KTUELL UND KRITISCH - Erzieherin · AKTUELL UND KRITISCH kinderleicht 2/14 13...

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k i n d e r l e i c h t 2 / 1 4 1 2 Älter werden im Erzieher/-innenberuf In den vergangenen Wochen und Monaten konnte ich im Rahmen von Fortbildungen, Arbeitskreisen und Fachtreffen wiederholt feststellen, dass das Thema „Belastung im Beruf“ und „Arbeitsfähigkeit bis ins Rentenalter“ stets wiederkehrende Gesprächs- und Diskussionsthemen unter Erzieher/-innen sind. Auch mir persönlich kommen Zweifel, ob ich den Anforderungen noch weitere zehn Jahre bis zu meinem 66. Lebensjahr gerecht werden kann. Trotz gesunden Lebenswandels und ständiger Fortbildung fühle ich mich oft an der Grenze meiner Leistungsfähigkeit. ie Problematik ist nicht neu, doch es stellen sich mir die Fragen, was in den vergangenen Jahren in unse- rem Arbeitsfeld unternommen wurde, um die Belastungssituation zu entschärfen. Konnten die ergriffenen Maßnahmen den aktuellen Entwicklungen gerecht werden und zu Entlastungen und Unterstützungen im beruflichen Kontext führen? D Bereits Dr. Bernhard Nagel vom Staatsinsti- tut für Frühpädagogik in München sprach © Rainer Sturm – pixelio.de von Karin Cremer Reicht der Erzieherstuhl zur Unterstützung, damit Erzieher/-innen in ihrem Beruf das reguläre Rentenalter erreichen können?

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Älter werden imErzieher/-innenberuf

In den vergangenen Wochen und Monaten konnte ich im Rahmen vonFortbildungen, Arbeitskreisen und Fachtreffen wiederholt feststellen,dass das Thema „Belastung im Beruf“ und „Arbeitsfähigkeit bis insRentenalter“ stets wiederkehrende Gesprächs- und Diskussionsthemenunter Erzieher/-innen sind.Auch mir persönlich kommen Zweifel, ob ich den Anforderungen nochweitere zehn Jahre bis zu meinem 66. Lebensjahr gerecht werdenkann. Trotz gesunden Lebenswandels und ständiger Fortbildung fühleich mich oft an der Grenze meiner Leistungsfähigkeit.

ie Problematik ist nicht neu, doches stellen sich mir die Fragen, wasin den vergangenen Jahren in unse-

rem Arbeitsfeld unternommen wurde, umdie Belastungssituation zu entschärfen.Konnten die ergriffenen Maßnahmen denaktuellen Entwicklungen gerecht werdenund zu Entlastungen und Unterstützungenim beruflichen Kontext führen?

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Bereits Dr. Bernhard Nagel vom Staatsinsti-tut für Frühpädagogik in München sprach

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Reicht der Erzieherstuhl zur Unterstützung, damit Erzieher/-innen inihrem Beruf das reguläre Rentenalter erreichen können?

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im Jahre 2007 in Düsseldorf die veränderteAltersstruktur der Kita-Mitarbeiter/-innen,aufgrund wandelnder gesellschaftlicher Ein-flüsse, wie z.B. längere Elternzeit, frühereRückkehr in den Beruf und nicht zuletztdie Altersvorsorge, an. Er machte verschie-denste Vorschläge, wie ältere Mitarbeiter/-innen, die die verschiedensten Kompeten-zen mitbringen, jedoch auch von körperli-chen Einschränkungen stärker betroffensind, Erleichterungen erfahren können. Sowurde z.B. aufgelistet, dass eine Prüfungder Arbeitsfähigkeit und entsprechenderEinsatz mit evtl. Tätigkeitswechsel Unter-stützungsmöglichkeiten wären. Weiterhinbestehen Möglichkeiten, ergonomische Hil-fen wie z.B. Erzieherstuhl, Lärmschutzmaß-nahmen sowie altersgemischte Teams usw.zur Entlastung zu installieren. (1)Ähnliche Vorschläge wurden seitens desDGB NRW e.V. im Projekt „AltersgerechtesArbeiten in KITAs“ in Zusammenarbeit mit

der Technologieberatungsstelle Bonn auf-gelistet. Hier wurden unter anderem ge-nannt: Umgang mit Stress und Konflikten,gegenseitige Hilfe beim Tragen von Lasten,Lärmvermeidung, Wechsel in andereArbeitsfelder usw. (2)Was hat sich in den letzten Jahren verän-dert, obwohl einige der oben angesproche-nen Aspekte in der Praxis angekommensind, uns aber nicht wirklich entlasten kön-nen?Unsere Einrichtung konnte etwa 15 Jahrelang nur wenigen Dreijährigen einen Platzanbieten, da ältere Kinder zuerst aufge-nommen wurden.Diese Kinder sprachen ihre Muttersprache,konnten einfache Tätigkeiten wie z.B. Hän-dewaschen, die Hose hochziehen oder sichvom Boden erheben, selbstständig durch-führen. Die Dreijährigen waren „sauber“und konnten sich alleine auf die Kindertoi-lette setzen, auch wenn sie von uns beglei-tet wurden.Unsere 26 Neuaufnahmen, inklusive 6 U3-Kindern, können dies zu 80% nicht.Wir haben statt 20 Übermittagskindernjetzt 47 Kinder im Haus.Wir sind Familienzentrum, Sprachkinder-garten, machen Bildungsdokumentationen,schreiben Fachprotokolle, sind „Haus derkleinen Forscher“, halten unser QM-Systemauf aktuellem Stand und haben mindestensalle zwei Wochen dringende Eltern- undFachpersonengespräche aufgrund aktuellerKrisensituationen, die mit dem Entwick-lungsstand der Kinder oder mit häuslichenProblematiken zu tun haben.Die persönliche Vorbereitungszeit ist ge-schrumpft, doch der Wunsch nach Projek-ten und individueller Förderung sowiezusätzliche Arbeitsaufträge, wie z.B. dieRechte der Kinder formulieren und inAktionen umzusetzen, lassen das letzteEnergieflämmchen nur noch auf Sparflam-me glimmen.Für die Bewältigung dieser Arbeiten habenwir in unserer Kita bei einer Gesamtkinder-zahl von 88 in vier Gruppen dauerhaft,gegenüber früher, 1,5 Mitarbeiter mehrbekommen.Unser Team aus insgesamt 10 Vollzeitkräf-ten und einer befristeten Halbtagskraftbesteht aus 50% Ü50-Jährigen, 30% fast40-Jährigen und 20% U30.Der Krankenstand ist in den letzten Jahrenstark angestiegen; Fortbildung, Urlaub unddurch Fachkräftemangel nicht besetzteStellen führen dazu, dass das oben ge-

nannte Kräftepotenzial von 1,5 fast aufge-zehrt wird.In der angesprochenen Studie der Techno-logieberatungsstelle, die vor fünf Jahrendurchgeführt wurde, beteiligten sich meh-rere Kitas. Verschiedene Checklisten in Be-zug auf Selbsteinschätzung, Arbeitsauf-wand, Gesundheitsaspekte, Errechnungvon Vorbereitungszeiten, Möglichkeiten,andere Tätigkeiten auszuüben, Weiterbil-dungsangebote und vieles mehr wurdenerstellt, analysiert und ausgewertet.Das Fazit fällt jedoch ernüchternd aus.Die Ausweichstellen stehen nicht zur Ver-fügung; Arbeitszeitmodelle wären wün-schenswert, werden jedoch nicht ange-boten. Jahresarbeitszeitmodelle oderBeschäftigungen außerhalb des Gruppen-dienstes sind kaum umsetzbar. Weiterhinwird empfohlen, dass ca. 1/5 der Gesamt-personalstunden, die durch Fortbildung,Krankheitsfehltage, Urlaub und Zusatzar-beiten verloren gehen, als Reserve vorge-halten werden sollten, was jedoch nichterfolgt.Weiterhin wurden die geforderten Weiter-und Zusatzausbildungen so bewertet, dassdiese nicht zwingend zu einem anderenBerufseinsatz führten, da es um Kostenfra-gen geht. Ein Beispiel wäre hier die Bewe-gungserzieherin, für deren Einsatz keinzusätzliches Budget zur Verfügung steht.Ein weiteres Feld wäre die Besitzstands-wahrung, wenn evtl. ein Einsatz der älte-ren Fachkraft in der Bücherei erwogenwird. (3)Die fortgeschrittene Professionalisierungin unserem Beruf und die Notwendigkeitder Arbeitsfelderweiterung werden mei-nerseits als notwendig erkannt und sehrbegrüßt.Doch unsere gesellschaftlichen Bedingun-gen haben nicht nur die Bedarfe geändert,sondern auch die Ressourcen. Immer mehrAufgaben und Herausforderungen mit we-nig geändertem Personal- und Gruppenstär-kenschlüssel führen nicht nur bei älterenMitarbeitern zu Überforderungssituationen.Wenige Erzieher/-innen sind aus ökonomi-schen Gründen in der Lage, früher ausdem Beruf auszusteigen. Instrumente wieAltersteilzeit können nicht mehr genutztwerden, aber körperliche Einschränkun-gen, die im fortschreitenden Alter undverlängerter Lebenszeit unweigerlich be-stehen, führen zu einer für die Kinder unddie Erzieher belastenden Situation. (4)

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Was wird seitens der öffentlichen Handfür ältere Arbeitnehmer/-innen getan?Bereits im Jahre 2004 legte die deutscheBundesanstalt für Arbeitsschutz in ihremBericht Grundlagen fest. Damit ältereArbeitnehmer ihre Arbeit verrichten kön-nen, sollten möglichst folgende Bedingun-gen vermieden werden:

ã Daueraufmerksamkeit,

ã Zwangshaltungen,

ã Nachtschichten,

ã körperlich anstrengende Arbeiten,

ã taktgebende Arbeiten,

ã Hitze, Kälte, Lärm und Staub,

ã hoher Leistungsdruck,

ã Heben und Tragen und

ã gleichförmige Arbeitsabläufe. (5)

Da alle anfallenden Arbeiten mit ständigerKinderpräsenz erfolgen und die Kinder auf-grund ihres Entwicklungsstandes ständigeAufsicht benötigen, erfolgt ein ungesundesMultitasking und Daueraufmerksamkeit.(6)Die erhöhten Anstrengungen im Bereichder täglichen Pflege und Fürsorge erfor-dern ein vermehrtes Heben und Tragenund somit körperlich anstrengendes Arbei-ten.Junge Kinder, die keiner Sprache mächtigsind und sich entwicklungsbedingt nochüberwiegend in der Funktionsspielphasebefinden, sind naturgemäß besonders imKontaktspiel laut. Je mehr Kinder in ähnli-cher Situation sich im Raum befinden, des-to höher der Lärmpegel.

Welche Erleichterungen bietet der Arbeit-geber an?

ã lärmdämmende Textilien für den Raum

ã einen Erzieherstuhl

ã Möglichkeit der Rückenschule

ã Kontakt mit einem Psychologen

ã Grippeschutzimpfung

ã Fortbildungen

ã Wechsel aus dem Gruppendienst? Lei-der nein, es stehen keine entsprechen-den Stellen zur Verfügung.

ã Krankheitsvertretung? Leider nein, dakeine Fachkräfte auf dem Markt sind.

ã Mehr Personal? Leider nein, da keineRefinanzierung möglich ist.

ã Weniger Kinder? Leider nein, da einRechtsanspruch umgesetzt werdenmuss.

ã Größere Räume? Leider nein, da diekommende U2-Gruppe mehr Platz be-nötigt und der absehbare demografi-

sche Wandel den Bau weiterer Einrich-tungen nicht sinnvoll erscheinen lässt.

Mein persönliches Fazit lautet, dass für diegesellschaftlichen Entwicklungen und diedaraus resultierenden Herausforderungendie entsprechenden Rahmenbedingungenin der Praxis fehlen. Daraus folgen ver-mehrte Anstrengungen der Mitarbeiter/-innen, den Ansprüchen zu genügen, mitdem Resultat der latenten Überforderung,die besonders im fortgeschrittenen Alterproblematisch ist. Die oben aufgeführtenAnalysen und Fachmeinungen existierenbereits seit vielen Jahren, doch die Arbeits-belastungen haben sich eher gesteigertund die ergriffenen Maßnahmen stellenkeine wirkliche Hilfe dar.Ich denke, dass der flächendeckend einge-setzte Erzieherstuhl die bestehenden Prob-lematiken nicht lösen kann.Die oben angesprochenen Diskussionender Erzieher/-innen werden weitergehen,da die beruflichen Rahmenbedingungeneher schwieriger für ältere Fachkräfte wer-den. Die Erzieher/-innen müssen weiterhinauf ihre Situation aufmerksam machenund auf Änderungen bestehen, wenn sie

Karin Cremer ist Diplom-Sozialarbeiterin,Sozialpädagogin und Erzieherin.

AUTORIN

(1) Staatsinstitut für Frühpädagogik Mün-chen, „Altersgerechtes Arbeiten in Kitasals gemeinsame Aufgabe von Trägernund Mitarbeiterinnen“, Dr. Bernhard Na-gel, Dezember 2007

(2) Technik und Leben e.V., Technologie-beratungsstelle beim DGB NRW e.V.(Hg.), 2007

(3) Technik und Leben e.V., Technologie-beratungsstelle beim DGB NRW e.V.(Hg.), 2007, S. 51-62

(4) Älter werden im Beruf. Klein undGroß 05/2008. Klaus Heß, Ulrike Buch-holz

(5) Jahresbericht der Bundesanstalt fürArbeitsschutz (BAuA), Dortmund 2004

(6) Frankfurter Allgemeine. 16. April2010. Von Joachim Müller-Jung. „Multi-tasking ist ungesund“

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bis zum Erreichen des Rentenalters in ih-rem mit Hingabe ausgeübten Beruf tätigsein möchten. n

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