfahren?

! Welche Wechselwirkung bestehen zwischen einer Verbandsstrafe und

dem Gesellschaftsrecht?

103 Merkel, in: Vormbaum (Hrsg.), Moderne deutsche Strafrechtsdenker, 2010, S. 248 (263 f.).

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Diesen Fragen will sich die an der Universität zu Köln angesiedelte und von Dr.

Elisa Hoven und Professor Dr. Michael Kubiciel initiierte interdisziplinäre For-

schungsgruppe „Unternehmensstrafe in der Rechtspraxis“ stellen. Als Koopera-

tionspartner wirken Professor Dr. Thomas Weigend (Strafverfahrensrecht) so-

wie Professor Dr. Martin Henssler (Gesellschaftsrecht) mit. Der bereits beste-

hende Austausch zwischen den Mitgliedern der Forschungsgruppe und Vertre-

tern von Rechtspraxis, Politik und Nachbarwissenschaften soll fortgesetzt und

ausgebaut werden.