Konzepte und Perspektiven für die pädagogische Praxis · Wandel, der Eingang in die Institutionen...

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Konzepte und Perspektiven für die pädagogische Praxis

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Wie Kinder lernenGemeinsame Grundlagen wirksamer Förderung

in Kita und Grundschule

Konzepte und Perspektiven für die pädagogische Praxis

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Impressum Wie Kinder lernen© 2013 Lernen vor Ort, Offenbach am MainBerliner Straße 77, 63065 Offenbach am Main

V.i.S.d.P.: Dr. Gabriele Botte

Redaktion: Kai Seibel, Felicitas von Küchler, Beatrice Ploch, unter Mitarbeit von Marie-Cécile Neumann, Henriette König, Offenbach am MainLektorat: Birgit Kirchner, ECS – Euro-Communication-Service, Stockstadt am MainGestaltung: Agnes Stockmann, Offenbach am MainFotos: Jörg Muthorst (S.3), Agnes Stockmann (S.4, links)Porträt- und Tagungsfotos: Hans Dieter W. Kuhn, Fotodesign, FrankfurtDruck: Alles in Druck, Service Center, Frankfurt

Tagungsort Rudolf-Koch-Schule

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Impressum 4

Inhalt 5

Felicitas von Küchler Einführung 6Lernen vor Ort

Dr. Felix Schwenke Grußwort 8Stadtrat der Stadt

Offenbach am Main

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer Wie lernen Kinder Sprache – vom Einzelnen zum Allgemeinen 10

PD Dr. Zvi Penner Sprachförderung im Kita-Alltag 18

Interview mit Karin Bahlo zu Vortrag und Workshop 22

Jens Mengeler Kann es eine Grundschule ohne Lernstörungen geben? 24

Workshop zum Vortrag 34

Prof. Dr. Wilfried Datler Emotion und Beziehung als Motor von Entwicklung 36

Workshop zum Vortrag 48

Workshops zur Offenbacher Praxis„Rhythmus, so dass die Sprache mit muss“ 50Teams der Ganztagsklassen informieren 51

Felicitas von Küchler und Beatrice Ploch Ausblick und Perspektiven 54

Lernen vor Ort

Tagungsfeedback 56

Anhang Liste der teilnehmenden Institutionen 57

Tagungsimpressionen 58

Kontakt 60

Inh

alt

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Einführung

Der Übergang von der Kita in die Grundschule stellt für Kinder und Eltern eine

wirkliche Herausforderung dar. Er ist eine der zentralen Weichenstellungen in der

Bildungsbiografie des Einzelnen. Von der pädagogischen Kultur der Kita wech-

seln die Kinder in die Grundschule, die häufig von einer anderen pädagogischen

Grundhaltung bestimmt wird. Die Kinder müssen bestimmte Voraussetzungen

der „Schulreife“ erfüllen, und Eltern übergeben ihr Kind – häufig auch mit Ängs-

ten und Bedenken – zum ersten Mal der Institution Schule.

Die Konferenz „Wie Kinder lernen – Gemeinsame Grundlagen wirksamer Förde-

rung in Kita und Grundschule“ am 29. September 2012 in Offenbach markiert

eine wichtige Etappe auf dem Weg der Annäherung der beiden institutionellen

Partner des Übergangs. Schon seit einigen Jahren gibt es in Offenbach Koope-

rationen zwischen Kita und Schule. Ihren Niederschlag fand die Absicht einer

dichteren Zusammenarbeit in einer Kooperationserklärung, die zwischen der

Stadt und dem Staatlichen Schulamt bereits im Jahr 2008 abgeschlossen wurde.

Mit dem Arbeitsbeginn von „Lernen vor Ort“ wurde eine alte Idee der Verant-

wortlichen aktiviert, nämlich eine gemeinsame Arbeitsgruppe aus Akteuren des

Übergangs und den jeweils betroffenen Verantwortlichen zu installieren. Ziel war,

möglichst nachhaltige Arrangements zur Kooperation der beiden pädagogischen

Institutionen, Schule und Kita, zu entwickeln und zu erproben. Diese Arbeits-

gruppe, der Beirat zur Kooperationsvereinbarung zwischen Kita und Grund-

schule, nahm Ende 2010 die Arbeit auf. Lernen vor Ort hatte nicht nur die

Geschäftsführung dieses Beirats übernommen, sondern auch Vertreter der am

Programm Lernen vor Ort beteiligten Stiftungen (Software AG-Stiftung, Schader-

Stiftung) zur Mitarbeit aufgefordert, die eine zusätzliche Perspektive einbrachten.

Dieser Beirat beschäftigte sich mit der zentralen Frage, wie eine Kooperation zwi-

schen Kita und Grundschule aussehen kann, die über organisatorische Abstim-

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Felicitas von KüchlerProjektleiterin „Lernen vor Ort“

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Felicitas von Küchler

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mungsprozesse hinausgeht. Und dabei entwickelte sich die Idee, dass an ge-

meinsamen Wissensgrundlagen angesetzt werden müsse. Denn auch die Vor-

stellungen über und die Grundlagen zum Lernen von Kindern unterliegen einem

Wandel, der Eingang in die Institutionen finden muss. Um dieses neue Wissen in

die pädagogische Diskussion von Einrichtungen, ob Schulen oder Kitas, einzu-

fädeln und damit die Basis für Verständigung und Abstimmung zu schaffen,

wurde die Fachkonferenz geplant, deren Ergebnisse wir hier vorlegen. Ein herz-

licher Dank geht aus diesem Grund an alle Mitglieder des Beirats zur Kooperati-

onsvereinbarung zwischen Kita und Grundschule, die sich engagiert an der

Planung der Veranstaltung beteiligt haben. Unter ihnen besonders hervorheben

möchte ich Dr. Peter Bieniußa, Leiter des Landesschulamts und Lehrkräfteaka-

demie-Staatliches Schulamt für den Landkreis Offenbach und die Stadt Offen-

bach am Main und Hermann Dorenburg, Leiter des Jugendamts und des

Eigenbetriebs Kindertagesstätten Offenbach, deren Einsatz zur hohen Resonanz,

die die Veranstaltung gefunden hat, beigetragen hat. Und auch Walter Hiller von

der Software AG-Stiftung möchte ich besonders danken, denn er hat alle seine

Möglichkeiten genutzt, Herrn Prof. Manfred Spitzer als Referenten für die Veran-

staltung zu gewinnen. Damit haben er und die Software AG-Stiftung einen ganz

besonderen Beitrag für dieses Vorhaben geleistet.

Wir denken, dass die Kurzfassung der zentralen Vorträge der Fachkonferenz eine

interessante Lektüre für viele pädagogische Fachkräfte darstellt. Darum haben

wir diese Broschüre entwickelt, in der Hoffnung, dass sie für die Teilnehmenden

der Veranstaltung wie auch für Interessierte am Thema den Anlass für eine päda-

gogische Diskussion – auch zwischen den Institutionen – bietet, wie man das

Lernen von Kindern fördern kann. Die Texte der Referenten und die praktischen

Beispiele aus den Workshops können sicherlich Impulse geben, das eigene pä-

dagogische Handeln weiterzuentwickeln und dabei auch pädagogische Hand-

lungsroutinen einer Überprüfung zu unterziehen.

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Grußwort

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, Sie heute zur Tagung „Wie Kinder lernen: Gemeinsame Grundla-

gen wirksamer Förderung in Kita und Grundschule“ begrüßen zu dürfen! Für die-

jenigen unter Ihnen, die es nicht wissen – für mich ist dies mein erster Auftritt in

meiner neuen Rolle als Stadtrat und Bildungsdezernent der Stadt Offenbach an

meiner alten Wirkungsstätte. Bis vor wenigen Wochen habe ich ja an der Rudolf-

Koch-Schule noch unterrichtet und freue mich deshalb besonders, dass diese

Veranstaltung heute hier stattfindet.

Insbesondere möchte ich begrüßen: Walter Hiller von der Software AG-Stiftung,

Dr. Tobias Robischon von der Schader-Stiftung, den Leiter des Staatlichen Schul-

amtes Dr. Peter Bieniußa sowie Felicitas von Küchler vom Projekt „Lernen vor

Ort“. Außerdem heiße ich die Referenten des heutigen Tages in Offenbach will-

kommen: Prof. Dr. Manfred Spitzer, PD Dr. Zvi Penner, Jens Mengeler und Prof.

Dr. Wilfried Datler.

Bildung ist der Schlüssel für ein selbstbestimmtes Leben, für einen Arbeitsplatz

und für Integration, kurz gesagt für Teilhabe an der Gesellschaft. Eine erfolgreiche

Bildungsbiografie beginnt möglichst früh. Deshalb ist eine wirksame Förderung

der Kinder in der Kita und der Grundschule so wichtig. Und damit das gut funk-

tioniert, darf es möglichst wenig Reibungsverluste beim Übergang von der Kita

in die Grundschule geben. Auf dem, was in der Kita gelernt wurde, soll die Grund-

schule aufbauen. Gleichzeitig soll die Kita die Kinder gut auf den Schulbeginn

Dr. Felix SchwenkeStadtrat der Stadt Offenbach am Main

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Dr. Felix Schwenke

vorbereiten. Offenbach ist hier auf einem guten Weg: Bereits an sechs Offenba-

cher Grundschulen gibt es Kooperationen mit den Kindergärten des Eigenbe-

triebs Kindertagesstätten. Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer

arbeiten eng zusammen, das Sprachförderprogramm des Eigenbetriebs Kinder-

tagesstätten Offenbach (EKO) wird in den Ganztagsklassen dieser Grundschu-

len weitergeführt.

Natürlich erzähle ich den meisten von Ihnen damit nichts Neues, denn Sie sind

es, die dafür sorgen, dass hinter dem, was ich gerade gesagt habe, auch eine

Wirklichkeit steht! Ich freue mich, dass so viele Erzieherinnen, Erzieher und Lehr-

kräfte aus den Offenbacher Kitas und Grundschulen an dieser Tagung teilneh-

men; denn ein Blick auf die Teilnehmerliste zeigt, dass etwa zwei Drittel von Ihnen

an Offenbacher Einrichtungen tätig sind. Sie sind diejenigen, denen wir tagtäg-

lich die Frühförderung und Bildung unserer Kinder anvertrauen. Sie alle wissen

am besten, welche praktischen Hindernisse es im Alltag bei der Zusammenarbeit

von Kitas und Grundschulen noch gibt, aber auch, welche Erfolge wir schon ver-

buchen können.

Das Programm verspricht spannende Vorträge, die einen anregenden und hof-

fentlich motivierenden Blick über den täglichen Tellerrand hinaus bieten. Ich wün-

sche Ihnen eine interessante Tagung – nutzen Sie die Möglichkeit, neue Kontakte

zu knüpfen und sich mit Kolleginnen und Kollegen auszutauschen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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Wie lernen Kinder Sprache – vom Einzelnen zum Allgemeinen*Vortrag von Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer

Frühkindliche Bildungsprozesse sind extrem wichtig, das möchte ich Ihnen anhand von Er-kenntnissen aus der Hirnforschung zeigen. Sie bestimmen das gesamte Leben. Wie ein Kindsprechen lernt, ist seine Eintrittskarte in alle Bildungsprozesse. Es gibt noch eine zweite Ein-trittskarte, die aber nur selten diskutiert wird, und zwar die Fähigkeit, sich selbst im Griff zuhaben. Auch diese Eigenschaft ist Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben. Wie kannman auf diese Fähigkeit Einfluss nehmen? Es scheint paradox, davon zu sprechen, auf wel-che Weise man von außen bestimmen kann, wie sich jemand selbst bestimmt. Aber genaudarum geht es letztlich: es geht um die Voraussetzungen, Bildung zu erlangen und aufgrunddieser Bildung ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Diese Voraussetzungen werdenim Kindergarten und in der Grundschule geschaffen.

Als Beispiel für die unglaublichen Lernprozesse, die im menschlichen Gehirn stattfinden kön-nen, möchte ich Ihnen von drei Abbildungen von Gehirnen berichten, die in medizinischenZeitschriften publiziert wurden. Das eine Bild zeigt das Gehirn eines Mädchens, dem im Altervon drei Jahren eine Gehirnhälfte wegen einer Entzündung operativ entfernt werden musste.Dieses Mädchen müsste schwer behindert sein und im Rollstuhl sitzen. Doch als es im Altervon sieben Jahren erneut untersucht wurde, war diesem Kind nichts anzumerken. Das Mäd-chen, das eigentlich kein Sprachzentrum mehr im Gehirn besitzt, spricht sogar zwei Spra-chen fließend. Auch die beiden anderen Hirnaufnahmen sind verblüffend. Sie zeigen solcheAuffälligkeiten, dass ein Arzt nur anhand dieser Bilder vermuten müsste, der betreffende Pa-tient sei tot. Stattdessen leben die drei Menschen ein normales Leben. Bei diesen Patientenhaben also enorme Lernprozesse im Gehirn stattgefunden. Wenn so etwas möglich ist, wiekann es dann sein, dass jeder sechzehnte deutsche Schüler den Hauptschulabschluss nichtschafft?

Was kann aber Lernen bewirken, und was bedeutet es für das gesamte Leben? Dies möchteich mit Hilfe einer Studie aus den USA zu Morbus Alzheimer verdeutlichen. Diese Studie be-stätigte, dass unser Gehirn zu erstaunlichen Veränderungen fähig ist. Untersucht wurden über650 Nonnen, die sich bereits im fortgeschrittenen Alter von siebzig bis achtzig Jahren befan-den. Sie wurden jährlich bis zu ihrem Tod getestet, und sie willigten ein, dass die Forscher ihreGehirne nach ihrem Ableben untersuchen duften. In der Studie wurden auch die Lebensläufeder Nonnen, die sie bei Eintritt in den Orden verfasst hatten, betrachtet: Wie hatten sie ihrenLebenslauf formuliert, und wie ging es ihnen im Alter? Ein Erkenntnis der Studie war: Je dif-ferenzierter die jungen Mädchen ihren Lebenslauf verfasst hatten, z.B. bezüglich Satzbau undGrammatik, desto besser waren ihre geistigen Fähigkeiten im Alter. Ein einzigartiges Phäno-men entdeckte man bei einer Probandin namens Schwester Maria. Bis zu ihrem vierundacht-zigsten Lebensjahr arbeitete diese Frau als Lehrerin, und auch später blieb sie aktiv. Diejährlichen Testergebnisse zeigten, dass ihre geistigen Fähigkeiten uneingeschränkt funktio-nierten. Sie starb im hohen Alter von hunderteins. Bei der anschließenden Untersuchung ihresGehirns stellte sich jedoch heraus, dass es „voller Alzheimer“ war. Wie war es möglich, dassman der agilen Frau nichts davon angemerkt hatte?

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer stu-

dierte in Freiburg Medizin, Psycho-

logie und Philosophie. Promotion in

Medizin und Philosophie, Diplom im

Fach Psychologie. Von 1983 bis

1988 Weiterbildung zum Facharzt

für Psychiatrie. 1989 Habilitation für

das Fach Psychiatrie an der Univer-

sität Freiburg. Von 1990 bis 1997

Oberarzt an der Psychiatrischen

Universitätsklinik Heidelberg.

Drei Forschungsaufenthalte in den

USA (1989/90 und 1994 Harvard

University, 1992 University of Ore-

gon) prägten das weitere wissen-

schaftliche Werk von Manfred

Spitzer an der Schnittstelle von

Neurobiologie, Psychologie und

Psychiatrie.

Seit 1997 ist er Ärztlicher Direktor

der neu gegründeten Psychiatri-

schen Universitätsklinik in Ulm.

Seine Forschungsschwerpunkte

betreffen psychiatrische und psy-

chologische Fragen unter Berück-

sichtigung neurowissenschaftlicher

Konzepte und Methoden.

Insbesondere arbeitet er an der

Kombination funktionell bildgeben-

der Verfahren zur genauen räumli-

chen und zeitlichen Lokalisation

höherer geistiger Leistungen und

deren pathologischer Veränder-

ungen.

* Der Vortrag von Prof. Dr. Dr. Spitzer wird in Auszügen wiedergegeben, die dem gesprochenen Wort entsprechen.

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Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer

Die Synapsen haben die Auf-

gabe, sich zu verändern,

und das tun sie, indem sie

benutzt werden.

Für die Gehirnbildung bei

Kindern ist deshalb das Ler-

nen extrem wichtig. Dabei

spielen Motorik und Sensorik

bedeutende Rollen, denn

durch sie entstehen beson-

ders viele Verknüpfungen.

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Der Grund dafür: Gehirne haben die einzigartige Eigenschaft der graceful degradation. Das bedeutet, wenn ein Gehirn erkrankt, geht es sehr langsam kaputt. So spürt man zum Beispieldie Symptome der Krankheit Morbus Parkinson erst, wenn bereits siebzig Prozent der Ner-venzellen zerstört sind. Dank der komplexen Vernetzung im Gehirn kann es aber trotz einerfortgeschrittenen Erkrankung noch funktionieren. Und dies trifft vor allem dann zu, wenn einGehirn gut ausgebildet ist.

Bei der Geburt kann unser Gehirn zunächst noch nichts, denn es hat noch nichts gelernt. Erstdie Lernprozesse bilden das Gehirn. Dies ist im Sinne der Hirnforschung wörtlich zu verste-hen als „Gehirnbildung“. Alle Nervenzellen im Gehirn sind vernetzt, und nur dank dieser Ver-netzung kann im Gehirn überhaupt etwas geschehen. Zu jeder Nervenzelle gehören zehn-tausende Fasern, die weit verzweigt sind. Diese Fasern transportieren elektrische Impulse. Anden Synapsen findet eine biochemische Übertragung dieser elektrischen Impulse statt. Etwahundert Milliarden Nervenzellen befinden sich im Gehirn, und jede Nervenzelle hat zehntau-send Verbindungen. Es existieren also eine Million Milliarden Synapsen im Kopf. Die wichtigsteErkenntnis der Neurowissenschaft der letzten fünfundzwanzig Jahre lautet: Die Synapsenhaben die Aufgabe, sich zu verändern, und das tun sie, indem sie benutzt werden. Synapsenändern sich dann, wenn Impulse über sie laufen. Diese Lernprozesse hat die Hirnforschungsichtbar gemacht; sie hat anhand von Aufnahmen von Nervenzellen gezeigt, dass neue Ver-bindungen beim Lernen hinzukommen. Doch nicht nur neue Verbindungen werden geknüpft,auch die Dichte der Verbindungen nimmt durch Training zu. Diese Umbildungsprozesse ver-laufen schnell, sie finden innerhalb von einigen Tagen statt. Das Gehirn ist also eine perma-nente Großbaustelle. Es bildet sich ständig um, und zwar dadurch, dass es etwas lernt. Lerntdas Gehirn nichts, dann bilden sich auch keine neuen Verknüpfungen. Alle Verknüpfungen sindein Produkt von Lernprozessen, im Gehirn sitzen sozusagen die „Gedächtnisspuren des Ge-brauchs“. Dementsprechend lautet der Titel einer bedeutenden Studie, die in der renommier-ten Zeitschrift „nature“ veröffentlicht wurde: „Experience leaves a lasting structural trace incortical circuits“ (Erfahrung hinterlässt eine dauerhafte strukturelle Spur in Netzwerken derGehirnrinde). Gerade das junge Gehirn ist begierig auf Strukturen. Für die Gehirnbildung beiKindern ist deshalb das Lernen extrem wichtig. Dabei spielen Motorik und Sensorik bedeu-tende Rollen, denn durch sie entstehen besonders viele Verknüpfungen. In unserem Gehirnnehmen die Nervenzellen, die für Hand, Lippen und Zunge zuständig sind, relativ viel Raumein; viel weniger Platz hingegen gibt es beispielsweise für die Nervenzellen zum Rücken. Dader Mensch mit Händen, Lippen und Zunge sehr viele differenzierte Bewegungen macht, sindviele Nervenzellen im Kopf für diese Körperteile zuständig. Sie benötigen deutlich mehr Platzals diejenigen für Körperteile, über die weniger Impulse laufen. Hierzu ein Beispiel: Professio-nelle Geigenspieler haben im Alter von zwanzig Jahren im Durchschnitt bereits zehntausendStunden Geige geübt. Es lässt sich nachweisen, dass bei ihnen mehr Nervenzellen im Gehirnfür die linke Hand zuständig sind, als es üblicherweise der Fall ist. Das ständige intensive Trai-ning führt zu Veränderungen im Gehirn.

Unser Gehirn ist modular aufgebaut. Aus Lichtimpulsen (mit den Augen sehen) werden elek-trische Impulse. Im Gehirn existieren Module für Farben, Bewegungen, Objekte, Gesichter,Ecken, Kanten und vieles mehr. Diese Module sind nachgewiesen, und auch die Verbin-dungslinien zwischen ihnen sind bekannt. Die Informationsverarbeitung zwischen den Modu-len ist komplex und verläuft nie nur in eine Richtung, sondern viele Bereiche kommunizierenständig miteinander.

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Zahlen erreichen zunächst

über die Hände unser Gehirn,

denn als Kinder lernen wir

anhand der Finger unserer

Hände zu zählen.

Noch beim Erwachsenen

lässt sich erkennen, wie er

einst zählen gelernt hat.

Unsere Erfahrungen prägen sich im Gehirn ein und bilden die Grundlage unserer Wahrneh-mung. Wer sein Sehsystem an Gebäuden und Räumen mit Ecken und Kanten trainiert, so wiees Kinder in Mitteleuropa üblicherweise tun, hat eine andere Wahrnehmung als ein Mensch,der in einer runden Hütte aufgewachsen ist und in einer Umgebung, in der es keine Ecken undKanten gibt. Diese unterschiedlich geprägte Wahrnehmung konnte man in Untersuchungen mitMenschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen belegen. Das Gehirn erhält Erfahrungswertedurch Sehen, Tasten und Hören. Alle Bereiche des Gehirns sind miteinander verknüpft. Dieswurde durch einen einfachen Test gezeigt: Weltweit legte man Menschen zwei Bilder mit For-men vor und fragte sie, welche dieser Formen wohl als „Bubu“ und welche als „Kiki“ be-zeichnet würde. Die eine Form hat Rundungen, die andere zeigt Spitzen. Weltweit gabenMenschen dieselbe Antwort: Sie ordneten dem runden Objekt den Namen „Bubu“, dem ecki-gen den Namen „Kiki“ zu. Da die befragten Menschen unterschiedliche Sprachen hatten,konnte dieses verblüffende Ergebnis nichts mit der Sprache zu tun haben. Vielmehr hängt esvon der Tatsache ab, dass auf der ganzen Welt die Physik der materiellen Objekte gleich ist.Würde man auf die runde Form schlagen, würde sie ein anderes Geräusch als die spitzwink-lige, kantige Form verursachen. Dieses Geräusch klänge bei der runden Form eher dumpf wie„Bubu“, bei der spitzen eher schrill wie „Kiki“. Aufgrund dieser gleichen Erfahrung mit Klän-gen ergab sich die weltweit übereinstimmende Zuordnung. Die Physik der Objekte haben wiralle intuitiv gelernt, indem wir mit Objekten umgehen. Damit wird deutlich, dass unser Gehirnauf alles Wissen und alle Erfahrungen zurückgreift, um ein Problem zu lösen.

Ein Drittel unseres Gehirns ist für das Sehen zuständig, ein weiteres Drittel für Bewegung.Sehen und Bewegen sind eng miteinander verbunden, aus unserer Wahrnehmung – also ausBildpunkten – wird eine Muskelaktion. Alle unsere Erfahrungen zur Wahrnehmung der Weltwerden im Gehirn in miteinander vernetzten Modulen gespeichert. Der Mensch ist die einzigeSpezies, die derart viele unterschiedliche Bewegungen ausführen kann. Viele Tiere sind zwarspezialisierter in einer Bewegungsart, aber nur der Mensch beherrscht unzählige Bewe-gungsvarianten.

Zahlen erreichen zunächst über die Hände unser Gehirn, denn als Kinder lernen wir anhandder Finger unserer Hände zu zählen. Noch beim Erwachsenen lässt sich erkennen, wie er einstzählen gelernt hat. Ab der Zahl sechs rechnet jeder Erwachsene nachweisbar langsamer, dennab diesem Moment nahm man als Kind die zweite Hand zu Hilfe. Diese These belegt eine Un-tersuchung von Chinesen, die ihre Zahlen mit anderen Fingerbewegungen darstellen. Auf Chi-nesisch kann man mit einer Hand bis zehn zählen. Chinesen rechnen erst ab der Zahl elfnachprüfbar langsamer, denn erst für die Elf zogen sie als Kinder beim Rechnen die zweiteHand hinzu. Man erkennt an den Gehirnen Erwachsener deutlich, wie sie etwas gelernt haben.

Will man Kindern Grundlagen für das Lernen von Mathematik vermitteln, sollte man im Kin-dergarten häufig Fingerspiele machen. Hat man die Wahl, Kinder vor einen Laptop zu setzenoder sie mit Fingerspielen zu beschäftigen, ist die Bewegung, also das Fingerspiel, die sinn-volle Entscheidung. Eine wichtige Einsicht darf hier nicht vergessen werden: Kinder brauchenetwas anderes als Erwachsene, denn sie lernen noch rasant, und dadurch bildet sich ihr Ge-hirn. Auch bei Erwachsenen schrumpft das Gehirn, wenn es nicht trainiert wird. Ein gutes Bei-spiel hierfür sind die weit verbreiteten Navigationsgeräte für Autos. Wenn ein solches Gerätbenutzt wird, findet die Orientierungsleistung nicht mehr im Gehirn statt, und der entspre-chende Teil des Gehirns wird kleiner.

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Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer

Wie wichtig der Bewegungsaspekt beim Lernen ist, konnte in einer Studie mit Studenten be-legt werden. Die Teilnehmer hatten die Aufgabe, innerhalb von fünfzehn Stunden in einemLabor 64 erfundene Objekte zu erlernen, die sich in der Form und im Namen unterschieden.Diese Objekte gehörten zudem zu acht verschiedenen Kategorien. Bis auf einen Teilnehmerwaren alle Studenten nach fünfzehn Stunden hierzu in der Lage. Entscheidend war jedoch,dass sie in zwei Gruppen aufgeteilt wurden, die auf unterschiedliche Art und Weise lernten.Die eine Gruppe musste lediglich auf die Objekte deuten. Die andere Gruppe musste einepantomimische Bewegung machen, die zu dem jeweiligen Objekt passte. Bei dem abschlie-ßenden Test zeigte sich, dass die Gruppe, die alle Objekte über eine Bewegung erlernt hatte,signifikant schneller war. In dieser Studie ging es um kategoriales Denken. Wie schnell manüber Objekte nachdenken kann, hängt offensichtlich davon ab, wie man diese Objekte er-lernt hat.

Durch die Art und Weise des Lernens ergibt sich ein entscheidender Unterschied in der Leis-tungsfähigkeit. Wer mit Bewegung lernt, trainiert einen anderen Hirnbereich.

Ein Mausklick hingegen ist lediglich eine sinnlose Zeigebewegung. Nur wer auf andere Weiselernt, steigert seine Denkfähigkeit. Wer die Dinge begreift, „bespielt“ ein Drittel seines Gehirnsmehr. Wer einen Inhalt „googelt“, hat weniger Chancen, ihn im Gedächtnis zu behalten alsdurch das Lesen eines Zeitungsartikels oder eines Buches. Unser Gehirn speichert ihn des-halb nicht ab, weil es weiß, dass man ihn jederzeit wieder googeln kann. Zudem braucht manzum Googeln möglichst viel Vorwissen, da man die enorme Menge der gefundenen Informa-tionen sinnvoll sortieren muss. Um zu entscheiden, welche Informationen etwas taugen, mussman demnach vorgebildet sein. Je mehr ein Mensch bereits weiß, desto besser kann er diegegoogelten Informationen nutzen. Ein Erwachsener kann durchaus von Google profitieren, inder Schule hingegen ist es nicht sinnvoll, Informationen auf diese Weise zu suchen. Schüle-rinnen und Schüler sollten unbedingt ohne dieses Hilfsmittel lernen, denn nur so bilden sichihre Synapsen aus, und nur so bleiben ihnen die Informationen länger im Gedächtnis. Entscheidend hierfür ist, dass beim Lernen auch die Verarbeitungstiefe unterschiedlich ist. Sie hängt davon ab, wo die aktivierten Verknüpfungen im Gehirn angesiedelt sind und wieviele aktiviert werden. Um komplexere Fragen zu beantworten, benötigt man sehr viele Synapsen, die tiefer im Gehirn sitzen. Lernt man etwas auf diese Weise, bleibt es daher länger in Erinnerung.

In Lernumgebungen sind Computer in der Regel „Lernverhinderungsmaschinen“. Werden sieeingesetzt, findet das Lernen nicht im Gehirn statt. Es gibt zwar durchaus sinnvolle Möglich-keiten, Computer in Lernsituationen einzusetzen, aber dies muss sehr bewusst und in einembesonderen Zusammenhang geschehen. Nach einer Studie des Münchner Wirtschaftsfor-schungsinstituts – zugrunde lagen die Daten einer Viertelmillion Schülerinnen und Schüler –schnitten bei den Schulleistungen die Fünfzehnjährigen, die einen Computer in ihrem Ju-gendzimmer haben, schlechter ab als diejenigen ohne diese Geräte. Ein weiterer Beleg: DerBürgermeister von Birmingham, Alabama, kaufte 15.000 Computer für Brennpunktschulen.Nach drei Jahren wurde die begleitende Studie abgebrochen, weil man feststellte, dass dieSchülerinnen und Schüler, die einen Computer bekommen hatten, schlechtere Leistungenzeigten als diejenigen, die keinen bekamen. Im Umgang mit Computern im Lernbereich müs-sen demzufolge die Einsatzmöglichkeiten genau bedacht werden. Alles andere ist unverant-wortlich.

Durch die Art und Weise des

Lernens ergibt sich ein ent-

scheidender Unterschied in

der Leistungsfähigkeit. Wer

mit Bewegung lernt, trainiert

einen anderen Hirnbereich.

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Das Gehirn gleicht einem

paradoxen Schuhkarton: Je

mehr in einem Gehirn enthal-

ten ist, desto mehr passt

noch hinein.

Am Beispiel des Golfspiels möchte ich verdeutlichen, wie sich das Gehirn entwickelt. Zu-nächst sind beim Golfen weite Schläge notwendig, um den Ball in die Nähe des Lochs zu be-kommen. Danach ist es sinnvoll, immer kleinere Schläge einzusetzen, bis zum Einlochen.

Einerseits sind also große Lernschritte nötig, andererseits auch kleine Schritte. Große Schrittesind notwendig, um schnell zum Ziel zu kommen. Kleine Schritte braucht man, um genau dasZiel zu treffen. Dies ist eine Analogie zum Lernen. Die Synapsen ändern sich am Anfang, in derfrühen Kindheit, sehr schnell. Später wird dieser Prozess langsamer. Ein Kind lernt sehr vielschneller als ein Erwachsener. Zwanzigjährige haben nur noch zehn Prozent der Lernge-schwindigkeit von Zehnjährigen. In diesem Zusammenhang ist die Erkenntnis wichtig, dassdas Gehirn einem „paradoxen Schuhkarton“ gleicht: Je mehr in einem Gehirn bereits enthal-ten ist, desto mehr passt noch hinein. Am Beispiel des Sprachenlernens lässt sich das gut ver-deutlichen: Beherrscht jemand bereits mehrere Sprachen, so fällt es ihm leichter, noch eineweitere zu erlernen, als jemandem, der nur eine Sprache kann. Das liegt daran, dass dieSprachzentren in seinem Gehirn differenzierter ausgebildet sind. Damit können diese Viel-sprachler sehr schnell eine neue Sprache adaptieren.

Die Fähigkeit zum lebenslangen Lernen wird im Kindergarten und in der Grundschule ange-legt. Das bedeutet, dass es sinnvoll ist, das Lernen im Kindesalter zu fördern. Die Neurowis-senschaft belegt dies. Das bedeutet auch, dass die Kosten für Bildung bei uns zu einemgroßen Teil falsch eingesetzt werden. Es ist nicht sinnvoll, Milliarden in die Umschulung von Ar-beitslosen und in die Fortbildung von Erwachsenen zu investieren. Je früher investiert wird,desto höher ist die Rendite für Bildungsinvestitionen. Der größte Teil unserer enormen Bil-dungskosten sollte deshalb in Kindergärten und Grundschulen fließen. Das würde zu einemgewaltigen Bildungsgewinn führen und Probleme mit mangelhaft ausgebildeten Erwachse-nen langfristig vermeiden.

Wenn wir vom Wachstum der Nervenzellen im Gehirn sprechen, so stellt sich die Frage, wasgenau eigentlich wächst. Der Neuroanatom Paul Flechsig hat bereits vor hundert Jahren Bil-der zur Gehirnentwicklung angefertigt. Er stellte fest, dass nicht die Menge der Nervenzellenoder Nervenfasern wächst, sondern die Fettummantelung der Nervenfasern. Die Impulse anden Nervenfasern mit Fettummantelung werden fünfunddreißigmal so schnell geleitet wie andenjenigen, die noch keine Fettummantelung aufweisen. Im Gehirn eines Säuglings ist zwaralles bereits vorhanden und auch miteinander verbunden, aber die Verbindungen sind nochsehr langsam. Beim Erwachsenen hingegen besteht das Gehirn zu sechzig Prozent aus Fett.Die Fettummantelung sorgt dafür, dass die Nervenfasern schnell miteinander kommunizierenkönnen. Und diese Kommunikation zwischen den Modulen stellt die eigentliche Informati-onsverarbeitung dar.

Die menschliche Hirnentwicklung ist die Voraussetzung dafür, dass wir in unserer intellektuel-len Entwicklung so weit kommen. Verglichen mit anderen Lebewesen hat ein Kind eine extremlange Lernphase. Sein Gehirn beginnt mit einfachen Dingen zu lernen, dann kommen immerkomplexere Sachverhalte dazu. Doch gerade dieses lange Lernen des Menschen ist die Vo-raussetzung für seine enorme Lernleistung. Das sich entwickelnde Gehirn ersetzt gewisser-maßen den Lehrer, denn auch ein guter Lehrer wählt zuerst einfache Beispiele und dann immerschwerere.

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Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer

Damit Sprachentwicklung stattfinden kann, muss mit dem Kind gesprochen werden. Die Mo-dule im Gehirn müssen bespielt werden. Deshalb ist es so wichtig, so viel wie möglich mitKindern zu sprechen. Dabei spielen allerdings noch andere Sinne eine Rolle, vor allem dasSehen. Das Kind verbindet das Gesicht und die Mimik des Sprechenden mit den Lauten, diees hört. Und damit das Kind die Sprache richtig zuordnen kann, muss es erleben, dass sie ausdem Mund eines lebenden Menschen kommt und nicht aus den Lautsprechern eines Fern-sehers.

Im Jahr 2003 wurde eine amerikanische Studie publiziert, die man mit neun Monate alten Kin-dern in einer Krabbelgruppe in Oregon durchgeführt hatte. Dreimal pro Woche las man denKindern zwanzig Minuten entweder Chinesisch oder Englisch vor, acht Wochen hindurch. Da-nach konnten die Kinder, denen Chinesisch vorgelesen worden war, chinesische Laute bes-ser unterscheiden. Die Kinder, denen Englisch vorgelesen worden war, konnten mit denchinesischen Lauten nichts anfangen. Eine dritte Gruppe hörte dieselben Texte derselben Vor-leser von einer CD oder von einer DVD, doch diese Kinder lernten nichts. Das beweist, dassBildschirmmedien bis zum Ende des zweiten Lebensjahrs völlig ungeeignet sind, um Kinderetwas zu lehren. Babys brauchen unbedingt einen echten Menschen, der spricht. Daher sindzum Beispiel DVDs des Disney-Konzerns, die speziell für Kleinkinder angepriesen werden,schädlich für die Sprachentwicklung. Eine Studie an über tausend Babys aus dem Jahr 2007zeigte auf, dass Babys in ihrer Entwicklung signifikant weiter waren, wenn ihre Eltern ihnenjeden Tag vorlasen. Bildschirmmedien hingegen hatten einen negativen Einfluss. So warenBabys, die vor diesen Medien saßen, doppelt so schlecht in ihrer Sprachentwicklung wie dieBabys von Eltern, die ihnen vorlasen. In den USA verklagen aufgrund solcher Erkenntnisse Elternden Disney-Konzern, denn die Sprachentwicklung ist die Eintrittskarte für jegliche Bildung.

Zu viel Medienkonsum führt bei Kindern außerdem zu Aufmerksamkeitsstörungen. So konntein deutschen Studien nachgewiesen werden, dass Playstation-Benutzer schlechter lesen undschreiben als Kinder, die solche Geräte nicht besitzen. In diesem Zusammenhang sind die fol-genden statistischen Daten aus den USA erschreckend: Für die Altersgruppe der untersuch-ten Acht- bis Achtzehnjährigen ergab sich ein durchschnittlicher Medienkonsum von 10,45Stunden täglich. Auch wenn man davon ausgeht, dass mehrere Medien gleichzeitig genutztwurden, um auf diese hohe Stundenzahl zu kommen, ist das kein Grund zur Entwarnung.Denn man weiß, dass dieses Multitasking ebenfalls Aufmerksamkeitsstörungen verursacht. Esist deshalb vollkommen unsinnig, Multitasking zu üben, wie es schon von manchen Pädago-gen gefordert wurde. Mit solchen Übungen würde man Kindern Aufmerksamkeitsstörungenregelrecht antrainieren. Aufgrund solcher Erkenntnisse und Zusammenhänge ist es immenswichtig, Bildungsforschungs- und Hirnforschungsdaten gemeinsam zu betrachten.

Nun komme ich auf die am Anfang erwähnte zweite Eintrittskarte in Bildungsprozesse zurückund möchte dies mit der Frage einleiten: Was kann man im Kindergarten tun, um Kindern bei-zubringen, sich selbst im Griff zu haben? Als Beispiel kann der bekannte Marshmallow-Testherangezogen werden. Bei dieser Testreihe wurden Vierjährige an einen Tisch gesetzt, auf demein Teller mit einem Marshmallow stand. Die Versuchsleiterin erklärte jedem Kind, wenn es die-ses Marshmallow während ihrer Abwesenheit nicht aufäße, bekäme es zur Belohnung zweiMarshmallows. Dann verließ sie das Zimmer und die Kinder wurden dabei gefilmt, wie sie mitihrem Wunsch, das Marshmallow zu essen, kämpften.

Eine Studie an über tausend

Babys aus dem Jahr 2007

zeigte auf, dass Babys in

ihrer Entwicklung signifikant

weiter waren, wenn ihre

Eltern ihnen jeden Tag vorla-

sen. Bildschirmmedien

hingegen hatten einen nega-

tiven Einfluss.

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Wie kann man Selbstkon-

trolle üben? Wichtig ist, dass

dies ohne Druck von außen

geschieht. Es ist kontrapro-

duktiv, Kinder durch Drohun-

gen zu etwas zu zwingen.

Manche Kinder hielten nur zehn Sekunden durch, andere eine Viertelstunde. Das Interessantean dieser Studie ist, dass die Kinder, die sich beherrschen konnten, in ihrem Leben bis zumCollege hin erfolgreicher waren. Fünfhundert Kinder wurden hierfür zwanzig Jahre lang un-tersucht. Die Fähigkeit, sich selbst im Griff zu haben, bestimmte ihr Leben also maßgeblich.Die beste Langzeitstudie zu diesem Thema stammt aus Neuseeland.

In dieser Studie wurden im Jahr 1972 über tausend Neugeborene erfasst und untersucht.Mittlerweile sind alle Teilnehmer über vierzig Jahre alt. Über neunzig Prozent sind noch betei-ligt. In verschiedenen Lebensaltern wurde festgestellt, wie gut sich die Teilnehmer kontrollie-ren konnten. Dafür ermittelte man Werte für Eigenschaften wie Impulsivität, Aggressivität,Hyperaktivität oder Durchhaltevermögen und befragte sowohl Lehrer als auch Eltern. Aus denerhaltenen Werten errechnete man einen Durchschnittswert. Die beteiligten tausend Babysteilte man anhand dieses Wertes in fünf Gruppen auf. Das erstaunliche Ergebnis: Je kontrol-lierter die Testteilnehmer als Kinder waren, desto seltener waren sie als Erwachsener krank,desto seltener waren sie Raucher oder drogensüchtig. Sogar ihr Einkommen als Erwachsenerwar höher. Auch der IQ und der sozioökonomische Status von Kindern und Eltern wurden beidieser Studie erfasst, so dass die Variablen herausgerechnet werden konnten. Die Fähigkeitzur Selbstkontrolle erwies sich für die Entwicklung der Kinder als ebenso wichtig wie der IQund der ökonomische Hintergrund. Trotz dieser verblüffenden Erkenntnis spielt dieses Themain der öffentlichen Diskussion kaum eine Rolle. Dabei war sogar die Kriminalitätsrate in derAdoleszenz und im Erwachsenenalter eindeutig bei denjenigen höher, die sich als Kinderschlechter im Griff gehabt hatten.

Auch die menschliche Willenskraft muss trainiert werden, ebenso wie das Sprachzentrum.Denn sie ist, wie andere Fähigkeiten auch, nur zum Teil genetisch bestimmt. Unsere Selbst-kontrolle besteht aus drei Faktoren: dem Arbeitsgedächtnis, der Inhibition und der Flexibilität.Wie kann man Selbstkontrolle üben? Wichtig ist, dass dies ohne Druck von außen geschieht.Es ist kontraproduktiv, Kinder durch Drohungen zu etwas zu zwingen. Dabei lernen sie keineSelbstkontrolle, sondern Angst und Unterwerfung. Eine sinnvolle Übung wäre es hingegen, einProjekt auszuwählen, bei dem etwas fertiggestellt werden muss, damit es Spaß macht. Eingutes Beispiel hierfür ist gemeinschaftliches Singen. Es macht erst dann richtig Freude, wennalle miteinander kooperieren und das Ergebnis entsprechend eindrucksvoll klingt.

Auch Übungen, die Kinder darin trainieren, sich kontrolliert zu bewegen, sind hilfreich. Päda-gogen sollten also häufig Situationen initiieren, die es Kindern ermöglichen, bei einer Aufgabedurchzuhalten. Das Durchhaltevermögen zu trainieren, fördert die Selbstkontrolle.

Die Zeitschrift „Science“ veröffentlichte 2011 ein Sonderheft über frühkindliche Erziehung.Darin wurde u. a. dargestellt, dass von solchen Übungen gerade die Jungen und Kinder mitADHS am meisten profitieren. Aufgabe der Pädagogen ist es hierbei, dafür zu sorgen, dassdie Tätigkeiten den Kindern Spaß machen, dass sie an ihre Fähigkeiten angepasst sind und biszum Ende durchgeführt werden. Damit sie Freude bereiten, müssen die Aufgaben nach undnach schwieriger werden. Die wichtigsten Schulfächer sind deswegen Musik, Sport, Theater-spielen und kreatives Werken. In diesen Fächern lernen die Kinder Freude, Selbstvertrauenund soziale Bindungen.

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Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer

Zum Schluss meiner Ausführungen noch ein wichtiger Hinweis zu dem Einfluss von Ernährungauf die Gehirnfunktion. Sinkt der Blutzuckerspiegel, fällt das Frontalhirn als Erstes aus. Hung-rige Kinder sind daher unruhig und nicht in der Lage, sich zu konzentrieren und zu lernen.Eine Studie mit Richtern hat gezeigt, dass es Erwachsenen ebenso ergeht. Grundlage fürdiese Studie waren tausend juristische Urteile, für die anhand der Aktenlage entschieden wer-den musste, ob ein Delinquent wegen guter Führung entlassen werden konnte oder nicht. Umein solches Urteil zu fällen, muss ein Richter abwägen und differenziert denken können. Fühltesich ein Richter nicht mehr in der Lage, differenziert nachzudenken, entschied er sich dafür,den Angeklagten nicht zu entlassen. Dies war immer dann der Fall, wenn ein Richter längereZeit nichts gegessen hatte. So betrug die Chance, dass jemand wegen guter Führung ent-lassen wurde, bei Arbeitsbeginn des Richters 65 Prozent. Nach zweieinhalb Stunden Arbeit lagdiese Chance bei null Prozent. Nahm der Richter nun eine Mahlzeit zu sich, lag die Quote derEntlassenen danach erneut bei 65 Prozent. Ob jemand frei kam oder nicht, hing also weitge-hend davon ab, ob der zuständige Richter gerade etwas gegessen hatte. Diese erschreckendenErgebnisse belegen eindeutig, wie wichtig der Blutzuckerspiegel für die Frontalhirnfunktion ist.

Zuletzt noch eine Studie aus der Zeitschrift „Pediatrics“, veröffentlicht im Herbst 2011. Fürdiese Studie übten Kinder drei unterschiedliche Beschäftigungen aus. Eine Gruppe zeichnete,eine Gruppe sah einen Tierfilm und eine weitere einen schnellen Cartoon. Alle Kinder muss-ten anschließend dieselben Aufgaben bewältigen. Sie mussten Kopf-Zeh-Knie-Schulter-Be-wegungsübungen ausführen, Zahlen rückwärts aufsagen, einen Turm umbauen und eineBelohnung aufschieben. Für jede dieser Tätigkeiten wird das Frontalhirn benötigt. Die Kinder,die den Cartoon gesehen hatten, bewältigten die Anforderungen sehr schlecht. Sehr gut er-ledigten die Aufgaben jedoch die Kinder, die gezeichnet hatten.

In Deutschland gehen jeden Tag Millionen Kinder ohne Frühstück in die Schule. Dafür habensie bereits Fernsehen geschaut. Die Folgen für ihre Lernfähigkeit sind katastrophal. Es gehtalso nicht um Schulsysteme und Lehrpläne, sondern darum, wie wir mit Kindern umgehen. Wirsollten genau überlegen, was einem Kind gut tut. Ausreichend gesichertes Wissen durch um-fangreiche Studien der Neurowissenschaft ist vorhanden, es muss nun auch umgesetzt undin den Kindergärten und Schulen angewandt werden.

Bücher von Prof. Dr. Dr. Spitzer zum Thema (Auswahl):

Spitzer, M. (2012): Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen,München (Droemer Knaur).

Spitzer, M. (2010): Medizin für die Bildung: Ein Weg aus der Krise, Heidelberg (Spektrum).

Spitzer, M. (2005): Vorsicht Bildschirm! Elektronische Medien, Gehirnentwicklung, Gesundheitund Gesellschaft, Stuttgart (Klett).

Spitzer, M. (2002): Lernen: Gehirnforschung und die Schule des Lebens, Heidelberg (Spek-trum Akademischer Verlag).

In Deutschland gehen jeden

Tag Millionen Kinder ohne

Frühstück in die Schule.

Dafür haben sie bereits Fern-

sehen geschaut. Die Folgen

für ihre Lernfähigkeit sind

katastrophal.

Es geht also nicht um Schul-

systeme und Lehrpläne, son-

dern darum, wie wir mit

Kindern umgehen.

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Sprachförderung im Kita-Alltag*PD Dr. Zvi Penner

Ich möchte Ihnen von der Praxis eines laufenden Projekts berichten, das in Offenbach durch-geführt wird. Aus den vielen Bereichen, die zu diesem Projekt gehören, habe ich für meinenVortrag einen Aspekt gewählt. Im Rahmen der „Fördermodelle für das explizite Lernen“ han-delt es sich dabei um ein Projekt zu dem untergeordneten Schwerpunkt „komplexe Bedeu-tungen“. Hierzu werde ich Ihnen eine Situation aus einer Kita schildern, in der Kinder Verbenmit komplexen Bedeutungen lernen können.

Verben mit komplexen Bedeutungen stellen eine sehr große Herausforderung für Kinder dar,die Deutsch als Zweitsprache (DaZ) lernen sowie für alle Kinder, die sprachlich benachteiligtsind und Schwierigkeiten beim Spracherwerb haben. Oft haben diese Kinder in ihrem Verb-wortschatz Dauerprobleme mit den zusammengesetzten Verben. Solche Verben bestehen auseiner Vorsilbe und dem Verbstamm, hierzu gehören z. B. Verben mit den Vorsilben„ab-”, „ein-”, „aus-” oder „auf-”, die häufig verwendet werden. Verben mit der Vorsilbe „ab-”werden auch im Mathematikunterricht oft benutzt. Sprachlich benachteiligten Kindern berei-tet es oft Schwierigkeiten, die Bedeutungsunterschiede zwischen ähnlichen Worten wie „ab-schneiden“ und „zerschneiden“ oder zwischen „abfüllen“, „auffüllen“, „umfüllen“ und„nachfüllen“ zu verstehen. Die entsprechenden Synapsen im Gehirn zum Spracherwerb sindvermutlich bei allen Kindern vorhanden, doch viele Kinder lernen schon von Beginn an ge-wissermaßen in die falsche Richtung.

Man kann solche Verben nicht anfassen, um sie zu lernen. Wie kann man also vorgehen, umsie erfolgreich zu vermitteln? Welche Schritte sind notwendig für ein entsprechendes Inter-ventionsprogramm im Kindergarten oder in der Schule?Bei komplexen Verbwortfeldern erfordert die Vermittlung eine große Genauigkeit von den pä-dagogischen Fachkräften. Wir haben uns im Rahmen unseres Projekts zunächst drei grund-legende Fragen gestellt:• Was lernen die Kinder, wenn sie Verbbedeutungen im Deutschen lernen?• Warum haben gerade die sprachlich Benachteiligten in diesem Bereich so große Schwie-

rigkeiten, die zu Dauerproblemen werden?• Was muss ein Erzieher/eine Erzieherin oder ein Lehrer/eine Lehrerin wissen, um die Kinder

in diesem Bereich entsprechend fördern zu können? Welches Fachwissen ist nötig?

Von großem Interesse ist für uns zudem die Frage, was in der Praxis passiert, wenn solche Pro-jekte durchgeführt werden.

In der Regel lernen Kinder einige tausend deutsche Verben bereits in der Vorschulzeit und ver-fügen, wenn sie in die Schule kommen, bereits über ein Wissen zu Wortfeldern. Im Beispielrechts oben sehen Sie Wortfelder aus dem Bereich „sauber machen“, hierzu gehören bei-spielsweise die Verben „putzen“, „waschen“, „schrubben“, „reinigen“ und „scheuern“. Dochwas geschieht bei Kindern, die solche Wortfelder nicht so gut beherrschen? Wenn ein Kind an-fängt, Bedeutungen zu lernen, muss es sich in der Welt orientieren. Es lernt anfänglich mitgroßen Schritten, und dabei ist entscheidend, dass die Richtung seines Lernens stimmt. DasKind lernt, indem es Handlungen beobachtet. Doch es muss beim Lernen viele ablenkende

PD Dr. Zvi Penner

Der Sprachwissenschaftler und

Spracherwerbsforscher PD Dr. Zvi

Penner arbeitet seit den späten

80er Jahren an der Schnittstelle

zwischen psycholinguistischer,

klinischer Forschung und Praxis.

Die Schwerpunkte seiner Arbeit

sind:

• Normaler und gestörter Sprach-

erwerb • Störungen im Grammatikerwerb

und im Sprachverstehen

• Phonologische Störungen

(Schwerpunkt Prosodie/Sprach-

rhythmus)

• Störungen im Erwerb des Wort-

schatzes

• Frühe Sprachförderung bei

Migrantenkindern

• Präventive Frühintervention für

(Risiko-)Kinder im ersten und

zweiten Lebensjahr

In zahlreichen Forschungsprojekten

an den Universitäten Bern und

Konstanz hat PD Dr. Zvi Penner im

Rahmen eines universitären Tech-

nologie- und Know-how-Transfers

das Kon-Lab-Sprachförderpro-

gramm für Kinder mit Verzögerun-

gen im Spracherwerb und

Migrantenkinder entwickelt. Dieses

wird sowohl in sprachtherapeuti-

schen-logopädischen Einrichtun-

gen als auch in Kindergärten und

an deutschsprachigen Einrichtun-

gen im nicht-deutschsprachigen

Ausland angewandt.

Der Kon-Lab-Ansatz wurde in den

letzten zwei Jahren zum Lernpfad-

Programm erweitert, im Rahmen

dessen PD Dr. Zvi Penner innova-

tive Methoden für Sprachförderung

und frühkindliche Bildung entwik-

kelt hat.

* Der Vortrag von PD Dr. Penner wird in Auszügen wiedergegeben, die dem gesprochenen Wort entsprechen.

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PD Dr. Zvi Penner

Mehrdeutigkeiten in diesen Handlungen aussortieren. Jede Handlung enthält eigentlich zuviele Informationen. Ich möchte dies anhand von einigen Beispielen verdeutlichen.

Unser erstes Beispiel zeigt, wie eine Flasche unter einem Hahn mit Wasser gefüllt wird. Die-ser Vorgang wird mit dem Verb „einfüllen“ beschrieben. Auch im nächsten Beispiel geht esdarum, etwas voll zu machen. Hier wird aus einer Flasche Saft in ein Glas eingeschenkt. Dochzu diesem Vorgang heißt das passende Verb „eingießen“. In unserem dritten Beispiel wird ineinen Topf mit Wasser aus einer Tüte Suppenpulver gerührt, und jetzt heißt es „einschütten“.Woher und warum wissen Erwachsene das? Wenn Sie darüber nachdenken, werden Sie fest-stellen, dass Sie es nicht bewusst wissen und es selbst nicht erklären können.

Die gezeigten Handlungen führen alle zu Veränderungen mit einem Behälter und einer Flüs-sigkeit, trotzdem werden sie mit verschiedenen Verben bezeichnet. Wie können Kinder dieseDifferenzen erkennen? Um Kinder gezielt beim Lernen dieser Differenzen zu fördern, benöti-gen pädagogische Fachkräfte lerntheoretisches und wissenschaftliches Grundwissen. Siemüssen wissen, dass Kinder mit Bausteinen der „Bewegung-im-Raum“ arbeiten.

Ein Drittel unseres Gehirns ist mit Bewegung befasst, und jede Handlung ist im Grunde eineVariante von Bewegung-im-Raum.Jede Bewegung besteht aus den drei Bausteinen „Quelle –Strecke – Ziel“. Zur Verdeutlichung erläutere ich Ihnen das an dem folgenden Schema: • Es gibt immer eine Quelle der Bewegung, und es stellt sich die Frage: Was geschieht am An-

fangspunkt?• Dann folgt die Strecke der Bewegung mit der Frage: Was geschieht auf dem Weg?• Und schließlich haben wir den dritten Baustein, das Ziel: Was geschieht am Ziel der Bewe-

gung?

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Abb. links: Wortfelder aus demBereich „sauber machen“

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Entscheidend ist, dass

Kinder die Bedeutung eines

Verbes situationsunabhängig

lernen.

Erst dann sind sie in der

Lage, das Verb in unter-

schiedlichen Zusammenhän-

gen zu verwenden und zu

verstehen.

Ein Kind beobachtet diese drei Bausteine einer Handlung genau. Das Kind sieht die Bewegungund überlegt, wo die wichtigste Veränderung stattfindet: am Anfang der Bewegung, währendder Bewegung oder am Ende?

Als Beispiel sei der Unterschied zwischen den Verben „füllen“ und „gießen“ genannt. Bei demVerb „füllen“ passiert vor allem etwas am Ziel, also am Ende der Bewegung. Das Ergebnisder Bewegung ist eine Veränderung, die Menge in einem Behälter nimmt zu. Bei dem Verb„gießen“ gibt es jedoch einen anderen Schwerpunkt – wo kommt das Wasser her, und wiegelangt das Wasser in den Zielbehälter? Die Quelle muss ebenfalls ein Behälter sein, und dieFlüssigkeit muss ein Strahl sein, damit man von „Gießen“ spricht. Die Frage ist, wo die wich-tigste Veränderung der Bewegung-im-Raum stattfindet. Gießen kann man zudem prinzipiellnur eine Flüssigkeit, hingegen Sand oder Zucker schüttet oder füllt man ein.

Etwa im Alter von drei Jahren – beim Kindergarteneintritt – kennen viele Kinder solche Verben.Doch Kindern, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, können diese Verben große Schwie-rigkeiten bereiten. Eventuell ist die Muttersprache dieser Kinder ganz anders strukturiert, siekommt vielleicht ohne solche Bausteine aus. Die Kinder weichen daher häufig auf eine andereStrategie aus und versuchen, rein assoziativ zu lernen. Lernt ein Kind im Kindergarten, dassBlumen gegossen werden, so folgert es daraus fälschlicherweise, dass das Verb „gießen“immer „den Blumen Wasser geben“ bedeutet. Das Kind prägt sich die Beobachtung einer be-stimmten Situation ein. Es lernt situativ und bildet keine Bedeutungskategorie zu dem Verb„gießen“. Nun hat das Verb „gießen“ aber mit Blumen nicht zwangsweise zu tun und wird auchin anderen Zusammenhängen verwendet. Entscheidend ist deshalb, dass Kinder die Bedeu-tung eines Verbes situationsunabhängig lernen. Denn erst dann sind sie in der Lage, das Verbin unterschiedlichen Zusammenhängen zu verwenden und zu verstehen. Vor diesem Hintergrund ist es sehr wichtig, den Kindern im Kindergarten diese Kategorien-bildung zu ermöglichen. Jeder Pädagoge, jede Pädagogin sollten über Wissen zu solchenWortfeldern der deutschen Sprache verfügen und darüber, wie sich Kinder diese Wortfelderaneignen. Die deutsche Sprache benutzt spezifische Bausteine, um die Bewegung-im-Raumzu verdeutlichen. Es ist eine Eigenart des Deutschen, Vorsilben mit Verben zu verbinden, wo-durch unzählige Wortzusammensetzungen entstehen. Die Vorsilbe und der Verbstamm erge-ben zusammen eine neue Einheit, als Beispiel seien die Verben „werfen“ und „abwerfen“genannt. In unseren Untersuchungen stellten wir fest, dass manche Kinder noch am Ende derGrundschulzeit den Unterschied zwischen diesen beiden Verben nicht verstehen. In vielen an-deren Sprachen würden zwei verschiedene Verben für diese Tätigkeiten verwendet.

Abschließend möchte ich Ihnen unsere Förderpraxis näher bringen. Im Kindergarten versu-chen wir, Alltagssituationen so zu gestalten, dass sie für die Kinder interessant sind, aber nichtzu fremd. Wir inszenieren Situationen wie nach einem Drehbuch. In der Theorie mag das ein-fach klingen, doch die Umsetzung der theoretischen Erkenntnisse in die Praxis ist eine großeHerausforderung. Man kann für solche Inszenierungen beispielsweise Verben aus dem Ma-thematikunterricht wählen. Welche Bedeutungsbausteine haben diese Verben? Wie kann mandiese in einer Handlung so konkret veranschaulichen, dass die Kinder sie verstehen können?Ziel ist es, die Bedeutungsbausteine, die eigentlich abstrakt sind, gewissermaßen „zum An-fassen“ darzustellen.

„gießen“: Gravitation mit einemStrahl

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PD Dr. Zvi Penner

Hierzu entwickeln wir für Erzieher und Erzieherinnen Animationen, die solche Bausteine ver-anschaulichen. Beim folgenden Beispiel geht es um die Verben „wiegen“ und „abwiegen“. Wirinszenieren hierfür Handlungen mit Objekten. Eine Waage wird benötigt, am besten eine klas-sische Balkenwaage, da diese für die Kinder anschaulicher als eine Digitalwaage ist. Wiegenbedeutet, das Gewicht eines Objektes festzulegen, in der Regel mit vorgegebenen Gewich-ten. Der zu wiegende Gegenstand wird zunächst in eine Waagschale gelegt, dann werden solange Gewichte auf die andere Waagschale gelegt, bis sich die beiden Waagschalen im Gleich-gewicht befinden. Wiegen ist also diese Handlung, die das Gewicht eines Gegenstandes er-mittelt.

Bei der Tätigkeit des „Abwiegens“ verläuft die Handlung genau umgekehrt. Zuerst wird fest-gelegt, wie schwer eine Menge sein soll (z. B. Zucker zum Backen), und die entsprechendenGewichte werden als Erstes in eine Waagschale gelegt. Dann kommt in die andere Waag-schale das abzuwiegende Material, bis beide Waagschalen im Gleichgewicht sind und damitdas gewünschte Gewicht erreicht ist.

Hierbei geht es um das Prinzip des Kontrastes. Es gibt eine Grundbedeutung des Verbs „wie-gen“ und eine erweiterte Bedeutung „abwiegen“. Anschaulich lässt sich dies lernen, wennman beispielsweise mit einem Kochrezept arbeitet.

Ein Projekt, das wir in der städtischen Kita 4 in Offenbach durchführten, beschäftigt sich mitdem Thema Ernährung und dem Unterthema „Haltbarkeit von Lebensmitteln“. Was machtman, wenn man sehr viele Erdbeeren hat und diese verbrauchen muss? Wir stellen Erdbeer-marmelade her. Im Rahmen dieses Projekts können etliche inszenierte Handlungen durchge-führt werden. Wir kochen also nicht einfach die Marmelade nach einem Rezept, sonderninszenieren alle beteiligten Handlungen derart, dass sie genau die Bedeutungsbausteine fürdie Verben enthalten.

Abschließend gehe ich auf ein Beispiel zu den Verben „schneiden – abschneiden – zer-schneiden“ ein.

Die Erdbeeren konnten von den Kindern entweder „abgeschnitten“ (die Blätter wurden ent-fernt) oder „geschnitten“ werden (die Erdbeeren wurden zerteilt). Die Kinder durften wählen,welche der beiden Handlungen sie durchführen wollten. Analysiert man diese Frequenz imNachhinein, lässt sich erkennen, wie man diese Inszenierung noch verbessern könnte. Eswäre sinnvoller, beide Handlungen von allen Kindern nacheinander durchführen zu lassen.Dabei wird noch deutlicher, dass „abschneiden“ das Ende einer Handlung darstellt. Die Blät-ter kommen weg. Wichtig ist zudem, dass die sprachliche Begleitung zum richtigen Momentstattfindet. Findet sie zu früh oder zu spät statt, und ist sie nicht exakt auf die Handlung ab-gestimmt, so bewirkt sie nichts. Erst wenn das Resultat – „abschneiden“ – vollbracht ist, mussauch die Sprache dazu vermittelt werden; nun ist der Moment, um das Verb zu lernen.

Mit unseren Unterrichtsmaterialien versuchen wir, Pädagogen und Pädagoginnen entspre-chendes theoretisches Wissen zu vermitteln, damit sie solche komplexen Inszenierungen er-folgreich durchführen können.

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wiegen

abwiegen

abwiegen

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Interview mit Karin Bahlo (Leiterin Kita 4)

Beatrice Ploch und Kai Seibel, Mitarbeiterdes Projekts „Lernen vor Ort“, interviewtenim Nachgang zur Veranstaltung die Leiterinder städtischen Kita 4, Karin Bahlo. Daringing es um den Sprachförder-Ansatz, den Dr.Penner in seinem Vortrag dargestellt hatte,und um den sich thematisch anschließendenWorkshop mit ihm.

Frau Bahlo, wie sieht das Sprachförder-konzept in der Kita 4 aus? Können Sie eskurz skizzieren? Hier verfolgen wir mehrere Stränge: Nebender Förderung in den Gruppen bilden wir, ab-hängig vom Sprachstand der Kinder, spe-zielle Kleingruppen, in denen jeweils sechsbis sieben Kinder Sprachförderung erhalten.Dazu nutzen wir die bekannten Kon-Lab-Ma-terialien.

Darüber hinaus führen wir Projekte mit Dr. Penner durch. Wie ein solches Projekt ab-läuft, hat er in seinem Vortrag gezeigt. DerFokus liegt hier auf den Verben, denn diesesind für viele Kinder eine Herausforderung imSpracherwerb. Aktuell gibt es ein Projektzum Thema Musik und zu „Energie, Ernäh-rung und Gesundheit“. Der von Dr. Penner imVortrag gezeigte Film über das Haltbarma-chen von Erdbeeren war übrigens unser Ein-stieg in das Ernährungsprojekt.

Welche Erfahrungen haben Sie mit demvon Dr. Penner vorgestellten Ansatz ge-macht, und welche Ressourcen benötigtman dafür?Das Gelingen ist an ganz bestimmte Bedin-gungen geknüpft: Die Erzieher und Erziehe-rinnen müssen die unterschiedlichen Hand-lungen der Kinder begleiten und an der rich-tigen Stelle, z.B. wenn die Kinder schneiden,das entsprechende Verb sagen. Danebensollen sie immer auch die Gruppe im Blickhaben und die Abfolge der Handlungen

genau kennen. Grundsätzlich kann man sichnatürlich selbst Situationen oder Projekteüberlegen, an denen die unterschiedlichenVerbbedeutungen demonstriert werden; zu-nächst ist es aber einfacher, auf bestehendeIdeen oder ausgearbeitete Projekte und An-gebote, wie z. B. das Ernährungsprojekt, zu-rückzugreifen.

Gerade am Anfang empfiehlt es sich, einenAblaufplan zu fixieren, damit klar wird, waswann passieren soll, um den Spracherwerbund das Sprachverständnis der Kinder aktivzu unterstützen. Für die eigene Reflexion derArbeit ist das Filmen übrigens ein hilfreichesInstrument.

In der Rückschau kann ich sagen, dass wiroftmals über die Didaktik „gestolpert“ sind,d.h. wir haben gemerkt, dass die Erzieherund Erzieherinnen an bestimmten Stellenmehr, an anderen weniger Informationen be-nötigten. Und es hat sich bestätigt: Wenn es Erziehern und Erzieherinnen Spaß macht,überträgt sich das automatisch auf die Kinder.

Nach unseren Erfahrungen setzt der Ansatzeine intensive Begleitung der Erziehendenvoraus, sie müssen von Beginn an für mög-liche Stolpersteine sensibilisiert werden. Dasist für mich übrigens eine klassische Steue-rungsaufgabe – eine Aufgabe für die Kita-Leitung.

Was ist das Besondere an dem Ansatz,und soll er künftig auch an mehrerenstädtischen Kitas angewandt werden?Ja, was wir erproben, soll in die Fläche ge-hen. Ziel ist, den Erziehern und Erzieherin-nen in ein, zwei Projekten den Ansatz nahe-zubringen. Das soll somit zu einem Selbst-läufer mit minimaler Unterstützung für die Erzieher und Erzieherinnen werden, so dasssie den Ansatz autonom in neue Projektetransferieren können.

„Sehr gut, sehr informativ,

sehr konzentrierte Informa-

tionen. Auch den Workshop

mit Dr. Penner fand ich sehr

interessant. Es war sehr an-

regend, im engeren Kreis zu

diskutieren.“

Erzieherin in einer Kita

Interview zu Vortrag und WorkshopSprachförderung im Kita-Alltag

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Karin Bahlo

Was wir eigentlich „nur“ tun ist, den Erzie-hern und Erzieherinnen Hintergrundwissenzum Spracherwerb zur Verfügung zu stellen,das sie über ihren „alltäglichen didaktischen Bereich“ legen können. Oder anders gesagt:Wir bedienen mit dem Ansatz eine für die Er-zieher und Erzieherinnen ansprechende Di-daktik, denn Märchen, Kochen, Backen sindKonzepte, mit denen sie bestens vertrautsind. Wir versuchen, gemeinsam mit ihnendie Linguistik, also wie Spracherwerb funk-tioniert, über diese Konzepte zu legen.

Und was ist das Besondere für die Kin-der?Wenn Sie so wollen, ist das übergeordneteZiel – die Philosophie –, dass wir den Kin-dern die Möglichkeit geben, gesellschaftlicheThemen und Beiträge, mit denen sie kon-frontiert werden, zu verstehen. Denn wennein Kind die Bedeutung von Verben oder dieBegriffe nicht kennt, kann es das Themanicht verstehen und auch nicht einordnen.

Konnten Sie im Workshop die Vortragsin-halte vertiefen? Wo stellten sich Fragen,und was wurde diskutiert?Dr. Penner ist noch einmal kurz auf seinenVortrag eingegangen und hat einen weiterenFilmausschnitt gezeigt. Die Teilnehmer undTeilnehmerinnen konnten dann ihre Eindrü-cke und Fragen zu der Filmsequenz formu-lieren.

Einige zeigten sich verwundert über die Un-terschiede zwischen den bekannten, seitüber zehn Jahren verwendeten, Sprachför-der-Materialien und dem neuen, in den Fil-men gezeigten Ansatz. Viele Teilnehmendenwaren sich der Problematik, die die Filme an-sprechen, auch gar nicht bewusst. Das warein wichtiges Ergebnis des Workshops – so-zusagen der „Aha-Effekt“.

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Die Fragen der Teilnehmer und Teilnehmerin-nen bezogen sich auf die unterschiedlichenBedeutungen der im Alltag oftmals synonymverwendeten Verben, z.B. „wiegen“ und „ab-wiegen“, und auf die Schwierigkeit, diese Bedeutungen den Kindern zu vermitteln. Fürviele war fraglich, ob das, was vermittelt wer-den soll, bei den Kindern auch so ankommt.

Abschließend diskutierten sie über dasThema „Wortschatz“: Gelingt es mit dem An-satz, den Wortschatz zu erweitern, und kön-nen wir voraussetzen, dass die Kinder z. B.das Wort „Vase“ mit Blumen in Verbindungbringen (um daran die Verbbedeutung „gie-ßen“ zu erklären)? Ist dieses Wissen nichtsehr stark kulturell abhängig? Ergebnis derDiskussion war, dass eine gezielte Wort-schatz-Erweiterung ausschließlich mit demAnsatz kaum zu bewerkstelligen ist – undwohl auch zu einer Überforderung von so-wohl den Erziehenden wie auch den Kindernführen würde.

Karin Bahlo, hier im Gesprächmit Kai Seibel vom Projekt „Lernen vor Ort“.

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Jens Mengeler

Im Anschluss an seine Ausbildung

als Einzelhandelskaufmann war

Jens Mengeler zunächst mehrere

Jahre als Abteilungsleiter und spä-

ter als Einkäufer bei bekannten

deutschen Einzelhandelsunterneh-

men tätig. Nach einer beruflichen

Umorientierung und dem Studium

der Sonderpädagogik an der Uni-

versität Köln gründete er 1990 das

MEMORY-Institut zur ganzheitli-

chen Lernförderung und Diagnos-

tik. Seitdem wird MEMORY in

mittlerweile 80 Städten Deutsch-

lands und Österreichs erfolgreich

zur Vermittlung von Lernstrukturen

bei Kindern, Jugendlichen und Er-

wachsenen eingesetzt.

Seit 2007 gibt es neben dem ME-

MORY-Institut die sport and learn

GmbH, gegründet mit dem Fußball-

weltmeister Kalle Riedle, welche

sich darum bemüht, die Themen

Lernen und Sport sinnvoll mitei-

nander zu verknüpfen. Neben den

„kick and learn“-Camps wird der

SK Sturm Graz, ein österrei-

chischer Bundesligist, mit dem Pro-

jekt „Sturmmemory“ begleitet.

Seit sieben Jahren ist Jens Menge-

ler in das KUS-Projekt an drei

Offenbacher Hauptschulen einge-

bunden, seit drei Jahren ebenfalls

in das Projekt „Toleranz fördern –

Kompetenz stärken“ an mehreren

Offenbacher Grundschulen.

Kann es eine Grundschule ohne Lernstörungen geben?Jens Mengeler

Die Ausgangslage, um diese Frage mit Ja zu beantworten, ist nicht gerade als positiv zu be-trachten. Bei 13,3 Prozent der Kinder in deutschen Grundschulen wird eine Lernstörung an-genommen. Eine Lernstörung besteht nach Definition der Weltgesundheitsorganisation dann,wenn das Kind in einer der Grundkompetenzen – Rechtschreiben, Lesen oder Rechnen –schwächere Leistungen zeigt, als seine Intelligenz es vermuten lässt. Hinzu kommen nocheinmal zehn Prozent der Kinder, die sich mit diesen Kompetenzen schwertun, bei denen wiraber auch nicht wesentlich höhere Erwartungen haben. Die Zahlen stammen aus einer Stu-die des Forschungsprojekts RABE. Projektverantwortlich ist neben anderen Prof. Dr. MarcusHasselhorn, Direktor des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung(DIPF). Insgesamt können wir also davon ausgehen, dass 23,3 Prozent aller Kinder an einerLernschwäche leiden.

Leiden im Sinne des Wortes. Auch die Kinder, bei denen wir, aufgrund welcher Annahmenauch immer, meinen, dass sie beim Rechnen, Lesen oder Schreiben schwächere Leistungenerbringen werden, gehen für sich in ihren Erwartungen erst einmal davon aus, dass sie dieseKompetenzen erwerben werden. Auch sie haben das Gefühl, in der Schule gut sein zu wol-len. Ich frage mich allerdings, wie wir bei sechsjährigen Kindern schon einschätzen können,was aus ihnen werden kann. Wenn dies überhaupt möglich sein soll, dann nur, wenn wir dieEntwicklung des Kindes in dem uns bekannten System vorhersehen und die Begrenztheit die-ses Systems, Kinder individuell zu fördern, akzeptieren.

Die psychischen Folgen sowie das schlecht entwickelte Selbstwertgefühl bleiben bei vielendieser Kinder als Jugendliche und auch als Erwachsene bestehen.

Wenn die Frage „Kann es eine Grundschule ohne Lernstörungen geben?“ beantwortet wer-den soll, kann es aber nicht allein um die nackten Zahlen gehen. Ich frage mich nämlich, obdie Kinder, die in diesem System zurechtkommen, am Ende nicht auch Lernstörungen auf-weisen. Die Beobachtungen, nicht nur am Ende der Hauptschulzeit, sondern auch am Endeder gymnasialen Oberstufe, zeigen, dass die Lernstrategien, das typische Lernverhalten einesJugendlichen in der Schule, sehr wohl funktionieren können, aber nicht im Leben – weder imBeruf noch im sozialen Umfeld.

Lernen in unserem Schulsystem findet meiner Ansicht nach weitestgehend sinnentleert statt.Fragen, die gestellt werden, sind nicht an den Inhalten orientiert, sondern beziehen sich häu-fig auf fachliches Wissen für eine in Aussicht stehende Klausur. Wir führen viele Projekte mitJugendlichen zwischen zwölf und achtzehn Jahren durch. In all diesen Projekten, egal wo siestattfinden, in Österreich oder Deutschland, in städtischen oder ländlichen Gebieten, beob-achten wir bei den Jugendlichen ein ähnliches Lernverhalten. Selbst bei komplexen Frage-stellungen bekommt man in der Regel „Ein-Wort-Antworten“; wenn man Glück hat, einenvollständigen Satz. Die eigentliche Antwort wird dann häufig vom Lehrer selbst gegeben odervon ihm nach vielen Einzelmeldungen zusammengesetzt.

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Wir stellen häufig fest, dass Schüler sehr wohl wiederholen können, was vom Lehrer oder derLehrerin und von Mitschülern gesagt wurde, aber keine Vorstellung davon haben, was es be-deutet. Ähnliche Phänomene finden wir aber nicht nur in der Schule, sondern beispielsweiseauch auf dem Sportplatz. Ein Trainer erklärt seiner Fußballmannschaft, die motiviert ist undFußball spielen will, eine komplexe Übung. Wenn der Trainer nun die Übung startet, stellt erfest, dass seine Spieler nicht wissen, was sie tun sollen. Fragt er sie nun, kann ihm ein Groß-teil der Spieler genau sagen, was er gesagt hat. Aber ihre Erwartung war die, dass der Trainerdie Übung erst einmal vormacht, was auch in der Regel in den Fußballvereinen so passiert.

In der Schule, wie im Sport, wie in der Familie geht es nicht darum, dass die Kinder sich ver-weigern. Sie haben einfach nicht gelernt, sich vom Gehörten oder Gelesenen Bilder zu ma-chen und diese dann weiterzuentwickeln. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da die früheKindheit heute anders geprägt ist als vor vierzig oder fünfzig Jahren. Während Kinder sich da-mals die Bilder selber machen mussten, werden ihnen diese heute weitestgehend vorgege-ben. Nicht nur durch die Medien, auch nicht ausschließlich durch Spielen mit der PlayStation –es fängt schon mit dem Bauen einer Burg an. Während Kinder früher diese Burg als Bild imKopf produzierten und später mit irgendwelchen Materialien nachbauten, geben Lego oderPlaymobil heute sehr genau vor, wie eine Burg auszusehen hat. Wenn sich Kindheit in eine be-stimmte Richtung verändert hat, dann ist es meiner Meinung nach Aufgabe der Institutionen,sich auf diese neuen Entwicklungen einzustellen. Im Fall des Beispiels heißt dies: Wir be-kommen Kinder in die Grundschule, denen es oft schwer fällt, Bilder vom Gehörten zu pro-duzieren. Diese Bilder benötigt das Gehirn, um damit weiter arbeiten zu können. Daher musses einen Platz in der Schule geben, und auch schon im Kindergarten, an dem diese Fähigkeitimmer wieder trainiert wird. Es ist auch hilfreich, selbst Kindern im Kindergarten und in derGrundschule solche Fähigkeiten schon bewusst zu machen, damit sie von ihnen in ihrem Lern-alltag bei Bedarf auch bewusst benutzt werden können.

Wenn wir uns die Entwicklung unserer Kinder in der heutigen Zeit anschauen, dann stellen wirganz schnell fest, dass sie viele Kompetenzen erwerben, die Kinder früherer Zeiten nicht hat-ten, stellen aber genauso fest, dass es bestimmte Entwicklungen gibt, die heute nicht mehrselbstverständlich initiiert werden. Kinder spielten früher viel eher mit anderen Kindern zu-sammen, ohne unter Aufsicht von Erwachsenen zu sein, die die Situationen steuerten. Dieswar der Ort, an dem Kinder lernten, ihre Emotionen zu regulieren. Da spielten 15, 16 Kinderauf der Wiese, man war mal Freund, man war mal Feind und musste lernen, sich innerhalb derGruppe alleine zurechtzufinden. Mal abgesehen davon, dass Eltern ihre Kinder heute soschnell nicht mehr alleine aus dem Haus lassen würden: Selbst wenn sie vor die Türe gingen,würden die Kinder in vielen Gebieten keine 15, 16 anderen Kinder mehr finden, die mit ihnenspielen könnten. Es gab Zeiten, da war selbstverständlich, dass Kinder, wenn sie in die Grund-schule gingen, aber auch viele schon davor, ihre Schuhe selbst zubinden konnten. Heute gibtes den Klettverschluss – welch eine Erleichterung. Aber fragen wir uns doch einmal, welcheÜbung an die Stelle des Schuhezubindens getreten ist, bei der die Kinder sowohl etwas fürihre Koordination, für die Feinmotorik als auch für ihre Selbstregulierungskompetenz bei Miss-erfolgen lernen, die zudem noch so häufig am Tag selbstverständlich ohne „begleitenden The-rapeuten“ durchgeführt wird.

In der Schule, wie im Sport,

wie in der Familie geht es

nicht darum, dass die Kinder

sich verweigern.

Sie haben einfach nicht ge-

lernt, sich vom Gehörten

oder Gelesenen Bilder zu ma-

chen und diese dann weiter-

zuentwickeln.

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Kinder kommen heute mit

einer viel besseren ganzheit-

lichen Wahrnehmung in die

Schule und können diese

dort auch sehr lange benut-

zen, trainieren aber häufig zu

spät ihre analytischen Fähig-

keiten.

Wir werden Lernstörungen

nicht verhindern können,

wenn nicht auch innerhalb

von Institutionen das Lernen

als ein individueller Prozess

betrachtet wird, der letztend-

lich auch nur vom Lernenden

selbst gesteuert werden

kann und muss.

Die Welt der Kinder ist in vielfacher Hinsicht undurchschaubarer geworden. Während sie sichfrüher vieles von dem, was sie umgab, selbst erschließen konnten, ist das für Kinder in unse-rer heutigen Zeit kaum noch möglich. Nehmen wir als Beispiel den Plattenspieler im Vergleichzum MP3-Player. Beim Plattenspieler können selbst kleine Kinder Ursache und Wirkung er-kennen, natürlich ohne dies genau physikalisch erklären zu können. Beim MP3-Player wissensie nur noch, wo sich die Taste befindet, damit er funktioniert. Man könnte an dieser Stelle zahl-reiche Beispiele aufzeigen: den Fotoapparat, die Socken, die Schreibmaschine und vielesmehr. Vielleicht ist es eine gute Übung, einmal selbst zu überlegen, was sich an diesen Bei-spielen im Laufe der Jahrzehnte verändert hat und welche Auswirkungen dies auf die Kom-petenzen der Kinder hat.

Kinder kommen heute mit einer viel besseren ganzheitlichen Wahrnehmung in die Schule undkönnen diese dort auch sehr lange benutzen, trainieren aber häufig zu spät ihre analytischenFähigkeiten. Das Problem ist aber, dass sie dies so nicht wahrnehmen. Irgendwann merken sieplötzlich, dass Lernen, wie sie es gewohnt sind, nicht mehr funktioniert. Häufig ist aber dieKomplexität der Lernsituation dann schon so hoch, dass sie sich ein Training ihrer analyti-schen Fähigkeiten nicht mehr zutrauen. Auch diese Grundlagen werden in der Grundschulebzw. im Kindergarten gelegt. Häufig tauchen die daraus resultierenden Lernstörungen abererst im Alter von zehn bis dreizehn Jahren auf. Wenn wir also die Frage beantworten wollen,ob es eine Grundschule ohne Kinder mit Lernstörungen geben kann, dann ist es wichtig, dieseProblematik mit einzubeziehen.

Ich würde deshalb Lernstörungen als eine Situation definieren, in der das Kind, der Jugend-liche trotz vorhandenen Könnens und Wissens sowie reichlich vorhandener Potenziale nichtmehr in der Lage ist, diese selbstständig zu aktivieren.

Über diese Definition kann man sich zu Recht wundern. Sie ist ja in sich widersprüchlich.Warum sollte jemand, der das notwendige Können und Wissen besitzt, die Kompetenzen, dieer erwerben sollte, nicht erwerben? Ich gehe bei dieser Definition davon aus, dass das Kind,der Jugendliche, letztendlich auch der Erwachsene das notwendige Können und Wissen hat,den für ihn nächsten wichtigen Schritt gehen zu können, um eine Kompetenz zu erwerben. DieStörung macht dann aus, dass er sich diesen Schritt nicht mehr zutraut und die vorhandenenMöglichkeiten deswegen nicht zum Einsatz kommen. Beim Lernen in Institutionen kommtaber noch eine Problematik hinzu, nämlich, dass die Kinder häufig nicht mehr vor ihrem ei-gentlichen nächsten Lernschritt stehen, sondern die Gruppe schon viele Lernschritte weiterist und dem Lernenden, der nicht an dieser Stelle steht, gar nicht mehr die Chance gegebenwird, an seinen individuellen Lernzielen zu arbeiten.

Soviel ist an dieser Stelle schon klar: Wir werden Lernstörungen nicht verhindern können,wenn nicht auch innerhalb von Institutionen das Lernen als ein individueller Prozess betrach-tet wird, der letztendlich auch nur vom Lernenden selbst gesteuert werden kann und muss.Die Aufgabe von Pädagogen und Lehrenden ist es, diese individuellen Lernprozesse bera-tend zu begleiten und dafür zu sorgen, dass der Lernende Orte vorfindet, an denen er die fürihn wichtigen Kompetenzen für den nächsten Schritt erlernen kann.

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Wir wissen heute längst, dass nicht Intelligenz, wie auch immer sie definiert sein mag, das ent-scheidende Kriterium dafür ist, ob Kinder erfolgreiche „Lerner/innen“ werden oder nicht. Wich-tigere Kriterien für den Erfolg des Lernenden sind z. B. zunächst sein Durchhaltevermögen,seine Selbststeuerungskompetenz und die Möglichkeit, sein Arbeitsgedächtnis effizient zunutzen. Die Erfahrungen in der diagnostischen Praxis zeigen: Ursachen dafür, dass Kinder oftschon sehr früh in der Grundschule eine Lernstörung entwickeln, sind neben dem Fehlen die-ser Grundkompetenzen die nicht erfüllten Erwartungen an die eigenen Lernziele.

Vielleicht ist es hilfreich, sich einmal in die Situation eines Erstklässlers zu versetzen. Die Kin-der freuen sich nachweislich im Kindergarten schon sehr lange auf die Schule. Wer eigeneKinder hat oder sich einmal an die eigene Grundschulzeit erinnert, kann dies auch ohne wei-tere Untersuchung bestätigen. Mit der Schulzeit beginnt aber für das Kind die Zeit, in der eskonkrete Erwartungen an seine Leistungen hat. Die Kinder werden befragt, was sie denn in derSchule so lernen wollen, und seit Jahren hält sich dieselbe Rangfolge: Sie wollen Lesen,Schreiben und Rechnen lernen. Jeder von uns, der sich schon einmal auf etwas ganz beson-ders gefreut hat, weiß, wie es ist, wenn dies dann nicht in Erfüllung geht. Diese Erwartungen,die das Kind an sich selbst hat, die natürlich auch die Gesellschaft und die Schule haben,sowie die Erwartungen der Lehrer machen am Ende einen großen Teil der Lernstörung aus. Esist nicht einfach möglich zu sagen: „Naja, das lernen wir später“, weil diese Erwartungen, diean das Kind herangetragen werden, nicht von bestimmten Personen stammen, sondern Teilunseres gesellschaftlichen Selbstverständnisses sind. Damit ist auch klar, dass diese Erwar-tungen nicht einfach negiert werden können, sondern mit dem Kind und der Umwelt bear-beitet werden müssen. Dies wiederum ist natürlich erst möglich, wenn ich als Pädagoge bzw.Pädagogin selbst diese Erwartungshaltung für mich geklärt habe.

Eltern haben häufig Angst, dass ihr Kind in diesem System Schule scheitert. Daran ist nichtzuletzt der systemimmanente Gedanke von Selektion und Bewertung mitbeteiligt. Noten ma-chen aus meiner Sicht weder Sinn, noch sind sie gerecht. Kinder starten mit sehr unter-schiedlichen Voraussetzungen in die Lernprozesse. Noten in der Schule sind aber immernormiert, d. h. sie vergleichen das Kind innerhalb einer Klassengemeinschaft oder einer Schul-form. Aber selbst intraindividuell verteilte Noten, d. h. Noten, die die individuellen Leistungs-fortschritte bewerten, machen nicht wirklich Sinn, wären aber zumindest ein Schritt in dierichtige Richtung.

Der Mensch kann eigentlich gar nicht anders als lernen. Von der Zeugung an ist er gezwun-gen, sich an neue Situationen anzupassen. Er lernt schon im Mutterleib, zu hören, sich zu be-wegen, sich zu koordinieren und vieles mehr. Wenn das kleine Menschlein dann auf die Weltkommt, muss es sich mit ganz viel Neuem auseinandersetzen. Die Kinder machen dies in derRegel mit großer Ausdauer, großer Neugier und einer sehr effizienten Art und Weise, aus ihrenFehlern zu lernen. Wenn wir davon ausgehen, dass der Mensch nicht anders kann als lernen,und wenn wir beobachten, dass der Mensch anscheinend ein Sammler ist – warum sonstsammeln wir Payback-Punkte, holen uns Sammelbildchen, Treuepunkte und vieles mehr? –dann könnten wir einfach dazu übergehen, die Kinder auch in der Schule Wissen und Könnensammeln zu lassen. Sie selbst signalisieren, wann sie uns zeigen möchten, dass sie etwaskönnen oder dass sie etwas wirklich wissen, und dann bestätigen wir ihnen das. Eine einfa-chere und gleichzeitig effizientere Art und Weise, die Motivation der Kinder anzuregen, fällt mir

Eltern haben häufig Angst,

dass ihr Kind in diesem

System Schule scheitert.

Daran ist nicht zuletzt der

systemimmanente Gedanke

von Selektion und Bewertung

mitbeteiligt.

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In vielen Situationen unseres

Lebens bekämen auch wir

eine Lernstörung, wenn die

Erwartung an das, was wir

lernen sollen und wollen,

nicht unseren eigenen Vor-

stellungen und Fähigkeiten

entspräche.

nicht ein. Wir verhindern damit, dass die Erwartungen bei vielen Kindern nicht wie gewünschtin Erfüllung gehen können. Es wäre falsch, an dieser Stelle wieder nur auf die Schule zu sehen,denn diese Erwartungen sind genauso im Elternhaus und bei dem Kind selbst vorhanden. DieSchule allerdings ist der Ort, an dem die Handelnden mit den wenigsten Emotionen an dieseSituation herangehen könnten. Länder, in deren Schulen diese Erwartungen nicht zu explizitsind, in denen die Eingangsphase offener ist, was die Erwartungen angeht, weisen wenigerLernstörungen auf, als in unserem System vorkommen.

In vielen Situationen unseres Lebens bekämen auch wir eine Lernstörung, wenn die Erwartungan das, was wir lernen sollen und wollen, nicht unseren eigenen Vorstellungen und Fähigkei-ten entspräche. Stellen Sie sich vor, Sie wollen Tennis spielen lernen und der Maßstab, an demSie sich messen müssen, sind die Fähigkeiten, die Boris Becker und Steffi Graf entwickelthaben. Sie bräuchten sehr viel Durchhaltevermögen und Selbststeuerung, um noch weitereMotivation aufzubringen, sich dem Lernprozess zu öffnen. Geschweige denn, wenn Sie jetztauch noch ein Handikap mitbrächten, welches das Lernen zusätzlich erschweren würde. Dasgenau passiert aber in der Grundschule sehr häufig. Die Kinder treten mit Erwartungen ansich selbst an, die sich nicht erfüllen lassen, weil bestimmte Entwicklungen kognitiver und so-zial-emotionaler Art bei den Sechsjährigen noch nicht so entwickelt sind, dass die fachlichenProzesse ohne Probleme anlaufen können. Dies ist keine Frage von guter Förderung oder bes-seren oder schlechteren Anlagen, sondern eine Frage von Entwicklungsprozessen, die beiKindern unterschiedlich verlaufen und sich erst zum Ende der Grundschulzeit angleichen.

Natürlich gibt es aber auch noch die Kinder, bei denen die Kompetenzen nicht so gefördertwurden, dass sie mit der Einschulung ohne Probleme die fachlichen Prozesse erlernen kön-nen. Um z. B. Rechnen zu lernen, ist es notwendig, Kompetenzen der Raumorientierung, desVergleichens, hier insbesondere die Kriterienkonstanz, entwickelt zu haben. Ist dies nicht derFall, ist es eigentlich kein Drama, denn die Kompetenzen könnten in der Grundschule entwi-ckelt, die Entwicklungen gelassen abgewartet werden, wenn da nicht die Erwartungen wären.Wenn es also zu Lernstörungen in der Grundschule kommt, ist es in der Regel vorher zu ent-täuschten Erwartungen gekommen. Die Lernstörung ist dann nicht dadurch definiert, dassdas Kind die fachlichen Kompetenzen in der Folge nicht erlernen könnte, sondern dann nichtmehr in der Lage oder willens ist, die Energie aufzubringen, sich mit dem zu Erlernenden zubeschäftigen und die möglichen und vorhandenen Instrumente einzusetzen. Um Lernstörun-gen also in der Grundschule verhindern zu können, ist es wichtig, die Lernausgangslage desKindes genau zu kennen. Dazu gehören die kognitiven, emotionalen und sozialen Vorausset-zungen, die das Kind benötigt, um die Lernprozesse im fachlichen und sozialen Bereich star-ten und erlernen zu können.

Was aber passiert, wenn wir die Erwartungen nicht erfüllen können, oder, noch problemati-scher, wenn das Kind die Erwartung, die es an sich selbst stellt, nicht erfüllen kann? Vielleichtkann uns hierbei die Konsistenztheorie von Klaus Grawe weiterhelfen. In seinem Buch „Neu-ropsychotherapie“ beschreibt er, welche Auswirkungen es haben kann, wenn die Grundbe-dürfnisse eines Menschen dauerhaft ins Ungleichgewicht geraten. Grawe als Psychotherapeutbeschäftigt sich damit, wie man die Erkenntnisse der Hirnforschung daraufhin überprüfenkann, welche zwangsläufigen Veränderungen in der Arbeit des Psychotherapeuten sich daraus

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ergeben. Wenn wir uns diese Frage im System Schule oder Kindergarten genauso intensivstellen würden, gäbe es sicherlich einen erhöhten Druck zur Veränderung.

Die Theorie, dass der Mensch bestrebt ist, Grundbedürfnisse im Gleichgewicht zu halten,stammt natürlich nicht von Grawe. Er ist aber derjenige, der eine Begründung sucht, die eherden Neurowissenschaften zuzuordnen ist. Er geht davon aus, dass der Mensch motivationaleSchemata entwickelt, die praktisch die Instrumente sind, mit denen er seine Bedürfnisseimmer wieder ins Gleichgewicht zu bringen versucht. Hat der Mensch noch die Perspektive,mit seinen motivationalen Schemata erfolgreich zu sein, wird er sie nutzen, um sich den Zie-len anzunähern. Umgekehrt: Sieht er nicht mehr die Möglichkeit, mit seinen ihm zur Verfügungstehenden Schemata erfolgreich zu sein, wird er in die Vermeidung gehen, um weitere Verlet-zungen zu verhindern. Allerdings kann es sein, dass sich die Tendenzen zur Annäherung unddie Tendenzen zur Vermeidung gegenseitig blockieren. Die Inkongruenz kann zu sehr negati-ven Emotionen führen, die dann, neurologisch betrachtet, eine ganze Kette an physiologi-schen, hormonellen und neuronalen Reaktionen auslösen. Bedeutsam ist die Qualität derSchemata. Ist diese nicht ausreichend vorhanden, fällt es schwer, die Grundbedürfnisse imGleichgewicht zu halten. Dies führt in der Folge zu einem erheblichen Energieaufwand, deraber nicht mehr darauf ausgerichtet ist, Ziele zu erreichen, sondern Verletzungen zu vermei-den. Die Grundbedürfnisse, die Grawe anspricht, sind das Bindungsbedürfnis, das Bedürfnisnach Orientierung und Kontrolle, das Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung sowiedas Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung bzw. Selbstwertschutz. Im Prinzip macht es aber nurSinn, diese Bedürfnisse als eine Einheit zu betrachten.

Das Bindungsbedürfnis zählt zu den am besten erforschten dieser Bedürfnisse. Vereinfachtkann man sagen, dass Menschen, die gute Bindungserfahrung gemacht haben, es leichterhaben, Hürden zu überwinden. Sie glauben mehr an sich und müssen deutlich weniger Ener-gie einsetzen, um mit Schwierigkeiten umgehen zu können. Da Lernerfahrungen sehr situativsein können, hilft es Menschen, die keine so guten Bindungserfahrungen gemacht haben,wenn die den Lernprozess begleitenden Menschen dieses zu kompensieren helfen, indem siezugewandt, vertrauenswürdig und wertschätzend sind.

Am besten ist es, sich das Prinzip „Bedürfnisorientierung“ an einem Beispiel anzuschauen. EinKind, das in die Schule geht und unbedingt Lesen, Schreiben und Rechnen lernen will, setztviel Energie ein, um dies zeitgleich mit den anderen Kindern lernen zu können. Nach einerWeile merkt es, dass diese Energie, die es einsetzt, nicht ausreicht, um z. B. das Lesen ge-nauso schnell zu lernen wie die Freundin aus dem Kindergarten. Wenn alles gut läuft, wirddas Kind natürlich zu diesem Zeitpunkt schon Unterstützung beim Lernen erfahren. Wenndiese aber nicht greift, dann ist es ein Scheitern, welches die Kinder sehr häufig, zumindesthäufig unbewusst, mit sich in Verbindung bringen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt, der beijedem Menschen sicherlich unterschiedlich weit entfernt ist, wird das Kind ein Gefühl dafür be-kommen, dass es diesen Prozess des Lesenlernens nicht mehr steuern kann. Das heißt, dasBedürfnis nach Orientierung und Kontrolle wird an dieser Stelle nicht mehr erfüllt. Gleichzei-tig bedeutet dies natürlich auch eher Unlust als einen Lustgewinn, und von Selbstwerterhö-hung kann man an dieser Stelle auch schon nicht mehr sprechen. Je besser dasBindungserleben des Kindes entwickelt ist, desto leichter ist es, das Kind wieder an den Lern-prozess heranzuführen.

Vereinfacht kann man sagen,

dass Menschen, die gute

Bindungserfahrung gemacht

haben, es leichter haben,

Hürden zu überwinden.

Sie glauben mehr an sich und

müssen deutlich weniger

Energie einsetzen, um mit

Schwierigkeiten umgehen zu

können.

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Die Erfahrung in unserer Ar-

beit hat gezeigt, dass es

sinnvoll ist, die Energie und

Zeit zu nutzen, Jugendlichen

ein Bewusstsein für ihr eige-

nes Lernverhalten zu ermög-

lichen, um darauf aufbauend

mit ihnen geeignete Lern-

wege zu definieren.

Aber wir sehen an diesem Beispiel, auf welche Art und Weise sich die Bedürfnisse relativschnell so entwickeln, dass das Kind seine motivationalen Schemata eher dazu nutzt, sich zuschützen, also in die Vermeidung zu gehen, als noch in den vielleicht irgendwann möglichenErfolg zu investieren. Genau dies gilt es zu erkennen, noch besser natürlich zu vermeiden. Istein Kind oder generell ein Lernender aber erst einmal in der Vermeidungshaltung, dann hilft esnicht, noch mehr zu „üben“, also noch mehr von dem zu tun, was ihn eigentlich in die Ver-meidungshaltung geführt hat.

Es ist wichtig, zusammen mit dem Lernenden zu ermitteln, wie seine kognitiven und sozial-emotionalen Kompetenzen entwickelt sind und ob die Entwicklungen schon so weit sind, dassdie Lernprozesse, die er gerne erlernen will, auch schon für ihn erlernbar sind. Ausgehendvon der Ist-Analyse der zum Lernen notwendigen Kompetenzen kann dem Betroffenen damitgeholfen werden, dass man ein Bewusstsein dafür schafft, warum die Prozesse zum ge-wünschten Zeitpunkt nicht haben anlaufen können. Aus diesem Klärungsprozess heraus kanneine neue Vorstellung beim Lernenden erzeugt werden, auf welchem Wege und wann er seineLernziele erreichen kann. Je nach der Betroffenheit eines Menschen muss dieser Weg eng-maschig begleitet werden.

Lässt man die Betroffenen selbst immer weiter üben oder lässt zu, dass sie immer wieder be-lastende Lernsituationen vermeiden, bekommen sie eine dauerhafte Störung im Bereich desLernverhaltens. Allerdings hilft es auch nicht, was im pädagogischen Bereich nicht selten prak-tiziert wird, alternative Lernziele aufzubauen, die Kinder und Jugendliche motivieren sollen,dann wieder an den eigentlichen Lernzielen, die „erwartet werden“, weiter arbeiten zu können.Die Erfahrung in unserer Arbeit hat gezeigt, dass es sinnvoll ist, die Energie und die Zeit zu nut-zen, den Jugendlichen ein Bewusstsein für ihr eigenes Lernverhalten zu ermöglichen, um da-rauf aufbauend mit ihnen geeignete Lernwege zu definieren, die sie in ihren bis dahin schwerzu erlernenden Kompetenzen zu Erfolgserlebnissen führen. Wichtig ist es natürlich, auf die-sem Weg das Umfeld der Betroffenen mitzunehmen, um die Erwartungen, die von außen ansie gerichtet werden, in einem ersten Schritt bewusst zu machen und in einem zweiten, wennmöglich, zu verändern.

Ursachen dafür, warum bestimmte Prozesse von Lernenden noch nicht erlernt werden kön-nen, gibt es viele. Sicher ist aber, dass eine Veränderung des Lernverhaltens Voraussetzung ist,um die Betroffenen wieder in die Lage zu versetzen, selbstständig weiter lernen zu können.Veränderungen im Lernverhalten sind aber nicht von jetzt auf gleich zu erreichen. Alles, wassich in der Evolution der Menschen als erfolgreich herausgestellt hat, findet sich in unseremVerhalten wieder. Wenn man sich vorstellt, unsere Vorfahren auf der Mammutjagd hätten jedenTag ihre Vorgehensweisen verändert, weil sie neue Ideen hatten, können wir davon ausgehen,dass es heute wahrscheinlich keine Menschen mehr auf diesem Planeten gäbe. D.h., sie ver-änderten Verhaltensweisen, die ihnen Sicherheit gaben, nur langsam. Erst wenn sie wieder zueiner neuen Sicherheit in der neuen Vorgehensweise gefunden haben, ist diese zur Routine ge-worden. Genau aus diesem Grunde lässt sich auch Lernverhalten nicht einfach mal schnell ver-ändern, sondern muss bewusst und Schritt für Schritt, mit möglichst vielen Erfolgserlebnissenverbunden, verändert werden.

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Interventionen sowohl in der Schule, im Elternhaus als auch in vielen Nachhilfeinstituten schei-tern daran, dass diese Prozesse gar nicht bewusst eingeleitet und häufig zu schnell vorange-trieben werden. In komplexeren Situationen fehlt dem Kind dann die Sicherheit, diese neuerlernten Prozesse anzuwenden. Genau auf Grund dieser Unsicherheit manifestiert sich dannein unsicheres Lernverhalten. Richtig wäre es, den Betroffenen zu helfen, ihr eigenes aktuel-les Lernverhalten für sie sichtbar zu machen, Veränderungsoptionen zu erarbeiten, diese solange zu begleiten, bis es zu einem neuen, sicheren Lernverhalten kommt. Aus der Erfahrungvon 25 Jahren Lerntherapie kann ich sagen, dass dieser Prozess in der Regel ca. ein Jahrdauert. Bei den meisten Kindern und Jugendlichen erlebt man die meisten Fortschritte nachungefähr sechs bis acht Wochen. Lässt man sie dann aber alleine, fallen sie relativ schnell inihre alten Muster zurück. Der dritte und vierte Monat, den die Kinder in unserem Institut ver-bringen, dient dann häufig der Absicherung der ersten Erfolge, bevor dann ab dem fünftenMonat das Lernverhalten weiter ausdifferenziert werden kann. Die letzten sechs bis acht Wo-chen werden dann noch einmal zur Absicherung dieser Ausdifferenzierungen genutzt. Kinderund Jugendliche, die diese Therapie erfolgreich abgeschlossen haben, benötigen auf ihremweiteren Lernweg weitestgehend keine Hilfe mehr und sind an Stellen, an denen sie doch ein-mal Hilfe benötigen, in der Lage, dies rechtzeitig zu artikulieren und sich die Hilfe selbststän-dig zu organisieren.

Nicht jedes Kind muss aber in eine Lerntherapie. Deswegen ist es wichtig, dass auch Verän-derungsprozesse in der Schule und im Elternhaus so arrangiert werden, dass die nötige Zeitdafür zur Verfügung steht. Wenn wir uns anschauen, wie die Kinder sprechen oder laufen ler-nen, stellen wir fest, dass sie sich für all diese Prozesse die Zeit nehmen, die sie individuellbrauchen und die nächsten Schritte immer dann einleiten, wenn sie im vorherigen Schritt Si-cherheit erlangt haben. Die Kinder kommen in die Schule, sprechen schon ganze Sätze – inder Regel grammatikalisch richtig, häufig schon sicher formuliert in Gegenwart, Vergangenheitund Zukunft, ohne dass Eltern oder Lehrer an ihrer Seite gestanden haben und ihnen die Re-geln erklärt haben. Daraus können wir schließen, dass Regeln im Kopf eines Kindes nicht da-durch entstehen, dass wir sie ihm immer wieder erklären, sondern dadurch, dass es dieseimmer wieder bewusst und unbewusst anwendet. Durch sein Tun und seine interne Ausei-nandersetzung mit diesem Tun entstehen die Regeln im Kopf. Wenn wir den Kindern aber nichtZeit und Raum geben, sich Dinge, die sie lernen sollen und wollen, auch wirklich erfahrbar zumachen und zu Regeln werden zu lassen, dann provozieren wir geradezu Lernstörungen beiden Kindern, die diese Sicherheiten nie erworben haben. Dies gilt im Übrigen nicht nur fürfachliche Lernprozesse, sondern auch für das Verhalten der Kinder in der Schule und im Um-gang mit dem Lernen.

Wenn man die Interaktion zwischen Erwachsenen und Kindern genau analysiert, stellt manfest, dass Kinder genau beobachtet haben, wie diese Interaktion funktioniert, daraus Regelnabgeleitet haben und diese Regeln aktiv anwenden. Diese Regeln funktionieren häufig imschulinternen Betrieb. Mit ihnen kann man gute Noten bekommen, aber man lernt die Inhalteund die Kompetenzen nicht, durch die sie wirklich als dauerhafte Errungenschaft zur Verfügungstehen. Genau diese Vorgehensweise führt dazu, dass wir sehr viel Zeit in Schule und Eltern-haus aufwenden, das Ergebnis in der Lernkompetenz der Kinder, gemessen daran, aber sehrdürftig ausfällt. Weniger, dieses aber von den Kindern selbst verinnerlicht, ist beim Lernenhäufig mehr.

Regeln im Kopf eines Kindes

entstehen nicht dadurch,

dass wir sie ihm immer wie-

der erklären, sondern da-

durch, dass es diese immer

wieder bewusst und unbe-

wusst anwendet. Durch sein

Tun und seine interne Ausei-

nandersetzung mit diesem

Tun entstehen die Regeln im

Kopf.

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Erforderlich sind Mut zur

Langsamkeit und Mut, gegen

den Strom zu schwimmen,

um die Fundamente des Ler-

nens bei den Kindern so zu

stabilisieren, dass die Kinder

selbst darauf ein Lernhaus

bauen können, das ihnen ein

Leben lang lieb und teuer ist.

Die Ausgangsfrage war, ob es eine Schule ohne Lernstörungen geben kann. Für mich ist dieseFrage ganz klar mit einem eindeutigen Ja zu beantworten. Wir müssen, glaube ich, nicht ein-mal etwas an den äußeren Rahmenbedingungen verändern, was häufig mit Kosten verbundenist, die die Gesellschaft anscheinend nicht bereit ist, sich zu leisten. Es würde reichen, wennwir zu jedem Zeitpunkt wüssten, an welchem Punkt des Lernens sich die Kinder gerade be-finden. Wenn wir ihnen die Zeit einräumen, Lernprozesse individuell abschließen zu könnenund ihnen dabei helfen, die eigenen Erwartungen zu reflektieren und die Erwartungen im Um-feld des Kindes und beim Kind zu verändern. Auf den Punkt gebracht: Erforderlich sind Mutzur Langsamkeit und der Mut, gegen den Strom zu schwimmen, um die Fundamente des Ler-nens bei den Kindern, die uns anvertraut sind, so zu stabilisieren, dass die Kinder selbst da-rauf ein Lernhaus bauen können, das ihnen ein Leben lang lieb und teuer ist.

Den Mut muss am Ende jeder und jede individuell aufbringen, die Zeit steht mehr als zur Ver-fügung, und was die Lernausgangslage angeht, gibt es heute unterschiedliche Verfahren, dieuns dabei helfen können. Das Prinzip dieser Verfahren ist immer das Gleiche. Es werden Auf-gabenstellungen ausgewählt, an denen das Kind fachlich nicht scheitern kann und die geeig-net sind, typische Lernverhaltensweisen des Kindes sichtbar zu machen – wenn möglich, auchschon Wege der Veränderung aufzuzeigen. Unser eigenes Verfahren, die Lernpotenzialana-lyse, kann an drei verschiedenen Arbeitsblättern die wichtigsten Kompetenzen und Lernver-haltensweisen von Kindern und Jugendlichen sichtbar machen und Wege der Veränderungaufzeigen. Dieses Verfahren kann aber auch so adaptiert werden, dass diese Kompetenzen so-wohl im Kindergarten als auch in der Grundschule in der alltäglichen Arbeit mit den Kindernerfasst werden können. Es geht hier eher darum, die handelnden Personen zu schulen undihnen zu helfen, den Blick auf die Lernprozesse zu richten.

Wenn uns dies gelingt, wird es sicherlich trotzdem immer wieder individuell schwierige Pha-sen beim Lernen geben, aber dauerhafte Lernstörungen, die die Kinder zum Teil ein Lebenlang begleiten, können vermieden werden. Gerade Kinder mit Lernstörungen kosten Mitar-beiter und Mitarbeiterinnen im pädagogischen Bereich viel Energie. Diese Energie könnte dannsinnvoller in individuellere Lernprozesse investiert werden.

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Steinhausen, Hans-Christoph (1999): Verhaltenstherapie und Verhaltensmedizin bei Kindern und Jugendlichen, Weinheim (Verlags Union).

Spitzer, Manfred (2006): Lernen: Gehirnforschung und die Schule des Lebens, Heidelberg(Spektrum Akademischer Verlag).

Spitzer, Manfred (Hrsg.) (2010): Hirnforschung für Neu(ro)gierige, Stuttgart (Schattauer).

Squire, Larry R. (2009): Gedächtnis, Heidelberg (Spektrum Akademischer Verlag).

Wiesmeyr, Ottmar (2006): Sinn und Person, Beiträge zur Logotherapie und Existenzanalysevon Viktor E. Frankl, Weinheim (Beltz Taschenbuch).

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Impulsgeber: Jens MengelerVielfältig waren die Interessen der Teilneh-menden: Was bringen Kinder in die Institu-tionen – Grundschule und Kita – mit, undwelche Rolle spielt das? Dabei ist der Blickweniger auf die Defizite denn auf die Poten-ziale der Kinder gerichtet. Damit rückt daseinzelne Kind in den Fokus, aber eine indivi-duelle Förderung setzt „Diagnose“ voraus.Die Workshop-Teilnehmer und -Teilnehme-rinnen baten Jens Mengeler um Empfehlun-gen eines geeigneten Diagnostik-Instru-ments.

„Ohne Beziehung kann Lernen nicht stattfin-den“, unterstrich Jens Mengeler und ver-deutlichte diesen Grundsatz mit zahlreichenBeispielen aus seiner Praxis. Deutlich wurde,dass die Kontaktaufnahme manchmal auchkonfrontativ geraten kann. Dabei kann sichdie Frage „Warum machst du das?“ für Kin-der und Jugendliche zur „Zumutung“ und dieAntwort zur Anstrengung auswachsen.„Mein Grundsatz lautet: keine Beschämungeines Kindes. Wie geht das in der direktenKonfrontation vor der Klasse?“, wollte einePädagogin wissen. Eine Verweigerungshal-tung ist aus der Sicht des Kindes oder Ju-gendlichen eine adäquate Reaktion. AberAggression führt dazu, dass Kinder oder Ju-

gendliche ihre Potenziale nicht ausschöpfenkönnen. Aufgabe der Lehrkräfte oder päda-gogischen Fachkräfte sollte es sein, dieGründe für dieses Verhalten zu erkunden.„Warum tust du das?“ Eine offene Frage, diewirkliches Interesse und Offenheit signali-siert, öffnet häufig die Tür zum Lernprozess.

Am Beispiel einer Lehrerin an einer Montes-sori-Schule machte er deutlich, dass es sichlohnt, gerade zum Schuleintritt Kindern Mög-lichkeitsräume zu schaffen, Lernprozessenach den individuellen Bedürfnissen zu ge-stalten. Kinder wären zum Schuleintritt hochmotiviert, aber brächten nicht immer die Vo-raussetzungen mit, gesteckte Ziele nachPlan zu erreichen. Manchmal dauert es ebenein ganzes Jahr, bis Kinder ihren eigenen Er-wartungen gerecht werden und z. B. Lesenlernen. Die Aufgabe der Lehrkräfte sei es,diese Möglichkeitsräume auch zeitlich zuschaffen, um Kindern eine solide Basis fürdarauf aufbauende vertiefende Lernprozessezu bieten. Das ist sozusagen „der große Golf-schlag“, von dem Manfred Spitzer sprach.Dieses Verständnis, nach dem Lehrer undLehrerinnen Lernprozesse initiieren und be-gleiten, erfordere den Mut des Einzelnen, inseiner Institution und bei seinem Kollegiumauch mal anzuecken. Allerdings warnte Jens

Workshop zum VortragKann es eine Grundschule ohne Lernstörungen geben?

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Jens Mengeler

Mengeler die Teilnehmenden, sich nicht aus-schließlich am System abzuarbeiten, da-durch ginge nur die Kraft für die Arbeit mitden Kindern verloren. Die Chancen für eineerfolgreiche individuelle Förderung seien ein-fach in der Grundschule am größten, machteJens Mengeler den Lehrkräften Mut.

Lehrkräfte aus Offenbacher Grundschulenberichteten, dass sie vielfältige Tests vorneh-men, aber nicht sicher sind, welches Instru-ment oder welche Methode geeignet sei, diePotenziale von Kindern zu ermitteln. „Diag-nostik allein verändert noch nichts“, so JensMengeler, die adäquate Unterstützung desindividuellen Lernprozesses in der Folge seivon größter Bedeutung. Er forderte die Lehr-kräfte auf, Situationen im Schulalltag zu „in-szenieren“, diese genau zu beobachten unddie Beobachtungsergebnisse zur Grundlagedes Förderplans zu machen. Auf Nachfragewurde es ganz praktisch: Sie sind mit IhrenSchülern in der Turnhalle und erklären dieRegeln eines Spiels. Mit der Beobachtungkonzentrieren Sie sich zunächst auf dreiSchüler, die es noch nicht können. Wenndiese auch nach mehrmaligem Erklären nochnicht verstanden haben, worum es geht,brauchen sie Unterstützung.

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„Die Kooperation zwischen

Kitas und Grundschulen

sollte unbedingt verstärkt

werden. Die Vorträge haben

gezeigt, dass in dieser frühen

Phase für die Kinder … die

Grundlagen geschaffen wer-

den. Deshalb muss der Kon-

takt intensiviert werden. Es

müsste dafür mehr Zeit zur

Verfügung stehen, und das

bedeutet in diesem Fall mehr

Geld … Es ist zu überlegen,

wie man das organisieren

kann. Man muss sehen, wel-

che institutionellen Maßstäbe

man da findet.“

Thomas Löhr, Leiter Stadtschulamt Offenbach

„Es ist immer bereichernd;

diese Veranstaltungen der

Stadt Offenbach sind sehr

hilfreich und unterstützend.

Da wird viel getan. Wir versu-

chen, mit den Grundschulen

in Zukunft mehr zusammen-

zuarbeiten.“

Roswitha Peschke, Kita St. Josef

„Ich will diese Themen weiter

verfolgen, es ist wichtig, sich

damit auseinander zu setzen,

wie Lernen geschieht und

wie Innovation innerhalb von

Lernprozessen herstellbar

und organisierbar ist. Dazu

haben alle Vortragenden gute

Ansätze und brauchbare

Ideen.“

Claudia Kaufmann-Reiß, stellvertretende Jugendamts-leiterin Offenbach

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Prof. Dr. Wilfried Datler

Prof. Dr. Wilfried Datler studierte

Pädagogik, Psychologie und Kunst-

geschichte. 1981 Promotion zum

Doktor der Philosophie und Beginn

der Tätigkeit als Universitätsassis-

tent am Institut für Erziehungswis-

senschaften der Universität Wien

(Abteilung Erwachsenenbildung

und außerschulische Erziehung).

Von 1981 bis 1986 Psychotherapie-

ausbildung.

1995 Habilitation für Pädagogik

unter besonderer Berücksichtigung

von Psychoanalytischer Pädagogik,

Sozialpädagogik sowie Sonder-

und Heilpädagogik an der Universi-

tät Wien und Bestellung zum Leiter

der Arbeitsgruppe für Sonder- und

Heilpädagogik am Institut für Erzie-

hungswissenschaften. 1997 Ernen-

nung zum Außerordentlichen

Professor am Institut für

Erziehungswissenschaften der Uni-

versität Wien.

Prof. Datler ist seit 2001 Wissen-

schaftlicher Leiter des neu einge-

richteten Universitätslehrganges

„Interdisziplinäre Mobile Frühförde-

rung und Familienbegleitung“, seit

2002 Leiter der neu eingerichteten

Forschungseinheit Psychoanalyti-

sche Pädagogik am Institut für Bil-

dungswissenschaften der

Universität Wien und seit 2004 Stu-

dienprogrammleiter Bildungswis-

senschaft an der Universität Wien.

Seit 2009 begleitet er das Weiterbil-

dungsprojekt des Eigenbetriebs

Kindertagesstätten Offenbach

(EKO).

Emotion und Beziehung als Motor von EntwicklungWilfried Datler

1. Zum Auftakt: Ein Blick auf Paul (vier Monate alt)Paul ist das erste Kind eines jungen und fürsorglichen Elternpaares. Seine Eltern sind aller-dings auch besorgt über Pauls Entwicklung, denn Paul ist mit Trisomie 21 zur Welt gekom-men. Vater und Mutter sind sich unsicher darüber, ob sich Paul seinen Möglichkeitenentsprechend auch entwickeln wird und haben nicht zuletzt deshalb eine Einrichtung kontak-tiert, die mobile Frühförderung und Familienbegleitung anbietet.

Als Paul vier Monate alt ist, beginnt Frau F., eine Frühförderin, regelmäßig in die Wohnung derFamilie zu kommen, um dort mit Paul und dessen Eltern zu arbeiten. Mit Zustimmung der Eltern wird sie von einer Beobachterin begleitet, die im Anschluss an jede Frühfördereinheiteinen möglichst deskriptiv gehaltenen Bericht verfasst, der im Rahmen eines Forschungs-projekts detailliert besprochen wird (vgl. Datler 2004; Datler/Isopp 2004). Bereits in der ers-ten Textpassage, die von Pauls Interaktion mit Frau F. und seinen Eltern handelt, fällt auf, dassPaul den Menschen und Gegenständen seiner nächsten Umgebung in weit geringerem Aus-maß Interesse und Neugierde entgegenbringt, als man es von Babys seines Alters erwartenkann. Interesse und Neugierde lassen sich selbst dann kaum ausmachen, wenn sich Frau F.oder Pauls Eltern in einer Weise um Paul bemühen, wie dies dem folgenden Textausschnittentnommen werden kann:

„Frau F. greift in ihren Hosensack und holt ein silbernes Herz hervor, das Geräusche vonsich gibt, wenn man es bewegt. Sie kommt damit Pauls Gesicht immer näher und sprichtihn leise an. Die Frühförderin führt das Herz zu seinem rechten Ohr und hält es vor seineAugen. Paul hält seine Finger weiterhin vor der Brust verschränkt. Frau F. berührt mit demHerz Pauls Finger. Paul öffnet diese und berührt das Herz kurz mit den Fingerspitzen. FrauF. hält das ‚Klangherz’ ganz nah an Pauls linke Hand und schiebt es in seine Handfläche.Dabei sagt sie zum Buben gewandt, dass sie schauen möchte, ob er schon gezielt greifenkann. Kurz hält Paul den Gegenstand, er fällt dann aber zu Boden. Die Mutter sagt zur Frühför-derin, dass Paul eine Rassel hätte, die er fest schüttelt, wenn er sie einmal in der Hand hat.Der Vater kommt mit einem rot-blau gestreiften Plastikring, legt diesen in Pauls Hand undsagt: ‚So was ist etwas für ihn, das kann er halten!’ Paul umgreift den Ring aber nur kurz undauch der Ring fällt auf den Boden“ (Isopp 2001, 1/7)1.

Während der Analyse der ersten Berichte verdichtet sich im Projektteam zusehends der Ein-druck, • dass Paul Gefühle und Wünsche in differenzierter Weise kaum verspüren kann,• dass in Paul keine Vorstellung davon existiert, von einer interessanten Welt umgeben zu

sein,• dass Paul bislang keine Vorstellungen davon ausgebildet hat, wie man sich mit seiner nächs-

ten Umgebung auseinandersetzen kann, damit Wünsche in Erfüllung gehen und angenehmeGefühle empfunden werden können

• und dass in Paul deshalb auch nicht das Verlangen entsteht, sich in konzentrierter und span-nungsreicher Weise mit Gegenständen oder Situationen zu befassen.

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Prof. Dr. Wilfried Datler

Dies begriffen wir nicht als unmittelbare Folge der Trisomie 21, sondern vielmehr als Ausdruckdes Umstandes, dass Paul vielleicht besonderer Anregungen bedurfte, um mit seiner Umweltin einen interessierten, explorierenden Austausch zu treten. Mehrere Gespräche und Beob-achtungen deuteten darauf hin, dass der Umstand, dass Paul mit einer Trisomie 21 zur Weltkam, Pauls Eltern sehr schmerzte. Im unbewussten Bemühen, sich vor dem bewussten Ver-spüren dieses Schmerzes zu schützen, schienen sie immer wieder die Wunschvorstellungnähren zu wollen, dass Paul über weit mehr Fähigkeiten verfügte, als dies tatsächlich der Fallwar. Dies hatte zur Folge, dass es ihnen schwer fiel, ein realitätsnahes Bild von Paul zu ent-wickeln, das es ihnen erlaubte, in einfühlsamer Weise mit Paul in Austausch zu treten undPauls Vergnügen an einem explorierenden Austausch mit seiner Umwelt zu wecken oder garzu vertiefen. Darauf deutet auch die eben geschilderte Szene hin, in der Pauls Eltern bemühtsind, der Frühförderin, aber auch sich selbst glauben zu machen, dass Paul in der Lage wäre,einen Ring fest zu halten oder eine Rassel kräftig zu schütteln, was dazu führt, dass Paul über-fordert wird und der Ring, der ihm in die Hand gedrückt wurde, zu Boden fällt, ohne dass diesvon Paul auch nur in Ansätzen differenziert wahrgenommen werden kann.

Der geschilderten Szene ist aber auch zu entnehmen, in welch anderer Form sich die Früh-förderin Paul zuwandte. Sie begann, sein Interesse in einer Weise zu wecken, für die wir denBegriff der „stimulierenden Feinfühligkeit“ prägten (Datler 2004; Datler/Isopp 2004), und be-mühte sich, ihr Handeln permanent darauf abzustimmen, wie Paul die jeweils gegebene Si-tuation erlebte. Parallel dazu unterstützte sie die Eltern, sich in hilfreicher Weise mit all denintensiven Gefühle auseinander zu setzen, die mit dem Umstand zusammenhingen, dass Paulmit Trisomie 21 zur Welt gekommen war (Bogyi 1998; Studener 1998; Datler/Messerer 2006).Auch damit trug sie dazu bei, dass sich Pauls Eltern zusehends darum bemühten, in diffe-renzierter Weise zu erkunden und zu berücksichtigen, welche Interaktionen und Aktivitätenvon Paul als befriedigend oder vergnüglich erlebt wurden, eine Entwicklung, die es Pauls El-tern erlaubte, in Situationen des Zusammenseins mit Paul zusehends Freude zu erleben.

All dies führte dazu, dass sich die Art und Weise, in der Paul sich und seine Beziehung zu sei-ner Umwelt erlebte, grundlegend veränderte. Dies kam in Pauls Aktivitäten deutlich zum Aus-druck, was beispielsweise der folgenden Szene entnommen werden kann, die sich etwa dreiMonate nach der oben geschilderten Situation zutrug. Sie steht für die Intensität und dassinnliche Vergnügen, mit der Paul im Alter von sieben Monaten mit vertrauten Personen in In-teraktion trat. Zugleich wird deutlich, wie konzentriert er sich dabei unter Einsatz seiner Händeund Augen sowie seines Mundes und seiner Zunge mit den Gegenständen – hier ein Band –befasste, die sich in seiner Greifweite befanden:

„Frau F. beugt sich weiter zu Paul nach unten. Dabei berühren die Enden des Bandes, dasin ihrem Kragen eingezogen ist, Pauls Handrücken. Paul schaut in das Gesicht der Frühför-derin und spreizt die Finger seiner linken Hand. Ein Ende des Bandes gleitet zwischen sei-nen linken Zeigefinger und Mittelfinger. Paul hebt die Hand von seinem Bauch hoch, beugtdie Finger und schließt sie zu einer Faust. Er zieht am Band. Frau F. gibt dem Zug nach und beugt sich noch weiter nach unten. Paul grinst sie an undgurrt dabei. Frau F. richtet ihren Oberkörper langsam auf und das Band wird zwischen PaulsFingern aus seiner Faust gezogen.

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Emotionen können wir als

Motor menschlicher Aktivitä-

ten begreifen.

Frau F. legt das Band zu einer Schlaufe und streicht mit dieser über Pauls Nasenrücken.Paul schielt zu seiner Nasenspitze und folgt mit kleinen Augenbewegungen den Auf- und Ab-bewegungen des Bandes. Immer, wenn die Schlaufe seine Nasenspitze berührt, öffnet Paulden Mund und schiebt die Zunge locker über die Unterlippe. Er hält das Band über seinemBrustbein und richtet seinen Blick darauf. Paul dreht seine Hand im Handgelenk und dasBand wickelt sich von seiner Hand. Der Bub führt dann seine Handfläche geöffnet nachoben und das lange Ende des Bandes legt sich in seine Hand. Paul schließt diese zu einerlockeren Faust und führt diese zu seinem Mund. Dann zieht er die Zunge wieder rasch einund schließt hastig den Mund, so als ob er nach dem Band schnappen würde.Paul hebt beide Arme und greift nach der Schleife. Frau F. lässt sie los. Paul zerrt mit derrechten Hand am Band. Es wickelt sich um seine Hand. Paul führt die Hand zu seinem Mundund lutscht am Handrücken, über den sich auch ein Teil des Bandes zieht. Der Bub strecktdie rechte Hand wieder aus und gurrt. Paul streckt die Zunge locker über die Unterlippe, klatscht das Band auf die Zunge undschiebt den kleinen Schnurknäuel in seinen Mund. Kurz legt er die Lippen aneinander, öff-net dann aber wieder seinen Mund, führt die Zunge nach außen und zieht das Band lang-sam von seiner Zunge. Er speichelt und murrt …“ (Isopp 2001, 9/2).

2. Der zentrale Stellenwert von Affekt und Affektregulation für Entwicklung

Das eben angeführte Beispiel aus dem Feld der Frühförderung macht auf einige grundlegendeAspekte aufmerksam, die für das Verstehen von Entwicklung im Allgemeinen und für das Ge-stalten von pädagogischen Prozessen im Speziellen von erheblicher Bedeutung sind. Ichmöchte mich in diesem Zusammenhang in thesenhafter Form auf sieben Punkte beziehen.

(a) Die Art und Weise, in der sich Pauls Auseinandersetzung mit der Welt, die ihn umgibt, ver-ändert hat, hängt eng mit den Veränderungen im Bereich der Emotionen zusammen, die erempfindet (wobei ich im Folgenden die Begriffe Emotion, Affekt und Gefühl synonym ver-wende). Als er Ausschnitte der Welt, die ihn umgibt, lustvoll und interessant erlebte, als esihm beispielsweise Vergnügen bereitete, an Gegenständen festzuhalten, an ihnen zu ziehenund zu lutschen, veränderte sich die Art und Intensität seiner Aktivitäten. Vor diesem Hinter-grund gibt es Sinn, Emotionen – in einem metaphorischen Sinn – als „Motor“ menschlicher Ak-tivitäten zu begreifen.

(b) Dieser Grundgedanke ist mit zahlreichen Befunden der Affektforschung (vgl. Dornes 2000,2006; Huber 2013), aber auch mit vielen Alltagsbeobachtungen kompatibel: Ekel veranlasstuns etwa, Distanz zu jenen Menschen oder Gegenständen zu schaffen, deren Nähe (oder imFall von Speisen: deren Einverleibung) wir als nicht bekömmlich erleben. Scham drängt unsdazu, das zu verbergen, was den Blicken oder dem Wissen anderer verborgen bleiben soll.Und Angst veranlasst uns, Handlungen zu setzen, von denen wir uns eine Steigerung des Ge-fühls von Sicherheit erhoffen. Wenn wir uns eine Aussage wie „Angst veranlasst uns, Handlungen zu setzen, von denen wiruns eine Steigerung des Gefühls von Sicherheit erhoffen.“ näher vor Augen führen, so werdenwir allerdings darauf aufmerksam, dass es nicht das Gefühl der Angst alleine ist, das uns zubestimmten Aktivitäten drängt, sondern das Verlangen, dieses bedrohliche Gefühl der Angstzu lindern und das angenehmere Gefühl der Sicherheit in bestmöglicher Weise herbeizufüh-

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ren. In vergleichbarer Weise ist es das Verlangen nach der Linderung von Ekel, das uns dazudrängt, zu ekelerregenden Gegenständen auf Distanz zu gehen, oder das Verlangen nach demEmpfinden von Lust, das Paul veranlasst, das Band, das er in seinen Händen hält, zum Mundzu führen, um daran intensiv lutschen zu können.Dies verweist auf die Annahme, dass wir Menschen beständig bewusst oder unbewusstdarum bemüht sind, Gefühlszustände, die wir als angenehm erleben, herbeizuführen, zu sta-bilisieren oder zu steigern, respektive Gefühlszustände, die wir als unangenehm erleben, zulindern, zu beseitigen oder deren Zustandekommen prophylaktisch zu verhindern. In Anleh-nung daran ist das Verlangen nach der bestmöglich erscheinenden „Affektregulation“ als„Motor“ menschlicher Aktivitäten zu begreifen.

(c) In unserem beständigen Bemühen um bestmögliche Affektregulation sammeln wir be-ständig in bewusster und unbewusster Weise Erfahrungen darüber, • welche Zustände wir in welchen Kontexten als angenehm respektive unangenehm erleben • und welche Aktivitäten sich in diesem Zusammenhang in welcher Weise als hilfreich bzw. als

nicht hilfreich erweisen.

(d) Diese Erfahrungen gehen nicht verloren, sondern finden auch dann, wenn sie in bewuss-ter Weise nicht erinnert werden, ihren Niederschlag in der Entwicklung und Modifikation vonpsychischen Strukturen. Darunter sind Ensembles von Tendenzen zu verstehen, verschiedeneSituationen ähnlich zu erleben, um in weiterer Folge ähnliche Folgeaktivitäten zu setzen (vgl.Datler/Wininger 2013). In diesem Sinn konnte Paul nach dem Beginn des Frühförderprozesses wiederholt die Erfah-rung machen, dass er Situationen des Zusammenseins mit der Frühförderin (und in zuneh-mendem Ausmaß auch mit seinen Eltern) lustvoll erlebt und dass es dem Verspüren von Lustzuträglich ist, wenn er mit der Frühförderin (oder auch mit seinen Eltern) in Austausch tritt undsich auch mit den Gegenständen befasst, die sie in seine Nähe bringen. Dies hat zur Folge,dass er tendenziell Freude empfindet, wenn sich vertraute Bezugspersonen ihm zuwenden,und überdies in zunehmendem Ausmaß den Impuls verspürt, mit vertrauten Bezugspersonenin Austausch zu treten sowie mit Gegenständen explorierend zu hantieren, mit denen er indiesen Situationen in Berührung kommt.

(e) Aus dem bisher Skizzierten folgt, dass sich die Regulation von Affekten ebenso wie dieAusbildung von psychischen Strukturen in innerpsychischen Aktivitäten gründet. Zu welchenAktivitäten es im Einzelnen kommt, hängt ebenso wie die Ausbildung entsprechender Fähig-keiten und Tendenzen, bestimmte Aktivitäten zu setzen, eng mit den Erfahrungen zusammen,die beispielsweise ein Kind mit anderen Menschen und Gegenständen macht.

(f) Die Erfahrungen, die Menschen im Kontakt mit anderen Menschen machen, können als„Beziehungserfahrungen“ bezeichnet werden. Welche Beziehungserfahrungen in einzelnenSituationen zustande kommen, hängt nicht zuletzt davon ab, wie die einzelnen Beteiligten,die miteinander in Kontakt kommen, diese Situationen erleben und wie sich diese Beteiligtenin den Situationen des Zusammenseins in weiterer Folge manifest verhalten.Am Beispiel „Paul“ ist zu erkennen, dass die Frühförderin die Situationen des Zusammen-seins mit Paul in entscheidender Weise anders erlebte als Pauls Eltern, sich in weiterer Folge

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Wir sind ständig bemüht,

Gefühlszustände, die wir als

angenehm erleben, herbeizu-

führen, zu stabilisieren oder

zu steigern. In Anlehnung

daran können wir das Verlan-

gen nach der bestmöglich er-

scheinenden „Affektregula-

tion“ als „Motor“ menschli-

cher Aktivitäten begreifen.

Prof. Dr. Wilfried Datler

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Prof. Dr. Wilfried Datler

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Beziehungserfahrungen

können Entwicklungen in

wünschenswerter Weise an-

stoßen, Entwicklungen aber

auch in nicht wünschenswer-

ter Weise beeinflussen sowie

behindern.

auch anders verhielt und somit Paul zu Beziehungserfahrungen verhalf, die sich – zumindestzunächst – erheblich von jenen Beziehungserfahrungen unterschieden, die Paul mit seinenEltern machte. Darüber hinaus verdeutlicht das Beispiel „Paul“, dass Beziehungserfahrungen,die mit anderen Menschen gemacht werden, auch die Art und Weise beeinflussen, in der Men-schen auch unbelebte Ausschnitte von Welt erleben und sich mit Gegenständen befassen. Da-rauf machen beispielsweise auch Ergebnisse der Bindungsforschung aufmerksam, denenzufolge kleine Kinder immer wieder die Nähe zu ihren vertrauten Bezugspersonen suchen,um ein basales Gefühl der Sicherheit zu empfinden, das es ihnen wiederum ermöglicht, sichvon ihren vertrauten Bezugspersonen zu lösen, um sich in explorierender Weise anderen Aus-schnitten ihrer Umwelt zuwenden zu können (vgl. Brisch 2003, S. 51 f.).

(g) Beziehungserfahrungen können Entwicklungen in wünschenswerter Weise anstoßen, Ent-wicklungen aber auch in nicht wünschenswerter Weise beeinflussen sowie behindern. In die-sem Sinn können Beziehungserfahrungen – wiederum metaphorisch gesprochen – auch dazubeitragen, dass bestimmte Entwicklungsprozesse gebremst oder sogar blockiert werden.In den nächsten Abschnitten werde ich davon Abstand nehmen, das Konzept der Affektregu-lation und dessen Bedeutung für das Verstehen von Lern- und Entwicklungsprozessen weiterzu differenzieren (vgl. dazu Datler/Wininger 2013), sondern mich vielmehr darum bemühen,unter Bezugnahme auf einige Beispiele die pädagogische Relevanz des bislang Skizzierten zuverdeutlichen.

3. Affektregulation und die Entwicklung früher Eltern-Kind-Beziehungen

Das erste Beispiel entstammt einem Artikel über Eltern-Kleinkind-Beratung, den Bertram Cra-mer und Daniel Stern (1988) publizierten. In diesem Artikel wird von einer Mutter berichtet, diesich große Sorgen um die Entwicklung ihres zehn Monate alten Sohnes Julian machte. In auf-gebrachter Weise klagte sie unter anderem darüber, dass ihr Sohn keine liebevolle Bindung zuihr aufbaue: Julian würde größere Nähe zu ihr meiden und sie in Situationen, in denen Nähezustande kam, sogar aggressiv attackieren. Er versuche dann etwa, so klagte die Mutter, aufsie einzuschlagen.Ersten Beobachtungen der Interaktionen zwischen Mutter und Kind war zu entnehmen, dassJulian in Situationen, in denen er mit seiner Mutter zusammen war, tatsächlich wenig Kontaktzu ihr hatte: Die meiste Zeit über befand er sich in Distanz zu ihr, und wenn er zwischendurcheinmal auf ihrem Schoß saß, zeigte er ihr meist seinen Rücken (Cramer/Stern 1988, S. 35 f.).Befand sich Julian in ihrer Nähe, bewegte er sich mitunter impulsiv zu seiner Mutter hin, dochsahen sich Cramer/Stern nicht in der Lage, diese heftigen, oft abrupt einsetzenden Bewe-gungen des zehn Monate alten Julian als Ausdruck des Wunsches zu begreifen, seine Mutterschlagen oder in anderer Weise verletzen zu wollen.Die Autoren begannen diese Situation ebenso wie die Klagen der Mutter zu verstehen, als sieihre Beobachtungen mit dem Umstand in Verbindung bringen konnten, dass Julians Mutter seitihrer frühen Kindheit mit der Angst zu kämpfen hatte, äußerst verletzlich zu sein (ebd., S. 25 f.).Die Bemühungen des Babys, zu seiner Mutter Körperkontakt herzustellen, aktivierten dieseAngst immer wieder, sodass Julians Mutter stark dazu tendierte, sich davor zu fürchten, vonJulian verletzt zu werden, und Julians Bemühungen als Versuch zu interpretieren, sie verlet-zen zu wollen. Dies löste in ihr den Impuls aus, ihre Angst vor Verletztwerden immer wieder dadurch zu lindern, dass sie versuchte, sich vor Julians – vermeintlich feindseligen – Annäherungsversuchen zu schützen, indem sie diese entweder unbeantwortet ließ oder darum

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bemüht war, diese zu unterbinden. Saß Julian auf ihren Knien und begann er, mit dem Ober-körper heftige Bewegungen nach vorne und hinten zu machen, so packte sie ihn mitunter, umihn von ihrem Schoß zu heben und neben sich auf den Boden zu stellen (ebd., S. 25 f. u. 31 ff.). Dies schien zugleich auf Julians Seite Gefühle der Unzufriedenheit zu wecken: Um nicht zu ofterleben zu müssen, zurückgewiesen zu werden, vermied er es zusehends, zu seiner MutterKontakt aufzunehmen – was von Julians Mutter als Desinteresse an ihr als Person interpretiertwurde. Mitunter schien aber Julians Wunsch, körperliche Nähe zu seiner Mutter verspüren zukönnen, impulsiv durchzubrechen – was Julians Mutter als Angriff erlebte. In diesem Sinn ver-spürten Mutter und Kind in Situationen des Zusammenseins Gefühle sowie Impulse zur Re-gulation dieser Gefühle, die einer gedeihlichen Entwicklung des Beziehungsgeschehenszwischen Mutter und Kind im Wege standen.

Hilfreiche Veränderungen kamen erst zustande, als Julians Mutter in der therapeutischen Si-tuation jenes Maß an Sicherheit und Entlastung erleben konnte, das es ihr ermöglichte, mitdem Therapeuten zu erkunden, wie die Dynamik zwischen ihr und ihrem zehn Monate altenKind verstanden werden kann, um Situationen des Zusammenseins mit ihrem Kind in weite-rer Folge weniger bedrohlich zu erleben und somit auch Julian neue Möglichkeiten zu eröff-nen, seine Beziehung zu seiner Mutter in höherem Maße als bisher als vergnüglich undbefriedigend zu erleben.

4. Affektregulation und der Erwerb sprachlicher Kompetenzen im Bereich der ZweitspracheDeutsch

In welch enger Weise Prozesse der Affektregulation mit dem Erwerb sprachlicher Kompeten-zen im Allgemeinen und mit dem Erwerb sprachlicher Kompetenzen im Bereich der Zweit-sprache Deutsch zusammenhängen, untersuchten wir in den letzten Jahren in einemmehrjährigen Wiener Forschungsprojekt (vgl. Datler u.a. 2014). In enger Anlehnung an einenArtikel, den ich gemeinsam mit zwei Kolleginnen verfasst habe (Datler/Studener-Kuras/Bruns2013), möchte ich mich zunächst einer Interaktionssequenz zuwenden, in deren Fokus einfünfjähriges Mädchen steht, das wir Betül genannt haben. Betül ist das Kind türkischer Eltern und besucht seit etwa sechs Monaten vormittags einenWiener Kindergarten. Betül, die kaum Deutsch spricht, ist dort auch mit der Erwartung kon-frontiert, den Kindergartenbesuch zu nutzen, um sich im Vorfeld des Eintritts in die SchuleDeutschkenntnisse anzueignen. Tatsächlich führt das Interaktionsgeschehen im Kindergartenauch dazu, dass bei Betül der Wunsch entsteht, sich in bestimmten Situationen in korrekterWeise der Sprache Deutsch bedienen zu wollen. Dies ist nicht immer offensichtlich, kann aberbeispielsweise dem folgenden Geschehen entnommen werden, das damit einsetzt, dass Betülmit einigen anderen Mädchen beisammen steht, um aus einer Dose Apfelchips zu naschen.Sarah, ein etwas jüngeres Mädchen, gesellt sich zu ihnen und gibt zu verstehen, dass esebenfalls Apfelchips essen möchte.

Obwohl dem weiteren Geschehen entnommen werden kann, dass es allen Kindern erlaubtist, der besagten Dose Apfelchips zu entnehmen, wird Sarah von Betül und deren FreundinDilek darauf hingewiesen, dass sie zuerst Frau L., die Kindergartenpädagogin, um Erlaubnisfragen müsse – woraufhin die Mädchen intensiv zu überlegen beginnen, wie denn die Frage,die es an Frau L. zu richten gilt, in korrektem Deutsch formuliert werden müsse. Als sich Un-sicherheit breitzumachen beginnt, entsinnt sich Betül, dass Dilek die deutsche Sprache am

In welch enger Weise Pro-

zesse der Affektregulation

mit dem Erwerb sprachlicher

Kompetenzen im Allgemei-

nen und mit dem Erwerb

sprachlicher Kompetenzen

im Bereich der Zweitsprache

Deutsch zusammenhängen,

untersuchten wir in den letz-

ten Jahren in einem mehrjäh-

rigen Wiener Forschungs-

projekt.

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Pädagoginnen nehmen häu-

fig kaum darauf Bezug, was

die Kinder emotional bewegt,

um den Kindern auf diese

Weise die Möglichkeit zu

eröffnen, die Entwicklung

sprachlicher Kompetenzen

im Bereich der Zweitsprache

Deutsch als etwas emotional

Bedeutsames oder gar Lust-

volles zu erleben.

besten beherrscht. Sie fordert Sarah auf, gemeinsam mit ihr zu Dilek zu gehen, die sich in-zwischen von der Gruppe entfernt hat und mit einem Sportgerät beschäftigt ist. Im Protokolleines Projektmitarbeiters ist zu lesen:

„Betül sagt: ‚Gel, Dilek gidelim ve nasıl sorman gerektiğini öğrenelim!’ [‚Komm, gehen wir zuDilek und fragen wir sie, wie du es sagen musst!’] Betül nimmt Sarah an der Hand und siegehen Hand in Hand zu Dilek. Dilek trainiert gerade auf einem Sportgerät. Betül stellt sich vor Dilek, greift das Sportgerätmit beiden Händen und sagt zu Dilek: ‚Dilek, bu elma yemek istiyor ama Ingrid�e nasıl söy-lemesi gerektiğini bilmiyor. Bi gelsene!’ [‚Dilek, sie möchte Äpfel essen, weiß aber nicht, wiesie das sagen soll, kannst du mal kommen!’] Betül läuft zurück zum Regal, wo sich die Dosebefindet. Dilek und Sarah laufen hinterher. Sie stehen nun neben der Dose. Cidem, ein anderes Mädchen, das schon neben der Dosestand, sagt: ‚Nasıl söylemen lazım biliyormusun?’ [‚Weißt du, wie du es sagen musst?’] Betülantwortet: ‚Ich will Apfel essen.’ Dilek wackelt mit ihrem Kopf und bringt damit zum Aus-druck, dass das falsch ist. Betül fragt: ‚Nasıl söylemesi lazım?’ [‚Wie muss sie es sagen?’]Dilek sagt: ‚Darf ich bitte ein Apfel nehmen?’“ (Şentepe 2011, 16/4).

Ganz offensichtlich ist es insbesondere Betül, die herausfinden möchte, wie die Kindergar-tenpädagogin in korrektem Deutsch angesprochen werden muss. Und deshalb überrascht esauch nicht, dass sich Betül letztlich dazu entschließt, mit Sarah zu Frau L. zu gehen, um dieseletztlich anstelle von Sarah anzusprechen:

„Betül sagt zu Sarah, die gerne Apfelchips essen will: ‚Gel, gidelim ben senin için söylerim!’[‚Komm, gehen wir, ich kann es für dich sagen!’] Betül hält wieder die Hand des Mädchens und zerrt sie bis zu Frau L. Diese steht inzwischenvor der Tür und spricht mit jemandem. Betül stellt sich vor sie hin, klopft mit der Hand aufihren Bauch und sagt zwei Mal: ‚Frau L., Frau L.!‘“ (Şentepe 2011, 16/5).

Frau L. ist in dieser Situation allerdings so intensiv mit jemandem anderen beschäftigt, dasssie in weiterer Folge auf Betül nun gar nicht eingeht. Bezogen auf die geschilderte Situationist dies nachvollziehbar, doch steht dies auch dafür, dass Frau L., aber auch ihre Kolleginnen,gar nicht recht zu bemerken scheinen, in welcher Weise auf Seiten der Kinder das Verlangeneinsetzt, die zunächst fremde Sprache Deutsch erlernen zu wollen. Damit korrespondiert derUmstand, dass das aufflackernde Vergnügen der Kinder am Sprechen der deutschen Spracheauf Seiten der Pädagoginnen auch kaum auf Resonanz stößt und oder gar gezielt gefördertwird. Dies möchte ich mit zwei Hinweisen illustrieren:

(a) In manchen Einheiten, den sogenannten „Sprachfördereinheiten“, soll den Kindern in ge-zielter Weise die Zweitsprache Deutsch nahegebracht werden. Szenen wie der folgenden istzu entnehmen, dass die Pädagoginnen allerdings kaum darauf Bezug nehmen, was die Kin-der emotional bewegt, um den Kindern auf diese Weise die Möglichkeit zu eröffnen, die Ent-wicklung sprachlicher Kompetenzen im Bereich der Zweitsprache Deutsch als etwas emotionalBedeutsames oder gar Lustvolles zu erleben. Im Zentrum steht vielmehr die weit verbreiteteTendenz, Betül zu prüfen, ob sie bereits Farben in deutscher Sprache benennen kann:

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Prof. Dr. Wilfried Datler

„Als Betül mit dem Malen beginnt, setzt sich Frau L. auf ihre linke Seite und macht sich ei-nige Notizen. Dann fragt sie Betül zu ihrer Zeichnung, die sie eben gemalt hat: ‚Was ist das?’Betül antwortet: ‚Blume.’ Frau L. fragt weiter: ‚Welche Farbe ist das?’ Betül: ‚Rot.’ Frau L.:‚Und das?’ Betül: ‚Rosa.’ Frau L. zeigt auf den Kugelschreiber, den sie in der Hand hat, undfragt noch einmal: ‚Und welche Farbe ist das?’ Betül: ‚Blau.’ Frau L.: ‚Und das?’ Betül: ‚Weiß.’ Dann zeigt Betül mit der linken Hand auf das T-Shirt von Frau L. und sagt: ‚Grün!’ Frau L. kor-rigiert: ‚Gelb-grün’“ (Şentepe 2011, 7/3).

Den Kommentaren des Beobachters zufolge antwortet Betül in solchen Situationen lustlos,was Frau L. allerdings nicht dazu veranlasst, ein anderes, Betül bewegendes Thema in dasZentrum der Sprachförderbemühungen zu rücken. Da wird Betül aktiv und holt sich einenBuntstift in genau der Farbe, von der eben die Rede war. Sie beginnt zu zeichnen und wendetsich dabei der Pädagogin zu, als wollte sie nun in einen lebendigeren Kontakt mit ihr kommen:

„Plötzlich steht Betül auf und geht zum Bastelregal, holt sich aus dem Becher einen grünenBuntstift, kommt wieder zurück, setzt sich auf ihren Platz und beginnt sofort mit der grünenFarbe weiter zu malen. Diesmal sitzt Betül aber etwas anders als zuvor, und zwar so, dasssich das linke Sesselbein zwischen ihren beiden Füßen befindet. Sie ist also mit dem Kör-per etwas nach links zu Frau L. gedreht und sitzt genau auf dem linken Sesselbein.“ (Şen-tepe 2011, 7/3).

Frau L. greift dieses Signal aber keineswegs auf und zeigt keine Bemühungen, sich bei-spielsweise in deutscher Sprache darüber zu erkundigen, was Betül zu zeichnen beginnt. ImProtokoll ist vielmehr zu lesen:

„Plötzlich steht Frau L. auf und geht weg.“ (Şentepe 2011, 7/3).

(b) Dem vorliegenden Material zufolge werden die Pädagoginnen auch außerhalb solcherSprachfördereinheiten kaum initiativ, „um den Kindern die Erfahrung zu vermitteln, dass es be-friedigend sein kann, sich über emotional Bedeutsames mit den Pädagoginnen oder mit an-deren Kindern in der Zweitsprache auszutauschen. Dies dürfte dazu beitragen, dass fünf bissechs türkisch sprechende Mädchen, zu denen auch Betül, Dilek und Sarah zählen, ein in-tensives Gefühl von Zusammengehörigkeit entwickeln, im Kindergarten viel Zeit miteinanderverbringen und dabei (naheliegender Weise) primär Türkisch sprechen, als würden sie das Er-leben und Teilen von Vertrautem dann doch der intensiveren Beschäftigung mit der – für sieneuen – Sprache Deutsch vorziehen. Dabei können die Mädchen zwar die Erfahrung machen,dass die Verwendung ihrer Erstsprache im Kindergarten nicht negativ sanktioniert wird, zu-gleich wird aber von Seiten der Pädagoginnen das aufkeimende Interesse an der Aneignungder Zweitsprache Deutsch in wesentlichen Punkten nicht gefördert und genutzt.“ (Datler/Stu-dener-Kuras/Bruns 2013). Es überrascht daher auch nicht, dass der prozentuale Anteil derSprechakte Betüls, die in ihrer Zweitsprache Deutsch getätigt werden, in „didaktisch struktu-rierten Sprachfördersituationen“ immerhin bei 30%, in „didaktisch unstrukturierten Alltagssi-tuationen“ hingegen nur bei 4% liegt (vgl. Abb. 1).

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Abb.1: Prozentualer Anteil vonBetüls Sprechakten in ihrerErstsprache Türkisch und ihrerZweitsprache Deutsch in „didaktisch strukturierten“ und„didaktisch unstrukturierten“ Situationen (aus Datler/Studener-Kuras/Bruns 2013).

12010080640200„didaktischstrukturierte“

„didaktischunstrukturierte“

Türkisch Deutsch

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5. Die Förderung des naturwissenschaftlichen Denkens im Kindergarten

Auch das letzte Beispiel, auf das ich zu sprechen komme, entstammt der Arbeit im Kinder-garten. Es wurde mir im Rahmen des mehrjährigen Projekts zur „Weiterqualifizierung der Kita-Teams des Eigenbetriebs Kindertagesstätten Offenbach (EKO)“ sowohl vom Team der Kita 10als auch von Salman Ansari berichtet, der im Rahmen dieses Projekts mit der Gestaltung vonWeiterbildungsbausteinen zum Thema der Förderung des naturwissenschaftlichen Denkensvon Kindern betraut war2. Seinem Ansatz entsprechend geht es dabei nicht darum, Kindernnahezubringen, wie Erwachsene über bestimmte Phänomene nachdenken und sie erklären,die man in der Natur vorfindet, sondern Kinder anzuregen, bestimmte Phänomene differen-ziert wahrzunehmen und ins gemeinsame Gespräch darüber zu kommen, wie das Zustande-kommen dieser Phänomene verstanden werden kann (vgl. Ansari 2009, 2013).

Welche zentrale Bedeutung dabei dem Wecken der kindlichen Neugierde beizumessen ist,war unter anderem dem besagten Bericht über eine Situation zu entnehmen, die damit be-gann, dass es unerwarteter Weise kurz zu regnen begann. Salman Ansari war zu diesem Zeit-punkt im Rahmen eines Weiterbildungstages mit Pädagoginnen und Kindern im Waldunterwegs und stellte gemeinsam mit den Kindern fest, dass auf den Zweigen und insbeson-dere auf den Blättern der Sträucher kleine Wassertropfen hingen, die wie Wasserperlen aus-sahen. Salman Ansari brachte die Frage auf, ob man wohl Wasserperlen – ähnlich wie anderePerlen auch – einsammeln könne. Daraufhin machten die Kinder die Erfahrung, dass es kaummöglich ist, diese Perlen mit den bloßen Fingern von den Blättern zu nehmen: Kaum versuchteman sie von den Blättern zu zupfen, schienen sie verschwunden zu sein oder sich in ein wenigNass aufgelöst zu haben. Nach einigem Herumprobieren schienen mitgebrachte Pappbecherallerdings geeignet zu sein, um die Perlen zu sammeln: Hält man die Becher unter die Blätter,laufen die Tropfen in die Becher hinein, sobald man die Tropfen berührt. Bewegt man die Blät-ter, so fallen die Tropfen mitunter auch in die Becher hinein. Als die Kinder gebeten wurden,einen Blick in die Becher zu werfen, um nachzusehen, wie viele Perlen sie gesammelt hatten,mussten sie mit Erstaunen feststellen, dass plötzlich keine Perlen mehr zu sehen waren, son-dern bloß Wasser. „Was ist da passiert? Was glaubt ihr, warum ist das so?“, waren die Fragen,über welche die Kinder nun nachzudenken und zu sprechen begannen. Die Kinder entwi-ckelten unterschiedliche Theorien und wurden nicht müde, sich untereinander sowie mit Salman Ansari über weitere Theorien auszutauschen, als sie darauf hingewiesen wurden, dassman diese Perlen, die im Becher nicht mehr zu sehen waren, aber herausholen könne: Tauchtman einen Finger vorsichtig in den Becher und hebt man die Hand langsam hoch, so kannman sehen, dass am Finger wiederum eine Perle hängt, die sogar auf ein Blatt gesetzt wer-den kann.

6. Einige abschließende Bemerkungen zur Aus- und Weiterbildung von Pädagoginnen undPädagogen

Folgt man den hier skizzierten Überlegungen, so liegt die These nahe, dass es Pädagoginnenund Pädagogen im Rahmen ihrer Aus- und Weiterbildung aufgegeben ist, die Fähigkeit undNeigung zu entwickeln,

• zu emotionalen Prozessen bei sich und anderen verstehend Zugang zu finden• und sich mit der Bedeutung dieser emotionalen Prozesse differenziert zu befassen,• um daraus entwicklungsfördernde Konsequenzen ziehen zu lernen.

Es geht nicht darum, Kindern

nahezubringen, wie Erwach-

sene über bestimmte natur-

wissenschaftliche

Phänomene nachdenken,

sondern Kinder anzuregen,

bestimmte Phänomene diffe-

renziert wahrzunehmen und

ins Gespräch darüber zu

kommen, wie das Zustande-

kommen dieser Phänomene

verstanden werden kann.

Salman Ansari

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Prof. Dr. Wilfried Datler

Dies programmatisch festzuhalten ist oft einfacher als das Einlösen dieser Programmatik, dawir es im Dienst der Affektregulation oft meiden, uns eingehend mit Emotionen zu befassen(vgl. Datler M./Datler/Fürstaller/Funder 2011; Datler/Fürstaller 2013). Deshalb bedarf es auchder Entwicklung und des Einsatzes spezieller Methoden, wie sie in verschiedenen Aus- undWeiterbildungsgängen in Gestalt von „Infant Observation“, „Young Child Observation“ oder„Work Discussion“, in Gestalt von Supervision und Fallreflexion oder auch in Gestalt vonSelbsterfahrung vorgesehen sind (vgl. dazu etwa Rustin/Bradley 2008; Diem-Wille/Turner2009, 2012; Datler/Hover-Reisner/Steinhardt 2010). Die bloße Aneignung von Theorie reicht indiesem Zusammenhang im Regelfall nicht aus – obgleich die Aneignung von Theorie zugleichauch unverzichtbar ist, wenn die Art, in der die Aufgabe der Anregung und Unterstützung vonEntwicklungsprozessen wahrgenommen wird, zumindest gelegentlich auch in den Fokus pro-fessioneller Reflexion gerückt werden soll.

Literatur

Ansari, S. (2009): Schule des Staunens: Lernen und Forschen mit Kindern, Heidelberg (Spektrum Akademischer Verlag).

Ansari, S. (2013): Rettet die Neugier! Gegen die Akademisierung der Kindheit, Dillingen (Krüger).

Bogyi, G. (1998): Trauerarbeit – ein unverzichtbarer Aspekt heilpädagogischer Beziehungs-gestaltung? In: Datler, W. u.a. (Hrsg.): Zur Analyse heilpädagogischer Beziehungs-prozesse, S. 113-132, Luzern (Schweizerische Zentralstelle für Heilpädagogik).

Brisch, K.-H. (2003): Grundlagen der Bindungstheorie und aktuelle Ergebnisse der Bin-dungsforschung; in: Finger-Trescher, U., Krebs, H. (Hrsg.): Bindungsstörungen undEntwicklungschancen, S. 51-67, Gießen (Psychosozial-Verlag).

Cramer, B., Stern, D. (1988): Evaluation of Changes in Mother-Infant Brief Psychotherapy: A Single Case Study; in: Infant Mental Health Journal 9 (1), S. 20-46.

Pädagogen und Pädagogin-

nen sollten in der Aus- und

Weiterbildung Zugang zu

emotionalen Prozessen

finden, sich mit deren Bedeu-

tung differenziert befassen

und lernen, daraus entwick-

lungsfördernde Konsequen-

zen zu ziehen.

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Datler, M., Datler, W., Fürstaller, M., Funder, A. (2011): Hinter verschlossenen Türen. Über Ein-gewöhnungsprozesse von Kleinkindern in Kindertagesstätten und die Weiterbildungpädagogischer Teams; in: Dörr, M., Göppel, R., Funder, A. (Hrsg.): Reifungsprozesseund Entwicklungsaufgaben im Lebenszyklus [Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik 19], S. 30-54, Gießen (Psychosozial-Verlag).

Datler, W. (2004): Die Abhängigkeit des behinderten Säuglings von stimulierender Feinfühlig-keit. Einige Anmerkungen über Frühförderung, Beziehungserleben und „sekundäreBehinderung“; in: Ahrbeck, B., Rauh, B. (Hrsg.): Behinderung zwischen Autonomieund Angewiesensein, S. 45-69, Stuttgart (Kohlhammer).

Datler, W., de Cillia, R., Garnitschnig, I., Sobczak, E., Studener-Kuras, R., Zell, K. (2014): Spracherwerb und lebensweltliche Mehrsprachigkeit im Kindergarten, Bad Heilbronn(Klinkhardt) (in Vorbereitung).

Datler, W., Fürstaller, M. (2013): Das Beratungsbündnis und seine Bedeutung für Weiterbil-dungsprozesse. Aus einem elementarpädagogischen Projekt zur Gestaltung der Ein-gewöhnung von Kleinkindern in die Kinderkrippe; in: Schnoor, H. (Hrsg.): Psychody-namische Beratung in pädagogischen Handlungsfeldern, S. 131-146, Gießen(Psychosozial-Verlag).

Datler, W., Hover-Reisner, N., Steinhardt, K. (2010): Akademische Bildung und professionel-les Verstehen. Work Discussion im Vorschulbereich; in: Journal für Lehrerinnen- undLehrerbildung 10, Heft 1 (Themenheft: Akademisierung in der Elementarpädagogik),S. 17-22.

Datler, W., Isopp, B. (2004): Stimulierende Feinfühligkeit in der Frühförderung: Über progres-sive Veränderungen und das Erleben von Kleinkindern in Frühförderprozessen; in:heilpädagogik 47 (Heft 4), 2004, S. 15-25.

Datler, W., Messerer, K. (2006): Beratung im Kontext von Frühförderung und Familienbeglei-tung. In: Schnoor, H. (Hrsg.): Psychosoziale Beratung in der Sozial- und Rehabilitati-onspädagogik, S. 130-141, Stuttgart (Kohlhammer).

Datler, W., Studener-Kuras, R., Bruns, V. (2013): Das Vergnügen am Fremden und die Ent-wicklung von Kompetenzen im Bereich der Zweitsprache Deutsch. Aus dem WienerForschungsprojekt „Spracherwerb und lebensweltliche Mehrsprachigkeit im Kinder-garten“; in: Dahlvik, J., Reinprecht, Ch., Sievers, W. (Hrsg.): Migrations- und Integrati-onsforschung – Jahrbuch 2. V&R, Göttingen (unipress) (in Druck).

Datler, W., Wininger, M. (2013): Psychoanalytische Konzepte der frühen Entwicklung; in: Ahnert, L. (Hrsg.): Theorien der Entwicklungspsychologie, Wiesbaden (Springer VS)(in Druck).

Diem-Wille, G., Turner, A. (Hrsg.) (2009): Ein-Blicke in die Tiefe. Die psychoanalytische Säug-lingsbeobachtung und ihre Anwendungen, Stuttgart (Klett-Cotta).

Page 47: Konzepte und Perspektiven für die pädagogische Praxis · Wandel, der Eingang in die Institutionen finden muss. Um dieses neue Wissen in die pädagogische Diskussion von Einrichtungen,

Prof. Dr. Wilfried Datler

Diem-Wille, G., Turner, A. (Hrsg.) (2012): Die Methode der psychoanalytischen Beobachtung.Über die Bedeutung von Containment, Identifikation, Abwehr und anderen Phänome-nen in der psychoanalytischen Beobachtung, Wien (Facultas).

Dornes, M. (2000): Die emotionale Welt des Kindes, Frankfurt (Fischer).

Dornes, M. (2006): Die Seele des Kindes. Entstehung und Entwicklung, Frankfurt (Fischer).

Huber, M. (2013): Die Bedeutung von Emotion für Entscheidung und Bewusstsein. Die neu-rowissenschaftliche Herausforderung der Pädagogik am Beispiel von DamasiosTheorie der Emotion, Würzburg (Königshausen und Neumann).

Isopp, B. (2001): Materialien aus dem Projektseminar „Das Erleben von Kleinkindern in Pro-zessen der Frühförderung und Familienbegleitung“, Institut für Erziehungswissen-schaft, Universität Wien (unpubliziert).

Rustin, M., Bradley, J. (Ed.) (2008): Work Discussion: Learning from Reflective Practice in Work with Children and Families, London (Karnac).

Şentepe, M. O. (2011): Einzelfallbeobachtungen eines fünfjährigen Mädchens im Alltag des Kindergartens. Unpublizierte Materialien aus dem Projekt „Spracherwerb und le-bensweltliche Mehrsprachigkeit im Kindergarten“, Institut für Bildungswissenschaft,Universität Wien.

Studener, R. (1998): Über die Bedeutung von Trauerprozessen für die Eltern behinderter Kin-der und damit verbundene Konsequenzen für heilpädagogisches Arbeiten; in: Datler,W. u.a. (Hrsg.): Zur Analyse heilpädagogischer Beziehungsprozesse, S. 156-160, Lu-zern (Schweizerische Zentralstelle für Heilpädagogik).

1 Zur Zitierung von Projektmaterialien: Die erste Zahl nach der Jahreszahl – hier: 2001 – gibt die Num-

mer des Beobachtungsprotokolls, die zweite Zahl die Seitennummer des Protokolls wieder, auf der

die zitierte Textpassage zu finden ist.

2 Basisinformationen zu diesem Projekt finden sich beispielsweise auf der Homepage:

http://homepage.univie.ac.at/wilfried.datler/ ➔ Forschung ➔ „Qualitätssteigerung durch Weiterbil-

dung in der Elementarpädagogik. Ein Projekt zur Weiterqualifizierung der Kita-Teams des Eigenbe-

triebs Kindertagesstätten Offenbach (EKO)“

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Workshop zum Vortrag

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Impulsgeberin: Mag. Regina Studener-KurasFrau Studener-Kuras führt anhand der imTitel des Workshops stehenden Begriffe „Beziehungen“, „affektive Bindungen“, „Ent-wicklung“ und „Motor“ in das Thema ein. Indem Zusammenhang führt sie den Begriffder Emotion ein, der stark mit dem Begriffder Beziehungen verbunden ist.

Im Anschluss an ihre Frage: „Wie hängenEmotionen (Beziehungen) und Entwicklungbei einem speziellen Kind zusammen, gibt esSpannungen in der täglichen Arbeit?“ wirddie Diskussion eröffnet.

In der Diskussion kristallisieren sich die Über-gänge im Erziehungs- und Bildungssystemals kritische Schwellen für die Entwicklungvon Kindern heraus.

Welche Gefühle hat das Kind im Übergangund welche Gefühle haben die Pädagogin/der Pädagoge gegenüber dem Kind? Wichtigist auch: Welche Beziehung haben Kinder zu

sich selbst (wie möchte ich sein, wem möch-te ich gefallen?)?

Frau Studener-Kuras bittet die Teilnehmen-den, eine Erfahrung aus ihrem Privat- oderBerufsleben zu benennen, bei der aus einememotionalen Erlebnis (positiv oder negativ)ein Entwicklungsschritt resultierte, z .B. beider Begleitung/Beratung von Scheidungs-kindern die Verarbeitung der Trennung.

Als ein Zwischenergebnis der Diskussionbleibt festzuhalten, dass auch die Affektre-gulierung von Kindern/Jugendlichen einenpositiven Entwicklungsschritt mit sich brin-gen kann. Dieses Wissen sollte in der päda-gogischen Arbeit genutzt werden, so FrauStudener-Kuras (z. B. „Facebook“: um „da-bei zu sein“, müssen Kinder/Jugendlichelesen können, und falls diese Fertigkeit nichtausreichend vorhanden ist, ist die Wahr-scheinlichkeit hoch, dass die Kinder/Ju-gendlichen ihre Lesekompetenz erhöhenmöchten).

Beziehungen und affektive Bindungen als Motor von Entwicklung

„Im Workshop ist mir noch

einmal aufgefallen, wie wich-

tig die emotionale Beteili-

gung ist. Auch in der Er-

wachsenenbildung.

Ich merke, wie wichtig es

auch gerade bei Tagesmüt-

tern ist, dass sie angenom-

men werden mit ihrer Arbeit.“

Pädagogin und Trainerin

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Ein Teilnehmer aus dem Plenum merkt an,dass die Eltern bei diesem ganzen Themanicht vergessen werden dürfen, da sie einewichtige Rolle in dem Beziehungsgeflecht(Kind/pädagogische Fachkraft) spielen – einArbeitsbündnis mit den Eltern, das natürlichauch scheitern kann, sei überaus wichtig.

Ebenfalls aus dem Plenum wird zum Ab-schluss bezweifelt, ob ein solches Arbeits-bündnis – gerade in einer Stadt wie Offen-bach – in der Breite überhaupt möglich ist,und ob das Fundament für ein solchesBündnis, auf dem man gut aufbauen könnte,heute nicht bei vielen Eltern fehle.

49

„In meinen beruflichen Alltag

nehme ich die Frage mit: Wie

können wir in der konzeptio-

nellen Bearbeitung unserer

Projekte das hier Aufgezeigte

mit Realität füllen?“

Mitarbeiter Jugendamt Offenbach

„Dass man den gesamten

Horizont des Lernens und

wie Lernen funktioniert,

vorneweg stellt und dann in

Kombination bringt mit den

praktischen Lernfeldern, die

wir hier in der Stadt haben,

das fand ich eine gelungene

Überlegung.“

Lehrer Sekundarstufe

„Es war klar, packend, vom

ersten Moment an bis zum

letzten war es superinteres-

sant. Es hat mich fasziniert,

solche komplexen Vorgänge

in einfacher Sprache rüber-

zubringen, so dass man sie

nicht nur verstehen konnte,

sondern auch Ideen gewann,

wie man sie umsetzen kann

im Schulalltag. Das fand ich

sehr entscheidend.“

Lehrerin an einer Grundschule

„Ich nehme viele Aspekte mit

in meinen beruflichen Alltag.“

Leiterin einer Kita

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„Wenn ich Eltern-Kind-Pro-

jekte betreue und evaluiere,

achte ich insbesondere auf

Fragestellungen wie zum Bei-

spiel …durch was lernt das

Kind, wie werden Kinder ge-

fördert, was und wie lernt

das Kind und welche Bedeu-

tung hat das ‚Spielen’ in der

Beziehung zwischen Eltern

und Kind. Die Veranstaltung

hat für mich die Perspektive

der Hirnforschung hinzuge-

fügt – das fand ich sehr span-

nend und anregend – und die

Bedeutsamkeit dieser Frage-

stellungen unterstützt.“

Maria Wackmann, Jugendamt Offenbach

Impulsgeberin: Heike Santiago (Kita 4)

Kurzer theoretischer Input• Musik besitzt wie die Sprache Regeln,

eine Art Grammatik, hat komplexe zeitli-che Muster, hat Melodie und Rhythmus.

• Bedeutsam sind die Mechanismen fürGruppierungen (Zahlen, um sich Telefon-nummern besser merken zu können, Ge-genstände, um sie besser zählen zukönnen, Töne als tonale Struktur erken-nen zu können).

• Säuglinge können mit sechs Monatenkomplexe rhythmische Muster erkennen.

• Sprache ist ebenfalls ein komplexes zeit-liches Muster, bei der Sprachverarbeitungist die Analyse rascher Veränderungen inder Zeit von wesentlicher Bedeutung.

• Man spricht vom Rhythmus der Sprache,der wie der Rhythmus in der Musik einesehr genaue zeitliche Informationsverar-beitung voraussetzt.

• Um den Rhythmus zu identifizieren, mussman das Metrum (Zeitmaß) bereits er-kannt haben.

• Wir sind in der Lage, zu einem vorgege-benen Rhythmus mitzuschwingen.

• Der äußere Rhythmus (expliziter) kannuns deshalb so leicht bewegen, weil ereinen inneren (impliziten), bereits vorhan-denen Rhythmus nur zu synchronisierenbraucht.

Musik und Synchronisation als sozialeKomponenten• Korrelation von Musik und Sprache, d.h.

Rhythmus und tonale Struktur• Jede Sprache hat ihren eigenen Rhyth-

mus, einen eigenen Takt und eine eigeneMelodie.

• Sprache wird über den Rhythmus erlernt.• Kinder müssen lernen, den expliziten

Rhythmus zu hören; wichtig ist, dass dieKinder den Unterschied zwischen 3 und4 hören können entsprechend der Takte3/4 und 4/4.

• Verbindung zur Mathildenschule und dasKonzept Primacanta*; es geht auch umRhythmus, tonale und vokale Kompeten-zen.

Verlauf• Mit verschiedenen Instrumenten wurde

getrommelt (unterschiedliche Tempi,Klangfarben und Lautstärke).

• Trommeln des Metrums und des beton-ten ersten Schlages

• Unterschiede 3/4 und 4/4-Takt• Begleitung von Kinderliedern.

Diskussionsschwerpunkte • Haben alle Kinder Zugang zum Trom-

meln?• Bringen alle Kinder gleiche Fähigkeiten

mit?• Können die Kinder alle zwischen 3 und 4

unterscheiden? Was, wenn nicht?• Wichtig ist die soziale Komponente.• Verschiedene Teilnehmer berichteten von

ähnlicher Herangehensweise und gutenErfolgen in der Schule und bei Kindern imAlter von null bis drei Jahren.

• Hohe Motivation der Kinder• Können Kinder im Vorschulalter Schlag-

zeug spielen?

*Weitere Informationen zum Projekt unterhttp://www.crespo-foundation.de/31.html

Workshops zur Offenbacher Praxis„Rhythmus, so dass die Sprache mit muss“

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Workshops zur Offenbacher Praxis

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Teams der Ganztagsklassen informieren

nens in Offenbach reserviert. Dabei lag derFokus auf der Kooperation von Kita undGrundschule sowie auf den Themenschwer-punkten der Diagnostik, der neuen Lern-methoden, der Sprachförderung und derstrukturellen Einbettung in den ganzen Tagan der Schule – den sogenannten Bildungs-tag. Die Workshops stießen auf positive Re-sonanz beim Fachpublikum.

Ganztagsklassen-Teams bestehen aus denLehrkräften sowie Erziehern und Erzieherin-nen, die in einer Klasse zusammenarbeiten.An fünf Offenbacher Grundschulen ist eineenge Kooperation in diesen Teams bereitstägliche Arbeitspraxis. Fünf Workshops hat-ten die Veranstalter für die von Erziehern undErzieherinnen und Lehrkräften gemeinsamentwickelten Modelle des ganztägigen Ler-

Ganztagsklassen – das Offenbacher Modell

Die Verzahnung von Schule und Hort startete im Schuljahr 2006/07 mit einer Pilot-Ganz-tagsklasse an einer Offenbacher Grundschule. Auf Initiative des Eigenbetriebs Kinderta-gesstätten Offenbach (EKO) gestalteten Lehrer/-innen und Erzieher/-innen erstmalsgemeinsam den Schultag von 8:00 bis 16:30 Uhr.

Das Besondere ist: Die Erzieher/-innen wirken beim Unterricht am Vormittag mit, wo-durch individuelle Förderung und Lernen in Kleingruppen ermöglicht wird. Gemeinsammit den Lehrkräften reflektieren sie die Entwicklung der Kinder. Durch die Beteiligung amVormittagsunterricht können Erzieher/-innen nachmittags mit veränderten Angeboten di-rekt an die Lerninhalte des Vormittags anknüpfen. Mittlerweile – im Schuljahr 2012/13 –besuchen 525 Kinder 22 Ganztagsklassen an fünf Offenbacher Grundschulen. Tendenz steigend, denn an zwei Schulen erfolgt die Einrichtung der Ganztagsklassen sukzessivezweizügig. Gemeinsame pädagogische Zielsetzung ist eine optimale Förderung der Kin-der sowohl individuell als auch in der Gruppe und eine Entlastung der Familien in Bezugauf häusliches Lernen für die Schule. Letzteres ist in Offenbach von besonderer Bedeu-tung, denn die Hälfte der Schüler/-innen im Alter von sechs bis sechzehn Jahren hateinen familiären Migrationshintergrund. Die Gestaltung des Bildungstages verantwortendie einzelnen Teams. Sie kann von Standort zu Standort variieren, aber auch an einerSchule unterschiedlich geprägt sein. Die Plätze in Ganztagsklassen sind sehr gefragt;der Bedarf kann nur zu einem geringen Teil befriedigt werden.

Im Rahmen des Bundesprogramms „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ werden seit2011 die Ganztagsklassen-Teams drei Jahre gemeinsam fortgebildet.

Die Module „Vorurteilsbewusste Erziehung“ und „Lerndiagnostik und Lerntherapie“ bilden unter anderem die Säulen, die den Prozess der Konzeptentwicklung eines gemein-samen Bildungstages tragen.

„Mein persönliches Highlight

war der Vortrag von Herrn

Spitzer. Die Erkenntnisse

darüber, was Kinder wirklich

brauchen, welche Fächer die

eigentlich wichtigen Fächer

sind und warum. Und zu

überlegen, wie können wir

das in der Praxis umsetzen.“

Brigitte Hardrick, Leiterin Ganztagsklasse an derBeethovenschule

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Workshops zur Offenbacher Praxis

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Die Beethovenschule auf demWeg zu Ganztagsklassen

Impulsgebende: Brigitte Hardrick(Leiterin der Ganztagsklassen Kita 25 an der Beethovenschule) und Konrad Ertinger(Leiter der Beethovenschule)Das umfangreiche Fortbildungsangebot desProgramms „Toleranz fördern – Kompetenzstärken“ ebnet den Start auch für die neuenProjektpartner (seit Schuljahr 2012/13). ImSommer startete das Team mit den Ganz-tagsklassen an der Beethovenschule. Esprofitierte dabei von den Erfahrungen deranderen Projektpartner und dem Austauschmit ihnen. Die Leitungen sind sich einig: Diedetaillierten Absprachen waren zwar auf-wändig, aber mit Blick auf das Ergebniswichtig. Die Einführung war ein spannenderProzess, und die Kinder profitieren von derVertiefung des Unterrichts am Nachmittag.

Kita 24 und GrundschuleBuchhügel begegnen sich undwachsen zusammen

Impulsgeberinnen: Monika Schindler(Erzieherin der Kita 24) und Dominika Schleich(Lehrerin an der Grundschule Buchhügel)Die Zusammenarbeit in den Ganztagsklas-sen, und damit nicht nur das Miteinanderzweier Professionen, sondern auch zweierInstitutionen wurde von diesem Team thema-tisiert. Es präsentierte die Struktur des kon-zipierten ganzen Bildungstages. Der Schwer-punkt lag dabei auf den Kooperationsmög-lichkeiten.

Blumenkübel und Terrassen-bau: Lernen mal anders an derMathildenschule

Impulsgebende: Ursula Andres, Volker Schwarz(Erzieher/-in der Kita 23) und Caroline Epheser(Bereichsleitung Grundschule der Mathil-denschule)Das Ganztagsklassen-Team der Mathilden-schule legte in seiner Präsentation denSchwerpunkt auf Gestaltungsmöglichkeitenvon Lernprozessen und deren Verknüpfungin Sachkunde und Mathematik. Das Beispielverdeutlichte darüber hinaus, wie Inhalte desUnterrichts vom Vormittag bei der Gestaltungdes Nachmittags vertieft werden.

Teams der Ganztagsklassen informieren

„Inhaltlich fand ich es hervor-

ragend aufgestellt und auch

mit guten Referenten be-

setzt.

Ich fand es sehr gelungen.“

Konrad Ertinger, Schulleiter Beethovenschule

„Am besten fand ich den ers-

ten Vortrag. Er war sehr gut

strukturiert, aufschlussreich,

spannend, witzig, er hat

einen automatisch bei der

Stange gehalten.“

Schulsozialarbeiter an einerGrundschule

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Workshop

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Eichendorffschule: Den Alltagdes Lernens bewusst machen

Impulsgeberinnen: Angelina Niewald, Silke Trodler(Erzieherinnen der Kita 22) und Julia John(Lehrerin an der Eichendorffschule)Das Bewusstsein für die Strukturen des Ler-nens am ganzen Bildungstag schärfen Leh-rerschaft und Erzieher und Erzieherinnen inden Ganztagsklassen an der Eichendorff-schule gemeinsam. Die Teilnehmer und Teil-nehmerinnen am Workshop interessiertensich sehr für die Umsetzung lerntherapeuti-scher Förderansätze im Unterricht und Er-folge bei der Einzelförderung von Kindern.

Welterkundungen im Dialogmit Kindern an der Goethe-schule

Impulsgeberinnen: Gabrielle Jung, Regina Schwarzkopf(Erzieherinnen der Kita 06) und Christina Hellenthal(Lehrerin an der Goetheschule)„Welterkundungen“ als fester Bestandteil derGanztagsklassen ermöglichen den Kindernneue Erfahrungen und dadurch eine Vertie-fung des Unterrichtsstoffs. Stehen beispiels-weise Pflanzen auf dem Lehrplan, ist es fürdie Schülerinnen und Schüler spannend, ge-meinsam ein Beet anzulegen, oder dasThema „Geld“ wird bei einem Museumsbe-such vertieft. Das Ganztagsklassen-Team ander Goetheschule veranschaulichte, wiediese „Welterkundungen“ im Dialog entste-hen und umgesetzt werden. Die Workshop-Teilnehmer und-Teilnehmerinnen zeigten sichbeeindruckt von der integrativen Wirkung –alle Kinder werden mitgenommen.

„Ich nehme einiges aus

Offenbach mit nach Frank-

furt. Beeindruckt hat mich

ein sehr erfolgreiches Kon-

zept der Ganztagsbeschu-

lung mit enger Kooperation

zwischen Hort und Lehrern,

die als Team ihre Ganztags-

klassen betreuen. Hier wer-

den Bildung und Erziehung

im engen Schulterschluss in

der Praxis umgesetzt.“

Maja Winkler-Hesse, Amt für multikulturelle Angele-genheiten der Stadt Frankfurt,Koordinatorin Modell Mitsprache

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Ausblick und Perspektiven

Felicitas von Küchler und Beatrice Ploch

Die Veranstaltung hat mit den Fachvorträgen aus den Bereichen Hirnforschung, Sprach-, Lern-förderung und psychoanalytische Pädagogik gemeinsame Grundlagen für das Lernen vonKindern in Kita und Grundschule vermittelt. In den Workshops boten sich die Möglichkeiten,die Vortragsinhalte zu vertiefen und sie an die eigenen Erfahrungen und das vorhandene Vorwissen anzubinden. An der Veranstaltung haben u.a. Vertreter von sechzehn der vierund-zwanzig allgemeinbildenden Schulen, zahlreiche Vertreter aus beruflichen Schulen in Offen-bach, zwanzig städtische und acht Kitas in anderer Trägerschaft teilgenommen.

Die Veranstalter/-innen und die Teilnehmenden waren mit dem Verlauf und den Inhalten derFachkonferenz mehr als zufrieden.

Es stellte sich aber auch schnell die Frage: Gelingt es, die Impulse dieser Fachkonferenz überdie Veranstaltung hinaus positiv und längerfristig zu verankern? Eine Vielzahl von positivenRückmeldungen erreichte „Lernen vor Ort“. Die Veranstaltung hat die Motivation der Teilneh-menden, sich bei Kooperationen (noch stärker als bisher) zu engagieren, sehr gestärkt. Dazuhaben die Vorträge und Diskussionen beigetragen, aber auch die Gelegenheit, die eigenenKooperationspartner in der Praxis, ob Erzieher/-innen oder Lehrkräfte, aus der Nähe der ei-genen Einrichtung kennenzulernen und sich mit ihnen auszutauschen. Erzieher/-innen undLehrer/-innen berichteten in Workshops zum Beispiel aus den bereits in Offenbach prakti-zierten „Ganztagsklassen“.

Vor diesem Hintergrund haben wir beschlossen, die nächsten Aktivitäten zur Kooperation amÜbergang einzuleiten. Wir haben zwei Monate später einen Workshop angeboten, in dem Ver-treter aus Offenbach, aus der Region und aus der Lernen vor Ort-Kommune Recklinghausendarüber berichteten, wie sie an dieser Schnittstelle arbeiten und welche Ergebnisse sie dabeierzielt haben. Uns war es wichtig, einen möglichst großen Bogen zu spannen, d.h. Beispielefür viele Perspektiven und Aktivitäten am Übergang von der Kita in die Grundschule zu prä-sentieren. Ausschlaggebend für die letztlich vorgenommene Auswahl war deren unterschied-liche Einbettung in die jeweilige kommunale Bildungslandschaft. Auch aus diesem Grundwurde nur eines der zahlreichen Beispiele für eine enge Zusammenarbeit von Kita und Grund-schule aus Offenbach dargestellt.

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Beatrice Ploch

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Felicitas von Küchler,

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Nach der Präsentation und Diskussion der Praxisbeispiele haben wir die Bedarfe der teilneh-menden Offenbacher Kitas und Grundschulen abgefragt und dabei verschiedene Möglich-keiten zur gemeinsamen Arbeit an der Schnittstelle des Übergangs zur Wahl gestellt. Dieteilnehmenden Vertreter von ca. zwanzig Offenbacher Kitas und Grundschulen haben sich für„Übergangskonferenzen“ ausgesprochen und dafür plädiert, dass Lernen vor Ort dafür einPraxismodell anbietet, so dass diese Treffen moderiert und begleitet werden können. Für weitere Informationen:http://www.offenbach.de/stepone/data/pdf/9b/21/00/dokumentation-workshop-30112012.pdf

In vier Grundschulbezirken finden mittlerweile diese moderierten Kooperationstreffen statt.Und die Ausweitung der Kooperationstreffen auf andere Grundschuleinzugsbezirke bereitenwir gerade vor, sie sollen noch im Herbst dieses Jahres ihre Arbeit beginnen. Lernen vor Ortübernimmt in enger Absprache mit den Vertretern aus Kitas und Grundschulen die Koordina-tion der Treffen, bietet inhaltliche Inputs, Moderation und Dokumentation der Ergebnisse an.

Will man ein realistisches Bild von den bestehenden Aktivitäten von Kitas und Grundschulenzeichnen, müssen auch noch andere kommunale Aktivitäten erwähnt werden, die Ausdruckder schon bestehenden Kooperationskultur in Offenbach sind. Seit 2006 erprobt die StadtOffenbach an Grundschulen ein neues pädagogisches Ganztagsklassen-Konzept. Für dieSchülerinnen und Schüler bedeutet es, dass sich Lernen und Entspannung abwechseln. Un-terricht, Spiel- und Freizeitangebote sind über den ganzen Tag verteilt. Für berufstätige Elternbedeutet das verlässliche Betreuungszeiten bis 16.30 Uhr. Möglich wurde dies durch neuar-tige Zusammenarbeit zwischen Grundschulen und städtischen Kinderhorten.

Eine Weiterentwicklung erfolgt zurzeit durch gemeinsame Fortbildungen für Erzieher/-innenund Lehrkräfte, die mit Mitteln aus dem Programm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ ge-fördert werden und sich auf die folgenden inhaltlichen Bereiche konzentrieren: Konzeptent-wicklung, Lerndiagnostik und Lernförderung mit integrierter Sprachförderung, vorurteilsbe-wusste Erziehung und Bildung und mathematische Bewusstheit und operationales Denken.

Alle diese Aktivitäten tragen dazu bei, dass sich Problembewusstsein und Kooperationskul-turen entwickeln, die für eine bessere Zusammenarbeit, nicht nur von Kitas und Grundschu-len, sondern auch mit den zuständigen Ämtern und der Kommune sorgen. Damit wird einweiterer Schritt hin auf eine kommunale Bildungslandschaft vollzogen.

Felicitas von Küchler

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Tagungsfeedback

Die Tagung hat mich darin bestätigt, dass ein gemeinsa-mes pädagogisches Verständnis von Lernen und der För-derung von Kindern in Kita und Grundschule wichtig ist.

Die Tagung hat mich davon überzeugt, dass Kindertages-einrichtungen und Grundschulen stärker an einem Strangziehen können.

Am Schluss der Tagung „Wie

Kinder lernen“ wurden alle

Teilnehmer gebeten, Punkte

zu vergeben.

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Teilnehmende Institutionen

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Teilnehmende Institutionen 29.09.2012

Behindertenhilfe in Stadt und Kreis OffenbachBeratungsstelle für Eltern, Kinder und JugendlicheBildungsnetz Rhein-MainEigenbetrieb Kindertagesstätten Offenbach (EKO)empirica agInstitut für Bildungswissenschaft der Universität WienKindertagesstätten

Integrative Kindertagesstätte Martin-Luther-ParkKath. Kindergarten Heilig KreuzKath. Kindergarten St. PankratiusKath. Kindertagesstätte St. JosefKinder- und Familienzentrum GriesheimKindergarten Potz BlitzKinderhaus SachsenhausenKindertagesstätte 1Kindertagesstätte 2Kindertagesstätte 3Kindertagesstätte 4 Kindertagesstätte 5Kindertagesstätte 6Kindertagesstätte 7Kindertagesstätte 8 Kindertagesstätte 10Kindertagesstätte 12Kindertagesstätte 14Kindertagesstätte 15Kindertagesstätte 18Kindertagesstätte 19Kindertagesstätte 20Kindertagesstätte 21Kindertagesstätte 22Kindertagesstätte 23Kindertagesstätte 24Kindertagesstätte 25Krabbelstubb e.V. – Kinderhaus Wirbelwind

Krabbelstubb e.V.Landesschulamt und Lehrkräfteakademie für den Land-kreis und die Stadt Offenbach am MainMagistrat der Stadt Offenbach – Dezernat IIIMemory – Institut für prozessorientierte Lerntherapie undDiagnostikNetzwerk ElternschuleOF Bildungsbüro

Projekt Brücke in den Beruf – BiBerProjekt HessencampusProjekt Lernen vor Ort OffenbachRegionales ÜbergangsmanagementSchader-StiftungSchulen

Anne-Frank-SchuleBeethovenschuleEichendorffschuleErich-Kästner-SchuleErnst-Reuter-SchuleFriedrich-Ebert-SchuleGoetheschuleGrundschule BieberGrundschule BuchhügelHumboldtschuleKäthe-Kollwitz-SchuleLauterbornschuleLudwig-Dern-SchuleMathildenschuleUhlandschuleWaldschule Tempelsee

Software AG-StiftungStadt Frankfurt am Main – Amt für multikulturelle AngelegenheitenStadt Offenbach – JugendamtStadt Offenbach – StadtgesundheitsamtStadt Offenbach – StadtschulamtUniversitätsklinikum Ulmvhs Offenbachwir-wachsen-mit – der Lernpfad

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Tagungsimpressionen

Tagungsimpressionen

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KONTAKT

Dieses Vorhaben wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und aus dem Euro-päischen Sozialfonds der Europäischen Union gefördert.Der Europäische Sozialfonds ist das zentrale arbeitsmarktpolitische Förderinstrument der EuropäischenUnion. Er leistet einen Beitrag zur Entwicklung der Beschäftigung durch Förderung der Beschäftigungsfä-higkeit, des Unternehmergeistes, der Anpassungsfähigkeit sowie der Chancengleichheit und der Investitionin die Humanressourcen.

IN KOOPERATION MIT DER

Lernen vor OrtBerliner Str. 77, 1. Stock63065 OffenbachTelefon: 069 8065-3105E-Mail: [email protected]: www.offenbach.de/lvo/

Projektleitung und Kommunales BildungsmanagementFelicitas von KüchlerTelefon: +49 (0)69 8065-3101E-Mail: [email protected]

Kommunales BildungsmonitoringSimone MazariTelefon: +49 (0)69 8065-3189E-Mail: [email protected]

Übergänge Elementarbildung-Grundschule und Elternarbeit an BildungsübergängenBeatrice PlochTelefon: +49 (0)69 8065-3138E-Mail: [email protected]

Übergang Grundschule-weiterführende Schule und BildungsmanagementKai SeibelTelefon: +49 (0)69 8065-3153E-Mail: [email protected]

Bildungsbüro und Netzwerk BildungsberatungBirgit GehlTelefon: +49 (0)69 8065-3107E-Mail: [email protected]

ProjektassistenzMarie-Cécile NeumannTelefon: +49 (0)69 8065-3164E-Mail: [email protected]

ProjektsachbearbeitungHenriette KönigTelefon: +49 (0)69 8065-3105E-Mail: [email protected]

BildungsbüroTelefon: +49 (0)69 8065-3838E-Mail: [email protected]

Kommunale FederführungDr. Gabriele BotteLeiterin der Volkshochschule OffenbachTelefon: +49 (0)69 8065-3145E-Mail: [email protected]