Kritische musterung der neueren theorien über den unterschied von empfindung und vorstellung

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Kritische Musterung der neueren Theorien fiber den Unterschied yon Empfindung und Vorstelhmg. Von Dr. Siegfried Fischer (Dresden-Breslau). Mit 2 Textabbildungen. (Eingegangen am 17. November 1920. ) I. Die Fragestellung und ihre Begrtindung (S. 260). II. Untersuchung der Erscheinungen beztiglich der Merkmale, die eine Differen- zierung der Empfindungen yon den Vorstellungen hinsichtlich ihres Ver- h~ltnisses zu ~u6eren Reizen bedingen (S. 264). 1. Die Intensit~t als Kriterium (S. 264). 2. Andere MerkmMe (S. 269). a) Die ~ltesten Merkmale (S. 269). b) Blickpunkt und Blickfeld (S. 269). c) ])as Gefiihl der Aktivit~it (S. 270). d) Das Zwangsm~Bige der Empfindungen (S. 271). e) Verschiedenheit des Raumes (S. 271). f) Selbstgegenwart, Eigenpr~senz und Leibhaftigkeit (S. 272). IlL Genetischer Liisungsversuch (S. 273). IV. Die Grenzf~lle und pathologischen Erscheinungen (S. 277). I. Die Frage nach dem Unterschiede zwischen Empfindung und Vor- stellung wird yore psychologisch nicht Geschulten ohne weiteres so beant- wortet werden, dab der Empfindung ein ~ul~erer Reiz entspricht, der Vor- stellung jedoch nicht..Diese Erkl~irung, so einfach und klar sie auch zu sein scheint, reicht abet nicht aus. Wit sehen dabei ganz ab yon erkenntnis- theoretischen Erw~gungen, ob denn tiberhaupt ein ~ul~erer, auBerhalb meiner ]iegender Reiz tats~chlich vorhanden und fiir reich erkennbar ist -- Erw~gungen, die fiir den Psychologen aul~er Betracht bleiben. Die Unzul~nglichkeit der .Definition zeigt sich vor allem bei den GrenzfMlen und pathologischen Erscheinungen, beim Wachtraum, den Traumbildern, der Pseudohalluzination und der Halluzination. Man denke z. B. an die bei groi~er geistiger Erregung und gleichzeitig k(irper- licher Ermtidung auftretenden Schlafbilder, an die Unsicherheit der Unterscheidung zwischen Empfindung und Vorstellung bei sich ent- fernenden Ger~uschen, an die gesteigerte Lebhaftigkeit der Erwartungs- vorstellung, die z. B. bei der Entdeckung der sog. N-Strahlen eine Unter- scheidung yon Wahrnehmungen nicht mehr zuliel~ und selbst getibte naturwissenschaftliche Beobachter zur T:~iuschung verleitete. SchlielL

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Kritische Musterung der neueren Theorien fiber den Unterschied yon Empfindung und Vorstelhmg.

Von Dr. Siegfried Fischer (Dresden-Breslau).

Mit 2 Textabbi ldungen .

(Eingegangen am 17. November 1920. )

I. Die Fragestellung und ihre Begrtindung (S. 260). II. Untersuchung der Erscheinungen beztiglich der Merkmale, die eine Differen-

zierung der Empfindungen yon den Vorstellungen hinsichtlich ihres Ver- h~ltnisses zu ~u6eren Reizen bedingen (S. 264). 1. Die Intensit~t als Kriterium (S. 264). 2. Andere MerkmMe (S. 269).

a) Die ~ltesten Merkmale (S. 269). b) Blickpunkt und Blickfeld (S. 269). c) ])as Gefiihl der Aktivit~it (S. 270). d) Das Zwangsm~Bige der Empfindungen (S. 271). e) Verschiedenheit des Raumes (S. 271). f) Selbstgegenwart, Eigenpr~senz und Leibhaftigkeit (S. 272).

I lL Genetischer Liisungsversuch (S. 273). IV. Die Grenzf~lle und pathologischen Erscheinungen (S. 277).

I . Die Frage nach dem Unterschiede zwischen Empfindung und Vor- stellung wird yore psychologisch nicht Geschulten ohne weiteres so beant- wortet werden, dab der Empfindung ein ~ul~erer Reiz entspricht, der Vor- stellung jedoch nicht..Diese Erkl~irung, so einfach und klar sie auch zu sein scheint, reicht abet nicht aus. Wit sehen dabei ganz ab yon erkenntnis- theoretischen Erw~gungen, ob denn tiberhaupt ein ~ul~erer, auBerhalb meiner ]iegender Reiz tats~chlich vorhanden und fiir reich erkennbar ist - - Erw~gungen, die fiir den Psychologen aul~er Betracht bleiben.

Die Unzul~nglichkeit der .Definition zeigt sich vor allem bei den GrenzfMlen und pathologischen Erscheinungen, beim Wachtraum, den Traumbildern, der Pseudohalluzination und der Halluzination. Man denke z. B. an die bei groi~er geistiger Erregung und gleichzeitig k(irper- licher Ermtidung auftretenden Schlafbilder, an die Unsicherheit der Unterscheidung zwischen Empfindung und Vorstellung bei sich ent- fernenden Ger~uschen, an die gesteigerte Lebhaftigkeit der Erwartungs- vorstellung, die z. B. bei der Entdeckung der sog. N-Strahlen eine Unter- scheidung yon Wahrnehmungen nicht mehr zuliel~ und selbst getibte naturwissenschaftliche Beobachter zur T:~iuschung verleitete. SchlielL

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S. Fischer: Neuere Theorien w)n Empfindung und Vorstellung. 261

lieh sei noeh an die systematisehen Laboratoriumsversuehe von P e r k yl) erinnert, deren Versuehspersonen Vorstellung und Empfindung nieht zu untersehei(len vermoehten; ja, die Vcrsuchspcrsonen wollten nach- tr~glieh niehg glauben, dab das, was sic gesehen hatten, nieht ihrc Vorstellungen,. sondern Wahrnchmungen yon ga.nz sehwaehen Projek- tionsbildem waren.

Erseheint somig (lie Frage naeh dem Untersehiede der beiden Bewugg- seinsinhalte gereehtfertigt, so miissen wit (lie Bereehtigung der Frage- stellung, die wit insbesondere dureh das Vorkommen der Grenzfiille begrfindet haben, noeh gegenfil3er einem Einwan(le Theodor Co n r a d s 2) stfitzen. C o n r a d behauptet, es gibt Erlebnisse mig ausgesproehenem Wahrnehmungseharakter und solche mit ausgesproehenem Vorstellungs- charakter. Habe ieh den Untersehied zwisehen zwei solehen Nrlebnissen klar erfagg - - u n d e r sieht ihn yon vornherein in der Eigenpritsenz der Empfindungen, die den Vorstelhmgen fehlt - , so li~Bt er sieh nieht herab- mindern oder zum Versehwinden bringen dureh die Tatsaehe, (lal~ zwisehen beide sieh eine Reihe ithnlieher Erlebnisse mit stetigen Ubcr- giingen einsehieben lasse. Ffir (lie Frage naeh der Existenz eines spezi- fischen Untersehiedes sei es gleiehgfiltig, ob Grenzf~ille vorkommen oder nieht (S. 53). Setzen wir mit Co n r a d den FM1, der Empfindung kommc, gcgentiber der Vorstelhmg tatsitehlich eine spezifisehe Qualit/tt zu, wie vertriigt sieh dann dicser Satz mit dem anderen C o n ra d s : Ffir gewisse GrenzfSlle gilt dieser Satz nieht, an den Grenzfiillen unterseheiden sieh die beiden Erlebnisse nieht sehaff voneinander ".+ Wo ist dann die Grenze zu ziehen zwisehen den eharakteristisehen Wahrnehmungen im Sinne (!o n r a d s und seinen GrenzfSllen ? Denn da der L~bergang ein stetiger ist, wfirde die Setz,mg der Grenze tier Willkt~r ties einzelnen aberlassen bleiben. Entweder gibt cs spezifische Untersehiede, und dann mfissen alle diejenigen BewuBtseinsinhalte, bei denen sic naehweisbar sind, zu der einen Klasse, bei dcnen sic nieht nachweisbar sind, zu der andere . Klasse gercehnet wcrden. ()der es gibt sic nieht, <lann ist es jedoeh nieht angitngig zu sagen, bei den eharakteristisehen Exemplaren der einen Klasse ist das Spczifieum vorhanden, bei den nieht eharakteristisehen fehlt es. Wenn das Kriterium, das diesen BewuBtseinsinhalt zu eben diesem Erlebnis stempelt, nicht vorhanden ist, <lann geh6rt dieses Er- lebnis eben ~umh nicht zu dieser Klasse yon Bewul~tseinsinhalten. Wenn daher das Spezificmn Co n r a d s einem Tell der Erlebnisse, die er Wahr- nehmungen nennt, nicht zukommt - - und das sind die Grenzfitlle - - , d a n n i s t es auch kein Spezifikum, u n d e s obliegt immer noch (lie Auf-

~) Ch. W. P e r k y , An Experimental Study of hnagination. Amer. Journ. of Psychol. 21.

:) Theod. Conrad, {"ber Wahrnehmung u. Vorstelhmg. Miinehm philosopll. AI)handhmg. Thcod. l,il)pS gcwidmei. Leipzig 19ll.

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262 S. Fischer: Kritis(.he Muster,rag der neueren Theormtl

gabe, nach Kriterien zu suchen, <lie a u c h d iese n Bewul~tscinsinhalten zuzuschreiben sind.

Die Berechtigung unserer Fragestellung iiberhaupt ist demnach erwiesen. Die popul~re Antwort auf unsere Frage hatteu wir insbeson- dere im Hinblick auf die GreuzfMle abgelehnt. Wir kSnnen jedoch aus ilu' ableiten, dalt bei dem Erlcbnis dcr Empfiudung ein Wissen v o n d e r Existenz eines ~ul~eren, die Empfindung verursachenden Reizes vor handen sein mul~, bei dem Erlebnis der Vorstellung ein Wissen davon, dal~ dem Erlebnis kein ~u~erer Reiz entspricht. Dieses Wissen braucht nicht aktuel] zu sein und ist es auch gewShulich nicht. Das Kri ter ium dieser beiden Bewul~tseinsinhalte ist also dieses, meist dispositionelle, Wissen je nach seinem Fehlen oder Vorhandensein. Dutch eine ent- sprechende Fragcstellung kann es naturgem~tl~ jederzeit aktualisiert werden. Die Frage unserer Aufgabc ist demnach zu stellen: Wodurch, durch welche Eigentiimlichkeiten der Erlebnisse kommen wir zu dem Wissen von dem Vorhandenscin oder Fehlen eines (lie Erscheinung v e r u r s a c h e n d e n gulleren geizes ~.

Das Kri ter ium ist, wir betonen es nochmals, nicht das Vorhandcnsein eines ~ul~eren Reizes, sondern das Wissen oder Uberzeugtsein yon dem Vorhandensein eines 5ul~eren Reizes, wobei gleichgiiltig ist, ob der Reiz wirklich vorhanden ist o(ler nicht. Wenn S t u m p f ~) einwenden wiirde, durch die Bestimmung: Empfindungen kommen yon hul~ereu Rcizen, Vorstellungen nicht, wiirde mlr eine genetische, nicht einc deskriptive Bestimmung gegeben; dab fflr unsere phgnomenologischen Zwecke i~ber die Hauptfrage sei, ob und wie sich die beiden Klassen durch immanente, dein Bewulttseinsbestand entnommene Merkmale unterscheiden lassen, so diirfen wir erwidern, dall in der Formulierung unserer :Fragestellung nach einer deskriptiven Bestimnmng gefragt ist, insofern, als eben in dem Erlebnis der Empfindung (las Wissen o(lcr Uberzeugtsein yon einem aul~erhalb liegenden Reiz enthalten ist.

Damit soil nicht behauptet werden, dal~ bei jeder Empfindung oder Vorstellung immer ein Urteilsakt vollzogen wtirde, auch nicht die Exi- stenz der fragwiirdigen, ,,unbewui3ten Schliisse" wieder heraufbeschwo- ren werden, sondern es handelt sich um ein dem Erlebnis immanentes, gewShnlich nicht aktuelles, sondern dispositionelles Wissen, das, wie immer bei gelgufigen Prozesscn, so attch hier, im Bewulltsein zuriicktritt und sich nur dann bemerkbar macht, weml Hemmungen eintreten; also bei unseren Erlebnissen in einigen GrenzfMlen, wo wir nicht genau unterscheiden k6nnen, ob die Erscheinung von tkul~eren Reizen verur- sacht ist oder nicht, und deshalb zu der Frage nach der Ursache gedrgngt werden.

1) C. S tumpf , Empfindung mid Vorstelluug. Abhandlg. d. kgl. preul.~. Akademie d. Wissenschaften Berlin 1918, S. 10.

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tiber den Unterschied yon Empfindun~ und Vorstellung. 263

Noeh ein Wort ist zu sagen zu dem Bcgriff des ,,iiul~eren oder aul3er- halb von mir licgenden Reizcs". Empfin<hmgen, deren itul3erer Reiz in meinem Kbrper licgt, wie kiniiSthetisehe, Organempfin<hmgen, Mouehes volantes u.a. , <lie man mit ,,subjektive Empfin<hmgen" zu bezeiehnen pflegt, zithlen wir zu <{erselben Klasse yon BewuBtseinsinhalten wie die Empfindungen, deren Reiz aullerhalb meines K6rpers liegt, und zwar des- wegen, weil wir in diesen Fiillen unseren K6rper oder Teile desselben objekti vieren, genau wie einen auBerhalb des K6rpers befindliehen Gegen- stand. Das Bestimmende ffir den ,,auBerhalb meiner" liegenden Reiz ist das Wissen, dab der BewuBCseinsinhalt nieht primitr das Produkt meines Seelenlebet~s ist. S t u m p f wendet hiergegen ein (S. 23), <lab das Merkmal ,,dureh iiu6eren Reiz verursaeht'" bei den subjektiven Emp- findungen versagt. Er gibt zwar (lie Objektivierung des K6rpers bei den subjektiven Empfindungen zu, beh.auptet aber, diese Beziehung auf einen iiugeren, niimlieh physisehen Gegenstand braueht nicht mitgedaeht zu wer<len, man h6rt den subjektiven Ton, ohne ihn auf irgend etwas zu beziehen, h6rt ihn aber genan so und in gleiehem Malle wie den ob- jektiven (S. 24). Dieser Satz ist mir nieht verstiindlieh. Da6 ieh einen subjektiven Ton genau so wie einen objektiven hOren kann, ist ohne weiteres einleuchten<l. Dram ob mein Geh6rorgan dureh aulterhalb meines K6rpers oder in meinem K6rper liegende Reize gi~troffen wird, ist ft~r das H6ren des Tones gleiehgtiltig. Warum aber gerade bei sub- jektiveu T6nen die Beziehung auf einen itul~eren Gegenstand fehlen kant,, bei den objektiven nieht, k a m ieh nieht einsehen. H6re ieh TSne oder Geriiusehe, so lokalisiere ieh die Reizquellen aullerhalb meines KSrpers oder in ihn. Ein Grund far <lie M6gliehkeit des Fehlens dies<.," Beziehung bei den subjektiven Empfindungen liegt nicht vor, mM auch ph~inomenologiseh erseheint mir, ffir meine Person, ein s<>lehes Erlebnis nieht m6glieh.

Kehren wir zu unserer Fragestelhmg zurfiek, so mfissen wit sic noel, gegen einen Einwand siehern. Man k6nnte :r;imlieh mit S t u m p f (S. 24) gegen die Fassung derselben fo]gendermaBen argumentieren: Ieh kann, ohne objektiv oder subjektiv lituten zu h6ren, mir <lie Vor- .,tellung eines fcrnen Geli~utes bilden, das aus einer bestimmten Rich- tung an mein ()hr dringt, kaml aullerdem fiberzeugt sein, dab jetzt zu- f~illig aueh wirklieh in dieser giehtmlg un<l mit diesem Tonfall Gloeken liiuten, gleiehzeitig abet fiberzeugt sell,, es nieht wirklieh zu h6ren. Und daraus zieht S t u m pf den Sehlu6: ,,Also ist das blolle Vorstellen einsehliel31ich des daran geknfipften Wissens immer noeh keine Emp- findung, solange nieht jene sinnliche Lebhaftigkeit, worin sie auch be- stehen m6ge, gegeben ist. Die Beziehung auf ein iiugeres 0bjekt kann das unterseheidende Merkmal nicht sein, wenigstens nicht das einzige und allein aussehlaggebende.'" Mir seheint <lieser SehluB nieht riehtig

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zu sein. Denn habe ieh die Vorstellung eines Geli~utes, bin ieh auBer- dem fiberzeugt, dal~ zufi~llig auch in der Richtung der Vorstellung und mit demselben Rhythmus Glockengeli~ute ert6nt, so habe ich wohl z~ei Bewugtseinsinhalte, aber sie gehen beide getrennt nebeneinander her, und ich setze die Vorstellung nicht in Beziehung zu meinem Wissen, (laI~ eine Glocke tatsiichlich l~iutet, und habe nicht das Uberzeugtsein, dab das Glockengel~ut, yon dem ich weig, die Ursache meiner Vorstel- lung des Glockengel~tutes ist. Es sind also in diesem Beispiele nicht die Bedingungen gegeben, die ffir das Auffassen einer Erscheimmg als Emp- findung notwendig sind ; denn nur dann redo ich von einer Empfindung, wenn der 5uBere Reiz, yon dcssen Existenz ich fiberzeugt bin, als (ler (lie Erscheinung verursachende Reiz von mir erfaBt wird.

Wit dfirfen demnach bei unserer Fragestellung bleiben und betonen dabei zugleich, dab wir damit nichts pr~tjudiziercn fibcr dasjenige, was (las Uberzeugtsein oder Wissen yon dem Vorhandensein eines objek- riven Reizes bewirkt. Denn ob im Inhalt oder der Funktion das prim~ir entscheidende Moment liegt, das ist in unserer Fragestellung noch nicht ausgemacht. Nehmen wir etwa an, eine ganz bestimmte Qualitht x wtirde notwendig jedem Empfindungsinhalte zukommen und jedem Vorstel- lungsinhalte fehlen, so wiirde (lie Erscheinung infolge des ihr imm~nen- ten x gedeutet werden als durch einen ~iu[~eren Reiz verursacht. Das Kriterium w~re also das Inhaltsmerkmal x, das dann allerdings das Beziehungserlebnis sekund~ir zur Folge h~tte.

Unsere Aufgabe besteht demnach darin, festzustellen, ob sich Merk- male der Erscheinungen finden, seien es solche des Inhalts oder der Funktion, die eine Differenzierung der Empfindungen yon den Vor- stellungen beztiglich ihres Verh~iltnisses zu ~uBeren geizen gestatten.

II . 1. Zunhchst wenden wir uns zu den Inhalten der Empfindungen und Vorstellungen. Das mnstrittenste Gebiet innerhalb dieser Frage ist das der Intensit~tt tier beiden Erscheinungen. Soll eine Untersuchung fiber den Unterschie(I der Intensit~it zwischen Empfindung und Vorstellung iiberhaupt Sinn haben, so ist notwendige Voraussetzung, dab ihr Vor- handensein zum mindesten in einer der beiden Erscheinungen feststeht. Diese Behauptung stellen wit ffir (lie Geh6rsempfindungen auf, deren Betrachtung wir uns zuerst unterziehen. Wir wissen uns mit dieser Behauptung in (~bereinstimmung mit der allgemeinen Ansicht und deft- nieren mit G. E. M f i l ler (lie Intensiti~t folgenderInai~en: ,,Schreiben wir einer Empfindung einen bestimmten Weft der ]ntensit~it zu, so ver- stehen wir darunter die Zahl der verschiedenen Empfindungen, welche durchlaufen werden wiirden, wenn man die Empfindung in der auf dem kfirzesten Wege zum Nullpunkte ffihrenden Richtung bis zur Erreichung des Nullpunktes stetig ver~indern ~4irde~)." Wir gehen deshalb bei

1) Zitiert nac|l S t u m p f, Die Attribute der Gesichtsempfindungen.

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unserer Untersuchung von den Tonerscheinungen aus und fragen: Kommt der Tonvorstellung in derselben Weise wie der Tonempfindung eine IntensitSt zu, und falls wir zu einem positiven Ergebnis gelangen: Unterseheiden sieh die beiden Erlebnisse prinzipiell durch graduelle Versehiedenheiten der Intensitiit ? S t u m p f hat in seiner Abhandlung .,Empfindung und Vorstellung" diese Frage eingehend erSrtert. DaB den Tonvorstellungen fiberhaupt Intensiti~t zukomme, werden wit mit S t u m p f behaupten k6nnen. Denn wie anders wollte man sonst ein vorgestelltes Fortissimo yon einem Pianissimo unterseheiden, dessen Vorstellungsm6gliehkeit phanomenologiseh feststeht ? Und es liegt kein Grund vor, qualitativ andere Phi~nomene als Grundlage der vorgestellten Intensitiit in Ansprueh zu nehmen. Graduutersehiede bestehen also hinsiehtlieh der lntensitgt, und damit diese selbst. Handelt es sieh nun um St~rkeunterschiede im gleiehen Sinne wie bei den Empfindungen ? Diese seine zweite Frage bejaht S t u m pf und fiigt hinzu, dag die Inten- siti~tszone der gewOhnliehen Vorstellungen eine geringere Ausdehnung besitzt als die der Empfindungen. Die Extreme liegen bei den Vor- stelhmgen weniger weit auseinander als bei den Empfindungen. Die 8tgrke v e r h g 1 t n i s s e bleiben im Ged~tehtnis erhalten, abet die Stgrke- u n t e r s e h i e d e erseheinen bedeutend verringert (S. 27). SehlieBlieh kommt er zur Beantwortung seiner dritten Frage naeh deln Verhgltnis der Vorstellungs- zu den EmpfindungsstS.rkeu in dem Sinne, dab die Vorstellungssti~rken unterhalb der sehwi~ehsten Empfindungssti~rke liegen, und zwar sollen die gewShntiehen tibermerkliehen Empfindungen wm den gew6hnlieh sehr sehwaehen Vorstellungen dureh eine Streeke yon Intensitgten getrennt sein, innerhalb deren nur in besonderen FMlen Bewugtseinsinhalte auftreten, die dann einen wirklichen Ubergang zwisehen Empfindung und Vorstellung bilden (S. 27).

Diese Lehre S t u m p f s seheint mir bedeutende Sehwierigkeiten zu haben. Mag sie aueh dureh theoretisehe Erw~igungen zu stiitzen sein, so ist doeh die erste Frage eine phiinomenologisehe, ni~mlieh, ob fiir mieh ein vorgestellter Ton immer leiser erseheinen mug als ein empfun- dener. Untersuehungen, die yon S e h a u b 1) in dieser Riehtung ange- stellt wurden, ergaben, dab seinen Versuehspersonen die Intensiti~t der Vorstellungen durehaus vergleiehbar mit der der Empfindungen er- sehien, und es gelang ihnen mit Ausnahme einiger sehr lauter Reize, vorstellungsmi~gig die gleiehe Intensitht zu erreiehen wie bei der Emp- findung. S t u m pf sieht die Schwierigkeit, die sich aus dieser Tatsaehe ergibt, und erkli~rt sie mit vollem Reeht dutch die Rolle, die die dureh (lie Erfahrung geleitete Auffassung bei der Deutung unserer sinnliehen Erscheinungen spielt. Sehon innerhalb der Empfindungszone hat die

1) A. de Vr ies -Sehaub, On the Intensity of Images. Amer. Journ. of Psychol..22.

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Deutung einen wesentlichen Anteil an der Auffassung des StSrkegrades. ,,Der st~irkste Ton eines Konzertshngers auf dem Podimn, j~ d~s Fortis- simo eines g~nzen Orchesters gelangen bei einiger Entfernung des H6ren- den mit eincr geringeren physik~lischen Tonst~rkc zum Ohrc des H6ren- den, als etwa eine krifftig angeschlagene Stimmgabel. dicht vor das Ohr gehMten, besitzt." Und ebenso ist (lie Auffassung eines vorgestellten Tones abhhngig yon ihrer D e u t u n g . . , E s kann ein und dieselbe vorge- stellte Tonsti~rke einmal als Fortissimo, ein anderes Mal als Pianissimo gelten." Bei diesem letzten Satze frage ich reich, woher weiB S t u ml)f das? DM~ das Fortissimo eines Konzertsitngers auf dem Podium nlit geringerer Tonst~trke zu meinem Ohre gelangt als (lie Schwin- gungen einer ans Ohr gehaltenen Stimmgabel, kann ich durch physikalische Messungen feststellen. Ich kcnne hier dic St:,irkegrade der Reize, der Empfin(hmgen nnd ihr VerhMtnis zueinander. Wie aber will ich dasselbe yon vorgestellten T6nen beh,~upten ? Hier habc ich nnr (lie tgrscheinung und ihren mir bewuf~ten StSrkegrad. Wieviei darf ieh v o n d e r vorgestellten Sti~rke auf Kosten der Deutung nnd wieviel auf die der absolnten Intensitht, d. h. ddr Intensit~it, wenn ieh yon der Deutung abstrahiere, setzen ? Bei der Empfindmlg is( diese M6glieh- keit rein phitnomenologiseh aueh sehon nieht gegeben ; denn das Fortissimo des Orehesters wird mir immer lauter erseheinen als (lie am Ohre sehwingemle Stimmgabel. Und dubei liifJt sieh bei der Eigenart der Empfindungserlebnisse fiber ihre Eigensehaften noeh immer leichter etwas aussagen. Bei den Empfindungen habe ieh abet einen physika- lisehen Magstab, an dent ieh messen karat. Aber wie sollte es m6glieh sein, bei der Vorstellung yon der Deutung zu abstr~hieren, so dab ieh sagen cl~rf, die absoluge Intensit~it is( in zwei I~'521en dieseibe, und nnr dutch meine Deutung wird sie stark oder sehwaeh ? Malt karat, so glanbe ieh, fiber (lie absoluten Intensitiitsgrade der Tonvorstelhmgen fiberhaupt niehts aussagen.

Ffir die Deutung der StSrkegrade von Tonvorstellungen sind, worauf S t u m p f aueh hinweist, Nebenvorstelhmgen von besonderer Wiehtigkeit. Aber nieht nur diese sind yon Bedeutung, sondern, wie Mf i l l e r - F r e i e n f e l s 1) hervorhebt, aueh begleitende Bewegungsempfindungen. Die Vorstellung der aufgeblasenen Baeken der BlSser und der energi- sehen Bogenffihrung der Streicher unterstfitzen wesentlieh die Deutung der GehSrvorstellungen als Fortissimo, aber gleichzeitig werden bei der Vorstellung, besonders yon starken TOnen. gewOhnlieh ~ueh Be- wegungsempfindungen im Kehlkopf verspfirt, und zwar nieht nur bei tier von gesungenen T61~en, sondern z. B. aueh bei denen eines Streieh- instrumentes. Ja ich glaube, da[~ aueh die Atemfiihrung ftir die Auf- fassung yon Vorstelhmgsstiirken yon T6nen, aueh solehen, die yon Instru-

1) Miiller-]q'reienfels, Zeits(,hr. f. Psychol. {10.

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fiber den Untersrhied yon Empfindune und Vorstelhno'. 267

menten erzeugt werden, yon wesentlicher Bedeutung ist, und zwar derart, daft bei der Vorstellung eines Forte stSrker, bei der eines Piano schwAeher geatmet oder dies wenigstens durch Muskelanspannungen angedeutet wird. Am deutliehsten werden diese Erscheinungen bei der Vorstelhmg eines pl6tzliehen Sforzato immrhalb eines langsam hin- gleiten(len Pianos.

Die Bedeutung der Nebenvorstelhmgen und Nebenempfindungen fiir (lie Auffassung der Intensit5tsgrade der Vorstellungen werden ent- spreehend der Fiihigkeit, fiberhaupt akustisehe Vorstelhmgen zu er- leben, individuellen Sehwankungen unterliegen. Daraus erkliirt sieh aueh (lie abzulehnende radikale Ansieht von M f i l l e r - F r e i e n f e l s , daft ,,das, w~ts sieh bei oberfliiehlieher Beobaehtung als Reproduktion einer Wahr- nehmung darstellt, sieh bei genauer Analyse vielfaeh als heterogener Ersatz, als Symbol mit gleiehem Kurswert darstellt".

Wenn wir (lie wesentliche Rolle, die die Deutung bei den Vorstel- lungen spielt, in Betraeht ziehen, dann werden aueh die Versuehsergeb- nisse S e h a u b s versthndlieh. Welehe absolute Intensititt die Vorstel- hmg seiner Versuehspersonen hatten, dartiber liigt sieh niehts aussagen, mid hiitten aueh die Versuehspersonen niehts aussagen k6nnen. Aber da ihre Aufgabe darin bestand, einen Ton wahrzunehmen und darauf ihn vorzustellen, so lag niehts nigher, als die Intensitiit des vorgestellteu Tones als eine solehe zu deuten, wie sic kurz vorher bei dem wahrge- nommenen Tone empfunden wurde.

Unsere Untersuehung hat also ergeben, dag wir ph~nomenologiseh iiber die Intensi t i i t sgrade der Geh6rvorstellungen und damit aueh fiber ihr VerhSltnis zu der Intensitiit der Geh6rsempfindungen nichts ans- sageu k6nnen. Erklhrend aber k6nnen wir der Hypothese S t u m p f s folgen, die besagt, daft die einer Empfindung zugrunde liegenden Nerven- vorgiinge wahrseheinlieh bei einer gewissen Sehw:,iehe des Reizes auf- h6ren, und damit aueh die Empfindung aufhSrt. Der Reiz k6nne die physiologisehe Reibung nieht mehr fiberwinden, dagegen kSnne infolge der aus selbsti~ndigen inneren Ursaehen fortlaufenden physiologisehen Prozesse dieselbe Tonerseheinung noeh in weir geringeren Stiirkegraden auftreten, um dann wieder bei einer diesen Zentralprozessen eigentfim- lichen Sehwelle zu versehwinden (S. 43). Go geistvoll diese Hypothese aber aueh sein mag, so wird sie ffir unsere Frage doeh nur Sinn und Wert haben, wenn wir phiinomenologiseh tatsiiehlieh Ieststellen k6nnen, daft die Vorstellungsst~,rken unterhalb der Sehwelle der Empfindungsstiirken liegen. Denn angenommen, diese Hypothese sei riehtig, so wird sie uns immer noeh nieht erkl~ren, warum wir dann die eine Erscheimmg als dureh 5ufteren geiz verursaeht, die andere ohne dieses Merkmal denken. Denn wenn wir zu einem solehen Bewugtsein gelangen wollen, so mfissen dem Erlebnis immanente Eigensehaften vorhanden sein. die uns zu

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(liesem Gedanken zwingen. Solange aber phiinomenologisch die Inten- sitiiten der Empfindung und Vorstellung vergleichbar sind und nicht (lurch einen scharfen Schnitt getrennt werden kSnnen, solange werden wit in ihnen nicht das Kriterium erblicken kSnnen, das uns veranlagt, (lie Beziehung zu einem verursachenden Reize herzustellen.

Wit wenden uns jetzt zur Betrachtung des Kriterimns der Intensiti~t beim Gesichtssinn. Hier ist yon vornherein die MSglichkeit seiner Anwendung deswegen in Frage gestellt, weil keine Einheit daraber erzielt ist, ob den G e s i c h t s e m p f i n d u n g e n aberhaupt eine Inten- sitht zukommt. Es ist hier nicht unsere Aufgabe, dicse Frage zu ent- scheiden. Stellen wit uns auf den Standpunkt, dab den Farbempfin- dungen keine Intensit~tt zukommt, dana ist damit die Frage nach ihrer Bedeutung als Kriterium gegenstandslos. Nehmen wir abet mit S t u m.pf (Die Attribute (let Gesiehtsempfindungen) an, dab die Empfindungs- sti~rke, yore Augengrau als Mininmm anfangeud, langsam mit der geizstarke steigt, bei den Reizunterschieden des gewShnliehen Tages- lichtes nahezu konstant bleibt und nut grSgere Untcrschiede zeigt, wenn stark erleuchtete Fli~chen in dunkler Umgebung auftreten und bei hohen Reizsti~rken einen rapid steigenden Verlauf nimmt, so kSnnen wit einnlal unser Gegenargument, das wit bei den GehSrserscheinungen ausftihrlich erSrterten, auch bier anwendeu, dab niimlich (lie Deutung, die auch bei den ~Erscheinungen des Gesichtssinnes mitspricht, eine phi~nomenologische Feststelhmg der reinen Intensiti~t nicht zuliigt, wenngleich nicht bestritten werden soil, dag ein Abstrahieren yon der Deutung bei den Gesichtsvorstellungen unter Umstitnden nicht vSllig ausgeschlossen erscheint. Wir warden mit S t u m p f dana sagen massen, (lag diejenigen optischen Erscheinungen, deren Stiirke noch unterhalb der Stiirke des Augenschwarz liegt, als Vorstellungen zu bezeichnen sind (S. 48). Dem ist jedoch gegenaberzustellen, was S t u m p f eine Seite sI)itter ausspricht, und womit wir uns einverstanden erklaren. Er sagt ni~mlich (S. 49), innerhalb der Sti~rkezoue, die unter dem Augenschwarz liegt, bestehen nun noch weitere Abstufungen der Intensitiit. Dieselbe Farbe kann mit verschiedener Stitrke vorgestellt wcrden, bald nut eben anklingend, bald so stark, dall sie der empfundenen nahekommt. Und ich mSchte hinzufagen, dag sie ihr auch gleichkonnnen kann, wenig stens kann ich dies yon Vorstellungen behaupten, die ich mit (lem vollen Bewul~tsein, dall es Vorstellungen und keine Empfindungen waren, zuweilen vor dem Einschlafen gehabt habe. Meint S t u m p f nun in diesem Satze die absolute St~irke oder die (lurch alle mSglichen Akzidenzien der Erscheinung g e d e u t e t e Stiirke'! Im ersten Falle warde er mit seinem zweiten Satz dem ersten und damit seiner eigenen Theorie widersprechen. Im zweiten Falle warde unser obiges Argument wieder in seine Rechte treten.

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2. a) Man hat frfiher geglaubt, dab die Vorstellungen sieh inhalt- lich von den Empfindungen dutch drei durchgiingige Kriterien unter- scheiden liel~en. Die Vorstellungen sollten im Gegensatz zu den Emp- findungen blab und kSrperlos sein, lt~ckenhaft und :~irmer an unter- seheidbaren Merkmalen und drittens unbestgndig und fliichtig. Und in der Tat werden wir zugeben miissen, dab im allgemeinen die Vorstellung diese Eigensehaften aufweist. Abet auch hier zeigt sigh (lie Schwierigkeit wieder in den Grenzfallen, bei denen alle diese Mo- mente den Vorstellungen fehlen kSnnen. Die Vorstellungen kSnnen dann dieselbe sinnliche Lebhaftigkeit der Empfindungen erreiehen, ohne dal~ aber die Erseheinung als dureh :,~u6eren Reiz verursa.cht gedaeht werden mul~. Bf ih le r l ) , L i n d w o r s k y +) und S t u m p f 3) haben eingehend die Unzul~nglichkeit dieser Merkmale erwiesen, indem sie zeigten, dalt auch hier nur graduelle Untersehiede vorliegen, und zwar derart, dal~ es nicht mbglieh ist, einen Trennungsstrich zu ziehen, auf dessen einer Seite die Empfindungen, auf deren anderer die Vor- stellungen einzureihen sind.

b) Es sei hier noeh ein Merkmal hinzugeffigt, das auf optisehem Ge- biete die Vorstellung yon der Empfindung oder in diesem Falle besser der Wahrnehmung zu unterscheiden scheint, allerdings auch nur in gradueller Hinsicht und auch nur mit denselben Einschr~tnkungen wie die eben erwghnten Kriterien, das doch aber wichtig genug erseheint, erwghnt zn werden. Es ist n~mlich der Bliekpunkt und das Bliekfeld in der Wahrnehmung grblter als in der Vorstellung. Die Zone des deutlich Vorgestellten ist im allgemeinen relativ klein im Vergleich zu dem, was bei der Wahrnehmung deutlieh erfaftt wird. Um die einzelnen Teile eines Gegenstandes, der bei der Wahrnehmung insgesamt in den Blick- punkt fiillt, deutlieh vorzustellen, verschiebt sich der Blickp,,nkt in der Vorstellung, um das Vorstellungsbild in seinen einzelnen Teilen gewissermaften abzutasten, wodurch dann der erste Bliekpunkt in das Bliekfeld zurficksinkt. Aufterdem fehlt in der Vorstelhmg infolge des eingeengten Blickfeldes ein Teil der Umgebung, der bei der Wahrneh- mung mit erfaftt wird. Es wird in der Wahrnehmung kaum vorkommen, da6 man ein Tintenfa6 wahrnimmt, ohne weuigstens einen Tell des Tisches zu sehen, auf dem es steht, ein Vorgang, der, wie die Versuehe S egals4) zeigen, in der Vorstellung durchaus h~ufig ist. Das Wisseu erggnzt hier bei den Vorstellungen das fehlende Vorgestellte. Eine Ergiinzung des Erfaltten dureh das Wissen findet zwar auch bei der

1) E bbi ngha us, Grundziige d. Psychol. Bearbeitet vonBiihler. IV. Aufl. 1919. 2) j. L i n d w o r s k y, Wahrnehmung und Vorstellung. Zeitschr. f. Psycho~

B0. 1918. 3) a. a. O. 4) j. Segal, (~ber dasVorstellen yon Objekten und Situationen. Stuttgart 1916.

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Wahrnehmung start, aber, entsprechend dem weiteren Kreise des Blickpunktes und Blickfeldes, verschieden. Diese Verschiedenheit hat dann auch einen graduellen Unterschied in der Aktualisierung des Wissens zur Folge. S e g a l sehlieBt aus den Aussagen sciner Versuchs- personen, dab das Mehrwissen, als in der Vorstellung gesehen wird, immer aktuell sein mtisse. Ich glaube, dab man diese SchluBfolgerung aus den Aussagen seiner Versuchspersonen nicht ohne weiteres ziehen kann. Bei den Wahrnehmungen dfirfen wir behaupten, dull die Er- gi~nzung des Gesehenen im allgemcinen (lurch ein (lispositionelles Wissen erfolgt. Nehme ich ein Hans wahr, so weiB ich zwar auch, dab hinter mir die Welt nicht zu Ende ist, sondern dab du hinter mir noch H~user und StmBenztige sich befinden. Aber dieses Wissen ist bei der Wahr- nehmung des Hauses dispositionell. Oder um bei dem anderen Beispiele zu bleiben: nehme ich ein TintenfaB wahr, so nehme ich zugleich einen Tell der Tischplatte wahr, auf dem das TintenfaB steht. Ein aktuelles Wissen davon, dab die Tischplatte da, wo mein Blickfeld aufh6rt, noch nicht zu Ende ist, sondern sich nach rechts und links noch welter ausbreitet, ist aber nicht vorhanden. Das dtirfte zum Tell wohl daran liegen, dab in der Wuhrnehmung gew6hnlich so viel gegeben ist, dab eine erkl~trende und bewuBte Erg~nzung des Wahrgenommenen zum Erkennen des Gegenstandes und seine Einordnung in den ~uBeren Zusammenhang durch ein a k t u e l l e s Wissen uicht erforderlich ist. Anders aber in der Vorstelhmg. Hier geschieht es viel eher, (l~ll mir cin einzelner Gegenstand ohne Umgebung oder nur ein Tel| des Gegenstandes gegeben ist, der ein verst~ndnisvolles Auffassen desselben ohne dazutretendes ergitnzendes Wissen nicht erin6glicht. S e g a l bc- hauptet deswegen, dab das Wissen in der Vorstelhmg immer aktuell sein mtisse. Wenn wir auch die Notwendigkeit dieses Schlusses aus den Aussagen seiner Versuchspersonen nicht ohne weiteres zugeben kSnnen, so werden wir jedoch annehmen, dab entsprechend der Enge des Blickpunktes und des Blickfeldes bei der Vorstelhmg im allgemeinen ein gradueller Unterschied in der Aktualisierung des Wissens bei der Vorstellung und Wahrnehmung vorhanden sein dfirfte.

c) Das Gef t ih l de r A kt iv i t i~ t soll nach F r S b e s 1) ein unterscheiden- des Merkmal der beiden Erschcinungen sein. Bei den Vorstelhmgen h~tten wir das BewufJtsein, selbstt~ttig zu sein, bei den Wahrnehmnngen aber, nns rein passiv zu verhalten. Er gibt jedoch selbst zn (S. 208), dall dieses Merkmul, wie bei den Trugwahrnehmungen, wegfullen kSnne. Ja ich glaube, mun braucht noch nicht einmal diese pathologischen Erscheinungen heranzuziehen. Bei lebhuften hypnagogischen Vor- stellungen bra'ucht das Geftihl der Aktivitht durchaus nicht vorhanden zu sein. Ebenso verweise ich auf die Vorstellung einer nicht loszuwer-

1) FrSbes, Lehrbuch der experim. Psychologie g. 1917.

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tiber den Untersehied yon Empfindung und Vorstellung. 271

denden Melodie, wo die Passivit~tt so hohe Grade erreichen kann, dal~ starke Unlustgeftihle sich geltend machen k6nnen. Andererseits ist das Gefiih] der Aktivitiit woh[ kaum stgrker ausgesprochen als bei der Be- tra, chtung eines Bildes, der Beob~chtung eines n~turwisseusch~ftlicheu Experimentes oder der ]~eobachStmg yon lebenbedrohenden Vor- g/ingen; ich erinnere dabei ~n das aufs :auBerste gesteigerte Geftihl der Aktivitfit bei der Beobachtung von in der Nhhe einsehlagendeu Granaten.

d) Bestriekend ~ls Merkmal, das uns vertmlal3t, (lie Empfindungen yon iiul~eren Reizen verursacht zu denken, scheint das Zwangsm~Bige und yon der Willktir Unabh~ingige 1)el der Empfindung zu sein, wiihrend die Vorstellungen yon unserem Willen veriindert werden kSnnen. ])och auch bier liegt nur ein gradueller Unterschied vor. Denn auch die Emp- findungen sind zmn Tell willkiirlich (lurch unsere Aufmerksamkeit ver:anderlich, und durchggngig ist (lie Willkiirlichkeit bei den Vor- steltungen durchaus nicht.

e) In einer Verschiedenheit des Raunles hat besonders J a s p e r s 1) ein durchg~ngiges Kriterium der beiden Erscheinungen sehen wollen. J a s p e r s behauptet, Wahrnehnnmgen erscheinen im ~uBeren objek- liven Raum, Vorstellungen im inneren, subjektiven Vorstellungsraum. Beide Rimme seien aber g~inzlieh voneinander getrennt. Wenngleich eine gewisse Berechtigung dieser Auffassung der ritumlichen Verschieden- heir zukommen mug, so ist for uns jedoch wesentlich, daI~ auch hier ein durchgitngiges Kriterium nicht vorliegt. Zur Widerlegung der Jaspersschen These geni~ge der Hinweis auf die Versuche P e r k y s und Mar t ins~) . Uber (tie Versuche der Ersten wurde bereits oben berichtet, und es sei h~er m~r noch ei~mal erw~hnt, dab (Iie yon P e r k y erzeugten schwachen ProjeMionsbilder yon ihren Versuchspersonen far Vor- stellungen gehalten wurden. M. M a r t i n stellte ihren Versuehspersonen die Aufgabe, einen wahrgenommenen Gegenstand sich deuflieh als neben dem wahrgenommenen vorzustellen, was auch einigen der Ver- suchspersonen gelang. Durch diese beiden Versuehe scheint mir die Unhaltbarkeit der Lehre yon der Unvereinbarkeit der beiden R~iume erwiesen. Die seheinbare Verschiedenheit der beiden Rgmne beruht nach S t u m p fa) in einer Verwebung der begrifflichen Auffassungeu mit den Erscheinungen. ,,In der verschiedenen begrifflichen Bedeutung liegt das Wesentliche und Uuterscheidende gegeniiber dem Sehraum." Auch in der zeitlichen Lokalisgtion kOnnen wit keinen Untersehied der beiden Erseheimmgsgruppen erblicken. Denn bei der Vorstellung

i) ,I a spe rs , Allgem. Psychopathologie. Berlin 1913, e) L. J. M a r t i n , Die Projektionsmethode und die Lokalisation visueller

und anderer Vorste]lungsbilder. Zeitschr. f. Psychol. 61. a) a. a. (). S. 5(.).

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272 S. Fischer: Kritische Musterung der neueren Theorien

eines gestrigen Erlebnisses erlebe ich nicht die gestrige Zeit, sondern die gegenw~irtige. Nut die Umdeutung ist es hier wieder, die mich das Jetzt als vergangen erleben l~tBt.

f) SchlieBlich sei noch auf den yon den Ph~tnomenologen hervorge. hobenen Unterschied hingewiesen. Nach S p e c h t 1) kommt den Emp findungen Selbstgegenwart, nach C o n r a d 2) Eigenpr~senz, nach J a s - 1)ersa) Leibhaftigkeit zu, Eigenschaften, die den Vorstellungen fehten sollen. Meinen diese Autoren damit (lie sinnliche Lebhaftigkeit, so ver- weisen wir auf unsere obigen Ausftihrungen, nach denen dieses Merkmal nicht als durchgi~ngiges Kriterium angesehen werden kann. Wir er- innern dabei z. B. an hypnagogische Vorstellungen, die mit st~rkster sinnlicher Lebhaftigkeit erlebt werden k6tmen, und bei denen trotzdem gcw6hnlich kein Zweifel fiber ihren Vorstellungscharakter besteht. Soll aber damit gesagt sein, dab den Wahrnehmungen irgendwelche Eigenschaften eigenttimlich sind, die uns veranlassen, sie als durch ~uBere Reize verursacht aufzufassen, so besteht dann immer noch die Aufg~be, diese Eigenschaften aufzudecken. Wenn K o f f ka a) behauptet, dab es nicht mSglich sei, mehr zu tun, als auf den Unterschied hinzu- weisen, wet ihn kennen will, miisse ihn erleben, so mag das yore ph~ino- menologischen Standpunkte aus richtig sein und gentigen, ffir den Psychologen bleibt aber immer noch die Aufgabe, nach einer Erkl~rung daffir zu suehen.

Das aber ist die Frage, die wir an (lie Spitze unserer ganzen Unter- suchung gestellt haben, und deren LSsung im folgenden Absehnitt versucht werden soil. Der Einwand L i n d w o r s k y s 5) (S. 208) gegen dies Kriterium der Phi~nomenologen, dab es echte Halluzinationen gibt, die also den gan~en Wahrnehmungscharakter tragen, ohne dab der Halluzinierende an der Unwirklichkeit des Wahrgenommenen zweifelt, ist m. E. nicht stichhaltig. Denn wenn der Halluzinant sich iiber die Unwirklichkeit des Wahrgenommenen klar ist, so triigt eben auch die Erscheinung nicht den ganzen Wahrnehmungscharakter. Ubrigens sind solche Erseheinungen nach psychiatriseher Nomenklatur - - und nur diese ist bei pathologisehen Erscheinungen maBgebend - - nicht zu den Halluzinationen zu rechnen, da diese den Charakter der Wahrnehmungen vollstSndig besitzen, sondern sie sind den Pseudohalluzinationen zuzu- z~ihlen.

1) W. S p e c h t , Zur Phiinomenologie mid Morphologie der pathologischen Wahrnehmungst/~uschungcn. Zeitschr. f. Psvchopathol. 2.

~) a. a. O. 3) a. a. O. a) Koffka, Zur Analyse der Vorstellungen und ihrer Gesetze. Leipzig

1912. ~) a. a. O.

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tiber den ['llterschied wm Empflndtum ulld Vorstelhmg. 273

III . Die M6glichkeit, ein den Erscheinungen immanentes MerkmM zu finden, das uns veranlal~t, (tie Empfindungen als dureh 5uBeren Reiz verursaeht, die Vorstellungen als dureh das Fehlen eines solchen anf- zufassen, ist naeh unserer Untersuehung nieht gegeben. Diese Tat- saehe steht in seheinbarem Widersprneh mit mlserer alltgglichen Er- fahrung; denn es gelingt nns doeh im allgemeinen, und maeht durehaus keine Sehwierigkeit, eine Empfindung oder Vorstelhmg als solehe zu erkennen, und es bedarf durehans keiner [rberlegung und Naehdenkens, ob denn einer gegebenen Erseheimmg ein aul3erer R eiz entsprieht oder nieht. Wir werden deshalb zum~ehst die Frage zu beantworten haben, wie diese Tatsaehe sieh erkF.iren tiiBt, nnd wem~ uns die L6sung dieser Frage gelingt, wird cs unsere niiehste Aufgabe sein, die Grenzfitlle und

�9 oe pathologischen Ersehemtm~en daraufhin zu untersuehen, in weleher Hinsieht sic sieh yon den go- �9 oc 79 w6hnlichen mid normalen Be- i ,

- - I I

wul3tseiusinhalten unterseheiden. ' ~ ~ l l l m ~ } K f i l p e , S t u m p f und L i n - M e , " k m a / e <~

d w o r s k y haben einen L6sungs- _ i ~ "~ versuch unternomnieu, der in der " I " . Vege iTs /a iTa '~ Hauptsache die M6glichkeit eiuer ~'5 Unterscheidung in dot Erfahrung . / , ierkmorle

sueht. Aueh ttns seheint (lie L6- sung des Problems auf diesem I I !

Wege zu liegen, u,M wir wolle~l Abb. 1. im folgenden untersuchel< wieweit wit uns der Theorie. (lie yon L i n d w or s k y am weitesten ausgebaut ist, allsehlieften kOnnen.

L i n d w o r s k y 1) fiihrt ungef~thr folgendes aus: I)em Kinde sind Erseheinungen einfachhin gegeben, ohne (lag fiir es die Frage nach der Wirkliehkeit oder Unwirkliehkeit der Dinge existiert. Nun gibt es abet Merkmale, (lie der normMen Wahrnehmung in durehschnittlieh hOherem Mage zukommen als der Vorstelhmg, und Merkmale, die der Vorstellung in h6herem Mage als der Wahrnehmung zukommen. Diese Tatsaehe veransehaulieht Li n d w ors k 3" in obigem Schema.

,,Das Kind hat in_ einem gewissen E n t u i c k l u n g s s t a d i u n i w e d e r , W a h r n e h m u n g e n ' n o e h , V o r s t e l | u n g e n ' . Es hat abet wohi versehieden geartete Erlebnisse des (legenstandsbewugtseins. Sehneiden u~ir dureh zwei Senkreehte (a b) eine Mittelpartie der graphiseh (targestellten Erlebnisse herans, so erkennt man, dab (tie naeh den Enden der Little zu liegenden Erlebnisse sehr stark voneinander versehieden sind, w~ihrend die in der Mitte einander nahezu gleichen. Das Kind braucht nunmehr nut auf <tie heiden extremen Erlebnisarten ( I , I I ) aufmerksam zu women, mn alshald ihren Untersehied zu erkennen.

1) a. a, O.

Z. f. d. g. N e u r . u. P s y c h . O. L X I V . 1 8

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274 S. Fischer: Kritische Musterung der neueren Theorien

Es erfaBt bei den einzelnen Vergleichungen: I anders als I I , I I anders als I . " Diese Relationserkenntnis wird bleibendes Eigentum des Be- wul~tseins und damit zmn dauernden Wissen von der Verschiedenheit der I- und H-Erlebnisse. Sehliel31ieh weist L i n d w o r s k y mit Reeht noeh auf dell ,,absoluten Eindruek" hin, der nahezu wie eine Eigen- sehaft des Gegenstandes auftritt. Die Voraussetzung zu einem absoluten Eindruck ftir den Wahrnehmungs- und Vorstellungscharakter wird sich notwendig im Laufe des Lebens herausbih|en.

I)iese Auffassung trifft sicherlich den Kern der Sache; in einigen Punkten erscheint sie abet nicht v611ig einwandfrei und erg~nzungs- bediirftig. L i n d w o r s k y sagt, dal~ gewisse Eigenschaften der nor- malen Wahrnehmung in h6herem Grade zukommen als den Vorstellungen, und umgekehrt. Das erste ist zugegeben, denn Konstanz, Liicken- losigkeit und viele andere Eigenschaften kommen im allgemeinen der Wahrnehnmng in h6herem Grade zu als den Vorstellungen.

Aber welche Eigenschaften besitzen denn die 3 Vorstellungen in h6herem Grade als die Wahrnehmungen ? Li n d w o r s k y fiihrt solche Eigenschaften nicht an, behauptet aber ihr Vorkommen. Oder sollte er viel-

. L i leicht Fliiehtigkeit, Ltickenhaftigkeit usw. meinen ? Ich glaube nicht, denn das sind ja nut schw~ichere Grade der den Wahrneh-

.~bb. 2. mungen zukommenden Eigenschaften, der Konstanz und Ltickenlosigkeit usw. Somit

dtirfte auch das Schema, das diese Verh~ltnisse ausdrficken soll, den Tatsachen nicht entsprechen. Abet wir k6mmn es entsprechend unserer Kritik ver~ndern, und es wiirde dam1 etwa wic obenstehend aussehen.

Hier wfirde das obere Trapez die M6glichkeiten der Sti~rke der Wahrnehmungsqualit~iten darstellen, das untere Dreieck die der Vor- stellungen. Beide Figuren veranschaulichen dieselben Qualit~ten. Diese k6nnen bei der Vorstellung zuweilen stiirker sein als bei den schw~ichsten Empfindungen, was in unserer Skizze dadurch angcdeutet ist, dab die kurze Dreiecksseite, die die grSl3tm6glichen St~rken der Vorstellungs- qualitiiten darstellt, grSBer ist als die kurze senkrechte des oben befind- lichen Trapezes. Bei dieser Sachlage wfirde dann bcim Vergleich von Erlcbnissen dcr I-Gruppe dem Kinde allerdings ein Untcrschied auf- fallen.

Abet wie kommt es denn, dab dann das Kind veranlal3t wird, auf Grund der verschiedenen St~trkegrade der Qualit~iten die cine Erschei- nung als durch ~uBeren Reiz veranlaBt, die andere als prim~tres Er- zeugnis des Ich aufzufassen ? Dartiber gibt uns die Hypothese L i n d - w o r s k y s keinen Aufschluf3. Hier, so meine ich, spielt die Kontrolle

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iiber dell Untersehied yon Empfindung mM Vorstellung. 275

dutch andere Siunesgebiete und die [;'bereinstimmung der verschie- (lenen Silmesersehcinungeu uutereinander eine I~olle. Es liegt zwar in den Untersuehungen an Kind(.rn meines Wissens keine Beobaehtung vor. (lie diese Theorie bestgtigen k6nnte. Aber wic anders sollte die Ammhme tier Vergleichshypothese ffl)erhaupt m6glich sein? Nehmen wir an, das Kind habe (lie Erseheinung einer Puppe das eine Mal in grol3er Deutliehkeit und Lebhaftigkeit, Konstanz und Klarheit usw., das andere Man dieselbe Erseheinung mit denselbel~ Qualit/iten, jedoch in geringerer St~irke. \Vie kommt alas Kind dann dazu, im ersten Falle (lie Puppe als wirklieh vorhanden, im zweite~/ als nieht vorhanden auf- zufassen ? Beide Mane wird das Kind naeh dem Gegenstand greifen, aber nut im ersten Falle werden (lie haptiseheu Erseheinungen den optisehen entsprechen. So wird das Kind zu dem Wissen gelangen, dalt m~r den mit starken QuMitiiten ausgezeiehneten Erseheinuugen ein Tasteindruek entsprieht, und aus tier Ubereiustimmuug dieser beiden versehiedeuen Sinneserseheinungen wird (laml das Uberzeugtsein yon der Existenz eines 5ultereu Gegeustandes iesultiereu.

-~_hnlieh ist die Kolltrolle der akustisehen uud haptischen Erschei- nungen durch die der optisehen. Und durch (hie t0bereinstimmung der verschiedenen Sinneserscheinungen entwi(.ke]t sich datm der ,,absolute Eindruek" fiir die St~irkegrade einer Erseheinung, die als Wahr- nehmungen ~tufgefal3t werden, d. h. als Erseheinungen, die nlit dem Bewugtsein, als dureh 5ufteren Reiz verursacht, erfaBt werden oder als Vorstelhmgen, d. h. Erscheinungen, die mit dem Bewul3tsein verbunden sind, dal3 kein iiufterer P, eiz ihre Ursache bildet. Auch im entwickelten BewuBtseinsleben benutzen wir oft die Kontrolle der anderen Sinnes- gebiete, mn bei sehwaukendem Urteil, ob wirk]ieh oder nieht wirklieh, zu einem Ergebnis zu gelangen.

So also entwickelt sieh tier absolute Mal]stab ftir (lie Unterscheidung der beiden Bewugtseinsgruppen. Ftir das Kind mag diese Unterschei- dungsm6glichkeit anfangs gentigen, und aueh beim Erwachsenen ge- ntigt der absolute Mal3stab zusammen mit tier Kontrolle aus anderen Sinnesgebieten im Mlgemeinen. Jedoeh reichen bei den GrenzfMlen diese Kriterien allein nicht aus. Wenn sie aueh in den Fallen des tgg- lichen Lebens hhufig allein gent~gen kSnnten, so tr i t t doch noch ein anderes wiehtiges Moment dazu, das unterstt~tzend wirkt, ein Moment, das Li n dwo r s k y aueh erwghnt. Es ist das die MSglichkeit der wider- spruchslosen Einordnung der Erscheinung in den Zusammenhang der Umgebung. Machen wir uns die Wiehtigkeit dieses Kriteriums an einem Beispiele klar. Ich babe die Erscheinung eines Buches mit der St~irke der Qualitiiten, wie sie im allgemeinen den Wahrnehmungen zukommt. Gleichzeitig babe ich die Erscheinung meines Schreibtisches oder eines Teilcs desselben. Nun kSnnen, wie wir gesehen haben, solche

18"

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Erlebnisse aueh z. B. bei hypnagogisehen Bildern vorkommen. Warum weiB ieh trotzdem, (lab diese Erseheimmg des Buehes durch einen realen Gegeustand verursaeht ist ? Fs wird mir gewShnlieh nieht einfallen, nach dem Bueh zu greifen, um dureh (lie Kontrolle meines Tastsimms erst nach l~bereinstimmm~g der Tasteindriicke mit den optischen die I/ealit~t des Gegenstandes zu behaupten. Nein, hier ordnet sich das Bild des Buches ein in den ganzen Zusammenhang. Ich sitze am Schreib- tisch, habe mehr oder weniger deutlich bewugt die optischcn Erschei- nungen von dem Sehreibtiseh und seiner Umgebung, (lie haptisehen Erseheinungen yon dem Stuhl, auf dem ieh sitze, yon dem Sehreibtiseh. auf dem ieh meinen Arm halte, und (lie Erseheinung des Buehes auf dem Schreibtiseh ordnet sieh ohne weiteres dem Zusammenhange aller dieser Erseheinungen ein.

Anders bei der lebhaften Vorstelhmg desselhen Gegenstandes, z. B. wenn ieh im Bett liege. Hier wird es mir niemals einfallen, naeh dem Bueh, und ski es noeh so sinnlieh lebhaft vorgestellt, zu greifen, abet nur eben datum, well ieh weiB, (la[~ ein Bueh auf einem Sehreibtiseh hier ja gar nieht liegen kann, und zwar deshalb nieht liegen kamL well ein Sehreibtiseh nieht an oder tiber meinem Bette steht. Und dag ieh im Bett liege, ist mir infolge der Lageempfindungen, (lie mir dutch Ver- mitt lung des Vestibularapparates mehr oder weniger deutlich bewugt sind, der Tastempfindungen, die ieh an meinem KSrper wahrnehnle, und zum Tell aueh infolge der ol)tisehen Empfindmlgen evident. Hier stehen also die versehiedenen Erseheimmgen nieht no zueinander, (lag ieh sie widerspruehslos in einen Zusammenhang bringen kann. Abet aueh hier bedarI es - - wenigstens gew6hnlieh - - keines ausdriickliehen bewuBteu Urteiles, ftir gew6hnlieh ist aueh hier ein ausgesproehener Urteilsakt nicht efforderlich, etwa in dem Sin,w: ,.Das Bueh existiert nieht wirklieh, weil es hier nieht sein karat. Denn ieh nehme wahr. dab ieh im Bett liege, und iiher dem Bett ist kein Sehreibtiseh und kein Bueh." Sondern der Vorgang ist viel einfaeher. Das .,Mieh in der best immten Situation Befinden'" ist ein dispositionelles Wissen, mit dem die Erscheinung des Buehes usw. sigh nieht vertrSgt, das sofort ohne ausgesproehenen Urteilsakt reich veranlagt, (lie Erseheinung als nieht wirklieh zu erkemmn.

Es kaml jedoch aueh vorkommen, dal3 eine Vorstellung yon sinn- licher Lebhaftigkeit in den Zusammenhang sieh widerspruehslos ein- ftigt, eine Kontrolle dureh andere Sinnesorgane nieht erfolgt, m~d trotz~ dem die Erseheinung als Vorstelhmg aufgefal3t wird. Dies ist z. 1~. bei den Versuehen S e h a u b s der Fall, bei denen er einen Ton wahnlehmen und darauf vorstellen lieg. Dieser Einwand findet eine leiehte L6sung darin, dab die Versuehspersonen sehon yon vornherein wugten, dab bei der zweiten Erseheimmg ein ~iui3erer l/eiz nieht (lie Ursaehe des

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tiber den Ur,terschied yon Emptindung und Vorstellung. 277

Erlebnisses bihlete. Die Frage war fftr sie also yon vornhcrein gelOst und hestand nieht mehr. Anders bet den Versuehen P e r k y s . Hier hatten die Versuehspersonen die Aufgabe, sieh ein Objekt vorzustellen. 1)a13 dieses Objekt oder tin Bild des Objektes wirklich vorhanden sein kOmlte, galt ihnen fflr ausgesehlossen; deml wie sollte auf der Wand pl6tzlieh ein Bild erseheinen! Von dem Projektionsapparat wuf~ten sie ja niehts; eine Einordnung in den Zusammenhang der Erseheinungen gait ihnen <leshalb yon w>rnherein fi~r unm6glieh.

Wir werden denmaeh fiber den Unterschied zwischen Empfindung und Vorstellung folgende Behauptungen aufstellen diirfen:

1. Die Empfindungen sind Erseheinungen, bet denen zugleieh ein dispositionelles Wissen yon ihrer Verursaehung dutch einen iiugeren Reiz hesteht. Die Vorstelhmgen sind Erseheinungen, bet denen zugleieh das dispositionelle Wissen davon besteht, dais ein iiuBerer Reiz nieht ihre Ursaehe bildet.

2. ])as Bt'wul3tsein der :aul3eren Verursaehung bzw. ihres Fehlens ist nieht hegriindet in spezifisehen, den beiden Erseheinungsgruppen immanenten 3Ierkmalen, und aueh nieht in gradueller Versehiedenheit yon Merkmalen; ph~inomenologiseh laBt sieh ein durehgehendes Kri- terium nieht feststellen.

3. Die Unterseheidung yon Empfindung und Vorstellung ist das Produkt der Effahrung, und zwar biklet sieh im Laufe der Entwieklung ein absoluter Eindruek flit jede der beiden Erlebnisse heraus, die dann, zugleieh infolge der Kontrolle dureh andere Sinnesgebiete, als dureh iiuBere Reize verursaeht oder nieht verursaeht erfaBt werden.

4. In Orenzfiillen erforderlieh, im t:,igliehen Leben unterstiitzend fiir die Unterscheidung wirkt die widt;rspruehslose Einordnungsm6gliehkeit in den (ibrigen r~iumtiehen Zusammenhang.

5. Es ~rgiht sieh daraus, dalt ph~inomenologiseh Empfindung und Vorstelhmg inhaltlieh und beztiglieh der Grade ihrer Qualitiiten nicht versehieden zu sein brauehen, dal] in Fiillen der Unklarheit erstens die Kontrolle dutch andere 8innesgebiete, und zweitens die M6gliehkeit der Einordmmg in den Zusammenhang als Kriterien eintreten, ger- sagen aueh diese Kriterien aus irgendwelehen Griinden, so ist eine Unter- scheidung zwischen beiden Erlebnissen nieht m6glieh.

IV. \VJr betraehten jetzt die Tmgwahrnehnmngen unter diesen Ge- sichtspunkten und versuehen festzustellen, inwieweit tmsere Thesen eine ErkliirungsmiSgliehkeit dieser Erscheinungen geben.

Der W a c h t r a u m gilt uns als nicht durch :aul~eren Reiz verursacht, und zwar nieht nur naeh dem Erwachen aus ihm, sondern aueh wiihrend seines Bestehens, wenngleieh das Wissen yon der Xichtwirkliehkeit seines Gegenstandes durehaus nieht aktuell zu sein braueht. Wit k6nnen helm Waehtraum unter Umstitnden v611ig die sinnliehe Lebhaftigkeit

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der Wahrnehmungen haben, nnd es wird uus trotzdem Ifiemals ein- fallen, nach don gesehenen Dingen zu greifen odor mit den vorgestellten Personen zu sprechen. Wir bedtirfen gar nieht der Kontrolle anderer Sinneserscheinungen zur Feststellung, ob wirklieh oder nicht wirklich. In dem psychischen Gesamtzustande liegt schon d~s immanente Wissen, dab ein ~uBerer Gegenstand gar nicht vorhanden ist. Dieses Wissen ist begrtindet in den gleichzeitigen Mitempfindungen, die wir auf Grund der augenblicklichen Situation haben, in der wir uns tats~chlich be- finden. Sind aber die Vorstellungeu so lebhaft, da[~ die Mitempfindungen v611ig unterdrtickt werden, dann trit t , zunl mindesten nach dem Er- wachen, die Einordnung des Vorstellungsinhalts in den fibrigen realen ~ufleren Zusammenhang als Kriterium in Kraft. So werden wir also zum mindesten nachtrgglich dariiber aufgekl~irt, dab die Erseheinuflgen nur prim~re Produkte unseres Seelenlebens sind.

L i n d w o r s k y fiihrt als Grund daffir, da[~ die Wachtr~iume nicht den vollen Wahrnehnmngscharakter haben, an, dal] der Gesichtspunkt, ob Wahrnehmung oder Vorstellung, ob Wirkliehkeit oder Niehtwirk- lichkeit ausf~llt. Denn ,,es gibt eine noch hellere Wahrnehmung, n~mlieh die mit dem Wissen um den Wahrnehmungszustand nnd nm das Wirkliehkeitsverhhltnis verbnndene". Meines Erachtens untl naeh unseren obigen Ausfiihrungen ist das aktuelle Wissen mn den Wahr- nehmungszustand gew6hnlieh don Wahrnehmungen nicht eigentiimlich. Meint aber L i n d w o r s k y das dispositionelle Wissen yon dem verur- sachenden Reize, so ist zu sagen, dal$ den \VaehtrSumen dieses fehlt, bzw. das Wissen yon dem F e h l e Il eines :,iufteren Reizes dispositionell vor- handen ist. Zweitens abet ist es durchaus nicht erwiesen, (lair e in Wahrnehmungserlebnis dann heller und klarer werden soll, wenn die Aktualit~t dos Wissens yon dem verursachenden Reiz gr61~er wir<l.

Im T r a u m stehen wir im Gegensatz zu den Wachtr~umen den Erscheinungen wie bei den Empfindungen bzw. den Wahrnehmuugen gegentiber. Von den F~llen, wo Kritik an der M6gliehkeit der Realit~it der die Erseheinungen verursaehenden GegeustSnde getibt wird, sehen wir hierbei ab. Es sind Erlebnisse mit jener sinnlichen Lebhaftigkeit, wie bei den Wahrnehmungen im wachen Zustande. Wir m0ssen 1inch unserer Definition die Traumbilder zn den Wahrnehmungen reehnen, denn hier ist den Erlebnissen das Bewul3tsein immanent, dais sie yon Rul]eren Reizen verursaeht sind. Wodurch ist dieses Bewul~tsein hervorgerufen? Die quantitative Steigerung der ErlebnisqualitSten allein kann uns die L6sung nicht geben. Wfirden im Tramn die taktilen und Lageempfindungen eine Rolle spielers, so w~ir<len wir zmn min- desteu Zweifel hegen an der Wirklichkeit der Traumbilder. Aber die Mitempfindmlgen vor allem des Tast- uud Lagesinnes fallen weg. Treten sic doch in Erseheimmg, so wcr(le~ sic anders gedeutet. Die

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fiber den Unterschied yon Empflndung und Vorstellung. 279

Kontrolle durch die tS"bereinstimmung mit Eindrtieken aus anderen Sinnesgebieten fMlt auch insofern weg, als beim Traumbild die Empfindungen yon anderen Sinnesorganen tats~ichlich untereinander iibereinstimmen bzw. (ibereinstilnmend gedeutet werden. SehlielL lich ist auch der Zusammellhang der Erscheinungen mit tier tibrigen Situation vorhanden. Deun das BewuBtsein der wirldichen Situation, z. B. des Im-Bett-Liegens, fiillt weg, und eudlieh - -d i e s ist die prinzipielle Grundtatsache, weswegen wit im Traume glauben Wahr- nehmungen zu erleben - - k 6 n n e n die unmOglichsten Erscheinungen als real imponieren, well die Urteilsfiihigkeit herabgesetzt ist. ])as ist der Grund dafiir, dab der Zusammenhang yon Erscheilumgen, die sonst niemals als real gedaeht werden kOunten, sinnvoll und widerspruchslos erseheint. Zugleich liegt in dieser Tatsache zum mindesten auch ein Grund mit dafiir, dab die Mitempfindungen in den Zusammenhaug sinnvoll eingeflcchten werden kr

Eine ausffihrliche Theorie der pathologisehen Erscheinungen zu geben, liegt nicht im Rahmen unserer Aufgabe. Xur yore Standpuukte unserer Auffassuug der Empfindung und Vorstellung sollen diese Krank- heitserscheinungen in Kiirze beleuehtet werden. Wit defiuieren mit ]3u lnke 1) die Pseudohalluzinationen als ,,lebhafte Phautasievorstel- lungen, die unabh~ngig vom Willen auftreteu und verm6ge ihrer krank- haft gesteigerten sinnlichen Deutlichkeit gelegentlich mit wirkliehen Wahrnehmungen verwechselt werden". Die Halluzinationen sind naeh 13 u m k e ,,sinnlich v611ig deutliche Wahrnehmungen, deneu kein ~tu[teres Objekt entsprieht. Diese Wahrnehmungen sollen sieh also subjektiv yon denen des Gesunden tiberhaupt nicht unterscheiden, obwohl sie jedes objektiven Anlasses entbehren". K r a e pe l i n sagt: ,,Die Kranken glauben nieht blo13 zu sehen, son(lern sie sehen und h6ren wirklich." Nach diesen Begriffsbestimmungen ist eine scharfe Grenze zwisehen beiden Erseheinungen nieht zu ziehen, da auch die Pseudohalluzinationen mit wirklichen Wahrnehmungen gelegentlieh verwechselt werden. Der phiiuomenologische Tatbestand dieser Fiille wt'lrde hier sich in keiner Weise yon dem der I~alluzinationen unterscheiden. Wit werden des- halb bei der Erkliirtmg der Pseadohalluzinationen diese FMle nicht be- r~eksiehtigen, da ihre Erkl:~irung mit der der Halluzinationen zusammen- f~llt.

Die P s e u d o h a l l u z i n a t i o n e n k6mlen beztiglieh ihres Inhaltes den Wahrnehmungen v611ig gleichen. Wenn sie trotzdem nicht als wirklich aufgefal3t werden, so braucht das demnach nicht in irgendeinem Mangel der sinnlichen Deutlichkeit zu beruhen. Ist dem Kranken ohne weiteres die ~Nichtwirklichkeit der Erscheinung evident, so liegt dies, wenn nicht etwa sehon tier geringe Grad der Qualit~iten die Ursaehe

1) O. Bpmke, Die Diagnose der Geisteskrankheiten. Wiesbaden 191~.

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280 S. Fischer: Kritisehe Musterung der neueren Theorion

dazu bihlet, entweder an dem korrigierenden Einflull des wahrgenom- lnenen ~,iulleren Zusammenhanges, der.dureh die optischen mid taktilen Empfindungen gegeben ist, ohne dab dabei ein Urteilsakt vollzogen wird. Oder abet es tritt , weml (lie M6gliehkeit (let" widerspruehslosen Einordnung in den Zusammenhang zweifelhaft erseheint, (lie bewuBte Kontrolle dutch andere Sinnesorgane in Kraft. SehlieBlieh werden Urteilsakte und Sehlugfolgerungen vollzogen, aus denen ein negatives Urteil fiber die Wirkliehkeit der Erseheinungen resultiert.

Die fMsehliehe Annahme der Realititt der Gegenst~inde der Ersehei- nungen bei der e e h t e n H a l l u z i n a t i o n beruht ebensowenig wie bei der Wahrnehmung auf einem ausgesproehenen Urteilsakt, sondern ffir den Kranken fist yon vornherein die Erseheimmg mit dem dispositio- nellen Wissen verbunden, dab die Dinge, (lie er sieht, tatsiiehlieh yon ~iuBeren Gegenst~nden verursaeht sind. Voraussetzung dazu ist zumeist die qualitative und quantitative Gleiehheit mit Wahrnehmungsbildern. Es gibt zwar aueh eehte Halluzinationen, die den Kranken ats Bilder imponieren oder yon denen sic sagen, es werde ihnen etwas ,,vorge- maeht". Bei diesen Erseheinungen mag wohl das eine oder andere Merk- real quantitativ nieht mit Wahrnehmmlgseharakter auftreten. Wieso trotzdem diese Erseheimmgen als wirklieh gedeutet werden, wird spiiter zu er6rtern sein. Zun~iehst fragt es sieh, wieso (lie inhaltlieh den Wahr- nehmungen v611ig gleiehen Erseheinungen als wirklieh aufgefagt werden. Die Kontrolle dureh andere Simlesorgane fiillt in manehen Fiillen weg, da gleiehzeitig in anderen Sinnesgebieten halluziniert wird und die Hallu- zinationen einander entspreehen. ])amit wird nieht nur, falls iiberhaupt ein Zweifel an tier Wirkliehkeit des Gegenstandes attftritt, dieser hin- fitllig, sondern dureh das Zusammenhalluzinieren wird das [_)berzeugt- sein yon der Realitht des Reizes noeh gefestigt.

Liegt ein Zusammenhalluzinieren nieht vor, so mfigte (lie Ersehei- hung in Widersprueh treten zu dem iibrigen i~uBeren wahrnehmbaren Zusammenhang mid gegebenenfalls zu den Erseheinungen yon anderen Sinnesorganen. Beides ist bei der Halluzination nieht der Fall, und es fragt sieh, wieso trotzdem die Erseheinung als yon einem iiulleren Gegen- stande verursaeht erfaBt wird. Hier liegen zwei MOgliehkeiten vor. Entweder werden die Erseheinungen, da sie in den Zusammenhang eingeordnet werden m~ssen, als Spiel h6herer oder iiberirdiseher Kr~tfte oder ahnliehes angesehen. Das sind die Fiille, yon denen wit sehon oben spraehen. Hier t r i t t also ein aktuelles Realitiitsurteil auf. Oder aber die Erseheinung tr i t t mit soleh sinnlieher Lebhaftigkeit auf, daft ein Zweifel an der Objektivit~it ihrer Existenz fiberhaupt gar nieht in Betraeht kommt, ebensowenig wie bei dcr normalen Wahrnehmung. In diesem Falle ert~brigt sieh ffir den Kranken die Kontrolle dureh andere Sinnesorgane. Hier spielt wohl in vielen FMlen die

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iibt,r den Uulersehied yon glnpfin,hmg uml Vorstelhmg. 281

Urteilsschw~iehe eine wesentl iche Rolle. Dcr Widers l ) ruch der hMlu-

zinier ten Ersehe immgen mi t dem iibrigen W a h r n e h m u n g s i n h a l t wird nieht mehr e rka lmt . Maeht sieh ein Zwcifel an (ler P~ealititt

des Gegens tandes gel tend, s() wird (lie Er sehe immg als du tch irgend- welehe geheimnisvol len Kri i f te erzeugt ~mfgefal.~t. lnwiewei t im ein- zelnen Fall an der En t s t ehung (lcr Hal luzinat i (men die sinnliehe Leb- h~fftigkeit der Erseheinungen einerseits, die gcsehwfiehtc Ur te i l sk ra f t andererse i t s bete i l ig t sind, wird nicht immer leicht zu entscheiden sein. Auf andere Momente , die untcr Umsti inden flu" die En t s tehung dot HMluzinat ionen yon Bedeutung sein k6mmn -- (lie Aufmel 'ksamkei t , das ( lcf i ihlsleben usw. - - soil bier nicht eingegangen werden.

Naeh Abschlul3 dieser Arbeit erschien eine Abhandlung von Pau l Hof ln t tnn unter dem Titel: Empfindung und Vorstelhmg (Kantstudien, Ergshft. Berlin 1919). Die Probleme, (lie der Verfasser (latin behandelt, haben mit unserem Them~ keine umnittelbaren Beriihrungspunkte, und es lag deshalb kein Anlalt zu einer Revision unserer Ansiehten und einer Stethmgnahme zu den dort aufgerollten Fragen vor.