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Die Kriminal polizei Kriminal polizei Herausgeber: GdP Gewerkschaft der Polizei, Bundesgeschäftsstelle Berlin, Stromstraße 4, 10555 Berlin Chefredaktion: Fachlicher Teil: Herbert Klein, Kriminaldirektor LKA Rheinland-Pfalz, Am Sportfeld 9c, 55124 Mainz, Telefon 0 61 31 / 97 07 34, Fax 0 61 31 / 97 07 32, E-Mail: [email protected] Gewerkschaftspolitischer Teil: Konrad Freiberg, Bundesvorsitzender, Reinbeker Redder 46c, 21031 Hamburg, Telefon 0 40 / 7 30 22 45, Fax: 0 40 / 73 93 19 28 Namentlich gekennzeichnete Artikel müssen nicht die Meinung der Redaktion wiedergeben. Manuskripte bitte ausschließlich an die Redaktion senden. Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird keine Haftung übernommen. Die in dieser Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Nachdruck, Vervielfältigungen usw. sind nur mit Quellenangabe und nach schriftlicher Genehmigung des Verlages gestattet. Verlag und Anzeigenverwaltung: VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GmbH, Anzeigenverwaltung, Sitz Hilden, Betriebsstätte Worms: Küferstraße 11, 67551 Worms, Telefon 0 62 47 / 6 09-0, Fax -70 Geschäftsführer: Lothar Becker, Bodo Andrae Erscheinungsweise und Bezugspreis: Vierteljährlich im letzten Quartalsmonat Einzelbezugspreis 3,50 Euro incl. 7 % MwSt. zzgl. Versandkosten, Jahresabonnement 12,– Euro incl. 7 % MwSt. zzgl. Versandkosten. Aufgrund des kriminalfachlichen Inhalts der Zeitschrift »Die Kriminalpolizei« kann diese nur an Personen und Institutionen ausgeliefert werden, die entsprechendes berufliches Interesse an der Zeitschrift nachweisen. „Die Kriminalpolizei“ darf nicht in Lesezirkeln geführt werden. Bestellungen nur an den Verlag. Herstellung: Druckerei Josef Schwab GmbH, Renzstraße 11, 67547 Worms, Telefon 0 62 41 / 4 49 10, Telefax 0 62 41 / 4 31 93 Vierteljahres- zeitschrift der Gewerkschaft der Polizei 3/2005 23. Jahrgang Inhalt Seite DIE KRIMINALPOLIZEI ISSN 0938-9636 Heft 3/05 73 Editorial 75 Bekämpfung des internationalen islamistischen Terrorismus aus Sicht eines Landes von Dieter Schneider, Inspekteur der Polizei, Innenministerium Baden- Württemberg, Stuttgart 76 Netzwerke gegen den Terror von Rainer Griesbaum, Bundesanwalt - Abteilungsleiter -, Karlsruhe, und Norbert Weise, Generalstaatsanwalt, Koblenz 80 Die verdeckte präventiv-polizeiliche Wohnraumüberwachung in Rheinland-Pfalz - Auszüge aus den Gesetzentwürfen 82 - Stellungnahme für die Anhörung des Innenausschusses des Landtages Rheinland-Pfalz zur Änderung des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (POG) am 31.05.2005 von Dr. Rolf Meier, Polizei-Führungsakademie, Münster 84 von Prof. Dr. Andreas Peilert, Polizei-Führungsakademie, Münster 86 Interview mit dem neuen Leiter der Abteilung Polizeilicher Staatsschutz (ST) des Bundeskriminalamtes in Meckenheim, Herrn LKD Wittling 90 Links-Rechts-Auseinandersetzungen oder „antifaschistischer Kampf“ gegen rechtsextremistische Zusammenhänge von Bodo Franz, Leiter Abteilung Staatsschutz, Landeskriminalamt Hamburg 92 Ich habe nichts gegen Äusländer, aber… von Prof. Klaus Staeck, Politgrafiker, Heidelberg 95 Schleichender Umbruch der allgemeinen Sicherheitslage von Dr. Alfred Stümper, Landespolizeipräsident i.R., Waldenbuch 96 Rechtsprechung von Dr. Rolf Meier, Polizei-Führungsakademie, Münster 98 Das Kooperationskonzept Rheinland-Pfalz als wirksames Mittel zur Bekämpfung des Menschenhandels von Karl-Otto Dornbusch, Polizeidirekor, Landeskriminalamt Mainz 101 Aggressive oder konservative Urintests? Am Beispiel des THC-Passivrauchens von Volker Sominka, Polizeidirektion Lörrach, Kriminalpolizei 105 Buchbesprechung 106 Gewerkschaftspolitische Nachrichten 107 Internet-Adresse: www.kriminalpolizei.de

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Die

Kriminalpolizei

Kriminalpolizei

Herausgeber:GdP Gewerkschaft der Polizei, Bundesgeschäftsstelle Berlin, Stromstraße 4, 10555 Berlin

Chefredaktion:Fachlicher Teil: Herbert Klein, Kriminaldirektor LKA Rheinland-Pfalz, Am Sportfeld 9c, 55124 Mainz,Telefon 0 61 31 / 97 07 34, Fax 0 61 31 / 97 07 32, E-Mail: [email protected] Teil: Konrad Freiberg, Bundesvorsitzender, Reinbeker Redder 46c, 21031 Hamburg,Telefon 0 40 / 7 30 22 45, Fax: 0 40 / 73 93 19 28

Namentlich gekennzeichnete Artikel müssen nicht die Meinung der Redaktion wiedergeben. Manuskripte bitte ausschließlich an die Redaktionsenden. Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird keine Haftung übernommen. Die in dieser Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sindurheberrechtlich geschützt. Nachdruck, Vervielfältigungen usw. sind nur mit Quellenangabe und nach schriftlicher Genehmigung des Verlagesgestattet.

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Erscheinungsweise und Bezugspreis:Vierteljährlich im letzten QuartalsmonatEinzelbezugspreis 3,50 Euro incl. 7 % MwSt. zzgl. Versandkosten, Jahresabonnement 12,– Euro incl. 7 % MwSt. zzgl. Versandkosten.Aufgrund des kriminalfachlichen Inhalts der Zeitschrift »Die Kriminalpolizei« kann diese nur an Personen und Institutionen ausgeliefert werden,die entsprechendes berufliches Interesse an der Zeitschrift nachweisen. „Die Kriminalpolizei“ darf nicht in Lesezirkeln geführt werden.Bestellungen nur an den Verlag.

Herstellung: Druckerei Josef Schwab GmbH, Renzstraße 11, 67547 Worms, Telefon 0 62 41 / 4 49 10, Telefax 0 62 41 / 4 31 93

Vierteljahres-zeitschriftder Gewerkschaftder Polizei

3/200523. Jahrgang

Inha

lt Seite

DIE

KRIMINALPOLIZEI

ISSN 0938-9636

Heft 3/05 73

Editorial 75

Bekämpfung des internationalen islamistischen Terrorismus aus Sicht eines Landesvon Dieter Schneider, Inspekteur der Polizei, Innenministerium Baden-Württemberg, Stuttgart 76

Netzwerke gegen den Terrorvon Rainer Griesbaum, Bundesanwalt - Abteilungsleiter -, Karlsruhe, undNorbert Weise, Generalstaatsanwalt, Koblenz 80

Die verdeckte präventiv-polizeiliche Wohnraumüberwachungin Rheinland-Pfalz- Auszüge aus den Gesetzentwürfen 82- Stellungnahme für die Anhörung des Innenausschusses des LandtagesRheinland-Pfalz zur Änderung des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes(POG) am 31.05.2005von Dr. Rolf Meier, Polizei-Führungsakademie, Münster 84von Prof. Dr. Andreas Peilert, Polizei-Führungsakademie, Münster 86

Interview mit dem neuen Leiter der Abteilung Polizeilicher Staatsschutz (ST)des Bundeskriminalamtes in Meckenheim, Herrn LKD Wittling 90

Links-Rechts-Auseinandersetzungen oder „antifaschistischer Kampf“gegen rechtsextremistische Zusammenhängevon Bodo Franz, Leiter Abteilung Staatsschutz, Landeskriminalamt Hamburg 92

Ich habe nichts gegen Äusländer, aber…von Prof. Klaus Staeck, Politgrafiker, Heidelberg 95

Schleichender Umbruch der allgemeinen Sicherheitslagevon Dr. Alfred Stümper, Landespolizeipräsident i.R., Waldenbuch 96

Rechtsprechungvon Dr. Rolf Meier, Polizei-Führungsakademie, Münster 98

Das Kooperationskonzept Rheinland-Pfalz als wirksames Mittel zurBekämpfung des Menschenhandelsvon Karl-Otto Dornbusch, Polizeidirekor, Landeskriminalamt Mainz 101

Aggressive oder konservative Urintests? Am Beispiel des THC-Passivrauchensvon Volker Sominka, Polizeidirektion Lörrach, Kriminalpolizei 105

Buchbesprechung 106

Gewerkschaftspolitische Nachrichten 107

Internet-Adresse: www.kriminalpolizei.de

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Rheinland-PfalzSaarlandSachsenSachsen-AnhaltSchleswig-Holstein

Landespolizeipräsident Erwin HetgerInnenministerium Baden-WürttembergPräsident a. D., Prof. Dr. Rainer SchulteFreiburgInspekteur der Polizei a. D. Hartmut LewitzkiInnenministerium Baden-WürttembergInspekteur der Polizei Dieter SchneiderInnenministerium Baden-WürttembergLandespolizeipräsident a. D. Dr. Alfred StümperStuttgartPräsident a. D. Franz-Hellmut SchürholzLandeskriminalamt StuttgartDirektor der Bereitschaftspolizei Alfred GötzBereitschaftspolizeipräsidium Baden-Württemberg, GöppingenProf. Dr. Heinz-Dieter WehnerInstitut für Gerichtliche Medizin TübingenGeneralstaatsanwalt Klaus PfliegerGeneralstaatsanwaltschaft StuttgartLtd. Kriminaldirektor Wolfgang KrauthLandespolizeidirektion KarlsruheLtd. Kriminaldirektor Heiner AmannLandespolizeidirektion FreiburgLtd. Kriminaldirektor a. D. Heinrich MeyerFriesenheim

Landesbezirke

Baden-WürttembergBayernBerlin

BGSBKABrandenburgBremenHamburg

Abteilungspräsident Dr. Gottfried VordermaierRegierungsdirektor Hans Udo StörzerRegierungsdirektor Dr. Peter FrodlProf. Heinz LeineweberKriminaldirektor Nikolaus Speicher

Kriminaldirektor Jörg-Michael KlösBerlinKriminaldirektor Oliver TölleBerlinProf. Eugen WeschkeFachhochschule BerlinKriminalhauptkommissar Peter KrügerBerlin

Bayern

Inspekteur der Polizei Werner BlattMinisterium des Innern und für Sport, MainzPolizeipräsident Wolfgang FrommPolizeipräsidium RheinpfalzLtd. Kriminaldirektor Wolfgang HertingerMinisterium des Innern und für Sport, MainzMinisterialdirigent a.D. Dr. Armin DostmannMinisterium des Innern und für Sport, MainzKriminaldirektor Klaus MohrLandeskriminalamt Rheinland-PfalzLtd. Polizeidirektor Klaus Werz,Ministerium des Innern und für Sport, MainzRegierungsdirektor Dr. Rolf MeierPolizeiführungsakademie Münster-HiltrupLtd. Kriminaldirektor Franz LeideckerPolizeipräsidium RheinpfalzGeneralstaatsanwalt Norbert WeiseGeneralstaatsanwaltschaft KoblenzOberstaatsanwalt Horst LeisenStaatsanwaltschaft KoblenzKriminalhauptkommissar Jörg Schmitt-KilianPolizeipräsidium Koblenz

Ltd. Kriminaldirektor Gunter HauchPolizeipräsidium MünchenKriminaloberrat Norbert LotterFachhochschule für öffentliche Verwaltung und Justiz,Fachbereich Polizei

Landespolizeipräsident Eberhard PilzSächsisches Staatsministerium des Innern, DresdenGeneralstaatsanwalt Dr. Jörg SchwalmGeneralstaatsanwaltschaft DresdenPräsident des Landeskriminalamtes Sachsen Paul ScholzDirektor des Institutes für RechtsmedizinProf. Dr. Jan DresslerProf. Dr. Erich MüllerTU DresdenKriminaldirektor Bernd MerbitzPolizeidirektion Grimma

SaarlandHarald WeilandDirektor des Landeskriminalamtes, Saarbrücken

Dr. Helmut AlbertDirektor des saarländischen Landesamtes für Verfassungsschutz

BrandenburgKriminaldirektor Roger HöppnerMinisterium des Innern

Nordrhein-WestfalenLtd. Polizeidirektor Dagobert AllhornPolizeipräsidium KrefeldLtd. Polizeidirektor Helmut JanieschPolizeipräsidium EssenKriminaloberrat Jürgen KleisPolizeipräsidium Dortmund

Sachsen

Rheinland-Pfalz

Mecklenburg-VorpommernInspekteur der Landespolizei,Ltd. Kriminaldirektor Rudolf SpringsteinInnenministerium Mecklenburg/VorpommernLtd. Polizeidirektor Manfred DachnerPolizeidirektion NeubrandenburgPolizeidirektor Rainer BeckerFachhochschule für öffentliche Verwaltung und RechtspflegeKriminaldirektor Helmut QualmannPolizeidirektion Rostock

Berlin

Bundeskriminalamt

Baden-Württemberg

Ständige ehrenamtliche Mitarbeiter:

BremenPolizeipräsident Prof. Eckard MordhorstPolizei BremenLtd. Kriminaldirektor Peter WetzkePolizei BremenProf. Manfred KrupskiHochschule für öffentliche Verwaltung BremenKriminaldirektor Michael HaasePolizei BremenErster Kriminalhauptkommissar Wilhelm HinnersPolizei Bremen

DIE

KRIMINALPOLIZEIHeft 3/05

NiedersachsenLeitender Kriminaldirektor Rüdiger ButteDirektor des Landeskriminalamtes in NiedersachsenKriminaldirektor Wolfgang RösemannZentrale Polizeidirektion Niedersachsen

Schleswig-HolsteinLandespolizeidirektor Wolfgang PistolInnenministerium des Landes Schleswig-Holstein, KielDekan Hartmut BrenneisenFachbereichsleiter Polizei der Fachhochschule fürVerwaltung und Dienstleistung

HessenMecklenburg-VorpommernNiedersachsenNordrhein-Westfalen

HessenPräsident Peter RaischLandeskriminalamt HessenKriminalhauptkommissar Ralf HumpfLandeskriminalamt HessenKriminalhauptkommissar Joachim RüppelPolizeipräsidium Nordhessen

HamburgKriminaldirektor Gerd-Ekkehard HübnerPolizei Hamburg

Sachsen-AnhaltLandeskriminaldirektor Rolf-Peter WachholzInnenministerium Sachsen-Anhalt

Ltd. Kriminaldirektor Jürgen WindolphLandeskriminalamt Sachsen-Anhalt

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BundBundesanwalt Thomas BeckGeneralbundesanwalt Karlsruhe

Die

Kriminalpolizei

Kriminalpolizei

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EDITORIAL

DIE

KRIMINALPOLIZEIHeft 3/05

75

Liebe Leserin, lieber Leser,

am 7. und 21. Juli 2005 wurde die englischeHauptstadt London vom islamistischen Ter-ror heimgesucht. Mehr als 50 Tote und über700 Verletzte war die vorläufige Bilanz desersten Anschlages, der dem öffentlichen Per-sonennahverkehr galt. Nach ersten Erkennt-nissen haben die Täter an allen Tatorteneinen hochbrisanten Sprengstoff verwendet,der zumeist als so genanntes Selbstlaboraterkannt wird.Nach den Anschlägen von Madrid im vergan-genen Jahr haben die Gefolgsleute von Usa-ma bin Laden, dem geistigen Führer der AlQaida, erneut eine europäische Metropolein ihr Zielspektrum gerückt. Was wir kennen,ist die Auswahl so genannter weicher Ziele,die Verwendung von Sprengstoff und daswahllose Herbeiführen möglichst hoher Op-ferzahlen (body counting). Neu und eine be-sondere Herausforderung für Sicherheitsbe-hörden und Politik ist die Radikalisierungjunger, in England geborener und aufgewach-sener Muslime. Diese jungen Männer, gebil-det und aus „gutem Hause“ waren nach kur-zer Zeit bereit, ihr Leben für eine perfideInterpretation des Islam herzugeben.Bereits in der Ausgabe 2/2005 hat der Lei-ter des saarländischen VerfassungsschutzesDr. Helmut Albert in seinem Beitrag „Al Qai-da, eine transnationale Terrororganisation imWandel“ festgestellt, dass es für die westli-chen Staaten höchst gefährlich wäre, wennsie bei der Terrorabwehr zu sehr ihren Blickauf Gefahren richteten, die ihnen von außendrohen. Da „Al Qaida“ sich im Übergang voneiner Organisation zu einer Ideologie befin-det, werden die künftigen Risiken eher vorder eigenen Haustür entstehen und nicht ih-ren Ursprung irgendwo am Hindukusch ha-

die präventiv-polizeiliche Wohnungsüberwa-chung gerechnet werden. Ob und inwieweitdiese von der Rechtsprechung des BVerfGzum sog. „großen Lauschangriff“ betroffenist, wird derzeit diskutiert. In Rheinland-Pfalzmündete diese Diskussion in ein Gesetzge-bungsverfahren, das bei Erscheinen dieserAusgabe wahrscheinlich bereits abgeschlos-sen ist. Da dieses Verfahren auch für andereBundesländer von Interesse sein dürfte, istes in dem Beitrag „Die verdeckte präventiv-polizeiliche Wohnraumüberwachung in Rhein-land-Pfalz“ in einigen grundsätzlichen Zügendokumentiert. Die Beiträge von Dr. Rolf Mei-er und Prof. Dr. Andreas Peiler t (beide Poli-zei-Führungsakademie) aus der öffentlichenAnhörung des Innenausschusses des rhein-land-pfälzischen Landtags geben die wich-tigsten Aspekte der Diskussion wider.Nach der Entscheidung des Bundespräsiden-ten werden im September Neuwahlen zumDeutschen Bundestag stattfinden. Der Wahl-kampf wird eine Reihe von Herausforderun-gen für die Polizei nach sich ziehen. Alsbesonders problematisch stellen sich öffent-liche Auftritte von rechtsmotivier ten Perso-nen und Gruppen dar. Derartige Veranstal-tungen werden häufig von Autonomen undMitgliedern der Antifa dazu genutzt, um ge-walttätige Auseinandersetzungen zu suchen.Schwere Körperverletzungen und Sachbe-schädigungen sind die zwangsläufige Folge.Vermehrt gerät dabei auch die Polizei selbstins Zielspektrum der Gewalttäter.Bodo Franz, Leiter der Abteilung Staats-schutz im Landeskriminalamt Hamburg, skiz-ziert unter dem Titel „Links-Rechts-Ausein-andersetzungen oder ,antifaschistischerKampf’ gegen rechtsextremistische Zusam-menhänge“ nicht nur Aktionsformen sondernauch Rolle und Situation der Polizei.Der bekannte politische Grafiker und JuristProf. Klaus Staeck, Heidelberg, hat mit sei-nen ca. 300 Plakaten und zahlreichenFotos, die in über 3.000 Ausstellungen derÖffentlichkeit präsentiert wurden, häufig mitscharfer Ironie provoziert und mit der Politikdie satirische Auseinandersetzung gesucht.Mit seinem Beitrag „Ich habe nichts gegenAusländer, aber...“ und den Plakaten setzter sich mit dem „verqueren rechten Weltbild“auseinander.

Ihr

Herbert Klein

ben. Ausgehend von den Anschlägen und bekanntgewordenen Anschlagsplanungen [...] ist inDeutschland am ehesten mit Sprengstoffanschlä-gen zu rechnen.Angesichts der hohen Planungstreue der Organi-sation ist auch davon auszugehen, dass sie wei-ter an der Planung und Vorbereitung neuer „Mega-Anschläge“ arbeitet und diese auch durchführenwird, sobald sich die Gelegenheit dazu ergibt, soDr. Albert.Da auch Deutschland nach übereinstimmenderBewertung der Sicherheitsbehörden als Teil ei-nes weltweiten Gefahrenraumes gesehen werdenmuss, hat die ständige Befassung mit der Thema-tik nicht an Aktualität verloren.Schwerpunktthema der diesjährigen Redaktions-konferenz am 10. und 11. Mai 2005 in Berlin warneben redaktionellen Fragen der internationaleTerrorismus. Klaus Wittling, neuer Leiter der Ab-teilung Staatsschutz beim Bundeskriminalamt, undDieter Schneider, Inspekteur der baden-württem-bergischen Polizei, referier ten und diskutier tenmit den Teilnehmern die aktuellen Bekämpfungs-maßnahmen aus der Perspektive des Bundes bzw.eines Landes.In dem nachfolgenden Artikel „Bekämpfung desinternationalen islamistischen Terrorismus ausSicht eines Landes“ können die Leserinnen undLeser die von Herrn Schneider vertretenen kon-zeptionellen Ansätze sowie im Interview von HerrnWittling, dessen Schwerpunkte und Herausforde-rungen für seine künftige Tätigkeit nachvollziehen.Bundesanwalt Rainer Griesbaum und General-staatsanwalt Norber t Weise (Rheinland-Pfalz)befassen sich unter dem Titel „Netzwerke gegenden Terror“ mit dem Ergebnis einer gemeinsa-men Projektgruppe von Justiz und Polizei, die aufInitiative des Arbeitskreises II (Innere Sicherheit)und des Strafrechtsausschusses eingesetzt wor-den war. Vor dem Hintergrund von ganzheitlichenBekämpfungs- und Verfolgungsansätzen warenvon Oktober 2004 bis Mai 2005 Optimierungs-möglichkeiten im Rahmen der bestehenden Zu-sammenarbeitsregelungen beraten worden. Zielwar es unter anderem, mit den erzielten Ergeb-nissen den Netzwerken des Terrors auch staat-licherseits Netzwerke gegenüberzustellen.Die bislang von den Terroristen bekannt gewor-denen Planungs- und Handlungsmuster waren vonhoher Konspiration und Professionalität gekenn-zeichnet. Konsequenterweise muss den Sicher-heitsbehörden insbesondere in der Vortatphaseeine breite Palette von Eingriffmaßnahmen zurVerfügung stehen, um drohende Gefahren mög-lichst frühzeitig erkennen und abwehren zu kön-nen. Zu den wirksamsten Maßnahmen muss auch

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TERRORISMUS

Bekämpfung des internationalenislamistischen Terrorismus aus Sicht eines Landes

Dieter SchneiderInspekteur der Polizei

Innenministerium Baden-Württemberg

Die HerausforderungIslamisten sind hierzulande in vielfältigerArt und Weise aktiv. Wir kennen die Mo-scheen und Vereine, die Hassprediger alsPlattform benutzen, um durch ihre massi-ve Propaganda eine Ideologie zu verbrei-ten und unter ihrer Anhängerschaft zuschüren, die eine aktive Unterstützung imKampf gegen die „Ungläubigen“ fordert.Wir wissen, dass hier junge Muslime zumKampf gegen die „Ungläubigen“ im heili-gen Krieg (Djihad) rekrutiert, mit finanzi-ellen Mitteln ausgestattet und in Ausbil-dungslager nach Afghanistan oder Pakistangeschickt worden sind, um diesem Aufrufweltweit, beispielsweise in Tschetscheni-en, zu folgen. Gleichzeitig werden dieseMoscheen und Vereine auch von Perso-nen als Basis benutzt, die internationaleislamistische Terrororganisationen unter-stützen, indem sie legal und illegal Geldbeschaffen und es in kleinen Summen anOrganisationen im Ausland transferieren.

teiligung und das abgestimmte Vorgehenaller relevanten Stellen unter Ausschöp-fung der jeweiligen rechtlichen Möglich-keiten ein effektives Vorgehen im Hin-blick auf alle zu berücksichtigendenAspekte bewirkt. In der Praxis hat dieserAnsatz nicht nur Auswirkungen auf dasAußenverhältnis zwischen Polizei undanderen Stellen, sondern gerade auch aufdie interne Ausrichtung und Vernetzungder polizeilichen Maßnahmen.Der Schutz gefährdeter Objekte und Per-sonen aufgrund einer fundierten Gefähr-dungsanalyse gehört zu den Grundpfeilerneines jeden polizeilichen Konzeptes zurAbwehr von Terrorgefahren. Wo aber an-fangen und wo aufhören, wenn in das Ziel-spektrum islamistischer Terrororganisati-onen so genannte „weiche Ziele“ gerücktsind. Es besteht insoweit ein großer Un-terschied zu den Zeiten der RAF, als dieRepräsentanten des Staates und verschie-dener Organisationen im Visier von Ter-roristen standen. Von den islamistischenTerroristen wird die Bevölkerung heutesozusagen in Sippenhaft genommen undes scheint dabei sogar unerheblich zu sein,ob es sich um „Ungläubige“ oder Musli-me handelt. Daraus resultiert, dass der Ab-wehr von Terrorattentaten durch Schutz-maßnahmen Grenzen gesetzt sind.

Deshalb ist der flächendeckenden, vernetz-ten und systematischen Erkenntnisgewin-nung über Strukturen, Potenzial, Logistik,Finanzierung, Aktivitäten, Planung undVorhaben islamistischer Extremisten undTerroristen ein hoher Stellenwert einzu-räumen. Dies ist der entscheidende Hebel,

DIE

KRIMINALPOLIZEIHeft 3/0576

Von Dieter Schneider1, Inspekteur der Polizei, Innenministerium Baden-Württemberg, Stuttgart

1 mit herzlichem DankHerrn Kriminalhauptkommissar Dietmar Lang-rock für die Vor- und Aufbereitung

Die Bedrohung, die vom islamistischen Terrorismus und Extremismus ausgeht, ist ebenso aktuell wie von nicht absehbareranhaltender Dauer und kann die Verantwortlichen für die Innere Sicherheit nicht einfach zur Tagesordnung übergehen lassen.Nach wie vor gewinnen die Sicherheitsbehörden fast täglich Gefährdungshinweise und Informationen über Aktivitäten vonSympathisanten oder Mitgliedern islamistischer Terrororganisationen. Erkenntnisse aus Aufklärungsmaßnahmen und laufen-den präventivpolizeilichen und strafprozessualen Ermittlungen zeigen, dass Deutschland trotz aller Anstrengungen nach wievor ein Aufenthaltsraum für gewaltbereite Islamisten und Terroristen ist und von diesen gleichzeitig auch als potentieller An-schlagsraum betrachtet wird. Es stellt sich die Frage, ob alles getan ist, um dieser Gefahr wirksam begegnen zu können undwas noch unternommen werden kann, um die Bekämpfungskonzepte weiter zu optimieren.Der so genannte ganzheitliche Bekämpfungsansatz ist zwischenzeitlich in aller Munde und allseits anerkannter und praktizier-ter Standard in der Bekämpfung des islamistischen Extremismus und Terrorismus durch den Bund und die Länder. Der Beitragzeigt exemplarisch die strategischen Ansätze und deren Umsetzung in Baden-Württemberg.

Wir wissen, dass hier lebende Islamistenin die weltweiten Strukturen terroristi-scher Netzwerke eingebunden sind. Eszeigen sich immer wieder entsprechendeKontakte, die unter anderem auf gemein-samen Aufenthalten in islamistisch-terro-ristischen Ausbildungslagern gründen.Auch die internationale Sicherheitslageund die mit massiver antiwestlicher Agi-tation gespickten Verlautbarungen vonUsama Bin Laden oder von Al Sarkawioder anderer Führungspersönlichkeiten is-lamistischer Terrororganisationen machendarüber hinaus deutlich, dass der Kampfgegen islamistischen Terrorismus noch lan-ge nicht gewonnen ist – wenn er denn jeüberhaupt gewonnen werden kann.Wir waren bisher mit der Sicherheitsarbeitin Deutschland erfolgreich. Ist es doch infünf Fällen gelungen, die Ausführung kon-kret geplanter und vorbereiteter Terror-anschläge durch polizeiliche Maßnahmenrechtzeitig zu verhindern. Dies ist keinRuhekissen, sondern unterstreicht dieenorme Herausforderung, vor der dieSicherheitsbehörden stehen.

Die BekämpfungsstrategieDie strategische Zielrichtung der Bekämp-fungskonzepte in den einzelnen Ländernunterscheidet sich nur unwesentlich,allenfalls in der Umsetzung entsprechendden länderspezifischen Gegebenheiten.Den Rahmen bilden die Beschlüsse derInnenministerkonferenz vom 07./08. Juli2004 und vom 18./19. November 2004,mit welchen die Strategie und die Eck-punkte eines auf dem ganzheitlichen Be-kämpfungsansatz basierenden Bekämp-fungskonzeptes festgeschrieben wurden.Grundgedanke dieser strategischen Aus-richtung ist, dass nur die umfassende Be-

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TERRORISMUS

den es überall in Bund und Ländern anzu-setzen gilt. Ziel ist es, terroristische Struk-turen frühzeitig zu erkennen und zu zer-schlagen, Anschlagsvorbereitungen schonim Ansatz aufzudecken, um die Realisie-rung von Anschlägen verhindern zu kön-nen.

Konzepte und MaßnahmenInformationsgewinnung der Fachdienst-stellen zur Bekämpfung der politischmotivierten KriminalitätVerdachtsgewinnung darf sich nicht aufdie Abarbeitung von Gefährdungshinwei-sen oder die Bearbeitung einschlägiger Er-mittlungsverfahren beschränken. Der sys-tematischen Beschaffung von Erkennt-nissen dienen auch die außerhalb der de-liktischen Sachbearbeitung durchgeführ-ten gezielten dezentralen Aufklärungsmaß-nahmen vor Ort. Diese gehören vor allemzum permanenten Aufgabenfeld der Staats-schutzdienststellen auf Ebene der Polizei-direktionen. Das Landeskriminalamtinitiiert, steuert und koordiniert diese de-zentralen Bekämpfungsmaßnahmen sehrstringent. Im Mittelpunkt stehen von denrd. 4.500 Islamisten in Baden-Württemberg(von bundesweit ca. 32.000) eine zweistel-lige Zahl von Gefährdern und deren Be-gleitpersonen sowie eine dreistellige Zahlso genannter relevanter Personen. Ortsbe-zogen stehen die Treff- und Brennpunktevon Islamisten im besonderen Focus derpolizeilichen Aufklärungsmaßnahmen. InBaden-Württemberg sind dies über 200Objekte, in der Mehrzahl Moscheen undVereine mit entsprechender Relevanz.Allein im Jahr 2004 wurden an diesen be-kannten Treff- und Brennpunkten 460Kontrollen auf polizeirechtlicher Basisdurchgeführt. Bei all diesen Kontrollensteht aber nicht nur die Informationsge-winnung im Vordergrund. Hier soll auchein generalpräventives Zeichen gesetztwerden, das signalisiert, dass Freiräume fürIslamisten in Baden-Württemberg nichtgeduldet werden.

Auch die Überprüfung allgemein krimi-neller Straftaten, die von anderen Organi-sationseinheiten der Schutz- und Kriminal-polizei bearbeitet werden, gehört zumAufgabenbereich des örtlichen Staatsschut-zes. Gerade die Ermittlungen im Bereichder Allgemeinkriminalität bieten oftmalsdie beste Möglichkeit zum Einstieg in spe-zifische Staatsschutzermittlungen zum Ab-klären und Hinterleuchten potentiellerIslamisten, verdächtiger Objekte, beste-hender Verflechtungen und Strukturenoder finanzieller Hintergründe. Im Jahr2004 blieben so rund 330 Delikte im Prüf-raster der Staatsschutzorganisationsein-heiten in Baden-Württemberg hängen, beidenen ein islamistischer Hintergrund an-

genommen wird oder nachgewiesen wer-den konnte.Führen diese Maßnahmen zur Herausfil-terung eines bestimmten Personenkreisesoder einer Person werden Initiativermitt-lungen auf polizeirechtlicher Grundlagedurchgeführt, sofern noch kein strafpro-zessualer Anfangsverdacht begründet wer-den kann. Verdeckte Maßnahmen, wieObservationseinsätze, der Einsatz techni-scher Mittel sowie die Ausschreibung zurpolizeilichen Beobachtung gehören dabeizum Standard und werden offensiv einge-setzt. Dies zeigt die bundesweite Statistik,nach der zu Beginn des Jahres rund einDrittel aller Ausschreibungen zur polizei-lichen Beobachtung im Bereich Staats-schutz von Dienststellen aus Baden-Würt-temberg veranlasst wurden.

Neben der polizeilichen Beobachtung, dieals verdecktes Instrument der Gewinnungvon Informationen über Reisewege undKontaktpersonen dient, stellt die gezielteoffene Kontrolle gemäß Artikel 99 desSchengener Durchführungsübereinkom-mens eine weitere Möglichkeit dar, wich-tige Informationen über Personenzusam-menhänge und den Organisationsgradextremistischer und terroristischer Grup-pierungen zu gewinnen und vor allem, denoffenen Kontrolldruck zu erhöhen. Zudiesem Ergebnis ist auch eine vom AK IIeingesetzte Projektgruppe gekommen,welche die Schaffung einer präventivpoli-zeilichen Rechtsgrundlage zur Durchfüh-rung gezielter Kontrollen in den Polizei-gesetzen der Länder befürwortet. DieInnenministerkonferenz hat sich in ihrerSitzung am 23./24.06.2005 klar positio-niert. Sie sieht in der gezielten Kontrollegrundsätzlich eine geeignete Möglichkeit,die Erkenntnisgewinnung zu verbessernund dadurch Straftaten von erheblicher Be-deutung insbesondere auf dem Gebiet desExtremismus/Terrorismus, der schwerenund organisierten Kriminalität durchschengenweite Ausschreibung zur Gefah-renabwehr zu verhindern und wirksamerzu bekämpfen. Dazu sind die notwendi-gen Voraussetzungen in den Polizeigeset-zen zu schaffen.

Fahndungskonzeption„Kriminelle Islamisten“Neben den örtlichen Aufklärungsmaßnah-men werden in vielen Ländern landeswei-te Kontroll- und Fahndungsaktionendurchgeführt, teilweise länderübergrei-fend wie bspw. von Baden-Württemberg,Rheinland-Pfalz, Hessen und Bayern.Die Ergebnisse dieser Fahndungs- undKontrollmaßnahmen zeigen, dass die Po-lizeidienststellen mit der Auswahl derObjekte richtig liegen (bei über 20 % derkontrollierten Personen lagen in Baden-

Württemberg Erkenntnisse aus den spezi-ellen Dateien des Staatsschutzes vor).Gleichwohl ist auffällig, dass zunehmendweniger Straftaten und Ordnungswidrig-keiten konkret aufgedeckt werden konn-ten. Offensichtlich ist die islamistischeSzene sensibilisiert und hat sich auf derar-tige polizeiliche Maßnahmen eingestellt.Bestätigt wird diese Einschätzung durchoperativ gewonnene Erkenntnisse. Darauswissen wir:

die Predigten der Imame sind defensi-ver geworden,es werden weniger illegal aufhältlichePersonen in Vereinsräumen beherbergt,die Szene rechnet ständig mit polizeili-chen Beobachtungen / Kontrollen undeingeschleusten „Spitzeln“ und verhältsich entsprechend.

Wir haben deshalb unsere Strategie modi-fiziert und neben solchen landesweitenFahndungs- und Kontrolltagen ein flexib-les, auf die örtlichen Gegebenheiten abge-stimmtes Fahndungskonzept entwickelt,um einen permanenten Fahndungs- undKontrolldruck wirksam aufrecht erhaltenzu können und den Gewöhnungseffektenentgegen zu wirken. Teil des Fahndungs-konzeptes „Kriminelle Islamisten“ istbeispielsweise die Festlegung einer „Per-son oder eines Objekts des Monats“.Die Steuerung obliegt der Koordinierungs-stelle Politisch motivierte Kriminalität,welche beim Landeskriminalamt angesie-delt und in der neben den Polizeidienst-stellen auch das Landesamt für Verfas-sungsschutz vertreten ist. Gestützt aufaktuelle Analysen wird für die Zielpersonoder das Zielobjekt des Monats ein maß-geschneidertes Einsatzkonzept mit einemvielfältigen Maßnahmenbündel geschnürt(Einzelheiten hierzu verbieten sich in ei-ner öffentlichen Darstellung). Dieses Mo-dell versetzt auch kleinere Dienststellen indie Lage, personalintensive Aufklärungs-maßnahmen gezielt zu betreiben.

Ermittlungen mit langem AtemVorfeldmaßnahmen haben letztendlich ne-ben der Gefahrenabwehr ein weiteres Ziel:Die Erkenntnislage soll so verdichtet wer-den, dass die Einleitung eines strafprozes-sualen Ermittlungsverfahrens gegen krimi-nelle Islamisten begründet werden kann.Dabei sind die Anforderungen des An-fangsverdachts bei einschlägigen Organi-sationsdelikten, wie beispielsweise die Un-terstützung einer kriminellen Vereinigungim Ausland gem. § 129 b StGB, hoch. ImVorfeld und erst recht bei der Bearbeitungentsprechender Verfahren brauchen wir ei-nen langen Atem – personell, finanziell,führungsmäßig und in der Motivation. Dashaben die hochkarätigen Ermittlungsver-fahren gezeigt, die in den letzten Jahren inBaden-Württemberg geführt worden sind.

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KRIMINALPOLIZEIHeft 3/05 77

Page 6: Kriminal Die · Betriebsstätte Worms: Küferstraße 11, 67551 Worms, Telefon 0 62 47 / 6 09-0, Fax -70 Geschäftsführer: Lothar Becker, Bodo Andrae Erscheinungsweise und Bezugspreis:

TERRORISMUS

Doch stellen sich dann auch Erfolge ein.Es sei bspw. an das Ermittlungsverfahrengegen ein führendes Mitglied der Ansar-al-Islam in Deutschland erinnert, das letzt-endlich zur Vereitelung der Anschlagskon-kretisierung auf den ehemaligen irakischenMinisterpräsidenten Dr. Allawi in Berlinführte.

Belegen lässt sich diese Aussage ebenso anden Ergebnissen einer baden-württember-gisch-bayerischen Ermittlungskooperationim Raum Ulm/Neu-Ulm. Ausgangslagewaren Aufklärungserkenntnisse über ei-nen festgestellten Brennpunkt islamisti-scher Aktivitäten zum einen und Erkennt-nisse über die Begehung allgemeinkri-mineller Straftaten durch mutmaßliche Is-lamisten zum anderen. Dies kriminalis-tisch zusammengeführt ließ den Verdachtbegründen, dass im Großraum Ulm einegrößere Anzahl von Islamisten existiert,die einer kriminellen Vereinigung angehö-ren und umfangreiche gewerbsmäßige Ur-kunds- und Schleusungsdelikte sowiePropagandadelikte mit islamistischemHintergrund begehen. Auf der Basis die-ser in langwierigen, intensiven Vorfeld-maßnahmen gewonnenen Erkenntnissewurde zur Bearbeitung des eingeleitetenErmittlungsverfahrens wegen Verdachtsder Bildung einer kriminellen Vereinigunggem. § 129 StGB eine Ermittlungskoope-ration der Bundesländer Baden-Württem-berg und Bayern initiiert, in welcher auchVerbindungsbeamte des BKA und BfVmitwirkten.

Mit Übergang in die offene Ermittlungs-phase waren 59 Durchsuchungsbeschlüs-se und 22 Haftbefehle zu vollziehen. DieVerfahren sind noch nicht abgeschlossen.Die Tatvorwürfe reichen von gewerbs-und bandenmäßiger Urkundenfälschungüber Betrug bis zur Anwerbung für frem-de Wehrdienste und Anleitung zum Mord.Im Zuge der Ermittlungen hat die Ermitt-lungsgruppe aufgrund gewonnener Er-kenntnisse eine Reihe von Maßnahmenangeregt, die wiederum zu erfolgreichen,teils bundesweiten Aktionen der Gewer-beämter, des Zolls und der Steuerfahndunggeführt haben.

Ganzheitlicher Ansatz polizeiintern:Einbeziehung aller Organisationsein-heitenDer ganzheitliche Bekämpfungsansatz be-ginnt im Binnenverhältnis der Polizei. DieBekämpfung des islamistischen Terroris-mus ist nicht nur eine Aufgabe für die spe-zialisierten Beamten des Staatsschutzes,sondern hat auch Auswirkungen auf dieanderen Organisationseinheiten der Poli-zei. Wir müssen quasi die Augen und Oh-ren aller (in Baden-Württemberg 25.000)

wünschen. Wir können uns Reibungsver-luste im Informationsaustausch, in der ope-rativen Zusammenarbeit oder bei der Auf-gabenverteilung zwischen den Sicherheits-behörden von Bund und Ländern nichtleisten. Ein isoliertes Vorgehen ohne Ab-stimmung und Koordination muss derVergangenheit angehören. Die derzeit gel-tenden Zuständigkeitsregelungen bereitenjedenfalls einer konstruktiven und wirk-samen operativen Zusammenarbeit keineProbleme, wie das Beispiel der EG Donaugezeigt hat.

Insbesondere hinsichtlich eines vernetztenund systematischen Informationsaustau-sches sehen wir noch Optimierungsmög-lichkeiten. Insoweit läuft im Gemeinsa-men Terrorismusabwehrzentrum nochnicht alles rund und ist entwicklungs- undverbesserungsfähig. Aus Sicht des Landeserwarten wir, dass sich durch die Einspei-sung von Informationen nicht nur einMehrwert für die Sicherheitsbehörden desBundes ergibt. Wir wollen keine Einbahn-straße und erwarten von den Bundesbe-hörden, dass sie den Ländern alle verfüg-baren Informationen zur Verfügungstellen. Dies darf nicht unter Hinweis aufdie Sensibilität der bei den Nachrichten-diensten vorhandenen Informationen oderdas Trennungsgebot verweigert werden.Auch die Staatsschutzbeamten der Polizeiin den Ländern können mit vertraulichenInformationen sachgerecht umgehen. DieErfahrungen mit dem Gemeinsamen Ter-rorismusabwehrzentrum sind deshalbauch unter diesem Gesichtspunkt auszu-werten.Die informationelle Zusammenarbeit er-fordert über die Einrichtung des Gemein-samen Terrorismusabwehrzentrums hin-aus die Schaffung einer gemeinsamen Dateivon Polizei und Nachrichtendiensten fürden islamistischen Terrorismus und Extre-mismus, wie es der AK II bereits letztesJahr gefordert hat.Wenn es denn – wie die eingehenden Prü-fungen gezeigt haben – keine durchgrei-fenden verfassungsrechtlichen Bedenkengegen die Einrichtung einer solchen ge-meinsamen Datei gibt, dann sollten inso-weit die Konsequenzen aus der Bedro-hungslage für die notwendige Opti-mierung der Bekämpfung des islamisti-schen Extremismus und Terrorismus ge-zogen werden.Für eine Ausweitung der präventivpolizei-lichen Kompetenzen des Bundeskriminal-amtes besteht dagegen aus Sicht des Lan-des keine Veranlassung. Abgesehen vonden verfassungsrechtlichen Problemenzeigt auch die Praxis keinen entsprechen-den nachvollziehbaren Bedarf. Wir habenimmer wieder betont und gezeigt, dass sichgerade die föderalen Strukturen bewährt

Polizeivollzugsbeamten – vom Sachbear-beiter bei den Kriminalaußenstellen biszum Streifendienstbeamten – auf die ge-meinsame Aufgabe der Bekämpfung desislamistischen Extremismus und Terroris-mus richten, zu der sie außerhalb ihreskonkreten Arbeitsbereiches einen wesent-lichen Anteil beitragen können.Wir wollen, dass erlangte Informationenim Rahmen von allgemeinpolizeilichenTätigkeiten, wie Verkehrskontrollen, Be-arbeitung von Ermittlungsverfahren jegli-cher Art oder bei der ganz normalen Un-fallaufnahme, durch die Kolleginnen undKollegen gedanklich auf Bezüge zum Is-lamismus abgeklopft werden. Bei bestimm-ten Fallkonstellationen und Indikatorenmuss die Kontaktaufnahme zum Staats-schutz zur Selbstverständlichkeit sein.

Die dazu notwendigen Kenntnisse zu ver-mitteln und die Sensibilität zu schaffen undzu erhalten, ist angesichts der Vielfalt po-lizeilicher Aufgaben und Informationenzugegebenermaßen ein schwieriges Unter-fangen. Die Grundlagen sind in der Aus-und Fortbildung zu legen. Flankierend hel-fen Checklisten oder Verdachtsraster, dieden Beamten vor Ort – auch online – zurVerfügung gestellt werden. Damit das The-ma im polizeilichen Alltagsgeschäft nichtuntergeht, ist es wichtig, durch Führungs-kräfte und Staatsschutzexperten diesen An-satz aktuell im Bewusstsein zu halten, z.B.im Rahmen von Dienstbesprechungen undvor allem durch örtliche Bezüge und kon-krete Beispiele.

Ganzheitlicher Bekämpfungsansatzmit anderen SicherheitsbehördenDer Kampf gegen den islamistisch begrün-deten Terrorismus ist nicht nur Aufgabeder Polizei, sondern zugleich ein besonde-rer Aufgabenschwerpunkt des Verfas-sungsschutzes. Eine gemeinsame Aufgabe,die zudem die gleiche Personengruppe inden Mittelpunkt stellt, erfordert eine engeund vertrauensvolle Zusammenarbeit. Diehaben wir in Baden Württemberg. Phäno-menbezogene Besprechungen auf Arbeits-und Führungsebene gehören zum Alltag,genauso wie die Unterstützung der Poli-zei durch die bundesweit anerkannte Kom-petenzgruppe Islamismus des Landesam-tes für Verfassungsschutz, beispielsweisebei Einsätzen vor Ort oder der Auswer-tung von sichergestellten Asservaten.Zudem haben die Entsendung eines Ver-bindungsbeamten des Landesamtes fürVerfassungsschutz zur Abteilung Staats-schutz und die ständige Vertretung in derKoordinierungsstelle „Politisch motivier-te Kriminalität“ die Aufgabenwahrneh-mung effektiver und effizienter gestaltet.Dies ist auch für die bundesweite Zusam-menarbeit der Sicherheitsbehörden zu

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TERRORISMUS

haben und der dezentrale Ansatz unver-zichtbar ist. Der Bund hat die Erforderlich-keit zu einer grundsätzlichen Änderung derSicherheitsarchitektur bisher nicht ausrei-chend belegt. Wenn das Gemeinsame Ter-rorismusabwehrzentrum richtig funktio-niert, sind auch die in der bisherigenDiskussion geschilderten theoretischen Bei-spiele mit föderalen Strukturen handelbar,nachdem die Länder mit ihrer Gefahren-abwehrkompetenz nicht ohne Grund imGemeinsamen Terrorismusabwehrzen-trum vertreten sind. Die Länder sind in derVerantwortung für die Abwehr von Ge-fahren und müssen sich daher auch in diePflicht nehmen lassen.

Ganzheitlicher Bekämpfungsansatzmit anderen StellenDer ganzheitliche Bekämpfungsansatz hebtinsbesondere auf die Zusammenarbeit mitanderen Stellen außerhalb der Sicherheits-behörden ab. Konkret bedeutet dies, dasswir uns bei der Abwehr von Gefahren, dievon islamistischen Personen ausgehen,nicht nur auf polizeiliche Mittel beschrän-ken dürfen, sondern dass wir hierzu auchkonsequent die Möglichkeiten anderer Stel-len außerhalb von Polizei und Justiz nut-zen. In erster Linie sind dies die allge-meinen Verwaltungsbehörden, wie Auslän-derbehörden, Einbürgerungs- und Sozial-behörden, die Wirtschaft, Vereine undVerbände bis hin zu Universitäten undFachhochschulen.Eines ist den dabei involvierten Stellen ge-meinsam: Wenn sie Beiträge zur Bekämp-fung des islamistischen Extremismus undTerrorismus leisten sollen, sind sie zwangs-läufig auf die Informationen der Sicherheits-behörden angewiesen. Diesem Informati-onsbedürfnis ist offensiv in allgemeinerForm (Lage, Phänomene, Verhaltensmus-ter) und einzelfallbezogen bereits im Früh-stadium der polizeilichen ErmittlungenRechnung zu tragen. Nach dem Gegen-stromprinzip können die eingebundenenBehörden damit frühzeitig signalisieren, wosie gegebenenfalls weitergehende oder kon-krete Erkenntnisse für ihre Entscheidun-gen von der Polizei benötigen. Damit stei-gen die Chancen, bspw. gezielt mitausländerrechtlichen Maßnahmen den Auf-enthalt eines erkannten kriminellen Isla-misten zu beenden oder dessen Einbürge-rung zu verhindern. Auch eine möglicheVersagung von Sozialhilfe bei festgestelltenanderen Einkünften ist oftmals aufgrundpolizeilicher Erkenntnisse möglich.

In der Praxis ist die Übermittlung von po-lizeilichen Erkenntnissen aus polizeirecht-lichen Maßnahmen ebenso wie aus Straf-und Bußgeldverfahren an die Ausländerbe-hörden für jeden Polizeibeamten in Baden-Württemberg eine verpflichtende Standard-

dass die präventive Arbeit der Polizei Ab-wehrreaktionen hervorruft. Maßnahmenauf diesem Gebiet müssen mit po-sitiven („für Toleranz“) und nicht mit ne-gativen („gegen Islamismus“) Botschaftenbelegt werden. Glaubensfreiheit ja, abereben in den Grenzen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.Die Polizei kann in diesen Bemühungennur ein Teil sein und ist nicht als zentra-ler Ansprechpartner zu sehen, auch wennim letzten Jahr in Baden-Württemberg diePolizei mit den Verantwortlichen vonrund 190 muslimischen Vereinen undOrganisationen Kontaktgespräche durch-geführt hat. Geeigneter hierfür scheinenz.B.die Ausländerbeauftragten, die Landes-zentrale für politische Bildung, die Schu-len oder weitere Akteure, die dann auchfür die Polizei Wege ebnen und Türenöffnen.

In Stuttgart wurde beispielsweise gemein-sam mit der Bundeszentrale für politischeBildung das Modellprojekt „Transfer in-terkultureller Kompetenz“, kurz „TIK“,initiiert, weitere Projektorte sind Berlinund Essen. Positive Ansätze sind erkenn-bar. So gelingt es uns in Stuttgart zuneh-mend, den Muslimen deutlich zu machen,dass die Arbeit der Sicherheitsbehördenin erster Linie auch ihrem Schutz, ihrenFreiheiten zugute kommt und das friedli-che Zusammenleben im Interesse aller,Muslimen und Nichtmuslimen, liegt. AlsEinstieg wurden Aufklärungsveranstal-tungen zum Beispiel über Betrugsdelikteund andere die Allgemeinkriminalität be-treffende Bereiche angeboten.Die in Pilotprojekten gesammelten Erfah-rungen sollen als Leitfaden bundesweit derPolizei zur Verfügung gestellt werden. DieBundeszentrale erarbeitet hierzu mit derpolizeilichen Kriminalprävention eineHandreichung mit Hintergrundwissenüber den Islam und praxisorientiertenHinweisen für Polizeibeamte, um Präven-tionsinitiativen mit muslimischen Verei-nen entwickeln zu können. Die Handrei-chung soll im 3. Quartal 2005 zur Verfü-gung stehen.

SchlussIn der Bekämpfung des internationalenTerrorismus hat sich seit dem 11.09.2001bundesweit vieles getan. Wir sind ohneZweifel professioneller geworden, trotz-dem besteht vor dem Hintergrund der an-haltenden Bedrohungslage die Notwendig-keit, die taktischen, rechtlichen undorganisatorischen Bedingungen in denLändern und im Bund kontinuierlich zuüberprüfen und erforderlichenfalls anzu-passen. Eine permanente Herausforderungfür alle Sicherheitsorgane und Verantwort-lichen für die Innere Sicherheit.

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maßnahme und erfolgt nicht nur bei er-kannten kriminellen Islamisten sondern ge-nerell.Flankiert wird die Zusammenarbeit zwi-schen Polizei, Ausländerbehörden und Ein-bürgerungsbehörden durch eine Arbeits-gruppe im Innenministerium, die anlass-bezogen zusammentritt, um aufenthaltsbe-endende Maßnahmen gegen erkannte kri-minelle Islamisten durch einen engen undgezielten Informationsaustausch zu forcie-ren. Hier werden auch besonders sensibleInformationen berücksichtigt, die dannbeispielsweise bei der Versagung der Ein-bürgerung von gefährlichen Islamisten imVerwaltungsgerichtsverfahren im Wege des„in-camera-Verfahrens“ eingebracht wer-den können, um den Erfordernissen desGeheimschutzes zu entsprechen.Umgekehrt ist die Polizei darauf angewie-sen, dass gerade die Behörden – beispiels-weise die Sozial- und Ausländerämter unddie Einbürgerungsbehörden, die mit un-seren „Zielpersonen“ täglich konfrontiertwerden können – sensibilisiert und in dieLage versetzt werden, relevante Personenaus dem Kreis der islamistischen Extremis-ten erkennen zu können. Hierzu habenwir den betroffenen Behörden schon un-mittelbar nach dem 11. September 2001Hinweise gegeben und Verdachtsrasterzur Verfügung gestellt. In Dienstbespre-chungen und persönlichen Gesprächenwird zudem über die Lage und die Hin-tergründe seitens der Polizei informiert.Mit dem gleichen Ziel haben wir in allenRegierungspräsidien Informationsveran-staltungen durchgeführt, an denen dieLeiter der Fachbereiche Staatsschutz undder örtlichen Ausländerbehörden sowieVertreter des Verfassungsschutzes teilge-nommen haben.Erfreuliches Ergebnis dieser Bemühungenist, dass die Polizei inzwischen viele Hin-weise von Behörden erhält. Letztes Jahrerhielten die Beamten des Staatsschutzesso rund 1400 Behördenhinweise.

Ganzheitlicher Bekämpfungsansatz –PräventionPrävention durch Transparenz und Koo-peration ist ausbaufähig und darf in einemganzheitlichen Bekämpfungsansatz nichtunberücksichtigt bleiben.Chancen eröffnen sich hier durch die Zu-sammenarbeit mit lokalen religiösen undgesellschaftlichen Gruppierungen, dienach Erkenntnissen der Verfassungs-schutzbehörden und der Polizei nicht is-lamistisch geprägt sind.Das Kernproblem besteht zunächst darin,überhaupt erst einmal Zugang zu entspre-chenden Zielgruppen zu gewinnen. Dasbedarf kleiner Schritte und braucht Zeit.Dialoge müssen entstehen, Vertrauenmuss wachsen. Wir müssen vermeiden,

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POLIZEI UND JUSTIZ

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Netzwerke gegen den Terror

Rainer GriesbaumBundesanwalt

- Abteilungsleiter -

Von Rainer Griesbaum, Bundesanwalt - Abteilungsleiter -, Karlsruheund Norbert Weise, Generalstaatsanwalt, Koblenz

Norbert WeiseGeneralstaatsanwalt

Mit dem Begriff „Netzwerke gegen denTerror“ lassen sich aktuelle Bestrebun-gen von Justiz und Polizei zur Verfol-gung und Bekämpfung islamistisch-ter-roristischer Aktivitäten beschreiben.Bevor näher auf diese Überlegungen undihre konkrete Ausgestaltung eingegan-gen wird, soll der Ausgangspunkt des„Projekts“ skizziert werden.

Der islamistische Terrorismus, der mitden Anschlägen vom 11. September 2001schlagartig und schmerzhaft in das Be-wusstsein der westlichen Welt gelangt istund der durch die Attentate von Mad-rid am 11. März 2004 und London am7. Juli 2005 auch „in Europa angekom-men ist“, beschäftigt die Sicherheits- undStrafverfolgungsbehörden in Deutsch-land in bisher nicht gekanntem Ausmaß.Oberstes Ziel all dieser Bemühungen istder Schutz der Bevölkerung vor terro-ristischen Anschlägen. Die bisherigenAnalysen des Phänomenbereichs „isla-mistischer Terrorismus“ stellen die zu-ständigen staatlichen Organe vor neueHerausforderungen.

Die klassische Terrorismusverfolgung inDeutschland war hauptsächlich ausge-richtet auf Organisationen und Gruppenmit links- oder rechtsextremistischemHintergrund. Bis heute prägend für diepolizeilichen und justiziellen Staats-schutzbehörden waren die Erfahrungenmit dem Terrorismus der „Rote(n) Ar-mee Fraktion (RAF)“.

Die staatlichen Bekämpfungs- und Ver-folgungsstrategien orientierten sich da-her an den von der „RAF“ praktiziertenVorgehensweisen und Handlungsmecha-nismen. Das bedeutete vor allem, dasshinsichtlich der terroristischen Agendaklare Verhältnisse bestanden. Die Ziel-richtung des „RAF“ Terrors warenRepräsentanten des Staates und des sogenannten „militärisch-industriellenKomplexes“. Opfer unter der Zivilbevöl-kerung gehörten nie in das ernsthaftePlanungsspektrum der „RAF“, wenn esdazu kam, wurden sie als Kollateralschä-den in Kauf genommen. Die bewaffne-ten Täter lebten als definitorisch klarabgrenzbare Guerillaorganisation unterkonspirativen Umständen im Unter-grund, ihre Zahl war überschaubar undihre „Angriffe“ waren stets so konzipiert,dass sich ein Selbstgefährdungs- und Fest-nahmerisiko optimal minimieren ließ.Der gesamte „RAF“-Terrorismus in denJahren 1972 bis 1998 hat 34 Todesopfergefordert. Das strafrechtliche Instrumen-tarium der Gründung und Mitgliedschaftin einer terroristischen Vereinigung(§§ 129, 129a StGB) passte ohne Weite-res auf die „RAF“-Strukturen, ihre Wil-lensbildung und ihr Wirken als einheit-licher Verband. Allein zuständig für diestrafrechtliche Verfolgung war und istder Generalbundesanwalt, die Staatsan-waltschaften der Länder haben bei„RAF“-Verdacht das Verfahren demGeneralbundesanwalt vorgelegt, hin-sichtlich der konkreten Ermittlungenwaren sie nur in Randbereichen minde-rer Bedeutung eingebunden. Unter demStrich war der „RAF“-Terrorismus aufbeiden Seiten eine Sache von Wenigen.

Die Gegebenheiten des islamistischenTerrorismus sind demgegenüber wesent-lich komplexer, diffuser und wenigerüberschaubar. Die Gefahr geht nicht voneiner klar umrissenen Organisation aus,sondern von einer Vielzahl unterschied-lichster internationaler Gruppierungen,deren Verbindungen untereinander, zumTeil aber auch deren Binnenstrukturen,als Netzwerkzusammenhänge charakte-risiert werden und nicht durchgängig alsfest gefügte Verbände oder Organisatio-nen. Die Zielsetzung ist der gewaltsame

globale Djihad als asymmetrischer Krieggegen die USA, Israel und deren Verbün-dete, gegen die eigenen Regierungen derislamischen Staaten, gegen alle „Kreuz-zügler“ und Ungläubigen. Dabei ist je-des Mittel recht, um dem Feind Schadenzuzufügen. Insbesondere wird dort an-gegriffen, wo er sich trotz aller militäri-scher Stärke nicht sicher schützen kann,nämlich bei der Zivilbevölkerung. Daseigene Leben wird nicht geschont, wasdie staatlichen Handlungsmöglichkeitenrechtsstaatlicher Gesellschaftsordnungenvor bisher ungeahnte Probleme stelltsiehe nur die Option des Abschusses ei-nes Passagierflugzeugs, das wie beim11. September 2001 möglicherweise alsWaffe eingesetzt werden soll. Die Op-ferzahlen von Anschlägen sind so hor-rend, dass Regierungen betroffener Staa-ten vor den Forderungen der Terroristenkapitulieren, wie das in Spanien bezüg-lich des Abzugs seiner Truppen aus demIrak der Fall war. Der Handlungsraumder Terroristen ist global, die Agendaumfasst sowohl Anschläge aller Größen-ordnungen, als auch weltumspannendeLogistik-, Finanzierungs- und Unter-stützernetzwerke.

Diese Befunde führten bereits vor denAnschlägen von Madrid zu der Erkennt-nis, dass dem Phänomenbereich „islamis-tischer Terrorismus“ mit so genanntenganzheitlichen Bekämpfungs- und Ver-folgungsansätzen begegnet werden muss.Nicht nur die Terrorismusspezialisten

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POLIZEI UND JUSTIZ

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beim Generalbundesanwalt, dem Bun-deskriminalamt und den Landeskrimi-nalämtern sind gefordert, sondern allestaatlichen Organe stehen in der Pflicht,in ihrer täglichen Arbeit ein wachesAuge auf potentielle islamistisch-terro-ristische Aktivitäten zu werfen. Voraus-setzung dafür ist eine ausreichende Un-terrichtung der betroffenen Behördenüber bekannt gewordene Handlungs-muster der potentiellen Täter, um eineverantwortungsvolle Sensibilisierung zuerreichen. Ein weiterer wesentlicherPunkt dieser ganzheitlichen Strategie istdas Schaffen von Anlaufstellen, die beiZweifelsfragen über einen islamistisch-terroristischen Hintergrund Auskunftüber die weitere Vorgehensweise gebenkönnen. Den Netzwerken des Terrorssollen staatlicherseits Netzwerke gegenden Terror gegenübergestellt werden.

Vor dieser Ausgangslage hat eine gemein-same Projektgruppe von Justiz und Po-lizei auf Initiative des AK II und desStrafrechtsausschusses von Oktober2004 bis Mai 2005 intensiv über Opti-mierungsmöglichkeiten im Rahmen derbestehenden Zusammenarbeitsregelun-gen beraten. Besetzt war die Projektgrup-pe mit zwei Vertretern des Generalbun-desanwalts, einem des Bundeskriminal-amts, den Generalstaatsanwälten ausKoblenz, München, Stuttgart und Ber-lin, je einem Vertreter des BayerischenStaatsministeriums der Justiz und desJustizministeriums Nordrhein-Westfa-len, den Leitern der Landeskriminaläm-ter Baden-Württemberg, Nordhrein-Westfalen, Sachsen und Rheinland-Pfalz,sowie mit zwei Vertretern des Strafvoll-zugsausschusses.

Die gemeinsam erarbeiteten Vorschlägelassen sich wie folgt zusammenfassen:

– Polizei und Staatsanwaltschaften rich-ten ein flächendeckendes Netz festerAnsprechpartner zum Thema „isla-mistischer Terrorismus“ ein. Damitwird angestrebt, einen möglichst früh-zeitigen Informationsaustausch überaktuelle Entwicklungen und Erschei-nungsformen des islamistischen Ter-rorismus im Allgemeinen und im Ein-zelfall zu gewährleisten. Über diesesNetzwerk von Ansprechpartnern sollweiterhin eine frühzeitige Kontakt-aufnahme und Abstimmung notwen-diger Maßnahmen bei Hinweisen aufeinen möglichen islamistisch-terroris-tischen Hintergrund sichergestelltwerden. Den staatsanwaltschaftlichenAnsprechpartnern obliegt es zudem,die Entscheidung über eine Aktenvor-lage an den Generalbundesanwalt

wegen dessen alleiniger Terrorismus-zuständigkeit nach §§129a ff. StGB in-haltlich zu unterstützen und Infor-mationen, die zur Früherkennungislamistisch-terroristischer Strukturendienen, den Staatsanwaltschaften mit-zuteilen.

Die Projektgruppe war sich insbeson-dere darüber einig, dass die Ansprech-partner durch Informationsveranstal-tungen in die Lage versetzt werdenmüssen, die in sie gesetzten Erwartun-gen als kompetenter Ratgeber undMultiplikator „in die Fläche“ zu er-füllen. Auf Seiten der Justiz wird derGeneralbundesanwalt durch Konfe-renzen und begleitende monatlicheInformationsschreiben das erforder-liche Hintergrund- und Detailwissenüber alle Aspekte des Phänomenbe-reichs vermitteln. In der täglichenPraxis sollen die Netzwerke der An-sprechpartner in der Lage sein, jedeauftauchende Frage rasch und unbü-rokratisch zu klären.

– Jeder Staatsanwalt und Polizist inDeutschland soll eine Indiktatorenlis-te zum Erkennen islamistisch-terro-ristischer Zusammenhänge erhalten.Die gewonnenen Erkenntnisse aus Er-mittlungs- und Verfahrenskomplexendes Generalbundesanwalts sowie ausAuswerteprojekten des Bundeskrimi-nalamtes zeigen, dass in der Planungs-und Vorbereitungsphase islamistisch-terroristischer Anschläge Verbindun-gen zur Allgemeinkriminalität und inAnsätzen zur Organisierten Krimina-lität bestehen. Dies gilt insbesonderefür den Bereich der Urkunds-, Ver-mögens- und Schleusungsdelikte.

Die Indikatorenliste soll Staatsanwäl-te und Polizisten dabei unterstützen,verdachtsbegründende Momente, dieauf islamistische Gewalttäter und de-ren Planungs- und Logistikstrukturenhindeuten, in der täglichen Sach- undFallbearbeitung besser zu erkennen.Selbstverständlich entziehen sich die-se Listen einer schematischen Bewer-tung. Gefordert sind vielmehr einehohe Sensibilität für mögliche staats-schutzrelevante Hintergründe unddas von staatsanwaltschaftlicher undpolizeilicher Erfahrung getrageneAugenmaß. Wenn sich danach ver-dachtsbegründende Umstände erge-ben, steht der jeweilige Ansprechpart-ner als erste Anlaufstelle für eineweitere fachkundige Beurteilung zurVerfügung. Dieser nimmt erforder-lichenfalls Fühlung mit seinen weite-ren Ansprechpartnern im Gesamt-

netzwerk bei den Landeskriminaläm-tern, dem Bundeskriminalamt unddem Generalbundesanwalt auf, umeine umfassende Prüfung und Beur-teilung sicherzustellen.

– Entsprechende Indikatorenlisten wer-den den Justizvollzugsanstalten zurVerfügung gestellt, um durch einezielorientierte Sensibilisierung Ver-bindungen Inhaftierter zu islamis-tisch-terroristischen Kreisen frühzei-tig erkennen und etwaige Rekru-tierungsversuche unter den Häftlin-gen unterbinden zu können. Auch imBereich des Justizvollzuges wird einNetz von Ansprechpartnern etabliert,das mit den Ansprechpartnern vonPolizei und Staatsanwaltschaftenkommunizieren wird.

Diese Vorschläge der Projektgruppe, dievon den Generalstaatsanwältinnen undGeneralstaatsanwälten bereits gebilligtsind und der Innenminister- sowie derJustizministerkonferenz zur Entschei-dung über die Umsetzung vorliegen, las-sen die bestehenden gesetzlichen Zusam-menarbeitsregelungen unberührt. Sieverstehen sich vielmehr als flankierendeVerbesserungsmaßnahmen, die einer re-gelmäßigen Wirksamkeitsüberprüfungdurch alle an der Projektgruppe Be-teiligten unterliegen sollen. Sie sindzugleich ein Beleg für die Bereitschaftund Fähigkeit von Polizei und Justiz,sich auf neue Herausfoderungen einzu-stellen, um einen möglichst umfassendenSchutz der Bevölkerung vor terroristi-schen Gewalttaten zu gewährleisten.

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GESETZGEBUNG

Unmittelbar vor dem In-Kraft-Treten derÄnderungen des rheinland-pfälzischenPolizei- und Ordnungsbehördengesetzes(Gesetz vom 2.3.2004, GVBl. 2004, 202), diein § 29 POG auch eine Regelung zum ver-deckten Einsatz technischer Mittel zurWohnraumüberwachung enthielten, ver-kündete das Bundesverfassungsgerichtam 3.3.2004 seine Entscheidung zur Ver-einbarkeit der Regelungen der StPO überdie akustische Wohnraumüberwachungmit dem Grundgesetz1. Es stellte sichsofort die Frage, ob und ggfs. welche Aus-wirkungen die Rechtssprechung des Bun-desverfassungsgerichts auf den präven-tiven Einsatz technischer Mittel zur Woh-nungsüberwachung hat und welche Fol-gerungen sich daraus für den (Landes-)Gesetzgeber ergeben.Nach einer Auswertung dieser Entschei-dung entschlossen sich die Fraktionender SPD und der FDP im rheinland-pfälzi-schen Landtag, die Vorschriften über denverdeckten Einsatz technischer Mittel zurWohnungsüberwachung unter Beachtungder Ausführungen des BVerfG zu ändern.Im Rahmen des Gesetzgebungsverfah-rens fand am 31.5.2005 im Innenaus-schuss des Landtages Rheinland-Pfalzeine öffentliche Anhörung statt. Nachfol-gend sind zunächst die Gesetzentwürfeder Fraktion der SPD und der FDP2 undder Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN3,zu denen Stellung genommen werdensollte, auszugsweise abgedruckt. Daranschließen sich die Stellungnahmen zwei-er Sachverständiger, Dr. Rolf Meier undProf. Dr. Andreas Peilert (beide Polizei-Führungsakademie) an, wie sie den münd-lichen Ausführungen in der Anhörung zuGrunde lagen.

Die Redaktion

Verbindung mit § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1,b) eine Straftat nach §§ 29 a, 30 Abs. 1 Nr. 1, 2,4, § 30 a,

5. aus dem Gesetz über die Kontrolle vonKriegswaffen:a) eine Straftat nach § 19 Abs. 2 oder § 20 Abs.1, jeweils auch in Verbindung mit § 21,b) besonders schwerer Fall einer Straftat nach§ 22 a Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2,

6. aus dem Völkerstrafgesetzbuch:a) Völkermord nach § 6,b) Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach§ 7,c) Kriegsverbrechen nach den §§ 8 bis 12,

7. aus dem Waffengesetz:a) besonders schwerer Fall einer Straftat nach §51 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2,b) besonders schwerer Fall einer Straftat nach§ 52 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit Abs. 5.

(3) Die Datenerhebung nach Absatz 1 darf nurangeordnet werden, soweit nicht aufgrund tat-sächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dassdurch die Überwachung Daten erfasst werden,die dem Kernbereich privater Lebensgestaltungzuzurechnen sind. Abzustellen ist dabeiinsbesondere auf die Art der zu überwachen-den Räumlichkeiten und das Verhältnis der dortanwesenden Personen zueinander.

(4) Das Abhören, die Beobachtung sowie dieAuswertung der erhobenen Daten durch diePolizei sind unverzüglich zu unterbrechen, so-fern sich tatsächliche Anhaltspunkte dafür er-geben, dass Daten, die dem Kernbereich priva-ter Lebensgestaltung zuzurechnen sind, erfasstwerden. Unberührt bleibt die automatisierteSpeicherung der Daten. Ist das Abhören unddie Beobachtung nach Satz 1 unterbrochenworden, so dürfen diese Maßnahmen unter denin Absatz 3 Satz 1 genannten Voraussetzungenfortgeführt werden.

(5) Die Datenerhebung nach Absatz 1, die inden Kernbereich der privaten Lebensgestaltungeingreift, ist unzulässig. Die erhobenen Datensind unverzüglich zu löschen und Erkenntnis-se über solche Daten dürfen nicht verwertetwerden. Die Tatsache der Erfassung der Datenund ihrer Löschung sind zu dokumentieren.

(6) Die Datenerhebung nach Absatz 1 in eindurch ein Amts- oder Berufsgeheimnis ge-schütztes Vertrauensverhältnis im Sinne der §§53 und 53 a der Strafprozessordnung ist unzu-lässig. Absatz 5 Sätze 2 und 3 gelten entspre-chend.

(7) Die Datenerhebung nach Absatz 1 bedarfder richterlichen Anordnung. In dieser schrift-lichen Anordnung sind insbesondere

Die verdeckte präventiv-polizeilicheWohnraumüberwachung in Rheinland-Pfalz

Auszüge aus den Gesetzentwürfen

Auszug aus dem Gesetzentwurf der Frak-tionen der SPD und FDP, LT-Drs. 14/3936:„§ 29Datenerhebung durch den verdeckten Einsatztechnischer Mittel in oder aus Wohnungen(1) Die Polizei kann personenbezogene Datendurch den verdeckten Einsatz technischer Mit-tel zur Datenerhebung nach § 28 Abs. 2 Nr. 2in oder aus Wohnungen des Betroffenen zurAbwehr einer dringenden Gefahr für die öffent-liche Sicherheit, insbesondere einer gemeinenGefahr oder einer Lebensgefahr, erheben über1. die nach den §§ 4 und 5 Verantwortlichenund unter den Voraussetzungen des § 7 überdie dort genannten Personen und2. Kontakt- und Begleitpersonen (§ 26 Abs. 3Satz 2), soweit die Datenerhebung zur Verhü-tung von besonders schweren Straftaten nachAbsatz 2 erforderlich ist. Die Datenerhebungdarf auch durchgeführt werden, wenn Dritteunvermeidbar betroffen werden.

(2) Besonders schwere Straftaten im Sinne die-ses Gesetzes sind:

1. aus dem Strafgesetzbuch:a) Straftaten des Friedensverrats, des Hochver-rats und der Gefährdung des demokratischenRechtsstaates oder des Landesverrats und derGefährdung der äußeren Sicherheit nach den§§ 80, 81, 82, nach den §§ 94, 95 Abs. 3 und §96 Abs. 1, jeweils auch in Verbindung mit § 97b, sowie nach den §§ 97 a, 98 Abs. 1 Satz 2, §99 Abs. 2 und den §§ 100, 100 a Abs. 4,b) Bildung terroristischer Vereinigungen nach§ 129 a Abs. 1, 2, 4, 5 Satz 1 Alternative 1, auchin Verbindung mit § 129 b Abs. 1,c) Geldfälschung und Wertpapierfälschung inden Fällen der §§ 146, 151, jeweils auch in Ver-bindung mit § 152, und Fälschung von Zahlungs-karten mit Garantiefunktion und Vordruckenfür Euroschecks nach § 152 b Abs. 1 bis 4,d) Mord und Totschlag nach §§ 211, 212,e) Straftaten gegen die persönliche Freiheit inden Fällen der §§ 234, 234 a Abs. 1, 2, 239 a,239 b und schwerer Menschenhandel zumZweck der sexuellen Ausbeutung und zumZweck der Ausbeutung der Arbeitskraft nach§ 232 a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, § 233 a Abs. 1 Nr.3, Abs. 2,f) Bandendiebstahl nach § 244 Abs. 1 Nr. 2 undschwerer Bandendiebstahl nach § 244 a,g) schwerer Raub und Raub mit Todesfolgenach § 250 Abs. 1 oder Abs. 2, § 251,h) räuberische Erpressung nach § 255 undbesonders schwerer Fall einer Erpressung nach§ 253 unter den in § 253 Abs. 4 Satz 2 genann-ten Voraussetzungen,i) gewerbsmäßige Hehlerei, Bandenhehlerei undgewerbsmäßige Bandenhehlerei nach den §§260, 260 a,j) besonders schwerer Fall der Geldwäsche,Verschleierung unrechtmäßig erlangter Vermö-genswerte nach § 261 unter den in § 261 Abs. 4Satz 2 genannten Voraussetzungen,k) besonders schwerer Fall der Bestechlichkeitund Bestechung nach § 335 Abs. 1 unter den in§ 335 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 genannten Vorausset-zungen,

2. aus dem Asylverfahrensgesetz:a) Verleitung zur missbräuchlichen Asylantrag-stellung nach § 84 Abs. 3,b) gewerbs- und bandenmäßige Verleitung zurmissbräuchlichen Asylantragstellung nach § 84a Abs. 1,

3. aus dem Aufenthaltsgesetz:a) Einschleusen von Ausländern nach § 96Abs. 2,b) Einschleusen mit Todesfolge oder gewerbs-und bandenmäßiges Einschleusen nach § 97,

4. aus dem Betäubungsmittelgesetz:a) besonders schwerer Fall einer Straftat nach§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 5, 6, 10, 11 oder 13 in

DIE

KRIMINALPOLIZEIHeft 3/0582

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GESETZGEBUNG

1. Voraussetzungen und wesentliche Abwä-gungsgesichtspunkte,2. soweit bekannt Name und Anschrift des Be-troffenen, gegen den sich die Maßnahme rich-tet,3. Art, Umfang und Dauer der Maßnahme,4. die Wohnung oder Räume, in oder aus de-nen die Daten erhoben werden sollen, und5. die Art der durch die Maßnahme zu erhe-benden Daten zu bestimmen.Sie ist auf höchstens zwei Monate zu befristen.Eine Verlängerung um jeweils nicht mehr alseinen Monat ist zulässig, soweit die in den Ab-sätzen 1 und 3 bezeichneten Voraussetzungenvorliegen.

(8) Das anordnende Gericht ist fortlaufend überden Verlauf, die Ergebnisse und die darauf be-ruhenden Maßnahmen zu unterrichten. Soferndie Voraussetzungen der Anordnung nichtmehr vorliegen, ordnet es die Aufhebung derDatenerhebung an. Polizeiliche Maßnahmennach Absatz 4 können durch das anordnendeGericht jederzeit aufgehoben, geändert oderangeordnet werden. Soweit ein Verwertungs-verbot nach Absatz 5 Satz 2 in Betracht kommt,hat die Polizei unverzüglich eine Entscheidungdes anordnenden Gerichts über die Verwertbar-keit der erlangten Erkenntnisse herbeizuführen.

(9) Nach Absatz 1 erlangte personenbezogeneDaten sind besonders zu kennzeichnen. Nacheiner Übermittlung ist die Kennzeichnungdurch die Empfänger aufrechtzuerhalten. Sol-che Daten dürfen für einen anderen Zweck ver-wendet werden, soweit dies zur1. Verfolgung von besonders schweren Strafta-ten, die nach der Strafprozessordnung dieWohnraumüberwachung rechtfertigen,2. Abwehr einer dringenden Gefahr im Sinnedes Absatzes 1 erforderlich ist.Die Zweckänderung muss im Einzelfall festge-stellt und dokumentiert werden.

(10) Zuständiges Gericht im Sinne dieser Vor-schrift ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk diePolizeibehörde ihren Sitz hat. § 21 Abs. 1 Satz3 gilt entsprechend. Bei Gefahr im Verzug kanndie Datenerhebung nach Absatz 1 durch dieBehördenleitung oder einen von ihr besondersbeauftragten Beamten des höheren Dienstes an-geordnet werden; die richterliche Entscheidungist unverzüglich nachzuholen.

(11) Werden technische Mittel ausschließlichzum Schutz der bei einem polizeilichen Ein-satz in Wohnungen tätigen Personen verwen-det, kann die Datenerhebung nach Absatz 1durch die Behördenleitung oder einen von ihrbesonders beauftragten Beamten des höherenDienstes angeordnet werden. Erkenntnisse auseinem solchen Einsatz dürfen für einen ande-ren Zweck zur Abwehr einer dringendenGefahr oder zur Verfolgung von besondersschweren Straftaten, die nach der Strafprozess-ordnung die Wohnraumüberwachung rechtfer-tigen, verwendet werden, wenn zuvor dieRechtmäßigkeit der Maßnahme durch denRichter festgestellt wurde. Bei Gefahr im Ver-zug ist die richterliche Entscheidung unverzüg-lich nachzuholen.

(12) Die Landesregierung unterrichtet denLandtag jährlich über den erfolgten Einsatz

technischer Mittel nach Absatz 1 und 11, so-weit dieser einer richterlichen Anordnung be-darf. Die Parlamentarische Kontrollkommissi-on übt auf der Grundlage dieses Berichts dieparlamentarische Kontrolle aus. § 20 Abs. 1 Satz2, § 20 Abs. 2 bis 4 und § 21 Abs. 2 und 3 desLandesverfassungsschutzgesetzes gelten entspre-chend.“

Auszug aus dem Gesetzentwurf derFraktion BÜNDNIS90/DIEGRÜNEN,LT-Drs. 14/3241:

„§ 29Datenerhebung durch den verdeckten Einsatztechnischer Mittel in und aus Wohnungen(1) Die Polizei kann personenbezogene Datendurch den verdeckten Einsatz technischer Mit-tel zur Datenerhebung nach § 28 Abs. 2 Nr. 2über die nach § 4 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 und 3Verantwortlichen in oder aus deren Wohnungerheben, soweit dies zur Abwehr einer gegen-wärtigen Gefahr für das Leben einer Personoder zur Abwehr einer erheblichen gegenwär-tigen Gefahr für die Gesundheit einer Personzwingend erforderlich ist.

(2) Die Datenerhebung darf sich nur gegen Ver-antwortliche nach Absatz 1 richten. Die Da-tenerhebung darf auch durchgeführt werden,wenn Dritte unvermeidbar betroffen sind.

(3) Die Datenerhebung in ein durch Verwandt-schaft, Ehe, Partnerschaft, Verlöbnis, Amts-oder Berufsgeheimnis geschütztes Vertrauens-verhältnis im Sinne der §§ 52, 53, 53 a der Straf-prozessordnung ist unzulässig. Dies gilt auchfür Vertrauensverhältnisse, die ihrer Art nachfür den Betroffenen einem Vertrauensverhält-nis nach Satz 1 gleichstehen sowie für Ge-sprächsinhalte und Verhaltensweisen, die deminnersten Kernbereich privater Lebensgestal-tung zugehören.

(4) Die Maßnahme bedarf der richterlichenEntscheidung. In der Anordnung sind der Ver-antwortliche nach Absatz 1 Satz 1, die Woh-nung sowie Art, Dauer, Umfang und Zweckder Datenerhebung und die zu erzielenden Er-kenntnisse zu bestimmen. Bestehen Anhalts-punkte dafür, dass Daten nach Absatz 3 oderDaten, die für den Zweck der Maßnahme ohneBedeutung sind, erhoben werden können, istdie Datenerhebung insoweit in der richterlichenEntscheidung auszuschließen. Die Maßnahmeist auf höchstens zwei Wochen zu befristen.Eine Verlängerung um jeweils nicht mehr alszwei Wochen ist zulässig, soweit die in Absatz1 bezeichneten Voraussetzungen weiterhin vor-liegen. Zuständig ist das Amtsgericht, in demdie Polizeibehörde ihren Sitz hat. Bei Gefahrim Verzug kann die Zuständigkeit auch einemanderen Amtsgericht zugewiesen werden. § 21Abs. 1 S. 3 gilt entsprechend.

(5) Soweit eine Datenerhebung nach Absatz 3unzulässig oder nach Absatz 4 Satz 3 durch ge-richtliche Entscheidung ausgeschlossen ist, istdie Verwendung der Daten unzulässig. DieDaten sind sofort zu löschen. Die Löschung undihre Gründe sind zu dokumentieren.

(6) Ist der Zweck der Maßnahme erreicht odererweist sich, dass der Zweck der Maßnahmenicht erreicht werden kann, ist sie unverzüg-

lich zu beenden. Die Maßnahme ist auch zubeenden, wenn sie nach ihrer Art und ihrerDauer außer Verhältnis zu ihrem Zweck stehtoder die Menschenwürde verletzt. Dem nachAbsatz 4 Satz 5 zuständigen Gericht ist überden Verlauf der Datenerhebung zu berichten.

(7) Über die Verwendung der nach Absatz 1erhobenen Daten, die nicht nach Absatz 5sofort gelöscht werden, entscheidet das nachAbsatz 4 Satz 5 zuständige Gericht. Absatz 4Satz 6 gilt entsprechend. Nach Absatz 1 erho-bene Daten, die nicht verwendet werden dür-fen, sind zu sperren.

(8) Nach Absatz 1 erhobene personenbezoge-ne Daten sind besonders zu kennzeichnen. Siedürfen über den Zweck der Maßnahme hinausnur im Einzelfall übermittelt und verwendetwerden1. zur Verfolgung einer Straftat gem. § 100 cAbs. 1 Nr. 3 StPO, wenn für die Tat eineHöchststrafe von mehr als fünf Jahren Frei-heitsstrafe angedroht ist und diese Straftat sichgegen Leib, Leben oder Freiheit einer Persongerichtet hat und die Erforschung des Sachver-halts auf andere Weise unverhältnismäßig er-schwert oder aussichtslos wäre oder2. zur Abwehr einer Gefahr nach Absatz 1,wenn die Voraussetzungen der Vorschrift vor-liegen.Die Verwendung der Daten bedarf der Anord-nung nach Absatz 7. Die Sätze 1, 2 Nr. 2 und 3gelten entsprechend für Daten, die aufgrundanderer Vorschriften durch eine Maßnahmeerhoben wurden, die § 28 Abs. 2 Nr. 2 ent-spricht.

(9) Im Übrigen dürfen die nach Absatz 1 erho-benen Daten nur zur Unterrichtung oder Aus-kunft an die Betroffenen (§ 40 POG), zur ge-richtlichen Kontrolle und zur Kontrolle durchden Landesbeauftragten für den Datenschutzverwendet werden. Die Daten sind getrenntvon anderen Daten zu verwahren und erst zulöschen, wenn sie nicht mehr zur Kontrolle,Auskunft oder Unterrichtung benötigt werdenund nach der Auskunft oder Unterrichtung derjeweils Betroffenen ein Jahr vergangen ist. DieLöschung ist zu protokollieren und erfolgtunter Aufsicht des Gerichts nach Absatz 4 Satz5 oder eines von diesem bestellten Beamten deshöheren Dienstes. Die Betroffenen sind überdie Frist nach Satz 2 und über die Löschung zuunterrichten.

(10) Die Landesregierung unterrichtet denLandtag jährlich über Datenerhebungen nachAbsatz 1. Die Parlamentarische Kontrollkom-mission übt auf der Grundlage dieses Berichtsdie parlamentarische Kontrolle aus. § 20 Abs.1 Satz 2, § 20 Abs. 2 bis 4 und § 21 Abs. 2 und3 des Landesverfassungsschutzgesetzes geltenentsprechend.

(11) Fristen im Sinne dieser Vorschrift be-ginnen mit der richterlichen Entscheidung.“

Fußnoten:

1 BVerfGE 109, 279 ff. 2 LT-Drs. 14/3936. 3 LT-Drs. 14/ 3241.

DIE

KRIMINALPOLIZEIHeft 3/05 83

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GESETZGEBUNG

Stellungnahme für die Anhörung des Innenausschusses des Landtages Rheinland-Pfalz zurÄnderung des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (POG) am 31.05.2005

Von Dr. Rolf Meier, Polizei-Führungsakademie, Münster

DIE

KRIMINALPOLIZEIHeft 3/0584

VorbemerkungVor dem Hintergrund der Komplexität desThemas und der intensiven Diskussion be-schränkt sich meine Stellungnahme auf eini-ge aus meiner Sicht wesentliche Aspekte dergeplanten Gesetzesänderung.

2. Grundsätzliche Bemerkungen

2.1.Die Ausführungen des BVerfG in der Ent-scheidung vom 03. 03. 2004 zum Schutzbe-reich des Art. 13 GG, insbesondere zumMenschenwürdegehalt und den „Kernbe-reich privater Lebensgestaltung“, sind auchbei der gesetzlichen Ausgestaltung von Be-fugnissen zur Datenerhebung durch den ver-deckten Einsatz technischer Mittel in oderaus Wohnungen von herausragender Bedeu-tung. Die vom BVerfG vorgenommene Kon-kretisierung des Schutzbereiches des Art. 13GG und seines Bezuges zur Menschenwür-de gemäß Art. 1 Abs. 1 GG4 ist bei allen staat-lichen Eingriffsmaßnahmen, ob repressivoder präventiv, zu beachten. Dies ergibt sichschon aus der Tatbestandsfunktion einesGrundrechts-Schutzbereiches5 und der un-mittelbaren Bindung aller drei Gewalten andie Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 GG, sodass die Frage nach der Bindungswirkung derEntscheidung gemäß § 31 BVerfGG hiernicht von ausschlaggebender Bedeutung ist6.Dies verkennen vereinzelte Stimmen7, dieeine Übertragbarkeit der Ausführungen desBVerfG auf die präventiv-polizeiliche Wohn-raumüberwachung mit technischen Mittelnbestreiten.Der absolut geschützte Kernbereich priva-ter Lebensgestaltung, wie er sich aus Art. 13

bleiben. Die hier vom Grundgesetz selbstgetroffene Differenzierung zwischen repres-siven und präventiven Eingriffen lässt imÜbrigen aber eine unterschiedliche Ausge-staltung der Eingriffsvoraussetzungen zu.

3. Zu den Änderungen im Gesetzentwurf derFraktionen der SPD und FDP (LT-Drs. 14/3936) im Einzelnen

3.1. § 29 Abs. 1Laut Begründung zu § 29 Abs. 1 POG in derjetzt geltenden Fassung dient die Datener-hebung nach Nr. 1 der Abwehr dringenderGefahren, wozu auch die Verhinderung vonStraftaten als Unterfall der Gefahrenabwehrgerechnet wird13. Damit wird in der Begrün-dung deutlicher als im Gesetzestext, der inder Nr. 2 von „Verhütung“ spricht, dass hierdie Verhinderung der Tatbegehung und da-mit die Abwehr von dringenden Gefahrenfür wichtige Rechtsgüter i. S. d. Art. 13 Abs.4 GG gemeint ist. Es wird vorgeschlagen, dasWort „Verhütung“ durch das Wort „Verhin-derung“ zu ersetzen. Das Wort „verhindern“bedeutet „durch entsprechende Maßnahmeno. Ä. bewirken, dass etwas nicht geschehenkann, von jemandem nicht getan, ausgeführtusw. werden kann“14.Sodann ist Regelungsgehalt des 2. Halbsat-zes in § 29 Abs. 1 Nr. 2 POG auf beide Al-ternativen zu beziehen, da ein Einsatz tech-nischer Mittel zur Wohnungsüberwachungin den Fällen der Nr. 1 im präventiven Be-reich ohne eine gleichzeitig bestehende straf-rechtliche Relevanz des Verhaltens eine reintheoretische Möglichkeit darstellen dürfte.

Es wird daher, ähnlich wie im Gutachten desWissenschaftlichen Dienstes15, die folgendeFormulierung vorgeschlagen:„Die Polizei kann personenbezogene Da-ten.... erheben über1. die nach den §§ 4 und 5 Verantwort-lichen........und2. Kontakt- und Begleitpersonen (§ 26 Abs.3 Satz 2),soweit die Datenerhebung zur Verhinderungvon besonders schweren Straftaten nachAbsatz 2 erforderlich ist.........“

3.2. § 29 Abs. 2Der neu gefasste Straftatenkatalog des § 29Abs. 2 POG trägt den Vorgaben des BVerfGzur Frage der besonderen Schwere einer Tat16

insoweit Rechnung, als er sich auf Straftatenbeschränkt, die der Gesetzgeber mit einerhöheren Höchststrafe als fünf Jahre Frei-

Dr. Rolf MeierPolizei-Führungsakademie

Münster

Die verdeckte präventiv-polizeiliche Wohnraumüberwachung in Rheinland-Pfalz

Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ergibt, istdemnach auch bei der präventiven Wohn-raumüberwachung zu beachten, er gewährteinen unantastbaren Bereich privater Lebens-gestaltung, in den der Staat nicht eingreifendarf8.

2.2.Vor diesem Hintergrund bedürfen die gesetz-lichen Regelungen zur präventiven Woh-nungsüberwachung der „kritischen Durch-sicht und Novellierung“9. Für das POGRheinland-Pfalz liegen entsprechende Ge-setzentwürfe der Fraktionen der SPD undder FDP sowie der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor. Daher soll hier nichtauf die Frage eingegangen werden, ob diebisherige Regelung des § 29 POG den An-forderungen des GG, wie sie das BVerfGkonkretisiert hat, genügt.Festzuhalten ist aber, dass das Instrument despräventiven Einsatzes technischer Mittel zurverdeckten Datenerhebung in oder aus Woh-nungen aus meiner Sicht erhalten bleibenmuss. Dies gilt ohne weiteres für die Fälleder klassischen Gefahrenabwehr (z. B. dieWohnraumüberwachung bei Geisellagen),wie sie bereits nach Art. 13 Abs. 3 a. F. zu-lässig waren. Dies muss aber auch für dieFälle der sog. Verhütung von Straftaten gel-ten, insbesondere soweit es um die Abwehrvon Bedrohungen durch den internationa-len Terrorismus10 und durch die Erschei-nungsformen der organisierten Kriminalitätgeht.

2.3.Die Schranken, auf die sich eine gesetzlicheRegelung der präventiven Wohnraumüber-wachung mit technischen Mitteln stützenlässt, ergeben sich aus Art. 13 Abs. 4 GG.Dieser lässt den Einsatz technischer Mittelzur Überwachung von Wohnungen zur Ab-wehr dringender Gefahren für die öffentli-che Sicherheit, insbesondere einer gemeinenGefahr oder einer Lebensgefahr, zu. DieseBegriffe sind spezifisch verfassungsrechtlichauszulegen11. Dabei sind die Voraussetzun-gen für die Rechtmäßigkeit einer solchenMaßnahme zwar restriktiver gefasst als zuvorim Art. 13 Abs. 3 a. F. (jetzt Art. 13 Abs. 7),erlauben aber bei drohenden Schäden fürbesonders hochrangige Rechtsgüter Maßnah-men höherer Eingriffsintensität als bei denSchranken des Art. 13 Abs. 3 GG, wie dernach Abs. 4 zulässige Einsatz optischer tech-nischer Geräte zur Wohnungsüberwachungzeigt12. Jedoch muss auch hier der Kernbe-reich privater Lebensgestaltung unangetastet

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GESETZGEBUNG

DIE

KRIMINALPOLIZEIHeft 3/05 85

heitsstrafe bewehrt hat17. Dabei wird davonausgegangen, dass dies auch den sich aus Art.13 Abs. 4 GG ergebenden Anforderungengenügt18. Wie bereits dargelegt, erlaubt Art.13 Abs. 4 GG den Einsatz technischer Mit-tel zur Wohnungsüberwachung zur Abwehrvon dringenden Gefahren für die öffentlicheSicherheit, insbesondere zur Abwehr von ge-meinen Gefahren oder von Lebensgefahren.Zur Beantwortung der Frage, ob diese Vor-aussetzungen bei der präventiven Wohnungs-überwachung zur Verhinderung von Straf-taten gegeben sind, ist ein Straftatenkatalognicht grundsätzlich ungeeignet, jedoch soll-te neben der gesetzgeberischen Bewertungder Schwere der Tat durch die Strafbeweh-rung auch das jeweils betroffene bzw. gefähr-dete Rechtsgut gesondert einbezogen wer-den. Insgesamt sollte eine Zusammenschauverschiedener Gefahrumstände vorgenom-men werden, die die Frage der Hochrangig-keit des Rechtsgutes ebenso einbezieht wiedie Schwere der Straftat und die tatsächlicheBasis des Tatverdachts19. Vor diesem Hinter-grund schlage ich vor, den Katalog des § 29Abs. 2 POG nochmals zu überprüfen. Eswäre beispielsweise zu fragen, ob Straftatenim Bereich Kinderpornographie mit ihrermassiven Rechtsgutbeeinträchtigung hierausreichend berücksichtigt worden sind.

3.3. § 29 Abs. 3§ 29 Abs. 3 gibt die Indikatoren wieder, dienach Ansicht des BVerfG für eine bevorste-hende Kernbereichsverletzung sprechen20.Dies erscheint nicht zwingend geboten, istaber aus Klarstellungsgründen zu befürwor-ten.

3.4. § 29 Abs. 4Nach § 29 Abs. 4 S. 2 bleibt die automati-sierte Speicherung der erhobenen Daten voneiner aus Gründen des Kernbereichschutzesvorgenommenen Unterbrechung der Abhör-maßnahme unberührt, die hier genanntenpolizeilichen Maßnahmen unterliegen aberder begleitenden gerichtlichen Kontrollenach § 29 Abs. 8. Dadurch wird die Polizeizur Live- und zeitversetzten Überwachungund Auswertung ermächtigt. Mit § 29 Abs.4 ist durch die Einführung dieses sog. „Mas-ter-“ oder „Richterbandes“ ein den prakti-schen Bedürfnissen ebenso wie den rechts-staatlichen Belangen gleichermaßengenügender Weg beschritten worden, dieMaßnahmen der präventiven Wohnungs-überwachung unter Berücksichtigung derVorgaben des BVerfG durchzuführen. DenAusführungen in der Begründung zu § 29Abs. 4 POG21 ist insoweit wenig hinzuzufü-gen. Der mit dieser Form der Durchführungdes Einsatzes technischer Mittel zur Woh-nungsüberwachung verbundene Aufwand inpersoneller und materieller Hinsicht ist zwarerheblich, jedoch vor dem Hintergrund der(bisher und wohl auch zukünftig) geringenZahl dieser Maßnahmen beherrschbar. Auf-schlussreich sind in diesem Zusammenhangdie von Ruthig22 geschilderten Erfahrungenmit einer ähnlichen Rechtslage in den USA,die ebenfalls für eine Praktikabilität der hiergefundenen Lösung sprechen.

technischer Mittel in oder aus einer Woh-nung ist trägt den Belangen des Grundrecht-schutzes auch im Hinblick auf den Kernbe-reich privater Lebensgestaltung ebenfallsumfassend Rechnung.

4.2.Der Entwurf erlaubt die präventive Woh-nungsüberwachung ausdrücklich nur gegen-über Störern im polizeirechtlichen Sinne,nicht aber gegen Kontakt- und Begleitperso-nen. Weiter ist der Kreis der geschütztenVertrauensverhältnisse erheblich ausgewei-tet worden. Die Maßnahme ist auf zwei Wo-chen zu befristen. Damit wird die präventi-ve Wohnungsüberwachung, die derGesetzentwurf ja nicht grundsätzlich in Fra-ge stellt, in ihrer Wirksamkeit wesentlich ge-schwächt und praktisch nahezu undurch-führbar. Vor dem Hintergrund der Not-wendigkeit der präventiven Wohnungsüber-wachung, wie sie oben unter 2.2. dargelegtwurde, sind diese Einschränkungen verfas-sungsrechtlich möglich, aber nicht gebotenund im Ergebnis zu weitgehend.

Fußnoten:

4 BVerfGE 109, 279, 313. 5 Vgl. Sachs, GG, 3. Aufl. 2003, Vor Art. 1, Rn 77. 6 Vgl. auch Gusy, Auswirkungen des Lauschangriff-

urteils außerhalb der strafprozessualen Wohnungs-überwachung, Vortrag, gehalten am 8.11.2004 in Ber-lin, http://www.jura.unibielefeld.de/Lehrstuehle/Gusy/Veroeffentlichungen _Vortraege/index.html.

7 Haas, NJW 2004, S. 3084; Märkert, der kriminalist2004, S. 444, der die schutzbereichsbezogene Argu-mentation des BVerfG übersieht und nur auf die un-terschiedlichen Schranken eingeht.

8 So auch Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstesvom 28.06.2004, Az WD 5/52-1504, S. 23.

9 Denninger, ZRP 2004, S. 104; ähnlich auch Gusy,JuS 2004, S. 461; ders., Vortrag vom 8. 11. 2004 (s.Fn 6), II 2 a.

10 Zur Bedrohung durch die transnationale Terroror-ganisation „Al Qaida“ vgl. Albert, Die Kriminalpo-lizei 2005, S. 48 ff.

11 MVVerfG, juris Dokument Nr. KVRE296360003,Leitsatz 4, http://www.jurisweb.de/jurisweb/cgi-bin/j2000cgi.sh.

12 Vgl. Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes vom28.06.2004, Az WD 5/52-1504, S. 21; Kötter, DÖV2005, S. 229.

13 LT-Drs. 14/2287, S. 46.14 „Die Zeit“-Lexikon, Bd. 19: Deutsches Wörterbuch,

Rast-Z, Hamburg 2005.15 Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes vom

28.06.2004, Az WD 5/52-1504, S. 41.16 BVerfGE 109, 279, 343 ff.17 LT-Drs. 14/3936, S. 8.18 LT-Drs. 14/3936, S. 8.19 Papier in Maunz/Dürig, Komm. z. GG, Art. 13 Rn

96.20 BVerfGE 109, 279, 320.21 LT-Drs. 14/3936, S. 9.22 Ruthig, GA 2004, S. 587, 602 f.23 BVerfGE 109, 279, 322.

3.5. § 29 Abs. 5Für die hier normierte Verpflichtung zurLöschung, das Verwertungsverbot und dieDokumentationspflicht gelten die vorheri-gen Ausführungen in gleicher Weise.

3.6. § 29 Abs. 6Die Unzulässigkeit der Datenerhebung indurch Amts- oder Berufsgeheimnis geschütz-te Vertrauensverhältnisse im Sinne der §§ 53,53a StPO, wie es § 29 Abs. 6 POG vorsieht,ist nicht in allen Fällen verfassungsrechtlichdurch das Erfordernis des Schutzes des Kern-bereichs geboten23. Insoweit wäre hier aucheine differenzierende Regelung möglich. Diegewählte Ausgestaltung begegnet aber kei-nen verfassungsrechtlichen Bedenken.

3.7. § 29 Abs. 7-10Das in § 29 Abs. 7-10 POG ausgestaltete Ver-fahren zur Anordnung der Datenerhebungnach Abs.1 ist grundsätzlich in hohem Maßegeeignet, den „Grundrechtsschutz durch Ver-fahren“ zu gewährleisten. Die umfassende be-gleitende richterliche Kontrolle dürfte auchunter Praktikabilitätsaspekten kaum zu kri-tisieren sein. Allerdings kann erwogen wer-den, die Frist nach § 29 Abs. 7 Satz 3 auf dreiMonate (wie bisher) zu verlängern und einerichterliche Überprüfung alle vier Wochenvorzusehen, wie dies beispielsweise in Bre-men vorgesehen ist. Auch diese Ausgestal-tung würde den Erfordernissen des Grund-rechtsschutzes genügen. Aus der Praxis istimmer wieder zu hören, dass in den erstenWochen nach Anordnung der Maßnahmenoch kaum mit Erkenntnissen zu rechnenist, da zunächst die technischen Vorausset-zungen zur Datenerhebung geschaffen wer-den müssten.

Auch die Regelungen zur Kennzeichnungund anderweitigen Verwendung erlangterDaten in § 29 Abs. 9 POG sind in rechtli-cher Hinsicht nicht zu beanstanden.

3.8.Die Regelung des § 29 Abs. 11 POG ent-spricht Art. 13 Abs. 5 GG und ist daher ver-fassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

3.9.Insgesamt trägt der Gesetzentwurf der Frak-tionen der SPD und der FDP dem Grund-rechtsschutz der Bürgerinnen und Bürgerund den Notwendigkeiten der Gefahrenab-wehr vor dem Hintergrund der aktuellen Be-drohungslage gleichermaßen Rechnung. Erstellt eine gute Lösung dar.

4. Zu den Änderungen im Gesetzentwurf derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (LT-Drs.14/3241)

4.1.Auch der Gesetzentwurf der Fraktion derBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (LT-Drs. 14/3241) zieht die Konsequenzen aus der Ent-scheidung des BVerfG, soweit es um die prä-ventive Wohnungsüberwachung geht. DieAusgestaltung der personenbezogenen Da-tenerhebung durch den verdeckten Einsatz

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GESETZGEBUNG

DIE

KRIMINALPOLIZEIHeft 3/0586

Professor Dr. Andreas PeilertPolizei-Führungsakademie

Münster

Stellungnahme für die Anhörung des Innenausschusses des Landtages Rheinland-Pfalz zurÄnderung des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (POG) am 31.05.2005

Von Professor Dr. Andreas Peilert, Polizei-Führungsakademie Münster

Die verdeckte präventiv-polizeiliche Wohnraumüberwachung in Rheinland-Pfalz

I. Das Urteil des Bundesverfassungsgerich-tes zur repressiven Wohnraumüberwa-chung

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichteszur repressiven Wohnraumüberwachungvom 03.03.20041 enthält unter anderem all-gemein gültige Aussagen zur Hochwertigkeitdes Rechts auf Unverletzlichkeit der Woh-nung, zur Feststellung des Menschenwürde-gehaltes des Art. 13 GG und zur Intensitätvon Eingriffen in eben dieses Grundrecht.2

Dem Einzelnen steht danach ein unantast-barer Bereich privater Lebensgestaltung zu,welcher der öffentlichen Gewalt entzogenist.3 Die Rechtsprechung des Bundesverfas-sungsgericht wird dahingehend interpretiert,dass dieser Lebensbereich grundsätzlich un-abhängig von der Zielrichtung der Maßnah-me zu schützen ist.4 Dies ist zu beachten beider Schaffung von repressiven wie präventi-ven Rechtsgrundlagen sowie bei der Ausle-gung dieser Normen. Besondere Bedeutunghat das Urteil ferner im Hinblick auf Ver-hältnismäßigkeitsüberlegungen bei einzelnenMaßnahmen.

Da sich das Urteil des Bundesverfassungsge-richtes allerdings unmittelbar nur auf dieVerfassungsmäßigkeit der repressiven Wohn-raumüberwachung bezieht, ist zu untersu-chen, inwieweit die polizeirechtlichen Be-stimmungen der Länder über die akustischeund optische Wohnraumüberwachung an diedurch das Bundesverfassungsgericht aufge-stellten sonstigen Anforderungen gebundensind.5 Insofern ist festzustellen, dass zwar derverfassungsrechtliche Schutz des Kernbe-reichs privater Lebensgestaltung auch imGefahrenabwehrrecht abgesichert werden

muss, die vorzunehmende Unterscheidungzwischen Repression und Prävention aberRaum für eine unterschiedliche Ausgestal-tung dieses Schutzes lässt. Dem Gesetzgebersteht bei der Regelung von präventiven Maß-nahmen ein größerer Gestaltungsspielraumzu.Es ist als Prämisse für die nachfolgendenÜberlegungen schließlich festzuhalten, dassdurch das Urteil vom 03.03.2004 die grund-sätzliche verfassungsrechtliche Zulässigkeitder präventiven Wohnraumüberwachungbejaht wurde.6

II. Erhaltung der präventiven Wohnraum-überwachung als wichtiges polizeilichesInstrumentarium

Die Bejahung der verfassungsrechtlichenZulässigkeit der präventiven Wohnraum-überwachung ist auch aus polizeitaktischerSicht erfreulich und geboten. Diese Maßnah-me ist zur Bekämpfung der gerade für dieorganisierte Kriminalität und den Terroris-mus typischen abgeschotteten Täterkreisevon besonderer Bedeutung.7 Auf die Mög-lichkeiten der Telekommunikationsüberwa-chung haben sich Kriminelle nämlich bereitsdurch vielfältige Reaktionsmöglichkeiten(codiertes Sprechen, Nutzung zahlreicherHandys) eingestellt. Weniger eingriffsinten-sive polizeiliche Maßnahmen reichen dage-gen oftmals nicht aus, um in den innerenKreis krimineller Organisationen vorzudrin-gen. Die Notwendigkeit der präventivenWohnraumüberwachung zeigt sich aber auchin typischen Gefahrenabwehrsituationen,wie etwa Wohnraumüberwachungen beiGeisellagen. Die präventive Wohnraumüber-wachung stellt damit einen wichtigen, un-verzichtbaren Baustein im System der poli-zeilichen Handlungsoptionen gegen schwereKriminalität dar.8

III. Differenzierung zwischen Repressionund Prävention

Die wichtige Bedeutung der präventivenWohnraumüberwachung hat auch der Ver-fassungsgeber erkannt. Insbesondere hat erdurch die unterschiedliche Ausgestaltungvon Art. 13 Abs. 3 und Abs. 4 GG deutlichgemacht, dass die präventive Wohnraum-überwachung in eingriffsintensiverer Artund Weise möglich ist. Nach Art. 13 Abs. 4GG, der die präventive Wohnraumüberwa-chung betrifft, ist im Gegensatz zum repres-siven Tätigwerden auch eine optische Über-wachung zulässig. Auch eine Subsi-diaritätsklausel fehlt in Art. 13 Abs. 4 GG,so dass andere Ermittlungsmethoden gegen-

über der präventiven Wohnraumüberwa-chung nicht vorrangig sind. Hervorzuhebensind auch die unterschiedlichen Schutzgüterbei der repressiven und präventiven Wohn-raumüberwachung. Während die Repressiv-maßnahme den Verdacht einer „durch Ge-setz einzeln bestimmten besonders schwerenStraftat“ voraussetzt, lässt die Verfassung fürden präventiven Eingriff eine „Gefahr für dieöffentliche Sicherheit“ genügen. Der Verfas-sungsgeber sieht also bei einer niedrigerenEingriffsschwelle dennoch intensivere Ein-griffsmittel für die präventive Wohnraum-überwachung vor. Insgesamt handelt es sichum einen verfassungsrechtlich dezidiert ge-regelten Musterfall der Unterscheidung vonRepression und Prävention, der im Grund-gesetz seinesgleichen sucht.Insofern realisiert sich auch die herausragen-de Bedeutung der staatlichen Schutzpflich-ten,9 die das präventive Handeln der Polizeiprägen, schon im Verfassungstext des Art.13 GG. Bei der Prävention geht es nicht nurum das staatliche Strafverfolgungsinteresse,sondern in der hier zu beurteilenden Kon-stellation um hochwertige Individualrechtevon Bürgern einerseits, die mit dem Grund-recht auf Unverletzlichkeit der Wohnungnach Art. 13 GG eines Störers andererseits,konkurrieren.Dementsprechend lassen sich repressive undpräventive Eingriffe in Art. 13 GG nichtgleichsetzen. Auch hier gilt der Grundsatz,dass der präventivpolizeiliche Rechtsgüter-schutz tiefere Grundrechtseingriffe legitimie-ren kann als das staatliche Interesse an einereffektiven Strafverfolgung.10 Richtigerweisewird deshalb in der Begründung zum Gesetz-entwurf der Fraktionen der SPD und FDPfestgestellt: „Die unterschiedlichen Aufgabender Gefahrenabwehr (Polizei) und der Straf-verfolgung (Polizei, Justizbehörden) recht-fertigen (vielmehr) unterschiedliche Gestal-tungen der Eingriffsvoraussetzungen und–modalitäten.“11 Dementsprechend sind dievom Bundesverfassungsgericht für die repres-sive Wohnraumüberwachung im einzelnenaufgestellten Anforderungen für die präven-tiv-polizeilichen Regelungen nicht bindend.12

IV. Ausgestaltung der präventiven Wohn-raumüberwachungIhrer wichtigen Funktion kann die präven-tive Wohnraumüberwachung nur gerechtwerden, wenn sie entsprechend effizient aus-gestaltet wird. Die verfassungsrechtlichenMöglichkeiten hierzu hält das Grundgesetz– wie gezeigt – durch die Unterscheidung vonRepression und Prävention bereit.

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GESETZGEBUNG

DIE

KRIMINALPOLIZEIHeft 3/05 87

1. AnordnungsvoraussetzungenIm Hinblick auf die Ausgestaltung der Vor-aussetzungen für die präventive Wohnraum-überwachung in § 29 Abs. 1 POG ist dieForderung nach einer „gegenwärtigen“ bzw.„erheblichen gegenwärtigen Gefahr“13 imSinne einer zeitlichen Dringlichkeit abzuleh-nen. Art. 13 Abs. 4 GG stellt mit dem Merk-mal „dringend“ nämlich gerade nicht auf einzeitliches Moment ab. Ein solcher Gefahren-typus ist also verfassungsrechtlich nicht ge-fordert. Bei dem großen zeitlichen Vorlaufterroristischer Anschläge ist die Vorausset-zung einer zeitlichen Nähe der Gefahr auchaus polizeitaktischer Sicht eine zu weitgehen-de Anforderung an die präventive Wohn-raumüberwachung.

2. StraftatenkatalogDer in § 29 Abs. 2 POG-E (im FolgendenBezeichnung für den Gesetzentwurf derFraktionen der SPD und FDP)14 vorgesehe-ne Straftatenkatalog ist einer kritischenÜberprüfung zu unterziehen. Als Prämissefür die Ausgestaltung des Straftatenkatalo-ges ist zunächst festzustellen, dass sich derGesetzgeber zwar auf der verfassungsrecht-lich gesicherten Seite befindet, soweit er inden Straftatenkatalog nur solche Straftatenaufnimmt, die einen Strafrahmen mit einerHöchststrafe nicht unter fünf Jahren Frei-heitsstrafe aufweist. Zwingend gefordert istdies indes nicht. Vielmehr ermöglicht dieverfassungsrechtlich abgesicherte Unter-scheidung zwischen Repression und Präven-tion, dass zu Gefahrenabwehrzweckenbereits gegen Straftaten mit einem niedrige-ren Strafrahmen eingeschritten werdenkann.15 Ausgangspunkt dieser Bewertung istinsbesondere die Unterscheidung, die Art.13 GG selbst trifft. Während Art. 13 Abs. 4GG als Voraussetzung für ein präventivesVorgehen nur eine „dringende Gefahr für dieöffentliche Sicherheit“ nennt, muss für dasrepressive Vorgehen „eine durch Gesetz ein-zeln bestimmte besonders schwere Straftat“vorliegen. Letztere Formulierung in Art. 13Abs. 3 GG ist der Anknüpfungspunkt fürdie Forderung des Bundesverfassungsgerich-tes, dass eine repressive Wohnraumüberwa-chung nur bei solchen Straftaten in Betrachtkommt, die einen Strafrahmen mit einerHöchststrafe nicht unter fünf Jahren Frei-heitsstrafe aufweisen.16 In dem die Begrün-dung zum Gesetzentwurf der Fraktionen derSPD und FDP diese Frage bewusst offenlässt,17 beraubt sie sich ihres Handlungsspiel-raumes, solche Straftaten mit der präventi-ven Wohnraumüberwachung zu bekämpfen,die den entsprechenden Strafrahmen nichtaufweisen, aber über einen besonders hohenUnrechtsgehalt verfügen.

Allerdings ist einzuräumen, dass mit demErfordernis der Dringlichkeit sowie durchdie ausdrücklich genannten Beispiele derLebensgefahr und der gemeinen Gefahr inArt. 13 Abs. 4 GG zum Ausdruck gebrachtwird, dass auch die präventive Wohnraum-überwachung nur zum Schutz hochrangigerRechtsgüter eingesetzt werden darf.18 Damitsteht fest, dass bei der Gestaltung des Straf-tatenkatalogs dem Landesgesetzgeber Gren-

zen gesetzt sind. Diese bestehen aber nichtin der vom Bundesverfassungsgericht für dierepressive Wohnraumüberwachung be-stimmten Höhe der Strafandrohung. Jedochist festzustellen, dass sich im Strafgesetzbucheine Reihe von Vorschriften finden, die denbundesverfassungsgerichtlichen Anforderun-gen im Hinblick auf die Strafandrohung ent-sprechen, aber nicht in § 29 Abs. 2 POG-Eenthalten sind, obwohl hierfür ein signifikan-tes kriminalpolitisches Bedürfnis besteht.Im Zuge der Neuregelung des § 29 POG istalso keinesfalls nur an Streichungen aus demStraftatenkatalog zu denken. Bei einer über-schlägigen Analyse des Straftatenkatalogeslassen sich sowohl Straftatbestände erken-nen, für deren Bekämpfung die präventiveWohnraumüberwachung ein untauglichesInstrumentarium darstellt, als auch Lückenim Straftatenkatalog ausmachen.Beispielsweise ist gegen die Verwirklichungdes § 251 StGB (Raub mit Todesfolge), dereine wenigstens leichtfertige Tathandlungvoraussetzt, die präventive Wohnraumüber-wachung kein geeignetes Instrumentarium.Dieser Straftatbestand kann durch eine prä-ventive Wohnraumüberwachung nicht be-kämpft werden. Er kann also aus dem Kata-log des § 29 Abs. 2 POG-E gestrichenwerden. Gleiches gilt für den Straftatbestanddes Einschleusens mit Todesfolge gemäß §97 Abs. 1 AufenthG, der in § 29 Abs. 2 Nr.3 lit. b POG-E enthalten ist.Umgekehrt weist der Straftatenkatalog des§ 29 Abs. 2 POG-E jedoch auch – meinesErachtens gravierende – Defizite aus unter-schiedlichen Bereichen des Strafgesetzbuchesauf.

a.) Friedensverrat, Hochverrat und Gefähr-dung des demokratischen RechtsstaatesAus dem Ersten Abschnitt des Strafgesetz-buches („Friedensverrat, Hochverrat undGefährdung des demokratischen Rechtstaa-tes“) kann die Vorschrift des § 83 StGB (Vor-bereitung eines hochverräterischen Unter-nehmens) mit einem Strafrahmen von einemJahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe ge-nannt werden. Ebenfalls sollten die „Fort-führung einer für verfassungswidrig erklär-ten Partei“ gemäß § 84 StGB und der„Verstoß gegen ein Vereinigungsgebot“ nach§ 85 Abs. 1 StGB (Strafrahmen bis zu fünfJahren Freiheitsstrafe) in den Straftatenka-talog aufgenommen werden.19 Diese Straftat-bestände stellen wichtige Bausteine im Sys-tem der wehrhaften Demokratie dar. Dengleichen Strafrahmen weist die „Verfassungs-feindliche Sabotage“ des § 88 StGB auf. Die-se Vorschrift bezweckt den Schutz kritischerInfrastrukturen, die ein besonderes Angriffs-ziel terroristischer Aktivitäten darstellen.Auch die verfassungsfeindliche Sabotage istauf Grund ihrer Gemeingefährlichkeit, aufdie Art. 13 Abs. 4 GG in seinem Wortlautabstellt, in den Straftatenkatalog aufzuneh-men.

b.) Bildung krimineller VereinigungenDie Vorschrift des § 129 StGB (Bildung kri-mineller Vereinigungen) sieht einen Strafrah-men von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafevor. Sie ist in den Straftatenkatalog aufzu-

nehmen, da mit ihr regelmäßig eine Vielzahlweiterer Delikte verbunden ist. Zudem istzu berücksichtigen, dass sich das Gefähr-dungspotential einer kriminellen Vereini-gung bereits mit ihrer Gründung und nichterst mit ihrer kriminellen Zweckverwirkli-chung zeigt. Zu Recht wird darauf hingewie-sen, dass wegen der massiven Bedrohung derAllgemeinheit durch die organisierte Krimi-nalität die in der bloßen Existenz kriminel-ler Vereinigungen liegende Beeinträchtigungdes allgemeinen Sicherheitsgefühls eine an-dere Qualität bekommt als bei deliktischenEinzelaktionen.20

c.) Geld- und WertzeichenfälschungAuf Grund der Möglichkeit einer intensivenund gemeinschädlichen Bedrohung des Wirt-schaftslebens ist der Straftatenkatalog auchum die „Fälschung von Zahlungskarten,Schecks und Wechseln“ in der gewerbs- oderbandenmäßigen Begehungsform des § 152aAbs. 3 StGB zu ergänzen. Der vom Bundes-verfassungsgericht für repressive Maßnah-men geforderte Strafrahmen wird bei diesemStraftatbestand erreicht.

d.) Straftaten gegen die sexuelle Selbstbe-stimmung

In dem geplanten Straftatenkatalog sind De-likte aus dem Abschnitt „Straftaten gegen diesexuelle Selbstbestimmung“ überhaupt nichtvertreten. Hier entfalten insbesondere dieDelikte, die im Zusammenhang mit der Kin-derpornographie verwirklicht werden, einenderart hohen Unrechtsgehalt, dass ihre Auf-nahme in den Straftatenkatalog vehement zufordern ist. Für ihre Aufnahme in den Straf-tatenkatalog spricht ferner ihre zunehmendorganisierte Begehungsweise, gegen die diepräventive Wohnraumüberwachung einhöchst geeignetes Handlungsmittel darstellt.Der Straftatenkatalog ist deshalb zumindestum die folgenden Vorschriften zu erweitern:

§ 176 StGB (Sexueller Missbrauch von Kin-dern, Strafrahmen bis zu zehn Jahren Frei-heitsstrafe)

§ 176a StGB (Schwerer sexueller Miss-brauch von Kindern, nicht unter einem JahrFreiheitsstrafe)

§ 180 StGB (Förderung sexueller Hand-lungen Minderjähriger, Freiheitsstrafe bis zudrei Jahren)

§ 184a StGB (Verbreitung gewalt- oder tier-pornographischer Schriften, bis zu drei Jah-ren Freiheitsstrafe)

§§ 184b, c StGB (Verbreitung, Erwerb undBesitz kinderpornographischer Schriften,drei Monate bis zu fünf Jahren Freiheitsstra-fe).

Gerade bei der Bekämpfung der Kinderpor-nographie ist die Polizei auf das Ineinander-greifen verschiedener Bekämpfungsmöglich-keiten angewiesen. Die präventive Wohn-raumüberwachung kann ein wichtiges Ele-ment in diesem System polizeilicher Hand-lungsoptionen darstellen.

e.) Straftaten gegen die persönliche FreiheitDurch das am 19.02.2005 in Kraft getretene37. Strafrechtsänderungsgesetz21 wurden die

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GESETZGEBUNG

DIE

KRIMINALPOLIZEIHeft 3/0588

Vorschriften über den Menschenhandel neugefasst. In den Straftatenkatalog des § 29 Abs.2 POG aufzunehmen sind:

§ 232 StGB (Menschenhandel zum Zweckder sexuellen Ausbeutung, Freiheitsstrafevon sechs Monaten bis zu zehn Jahren)

§ 233 (Menschenhandel zum Zweck derAusbeutung der Arbeitskraft, Freiheitsstra-fe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren)

§ 233a StGB (Förderung des Menschen-handels, Freiheitsstrafe von drei Monaten biszu fünf Jahren).

Die Straftatbestände des Menschenhandelsweisen einen engen Bezug zur organisiertenKriminalität und damit ein hohes Gefahren-potential auf. Da Opfer des Menschenhan-dels vielfach Kinder sind, beinhalten dieseStraftaten einen erheblichen Unrechtsgehalt.Auf Grund der Zwangslage, in der sich dieOpfer eines Menschenhandels befinden, sindsie häufig nicht in der Lage, die ihnen gegen-über begangenen und weiter stattfindendenStraftaten anzuzeigen. In dieser Ausgangsla-ge sind effiziente polizeiliche Bekämpfungs-maßnahmen, wie die präventive Wohnraum-überwachung, von hoher Bedeutung.

f.) Betrug und UntreueAus dem Zweiundzwanzigsten Abschnitt desStrafgesetzbuches ist an die Aufnahme desBetruges in besonders schweren Fällen ge-mäß § 263 Abs. 3, 5 StGB in den Straftaten-katalog des § 29 Abs. 2 POG zu denken. DieBekämpfung dieser Straftat (mit einer Straf-androhung von bis zu zehn Jahren) hat vordem Hintergrund der zunehmenden Verbin-dung von Organisierter Kriminalität,insbesondere organisierter Wirtschaftskrimi-nalität, und dem Terrorismus besondere Be-deutung. Für besonders schwere Fälle derUntreue gemäß § 266 Abs. 2 i.V.m. § 263Abs. 3 StGB ist der gleiche Strafrahmen vor-gesehen. Dieser Straftatbestand sollte in denneu zu erstellenden Straftatenkatalog aufge-nommen werden, da er häufig durch kon-spirativ und professionell agierende Täter-gruppen begangen wird und regelmäßig imZusammenhang mit Ermittlungsverfahrender strukturellen Korruption festgestelltwird.22

g.) Gemeingefährliche StraftatenEbenso wenig wie Straftaten aus dem Ab-schnitt „Straftaten gegen die sexuelle Selbst-bestimmung“ finden sich in dem von denFraktionen der SPD und FDP vorgeschlage-nen Gesetzentwurf Vorschriften aus demAbschnitt „Gemeingefährliche Straftaten“.Die Aufnahme der folgenden Straftatbestän-de in den Straftatenkatalog des zukünftigen§ 29 POG ist allerdings zu empfehlen:

§ 306 StGB (Brandstiftung, von einem biszu zehn Jahren Freiheitsstrafe)

§ 306a StGB (Schwere Brandstiftung, nichtunter einem Jahr Freiheitsstrafe)

§ 306b StGB (Besonders schwere Brand-stiftung, nicht unter zwei Jahren Freiheits-strafe)

§ 307 Abs. 1, 2 StGB (Herbeiführen einerExplosion durch Kernenergie, nicht unter

fünf Jahren/von einem bis zu zehn JahrenFreiheitsstrafe)

§ 308 StGB (Herbeiführen einer Spreng-stoffexplosion, nicht unter einem Jahr Frei-heitsstrafe)

§ 309 Abs. 1 StGB (Missbrauch ionisie-render Strahlen, von einem bis zu zehn Jah-ren Freiheitsstrafe)

§ 310 Abs. 1 StGB (Vorbereitung einesExplosions- oder Strahlungsverbrechens, voneinem bis zu zehn Jahren/sechs Monaten biszu fünf Jahren Freiheitsstrafe)

§ 313 StGB (Herbeiführen einer Über-schwemmung, von einem bis zu zehn Jah-ren Freiheitsstrafe)

§ 314 StGB (Gemeingefährliche Vergif-tung, von einem bis zu zehn Jahren Freiheits-strafe)

§ 315 Abs. 3 Nr. 1 StGB (Gefährliche Ein-griffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr,nicht unter einem Jahr Freiheitsstrafe)

§ 316c Abs. 1, 2, 4 StGB (Angriffe auf denLuft- und Seeverkehr), nicht unter fünf/voneinem bis zu zehn/von sechs Monaten biszu fünf Jahren Freiheitsstrafe)

§ 317 (Störung von Telekommunikations-anlagen, bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe).

Die Aufnahme der genannten Straftaten istverfassungsrechtlich insoweit unproblema-tisch, als der vom Bundesverfassungsgerichtgeforderte Strafrahmen von einer Höchst-strafe nicht unter fünf Jahren Freiheitsstrafeerreicht wird. Zudem betreffen alle Strafta-ten in dem Abschnitt „GemeingefährlicheStraftaten“ eine gemeine Gefahr, wie sie Art.13 Abs. 4 GG als Voraussetzung für einepräventive Wohnraumüberwachung nennt.Die Berücksichtigung dieser Vorschriften indem Straftatenkatalog des § 29 Abs. 2 POGist also verfassungsrechtlich in zweifacherHinsicht abgesichert. Auf Grund der anhal-tenden Bedrohung der Schutzgüter der auf-geführten Straftatbestände durch den inter-nationalen Terrorismus ist auch einekriminalpolitische Notwendigkeit für dieMöglichkeit der präventiven Wohnraum-überwachung gegeben.

3. Datenerhebungsverbot zum Schutz desKernbereichs privater LebensgestaltungDas Datenerhebungsverbot zum Schutz desKernbereichs privater Lebensgestaltung in §29 Abs. 3 POG-E ist Ausfluss des Verhält-nismäßigkeitsprinzips und der konkretisie-renden Rechtsprechung des Bundesverfas-sungsgerichtes und ist somit nur vondeklaratorischem Wert. Angesichts der Ein-griffsintensität der präventiven Wohnraum-überwachung kann die Vorschrift auf Grundihrer Klarstellungsfunktion jedoch bestehenbleiben.

4. Gebot zur Unterbrechung der MaßnahmeAls sinnvoll wird die Regelung des § 29 Abs.4 Satz 2 POG-E angesehen, nach der die au-tomatisierte Speicherung von Daten unbe-rührt bleibt, nach dem durch die Polizei fest-gestellt wurde, dass Daten erfasst wurden,die dem Kernbereich privater Lebensgestal-tung zuzuordnen sind. Die Auswertung derelektronisch erlangten Daten kann danndurch einen Richter vorgenommen werden.

Dieser kann durch Sichtung der Aufnahmenfeststellen, ab welchem Zeitpunkt die erho-benen Daten wieder verwertbar sind. Einsolches Verfahren genügt dem Postulat ei-nes erhöhten Grundrechtsschutzes durchGewährleistung von Verfahrenssicherungen.

5. Schutz von GeheimnisträgernDas in § 29 Abs. 6 POG-E vorgesehene ab-solute Überwachungsverbot von Geheimnis-trägern erscheint als unangemessen. DasBundesverfassungsgericht hat die Entschei-dung dieser Frage ausdrücklich offengelassen:„Ob es verfassungsrechtlich geboten war,sämtliche Berufsgeheimnisträger nach § 53StPO einem absoluten Überwachungsverbotzu unterstellen, bedarf vorliegend keinerEntscheidung.“23 An anderer Stelle weist dasBundesverfassungsgericht demgegenüber aufDifferenzierungsmöglichkeiten im Hinblickauf die Schutzwürdigkeit von Gesprächenmit Berufsgeheimnisträgern hin. Den Ge-sprächen mit Geistlichen, Strafverteidigernund Ärzten wird die Menschenwürderele-vanz zugestanden, während dies für Presse-angehörige und Parlamentsabgeordnete nichtder Fall ist.24 Für diesen Personenkreis wirddeshalb zu Recht ein absolutes Überwa-chungsverbot abgelehnt.25

Die in §§ 53, 53a StPO aufgeführten Geheim-nisträger sind also nicht insgesamt ebensoschutzwürdig wie die in ihrem Kernbereichpersönlicher Lebensgestaltung betroffenenPersonen. Ergänzend ist auch an die Mög-lichkeit einer gezielten Aushebelung undUmgehung von staatlichen Handlungsopti-onen durch missbräuchliche Einschaltungvon Geheimnisträgern zu denken. In diesemZusammenhang ist auch auf folgendes hin-zuweisen: Zum einen wird in § 29 Abs. 2Nr. 1 lit. j POG-E der besonders schwereFall der Geldwäsche/Verschleierung un-rechtmäßig erlangter Vermögenswerte ge-mäß § 261 Abs. 1, 4 StGB in den Straftaten-katalog für die präventive Wohnraum-überwachung aufgenommen und zum ande-ren werden in § 29 Abs. 6 POG-E mit denSteuerberatern und Steuerbevollmächtigtenein potentieller Täterkreis wieder von derMaßnahme ausgenommen. Auch für diesenPersonenkreis ist ein absolutes Überwa-chungsverbot nicht zu befürworten.

Das Bundesverfassungsgericht fasst die Über-legungen zum Überwachungsverbot präg-nant zusammen: „Die aus dem Kernbereichprivater Lebensgestaltung folgenden Abhör-verbote sind nicht identisch mit den straf-prozessualen Zeugnisverweigerungsrech-ten.“26 Letztere verlieren jedoch bei zu prä-ventiven Zwecken erhobenen Daten nichtihre Bedeutung. Soweit Berufsgeheimnisträ-ger über die Regelung des § 29 Abs. 6 POG-E hinaus in §§ 53, 53a StPO geschützt sind,muss die Nutzung der über sie erlangtenDaten im Strafverfahren ausgeschlossen sein.Resümierend ist jedoch festzuhalten, dasssich der Staat bei der Wahrnehmung seinerGefahrenabwehraufgabe die Großzügigkeitbeim Verzicht auf Informationen nicht ingleichem Maße leisten kann wie bei der Er-füllung repressiver Aufgaben.

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GESETZGEBUNG

6. Richterliche Anordnung und Fristen fürdie Maßnahme

Die vorgesehene Befristung der präventivenWohnraumüberwachung auf einen Zeitraumvon zwei Monaten und einer jeweiligen Ver-längerungsmöglichkeit von einem Monaterfüllt die verfassungsrechtlichen Vorgaben.Angesichts der oftmals erheblichen Vorlauf-zeit für die Installation der Überwachungs-technik27 ist aber ein Zeitraum von dreiMonaten für die Maßnahme zu Beginn sinn-voller.28 Anderenfalls hat das Gericht mehr-mals lediglich die notwendigen Begleiteingrif-fe, nicht aber die die Eingriffsintensität derVorschrift bestimmende Überwachungsmaß-nahme zu würdigen. Unter dem Aspekt desGrundrechtsschutzes durch Verfahren29 istjedoch an dem anschließenden einmonatigenrichterlichen Überprüfungsturnus festzuhal-ten. Durch die engere gerichtliche Überprü-fungsfrequenz nach dem Beginn der Maßnah-me werden die rechtsstaatlichen Anfor-derungen mit den polizeitaktischen Notwen-digkeiten sinnvoll in Einklang gebracht.

7. Nutzung von repressiv erhobenen Datenzu präventiven Zwecken

§ 29 POG ist ferner um eine Vorschrift zuergänzen, nach der repressiv erhobene Da-ten unter engen Voraussetzungen auch fürpräventive Zwecke genutzt werden können.

V. Fazit und RechtsfolgenbetrachtungDer zu beurteilende Gesetzentwurf der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen setzt den vomBundesverfassungsgericht gefordertenGrundrechtsschutz von Art. 13 GG in vol-lem Maße um. Durch die Beschränkung derpräventiven Wohnraumüberwachung aufgegenwärtige Gefahren und die Reduzierungder Maßnahme auf die Anwendung gegenStörer begibt sich der Vorschlag jedoch ineinen Konflikt mit dem Konzept der staatli-chen Schutzpflichten, in dem er die Maßnah-me als sinnvolles Gefahrenabwehrinstrumen-tarium weitgehend entwertet.

Auch der Gesetzentwurf der Fraktionen derSPD und FDP genügt den durch das Bun-desverfassungsgericht aufgestellten Anforde-rungen. Demgegenüber werden polizeilicheBelange, verfassungsrechtlich untermauertdurch die staatlichen Schutzpflichten, abernicht in hinreichendem Maße beachtet.Insbesondere der Straftatenkatalog weistDefizite in unterschiedlichen bedeutsamenDeliktsfeldern auf.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dassbereits die 1998 geänderte Fassung des Art.13 Abs. 4 GG eine erhebliche Verschärfunggegenüber der vormaligen Rechtslage bedeu-tete. Nach dieser Änderung dürfen die tech-nischen Mittel nämlich nur noch zur Ab-wehr dringender Gefahren und nicht wiefrüher auch zu ihrer Verhütung eingesetztwerden. Ferner muss nunmehr eine Gefahrfür die öffentliche Sicherheit bestehen, wo-gegen eine Gefahr für die öffentliche Ord-nung nicht mehr ausreicht. Eine weitereEinschränkung der Möglichkeiten der prä-ventiv-polizeilichen Wohnraumüberwa-chung, insbesondere durch die verfassungs-

rechtlich nicht gebotene Einschränkung desStraftatenkatalogs, ist mit der gegenwärtigenSicherheitslage nicht vereinbar. Gerade beider Bekämpfung des islamistischen Terroris-mus, dessen Gefährlichkeit in bestürzenderRegelmäßigkeit deutlich wird,30 ist die prä-ventive Wohnraumüberwachung von großerBedeutung. Einen Bedeutungszuwachs er-fährt diese Maßnahme noch durch ihre Ein-satzmöglichkeit gegen die in zunehmendemMaße festzustellende Verbindung von Ter-rorismus und organisierter Kriminalität.31

Die geringen Zahlen der Anwendung derWohnraumüberwachung32 deuten nicht dar-auf hin, dass dieses Handlungsmittel für diePolizei entbehrlich ist, sondern dokumentie-ren den verantwortungsbewussten Umgangder Polizei mit diesem Instrumentarium.33

Für die relevanten Fälle sollte man es derPolizei deshalb zum Schutz wichtiger Grund-rechte der Bürger in effizienter Form zurVerfügung stellen.

Fußnoten:

1 BVerfGE 109, 279 ff. 2 Vgl. zum absolut geschützten Kernbereich privater

Lebensgestaltung etwa Perne, DRiZ 2004, S. 286:„Selbst überwiegende Interessen der Allgemeinheitvermögen einen Eingriff in diesen Bereich nicht zurechtfertigen ... “; siehe demgegenüber: Gutachtendes Wissenschaftlichen Dienstes des Landtags Rhein-land-Pfalz „Verfassungsrechtliche Zulässigkeit derDatenerhebung durch den verdeckten Einsatz tech-nischer Mittel in oder aus Wohnungen nach § 29POG“ vom 28.06.2004, Az.: WD 5/52-1504, S. 21:„Dort, wo – Ergebnis – die Menschenwürde des Ei-nen gegen die konkrete Gefahr für die Menschen-würde des Anderen steht, könnten demnach Ein-griffe zur Abwehr dieser Gefahr auch in den Kern-bereich zulässig sein.“

3 BVerfGE 109, 279 (313); ihm folgend auch: LT-Drs.14/3936, S. 7.

4 LT-Drs. 14/3936, S. 7; Baldus, in Schaar (Hrsg.),Folgerungen aus dem Urteil des Bundesverfassungs-gerichts zur akustischen Wohnraumüberwachung:Staatliche Eingriffsbefugnisse auf dem Prüfstand?,2005, S. 9 (20); Brocker/Zartmann, DRiZ 2005, S.108; Denninger, ZRP 2004, S. 101 (104); Gusy, JuS2004, S. 457 (461); Huber, ThürVBl. 2005, S. 1 (3);Kötter, DÖV 2005, S. 225 (228); Kutscha, NJW2005, S. 20 (22); Ruthig, GA 2004, S. 587 (606);Wefelmeier, NdsVBl. 2004, S. 289 (290).

5 Für die Verfassungswidrigkeit des § 29 POG in derFassung des Gesetzes vom 02.03.2004 etwa: LT-Drs.14/3241, S. 1; dahingehend auch: LT-Drs. 14/3936,S. 1 und Brocker/Zartmann, DRiZ 2005, S. 108:„gesetzlicher Änderungsbedarf“; dagegen: Haas,NJW 2004, S. 3082 (3084).

6 Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommen-tar zum Grundgesetz, 10. Aufl. 2004, Art. 13 Rdn.32; Brocker/Zartmann, DRiZ 2005, S. 108; Ruthig,GA 2004, S. 587 (606).

7 Märkert, der kriminalist 2004, S. 443. 8 Ebenso: LT-Drs. 14/3936, S. 1, 7; Brocker/Zart-

mann, DRiZ 2005, S. 108; Mayer, in: Schaar (Hrsg.)(Fn. 4), S. 64 f. mit folgendem Beispiel: „Ohne dieakustische Wohnraumüberwachung wäre es nichtmöglich gewesen, den geplanten Anschlag auf dieGrundsteinlegung des jüdischen Gemeindezentrumsin München am 9. November vergangenen Jahreszu vereiteln.“

9 Vgl. hierzu insbesondere Stern, Das Staatsrecht derBundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1988, § 69IV 4 (S. 937 ff.).

10 Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht inBaden-Württemberg, 5. Aufl. 2002, Rdn. 25.

11 LT-Drs. 14/3936, S. 8; zustimmend: Brocker/Zart-mann, DRiZ 2005, S. 108 (109); Denninger, ZRP2004, S. 101 (104).

12 Siehe dazu das unterschiedliche Meinungsspektrum:Märkert, der kriminalist 2004, S. 443 (444): „Es istmittlerweile unbestritten, dass das Urteil keine un-mittelbare Bindungswirkung auf die Polizeigesetzeder Länder entfaltet.“; für eine starke Bindungswir-kung: LT-Drs. 14/3242 (Antrag der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen, Entschließung zu dem Gesetz-entwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen –Drucksache 14/3241 – Modernes Polizeirecht –Sicherheit im Rechtsstaat), S. 1.

13 LT-Drs. 14/3241, S. 2, 5 f.14 LT-Drs. 14/3936.15 So auch ausdrücklich: Gutachten des Wissenschaft-

lichen Dienstes (Fn. 2), S. 43; ebenso: Baldus (inSchaar [Hrsg.] [Fn. 4], S. 22), der den „mittlerenKriminalitätsbereich“ ausreichen lässt.

16 BVerfGE 109, 279 (346 ff.).17 LT-Drs. 14/3241, S. 8 mit dem Hinweis auf eine

überflüssige „Angleichung an die strafprozessualeBestimmung des § 100c Abs. 2 StPO“; zur auffälli-gen Konvergenz von strafprozessualen Eingriffsbe-fugnissen und präventiv-polizeilichen Ermächti-gungsnormen und den Gründen hierfür siehe: Gär-ditz, Strafprozess und Prävention, 2003, S. 9 f.

18 BT-Drs. 13/8650, S. 5; ebenso: Gusy, in: Schaar(Hrsg.) (Fn. 4), S. 43 f.; Wefelmeier, NdsVBl. 2004,S. 289 (290), der das Postulat des Bundesverfassungs-gerichtes im Hinblick auf die Strafandrohung auchauf den präventiv-polizeilichen Bereich ausdehnt.

19 Zustimmend für § 85 StGB: Gutachten des Wissen-schaftlichen Dienstes (Fn. 2), S. 51.

20 Lenckner, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch,Kommentar, 26. Aufl. 2001, § 129 Rdn. 1; Gutach-ten des Wissenschaftlichen Dienstes (Fn. 2), S. 46;dahingehend auch Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuchund Nebengesetze, Kommentar, 52. Aufl. 2004, §129 Rdn. 3.

21 BGBl. I 2005, S. 239; siehe zu den neuen Vorschrif-ten: Schroeder, NJW 2005, S. 1393 ff.

22 Zutreffend: Büddefeld, Kriminalistik 2005, S. 204(205).

23 BVerfGE 109, 279 (329).24 BVerfGE 109, 279 (323) mit der weiteren Differen-

zierung, dass bei Geistlichen der Schutz der Beich-te oder die Gespräche mit Beichtcharakter zum ver-fassungsrechtlichen Menschenwürdegehalt gehören.

25 Huber, ThürVBl. 2005, S. 1 (5); ders., ThürVBl.2005, S. 33 (38).

26 BVerfGE 109, 279 (322).27 Instruktiv hierzu: Märkert, der kriminalist 2004, S.

443 (447).28 Einen Drei-Monats-Zeitraum zu Beginn der Maß-

nahme sehen vor: Art. 34 Abs. 2 Satz 1 BayPAG; §16 Abs. 5 HSOG; § 29 Abs. 4 Satz 2 PolG NRW; §28 Abs. 4 Satz 3 SPolG; § 17 Abs. 5 Satz 6 SOGLSH.

29 BVerfGE 53, 30 (65); 84, 34 (45 f.); Bartsch, Rechts-vergleichende Betrachtung präventiv-polizeilicherVideoüberwachungen öffentlich zugänglicher Ortein Deutschland und in den USA, 2004, S. 212; Gusy,JuS 2004, S. 457 (461).

30 Zur Gefährdungsanalyse siehe jüngst: Albert, DieKriminalpolizei 2005, S. 48 (52 f.).

31 Siehe hierzu die instruktive Darstellung von: Soi-né, Kriminalistik 2005, S. 409 ff.

32 Meyer-Wieck, Rechtswirklichkeit und Effizienz derakustischen Wohnraumüberwachung („großerLauschangriff“) nach § 100c Abs. 1 Nr. 3 StPO,Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländi-sches und internationales Strafrecht, Zusammenfas-sung und Schlussfolgerungen, 2004, S. 3: 2001 = 17Verfahren, 2002 = 30 Verfahren, 2003 = 37 Ver-fahren; Märkert, der kriminalist 2004, S. 443 (444):seit 1998 in Deutschland durchschnittlich 30 Über-wachungen pro Jahr; ebenso Geis, CR 2004, S. 338(342).

33 Meyer-Wieck, Gutachten (Fn. 32), S. 23 f.

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PERSONALIE

Interview mit dem neuen Leiterder Abteilung Polizeilicher

Staatsschutz (ST)des BKA, Herrn LKD Wittling

Klaus Wittlinggeboren am 6. Oktober 1951

in Wesseling

Abteilungsleiter Polizeilicher Staats-schutz im Bundeskriminalamtin Meckenheim

1975Eintritt in das Bundeskriminalamt undAusbildung zum gehobenen polizeili-chen Vollzugsdienst

1979Sachbearbeiter im Personenschutzund der polizeilichen Spionagebe-kämpfung

1982Ausbildung zum höheren polizeili-chen Vollzugsdienst an der Polizeifüh-rungsakademie in Münster

1985Referent Linksextremismus und poli-tisch motivierte Ausländerkriminali-tät/internationaler Terrorismus imBKA

1988Referent im Bundesministerium desInnern

1990Referatsleiter Internationaler Terroris-mus (arabisch/islamistische Täter) so-wie Lage, Grundsatz und internatio-nale Zusammenarbeit im BKA

2002Gruppenleiter politisch motivierteKriminalität links und rechts

2003Gruppenleiter Internationaler – insbe-sondere religiös geprägter – Terroris-mus im BKA

2004Ständiger Vertreter des Abteilungslei-ters Polizeilicher Staatsschutz im BKA

2005Abteilungsleiter Polizeilicher Staats-schutz im BKA

Herr Wittling, Sie sind mit Wirkung vom01.06.2005 als Nachfolger von Abtei-lungspräsident Maurer neuer Leiter derAbteilung Staatsschutz (ST). WelcheGründe gab es, die Position des Lei-ters ST neu zu besetzen?

Verschiedene personelle Veränderungenim BKA, so z.B. in Zusammenhang mitder Bildung der neuen Abteilung IK (In-ternationale Koordinierung) in Berlinund die Übertragung der Position desLeiters von Europol an den ehemaligenLeiter der Abteilung OA, Herrn Ratzel,haben zu der Entscheidung geführt,Herrn Maurer mit der Leitung dieserwichtigen Abteilung zu betrauen. Esfreut mich, dass die Leitung des Bundes-kriminalamtes und der Bundesministerdes Innern mich zu seinem Nachfolgerberufen haben.

Wird es mit Ihrer Person eine Neuaus-richtung in der Aufgabenwahrneh-mung der Abteilung geben?

Im Zusammenhang mit der anhaltendenBedrohung durch den islamistischen Ter-rorismus nach den Anschlägen in denUSA am 11.09.2001 musste sich die Ab-teilung ST neu „aufstellen“. Zudem be-stand sowohl die politische Forderungals auch die fachliche Notwendigkeit derStärkung des BKA in Berlin.Aufgrund dieser Rahmenbedingungenwurde innerhalb der Abteilung STbereits im Februar 2002 die Bekämpfungder Politisch motivierten Ausländerkri-minalität – Islamistischer Terrorismus –auf Gruppenstärke ausgebaut und einTeil dieser Gruppe im Dezember 2004nach Berlin verlagert. Die restlichen Mit-arbeiter der Gruppe werden noch imLaufe dieses Jahres ihre Tätigkeit in Ber-lin aufnehmen. Diesen Prozess habe ichals ständiger Vertreter des Abteilungslei-ters begleitet und mitgetragen.Weil die Bekämpfung des islamistischen

Terrorismus voraussichtlich noch überJahre einen Schwerpunkt bei der Aufga-benbewältigung darstellen wird, ist Kon-tinuität in der Aufgabenwahrnehmungder Abteilung geboten.Es wird also keine grundsätzliche Neu-ausrichtung in der Aufgabenwahrneh-mung geben.Bereits im vergangenen Jahr haben wirim BKA einen Priorisierungsprozess auf-gelegt, der auch in der Abteilung ST zuVeränderungen führen wird. Mein Zielist es, die Zusammenarbeit mit den Si-cherheitsbehörden der Länder und desBundes in allen Phänomenen der Poli-tisch motivierten Kriminalität (PMK)weiter zu stärken. Hierzu weitere Aus-führungen zu machen, wäre aber ver-früht.

Anfang Dezember 2004 wurde durchden Bundesminister des Innern, HerrnSchily, sehr öffentlichkeitswirksam dasneue „Gemeinsame Terrorismusab-wehrzentrum (GTAZ)“ in den Räumlich-keiten des BKA in Berlin eingeweiht.Lässt sich zur Arbeit im GTAZ bereitseine Zwischenbilanz ziehen?

Unter dem Dach des GTAZ arbeiten inder Polizeilichen Informations- undAnalysestelle (PIAS) und der Nachrich-tendienstlichen Informations- und Ana-lysestelle (NIAS) mittlerweile 40 Behör-den mit insgesamt ca. 160 Mitarbeiternzur Bekämpfung des islamistischen Ter-rorismus eng zusammen. Dies gewähr-leistet eine größtmögliche Nähe undKooperation der einzelnen Behörden beigleichzeitiger Beachtung des gesetzlichgeforderten Trennungsgebotes.Vertreten sind im GTAZ neben demBKA sämtliche Landeskriminalämter,das BfV, die Landesämter für Verfas-sungsschutz, der BND, der MAD, dasZKA, der GBA und das BAMF.Die enge tägliche Zusammenarbeit derverschiedensten Sicherheitsbehörden des

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PERSONALIE

Bundes und der Länder an einem Ortermöglicht eine schnelle Bündelung,Verdichtung und gemeinsame Bewer-tung aller verfügbaren Informationen.Bedrohungsszenarien können frühzeitigerkannt und bewertet werden, operati-ve Maßnahmen können abgestimmtwerden.Diese Art der Zusammenarbeit hat sichbereits in etlichen Fällen bewährt,insbesondere bei der Abklärung vonGefährdungshinweisen.Dennoch ist anzumerken, dass die Auf-bau- und Anlaufphase des GTAZ nochandauert und dass noch einige Hürdenzu nehmen sind. Hierzu zählt z.B. dieRealisierung der geplanten gemeinsamenIndexdatei sowie verschiedener Projekt-dateien.Trotzdem meine ich, dass wir mit dembisher Erreichten zufrieden sein können,wir sind auf dem richtigen Weg.

Der Präsident des BKA, Herr Ziercke,hat mehrfach die Entwicklung vonFrühwarnsystemen zur effektiven Kri-minalitätsbekämpfung thematisiert.Welche Auswirkungen haben dieseÜberlegungen auf die Abteilung ST?

Die Arbeit im GTAZ, wie ich sie bereitsgeschildert habe, geht in diese Richtung.Durch die Analyse der Informationenunterschiedlicher Behörden im GTAZwerden bereits jetzt Erkenntnisse überTatmittel, Begehungsweise, Strukturenund Funktionsweise islamistischer Netz-werke gewonnen, die in entsprechendepräventive Maßnahmen umgesetzt wer-den.Diese Maßnahmen im Sinne einer Früh-erkennung von möglichen Strukturen,Gefährdungen usw. sind – auch im Be-reich der übrigen PMK – noch zu opti-mieren. Hierzu werden wir Vorschlägevorlegen.

Welche Schwerpunkte sehen Sie nebender Bekämpfung des islamistischenTerrorismus für die Abteilung ST?

In diesem Zusammenhang ist auf jedenFall die Bekämpfung der PMK -Rechts-und die verstärkte internationale Aus-richtung der Verbrechungsbekämpfungzu nennen.

Die Zahlen im Bereich der PMK -Rechts-sind im vergangenen Jahr, mit Ausnah-me der Gewaltdelikte, wieder gestiegen.Im Jahre 2005 hat es mehrere Urteilewegen Bildung krimineller und terroris-tischer Organisationen im Bereich derPMK -Rechts- gegeben, so z.B. gegen

Martin WIESE, den Anführer der„Kameradschaft Süd“. Auch wenn wirunverändert nicht vom Vorhandenseinfester überregionaler terroristischerStrukturen ausgehen, muss diesem Phä-nomenbereich unsere volle Aufmerk-samkeit gelten.

Die internationale Ausrichtung der Ter-rorismusbekämpfung bedarf keiner be-sonderen Begründung. Im europäischenRahmen wurden vielfältige Aktivitätenzur Bekämpfung des Terrorismus entfal-tet. Ich erinnere an den EU-Aktionsplanmit zahlreichen Maßnahmen aus denunterschiedlichsten Politikfeldern. He-rauszuheben ist in diesem Zusammen-hang die gemeinsame europäische Ter-rorismusdefinition und der darauffußende EU-Haftbefehl. Dies sind sehrwichtige Entwicklungen. Aber auch diezukünftige Möglichkeit gemeinsamerErmittlungsgruppen auf EU-Ebene be-grüße ich aus Sicht der Praxis ausdrück-lich.

Blickt man auf die europäischen Koope-rationsrahmen, geben Stichworte wieEUROPOL und die nach den Anschlä-gen in Madrid wieder ins Leben gerufe-ne 2. Counter Terrorism Taskforce, dieEuropean Chiefs of Police Task Force,die G5-Kooperation, die jüngst unter-zeichnete Schengen III-Initiative, diePolice Working Group on Terrorism,aber auch zahlreiche bilaterale Initiati-ven einen Eindruck von der ganzen Viel-falt der polizeilichen Kooperationsforenin der EU. Aber auch darüber hinauswurde seit dem 11.09.2001 auf Ebene derVereinten Nationen, der G8 oder derIKPO, um nur diese zu nennen, inten-siv gearbeitet und umfangreiche Initiati-ven ergriffen. Nur mit internationalerZusammenarbeit kann man dem inter-nationalen Terrorismus wirksam begeg-nen, einem Terrorismus, dessen Wesenja gerade darin besteht, über die Gren-zen hinweg zu agieren und die Vorteileweltweiter Vernetzung gezielt auszunut-zen. Rein nationale Ansätze können hiernicht erfolgreich sein. Aber internatio-nale Kooperation kann auch nur auf derBasis zielführender nationaler Maßnah-men wirklich positive Wirkung entfal-ten.

Das Bundeskriminalamt – und damit diedeutsche Polizei – ist in zahlreichen Ko-operationsrahmen vertreten oder steuertVorschläge zur Verbesserung der inter-nationalen Terrorismusbekämpfung bei.

Aus Ihren Ausführungen ist zu entneh-men, dass sich kaum ein Gremium –sei es auf Ebene der EuropäischenUnion (EU) oder darüber hinaus – nichtschwerpunktmäßig mit der Bekämp-fung des internationalen Terrorismusbeschäftigt. Besteht nicht die Gefahrvon Redundanzen und mangelnderKoordination?

Natürlich besteht durch die Vielzahl derInstitutionen und Gremien immer auchdie Gefahr von Überschneidungen undRedundanzen. Hier ist es wichtig, dieverschiedenen Initiativen vernünftigaufeinander abzustimmen. In vielen Fel-dern besteht aber auch noch großerHandlungsbedarf. Stichworte sind hierdas Europäische Informationssystem, diekonsequente Nutzung der Analysedatei-en bei EUROPOL oder auch die verbes-serte Verzahnung polizeilicher Erkennt-nisse und nachrichtendienstlicherInformationen auf europäischer Ebene,um nur einige Felder zu nennen.

Sehen Sie neue Ansätze bei der Be-kämpfung der PMK?In früheren Jahren wurde die PMK, wieandere Deliktsbereiche auch, mit denMitteln des Strafprozessrechts bekämpft.Selten, dass andere Behörden und derenspezifische Möglichkeiten zusätzlich ge-nutzt wurden.Hier hat ein Umdenken stattgefunden.Unter dem Markenzeichen „Ganzheit-licher Ansatz“ wurden und werden aufnationaler aber auch internationaler Ebe-ne eine Fülle von rechtlichen und tat-sächlichen Maßnahmen ergriffen, umdem Terrorismus in einer möglichstumfassenden Weise zu begegnen. EineVielzahl von Behörden und Einrichtun-gen sind mit ihren spezifischen Aufga-ben und Kompetenzen einzubeziehen.Nationale und internationale Maßnah-men müssen lückenlos in einander grei-fen. „Netzwerken ist durch Netzwerkezu begegnen“.Ohne explizit auf Einzelheiten einzuge-hen, möchte ich beispielhaft nur einigeAufgabenbereiche im Feld der Innenpo-litik nennen, die hier eine Rolle spielen:Visapolitik, Grenzkontrollen, Doku-mentensicherheit, Ausländerrecht oderLuftsicherheit.Wir bei der Abteilung ST halten das füreinen richtigen Ansatz und werden unsauch zukünftig in diesen Prozess volleinbringen.

Wir bedanken uns für dieses Interviewund wünschen Ihnen für Ihre zukünfti-ge Aufgabe alles Gute!

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POLITISCH MOTIVIERTE GEWALTKRIMINALITÄT

Von Bodo Franz, Leiter Abteilung Staatsschutz, Landeskriminalamt Hamburg

Ausgangslage

Seit den Anschlägen vom September2001 beherrschte der Phänomenbereichdes islamistischen Extremismus / Terro-rismus die Arbeitsschwerpunkte insbe-sondere der Staatschutzdienststellen,aber zum Teil auch weiterer andererBereiche der Polizei. Der Phänomenbe-reich des Rechtsextremismus – und vorallem auch die Problematik fremden-feindlicher und antisemitischer Strafta-ten – war dadurch in der öffentlichenWahrnehmung, aber auch zum Teil inder Entwicklung der Fallzahlen und da-mit zusammenhängenden polizeilichenAktivitäten in den Hintergrund getreten.

Nachdem in den letzten Jahren bei denMitgliederzahlen rechtsextremistischerGruppierungen eine kontinuierlicheAbwärtsentwicklung festzustellen war,die auch mit deutlich verringerten Akti-vitäten einherging, sind seit etwa Beginndes Jahres 2004 wieder verstärkte Akti-vitäten und seit etwa Mitte des vergan-

Links-Rechts-Auseinandersetzungen oder„antifaschistischer Kampf“ gegen

rechtsextremistische Zusammenhänge

Bodo FranzLeiter Abteilung StaatsschutzLandeskriminalamt Hamburg

Aktionsformen

Anlässe für Gegenaktionen von autono-men Antifaschisten sind grundsätzlichdie Veranstaltungen von Rechtsextremis-ten in der Öffentlichkeit; im Einzelfallsind es aber auch Veranstaltungen in ge-schlossenen Räumen (z. B. von Bur-schenschaften bzw. schlagenden studen-tischen Verbindungen). BestimmendesLeitmotiv bei den Gegenaktivitäten derautonomen Antifaschisten ist der Slogan„Faschismus ist keine Meinung, sondernein Verbrechen“, aus dem die Legitima-tion zu gewalttätigen Aktionsformenhergeleitet wird.Grundsätzlich werden von antifaschisti-schen Gruppierungen insbesondere Me-dienveröffentlichungen, aber auch die In-ternetseiten von rechtsextremistischenGruppierungen daraufhin ausgewertet,Veranstaltungshinweise zu erlangen, umzeitgerecht Maßnahmen des Gegenpro-testes zu organisieren. Daher kann auchregelmäßig erwartet werden, dass es zuGegenaktionen kommt – angemeldeteoder nichtangemeldete Kundgebungenoder Aufzüge, die einerseits als Treffor-te genutzt werden, andererseits die Basisbieten, von dort aus an die Marschstre-cke der Rechtsextremisten zu gelangen,um zumindest verbal, nach Möglichkeitaber auch körperlich auf den Aufzug ein-zuwirken, um dessen Durchführungzumindest zu beeinträchtigen, möglichstaber gänzlich zu verhindern.Insbesondere dann, wenn nicht genaubekannt ist, wann und auf welcherMarschstrecke ein rechtsextremistischerAufzug stattfinden soll, werden statio-näre Kundgebungen oder kleinere Auf-züge von verschiedenen Örtlichkeitenausgehend angemeldet. Dabei versuchtman sich für seine Planungen den Um-stand zunutze zu machen, dass die Ver-sammlungsbehörde insbesondere dannKooperationsgespräche führen muss,wenn die gewünschten Marschstreckenvon angemeldeten unterschiedlichenAufzügen sich kreuzen oder überlagern

genen Jahres insgesamt ein Aufschwungbei Teilen der rechtsextremistischen Sze-ne zu verzeichnen.Ursächlich hierfür waren zum Teil of-fenbar Wahlabsprachen zwischen rech-ten Parteien, aber vor allem auch derAnsatz, die politischen Schwerpunktthe-men Sozialreformen, EU-Erweiterung,die Bedrohung durch den Islamismusoder die so genannte Wehrmachtsausstel-lung (Titel: „Vernichtungskrieg. Verbre-chen der Wehrmacht 1941 - 1945“) auf-zugreifen und zum Tenor von Demons-trationen und anderen Veranstaltungenzu machen. Zusätzlich wurden aber auchThemenstellungen aufgenommen, dieörtliche Bezugspunkte haben und grund-sätzlich auch die bürgerliche Klientelansprechen sollen.

Vor dem Hintergrund des vorherigenRückganges der rechtsextremistischenAktivitäten war es sehr gut nachvollzieh-bar, dass auch in dem Teil der linksauto-nomen Zusammenhänge, der sich haupt-sächlich auf den „antifaschistischenKampf“ ausgerichtet hat, bereits seit ei-nigen Jahren Auflösungserscheinungenfestzustellen waren, weil sich nur weni-ge Ansatzpunkte für eigene Aktivitätenergaben. Zur Zeit ist noch nicht abseh-bar, ob sich diese Entwicklung aufgrundfestzustellender verstärkten AktivitätenRechter ggf. wieder umkehren wird.

Zunehmend werden somit nunmehrauch wieder polizeiliche Kapazitätendurch Aktivitäten rechtsextremistischerGruppen gebunden. Dies hat auch zurFolge, dass zur Umsetzung des Konzep-tes zur taktischen Bewältigung eines Ein-satzanlasses, das insbesondere die Verhin-derung von Auseinandersetzungen zwi-schen rechtsextremistischen und links-extremistischen Gruppen zum Ziele hat,im Einzelfall Unterstützungskräfte an-gefordert werden müssen, weil die Kräf-te der Bereitschaftspolizei und derAlarmeinheiten des betroffenen Landesnicht ausreichen.

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POLITISCH MOTIVIERTE GEWALTKRIMINALITÄT

oder es sonst zu gegenseitigen Beein-trächtigungen kommen könnte. Überdiese Kooperationsgespräche würde mandann ja Hinweise auf die Streckenfüh-rung des „Gegen“-Aufzuges erlangen.

Ergänzend wird versucht, in den auto-nomen linksextremistischen Widerstandverstärkt auch linksalternative und bür-gerliche Gruppen einzubinden, ggf. zueigenständigen Gegenveranstaltungen zuveranlassen, um aus dem Schutze dieserbürgerlichen Proteste gegen rechtsextre-mistische Veranstaltungen neben ande-ren Widerstandsformen auch gewalttä-tig agieren zu können.

Neben dem Reagieren auf von Rechts-extremisten angemeldete und durchge-führte Aufzüge oder Kundgebungen (z.B. Info-Tische, Mahnwachen) sind ver-einzelt auch „vor- bzw. nachbereitende“Straftaten festgestellt worden. Dabei hates sich insbesondere um Brandstiftungs-delikte gehandelt, die im Vorfeld vonDemonstrationen oder in deren kurzzei-tigem Nachlauf an den Fahrzeugen vonbekannten Vertretern der rechtsextre-mistischen Szene, die als Organisatorenoder Redner in diese Demonstrationeneingebunden waren, durchgeführt wur-den. Im Einzelfall wurde ein Fahrzeugin Brand gesetzt, das bereits als Lautspre-cherwagen bei einer anderen Demons-tration Verwendung gefunden hatte undvermutlich bei einer für den nächstenTag angemeldeten Demonstration eben-falls zu diesem Zweck hätte eingesetztwerden sollen.

Seitens rechtsextremistischer Gruppensind bislang – zumindest in Hamburg –keine vergleichbaren Aktionsformenfestgestellt worden. Da man grundsätz-lich einer auch körperlichen Auseinan-dersetzung mit Antifaschisten wohlnicht aus dem Wege geht, sind auch ver-einzelt Körperverletzungsdelikte festzu-stellen, die nach Sachlage zum Nachteilvon Antifaschisten begangen wurden,aber offenbar keinen Planungsvorlaufaufweisen, sondern situativ aus einerzufälligen Begegnung heraus entstandensind.Proaktives Vorgehen in der Form, dassStraftaten gegen antifaschistische Orga-nisatoren oder Redner einer bevorste-henden linksextremistischen Demons-tration im Vorfeld dieser Veranstaltunggeplant begangen werden, hat es hier je-doch bisher nicht gegeben.

Auch die Existenz linker Kommunika-tionszentren wurde von Rechtsextremis-ten bislang nicht zum Anlass für dieDurchführung von Aufzügen oder von

stationären Veranstaltungen vor diesenObjekten genommen.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich,dass die Auseinandersetzung eine ehereinseitige ist und der Konflikt nichtdurch wechselseitige Angriffs- und Ver-teidigungssituationen bestimmt wird.

Rolle und Situation der Polizei

In der Vergangenheit hat sich gezeigt,dass vor allem die überregional bekann-ten Protagonisten der rechtsextremisti-schen Szene sehr gewissenhaft daraufachten, den Anmeldebehörden für Ver-anstaltungen nach dem Versammlungs-gesetz keinerlei Grundlage für ein Ver-bot von Aufzügen oder Kundgebungenzu liefern.Auch die mit Auflagen versehenen Ver-anstaltungen wurden bisher streng anden Vorgaben orientiert durchgeführt,so dass es in aller Regel für den Polizei-führer weder eine Veranlassung nocheine Möglichkeit gibt, über die Auflagenhinausgehend zu Restriktionen oder gareiner Auflösung vor Ort zu gelangen.Zum Teil wird zwar versucht, Rechts-mittel bis zur höchsten Instanz auszu-schöpfen, ist dies dann aber geschehenoder hat man erklärt, keine Rechtsmit-tel einlegen zu wollen, kann polizeilichauf ein legalistisches Verhalten der Or-ganisatoren und darauf vertraut werden,dass sie entsprechend auf die Veranstal-tungsteilnehmer Einfluss nehmen.

Daraus ergibt sich die wiederkehrendeSituation, dass sich Polizei – auch wennder engagierte Bürger hierfür kaum Ver-ständnis aufbringt – auf den Schutz ei-

ner Veranstaltung von Rechtsextremis-ten einstellen muss, weil auch für diesedas Grundrecht auf Versammlungsfrei-heit gilt.Dass die Verständnislosigkeit der Bürgerzum Teil nachvollziehbar ist, muss aberrechtlich und für die Nachhaltigkeit derDurchführung der polizeilichen Maß-nahmen ohne Bedeutung bleiben.

Von den Antifaschisten wird die Rolleder Polizei als sehr problematisch gese-hen und die Begleitung solcher Aufzügeals Parteinahme interpretiert. Mit demSlogan „Deutsche Polizisten schützendie Faschisten“ wird der Polizei diegleiche ideologische Prägung wie denRechtsextremisten unterstellt. Auf-grund dieser Behauptung einer Über-einstimmung der Polizei im Geiste mitund ihrer ideologischen Nähe zu Rechts-extremisten wird dann auch die Legiti-mation dafür geschaffen, Polizeibeam-te und ihre Einsatzmittel (vor allemEinsatzfahrzeuge, aber auch Dienstge-bäude) als Ersatzangriffsziele anzuneh-men, wenn man an den eigentlichenpolitischen Gegner aufgrund der polizei-lichen Maßnahmen nicht herankommenkann.Das bedeutet, dass die Polizei umso mehrattackiert wird, je wirkungsvoller ihreMaßnahmen zum Schutze einer rechtenVeranstaltung vor Übergriffen durchLinksextremisten sind.

Polizeiliche Einsatzmaßnahmen

Polizeiliche Maßnahmen müssen spä-testens zum Zeitpunkt des Vorliegenseiner Anmeldung einer Veranstaltungnach dem Versammlungsgesetz ansetzen.

Polizeieinsatz bei Neonazi-Demonstration am 02.07.2005 in Hamburg

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POLITISCH MOTIVIERTE GEWALTKRIMINALITÄT

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KRIMINALPOLIZEIHeft 3/0594

Strafprozessordnung auf dem neuesten StandZum 1. Januar ist die Neuauflage 2005der Beckschen Kurzkommentare „Straf-prozessordnung“ erschienen. In dieservon Dr. Lutz Meyer-Goßner kommen-tierten 48. Auflage werden 12 gesetzli-che Novellierungen seit Erscheinen derVorauflage berücksichtigt, von denenüber 70 Vorschriften der StPO betrof-fen sind. Insgesamt befindet sich dasWerk damit wieder auf dem höchstmög-lichen aktuellen Stand.Neben den bekannten kommentiertenInhalten, gehören beispielsweise Einfüh-

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Marschstrecke und des seitlichen Ein-wirkens auf den Aufzug an.Diesbezüglich kommt auch der Ver-einbarung einer taktisch geeignetenStreckenführung für den Aufzug einegroße Bedeutung zu, weil dadurch imEinzelfall in erheblichem UmfangKräfte eingespart werden können.Bei besonderen örtlichen Bedingun-gen können diese Umfeldmaßnahmenbis zur Einrichtung von Sperrpunk-ten um ein Stadtquartier an taktischrelevanten Verkehrsknoten verdich-tet werden.

Bei der Anfahrt der Teilnehmer einer„ rechten“ Veranstaltung zum Ort derAnfangskundgebung muss bereits mitGegenaktionen, die bis zu Körperver-letzungen reichen können, gerechnetwerden. Daher sind die Anfahrtswe-ge vor allem bei der Anreise mit öf-fentlichen Verkehrsmitteln zu über-wachen.

In besonderem Maße gilt dies für dieAbfahrt nach Ende der Veranstaltung,weil hier die Möglichkeit gegeben ist,auf dem Heimweg der Versammlungs-teilnehmer eine günstige Gelegenheitfür einen Angriff zu nutzen.

Unter taktischen Gesichtspunktenwird regelmäßig ein zügiges Entfer-nen der Teilnehmer anzustreben sein,um vor Ort die Gegendemonstrantennicht unnötig lange zu binden. Daherwird sehr häufig der Einsatz von Son-derbussen oder Sonderzügen des U-Bahn-Betreibers oder Eisenbahnunter-nehmens zu prüfen sein. Dabei sollteveranlasst werden, dass die Züge ohneHalt an Bahnhöfen auf der Strecke biszu einem End- bzw. Umsteigebahn-

Dabei geht es zunächst um vorberei-tende Aufklärungsmaßnahmen –insbesondere die Auswertung vonFlugschriften, Tageszeitungen, aberauch der einschlägigen Internet-Seitensowohl rechtsextremistischer Grup-pen (Veranstalter) als auch antifaschis-tischer Gruppierungen (potentielleGegendemonstranten) –, um mög-lichst frühzeitig eine Lageeinschät-zung als Grundlage aller weiterenMaßnahmenplanungen vornehmenzu können.

In diesem Zusammenhang wird dieLageeinschätzung auch wesentlicheEckpunkte für die Erteilung mögli-cher Auflagen bis hin zur Frage einesVerbotes der Veranstaltung setzen (inHamburg ist die Anmeldestelle fürVeranstaltungen nach dem Versamm-lungsgesetz (Versammlungsbehörde)Teil des Führungs- und Lagedienstes– FLD – der Polizei).

Bei der Planung der Einsatzorganisa-tion liegt in aller Regel der Schwer-punkt der Kräfteplanung nicht bei derBegleitung des Aufzuges der rechtsex-tremistischen Teilnehmer, weil auf-grund ihres zu erwartenden legalisti-schen Verhaltens keine durch dieTeilnehmer begründeten besonderenEinsatzprobleme zu erwarten sind.

Das Schwergewicht der Einsatz- undKräfteplanung ist auf eine konsequen-te und kräfteintensive Ausprägung desStreckenschutzes und/oder – je nachÖrtlichkeit und taktischem Konzept– der Umfeldmaßnahmen zu legen.Dabei kommt es insbesondere auf dasVerhindern von Blockaden auf der

hof zu weiterführenden Linien durch-fahren.

Auch vom Veranstalter angemieteteBusse können genutzt werden, wobeihierdurch der Unternehmensnamebekannt wird, was Ansatzpunkte fürAnschlusstaten bieten könnte.

Diese Auflistung von polizeilichen Ein-satzmaßnahmen ist nicht vollständig,sondern stellt lediglich besonders rele-vante Maßnahmen dar, die regelmäßigin derartigen Fällen zu treffen sind undfür eine erfolgreiche Einsatzdurchfüh-rung erforderlich sind. Weitere Maßnah-men (z. B. Verkehrsmaßnahmen) ergän-zen das Konzept.

Fazit

Die Verhinderung von Links-Rechts-Auseinandersetzungen wird wohl auchin Zukunft zu großen und öffentlich-keitswirksamen Einsätzen führen.Da in der Regel die Rechtsextremisten –mit wenigen Ausnahmen – nur relativüberschaubare Teilnehmerzahlen errei-chen, wird in der medialen Aufbereitungwiederholt die Frage gestellt, ob der Ein-satz nicht kräftemäßig überdimensio-niert worden sei, zumal ja nichts passiertsei.Dies wird vermutlich nur den besonderseinsatzerfahrenen Polizeiführer unbeein-druckt lassen, denn er weiß schließlich,dass gerade wegen eines schlüssigen Ein-satzkonzeptes mit einem hohen Kräfte-ansatz auf der Grundlage einer qualifi-zierten Lagebeurteilung erreicht wurde,dass nichts geschehen ist.

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RECHTSEXTREMISMUS

Von Prof. Klaus Staeck, Politgrafiker, Heidelberg

Ich habe nichts gegen Ausländer, aber…

Prof. Klaus StaeckPolitgrafikerHeidelberg

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KRIMINALPOLIZEIHeft 3/05 95

Das erste meiner inzwischen mehr als350 Plakate richtete sich gegen die NPD.Wenn mir 1969 jemand gesagt hätte, dassuns dieses Problem noch nach 35 Jahrenquälen würde, hätte ich das sicher als no-torische Schwarzseherei abgetan.Während man damals noch an eine bio-logische Lösung glaubte, werden heutedie Verfechter eines verqueren rechtenWeltbildes immer jünger, tauchen ihreVertreter in verschiedenen Parlamenten

Eine Erfahrung konnten wir überall ma-chen. Fast alle Initiativen beklagten denäußerst zeitraubenden Kampf um eineminimale finanzielle Absicherung ihrerArbeit. Wenn der Leiter eines Jugend-heims erklärt, dass er einen großen Teilseiner Energie damit vergeuden muss,um an die verschiedensten Fördermittelheranzukommen, damit der normale Be-trieb aufrecht erhalten werden kann, istAbhilfe dringend geboten.

Der Rechtsradikalismus wird zuneh-mend zur Gefahr, weil er sich inzwi-schen ein eigenes kulturelles Umfeld ge-schaffen hat, mit dem er bis in dieMittelschichten eingedrungen ist. Des-halb genügt es auch nicht mehr, ihn pau-schal zu verdammen. Gefragt sind Alter-nativen auf Bundesebene und vor allemvor Ort. Die Rechten vermitteln überMusik, Freizeit- und Abenteuerangebo-te vor allem an Jugendliche ein Gemein-schaftsgefühl in einer weitgehend ver-unsicherten Atmosphäre. Dem müssendie Demokraten etwas entgegensetzen,wenn sie in diesen schwierigen Ausein-andersetzungen erfolgreich sein wollen.

auf und haben die Demokraten der Re-publik durch ihren Einzug in den Säch-sischen Landtag erst jüngstens in Angstund Schrecken versetzt.

Inzwischen ist es nicht bei meinem ers-ten Plakat gegen die Ewiggestrigen miteinem unverhohlenen Anspruch aufmorgen geblieben. Nachgefragt werdensie vor allem von Jugendlichen, die einZeichen gegen die Neonazis setzen wol-len. Vor allem im Osten haben es jene,die sich gegen das dort schon oft mehr-heitsfähige rechte Gedankengut zurWehr setzen wollen, schwer genug. AlsMitglied der Berliner Akademie derKünste habe ich vor Jahren angeregt,besser im Umland durch Schul- und Ju-gendheimbesuche für Demokratie zuwerben, anstatt im Westberliner Akade-miegebäude Kongresse zum ThemaRechtsradikalismus zu veranstalten. Soerfolgten zahlreiche Schulbesuche vorallem im Land Brandenburg mit ganz un-terschiedlichen Erfahrungen in Guben,Fürstenberg, Graansee, Spremberg undTemplin, um nur einige Orte zu nennen.Die Resonanz auf unser Engagement warausschließlich positiv bis auf zwei Begeg-nungen in der Uckermark.

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INNERE SICHERHEIT

1)Die Sicherheitslage befindet sich in ei-nem tiefgreifenden – und da sich schlei-chend vollziehend – weitgehend in sei-ner Dimension nicht erkanntenUmbruch. Konventionelle Kriege wer-den – von einigen Ausnahmen in derGolfregion und im fernen Osten abge-sehen – immer unwahrscheinlicher. DieKonflikte verlagern sich mehr und mehrin die Bevölkerung hinein – sozial, kul-turell, ideologisch und religiös. Proble-me der äußeren Sicherheit vermengensich zunehmend mit Problemen der in-neren Sicherheit.*) Polizei, sonstige Si-cherheitsorgane und Militär dürften des-halb, und zwar schon seit geraumer Zeit,nicht mehr völlig getrennt in die Zu-kunft blicken und planen. Vielmehrmüssten gewisse Vorausplanungen fürkünftige Lagen – wobei man bei nüch-terner Betrachtung eben auch Szenen desworst case im Augen haben muss – mitBlick auf den anderen, zuweilen sogarin gegenseitiger Abstimmung, vorge-nommen werden.

2)Gerade aber in einer Zeit, in der die Ver-antwortungsträger in der alltäglichenArbeit mit aktuellen Aufgaben stark be-lastet, wenn nicht sogar immer wiederauch überlastet sind, ist die Gefahr groß,

Dr. Alfred StümperLandespolizeipräsident i.R.

Waldenbuch

Schleichender Umbruchder allgemeinen SicherheitslageVon Dr. Alfred Stümper, Landespolizeipräsident i.R., Waldenbuch

sich auf künftige Entwicklungen nichthinreichend vorbereiten zu können.Dies beginnt schon im „Ausgangsstadi-um“, dem ersten Schritt einer gediege-nen Planung, nämlich dem Lagebild.Angesichts der Schwierigkeiten einerfundierten Prognose in einer sich aufvielfachen Gebieten oft sprunghaft ver-ändernden Welt ist jeder Politiker – waskein Vorwurf ist – versucht, eben pau-schal Optimismus zu verbreiten und eineweithin auch jetzt schon verunsicherteBevölkerung nicht noch weitergehend„unnütz“ zu beschweren.

Indes bleibt dazu festzustellen: Jedes La-gebild, das so von einem idealen oder garideologischen Wunschbild ausgeht undhofft, die Realitäten würden dem dannauch – wenigstens in etwa – folgen, istkeine tragfähige Planungsgrundlage undmuss zwangsläufig zu Fehlentscheidun-gen führen. Denn wir leben nicht in ei-ner heilen, sondern einer vielfach defizi-tären Welt. Man muss deshalb geradeumgekehrt verfahren, nämlich von dennun mal so gegebenen Realitäten ausge-hen und erst dann versuchen, soweitmöglich, ideale Zielvorstellungen, vonmir aus auch Visionen, einzubringen.

3)Die Komplexität der dabei zwangsläufigin die Überlegungen einzubeziehendenBedrohungen der Sicherheitslage könnenzunehmend Probleme der Handhabungpolizeilich-militärischer Gemengelagenmit sich bringen. Inwieweit es in sol-chen, möglicherweise auch einmal über-raschend auftretenden Fällen politischnoch durchsetzbar ist, eine strenge ope-rative Trennung von polizeilichen undmilitärischen Kapazitäten durchzuhal-ten, ist fraglich – und wohl auch eineFrage der Brisanz, Dichte und Art derBedrohung. Dabei geht es in erster Li-nie nicht um die jetzt schon zuweilen an-gesprochene Frage, was macht die Poli-zei und was macht das Militär, also umeine mehr taktisch orientierte Frage, son-dern entscheidend darum, welche – alle

Einzelmaßnahmen dominierende – Stra-tegie dabei verfolgt wird. Während diemilitärische Strategie grundsätzlich diedes Durchsetzens, Behauptens, Nieder-schlagens und Siegens ist – und das ist sogesehen vom beruflichen Auftrag herauch richtig – , ist oberste Maxime poli-zeilichen Handelns eine Befriedung.

4)In allen insoweit in der jüngsten Zeit inanderen Staaten aufgetretenen Fälle, indenen man bei inneren Konflikten zufrüh zur Strategie des Niederschlagensübergegangen ist, ist es zu lang anhalten-den, erheblichen blutigen Auseinander-setzungen zwischen Staat und Bürgern,wenn nicht sogar zu bürgerkriegsähnli-chen Zuständen, ja, regelrechten Bürger-kriegen gekommen – mit weithin nichtmehr reparablen Folgen einer sich fest-setzenden inneren Verfeindung von Be-völkerungsteilen. Es wird deshalb in derZukunft die eigentlich zentrale Verant-wortung der Sicherheitspolitik darin lie-gen, alle Möglichkeiten einer polizeili-chen Befriedungsstrategie auszuschöpfenund nicht zu früh – ungeduldig oder garresignierend – sich in eine Strategie desNiederschlagens abdrängen zu lassen.

5)Politisch wird man in dieser Grundsatz-forderung wohl weitgehend Zustim-mung erfahren. Aber auch hier gilt esrealistisch zu sein, d.h. zu bedenken, dasssich die Entwicklung nach den Realitä-ten und nicht nach unseren Wünschenausrichten wird. Dies wiederum bedeu-tet, dass wir schon heute klare Regelun-gen schaffen müssen, die bei unvorher-sehbaren Eskalationen „da“ sind und diedann hektischen Eilentscheidungen, diesich erfahrungsgemäß nach den jeweili-gen augenblicklichen Machtverhältnis-sen ausrichten würden, keinen Raumlassen. Insoweit gibt es allerdings viel zutun.

Der Ansatz zur Erarbeitung entspre-chender Regelungen hat ganz „vorne“,

*) Vergleiche auch den Beitrag „Polizeilich-militärische Gemengelagen“ in Heft 4 / 2004

DIE

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INNERE SICHERHEIT

und zwar bei einer grundsätzlichen Fest-stellung zu erfolgen: Die Aufrechthal-tung der Sicherheit ist keine alleinigeAufgabe der Polizei und sonstiger Sicher-heitseinrichtungen, auch keine Aufgabezusammen mit dem Militär und auchkeine alleinige Aufgabe des Staates, son-dern sie liegt zu aller Letzt in der Ver-antwortung der ganzen Gesellschaft.Denn diese bestimmt

– den speziellen Auftrag und den recht-lichen Rahmen in der Verfassung undin den Gesetzen,

– die qualitativen und quantitativen per-sonellen Kapazitäten sowie die sachli-chen, speziell auch finanziellen Mittel,die zur Aufgabenwahrnehmung zurVerfügung gestellt werden,

– und nicht zu Letzt den moralischenRückhalt, den sie den Frauen undMännern gibt, die ihre Arbeitskraft, ja,ihre Lebenskraft, immer wieder auchLeib und Leben in die Erfüllung ihresBerufs einbringen.

6)Wie sieht es aber damit aus?

RechtslageEs sind hier zwei Punkte anzusprechen:

Die Regelungen hinsichtlich des Einsat-zes des Bundesgrenzschutzes und derBundeswehr in den Artikeln 87a und 91GG gehen von einem, jedenfalls zumgroßen Teil überholten Lagebild einesVerteidigungsfalls aus – bildlich gespro-chen, dass Sirenen heulen und feindlicheTruppen in unser Staatsgebiet einmar-schieren. „Moderne“ Kriege beginnenjedoch schleichend, so mit einzelnen ter-roristischen Aktionen, dem Einsickernoder der Rekrutierung von gewaltberei-ten „Kämpfern“, mit Viren, die mannicht nur in Computer, sondern auch indie Köpfe einpflanzt, einem Aufbau vonDrohszenarien, Geiselnahmen, An-schlägen – möglichst auch auf die ganzeBevölkerung erschreckende „weiche Zie-le“, usw., usw.

Nach Art. 30 GG liegt die Grundverant-wortung für den polizeilichen Aufgaben-bereich bei den Ländern. Wie sieht aberdie verfassungsmäßig Realität aus?Zerbröseln nicht immer mehr unsereLänderpolizeien – nicht nur äußerlich imErscheinungsbild, sondern auch in ihrenpolizeirechtlichen Vorgaben, in Ausbil-dung und Werdegang, in der technischenAusstattung, in den Tarifen ihrer Mitar-beiter usw.? Ziehen sich die Länder nichtaus Gründen haushaltsmäßiger Zwänge

mehr und mehr aus diesem Auftragsbe-reich zurück und schaffen somit zuneh-mend Raum für eine insoweit dann auchnotwendige Übernahme von polizeili-chen Aufgaben durch den Bund? Undverfügt der Bund dabei nicht auch in derBundeswehr über zwar völlig anders aus-gerichtete Einsatzkapazitäten, wobeiman dann in Notlagen politisch sehrwohl versucht sein könnte, auch auf die-se „Kraftreserve“ zurückzugreifen.Wenn man schließlich in diesem Kon-text bedenkt, dass Grundvoraussetzungfür einen erfolgreichen Einsatz ganz ein-fache und klare Befehlsverhältnisse sind,dann können einem angesichts der da-mit auftretenden vielfachen Zuständig-keitsüberlappungen die schlimmstenSorgen beschleichen.

Personelle Kapazitäten und MitteleinsatzSparzwänge zwingen zunehmend zurRückführung der Kapazitäten im Sicher-heitsbereich. Daran ändern auch noch sogut formulierte Formulierungen wie„Straffung“ und „Erhöhung der Schlag-fähigkeit“ nichts; mit solchen rhetori-schem Übertünchen macht man sich nurwas vor – und das ist immer besondersgefährlich. Vielmehr kommt es ange-sichts beschränkter Ressourcen daraufan, die künftigen Bedrohungen und diedaraufhin ausgelegten Gegenmaßnah-men unter Effizienzgesichtspunkten völ-lig neu zu überlegen und zu werten.Dabei gilt es, überalterte Vorstellungenabzustreifen, Doppelarbeit abzustellenund keine neuen Leerräume entstehenzu lassen.

Insgesamt wird man nicht um u.U.schmerzliche finanzielle Schwerpunkt-verlagerungen herumkommen. Auchinsoweit könnte die sehr unterschiedlichausgeprägte Logistik von Polizei undMilitär die Gefahr einer falschen Strate-giekonzeption entstehen lassen – jeden-falls wenn nach der Parole verfahrenwürde, wer anschafft und bezahlt, be-stimmt. Auf alle Fälle aber dürfen Spar-zwänge nicht isoliert gesehen und alleinressortmäßig „intern“ ausgeglichen wer-den. Vielmehr sind dies angesichts derSituation, in der wir uns befinden undmöglicherweise noch tiefer hinein gera-ten können, Generalfragen der gesamtenHaushaltspolitik – von den umstrittenenFragen wie einer Erhöhung der Mehr-wertsteuer und dem Abbau von Subven-tionen bis zu Grundfragen unserer fö-deralistischen Struktur, so beispielsweise,ob es in einer Zeit der EuropäischenUnion mit einem ohnehin schwer zubeherrschenden Zusammengehen von 26unterschiedlichen Staaten noch sinnvollist, sich 16 Bundesländer zu „leisten“,

und ob nicht 7 starke große Bundeslän-der gerade in der Zukunft das föderalis-tische Element unserer Verfassung vielbestandskräftiger einbringen könnten alsdie derzeit zerfledderte Situation.

Moralischer RückhaltDie Frage muss hier gestellt werden dür-fen: Ist unsere Bevölkerung in der Reali-tät in ihren existentiellen Wertvorstel-lungen nicht nur äußerst unterschiedlich,sondern auch verunsichert, um nicht zusagen „aufgeweicht“, ja, vielleicht sogarweithin unpositioniert? Müssen nichtimmer wieder echte, zukunftsorientier-te Werte wie Toleranz und Menschen-freundlichkeit dazu herhalten, um eige-ne Positionslosigkeit, Ängstlichkeit,politische und auch moralische Lethar-gie oder gar Egoismus zu tarnen? Hin-terfragen wir nicht echte – wenn auchso genannte „Sekundärtugenden“ – Wer-te wie Vaterland, Pflichterfüllung, Ord-nung usw. penibel und überlassen diesedabei sogar noch den Falschen? Wennman aber echte Werte den Falschen über-lässt, dann wertet man entweder geradedie Falschen auf oder man verfälscht dieWerte. Echte Werte dürfen kein bloßerZierrat für Festreden, anspruchsvolleAufsätze oder Programme von politi-schen Parteien, Kirchen und sonstigengesellschaftlichen Einrichtungen sein,sondern sie müssen in der Gesellschaftund im Alltag „leben“. Und man mussnicht nur einen eigenen Standpunkt ha-ben, sondern man muss ihn auch vertre-ten, zu ihm stehen. Wer nach allen Sei-ten hin sich verneigt, zeigt auch jederSeite seinen Hintern!

7)Fazit:Wir müssen die letztlich uns allen oblie-gende Verantwortung für die Sicherheiternst nehmen – und zwar demokratischorientiert: Das heißt, die Politik darfnicht in die Gefahr geraten, sich zu ver-selbstständigen oder gar abzuschotten.Sie muss ihre Legitimation vielmehr auseinem in der breiten Bevölkerung ver-ankerten Wertebewusstsein schöpfenund angesichts der immer größerenSchwierigkeiten unseres modernen Le-bens sich immer wieder neu dem Rat vonFachkundigen öffnen. Vereinfacht undschlagwortartig ausgedrückt ist es einDreisprung: Das Volk sagt, was es will,Fachleute stellen fest, was man kann, unddie Politik setzt, soweit möglich, um.Dies gilt auch für die Sicherheit als un-verzichtbarem Teil unserer persönlichenFreiheit.

DIE

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§RECHTSPRECHUNG

Wohnungsdurchsuchung und die Be-schlagnahme eines Mobiltelefons unddas Auslesen von Verbindungsdaten(Kammerbeschluss vom 4.2.2005, Az.:2BvR 308/04)

Das Bundesverfassungsgericht hat am 4.Februar eine Entscheidungen verkündet,die für die kriminalpolizeiliche Arbeit vonerheblicher Bedeutung ist. Sie betrifft eineWohnungsdurchsuchung und die Beschlag-nahme eines Mobiltelefons und das Aus-lesen von Verbindungsdaten aus diesemMobiltelefon (Kammerbeschluss vom 4. 2.2005, Az.: 2BvR 308/04)

1. Leitsätze (des Bearbeiters)

a) Eine Wohnungsdurchsuchung ist einschwerwiegender Eingriff, dementspre-chend ist deren Anordnung nach Art. 13Abs. 2 GG grundsätzlich dem Richter vor-behalten. Es ist sicherzustellen, dass einetatsächlich wirksame präventive richterli-che Kontrolle der Wohnungsdurchsuchun-gen geschaffen wird. Dies umfasst die Er-reichbarkeit eines Ermittlungsrichters beiTage, auch außerhalb der üblichen Dienst-stunden, und während der Nachtzeit, so-weit ein praktischer, nicht auf Ausnahme-fälle beschränkter Bedarf besteht.

b) Polizei und Staatsanwaltschaft müssenbeachten, dass eine nicht auf richterlicherAnordnung beruhende Wohnungsdurch-suchung Ausnahmecharakter hat. DerDurchsuchung muss in aller Regel derVersuch vorausgehen, einen Ermittlungs-richter zu erreichen bzw. bei dessenUnerreichbarkeit einen Staatsanwalt.Keinesfalls darf die Regelzuständigkeit desErmittlungsrichters dadurch unterlaufenwerden, dass solange gewartet wird, bis dieGefahr eines Beweismittelverlustes einge-treten ist; selbst herbeigeführte tatsächli-che Voraussetzungen können „Gefahr im

Verzuge“ und damit eine Eilkompetenznicht begründen.

c) Gegebenenfalls muss die nachträglicherichterliche Überprüfung der Durchsu-chungsvoraussetzungen ermöglicht wer-den, d. h., die handelnden Beamten müs-sen die Bezeichnung des Tatverdachts, dieBezeichnung der gesuchten Beweismittel,die tatsächlichen Umstände, auf die dieGefahr des Beweismittelverlustes gestütztwird und die Bemühungen, einen Ermitt-lungsrichter (bzw. bei dessen Unerreich-barkeit einen Staatsanwalt) zu erreichen,in einem vor oder unverzüglich nach derDurchsuchung zu fertigenden Vermerkvollständig dokumentieren.

d) Die in einem Mobiltelefon oder auf dereingelegten SIM-Karte gespeicherten Da-ten geben Auskunft über Einzelheiten derabgegangenen, angenommenen und zwarempfangenen, aber nicht angenommenenAnrufe, wobei üblicherweise die Zeit desVorgangs und, soweit nicht technisch oderdurch Einstellung ausgeschlossen, die Ruf-nummer des anderen Anschlusses festge-halten werden. Diese Informationen, ob,wann und wie oft zwischen Fernmeldean-schlüssen Fernmeldeverkehr stattgefundenhat oder versucht worden ist, gehören zuden von Art. 10 Abs. 1 GG geschütztenKommunikationsumständen, von denender Staat grundsätzlich keine Kenntnis be-anspruchen darf, damit die vertraulicheNutzung des Kommunikationsmittelsmöglich ist.

e) Für Eingriffe in dieses Grundrecht istgemäß Art. 10 Abs. 2 GG eine gesetzlicheGrundlage erforderlich, die den Anlass,den Zweck und die Grenzen des Eingriffsbereichsspezifisch, präzise und normenklarfestlegt. Eine solche gesetzliche Grundla-ge findet sich in den §§ 100g und 100hStPO. Besteht eine begründete Vermutungdafür, dass für ein Ermittlungsverfahrendienliche Verbindungsdaten bei einem Be-schuldigten aufgezeichnet oder gespeichertsind, so darf eine Beschlagnahme der Da-tenträger nur unter den Voraussetzungender §§ 100g, 100h StPO erfolgen, d. h., nurbei Straftaten von erheblicher Bedeutungund aufgrund eines richterlichen Beschlus-ses, bei Gefahr im Verzuge auch aufgrundeiner staatsanwaltschaftlichen Anordnung,nicht aber aufgrund allein polizeilicherEntscheidung.

2. Sachverhalt

Die Polizei ermittelte in einer Serie vonEinbruch- und Autodiebstählen, bei derein oder mehrere Täter in Wohnhäuser ein-drangen, Fahrzeugschlüssel an sich brach-

ten und die entsprechenden Pkw entwen-deten. Am 12. 6. 2003 wurde vor demHaus, in dem der Beschwerdeführer (Bf.)eine von 15 Wohnungen bewohnt, ein miteinem gestohlenen Kennzeichen versehe-nes Fahrzeug aufgefunden. Aufgrund einesHinweises eines anderen Hausbewohnerssuchten Polizeibeamte gegen 17.00 Uhrden Bf. in seiner Wohnung auf, der eineVerbindung zu dem aufgefundenen Fahr-zeug abstritt. Bei der Sicherstellung des Kfzstellte die Polizei fest, dass das Fahrzeugbei der Diebstahlsserie gestohlen wordenwar. Nach der Befragung einer weiterenHausbewohnerin, die eine Beschreibungeines bei dem Fahrzeug gesehenen Man-nes gab, die dem Aussehen des Bf. ent-sprach, suchten die Beamten den Bf. gegen19.00 Uhr erneut auf, durchsuchten seineWohnung, nahmen ihn vorläufig fest undstellten ein aufgefundenes Mobiltelefon si-cher, um Gespräche zu ermitteln, die derBf. möglicherweise nach dem ersten Auf-suchen durch die Polizei geführt habenkönnte. Diese Geschehen wurde von ei-nem Polizeibeamten in einem Vermerkdokumentiert, der als Anlage zur Festnah-meanzeige zu den Akten genommen wur-de. Die auf der SIM-Karte gespeichertenDaten wurden ausgelesen und die Auf-zeichnung zu den Akten genommen. DerBf. wurde noch am gleichen Tage freige-lassen, das Mobiltelefon am 16. 6. 2003 zu-rückgegeben. Der Tatverdacht gegen denBf. bestätigte sich nicht.

Auf Beschwerde gegen die Entscheidungdes zunächst angerufenen AG stellte dasLG die Rechtwidrigkeit der Festnahmefest, erklärte die Durchsuchung für recht-mäßig und lehnte es ab, über die Beschlag-nahme zu entscheiden, da mit der Heraus-gabe des Mobiltelefons das Rechtsschutz-bedürfnis entfallen sei. In seiner Verfas-sungsbeschwerde machte der Bf. eine Ver-letzung seiner Grundrechte aus Art. 13Abs. 1 und 2 GG, Art. 19 Abs. 4 GG undArt. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG(Recht auf informationelle Selbstbestim-mung) geltend.

Der Verfassungsbeschwerde wurde stattge-geben, da sie offensichtlich begründet ist.

3. Aus den Gründen

a) Zur Wohnungsdurchsuchung

Die Durchsuchung der Wohnung des Bf.ist an Art. 13 Abs. 1 und 2 GG zu messen.Hierzu führt das BVerfG aus, dass Art. 13Abs.1 GG einen räumlich geschützten Be-reich der Privatsphäre gewährt, in dem je-dermann das Recht hat, in Ruhe gelassenzu werden. In die Wohnung eines Verdäch-

DIE

KRIMINALPOLIZEIHeft 3/0598

Dr. Rolf MeierPolizei-Führungsakademie

Münster

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§RECHTSPRECHUNG

tigen darf zum Zweck der strafrechtlichenErmittlung nur eingedrungen werden,wenn sich gegen ihn ein konkret zu be-schreibender Tatvorwurf richtet, der Ein-griff in die Unverletzlichkeit der Wohnungim angemessenen Verhältnis zur Stärke desTatverdachts steht und außerdem zur Er-mittlung und Verfolgung der Straftat er-forderlich ist, also den Erfolg verspricht,geeignete Beweismittel zu erbringen1.

Eine Wohnungsdurchsuchung ist einschwerwiegender Eingriff, dementspre-chend ist deren Anordnung nach Art. 13Abs. 2 GG grundsätzlich dem Richter vor-behalten, da dieser als unabhängige undneutrale Instanz durch eine vorbeugendeKontrolle der Maßnahme die Rechte desBetroffenen im Einzelfall am besten undam sichersten wahren kann2.

Daraus ergeben sich laut BVerfG zweier-lei Anforderungen: Zum einen haben dieLandesjustiz- und die Gerichtsverwaltun-gen und die Ermittlungsrichter sicherzu-stellen, dass der Richtervorbehalt alsGrundrechtssicherung praktisch wirksamwird, eine tatsächlich wirksame präventi-ve richterliche Kontrolle der Wohnungs-durchsuchungen geschaffen wird. Diesumfasst die Erreichbarkeit eines Ermitt-lungsrichters bei Tage, auch außerhalb derüblichen Dienststunden, und während derNachtzeit, soweit ein praktischer, nicht aufAusnahmefälle beschränkter Bedarf be-steht.Zum anderen müssen Polizei und Staats-anwaltschaft beachten, dass eine nicht aufrichterlicher Anordnung beruhende Woh-nungsdurchsuchung (also bei Gefahr imVerzuge) Ausnahmecharakter hat. DerDurchsuchung muss in aller Regel derVersuch vorausgehen, einen Ermittlungs-richter zu erreichen bzw. bei dessen Un-erreichbarkeit einen Staatsanwalt.Keinesfalls darf die Regelzuständigkeit desErmittlungsrichters dadurch unterlaufenwerden, dass solange gewartet wird, bis dieGefahr eines Beweismittelverlustes einge-treten ist, auch selbst herbeigeführte tat-sächliche Voraussetzungen können „Ge-fahr im Verzuge“ und damit die Eil-kompetenz nicht begründen3.Gegebenenfalls muss die nachträglicherichterliche Überprüfung der Durchsu-chungsvoraussetzungen ermöglicht wer-den, d. h., die handelnden Beamten müs-sen

die Bezeichnung des Tatverdachts,die Bezeichnung der gesuchten Beweis-mittel,die tatsächlichen Umstände, auf die dieGefahr des Beweismittelverlustes ge-stützt wird unddie Bemühungen, einen Ermittlungs-

richter (bzw. bei dessen Unerreichbar-keit einen Staatsanwalt) zu erreichen,

in einem vor oder unverzüglich nach derDurchsuchung zu fertigenden Vermerkvollständig dokumentieren4.

Diesen Anforderungen wurde im vorlie-genden Fall nicht entsprochen. Weder warein Grund dafür erkennbar, noch nichteinmal einen Versuch unternommen zuhaben, einen Durchsuchungsbeschluss zubeantragen, da zwischen 17.00 Uhr und19.00 Uhr wenigstens ein richterlicher Be-reitschaftsdienst zur Verfügung gestandenhaben musste, noch genügte der angefer-tigte Vermerk den o.g. Anforderungen. Indiesem fanden sich weder Erwägungen zurbesonderen Dringlichkeit der Durchsu-chung noch zu den Gründen, keinen Ver-such unternommen zu haben, einen Staats-anwalt oder Ermittlungsrichter zu er-reichen5.

Zum Vorgehen der Polizeibeamten führtdas BVerfG weiter aus, wenn diese nachdem ersten Aufsuchen des Bf. neue Er-kenntnisse über die Zugehörigkeit desFahrzeugs zu der Einbruch- und Dieb-stahlsserie gewonnen hätten und den Bf.nunmehr einem organisierten Täterkreiszugerechnet hätten, hätte sich ihnen dieÜberlegung aufdrängen müssen, dass derBf. auf das erste Aufsuchen reagiert und,nunmehr gewarnt, die verstrichenen zweiStunden dazu genutzt hätte, Beweismittelbeiseite zu schaffen. Daraus hätten sie nichtauf eine erhöhte Dringlichkeit der soforti-gen Durchsuchung schließen dürfen. Viel-mehr hätten sie in Erwägung zu ziehengehabt, dass nun eine Durchsuchung nichtnur nicht dringlich, sondern sogar zweck-los und damit unverhältnismäßig erschei-nen musste6.

b) Zur Beschlagnahme des Mobiltele-fons

Zur Beschlagnahme des Mobiltelefons undzum Auslesen der Verbindungsdaten führtdas BVerfG aus, dass dies den Schutzbe-reich von Art. 10 GG berührt. Die in einemMobiltelefon oder auf der eingelegten SIM-Karte gespeicherten Daten geben Auskunftüber Einzelheiten der abgegangenen, an-genommenen und zwar empfangenen, abernicht angenommenen Anrufe, wobei üb-licherweise die Zeit des Vorgangs und, so-weit nicht technisch oder durch Einstel-lung ausgeschlossen, die Rufnummer desanderen Anschlusses festgehalten werden.Diese Informationen, ob, wann und wieoft zwischen Fernmeldeanschlüssen Fern-meldeverkehr stattgefunden hat oder ver-sucht worden ist, gehören zu den von Art.

10 Abs. 1 GG geschützten Kommunikati-onsumständen, von denen der Staat grund-sätzlich keine Kenntnis beanspruchen darf,damit die vertrauliche Nutzung des Kom-munikationsmittels möglich ist7.

Für Eingriffe in dieses Grundrecht ist ge-mäß Art. 10 Abs. 2 GG eine gesetzlicheGrundlage erforderlich, die den Anlass,den Zweck und die Grenzen des Eingriffsbereichsspezifisch, präzise und normenklarfestlegt, damit sich der betroffene Bürgerdarauf einstellen kann, dass die gesetzes-ausführende Verwaltung für ihr Verhaltensteuernde und begrenzende Handlungs-maßstäbe vorfindet und dass die Gerichtedie Rechtskontrolle durchführen können8.Eine solche gesetzliche Grundlage findetsich in den §§ 100g und 100h StPO.

Weiter führt die Kammer aus, dass die Sub-sidiaritätsklausel des § 100g Abs. 2 StPO,wonach das Auskunftsverlangen gegenü-ber Telekommunikationsdienstleisternüber Verbindungsdaten nachrangig gegen-über anderen Ermittlungsmaßnahmen ist,so zu verstehen ist, dass ein Auskunftsver-langen unzulässig ist, wenn der fraglicheSachverhalt durch andere Ermittlungsmaß-nahmen, die nicht auf Telekommunikati-onsverbindungsdaten zugreifen, aufzuklä-ren ist. Wird aber anders als durch einAuskunftsverlangen auf Verbindungsdatenzugegriffen, die der Betroffene in seinemprivaten Bereich vor der Kenntnisnahmedurch Ermittlungsbehörden verborgenhält, so stellt § 100g Abs. 2 StPO nicht vonden Beschränkungen frei, von denen einAuskunftsverlangen abhängt9.

Die auf Art. 10 Abs. 2 GG beruhende Be-grenzungsfunktion dieser Normen verbie-tet den Ermittlungsbehörden eine Um-gehung der dort geregelten materiellenund verfahrensmäßigen Schranken durchandere Zwangsmaßnahmen, die solchenSchranken nicht unterliegen. Besteht einebegründete Vermutung dafür, dass für einErmittlungsverfahren dienliche Verbin-dungsdaten bei einem Beschuldigten auf-gezeichnet oder gespeichert sind, so darfeine Beschlagnahme der Datenträger nurunter den Voraussetzungen der §§ 100g,100h StPO erfolgen, d. h., nur bei Strafta-ten von erheblicher Bedeutung und auf-grund eines richterlichen Beschlusses, beiGefahr im Verzuge auch aufgrund einerstaatsanwaltschaftlichen Anordnung, nichtaber aufgrund allein polizeilicher Entschei-dung10.

4. Anmerkungen

a) Zur WohnungsdurchsuchungDas BVerfG folgt auch in diesem Beschluss

DIE

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§RECHTSPRECHUNG

den Grundsätzen, die es in den bisherigenEntscheidungen zur Wohnungsdurchsu-chung und zur Gefahr im Verzuge entwi-ckelt hat11. Demnach ist eine richterlicheAnordnung als Instrument des vorbeugen-den Grundrechtsschutzes die regelmäßigeVoraussetzung für eine Wohnungsdurch-suchung. Von dieser Regel darf nur unterden eng auszulegenden Voraussetzungender „Gefahr im Verzuge“ ausnahmsweiseabgewichen werden, wobei aber eine vol-le (nachträgliche) gerichtliche Kontrolledadurch ermöglicht werden muss, dass derAnordnende vor oder unmittelbar nachder Durchsuchung seine für den Eingriffbedeutsamen Erkenntnisse und Überlegun-gen in den Akten dokumentiert. Hierzuenthält der Beschluss aufschlussreiche, dieAnforderungen an den Inhalt dieser Do-kumentation konkretisierende Ausführun-gen. Auch wird deutlich, welche Über-legungen zur Gefahr im Verzuge vomBVerfG als nicht tragfähig erachtet wer-den.Weiterhin wird nochmals deutlich auf dieVerpflichtung der Justiz- und Gerichtsver-waltungen hingewiesen, bei Vorliegen ei-nes praktischen, nicht nur auf Ausnahme-fälle beschränkten Bedarfs die Erreich-barkeit eines Ermittlungsrichters sicherzu-stellen, damit der Richtervorbehalt desArt. 13 Abs. 2 GG als Grundrechtssiche-rung praktisch wirksam wird.

b) Zur Beschlagnahme des Mobiltele-fons

Die Ausführungen der Kammer zur Be-schlagnahme und zum Auslesen der Tele-kommunikationsdaten werfen einige Fra-gen auf. Zunächst bleibt die Kammer imHinblick auf das Fernmeldegeheimnis imRahmen der bisherigen Rechtsprechungdes BVerfG. Der Schutzbereich des Fern-meldegeheimnisses nach Art. 10 Abs. 1 GGerfasst neben dem Inhalt auch die bloßeTatsache der Kommunikation sowie dienäheren Umstände, ob, wann, wie oft undzwischen welchen Personen Fernmelde-verkehr stattgefunden hat oder versuchtwurde12. Auch der Ort, von dem aus Tele-kommunikationsvorgang erfolgt, unter-fällt diesem Schutzbereich13. Dieser Grund-rechtsschutz besteht auch für gesprächs-bezogene Informationen, die gespeichertoder sonst verarbeitet werden14. Art. 10Abs. 1 GG schützt somit umfassend dieVertraulichkeit individueller Kommunika-tion, wenn die Kommunikationspartnerwegen einer räumlichen Distanz auf eineÜbermittlung durch Dritte angewiesensind, die Kommunikation also in beson-derer Weise dem Zugriff Dritter ausgesetztist15.

keine tragende Rolle für die Entscheidunghaben. Die Bindungswirkung der Ausfüh-rungen zum Schutzbereich des Art. 10 Abs.1 GG unterliegt solchen Zweifeln in ge-ringerem Ausmaß, da die Kammer im Rah-men der Prüfung des Art. 19 Abs. 4 GGsehr eindeutig auf die Notwendigkeit hin-weist, dass sich das LG mit Art. 10 Abs. 1und 2 GG hätte auseinandersetzen müssen.Wie Rechtsprechung und Literatur dieseEntscheidung aufnehmen, bleibt abzuwar-ten. Jedenfalls sollten sich die Strafverfol-gungsbehörden auf diese Rechtsprechungeinstellen und – wo immer möglich – ent-sprechende richterliche Anordnungen er-wirken. Dass das „Ermittlungsgeschäft“hierdurch nicht gerade erleichtert wird,liegt auf der Hand.

5. Fundstellen und Literatur

NJW 2005, S. 1637-1640NStZ 2005, S. 337-340 mit Anm. von Hau-schild, Joernwww.bverfg.de/entscheidungen/frames/rk20050204_2bvr030804Götz, Hansjörg, Sicherstellung von Mobil-telefonen, Kriminalistik 2005, S. 300 – 302

Fußnoten:

1 BVerfG, NJW 2005, S. 1638. 2 BVerfG, NJW 2005, a. a. O. 3 BVerfG, NJW 2005, a. a. O. 4 BVerfG, NJW 2005, S. 1638. 5 BVerfG, NJW 2005, S. 1639. 6 BVerfG, NJW 2005, a. a. O. 7 BVerfG, NJW 2005, S.1639, mit Verweis u. a.

auf BVerfG, NJW 2004, S. 2213. 8 BVerfG, NJW 2005, a. a. O. 9 BVerfG, NJW 2005, S. 1640.10 BVerfG, NJW 2005, a. .a. O.11 BVerfGE 103, 142 ff; BVerfG, NJW 2004, S.

1442.12 BVerfGE 67, 157, 172; 100, 313, 358.13 Vgl. Herzog in Maunz/Dürig, Komm. z. GG,

Rn 18; Hömig in Seifert/Hömig, GG, Art. 10,Rn 4.

14 BVerfG, NJW 2003, S. 1789 f.15 BVerfGE 85, 386, 397 ff; 100, 313, 359; 106, 28,

36; BVerfG, NJW 2002, S. 3620; Hauschild,NStZ 2005, S. 340.

16 BGHSt 42, 139, 154; Meyer-Goßner, StPO, §100a, Rn 1; in diese Richtung auch BVerfGE 106,28, 36. Eingehend auch Hauschild, NStZ 2005,S. 339 f.

17 Hauschild, NStZ 2005, S. 340; Bär, MMR 2002,S. 407; KK-Nack, § 100a StPO, Rn 5; Welp,NStZ1994, S. 295.

18 BVerfGE 20, 56, 87; 40, 88, 93 f.19 Götz, Kriminalistik 2005, S. 301.20 Vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge,

BVerfGG, § 31, Rn 84; Rixen, NVwZ 2000, S.1364.

21 Götz, Kriminalistik 2005, S. 301 f.22 Hauschild, NStZ 2005, 340.

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Daraus wurde bislang ganz überwiegendgeschlossen, dass der Schutzbereich desArt. 10 Abs. 1 GG dann endet, wenn derKommunikationsvorgang endet, die Nach-richt bei dem jeweiligen Empfänger ange-kommen ist, also am Endgerät des Tele-kommunikationsteilnehmers16.Demzufolge wurden staatliche Zugriffe,die auf gespeicherte Kommunikationsda-ten im Herrschaftsbereich des Empfängerserfolgten, nicht an Art. 10 Abs. 1 GG ge-messen; die §§ 100a, 100g StPO wurdenals nicht einschlägig angesehen und dieMaßnahmen entsprechend auf §§ 94 ff.,110 StPO gestützt17.Folgt man den Ausführungen in diesemBeschluss, so sind künftig Zugriffe aufVerbindungsdaten, die der Betroffene imprivaten Bereich verborgen hält, also Zu-griffe auf im Mobiltelefon und SIM-Kartegespeicherte Daten, aber auch auf entspre-chende Daten im Datenspeicher eines sta-tionären Hausanschlusses, auf Rechnungenmit Einzelverbindungsnachweis, ggfs. auchauf eingegangene Faxe und gespeicherteMitteilungen auf Anrufbeantwortern, nurnoch nach Maßgabe der §§ 100a, 100b bzw.100g, 100h StPO möglich, also bei Vorlie-gen einer Katalogtat und aufgrund richter-licher Anordnung.Nach bisheriger Auffassung und Praxisrealisierte sich bei diesen Zugriffen nichtdas besondere Risiko der Nutzung von Te-lekommunikationseinrichtungen im Sinnedes Art. 10 GG.

Die Folgerungen aus diesem Beschluss desBVerfG für die Tätigkeit der Strafverfol-gungsbehörden hängen zunächst von derBindungswirkung der Kammerentschei-dung ab. Die Bindungswirkung von Ent-scheidungen des BVerfG ergibt sich aus §31 BVerfGG, sie umfasst die Entschei-dungsformel und die sie tragenden Grün-de18. Welches die tragenden Gründe sind,ist anhand objektiver Kriterien zu ermit-teln19. Die Frage, ob diese Bindungswir-kung auch Kammerentscheidungen zu-kommt, ist zwar umstritten, wird aberüberwiegend mit Hinweis auf § 93c Abs.1 Satz 2 BVerfGG, wonach stattgebendeKammerentscheidungen den Senatsent-scheidungen gleichstehen, bejaht20.

Auf den vorliegenden Fall bezogen wirdteilweise eine Bindungswirkung der Aus-führungen der Kammer zum Schutzbe-reich des Art. 10 GG beim Auslesen vonDaten aus Mobiltelefon und SIM-Karteund zur Sperrwirkung der §§ 100g, 100 hStPO verneint21, teilweise wird die Frageoffengelassen22. Nach hiesiger Auffassungerscheint zumindest die Bindungswirkungder Ausführungen zur Sperrwirkung der§§ 100g, 100h StPO zweifelhaft, da diese

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ORGANISIERTE KRIMINALITÄT

Vorbemerkung

Mit dem Tag der so genannten Osterwei-terung der EU am 01.05.2004 erhieltenzehn ost- und mitteleuropäische Staatendie Vollmitgliedschaft in der EU. Die-ser bedeutende Schritt in Richtung dereuropäischen Einigung gab den Bürgerndurch den Status eines EU-Bürgers so-wie auch der Wirtschaft neue Zukunfts-perspektiven.Mit gleichem Datum wurden jedochauch die westeuropäischen Länder fürdie kriminellen Machenschaften vonMenschenhändlern und Schleusern deut-lich attraktiver. Die Einwohner der mit-tel- und osteuropäischen Staaten habennunmehr die Möglichkeit sich legal übereinen längeren Zeitraum im gesamtenBereich der EU und damit auch inDeutschland aufzuhalten. Das Gefällevon Arm und Reich wird nicht mehrdurch Ländergrenzen behindert. Dieseneue Situation eröffnete der genanntenKlientel deutlich verbesserte Möglichkei-ten der Gewinnmaximierung bei gleich-zeitiger Senkung des Strafverfolgungsri-sikos.Dieser Beitrag beschäftigt sich mit effek-tiven Verfolgungsmöglichkeiten desMenschenhandels. Trotz vieler Paralle-

Karl-Otto DornbuschPolizeidirektor

Landeskriminalamt Mainz

Das Kooperationskonzept Rheinland-Pfalz alswirksames Mittel zur Bekämpfung des

MenschenhandelsVon Karl-Otto Dornbusch, Polizeidirektor, Landeskriminalamt Mainz

dieser Menschen treibt sie in die Händevon Schleusern und Menschenhändlern.Dies geschieht auf ganz unterschiedlicheWeise.

AnwerbungsmethodenInserateÜber Inserate in den Zeitungen ihrerHeimatländer werden die Frauen mitscheinbar guten und seriösen Beschäfti-gungsverhältnissen und damit verbun-den hohen Verdienstmöglichkeiten inden Westen gelockt. So werden Tätig-keiten im Hotel- und Gaststättengewer-be, im Haushalt als Au-pair-Mädchen,Köchin, Kindermädchen oder Haushalts-hilfe angeboten. Viele Frauen lassen sichvon der Möglichkeit, schnell viel Geldzu verdienen blenden und willigen inMaßnahmen zur Beschaffung von not-wendigen Unterlagen und Dokumentenein. Dies wiederum ist mit enorm ho-hen Kosten verbunden, die nur durchden Auslandsaufenthalt zu begleichensind. Somit beginnt der Teufelskreis.Es werden jedoch auch eindeutig zwei-deutige Inserate geschaltet, in denen dieTäter Tänzerinnen, Stripteasetänzerin-nen, Animierdamen oder Fotomodellesuchen. Viele dieser Frauen ahnen, wor-auf sie sich einlassen und sprechen diesz. T. auch bei den Anwerbern an. Siegeben sich mit Erklärungen zufrieden,dass sie der Prostitution nicht nachgehenmüssen, dies jedoch sehr wohl können,wenn sie schnell viel Geld verdienenmöchten. Außerdem hätten sie „dort“die Möglichkeit, sich in schönen Etab-lissements die Freier weitgehend selbstauszusuchen und innerhalb von wenigenMonaten das Geld für eine sorgenfreieZukunft verdient zu haben.

Partnerschaftsvermittlungen/HeiratsinstituteAuch über solche Institute lassen sich be-troffene Frauen blenden. Ihnen werdenoft sehr gut konzipierte Dossiers überdie künftigen Ehemänner vorgezeigt,denen sie kaum widerstehen können.Die Realität sieht dann meist anders aus.

len zur Schleuserkriminalität bleibt die-ses Deliktsfeld jedoch bei der nachfolgen-den Betrachtung außer Acht.Menschenhandel ist seit vielen Jahren einVerbrechen, das der organisierten Kri-minalität (OK) zugerechnet wird. DieBeweisführung ist jedoch extrem schwie-rig, da die Abschottungsmechanismenhervorragend funktionieren. Die Opferwerden durch entsprechende Konditio-nierung mundtot gemacht. Die Aussageder Opfer ist jedoch das stärkste und oftauch einziges Beweismittel. Herausra-gende finanzielle Einkünfte aus legalenund illegalen Geschäften versetzen dieHintermänner der Rotlichtkriminalitätin die Lage, sich subtil die notwendigenKontakte in Politik und Wirtschaft auf-zubauen. Es ist oftmals sehr einfach, Per-sonen aus diesen Kreisen über die Pros-titution zu kleinen Gefälligkeiten,„kleinen Diensten“ oder Gegenleistun-gen anzuhalten und für sich zu gewin-nen. Einmal damit begonnen wird derBetroffene erpressbar und es gibt keinEnde mehr, außer die Öffentlichkeit er-fährt davon. Über diese Gefälligkeitenwerden die Macher in die gesellschaftli-chen Kreise eingeführt und gewinnensomit noch mehr an Einfluss und Macht.Der Menschenhandel ist insofern für dieOK notwendiges Mittel zum Zweck.Zum einen sind enorme Gewinne zu er-zielen und zum anderen eröffnet er dieMöglichkeiten, einflussreiche Personenaus Politik und Wirtschaft zur weiterenAbschottung des Rotlichtmilieus gegen-über den Strafverfolgungsbehörden zugewinnen.

Wie funktioniert der Menschenhandel?

Zum Gesamtverständnis ist es unabding-bar, den typischen Ablauf des Menschen-handels zu beschreiben. Zielpersonen derTäter sind junge Frauen und Mädchenaus Mittel- und Osteuropa, Afrika, Asi-en und Lateinamerika. Die oftmals sehrverbreitete Armut und vor allem Pers-pektivlosigkeit in den Heimatländern

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ORGANISIERTE KRIMINALITÄT

Auch hier endet der Aufenthalt in allerRegel in der illegalen Prostitution bzw.beginnt schon darin.

Fabriken/WohnheimeDie Armut der Frauen, verbunden mitder meist unendlichen Perspektivlosig-keit und Tristesse am Arbeitsplatz, sindhäufige Anlaufpunkte für die Anwerber.Hier fallen die Versprechungen, schnellund viel Geld zu verdienen, natürlich aufsehr fruchtbaren Boden.

Öffentliche Plätze/StraßenAuf öffentlichen Plätzen und Straßensowie auch in Diskotheken oder Gast-stätten werden potentielle Opfer von denAnwerbern angesprochen und mit denVerdienstmöglichkeiten sowie klarstrukturierten Handlungsanleitungen ge-lockt.

FamilienAuch in den eigenen oder be-kannten Familien suchen dieAnwerber ihre Ware Mensch.Man spielt mit der Sorge der po-tentiellen Opfer um die Zu-kunft ihrer Angehörigen. Denjungen Frauen wird vorge-macht, man müsse nur für eineWeile mit dem „guten Mann“in die Großstadt. Solche Ange-bote stellen für diese Familienscheinbar einmalige Gelegen-heiten zur Verbesserung des Le-bensstandards dar.

Woher kommt die„Ware Mensch“?

Die Mädchen und Frauen, diezur Prostitution benötigt wer-den, rekrutieren sich vornehmlich ausden Ländern, in denen große Armutherrscht. Nur bei diesen Menschen sinddie Druckmechanismen aufzubauen mitdenen man eine solche Vielzahl von„Prostituierten“ auf den westeuropäi-schen Markt bringen kann.

Hieraus erklärt sich, dass 80 Prozent derOpfer aus den mittel- und osteuropäi-schen Staaten stammen, ca. 11 Prozentaus dem übrigen Europa, ca. 3 Prozentaus Afrika, ca. 3 Prozent aus Asien, derRest aus Amerika und sonstigen Län-dern. Diese aus der BKA-Statistik 2003entnommenen Werte beleuchten nur diebekannt gewordenen Fälle. Es handeltsich hierbei um 1.235 Opfer. Diese Zahldürfte jedoch nur die Spitze des Eisber-ges darstellen, da auf Grund der polizei-lichen Erfahrungen das Dunkelfelderheblich höher sein dürfte. Eine Dun-

kelfeldforschung für diesen Deliktsbe-reich gibt es jedoch nicht, so dass die imUmlauf befindlichen Dunkelfeldzahlenkeinen verwertbaren Anhalt darstellen.

Wie kommen die Opfer nachDeutschland/Westeuropa ?

DurchführungspraktikenDie Mädchen und Frauen werden aufganz unterschiedliche Art und Weise inden Westen verbracht. Dies geschiehtmit öffentlichen Bussen, Kleinbussen,der Bahn, Pkw, Flugzeug und anderenTransportmitteln. Mittlerweile werdendie Frauen mit Dokumenten ausgestat-tet, die größtenteils echt sind. Gleich-wohl müssen auch noch Dokumentegefälscht werden oder Visa sind zu be-schaffen. Gerade bei den Mädchen wirddas Geburtsjahr verfälscht oder bei den

Frauen aus den Nicht-EU-Ländern auchdas Herkunftsland.Darüber hinaus wird den Frauen erklärt,daß Dokumente notwendig sind für denAufenthalt in Deutschland/Westeuropa,die private Besuche oder Geschäftsauf-enthalte vortäuschen. Die Beschaffungdieser Dokumente wäre mit erheblichenKosten verbunden. In der Tat unterhal-ten einzelne Organisationen Firmenoder Agenturen, um auf diese Weise se-riöse Geschäftsbeziehungen vorzutäu-schen und entsprechende Einladungenfertigen zu können. Sind die Frauen inDeutschland angekommen werden siehäufig von zentralen Stellen an entspre-chende bordellartige Betriebe verbracht.Diese zentralen Stellen sind meist auchBordellbetreiber (-innen), die den Frau-en zunächst das weitere Procedere erklä-ren. Oft geschieht dies in Privathäusern,Clubs oder den Betrieben selbst. Sie las-

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sen ihnen nur eine theoretische Möglich-keit, zu der geplanten Prostitutionsver-wendung nein zu sagen. Ein unüber-windbarer Berg von Schulden für dieBeschaffung der vorgenannten Doku-mente und den Reisekosten ist bereitsentstanden. Vielfach ist allein dieses Ar-gument, verbunden mit der Schmach derdirekten Rückkehr ohne Geld, für dieFrauen Anlass genug, sich auf das als lu-krativ und rosarot dargestellte Prostitu-tionsgeschäft einzulassen. Notfalls wirdder entgegenstehende Wille auch mitGewalt gebrochen.Es erfolgt eine eingehende Konditionie-rung der Frauen durch die Täterseite aufihr zukünftiges Leben in der Prostituti-on. Dieser Konditionierung gilt esentgegen zu wirken um die Frauen ausihrer „Gefangenschaft“ zu befreien, siezu enttraumatisieren, sie als Personalbe-

weise zu gewinnen und ihnendie Rückzugsmöglichkeit inihre Heimatländer ohne Ge-sichtsverlust zu ermöglichen.Hierzu bedarf es einer Vielzahlvon klar strukturierten undineinander greifenden Maßnah-men, um den Menschenhandelsowohl präventiv als auch re-pressiv zu bekämpfen.

Ein neuer Bekämpfungsansatz

Zur repressiven Bekämpfunggehören sicherlich Ermittlungs-einheiten, die sowohl vom fach-lichen als auch von den perso-nellen Ressourcen her in derLage sind, Menschenhandelsde-likte zu verfolgen. Um dies ef-fizient zu ermöglichen kommtder Gewinnung und Sicherung

des Personalbeweises eine enorm hoheBedeutung zu. In der Praxis bedeutetdies, dass Frauen, die in Bordellen oderbordellartigen Betrieben als potentielleOpfer entdeckt werden, die Möglichkeitbekommen, aus diesem Teufelskreis aus-zusteigen. Hierzu wiederum benötigensie klare Zukunftsperspektiven, d.h. inerster Linie Schutz vor dem Milieu, so-ziale Absicherung, Enttraumatisierungs-hilfe, Reintegrationsmöglichkeiten.Über allem steht jedoch, dass es gelin-gen muss, das Vertrauen der Opfer in dieWirksamkeit der aufgezeigten Maßnah-men zu gewinnen. Nur dann besteht dieChance, dass sie ihre Angst überwindenund bereit sind auch in einem Gerichts-saal auszusagen. Für die Realisierung die-ser Maßnahmen ist ein interdisziplinä-res Zusammenwirken von Behörden undInstitution notwendig.

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ORGANISIERTE KRIMINALITÄT

- Aufgaben der AusländerbehördenDie Ausländerbehörden sind angehalten,den Opferzeuginnen, soweit sie die Vo-raussetzungen erfüllen, einen Aufent-haltsstatus zu gewähren, den es mit derZeugenschutzdienststelle abzusprechengilt.

- Aufgaben der örtlichen Sozialhilfe-träger/ Arbeitsagenturen

Das Sozialamt oder auch die Arbeitsge-meinschaft der Arbeitsagenturen undSozialämter in der Kommune, in der dieZeugin untergebracht wurde, gewährtden Betroffenen Leistungen nach denjeweils gültigen Bestimmungen. Diese imRahmen des Kooperationskonzeptes ge-währten Leistungen werden vom Land,

über ein anonymisiertes Verfahrender Zentralstelle Zeugenschutz desLandeskriminalamtes Rheinland-Pfalz, an die Kommunen zurücker-stattet.

Rahmen für die ZusammenarbeitEine erfolgreiche Kooperation erfor-dert Wissen und Akzeptanz hin-sichtlich der unterschiedlichen Ziel-setzung aller beteiligten Stellen. Fürein kooperatives Zusammenwirkenund eine klare Aufgabenverteilungzwischen Strafverfolgungsbehörden,anderen Behörden, Fachberatungs-stellen und anderen mitbetreuendenEinrichtungen gelten die folgendenRegelungen.

- Entscheidungskriterien für Zeu-genschutzmaßnahmenÄhnlich wie bei den Voraussetzun-gen für das insgesamt umfangreiche-re und aufwändigere Zeugenschutz-

programm müssen auch Kriterien für dieAufnahme der Opferzeugin in Zeugen-schutzmaßnahmen erfüllt werden.Allerdings ist es hier nicht erforderlich,dass eine Zeugin Aussagen zur Struktureiner verbrecherischen Organisation ma-chen kann. Die Person muss lediglich inder Lage sein, verfahrensrelevante An-gaben zu machen und bereit sein, diesein einer späteren Gerichtsverhandlungzu wiederholen.Des Weiteren werden die Unverzichtbar-keit der Aussage, das Bestehen einerGefahrenlage und die Freiwilligkeit derZeugin für die beabsichtigten Schutz-maßnahmen geprüft.

- Einbindung der StaatsanwaltschaftDas Einvernehmen der Staatsanwalt-schaft über das Vorliegen der Entschei-dungskriterien, insbesondere der Unver-zichtbarkeit der Aussagen, ist ausnahms-los herzustellen.

Die Landesregierung in Rheinland-Pfalzhat diesen Anforderungen im Sinne ei-nes ganzheitlichen Ansatzes durch einKooperationskonzept Rechnung getra-gen, in dem das Zusammenwirken derMinisterien

– für Bildung, Frauen und Jugend,– der Justiz– des Innern und für Sport,– für Arbeit, Soziales, Familie und Ge-

sundheit,sowie– der Arbeitsgemeinschaft der kommu-

nalen Spitzenverbändeund der– Fachberatungsstelle Solwodi e.V.

geregelt wird. Sie will mit diesemKonzept zu adäquatem Schutz undHilfe für die Opfer von Menschen-handel und in der Folge damit auchzu einer wesentlich effektiveren Be-kämpfung dieses Phänomens beitra-gen. Insofern soll das Konzept dieRahmenbedingungen schaffen, umein koordiniertes, strukturiertesund konsequentes Vorgehen allerbeteiligten Stellen zur Bekämpfungdes Menschenhandels und damit zurVerbesserung des Opferschutzes zuermöglichen.Unter Federführung des Bundesmi-nisteriums für Familie, Senioren,Frauen und Jugend wurde 1999 einBundeskooperationskonzept erar-beitet und in die Länder gegebenmit der Empfehlung, dieses in eige-ner Zuständigkeit umzusetzen.In Rheinland-Pfalz wurde das Ko-operationskonzept offiziell zwarerst zum 01.01.2004 in Kraft gesetzt,verfahren wurde jedoch schon seitdem Jahr 2000 danach. Der Grund fürdie verzögerte Inkraftsetzung waren dieSchwierigkeiten, zu finanziellen Rege-lungen zu kommen. Im Rahmen dernunmehr folgenden Darstellung des Ko-operationskonzeptes Rheinland-Pfalzwerden diese ebenfalls erläutert.

Das Kooperationskonzept Rheinland-Pfalz

Aufgaben und Zuständigkeiten

- Aufgaben der Strafverfolgungsbe-hörden

Staatsanwaltschaft und Polizei haben denSachverhalt zu erforschen und dabei allebe- und entlastenden Umstände zu ermit-teln. In dem Kooperationskonzept ist dasEinvernehmen aller daran beteiligtenStellen geregelt, dass die psychosozialeBetreuung der Opfer vor allem bei der

Vorbereitung und Durchführung derHauptverhandlung keinesfalls zu einerinhaltlichen Einflussnahme auf das Aus-sageverhalten führen darf. Die PolizeiRheinland-Pfalz hat organisatorisch einezweite Ebene Zeugenschutz geschaffen,die ebenfalls auf der Grundlage des Zeu-genschutzharmonisierungsgesetzes arbei-tet. Durch diese Dienststellen werden inerster Linie die Zeugenschutzmaßnah-men für die Opferzeuginnen ausgeführt.Eine spezielle „Richtlinie des Landeskri-minalamtes zur Durchführung von Maß-nahmen zum Schutz gefährdeter Zeu-gen“ regelt in Rheinland-Pfalz die Vo-raussetzungen, Zuständigkeiten undDurchführungsmodalitäten für das Tä-tigwerden in diesem Bereich.

- Aufgaben der FachberatungsstellenDie Fachberatungsstellen sollen die be-troffenen Frauen und Mädchen beratenund eine Zeuginnenbetreuung und -be-gleitung übernehmen. Sie sollen einumfassendes und langfristig angelegtesZeugenbetreuungsangebot für ausländi-sche Opferzeuginnen des Menschenhan-dels anbieten. Dieses beinhaltet eine ano-nyme Unterbringung, psychosozialeBetreuung, Prozessbegleitung sowie Re-integrationsmaßnahmen.

- Aufgaben des Ministeriums für Bil-dung, Frauen und Jugend (MBFJ)

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterder Fachberatungsstellen bzw. Inobhut-nahmeeinrichtungen, die im Rahmendurchzuführender Strafverfolgung undZeugenschutzmaßnahmen mit der Poli-zei zusammenarbeiten, werden vomMBFJ gemäß dem Verpflichtungsgesetzverpflichtet.

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ORGANISIERTE KRIMINALITÄT

- Einbindung der FachberatungsstelleIn Rheinland-Pfalz wird die Fachbera-tungsstelle zum frühestmöglichen Zeit-punkt eingebunden. Aufgrund dieserVorgabe im Kooperationskonzept hatdas Landeskriminalamt ein so genanntesRazziakonzept (siehe unten) erarbeitet.Dieses sieht vor, dass der Zeugenschutzin Zusammenarbeit mit den Fachbera-tungsstellen schon bei der Planung vonRazzien/Durchsuchungsmaßnahmenmitwirkt. Dadurch ist nicht nur einegewisse Perseveranz in der Betreuungund Versorgung der Opfer gewährleis-tet, sondern auch der früheste Zeitpunktder Einbindung gewählt. Die Vermitt-lung einer Vertrauensbasis, einer entspre-chenden Versorgung und die Eröffnungeiner neuen Lebensperspektive ist oftauch die Grundlage für eine Aussagebe-reitschaft einer Opferzeugin.

- FortbildungenDie Polizei berät die Fachberatungsstel-len hinsichtlich möglicher Maßnahmenzum Schutz ihrer Mitarbeiterinnen.Darüber hinaus werden interdisziplinä-re Schulungs- und Informationsveran-staltungen über Möglichkeiten undGrenzen der Kooperation durchgeführt,die den Mitarbeiterinnen und Mitarbei-tern von Polizei, Ausländer- und Justiz-behörden sowie den Fachberatungsstel-len und anderen mitbetreuendenEinrichtungen offen stehen. Konkreteund intensive Fortbildungsprojekte wer-den zwischen den Zeugenschutzmitar-beitern und den Fachberaterinnen, ge-rade auch im Hinblick auf dieKooperation in den Razzia-/Durchsu-chungseinsätzen, durchgeführt.

Flankierende Maßnahmen

Handlungsempfehlung/RazziakonzeptMenschenhandelsdelikte werden in derRegel durch die Sachbereiche/Kommis-sariate bearbeitet, die auch für Sittende-likte zuständig sind. Nur selten befassensich OK-Dienststellen mit der Verfol-gung von Tätern des Menschenhandels.Die „Sitten“-Kommissariate sind nichtzuletzt wegen der Verfolgung der Sexu-alstraftaten in Zusammenhang mit derInternetkriminalität meist hoffnungslosüberlastet und nur bei Gefahr im Ver-zuge in der Lage zu reagieren jedochnicht zu agieren. Ermittlungen im Be-reich Menschenhandel benötigen jedocheinen speziellen Sachverstand und ein-schlägiges Erfahrungswissen, da in die-sem Bereich der Sachbeweis eine unter-geordnete Rolle spielt. Gefragt ist derPersonalbeweis, d.h. die unmittelbareAussage des Opfers. Damit Menschen-

handelsverfahren erfolgreich angeklagtwerden können und zu adäquaten Ver-urteilungen führen, hat das Landeskri-minalamt Rheinland-Pfalz eine Hand-lungsempfehlung zur Bearbeitung vonFällen des Menschenhandels erstellt. Siewird in Kürze den mit dieser Materiebefassten Dienststellen als Informations-sammlung für Verdachtsschöpfung,Sachbearbeitung und Durchführung vonRazzien in Fällen des Menschenhandelszur Verfügung stehen.

Zentrale ErmittlungsgruppenErfolgversprechend erscheint die Ein-richtung von zentralen und gemeinsa-men Ermittlungsgruppen in den einzel-nen Bundesländern. In diesen Ermitt-lungsgruppen sollten auch der Zoll, dieFinanzkontrolle und der Bundespolizeivertreten sein. Die Strukturen des orga-nisierten Menschenhandels könnten sehrschnell erhellt werden und durch einebundesweite Auswertung des BKA eine„organisierte Bekämpfung des Men-schenhandels“ eingeleitet werden. Dieswürde den Menschenhandel empfindlichtreffen. Die Täter würden effektiver ver-folgt und vermutlich zu hohen Haftstra-fen verurteilt. Die illegal erworbenenMittel könnten abgeschöpft werden. DerMenschenhandel würde auch für dieTäter erheblich risikoreicher und deut-lich weniger lukrativ.

ErgebnisseZwischenzeitlich können erste Ergebnis-se präsentiert werden. So gelang es un-ter anderem, im Rahmen einer in einembordellartigen Betrieb durchgeführtenRazzia mehrere Frauen aufzugreifen undihnen in der geschilderten Weise Zeugen-schutzmaßnahmen angedeihen zu lassen.Die Opferzeuginnen konnten psychischstabilisiert und ihnen eine Arbeitsstellevermittelt werden. Nach einer angemes-senen Zeit der Betreuung gelang die In-tegration und damit die Schaffung einerGrundlage für ein eigenständiges Leben.Diese Frauen waren bereit auszusagen.Allein der Umstand, dass die Zeuginnenim Gerichtssaal präsent waren, beein-druckte die Täterseite und deren Rechts-beistände. Man erkannte nach monate-langem Leugnen im Rahmen der Ermitt-lungen im Gerichtssaal sehr schnell dieChancenlosigkeit und war zu Geständ-nissen und einem „Deal“ mit dem Ge-richt und der Staatsanwaltschaft über dieHöhe der Strafe bereit. Die Angelegen-heit konnte in einem einzigen Verhand-lungstag abschließend behandelt werdenund endete mit mehrjährigen Haftstra-fen für die Täter.Das Beispiel zeigt, dass eine deutlich ver-kürzte und ökonomischere Verfahrens-

abwicklung möglich wird, wenn der Per-sonalbeweis gesichert ist.Ein weiterer Aspekt ist die nicht zu un-terschätzende Präventivwirkung in dieTäterkreise hinein sowie auch die Stär-kung des Vertrauens der potentiellenOpfer in die Wirksamkeit der Zeugen-schutzmaßnahmen. Dies wiederum dürf-te die Aussagebereitschaft von zukünfti-gen Zeuginnen fördern.

Fazit

Das in Rheinland-Pfalz verfügbare Hand-lungsinstrumentarium erscheint imSinne eines ganzheitlichen Ansatzes zurBekämpfung des Phänomens „Men-schenhandel“ nahezu vollständig unddamit in einer ersten Rückschau eindurchaus erfolgversprechender Weg, derweiter gegangen werden sollte. Die prak-tische Umsetzung durch die am Koope-rationskonzept beteiligten Stellen undderen Zusammenarbeit erfolgt bislangreibungslos.Ein Beleg dafür könnte sein, dass mansich zwischenzeitlich auch über dieGrenzen des Landes hinaus für diesenrheinland-pfälzischen Weg interessiert.

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KRIMINALTECHNIK UND -WISSENSCHAFT

Seit dem 1.8.1998 gilt die neue Regelungdes § 24a Abs. 2 StVG. Danach handeltderjenige ordnungswidrig, der unterWirkung von Heroin, Morphin, Canna-bis, Kokain, Amphetamin oder Desig-ner-Amphetamin (z.B. XTC) ein Kraft-fahrzeug im Straßenverkehr führt. Esreicht bereits, wenn eine der genanntenSubstanzen im Blut nachgewiesen wer-den kann. Auf eine tatsächliche Beein-trächtigung der Fahrtüchtigkeit im Ein-zelfall kommt es nicht an. DieseOrdnungswidrigkeit kann auch fahrläs-sig begangen werden.Nach den Vorschriften der §§ 316, 315cAbs. 1 Nr. 1a StGB ist einem drogen-oder medikamentös beeinflussten Fahrergerichtsfest nachzuweisen, dass er infol-ge „anderer berauschenden Mittel nichtmehr in der Lage war, sein Fahrzeug si-cher zu führen“. Dies gestaltet sich in derPraxis schwierig. Da es bislang keineGrenzwerte für die Annahme absoluterFahruntüchtigkeit bei Drogenbeeinflus-sung gibt, bedarf es zur Verurteilungwegen absoluter Fahruntüchtigkeit, au-ßer dem positiven Blut-Wirkstoffbefund,regelmäßig weiterer aussagekräftigerBeweisanzeichen (z.B. verlangsamte Re-aktionen, Fahren in Schlangenlinien,Nichtbeachtung von Verkehrszeichen).1

Volker SominkaPolizeidirektion Lörrach

Kriminalpolizei

Aggressive oder konservative Urintests?Am Beispiel des THC-Passivrauchens

Von Volker Sominka, Polizeidirektion Lörrach, Kriminalpolizei

Der Urinvortest (Screening Test) zumNachweis von Betäubungsmitteln ge-winnt bei der Verfolgung dieser Ord-nungswidrigkeiten und Vergehen immermehr an Bedeutung.

Drogen Screening Teste werden vomHersteller auf Nachweisgrenzen (CutOffs) eingestellt.Unterhalb der Nachweisgrenze sollte derDrogen Screening Test negativ verlaufen.Je nach Einstellung durch den Herstel-ler ist ein Test als aggressiv oder konser-vativ einzustufen.

Bei einem aggressiven Test könnenschon geringe Spuren der nachzuweisen-den Drogen zu einem positiven Ergeb-nis führen. Dies kann sehr oft zu einemhohen Prozentsatz falsch positiver Test-ergebnisse führen. Aggressive Teste wer-den meist im asiatischen Raum einge-setzt, auch weil sie im unteren Preis-niveau angesiedelt sind.

Im konservativen Drogen Screening Testliegt ausreichend monoklonaler Anti-körper vor, so dass die Farbintensität derTestlinie deutlich erhöht ist. Falsch ne-gative Testergebnisse können zwar auchhier auftreten, wobei deren Prozentsatzmit steigender Testerfahrung des An-wenders gering gehalten werden kann.

Ein positiver Urinvortest wird in derFolge immer eine Blutentnahme nachsich ziehen.

Wie wichtig der Einsatz eines konserva-tiven Urinvortest ist, wird an folgendemBeispiel verdeutlicht:Bei dem Führer eines PKW ist der Urin-vortest auf THC positiv verlaufen. DerFahrzeugführer erklärt, dass er keinHaschisch/Marihuana geraucht habe.Jedoch habe er sich in einem Zimmeroder einem PKW aufgehalten, wo ande-re Personen stark diese Produkte kon-sumiert hätten.

Hier stellt sich also die Frage, ob beieiner Person, die sich in einer mitHaschisch/Marihuana belasteten Umge-

bungsluft aufgehalten hat, ein Urindro-gentest positiv anzeigt.

Seit Jahren werden zu diesem Themaverschiedene wissenschaftliche Studiendurchgeführt.Die erste wissenschaftliche Studie zumMarihuana-Passiv-Rauchen wurde 1983von Pere-Reyes durchgeführt. Er führtedrei Experimente durch. Und zwar ineinem Automobil und in zwei kleinenRäumen.Nur zwei der gesammelten Proben wur-den als positiv eingestuft, wobei der ver-wendete Vortest auf einem Cutoff-Wertvon 20ng/ml eingestellt war.2

1984 wurde eine weitere interessante Stu-die durchgeführt. Vier Personen hieltensich in einen kleinen Raum (27 qm) übereinen Zeitraum von drei Stunden auf.Zuvor hatten sechs andere Personen indiesem Raum Marihuana geraucht, ohnedass eine Belüftung stattfand. Die THC-Konzentrationen, die bei den vier Pas-sivrauchern ermittelt wurden, lagen beimaximal 7ng/ml. Mit einem gängigenTHC-Urin-Screeningtest, der einen Cut-off von 50ng/ml aufweist, ist diese Pas-siv-Konzentration nicht nachweisbar.3

1985 führte J. Morland eine weitere sog.„Automobil-Studie“ zum Einfluss vonHaschisch/Marihuana bzgl. Passiv-Rau-chens durch. Auch bei diesem Test konn-ten keine Werte festgestellt werden, dieein gängiger THC-Urintest angezeigthätte.4

In den Jahren 1985 bis 1990 wurden vonE.J. Cone verschiedene Studien vonMarihuana-Passiv-Rauchen durchge-führt. Die Testbedingungen warenhierbei so extrem, dass die einzelnenProbanden wegen der Augenreizungendurch den Rauch Schutzbrillen tragenmussten. Auch hierbei konnten im Urinkeine Werte festgestellt werden, die eingängiger Urintest (Cut-Off Wert 50ng/ml) angezeigt hätte.5

Urintestmarkt:Dem professionellen Anwender stehenzum Drogen-Screening circa 2 Dutzend

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Page 34: Kriminal Die · Betriebsstätte Worms: Küferstraße 11, 67551 Worms, Telefon 0 62 47 / 6 09-0, Fax -70 Geschäftsführer: Lothar Becker, Bodo Andrae Erscheinungsweise und Bezugspreis:

KRIMINALTECHNIK UND -WISSENSCHAFT

Produktnamen zur Verfügung, die sichjedoch hinsichtlich der Qualität unter-scheiden. Zur Auswahl geeigneter Dro-genteste empfiehlt sich, auf folgendes zuachten:

1. liegt eine CE-Kennzeichnung vor2. ist das Unternehmen ISO zertifiziert3. liegt das Sicherheitsdatenblatt vor4. liegt das Analysezertifikat der jewei-

ligen Charge vor

Bei der Polizeidirektion Lörrach werdenseit dem Jahr 2003 Urintests verwendet.Bevor sich die Dienststelle für einen Lie-feranten entschied, wurden 11 Anbieterangeschrieben. Sechs Anbieter legtenkein schriftliches Angebot vor. Die rest-lichen fünf Anbieter wurden erneut an-geschrieben. Sie wurden gebeten, die EG-Konformitätsbescheinigung und Fotoseingescannter Tests mit einem Cut-offWert von 50% bis 150% zu übersenden.Jetzt wurde erkennbar, dass verschiede-ne Hersteller nur über eine unzureichen-

de Dokumentation verfügen. Ein Her-steller warb damit, dass seine Tests CEgekennzeichnet sind. Als er der Dienst-stelle Tests vorlegte, fehlte die CE-Kenn-zeichnung.Einige Hersteller werben auch damit,dass sie die Drogentests selber herstellenwürden. Diese Aussage ist eigentlichfalsch. Alle gängigen in Deutschland ver-wendetet Test werden hauptsächlich inAsien und Amerika hergestellt. DieseTests werden dann nach Deutschlandexportiert und vom Hersteller lediglichunter seinem Namen gelabelt. Dies führtbei manchen Dienststellen dazu, dassTests von verschiedenen Anbietern ver-wendet werden, es sich aber tatsächlichum ein und denselben Test handelt.

Schlussfolgerung:Obwohl durch Passiv-Rauchen THC imUrin entsprechender Personen nachge-wiesen werden kann, darf ein Drogen-Screenig-Test, der auf eine Nachweis-grenze von 50 ng/ml nach SAMSHA

(Substance Abuse and Mental Healt Ser-vices Administration) eingestellt ist, keinpositives Ergebnis liefern.Aggressiv eingestellte Drogenteste erfül-len diese Bedingung nicht und ergebenoftmals schon unterhalb der von SAM-SHA vorgegebenen Nachweisgrenze fürBestätigungsteste ein positives Ergebnis.

Fußnoten

1 Jahresbericht 2001 des LKA BW, S. 64/652 A.P. Mason, M. Perez-Reyes, A.J. McBay, an R.L.

Foltz. Cannabioid concentrations in plasma af-ter passeve inhalationof marijuana smoke. J. Anal.Toxicot. 7. 172-74 (1983)

3 Law et al. (B.Law, P.A. Mason, A-C. Moffat, L.J.King, an V Marks. Passive inhalation of cannabissmoke)

4 Morland et al. (J. Morland, A.Bugge, B. Skuterud,A. Stehen, G.H, Weth, an T. Kjeldsen. Cannabi-noids in blood an urine after passive inhalationof cannabis smoke)

5 E.J. Cone R.E. Johnson. Contact highs und uri-nary cannabinoid excretion after passive exposu-re to marijuana somke, Clin, Pharmacol-Ther. 40:247-56 (1986)

BUCHBESPRECHUNG

Adrienne Lochte: Sie werden dich nicht fin-den – Der Fall Jakob von Metzler, DroemerVerlag, München 2004, ISBN 3-426-27345-4, 251 Seiten, 18,90 Euro.

Die Entführung des Bankierssohns Jakobvon Metzler durch den Jurastudenten Mag-nus Gäfgen mit dem vergeblichen Rettungs-versuch des damaligen Vizepräsidenten derPolizei Frankfurt, Wolfgang Daschner, derdem Täter Zwang androhen ließ, um denVerwahrort des entführten Kindes zu erfah-ren, gehört sicher zu den meist diskutiertenKriminalfällen der letzten Jahre. Zu diesenGeschehnissen erschien im November 2004eine erste Abhandlung unter dem dramatischformulierten Titel „Sie werden dich nichtfinden – Der Fall Jakob von Metzler“. Au-torin ist die Journalistin Adrienne Lochte.Sie beschreibt die Vorgeschichte der Entfüh-rung, porträtiert die beteiligten Personen,schildert den Mord an Jakob von Metzlerund stellt das Gerichtsverfahren bis zumSchuldspruch gegen Magnus Gäfgen durchdas Landgericht Frankfurt dar. Dies ge-schieht in einer Mischung aus Dichtung undWahrheit, einer Kombination von Detailver-liebtheit und Erfundenem. Die Autorinräumt in ihrem Vorwort ein, dass sie in ein-zelnen Teilen „die Fantasie habe spielen las-sen.... um eine Stimmung zu verstärken“ undDialoge in einem Kapitel „weitgehend erfun-den“ sind. Auf Grund ihrer Recherche„könnte es so gewesen sein“ (alle Zitate aufS. 9). Diese Recherche hat Lochte – soweitman es als Außenstehender beurteilen kann– allerdings in sehr akribischer Form vorge-nommen. Ist man als Leser erst einmal über

die, der Mischung aus Dokumentation undFiktion geschuldeten Notwendigkeit vonSachverhaltsergänzungen und die der darstel-lerischen Ehrlichkeit entsprechenden Benen-nung dieser Lückenschließungen hinweg,kann man sich der Lektüre des Buches kaummehr entziehen.

Die handelnden Personen werden im Ein-zelnen vorgestellt: Je stärker sie an dem Ge-schehen beteiligt sind, desto ausführlicher.Beschrieben werden unter anderem die El-tern von Magnus Gäfgen, die Familie vonMetzler, Wolfgang Daschner, der Anwaltvon Magnus Gäfgen und die Freundin desTäters. Im Vordergrund der Darstellungenstehen das Opfer Jakob von Metzler und derTäter Magnus Gäfgen. Von Magnus Gäfgen,dessen Person im Zentrum des Buches steht,wird ein durchaus differenziertes Bild ge-zeichnet. Im Plot noch als „unauffälliger jun-ger Mann – freundlich, hilfsbereit und immerfür seine Freunde da“ geschildert, erfährtman im Laufe des Buches etwa, dass er nachEinschätzung eines Jugendseelsorgers „alsKinderbetreuer eine Fehlbesetzung“ war (S.93) und die Staatsanwaltschaft schon einmalgegen ihn – wegen der Androhung eines ge-meingefährlichen Verbrechens – ermittelte.Das Verfahren wurde jedoch gegen Zahlungeiner Geldbuße eingestellt (S. 241). Mit allerVorsicht und der gebotenen Zurückhaltungwird neben der Habgier, der Heimtücke undder Verdeckungsabsicht mit einem sexuellenHintergrund noch ein viertes Mordmerkmalangedeutet (S. 10), ebenso wird aber auf eineentsprechende staatsanwaltschaftliche Stel-lungnahme hingewiesen, die insofern eindeu-

tig ist: „Definitiv gibt es keine Anhaltspunktefür ein sexuelles Motiv.“ (S. 80). Die einzigeKonstante in der Porträtierung Gäfgens istdas hohe Geltungsbedürfnis und die darausresultierende Geldgier des Täters.

Weniger eindringlich geschildert wird einezweite Schlüsselperson in dem Entführungs-fall Jakob von Metzler, der damalige Vize-präsident der Polizei Frankfurt, WolfgangDaschner. Lochte, die sich selbst als frühere„Polizeireporterin der Frankfurter Allgemei-nen Zeitung“ bezeichnet (S. 7), gab nämlichder Täterperspektive weitgehend den Vor-zug gegenüber dem Blickwinkel der Polizei.

Insgesamt ist festzustellen, dass es sich umein überaus lesenswertes Buch handelt. DieAbhandlung über diesen in die bundesdeut-sche Rechts- und Polizeigeschichte eingehen-den Fall wird sicher auf breites Interesse sto-ßen. Nicht zuletzt deshalb hat die Pro-duktionsfirma Bavaria Film angekündigt, dieGeschehnisse um den Entführungsfall Jakobvon Metzler auf der Basis des Buches „Siewerden dich nicht finden“ von AdrienneLochte zu verfilmen. Die eigene Einschät-zung der Autorin, dass „sich das Buchstreckenweise wie ein Kriminalroman liest“(S. 8), ist sicher zutreffend. Ob das an sichschon tragische und dramatische Geschehennoch einer weiteren Dramatisierung in dervorliegenden Romanform oder der geplan-ten Verfilmung bedarf, darüber lässt sich abersicher trefflich streiten.

Professor Dr. Andreas Peilert,Polizei-Führungsakademie Münster

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Nach Anschlägen in London:GdP fordert drittes Sicherheitspaket

Gewerkschaftspolitische Nachrichten

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KRIMINALPOLIZEI 107

Als Reaktion auf die schrecklichen Terror-anschläge in London am 07.07.2005 fordertdie Gewerkschaft der Polizei (GdP) umge-hend, die Maßnahmen zur Bekämpfung desTerrorismus in Deutschland zu verschärfen.„Die Terroranschläge in London sind ein er-neuter Beweis, dass die europäischen Haupt-städte nach wie vor durch den internationa-len Terrorismus auf das Höchste gefährdetsind. Wer jetzt noch die Sicherheitsmaßnah-men und das Konzept der Polizei zur Terro-rismusbekämpfung in Deutschland in Fragestellt, gefährdet die Menschen in unseremLand“, kommentiert der Vorsitzende derGdP, Konrad Freiberg die Serie von Anschlä-gen auf Verkehrseinrichtungen in der briti-schen Hauptstadt.Auch in Deutschland gehörten Verkehrsein-richtungen zu den gefährlichsten Orten.Nach London müssten die Sicherheitskon-zepte für öffentliche Verkehrsmittel über-prüft werden. Viele in unserem Land, so derGdP-Vorsitzende, hätten den Grad der Be-drohung noch nicht begriffen. Anders sei esnicht zu verstehen, dass in jüngster Vergan-genheit der Polizei wichtige Ermittlungsins-trumente, wie etwa der Große Lauschangriff,aus der Hand geschlagen wurden. Freiberg:„Alles, was zur Verhinderung derartiger An-

schläge tauglich ist, muss genutzt werden.Wir dürfen nicht warten, bis aus eigenerBetroffenheit durch einen Anschlag inDeutschland der Polizei die Mittel an dieHand gegeben werden, die sie zur Terroris-musbekämpfung braucht. Ein Anschlag wiein London muss unbedingt verhindert wer-den.“ Deshalb müsse BundesinnenministerOtto Schily (SPD) unverzüglich ein drittesSicherheitspaket mit einer neuen Kronzeu-genregelung, einer zentralen Antiterrordateiund langfristiger Aufbewahrung von Tele-fonverbindungen schnüren. Bei FestnahmenTerrorverdächtiger sei durch einen richter-lichen Beschluss sicherzustellen, dass man dieHandydaten auswerten darf, so Freibergweiter. Notwendig sei auch eine verantwor-tungsvolle Ausweitung der Videoüberwa-chung besonders gefährdeter Einrichtungenund Plätze als Ergänzung aber keinesfallsanstelle ausreichenden Personaleinsatzes.Eine Videoüberwachung könne eine abschre-ckende Wirkung entwickeln und auch fürdie Strafverfolgung sinnvoll sein. Zur Ver-hinderung von geplanten Straftaten, zum Bei-spiel von Terroranschlägen, helfe sie jedochnur bedingt. Viel wichtiger sei es, die Prä-senz der Polizei zu erhöhen. Das gehe jedochnur, indem der Stellenabbau sofort gestoppt

und wieder ausreichend Personal eingestelltwerde.Als „gefährlichen Unsinn“ bezeichnet derGdP-Vorsitzende die Auffassung, alle Anti-Terror-Maßnahmen der britischen Sicher-heitsbehörden hätten sich angesichts derAttentate als wirkungslos erwiesen. Einegemeinsame Datei islamistischer Terrorver-dächtiger nicht nur in Deutschland, sondernauf europäischer Ebene, so Freiberg, seilängst überfällig. „Wir hoffen, dass sich dieEU-Innenminister auf ihrem Sondertreffenam heutigen Mittwoch endlich darauf ebensoeinigen können, wie über eine Verlängerungder Aufbewahrung von Kommunikationsda-ten“, betonte Freiberg. In Deutschland seiüberdies die Wiedereinführung der Kronzeu-genregelung unerlässlich. Freiberg: „DieKommunikationsüberwachung im Um-feld von Terrorverdächtigen darf nicht be-schränkt werden. Attentatspläne müssenmöglichst frühzeitig aufgedeckt werdenkönnen.Deutschland sei nicht gefeit davor, so Frei-berg weiter, dass sich innerhalb der Parallel-gesellschaften muslimischer Gemeinden inDeutschland, schlecht integrierte und chan-cenlose junge Menschen zu Djihad-Kämpfernanwerben und radikalisieren lassen.

Großer Lauschangriff: Vernunft siegt über ParteitaktikDie GdP begrüßt die Einigung des Vermitt-lungsausschusses zur Neuregelung der akus-tischen Wohnraumüberwachung ausdrück-lich. Der GdP-Bundesvorsitzende äußerteseine Beruhigung darüber, dass in einer zen-tralen Frage der Inneren Sicherheit Deutsch-lands die Vernunft über parteipolitische Tak-tiken gesiegt hat. Damit hätten Regierungund Union ein unverantwortbares Risiko für

die Innere Sicherheit in Deutschland abge-wendet. Ermittlungen gegen Terroristen undSchwerstkriminelle wären ansonsten ab1. Juli 2005 erheblich erschwert worden.Der so genannte Lauschangriff sei oft das ein-zige Mittel Informationen insbesondere ausethnisch geschlossenen Kreisen der Organi-sierten Kriminalität und des internationalenTerrorismus zu gewinnen. Wie die Lagebil-

der, Ermittlungen und Festnahmen der letz-ten Monate zeigten, sei Deutschland wei-terhin Aktionsgebiet islamistischer Gefähr-der und organisierter Schwerkrimineller. DieVerfolgung dieser Straftäter könne die Poli-zei nur durch die gesetzliche Rückendeckungder Politik erfolgreich führen.

gen, dass die Netzbetreiber – mit Ausnahmevon Vodafone – sich bisher scheuen, die er-forderlichen Investitionen zu tätigen, um dieerwartete Kriminalitätsentwicklung auszu-bremsen.Das Sperren der SIM-Karte schützt nurdavor, dass der Besitzer vor Gesprächen zuseinen Lasten geschützt ist. Der Dieb kanndas Gerät aber weiter benutzen, indem ereine andere SIM-Karte einlegt.“ Wie massivtechnische Sicherheit die Kriminalitätslagebeeinflussen kann, haben verbesserte Sicher-heitseinrichtungen an Pkw gezeigt: Seit Be-ginn der Ausstattung von Fahrzeugen mitelektronischen Wegfahrsperren ist der Au-

todiebstahl um über zwei Drittel zurückge-gangen. GdP-Vorsitzender Konrad Freiberg:„Während bei einem Autodiebstahl überwie-gend nur materieller Schaden entsteht undeinen frustrierten, aber körperlich unversehr-ten Autobesitzer hinterlässt, sind Handy-Besitzer durch Raubüberfälle an Leib undLeben gefährdet. Die Gewerkschaft der Po-lizei appellierte an die Netzbetreiber, der zuerwartenden Kriminalitätsentwicklung zubegegnen und das bereits im benachbartenAusland erprobte neue Sperrsystem einzu-richten, mit dem die Geräte über eine zen-trale Datenbank dauerhaft unbrauchbar ge-macht werden können.

GdP erwartet Zunahme von Raubüberfällen auf Handy-BesitzerEine Zunahme des Raubs und Diebstahls vonMobiltelefonen befürchtet die GdP in dennächsten Jahren. Das Telefonieren auf derStraße werde gefährlicher. Die Zahl geraub-ter und gestohlener Handys habe sich in denletzten Jahren vervielfacht. Mobiltelefonewürden hierzulande für Straftäter immer at-traktiver, weil auch teurer, so der GdP-Bun-desvorsitzende, Konrad Freiberg.Dabei kann nach Erkenntnissen der GdP,nicht nur wie jetzt schon die SIM-Karte, son-dern auch das Gerät selbst bei Diebstahldurch den Netzbetreiber unbrauchbar unddamit als wenig lohnend für einen Raub ge-macht werden. Unverständlich ist es dage-

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Gewerkschaftspolitische Nachrichten

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Die im Handel befindlichen und unter Ju-gendlichen sehr beliebten „Softair-Waffen“sehen nicht nur echten Schießprügeln zumVerwechseln ähnlich, sondern werden auchin ihrer Wirkung erheblich unterschätzt. Dasergab eine Testreihe der GdP. GdP-Vorsit-zender Konrad Freiberg: „Softair-Waffensind keineswegs harmlos, obwohl sie recht-

Wirkung der Spielzeugwaffen mit einfachenMitteln erhöht werden könne, sollten ernstgenommen werden. Der GdP-Vorsitzendeuntermauerte mit diesem Ergebnis die For-derung der GdP, das Führen solcher Softair-Waffen, insbesondere als Nachbildungen vonMaschinenwaffen, in der Öffentlichkeit zuverbieten. In jüngerer Zeit falle zudem auf,dass immer mehr Kinder und Jugendlichemit diesen Waffen auf Personen schießen, soFreiberg weiter. Das gesetzliche Verbot desFührens sei dringend geboten, um möglichstschnell eingreifen zu können, doch müsse beider Erziehung genauso angesetzt werden.

Harmlose Softair-Waffen können ernst-hafte Verletzungen zufügen

lich als Spielzeug gelten. Mit handelsüblichenSoftair-Waffen, also mit einer Bewegungs-energie von maximal 0,5 Joule, lassen sichauf 5 m Distanz CD-Hüllen glatt durchschie-ßen. Damit sind Verletzungen wie Platzwun-den wahrscheinlich, Verletzungen des Au-ges dürften sogar erheblicher ausfallen.“Auch Hinweise von Jugendlichen, dass die

Bestürzung über schwer verletzte Beamte durch SchießereiBestürzt und in Sorge zeigt sich die GdP nachder Schießerei im Hamburger Stadtteil Duls-berg, bei der vier Kollegen und Kolleginnenvon einem Straftäter zum Teil sehr schwerverletzt wurden.Dazu der GdP-Landesvorsitzende Hamburg,André Bunkowsky: „Meine Gedanken sindbei den betroffenen Kolleginnen und Kolle-gen. Ich hoffe, sie werden schnell mit denkörperlichen und seelischen Verletzungenfertig und befinden sich in guter Betreuung.Es hat sich wieder einmal gezeigt, dass derBeruf des Polizeibeamten einer der gefähr-lichsten ist und meine Kolleginnen und Kol-legen immer wieder mit außergewöhnlichenSituationen konfrontiert werden, bei denensie ihr Leben und ihre Gesundheit riskieren

sich bundesweit Vorfälle mit Tötungsabsichtgegenüber Polizisten!

GdP-Vorsitzender Konrad Freiberg: „Dasentspricht den Alltagserfahrungen meinerKolleginnen und Kollegen, deren Berufsaus-übung immer gefährlicher wird. Selbst beigeringsten Anlässen treffen sie auf ein immeraggressiver werdendes Klima, polizeilicheAnweisungen werden immer häufiger miss-achtet.“ Der wachsende Widerstand gegeneinschreitende Beamte gehe mit einer ins-gesamt höheren Gewaltbereitschaft einher,so die GdP. Die Gewaltkriminalität ist miteiner Zunahme von 3,5 v.H. und über210.000 registrierten Fällen auf dem Höchst-stand der letzten zehn Jahre.

müssen. Eine schlimme Situation, die sichaber leider nie ganz vermeiden lässt“.Polizeibeamte geraten immer wieder in ge-fährliche Einsatzsituationen, bei denen sieleider immer häufiger mit ihrer Gesundheitbezahlen. Seit 1945 sind 386 Polizistinnenund Polizisten in Deutschland durch Rechts-brecher getötet worden, 700 Beamtinnen undBeamte werden pro Jahr im Dienst schwerverletzt – Widerstände gegen die Staatsgewaltsind von 1995 bis 2004 um rund 43 Prozentvon 17.324 auf 24.919 gestiegen. Allein imJahr 2004 betrug die Steigerung gegenüber2003 9,3 Prozent.In Hamburg war diese Zahl im letzten Jahrauf 7047 Fälle um 5,3 Prozent gestiegen.Durchschnittlich 50- bis 70-mal ereigneten

Sämtliche Experten, die am 29.06.2005 inKarlsruhe zu einer Anhörung geladen wa-ren, bestätigten auf Nachfragen des Gerichtsdie Auffassung der DGB-Gewerkschaften,wonach die Übertragung der Änderungen imRentenbereich auf die Versorgungsempfän-ger zu einer überproportionalen Belastungder Betroffenen führe. Das gibt eine positi-ve Ausgangslage für die weitere Verhandlungder Verfassungsbeschwerden, wenngleichsich eine konkrete Prognose noch nicht stel-len lässt.

Als einseitige Belastung der Beamtinnen undBeamten sieht die GdP die von der Union ge-plante Mehrwertsteuer und lehnt sie deshalbab. Während die übrigen Beschäftigten einezumindest teilweise Entlastung über die geplan-te Absenkung der Arbeitslosenbeiträge erhiel-ten, finde eine solche Kompensation bei Be-amtinnen und Beamten nicht statt. Sie seienvon der Mehrwertsteuererhöhung in vollerHöhe betroffen, kritisierte der GdP-Vorsitzen-

Expertenanhörung beim BVerfG zumVersorgungsänderungsgesetz 2001

Die DGB-Gewerkschaften des ÖffentlichenDienstes halten das Gesetz für verfassungs-widrig und haben Klagen von Mitgliedernunterstützt. DGB-Vorstandsmitglied IngridSehrbrock: „Ruhegehaltsempfängerinnenund -empfänger werden durch das Versor-gungsänderungsgesetz 2001 stärker belastetals Rentnerinnen und Rentner. Bei den Ren-ten wurde lediglich die gesetzliche Grund-versorgung gekürzt, bei den Pensionen auchder Anteil, der der betrieblichen Altersver-sorgung entspricht. Damit sind die Einschnit-

de Konrad Freiberg in einer Pressemeldung. Mitder geplanten Erhöhung der Mehrwertsteuer,der Aufhebung der Steuerfreiheit für Sonn-,Feiertags- und Nachtzuschlägen und der Strei-chung der Pendlerpauschale sei die Grenze desZumutbaren für die Beamtinnen und Beamtenüberschritten, so der GdP-Vorsitzende. Frei-berg: „Unsere Beamtinnen und Beamten bei derPolizei haben zahlreiche Einkommensver-schlechterungen, wie die Streichung bzw. Ab-

senkung des Urlaubs- und des Weihnachtsgel-des bereits hinnehmen müssen. Auch bei derAltersvorsorge geht es seit Jahren bergab. Dieneuen Pläne machen für uns Polizeibeamtin-nen und -beamten das Maß voll.“ Die geplanteMehrwertsteuererhöhung, so die GdP, kennenur Verlierer: Arbeitnehmer würden belastet,Arbeitgeber kaum entlastet, der Arbeitsmarktnicht belebt und die Binnenkonjunktur nichtangeheizt.

te bei den Pensionen um mehr als 30 Pro-zent höher als bei den Renten. Der Bundes-rat hat unsere Auffassung in seiner Stellung-nahme zum aktuellen Versorgungs-nachhaltigkeitsgesetz am 17. Mai bestätigt.“Sehrbrock weiter: „Pensionärinnen und Pen-sionäre sollen für die Versäumnisse ihrerDienstherren büßen. Sie haben es über Jahr-zehnte hinweg versäumt, Rücklagen fürkünftige Versorgungskosten zu bilden. DerDGB dagegen plädiert schon lange für denAufbau ausreichender Versorgungsrückla-gen. Dieser Weg ist verfassungsrechtlich un-bedenklich und sichert die Pensionen, wieauch die öffentlichen Haushalte, der Zukunftnachhaltig ab.“ Dem ist aus GdP-Sicht nichtshinzuzufügen.

Höhere Mehrwertsteuer belastet einseitig Polizistinnen und Polizisten