Kulturelle Identitätskonstruktionen koreanischer Migranten...

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Kulturelle Identitätskonstruktionen koreanischer Migranten der zweiten Generation in Hamburg Wissenschaftliche Hausarbeit zur Erlangung des akademischen Grades einer Magistra Artium der Universität Hamburg vorgelegt von Adina Cho aus Hamburg Hamburg 2014

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Kulturelle Identitätskonstruktionen koreanischer Migranten

der zweiten Generation in Hamburg

Wissenschaftliche Hausarbeit zur Erlangung des akademischen Grades

einer Magistra Artium der Universität Hamburg

vorgelegt von

Adina Cho

aus Hamburg

Hamburg 2014

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 6

2 Begriffsbestimmung 13 2.1 Identität 13 2.2 Kultur 14 2.3 Kulturelle Identität 15 2.4 Bikulturalität 16

3 Einflussfaktoren zur Herausbildung von kultureller Identität 18 3.1 Familiäre Situation 18 3.2 Sprachbildung 21 3.3 Freunde 23 3.4 Erlebte Fremdwahrnehmung 24 3.5 Zusammenfassung 26

4 Strategien zur Gestaltung der Bikulturalität 28 4.1 „Betonung der Normalität“ (nach Wenzler-Cremer) 29 4.2 „Betonung der Besonderheit“ (nach Wenzler-Cremer) 30 4.3 „Sich Anpassen und Umschalten“ (nach Wenzler-Cremer) 31 4.4 „Sich Abgrenzen und Gegenhandeln“ 32 4.4.1 Abgrenzen von der mütterlichen Herkunftskultur 32 4.4.2 Abgrenzen von der deutschen Umgebungskultur 33 4.5 „Integration der beiden Anteile“ (nach Wenzler-Cremer) 34 4.5.1 Ergänzen: Das Modell „Vorspeise“ 35 4.5.2 Das Beste herausgreifen: Das Modell „Buffet“ 35 4.5.3 Zusammenfügen: Das Modell „Gado-Gado“ [indonesischer Mischsalat] 35 4.5.4 Mischen der beiden Anteile: Das Modell „Curry“ 36 4.6 „Universalisierung“ 36 4.6.1 Auflösen kultureller Grenzen durch Religion 37 4.6.2 Suche nach einer kosmopolitischen Kultur 38

5 Methodisches Vorgehen 39 5.1 Auswahl der Interviewpartner 40 5.2 Datenerhebung: Durchführung der Interviews 43 5.3 Der Betrachter als Angehöriger des Betrachtungsgegenstandes 43 5.4 Datenauswertung: Empirisch begründete Typenbildung 44

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6 Typologie junger bikulturell Sozialisierter 46 6.1 Der „Rebell“ 46 6.1.1 Kulturelle Identität 47 6.1.2 Familiäre Situation 49 6.1.3 Sprachbildung 55 6.1.4 Freundeskreis und koreanische Gemeinschaft 57 6.1.5 Erlebte Fremdwahrnehmung 59 6.1.6 Relativierung der radikalen Abgrenzung 61 6.1.7 Zusammenfassung 63 6.2 Der „Unauffällige“ 65 6.2.1 Kulturelle Identität 65 6.2.2 Familiäre Situation 68 6.2.3 Sprachbildung 71 6.2.4 Freundeskreis und koreanische Gemeinschaft 74 6.2.5 Erlebte Fremdwahrnehmung 75 6.2.6 Zusammenfassung 78 6.3 Der „Diasporische“ 79 6.3.1 Kulturelle Identität 79 6.3.2 Familiäre Situation 86 6.3.3 Sprachbildung 92 6.3.4 Freundeskreis und koreanische Gemeinschaft 95 6.3.5 Erlebte Fremdwahrnehmung 98 6.3.6 Zusammenfassung 105 6.4 Der „Flexible“ 106 6.4.1 Kulturelle Identität 106 6.4.2 Familiäre Situation 107 6.4.3 Sprachbildung 109 6.4.4 Freundeskreis und koreanische Gemeinschaft 110 6.4.5 Erlebte Fremdwahrnehmung 112 6.4.6 Zusammenfassung 113

7 Fazit 115

Literaturverzeichnis 120

Anhang Anhang 1: Interviewleitfaden 130 Anhang 2: Transkriptionsregeln für die Interviews 134

Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Liste der Interviewpartner

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Vorwort Seit meiner Einschulung in eine katholische Grundschule, entstand bei mir – als Kind koreanischstämmiger Eltern – der Wunsch, einen „normalen“ deutschen Namen, keine „Schlitzaugen“ oder „platte“ Nase zu haben, damit ich ganz dazugehörte und mich niemand mehr hänseln könnte. Zu Hause wurde Deutsch und Koreanisch gesprochen, bis ich mich weigerte, eine Sprache zu sprechen, über die sich andere Kinder lustig machten. Meinem Vater machte ich zum Vorwurf, dass er mir so einen ungewöhnlichen Namen wie Adina gab, der einige Kinder an „Aldi“ erinnerte und sich für andere auf „Vagina“ reimte. Auch die beliebten „Diddl-Maus“-Artikel, die mit typischen deutschen Namen bedruckt verkauft wurden, gab es nie mit meinem Namen. Mein Vater sagte dazu immer nur, dass ich meinen Namen schön finden würde, wenn ich älter werde. Meine Mutter hingegen hatte Mitleid. Sie ließ meinen Namen in einen Schlüsselanhänger eingravieren und im Urlaub log sie für mich mit, als ich behauptete „Iris“ zu heißen. Auf dem Gymnasium setzten sich die Hänseleien fort und ich war dann die „Japse“. Inwiefern das ein Schimpfwort sein soll, verstehe ich bis heute nicht. Aber ich habe es als solches empfunden. Auch einige Lehrer demütigten mich, indem sie an meinen Deutschkenntnissen zweifelten. Dass mein Vater mich lobte, wie sprachbegabt ich sei, und dass Fremde nach kurzem Smalltalk gleich kommentierten: „Sie sprechen aber gut Deutsch“, half da wenig... Als ich vor lauter Wut meine Biologie-Klausur heimlich von zwei „deutschen“ Einser-Schülern schreiben ließ, bekam ich dennoch einen Punktabzug für meinen „Ausdruck“. Das zweifelhafte Urteil über meine angeblich schlechten Deutschkenntnisse hinterließ bei mir tiefe Spuren, so dass ich lange Zeit davon absah, Germanistik zu studieren, obwohl die deutsche Sprache beim Schreiben und Lesen meine große Leidenschaft geworden war. Zu Beginn meines Koreanistik-Studiums musste ich dann feststellen, dass es mir nicht nur an Deutsch-, sondern auch an Koreanischkenntnissen mangelte. So fing ich an, Esperanto zu lernen und mich für einen neuen Studiengang zu bewerben: das Juristendeutsch... Über die Ablehnung meiner Bewerbung war ich erst froh, nachdem ich zwei Auslandssemester in Korea verbracht und die Sprache wie Kultur Koreas besser verstehen gelernt hatte. Dennoch bleibt Korea für mich bis heute ein fernes Land mit einer fremden Sprache. Nachdem ich zum sechsten Mal mein Nebenfach gewechselt hatte, fasste ich schließlich den Mut, Germanistik als zweites Hauptfach zu studieren, worin ich auch letztendlich meine volle Erfüllung fand. Als ich dann in der Abschlussphase meines Koreanistik-Studiums zum fünften Mal das Thema meiner Magisterarbeit geändert hatte, fragte ich mich, ob meine Schwierigkeiten und Unsicherheiten in Zusammenhang mit meiner Bikulturalität ständen und wie andere Migranten der zweiten Generation mit ihren Problemen umgehen. Daraus entstand diese Magisterarbeit. Die Interviews gaben mir viele tröstliche Erkenntnisse und meinem verstorbenen Vater würde ich nun gerne sagen, wie schön ich meinen Namen finde. Ich hoffe, dass meine Arbeit dazu beitragen kann, dass wir alle unsere eigenen und die Namen der anderen respektieren und schön finden können.1 Ich widme diese Magisterarbeit den Menschen, die auf meinen „Irr-“wegen immer mehr an mich geglaubt haben als ich selbst. Insbesondere meiner ŏmma danke ich für ihre stete Unterstützung und endlose Geduld mit mir. An dieser Stelle möchte ich aber vor allem auch meinen Interviewpartnerinnen und -partnern danken, die mir ihre kostbare Zeit geschenkt haben, um mir ihre Gedanken und höchstpersönliche Lebensgeschichte anzuvertrauen. Durch ihre Bereitschaft sich interviewen zu lassen, ist diese Arbeit überhaupt erst möglich geworden. Nicht zuletzt danke ich meiner Professorin Frau Schulz Zinda aus der Koreanistik und der Juniorprofessorin Laila Prager aus der Ethnologie für die Betreuung meiner Magisterarbeit.

                                                                                                               1 In diesem Zusammenhang soll auf das wissenschaftliche Genre der „Autoethnografie“ hingewiesen werden. Es bezeichnet „the ethnography of one's own group“ beziehungsweise „autobiographical writing that has ethnographic interest“ (Reed-Danahay 1997:2). Für eine kritische Auseinandersetzung des Verhältnisses von Autobiografie und Ethnologie siehe Okely und Callaway (1992).

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„Hallo Maus", sagte der kleine Bär, „wir gehen nach Panama. Panama ist das Land unserer Träume. Dort ist alles ganz anders und viel größer..." „Größer als unser Mauseloch?", fragte die Maus, „das kann nicht sein." Ach, was wissen Mäuse denn von Panama? Nichts, nichts und wieder nichts. Janosch

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1 Einleitung Rund 16 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund 2 leben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahre 20123 in Deutschland. Das ergibt fast ein Fünftel der deutschen Gesamtbevölkerung. Zwei Drittel (10,9 Millionen) der Personen mit Migrationshintergrund waren 2012 selbst Migranten (erste Generation), ein Drittel wurde bereits in Deutschland geboren (zweite oder dritte Generation). Die Zahl der Bürger mit koreanischem Migrationshintergrund liegt nach Angaben des koreanischen Ministeriums für Auslandsangelegenheiten bei 33.7744 (Stand: 2013). Die relativ hohe Zahl ist vor allem auf die Zeit der Arbeitsmigration Anfang der 1960er bis Ende der 1970er-Jahre zurückzuführen, als in der Bundesrepublik Deutschland ein großer Mangel an Arbeitskräften im Bereich der Krankenpflege und des Steinkohlebergbaus herrschte. Korea benötigte zugleich dringend Kapital für den Aufbau seiner Wirtschaft nach der japanischen Kolonialherrschaft und dem Koreakrieg (1950-1953) und war von hoher Arbeitslosigkeit betroffen (Kim, Young-Hee 1986: 20; Choe, Jae-Hyeon/Daheim 1987: 9; Na, Hye-sim 2009: 282). So kamen im Rahmen eines bilateralen Abkommens zwischen der südkoreanischen und deutschen Regierung insgesamt 7.936 koreanische Bergarbeiter5 (Yu, Sang-gŭn 2009: 53-55) und 10.032 koreanische Krankenschwestern und Krankenpflegehelferinnen nach Deutschland (nach Angaben der koreanischen Botschaft in Bonn, zit. nach Kim, Young-Hee 1986: 29).6                                                                                                                2 Zu den Menschen mit Migrationshintergrund (im „engeren“ Sinn) zählt das Statistische Bundesamt „alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil“. https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/MigrationIntegration/Migrationshintergrund/Aktuell.html (Letzter Zugriff: 04.11.2013). 3 Statistisches Bundesamt (2012: 7). 4 Oegyobu [Ministry of Foreign Affairs] 2013: 176-179. Rechnet man das Endergebnis von den einzeln aufgelisteten Statistiken aller deutschen Bundesländer nach, ergibt sich jedoch eine geringere Summe von insgesamt 31.969 in Deutschland lebenden Bürgern mit koreanischem Migrationshintergrund. Hier ist von einem Rechenfehler auszugehen, der auf die vom koreanischen Konsulat in Berlin herausgegebenen Zahlen zurückzuführen ist. Das Konsulat verwaltet die Statistik für die Amtsbezirke ihrer Konsularabteilung Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern. Als Gesamtsumme haben sie für die Bezirke 6.576 Bürger mit koreanischem Migrationshintergrund angegeben, obwohl ihre einzelnen Angaben zu den sechs Bundesländern zusammengerechnet 4.771 ergeben. Auf Nachfrage hin konnte und wollte das Konsulat keine Angaben dazu machen und begründete das damit, dass die Statistiken nicht repräsentativ und lediglich vom Statistischen Bundesamt übernommen worden seien. Warum das Statistische Bundesamt jedoch gravierend andere Zahlen herausgegeben hat, blieb ebenfalls unbeantwortet. Das Statistische Bundesamt (2013: 41) zählte im Jahre 2013 27.220 in Deutschland lebende Südkoreaner (mit ausschließlich koreanischer Staatsbürgerschaft). 5 Ein Großteil der Bergarbeiter hatte jedoch noch nie zuvor in diesem Berufsfeld gearbeitet und sah das Arbeitsprogramm vielmehr als Chance, um im Ausland Geld zu verdienen. Bei den „Bergarbeitern“ handelte es sich oftmals um die so genannten haksa kwangbu [„Bachelor-Bergarbeiter“]: Akademiker sowie gut ausgebildete Stadtbewohner, die mit der körperlich sehr anstrengenden Arbeit im Bergwerk oft überfordert waren (Yu, Sang-gŭn 2009: 79; Kim, Young-Hee 1986: 29; Lee, Kwang-kyu 2000: 31). 6 Nach Angaben der DKG – Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V. reisten zwischen 1960 und 1976 insgesamt 10.564 Krankenpflegekräfte (6.531 Krankenschwestern und 4.051 Pflegehelferinnen) ein. Zitiert nach Yang, Hŭi-sun (2008: 141). Vgl. auch KODCO – Korea Overseas Development Corporation (Hrsg.). In: Seminar for Overseas Employment (1972: 61). Die KODCO-Werte liegen für die Jahre ab 1966 zum Teil bis 200 pro Jahr über den Werten vom Caritasverband und der DKG. Das ist dadurch zu erklären, dass auf privatem Wege außerdem noch Koreanerinnen an deutsche Krankenpflegeschulen als Schülerinnen vermittelt wurden. Diese gehen in

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Die statistischen Angaben machen deutlich, dass über den Umfang der Migration Buch geführt wird. Die Bürger mit Migrationshintergrund werden als besondere Gruppe – unabhängig davon, ob die Gruppenangehörigen im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit sind oder nicht – statistisch erfasst. Ihnen kommt also in der bundesdeutschen Gesellschaft eine gesonderte statistische Aufmerksamkeit zu. Auch in den Medien werden die „Deutschen mit Migrationshintergrund“ immer wieder als spezielle Gruppe von Deutschen herausgehoben und es wird um eine Begriffsfindung für diese Personengruppe debattiert. 7 Der Kabarettist Alparslan Marx startete in diesem Zusammenhang die Kampagne „D-Länder“, um nach einem geeigneten Namen zu suchen, der „aus Ausländern Einheimische“ mache.8 1994 kam der Begriff „Andere Deutsche“ (Mecheril/Teo 1994) auf, um zu verdeutlichen, dass „die Gültigkeit des Anspruchs, deutsch zu sein, sich nicht an der Erfüllung bestimmter Kriterien der Physiognomie, der Abstammung oder auch der ,kulturellen‘ Praxis bemisst“ (ebd.: 10). Auch emanzipatorische Selbstbezeichnungen wie „Schwarze Deutsche“ (Mbombi 2010) oder „Asiatische Deutsche“ (Ha 2012) drücken den Konflikt zwischen dem Bedürfnis nach kultureller Selbstpositionierung und den externen Zuschreibungen der Mehrheitsgesellschaft aus. Versuche, die im angloamerikanischen Raum etablierte Bezeichnungspraxis der „hyphenated identities“ beziehungsweise „Bindestrich-Identitäten“ zu übernehmen, bei welcher der multiple Herkunftskontext benannt wird, scheiterten an der deutschen Wortbildungsregel, dass bei Wortzusammensetzungen das am Ende stehende Wort die wesentliche Bedeutung trägt, jedoch einige Bezeichnungen wie „Türkei-Deutscher“ im Gegensatz zu „Deutsch-Türke“ zu holprig klingen. Das zentrale Dilemma dieser Begriffe ist jedoch, dass sie selbst wiederum eine Differenzmarkierung vornehmen, weil sie die diskursive Trennungslinie zwischen multiethnischen und monoethnischen Bürgern Deutschlands reproduzieren. Weiterhin wird zwischen Einwohnern mit Migrationshintergrund, welche die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, und solchen, die sie nicht besitzen, unterschieden (Foroutan 2010: 13). Es fehlt somit an einer „etablierten Bezeichnung, welche die nationale und kulturelle Mehrfachzugehörigkeit und -identifikation von Individuen wertneutral beschreibt“ (ebd.:

2010: 10).

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               die öffentliche Statistik Koreas mit ein. Die Vermittlung der Schülerinnen erfolgt überwiegend über kirchliche Institutionen (Yoo, Do-Jin 1975: 12).  7 Siehe auch die Dokumentation des Workshops „Neue Begriffe für die Einwanderungsgesellschaft“ (2013: 16-19) in Nürnberg, ausgerichtet vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und Neue Deutsche Medienmacher e.V. http://www.neuemedienmacher.de/wp-content/uploads/2014/04/Tagungsdokumentation-NDM-Begriffe-2013. pdf (Letzter Zugriff: 15.09.2014). 8 Initiative D-Länder. http://www.d-laender.de/de/philosophie.html (Letzter Zugriff: 15.05.2013).

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Die begriffliche Problematik ist nicht nur Thema in Deutschland, sondern auch in der Herkunftskultur der Migrierten. Im koreanischen Sprachgebrauch gibt es für koreanische Migranten ebenfalls unterschiedliche Begriffe, die debattiert wurden. Ein vor allem intern unter der betroffenen Gruppe verbreiteter Terminus ist kyop’o (僑胞, „blutsverwandte Auswanderer“)9. Der Begriff kyop’o betont im zweiten sinokoreanischen Zeichen 胞 für „Blutsverwandte“ einerseits die gemeinsame Nationalität der im In- und Ausland lebenden Koreaner, verdeutlicht im ersten Zeichen 僑 jedoch zugleich diese ausgrenzende Unterscheidung für eine von der eigentlichen Heimat entfernte Gruppe. Daher hat sich die etwas weniger differenzierende Bezeichnung tongp’o (同胞: „vom selben Blut/Stamm“) etabliert, worin vielmehr die gemeinsame Ethnizität und Verbundenheit in den Vordergrund gestellt wird (Song, Min Hyoung 2005: 221). Im wissenschaftlichen Kontext ist meist von chaeoe tongp’o (在外同胞: „vom selben Blut Stammende im Ausland“) die Rede. Für eine spezifischere Zuordnung zu einem bestimmten Land, beispielsweise die in Deutschland lebenden Koreaner, wird statt chaeoe („im Ausland“) der Zusatz chaedok („in Deutschland“) vorangestellt. Ebenfalls sehr geläufig ist die bloße Benennung der Generation der Migrierten: 1se 10 (erste Generation der im jungen Erwachsenenalter emigrierten Koreaner, 1.5se (im Kindesalter aus Korea emigrierte Generation) und 2se (außerhalb Koreas geborene und aufgewachsene Generation von mindestens einem Elternteil der 1se). Ein differenzierender Begriff im koreanischen Sprachgebrauch, der solche 2se umfasst, die lediglich einen koreanischen Elternteil haben, ist honhyŏl („gemischtes Blut“). Diese explizite Bezeichnung verweist auf eine gewisse „Unreinheit“ des Blutes und ist negativ konnotiert im Hinblick auf den seit Beginn der Modernisierung ab Ende des 19. Jahrhunderts in Korea stark vertretenen ethnischen Nationalismus, der unter der japanischen Kolonialherrschaft (1910-1945) zunehmend an Relevanz gewann (Shin, Gi-wook 2006: 9). Die von der koreanischen Gesellschaft verpönten Beziehungen koreanischer Frauen mit amerikanischen Soldaten in der Nachkriegszeit spielen bei der negativ konnotierten Bezeichnung von honhyŏl ebenfalls eine bedeutende Rolle (Lee, Mary 2008). Diese terminologische Diskriminierung erforderte mit zunehmendem Anteil an Eheschließungen zwischen koreanischen Männern und südostasiatischen Frauen politisch korrektere Bezeichnungen. In offiziellen Kontexten haben aufgrund einer Petition im Jahre 2003 mittlerweile die Bezeichnungen tamunhwa kajog-ŭi chanyŏ („Kinder multikultureller Familien“) oder tamunhwa kajŏng-ŭi chanyŏ („Kinder multikultureller Haushalte“) Anklang gefunden (Kim, Hyun Mee 2007: 103f.)

                                                                                                               9 Für die speziell in Japan lebende koreanische Minderheit wird hingegen meist der Begriff ihosŏngye ilbonin oder im Japanischen „Zainichi“ verwendet. Die in der ehemaligen Sowjetunion lebenden Koreaner werden als koryŏ saram bezeichnet.  10 Se ist ein sinokoreanischer Ausdruck für „Generation“.

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Im deutschen Sprachgebrauch ist die Bezeichnung „Halbkoreaner“ eine gängige Selbst- und Fremdbezeichnung. Für die Betroffenen impliziert sie jedoch das Dilemma, jeweils ein Teil zweier Kulturen zu sein, aber nicht als etwas „Ganzes“ beziehungsweise ein vollwertiges Mitglied einer Kultur anerkannt zu sein. Gleichzeitig wird in dem Begriff auch die andere beziehungsweise „halbdeutsche Hälfte“ unterschlagen. Die oben angeführten länderübergreifenden Debatten legen den Einfluss der gesellschaftlichen Fremdwahrnehmung auf die Selbstwahrnehmung und -positionierung nahe. Die Betroffenen befinden sich in einem inneren Konfliktverhältnis, in dem sie für sich eine Lösung zwischen externer Zuschreibung und Selbstpositionierung entwickeln müssen. Aktuell thematisieren auch mehrere junge Filmproduzenten der zweiten Generation koreanischer Migranten in Deutschland ihre kulturelle Identität.11 Die Dokumentationen legen ihren Fokus eher einseitig auf Erfolgsgeschichten und positive Aspekte der Bikulturalität. Der Kurzfilm von Seung-Hyun Chong (2013), der Spielfilm von Il Kang (2014) und das Drehbuch von Young-Mi Kuen (2012) hingegen stellen vor allem mit der Bikulturalität einhergehende negative Erfahrungen innerhalb und außerhalb der Familie dar. Der Regisseur Seung-Hyun Chong charakterisiert das Dilemma mit folgenden Worten: „Optisch Asiat, akustisch Deutscher, in der Brust schlägt ein koreanisches Herz und der Kopf denkt deutsch.“12 Forschungsstand Der Frage, wie sich koreanische Migranten der zweiten Generation in der Mehrheitsgesellschaft selbst verorten, wird zunehmend in aktuellen Forschungsarbeiten nachgegangen. Besonders in klassischen Einwanderungsländern wie den USA, Australien und Kanada wird das Phänomen der Bikulturalität 13 von koreanischen 14 Migranten häufiger als in anderen Ländern untersucht. Im deutschsprachigen Raum befassen sich die meisten Untersuchungen mit Fragen der Integration von koreanischen Migranten der ersten Generation. 15 Religiosität und sprachsoziologische Aspekte bilden dabei oftmals den Schwerpunkt.                                                                                                                11 Song, Su-jin 2013; Chong, Seung-Hyun 2013; Kang, Il 2014; Oh, Myong-Hun 2013, Hong, Cerin 2004, Chang, Young-Soo 2005; Kuen, Young-Mi 2012. 12 Filmprojektbeschreibung des Regisseurs auf der Crowdfunding-Plattform ,Startnext‘. http://www.startnext.de/steh-auf/incentive/nennung-im-abspann-mit-filmlogo-dvd-autogrammkarte-10820/ (Letzter Zugriff: 07.09.2014). 13 Das hier zugrunde liegende Verständnis des Begriffes „Bikulturalität“ wird in Kapitel 2.4 erläutert.  14 Der Einfachheit und besseren Lesbarkeit halber ist künftig nur von „Koreanern“ die Rede, womit die „Südkoreaner“ gemeint sein sollen, die ihren regulären Wohnsitz in Korea haben oder nach Deutschland migriert sind („1se“). In Fällen, wo eine begriffliche Abgrenzung zu den in Korea aufgewachsenen und lebenden Koreanern notwendig sein sollte, wird explizit von „2se“ die Rede sein. 15 Das betrifft die Arbeiten von Choe, Jae-Hyeon/Daheim 1987; Jeon, Chun-Myeong 1996; Jeong, Yang-Cun 2008; Lee, Jang-Seop 1991; Seelmann 1993; Shim, Yunchong 1974; Yoo, Do-Jin 1975; Yoo, Jung-Sook 1996.  

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Eine aktuellere Auseinandersetzung mit der Identität der koreanischen Migranten der ersten Generation im deutschsprachigen Raum gibt es in den Hochschulschriften von Seon-hui Yi (2009) sowie Abraham Hartmann (2009), der sich allerdings auf die koreanische Minderheit in Österreich begrenzt. Die zweite Generation wird in beiden Schriften nur in kurzen Abhandlungen thematisiert. Eine ältere empirische Untersuchung von Michael Simon (1985b) zu sechs deutsch-koreanischen Familien beleuchtet ihren bikulturellen Alltag, bietet jedoch aufgrund der geringen Anzahl der Befragten kein ausdifferenziertes Ergebnis. Die primär auf die zweite Generation bezogene Forschungsliteratur konzentriert sich überwiegend auf die sprachsoziologischen Aspekte.16 Mit Ausnahme von Suin Roberts (2012) sind diese Forschungsarbeiten aus den 1980er- und 1990er-Jahren und somit wenig aktuell. Roberts bezieht in ihrer Kritischen Diskursanalyse in einem Kapitel zu der zweiten Generation zwei Dokumentationsfilme von Young-Soo Chang (2005) und Cerin Hong (2004) sowie ein Buch von Martin Hyun (2008) ein. In den Dokumentationen wurden koreanische Migranten der zweiten Generation in Interviews zu ihrem Selbstverständnis befragt. Martin Hyun behandelt das Thema der zweiten Generation im essayistischen Stil im Hinblick auf ihre Integration.17 Zur Identität der zweiten Generation liegen aktuell zwei Abhandlungen vor: die englischsprachige Dissertation von Simone Hary (2012), die die weiblichen „Kyopo Daughters“ in Frankfurt am Main untersucht hat sowie die Masterarbeit von Miriam Meixner (2012), die quantitative und qualitative Befragungen von koreanischen Migranten der zweiten Generation deutschlandweit durchgeführt hat. Hierbei wird der Fokus auf den Vergleich von „monoracial Korean-Germans“ (in Deutschland Aufgewachsene mit zwei koreanischen Elternteilen) mit „biracial Korean-Germans“ (in Deutschland Aufgewachsene mit einem koreanischen und einem deutschen Elternteil) gesetzt. Bei den „monoracial Korean-Germans“ wird jedoch nicht differenziert zwischen denjenigen, die in Korea (1.5se) oder in Deutschland (2se) geboren sind. Zur Identität von „Halbkoreanern“ gibt es eine aktuelle Hochschulschrift von Jennifer Wurche (2011), bei der fallübergreifend von einem hybriden Selbstverständnis, das heißt von einer koreanisch-deutschen Identität ausgegangen wird. Bei den oben genannten Forschungsergebnissen bleibt die Vielfalt des persönlichen Umgangs mit der Bikulturalität weitestgehend unbeachtet. Die 2se werden mehr oder weniger einheitlich dargestellt als solche, die oftmals über eine Identitätssuche nach ihren

                                                                                                               16 Vgl. Hwang, Hyeon-Mi 1999; Kim, Young-Hee 1986; Kim, Yun-Bae 1993; Park, Ko Hoon 1996; Roberts 2012. 17 Siehe auch sein zweites Buch: Hyun, Martin (2012): Ohne Fleiß kein Reis: wie ich ein guter Deutscher wurde.

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koreanischen Wurzeln während ihrer Jugendzeit nun eine ideale Vereinigung zweier Kulturen bilden. Eine genauere Differenzierung unterschiedlicher Typen erfolgt nicht. Im koreanischsprachigen Raum sind zum Thema „zweite Generation der Koreaner in Deutschland“ lediglich zwei Artikel aus den 1990er-Jahren erschienen: Oh, Soo Sung et al. (1998) betrachten die Sozialisation der bikulturellen Kinder aufgrund von Identitäts- und Wertekonflikten, familiären Differenzen sowie (Re-)Integrationsschwierigkeiten als sehr problembehaftet und entwickeln konkrete Vorschläge für Konfliktlösungen. Die empirische Grundlage der Arbeit besteht lediglich in einem narrativen Interview mit einem 18-jährigen 2se. Die Autoren erwähnen, dass sie damit die in wissenschaftlichen Diskursen bislang vernachlässigte koreanische Sicht darstellen wollten. Im ausgewählten Interviewbeispiel betont der Befragte vor allem seine koreanischen Wurzeln. Der repräsentative oder exemplarische Gehalt des Einzelbeispiels erscheint gering. Changsŏp Yi (1992) analysiert mit einer Befragung von 20 Familien (mit zwei koreanischen Elternteilen) aus dem Jahre 1987, inwiefern die Eltern und die Spracherziehung einen Einfluss auf den Anpassungsprozess ihrer Kinder an die deutsche Gesellschaft haben. Die Kinder der Familien sind jedoch sehr jung (5-11 Jahre), so dass die Analyseergebnisse nicht die Phase einer intensiveren Auseinandersetzung der Kinder mit ihrer bikulturellen Identität beinhalten und die Ergebnisse auf den Aussagen ihrer Eltern beruhen. Eine methodisch sehr umfangreich und detailliert ausgearbeitete Untersuchung zu bikulturellen Identitätskonstruktionen junger Erwachsener bietet die Dissertation von Hildegard Wenzler-Cremer (2005) über deutsch-indonesische Frauen in Deutschland und Indonesien. Wenzler-Cremer kommt zu dem Ergebnis, dass der Bezug zu der deutschen und der indonesischen Kultur subjektiv unterschiedlich wahrgenommen wird, und bildet daraus unterschiedliche Strategien und Typen im Umgang mit Bikulturalität. Wenzler-Cremers vielfältige Darstellung von Identitätskonstruktionen bikulturell Sozialisierter soll deshalb für die vorliegende Untersuchung der kulturellen Identitätskonstruktionen koreanischer Migranten der zweiten Generation Anwendung finden. Ihre Identitätskonstruktionen sollen im Ergebnis von Interviews nachvollzogen werden und in einem zweiten Schritt auf mögliche Identitätskonstruktionstypen überprüft werden. Fragestellung Die vorliegende Arbeit stellt die Frage in den Mittelpunkt, wie sich die zweite Generation junger Erwachsener von Eltern(teilen) koreanischer Herkunft, die in Deutschland geboren und sozialisiert worden ist, kulturell positioniert und wahrnimmt und welche Einflüsse dabei wirksam werden. Hierbei soll zudem gefragt werden, ob und inwieweit es

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ausschlaggebend für die kulturelle Identitätsbildung ist, wenn beide Elternteile aus Korea stammen oder lediglich ein Elternteil aus Korea emigrierte. Aufbau der Arbeit Im Anschluss an diese Einleitung werden im zweiten Kapitel die Leitbegriffe dieser Arbeit zu „Kultur“, „Bikulturalität“ und „Identität“ erläutert. Das dritte Kapitel untersucht verschiedene Studien zur Identitätsbildung bei Bikulturellen. Daraus werden Faktoren – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Familie – ausgewählt, die die Identitätsbildung bei Bikulturellen beeinflussen und für die vorliegende Arbeit relevant erscheinen. Diese zentralen Einflussfaktoren dienen als Grundlage für die systematische Auswertung der Interviews. Das vierte Kapitel bildet einen weiteren theoretischen Teil, der als Grundlage für die Auswertung der Interviews dient. Hier werden die Strategien zur Gestaltung der Bikulturalität nach Wenzler-Cremer (2005) dargestellt. Ergänzend werden die Strategien „Anderer Deutscher“ im Umgang mit Rassismuserfahrungen nach Mecheril (1994: 62f.) einbezogen. Aus den Interviews selbst wird weiterhin eine zusätzliche Strategie („Universalisierung“) herausgearbeitet. Das fünfte Kapitel beschreibt das methodische Vorgehen für die empirisch begründete Typenbildung in dieser Arbeit. Darüber hinaus erfolgt eine kritische Reflexion über die Rolle der Betrachterin im Forschungsprozess. Das sechste Kapitel beinhaltet den empirischen Teil dieser Arbeit. Anhand von 17 ausgewerteten Interviews werden vier verschiedene Typen koreanischer Migranten der zweiten Generation gebildet. Diese ergeben sich vor allem durch unterschiedlichen Einsatz von Strategien zur Gestaltung ihrer Bikulturalität sowie durch unterschiedlich geprägte Einflüsse. Das siebte Kapitel schließt die Arbeit mit einem Fazit der zentralen Untersuchungsergebnisse ab und bietet einen Ausblick für weiterführende Forschungsfragen. Hinweise zur Schreibweise der koreanischen Namen und Wörter Die Umschrift des Koreanischen folgt dem McCune-Reischauer-System. Das betrifft ebenso die Personennamen der koreanischen Autoren, sofern diese in der Originalquelle über keine eigene Transkription verfügen. Ortsnamen wurden nach der offiziellen Schreibweise transkribiert. Die koreanischen Begriffe sind im Text kursiv geschrieben.

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2 Begriffsbestimmung Die Begriffe „Identität“ und „Kultur“ sind vielfach aus der Sicht unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen behandelt worden und unterliegen einem ständigen Bedeutungswandel. Der Identitätsbegriff wurde deshalb bereits Mitte der 1980er-Jahre als „Inflationsbegriff Nr. 1“ (Brunner 1987: 63) bezeichnet. Trotz der Menge an Publikationen, die den Begriff „Identität“ unterschiedlich verwenden, hat dieses Thema nicht an Popularität verloren. Für den Terminus „Kultur“ gibt es ebenfalls eine unüberschaubare Vielfalt von Bedeutungszuschreibungen. Kroeber und Kluckhohn (1952) haben 175 verschiedene Definitionen von „Kultur“ (beziehungsweise vom englischen Wort „culture“) aufgeführt. Man kann davon ausgehen, dass sich die Zahl seit ihrer Publikation weiter erhöht hat. „Kultur“ und „Identität“ sind Begriffe, die vor allem im medialen und alltäglichen Sprachgebrauch oftmals wie selbstverständlich verwendet werden, um komplexe Sachverhalte darzustellen, ohne jedoch die Bedeutungsvielfalt dieser Begriffe kritisch zu betrachten und differenzierend zu erläutern. Um die möglichen Zusammenhänge von Kultur und Identität genauer erfassen zu können, ist es erforderlich, das dieser Arbeit zugrunde liegende theoretische Verständnis von „Kultur“ und „Identität“ beziehungsweise „kultureller Identität“ darzulegen und auf den Kontext von migrationsbedingter „Bikulturalität“ zu beziehen. 2.1 Identität Identität ist nach Keupp et al. (1999: 215) als lebenslanger, kreativer Prozess zu begreifen, bei dem verschiedene Facetten einer Person mit der Umwelt in Einklang gebracht werden. Keupp bezeichnet dieses als „Patchwork-Identität“18. Die Metapher der „Patchwork-Identität“ entwickelte Keupp, um „sich von einer substantialistischen Vorstellung von Identität (...) zu verabschieden und eher die alltägliche ,Identitätsarbeit‘ ins Zentrum zu rücken, in der Subjekte ihr Gefühl beziehungsweise Verständnis von sich selbst suchen und konstruieren“ (ebd.: 1996: 380). Identität wird somit verstanden als eine „Passungs- und Verknüpfungsarbeit“, in der die gesellschaftlichen Erwartungen mit den eigenen Selbstverwirklichungsentwürfen in Beziehung gebracht und ausgehandelt werden, um „Lebenskohärenz“ zu schaffen (ebd.: 2004: 11, 1999: 215f.). Das Gelingen dieser Identitätsarbeit bemisst sich für das Subjekt „von innen an dem Kriterium der Authentizität und von außen am Kriterium der Anerkennung“ (ebd.: 2004: 11). Identität fungiert als „Balanceakt“ beziehungsweise „Scharnier zwischen der inneren und der äußeren Welt“ (ebd.: 1999: 28, 216) und hat folglich immer einen Doppelcharakter. Zum einen soll in der Antwort auf die Frage nach dem eigenen Selbst das Unverwechselbare zum Ausdruck

                                                                                                               18 Diesen Begriff verwendete Keupp im Rahmen eines Vortrages auf dem Kongress für Klinische Psychologie und Psychotherapie im Jahre 1988.

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kommen, zum anderen aber auch das sozial Akzeptable. Das Individuum versucht hierbei, innere und äußere Erfahrungen situationsbedingt anzupassen und seine unterschiedlichen Teilidentitäten zu verknüpfen. Mit „Teilidentität“ oder Selbsterfahrungsbereichen, wie Keupp sie auch nennt, sind die verschiedenen Rollen, die ein Individuum in seinem Leben besetzt, gemeint. Ein Mensch kann beispielsweise gleichzeitig Mutter, Kind, Freundin, Geschäftsfrau, Ehefrau, Sportlerin usw. sein (ebd.: 99f., 190). Identitätsbildung findet dabei im Wesentlichen mit dem Mittel der Selbstnarration statt, indem das Individuum seine vielseitigen Erfahrungen erzählend organisiert und somit in einen Gesamtzusammenhang bringt. Diese Selbstnarrationen verändern sich ständig in sozialen Aushandlungsprozessen. Sie sind das sprachliche Werkzeug eines jeden Menschen, sich zu etablieren (ebd.: 101f.). Die Geschehnisse der Narration sind nicht nur Narrationen eines einzelnen Individuums, sondern ebenfalls die Handlungen von anderen. Das bedeutet, dass eine Selbstnarration nur dann erfolgreich aufrechterhalten und fortgeschrieben werden kann, „wenn die handlungsstützenden Rollenträger bereit sind, die Darstellungen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mitzutragen“ (Keupp et al. 1999: 213). Von einer abgeschlossenen Identität kann nicht mehr ausgegangen werden. Der Begriff „Identitätsarbeit“ weist auf das Unabgeschlossene dieses Prozesses hin. Mit dem Begriff der alltäglichen Identitätsarbeit wollen die Autoren um Keupp deutlich machen, dass Identität nicht etwas Angeborenes ist, sondern einen lebenslangen Prozess darstellt, den das Individuum im Laufe seines Lebens entwickelt. 2.2 Kultur In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff „Kultur“ mit Vorsicht und vor allem in Hinblick auf die „writing-culture“-Debatte19 betrachtet, die im Verlauf der 1980er-Jahre innerhalb der Sozial- und Kulturanthropologie20 geführt wurde. Die Debatte machte auf die Problematik des Gültigkeitsanspruches ethnografischer21 Repräsentationen aufmerksam, da durch die Ethnografen eine Be- und Festschreibung von Kulturen erfolge und dies somit zwangsläufig zu einer Konstruktion von Kultur führe:

„Es wird notwendig, Ethnografie nicht als die Erfahrung und Deutung einer eingegrenzten ,anderen‘ Realität zu konzipieren, sondern vielmehr als ein konstruktives Verhandeln, an dem mindestens zwei – gewöhnlich mehr – bewußte politisch bedeutsame Subjekte beteiligt sind.“ (Clifford 1993: 135)

                                                                                                               19 Siehe Clifford/Marcus (1986): „Writing Culture. The Poetics and Politics of Ethnography“ sowie Berg/ Fuchs (Hrsg.) (1993): „Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise der ethnographischen Repräsentation“. 20 Im englischsprachigen Raum kennzeichnet der Begriff „Social Anthropology“ die britische Forschungstradition. „Cultural Anthropology“ hingegen bezeichnet die US-amerikanische Forschungstradition. 21 Zur Unterscheidung zwischen Ethnologie und Ethnografie siehe Waldenfels (1999: 118). Er verwendet den Begriff der Ethnologie, wenn es um die Disziplin als Ganzes geht, den Begriff der Ethnografie, wenn konkrete Beschreibungspraktiken im Mittelpunkt stehen.

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Diese Forderung macht eine (selbst-)reflektierte Auseinandersetzung über das interaktive Verhältnis zwischen Betrachtendem und Betrachtetem als Teil des Forschungs- und Schreibprozesses notwendig (Waldenfels 1999: 143-148). Deutlich wird dadurch, dass der beschreibende Betrachtende mit seiner (selektierten) Darstellung nicht nur über seinen Forschungsgegenstand berichtet, sondern zugleich auch über sich selbst (Fabian 1993: 338). Folglich kann er auch immer nur partielle Wahrheiten liefern (Clifford 1986: 6). Für die vorliegende Arbeit soll der in der interkulturellen Kommunikation geprägte Begriff der „Kulturstandards“ von Thomas herangezogen werden, um Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen den Kulturen wissenschaftlich zu erschließen beziehungsweise kulturelle Differenzen zu systematisieren und begrifflich zu fassen:

„Unter Kulturstandards werden alle Arten des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Handelns verstanden, die von der Mehrzahl der Mitglieder einer bestimmten Kultur für sich persönlich und andere als normal, selbstverständlich, typisch und verbindlich angesehen werden. Eigenes und fremdes Verhalten wird auf der Grundlage dieser Standards beurteilt und reguliert.“ (Thomas 1996: 112)

Die Angehörigen einer Kultur sind sich dabei ihrer eigenen Kulturstandards meist nicht bewusst und handeln ganz selbstverständlich nach ihnen. In den interkulturellen Begegnungen könnten diese dann ins Bewusstsein treten (Thomas et al. 2003: 25). Die Kulturstandards sollen im Folgenden allerdings nicht als allgemeingültige Merkmale beziehungsweise unabänderliche Gegebenheiten einer bestimmten kulturellen Gruppe verstanden werden, da sie sich – wie oben bereits erwähnt – kontextabhängig aus der Konstruktion der Handlungsträger und der Kategorisierung des Forschers ergeben. Auch innerhalb einer Kultur können diese stark variieren und nicht von allen Mitgliedern geteilt werden. 2.3 Kulturelle Identität Das in dieser Arbeit vorliegende Verständnis von „kultureller Identität“ ist als Konkretisierung beziehungsweise Verknüpfung der oben genannten Konzepte von „Kultur“ und „Identität“ zu verstehen. „Kulturelle Identität“ bezeichnet damit eine lebenslange Neupositionierung beziehungsweise diskursive Konstruktion des „Eigenen“, die sich in Abgrenzung zu einem wirklichen oder bloß vorgestellten „Anderen“ entwickelt und als immer nur kontextuell und zeitlich begrenzt verstanden werden kann. Sie gründet sich auf Solidarität und Zusammengehörigkeit mit Personen, mit denen man etwas (Illusionäres oder Wahrhaftiges) gemeinsam hat, und zugleich auch auf die Ausschließung von Personen, die unterschiedlich zu sein scheinen.22

                                                                                                               22 Siehe auch Hall (2004: 170f.).

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Im Folgenden wird es als Teil des Auswertungsprozesses gesehen zu zeigen, wie Kulturstandards in den Interviews konstruiert und verwendet werden. Somit soll erschlossen werden, welche kulturellen Zuschreibungen und Erklärungen erfolgen und inwiefern hinsichtlich dessen etwas in der Innen- und Außenperspektive als eigen oder fremd empfunden und erlebt wird und folglich die eigene Zugehörigkeit beziehungsweise Identität im Umgang mit der Bikulturalität konstruiert wird. Es ist dabei auch zu bedenken, dass das subjektive Zugehörigkeitsgefühl zu einer Kultur in Relation zu der jeweiligen Situation, zu aktuell bedeutsamen Beziehungen und Gruppenzugehörigkeiten und in verschiedenen Lebensphasen unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden kann. 2.4 Bikulturalität Für Menschen, die sich auf eine „subjektiv relevante Verbundenheit mit mehr als einem sozial-symbolischen Raum, der eine geographische Referenz hat“ (Mecheril 2000: 231), beziehen, werden vor allem im wissenschaftlichen Kontext unterschiedliche Begriffe verwendet, um sie zu kategorisieren und gegeneinander abzugrenzen. Eine im deutschen Sprachraum häufig verwendete Bezeichnung für Familien, in denen die Partner aus unterschiedlichen Herkunftsländern kommen, ist „binational“. Die Bezeichnung bezieht sich lediglich auf die unterschiedlichen Staatsangehörigkeiten der Partner (Wießmeier 1993: 55). Das Zusammentreffen von zwei Ethnien 23 in einer Partnerschaft beziehungsweise einer Familie wird dahingegen – unabhängig von der Staatsangehörigkeit – als „biethnisch“ (Teo 1994: 149) oder auch „interethnisch“ (Thode-Arora 2000: 66f.) bezeichnet. Wenn innerhalb einer Gesellschaft viele Kulturen nebeneinander existieren, wird diese als „multikulturell“ bezeichnet, während der Begriff „interkulturell“ versucht, dieses abgegrenzte Nebeneinander von Kulturen mittels Dialog und Austausch zwischen ihnen zu durchbrechen. Beide Bezeichnungen beruhen auf einem Kulturverständnis, welches Kulturen als voneinander abgrenzbare Einheiten versteht.24 Beck-Gernsheim (2001: 75) bezeichnet deshalb Familien und Paare, deren Lebenswirklichkeit zwischen zwei Kulturen und Ländern aufgespannt ist, als „transkulturell“. Hierbei wird allerdings nicht weiter unterschieden zwischen Migrantenfamilien und Familien, in denen die Partner aus zwei verschiedenen Kulturen kommen. Dieses ist ebenso bei dem Begriff „bikulturell“ der Fall, der angesichts seiner unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten umstritten ist. Varro

                                                                                                               23 Der Begriff „Ethnie“ bezeichnet eine menschliche Gemeinschaft, deren Mitglieder sich über gemeinsame Merkmale wie eine gemeinsame Abstammung, Abstammungsmythen oder geteilte Werte und Normen von anderen Gruppen abgrenzen und ein bestimmtes Gemeinschaftsbewusstsein besitzen. Die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe erfolgt durch die Selbstbeschreibung, das heißt eine subjektiv konstruierte Gemeinsamkeit, aber auch durch Zuschreibung von außen. Tatsächliche oder auch nur vorgestellte kulturelle Merkmale können unter anderem genutzt werden, um die eigene oder andere soziale Einheiten zu charakterisieren (Beer 2006: 53-57). 24 Für eine Kritik dieser Begriffe siehe den Beitrag über „Transkulturalität“ von Welsch (1999: 194-213).

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(2000: 35, 39) beispielsweise bezeichnet Paare und Familien, in denen die Partner über unterschiedliche Formen von kulturspezifischem Wissen verfügen und dieses Wissen einen Einfluss auf die materielle Kultur25 (zum Beispiel Wohnungseinrichtung und Kleidung) ihrer Beziehung hat, als „bikulturell“.

Wenzler-Cremers (2005: 62) Verwendung des Begriffes „bikulturell“ bezieht sich auf die vorhandene(n) Herkunftskultur(en) in den Familien ihrer Informanten. In welchem Ausmaß beide Kulturen in der Lebensgestaltung der Familie präsent sind, ist dadurch noch nicht gesagt. Ihr Verständnis von „bikulturellen Familien“ umfasst zugleich zweierlei:

• Familien, in denen die Eltern unterschiedliche Herkunftskulturen haben und gemeinsam in einem der Herkunftsländer beziehungsweise der Herkunftskultur von einem Elternteil leben (zum Beispiel: koreanische Mutter und deutscher Vater leben in Deutschland).

• Familien, in denen die Eltern eine gemeinsame Herkunftskultur haben und in eine andere Umgebungskultur emigriert sind (zum Beispiel: koreanische Mutter und koreanischer Vater leben in Deutschland).

Da Wenzler-Cremer keine begriffliche Unterscheidung zwischen den beiden Gruppen gemacht hat, werden die in einem ähnlichen Kontext verwendeten Begriffe von Lubis (2012: 14f.) herangezogen. Sie bezeichnet ihre Informanten, die in Deutschland lebende Eltern unterschiedlicher Herkunftskulturen haben (deutsche Mutter und indonesischer Vater) als „intern bikulturell“, um die innerfamiliäre Differenz zu veranschaulichen. Diejenigen Informanten mit zwei in Deutschland lebenden indonesischen Elternteilen bezeichnet sie hingegen als „extern bikulturell“, um auf den Kontrast zwischen der gemeinsamen indonesischen Herkunftskultur in der Familie und ihrer außerfamiliären Umgebungskultur hinzuweisen. Für die vorliegende Untersuchungsgruppe ergibt sich daraus die Bezeichnung „intern-bikulturell“26 für die Interviewpartner mit einem deutschen Vater und einer Mutter koreanischer Herkunft, während „extern-bikulturell“ diejenigen umfasst, deren beide Elternteile koreanischer Herkunft sind. Wenn im weiteren Verlauf der Arbeit von bikulturellen Familien die Rede ist, so bezieht sich dies gleichermaßen auf intern- und extern-bikulturelle Familien.

                                                                                                               25 Der Begriff „materielle Kultur“ umfasst die Gesamtheit der Gegenstände, mithilfe derer Menschen auf ihren Lebensraum einwirken, ihn verändern und ihren Bedürfnissen entsprechend gestalten. Ebenso wird die Herstellung und Nutzung von materiellen Gütern sowie das dafür erforderliche Wissen bezeichnet (Feest 2006: 240). 26 Die Begriffe „extern-bikulturell“ und „intern-bikulturell“ werden in der vorliegenden Arbeit – im Gegensatz zu Lubis’ Schreibweise dieser Begriffe – mit einem Bindestrich geschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich hier um zwei zusammenhängende Wörter handelt.

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3 Einflussfaktoren auf die Herausbildung von kultureller Identität Im Hinblick auf das Verständnis von Sozialisation27 als ein Prozess der Identitätsbildung durch die Interaktion zwischen Mensch und Umwelt, werden im Folgenden die wesentlichen Faktoren und Instanzen dargestellt, in denen sich (kulturelle) Identität entwickelt. Diese Faktoren sind jedoch nicht als strikt voneinander abgrenzbar zu verstehen, sondern als sich gegenseitig bedingend. Die folgenden theoretischen Überlegungen dienen als Bezugsrahmen für die Erstellung der Typologie in Kapitel 5. 3.1 Familiäre Situation Die Familie ist die zentrale Instanz der Sozialisation. Die Eltern werden hierbei als primäre Sozialisation bezeichnet, da sie „in der Regel die früheste und nachhaltigste Prägung der Persönlichkeit eines neu geborenen Gesellschaftsmitgliedes vornehmen“ (Hurrelmann 92006: 127). Durch die bewusste oder unbewusste Vermittlung kulturell geprägter Verhaltensregeln, Werte, Normen, Einstellungen, Gewohnheiten und Gesten, die sich aus dem familialen Zusammenleben sowie aus den beruflichen und freundschaftlich-nachbarschaftlichen Kontakten der Eltern ergeben, konstruieren die Eltern ein bestimmtes Bild ihrer jeweiligen Herkunftskultur und beeinflussen die Beziehung, die das Kind zu der betreffenden Kultur entwickelt (Mecheril 1994: 67, Hurrelmann 92006: 156). Sofern die Eltern der 2se aktive Mitglieder in koreanischen Kirchengemeinden sind, binden sie ihre Kinder dort meist ebenfalls ein. Nach Hyeon-Mi Hwang (1999: 35) spielen diese Gemeinden für soziale Kontakte zu den in Deutschland lebenden Koreanern und für die Weitergabe der koreanischen Traditionen und die Entwicklung der Kultur eine wichtige Rolle. Der intrafamiliäre Transfer von kulturellen Ressourcen setzt persönliche Investition von Zeit und Energie von beiden Seiten, den Eltern wie den Kindern voraus (Keupp 1999: 199, Bourdieu 1983: 186). Bourdieu (1992: 72) spricht hierbei von der „Akkumulation kulturellen Kapitals“ und betont dessen Abhängigkeit von sozioökonomischen Ressourcen. Die Akkumulation des kulturellen Kapitals und damit dessen individuelle Effektivität hänge davon ab, „wie viel nutzbare Zeit (...) in der Herkunftsfamilie zur Verfügung steht, um die Weitergabe des Kulturkapitals zu ermöglichen (...). Das in der Familie verfügbare ökonomische Kapital spielt dabei eine entscheidende Rolle.“ Ebenso abhängig von der ökonomischen Situation der Familie ist die Kontaktpflege zur mütterlichen Familie und ihrer Herkunftskultur, die den Kindern einen persönlichen Bezug zu der Herkunftskultur ermöglicht (Wenzler-Cremer 2005: 324).

                                                                                                               27 Der Begriff „Sozialisation“ wird hier in Anlehnung an Kohli (1978: 17) als lebenslanger sozialer Lernprozess eines Individuums verstanden.

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Der Einfluss der koreanischen Eltern(teile) auf die kulturelle Identität ihrer Kinder wird zudem gelenkt durch die Verarbeitung der eigenen Migrationserfahrungen und durch deren Zugehörigkeitsgefühl zur Herkunfts- und Umgebungskultur. Hierbei ist zu bedenken, dass der Integrationsgrad der migrierten Eltern(teile) in Deutschland mit der Zeit zunehmen kann, so dass sich das auch auf die Erziehung ihrer Kinder unterschiedlich auswirken kann. Grundsätzlich begünstigte das Arbeitsumfeld im Gesundheitswesen bei den koreanischen Frauen den sozialen Kontakt zu Deutschen, so dass es zwischen den beiden Gruppen auch oft zu Paarbildungen kam. Die koreanischen Bergarbeiter hingegen lebten beruflich sehr isoliert von der deutschen Gesellschaft, was die Integration in ihre Umgebung erschwerte (Simon 1985b: 58, Berner/Choi, Sun-ju 2006: 11).28 Bei intern-bikulturellen Familien ist der Elternteil, der in der Migrationssituation lebt, für das Kind der wichtigste Repräsentant der zweiten Herkunftskultur (Mecheril 1994: 67). Mecheril geht davon aus, dass die Eltern-Kind-Beziehung in bikulturellen Familien – neben generationsspezifischen Differenzen wie in jeder Familie – zusätzlich durch herkunftsspezifische Differenzen zwischen den Eltern und den Kindern belastet werden kann, und verweist auf „die grundlegenden inhaltlichen Problemdomänen“ Religion, Geschlechterverhältnis und Autonomie (ebd.: 67f.). So erwähnen auch Oh, Soo Sung et al. (1998: 409) die Kollision unterschiedlicher Prägungen zwischen den in Deutschland sozialisierten Kindern und ihren koreanischen Eltern:

„Die Sozialisation durch das Umfeld der 2se unterscheidet sich von den gesellschaftlichen Vorstellungen ihrer Eltern, wodurch Werte- und Normenkonflikte vorprogrammiert sind.“ (Übersetzung des Verfassers)

Chong-ch´ŏl Hong 29 stellt in seinem autobiografischen Artikel die Sicht der 1se (Elterngeneration) im Bereich der Bildung als kulturelle Differenz zu der Einstellung der 2se dar:

„Dadurch, dass wir als Erwachsene nach Deutschland gekommen sind, ist unsere Einstellung zur Bildung komplett koreanisch. Damit meine ich das Lernfieber bei Schülern und den Bildungseifer der Eltern. Diese großartige Haltung wird aber leider nicht in Deutschland geteilt. Das geht einfach nicht in die Köpfe der hier geborenen und mit deutschen Kindern aufgewachsenen 2se rein.“ (Übersetzung des Verfassers)

                                                                                                               28 Was die in Hamburg lebenden koreanischen Väter der Interviewten in dieser vorliegenden Arbeit betrifft, handelt es sich dabei größtenteils um Freiberufler, von anderen deutschen Städten zugezogene ehemalige Bergarbeiter oder Facharbeiter, die in den Jahren 1971-1973 zu der Howaldtswerke Deutsche Werft (HDW) in Hamburg-Finkenwerder vermittelt wurden. Nach Angaben der HWD sowie ergänzend aus mündlichen Quellen eines damaligen koreanischen Ingenieurs bei den Howaldtswerken wurden in der Zeit insgesamt 379 Arbeiter aus Korea vermittelt (Werkszeitung HDW 1971, 2, S. 25). 29 Hong, Chong-ch’ŏl: Togilttang 30nyŏn, ch'ŏngch'unŭl pulssarŭgo 독일땅 30년, 청춘을 불사르고, [30 Jahre deutscher Boden, verbrannte Jugend]. In: P'adokkwangbu 30nyŏnsa (chaedok hanin ch'inmokhoe 1996) e sillin charyo 파독광부 30년사 (재독 한인 친목회 1996) 에 실린 자료, S. 180-186. S.185; zitiert nach Yi, Yeong-seok (2008: 340).

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Changsŏp Yi (1992: 70) führt in seinen Interviews die Aussage einer Mutter an, die die fehlende Gehorsamkeit ihrer Kinder bemängelt.

„Ich mag das wirklich nicht hören, wenn die Kinder immer von ,Ich‘ und ,meine Meinung‘ sprechen. Wie egozentrisch das klingt... Auch unsere sechsjährige Tochter fragt ständig ,warum‘, wenn wir ihr etwas befehlen. Wir durften früher, als wir klein waren, unseren Eltern mit keinem Wort widersprechen.“ (Übersetzung des Verfassers)

Je stärker diese kulturellen Differenzen zwischen Eltern und Kind sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Kind von der Herkunftskultur seiner Eltern distanziert.

Wie groß allerdings bei 2se der Einfluss ihrer Eltern beispielsweise auf deren Partner- und Ehewahl sein kann, ergaben zwei Studien von Röhr-Sendlmeier und Yun, Jenny (2006: 104f.), in denen unter anderem koreanische Migranten der zweiten Generation zu ihren Vorstellungen bezüglich Partnerschaft, Ehe und Familie befragt wurden und diese oft das Einverständnis beziehungsweise die Mitsprache der Eltern bei der Partner- und Ehepartnerwahl stärker als sehr wichtig erachteten als die anderen befragten Gruppen30. Ein dort ebenso auffällig oft erwähnter Aspekt der 2se ist deren Bewusstsein darüber, dass ihre Eltern sich meist einen koreanischstämmigen Partner für sie wünschen (ebd.: 97). Abgesehen von der Eltern-Kind-Beziehung spielt zudem die Beziehung der Eltern untereinander eine Rolle. Vor allem in intern-bikulturellen Partnerschaften besteht die Gefahr, dass die Kinder ein negatives Bild einer der beiden oder beider elterlicher Herkunftskulturen verinnerlichen, wenn Familienkonflikte als kulturelle Konflikte zwischen den Eltern ausgetragen werden (Katz 2000: 97). Geschwisterkonstellationen und Geschlecht Wießmeier (2000a: 61) stellte in ihrer Untersuchung fest, dass sich bei den Geschwisterkonstellationen in bikulturellen Familien oft erhebliche Unterschiede in den Rollen sowie den Sozialisationsbedingungen ergeben. So werden die älteren Geschwister oftmals über eine lange Zeit bilingual erzogen, da ihre migrierten Eltern(teile) anfänglich über geringere Deutschkenntnisse verfügen. Mit dem steigenden Integrationsgrad der Eltern lässt folglich der Druck einer bilingualen Erziehung bei den jüngeren Geschwistern nach. Hierzu steuern vor allem auch Verweigerungsstrategien der älteren Geschwister bei, so dass den jüngeren Geschwistern dieselben Auseinandersetzungen mit ihren Eltern meist erspart bleiben und sie von mehr „Freiheiten“ profitieren. Auch geschlechtsspezifische Rollen entsprechend dem konfuzianisch geprägten Familienrecht Koreas beeinflussen das Familienleben und werden in der folgenden                                                                                                                30 Hierbei wurden 215 italienische, türkische und koreanische junge Erwachsene der zweiten Migrantengeneration vergleichend mit deutschen jungen Erwachsenen aus Bonn, Köln und Leverkusen zu ihren Vorstellungen zu Partnerschaft, Ehe und Familie befragt.

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Aussage einer koreanischen Mutter aus Changsŏp Yis (1992: 57) Befragung deutlich. Sie hat zwei Söhne und thematisiert deren hohen Stellenwert:

„Diejenigen (Koreaner), die keinen Sohn, sondern nur eine Tochter haben, erzählten uns, was für ein großes Glück wir haben.“ (Übersetzung des Verfassers)

Der hohe Stellenwert eines Sohnes ist bereits auf die Chosŏn-Dynastie (1392-1910) im 17. Jahrhundert zurückzuführen, als unter dem Einfluss des Konfuzianismus in den Ahnentafeln nur noch die männlichen Nachkommen, die als einzig Erbberechtigte galten, eingetragen wurden. Diese Praxis hat sich endgültig erst mit der vierten Reform des Familiengesetzes im Jahre 2005 geändert (Shin, Ki-young 2006: 108-116). 3.2 Sprachbildung Sprache – sei es in Form von Einzelsprachen oder Sprachvarietäten wie Dialekten oder Sprachstilen – bildet eine bedeutende Grundlage für die Selbstwahrnehmung und Identitätsbildung eines Individuums im Zuge der Kommunikation mit seiner sprachlichen (und sozialen wie ethnischen) Gemeinschaft und dient gleichzeitig der Identitätsvergewisserung und -sicherung innerhalb der Gruppe (Thim-Mabrey 2003: 5, Kresic 2006: 224). Der Erwerb einer Sprache bietet somit eine Annäherung an eine kulturell geprägte Lebens- und Erfahrungswelt mit dem Ziel, daran teilzuhaben (Pavlenko/Lantolf 2000: 155). Bei einer bilingualen Erziehung, wie es bei Migranten der zweiten Generation der Fall ist, wenn sie sowohl die Muttersprache ihrer migrierten Eltern(teile) als auch die Mehrheitssprache beherrschen, bedeutet dies eine automatische Auseinandersetzung mit beiden Kulturen, welche „die Fähigkeit des Individuums, sich mit den beiden beteiligten Sprachgruppen zu identifizieren“ (Uslucan 2005: 233) fördert. Eine ausschlaggebende Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Einstellungen der Eltern gegenüber den jeweiligen Sprachen. In Changsŏp Yis (1992: 64) Befragung verdeutlicht ein koreanischer Vater die subjektiv empfundene Relevanz einer bestimmten Sprache und der damit einhergehenden Spracherziehung seines Kindes:

„Dass mein Kind kein Koreanisch sprechen kann ist komplett meine Schuld. Als ich hierherkam, habe ich – so wie auch andere Koreaner – viele Schwierigkeiten gehabt, weil ich nicht so gut deutsch sprechen konnte. Diese Schwierigkeiten wollte ich meinem Kind ersparen.“ (Übersetzung des Verfassers)

In Wenzler-Cremers Untersuchung deutsch-indonesischer Familien hängt die Spracherziehung mit dem „Prestige“ einer jeweiligen Sprache zusammen. So legen die deutschen Mütter mehr Wert darauf, ihren Töchtern die eigene Muttersprache zu vermitteln, als die indonesischen Mütter, da Deutsch als die prestigeträchtigere Sprache angesehen wird (Wenzler-Cremer 2005: 111). Auch in Varros Untersuchung deutsch-

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französischer Familien wird Französisch – als eine offizielle Sprache der Vereinten Nationen – für die bedeutsamere Sprache gehalten, so dass ein französischer Ehepartner es für notwendig erachtet, dass sein deutscher Ehepartner ebenfalls Französisch sprechen lernt (Varro 1997: 161f.). Die Muttersprache des migrierten Elternteils wird dadurch, dass auch der andere Elternteil diese Sprache spricht, aufgewertet. Ist nur ein Elternteil bilingual, führt dies oftmals dazu, dass die Sprache der Umgebungskultur zur Familiensprache beziehungsweise Muttersprache der Kinder wird (Varro 2000: 39). Changsŏp Yi (1992: 64) betont jedoch, dass letzten Endes die Umgebung einen bedeutsameren Einfluss auf den Sprachgebrauch beziehungsweise die Sprachbildung des Kindes ausübt als die Eltern.31

„Die koreanisch-deutschen Kinder haben zuerst die koreanische Sprache gelernt, die auf den familiären Sprachgebrauch begrenzt war. Sobald sie in den Kindergarten kamen, wurde das Koreanische immer mehr durch das Deutsche ersetzt. Dieser Prozess ist auf den zunehmenden Kontakt mit dem deutschen Umfeld zurückzuführen, wodurch die deutsche Sprache vorherrschend und zur Alltagssprache wird (...). Die sprachliche Entwicklung der koreanischen 2se wurde – verglichen mit dem koreanischen Einfluss der Familie – mehr durch den deutschen Kindergarten und die deutsche Umgebung geprägt.“ (Übersetzung des Verfassers)

Das bestätigt ebenfalls Stolles (1990: 134) bundesweite Befragung koreanischer und deutsch-koreanischer Ehepaare, nach der die wenigsten Kinder Koreanisch sprechen können, da sie in der Schule und in ihrer Freizeit selten unter Kindern koreanischer Eltern seien. Auch Young-Hee Kims (1986: 198) Untersuchung koreanischer Familien in Nordrhein-Westfalen ergab, dass Deutsch die Alltagssprache ist. Meixners (2012: 64) empirische Befragungen in Frankfurt hingegen ergaben, dass 86,4 Prozent der „monoracial participants“ (Extern-Bikulturelle) zu Hause mit ihren Eltern Koreanisch sprechen, während nur 4 von 44 „biracial participants“ (Intern-Bikulturelle) angaben, mit ihrem koreanischen Elternteil zu Hause Koreanisch zu sprechen. In dem hohen Anteil bilingualer Sozialisation bei den Extern-Bikulturellen zeigt sich vor allem der regionale Unterschied zu Frankfurt beziehungsweise dem Bundesland Hessen, in dem die größte koreanische Gemeinschaft Deutschlands32 und viele koreanische Großkonzerne ansässig sind. Die Beschäftigten der koreanischen Großkonzerne sind unter anderen Bedingungen migriert als die Eltern der 2se in der vorliegenden Untersuchung, was sich auf die bilinguale beziehungsweise bikulturelle Erziehung ihrer Kinder auswirken kann. Koreanische Schule Bei der Spracherziehung spielt die außerfamiliäre Institution der koreanischen Schule ebenfalls eine wichtige Rolle. Da sich viele Eltern nicht in der Lage sahen, ihren Kindern in systematischer Weise die koreanische Sprache zu vermitteln, wurden koreanische

                                                                                                               31 Siehe auch Kuksap’yŏnch’anwiwŏnhoe [National Institute of Korean History] (2012: 155). 32 Statistisches Bundesamt (2013: 95-97).

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Wochenendschulen gegründet, in denen zudem die koreanische Geschichte und Kultur gelehrt wurde (Hwang, Hyeon-Mi 1999: 36; Kim, Yun-Bae 1993: 97). In Hamburg existiert die koreanische Schule seit 1975.33 Der Unterricht findet freitags über zweieinhalb Stunden statt. Von den Interviewten in der vorliegenden Arbeit wurden vor allem die Unterrichtszeiten sowie die pädagogischen Methoden der Lehrer bemängelt. Mittlerweile haben sich die pädagogischen Bedingungen in der koreanischen Schule in Hamburg zwar etwas verbessert, aber als die meisten Interviewten die koreanische Schule besuchten, waren viele der Lehrkräfte koreanische Studenten, die über keine spezielle Ausbildung für das Lehren verfügten. Zudem besaßen sie oftmals kaum Kenntnisse über die deutsche Kindererziehung oder das deutsche Schulsystem. Aufgrund dessen orientierten sie sich oft an den heimatlichen Unterrichtsformen, so dass sie nicht selten Schwierigkeiten mit den Kindern bekamen (Kim, Yun-Bae 1993: 216; Kuksap'yŏnch'anwiwŏnhoe [National Institute of Korean History] 2012: 188). 3.3 Freunde Mit zunehmendem Alter und im weiteren Sozialisationsprozess werden wichtige Sozialisationsinstanzen wie Kindergarten und Schule von immer größerer Bedeutung für die Selbstfindungsphase eines Kindes (Kirstein 2004: 16f., Hurrelmann 92006: 239, Harring et al. 2010: 9). So schreibt auch das „National Institute of Korean History“ (Kuksap'yŏnch'anwiwŏnhoe [National Institute of Korean History] 2012: 155) bezüglich 2se:

„Wenn die Kinder älter werden und immer mehr Zeit mit deutschen Kindern verbringen, werden sie denen immer ähnlicher, so dass die koreanischen Eltern nur noch wenig Einfluss haben.“ (Übersetzung des Verfassers)

Wießmeier (2000a: 72) und Varro (2000: 43) sagen sogar, dass der Lebensort und das soziale Umfeld bedeutsamer für die Entwicklung der kulturellen Identität seien als die Eltern. Schulkameraden, Kinder aus der Nachbarschaft und später auch aktiv gesuchte Freunde sind wichtige Wegbegleiter während der gesamten Sozialisation für die Entwicklung des Individuums. Die Schule und Ausbildungsstätte bilden die wesentlichen Orte, an denen Freundschaften geschlossen werden. Im Kindesalter werden die Kontakte noch häufig von den Eltern initiiert (Wenzler-Cremer 2005: 267). Die Beziehungen zu den Gleichaltrigen werden mit zunehmendem Alter selbst erarbeitet und hergestellt. Diese lösen in vielen Bereichen die Familie als primäre Bezugsinstanz ab und eröffnen damit neue Bildungs- und Sozialisationsräume (Harring et al. 2010: 9). Häufig decken sich die Rollenmuster der Heimatkultur, die die Kinder von ihren Eltern in der ersten Sozialisationsinstanz mitbekommen, nicht mit den kulturellen Werten und

                                                                                                               33 „Koreanische Schule in Hamburg“. http://www.koreanisch-hamburg.de/index.php/geschichte.html (Letzter Zugriff: 07.09.2014).

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Mustern, die sie im Kindergarten und in der Schule vorgelebt und gelehrt bekommen. Nach Lajios (1991: 44) ist dies der erste „Identitätsbruch“ des Kindes und der Beginn einer Aufteilung der Lebenswelt in zwei Kultursphären mit unterschiedlichen Verhaltensmustern, Normen und Werten. Was die Auswahl der Freunde angeht, so suchen nach Steinmetz (1987: 55-57) Migrantenkinder aufgrund vielfach erfahrener Ablehnung und Diskriminierung häufig zur Stärkung ihres Selbstwertgefühls den Zusammenhalt in Gruppen von Gleichaltrigen gleicher Nationalität beziehungsweise Gleichaltrigen, die ebenfalls einen Migrationshintergrund haben. Dort finden sie Anerkennung und können sich gegen herrschende Orientierungen der Mehrheit abgrenzen und nach eigenen, selbst gewählten Normen und Vorstellungen leben. Migrantenkinder, die hingegen einen Freundeskreis mit Kindern ohne Migrationshintergrund pflegen, gleichen nach Reinders (2010: 133) ihre Autonomievorstellungen an autochthone Jugendliche an und tragen diese Vorstellungen von mehr „Freiheit“ an die Eltern heran. Damit seien tendenziell mehr Konflikte zu erwarten als in Familien, deren jugendliche Kinder eine intraethnische Freundschaft pflegen – zumindest dann, wenn die Eltern eher auf Einhaltung der kulturellen Normen des Herkunftslandes drängen, während die Kinder vielmehr von der Aushandlung zweier Kulturen geprägt sind. 3.4 Erlebte Fremdwahrnehmung Für das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Nation oder ethnischen Gruppe spielt nicht nur die eigene Fähigkeit zur Identifikation mit dem Mehrheitskollektiv eine Rolle, sondern auch der Grad und die Häufigkeit der Anerkennung durch die Angehörigen der Mehrheit. Erst diese erlaubt eine Identifikation im Sinne der Angehörigkeit (Fouratan 2010: 11). Stimmt die Eigenwahrnehmung mit der Fremdzuschreibung nicht überein, entstehen Unsicherheiten in der Identität und die bikulturelle Situation kann als Belastung wahrgenommen werden (Mbombi 2010: 60f.). Oh, Soo Sung et al. (1998: 411) betonen die damit einhergehende Gefahr von Identitätskonflikten und -verlusten:

„Die deutsche Gesellschaft erkennt die 2se nicht als Deutsche an, sondern sieht sie als Ausländer oder Koreaner. Sie tragen ständig zwei Welten in sich. Wenn die 2se diese schwierige Situation nicht bewältigen können führt das zu einem Identitätskonflikt und -verlust, so dass sie sich weder als Deutsche noch als Koreaner identifizieren können.“ (Übersetzung des Verfassers)

Je stärker das Migrantenkind in seinem Aussehen von seinem Umfeld abweicht, desto größere Schwierigkeiten hat es in der Regel, sich diesem zugehörig zu fühlen. Bezüglich Deutschland führt Mbombi (2010: 52f.) dieses Phänomen zurück auf das in Deutschland

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geltende Prinzip der abstammungsabhängigen Staatsangehörigkeit („ius sanguinis“)34, nach dem die Nationalität unabhängig von dem Geburtsort oder der kulturellen Zugehörigkeit einer Person ist. Kinder mit Migrationshintergrund, besonders Extern-Bikulturelle sind aufgrund ihres von der Mehrheitsgesellschaft abweichenden äußeren Erscheinungsbildes im Kleinkindalter oft Hänseleien von anderen Kindern ausgesetzt. Diese frühe Konfrontation mit einer Ausgrenzung erleben die betroffenen Kinder in der Regel in einer Phase, in der sie nach einer möglichst hohen Angepasstheit und Integration in ihre außerfamiliäre Umgebung streben. Das kann unter Umständen dazu führen, dass sie sich von der Herkunftskultur ihrer Eltern noch stärker distanzieren. Wenn die Kinder älter werden, nehmen die Hänseleien zwar grundsätzlich ab, aber die dann im Alltag häufig gestellte Frage nach ihrer Herkunft transportiert die implizite Annahme, dass sie aufgrund ihres Aussehens nicht in die Vorstellung eines „Standard-Deutschen“ (Mecheril/Teo 1994: 9) passen und demnach nicht zweifellos als Deutsche anerkannt, sondern häufig von vornherein als Fremde wahrgenommen werden (ebd.: 88f.: Mysorekar 2007). Mecheril (1994: 62) spricht vom „Reduziert-Werden auf das ‚ausländische‘ Aussehen als signifikante Marke kultureller Identität und Zugehörigkeit“. Hierbei können auch positive Fremdzuschreibungen als diskriminierend empfunden werden (Mecheril/Teo 1994: 63), wie beispielsweise „Defizitbotschaften“ in der Aussage: „Sie sprechen aber gut Deutsch!“. Solche Erfahrungen führen zu bestimmten Haltungen, die helfen mit fremdbestimmten Erfahrungen umzugehen (Tafadal 2000: 207). In solchen Gesprächen sind die Betroffenen somit dazu aufgefordert, ihr kulturelles Selbstverständnis nicht nur zu artikulieren, sondern gegenüber dem Fremdverständnis auch zu rechtfertigen (Battaglia 2000). Diese Zuschreibungen von Differenz verweigern den betroffenen Personen implizit oder explizit das Recht auf Selbstpositionierung, mehr noch beeinflussen sie ihre subjektive Selbstwahrnehmung (Lubis 2012: 28). Einer Person, die phänotypisch als beispielsweise asiatisch markiert wird oder einen asiatischen Namen trägt, aber in ihrer eigenen Wahrnehmung deutsch ist und mit der Sprache und Kultur ihres elterlichen Herkunftslandes nicht vertraut ist, gelingt die Selbstbezeichnung als „Deutscher“ gegenüber der Mehrheitsgesellschaft immer nur mit einer anhängenden Erklärung wie: „Ich bin deutsch, aber meine Eltern kommen ursprünglich aus...“ Die                                                                                                                34 „Ius sanguinis“ bezeichnet das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz, das seit 1923 in Deutschland gültig ist. Daneben gilt seit der Staatsangehörigkeitsreform im Jahre 2000 das Geburtsortsprinzip („ius soli“) als Optionsmodell für Migranten der zweiten Generation. Hierzu gewährt § 4 Abs. 3 StAG die deutsche Staatsangehörigkeit für Personen, die in Deutschland geboren sind und mindestens einen Elternteil haben, der nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Für Personen, deren Eltern beide nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, wird die doppelte Staatsangehörigkeit – die deutsche neben der Staatsangehörigkeit der Eltern – nach § 29 StAG bis zur Volljährigkeit zunächst hingenommen, spätestens bis zum 23. Geburtstag muss sich der Betroffene dann jedoch für eine der beiden Staatsangehörigkeiten entscheiden.

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gesellschaftliche Fremdwahrnehmung von koreanischen Migranten der zweiten Generation in Deutschland führt demnach dazu, dass ihrer nicht-deutschen Herkunft oftmals erst eine (übermäßige) Bedeutung zugeschrieben wird. Tajfel (1982: 161-167) spricht im Extremfall mit diskriminierenden Erfahrungen von der Internalisierung negativer Bewertungen von außen in das eigene Selbstbild. Die Außenwahrnehmung der Mehrheitsgesellschaft, als „minderwertig“ behandelt zu werden durch Erfahrungen subtiler oder offensichtlicher Ausgrenzung, wird auf diese Weise akzeptiert und in die Selbstwahrnehmung übernommen, so dass eine Identifikation mit der diskriminierten Gruppe schwierig wird. Hierbei ist die Gefahr des Selbsthasses gegeben. Die Diskriminierungserfahrungen sowie mangelnde Aufnahmebereitschaft vonseiten der Mehrheitsgesellschaft, welche das „Deutschsein“ auf phänotypische Merkmale reduziert, verhindert eine emotionale Verbundenheit mit Deutschland (Attia 2009). Eine weitere Rolle spielt zudem das durch den Nationalsozialismus negativ geprägte nationale Identitätsgefühl für Deutschland, das es auch Herkunftsdeutschen nicht leicht macht, affirmativ die Nationalitätszugehörigkeit zu artikulieren. 3.5 Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Prozess der Identitätsbildung ein komplexer und langwieriger Vorgang ist, bei dem wichtige grundlegende Bausteine für die Persönlichkeitsentwicklung in der kindlichen Entwicklungsphase gelegt werden. Das Erziehungsverhalten der Eltern legt hierbei die familiären Rahmenbedingungen für die Sozialisation des Kindes in beiden Kulturen fest. Die Eltern beeinflussen primär das Zugehörigkeitsgefühl ihres Kindes, indem sie sich vor allem für eine der beiden Sprachen als Familiensprache entscheiden und die Integration in das soziale Umfeld gestalten. Das Erziehungsverhalten ändert sich meist jedoch auch mit dem Integrationsgrad der Eltern, so dass die älteren Geschwister eher bilingual erzogen werden als die jüngeren Geschwister. Die Gestaltung der bikulturellen Sozialisation ist abhängig von der ökonomischen Situation der Eltern. Eine ausreichende finanzielle Ausstattung ermöglicht den Eltern zum einen, viel Zeit für die persönliche Erziehung ihres Kindes aufzubringen, und ist zum anderen auch Voraussetzung für eine intensive Kontaktpflege zur Heimat und Familie der koreanischen Eltern(teile). Der direkte Kontakt zur Herkunftskultur wiederum ist eine Bedingung dafür, dass diese im Leben der Kinder eine bedeutsame Rolle spielt. Mit zunehmendem Alter des Kindes wird die familiäre Erziehung stark im Zusammenhang mit der erlebten Fremdwahrnehmung außerhalb der Familie verwertet. Freunde und Gleichaltrige aus dem sozialen Umfeld lenken immer mehr die kulturelle Identität des Kindes. Hierbei ist das Alter beziehungsweise die Lebensphase der Betroffenen

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ausschlaggebend für die Sichtweise auf ihre bikulturelle Situation. Das Erziehungsverhalten der Eltern und die außerfamiliäre Umgebung beziehungsweise die erlebte Fremdwahrnehmung stellen somit für alle Typen gleichermaßen zentrale Räume zur Entwicklung und Gestaltung ihrer kulturellen Identität dar.

Abbildung 1: Einflussfaktoren von kultureller Identität

 

Die Richtung der Pfeile verweist auf den entsprechenden Einfluss auf bestimmte Faktoren. Die durchgezogenen Pfeile stellen hierbei die zentralen Einflussfaktoren kultureller Identitätsbildung dar.

Eltern (Beziehung zu den Kindern, Beziehung

der Eltern, intern-/extern-bikulturell, soziale Situation, Haltung zur

koreanischen Kultur, Netzwerk/Freunde der Eltern, Staatsangehörigkeit)

 

Geschwister- konstellation und

Geschlecht

Freunde Sprachbildung Erlebte Fremdwahrnehmung

Name

Äußeres Erscheinungsbild

Koreanische Schule

Beziehung zu koreanischen Verwandten

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4 Strategien zur Gestaltung der Bikulturalität Es liegt bislang keine empirische Arbeit vor, welche unterschiedliche Strategien im Umgang mit der bikulturellen Sozialisation von (süd)ostasiatischen Migrantenkindern in Deutschland so ausführlich und differenziert ausgearbeitet hat wie Wenzler-Cremer (2005) in ihrer qualitativen Studie zur bikulturellen Sozialisation von 21 deutsch-indonesischen Frauen im Alter von 16 bis 26 Jahren. Daher dienen ihre Untersuchungsergebnisse als Bezugsrahmen für die hier vorliegende Untersuchung. Ergänzend hierzu sollen die nach Mecheril (1994: 62f.) sechs möglichen Strategien „Anderer Deutscher“ im Umgang mit Rassismuserfahrungen herangezogen werden. In diesen finden sich unabhängig vom Aspekt der Rassismuserfahrung inhaltliche Parallelen zu den Strategien in Wenzler-Cremers Studie. Wenzler-Cremers Informantinnen unterteilen sich in zwei Gruppen: die „indonesische Gruppe“, bestehend aus zwölf jungen Frauen, die eine deutsche Mutter und einen indonesischen Vater haben und einen Großteil ihrer Kindheit und Jugend in Indonesien gelebt haben, und die „deutsche Gruppe“, zusammengesetzt aus neun Informantinnen, die eine indonesische Mutter und einen deutschen Vater haben und überwiegend in Deutschland aufgewachsen sind (Wenzler-Cremer 2005: 89, 92). Die von Wenzler-Cremer erarbeiteten Strategien basieren somit auf einer Untersuchung von lediglich Intern-Bikulturellen. Zudem sind der Ort der Geburt und des Aufwachsens ihrer Interviewten nicht identisch, wie das bei den Interviewten der hier vorliegenden Arbeit der Fall ist. Der theoretische Ansatz zum unterschiedlichen Umgang mit Bikulturalität scheint jedoch plausibel, so dass sich dieser auf die vorliegende Untersuchung Intern- und Extern-Bikultureller mit koreanischem Migrationshintergrund übertragen lässt. Überprüft werden soll, ob oder inwiefern sich dabei Besonderheiten ergeben. Sofern sich Wenzler-Cremer in den folgenden indirekten Zitaten auf die „mütterliche“ Herkunftskultur beziehungsweise einen migrierten Elternteil ihrer Informanten bezieht, ist dies im Kontext dieser Arbeit gleichermaßen auf die mütterliche und väterliche koreanische Herkunftskultur (beider Elternteile) der Extern-Bikulturellen zu übertragen. Wenzler-Cremer hat mittels ihrer Untersuchungsergebnisse vier Strategien zur Gestaltung der bikulturellen Situation identifiziert, die ihre Informantinnen in unterschiedlichen Kontexten zur Gestaltung ihrer bikulturellen Situation nutzen (ebd.: 135f.)35:

                                                                                                               35 Wenzler-Cremer ist in ihrer Begrifflichkeit nicht durchgehend konsequent, aber die Variationen sind so gering, dass der Inhalt davon unberührt bleibt. Im Folgenden werden die oben genannten Bezeichnungen ihrer Strategien einheitlich verwendet.

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1. Betonung der Normalität 2. Betonung der Besonderheit 3. Sich Anpassen und Umschalten 4. Sich Abgrenzen und Gegenhandeln

Im Folgenden soll vorgestellt werden, welche Funktionen die jeweiligen Strategien haben. Hierbei ist anzumerken, dass zwar Ansätze aller Strategien bei den Interviewten vorkommen und situationsabhängig genutzt werden, sich jedoch bestimmte Schwerpunkte im Grad und der Häufigkeit der Nutzung bestimmter Strategien in Abhängigkeit vom jeweiligen Typus bilden (ebd.: 325). 4.1 Betonung der Normalität Bei der „Betonung der Normalität“ geht es um das Bedürfnis, nicht als abweichend von der sozialen Norm zu gelten, sondern „unauffällig“ beziehungsweise an die Umgebungskultur angepasst zu sein und sich den jeweiligen gesellschaftlichen Normen und Werten entsprechend zu verhalten. Was als „normal“ deklariert wird, ist durch die jeweilige Umgebungskultur geprägt (Wenzler-Cremer 2005: 136). Da der Aspekt der Bikulturalität demgegenüber jedoch bereits als Besonderheit in der deutschen Mehrheitsgesellschaft gesehen werden kann, ist es hierfür notwendig, eventuelle Unterschiede zu der Umgebungskultur zu nivellieren und Gemeinsamkeiten zu betonen (ebd.: 137-146). Nach Wenzler-Cremer erfolgt die Herstellung von Normalität zum einen implizit über die Verwendung alltäglicher Erzählstrukturen und Vermeidung kulturalistischer Erklärungen für erlebte oder zugeschriebene Unterschiede zwischen den Interviewten und Angehörigen ihrer Umgebungskultur (ebd.: 137). Das ist insbesondere bei denjenigen der Fall, die wenig Kenntnisse über die Herkunftskultur ihres migrierten Elternteils besitzen (ebd.: 138). Zum anderen kann die Auseinandersetzung mit der Normalität über verschiedene Argumentationsmuster der Interviewten erfolgen: Sie bemerken, dass sie die Bikulturalität nicht bewusst wahrnehmen, betonen explizit ihre Gemeinsamkeiten mit der Umgebungskultur, nehmen Unterschiede als wahr und gegeben hin oder beschreiben einen Gewöhnungsprozess, an dessen Ende die Normalität steht (ebd.: 141). Hinweise auf eine Normalitätskonstruktion könnten Bemerkungen aus dem vorliegenden Interview mit Claire geben: „Ich weiß nicht, ob ich für deine Auswertung nützlich bin, weil ich bin eigentlich ganz normal und spreche auch kein Koreanisch“ (Aussage vor Beginn der Interviewaufnahme). Auch verunsicherte Fragen von einigen Interviewten nach Beendigung des Interviews, ob sie mir überhaupt weiterhelfen konnten, können unter Umständen so interpretiert werden, dass die Befragten ihre Situation als völlig normal und nicht interessant genug für ein Interview halten.

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Wenn die Interviewpartner, die ihre bikulturelle Situation als normal und unproblematisch einordnen, mit einer anderen Fremdwahrnehmung konfrontiert werden, muss diese in das eigene Selbstbild integriert werden. Folglich wird sie geduldet und irgendwann nicht mehr wahrgenommen. Diesen Vorgang bezeichnet Wenzler-Cremer als Gewöhnungs- und Anpassungsprozess zur Wiederherstellung von Normalität (ebd.: 144). Mecheril (1994: 62) führt eine ähnliche Strategie auf, nach der sich die Betroffenen „überdeutsch“ beziehungsweise in Bezug auf Sprache, Kleidung und Karriere „deutscher als die Deutschen“ verhalten, in der Hoffnung, so das Stigma des „Ausländisch-Aussehens“ loszuwerden. 4.2 Betonung der Besonderheit Um die Normalität nicht zu beschädigen und erlebte Schwierigkeiten, die durch die bikulturelle Situation entstehen, zu verarbeiten, bietet sich auf der anderen Seite an, die Fremdwahrnehmung des „Andersseins“ als ein besonderes Merkmal darzustellen, um sich positiv von dem Umfeld hervorzuheben (Wenzler-Cremer 2005: 146, 148f.). Häufig ist das bei denjenigen zu erkennen, die sich mit ihrer Umgebungskultur identifizieren (ebd.: 142). Die Strategie der „Betonung der Besonderheit“ ist somit eine andere Möglichkeit, um Anerkennung zu bekommen. Sie betont entgegen der Strategie zur „Betonung der Normalität“ das Bestreben nach Aufmerksamkeit und Einzigartigkeit zur Selbstwertsteigerung. Dem von außen zugeschriebenen Status des Anders- und Fremdseins wird dadurch eine positive Bedeutung gegeben. Die Bikulturalität wird hierbei von den Interviewten als eine nützliche Ressource eingesetzt, um sich von ihrem Umfeld abzuheben (ebd.: 149f.). Dabei beziehen sich die Interviewten beispielsweise auf ihr äußeres Erscheinungsbild, ihren für die Umgebungskultur ungewöhnlichen Namen, ihre Sprachkenntnisse oder andere Kenntnisse und Fertigkeiten ihrer mütterlichen Herkunftskultur. Die familiären Essgewohnheiten der Interviewten, welche in allen Familien durch die mütterliche Herkunftskultur geprägt sind, dienen ebenfalls der Steigerung der eigenen Attraktivität (ebd.: 157). Kenntnisse über die Herkunftskultur der Mutter sowie das Bereisen des Herkunftslandes und der regelmäßige Kontakt zur Verwandtschaft ermöglichen es den Interviewten sich in ihrem Bekanntenkreis als außergewöhnlich darzustellen (ebd.:159). Einige entwickeln ihre bikulturellen Kompetenzen weiter, indem sie ein entsprechendes Studienfach oder einen Beruf auswählen, in dem dies gefördert wird (ebd.: 160). Bei der Strategie der „Betonung der Besonderheit“ ist das Gefühl des Stolzes durch die bikulturelle Situation und die damit einhergehenden Ressourcen oftmals sehr präsent. Aus Stolz kann jedoch auch ein Wandel zu Isolierung beziehungsweise Ausgrenzung

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resultieren, wenn das eigene Anderssein vom Umfeld als negativ bewertet wird. Dieses Erleben ist meist abhängig von der Entwicklungsphase und verändert sich mit zunehmendem Lebensalter (ebd.: 162f.). Dieser Strategie entspricht das so genannte „herkömmliche“ Verhalten nach Mecheril, in dem die Betroffenen die Besonderheiten der Herkunftskultur (ihrer Eltern) betonen und beanspruchen (Mecheril 1994: 62). Zusammenfassend lässt sich für die beiden Strategien „Betonung der Normalität“ und „Betonung der Besonderheit“ sagen, dass diese gleichermaßen der Steigerung des Selbstwertgefühls und der Sicherung des Bedürfnisses nach Anerkennung und Zugehörigkeit dienen. Die scheinbar gegensätzlichen Strategien des „Auffallen-Wollens“, um bemerkt und anerkannt zu werden, und „Nicht-auffallen-Wollens“, um sich zugehörig fühlen zu können und nicht ausgegrenzt zu werden, schließen sich nicht grundsätzlich aus (Wenzler-Cremer 2005: 167). Es geht vielmehr darum, eine Balance zu finden zwischen Zugehörigkeit und Anerkennung, dem Geborgensein in der Gruppe und dem Herausragen aus der Gruppe durch besondere Merkmale, Fähigkeiten und Möglichkeiten. Solche Konstruktionen sind dabei nicht nur das Produkt eines Individuums, sondern ebenso das Ergebnis des Zusammenspiels von Innen- und Außenperspektive, von Selbst- und Fremdwahrnehmung, das vorgibt, welche der beiden Strategien in Abhängigkeit der Situation eingesetzt wird (ebd.: 165, 167). 4.3 Sich Anpassen und Umschalten Bei dieser Strategie geht es um die Bemühung, sich flexibel an die Regeln und Normen seiner jeweiligen Umgebung anzupassen und Unterschiede zu diesen zu nivellieren (Wenzler-Cremer 2005: 190). Für die Anwendung der Strategie „Sich Anpassen und Umschalten“ ist vorausgesetzt, dass Unterschiede von eigenem Verhalten und der Umgebungskultur wahrgenommen werden, wodurch erst eine Reduzierung der Unterschiede reguliert werden kann. Die Anpassungsleistung steigt dabei mit dem Grad an wahrgenommenen Unterschieden (ebd.: 173). Wesentlich ist, dass die mütterliche Herkunftskultur von den Kindern wertgeschätzt wird (ebd.: 175). Dafür sind das Erziehungsverhalten sowie die Erzählungen der Mutter über ihre Herkunftskultur von hoher Bedeutung (ebd.: 174, 176). Wenn die migrierten Eltern(teile) viel Wert darauf legen, ihre Herkunftskultur in das Familienleben einzubeziehen, sind die Kinder von klein auf mit beiden Sprachen und Verhaltenscodes vertraut. Das hat Konsequenzen für ihre Strategien, mit der Bikulturalität umzugehen, denn sie können sich entsprechend den jeweils geltenden Normen und Umgangsregeln anpassen und in ihrem Alltag quasi zwischen zwei „Welten“ wechseln. Sie

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greifen hierbei auf automatisierte, verinnerlichte Verhaltens- und Kommunikationsmuster zurück, sobald sie eine Situation einer der beiden Herkunftskulturen zuordnen (ebd.: 174f.). Neue Anpassungssituationen ergeben sich für die Interviewten meist dann, wenn sie zu Besuch in Korea sind, 1se begegnen oder auch wenn sich die familiäre Umgebung der Interviewten maßgeblich von der Umgebungskultur unterscheidet, so als lebten sie in zwei verschiedenen Welten. Mit dem angepassten Verhalten kann die Gefahr einhergehen, dass Individualität und Eigenständigkeit verloren gehen und oftmals oberflächliche Beziehungen geführt werden. Nicht zuletzt kann der Versuch und Wunsch, sich entsprechend kulturell unterschiedlicher Werte und Normen zu verhalten, zu einem doppelten Anpassungsdruck führen (ebd.: 179f.). Diese Befürchtungen der Betroffenen führen phasenhaft zu einem Gefühl innerer Zerrissenheit (ebd.: 187). 4.4 Sich Abgrenzen und Gegenhandeln Mit der Strategie „Sich Abgrenzen und Gegenhandeln“ werden vor allem die Unterschiede zwischen der Umgebungs- und Herkunftskultur des migrierten Elternteils kontrastiert. Mit bestimmten kulturgebundenen Werten und Normen erfolgt eine kritische Auseinandersetzung, um sich zu positionieren beziehungsweise sich von der jeweils anderen Kultur zu distanzieren und abzugrenzen. Dabei kann Bezug auf das äußere Erscheinungsbild, die Sprache, Koch- und Essgewohnheiten, Verhaltenscodes oder auch kulturell unterschiedlich geprägte Formen der Selbst- und Fremdwahrnehmung genommen werden (Wenzler-Cremer 2005: 190, 202f.). Die Selbstkategorisierung in Abgrenzung zu anderen kann ähnlich wie bei der Strategie „Betonung der Besonderheit“ dazu führen, vom eigenen Umfeld ausgegrenzt oder zumindest nicht vollständig akzeptiert zu werden, da sich Abgrenzung und Ausgrenzung gegenseitig begünstigen (ebd.: 193). Hierzu macht Wenzler-Cremer keine klare Unterscheidung des Abgrenzens von der deutschen Umgebungskultur oder der Herkunftskultur der Mütter. Deshalb wurde im Folgenden mit Bezug auf andere Theorien und die Ergebnisse der vorliegenden empirischen Untersuchung eine eigene Unterteilung der Strategie „Sich Abgrenzen und Gegenhandeln“ erstellt. 4.4.1 Abgrenzen von der mütterlichen Herkunftskultur Die Abgrenzung von der mütterlichen Herkunftskultur dient der Ablösung von der Mutter und der Realisierung des Wunsches, sich nicht von dem eigenen Umfeld zu unterscheiden, um sich dazugehörig zu fühlen (Wenzler-Cremer 2005: 196). Damit geht oftmals zugleich eine Solidarisierung mit dem deutschen Vater sowie eine emotionale Nähe zu ihm einher. Die Distanzierung zur Mutter durch kulturelle Zuschreibungen ermöglicht eine kritische

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Auseinandersetzung mit den Merkmalen der mütterlichen Herkunftskultur und bietet die Möglichkeit zu entscheiden, inwiefern Aspekte eben dieser für sich angenommen werden sollen (ebd.: 200-202). Ebenso ist dieses Konzept auf die Extern-Bikulturellen übertragbar, wenn einer der Elternteile „koreanischere“ Verhaltensweisen aufweist als der andere und folglich eine Solidarisierung mit dem weniger „koreanischen“ Elternteil stattfindet. Auch im außerfamiliären Umfeld erfolgt eine Distanzierung von Angehörigen der koreanischen Kultur. 4.4.2 Abgrenzen von der deutschen Umgebungskultur Eine Distanzierung zu den vorherrschenden Normen der Mehrheitsgesellschaft dient dazu, sich zurückzuziehen und eine eigene Gruppe mit eigenen Normen und Werten aufzubauen. Tajfel (1982: 165f.) nach gehe damit ein „interner Schutz“ einher, so dass das Selbstwertgefühl ihrer Mitglieder vor der Missbilligung von außen räumlich und kulturell geschützt wird. Im Grunde genommen verstärkt dies allerdings bestehende Trennungslinien und bestätigt ihren „status quo“ (ebd.: 164f.). Doch auf diese Weise können sich die Mitglieder zumindest zeitweise dem Vergleich mit der Mehrheitsgruppe entziehen (ebd.: 165). Hier müssen sie ihre „Herkunft nicht ständig erklären“ (Kantara 2000: 21). Bei dieser Strategie ist oftmals auch ein typisch sprachliches Phänomen bei bi- oder multilingualen Sprechern vertreten: das „Code-Switching“ beziehungsweise der „Wechsel zwischen verschiedenen Sprachen oder Varietäten eines Sprachsystems“ (Bußmann 21990: 151). Das gegenseitige Sprachverständnis der Gesprächspartner ist Voraussetzung dafür. Diese hybride Sprachform ermöglicht es den Migranten der zweiten Generation sich auf meist spielerische oder bewusst provokative Weise sowohl gegenüber der Mehrheitsgesellschaft als auch gegenüber der Gruppe der Migranten der ersten Generation abzugrenzen und auf kreative Weise ihre eigene Gruppenidentität zu konstruieren (Tauschitz 2010: 34). Mecheril (1994: 62) führt eine ähnliche Strategie des „Rückzugs“ an, womit die größtmögliche Vermeidung der deutschen beziehungsweise mehrheitsgesellschaftlichen Öffentlichkeit gemeint ist. Eine weitere, etwas radikalere Strategie nach Mecheril (ebd.) ist es, sich aufgrund häufiger Rassismuserfahrungen „antideutsch“ zu verhalten und sich gegen alles Deutsche und alle Deutschen aufzulehnen. Eine Tendenz dazu ist in den vorliegenden Interviews zu finden, aber nicht in besonders stark ausgeprägter Form.

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Zusammenfassend lässt sich für die letzten beiden Strategien „Sich Anpassen und Umschalten“ und „Sich Abgrenzen und Gegenhandeln“ festhalten, dass die bikulturelle Situation die Betroffenen mit unterschiedlichen Normen- und Wertesystemen konfrontiert, wodurch sowohl Flexibilität und Anpassung als auch die Fähigkeit zur Abgrenzung erforderlich werden. Die beiden Strategien bedingen sich gegenseitig ähnlich wie die Strategien der „Betonung der Normalität“ und der „Betonung der Besonderheit“. Die Strategie „Sich Abgrenzen und Gegenhandeln“ ähnelt der Strategie „Betonung der Besonderheit“ insofern, als bei beiden Strategien eine Kultur idealisiert wird. Der Unterschied zu der Strategie „Betonung der Besonderheit“ besteht jedoch vor allem darin, dass die andere Kultur durch die Zuschreibung negativer Stereotype abgewertet wird, um negative Erfahrungen und Emotionen, die im Zusammenhang damit stehen, zu verarbeiten und sich nicht mit der betreffenden Kultur identifizieren zu müssen. Tafadal (2000: 219) spricht hierbei in ihrer Untersuchung binationaler Jugendlicher von „Spaltungstendenzen“. 4.5 Integration der beiden Anteile Wenzler-Cremer differenziert vier verschiedene Formen der „Integration der beiden Anteile“, die genauer unterscheiden, in welchem Ausmaß die Interviewten die beiden Kulturen in ihrem Lebensalltag integrieren (Wenzler-Cremer 2005: 233). Zur Veranschaulichung verwendet sie Metaphern des Kochens und Essens, um die Art des Mischens und des Integrierens verschiedener Anteile zu verdeutlichen. Die folgenden Abschnitte sind angeordnet nach dem Grad der Integration der mütterlichen Herkunftskultur:

1. Modell Vorspeise: Die andere Kultur zur Ergänzung nutzen. 2. Modell Buffet: Auswählen und sich das Beste herausgreifen. 3. Modell Gado-Gado [gemischter indonesischer Salat]: Beide Anteile neu

komponieren bei Erhaltung der einzelnen Elemente. 4. Modell Curry: Beide Anteile so mischen, dass die einzelnen Bestandteile kaum

oder nicht mehr erkennbar sind. Die Art des Integrierens beziehungsweise die subjektive Bedeutung jeweils einer der beiden kulturellen Anteile ist hierbei als prozesshaft und oftmals situationsabhängig zu betrachten. Insofern können in den Interviewaussagen nicht unbedingt klare Grenzen zwischen den Varianten, sondern allenfalls Tendenzen zu einer Variante deutlich werden (ebd.: 217f.).

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4.5.1 Ergänzen: Das Modell „Vorspeise“ Bei dieser Form der „Integration der beiden Anteile“ werden bei gleichzeitiger Identifizierung mit der Umgebungskultur einzelne Elemente der mütterlichen Herkunftskultur (Sprache, Essen, Kontakte zu Vertretern der Kultur) optional in das eigene Leben integriert (Wenzler-Cremer 2005: 218, 220). In Form einer Ergänzung, eines Zusatzes soll diese Kultur in ihrem Leben eine Rolle spielen. Sie stellt das Besondere dar, das den Alltag reizvoller macht, jedoch nicht überlebensnotwendig ist. Doch gerade weil die Betroffenen spüren, dass sie auch ohne die andere Kultur zurechtkommen, fürchten sie deren Verlust (ebd.: 221). Tajfel (1982: 174) spricht in einer vergleichbaren Strategie von „Akkommodation“, die bezweckt, Gleichberechtigung mit der Mehrheitsgesellschaft zu erreichen, aber gleichzeitig die eigene Individualität beizubehalten. Das geschehe, indem Traditionen neu bewertet werden (ebd.: 176-178). 4.5.2 Das Beste herausgreifen: Das Modell „Buffet“ Hierbei werden die beiden Kulturen als „Markt der Möglichkeiten“ wahrgenommen, wo jeweils das herausgenommen werden kann, was in der aktuellen Situation von Vorteil ist (Wenzler-Cremer 2005: 221). Verhaltensweisen und Konzepte werden quasi wie ein Menü der eigenen Wahl zusammengestellt. Es wird als ein Ideal formuliert, das Angebot zweier Kulturen zur Auswahl zu haben. Die positiven Seiten jeder Kultur werden genutzt, während eventuelle negative Aspekte ignoriert werden (ebd.: 223f.). Auf diese Weise müssen sich die Betroffenen nicht für eine Kultur entscheiden (ebd.: 234). Das Auswählen aus verschiedenen Angeboten ist eine Strategievariante, die oft von denjenigen benutzt wird, die schon längere Zeit in beiden Kulturen gelebt haben und beide kulturellen Codes gut kennen (ebd.: 224). 4.5.3 Zusammenfügen: Das Modell „Gado-Gado“ Bei dieser Strategievariante werden die beiden kulturell unterschiedlichen Anteile neu kombiniert, wobei die einzelnen Elemente klar erhalten beziehungsweise erkennbar bleiben. Verhaltensweisen, die der mütterlichen Herkunftskultur zugeordnet werden, übernehmen die Betroffenen in Kombination mit Verhaltensweisen aus der Umgebungskultur (Wenzler-Cremer 2005: 234). Wenzler-Cremer nennt hierfür ein Beispiel, das den Aussagen der Interviewten dieser vorliegenden Untersuchung gleicht: Kritik üben (deutsch), aber diplomatisch (koreanisch) (ebd.: 227). Beide Teile werden als feste Bestandteile der Persönlichkeit gesehen, die in verschiedenen Situationen flexibel eingesetzt werden und damit wie in einem Puzzle zu einem neuen „Ganzen“ zusammengefügt werden (ebd.: 225f., 234). Die Verwendung dieser Strategie ist nicht

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einer bestimmten Untergruppe der Interviewten zuzuordnen, sondern wird in bestimmten Situationen verwendet (ebd.: 234). 4.5.4 Mischen der beiden Anteile: Das Modell „Curry“ Bei dem Modell „Curry“ werden die beiden kulturellen Anteile gemischt, so dass im Gegensatz zur Methode des Zusammenfügens die einzelnen Bestandteile kaum oder nicht mehr erkennbar und trennbar voneinander sind. Die unterschiedlichen Einzelelemente werden dabei so vermengt, dass sie sich möglichst gleichmäßig auf die gesamte Mischung verteilen und die einzelnen Komponenten homogenisieren. Die Metapher des Curry verbildlicht dies als eine Gewürzmischung, bei der die einzelnen Zutaten nur noch schwer auszumachen sind und die sich zu einem neuen, eigenen Gewürz formiert haben (Wenzler-Cremer 2005: 228). Die Strategie des Mischens wird meistens jedoch weniger bewusst als Strategie selbst eingesetzt, sondern rückblickend vielmehr als ein Ergebnis beziehungsweise Zustand beschrieben, der sich bereits in der Familie vorfand (ebd.: 232f., 234). Die fünfte Strategie „Integration der beiden Anteile“ wird aufgrund der vielen inhaltlichen Überschneidungen mit den oben genannten ersten vier Strategien im Folgenden nicht als eine separate, fünfte Strategie verstanden, sondern lediglich als eine genauere Spezifizierung darüber, in welchem konkreten Ausmaß die Herkunftskultur der Eltern im Alltag der untersuchten Gruppe präsent beziehungsweise integriert ist. Das Ausmaß ist in den jeweils ersten drei oben aufgeführten Strategien unterschiedlich zu bewerten. Wenzler-Cremer selbst macht keine klare Aussage dazu, wie die fünfte Strategie in dieser Hinsicht einzuordnen ist, mehr noch: Sie macht diesbezüglich unterschiedliche Angaben, indem sie in einer ihrer veranschaulichenden Abbildungen zu den Strategien (ebd.: 215) lediglich die ersten vier Strategien abbildet und in einer weiteren Abbildung (ebd.: 335) wiederum fünf. Die fünfte „Strategie“ ordnet Wenzler-Cremer dort zudem als eine zentrale Strategie einer Typisierung zu, obwohl diese Strategie wiederum in sehr unterschiedliche Formen unterteilt ist, so dass diese erneut unterschiedlichen Typen zugeordnet werden könnten. Auf persönliche Nachfrage hin konnte Frau Wenzler-Cremer das leider nicht mehr rekonstruierend aufklären, da die Abfassung Ihrer Dissertation bereits länger zurückliegt. 4.6 „Universalisierung“ Die folgende Strategie findet bei Wenzler-Cremer keine Erwähnung, wurde aber aus dem Interviewmaterial zusätzlich herausgearbeitet. Die Strategie „Universalisierung“ erzielt eine Auflösung beziehungsweise Umpolung der kulturellen in eine vorrangig religiöse und/oder auch „internationale“ Identität, wodurch Ambivalenzen im kulturellen Zugehörigkeitsgefühl verdrängt werden können.

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Hall (1999: 424) sieht die Erosion des Konstruktes der nationalen Identität als Konsequenz des seit den 1970er-Jahren beschleunigten Globalisierungsprozesses. Andererseits würden als Gegentendenz „nationale und andere ,lokale‘ oder partikularistische Identitäten (...) als Widerstand gegen die Globalisierung gestärkt“ und schließlich „neue Identitäten der Hybridität“ den Platz des zerfallenden Konstruktes der nationalen Identität einnehmen. Bei den vorliegenden Interviews gehen oftmals diese gegenläufigen Tendenzen einer angestrebten Auflösung einer nationalen Identität zugleich mit der Betonung eines nationalen, lokalen oder partikularistischen Identitätsgefühls einher. So wird beispielsweise das Zugehörigkeitsgefühl zu dem Geburtsort für selbstverständlich gehalten. Die Selbstbezeichnung als Hamburger wird als faktisch und authentisch angesehen, während die Selbstbezeichnung als „Deutsche“ eher als Konstruktion oder künstlich empfunden wird, da diese anderen oftmals erklärt werden muss (siehe auch Fouratan 2010: 12). Auch ein Leben wie in der Diaspora beschreibt das Dilemma, einerseits kulturelle Grenzen durch Religion auflösen zu wollen, aber andererseits Mitglied in einer ethnischen Kirchengemeinde zu sein. 4.6.1 Auflösung kultureller Grenzen durch Religion Kelly Chongs Studie über die Religiosität koreanisch-amerikanischer Migranten der zweiten Generation ergab, dass mit dem Anstieg der Religiosität auch eine stärkere Traditionsgebundenheit an die koreanischen Wertevorstellungen der Eltern einhergehe (Chong, Kelly 1998: 269). Diejenigen, die nicht zur Kirche gingen, würden eher dazu tendieren, ihre Individualität hervorzuheben und nicht „blind“ Autoritäten beziehungsweise ihren Eltern zu gehorchen (ebd.: 270). Religion sei eine stärkende Kraft für die kulturelle Identität und das Gruppenzusammengehörigkeitsgefühl in der koreanischen Diaspora (ebd.: 283). Diese Ergebnisse treffen auch auf die Interviewten der vorliegenden Arbeit zu, die die koreanische Kirche regelmäßig besuchen oder besucht haben. Fuhse (2006: 54, 56) schreibt hierbei der Religiosität eine schützende Funktion gegen Fremdzuschreibungen zu. Religion helfe, „die Erfahrungen von kultureller Differenz und Diskriminierung umzudeuten“ und die eigene Identität positiv zu bewerten: „Je stärker eine Migrantengruppe diskriminiert wird, desto eher greift sie auf Religion für die Aufwertung der eigenen Identität zurück“ (ebd.: 60). Ein Interviewter dieser vorliegenden Arbeit, Kwang, erwähnt in diesem Zusammenhang, dass vor Gott beziehungsweise einer höheren überirdischen Ebene die Menschen nicht nach ihrer kultureller Identität unterschieden werden und jeder Gläubige somit gleichbedeutend ein „Kind Gottes“ (#02:18:11#) sei.

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Auch die buddhistische Lehre der Leere löst die Identitätsfrage auf, so dass für die Interviewte der vorliegenden Arbeit, Hana, eine Auseinandersetzung mit dem kulturellen Zugehörigkeitsgefühl keine Rolle mehr spielt:

„Ich versuche mich davon zu lösen, was mit Identität zu tun hat, sich so kategorisieren. Das interessiert mich gar nicht, wer ich bin, wie mich andere sehen, womit ich mich identifiziere, was mich ausmacht. Davon will ich mich lösen. Deswegen denke ich da nicht so drüber nach. Ich will mich nicht an irgendwas krallen.“ #02:19:50-2#

4.6.2 Suche nach einer kosmopolitischen Kultur Da ein vollständiges Zugehörigkeitsgefühl zu Korea oder Deutschland durch die oftmals fehlende bikulturelle Erziehung und/oder erlebte Fremdwahrnehmungen erschwert wird, kann sich eine Kompensierung dadurch anbieten, sich mit einer anderen „außenstehenden“ Kultur zu befassen. Hierbei war häufig ein Bezug zu den Vereinigten Staaten zu erkennen. Ein Grund dafür könnte unter anderem sein, dass die englische Sprache im Gegensatz zum Koreanischen einen einfacheren Zugang ermöglicht. Die Vereinigten Staaten stellten für einige auch einen optionalen Lebensmittelpunkt dar, wofür unterbewusst das Bild des „Schmelztiegels“ unterschiedlicher Kulturen ein möglicher Aspekt sein könnte. Vergleichbar mit dieser Strategie ist die „weltbürgerliche“ Strategie nach Mecheril, nach der sich die Menschen als Mitglied einer transnationalen Weltkultur verstehen und somit die Idee regional begrenzter Kulturen übersteigen (Mecheril 1994: 62f.). Aber auch die Strategie „Ungebunden“-Sein nach Mecheril kann ebenfalls als Parallele zu der Strategie „Universalisierung“ herangezogen werden. Demnach handeln die Personen kulturell unabhängig beziehungsweise „vogelfrei“ und „anomisch“ (ebd.: 63).

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5 Methodisches Vorgehen Für die Datenerhebung und die Datenauswertung dieser Untersuchung ist ein Verfahren der qualitativ-interpretativen Sozialforschung gewählt worden. Diese Wahl ergibt sich aus dem Forschungsgegenstand, der kulturellen Identität junger Erwachsener mit koreanischer Herkunft in Hamburg. Es wurden dafür Interviews geführt, um die Erlebnisse und subjektive Wahrnehmung der Befragten zu ermitteln. Leitfadengestütztes Interview Die Fragen aus dem Fragenkatalog lesen sich zunächst überwiegend als geschlossene Fragen, allerdings wurden diese lediglich genutzt, um den Interviewten einen leichteren Einstieg in komplexere Themenbereiche zu ermöglichen und Denkanstöße zu bringen. An die konkreten Fragen waren viele flexibel eingesetzte Nachfragen im Sinne eines aktiven Zuhörens gebunden, so dass die Interviewten zu weiteren Erläuterungen ihrer Aussagen motiviert wurden und ihre Antwortmöglichkeiten frei gestalten konnten. Auf diese Weise konnte gewährleistet werden, dass sich die Interviewten nicht durch zu offene Fragen in dessen Beantwortung überfordert fühlten. Stück für Stück konnten sie sich ausführlicheren Ausführungen ihrer Aussagen nähern und wurden zum freieren Erzählen angeregt. Durch das stete Nachfragen nach den Gründen für die Positionierung in ihren Aussagen konnten einige Missverständnisse und Unklarheiten vermieden und manche Inhalte ergänzt und verifiziert werden. Um einen möglichst natürlichen Gesprächsverlauf herstellen zu können, wurden die Abfolge der Fragen sowie auch die Frageformulierungen im Laufe des Gesprächs variiert und angepasst (Hermanns 52000: 351). Auf Gegenfragen wurde nur knapp eingegangen oder darauf hingewiesen, diese am Ende des Interviews zu beantworten, um einen möglichst geringen Einfluss auf den Interviewten auszuüben. Insofern kann hier von einem etwas stärker strukturierten Leitfaden-Interview gesprochen werden. In den leitfadengestützten Interviews wurde versucht zu ermitteln, in welchen Lebensbereichen eine bikulturelle Auseinandersetzung besonders präsent für die Interviewten ist. Insofern deckten die Fragen ein möglichst breites Feld von Lebensbereichen ab, um eine offene Herangehensweise (Kluge/Kelle 1999: 16) gewährleisten zu können und nicht von vornherein auf einen speziellen Lebensbereich fokussiert beziehungsweise beschränkt zu sein. So ist den Informanten die Möglichkeit gegeben worden, Aspekte und Themen in die Interviews einzubringen, die für sie persönlich im Zusammenhang mit ihrer kulturellen Identität besonders bedeutsam sind (Helfferich 2004: 100).

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5.1 Auswahl der Interviewpartner Entsprechend der selektiven Stichprobe (Kluge/Kelle 1999: 47f.) wurden ein ungefährer Umfang und Auswahlkriterien der Stichprobe vor der Datenerhebung festgelegt und während des Forschungsprozesses enger gefasst. Mindestens ein Elternteil der Interviewten sollte koreanischer Herkunft sein. Das waren in der Regel koreanische Mütter, die einen deutschen Mann geheiratet haben. Kinder mit einem koreanischen Vater und einer deutschen Mutter wurden aufgrund ihres geringen Vorkommens somit nicht befragt.36 Insgesamt wurden 28 Interviews mit 2se im Alter von 25 bis 41 Jahren aus deutschen Städten geführt. Das ausgewertete Korpus beinhaltete letzten Endes allerdings nur 18 Interviews mit 2se im Alter von 25 bis 35 Jahren aus Hamburg. Gründe für diese Beschränkung waren, dass sich im Laufe des Forschungsprozesses herausstellte, dass es regional einen sehr unterschiedlichen Einfluss der Umgebung auf die Entwicklung der Identitätsbildung gibt. Das hängt vor allem von der jeweiligen Größe der Stadt beziehungsweise dem dort jeweiligen Bevölkerungsanteil der dortigen koreanischen Migranten ab.37 Aufgrund dessen müssten die Interviewpartner je nach der Stadt, in der sie geboren und aufgewachsen sind unterschiedlich betrachtet werden. Obwohl sie theoretisch in die vorliegende Typologie eingeordnet werden könnten, würde dann die Verteilung der einzelnen Typen eindeutig anders verlaufen. Dadurch hätte kein möglichst homogenes beziehungsweise repräsentatives Korpus gewährleistet werden können. Da der Großteil der bereits Interviewten ihren Geburts- und Wohnort in Hamburg hatte, lag es nahe, das ausgewertete Korpus der untersuchten 2se auf solche einzugrenzen, die in Hamburg geboren und sozialisiert worden sind.

Letzten Endes konnten durch die Eingrenzung des Geburts- und Wohnortes auf Hamburg sechs Interviews für den auszuwertenden Korpus nicht berücksichtigt werden. Bei einem weiteren Interviewpartner offenbarte sich leider erst während des Interviews, dass dieser in Deutschland adoptiert wurde. Bei drei anderen Interviewpartnern wurde nach mehreren Vergleichsprozessen mit den übrigen Interviewten deutlich, dass deren Altersunterschied zu der durchschnittlichen Altersgruppe große Differenzen mit sich brachte, so dass keine ausreichende Vergleichbarkeit zwischen den Interviewten gewährleistet werden konnte. Diejenigen Interviewten, die tendenziell älter als Mitte 30 waren, sind offensichtlich unter

                                                                                                               36 Für den Zeitraum von 1970 bis 1981 hat das Statistische Bundesamt 1.454 Eheschließungen zwischen deutschen Männern und koreanischen Frauen in Deutschland registriert und nur 168 zwischen koreanischen Männern und deutschen Frauen (nach unveröffentlichten Daten des Statistischen Bundesamtes, zit. nach Simon 1985a: 40f.). 37 Hamburg steht an sechster Stelle der meisten in Deutschland Lebenden mit koreanischem Migrationshintergrund. Nach Angaben des koreanischen Generalkonsulats leben dort 2.336 (Stand: 2013) Menschen mit koreanischem Migrationshintergrund (Oegyobu [Ministry of Foreign Affairs] 2013: 176-179). Das Statistische Bundesamt (2013: 96) verzeichnete im Jahre 2013, 1.539 in Deutschland lebende Koreaner (mit ausschließlich koreanischer Staatsangehörigkeit).

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anderen Lebensbedingungen aufgewachsen als die jüngeren. Das ist darauf zurückzuführen, dass deren Eltern noch stärker an koreanischen Traditionen festhielten, aber auch darauf, dass Deutschland erst mit der Zeit multikultureller wurde, so dass die betroffenen 2se von stärkeren Identitäts- und Familienkonflikten sowie Rassismuserfahrungen berichteten. Die größte Gruppe von Südkoreanern in Deutschland ist im Alter zwischen 25 und 35 Jahren, gefolgt von der Gruppe zwischen 35 und 45 Jahren.38 Diese Arbeit bezieht sich damit auf eine gesellschaftlich relevante Gruppe, indem sie exemplarisch 18 Personen der zweiten Generation mit koreanischem Migrationshintergrund in Hamburg im Alter von 25 bis 35 Jahren zu ihrer kulturellen Identität befragt. Der Kontakt zu den Informanten ist über verschiedene Stellen zustande gekommen, dabei gab es teilweise auch Überschneidungen:

• Das Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg. • Koreanische christliche und buddhistische Gemeinden in Hamburg. • Das Netzwerk koreanischer Migranten der zweiten Generation „2saeNetwork

e.V.“. • Internetplattformen wie „kyopo.com“ und „facebook.com“. • Bekannte. • Schneeballsystem.

Die Untersuchungsgruppe setzt sich aus sieben Frauen und elf Männern zusammen. Zehn Interviewpartner haben eine koreanische Mutter und einen deutschen Vater, welche im Folgenden als „intern-bikulturell“ bezeichnet werden. Die anderen acht Interviewpartner haben eine koreanische Mutter und einen koreanischen Vater, die nachfolgend als „extern-bikulturell“ betitelt werden.

                                                                                                               38 Statistisches Bundesamt (2013: 58f.).

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Tabelle 1: Liste der Interviewpartner

Name39 Geschlecht Alter Länge des Interviews

Datum des Interviews

Extern-Bikulturelle

1 Hana w 35 2:24:57 07.03.2013

2 Soo-min w 26 1:22:33 19.03.2013

3 Tim m 33 1:17:26 21.03.2013

4 Jae-soo m 29 2:19:15 28.03./30.3.2013

5 Kwang m 31 2:22:24 29.03.2013

6 Jin-ae w 31 1:49:58 13.04.2013

7 Do-hyun m 30 0:56:02 21.04.2013

8 Hyok m 28 1:21:46 27.04.2013 Intern-

Bikulturelle

1 André m 27 4:03:54 27.03./10.04.2013

2 Matthäus m 29 2:12:20 07.04.2013

3 Mia w 27 1:35:05 14.07./30.08.2013

4 Niko m 27 2:38:21 18.07.2013

5 Kassandra w 28 3:10:31 30.07.2013

6 Thomas m 31 1:45:16 05.08.2013

7 Dennis m 29 1:52:15 07.08.2013

8 Sarah w 29 2:34:41 07.08.2013

9 Jonas m 25 1:02:31 11.08.2013

10 Claire w 27 1:32:12 15.08.2013 Die dritte Generation koreanischer Migranten wird in der Arbeit nicht genauer betrachtet, da sie – abgesehen von ihrer bislang relativ kleinen Anzahl – von der zweiten Generation erzogen wird, die keine eigene Migrationserfahrung hat. Damit unterscheiden sich die Erziehungsbedingungen deutlich von denen der ersten Generation. Ebenfalls ausgenommen sind koreanische Adoptivkinder, da die Bedingungen, unter denen sie aufwachsen, nicht mit denen der zweiten Generation von koreanischen Migranten vergleichbar sind. In empirischen Studien über Adoptivkinder koreanischer Herkunft wird oftmals belegt, dass viele Adoptierte die unangenehme Auseinandersetzung mit ihrer Herkunft meiden und sich folglich von koreanischen sowie asiatischen Kindern distanzieren, mehr noch eine Assoziation mit ihnen ablehnen und ein starkes Bedürfnis nach Anpassung an die Umgebungskultur haben (Napier 2009, Hübinette 2004).

                                                                                                               39 Die Namen der Informanten sind geändert beziehungsweise anonymisiert. Die kulturelle Herkunft der Namen wurde jedoch weitestgehend beibehalten, um im empirischen Teil den Einflussfaktor des Namens bei der erlebten Fremdwahrnehmung besser nachvollziehen zu können.  

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5.2 Datenerhebung: Durchführung der Interviews Die Durchführung der Interviews fand entweder bei dem Interviewten oder der Interviewenden zu Hause, im Asien-Afrika-Institut, im Freien oder über Skype überwiegend in deutscher Sprache statt. Eingangs wurde jedem Interviewpartner die Thematik der Arbeit skizziert und nach einer Erlaubnis für eine digitale Tonbandaufzeichnung des Interviewgespräches gefragt. Nach jedem Interview erfolgte eine Protokollierung über situative besondere Vorkommnisse, Beschreibung der Gesprächsatmosphäre und persönliche Eindrücke und Reaktionen von den Interviewpartnern. 5.3 Der Betrachter als Angehöriger des Betrachtungsgegenstandes Wenn Interviewer Angehörige einer Gruppe interviewen, der sie selbst angehören, kann es Probleme geben, sich in die Rolle des „Fremden“ beziehungsweise Außenstehenden zu versetzen (Hermanns 52000: 366). Die somit doppelt besetzte Rolle als Betroffene und Betrachterin zugleich brachte Vor- und Nachteile mit sich und nahm Einfluss auf den gesamten Forschungsprozess. So konnte zum Beispiel bei der Entwicklung des Leitfadens Nutzen aus dem eigenen Vorwissen und den eigenen Erfahrungen bezüglich des Themenbereiches gewonnen werden. Bei der Datenerhebung erschien der gemeinsame koreanische Migrationshintergrund mit den Interviewten vorteilhaft, um Vertrauen aufzubauen und die Fragen offen beantwortet zu bekommen. So haben sich die Gesprächspartner auch nicht aus Höflichkeit bei allgemein kritischen Aussagen sowohl über die deutsche als auch koreanische Kultur zurückgehalten, wie das womöglich bei einem Interviewer ohne bikulturellen Hintergrund der Fall gewesen wäre. Dieses verdeutlicht die Aussage des Interviewten Tim: „Wenn du eine Deutsche wärest, hätte ich nicht so was wie ,Kartoffel‘ oder ,Reisfresser‘ gesagt.“ Auch die von den Interviewten oftmals selbstverständliche Verwendung koreanischer Ausdrücke während des Interviews bot die Möglichkeit, die Präsenz ihres koreanischen Sprachgebrauchs ersichtlich werden zu lassen. In manchen Situationen hat diese gewisse Nähe allerdings auch zu einem Verlust von Distanz geführt und bewirkt, dass die Informanten Sachverhalte und Argumentationspunkte nicht ausführlich dargelegt haben in der Annahme, die Interviewerin wisse, was sie ausdrücken wollen. Hier war es nötig, den Gesprächspartner durch Nachfragen oder Umformulieren der ursprünglichen Fragen dazu anzuregen, die betreffende Aussage zu erläutern, um ihren Bedeutungshorizont zu erfassen (Hermanns 52000: 366f.). Dadurch fühlten sie sich oftmals zur Selbstreflexion herausgefordert und konnten nicht immer eine für sie schlüssige Erklärung finden. Derselben kulturellen Minderheitengruppe in Hamburg anzugehören, die untereinander oftmals sehr stark vernetzt ist, könnte bei einigen Interviewpartnern allerdings dazu geführt

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haben, vorsichtiger Kritik bezüglich ihrer Eltern zu äußern. Da jedoch kein direkter Kontakt zu den Eltern der Interviewten sowie den Angehörigen der koreanischen Netzwerke besteht, wäre diese Befürchtung weniger begründet. Nicht zuletzt ist auch zu bedenken, dass die persönliche Sympathie zwischen Interviewten und Interviewer sowie die jeweils eigene Stimmung und Atmosphäre den Inhalt und Verlauf des Gespräches ebenfalls beeinflussen können. 5.4 Datenauswertung: Empirisch begründete Typenbildung nach Kluge/Kelle Definition von „Typologie“ Eine Typologie ist nach Kluge/Kelle (2010: 85) zu verstehen als „das Ergebnis eines Gruppierungsprozesses, bei dem ein Objektbereich anhand eines oder mehrerer Merkmale in Gruppen beziehungsweise Typen eingeteilt wird“. Dabei sollen die Elemente innerhalb eines Typus möglichst ähnlich sein beziehungsweise eine „interne Homogenität“ aufweisen. Auf der „Ebene der Typologie“ hingegen sollen sich die Typen voneinander möglichst stark unterscheiden beziehungsweise eine „externe Heterogenität“ bilden. Sinn und Zweck einer Typologie Die Erarbeitung einer Typologie aus einem komplexen Datenmaterial dient dazu, empirische Regelmäßigkeiten und Muster der sozialen Realität der Interviewpartner reduziert darstellen zu können, so dass Sinnzusammenhänge greifbarer und verständlicher werden (Kluge/Kelle 1999: 13). Theoretischer Ansatz der Typenbildung Für die Typenbildung innerhalb der koreanischen Migranten der zweiten Generation wurde der abduktive40 Ansatz von Kluge/Kelle (2010: 21-27)41 gewählt, nach dem von einer Wechselbeziehung induktiver (aus dem Datenmaterial heraus) und deduktiver (auf der Grundlage eines bereits vorhandenen theoretischen Ansatzes) Methoden im Forschungsprozess ausgegangen wird. Nach Kluge/Kelle (ebd.: 26) erfordern Abduktionen eine „Revision“ bisheriger Annahmen: „Elemente bislang für sicher gehaltener Wissensbestände werden aufgegeben, modifiziert, voneinander getrennt und neu kombiniert.“ Prozess der Typenbildung Der erste Schritt einer expliziten Typenbildung besteht darin, jene Merkmale zu erarbeiten und zu definieren, mit deren Hilfe Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Fällen

                                                                                                               40 Hierbei beziehen sie sich auf das von Peirce (1991) entwickelte Modell der „Abduktion“ beziehungsweise „hypothetischen Schlussfolgerung“. Dieses Modell rekonstruiert die empirisch begründete Generierung von Konzepten und theoretischen Annahmen als einen Prozess, bei welchem theoretisches Vorwissen mit empirischem Beobachtungswissen sowohl kreativ als auch methodisch kontrolliert verknüpft werden kann. 41 Hopf et al. (1995) weisen viele Parallelen zu dem Modell von Kluge/Kelle auf, so dass sie für das methodische Verfahren in der vorliegenden Arbeit teilweise ebenfalls mit herangezogen wurden.

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angemessen erfasst und anhand derer die ermittelten Typen charakterisiert werden können. Hierbei kann auf bereits vorhandene und am Anfang festgelegte Kategorien zurückgegriffen werden, solange diese Kategorien hinreichend offen sind (Kluge/Kelle 2010: 94). Somit dienten in der vorliegenden Ausarbeitung die vorangehenden theoretischen Überlegungen zu den Einflüssen kultureller Identitätsbildung (siehe Kapitel 3) und zu dem strategischen Umgang mit der Bikulturalität (siehe Kapitel 4) als Grundgerüst für die Erstellung der Auswertungskategorien. Folglich wurden aus jedem Interview dazugehörige Aussagen transkribiert und diese den entsprechenden Kategorien zugeordnet. Die Interviewprotokolle hatten dabei eine unterstützende Funktion. In jedem einzelnen Interview sollten somit Passagen, die explizit oder implizit Informationen zu diesen Kategorien enthalten, identifiziert und im Vergleich mit anderen Interviews nach ihrer Relevanz und Ausprägung bewertet werden (Hopf et al. 1995: 29f.).

Auf diese Weise wurden alle Einzelfälle miteinander verglichen und entsprechend ihrer Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Gruppen eingeteilt. Die Auswertungskategorien wurden hierbei als Entwürfe behandelt, welche durch die Interviewten in einem offenen Forschungsprozess bestätigt, widerlegt, modifiziert oder erweitert werden konnten (Kluge/Kelle 2010: 75). Dementsprechend ergaben sich während des Kategorisierungsprozesses letztlich neu definierte Auswertungskategorien beziehungsweise Vergleichsdimensionen. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, wann genügend verglichen und ausgewertet wurde. Hierbei wurde der Annahme von Glaser/Strauss (1998: 69) nachgegangen, nach der eine Sättigung bei der Wahl der Interviewpartner beziehungsweise des Samples sowie im Auswertungsprozess dann eintritt, wenn keine neuen Erkenntnisse mehr gewonnen werden. Um über eine reine Beschreibung der untersuchten sozialen Phänomene hinauszugehen und diese nachvollziehbar zu erklären, wurden anschließend die inhaltlichen Zusammenhänge zwischen den unterschiedlichen Vergleichsdimensionen analysiert (Kluge/Kelle 2010: 91f.). Abschließend wurden die konstruierten Typen umfassend anhand ihrer Merkmalskombinationen charakterisiert (ebd.: 92). Bei diesem Auswertungsschema zur Entwicklung einer Typologie ist es erforderlich die Stufen mehrfach zu durchlaufen (ebd.). Auf diese Weise wurde deutlich, dass mit jeder erneuten Auswertung eines Interviews die Typologie beziehungsweise die bereits erstellten Typenzuordnungen stets einer relativierenden Überarbeitung bedurften.

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6 Typologie bikulturell Sozialisierter In diesem Kapitel werden mit Bezug auf die durchgeführten Interviews die charakteristischen Merkmale von vier Typen junger Erwachsener mit koreanischer Herkunft aus Hamburg dargestellt, die jeweils deren Haltung und Positionierung zur Bikulturalität darlegen. Die methodische Vorgehensweise bei der Typenbildung wurde bereits in Kapitel 5.4 erläutert. Um möglichst ersichtlich aufzuschlüsseln, inwiefern welche Einflussfaktoren für die kulturelle Identitätsbildung der vorliegenden vier Typen jeweils ausschlaggebend sind, wird in der folgenden Erläuterung und Auswertung der Fokus verstärkt auf diese Vergleichsdimensionen gelegt. Die genannten Einflussfaktoren stellen aber zugleich auch Räume für die Anwendung bestimmter Strategien im Umgang mit der Bikulturalität dar, weshalb die jeweiligen Strategien an den entsprechenden Stellen ebenfalls angeführt werden. Zu dem Typus „der Flexible“ ist anzumerken, dass diesem lediglich ein Interviewpartner zugeordnet wurde, wodurch die empirische Grundlage für eine Typenbildung als unzureichend in Frage gestellt werden könnte. Aus den im Rahmen der Arbeit außerhalb Hamburgs durchgeführten Interviews lassen sich jedoch vier Interviewte (Intern-Bikulturelle) ebenfalls diesem Typus zuordnen. Insofern legitimiert sich dadurch die Bildung dieses weiteren Typus. Hinsichtlich der Kategorisierung ist zu erwähnen, dass hierfür die eigene kulturelle Selbsteinordnung der Interviewpartner kein ausschlaggebendes Kriterium bildete, sondern vielmehr deren unbewusste und bewusste Positionierung zu thematischen Inhalten während des Gespräches. Auf die beim Interview eingangs konkret gestellte Frage hin, ob sie sich mehr „deutsch“ oder „koreanisch“ fühlen, hatten die Interviewten meist Schwierigkeiten damit, sich für eine Seite zu entscheiden, tendierten aber meist eher zur deutschen Seite. Während des Interviews wurde allerdings von außen betrachtet nicht selten eine andere Wahrnehmung ersichtlich. Diese Wechselbeziehung und Diskrepanz von Selbst- und Fremdwahrnehmung soll deshalb in der folgenden Analyse und Typologisierung stets mit reflektiert werden. 6.1 Der REBELL Dem Typ „Rebell“ sind sechs Interviewpartner zuzuordnen: Tim, Sarah, Kassandra, Hyok, Hana und Mia. Der „Rebell“ setzt überwiegend und bewusst die Strategie „Abgrenzen von der mütterlichen Herkunftskultur“ ein, um sich explizit gegen die koreanische Kultur und zur deutschen Kultur zu positionieren. Da sich die diesem Typ zugeordneten Interviewten durch einen rebellischen Charakter auszeichnen, ergab sich daraus die gleichnamige

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Bezeichnung für diesen Typus. 6.1.1 Kulturelle Identität Die koreanische Kultur sowie damit assoziierte Verhaltensweisen und Einstellungen bewertet der „Rebell“ im Gegensatz zur deutschen Kultur tendenziell negativ und nutzt dieses für seine Selbstpositionierung. SARAH verurteilt das gesellschaftliche „Rollenbild der Frau“ (#00:57:20#) in Korea, das nicht mit ihrer westlich-emanzipatorischen Vorstellung vereinbar ist und das sie auch davon abhalten würde, in Korea leben zu können:

„Also da komme ich wirklich überhaupt nicht mit klar. Die gehen ja selbst mit hohen Schuhen irgendwie einkaufen ((...)). Wenn eine Frau halt nicht so leichtes Make-up auflegt, dann ist das fast schon so bisschen ungepflegt. Als ob man sich hier nicht unter den Achseln rasieren würde ((...)). Dann habe ich mich halt mit meiner Cousine einen Tag zum Shopping verabredet: Dann kam die mit ihrer Freundin; so würde ich noch nicht mal auf Party gehen. Weißt du, mit solchen (demonstriert mit ihren Händen die Höhe) Absätzen halt, so *** Ja und das Frauenbild halt ** wer da halt als sehr hübsch gilt; die haben da halt ganz andere, finde ich, sehr extreme Schönheitsideale.“ #00:58:32#

KASSANDRA betont, wie „deutsch“ sie sei, und bekräftigt ihre Selbstwahrnehmung, indem sie die diesbezügliche Außenwahrnehmung ihrer Freundin erwähnt:

„Ich bin so deutsch... Also nehmen wir mal das Essen weg. Aber ich habe eine Freundin, die sieht nicht mehr, dass ich koreanisch bin, weil ich so deutsch bin ((...)) Also ich bin schon sehr, sehr deutsch ((...)). Ich finde es immer ganz interessant, dass sie vergisst, dass ich noch einen asiatischen äh * Einschub habe. Sie sieht den auch irgendwie äußerlich an mir nicht so und wundert sich dann immer, wenn neue Leute mich kennenlernen und sagen: <Ja, sie ist eine Asiatin> oder <Ja, kein Wunder, weil das ist ja irgendwie asiatisch oder so>. Und sie so: <Hä? Verstehe ich nicht>. Also das beschreibt mich ungefähr ganz gut.“ #00:39:35-1#

So grenzt sie sich auch stark von Koreanern als Partner ab und stellt dem ihre Präferenz von meist „blonden“ Männern mit einer „großen Klappe“, die „gut Sprüche ziehen“ konnten, gegenüber (#00:46:22-1#).

„Koreaner fand ich nie ,sexy‘, sage ich mal, weil ich immer das Gefühl habe, irgendwie bin ich mit denen verwandt ((...)). Überhaupt Asiaten ((...)), da habe ich immer das Gefühl, als wäre ich mit denen verwandt oder entweder bin ich pädophil oder sie sehen so unglaublich androgyn aus. Irgendwie. Also mir fehlte so bisschen das Männliche bei denen. Und deswegen habe ich nie was mit einem Asiaten gehabt ((...)). #00:45:18-1#

HYOK ordnet sich selbst als „schon sehr deutsch“ ein (#00:14:28-2#) und assoziiert mit der deutschen Kultur auch viel Positives, was er mit dem emphatisierenden Adverb „sehr“ verstärkt. Auf die Frage hin, was er als typisch koreanisch empfinde, sagt er: „konservativ“ (#00:11:47-2#) und bewertet es negativ:

„Konservativ finde ich gar nicht gut. Damit konnte ich noch nie was anfangen. Aber das Deutsche: ((...)) sehr transparent, sehr genau und sehr direkt sein.“ #00:12:20-2#

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Auf die Frage hin, ob er im Koreanischen etwas als positiv ansehe, fällt ihm dazu nicht viel ein:

Hyok: „Die Freundlichkeit vielleicht (?). Ich weiß es nicht ((...)). Ehrlich gesagt wüsste ich jetzt nicht direkt irgendwas.“ #00:12:52-2# I.: „Also du verbindest nur Negatives mit der koreanischen Kultur?“ #00:13:08-2# Hyok: „Ja, abgesehen vom Essen ((...)). Ich wüsste jetzt nicht unbedingt, was koreanisch ist, was mir jetzt gefällt, irgendwie.“ #00:13:15-2#

Auf die Frage hin, ob Hyok es als Bereicherung sehe, mit zwei Kulturen aufgewachsen zu sein, stimmt er dem insofern zu, als er nun dadurch wüsste, dass die koreanische Kultur nichts für ihn sei:

I.: „Siehst du es als Bereicherung an, dass du mit zwei Kulturen aufgewachsen bist?“ #00:15:08-2# Hyok: „Ja, auf jeden Fall ((...)). Man hat etwas anderes kennengelernt und man weiß auch, was man möchte und nicht möchte. Ob es nun richtig ist oder nicht. Und die koreanische Kultur ist einfach für mich so nicht das Richtige *** Und deswegen finde ich es bis dato auch nicht irgendwie so schlimm, dass ich die koreanische Sprache nicht mehr spreche oder Ähnliches.“ #00:15:13-2#

Hyok nutzt neben der Strategie „Abgrenzen von der mütterlichen Herkunftskultur“ zugleich die Strategie der „Betonung der Besonderheit“ und rechtfertigt damit, warum er sich von Koreanern abgrenzt:

„Ich habe immer das Gefühl, dass ich spezial [!] sein möchte. Nicht immer mit Gleichgesinnten zusammen sein möchte, was so viel bedeutet: Als Koreaner in der deutschen Gesellschaft ist man auch so speziell; im positiven Sinne. Oder wenn ich in Korea nur unter Koreanern bin, dann doch nichts Spezielles bin beziehungsweise die dann auch nicht sehen, dass ich deutsch bin.“ #00:00:02-3#

Bezüglich seines koreanischen Aussehens betont er ebenfalls seinen Stolz im Hinblick darauf, dass er sich somit phänotypisch von der deutschen Mehrheitsgesellschaft abhebt:

„Also ich bin irgendwie stolz, koreanisch auszusehen, aber deutsch zu sein irgendwie.“ #00:13:20-1#

HANA verfolgt das Ideal, sich von Identitäts-Festschreibungen loszulösen und macht zugleich von der Strategie der „Universalisierung“ Gebrauch:

„Ich versuche, mich davon zu lösen, was mit Identität zu tun hat ((...)), sich so kategorisieren ((...)). Das interessiert mich gar nicht, wer ich bin, wie die anderen Leute mich sehen, womit ich mich identifiziere, was mich ausmacht. Bin ich dies, bin ich das. ((...)) Davon will ich mich lösen. Deswegen denke ich da nicht so darüber nach. ((...)) Ich will mich nicht an irgendwas krallen.“ #02:19:50-2#

In der Praxis aber scheinen bei ihr negativ geprägte Eindrücke von koreanischen Verhaltenscodes emotional noch sehr präsent zu sein. Hierbei bezeichnet sie sich zudem

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selbst als „Deutsche“, die sich schwer der koreanischen Norm anpassen kann und will. Das wird vor allem deutlich durch ihre häufigen Wiederholungen des Adjektivs „anstrengend“ in ihrer Wertung Koreas:

„Und typisch koreanisch ist, was ich auch echt anstrengend finde: dass die immer so ungeschriebene Gesetze haben: Wenn du irgendwas siehst in der Wohnung und du sagst <oh das sieht aber cool aus>, dann ist das wie so eine Aufforderung <hier du darfst es geschenkt haben> ((...)). Auch was abzulehnen, <nein> zu sagen ist in Korea voll unhöflich und das finde ich halt überhaupt nicht schlimm. Auch so einfach zu sagen, was man will ((...)). Das ist das, was ich echt so anstrengend finde, weil man immer so auf der Hut sein muss. Also man muss immer aufmerksam sein, weil man es als Deutscher ja nicht automatisch macht.“ #01:55:20-2#

In der Verbundenheit zu Deutschland hat sie sich auch bereits festgelegt. „Deutschland ist eindeutig meine Heimat“ (#02:23:00-2#), bemerkt sie und erklärt, dass sie ihr Kind in Deutschland aufwachsen lassen würde mit der Begründung und klaren Positionierung: „Für mich gibt es keinen anderen Ort“ (#02:23:43-2#). MIA nennt auf die Frage nach typisch deutschen Eigenschaften nur Positives, während sie mit den koreanischen Eigenschaften mehr Negatives assoziiert:

„Typisch deutsch ist für mich Zuverlässigkeit * Von Leuten ernst genommen zu werden ** Sich auf andere Leute verlassen können. Und typisch koreanisch ist dieser Familienhalt, den ich aber nie so gefühlt habe ((...)). Aber auch dieses Höfliche, nicht immer alles so zu sagen, wie man es wirklich meint. Halt auch so eine Scheu vor Ehrlichkeit manchmal. Also gerade auch bei diesen Frauen aus dem Freundeskreis meiner Mutter ((...)). Das sind so übertriebene ,Schnattertanten‘ ((...)). Manchmal verbinde ich auch koreanisch sein mit Schadenfreude, Neid und auch so unehrlichen Gefühlen.“ #01:09:16#

6.1.2 Familiäre Situation Die ablehnende Haltung des „Rebellen“ gegenüber der koreanischen Herkunftskultur resultiert überwiegend aus unterschiedlichen Wertvorstellungen gegenüber dem koreanischen Repräsentanten in der Familie, die zu Konflikten führ(t)en. Die Wertvorstellungen der Eltern werden als repräsentativ für die koreanische Kultur gesehen, so dass der „Rebell“ Abstand zu seiner koreanischen Herkunftskultur nimmt und sie als Option zur Lebensgestaltung ablehnt. Das ist auch notwendig, um ein positives Selbstbild zu bewahren und gegenüber dem koreanischen Repräsentanten der Familie autonom zu bleiben. Zum deutschen Vater drückt dies zugleich eine solidarische Haltung und emotionale Nähe aus. Bei den Extern-Bikulturellen Hana und Hyok sind deren koreanische Väter nicht im Rahmen von bilateralen Abkommen nach Deutschland gekommen und hatten dementsprechend wenig mit der koreanischen Gemeinschaft zu tun. Die Väter waren stärker in die deutsche Gesellschaft eingebunden und stellen für die Kinder eher einen „deutschen“ als einen koreanischen Part dar, was sie auch explizit erwähnen.

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TIM wurde hauptsächlich von seiner koreanischen Großmutter erzogen, da seine Eltern berufsbedingt wenig Zeit für die Erziehung ihrer fünf Kinder aufbringen konnten. Das führte unter anderem zu einem stärkeren Einfluss seiner deutschen Umgebung und zugleich zu einem distanzierten Verhältnis vor allem zu seinem koreanischen Vater gegenüber, der sich oftmals abwertend über die Deutschen äußerte. Tims Lachen und sein ironischer Unterton über die Äußerungen seines Vaters verdeutlichen, dass er die Meinung seines Vaters über die Koreaner als idealisiert ansieht:

„Mein Papa ist schon sehr ja, äh koreanisch angehaucht. Er vertritt halt die Meinung, ein Koreaner sollte eine Koreanerin heiraten ((...)). Familiengefühl, Zugehörigkeit und so was; dass die Familie immer über Allem steht und das ja bei Deutschen nicht so wäre (lacht). Das waren immer so blöde Sprüche manchmal von dem. Der kam dann auch wieder mit seinem... (lacht) * Er hat öfter mal gesagt <ja die Deutschen mit ihrem Hitler (lacht)> ** und ja und <die haben sechs Millionen Juden vergast> und so was. Also da... Früher war er schon echt so bisschen ** ich würde mal sagen * auch schon bisschen vielleicht * ja rassistisch eingestellt (lacht). ** Dass Deutsche sich viel auch untereinander in der Familie über Geld streiten würden und das würde bei Koreanern (lacht) ja nie passieren.“ #00:32:53#

So äußert sich Tim abwertend den Koreanern gegenüber:

„Typisch koreanisch ist Reis (lacht); Schlitzaugen (lacht); kimch’i [scharf eingelegter Chinakohl]. Keine Ahnung.“ #00:55:20#

Bei der Frage nach explizit positiven Assoziationen im Koreanischen wird Tims negatives Bild Koreas in Zusammenhang mit seinen Eltern deutlich:

I.: „Und wenn du an deine Eltern denkst, was typisch koreanisch ist, aber was du gut findest?“ #00:56:45# Tim: „Da fällt mir gar nicht so viel ein (lacht). Weiß ich nicht. Die Mentalität ** keine Ahnung. Familienzugehörigkeit oder sowas vielleicht (?).“ #00:56:55#

Auch bei seinen allgemein ausgedrückten Punkten „Mentalität“ und „Familienzugehörigkeit oder so was vielleicht“ scheint kein realer oder konkreter Bezug vorhanden zu sein, da er eine Unsicherheit beziehungsweise Unwissenheit verbalisiert. Seine kurze Antwort deutet darauf hin, dass er sich wenig mit Korea auseinandersetzt und es ihm womöglich auch schwerfällt, einen positiven Bezug herzustellen. Tims tendenziell distanzierte Haltung der koreanischen Kultur gegenüber ist als Gegenreaktion auf die strengen Anforderungen seiner Eltern zurückzuführen:

„Mich kann man da nicht in irgendeine Schublade stecken. Ich bin so bisschen anders, weil ich habe zwar beide Elternteile koreanisch und bin auch so erzogen worden, aber dann habe ich rebelliert und bin eigentlich eher deutsch, weil ich nur deutsche oder überwiegend deutsche Freunde habe.“ #01:15:00#

Auch bezüglich der Partnerwahl grenzt Tim sich von Koreanerinnen beziehungsweise 2se ab, streitet dieses jedoch zugleich ab:

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„Ich hatte eine Italienerin und sonst Deutsche. Würde aber nicht sagen, dass das eine Präferenz ist. Ich sage nur, dass koreanische Mädels nicht gut aussehen.“ #00:23:47#

Die abneigende Haltung könnte teilweise auch als unbewusste Gegenreaktion der Wünsche seiner Eltern interpretiert werden:

I.: „Was würdest du sagen, welche bestimmten Erwartungshaltungen hatten deine Eltern an dich?“ #00:42:38# Tim: „Ingenieur werden, Karriere machen, Geld verdienen, koreanische Frau heiraten.“ #00:42:45#

SARAH hatte viele Konflikte mit ihrer koreanischen Mutter aufgrund unterschiedlicher Rollenverständnisse als Frau. Das wurde ihr besonders im Vergleich zu ihrem Bruder sehr deutlich. Dass sie im Gegensatz zu ihrem Bruder im Haushalt, beim Kochen und Abwaschen helfen sollte, war nicht vereinbar mit ihrem Bild einer gleichberechtigten Erziehung, so dass sie sich „total“ von ihrer Mutter abgrenzte:

„Ich mit meiner Mutter hatte vor allem Konflikte in meiner Aufwachszeit, weil meine Mutter ist, finde ich, sehr koreanisch (lacht) ((...)). Sie hat halt ein sehr, sehr konservatives Bild von Frauen. Das hat sie jetzt, glaube ich, nicht mehr ((...)). Ich habe mein Ding so gemacht und so richtig Kontra geboten ((...)). Zu Hause war ich schon immer so der Streitcharakter, der halt alles ausdiskutieren muss. Und Simon (ihr Bruder) zieht sich eher zurück ((...)). Ich musste halt in der Küche helfen, musste halt das machen ((...)) und Simon hat halt sogar das Zimmer gestaubsaugt bekommen, verstehst du (?) so. Und das ging halt in meinem Kopf überhaupt nicht klar. Also ich bin da total so: Wenn er das nicht machen muss, muss ich es auch nicht machen oder er muss es auch machen. So ein super Gerechtigkeitstyp bin ich gewesen. Und das kam regelmäßig zu Konflikten.“ #00:08:52#

Dass Sarah „so ein super Gerechtigkeitstyp“ ist, führt sie auf den stärkeren Einfluss ihres deutschen Vaters zurück: „Mein Vater hat mich so erzogen, dass alle Menschen gleich sind.“ (#01:42:50#). Sarah kritisiert ihre Mutter vor allem für die traditionell koreanische Haltung zu Söhnen, die in der Familie eine besondere Stellung genießen:

„Bei Simon war das anders, weil er hatte immer ein sehr gutes Verhältnis. Sie war immer so total <mein liebster Sohn> so ungefähr; der Sohn der Familie, weißt ja, wie das ist (lacht). Das habe ich ja aber von meinem Vater bekommen ((...)). Und da habe ich dann zu Hause rebelliert.“ #00:19:58#

Die Beziehung zu ihrer Mutter beschreibt sie als oberflächlich:

„Ich habe die Mutterliebe zwar sehr intensiv erlebt, aber eher erdrückend und auf die ähm * Versorgung des Kindes bezogen ((...)).“ #00:19:43# „Das läuft dann immer so auf einer reinen, so einer ganz extremen Rollenverteilung von Mutter und Kind ab. So: Sie kümmert sich <hast du genug zu essen?> ((...)). Das sind halt die Gespräche, die wir führen. Das hört sich wirklich extrem an, aber so wirklich viel in die Tiefe, und dass wir auch über emotionale Dinge reden, ist gar nicht so ((...)).“ #00:14:30#

Mit ihrem deutschen Vater hingegen könne sie „über alles reden“ (#00:16:00#).

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Sarah fehlt es an emotionaler Nähe zu ihrer Mutter und einer Wahrnehmung als Individuum:

„Ihr Bild von mir ist immer mit einer gesellschaftlichen Rolle verknüpft. Ich glaube, das war das, was mir emotional gefehlt hat; dass sie mich als Person Sarah wahrnimmt. Und nicht nur als Tochter, als Tochter, die ein gutes Abitur gemacht hat, oder als Tochter, die Medizin studiert und jetzt Ärztin ist.“ #00:45:09#

Die emotionale Distanz zu ihrer koreanischen Mutter betont sie auch bewusst sprachlich:

„Ich spreche sie auch immer extra so an, das ist auch irgendwie so eine emotionale Sache, dass ich sie dann quasi ,Mutter‘ nenne und nicht ,Mammi‘ oder so und dass sie halt auch so bisschen versteht: <Halt. So stopp * ähm ich führe mein eigenes Leben>.“ #00:24:42#

Nachdem Sarah ihre Mutter mit ihren enttäuschten Gefühlen konfrontiert hatte, fühlte sie sich „das erste und einzige Mal“ von ihrer Mutter verstanden:

„Da gab es dann auch so einen Moment, wo sie dann total geweint hat ((...)) und das erste Mal und das einzige Mal in meinem Leben geweint hat und zu mir gesagt hat <Sarah, es tut mir leid, dass ich das nicht kann> ((...)). Das erste Mal habe ich das Gefühl gehabt, dass sie versteht, was ich von ihr wollte.“ #00:22:24#

Sarah betont dabei, dass es sich bei dem Konflikt zwischen ihr und ihrer Mutter um „quasi“ zwei verschiedene Kulturen handelt, die aufeinander stoßen:

„Das hat wirklich zu meiner Entwicklung total beigetragen, dass ich meine Mutter auch mal als verstehende Person erlebt habe, die mich als westliche ((...))* als quasi eine Person aus einem anderen Kulturkreis irgendwie erlebt, der quasi auch andere Bedürfnisse hat.“ #00:23:10#

KASSANDRA behauptet, von ihrer koreanischen Mutter „sehr streng erzogen“ worden zu sein, weswegen sie ein besseres Verhältnis zu ihrem deutschen Vater aufbauen konnte, der in der Erziehung liberaler war:

„Meine Mutter hat mich sehr streng erzogen. Also was Bildung anging. Also Schule ging über alles. Sozialkompetenzen oder sonst irgendwas war ihr scheißegal ((...)). Und das ging aber tatsächlich nur in der Grundschule so. Und ab der fünften Klasse, weil dann sichergestellt war, dass ich aufm Gymnasium war, war es halt immer nur der böse Blick, wenn dann mal eine schlechte Note kam, aber keine Konsequenzen mehr ((...)). Meine Mutter war auch nicht so begeistert, wenn ich mich mit Freunden getroffen habe, sondern hauptsächlich Fokus halt auf Schule.“ #00:24:20-1# „Meine Mutter hatte letzten Endes die Hebel in der Hand (lacht). Das lag aber auch oft daran, dass meine Mutter immer zu Hause geblieben ist. Also die hat nicht gearbeitet, bis ich aus dem Haus bin ((...)). Als ich da noch gewohnt habe, habe ich natürlich schon irgendwie ein besseres Verhältnis zu meinem Vater gehabt, weil der gesagt hat: <Du bist verantwortungsvoll genug, was du machst, ist mir egal>, während meine Mutter dann schon eher war: <Mach doch Medizin; hol dir keinen Freund ((...))> immer so sehr konservative Ansichten ((...)). Ich denke mal, dass ich dadurch ein bisschen rebellischer geworden bin, als ich sonst geworden wäre.“ #00:32:04-1#

Kassandras Mutter legte großen Wert auf den Hintergrund ihrer Freunde und wollte nicht, dass sie mit den Nachbarkindern spielt. Davon hat sich Kassandra jedoch nicht abbringen

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lassen. Manchen direkten Auseinandersetzungen versuchte Kassandra aber auch aus dem Weg zu gehen, indem sie ihrer Mutter Dinge verheimlichte, die sie aufgeregt hätten:

„Es war ihr immer wichtig, ob die Leute auch auf das Gymnasium gehen. ((...)) Die meisten, die nicht auf das Gymnasium gingen, die ich kannte, waren meine Nachbarn. Und mit denen konnte sie halt gar nicht. Sie konnte sie nicht leiden und konnte es auch nicht ab, wenn ich mit denen spielen war. Ich bin aber trotzdem mit denen rausgegangen ((...)). Also wenn jemand Neues kam, hat sie immer erstmal gecheckt <Und auf welche Schule gehst du? Wie alt bist du? Was machen denn deine Eltern?>. Also ja. Da habe ich dann zugehört, und wenn das Interview dann vorbei war, durften wir dann auch spielen ((...)). Meine Mutter konnte nie mit Arabern oder Leuten aus islamischen Ländern. Damit konnte sie nicht. Gar nicht. Also meine Mutter war immer stinksauer, wenn ich einen Döner gegessen habe. Ich glaube für acht Jahre war sie echt sauer, wenn ich Döner gegessen hab. Ich habe dann nicht erzählt, dass ich einen Döner gegessen habe (lacht).“ #00:50:50-1#

Auch ihre Partner hat Kassandra bis auf ihren jetzigen ihrer Mutter immer verheimlicht. Das sei auch ein zusätzlicher Punkt, weshalb sie die koreanische Gemeinde mied. Ihrem Vater hingegen habe sie von all ihren Partnern immer erzählt, worin ihr vertrautes Verhältnis zu ihm deutlich wird (#00:48:15-1#):

„Es war natürlich schon sehr schwierig, weil ich halt keine Freunde mit nach Hause holen konnte ((...)). Also wenn ich einen Freund hatte ((...)), konnte ich ihr das nicht erzählen. Und das war vielleicht auch noch so ein Punkt, weshalb ich mit der Community nicht so viel zu tun hatte, weil, wenn mich jemand sieht, erzählt er es meiner Mutter.“ #00:36:50#

Kassandra grenzt sich ebenso von ihren koreanischen Verwandten ab. Ihre Mutter ist mit Kassandra bis zu ihrem 17. Lebensjahr alle ein bis drei Jahre nach Korea geflogen, um dort die Verwandten zu besuchen. Als sie später erst wieder nach ihrem Studium für vier Monate nach Korea gereist war (#00:16:40-1#), hatte sie mit ihren Verwandten dort Konflikte, da diese „sehr, sehr konservativ“ (#01:13:40-1#) seien. Darüber spricht sie – wie oftmals auch über ihre Mutter – in einem leicht sarkastischen Ton. Diese humorvolle Art der Konfliktverarbeitung scheint vor allem auch deshalb nötig, da ihre Verwandten ihren deutschen Vater nicht akzeptieren. Ihren positiven Eindruck von Korea trennt sie auch ganz strikt von den Erfahrungen mit ihren Verwandten. An anderer Stelle erwähnt sie allerdings, dass sie von Korea und der Gesellschaft „nicht viel gesehen“ (#01:09:30-1#) habe, da sie nur bei ihren Verwandten war:

„Also ich hatte da (in Korea) auch meine Streitereien mit meinen Verwandten, aber Korea an sich, also das Land, mochte ich schon immer.“ #00:17:23-1# „Mein Vater ist ja Deutscher und die (ihre Verwandten) haben auch Probleme, meinen Vater zu akzeptieren ((...)). Und dann haben die auch mal so gefragt, wie das denn ist: <Behandelt er euch denn auch gut?>. Also so ein bisschen Aufklärungsarbeit habe ich gemacht. Also ich mag sie ja sehr gerne, aber es war schon anstrengend ((...)). Die haben auch nicht verstanden, wie das sein kann, wieso mein Vater mir kein Geld gibt zum Studium. Und ich habe dann versucht, denen zu erklären, was das ,BAföG‘-Konzept ist. Das haben die nicht verstanden.“ #00:19:45-1#

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Als eine autonome Frau hat Kassandra kein Verständnis für ihre Cousine in Korea, die mit 30 Jahren noch zu Hause lebt und sich nach ihrer Mutter richtet. Kassandra kritisiert aber vor allem auch deren „Doppelmoral“, die in Deutschland nicht funktionieren würde. Hierbei positioniert sie sich idealisierend zur deutschen Kultur, wo man „immer ehrlich“ sei:

„Meine Tante war nicht einverstanden damit, dass ihre Tochter einen Freund hat, der keine Bildung hat und der auch nicht viel Geld verdient, und hat daraufhin gesagt: <Den darf keiner nach Hause einladen>. Und meine Cousine, die war aber schon 30. Und dann habe ich nur gedacht: <Ey, mit 30 wohne ich erstens nicht mehr zu Hause, und zweitens lasse ich mir von meiner Mutter bestimmt nichts mehr sagen>. Und dann hat sie sich immer heimlich mit ihm getroffen und hat immer gesagt, sie wäre bei irgendeiner Freundin, wo aber auch die Mutter nicht blöd ist und weiß, dass es nicht so ist. Und ich habe diese Doppelmoral nicht verstanden, weil im Deutschen es ja so ist, dass man immer ehrlich ist.“ #01:10:30-1#

Dementsprechend musste sie sich bei ihren Verwandten, bei denen sie wohnte, anpassen. Als sie jedoch nicht mehr einsehen wollte, ihrer Tante alles zu verheimlichen, kam es zu einem großen Streit:

„Ich musste mich auch schon anpassen. Ich fand das dann auch ganz merkwürdig * da war ich ja 25, 26 * wieder in diese Situation versetzt zu sein wie ein Pubertierender. Also alles zu verheimlichen, weil ich ihnen auch diesen Kulturschock nicht antun wollte. Wir hatten am Ende dann aber einen Riesenstreit, weil ich alleine, als Mädchen, unverheiratet in das böse, böse Thailand fahre. Also das war ein Riesenstreit, der damit endete, dass mein Tante meine Mutter angerufen hat und gesagt hat, ob sie denn wüsste, dass ihre Tochter durchgedreht sei, weil sie jetzt alleine nach Thailand will ((...)). Und meine Mutter antwortete: <Ja, das weiß ich und hätte ich Geld, würde ich sie unterstützen>, worauf meine Tante völlig ausgerastet ist und ich auf einmal festgestellt habe: Meine Mutter hat sich doch ganz schön angepasst (lacht). Also im Nachhinein ist es ganz lustig. Aber der Streit war leider sehr, sehr groß, so dass meine Tante darauf hin bis zum Schluss, bis ich dann aus Korea raus war, nicht mehr mit mir gesprochen hat.“ #01:12:20#

HYOK hatte – wie auch die Intern-Bikulturellen – ein besseres Verhältnis zu seinem (mittlerweile verstorbenen) Vater, während er mit seiner Mutter mehr kulturelle Konflikte in Verbindung bringt:

„Ich hatte früher nicht so eine gute Beziehung zu meiner Mutter ((...)), weil mein Vater ** die deutsche Kultur auch sehr liebte * ähm und meine Mutter war für mich immer so das Beispiel auf koreanisch, was bisschen schwierig war: so chaotisch, nicht organisiert. Vielleicht ist es dadurch für mich auch so bisschen das Bild von <das ist Korea: meine Mutter> gewesen. Ich habe aber das Gefühl, meine Mutter ist mehr deutsch mit der Zeit geworden.“ #00:21:28-2#

HANA hatte ebenfalls zu ihrem (mittlerweile verstorbenen) Vater, der „total“ anders als andere Koreaner gewesen sei, ein sehr gutes Verhältnis. Durch den häufigen Gebrauch des verstärkenden Adverbs „immer“ wird deutlich, wie präsent er ständig für sie war:

„Er war anders als andere Koreaner ((...)). Wir Kinder haben immer nur an ihm rumgehangen. Immer Papa hier, Papa da. Er hat uns immer getragen und so, uns immer Eis mitgebracht nach der Arbeit und so ((...)). Wir haben ihn über alles geliebt, mein Bruder auch; weil er einfach so ein netter Mensch war.“ #00:53:05-2#

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Hana erwähnt mehrmals, dass ihr Vater sie mit seinem „Eigensinn“ (#01:59:53-2#) sehr geprägt hat:

„Er hat immer gemacht, was er wollte. Das hat mich schon sehr geprägt. Er hat sich nicht verbogen. Er war schon so er selbst, das fand ich schon echt cool.“ #01:57:40-2#

Zu ihrer Mutter hingegen hat sie wenig Bezug, da diese zu Hause weniger präsent sein konnte, wofür Hana nur bedingt Verständnis hat. Das wird einerseits durch das mitleidige „die Arme“ deutlich, andererseits findet sie es „komisch“, dass ihre Mutter sich nie so viel Zeit genommen hat:

„Meine Mutter war immer so, also sie war, als ich klein war, immer müde. Sie hat immer geschlafen irgendwie. Sie war voll erschöpft, hat immer so viel gearbeitet, die Arme. Sie war halt immer so gestresst. Sie hat sich nie so viel Zeit für uns genommen, komischerweise. Und wir hatten nie so eine enge Bindung zu ihr.“ #00:55:16-2#

6.1.3 Sprachbildung Abgesehen von den unterschiedlichen Normen und Wertvorstellungen zwischen dem „Rebellen“ und seinen „koreanischen“ Eltern(teilen), führte auch die fehlende bilinguale Erziehung seiner Eltern dazu, dass er sich nicht weiter mit der koreanischen Sprache auseinandersetzte. Seine damit einhergehenden mangelhaften Koreanisch-Sprachkenntnisse führten wiederum zu einer Kontaktvermeidung zu anderen Vertretern der koreanischen Kultur. SARAHs geringe Koreanisch-Sprachkenntnisse führen dazu, dass sie der Umstand belastet, sich anderen gegenüber dafür erklären und „entschuldigen“ zu müssen. Das könnte zusätzlich dazu beitragen, dass sie dieser unangenehmen Auseinandersetzung möglichst aus dem Weg gehen möchte, indem sie die Strategie „Abgrenzen von der mütterlichen Herkunftskultur“ nutzt. Die fehlende bilinguale Erziehung hat sie ihrer Mutter auch schon einmal zum Vorwurf gemacht (#01:08:15#):

„Es ist für mich * was Trauriges * und mich ärgert das. Jedes Mal, jedes Mal ärgert mich das, weil du kannst dir die Reaktion der Leute vorstellen. Jedes Mal: <Was, du sprichst kein Koreanisch? Warum sprichst du denn kein Koreanisch?>. Ja warum spreche ich das eigentlich nicht (?). <Nein, tut mir leid, meine Mutter hat mich nicht...> und ich entschuldige mich auch noch dafür ((...)). Ich würde das wirklich sehr gerne sprechen können.“ #01:07:50#

HYOK hatte im Erwachsenenalter das Bedürfnis, noch einmal Korea zu besuchen, nachdem sein Vater verstorben war und er in Korea zuletzt in seiner Kindheit war. Aufgrund seiner fehlenden Koreanisch-Sprachkenntnisse fühlte er sich dort jedoch fremd und ungewohnt abhängig:

„Mein Vater war verstorben und meine Schwester und meine Mutter wollten hin. Und irgendwie hat es vom Timing her insgesamt gepasst ((...)). Es war irgendwie so ein bisschen: doch nochmal Korea sehen ((...)). Und es war halt schockierend. Ich habe wirklich gar nichts

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verstanden, teilweise. Ich konnte mich null alleine herumbewegen *** Ja und die Stadt (Seoul) selbst war teilweise auch extrem ((...)) der Konsumrausch da ** wie ,busy‘ das ist ((...)). Ich wusste einfach überhaupt nichts mit dem Land anzufangen, abgesehen von dem Essen. Doch selbst das war anders, als was ich erwartet hatte.“ #00:18:55-1# „Es ist einfach ein Land, was nicht attraktiv für mich ist.“ #00:22:29-1#

HANA besuchte während ihrer Grundschulzeit circa ein halbes Jahr lang die koreanische Schule, wo sie sich jedoch ausgeschlossen fühlte. Sie konnte dort sowohl sprachlich als auch sozial keinen Anschluss finden:

„Dann wollte ich da (zur koreanischen Schule) einfach nicht mehr hin. Ich habe da einfach keinen Draht zu den Leuten gefunden. Und dann bin ich in eine Klasse gekommen, die schon viel weiter waren als ich. Und dann habe ich da immer nichts verstanden.“ #01:29:22#

Auch in Korea machte Hana Erfahrungen einer erschwerten Kommunikation und Integration, was sie „total genervt“ hat. Hierbei unterstreicht sie ihre abwertende Haltung mit den emphatisierenden Adverbien „total“ oder „überhaupt“. In der Wertung des Verhaltens der Koreaner setzt sie ihre eigene offene Haltung im multikulturellen Umgang als Maßstab:

„Erstens haben die sich überhaupt keine Mühe gegeben, mich zu verstehen, wenn die gemerkt haben, dass ich überhaupt nicht gut Koreanisch spreche. Dann hat man auch gar keine Chance. Wenn jetzt hier jemand gebrochen Deutsch spricht, versuche ich ihn ja trotzdem zu verstehen. Aber das machen die Koreaner überhaupt nicht. Die sind total ungeduldig, das hat mich total genervt. Dann tun die immer so, als ob die einen verstehen, aber dann verstehen die dich gar nicht. Das find ich auch total blöd. Und dann diese Ignoranz, wenn du die was fragst, dass die einen einfach ignorieren und weitergehen.“ #02:15:33-2#

MIA erfuhr ein ähnliches Gefühl der Desintegration im Alter von sieben Jahren bei einem Korea-Aufenthalt. Dieser Umstand war vor allem auf ihre fehlenden Koreanisch-Sprachkenntnisse zurückzuführen:

„Ich fühlte mich fremd in der Kultur, weil ich mich mit niemandem richtig unterhalten konnte. Ich fühlte mich nicht zu Hause.“ #00:05:58-1#

Im Familien- und Verwandtenkreis hatte sie keine Bezugspersonen, die Motivation waren, ihre Sprachkenntnisse im Koreanischen aufzubessern. Die fehlenden Sprachkenntnisse, aber auch die fehlenden Bezugspersonen bedingten sich gegenseitig, so dass Mia sowohl bewusst als auch unbewusst die Auseinandersetzung mit der Sprache sowie den Kontakt zu Vertretern dieser Sprache mied:

„Ich hatte zu diesen Familienmitgliedern keinen Draht und habe deswegen keine Notwendigkeit gesehen, das (Koreanisch) zu lernen.“ #00:09:25-1#

Auch als sie nach dem Abitur auf Wunsch ihrer Mutter hin ein weiteres Mal in Korea war, holte sie dasselbe Problem ihrer fehlenden Sprachkenntnisse und das mangelnde Verständnis ihrer Verwandten ein. Diese Abgrenzung verstärkt Mia zusätzlich, indem sie

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von ihrer Heimatverbundenheit zu Deutschland spricht:

„Das war auch ganz schrecklich ** also ich konnte halt fast gar nichts mehr. Ich konnte dann auch nicht schlecht Koreanisch reden. Ich habe es dann lieber gleich gelassen ((...)), weil, wenn man dann so wenig kann, schämt man sich auch bisschen dafür ((...)). Es war mehr oder weniger ein sprachloser Urlaub. Ich habe da kaum gesprochen und die haben das nicht so richtig verstanden. Ich hatte dann auch auf jeden Fall Heimweh nach Deutschland.“ #00:06:15-1#

6.1.4 Freundeskreis und koreanische Gemeinschaft Erfahrungen der Ausgrenzung durch die koreanische Gemeinschaft führten dazu, dass der „Rebell“ sich bewusst von Vertretern der koreanischen Kultur abgrenzt. Zugleich stellt das einen Versuch dar, Unterschiede zu der Umgebungskultur zu reduzieren und sich dort umso mehr ein Gefühl der Integration zu verschaffen. Die Fähigkeit zur Abgrenzung fördert ebenso das Gefühl von Eigenständigkeit, birgt jedoch auch das Risiko der sozialen Isolierung (Wenzler-Cremer 2005: 216). Dem können Solidarisierungen mit gleichgesinnten, ebenfalls sich von der koreanischen Gemeinde abgrenzenden 2se entgegenwirken. KASSANDRA hat sich vor allem aufgrund negativer Erfahrungen mit der koreanischen Gemeinde von dieser distanziert. Ihre Mutter war bemüht, sie in die koreanische Schule und Kirche einzubinden, aber besonders durch die dort erlebte Ausgrenzung von Intern-Bikulturellen führte das bei Kassandra zu einer gegenteiligen Haltung:

I.: „Hat das einen bestimmten Grund, dass du hier nichts mit Koreanern zu tun hast?“ #00:13:11-1# Kassandra: „Ich denke mal, da spielen verschiedene Sachen mit... Einerseits, dass meine Mutter mich halt zur koreanischen Schule gezwungen hat. Da hatte ich eh keinen Bock. Und zum anderen: Ich war in der koreanischen Kirche, und da wurde ich eine Zeit lang mal <Halb Kartoffel, halb Reiskorn> gerufen ((...)). Also ich war mit einer von denen ziemlich gut befreundet in der koreanischen Kirche. Und irgendwann ging das halt los, dass sie dann meinte, ich bin ja nicht ganze Koreanerin und ja nicht wirklich so anzuerkennen. Und dann ging schon echt ein Streit los, weshalb ich echt kein Bock mehr hatte, mit Koreanern zu tun zu haben ((...)). Und was ich auch nicht leiden konnte: Meine Mutter, die ist schon... was ja in koreanischen ,Community‘ schon bisschen verbreitet ist, vergleicht gerne und erzählt dann auch immer: <Hast du schon gehört? Die Koreanerin hat dies gemacht und die hat das gemacht> und ich habe nur gedacht: <Und was interessiert mich das?>. Und das ging mir so auf die Nerven.“ #00:13:26-1#

Umso mehr hielt sie aber an einer 2se-Freundin fest, mit der sie sich solidarisierte:

„Auch bei meiner Freundin, also meiner koreanischen, da haben die anderen über ihre Schwester hergezogen, weil sie die schulische Ausbildung nicht so gemacht hat, wie man sich das vorstellt. Und das hat uns beide damals auch sehr zusammengeschweißt, dass wir nichts mit dieser ,Community‘ zu tun haben wollten.“ #00:14:4-1#

HYOK hatte im Grundschulalter ein prägendes Erlebnis in der koreanischen Schule, so dass er sich danach von der koreanischen Kultur und seinen Vertretern stark distanzierte:

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I.: „Wie fandest du es an der koreanischen Schule?“ #00:02:04-1# Hyok: „Ähm schwierig. Also ich hatte paar gute Freunde dort, es war immer lustig. Ähm problematisch war eben, dass es nach der normalen Schule war. Also Nachmittag. Und es war halt auch sehr streng ((...)). Das Letzte, woran ich mich erinnern kann, ist, dass ähm meine Lehrerin irgendwie ähm die Köpfe zusammengestoßen hat mit dem Typen, mit dem ich geredet habe ((...)). Danach bin ich nicht mehr zur koreanischen Schule gegangen. Nachdem ich nicht mehr zur koreanischen Schule gegangen bin, war im Grunde ein harter ,Cut‘ mit der koreanischen Kultur. Also es hat sich bei mir mit der Zeit entwickelt, dass ich mich mehr und mehr von der koreanischen Kultur entfernt habe und damit auch von meinen koreanischen Freunden.“ #00:02:08-1#

Dieser Prozess sei mehr oder weniger unbewusst verlaufen, aber in diesem Zusammenhang erwähnt er auch den starken Einfluss seines Vaters:

„Mein Vater war dann auch mehr und mehr sehr kritisch gegenüber der koreanischen Kultur und auch nie ein Fan davon, und das hat mich wahrscheinlich auch stark beeinflusst.“ #00:04:54-1#

HANAs Erfahrungen der Ausgrenzung an der koreanischen Schule verstärkten ihre negative Haltung gegenüber Vertretern der koreanischen Kultur, was mittlerweile seit einigen Jahren jedoch nicht mehr so sei:

Hana: „Ich habe komischerweise jetzt, Gott sei Dank, keinen Groll mehr.“ #02:15:50# I.: „Warum hattest du denn so einen Groll?“ #02:16:10-2# Hana: „Weil ich die Kinder so doof fand, zu mir; weil ich mich da nie so integrieren konnte, in der koreanischen Schule. Da fing das eigentlich an. Und dann waren die immer so gut in der Schule; waren immer so vorbildlich und hatten immer ihre Kleidchen an; konnten immer alle irgendwie Klavier oder Geige spielen und hatten gute Noten und so. Aber ich war halt total anders. Die Eltern von den Kindern haben mich dann auch nicht so akzeptiert, weil ich dann schlechter Einfluss war für deren Kinder.“ #02.16.12-2#

Auch bei der Beerdigung ihres Vaters veranlassten sie die „total kühlen“ Koreaner dazu, diese als „Unmenschen“ anzusehen und sich somit stark von ihnen abzugrenzen. Das betont sie auch hier wieder mit emphatisierenden Adverbien:

„Ich war ja voll auf Kriegsfuß mit Koreanern ((...)). Ich habe ja Koreaner total als die Unmenschen gesehen, weil ich total sauer war, weil die irgendwie ** weil als mein Vater gestorben war, sind wir an dem Tag nach ((...)) gefahren... und dann kam ich zurück, und auf einmal waren so viel Koreaner in unserer Wohnung. Und ich so häh (?), voll fertig und am Heulen und so. Und dann kommt da so ein alter harabŏ... [harabŏji = Anrede für einen älteren Herren oder Großvater] so ein alter Koreaner und sagte, ich solle aufhören zu heulen und in die Küche gehen und meiner Mutter helfen ((...)). Ich habe die so schlimm gefunden, die Koreaner. Die haben überhaupt keine Emotionen oder Mitgefühl gezeigt. Die waren so total kühl. Ich war echt total genervt von denen.“ #00:26:30-2#  

MIA hatte so wie im Familien- und Verwandtenkreis auch im Freundeskreis keine Bezugspersonen, um zu einer Auseinandersetzung mit der Kultur und Sprache Koreas motiviert zu werden:

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„Ich hatte keinen Bock, die Sprache zu lernen ((...)). Es hat mich nicht interessiert, weil ich mit Leuten befreundet war, die nicht Koreanisch sprachen, und ich in dem Sinne die Sprache nicht brauchte.“ #00:01:00-1# „Das war keine bewusste Entscheidung, aber ich glaube, von den Eigenschaften her oder so fühle ich mich mehr zu [!] denen (Deutschen) verbunden.“ #01:07:55#

Erste Annäherungen an die in Hamburg lebende koreanische Gemeinschaft vor circa zehn Jahren scheiterten Mias Erachtens nach, da sie sich dort weniger als Individuum, sondern vielmehr als bloße Angehörige eines Kollektivs wahrgenommen fühlte:

„Als ich damals mal bei einem ,Halbkoreaner‘-Treffen gewesen bin, habe ich mich unwohl gefühlt, weil man dachte, dass man nur da ist, weil einen halt diese Kultur verbindet und nicht, weil man sich für die Leute interessiert.“ #01:07:13#

6.1.5 Erlebte Fremdwahrnehmung

Bis auf Hana, die ein „totaler Außenseiter“ war, hatten die meisten keine bis wenige beziehungsweise relativ unbedeutende Erfahrungen mit Hänseleien oder Diskriminierungen machen müssen. Hana selbst führt das auf ihre starke Persönlichkeit und zum Teil auch ihren Phänotyp zurück. Dadurch, dass der „Rebell“ sich zudem wenig mit Korea identifiziert, fühlt er sich ebenso wenig persönlich angegriffen von Diskriminierungen bezüglich seiner koreanischen Wurzeln. Der männliche „Rebell“ reagiert jedoch etwas aggressiver auf nationale Zuschreibungen von außen. TIM hat in der Grundschule keine Hänseleien erfahren müssen. Einmal wurde zwar auf der Straße ein diskriminierender Spruch zu ihm gesagt, aber er habe daraufhin „Du Scheiß-Nazi“ (#00:18:40#) zurückgerufen. Hierbei nutzte er eine radikale Reaktion, die er in dem Moment von seinem Vater übernommen hatte. Sein gleichzeitiges Lachen darüber zeigt aber zugleich, dass er sich selbst beziehungsweise seine Positionierung nicht ernst nimmt. HANA sei in der Schulzeit bezüglich ihres von der Mehrheitsgesellschaft abweichenden äußeren Erscheinungsbildes oft gehänselt worden. Das habe sie zu der Zeit allerdings „verdrängt“:

„Ich fand das schlimm. Ich war ja total der Außenseiter. Also wegen der Nase: <Bist du boxen gegangen?>. Solche blöden Sprüche. Das habe ich dann wahrscheinlich echt verdrängt und nie so aufgenommen. Aber ich wurde oft gehänselt.“ #01:52:42-2#

SARAH hatte in der Grundschule keine Hänseleien aufgrund ihres koreanischen Migrationshintergrundes erfahren müssen. Diesen Umstand führt sie auf ihren Phänotyp zurück, dem man die koreanische Abstammung nicht ansah:

„Ich sah aber auch nicht so doll (koreanisch) aus“ #01:47:30# Auf dem Gymnasium habe sie dann nur „höchstens im Streit“ mal „du Schlitzauge“ oder

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„du Koreanapse“ gehört (#01:44:52#). Aber durch ihre geringe Identifizierung mit Korea und aufgrund ihrer Position in der Klasse, die sie in dem Zusammenhang erwähnt, konnte sie damit sehr selbstbewusst umgehen:

„Ich habe schon eher mit den cooleren Leuten rumgehangen und auch mit cooleren Jungs. Ja und wenn jemand was gesagt hat, stand ich da echt drüber ((...)) und konnte sagen: <Ey, das sagst du doch nur, weil du echt gar nicht mehr weißt, was du sagen sollst> (lacht). Ich habe das überhaupt nicht ernst genommen.“ #01:46:03#

KASSANDRA hat in ihrer Schule ebenfalls keine Erfahrungen mit Hänseleien aufgrund ihres koreanischen Migrationshintergrundes machen müssen. Das führt sie darauf zurück, dass die meisten Schüler ebenfalls einen Migrationshintergrund hatten. Auf der Straße erlebe sie jedoch sehr häufig „mindestens einmal die Woche, wenn nicht täglich“ Sprüche wie „Ching chang chong“ (#00:25:33-1#):

„Der beste Spruch war mal von einem Typen: <Willst du mir eine Frühlingsrolle drehen?>. Ansonsten an der Schule gar nicht. Vielleicht auch weil ich mit zwei anderen Koreanern in einer Klasse war. Also es war nicht mehr so ganz unnormal. In unserer Klasse hatte sowieso mehr als die Hälfte einen Migrationshintergrund.“ #00:55:27-1#

Da Kassandra aufgrund ihres Phänotyps eine fraglose Zugehörigkeit zu Deutschland nicht ermöglicht wurde, wünschte sie sich „einfach mal deutsch“ zu sein. Dieser Wunsch könnte sie zusätzlich darin bestärkt haben, sich von der koreanischen Kultur abzugrenzen:

„Ich wollte früher gerne mal, ich sage mal, ,normal‘ sein... dass man nicht sieht... also ich wollte einfach mal deutsch sein. Und nicht erst den Mund aufmachen, um klarzustellen, ich kann deutsch.“ #01:00:03#

So findet sie es lästig, sich immer erklären zu müssen. Andererseits jedoch sieht sie darin auch Vorteile:

„Auch immer so dieselben Fragen, die man beantworten muss und immer so bisschen behandelt wird, als wenn man von einem anderen Stern kommt. So wie <Glaubst du an den Buddhismus?> Und ich so: <Ja, Buddhismus ist tatsächlich in Korea vertreten, aber nein, ich bin nicht buddhistisch>. Immer diese ganzen Erklärungen immer und immer wieder abzugeben ist nervig. Manchmal aber, wenn ich dann Bock habe auf ein Gespräch, ist es der Türöffner.“ #01:02:02# „Wenn man als Asiatin auf eine Party geht. Dann hat man ein Gesprächsthema.“ #00:56:55#

Mit gewissen Fremdzuschreibungen kann sie sich aber nicht abfinden, und zwar wenn die gegen ihren Vater gehen:

„Es gibt eine Sache, die fand ich bitter, die finde ich immer noch sehr bitter. Und zwar wenn ich alleine mit meinem Vater unterwegs bin. Das Vorurteil, was dann kommt, ist: ein Deutscher hat sich eine Asiatin gekauft. Das war was, womit ich nie klar kam, weil dieses Vorurteil nicht gegen mich geht, sondern gegen meinen Vater. Die heftigsten Erlebnisse waren beim Kinderamt, weil da wollten wir nach Kindergeld fragen. Und dann guckt mich die Beamtin an und meinte: <Wo * ist * denn * ihr * Kind?> ((...)). Meine Mutter hatte da draußen gewartet, weil sie keinen Bock hatte auf diesen Bürokratiekram, und so gut deutsch kann sie dann auch wieder nicht. Und da denkst du dann nur so: <Okay, mein Vater ist 40 Jahre älter als

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ich. Ähm schön, dass Sie das von meinem Vater...>. Und das hatte ich auch nochmal bei einer Hochzeit von einer Cousine von mir hier in Deutschland. Dass da eine zu mir kam und tatsächlich ziemlich direkt gefragt hat: <Ähm, ja entschuldigen Sie, also sind Sie jetzt die Frau oder die Tochter von ähm dem und dem?>“ #01:03:06-1# „Da habe ich auch früher, so als Pubertierende, wenn ich mit meinem Vater unterwegs war, habe ich mich bewusst kindlicher angezogen, damit es deutlicher wird, dass ich das Kind von meinem Vater bin. Weil ich nicht wollte, dass dieses Vorurteil rüberkommt. Und dann ist auch natürlich die Konstellation schlecht, dass im Koreanischen ŏmma ja ,Mutter‘ heißt und dann die Leute denken, das ist die Oma. Und ich dann schlussfolgernd bin dann wohl die Frau.“ #01:05:35#  

HYOK hat in seiner Kindheit „sehr selten“ Hänseleien (#00:36:13-2#) erlebt. Als Grund dafür sieht er seine starke Persönlichkeit:

„Ich glaube, das hat mit meiner Persönlichkeit zu tun, dass es auch nicht jeder gewagt hätte; ich war nicht der super Schüchterne, wo ich ein einfaches Opfer wäre.“ #00:36:15-2#

Er wiederholt jedoch mehrmals, dass er „ein Problem“ damit habe, wenn ihn jemand aufgrund seines (ost)asiatischen Aussehens „aus Ignoranz“ in einer anderen Sprache als koreanisch anspricht. Hierbei bezieht er zugleich Position für Korea, indem er es als legitim erachtet, auf koreanisch angesprochen zu werden:

„Ich habe Probleme, wenn Leute davon ausgehen, dass ich eine bestimmte Nationalität habe, indem sie <ni hao> [chinesisch für: „Hallo“] oder sonstiges sagen. Da reagiere ich super allergisch darauf ((...). Also entweder ignoriere ich es... Und wenn es zu weit treiben würde, würde ich auch ausrasten.“ #00:35:33# „Ich habe ein Problem, wenn Leute denken, nur weil du so und so aussiehst, dass sie glauben, dich so ansprechen zu können ((...)). Aus Ignoranz einfach auch. Wenn ein Koreaner mit mir auf koreanisch sprechen würde, dann wäre es ok, wenn er glaubt, dass ich Koreaner bin. Aber ich habe ein Problem, wenn mich Leute auf einer anderen Sprache als koreanisch versuchen anzusprechen, aus Ignoranz.“ #00:37:05#

MIAs distanzierte Haltung zu Korea verhalf ihr – wie bei Sarah – dazu, souverän mit Hänseleien bezüglich ihres koreanischen Aussehens umzugehen, da sie sich „insgesamt“ nicht mit Korea identifizierte und sich demensprechend nicht richtig angesprochen fühlte:

„Dieses <ching chang chong> halt immer so in der Grundschule. Kleinigkeiten. Das hat mich damals schon gestört, aber da ich mich selber halt gar nicht so sehr koreanisch fühlte insgesamt, konnte ich das auch gar nicht so ernst nehmen; nur weil ich äußerlich halt vielleicht so aussah.“ #01:14:00#

6.1.6 Relativierung der radikalen Abgrenzung Bei dem „Rebellen“ (vor allem dem weiblichen) war besonders auffällig zu beobachten, dass er mit fortschreitendem Alter dazu tendiert, seine Radikalität der Abgrenzung zur mütterlichen Herkunftskultur ein wenig lockern zu wollen. Mögliche Gründe dafür können das Bedürfnis nach mehr Ausgeglichenheit im steigendem Reife- und Selbstreflexionsprozess sein, und der Wunsch, ein harmonischeres Verhältnis zu den

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koreanischen Eltern(teilen) zu führen. Dieses gelingt ihnen derzeit dennoch nur bedingt, da bei ihnen familiäre Konflikte in Verbindung mit Korea anscheinend nachhaltig wirken. SARAH ist bemüht, sich mit der koreanischen Kultur (zum Beispiel durch einen koreanischen Kalligrafie-Kurs) auseinanderzusetzen und ihre Koreanisch-Sprachkenntnisse aufzubessern (#01:13:38#). HANA vollzog ebenso einen annähernden Schritt an die koreanische Kultur, nachdem ihr Vater vor einigen Jahren verstorben war, und sie über einen Aushang auf eine koreanische Buddhistin stieß (#00:26:20-2#). Die Kontaktaufnahme zu ihr sah Hana als Versöhnungsversuch mit ihrem negativ geprägten Bild von Korea, möglicherweise auch als Schaffung eines gewissen Mutterersatzes:

„Ich glaube, ich wollte einfach mal dem Koreanischen eine Chance geben. Ich wollte mich damit versöhnen.“ #01:11:20-2#

Die koreanische Buddhistin habe Hanas Intention, ihren „Groll“ (#02:17:30#) Koreanern gegenüber abzubauen, schließlich maßgeblich beeinflussen können. Aber auch einer 2se-Kommilitonin (Hyun-jae), der Hana zunächst versuchte explizit aus dem Weg zu gehen, näherte sie sich mit der Zeit, was gewissermaßen eine langsame Versöhnung mit Korea ermöglichte:

„Hyun-jae habe ich immer versucht aus dem Weg zu gehen, aber die hat sich so an mich rangehängt, die war so süß. Die wollte sich gerne mit mir befreunden, das hat man schon gemerkt.“ #02:18:20-2#

MIA distanzierte sich zwar in der Vergangenheit von ,Halbkoreaner‘-Treffen, sagt jetzt aber, dass „man“ es sich mal wieder angucken müsste. Mit dem indefiniten Personalpronomen „man“ verdeutlicht sie jedoch, dass es nicht unbedingt ihr persönlicher Wunsch ist, sondern vielmehr objektiv gesehen, allgemein vernünftig sei. Den Satz, dass es ihr persönliches „neues“ (Ziel) sein könnte, bringt sie auch nicht zu Ende, sondern kehrt wieder zurück zu dem distanzierten Personalpronomen:

„Man müsste einfach mal da hingehen. Wäre vielleicht mal ein Neues... ja müsste man mal machen.“ #01:06:36#

HYOKs Partnerinnen seien bislang eher deutsch gewesen. Die Eltern seiner letzten Freundin jedoch waren „asiatisch“ und lebten in Australien. Mit ihr fühlt er erstmals eine asiatische Verbundenheit, vor allem weil sie sich – wie er selbst – ebenfalls nicht der Herkunftskultur ihrer Eltern zugehörig fühlt:

„Ich fand es spannend, weil wir in relativ ähnlichen Situationen waren: Sie sich auch eher australisch fühlt als asiatisch, aber dann doch irgendwie asiatisch ist ((...)). Irgendwie hat man

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das Gefühl, man versteht sich besser. Also sie hat das Gefühl, dass ich sie insgesamt besser verstehe, wie Asiaten ticken sozusagen.“ #00:09:10-1#

TIMs Verhältnis zu seinem Vater sei etwas besser geworden, nachdem er bereits mit 18 Jahren aus dem Elternhaus auszog. In seiner Wohnung war dennoch augenscheinlich, dass er an seinen koreanischen Wurzeln festhalten will und ein zwiespältiges Verhältnis dazu hat. Hier zeigte sich ein gewisses Bedürfnis nach „Besonderheit“ bei Tims Wohnungseinrichtung, in der mehrere koreanische Souvenir-Gegenstände zu sehen waren. Tim äußert sich dazu jedoch geringschätzig:

Tim: „Das habe ich von meinem Papa genommen ((...)), weil es da nur rumstand.“ #00:36:17# I.: „Also, das findest du schön?“ #00:36:26# Tim: „Nö.“ #00:36:28# I.: „Warum hast du das dann mitgenommen?“ #00:36:29# Tim: „Weil es asiatisch ist... weil es koreanisch ist, habe ich es mir mitgenommen.“ #00:36:30#

KASSANDRA ist nach ihrer Schulzeit für ein Jahr nach Australien gegangen, wo sie viele Koreaner kennenlernte. Ab dem Zeitpunkt ist sie stetig bemüht ihre Koreanisch-Sprachkenntnisse aufzubessern und versucht auch mit ihrer Mutter koreanisch zu sprechen (#00:03:00-1#). 6.1.7 Zusammenfassung Dem „Rebellen“ wurde durch eine kulturell stark einseitige Erziehung oder auch eine (oftmals ökonomisch bedingte) geringere Präsenz seiner koreanischen Eltern(teile), der Aufbau einer intensiveren Bindung zu ihnen erschwert. Mehr noch führte das dazu, dass der „Rebell“ ein konfliktbehaftetes, distanziertes Verhältnis zu seinen koreanischen Eltern(teilen) entwickelte und daraus stellvertretend ein negatives Bild auf die koreanische Kultur projizierte. Das negative Verhältnis zur koreanischen Kultur wiederum war hinderlich für eine weitere Auseinandersetzung mit der koreanischen Sprache und deren Vertretern. Umso stärker fand meist eine Solidarisierung mit dem deutschen beziehungsweise in Deutschland besser integrierten koreanischen Elternteil statt. Fehlende Integrationsmöglichkeiten aufgrund mangelnder Koreanisch-Sprachkenntnisse und negative Erfahrungen mit Vertretern der koreanischen Kultur verstärkten dieses Spannungsverhältnis, so dass der „Rebell“ bewusst ein koreanisches Umfeld weitestgehend mied beziehungsweise von der Strategie „Sich Abgrenzen von der mütterlichen Herkunftskultur“ Gebrauch machte. Solange es dem „Rebellen“ an koreanischen Bezugspersonen fehlt, ist er nicht motiviert, sich mit der koreanischen Sprache und Kultur zu befassen. Hierbei zeigt sich besonders deutlich, wie vor allem

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außerfamiliäre Bezugspersonen dem „Rebellen“ einen positiveren beziehungsweise neutralen Zugang zur koreanischen Kultur und Sprache ermöglich können. Die Erfahrungen mit Fremdzuschreibungen sind bei dem „Rebellen“ im Vergleich zu den anderen Typen relativ variantenreich. Eine eher geringe Erfahrung mit Hänseleien und Rassismus war bei den meisten förderlich für das Zugehörigkeitsgefühl zur deutschen Kultur. Aber auch eine Identifizierung mit Merkmalen der deutschen Mehrheitsgesellschaft verhalf dem „Rebellen“ sich von Hänseleien oder Diskriminierungen aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes nicht persönlich angesprochen zu fühlen. Andererseits jedoch können viele und stets präsente Erlebnisse mit Fremdzuschreibungen auch dazu führen, sich erst recht „deutscher“ fühlen zu wollen.

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6.2 Der UNAUFFÄLLIGE Dem Typus der „Unauffällige“ sind vier Interviewpartner zuzuordnen: André, Dennis, Claire und Thomas. Der „Unauffällige“ setzt hauptsächlich die Strategie „Betonung der Normalität“ ein. Er nivelliert Unterschiede von sich und seiner Umgebungskultur und betont vielmehr die Gemeinsamkeiten mit ihr. Dennoch zeigt der „Unauffällige“ eine gewisse Ambivalenz gegenüber der Herkunftskultur seiner koreanischen Mutter und nutzt sie in bestimmten Situationen, um sich wiederum aus seinem soziokulturellen Umfeld positiv hervorzuheben. In solchen Momenten dominiert der Wunsch nach Einzigartigkeit, wofür die Strategie „Betonung der Besonderheit“ zum Tragen kommt. Das Wechseln zwischen den beiden Strategien drückt hierin auf unterschiedliche Weise den Wunsch nach Anerkennung und Zugehörigkeit aus (Wenzler-Cremer 2005: 167). Der „Unauffällige“ integriert insofern die koreanische und deutsche Kultur nach dem Modell „Vorspeise“ (ebd.: 218-221). In der vorliegenden Untersuchung ist der „Unauffällige“ ein ausschließlich unter den Intern-Bikulturellen verbreiteter Typus. 6.2.1 Kulturelle Identität Der „Unauffällige“ fühlt sich wie der „Rebell“ der deutschen Kultur stark zugehörig und ist dort fest verankert. Im Alltag spielt die Bikulturalität für diesen Typus somit kaum eine Rolle. Die Herkunftskultur seiner koreanischen Mutter nutzt er jedoch verstärkt als Ergänzung, die sein Leben bereichert, aber nicht essentiell und nur in beschränktem Maße vorzufinden ist. Die mütterliche Herkunftskultur, mit welcher der „Unauffällige“ meist wenig vertraut ist, kann für ihn zu einer Projektionsfläche für seine Wünsche und Sehnsüchte werden. Er neigt hierbei hin und wieder dazu, diese Kultur zu idealisieren (Vgl. Wenzler-Cremer 2005: 326 f.). ANDRÉ ordnet sich selbst als „100 Prozent Deutsch“ (#00:28.27-1#) ein, aber betont umso mehr, dass er sich emotional stärker mit Korea verbunden fühlt und von der deutschen Mehrheitsgesellschaft abheben möchte:

„Ich bin auf dem Papier deutsch, im Herzen mehr koreanisch, obwohl ich eigentlich keinen richtigen Bezug habe, also durch mangelnde Sprachfertigkeiten und so weiter ((...)). Ich habe das Gefühl, in mir sitzt so ein kleiner koreanischer Patriot, obwohl ich Deutscher bin ((...)). Ich bin schon stolz, dass ich diese koreanische Nationalität in mir habe.“ #00:28.44-1# „Ich bin nicht nur ,made in Germany‘, sondern auch ,made in Korea‘. Und das ,made in Korea‘ ist mir wichtiger. Ich stehe da mehr hinter als bei dem Deutschen.“ #02:28:40-1# „Ich habe mich immer innerlich gefreut, dass ich nicht zu diesem Einheitsbrei der Deutschen zugehöre, sondern dass ich noch so bisschen was Anderes mitbringe.“ #02:35:40-1#

In diesem Zusammenhang zeigt er auch einen Aufkleber der koreanischen Flagge auf

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seinem Handy. Das auffällig starke Bedürfnis der „Betonung der Besonderheit“ geht sogar so weit, dass er einen kostspieligen Antrag auf die Übernahme des koreanischen Nachnamens seiner Mutter stellen möchte und sich bereits ernsthaft mit der rechtlichen Lage diesbezüglich befasst hat:

„Mein langfristiges Ziel ist es, dass ich den koreanischen Namen meiner Mutter auch mit übernehmen will ((...)), weil ich es wichtig finde, diese koreanische Identität mitzunehmen ((...)). Also ich muss halt 300 Euro zahlen.“ #00:31:15-1#

Auf die Frage, ob André kulturelle Auseinandersetzungen gehabt habe, als er vor circa vier Jahren in Korea gewesen war, überlegt er fast eine Minute lang. Er ist sehr bemüht, seine kritische Haltung zurückzuhalten oder wohlwollend zu verharmlosen. Obwohl er einige kulturelle Gepflogenheiten in Korea „anstrengend“ fand, und sich dafür sogar verstellen musste, bedauert er, dass er „leider viel zu selten“ (#01:31:20-1#) in Korea sei, und kommt zu dem Ergebnis, sich ein Leben in Korea vorstellen zu können. Darüber hätte er auch einige Male nachgedacht, aber letztlich keinen ernsthaften Schritt in die Richtung gewagt, wofür er dementsprechend keine wirkliche Rechtfertigung liefert:

I.: „Hattest du keinerlei Probleme in Korea? So kulturelle Auseinandersetzungen? #01:26:45-1# André: „Also gegenüber Älteren und so: Hände auf den Rücken und so ne, ne, ne [Ja] einfach immer so fleißig <Ja> sagen, <ne, arassŏ> [Ja, ich habe verstanden] und bla ((...)). Also nach hinten hin würde ich kotzen, aber nach vorne hin... (lacht). Aber ich merke auch, wenn ich in Korea bin (seufzt), das ist... Ich bin nicht komplett Ich, wenn ich da bin. Und deswegen wird auch der Umgang mit Koreanern ((...)) auf die Dauer bisschen anstrengend, weil dieses... immer dieses * nicht auf den Punkt kommen, und von wegen immer * äh * nicht das sagen, was man meint * ähm, das ist halt anstrengend einfach.“ #01:29:24-1# I.: „Also du könntest dir nicht vorstellen, da zu leben?“ #01:30:27-1# André: „Ja, doch schon. Also ich bin ziemlich anpassungsfähig. Und ich bin auch in der Lage, in Situationen, wo ich denke „Oah, ich habe keinen Bock mehr oder so“, mich daran zu gewöhnen. ** Ich habe auch schon einige Male darüber nachgedacht, in Korea auch tatsächlich zu wohnen und zu arbeiten. Es hat sich nie bewahrheitet oder ich habe es nie umgesetzt.“ #01:30:30-1# I.: „Warum nicht?“ #01:30:56-1# André: „Das hat sich nie ergeben.“ #01:30:57-1#

CLAIRE hat keinen wirklichen Bezug zu Korea und fühlt sich dadurch auch Deutschland mehr verbunden:

I.: „Fühlst du dich Deutschland auch mehr verbunden und zugehörig?“ #01:08:55# Claire: „Ja, weil ich nicht so oft in Korea war beziehungsweise auch nicht zweisprachig aufgewachsen bin und jetzt nicht immer so viel Kontakt zu Koreanern hatte.“ #01:09:00#

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Wenn es aber darum geht, für eine Kultur konkret Position zu beziehen, hält sie sich zurück und bleibt unkritisch. In diesen Zusammenhängen habe ich sie immer explizit nach einer Wertung gefragt, weil von ihr keine kam. Daraufhin hat sie jedes Mal lange überlegen müssen, was ein Anzeichen dafür ist, dass sie in der Regel viele Dinge beobachtet und akzeptiert, ohne sie zu bewerten.

Claire: „Ich finde, Koreaner sind viel zurückhaltender am Anfang oder halt eher so * ja wie soll man das sagen? Höflicher, bisschen distanzierter vielleicht auch noch. Also nicht distanzierter in dem Sinne, dass sie nichts mit einem zu tun haben wollen, aber einfach so die ((...)) körperliche Distanz ((...)). Ich finde, wenn man so Deutsche und Koreaner miteinander vergleicht sind die Deutschen viel gröber als Koreaner von ihrem ganzen Verhalten her, viel lauter.“ #00:24:15# I.: „Und wie bewertest du das? Findest du das positiv oder negativ?“ #00:25:25# Claire: *** „Also ich finde beides jetzt nicht negativ und auch nicht positiv. Es ist halt einfach eine andere Kultur.“ #00:25:55#

Dass ihre Mutter sie in ihrer Kindheit zu einem koreanischen Fächertanzkurs schickte, beurteilt sie ebenfalls neutral:

„Ich fand das nicht besonders toll, aber auch nicht besonders schlecht.“ #00:53:09# Auch bei der Fußball-Weltmeisterschaft ist sie sowohl für Korea als auch für Deutschland gewesen, als die Mannschaften gegeneinander gespielt haben. Unabhängig davon, welche Mannschaft gewinnt, hätte sie sich für beide gleichermaßen gefreut (#00:39:22#). Gegen Ende des Interviews bezieht sie dann aber etwas kritischer Position gegenüber den „typisch koreanischen Mädels“ mit ihrem „Mädchenverhalten“ und kommt dann ein wenig ins Stottern, als sie ihre Toleranz demgegenüber äußern will:

„Die typisch koreanischen Mädels waren halt so * halt süß. ((...)). So bisschen Mädchenverhalten ((...)). Das mag ich nicht, aber ich * kann ** es akzeptieren beziehungsweise kann es vielleicht noch besser verstehen oder find es halt * ja ähh *** verstehen nicht aber * dadurch, dass ich halt weiß, dass in Korea die Kultur so ist irgendwie, dass ich das bei meiner Cousine auch mitgesehen habe, kann ich es, glaube ich... doch finde ich schon... also es ist jetzt nicht dieses typische Mädchen... Also dieses Unschuldige irgendwie so ein bisschen, dieses nicht trinken so.“ #01:18:09#

Da Claire sich allgemein aber wenig positioniert, um sich womöglich nicht gegen eine Kultur und damit gegen einen Elternteil zu wenden, macht sie – im Gegensatz zu den anderen „Unauffälligen“ – von der Strategie der „Betonung der Besonderheit“ wenig Gebrauch. In einigen Bereichen kann sie die jedoch nutzen, wo es in der Familie quasi akzeptiert ist. In ihrem Zimmer sind beispielsweise Buddha-Figuren und Kalligrafie-Bilder, die ihr ihre Mutter aus Korea mitgebracht hat, und das somit anders legitimiert, vor allem in Anbetracht dessen, dass ihre Mutter zum Buddhismus konvertiert ist (#00:57:24). Genauso selbstverständlich ist es für Claire, dass sie „nie in ein deutsches Restaurant

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gehen“ würde, und dass sie koreanisches Essen liebt, da ihre Mutter zu Hause auch immer koreanisch kocht. Hier positioniert sie sich das erste Mal eindeutig beziehungsweise „total“ gegen die deutsche Kultur:

„Deutsches Essen ist total furchtbar (lacht). ((...)) Also ich würde nie in ein deutsches Restaurant gehen ((...)). Das Koreanische ist echt schon so mein Lieblingsessen.“ #00:22:38#

THOMAS sieht es weder positiv noch negativ, deutsch-koreanische Wurzeln zu haben. Die kulturelle Zugehörigkeit spielt für ihn keine Rolle. Er betrachtet sich stets als neutraler Außenstehender, der sich nicht für eine Seite positioniert und kein „ausgeprägtes Nationalverständnis“ hat.

I.: „Siehst du es mehr als Bereicherung oder Belastung, mit zwei Kulturen aufgewachsen zu sein? #01:00:40# Thomas: „Ja, ich bin ja nicht wirklich mit zwei Kulturen aufgewachsen.“ #01:00:45# I.: „Oder dass du einen Migrationshintergrund hast?“ #01:01:02# Thomas: *** „Schwierige Frage ((...)) Ich bin froh, dass ich Ich bin ((...)). Wenn man so meine Freunde aus der Schulzeit fragt, war ich halt schon so recht individualistisch ((...)), hatte immer meinen eigenen Kopf. Und vielleicht ist das auch daraus gewachsen, dass ich mich selbst immer als ** Individuum oder einzig*artig gesehen habe, wie jeder andere Mensch natürlich auch einzigartig ist. Aber dass ich nicht so etwas hatte, wo ich sagen kann: <Ich bin HSV-Fan> oder <Ich bin Deutscher> oder <Ich bin Koreaner> ((...)). Ich hatte nie das Gefühl, ich kann irgendwo hingehen und sagen: <Ich gehöre hier völlig dazu; das ist das, was mich in meiner Persönlichkeit wirklich ausmacht> oder so. Deswegen habe ich mich immer von all dem entkoppelt gesehen.“ #01:01:03#

6.2.2 Familiäre Situation Der „Unauffällige“ zeichnet sich durch ein sehr friedfertiges, tolerantes und anpassungsfähiges Verhalten aus. Das ist vor allem in der Beziehung zu seinen Eltern förderlich und führt dementsprechend selten zu familiären oder kulturellen Konflikten. In Korea beziehungsweise bei seinen Verwandten dort war der „Unauffällige“, wenn überhaupt, nur einmal im Kleinkindalter. Im Erwachsenenalter entwickelt er jedoch ein Bedürfnis, seine Verwandten näher kennenzulernen und ist ihnen gegenüber positiv eingestellt. ANDRÉ hat ein sehr enges Verhältnis zu seinen Eltern: „Es könnte nicht herzlicher sein“ (#02:13:14-2#). Seine emotionale Verbundenheit zum Koreanischen und zu seinen Eltern wird auch dadurch deutlich, dass er seine Mutter, aber auch seinen deutschen Vater immer beim koreanischen Kosenamen für „Mama“ ŏmma und „Papa“ appa nennt. Eine enge familiäre Verbindung ist für André wichtig, wie seine Ausführungen zum Auszug aus dem Elternhaus zeigen:

I.: „Wie war das (der Auszug aus dem Elternhaus) für dich?“ #01:53:22-1#

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André: „Krass. Also schon ziemlich hart halt *** Äähh * Naja, das erste Mal halt von Zuhause weg, getrennt von den Eltern und so weiter. Und halt alleine irgendwo klarkommen. Ich bin schon ziemlich bemuttert aufgewachsen.“ #01:53:25-1# André: „Ich glaube, für mich war es aber nicht ganz so schrecklich wie für meine Eltern. Die sind ((...)) zurückgefahren, ohne ein Wort zu wechseln ((...)). Die waren einfach so mitgenommen.“ #02:11:46-1#

DENNIS’ Verhältnis zu seinen Eltern ist ebenfalls sehr vertraulich und konfliktfrei. Er betont, dass Familie für ihn eine „sehr große“ (#00:14:27-4#) Bedeutung habe und es „nie größere Probleme“ (#00:08:08-4#) gegeben habe. Auch seiner Verwandtschaft in Korea und Freunden seiner Eltern gegenüber ist Dennis sehr wohlgesonnen. In Korea war er einmal mit acht Jahren und zu Anfang seiner Studienzeit für ein Auslandssemester mit einem Koreanisch-Sprachkurs, wo er auch bei Bekannten wohnte. Es war für ihn eine „persönliche Herzensangelegenheit“ (#00:03:47-1#), die koreanische Sprache nochmal richtig zu lernen. Er genoss es auch, sich aufgrund seiner dortigen Teilnahme an einem Koreanisch-Sprachkurs mit seinen Verwandten unterhalten zu können:

„Ich habe eine Riesenverwandtschaft dort ((...)). Es war schön, da mal ein halbes Jahr zu sein und mal alle richtig kennenzulernen und sich mit denen ordentlich zu unterhalten, weil ich ja jeden Tag diesen Sprachkurs besucht habe ((...)) und es dann schon ganz gut wurde mit der Sprache.“ #00:04:45-1#

Mit seiner Freundin ist Dennis nach seinem Studium ein weiteres Mal nach Korea geflogen und hat mit ihr bei seinen Verwandten und Bekannten gewohnt. Die Korea-Aufenthalte blieben ihm besonders in Verbindung mit der Verwandtschaft positiv in Erinnerung:

„Alle mega herzlich, die Familien ((...)). Alle laden dich immer ein. Dann geht es dann in den Park und in irgendwelche Freizeitparks. Gibt immer leckeres Essen. Und alle sind immer lieb und nett.“ #00:07.15-1#

An negativen Eindrücken nennt er nur allgemein, dass die Hauptstadt Seoul „sehr stressig, laut und voll“ (#00:07:40#) sei. CLAIRE hatte schon immer ein gutes, konfliktfreies und enges Verhältnis zu ihren Eltern und auch zu ihrem jüngeren Bruder war das Verhältnis immer „richtig gut“ (#00:30:33#). Die Familie nennt sie auch als Hauptgrund, warum sie nicht in Korea leben wolle, da sie dann „weit weg“ (#00:28:39#) von ihr wäre. Claire hatte innerhalb der Familie keine kulturellen Differenzen, weil sie ihre Situation stets als „normal“ und damit akzeptabel empfunden hat:

Claire: „Kulturelle Differenzen gab es nicht, weil ich halt so aufgewachsen bin ** also mit deutscher und koreanischer Kultur.“ #01:11:36# I.: „Ja, was sind so koreanische Sachen, die dir deine Mutter mitgegeben hat oder so

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widerspiegelt in ihren Verhaltensweisen?“ #01:11:44# Claire: „Ich kann das gar nicht so genau sagen, weil das für mich so normal ist, wie sie ist.“ #01:11:58#

Die koreanische Kultur scheint aber auch nicht sehr präsent gewesen zu sein in der Erziehung ihrer Mutter. So pflegte diese keinen Kontakt zur koreanischen Kirchengemeinde, gedachte keiner koreanischen Feste oder Feiertage und brachte ihrer Tochter nicht das Essen mit Stäbchen bei (#00:09:28#). In Korea war Claire bislang nur einmal, vor einigen Jahren mit ihrem Bruder. Anpassungsprobleme hatte sie dort nicht und wiederholt mehrmals, wie schön sie es da fand, vor allem weil sie dann auch ihre Familie kennenlernen konnte:

„Wir hatten beide Zeit und wollten irgendwie Urlaub machen und dachten, dass wir auf jeden Fall auch nochmal nach Korea wollten ((...)) und dann haben wir unsere Familie besucht ((...)). Es war richtig schön. Auch einfach die Familie kennenzulernen, weil wir kannten nur eine Cousine beziehungsweise eine Tante und deren Kinder weil die halt öfter in Deutschland waren, aber die anderen kannten wir halt gar nicht. Und das war echt schön ((...)). Es war echt echt positiv, auch von den Menschen her dort: alle total freundlich.“ #00:16:57#

THOMAS betrachtet vieles aus der distanzierten Beobachterposition, was ihn bereits bei Familienkonflikten in die Rolle des „Vermittlers“ drängte:

„Bis zum Abitur hin habe ich mich eher abgekapselt aus dem Ganzen, aus der Familiensache. Und dann irgendwann ist das tatsächlich gekippt: Dann war ich der Familie näher als meine Schwester; deutlich näher ((...)). Dann hatte mein Vater öfter Streit mit meiner Schwester und ich war immer der Vermittler.“ #00:41:50#

Gelegentliche Differenzen mit dem Verhalten seiner Mutter hat er nicht als kulturelle Differenzen identifiziert, bis er in Korea dieselben Muster erkannte. Obwohl er das Verhalten seiner Mutter in dieser Hinsicht vorher nicht richtig verstehen konnte, hält er sich auch hier mit seiner Kritik zurück, indem er seinen Satz, als er vermutlich „genervt“ sagen wollte, nicht zu Ende bringt und dann aber von Verständnis spricht:

„Wenn sich Koreaner unterhalten, ist es öfter so, dass sie eine Aussage sofort wieder als Frage nachfragen. Zum Beispiel: <Ich gehe jetzt ins Kino> und dann fragt der andere: <Ach, du gehst jetzt ins Kino?>. <Ja, ich gehe jetzt ins Kino>. So wird sich dann bisschen unterhalten in Korea. Und ähm das macht sie halt auch im Deutschen so. Das habe ich nie verstanden. Das hat meine Schwester auch ziemlich auf die Palme gebracht, weil sie der Meinung war, dass sie nie zuhört und einfach nur Smalltalk führt, um rumzuquatschen. Und ich war auch ab und zu ... (stöhnt) es ist schon anstrengend, aber ich habe das verstanden. Aber ich habe das nie als etwas typisch Koreanisches identifizieren können, weil ich es ja vorher nie kannte und ich habe immer gedacht, das wäre der Charakterzug meiner Mutter.“ #00:50:41#

In Korea war Thomas im Alter von sechs Jahren, woran er aber keine Erinnerungen mehr habe (#00:07:00#). Dass er dann kein Bedürfnis hatte, Korea noch einmal zu besuchen, führt er nicht weiter aus. Nachdem ihm seine Schwester von den koreanischen Verwandten vorschwärmte und seine Mutter ihn bat, nach Korea zu fliegen, weil es der Großmutter

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nicht so gut ging, besuchte er im Jahre 2011 Korea:

„Eigentlich hatte ich so bis 2010 noch gar kein Interesse daran (Korea zu besuchen) gehabt. Und dann ist meine Schwester mitgefahren und hatte halt Fotos gezeigt und ähm * davon geschwärmt, wie schön es da war und so ((...)); vor allem mit der Familie: Dass man da hinkommt und wird wirklich empfangen, als wäre man kein Fremder, sondern würde dazu gehören.“ #00:06:08# „Dann hat meine Mutter eher darauf gedrängt, dass ich mitkomme, also 2011 ((...)) wegen meiner Oma ((...)) und ähm dann hatte ich da auch eigentlich nie so Lust gehabt, aber habe dann zugesagt und bin mitgegangen und ich fand es halt wirklich witzig.“ #00:07:09#

Mit seinen Verwandten in Korea konnte er sich weitestgehend auf Englisch unterhalten, aber war trotz seiner geringen Koreanisch-Sprachkenntnisse bemüht, vereinzelt koreanisch zu sprechen:

„Ich habe da Cousins und Cousinen in meinem Alter und die sprechen auch ja ** bisschen holprig aber fließend Englisch... da haben wir uns schon verständigen können. Und ein Onkel kann auch ganz gut Englisch ((...)). Ich habe auch versucht, schon vom ersten Tag an, mich mit einzelnen Wörtern einfach durchzuschlagen auf koreanisch und bisschen zu kommunizieren.“ #00:07:48#

Da es ihm dort so gut gefiel, ist er in den letzten zwei Jahren für jeweils zwei Wochen nach Korea geflogen:

„Da habe ich im Prinzip zum ersten Mal bewusst meine koreanische Familie kennengelernt ((...)). Und ähm * ich fand das halt sehr nett da, sehr herzlich; also von der Familienseite aus. Und deswegen bin ich nochmal 2012 und 2013 hin.“ #00:04:56#

Allerdings spricht er auch von einem „kleinen Kulturschock“ bezüglich der „Gastfreundschaft“ seines Onkels. In seiner Kritik äußert er sich dann jedoch sehr vorsichtig und diplomatisch zurückhaltend, so dass er bei Beurteilungen über seinen Onkel immer kurz stoppt, um wohlwollende neutrale Beschreibungen dafür zu finden. Anschließend erläutert er auch immer relativierend seinen subjektiven Eindruck durch die Darstellung der Gegenperspektive und bringt viel Verständnis und Harmoniebedürftigkeit auf:

„Ich muss sagen, 2011 war schon kleiner Kulturschock ähm * wie ich mit der ** Gastfreundschaft meines Onkels ähm * zurecht kommen musste. Aber ich glaube, das ist eher eine Charaktersache gewesen, sehr individuell und nicht zu verallgemeinern für ganz Korea oder so. Er ist halt so ein bisschen älter, wie meine Mutter vielleicht, so Mitte 50, 60, und das ist eine ganz andere Generation. Und er hatte alles sehr durchgeplant gehabt und schon eine richtige Tour für uns vorbereitet, für die ganzen zwei Wochen, die wir da waren. Das fand ich schon sehr ähm... ja * sehr viel dann tatsächlich. Auch dass man dem Gast nicht wirklich Optionen lässt, etwas anders zu entscheiden ((...)). Aber er wollte halt natürlich Korea in einem guten Licht präsentieren. Und wir haben es irgendwie noch geschafft, einen Kompromiss zu finden.“ #00:20:18#

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6.2.3 Sprachbildung Die koreanischen Mütter der „Unauffälligen“ bemühten sich anfangs oft, ihren Kindern die koreanische Sprache nahezubringen, doch dieses erfolgte nicht konsequent. Mit zunehmendem Alter nahm dann ihr Einfluss auf die Kinder ab, und die Umgebungskultur gewann an Bedeutung. Die inkonsequente Spracherziehung spiegelt sich auch bei dem „Unauffälligen“ wider, wenn es darum geht, seine derzeitigen Koreanisch-Sprachkenntnisse zu verbessern. ANDRÉs Mutter hat öfter koreanisch mit ihm gesprochen, aber „auch nicht immer ganz so konsequent“ (#00:00:30-1#). André antwortete immer auf deutsch, denn es war ihm „zu anstrengend, immer umdenken zu müssen“ (#00:02:55-1#). Er ist zwar – im Vergleich zu den meisten anderen Interviewten – ungewöhnlich lange über einen Zeitraum von zehn Jahren zur koreanischen Schule gegangen, da er zu der Zeit aber andere Interessen hatte, war das womöglich wenig effektiv:

„Ich habe es nicht so toll gefunden, weil es war Schule, das war generell nicht so mein... das ‘Nonplusultra’. Und dann stand bei mir eigentlich freitags immer Sport auf dem Programm ((...)). Und das kam dem halt in die Quere.“ #00:01:53-1#

Außerdem fehlte es ihm an einem Bezug zur koreanischen Sprache, was er allerdings erst in einem anderen Zusammenhang im späteren Verlauf des Interviews erwähnt:

„Als ich in der koreanischen Schule war und die ganzen Kinder von nuna [Anrede von einem jüngeren Mann zu einer älteren Frau oder Schwester] und hyŏng [Anrede von einem jüngeren Mann zu einem älteren Mann oder Bruder] und so was... Also die haben halt solche Ausdrücke immer genommen, um halt sich... was weiß ich, gegenseitig anzusprechen ((...)). Meine Nähe zu dieser Sprache war so fern ((...)) so nicht vorhanden, dass diese Begriffe mich nicht angesprochen haben und ich mich deswegen sogar zum Teil distanziert habe, weil ich damit nichts anfangen konnte ((...)). Kleine Kinder sind zu mir gekommen und haben gesagt <Hey hyŏng kannst du das und das machen?> Und ich hatte gedacht: <Wieso nennst du mich nicht André? Ich heiße André, hallo> (lacht).“ #00:25:50-1#

Dennoch formuliert er rückblickend eine wohlwollende Erinnerung an die koreanische Schule:

„Es war eine sehr bereichernde Zeit, auf jeden Fall und ich verdanke dieser Zeit auch, dass ich so ein ((...)) gewisses Grundwissen in der Sprache habe.“ #00:01:22-1#

Mit einer Verbesserung seines bisherigen Koreanisch-Sprachniveaus, das er an anderer Stelle jedoch als „fast nicht erwähnenswert“ (#00:07:04#) einstuft, befasst er sich nicht ernsthaft. Stattdessen macht er in diesem Zusammenhang von der Strategie „Universalisierung“ Gebrauch, indem er sich lieber auf die englische Sprache fokussiert:

„Ich habe * so ein allgemeines Interesse an Sprachen, aber * ähm da befasse ich mich momentan eher mit Englisch oder so, weil ich bin da halt fortgeschrittener und kann es fast fließend. ** Und koreanisch nur immer mal wieder. Wenn ich irgendwo hingehe, wie jetzt zum Beispiel ((...)); ich habe meine Lernhefte (für koreanisch) mitgenommen, aber die liegen immer noch im Koffer (lacht).“ #00:07:30#

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DENNIS hatte einen ungewöhnlich frühen Zugang zur koreanischen Sprache, der ihn auch sicherlich in seinem souveränen Umgang mit der Bikulturalität positiv beeinflusst hat. Er konnte Koreanisch lesen und schreiben bevor er in der Grundschule Deutsch lesen und schreiben lernte (#00:00:26-1#). Mit der Zeit nahm dann aber die deutsche Sprache vor allem auch seitens seiner Mutter mehr Raum ein. Um einen koreanischen Film verstehen zu können, würden seine jetzigen Koreanisch-Sprachkenntnisse nicht mehr ausreichen. Seine Fähigkeiten im Sprechen ordnet er noch niedriger ein, im Bereich 3 bis 4 (auf einer Skala von 1 bis 10) (#16:28:00-2#). Zur koreanischen Schule ist Dennis circa ein Jahr lang gegangen. Dort fühlte er sich jedoch unwohl. Seine Kritik drückt er diesbezüglich allgemein und weitestgehend zurückhaltend aus, indem er zweimal erwähnt, dass es mittlerweile bestimmt nicht mehr so sei und anschließend auf externe Gründe abschweift:

„Es hat mir nicht so gut gefallen da ((...)). Ich weiß nicht wie es jetzt ist, aber damals war es halt so... Es waren sehr autoritäre Lehrer und so eine komische Stimmung dort. Mittlerweile ist bestimmt auch alles anders. Aber damals war es schon so. Ja, und das war auch immer eine Stunde weg von uns ((...)). Freitag nachmittags noch, wo man eh schon so viel Musik, Sport und so gemacht hat.“ #00:01:43-1#

CLAIRE bedauert es, dass sie „leider nicht“ (#00:06:34#) zweisprachig erzogen worden ist. Ihre Mutter hat immer deutsch mit ihr geredet (#00:06:45#). Während der Grundschulzeit hat Claire zwar ein paar Jahre lang die koreanische Schule besucht, es dort aber „gehasst“, weil sie sprachlich keinen Anschluss finden konnte:

„Ich habe es gehasst (lacht). Mein Bruder und ich haben es gehasst, weil wir überhaupt nichts verstanden haben. Es wurde ja nur auf koreanisch geredet.“ #00:07:10#

Ihre Koreanisch-Sprachkenntnisse stuft sie dementsprechend als äußert gering ein:

I.: Wie würdest du deine Koreanischkenntnisse einordnen auf einer Skala von eins bis zehn, also zehn ist perfekt?“ #00:07:50# Claire: „Eins (?) (lacht). Voll traurig. Also Sprechen ist so gut wie gar nicht und Verstehen bisschen besser als Sprechen aber auch fast nichts. Lesen und Schreiben kann ich. Also ich kann nur das Alphabet.“ #00:08:13#

Der Wille, ihre Koreanisch-Sprachkenntnisse aufzubessern, ist zwar vorhanden, weswegen sie sich vor vier Jahren Koreanisch-Lernbücher gekauft hat, aber damit hat sie sich noch nicht weiter befasst:

„Ich habe mir auch so Selbstlernbücher gekauft, aber irgendwie habe ich nie so die Ruhe oder Zeit gefunden.“ #00:09:05#

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THOMAS könnte sich nicht vorstellen, in Korea oder einem anderen Land außer Deutschland zu leben, da er sich vor allem auch aufgrund seiner Sprachkenntnisse „vorwiegend“ als Deutscher sieht:

„Ich sehe mich schon vorwiegend als deutschen Menschen ((...)). Alleine schon aufgrund der Sprache und wie ich aufgewachsen bin und wie ich denke und so.“ #00:53:18#

6.2.4 Freundeskreis und koreanische Gemeinschaft

Der Freundeskreis des „Unauffälligen“ entsteht in seinem unmittelbaren Lebensumfeld, so dass er selten Freundschaften zu anderen Menschen mit Migrationshintergrund pflegt. Da die meisten deutsch-koreanischen Ehepaare in Hamburg stark miteinander vernetzt sind, stehen deren Kinder zwar oft auch lose miteinander in Kontakt, aber sie unternehmen wenig zusammen. Von den Kindern koreanischer Ehepaare grenzen sie sich stärker ab, da ihnen oftmals der „Bezug“ fehlt, um „Anschluss“ zu finden. ANDRÉ hatte immer überwiegend deutsche Freunde und zu anderen 2se „keinen Draht“:

„Ich hatte nie wirklich einen Kontakt zu koreanischen Kindern ((...)). Ich hatte einfach keinen Draht zu denen. Die hatten ihren Freundeskreis und ich meinen ((...)). Aber auch mir hat das Interesse da einfach gefehlt, irgendwie * weiß nicht. Ich hatte genug Freunde in meiner deutschen Schule. Und nur, weil das jetzt Koreaner waren, das war mir egal.“ #00:11:27-1#

Kulturelle Veranstaltungen von dem Verein „2saeNetwork“ hatte er sich angesehen, aber auch da keinen Bezug zu den Leuten finden können:

„Ich habe auch da nie so richtig Anschluss gefunden ((...)). Früher glaube ich, habe ich mich da nicht so ganz wohl gefühlt ((...)). Ich hatte einfach keinen Bezug dazu.“ #00:16:24-2#

Erst als Andrés Mutter ihn mit 16 Jahren in eine Kirchengemeinde der 2se schickte, fing André an, seine koreanische Identität mehr zu betonen. Außerhalb der Gemeinde hat er mit den 2se aber nicht weiter zu tun (#00:27.00-1#):

„Meine Mutter wollte mich immer gerne in Kontakt mit Koreanern bringen ((...)). Das ist so die Zeit gewesen, in der mein Bewusstsein für die koreanische Nationalität oder meine koreanischen Wurzeln * ähm immer intensiver geworden ist.“ #00:25.26-1#

DENNIS hingegen hatte über seine Mutter von früh auf viel Kontakt zu anderen Kindern deutsch-koreanischer Ehepaare und ist dadurch etwas stärker als die anderen „Unauffälligen“ in koreanische Netzwerke eingebunden gewesen. Sowohl über die koreanische Kirchengemeinde, zu der er bis zum Ende seiner Schulzeit beziehungsweise seines Auszugs aus Hamburg fast regelmäßig „wegen den Leuten“ (#00:13:01-1#) hingegangen ist, als auch durch die aktive Mitgliedschaft in einem Chor für deutsch-koreanische Familien und einer koreanischen Trommelgruppe habe er viele Kinder deutsch-koreanischer Ehepaare kennengelernt. Zu seinem engeren Freundeskreis zählt er

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allerdings nur einen davon (#00:00:34-2#). Über seine Familie hatte er somit eher mit den Kindern deutsch-koreanischer Ehepaare Kontakt als mit denen, koreanisch-koreanischer Ehepaare:

„Ich war nie so richtig in der 2se-Community drinnen in Hamburg ähm auch weil ich seit dem Abi gar nicht mehr in Hamburg bin. Also auch diese 2se-Parties zwischen Weihnachten und Neujahr, da war ich vielleicht einmal und nie... weil ich da auch keinen Bezug mehr richtig zu habe ((...)). Mit den Halbkoreanern schon so ein bisschen mehr, weil da halt meine Brüder mit denen ganz gut befreundet sind und wir halt Weihnachten und Ostern mit den Familien zusammen feiern.“ #00:14:50-1#

Die meisten Freunde hatte er über die Schule, „vor allem Deutsche“ (#00:03:42-2#), gehabt, da es dort auch „nicht so multikulti“ (#00:03:44-2#) gewesen sei. Dasselbe gelte auch für die Zeit während seines Studiums. CLAIREs engster Freundeskreis besteht hauptsächlich aus Deutschen und Spaniern, da sie seit einem Jahr in Spanien lebt (#01:16:16#). Mit der koreanischen Gemeinschaft in Hamburg hat sie nichts zu tun. Die koreanische Kirchengemeinde hat sie nie besucht und auch von dem Verein „2saeNetwork“ oder Treffen der Kinder deutsch-koreanischer Ehepaare hatte sie noch nie gehört (#01:05:15#). Als ich ihr von dem Netzwerk erzählte, schämt sie sich sogar ein wenig dafür, davon bislang nichts gehört zu haben, da sie glaubt, damit ein Ausnahmefall zu sein:

Claire: „Ich bin da überhaupt nicht drin (lacht). Oh Gott, voll schlimm.“ #01:05:33# I.: „Wieso findest du das schlimm?“ #01:05:35# Claire: „Weil da viele bestimmt schon drin sind oder? Und weil ich es einfach überhaupt nicht kenne.“ #01:05:38#

THOMAS hat einige „Halbkoreaner“ als Freunde, die er fast wie Familienmitglieder sehe, da er so vertraut mit denen sei, aber nicht regelmäßig etwas mit ihnen unternehme wie mit seinen deutschen Freunden. Zugleich erwähnt er auch seine unparteiische Haltung, dass seine „halbkoreanischen“ Freunde gegenüber seinen deutschen besten Freunden „keinen Bonus“ hätten, nur weil er sie länger kenne (#00:19:05#):

„Die kenne ich, seit ich geboren bin. Es hat schon mal ein anderer Halbkoreaner ((...)) so formuliert, dass wir irgendwie alle Cousins und Cousinen sind. Das hat schon was Familiäres irgendwo. So sehe ich das halt auch. Wir haben uns natürlich nicht so oft gesehen wie ich meine deutschen Freunde ((...)). Aber wenn wir uns sehen, wir treffen uns mit einigen Leuten auch nur sehr selten, und trotzdem ist es immer wie früher.“ #00:17:30#

Der Kontakt zu „Halbkoreanern“ ist wie bei Dennis auch durch seine Eltern initiiert, die mit vielen Eltern anderer Halbkoreaner eng befreundet sind:

„Wir haben damals einen ziemlich engen Kreis gehabt von halbkoreanischen Leuten ((...)) über unsere Eltern. Die deutschen Väter und die koreanischen Mütter ((...)) hatten wirklich alle engen Kontakt miteinander.“ #00:11:23#

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6.2.5 Erlebte Fremdwahrnehmung Wenn das kulturelle Zugehörigkeitsgefühl des „Unauffälligen“ über die erlebte Fremdwahrnehmung angezweifelt wird, wird für ihn eine höhere Anpassungsleistung zwischen Innen- und Außenperspektive erforderlich. Der Einsatz der Strategie „Betonung der Besonderheit“ kann hierbei dazu dienen, ausgrenzende Erfahrungen zu kompensieren und das eigene Selbstwertgefühl nicht zu kränken (Wenzler-Cremer 2005: 148f.). ANDRÉ hatte in Deutschland einige prägende Diskriminierungserfahrungen, aber behauptet, dass er das nie „kompensieren musste“ (#00:42:14#). Auffällig ist dennoch sein selbstironischer Umgang damit:

„Früher ((...)) als kleiner Bengel, da ((...)) äh (lacht) hat man gesehen, dass ich Reisfresser bin ((...)) und äh ich weiß noch, da war ich in der fünften oder sechsten Klasse und ((...)) wir haben über Rassen gesprochen im Unterricht und dann hat irgendjemand gesagt: <Ja wir sind Weiße und André ist Gelber>. Dann war ich kurz davor am Heulen ((...)). Das war ein Hammerschlag. Und das Schlimme dann war: Ich habe noch gegen die Tränen angekämpft, aber dann hat das Mädel neben mir, die ja so sensibel war, gesagt, so ganz laut: <Oh guckt mal, André heult>. Aber ich habe mich davon schnell wieder erholt ((...)). Aber wie du merkst: Ich weiß es noch.“ #00:39:54-1#

André macht sich damit gewissermaßen schwerer angreifbar, indem er rassistische Äußerungen wie „Reisfresser“ anderen vorwegnimmt beziehungsweise sich von außen betrachtet und die Fremdbezeichnung in seine Selbstbezeichnung übernimmt. „Früher hat man gesehen, dass ich ein Reisfresser bin“, erklärt er rückblickend und impliziert damit, dass er von außen so bezeichnet wurde, das nun aber zugleich aus der Distanz betrachtet. Das fällt ihm vermutlich vor allem dadurch leichter, dass man es ihm äußerlich nicht mehr ansehe. Sarte (1948: 177f.) äußerte ähnliche Überlegungen. Er erklärte die besonderen Eigenschaften des jüdischen Humors als einen oftmals gegen sich selbst gerichteten Humor, bei dem es darum geht, sich von außen, durch die Augen des anderen zu betrachten. Dadurch fühlt man sich von sich selbst losgelöst als jemand anderes: einen reinen Beobachter. André scheint das Gefühl, seine koreanischen Wurzeln verteidigen zu müssen, dementsprechend noch in sich zu tragen. Dass er für Korea „parteiergreifend“ sei, formuliert er in dem Zusammenhang zunächst im Präsens und wechselt dann aber in das abgeschlossene Präteritum:

„Ich bin bisschen parteiergreifend gegenüber Korea. Das war ich früher mal, dass ich Korea immer so verteidigt habe, wenn jemand das Land angegriffen hat, weil ich das Gefühl hatte, ich müsste meine Herkunft irgendwie verteidigen. Aber das hat sich mittlerweile auch gegeben.“ #02:30:40#

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Auch seine Freunde necken ihn mit ähnlichen Sprüchen, aber André nutzt seinen damit verbundenen Sonderstatus für sich:

„Freunde von mir nennen mich immer liebevoll <gelber Sack>, in Anlehnung an die gelben Säcke, die man immer rausbringt ((...)). Mittlerweile muss ich ganz ehrlich sagen, ich bin innerhalb einer Gruppe meistens derjenige, der sich damit selber aufzieht: <Alles auf die Quotenausländer oder so was>.“ #00:42:28#

Mehr noch würde André bei sich auch äußerlich seine koreanischen Wurzeln gerne eindeutiger ersichtlich haben. In diesem Zusammenhang gesteht er ein, dass er vor allem nach außen hin seine koreanischen Wurzeln betont, sich persönlich jedoch nicht tiefer gehend mit Korea befasst:

„Wenn ich es mir aussuchen könnte, hätte ich jetzt auch heute noch lieber so paar ** asiatischere Züge ((...)). Dieser Stolz ist langsam aber stetig mit dem Alter gekommen. Also dieses Nationalbewusstsein könnte man fast schon sagen. Ich muss dazu sagen, ich kenne mich mit Südkorea allgemein relativ wenig aus, auch politisch und so ((...)).“ #00:44:50#

DENNIS erzählt von einer diskriminierenden Erfahrung während seiner Grundschulzeit, verharmlost dieses aber, da es „einmalig“ gewesen sei. Das wiederum betont er drei Mal:

„Einmal auf dem Schulhof in der Grundschule, so in der zweiten der dritten Klasse glaube ich, einmal. Aber das war auch nur von irgendwelchen Älteren... also das war so eine Grund-, Haupt-, und Realschule und irgendwelche Älteren haben in der Pause mal ein, zwei dumme Sprüche... Irgendwie war da mal was, was mich auch bisschen gestört hat, aber ja das war wirklich einmalig.“ (#00:27:35-4#). „Es war einfach so <oh wie blöd>, hat sich dumm angefühlt, aber mehr auch nicht.“ #00:29:45-4#

Ansonsten ist er der Fremdwahrnehmung sehr positiv gegenübergestellt und findet es schön, wenn er hin und wieder aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes von anderen nach seinen „asiatischen Wurzeln“ (#00:04:33-3#) gefragt werde und davon erzählen kann:

„Wenn man ((...)) Leute noch nicht so gut kennt, ist das auf jeden Fall immer so ein Thema. Ach, erzähle ich auch gerne. Ich finde es auch spannend.“ #00:04:567-3# „Es ist ein schönes Gesprächsthema. Macht mich auch interessanter ((...)). Das verbindet ja auch, dass man was Persönliches austauscht und nicht nur über Fußball und das Wetter redet.“ #00:38.55-4#

CLAIRE hat in Deutschland nie die Erfahrung machen müssen nach ihrer Herkunft gefragt zu werden, was sie dementsprechend als „normal“ (#00:12:24#) empfindet. „Früher“ jedoch hätte sie es besser gefunden, wenn man ihr ihre koreanischen Wurzeln nicht angesehen hätte (#01:10:24#), weil sie da „nicht immer, aber von manchen Leuten“ (#00:46:30#) gehänselt wurde. In diesen Aussagen wird umso mehr ihr Wille deutlich, möglichst nicht aufzufallen und in der deutschen Mehrheitsgesellschaft integriert zu sein.

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THOMAS hatte in der kompletten Schulzeit keine Erfahrungen mit Hänseleien aufgrund seiner koreanischen Wurzeln machen müssen (#00:58:00#). 6.2.6 Zusammenfassung Der Typus der „Unauffällige“ besteht in der vorliegenden Auswertung ausschließlich aus Intern-Bikulturellen. Er ist in sein deutsches Umfeld fest verankert und in der Erziehung seiner Eltern mit der koreanischen Kultur und Sprache nicht ausreichend vertraut gemacht worden. Insofern ist die koreanische Kultur in seinem Alltag wenig präsent und sein unmittelbarer Freundeskreis besteht aus „Deutschen“. Sofern seine Eltern mit anderen deutsch-koreanischen Ehepaaren befreundet sind, hat er zwar auch Kontakt zu deren Kindern, aber unternimmt nicht unbedingt regelmäßig etwas mit denen. Von den extern-bikulturellen 2se grenzt er sich ein wenig ab, da ihm oftmals der „Bezug“ fehle. Von der Strategie „Betonung der Normalität“ macht der „Unauffällige“ besonders dadurch Gebrauch, dass er kulturalistische Erklärungen meidet und bemerkt, dass er die Bikulturalität im Familienleben nicht bewusst wahrnimmt. Seine oftmals pragmatisch orientierten Ansichten sowie eine tolerante und diplomatische Haltung sind förderlich für ein harmonisches und enges Verhältnis zu seinen Eltern. Im Erwachsenenalter nähert er sich ein wenig der koreanischen Kultur durch Korea-Besuche. Gegenüber seinen koreanischen Verwandten dort ist er sehr positiv eingestellt und durch seinen starken Anpassungswillen hat er dort keinerlei kulturelle Konflikte. Erfahrungen der Ausgrenzung durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft sind meist gering oder werden als relativ unbedeutend dargestellt. Solche Situationen, wenn sie doch einmal auftreten, verleiten den „Unauffälligen“ vielmehr dazu, sich mittels der Strategie „Betonung der Besonderheit“ von seinem soziokulturellen Umfeld positiv hervorzuheben und damit ausgrenzende Erfahrungen zu kompensieren.

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6.3 Der DIASPORISCHE Dem Typus der „Diasporische“ sind sieben Interviewpartner zuzuordnen: Jin-ae, Matthäus, Do-hyun, Jonas, Kwang, Jae-soo und Niko. Die Typenbezeichnung des „Diasporischen“ ergab sich durch die ursprüngliche Bedeutung des Begriffes „diasporá“ aus dem Griechischen [„Zerstreuung“]. Der Begriff ist eine „aus der hellenistisch-jüdischen Literatur übernommene Bezeichnung für eine religiöse, konfessionelle und/oder nationale Minderheit sowie für das Gebiet, das diese bewohnt“ (Die Zeit – Das Lexikon: 2005). Ein Leben wie in einer Diaspora ist schließlich ein zentraler Aspekt bei diesem Typen. Der „Diasporische“ ist bemüht, sich mittels der Strategie „Sich Anpassen und Umschalten“ bewusst für die Herkunftskultur seiner koreanischen Eltern(teile) zu positionieren und damit auseinanderzusetzen. Das gelingt ihm in der Praxis allerdings nur bedingt, da er von seiner deutschen Umgebung stark geprägt ist. Deshalb macht er umso mehr von der Strategie „Abgrenzen von der deutschen Umgebungskultur“ Gebrauch, um sich von seiner deutschen Umgebung zu distanzieren. Dadurch vermischt der „Diasporische“ beide Anteile nach dem Modell „Curry“ (Wenzler-Cremer 2005: 227-233), so dass seine Positionierung uneindeutig und oftmals auch widersprüchlich erscheint. Zugleich macht der „Diasporische“ auch von der Strategie „Universalisierung“ Gebrauch, die ihm hilft, sein Dilemma der kulturellen Positionierung zu lösen und diese auf eine religiöse oder multikulturelle Zugehörigkeit umzupolen. 6.3.1 Kulturelle Identität Der „Diasporische“ kann sich meist weder der koreanischen noch der deutschen Kultur richtig zugehörig fühlen. Seine kulturelle Identität ist in mehreren Kulturen „verstreut“ und der deutschen und koreanischen steht er etwas zwiegespalten gegenüber. Unterschiede zwischen den beiden Kulturen trennt der „Diasporische“ auch nicht immer klar voneinander, sondern vermischt sie mehr miteinander. Dennoch ist aber der eindeutige Wunsch erkennbar, sich stärker an den koreanischen Wurzeln orientieren zu wollen. Deutschland oder Angehörige der deutschen Mehrheitsgesellschaft setzen sie demgegenüber oftmals mit einer „langweiligen“ Lebensweise gleich.

JIN-AE ordnet sich von ihren Einstellungen her zwar als Deutsche ein, da sie hier aufgewachsen sei und die deutsche Staatsangehörigkeit besitze. Aber umso mehr betont sie, die „koreanische Kultur“ zu präferieren, die in ihrer Vorstellung vor allem mit der modernen Konsumkultur Koreas verbunden ist:

Jin-ae: „Eigentlich bin ich ja Deutsche, vom Kopf her, von meinem Pass auch. Ich bin hier aufgewachsen. So fühle ich mich schon als * Deutsche, aber ich mag die koreanische Kultur mehr. Ich weiß auch nicht warum. Wahrscheinlich durch meine Eltern.“ #00:48:48# I.: „Was meinst du mit der ,Kultur‘?“ #00:49:02#

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Jin-ae: „Ich mag einfach dieses Ausgehen, Essen gehen ((...)). Ich gucke auch gerne Dramen oder Serien, die ganzen Shows, ,Variety Shows‘, Filme, Talkshows ((...)). Oder wenn da so ,K-Pop‘-Stars sind bei sowas ähnlich wie ,DSDS‘ oder ,the Voice‘ gucke ich ganz gerne.“ #00:50:34#

Andererseits aber redet sie von sich selbst aus der Fremdperspektive, als „Ausländerin“, die sich mit „Fleiß“ der deutschen Gesellschaft gegenüber beweisen muss, um als gleichrangig anerkannt werden zu können. Hierbei ist die Internalisierung einer negativen Zuschreibung von außen zu erkennen. Dass sie sich wie selbstverständlich als Ausländerin bezeichnet, könnte zum Teil auch damit zusammenhängen, dass sie erst mit 21 Jahren zur deutschen Staatsbürgerschaft gewechselt hat:

„Ich muss Fleiß zeigen, den Deutschen gegenüber ((...)) ja gerade weil ich Ausländerin bin, muss ich halt zeigen, dass ich fleißig bin und mindestens genauso gut bin wie die.“ #00:56:26#

Ihre Sonderstellung unter „Deutschen“ durch ihren Migrationshintergrund versucht sie zugleich mittels der Strategie „Betonung der Besonderheit“ positiv hervorzuheben mit dem Argument, somit nicht so „langweilig“ zu sein:

„Bei den Deutschen ist es schon positiv, dass ich noch eine zweite Kultur... Also dass ich anders bin. Es ist schon was Besonderes, weil wäre ich nur deutsch, wäre es langweilig (lacht). Zum Beispiel bei meinem jetzigen Job ist es schon von Vorteil, dass ich verschiedene Kulturen habe. Ich kenne die deutsche Kultur, ich kenne die koreanische Kultur und ich glaube das hat mir auch geholfen. Davon hebe ich mich auch ab von den anderen Bewerbern. Und dann noch, dass ich Englisch spreche, finden sie dann auch nochmal gut. Dass man dann halt nicht nur was Deutsches hat, sondern was anderes hat.“ #01:37:47#

Von Korea spricht Jin-ae zunächst distanzierend als eine „total andere Kultur“, als sie im Jahre 2002 das erste Mal ohne ihre Familie nach Korea flog – nachdem sie zuletzt in ihrer Kindheit dort war. Die hektische Lebensweise und der „Respekt vor den Älteren“ seien für sie zunächst gewöhnungsbedürftig gewesen (#00:07:44#). Gewisse Gepflogenheiten verinnerlichte sie dann in Korea jedoch so sehr, dass sie diese in Deutschland anfangs automatisch weiterführte:

„Am Anfang fiel es mir schwer mich anzupassen, aber dann ging es doch sehr schnell. Zum Beispiel wenn die Koreaner lachen, dann halten sie die Hand vor dem Mund (lacht) ((...)). Und dann später, als ich wieder in Deutschland war, habe ich das auch gemacht (lacht). Oder bei der Begrüßung: man gibt sich halt nicht die Hand oder so, sondern man macht eine Verbeugung. Und als ich in Deutschland war, kam das automatisch. Bei meinen deutschen Freunden habe ich mich dann auch verbeugt.“ #00:58:00#

Ihre positiven Eindrücke von Korea hebt sie hervor und nutzt diese, um sich in diesem Zusammenhang von ihrem etwas negativer besetzten Bild der deutschen Kultur abzugrenzen. In Korea fühle sie sich schließlich „wohl und so besonders“. Hierbei spricht sie von sich selbst ebenfalls als „Ausländerin“ in Korea. Dass sie sich in Deutschland, wie zuvor erwähnt, auch „besonders“ fühle, lässt sie dabei außer Acht:

„Ich liebe das Essen. Mehr als deutsches Essen. Überhaupt, da ist immer was los. Also es ist nie wie hier, abends ist hier Geisterstadt sozusagen ((...)). In Korea sind die Leute immer in

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Bewegung, immer fleißig und ja, das gefällt mir.“ #00:09:05# „Ich habe gemerkt, die Koreaner sind sehr offen, sehr herzlich und warm ((...)). Wenn die Ausländer sehen und wenn die auch noch 2se oder kyop’os sehen, dann sind sie noch netter zu dir. Also die helfen dir auch gerne. Zum Beispiel bin ich mit meinem Koffer in der U-Bahn gefahren und dann waren da viele Treppen, wo ich den schleppen musste. Und dann kommt auf einmal so ein ajŏssi [älterer Herr] von hinten und nimmt meinen Koffer und hilft mir tragen ((...)). Koreaner sind sehr hilfsbereit und sehr offen und neugierig auf andere Kulturen. Und ähm das mag ich einfach so. Da fühlt man sich auch wohl und so besonders ((...)). Die Deutschen, die sind manchmal schon so ein bisschen egoistisch ne, die denken an sich. Hauptsache, ich überlebe sozusagen. Ich habe nicht soviel Hilfsbereitschaft gesehen bei den Deutschen.“ #01:38:47#  

DO-HYUN behauptet zunächst von sich selbst, dass er in einem ausgeglichenen Mischverhältnis deutsche und koreanische Seiten an sich habe (#00:05:12#). In seiner Auffassung und Wahrnehmung sei er eher deutsch geprägt, von bestimmten Verhaltenscodes her hingegen mehr koreanisch:

„In Sachen Auffassung, Wahrnehmung ist es eher deutsch, würde ich sagen ((...)). Wenn es um den Umgang mit Menschen geht, gibt es ja im Koreanischen eine bestimmte Etikette, wie man sich benimmt und bestimmte Verhaltensweisen. Da bin ich eher koreanisch geprägt.“ #00:05:26#

Seinen „Lebensstil“ beurteilt er dann aber doch mehr als „koreanisch“, was auch durch seinen koreanischen Arbeitgeber beeinflusst worden sei. Das widerspricht allerdings ein wenig seiner Aussage zu seinem dortigen Sonderstatus als 2se, der mit einer privilegierten weniger „koreanischen“ (#00:09:55#) beziehungsweise strengen Behandlung einhergehe:

„Einige sagen, in manchen Bereichen bin ich sehr koreanisch, in manchen bin ich sehr deutsch. Aber wahrscheinlich eher koreanisch. Vom koreanischen gesehen ist es so, dass ich sehr viel Wert auf nunch’i bonŭn kŏt [Aufmerksamkeit, Sensibilität] lege. Ich weiß jetzt nicht, wie man das auf deutsch sagt. Im Lebensstil ist es wahrscheinlich mehr koreanisch * da mein Umfeld, wo ich jetzt arbeite auch mehr koreanisch geprägt ist. Bei einem koreanischen Arbeitgeber ((...)). Ich arbeite seit acht Jahren da ((...)). Ich habe da so einen 2se-Status. Deswegen ist es ein bisschen anders. Die sind da jetzt halt ein bisschen offener und lockerer in der Umgangsweise.“ #00:08:55#

Einen auffällig starken Bezug hat er zu den Vereinigten Staaten, wo er ein Jahr als Austauschschüler und anschließend als Stipendiat am College war (#00:13:36#). Hier macht er von der Strategie „Universalisierung“ Gebrauch:

I.: „In welchem Land würdest du deine Kinder am liebsten aufwachsen lassen?“ #00:10:17# Do-hyun: „Deutschland oder Amerika eigentlich. Ich wollte später auch in Amerika leben ((...)). In Korea eher nicht wegen der Erziehung, die sehr happig ist für die Kinder.“ #00:10:35#

Auch die Identifizierung mit seinem religiösen Glauben stellt er stark in den Vordergrund und betont dabei, dass die kulturelle Zugehörigkeit vor Gott keine Rolle spiele:

„Klingt auch wieder sehr religiös: also ich sehe keine Heimat im weltlichen Sinne. Für mich ist ehrlich gesagt diese Welt ((...)) einfach nur temporär. Als Heimat kann ich das schwer

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einordnen.“ #00:33:06# „Gott unterscheidet die Menschen nicht nach verschiedenen Gruppen, sondern sieht sie als eins.“ #00:46:29#

JONAS lebt seit zwei Jahren in Korea (#00:12:38#), da es ihm mit der Zeit in Deutschland „langweilig“ geworden sei:

„Im Vergleich zu Deutschland ist es... Man hat viel mehr Möglichkeiten, was zu tun. Und gerade in meinem Alter, mir war es in Deutschland am Ende so langweilig. Ich kann das nicht wirklich spezifizieren, warum es langweilig war. Ich hatte auch schon viele Freunde und man kann ja auch rausgehen, aber... da es auch Teil meiner Identität war, war es mir wichtig, mal nach Korea zu kommen. Und hier wurde mir nie langweilig. Insofern hat es mir sehr gut gefallen.“ #00:13:24#

Die Aussage relativiert er allerdings damit, dass er das Leben in Korea nur bis zu einem „gewissen Alter“ gut finde und für eine Familiengründung Deutschland bevorzuge:

„Ich finde die Jugend hier wird einem unglaublichen Druck ausgesetzt. Und durch die Menschenmassen hier in Seoul ist es irgendwann ziemlich stressig, glaube ich. Im Moment gefällt es mir einfach, weil ich muss von vielen Menschen umgeben sein. Aber ich glaube, ab einem höheren Alter, wenn ich auch eine Familie gründen will, wäre Deutschland der bessere Platz zum Wohnen.“ #00:13:53#

Er vermeidet es, an der deutschen oder koreanischen Kultur festzuhalten und handhabt auch sein Heimatgefühl flexibel, so dass er auch „noch nie“ Heimwehgefühle gehabt hätte (#00:14:25#):

I.: „Was würdest du als deine Heimat bezeichnen?“ #00:50:14# Jonas: „Ähm Deutschland, weil ich natürlich den Großteil meiner Lebenszeit da gewohnt habe. Aber im Moment ist meine Heimat Korea. Und es ist nicht so, dass ich sagen würde, das ist nur meine zweite Heimat oder hat einen niedrigeren Stellenwert. Das ist genauso meine Heimat.“ #00:50:18# I.: „Wieso momentan?“ #00:50:33# Jonas: „Weil ich schon weiß, dass ich zumindest für die Universität erst mal nach Deutschland zurück muss und ich danach noch nicht weiß, wo ich langfristig bleibe.“ #00:50:36#

Jonas äußert ein wenig Kritik bezüglich der konsumorientierten koreanischen Kultur, aber ist auch durchaus bemüht, sich darauf einzulassen und Verständnis dafür zu finden. An den Interviewstellen, wo er dazu seine kritische Meinung abgeben will, wird er sehr vorsichtig und bricht seinen Satz ab („das ist so ein bisschen...“) oder wird sehr leise, so dass man es kaum versteht („Mir gefällt es auch nicht“):

„Die Leute sind ziemlich sehr auf das Aussehen fixiert und auch finanzielle Sachen spielen eine große Rolle. Das ist so ein bisschen... Da die Gesellschaft mehr konsumorientiert ist, spielt Geld eine große Rolle. Und selbst... du kennst ja auch die ganzen Mädchen, die operieren sich hier alle. Das wirkt ein bisschen oberflächlich. Wenn man dann hinter die Oberfläche schaut, sieht man auch dass es nicht alles ist, aber das * hat einen zu großen Stellenwert hier. Mir gefällt es auch nicht (leise).“ #00:17:00#

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Insgesamt erlebe er in Korea ein befriedigendes „anderes Lebensgefühl“, das er vor allem Menschen mit koreanischem Migrationshintergrund weiterempfehlen würde. Von Korea spricht er dabei differenzierend als einer „anderen Kultur“:

„Es ist ein anderes Lebensgefühl und ja, es hat mich schon weitergebracht, auf jeden Fall. Ich würde es jedem empfehlen, der die Zeit dazu hat. Und ich denke, dass es ihm gut tun würde. Jedem Halbkoreaner und jedem Koreaner, der in einem anderen Land groß geworden ist ((...)). Es tut * tut * schon teils zur Identitätsfindung bei, und auch einfach mal eine andere Kultur zu... Dadurch dass man die Möglichkeit hat; dadurch, dass es nicht vollkommen fremd ist... Einfach mal in ein anderes Land zu gehen und da Zeit zu verbringen, das tut auf jeden Fall gut.“ #01:01:40#

KWANG nennt zwar Hamburg als seine Heimat, aber fühlt sich weder der deutschen noch der koreanischen Kultur zugehörig. Der koreanischen Kultur sei er jedoch mehr verbunden:

„Als meine Heimat würde ich ehrlich gesagt Hamburg bezeichnen; gar nicht mal Deutschland oder Korea, sondern ja halt dort, wo ich aufgewachsen bin.“ #01:39:35# „Verbunden fühlen tue ich mich, glaube ich, mehr mit der koreanischen Kultur. Zugehörig zu keiner von beiden ((...)). Ich bin mir darüber bewusst, dass ich niemals die eine oder andere Kultur vollkommen einnehmen werde.“ #01:39:53#

Bei seiner Arbeit in einer koreanischen Firma sieht er sich dadurch in der vorteilhaften Rolle als „Mediator“ (#00:22:30#), der sowohl die deutschen Kollegen als auch die koreanischen Vorgesetzten verstehen und zwischen den beiden Seiten vermitteln kann. Für sich selbst versucht er immer einen Kompromiss zu finden. Hierbei wechselt Kwang sprachlich von der Ich-Perspektive in das Indefinitpronomen „man“ und anschließend in das Personalpronomen „du“ als er von sich distanziert aus der Außenperspektive berichtet:

„Ich bin fähig, beide Seiten zu verstehen in dem, wie sie handeln. Ich kann es zwar nicht gut heißen, aber ich verstehe es, also es ist nicht so wie * äh bei den Deutschen, da ist komplettes Unverständnis über gewisse Vorgehensweisen. Umgekehrt genauso. Bei dem Koreaner ist es: <Wieso gehen die um halb sechs nach Hause, wenn wir unser Projekt nicht fertig bekommen? Was denken die, wo ihr Geld herkommt?> und so Sachen ((...)). Da fallen echt Wörter manchmal. Da ist man außen vor. Du verstehst es und gehst dann deinen Mittelweg und machst dann beispielsweise nicht so lange wie die Koreaner, aber auch nicht so kurz wie die Deutschen.“ #01:45:15#

Kwangs Verbundenheit zu Korea zeigt sich vor allem dadurch, dass er an seiner koreanischen Staatsangehörigkeit festhält42 und auch seine Wählerstimme in Korea abgibt (#01:24:45#). Auch das Konsumieren von koreanischen Filmen und Serien ist in seinem Alltag präsent:

Es ist halb/halb: Einen Tag gucke ich deutsches Fernsehen und einen Tag koreanische Sachen. #01:26:06#

                                                                                                               42 Siehe auch unter Kapitel 6.4.5 „Erlebte Fremdwahrnehmung“.

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JAE-SOO sieht es als Bereicherung an, mit zwei Kulturen aufgewachsen zu sein, da er dadurch mehr Erfahrungen hat sammeln können (#00:12:45-3#). Sein Zugehörigkeitsgefühl zur koreanischen und deutschen Kultur ordnet er ungefähr gleich an, wobei dieses je nach „Tagesform“ variieren könne und er sich teilweise widersprüchlich positioniert:

„Ich bin zwar * papiermäßig deutsch, aber ich bin beides. Bin sowohl Koreaner als auch Deutscher. Vielleicht nicht immer 50/50. Das ist immer so eine Sache der Tagesform.“ #00:06:00-3#

Bei der Frage nach Assoziationen mit etwas typisch Koreanischem oder Deutschem wird allerdings deutlich, dass Jae-soo (zumindest zum Zeitpunkt des Interviews) mit dem Koreanischen viel Negatives verbindet und sich damit auch nicht identifizieren kann:

„Typisch koreanisch ist immer unpünktlich sein, keinen Plan haben, aber trotzdem irgendwie alles machen. Hektik. Hinterm Rücken reden, ganz schlimm * ‚Hast du schon gehört?‘. Das machen Deutsche auch. Aber ich finde, bei Koreanern ist das extrem. Da zeigst du vorne immer dein gutes Gesicht, aber sobald der Mensch, mit dem du redest, dir den Rücken zeigt, ey, oah keine Gnade. Ähm ** Neid. Ich glaube Koreaner sind sehr, sehr neidisch, glaube ich, und trotzdem immer auf eine gewisse Weise respektvoll, ja. Mein Vater kennt zum Beispiel einen ajŏssi [älterer Herr], den er halt gar nicht mag, aber wenn die sich sehen, dann sind die immer sehr höflich zueinander ((...)). Ich bin da nicht so. Zumindest zeige ich nicht, dass ich ihn mag ((...)). Wenn ich jemanden nicht leiden kann, gibt es für mich keinen Grund irgendwie extra freundlich zu sein.“ #00:57:10-2#

Die negativen Äußerungen bezüglich der koreanischen Kultur gleicht er dann aber wieder aus, indem er erwähnt, dass er mit Deutschen nichts zu tun habe. Dabei schaltet er allerdings die Tatsache aus, dass er derzeit eine deutsche Freundin hat (#00:22:45-3#):

„Typisch deutsch? *** Kann ich gar nicht sagen, was typisch deutsch ist. Nee kann ich nicht sagen. Mir fällt nichts ein ((...)). Ich habe mit Deutschen nicht so viel zu tun.“ #01:02:44-2#

NIKO hat eine kritische Haltung den Deutschen gegenüber und fühlt sich Deutschland oftmals nicht zugehörig:

„Dadurch dass ich hier aufgewachsen bin habe ich natürlich auch die Nähe hierzu; auch wenn ich mich oft nicht so zugehörig fühle.“ #02:80:45#

So betont Niko auch, dass er sich in vielerlei Hinsicht „auf jeden Fall weniger“ (#01:47:46#) mit der deutschen Mehrheitsgesellschaft identifiziere. Von der deutschen Mehrheitsgesellschaft grenzt er sich ab, indem er von seinem „Eindruck“ über „Deutsche“ aus einer Außenposition spricht:

„Ich habe den Eindruck, dass die Deutschen viel von sich überzeugt sind und viel von sich halten und sich lustig machen über andere Länder.“ #00:01:47#

Auch von der deutschen Sprache distanziert Niko sich, indem er diese als „festgefahren“ (#02:34:55#) und wenig „charismatisch“ (#02:34:30#) beschreibt. Die koreanische Schrift

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finde er „schöner“ (#02:35:04#) und nutzte sie deshalb für sein Tattoo. Hierdurch macht er gewissermaßen von der Strategie „Betonung der Besonderheit“ Gebrauch.

Bezüglich der deutschen Arbeitswelt grenzt er sich ebenfalls ab, indem er davon spricht, sich „hier anpassen“ und eine „Eisenhaut“ anlegen zu müssen:

„Ich bin überhaupt nicht mürrisch, sondern überfreundlich, was mir oft mein Genick bricht. Beruflich auch. Das bedeutet, ein Geschäftsführer kann sowas erkennen ((...)). Er weiß, dass der in gewisser Weise oft Überstunden macht, während ein anderer, sage ich mal ein Deutscher, gleich sagen würde: <Nö Chef, dann kündige ich>. Dass man da sowohl erkennt, dass man die Freundlichkeit auch ausnutzen kann. Das ist durchaus ein Problem, wo man dann unter anderem, sage ich mal, sich dann hier anpassen muss und sich dann in gewisser Weise eine Eisenhaut zulegen muss und sich nicht immer alles gefallen lässt. #00:54:00#

Insgesamt sieht er seine Bikulturalität zugleich als Bereicherung und Belastung im Prozess der Selbstfindung:

I.: „Siehst du es als Belastung oder Bereicherung, mit zwei Kulturen aufgewachsen zu sein? #02:11:08# Niko: „Beides. Man kann es als Belastung ansehen, weil man hat ja nur ein Leben, aber zwei Kulturen. Wenn man beides in gleicher Weise erfahren möchte, dann muss man viel mehr Zeit und Aufwand aufbringen. Ob es jetzt um Sprache geht oder Verständnis. Man kann ja auch immer nur an einem Ort sein. Das kann auf jeden Fall eine Belastung darstellen. Und dann natürlich auch diese Identitätsfrage. Indem man * äh indem ich mir die Frage stelle, wo gehöre ich mehr zu. Das ist definitiv eine Belastung. Vorteil ist natürlich auch, dass man verschiedene Seiten kennengelernt hat, nicht nur eine ((...)). Andere finden das dann immer recht interessant, wissen dann aber selber meistens gar nicht, was es für den Einzelnen eigentlich bedeutet. Was für Problemen man sich dann auch dadurch stellt. Rassismus ist da auch eine tragende Rolle.“ #02:11:10#

Nikos Haltung zu Korea war anfangs etwas gespalten als er im Alter von circa 25 Jahren beziehungsweise zehn Jahre nach seinem letzten Korea-Aufenthalt für zwei Monate nach Korea flog (#00:29:13#). Über diese Zeit beschreibt er seine Erlebnisse in Korea distanziert und als gewöhnungsbedürftig:

„Die Essgewohnheiten sind verdammt ähm * ungewöhnlich, weil es da wirklich gar keine wirkliche Angewohnheit gibt. Die Leute essen dort, so scheint es mir, was sie wollen zu welcher Zeit. Die essen dann mal einen Donut oder so weiter und morgens gab es bei meiner Tante Rippchen. Und dann musste ich auch erst mal gucken <Moment mal, ich möchte ganz gerne ein Brötchen haben>. Und die gehen ja auch ganz gerne zum Beispiel zu einer französischen Backkette, also ‚Paris Baguette‘ und das sind ja alles süße Brote und so weiter. Damit konnte ich auch nichts anfangen.“ #00:20:10#

Auch an die „gespielte Überfreundlichkeit“ in Korea habe Niko sich erst gewöhnen müssen. Diese Abgrenzung relativiert er allerdings, indem er es letzten Endes aber immer noch besser finde als die „Ellenbogengesellschaft“ in Deutschland:

„Ich war sehr überrascht über diese Freundlichkeit, die ein bisschen zu stark ausgeprägt ist, dass keiner wirklich mal Kritik äußert. Aber da muss ich sagen, lieber so als Servicewüste Deutschland. Also dann bevorzuge ich lieber eine Überfreundlichkeit als dass man hier zum Beispiel nur miteinander mit Ellenbogen, sage ich mal, umgeht und rumpöbelt.“ #00:42:25#

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„Auf der einen Seite habe ich mir oft gewünscht, dass meine Verwandten öfter Kritik äußern oder überhaupt Kritik äußern ((...)). Aber ich ziehe es dann fast lieber vor, dass man mir, sage ich mal, die Freundlichkeit spielt, als dass man sich hier wirklich * ja so unfreundlich begegnet. Da fragt man sich einfach, warum sind die Menschen hier (in Deutschland) so überwiegend mürrisch und unglücklich?“ #00:53:45#

Besonders nach dem letzten Korea-Aufenthalt im Jahre 2011 wurde Niko bewusst, wie unzufrieden er in Deutschland ist. Für Korea bezieht er stark Position, indem er erzählt, dass dort „immer“ alles gut organisiert sei. In Deutschland hingegen funktioniere „wieder“ gar nichts.

„Ganz zufrieden bin ich hier nicht ((...)). Die Unfreundlichkeit hier wurde mir nach meiner Rückkehr nach Deutschland schlagartig wieder bewusst. Wenn man diese Überfreundlichkeit erlebt für einen gewissen Zeitraum, und dann wird man gleich sofort am Flughafen angepöbelt, und dann merkt man auch, dass organisatorisch äh * nichts mehr funktioniert, dann ist es echt ein Schlag ins Gesicht. Also organisatorisch, in Korea, klappt vieles richtig gut. Ich habe immer nur die Erfahrung gemacht, dass keine Bahn zu spät gekommen ist. Es ist immer sauber. Keiner pöbelt jemanden an. Zwar haben da alle ihre Smartphones und sitzen da und klappen ihre Antenne aus und gucken Fernsehen. Ja aber es ist ruhig. Und es ist klimatisiert und es ist beruhigend oder stört dich nicht. Und hier bist du in der Bahn: Alkohol; einer ist vollgeschwitzt; da streiten sich welche; lautes Telefonieren. Jedenfalls gleich am Flughafen angekommen: man hat in Amsterdam einen meiner Koffer liegen gelassen ((...)). Du wirst sofort wieder zurückgeholt und merkst hier klappt schon wieder gar nichts.“ #00:49:51#

So überlegt er auch zumindest für ein Jahr mal in Korea zu leben und arbeiten, aber hat es letzten Endes noch nicht gewagt (#00:48:50#). 6.3.2 Familiäre Situation Der „Diasporische“ hat die Erziehung seiner Eltern in direktem Kontrast zu der deutschen Umgebungskultur oftmals als „streng“ und „koreanisch“ empfunden. Die gegensätzlichen Einflüsse innerhalb und außerhalb der Familie versucht er dennoch miteinander zu vereinen und neigt dabei hin und wieder zu widersprüchlichen Aussagen. Der „Diasporische“ ist sehr um eine harmonische Beziehung zu seinen Eltern bemüht und versucht eventuell negative Aspekte weitestgehend auszublenden. Ein gutes Verhältnis zu den Verwandten in Korea stärken seine Ausrichtung zur koreanischen Kultur und Sprache. Da die Eltern des „Diasporischen“ aktiv in koreanische Kirchengemeinden eingebunden sind, ist der „Diasporische“ oftmals von klein auf ebenfalls mit eingebunden worden, wodurch er früh Kontakt zu anderen 2se und später auch koreanischen Austauschstudenten aufbauen konnte. DO-HYUN behauptet eine „sehr gute Beziehung“ (#00:25:55#) zu seinen Eltern und seinem Bruder zu haben und zeigt eine starke Familienverbundenheit und Loyalität seiner verwitweten Mutter gegenüber:

„Aufgrund dessen, dass mein Mutter hier alleine lebt, möchte ich schon hier zusammenleben, bis ich heirate.“ #00:24:18#

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Selbst wenn sein nicht in Deutschland lebender Bruder ebenfalls bei ihnen zu Hause wohnen würde, würde er nicht ausziehen (#00:24:58#). MATTHÄUS war sich früh bewusst, dass er im Vergleich zu seinen deutschen Freunden „schon eher koreanisch“ (#00:57:44-1#) erzogen wurde und strengeren Regeln folgen musste:

„Wenn ich das mal so vergleiche mit deutschen Freunden damals oder heute, hatte ich schon ein bisschen das Gefühl, dass es ein bisschen anders ist. Also dass ich halt etwas strenger erzogen werde, von wegen wann darf ich rausgehen und ich muss immer lernen.“ #00:58:30-1#

Eine nicht unwesentliche Rolle in der Erziehung mag auch sein koreanischer Halbbruder gespielt haben, der in Korea geboren und aufgewachsen ist und Matthäus stets als Vorbild diente, ihm aber zugleich auch „viele Freiheiten erkämpft“ habe (#00:42:50#):

„Ich habe ihn eigentlich schon eher verehrt, sage ich mal. Also fast verehrt könnte man im Deutschen so sagen. Ich war schon eher begeistert von ihm ((...)). Er war halt so ein großer Bruder, hat mir immer geholfen. Es war immer so eine ,Großer-Bruder-kleiner-Bruder-Beziehung‘. So der Beschützer.“ #01:12:57#

Aber auch das Netzwerk seiner Mutter wirkte sich auf den Freundeskreis von Matthäus auf. Er ist von klein auf immer mit seiner Mutter zur koreanischen Kirchengemeinde gegangen. Der dortige Kontakt zu Koreanern und koreanischen yuhaksaengdŭl [Austauschstudenten] half ihm zugleich, seine Koreanisch-Sprachkenntnisse zu verbessern (#00:04:10#).   Die ausschlaggebende Motivation für eine intensive Beschäftigung mit der koreanischen Sprache gab ihm ein Besuch bei seinen Verwandten in Korea. Matthäus war im Alter von sechs Jahren einmal in Korea (#00:03:18-1#), bevor er dann erst wieder mit circa 16 Jahren dort seinen Urlaub verbrachte. Korea besuchte er seitdem auch „sehr häufig“ (#00:17:17#):

„Mit 16 habe ich dann gemerkt, dass es schade ist, dass ich nicht mit denen reden kann, weil die ja auch kaum Englisch konnten. Und ich habe mich dann direkt da entschlossen nochmal zur koreanischen Schule zu gehen. Musste das dann aber mit 18 abbrechen, weil ich dann zur Bundeswehr musste.“ #00:03:30#

JIN-AE unterlag wie Matthäus einer etwas strengeren Erziehung im Vergleich zu ihren „deutschen“ Freunden:

„Ich würde sagen, ich wurde mehr koreanisch erzogen ((...)). Die (ihre Eltern) haben mir immer gezeigt, dass man fleißig sein soll ((...)). Spät rausgehen ging nicht. Die Deutschen waren freier, durften mehr. Das hat mich halt gestört. <Warum darf ich nicht länger draußen bleiben, in ein Ferienhaus nach Dänemark, bei anderen schlafen?> “ #01:33:30#

Aber mittlerweile akzeptiere sie es, so lange es nicht „zu streng“ sei. Dass das letztendlich jedoch nicht der Regelfall ist, klingt ein wenig in ihrer Aussage heraus, dass sie ihren

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Eltern nur schwer widersprechen könne:

Jin-ae: „Familie ist für mich sehr wichtig. Auch dieser Respekt vor den Älteren, vor den Eltern ist für mich auch wichtig. Aber andererseits: Dieses zu Strenge, das Konservative mag ich nicht. Da bin ich eher deutsch. Ich möchte schon eher selbstständig sein, Freiheit haben, selbst entscheiden dürfen.“ #00:40:50# I.: „Wobei du meintest, bei deinem ersten Korea-Aufenthalt hatte dich dieser Respekt vor den Älteren gestört?“ #00:41:15# Jin-ae: „Ja eigentlich schon. Ich mag es schon, aber nicht, wenn es zu streng ist, dieser Gehorsam, egal was du sagst oder wenn deine Eltern nicht richtig sind: Die Eltern haben immer Recht; du darfst nicht widersprechen, weil sonst giltst du als freches Kind und die behandeln dich halt noch, als wärest du zwölf Jahre alt ((...)). Die sind halt so besorgt um mich ((...)). Die kommen ja aus Korea und haben noch so die Zeit von damals im Kopf ((...)). Meine Mutter mag es nicht so gerne, wenn ich ihr widerspreche.“ #00:41:20#

Auch bei der Partnerwahl bevorzugt Jin-ae einen 2se, der dementsprechend Verständnis dafür aufbringen könne, dass sie ihren Eltern gehorchen müsse. Hierbei erwähnt sie erneut, dass sie ihren Eltern schwer widersprechen kann. Den vermutlichen Erwartungen ihrer Eltern passt sie sich auch insofern an, als sie ihren Partner erst dann vorstellen möchte, wenn sie den auch heiraten wird:

Jin-ae: „Nationalität spielt eigentlich keine Rolle, aber er muss sich schon für die koreanische Kultur interessieren, weil ich mich selbst auch für die koreanische Kultur interessiere. Ich bin ja auch so erzogen worden. Und er muss auch das koreanische Essen lieben ((...)). Er muss Verständnis dafür haben, wenn wir unseren Eltern gehorchen müssen, selbst wenn wir schon Erwachsene sind. Und manche Deutsche verstehen das halt nicht oder andere aus anderen Kulturen. Er muss halt Verständnis dafür haben, dass Familie sehr wichtig ist und dass ich halt nicht frech sein kann zu meiner Familie. Deswegen wäre es am Besten wenn ich einen 2se finden könnte“ #01:15:50# I.: „Wünschen sich deine Eltern von dir, dass du einen koreanischen Mann heiratest? #01:17:35# Jin-ae: „Ja, am liebsten bestimmt schon, weil dann können sie sich auch gut mit ihm unterhalten und so. #01:17:37# I.: „Haben die schon mal einen Freund von dir kennengelernt?“ #01:17:48# Jin-ae: „Nee (lacht). Also wenn ich meinen Eltern meinen Freund vorstelle, dann ist es schon was Ernstes. Also ich warte auch, bis das wirklich der Mann zum Heiraten ist.“ #01:17:50#

Der Gebrauch der Strategie „Universalisierung“ wird bei Jin-ae dadurch deutlich, dass sie erwähnt, sich weniger für deutsche 2se, sondern sich mehr für amerikanische 2se zu interessieren, ohne jedoch den genauen Grund dafür spezifizieren zu können:

„Die (amerikanische 2se) sind interessanter. Ich weiß auch nicht warum. Vielleicht weil ich mich auch für das Englische interessiere.“ #01:49:30#

Jin-ae bildet unter den „Diasporischen“ insofern eine Ausnahme, als ihre Eltern nicht in koreanische Netzwerke eingebunden sind. Das erschwerte ihr auch eine Integration in die koreanischen Kirchengemeinden, da sie sich dort sonst dafür rechtfertigen müsse, warum

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ihre Eltern nicht in die Kirche gehen:

„Die (andere 2se in der koreanischen Kirche) sind ja meistens mit ihren Eltern immer zusammen als Familie hingegangen. Und wenn man da keinen kennt... ((...)). Ich würde aber auch nicht mit einer Freundin mitgehen, weil dann fragen die <Wer sind deine Eltern? Warum kommen die nicht zur Kirche?> und nee, darauf habe ich keine Lust (lacht).“ #00:33.44#

Umso mehr bringt sie sich aber in Netzwerke der 2se ein, die unabhängig von der Elterngeneration sind. Hierbei wird der starke Einfluss ihrer 2se-Freundin deutlich, die sie im späteren Alter kennengelernt hat und die Jin-ae in unterschiedliche Netzwerke der 2se wie unter anderem „2saeNetwork“ aktiv einbezogen hat. JONAS’ Mutter hat ihn von klein auf in die koreanische Kirchengemeinde eingebunden, so dass er dort Kontakte knüpfen konnte und bis zu seiner Pubertät (#00:06:05#) vor allem der Gemeinschaft und weniger der Religiosität wegen zur koreanischen Kirchengemeinde gegangen ist:

„Ich glaube für viele Koreaner war das mehr eine Möglichkeit eine Gemeinschaft zu haben.“ #00:05:57# „Wir (andere 2se in der koreanischen Kirche) haben uns mehr wegen den Leuten getroffen, wenn es einen Beweggrund gab.“ #00:07:00#

KWANGs Eltern wollten ebenfalls Druck ausüben, dass er gute Schulnoten erhält, aber dadurch, dass sie berufsbedingt wenig zu Hause waren, habe er sie weniger als Autorität wahrnehmen können:

„Meine Eltern waren damals nicht sehr viel zu Hause, durch die Gastronomietätigkeit. Und dann verliert man ja auch irgendwann das Anrecht, viel Druck auf sein Kind auszuüben.“ #00:06:55#

Eine absolute Loyalität seinem Vater gegenüber ist für Kwang nicht vereinbar mit seinen westlich geprägten Vorstellungen eines autonomen Kindes:

„Hier gehorchst du ja nicht blind auf das, was dein Vater dir erzählt. Das ist, denke ich, die größte Differenz.“ #00:26:58#

Als seine koreanische Seite nennt er aber wiederum seine Familienorientiertheit. Hierbei scheint es sich allerdings mehr um ein gedachtes Ideal als um einen Regelfall zu handeln:

Kwang: „Ich würde sagen, ich bin etwas * wenn man das koreanisch nennen kann, familienorientierter, denke ich.“ #00:32:20# I.: „Familienorientiert heißt: du kümmerst dich mehr um deine Eltern?“ #00:33:37# Kwang: „Ähm, ich nehme es mir zumindest vor (lacht)“ #00:33:40#

Bezüglich der Partnerwahl verdeutlicht Kwang seine koreanische Identität, die ihm vermutlich früh in die Wiege gelegt wurde:

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„Ich wollte eigentlich schon immer eine koreanische Frau heiraten.“ #00:29:10# „Weil mir relativ früh klar war, dass ich damit einfach besser klarkommen würde.“ #01:18:35#

Dabei stellt er verallgemeinernd die These auf, dass jeder bei der Partnerwahl nach derselben kulturellen Identität suchen würde:

„Ich würde die These aufstellen, dass derselbe kulturelle Hintergrund bei jedem eine Rolle spielt. Zumindest unterbewusst. Mit einem ähnlichen kulturellen ,background‘ kommst du einfach besser klar ((...)). Gleich und gleich gesellt sich gern.“ #01:16:55#

Zur koreanischen Kirchengemeinde ist Kwang von klein auf mit seinen Eltern hingegangen. Seine Bindung an diese Gemeinde bezeichnet er als „eng“, weil er mit ihr „aufgewachsen“ sei (#02:15:30#). Andererseits jedoch war er der Gemeinschaft dort oft überdrüssig, so dass er sich nach einer anderen Gemeinde umschaute:

Kwang: „Ich war in Hamburg auch schon mal in einer anderen Freigemeinde, als ich keinen Bock mehr hatte auf die koreanische Gemeinde. Aber es ist halt wie mit dem Essen: Ich bin einfach an das Koreanisch-sein gewöhnt worden. Alles andere ist genauso gut, aber ich muss alles andere neu erlernen ((...)). Du kennst halt die Sorgen und Nöte und Probleme der Leute in der Gemeinde, wenn du da aufgewachsen bist, und du kannst es irgendwann nicht mehr hören. Du kannst auch irgendwann gewisse Leute nicht mehr sehen.“ #01:59:30# I.: „Wie alt warst du da als du keinen Bock mehr hattest?“ #02:00:22# Kwang: „Ach, das war schon mein Leben lang so (lacht).“ #02:00:27#

Auch in der anderen deutschen Stadt, in der er studierte, probierte er verschiedene katholische wie auch protestantische deutsche Kirchengemeinden aus. Er hatte aber das Gefühl, dass er dort nicht mehr „reinpasste“ (#00:13:36#), da es bei koreanischen Gemeinden „mehr um Stimmung“ gehe (#00:14:53#). Als ihn dann seine Eltern dort besuchten und zu einer koreanischen Gemeinde „mitschleppten“, besuchte er diese anschließend. Hierbei zeigt sich, dass die Orientierung auf die koreanische Kultur erst durch den Einfluss seiner Eltern stark gelenkt wurde:

„Dann waren meine Eltern irgendwann zu Besuch und haben mich in die dortige Gemeinde mitgeschleppt. Ich fand es ganz angenehm, weil dort sind halt wirklich nur zu 80% Studenten. Das ist halt keine Stadt, wo 2sedŭl [Pluralform von ,2se‘] leben ((...)). Von da an bin ich da eigentlich recht regelmäßig, alleine, also freiwillig hin. Und dann kommst du automatisch in Kontakt mit den Musikhochschulstudenten und so.“ #00:12:40#

An anderer Stelle betont er jedoch mittels der Strategie der „Universalisierung“ die kulturelle Ungebundenheit im religiösen Glauben:

„Wenn du sagst, du bist gläubig, dann bist du ja ein Kind Gottes und andere gläubige Menschen, die deinen Glauben teilen sind dir dann ja automatisch gleich näher wie eine Art Familie. Und das ist unabhängig von irgendwelchen hinterher gezogenen Linien.“ #02:18:11#

JAE-SOO versuchte die beruflichen Erwartungen seines Vaters zu erfüllen:

„Mein Vater ist der Meinung: Wichtig ist, eine gute berufliche und gesellschaftliche Grundlage

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zu haben. Also deswegen hat er mich auch so streng erzogen. Ich sollte in der Schule immer gut sein, damit ich ein gutes Abi habe, damit ich am Ende irgendwas mit Ingenieurwissenschaften studieren kann. Das war sein größter Wunsch ((...)). Und als er gehört hat, dass ich mich für das Bauingenieurwesen-Studium eingeschrieben habe, war er super glücklich. Er war so stolz auf mich. Er hat sich richtig gefreut.“ #00:11:47-2#

Als Jae-soo mit dem Studium jedoch nicht zufrieden war und sich nach einem Jahr für eine Ausbildung umentschied (#00:13:33-2#), war sein Vater sehr enttäuscht. Jae-soo versucht die Position seines Vaters zu verteidigen:

„Dann habe ich mich für die Ausbildung entschieden. Das hat er auch tatsächlich akzeptiert. Aber er hat Monate lang nicht mehr mit mir sprechen können. Also er war schon sehr traurig und enttäuscht, weil er hat nicht studieren können. Er hatte nicht die finanziellen Möglichkeiten gehabt ((...)). Er hat halt immer viel gearbeitet ((...)). Und er wollte, dass ich es einfacher habe, dass ich es besser habe, dass ich Geld verdiene mit weniger Arbeit ((...)).“ #00:14:38-2#

Die Position seines Vaters scheint Jae-soo aber auch zugleich stark verunsichert zu haben, so dass er nach Beendigung seiner Ausbildung noch einmal ein Studium anfing, ohne jedoch einen konkreten Studiengang anvisiert zu haben. Hierbei erwähnt er auch die damit einhergehende Zufriedenheit seines Vaters und ihre gemeinsamen sozialen Wertevorstellungen:

„Ich habe selber dann gedacht: Okay, studieren ist schon eine gute Idee. Ich wusste nicht was und dann habe ich mir halt was Allgemeines rausgesucht und BWL studiert ((...)). Das fand mein Papa sehr gut. Also unabhängig von ihm ist es schon eine gute Entscheidung gewesen, weil, auch wenn ich später nichts mit dem Studium anfangen werde, habe ich trotzdem noch ein zweites Standbein und vielleicht hilft es mir irgendwann mal weiter ((...)). Mein Papa und ich setzten sehr auf gesellschaftliche Anerkennung und einen soliden Job.“ #00:17:10-2#

Da seine Eltern jedoch die letzten zehn Jahre den Winter über immer nicht zu Hause beziehungsweise verreist waren (#00:02:05-2#), konnten sie womöglich wenig Einfluss auf die Kinder ausüben. Bei seiner älteren Schwester führte das zumindest zu einer rebellischen Haltung der koreanischen Erziehung gegenüber (#00:30:50-2#). Jae-soo sagte, dass er früher auch „rebellisch“ gewesen sei und sich gegen die Anweisungen seiner Eltern gesträubt habe (#00:09.55-2#). Da diese Haltung in der Beziehung zwischen seiner Schwester und seinen Eltern jedoch zu starken Konflikten führte, liegt es nahe, dass er sich letztendlich mehr anzupassen versuchte.

Für die Partnerwahl bevorzugt Jae-soo eine Koreanerin oder 2se, da es so „einfacher“ wäre und er von der Erziehung her so geprägt worden sei:

„Ich bevorzuge schon eine Koreanerin, wobei ich mich da nicht festlegen will, ob sie wie ich kyop’o ist oder eine Koreanerin ist. Ich glaube, es ist ein bisschen die Erziehung, die mich geprägt hat, aber auch der Gedanke, dass es irgendwie einfacher sein könnte mit einer Koreanerin zusammenzuleben, wegen halt kultureller Unterschiede. Es sei denn, ich lerne jemanden kennen, der offen ist für unsere Kultur. Ich hatte halt bislang nur ernste Beziehungen mit Koreanerinnen gehabt ((...)).“ #01:17:04-1#

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Bei der Partnerwahl versucht er zugleich den Erwartungen seiner Eltern gerecht zu werden:

„Meine Eltern haben immer gesagt, wie toll es wäre, wenn ich eine Koreanerin heirate.“ #01:19:00-1# „Sie würden sich eher freuen, wenn es eine Koreanerin ist, sei es eine kyop’o oder eine yuhaksaeng [Austauschstudentin] ((...)). Und auch in mir ist das Gefühl, dass wenn ich eine deutsche Freundin haben sollte, würde es mir schwerer fallen, es denen zu erzählen als wenn es eine Koreanerin wäre.“ #00:31:41-2#

Diesem Wunsch nachzukommen scheint er ein wenig als Herausforderung zu sehen, da es seine Schwester nicht „geschafft“ habe:

„Vielleicht deswegen, weil sie (Jae-soos Schwester) einen Nicht-Koreaner als Freund hat, würden sich meine Eltern eher freuen, wenn ich es schaffe eine Koreanerin zu haben.“ #00:33:08-2#

NIKO ist bis ungefähr zum 16. Lebensjahr regelmäßig in Korea gewesen (#00:28:50#). Seine Eindrücke beschreibt er eher oberflächlich, verdeutlicht aber seine positiven Erinnerungen an seine Verwandten:

„Als Kind fand ich das immer wahnsinnig spannend. Das Wetter war für mich immer sehr unerträglich. Aber bei meiner Tante in Seoul fand ich es immer toll, weil die recht wohlhabend sind und ein großes Domizil haben und das fand ich recht spannend und mein Onkel hat mir dann auch immer alles gekauft, das war ganz toll.“ #00:29:00#

6.3.3 Sprachbildung  Die koreanischen Eltern(teile) des „Diasporischen“ haben Wert darauf gelegt, die koreanische Sprache weiterzugeben und dementsprechend zu ihren Kindern möglichst koreanisch zu sprechen. Die deutsche Umgebungskultur wurde aber maßgeblich in der Sprachbildung des „Diasporischen“. Im jungen Erwachsenenalter hat er sich jedoch bemüht, seine Koreanisch-Sprachkenntnisse zu verbessern und versucht mittlerweile auch auf koreanisch mit seinen Eltern zu reden. Während des Interviews werden vereinzelt koreanische Begriffe eingeworfen. MATTHÄUS’ Mutter hat im Gegensatz zu den meisten anderen Müttern deutsch-koreanischer Ehepaare immer versucht, viel koreanisch zu ihrem Kind zu sprechen. Matthäus hatte sich damit aber wenig identifizieren können:

„Meine Mutter hat schon viel koreanisch geredet zu Hause. Aber ich habe eigentlich immer auf deutsch geantwortet ((...)), weil ich mich wohl als Kind eher deutsch gefühlt habe, beziehungsweise ja, ich bin halt in einer deutschen Umgebung aufgewachsen, mein Vater war Deutscher und irgendwie kam ich nie auf die Idee koreanisch zu sprechen.“ #00:00:40-1#

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Ebenso unwohl fühlte er sich auch in der koreanischen Schule:

„Meine Mutter wollte eigentlich schon, dass ich koreanisch lerne und hat mich dann * ich glaube, da war ich sieben, acht Jahre alt, ist gemeinsam mit mir zur koreanischen Schule gegangen * und * nach dem Unterricht äh habe ich aber so geweint, meinte meine Mutter, dass sie mir das nicht mehr antun wollte (lacht). Ich weiß nicht, was da los war.“ #00:02:24-1#

Mittlerweile spricht Matthäus zu seiner Mutter ein wenig auf koreanisch, kann zugleich aber nicht so recht nachvollziehen, dass sie wiederum „immer noch nicht so gut“ deutsch spreche:

„Jetzt nach 30 Jahren (lacht) bin ich immer noch schockiert, dass meine Mutter immer noch nicht so gut deutsch spricht. Aber ich antworte mittlerweile auch ein bisschen auf koreanisch, weil ich das ja jetzt auch ein bisschen besser gelernt habe.“ #00:01.57#

JIN-AEs Eltern haben ebenfalls zu Hause immer koreanisch gesprochen, während sie auf deutsch geantwortet hat. Sie ist drei Jahre lang zur koreanischen Schule gegangen, aber habe sowohl sprachlich als auch sozial keinen Anschluss finden können, da der Altersunterschied zu den anderen Schülern zu groß gewesen sei und die Eltern Jin-ae womöglich nicht genügend sprachliche Vorkenntnisse mitgegeben hatten, um dem Unterricht folgen zu können:

„Ich war mit elf Jahren ziemlich spät in der koreanischen Schule. Und dann war ich immer mit den ganz kleinen Kindern, die fünf waren, in der Klasse. Und das hat uns (Jin-ae und ihrem Bruder) dann halt nicht gefallen. Und immer freitags zwei bis drei Stunden. Die anderen deutschen Freunde, die hatten dann Wochenende, und wir mussten gleich direkt danach zur koreanischen Schule ((...)). Und die Hausaugaben haben eh die Eltern gemacht (lacht) ((...)). Ich war nur drei Jahre da und dann hatte ich keine Lust mehr, weil das war mir zu anstrengend und ich habe eh nichts mehr gelernt. Die Lehrerin hat eh nur auf koreanisch gesprochen. Man hat das eh nicht verstanden, diese ganzen Bücher. Da habe ich gemerkt: Nee, das bringt nichts mehr und aufgehört.“ #00:01:13#

Mittlerweile aber beherrsche sie die Sprache etwas besser und rede auch ab und zu koreanisch mit ihren Eltern (#00:00:48#). KWANG ist im Alter von circa sieben Jahren zur koreanischen Schule gegangen und hat diese bis zum Abschluss besucht (#00:01:35#). Mit seinen Eltern habe er ab und zu koreanisch geredet, weil sein Vater „darauf bestanden“ hatte:

„Ich habe von klein auf immer mal auf koreanisch geantwortet, weil * speziell mein Vater darauf eigentlich bestanden hat.“ #00:04:41#

Aber aus mangelnden Koreanisch-Sprachkenntnisse sprach Kwang überwiegend auf deutsch, was ihn derzeit selbst auch gestört hatte:

„Irgendwie hat man sich als Kind geweigert, eine Sprache zu sprechen, die man schlechter spricht ((...)). Mich hat es gestört, dass ich so schlecht koreanisch gesprochen habe.“ #00:00:55#

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Mittlerweile spreche er zu seinen Eltern immer koreanisch, da er es fließend beherrsche (#00:10:40#). Das habe sich vor allem in seiner Studienzeit außerhalb Hamburgs ergeben, wo er koreanische Kommilitonen und viele koreanische Austauschstudenten in der koreanischen Kirche kennenlernte (#00:05:10#). Auch dadurch, dass er „überwiegend Koreaner sehe“, bei der Arbeit und durch seine koreanische Frau, ist die koreanische Sprache sehr präsent bei ihm (#00:21:25#). JAE-SOO hat relativ lange, über zehn Jahre, die koreanische Schule besucht (#00:03:45-1#), was für ihn „normal“ war und wo er auch wegen seiner Freunde gerne hingegangen ist. Ein prägendes Erlebnis mit seiner koreanischen Lehrerin veranlasste ihn jedoch dazu, sich zunächst von der koreanischen Kultur zu distanzieren:

„Damals war es halt normal, weil jeder kyop’o zur koreanischen Schule ging ((...)). Eigentlich war ich immer gerne da, weil ich hatte da eine Clique gehabt und wir haben da in den Pausen immer viel Spaß gehabt und im Unterricht auch immer viel Unsinn gemacht, bis dann halt dieser eine Schlüsselmoment kam, wo ich mich dazu entschieden habe, nicht mehr zur koreanischen Schule zu gehen. Da habe ich wohl so laut Unsinn gemacht im Unterricht, dass mich die Lehrerin nach vorne geholt hat und ich vor der gesamten Klasse auf dem Tisch Liegestützen machen musste. Das hat mich so negativ beeinflusst auf die Ansicht der koreanischen Schule, dass ich gesagt habe, da gehst du nicht mehr hin ((...)). Das haben komischerweise meine Eltern akzeptiert. Das hätte ich nicht gedacht, dass meine Eltern das einfach zulassen.“ #00:04:18-1# „Nach der haninhakkyo [koreanische Schule], da war ich 15, 16, habe ich mich drei, vier Jahre lang allgemein gar nicht mehr um die koreanische Kultur gekümmert. Ich habe der gar keine Beachtung geschenkt.“ #00:06:52-1#

Einige Jahre später hat er sich aber noch einmal mit seiner koreanischen Identität auseinandergesetzt und seinen Eltern zuliebe das Koreanischsprechen lernen wollen:

„Aber mit 18, 19 habe ich mich schon gefragt, wer ich bin.“ #00:07:20-1# „Vor zehn Jahren hatte ich bei mir so einen Klick im Kopf gehabt: Bisschen koreanisch sprechen täte dir nicht schlecht.“ #00:02:22-1#

„Was Sprache angeht, haben meine Eltern einen großen Faktor gespielt. Ich dachte: <Wäre es nicht bequemer, wenn die mit ihrem Sohn koreanisch sprechen können?>.“ #00:07:50-1#

NIKOs Eltern haben ihn im Alter von circa sieben Jahren einige Jahre zur koreanischen Schule geschickt, wo er aber „irgendwann keine Lust mehr“ hatte und „einfach nach Hause zu Mama“ wollte:

„In der Klasse, in der ich war, war das Gleichgewicht der Altersgruppen sehr, sehr unterschiedlich ((...)) und irgendwann hatte ich dann auch keine Lust mehr gehabt ((...)). Ich wollte einfach nach Hause zu Mama.“ #00:01:00# „Als Sieben-, Achtjähriger möchte man da nicht unbedingt mit 15-, 16-Jährigen sein. Für mich war es, ich setz mich da hin, höre zu, schreibe mir mal ein paar Sachen auf, und dann schnell zu ŏmma [Mama] ab nach Hause ((...)). Auf jeden Fall habe ich mich da unwohl gefühlt. Es war einfach das kindliche Bedürfnis lieber auf den Spielplatz gehen zu wollen als sich mit Schullektüre rumzuschlagen.“ #00:35:55#  

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Seit einem Jahr (#00:11:25#) besucht er aber wieder freiwillig die koreanische Schule, wo es ihm auch gefällt:

„Also manchmal habe ich den Eindruck, dass man da ein bisschen zu langsam ist, aber im Großen und Ganzen ist der Unterricht sinnvoll gestaltet ((...)). Ich hatte viel Zeit gehabt und das ist ein Teil, wo ich eben meine Freizeit mit verbringen wollte.“ #00:14:20#

6.3.4 Freundeskreis und koreanische Gemeinschaft Der „Diasporische“ hatte bis etwa zum Ende seiner Jugendzeit überwiegend „deutsche“ oder multikulturelle Freundeskreise. Nachdem er dann begann, sich mehr mit der koreanischen Kultur auseinanderzusetzen, bestand sein engster Freundeskreis überwiegend aus „Koreanern“ und 2se. Der „Diasporische“ führt somit ein gewisses Diaspora-Leben, indem er sich unter kulturell Gleichgesinnten von der deutschen Mehrheitsgesellschaft zurückzieht. Die Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft und gleichzeitige Solidarisierung mit anderen koreanischen Migranten der zweiten Generation zeigt sich besonders deutlich in Netzwerken der 2se wie „2saeNetwork“ oder der Kirchengemeinde „New Life Church“, von denen einige aktive Mitglieder zu dem vorliegenden Korpus an Interviewten gehören, alle dem „Diasporischen“ zuzuordnen sind. Die Besonderheit dieser Gemeinde ist jedoch, dass sie monatlich mit weiteren Migrationsgemeinden anderer Nationen einen Gemeinschaftsgottesdienst veranstaltet und somit im Gegensatz zu den koreanischen Gemeinden ihrer Eltern ein erweitertes Verständnis ihrer Community hat und zugleich auch ein wenig von der Strategie der „Universalisierung“ Gebrauch macht. MATTHÄUS hatte aus dem Freizeitbereich oder der Schule deutsche Freunde und solche anderer Nationalitäten (#00:45:49-1#), woraus sich jedoch – im Gegensatz zu seinen „koreanischen“ Freunden aus der koreanischen Kirche – „kaum etwas Dauerhaftes ergeben“ habe (#00:46:38-1#):

„Die dauerhaften Freundschaften sind eigentlich hauptsächlich koreanisch bei mir.“ #00:46:55-1#

Seit der Zeit, als er sich mehr der koreanischen Sprache und Kultur widmete, besteht sein engster Freundeskreis überwiegend aus 2se:

„Ich habe tatsächlich sehr wenig deutsche Freunde. Ich habe einen richtig guten Kumpel, der ist Deutscher, auch aus der Schulzeit und darüber hinaus noch so zwei, drei Leute, mit denen mache ich aber nicht so viel. Und der Rest ist koreanisch.“ #00:48:50-1#

Die Differenz unterstreicht er zusätzlich damit, dass er sich im koreanischen Freundeskreis „wohler“ und besser verstanden fühlen würde als im deutschen:

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„Ich fühle mich eigentlich so im koreanischen Freundeskreis ein bisschen wohler ((...)). Irgendwie bin ich da ein bisschen lockerer. Und im deutschen Freundeskreis habe ich schon das Gefühl, dass ich da steifer bin ((...)). Ich glaube, es liegt eher daran, dass man mehr mit den koreanischen Freunden teilt. Ja, wie man halt aufgewachsen ist ((...)). Das ist eher so die Verbundenheit. Und deutsche Freunde, ja, da merkt man manchmal schon, dass die manche Situationen einfach nicht so richtig verstehen können beziehungsweise bisschen anders wahrnehmen. Zum Beispiel wurde ich eigentlich immer als sehr sparsam erzogen, dass man auf jeden Cent achten muss. Und als ich noch Jugendlicher war, habe ich eigentlich sehr selten Geld ausgegeben um irgendwie draußen essen zu gehen. Man hat eigentlich immer zu Hause gegessen bei den Eltern. Irgendwas zu essen zu bestellen, eine Pizza oder so, das war für mich unvorstellbar, weil man isst halt immer mit der Familie zusammen und meine Mutter macht koreanisches Essen und da habe ich da zu sein. Und ich hatte im deutschen Freundeskreis schon immer das Gefühl, dass es ein bisschen anders ist ((...)). Wenn ich mich mit deutschen Freunden getroffen hatte und die wollten sich eine Pizza bestellen und ich dann so ‚Ich muss nach Hause zu meiner Mutter zum Essen‘ (lacht), das konnten die dann nicht so richtig nachvollziehen.“ #01:03:03-1#

JIN-AE hatte ursprünglich nichts mit Koreanern beziehungsweise 2se zu tun, bis sie im Alter von circa 19 Jahren über einen Nebenjob eine 2se kennenlernte, die mittlerweile ihre beste Freundin sei (#00:38:00#) und stark in koreanische Netzwerke eingebunden ist:

„Ich hatte nie Kontakt zu Koreanern, also keine im Freundeskreis; immer nur Deutsche oder Ausländer ((...)). Erst so seit Korea 2002, weil 2001 habe ich meine Freundin kennengelernt und da habe ich so das Interesse für Korea bekommen ((...)). Sie hat mir von Koreanistik erzählt und dem Austauschprogramm und dann bin ich nach Korea für ein halbes Jahr ((...)). Sie ist früher immer zur (koreanischen) Kirche gegangen und kannte halt viele 2ses. Dadurch habe ich auch viele kennengelernt. Und durch sie bin ich auch zu ,2saeNetwork‘ gekommen.“ #00:28:50-1#

In ihrer Wahl der Freunde grenzt sie sich ein wenig von „Deutschen“ ab, die sie als „Einzelkämpfer“ bezeichnet, während ihre türkische oder chinesische Freundin „wie die Koreaner“ familiär seien. Jin-ae betont vor allem die starke Verbundenheit zu ihren 2se-Freunden, die wie „Brüder und Schwestern“ seien:

„Mit den Deutschen verstehe ich mich auch gut, aber von der Kultur her sind die schon anders. Also bei den 2ses weiß ich auf jeden Fall: Die sind so wie Brüder und Schwestern, weil die haben genau die gleiche Historie. Die Eltern sind nach Deutschland eingewandert, und die kennen halt die koreanische Kultur, die lieben koreanisches Essen, kennen die Trinkmentalität ((...)). Die Deutschen sind eher so Einzelkämpfer, würde ich so sagen, so eher so Individualisten. Und die Türken sind auch sehr familiär, wie die Koreaner. Bei den Chinesen ist das auch genauso, das mag ich.“ #00:39:31# „Ich habe sonst eher ausländische Freunde, würde ich sagen. Eine gute chinesische Freundin und aus der Schulzeit treffe ich welche ab und zu: Da ist eine Vietnamesin, eine Halbafghanin, eine Halbpolin und eine gute türkische Freundin habe ich noch.“ #00:31:09#

Da in ihrer Schule mehr „Deutsche“ waren, ist ihre logische Schlussfolgerung gewesen, sich der Minderheit der „Ausländer“ anzuschließen:

„Es waren halt mehr Deutsche in der Stufe und wenig Ausländer und dann hat man mehr mit Ausländern zu tun gehabt.“ #00:31:40#

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Auch ihr Bild von Korea änderte sich, als sie im Jahre 2002 erstmalig alleine nach Korea flog und dort Freundschaften knüpfen konnte. Vorher war ihr Koreabild aus ihrer Kindheit sehr negativ geprägt von langweiligen Verwandtenbesuchen und fehlender Autonomie. Sie war alle zwei Jahre (#00:03:49#) mit ihrer Familie in Korea und setzte Korea dabei radikal mit einem „Gefängnis“ gleich. Diese negativen Prägungen aus ihrer Kindheit konnte sie jedoch durch einen sozialen Anschluss in Korea ins Positive umwandeln. Jin-ae möchte nun „eigentlich jedes Jahr gerne nach Korea“ (#00:30:44#):

„Als Kind, da ist man ja immer nur bei den Verwandten zu Hause. Dann muss man immer essen gehen; alle Verwandten besuchen. Halt wie im Gefängnis so (lacht).“ #00:03:48# „Wir waren halt nur zu Hause. Ich fand das immer langweilig, weil ich hatte noch nicht so viel Kontakt zu meinen Cousins. Die waren halt alle schon älter und verheiratet und wir (Jin-ae und ihr Bruder) waren zu jung für die ((...)). Wenn wir alleine was machten, hatten die immer Angst, dass uns was passiert ((...)). Deswegen wollte ich nie so nach Korea.“ #00:30:14#

JONAS hatte immer einen multikulturellen Freundeskreis, worunter auch „Halbkoreaner“ (#00:09:00#) aus seiner Wohngegend waren. Mit letzteren genießt er es, sich über dieselben kulturellen Eigenheiten ihrer koreanischen Mütter auf humorvolle Weise austauschen zu können:

„Man hat viele Gemeinsamkeiten und kann sich auch amüsieren über die Gemeinsamkeiten, die die Mütter haben (lacht). Es gibt da schon so ein Verbundenheitsgefühl auf jeden Fall.“ #00:10:00# „Mit meinen Freunden machen wir uns immer darüber lustig, wenn da irgendwie myŏlch'i [getrockneter Fisch] oder so was im Kühlschrank sind und ich meine Mutter frage, ob ich das noch essen kann, dann guckt sie halt, sagt nichts, weiß nichts und dann riecht sie dran. Und die Antwort ist immer ‚Ja kann man noch essen‘. Das haben meine Freunde alle so erlebt.“ #00:24:10#

KWANG hatte während der Schulzeit „zwangsläufig“ vor allem Freunde mit einem Migrationshintergrund, da diese im Gegensatz zu „Deutschen“ ein stärkeres Gruppenzusammengehörigkeitsgefühl hätten:

Kwang: „Eine kulturelle Nähe, wenn es sowas überhaupt gibt, habe ich eher zu anderen Ausländern, die das gleiche Schicksal haben, unabhängig von der Nationalität. Während der Oberstufe zum Beispiel hatte ich auch mehr Kontakt mit solchen Leuten zwangsläufig ((...)). Da habe ich dann doch gemerkt, der Zusammenhalt in der Gruppe ist sehr viel größer als in einem deutschen Freundeskreis ((...)). Es fängt schon ganz banal damit an, dass man zusammen weggeht, einer hat Ärger und alle anderen gehen nach Hause (lacht). Das ist typisch deutsch. Bis zu meinem Diplom lief das so.“ #00:40:38# I.: „Was meinst du mit ausländischen Freunden? Wie wäre das dann bei denen gewesen? #00:42:00# Kwang: „Also das war meine Erfahrung: Du gehst irgendwo hin und es kommt ja mal vor, in jüngeren Jahren, dass du mal angerempelt wirst oder irgendwer anfängt zu pöbeln, und bevor du überhaupt reagieren kannst, ist von denen schon irgendwas gekommen. Das habe ich bei Deutschen nur erlebt bei einem niedrigeren Bildungsstand.“ #00:42:05#

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Von 2se jedoch hat sich Kwang damals abgegrenzt, weil sie oberflächlich und „pseudo-koreanisch“, aber eigentlich „total deutsch“ gewesen seien, so dass er dann wiederum „lieber deutsche Freunde“ bevorzugt habe. In diesem Zusammenhang spricht er auch allgemein von Koreanern als „Herdentiere“:

„Kyop’os ist nicht so meine Welt gewesen. Mittlerweile sind die ja alle ein bisschen normaler geworden, aber früher waren die ja immer nichts Halbes und nichts Ganzes, ne. Oft so pseudo-koreanisch, aber eigentlich total deutsch. Auch der Mode-Zwang. Ich fand es zu oberflächlich. Dann hatte ich lieber deutsche Freunde, die natürlich so waren ((...)). Als ich noch zur haninhakkyo [koreanische Schule] gegangen bin, war schon alles sehr oberflächlich. Man musste immer aufpassen, was man vor wem sagt. Dann haben die auch alle darauf geachtet, was sie an hatten, hatte ich das Gefühl. Es ist ja so, dass Koreaner sehr markenbewusst aufwachsen. Also entweder man hat es mitgemacht oder man hat es nicht mitgemacht. Etwas dazwischen gab es eigentlich nicht. Koreaner sind ja Herdentiere: Wenn einer ,Tommy‘ trägt, dann tragen alle ,Tommy‘ und dann schwenkt das auf ,Polo‘ über und so. Das habe ich zum Beispiel nicht gemacht.“ #00:30:14#

Seit seinem Studium tendiere sein Umfeld immer mehr zur koreanischen Seite:

„Es ist halb/halb. Ich habe eine Handvoll deutsche Freunde, die ich regelmäßig sehe, also einmal im Monat ungefähr. Und so eine Handvoll koreanische Freunde, die man auch regelmäßig sieht; wobei, ich habe mittlerweile mehr Kontakt mit der koreanischen Seite.“ #00:23:39#

Über die Zeit, in der Kwang in einer anderen deutschen Stadt studierte, spricht er wieder distanzierend davon, bloß „zwangsläufig“ Kontakt (#00:24:53#) zu 2se-Kommilitonen gehabt zu haben. Auf die Frage hin, warum er sich keine deutschen Kommilitonen als Freunde gesucht habe, bezieht er jedoch wiederum bewusst Stellung für die 2se:

„Wenn du neu bist in der Stadt, dann * also du lernst natürlich auch Deutsche kennen, aber bei Koreanern weißt du, egal ob die sich gut oder schlecht mit dir verstehen, ähm man verliert den Kontakt nicht. Wenn man etwas braucht für das Studium, kennst das ja selber: Du brauchst alte Klausuren oder sowas, dann kriegst du die von denen auf jeden Fall. Also es ist ein verlässlicheres Netzwerk.“ #00:25:00#

JAE-SOO konnte, vor allem durch eine koreanische Partnerin und die Beschäftigung bei einem koreanischen Arbeitgeber in Hamburg, seine Koreanisch-Sprachkenntnisse aufbessern (#00:02:53-1#). 6.3.5 Erlebte Fremdwahrnehmung Erlebte Fremdzuschreibungen von der deutschen Mehrheitsgesellschaft aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes des „Diasporischen“ sowie Erfahrungen mit Rassismus sind sehr prägnant bei diesem Typen. Diese ausgrenzenden Erfahrungen animieren den „Diasporischen“ dazu, sich stärker mit der koreanischen Kultur auseinanderzusetzen. Korea hingegen bietet ihm zumindest eine äußerliche Integration, was er auch bewusst wahrnimmt (Matthäus’ äußeres Erscheinungsbild bildet hierbei eine Ausnahme). Ein

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langfristiges Leben in Korea lehnt der „Diasporische“ aber vor allem aufgrund des dortigen Bildungssystems und der hektischen Lebensweise ab. MATTHÄUS wird in Korea so wie auch in Deutschland von seinem äußeren Erscheinungsbild her nie als jemand mit koreanischem Migrationshintergrund wahrgenommen. Mehr noch müsse er Fremden meist beweisen, dass er eine koreanische Mutter habe. Insofern wird ihm zumindest in Deutschland eine fraglose Zugehörigkeit ermöglicht, solange er dem nicht von sich aus widerspricht. Dass andere immer an seiner koreanischen Abstammung zweifeln, kann ihn dazu veranlasst haben, sich stärker der koreanischen Kultur zu widmen und mehr unter 2se zu sein, wo er seine Herkunft nicht erklären muss. Auch in Korea versucht er diesem Rechtfertigungsdruck zu entgehen. Bei fremden Leuten leugnet er meist von vornherein seine deutsch-koreanischen Wurzeln und macht von der Strategie der „Universalisierung“ Gebrauch, indem er sich als „Amerikaner“ ausgibt:

Matthäus: „Die Leute sind schon immer sehr erstaunt, also sind natürlich meistens eher begeistert, wenn ein Deutscher so gut koreanisch spricht.“ #00:18:40# I.: „Sagst du dann immer gleich, dass du Halbkoreaner bist?“ #00:18:58# Matthäus: „Nee meistens nicht. Meistens sage ich, ich bin Amerikaner (lacht). Ist irgendwie lustiger beziehungsweise ich finde es auch manchmal ein bisschen anstrengend zu erklären, ja ich bin Halbkoreaner und dann glauben die mir das nicht und ich muss die wieder überzeugen. Dann denke ich mir lieber eine einfachere Geschichte aus. Also wenn es fremde Leute sind, die ich jetzt nicht regelmäßig treffe.“ #00:19:01#

Die Vorgabe der amerikanischen beziehungsweise damit einhergehenden „universalen“ Identität geht sogar so weit, dass er sich in Korea mit einem anderen Namen vorstellt, der für Koreaner einfacher auszusprechen ist:

„Wenn ich neue Leute kennenlerne, sage ich eigentlich, ich heiße <David> (lacht), weil ‚Matthäus‘ zu kompliziert ist. Also wenn es Leute sind, die ich halt wieder treffen werde, nenne ich meinen deutschen Namen.“ #01:25:00#

JIN-AE hingegen wird in Korea aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes und in Deutschland aufgrund ihres Verhaltens sowohl von Angehörigen der deutschen Mehrheitsgesellschaft als auch von den 2se oftmals für eine Koreanerin gehalten, die in Korea aufgewachsen ist beziehungsweise dort lebt:

„Vom Verhalten her sagt man mir, ich wirke koreanisch ((...)). Zum Beispiel bei „2saeNetwork“, da wussten die nicht, dass ich hier in Hamburg aufgewachsen bin. Die dachten, ich wäre aus Korea (lacht) ((...)). Wahrscheinlich weil ich so zurückhaltend und manchmal ruhig bin.“ #00:52:15#

In der Schulzeit oder für die Arbeit hätte sie sich gerne einen zweiten deutschen oder englischen Namen gewünscht, um die Integration zu erleichtern. Hierbei erwähnt sie

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erneut ihre positiven Assoziationen mit Amerika, wo alle 2se einen amerikanischen Namen hätten:

Jin-ae: „Mit dem koreanischen Namen ist es ein bisschen schwierig gewesen, weil in der Schulzeit und auch jetzt bei der Arbeit ((...)). Die konnten meinen Namen halt nicht aussprechen ((...)). Ich musste es immer dreimal, fünfmal erklären. Und das jedem.“ #01:03:13# I.: „Hättest du dir lieber einen deutschen Namen gewünscht?“ #01:04:22# Jin-ae: „Ähm ja vielleicht einen zweiten Namen, noch vorneweg einen deutschen oder englischen Namen, was halt leichter ist. In Amerika ist es ja so, die haben alle einen amerikanischen Namen, also alle 2ses oder kyop’os. Für die Arbeit hätte ich dann auch einen deutschen Namen benutzt.“ #01:04:26#

JONAS ist hinsichtlich seines äußeren Erscheinungsbildes das extreme Gegenbeispiel zu Matthäus. Er werde in Deutschland von seinem äußeren Erscheinungsbild her schließlich nie als „Deutscher“ wahrgenommen und erlebe immer erstaunte Reaktionen, wenn er sich als Deutscher zu erkennen gibt:

„In Deutschland sehen alle Leute, dass ich in erster Linie kein Deutscher bin. Die sind dann überrascht, dass ich einen deutschen Namen habe oder ich so gut deutsch spreche.“ #00:15:27#

Jonas’ deutscher Name habe bei Deutschen öfter für Verwirrung gesorgt, aber er beschreibt auch einen Gewöhnungsprozess und betont, dass man das „mit Humor“ nehmen müsse:

„Mich hat an der Universität mal die eine Sekretärin gefragt, ob ich denn wirklich Jonas Schmidt bin, weil ich ja nicht aussähe wie Jonas Schmidt. Naja. Daran muss man sich gewöhnen und das muss man auch mit Humor sehen.“ #00:19:44#

Obwohl er sich dadurch nicht belastet gefühlt habe, zeigen seine Reaktionen auf Hänseleien in der Grundschule und Fremdzuschreibungen ein anderes Bild:

„Ich habe mich dadurch nie belastet gefühlt. Ich habe mich in der Grundschule immer mal wieder gekloppt, wenn mich einer ‚Chinamann‘ genannt hat oder sowas. Das hat mich tierisch aufgeregt damals. Aber da wächst man auch irgendwann raus, dass das einen persönlich trifft.“ #00:16:25#

Mit den Fremdzuschreibungen von der deutschen Mehrheitsgesellschaft habe er sich mittlerweile abgefunden, aber er kompensiert diese Erfahrungen teilweise mit seiner häufigen Verarbeitungsstrategie, dem humorvollen Umgang damit:

„Wenn man jünger ist, stört einen das eher, wenn man andauernd gefragt wird, ob man aus China oder Japan kommt ((...)). Man wird andauernd gefragt, woher man kommt. Und wenn man dann <aus Korea> sagt, dann kommt immer noch die Frage, ob man aus Süd- oder Nordkorea kommt. Es sind halt immer dieselben Fragen. Man reagiert teilweise leicht genervt ((...)), aber persönlich angegriffen fühlt man sich dann nicht ((...)). Manchmal reagiere ich ironisch und erzähle die Geschichte, wie ich aus Nordkorea gekommen bin.“ #00:18:35#

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Die ständigen Fremdzuschreibungen drängten ihn letztendlich auch dazu, diese in seine Selbstwahrnehmung zu übernehmen und sich mit seinen koreanischen Wurzeln auseinanderzusetzen und womöglich auch vor allem deshalb nach Korea zu gehen:

I.: „Hast du sonst mal andere Erfahrungen mit Rassismus gemacht?“ #00:20:27# Jonas: „Klar. Das geht von dem kinderhaften Schlitzaugen-Zeigen bis zum in den Club nicht Reinkommen, weil da Ausländer nicht erlaubt sind. Da war schon die breite Palette dabei ((...)). Also wie gesagt in der Grundschule habe ich mich deswegen wirklich täglich gekloppt ((...)). Das lässt einen sich mehr als Asiate fühlen als man letztendlich ist. Weil ich in Deutschland groß geworden bin, ist es ja nicht so, dass ich ganz Koreaner bin, aber man fühlt sich dann mehr in die Richtung gedrängt.“ #00:20:30#

So wurde ihm in Korea „krass“ bewusst, dass er sich dort äußerlich integrieren konnte:

„Hast du in Korea Anpassungsschwierigkeiten gehabt?“ #00:15:00# „Nur durch die Sprache ((...)). Aber ich sehe ja eher koreanisch aus. Also die Leute halten mich für einen Koreaner, manche sehen dann, dass ich Halbkoreaner bin. Aber vom Aussehen her, das ist der krasse Gegensatz zu Deutschland, wirst du hier als Koreaner gesehen.“ #00:15:03#

KWANG hat von klein auf Fremdzuschreibungen von der deutschen Mehrheitsgesellschaft erlebt. Diese seien ausschlaggebend dafür, dass er an seiner koreanischen Identität festhalte:

„Meine Eltern haben mir die Grundlagen gegeben koreanisch zu sein, aber ich glaube, letzten Endes hat den Ausschlag gegeben, dass man... Also man ist sich ja darüber bewusst, dass man nicht deutsch ist. Man sieht nicht deutsch aus, egal, ob man den deutschen Pass hat oder nicht. Und die Deutschen lassen dich das ja auch spüren. Über die Schulhänseleien, finde ich, kann man ja eher hinwegsehen. Da kann man sich dann raufen oder nicht raufen, das ist dann ja Charaktersache ((...)). Schlimmer fand ich, ehrlich gesagt, von erwachsenen Deutschen irgendwie bepöbelt zu werden. Das hat eher Spuren hinterlassen ((...)). Das erlebe ich jetzt nicht mehr, aber die Blicke sind noch eindeutig. Gerade wenn du mal in den Osten fährst oder in schlechter situierten Vierteln Hamburgs ist es auch so. Je höher das Einkommenslevel, desto toleranter ist man nach außen. Man lässt es sich zumindest nicht anmerken, finde ich. Also ich habe in meiner Jugend irgendwie das Gefühl gehabt: So okay, also deutsch werde ich eh nicht.“ #00:38:25#

Im Alltag sind diskriminierende Bemerkungen auch sehr präsent bei Kwang. Er sei „angepisst“, wenn „die Deutschen“ alle „Ausländer“ gleichsetzen:

„Was mich persönlich stört bei der Arbeit ist, dadurch, dass wir sozusagen koreanisch regiert sind, heißt es bei den Deutschen immer <die Koreaner>, wenn es um die Konzern-Koreaner geht. Du weißt zwar, was die meinen, aber mit ‚die Koreaner‘ bist du ja eigentlich auch gemeint. Also ich wünsche mir im Alltag eigentlich schon sehr, dass man in der Wortwahl mehr differenziert. Das ist mit den Deutschen im Freundeskreis genauso gewesen ((...)) <die Kanaken, die Ausländer> und dann fragst du: <Und was ist mit mir?>. <Ja ja, du bist ja anders und du bist ja Asiate. Ihr seid ja nicht so>. Also da ist man schon angepisst. Da wünschte ich mir echt gerade von Leuten, die diesen hohen Bildungsstand haben, dass sie mehr differenzieren ((...)). Also wenn dann sollte man schon genau sagen, was man denn da meint. Also Vorurteile hat jeder, aber dann 99% der Welt über einen Kamm zu scheren ist nicht korrekt.“ #00:43:40#

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Kwang möchte an seiner koreanischen Staatsangehörigkeit festhalten, da ihn „das irgendwo mehr an Korea bindet“ (#01:39:20#) Es ist auch eine gewisse Protesthaltung der deutschen Mehrheitsgesellschaft gegenüber, die ihm keine fraglose Integration in Deutschland ermöglicht:

„Ich habe bei einem Bewerbungsgespräch für ein Praktikum sogar von der Personalerin... Die hat ganz direkt gefragt: <Warum sind sie nicht Deutscher?>. Das darf man ja eigentlich gar nicht fragen. Also die hat wirklich so aus Neugier gefragt. Ich hatte den Platz auch schon ((...)). Ich habe dann auch nur geantwortet: <Ja dadurch würde ich auch nicht viel deutscher aussehen>. Das war auch der Grund, warum ich bis jetzt noch nicht gewechselt habe, weil mein Aussehen ändert sich dadurch nicht und auf dem Papier habe ich nicht so wirklich viel mehr Vorteile. Außer, dass du alle paar Jahre, wenn du einen neuen Pass brauchst, dich überall nochmal neu anstellen musst und dich erniedrigt fühlst bei der Ausländerbehörde, bis auf das ändert sich eigentlich nichts. Es ist ja eher umgekehrt so, dass du auf dem Papier deine Wurzeln verneinst also aufgibst.“ #00:46:10#

Die Staatsangehörigkeit ist ein Thema, mit dem Kwang sich intensiv beschäftigt hat. Unter anderem nennt er den mit seiner koreanischen Staatangehörigkeit einhergehenden Anspruch als erster Erbberechtigter:

„Wenn ich wechsle, wäre ich auf dem Papier nicht mehr der erste Erbe in meiner Großfamilie ((...)). Ich wäre dann nicht mehr der erste Erbe von Familienländereien beispielsweise. Ich finde das ist gar nicht so uninteressant, weil es dich letzten Endes an deine Großfamilie bindet, auch über den Tod deiner Eltern hinaus, aber ja, für die eigenen Kinder, warum nicht.“ #00:51:44#

Dennoch würde er das aufgeben und die deutsche Staatbürgerschaft annehmen, damit seine Kinder später die doppelte Staatsbürgerschaft besitzen können und sich nicht mit 21 Jahren für eine entscheiden müssen:

„Es ist staatenrechtlich mittlerweile so, dass Deutschland und Korea ein bilaterales Abkommen haben, die gewisse bewusste Lücken aufweisen. Das heißt, wenn ich jetzt Deutscher werde und meine Frau Koreanerin bleibt, dann haben meine Kinder später die doppelte Staatsbürgerschaft und müssen diese nicht mit der Volljährigkeit abgeben ((...)). Damit die Kinder sich nicht entscheiden müssen und trotzdem beide Vorteile haben, werde ich wahrscheinlich wechseln.“ #00:50:41#

Bezüglich seines koreanischen Namens sieht es Kwang ebenfalls so, dass ihn ein deutscher Name nicht „deutscher“ machen würde (#00:56:07#). Bei der Namensgebung für seine Kinder wird sein als „Erstgeborener“ starkes Pflichtbewusstsein für seine Vorfahren deutlich:

I.: „Würdest du deinem Kind einen deutschen oder koreanischen Namen geben?“ #00:56:16# Kwang: „Ich glaube sogar beides. Ich fände einen koreanischen Namen ganz schön. Wobei wir haben ja eigentlich alle chinesische Namen bekommen und mittlerweile gibt man ja in Han'guk [Korea] auch wirklich koreanische Namen. Aber ich müsste eigentlich dadurch, dass ich der Erstgeborene bin, zumindest meinem Sohn einen chinesischen Namen geben, weil mein Bruder und mein Cousin, die müssen sich dann nach mir richten. Daher denke ich, ob ich will oder nicht, wird mein Sohn auf jeden Fall einen chinesisch-koreanischen Namen bekommen,

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der im Stammbaum auftaucht. Ob die dann dazu noch einen koreanischen oder deutschen Namen dazu bekommen, da bin ich vollkommen offen.“ #00:56:26#

Kwang resümiert, dass er lieber in Korea aufgewachsen wäre, um sich vollständig zu einer Kultur zugehörig fühlen zu können. Seine Kinder würde er allerdings auch nicht vor demselben Dilemma bewahren und sie in Deutschland aufwachsen lassen aufgrund des hier einfacheren „Bildungswesens“ (#01.49:35#):

„Ich glaube, ich wäre lieber in Korea aufgewachsen. Es wäre einfacher gewesen. Nur eine Sprache, nur eine Kultur. Ähm * du hast ja als Weltenwandler Vorteile, das muss man auch ganz klar sagen, aber der Weg dahin ist halt steiniger. Angefangen von den Hänseleien bis hin... also du bist ja unter deinesgleichen, den echten Koreanern sage ich mal, bist du ja auch nicht als vollwertiges Mitglied anerkannt. Das sind so die Schwierigkeiten, mit denen man leben muss; auf beiden Seiten. In Deutschland ist es genauso. Da kriegst du ein Kompliment <Oh, Sie sprechen aber gut deutsch, bla bla bla>. Das höre ich immer noch oft ((...)). Ich halte es nicht eines Kommentares würdig, weil ich denke, die können sehr wohl heraushören, dass ich das Deutsche nicht erst in späteren Jahren erlernt habe. Dann wäre ein Kompliment natürlich sehr schön. Aber ich denke bei uns jetzt zum Beispiel ist es ja so: Man hört es ganz klar. Wir sprechen ja auch kein Hochdeutsch, sondern mit leichtem Hamburger Dialekt meistens.“ #01:47:20#

In der abschließenden allgemeinen Frage nach seinen Wünschen für das Leben betont Kwang noch einmal die für ihn sehr präsente Thematik der verwehrten Integration. Obwohl er hierbei auch die Konstruktion kultureller Differenzierungen kritisiert, schließt er sich selbst ebenfalls in die Kritik mit ein:

„Unabhängig von Gesundheit und Reichtum würde ich mir natürlich wünschen, dass nicht nur die Deutschen, sondern wir alle uns... äh * Ich mache mir auch sehr viele Gedanken über die Herkunft, über meine Herkunft und die Herkunft anderer Menschen. Wir sollten uns aber alle mehr Gedanken darüber machen, dass wir einander dadurch nicht verletzend zu nahe treten. Damit meine ich nicht nur die Hänseleien oder Pöbeleien. Der Mensch stellt ja automatisch seine Religion, seine Herkunft über die der anderen, und da denke ich müssen wir alle noch ein bisschen daran arbeiten.“ #02:19:44#

JAE-SOO war sich früh seiner ausgrenzenden Fremdwahrnehmung bewusst und kann sich auch ganz genau an die einzelnen diskriminierenden Sprüche von anderen Kindern ihm gegenüber erinnern:

„Mich hat es eher gestört, wenn andere Kinder mich so angeschaut haben. Das fand ich unangenehm.“ #01:13:10-1# „Ansonsten diese Sprüche, die man halt als kleines Kind gehört hat: Reisfresser, Schlitzaugen, ob man mir auf den Kopf gekackt hätte, weil ich so schwarze Haare habe oder ob ich gegen den Wind gepinkelt hätte, weil ich so gelb bin. Aber das sind so Sachen, die man aus dem Kleinkindalter kennt. In der Grundschulklasse war ich mit sehr vielen Ausländern, von daher war ich einer von vielen. Da war das nicht so Thema. Da waren die Deutschen eher die Minderheit. Und auf dem Gymnasium war es zu dem Zeitpunkt nicht mehr so, dass man sich über das Aussehen geäußert hatte. Ich hatte mich nur mal mit einem Jungen gestritten und der hatte gesagt, ich hätte eine Bratpfanne ins Gesicht gekriegt.“ (#00:09:05-3#)

Jae-soos Mutter hat ihm für den Kindergarten eine abgewandelte Form seines Namens gegeben, die für „Deutsche“ einfacher auszusprechen sei. Insofern schien seine Mutter

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– zumindest im Nachhinein – ein wenig um eine Anpassung in Deutschland bemüht. So wurde Jae-soo bis zum Ende seiner Schulzeit „Jenso“ (in Anlehnung an „Jens“) gerufen, womit er kein Problem gehabt habe:

„Jae-soo ist ja an sich für den Deutschen schwer auszusprechen ((...)). Es ging manchmal sogar so weit, dass ich mich komisch gefühlt habe, wenn ich einem Deutschen meinen richtigen Namen genannt habe, weil... Meine Mutter hat vom Kindergarten an einen einfachen Namen gegeben, so wie die mich nennen sollten. Also ich hieß damals nicht ,Jae-soo‘ sondern ,Jenso‘. Wie ,Jens‘ nur mit ,O‘. Und das hat sich dann so bei mir auch so eingebrannt. Nicht nur im Kindergarten, in der Vorschule, Grundschule, Gymnasium (lacht) ((...)). Ich habe mich meistens immer so vorgestellt. Für mich war das überhaupt kein Problem.“ #00:41:00-2#

Umso sensibler reagiert er mittlerweile jedoch, wenn Leute aus Angst vor einer falschen Aussprache es nicht einmal versuchen würden, seinen richtigen Namen auszusprechen:

„Ich habe ein sehr, sehr starkes Vorurteil den Menschen gegenüber, die es noch nicht mal versuchen, ihn auszusprechen. Da bin ich sehr, sehr empfindlich. Ich habe kein Problem damit, wenn Leute es falsch aussprechen. Das ist mir total scheißegal. Aber Leute, die es extra meiden weil da so ,a‘ ist und ,e‘. Da reagiere ich ganz, ganz empfindlich drauf.“ #00:42:27-2#

NIKO kritisiert die kulturelle „Ignoranz“ der „Deutschen“ beziehungsweise deren Unwissenheit bezüglich Korea, mit der er häufig konfrontiert werde:

„Was mich immer stört, ist die Frage... eine sehr allgegenwärtige Frage ist immer, wenn ich sage, dass ich koreanisch bin * äh in Teilen, dann immer gleich die Frage <Nord oder Süd?> ((...)). Das habe ich hundertfach erlebt. Das letzte Mal * vor zwei Wochen ((...)). Das hat auch viel was mit Ignoranz zu tun.“ #01:40:20#

Er hat auch viele Erfahrungen mit Rassismus machen müssen, gegen die er sich während seiner Kindheit nicht gewehrt habe. Seit er deshalb die koreanische Kampfsportart Taekwondo zur Selbstverteidigung exzessiv gelernt hat, dient ihm das als Abwehrinstrument rassistischer Angriffe:

I.: „Hast du Erfahrung mit Rassismus gemacht?“ #02:13:24# Niko: „Ja sehr viel, definitiv. Man wird im Kindergarten gehänselt diesbezüglich und heute auch ((...)). Früher habe ich mir das als Kind gefallen lassen, und das ist auch ein Grund warum ich unter anderem mit Taekwondo angefangen habe. Relativ spät habe ich gesagt, geht das so nicht weiter.“ #02:13:26# I.: „Und jetzt wehrst du dich dagegen?“ #02:15:37# Niko: „Ja, manchmal ja ((...)). Vor zwei oder drei Jahren wurde ich auch mal angegriffen, auch körperlich diesbezüglich und ich habe auch nichts gemacht. Also ich habe versucht, in aller Vernunft, das auszudiskutieren, und als ich gemerkt habe, dass es nicht funktioniert hat, musste ich dann auch was machen.“ #02:15:44# I.: „Was hast du denn gemacht?“ #02:17:33# Niko: „Ein Pandalch’agi [Kopfkick] ins Gesicht.“ #02:17:43#

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Niko hat zwar inoffiziell einen koreanischen Namen, aber macht davon außerhalb Koreas nicht Gebrauch (#02:22:00#). Bei seinen koreanischen Schulkameraden hingegen lege er Wert darauf, sie bei ihrem zweiten koreanischen Namen zu nennen. Das sei für ihn eine „Respektsache“, da deren deutsche Namen mehr aus einer Assimilation heraus entstanden seien. Hierbei kritisiert er indirekt, dass die „Deutschen“ wenig Bereitschaft für die Aneignung interkultureller Kompetenzen aufwiesen. Dabei wird auch deutlich, was für einen Stellenwert die Erhaltung der koreanischen Wurzeln für ihn hat:

„Mit den Halbkoreanern, mit denen ich in der Schule war, die hatten sowohl einen deutschen als auch einen koreanischen Namen. Und die meisten haben die mit ihrem deutschen Namen angesprochen, und ich habe sie mit ihrem koreanischen Namen angesprochen. Da haben die auch immer gesagt: ,Von wem redest du?‘ (lacht) ((...)). Das hat auch was mit Respekt zu tun, weil im Prinzip hat man denen ja oft den deutschen Namen gegeben, damit sich die Schüler und Lehrer jetzt nicht unbedingt einen Zungenbruch oder so holen ((...)). Da kommt man ja im Prinzip nur den Bedürfnissen der anderen zu Gute.“ #02:22:10#

6.3.6 Zusammenfassung Die kulturell „verstreute“ Identität des „Diasporischen“ verhindert ein eindeutiges Zugehörigkeitsgefühl zu einer bestimmten Kultur. Dieses Dilemma löst der „Diasporische“ jedoch, indem er sich an den USA – dem „Schmelztiegel“ unterschiedlicher Kulturen – orientiert oder auch seine universale Zugehörigkeit über den religiösen Glauben definiert. Das gelingt ihm in der Praxis jedoch nur bedingt und die erst im jungen Erwachsenenalter beginnende Auseinandersetzung mit seiner koreanischen Abstammung wird ein zentraler Punkt für seine Selbstfindung. Eine bilinguale Erziehung scheiterte teilweise an der zu Hause oftmals geringen Präsenz der Eltern des „Diasporischen“ sowie auch größtenteils an negativen Erfahrungen an der koreanischen Schule. Das wiederum führte dazu, dass der „Diasporische“ sich während seiner Jugend stärker an seinem deutschen Umfeld orientierte. Wie bei dem „Rebellen“ hat der „Diasporische“ jedoch die kulturell stark einseitige Erziehung seiner Eltern in direktem Kontrast zu seiner deutschen Umgebung erlebt. Um das Verhältnis zu seinen Eltern nicht zu gefährden und deren Erwartungen zu erfüllen, versucht der „Diasporische“ einen Kompromiss zu finden, indem er sich mit Gleichgesinnten 2se in eine Diaspora zurückzieht. Hierfür haben die Eltern mit der Vernetzung ihrer Kinder in der koreanischen Gemeinde bereits früh den Grundstein gelegt. Zudem führten den „Diasporischen“ oftmals sehr spezielle sowie auch prägnant negative Erfahrungen in der erlebten Fremdwahrnehmung dazu, sich stärker seinen koreanischen Wurzeln zu widmen und mit kulturell Gleichgesinnten zu solidarisieren.

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6.4 Der FLEXIBLE Dem Typus der „Flexible“ ist lediglich die Interviewpartnerin Soo-min zuzuordnen. Der „Flexible“ setzt überwiegend die Strategie „Anpassen und Umschalten“ ein, um kulturelle Unterschiede zu nivellieren und sich somit nicht explizit gegen eine Kultur zu positionieren. Der Bezug zur koreanischen wie auch zur deutschen Kultur ist bei dem „Flexiblen“ positiv. Er integriert die koreanische und deutsche Kultur nach dem „Modell Buffet“ (Wenzler-Cremer 2005: 221-224) und ist demnach in der Lage, die Angebote beider Kulturen für sich situationsgerecht zu nutzen. Das geschieht, indem er entweder eine für sich passende Auswahl trifft oder Elemente beider Kulturen zusammenfügt (Vgl. ebd.: 328). 6.4.1 Kulturelle Identität Der „Flexible“ identifiziert sich mit der deutschen und der koreanischen Kultur gleichermaßen und ist mit beiden kulturellen Codes vertraut. Er ist daran gewöhnt, sich zwischen der koreanisch geprägten Familienkultur und der deutschen Umgebungskultur flexibel zu bewegen und bis zu einem gewissen Grade anzupassen. Um dabei seine eigene Individualität und Authentizität zu bewahren, ordnet er sich meist aber auch ein wenig der Kultur zu, in der gerade nicht ist. Seine Anpassungsleistung verläuft dennoch unbewusst beziehungsweise automatisch, so dass er im Gegensatz zu dem „Diasporischen“ nicht das Gefühl eines doppelten Anpassungsdrucks verspürt.

SOO-MIN ist manchmal über sich selbst überrascht, wenn sie sich bewusst macht, wie „koreanisch“ sie sich verhalte. Die diesbezüglich unterschiedlichen Außenwahrnehmungen verdeutlichen aber auch ihre unbewusst bikulturelle Orientierung:

Soo-min: „Ich dachte immer ich bin sehr deutsch. Aber dann wiederum, wenn ich... weiß ich nicht, mich manchmal so sehe, dann denke ich so <Oh Gott, das war gerade voll koreanisch> (lacht).“ #00:42:41# I.: „Wie zum Beispiel?“ #00:42:53# Soo-min: „Weiß ich auch nicht. Das fällt mir jetzt nicht so ein. ((...)) Alex (Partner) sagt das auch.“ #00:42:54# I.: „Dass du koreanisch bist?“ #00:43:01# Soo-min: „Ja manchmal. Aber meine ŏmma [Mama] zum Beispiel wiederum sagt immer, oh ich bin voll deutsch.“ #00:43:03#  I.: „Und in Korea? Was sagen die?“ #00:43:09#  Soo-min: „Ich glaube, die können das nicht so einschätzen, weil ich ja koreanisch aussehe und mit denen koreanisch spreche. Die sagen immer, ich bin irgendwie <tough> ((...)) also so <sehr stark> sagen die. Also, dass ich das irgendwie so ausstrahle irgendwie. Obwohl ich das von mir selber nicht so finde (lacht).“ #00:43:10#  

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Die koreanische Kultur stellt für Soo-min eine bereichernde Abwechslung zu der deutschen Umgebungskultur dar, die sie in ihre Lebensgestaltung miteinbezieht. In ihrem Alltag ist die koreanische Kultur oft auch dadurch präsent, dass sie beispielsweise ein starkes Bedürfnis nach dem Konsum von koreanischen Filmen und Serien hat. Als Soo-min davon erzählt, wird sie ganz enthusiastisch und redet schnell. In dem Moment, als sie das vermutlich merkt bei ihrer Aussage „Oh Gott, ich muss jetzt...“ versucht sie sich aber zu kontrollieren, bricht den Satz ab und drückt sich mit dem Adverb „irgendwie“ ungenauer beziehungsweise neutraler aus. Die ungenaue und dementsprechend diplomatischere Positionierung gegenüber den beiden Kulturen scheint sie oftmals automatisch zu benutzen:

„Ich habe manchmal so einen Flash, so wenn ich so denke: <Oh Gott, ich muss jetzt...>. <Ich * habe irgendwie Lust auf einen koreanischen Film> ((...)). Das ist immer so eine Phase.“ #01:08:34#

Soo-mins Entscheidung für ein Koreanistik-Studium sei vor allem zustande gekommen, damit sie nach der Beendigung der koreanischen Schule in Deutschland auch „weiterhin in Kontakt bleibe mit Korea und der Gesellschaft, der Kultur und so weiter“ (#00:28:50#). 6.4.2 Familiäre Situation In der Erziehung haben die Eltern des „Flexiblen“ viel Wert darauf gelegt, die positive Bedeutsamkeit ihrer Herkunftskultur, aber auch die der deutschen Umgebungskultur in das Familienleben einzubeziehen. Auf diese Weise sind sie in der Lage gewesen, eine Wertschätzung beziehungsweise ein positives Zugehörigkeitsgefühl zu beiden Kulturen zu vermitteln und die Fähigkeit des Perspektivwechsels zu fördern. SOO-MIN grenzt sich zwar von ihrer Mutter insofern ab, dass sie sie als „sehr koreanisch“ (#00:54:43#) kategorisiert, diese scheint jedoch in vielerlei Hinsicht nicht so sehr an der koreanischen Kultur festzuhalten, wie das bei den meisten anderen koreanischen Müttern der Interviewpartner der Fall ist. Soo-mins Mutter lebt ihr insofern eine gelungene Integration vor, indem sie etwas mehr in deutsche als koreanische Netzwerke eingebunden ist und eine deutsche Kirchengemeinde besucht, aber zugleich auch an koreanischen buddhistischen Veranstaltungen teilnimmt und die Bibel sowohl auf deutsch als auch auf koreanisch liest (#00:55:20#). Um nicht die Individualität und Eigenständigkeit in ständiger Anpassung an die jeweilige Umgebung zu verlieren, entscheidet Soo-min für sich selbst, in welcher Hinsicht sie sich welcher Kultur mehr zuordnet und auch von ihrer Mutter „total“ abgrenzt:

„Wenn meine Mutter sagt, dass ich deutsch bin, dann sagt sie das meistens, wenn... weil Koreaner fragen ja immer oft: <Willst du noch mehr essen?>. Und dann fragen sie glaube ich drei Mal mehr, weil es höflich ist, drei Mal zu fragen. Aber mich nervt es total. Also einmal

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fragen ist okay und beim zweiten ist schon genug. Ich bin auch genauso. Also wenn ich jemanden frage: <Willst du?> und er sagt: <Nein>, dann frage ich auch nicht nochmal.“ #00:44:09#

Ihren Vater ordnet sie zwar ebenfalls als sehr koreanisch ein (#00:54:44#), aber ihr Verhältnis zu ihm sei „ein bisschen harmonischer“ (#00:54:03#), da sie sich „charakterlich sehr... oder relativ ähnlich“ seien (#00:54:05#). Obwohl sie sich hierbei mit ihrem Vater solidarisiert, führt die relativierende Aussage durch das Wort „bisschen“ oder das im Nachhinein korrigierte Wort „relativ“ statt „sehr“ dazu, sich nicht zu stark gegen ihre Mutter zu positionieren. Auch vermeidet sie eine kulturalistische Erklärung.

„Ich glaube, es liegt eher an seinem Charakter, dass er zum Beispiel eher so ist, dass er auch nur einmal oder zweimal fragt, ob jemand was essen will. Also ich glaube das liegt einfach daran, dass er ein Mann ist und an seinem Charakter und nicht daran, dass er deutsch geprägt ist. Er ist einfach so (lacht).“ #00:54:47#

Soo-mins Vater unterscheidet sich von den meisten anderen koreanischen Vätern 43 dadurch, dass er nicht als Gastarbeiter, sondern als Student nach Deutschland gekommen ist und nicht in der koreanischen Gemeinde eingebunden ist. Das führt Soo-min darauf zurück, dass er öfter in Korea sei (#00:55:10). Die bikulturelle Erziehung wird vor allem bei ihren familiären Essgewohnheiten anschaulich. Soo-mins Mutter bereitete immer „eher so einen Mix“ (#00:19:01#) aus deutschem und koreanischen Essen zu und konnte so ihre positive Haltung bezüglich einer Kombination beider Kulturen vermitteln:

„Wir hatten fast immer Reis und dazu Steak oder Fischstäbchen oder halt so kogi [Fleisch] und Gemüse und sowas“ #00:19:03#

Morgens hingegen gab es auch immer ein kaltes Frühstück, da ihre Mutter „ziemlich gerne Brot und Käse mag“ (#00:19:55#). Dass Soo-min in dem Satz auch das koreanische Wort für „Fleisch“ erwähnt, zeigt, wie natürlich der Mix beider Kulturen für sie auch beim Essen ist. Auch ihr Lieblingsessen als Kind war ein Gericht mit vermischten Elementen, das sie auch immer noch gerne mag: „Reis mit kanjang [Sojasauce] und Fischstäbchen und ch’amgirŭm [Sesamöl]“ (#00:18:28#). Auch hierbei mischt sie wie selbstverständlich die deutschen und koreanischen Bezeichnungen in einen Satz zusammen.   Die Eltern haben viel Wert darauf gelegt, die Werte koreanischer Traditionen an Soo-min weiterzugeben. Es ist für sie selbstverständlich, dass sie an Neujahr ihren hanbok [koreanische Tracht] anzieht und das traditionelle Neujahrsessen ttŏkkuk [Reiskuchensuppe] isst. Ebenso zelebriert sie Gedenkfeste wie beispielsweise die

                                                                                                               43 Ebenfalls Ausnahmen bilden die koreanischen Väter der „Rebellen“ Hyok und Hana.

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Ahnenverehrung. Auch in der Freizeitgestaltung sind die traditionellen Werte durchgedrungen, so dass sie gerne puch’aejung [Fächertanz], Taekwondo und changgo [Trommeln] gelernt hat (#00:09:45#):  

„Damals, glaube ich, fanden wir das (puch’aejung) alle voll toll, weil das auch schön aussieht und so mit hanbok und Fächern (lacht).“ #00:09:30#

Soo-mins Eltern haben den direkten Bezug zu Korea auch dadurch gefördert, dass sie regelmäßig alle ein bis zwei Jahre zum Urlaub nach Korea geflogen sind. Nach ihrer Schulzeit ist Soo-min dann für ein Praktikum und auch im Rahmen eines Auslandssemesters für mehrere Monate in Korea gewesen. Es scheint für sie selbstverständlich, Korea und vor allem ihren Verwandten gegenüber „natürlich“ sehr positiv eingestellt zu sein. Außer der allgemeinen „Hitze“ (#00:47:44#) nennt sie keinerlei negative Eindrücke. Sie konnte sich gut integrieren und es habe „immer alles ziemlich Spaß gemacht“ (#00:48:00#):

„Wenn ich Verwandte besuche, dann ist es natürlich toll. Die wollen einem immer was kaufen und sagen <Ohh, lange her> und sowas.“ #00:46:04# „Mit denen (Cousinen) bin ich immer ganz gut klargekommen, weil die älter sind und von sich aus auch viel gefragt haben; einen mitgenommen haben oder einem was zu essen... Kleidung gekauft haben oder so (lacht). Von daher habe ich immer gute Erinnerungen daran.“ #00:47:20#

6.4.3 Sprachbildung Dadurch dass der „Flexible“ bilingual erzogen wurde, dienen ihm seine Sprachfertigkeiten als zentrales Instrument für seinen flexiblen und anpassungsfähigen Umgang mit beiden Kulturen. Da seine Eltern Koreanisch als Familiensprache etabliert haben und damit die Beziehung zu dem „Flexiblen“ in ihrer Muttersprache gestalten, konnten sie ihm einen vertrauten und emotional bedeutsamen Zugang zur koreanischen Kultur verschaffen. SOO-MINs Eltern haben viel Wert darauf gelegt, die koreanische Kultur in die Erziehung einfließen zu lassen. Mittels vieler koreanischer Kassetten, Bücher und Videos war die koreanische Sprache stets präsent im Leben von Soo-min und blieb ihr auch positiv in Erinnerung:

„Ich weiß, dass ich die (koreanische Märchenbücher) immer im Bücherregal hatte und ziemlich gerne gelesen habe (lacht).“ #00:01:15#

Soo-min spricht nach eigenen Angaben akzentfrei koreanisch. Das sei vor allem auf ihren über zwölf Jahre langen Besuch der koreanischen Schule zurückzuführen. Die koreanische Schule hat sie – im Gegensatz zu vielen anderen der Interviewten – so lange besucht, weil sie dort eine soziale Anbindung hatte beziehungsweise ihre beste Freundin auch immer da war und es ihr anfangs sogar Spaß gemacht hatte. Später nahm ihre Motivation ab, weil sie

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sich mit anderen Schülern auf dem Gymnasium verglich, die mehr Freizeit hatten, weil sie nicht zusätzlich zu einer Nachmittagsschule gingen. Dass sie dann nicht weiterhin zur koreanischen Schule gehen wollte, scheint ihr in dem Interview schwer von den Lippen zu gehen und sie stockt an der Stelle und relativiert das zweimal mit dem Adverb „irgendwie“. Auf diese Weise positioniert sie sich vorsichtig zurückhaltend und ungenau:

„Ich weiß, dass ich am Anfang ziemlich gerne (zur koreanischen Schule) hingegangen bin, weil es immer sehr spielerisch gewesen ist und so. Und später als ich dann auf das Gymnasium gekommen bin, wurde es immer anstrengender, weil man dann freitags nach dem Unterricht quasi nochmal zum Unterricht gehen musste und alle anderen hatten dann frei. Zu der Zeit war das ziemlich anstrengend und ja ** irgendwie ** wollte ich das dann auch irgendwie nicht. Aber jetzt im Endeffekt bin ich ziemlich froh, dass ich das durchgezogen habe bis zum Abschluss.“ #00:04:50#

Es war dann vor allem die positive Außenwahrnehmung ihrer zweisprachigen Erziehung, die sie dazu motivierte, weiter zur koreanischen Schule zu gehen:

„Als ich das später verstanden habe, wo mir andere Leute öfters gesagt haben <Oh, du hast es voll gut, dass du zweisprachig aufgewachsen bist> und so, da habe ich dann selber auch gemerkt, dass es voll gut ist und mir auch selber voll gut tut.“ #00:06:24#

Während des Interviews benutzt Soo-min sehr häufig koreanische Ausdrücke. Sofern es die Sprachkenntnisse ihrer „Kyop’o-Freunde“ erlauben würden, versucht sie stets auch in ihrem außerfamiliären Umfeld koreanisch zu sprechen:

„Bei anderen kyop’o-Freunden spreche ich meistens gemischt. Es kommt immer auf die Laune drauf an. Wenn wir über einen koreanischen Film oder so reden, dann rede ich, glaube ich, mehr koreanisch ((...)). Aber ich habe zum Beispiel eine Freundin, von der ich weiß, dass sie sehr gut koreanisch spricht und mit ihr spreche ich mehr koreanisch, als mit einer anderen Freundin, die nicht so fließend, sage ich mal, spricht.“ #00:15:09#

6.4.4 Freundeskreis und koreanische Gemeinschaft Der engste Freundeskreis des „Flexiblen“ ist größtenteils gekennzeichnet durch ähnliche bikulturelle Hintergründe oder gemeinsam geteilte Interessen an Korea. SOO-MINs soziale Kontakte waren stets geprägt von „anderen Koreanern“ 44 (#00:08:40#), mit denen sie auch immer noch Kontakt hat. Diese zählt sie zu ihren engsten Freunden, weil sie wie „Schwestern“ für sie seien. Diese Beziehung haben größtenteils ihre Eltern initiiert, indem sie Weihnachten und Neujahr immer mit weiteren koreanischen Eltern und deren Kindern zusammen feierten, „weil das dann die Atmosphäre familiärer macht“ (#01:06:55#). Die Eltern haben damit die „deutsche“ Tradition, Weihnachten mit der Großfamilie zusammen zu feiern, auf ihre eigene Art angeglichen:

„In Deutschland ist es ja normalerweise so, dass man dann (an Weihnachten) die Großeltern einlädt und so. Und weil wir das ja hier nicht haben, machen wir uns dann die Familie selber sozusagen (lacht).“ #01:07:00#

                                                                                                               44 auf Nachfrage hin konkretisierte sie, dass sie damit 2se meint.

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„Ich würde auf jeden Fall sagen, ich habe mehr koreanische Freunde. Meine Schulfreunde sind deutsch, meine, ich sage mal, ,privaten‘ Freunde sind koreanisch und meine Unifreunde sind gemischt. #01:09:53# „Mit den Koreanern ist das mehr so fast schon wie Familie. Wie so eine kleine oder große Schwester oder so. Also das ist, glaube ich, so der engste Freundeskreis, wenn man das so sagen kann.“ #01:10:25#

Soo-min sagt zwar, dass sie mit den unterschiedlichen Freundeskreisen jeweils gleich viel unternehme, aber zu ihren Schulfreunden ohne bikulturellen Hintergrund grenzt sie sich auch ein wenig ab. Sie erwähnt beispielsweise, dass ihre Freunde von der Uni, die ebenfalls einen ostasiatischen Migrationshintergrund haben, sich im Gegensatz zu ihren deutschen Freunden für koreanische Filme und Musik interessieren würden (#01:11:20#):

„Es (die Unternehmungen mit unterschiedlichen Freundeskreisen) wechselt sich ganz gut ab, glaube ich.“ #01:10:55# „Ich habe, glaube ich, schon weniger deutsche also weniger ganz deutsche Freunde. Ich weiß auch nicht genau, warum. Aber ich glaube, es liegt schon irgendwie an der Kultur ((...)). Also meine deutschen Freunde haben halt gar keinen Koreabezug“ #01:11:06#

Zu Koreanern empfindet Soo-min eine emotional starke Verbundenheit. Auf die Frage, was sie als typisch koreanisch empfinde, nennt sie – im Gegensatz zu den anderen Interviewten – ein sehr tief kulturell verankertes Konzept, das man in der Regel erst kennt, wenn man sich intensiv mit der Kultur beschäftigt hat. Hierfür nennt sie auch die koreanischen Begriffe, für die es keine direkten Entsprechungen im deutschen Wortschatz gibt:

Soo-min: „So chŏng [Verbundenheit, Vertrautheit] und nunch’i [Aufmerksamkeit, Sensibilität] ((...)). Zum Beispiel wenn man eine Zeit lang mit jemandem gelebt hat oder zusammen gearbeitet hat und dann auseinander geht, also wenn man dann eine Person nicht mehr sieht oder so, dass man sich halt nach ihr sehnt. Eigentlich nicht, weil man jemanden liebt oder weil man den unbedingt so gerne mag, sondern einfach, weil man das gewohnt war. Weil man aus dem Gewohnten so rausgerissen wird. Und das gibt es halt im Koreanischen ganz viel, finde ich. Also man sagt halt: <o chŏngi nŏmu manhi tŭrŏnnŭnde, chal ka> [Ach, ich fühlte mich so verbunden mit dir, mach es gut] und so (lacht).“ #00:37:19#   I.: „Also dieses Gefühl hast du hier in Deutschland weniger?“ #00:38:05# Soo-min: „Hhm, nee nicht weniger. Aber auf jeden Fall unter Koreanern deutlicher als mit Deutschen. Ich weiß auch nicht genau. Also zum Beispiel mit den Leuten, mit denen ich in einer Schule war, die deutsch waren, war das nicht so. Ich habe die nicht so vermisst oder so nachdem wir nicht mehr zusammen Unterricht hatten. Aber wenn man andere han'guk saramdŭl [Koreaner] kennenlernt und drei Tage Zeit mit denen verbracht hat oder so und dann auseinandergeht, dann ist schon dieses chŏng irgendwie da ((...)). Ich habe es aber auch noch nie so verglichen.“ #00:38:09#  

Bei der Partnerwahl bildet die Bikulturalität für Soo-min ebenfalls einen zentralen Aspekt, so dass sie Partner mit asiatischem Migrationshintergrund bevorzuge, da diese sie und vor allem ihre Mutter kulturell besser verstehen könnten. Dementsprechend würde sie aber auch eine Beziehung mit jemandem, der in Korea aufgewachsen ist, schwierig finden.

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Obwohl sie sich hierbei positioniert, indem sie von „anderen“ Kulturen spricht, versucht sie keine absoluten Aussagen zu machen und relativiert diese mit vorsichtigen Ausdrücken wie „glaube ich“, dem Pronomen „bisschen“, dem Adjektiv „wahrscheinlich“ oder dem Adverb „vielleicht“. Am Ende möchte sie auch nicht abgrenzend von „bevorzugen“ sprechen, sondern sagt statt dessen bloß: „Es schadet auf jeden Fall nicht“ (#00:50:10#):

„Mit einem ,Ganzkoreaner‘ ((...)), das wäre schon ein bisschen komisch. Also ein bisschen anders auf jeden Fall ((...)). Der hätte dann ja wahrscheinlich nur oder fast nur die koreanische Kultur kennengelernt, und da würde es wahrscheinlich viele Meinungsverschiedenheiten geben.“ #00:42:25# „Vielleicht würde ich, glaube ich, eher mit jemandem ausgehen, der die asiatische Kultur kennt, weil es dann für mich einfacher ist. Zum Beispiel wenn die meine ŏmma [Mama] kennenlernen, das ist ja anders!“ #00:40:28#  

Ein „deutscher“ Partner würde beispielsweise nicht so wie ihr deutsch-koreanischer Freund Alex automatisch die koreanische Art der Begrüßung machen:

„Zum Beispiel insahanŭn kŏt [das Begrüßen]. Also wenn er (Alex) meine Mutter trifft, sagt er auf han'gungmal [koreanisch] annyŏnghaseyo [Guten Tag] und verbeugt sich auch und solche Sachen. Das musst du einem Deutschen erstmal beibringen (lacht).“ #00:49:10#  

Auch bei den Eltern ihres Partners fühlt sie sich vor allem durch die Präsenz seiner koreanischen Mutter wohl:

„Einfach dadurch, dass die Mutter dort ist, und dass die auch zum Beispiel viel kimch’i [scharf eingelegter Kohl] und so was essen, fühlt man sich da auch auf jeden Fall heimisch.“ #01:08:00#

6.4.5 Erlebte Fremdwahrnehmung Da dem „Flexiblen“ der Perspektivenwechsel leicht fällt und er sich sowohl mit seiner deutschen Umgebungskultur als auch der koreanischen Herkunftskultur seiner Eltern identifizieren kann, geht er mit Fremdzuschreibungen und Fragen nach seiner Herkunft souverän um. SOO-MIN besuchte Schulen, wo die Schüler sehr multikulturell gemischt waren, weshalb sie glaubt, dort mit Hänseleien nicht konfrontiert worden zu sein:

„Meine Schule war immer relativ gemischt ((...)). Von daher war das (Hänseleien) nie so Thema.“ #01:02:20#

Fremdzuschreibende Kommentare wie „Oh, Sie sprechen aber gut deutsch“ habe sie hingegen schon öfter von älteren Menschen gehört, aber darüber schmunzelt sie bloß und findet es „eher witzig“ (#01:12:30#). Soo-min hat sowohl einen deutschen als auch einen koreanischen Namen, was gewissermaßen den Willen der bikulturellen Erziehung ihrer Eltern widerspiegelt. Bis zu

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Soo-mins Studienanfangszeit ließ sie sich in der Schule und von Freunden bei ihrem deutschen Namen „Anna“ rufen. Als dann aber eine Freundin von der Uni sagte, dass ihr koreanischer Name viel besser zu ihr passe, stellte sie sich von da an immer mit ihrem koreanischen Namen vor. Wiederholte positive Reaktionen von außen verstärkten ihre erneute Anpassung:

„Wenn ich <Anna> sage, dann nehmen das die meisten Deutschen einfach so hin. Aber viele fragen dann auch: <Hast du keinen koreanischen Namen?> und wenn ich dann sage <Soo-min> dann sagen voll viele: <Oh, das ist klingt voll schön>. Und dann denke ich auch: Okay, dann stelle ich mich nächstes Mal als Soo-min vor.“ #01:17:38#

Ihre situationsabhängige Anpassung zeigt sich auch darin, dass sie sich bei ihrem koreanischen Lektor an der Uni mit ihrem koreanischen Namen vorstellte:

„Und dadurch dass ich halt Koreanistik studiere... Ich meine, ich fände es ziemlich komisch wenn sŏnsaengnim [Lehrer, Dozent, Professor] <Anna> zu mir sagen würde. Deswegen habe ich da von Anfang an auch <Soo-min> gesagt.“ #01:17:10#

Ebenso gewöhnungsbedürftig ist es für Soo-min, wenn ihre Eltern sie im deutschen Umfeld bei ihrem deutschen Namen nennen. Hierbei wird zugleich der situationsgerechte Anpassungswille ihrer Eltern deutlich:

„Manchmal sagen sie (ihre Eltern) auch <Anna>. Nicht wenn sie mich direkt ansprechen, sondern wenn sie über mich woanders sprechen. Aber das klingt, finde ich, sehr komisch.“ #01:19:43#

Die von Soo-min bevorzugte Verknüpfung ihres deutschen Vornamens und koreanischen Nachnamens spiegelt im Grunde genommen genau ihre bikulturelle Identität wider:

„Ich finde es gut, dass ich auf jeden Fall zwei Namen habe. Weil <Soo-min Kim>, das ist ja ein ganz koreanischer Name und dadurch, dass da <Soo-min Anna Kim> drin ist, kommt da so ein leichter deutscher (lacht) ,touch‘ rein. Oder auch wenn ich in Han'guk [Korea] bin, haben viele gefragt: <Ja hast du keinen deutschen Namen?>.“ #01:20:02#

6.4.6 Zusammenfassung Der „Flexible“ hat eine bikulturell orientierte und vor allem bilinguale Erziehung erfahren, welche ihm die notwendige Grundlage dafür bot, die deutsche und koreanische Kultur gleichermaßen in seinen Lebensentwurf einzubeziehen und sich damit zu identifizieren. Die Eltern haben sehr viel Wert darauf gelegt, die koreanischen Traditionen und Werte aufrecht zu erhalten, ohne die Erziehung kulturell zu einseitig auszurichten. Sie haben dem „Flexiblen“ die Verknüpfung der koreanischen und deutschen Kultur selbst vorgelebt. Der ständige Kontakt zu vielen Gleichgesinnten sowie das Fehlen negativ erlebter Fremdwahrnehmungen mit Hänseleien oder Rassismus aufgrund des koreanischen Migrationshintergrundes waren förderlich, um der Bikulturalität eine positive Bedeutung zuzuschreiben. Auf diese Weise ist es dem „Flexiblen“ gelungen, für sich ein

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ausgeglichenes Verhältnis zu beiden Kulturen herzustellen, in dem er sich bis zu einem gewissen Grad an die jeweilige Umgebung anpasst, ohne seine Individualität zu verlieren. Je nach seinem Umfeld entscheidet der „Flexible“ für sich selbst, in welcher Hinsicht er sich welcher Kultur mehr zuordnet. Aus der ihm dargebotenen kulturellen Angebotsvielfalt hat er die Möglichkeit, sich flexibel je nach Situation und Bedürfnis das für sich jeweils Passende herauszusuchen. Dieses geschieht unbewusst beziehungsweise automatisch, durch die Vielfalt an unterschiedlichen kulturellen Verhaltens- und Kommunikationsmustern, die er in sich trägt. Da der „Flexible“ in Deutschland geografisch von Korea getrennt lebt, ist es ihm wichtig, den Kontakt zur koreanischen Kultur, Sprache und seinen Vertretern aufrecht zu erhalten, ohne sich jedoch dadurch von der deutschen Kultur abzugrenzen.

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7 Fazit Die Frage nach der eigenen kulturellen Zugehörigkeit wird für Migranten der zweiten Generation aufgrund ihrer bikulturellen Familiensituation und der erlebten Resonanz zu einer grundlegenden Erfahrung ihrer Lebensgeschichte. Differenzen zwischen der Selbst- und Fremdwahrnehmung können zu einer permanenten Suche nach dem „Eigenen“ und „Fremden“ führen und das Bedürfnis nach einer eindeutigen Positionierung stärken. In der vorliegenden Arbeit wurden differenziert vier verschiedene Typen von 2se dargestellt, die sich jeweils in ihrem Umgang mit der erlebten Fremdwahrnehmung sowie in den inner- und außerfamiliär variierenden Einflussfaktoren voneinander unterscheiden. Bei einer kulturell stark einseitigen Erziehung besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich die zweite Generation koreanischer Migranten entweder von der deutschen oder der koreanischen Kultur und seinen Vertretern abgrenzt: Eine Abgrenzung zur koreanischen Kultur erfolgt bei dem „REBELLEN“. Dieser hält meist die Erziehung seiner Mutter und ihr soziales Umfeld für sehr „koreanisch“ und konservativ. Mit dem deutschen, liberaleren Vater hingegen solidarisiert er sich. Das gilt auch für die Extern-Bikulturellen Hana und Hyok, die sich ihrem koreanischen Vater jeweils mehr verbunden fühlen, weil sich dieser weniger „koreanisch“ verhält als ihre Mutter und nicht in koreanische Netzwerke eingebunden ist. Das wiederum dürfte vor allem damit zusammenhängen, dass diese Väter individuell für ein Studium oder einen Weg zur beruflichen Selbstständigkeit nach Deutschland migriert sind und nicht im Rahmen der Gastarbeiterverträge gemeinsam mit anderen Koreanern. Das Zugehörigkeitsgefühl des „Rebellen“ zur deutschen Kultur und seine nach außen hin deutliche Positionierung führen tendenziell zu relativ geringen Erfahrungen der Ausgrenzung im deutschen Umfeld. Sofern der „Rebell“ ablehnende Erfahrungen aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes macht, gelingt es ihm, diese durch Distanz zur koreanischen Abstammung weitestgehend zu ignorieren. Diese Erfahrungen der Ausgrenzung können zugleich seinen Integrationswillen intensivieren. Ein anderer Typus, der aus der kulturell stark einseitigen Erziehung entstehen kann, ist der „DIASPORISCHE“. Dieser hat die Erziehung seiner Eltern ebenfalls als sehr „koreanisch“ und konservativ empfunden. Orientiert hat er sich jedoch bis zum jungen Erwachsenenalter weitestgehend an seiner deutschen Umgebungskultur. Oftmals auch deshalb, weil die Eltern wenig Zeit für die Erziehung aufbringen konnten. Bei den extern-bikulturellen „Diasporischen“ bestand – im Gegensatz zu dem „Rebellen“ – nicht die Möglichkeit, sich zumindest mit einem weniger „koreanischen“ Elternteil zu solidarisieren. Mit der Zeit versuchte der „Diasporische“, sich mehr der Herkunftskultur seiner koreanischen Eltern(teile) zu widmen. Es ist bei dem „Diasporischen“ oftmals die

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von außen verweigerte Anerkennung seiner Zugehörigkeit, die ihn dazu drängt, sich stärker mit seiner koreanischen Abstammung auseinanderzusetzen und unter Gleichgesinnte mit koreanischem Migrationshintergrund zu begeben, wo er seine Herkunft nicht erklären muss. Der Kontakt untereinander wurde besonders dadurch erleichtert, dass der „Diasporische“ über seine koreanischen Eltern(teile) von klein auf in die koreanische Kirchengemeinde eingebunden war beziehungsweise ist. Der „UNAUFFÄLLIGE“ hingegen hat die Erziehung seiner Eltern im Einklang mit der deutschen Umgebungskultur empfunden, so dass er sich dieser selbstverständlich zugehörig fühlt und keinerlei kulturelle Differenzen mit seinen Eltern verspürt. Da die koreanische Kultur, vor allem ihre Sprache und Schrift, in der Erziehung wenig präsent war, fehlt dem „Unauffälligen“ ein Bezug und Zugang, sowohl zur Herkunftskultur seiner Eltern als auch zu ihren Vertretern und extern-bikulturellen koreanischen Migranten der zweiten Generation. Im Gegensatz zu dem „Rebellen“ ist ihm dieses jedoch nicht bewusst. Da die koreanische Abstammung im äußeren Erscheinungsbild des „Unauffälligen“ (vor allem im Erwachsenenalter) nicht unbedingt auf den ersten Blick ersichtlich ist, wird sein kulturelles Zugehörigkeitsgefühl von außen nicht in Frage gestellt. Sofern der „Unauffällige“ Erfahrungen der Ausgrenzung durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft macht, kann er es kompensieren, indem er seine koreanische Abstammung im positiven Sinne als etwas Besonderes hervorhebt. Der „FLEXIBLE“ hat – verglichen mit den anderen drei Typen – eine bikulturell orientierte und vor allem bilinguale Erziehung erfahren, in der sowohl die deutsche als auch die koreanische Kultur in einem weitestgehend ausgeglichenen Verhältnis zueinander präsent waren. Die beiden Kulturen standen in der Erziehung nicht in Konkurrenz zueinander, so dass dem „Flexiblen“ die Identifizierung mit beiden Kulturen ermöglicht wurde. Er sucht sich aus beiden Kulturen jeweils positive Aspekte heraus und passt sich dementsprechend automatisch der koreanischen oder deutschen Umgebung an ohne seine eigene Individualität zu verlieren. Das gelingt ihm oftmals dadurch, dass er sich bis zu einem gewissen Grade der Kultur widmet, in der er gerade nicht ist. Dieses geschieht nur in dem Maße, in dem seine Zugehörigkeit zu beiden Kulturen außer Frage bleibt. Der durch die Eltern initiierte regelmäßige und enge Kontakt zu anderen koreanischen Migranten der zweiten Generation sowie auch zu Verwandten in Korea förderten den positiven Bezug zur koreanischen Kultur. Das Fehlen negativ erlebter Fremdwahrnehmungen mit Hänseleien oder Rassismus und die von außen positive Zuschreibung der Bilingualität stärkten zudem seine bikulturelle Ausrichtung. Somit schafft eine bikulturell gestaltete und vor allem bilinguale Erziehung für die koreanischen Migranten der zweiten Generation die Grundvoraussetzung für ein

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ausgeglichenes Zugehörigkeitsgefühl zur koreanischen und deutschen Kultur sowie zu deren Vertretern. Dieses muss jedoch zugleich auch im Einklang mit der erlebten Fremdwahrnehmung stehen. Wichtiger ist noch, dass die positive Bedeutsamkeit der bikulturellen Vielfalt und persönlichen Bereicherung vom Lebensumfeld bestätigt wird. Eine fraglose Zugehörigkeit in Deutschland kann bislang nur den Intern-Bikulturellen, denen die koreanische Abstammung in ihrer Physiognomie nicht anzusehen ist, ermöglicht werden. Eine fehlende äußerliche Erkennbarkeit der koreanischen Abstammung kann umgekehrt auch dazu führen, diese stärker hervorheben zu wollen. Bei den Extern-Bikulturellen ist eine fraglose Zugehörigkeit nur bedingt möglich, wenn sie sich bewusst und absolut zu der deutschen Mehrheitsgesellschaft positionieren. In der Auswahl von Freunden wird die kulturelle Positionierung von Bikulturellen besonders deutlich. Im innerfamiliären Umfeld spielen geschlechtsbedingte Unterschiede für die kulturelle Identität bei den Extern- und Intern-Bikulturellen gleichermaßen eine Rolle. Die weiblichen Bikulturellen tendieren eher dazu, sich aus einem Abhängigkeitsverhältnis von ihrer koreanischen Mutter lösen zu wollen und gegen die koreanische Kultur zu positionieren, da ihnen mit der deutschen Sozialisation die positive Bedeutsamkeit von Emanzipation und individueller Selbstbestimmung nahegelegt wurde. Die männlichen Bikulturellen hingegen tendieren überwiegend dazu, stärker an ihren koreanischen Müttern sowie der koreanischen Kultur festzuhalten. Das kann zum einen daran liegen, dass traditionell die Söhne in der koreanischen Familie einen besonderen Stellenwert genießen. Zum anderen kann es als Folge dessen gesehen werden, dass sie wegen ihres koreanischen Migrationshintergrundes oftmals aggressivere und/oder körperliche Auseinandersetzungen erfahren haben. Gemeinsam ist allen Interviewten, dass sie einen dauerhaften Wohnsitz in Korea nicht ernsthaft in Erwägung ziehen. Die Gründe hierfür sind vor allem das dortige Bildungssystem, die Arbeitswelt und die beschleunigte Lebensweise in den Großstädten. Ebenso auffällig ist, dass die familiären Koch- und Essgewohnheiten in vielen Fällen stärker als andere Lebensbereiche von der koreanischen Kultur geprägt sind. Die Regeln und Verbote bei Tisch sind koreanisch beeinflusst. Besonders diejenigen, die der koreanischen Kultur und oftmals auch ihren Eltern kritisch gegenüber eingestellt sind, haben einen sehr starken Bezug zum koreanischen Essen. Dieser Bezug kann als Ausgleich zu dem ansonsten distanzierten Verhältnis zur koreanischen Kultur gedeutet werden, da das Essen einen relativ neutralen, personenunabhängigen und offenen Zugang ermöglicht. Die koreanische Kultur wird somit über die familiären Koch- und Essgewohnheiten unmittelbar vermittelt, das heißt ohne koreanische Sprachkenntnisse. Mintz und Du Bois

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(2002: 109) stellen sogar die These auf, dass Identität und die Zugehörigkeit eines Individuums zu einer sozialen Gruppe durch den Konsum von Lebensmitteln hergestellt und aufrechterhalten wird. Aus den Interviews ist erkennbar, dass die kulturelle Identität der 2se je nach Lebensphase und situativem Kontext wandel- und verhandelbar ist. Darüber hinaus ist die Interviewsituation immer auch ein Konstrukt, das durch den Eingriff der Interviewerin entsteht. Es lässt sich deshalb nicht einfach ein statisches, endgültiges oder „richtiges“ Identitätsbild festmachen. Die Interviewergebnisse bleiben immer gewissermaßen vorläufig. Dennoch liegt es nahe, sich abschließend die Frage zu stellen, inwieweit sich die Ergebnisse der Untersuchung für die Angehörigen der zweiten Generation koreanischer Migranten verallgemeinern lassen. In zwei Sammelbänden „yellow Press Anthologien“ (2008, 2012) vom Verein „korientation e.V.“45 sind unterschiedliche Kurzbiografien von Koreanern der zweiten Generation in Deutschland dargestellt, die weitestgehend – sofern es die wenigen Informationen über die Personen erlauben – den ausgearbeiteten Typen der vorliegenden Arbeit zugeordnet werden können. Der Fokus scheint hier jedoch vor allem auf besonderen Biografien und der Fremdzuschreibung von der deutschen Mehrheitsgesellschaft zu liegen. Bei den dort dargestellten Biografien wird auch deutlich, dass sich vor allem diejenigen, die über Mitte 30 sind (sofern das Alter angegeben ist) meist nicht ganz klar einem der vorliegenden Typen zuordnen lassen. Sie gleichen mehr oder weniger dem „Diasporischen“, aber nicht selten tragen sie auch zugleich die radikal entgegengesetzte Richtung des „Rebellen“ in sich. Das wiederum bestätigt die genannten Argumente für eine Altersgrenze im untersuchten Korpus der vorliegenden Arbeit. Die vier Typen der vorliegenden Arbeit weisen auch hinsichtlich anderer Typologien (Wenzler-Cremer 2005, Wießmeier 2000b) 46 zu Bikulturellen unterschiedlichster Herkunftsländer viele Parallelen auf. Unterschiede ergeben sich hauptsächlich dann, wenn die Untersuchten selbst eine Migration erlebt hatten oder jünger waren als 25 Jahre. Eine gemeinsame Typologie bei Wießmeier (2000b) für die kulturelle Identitätsbildung von Bikulturellen unterschiedlicher Herkunftsländer beachtet weniger den bedeutenden Aspekt, inwiefern die Herkunftskultur der migrierten Eltern in Deutschland jeweils präsent ist. Diese unterscheidet sich je nach Herkunftsland vor allem durch die geografische Distanz und kulturelle Nähe zu der deutschen Umgebungskultur. Ebenso können sich je nach Herkunftsland markante Unterschiede in der erlebten Fremdzuschreibung ergeben. So sind

                                                                                                               45 Der Verein ,korientation e.V.‘ mit Sitz in Berlin versteht sich als kulturpolitisches Netzwerk von in Deutschland Lebenden mit asiatischem Migrationshintergrund. 46 Vergleiche hierzu Wenzler-Cremers (2005) Typologie sowie Wießmeiers (2000b) Typologie, die auf einem Korpus von 30 Interviewten im Alter von 6-25 Jahren sowie ergänzend 54 von Studenten durchgeführten Interviews intern-bikultureller Familien unterschiedlichster Herkunftsländer basiert.

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beispielsweise afrikanische, arabische und asiatische Länder mit jeweils unterschiedlichen Vorstellungen kultureller Stereotype besetzt, die nicht nur in den Köpfen der deutschen Mehrheitsgesellschaft, sondern auch in denen von ethnischen Minderheiten vertreten sind. Eine vergleichende Studie zur kulturellen Identität von Migranten der zweiten Generation unterschiedlicher Herkunftsländer könnte differenziert verdeutlichen, welchen Einfluss die Fremdwahrnehmung auf das kulturelle Zugehörigkeitsgefühl hat, und dazu beitragen, den „kulturellen“ Blickwinkel auf das Zusammenleben in Deutschland zu erweitern.

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Anhang 1: Interviewleitfaden Spracherziehung/Bedeutung der Sprache Welches ist deine Muttersprache? Haben deine Eltern dich zweisprachig erzogen? Hast du koreanische/deutsche Kinderlieder gesungen? Hast du koreanische/deutsche Kinderbücher gelesen? Hast du koreanische/deutsche Spiele gespielt? In welcher Sprache träumst du? Bist du zur koreanischen Schule gegangen? Wie lange? Wie war das für dich? Hattest du Probleme mit der deutschen Sprache? Mit welchen Leuten/wann sprichst du koreanisch? (Eltern, Geschwister, Freunde, bestimmte Situation) War das schon immer so oder hat sich das geändert? Wie würdest du deine Koreanischkenntnisse von einer Skala von 1 bis 10 beurteilen? (10 = fließend, perfekt. 1 = kann damit gar nichts anfangen.) Zugehörigkeitsgefühl Fühlst du dich der deutschen Kultur zugehörig? Fühlst du dich der koreanischen Kultur zugehörig? Hat sich das Zugehörigkeitsgefühl zu der deutschen Kultur zu irgendeinem Zeitpunkt verändert? Hat sich das Zugehörigkeitsgefühl zu der koreanischen Kultur zu irgendeinem Zeitpunkt verändert? Warst du schon mal in Korea? Wie war es für dich? Würdest du da leben wollen? In welchem Land würdest du dein Kind am liebsten aufwachsen lassen wollen? Essen Was ist dein Lieblingsessen? Was war dein Lieblingsessen als Kind? Wie sind deine Essgewohnheiten? (Gabel, Stäbchen, warm/kalt, Brot/Reis) Haben sich deine Essgewohnheiten zu irgendeinem Zeitpunkt verändert? Kochst du selbst? Kochst beziehungsweise isst du lieber koreanisch oder deutsch? Wodurch werden deine Essgewohnheiten beeinflusst? Was assoziierst du mit deutschem Essen? Was assoziierst du mit koreanischem Essen? Karriere Was war dein Berufswunsch als Kind? Ist er immer noch derselbe? Wie war für dich die Zeit im Kindergarten? Wie war die Schulzeit für dich? Hattest du gute Schulnoten? Was waren deine Lieblingsfächer?

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Wie kam die Entscheidung zu deiner Studienwahl zustande? Könntest du dir vorstellen für ein koreanisches Unternehmen zu arbeiten? Partnerwahl Hast du bestimmte Präferenzen bei deiner Partnerwahl? Hat sich das zu irgendeinem Zeitpunkt geändert? Spielt die Nationalität eine Rolle? Freizeit Was sind deine Hobbys? Was machst du in deiner Freizeit? Spielst du ein Instrument? Hast du dich schon mal mit Freizeitbeschäftigungen aus der koreanischen Kultur beschäftigt? (Taekwondo, Fächertanz, traditionelle Musikinstrumente) Wohnung Wann bist du aus deinem Elternhaus ausgezogen? Warum? Wie war das für dich? Gibt es in deiner Wohnung mehr koreanische oder deutsche Einrichtungsgegenstände? Rituale Gibt es koreanische Feste und Rituale, die du regelmäßig feierst? Wie verbringst du Weihnachten? Familie Welche Bedeutung hat Familie für dich? Welche Beziehung hast du zu deinen Eltern früher und heute? Hatten deine Eltern bestimmte Erwartungshaltungen an dich? Wer hat dich mehr geprägt und warum? Vater/Mutter? Wie ist deine Beziehung zu deinen Geschwistern? Wurdest du mehr koreanisch oder deutsch erzogen? Wie möchtest du deine Kinder erziehen? Koreanische Kultur Was für koreanische Einflüsse gab es in deiner Erziehung? Wie lebst du deine koreanische Seite aus? Was sind deine Erfahrungen mit anderen Koreanern? Deutsche Kultur Was für deutsche Einflüsse gab es in deiner Erziehung? Wie lebst du deine deutsche Seite aus? Was sind deine Erfahrungen mit anderen Deutschen? Zu welcher nationalen Identität bekennst du dich und was sind die Gründe? Was würdest du als deine Heimat bezeichnen? Welcher der beiden Kulturen fühlst du dich mehr verbunden? Wo fühlst du dich mehr hingezogen? Welche Staatsangehörigkeit hast du? Wenn du dich heute entscheiden müsstest, für welche Nationalität würdest du dich entscheiden? Bereicherung oder Belastung? Subjektive Sichtweisen/Bilder und Stereotypen Was ist für dich typisch deutsch? Was ist für dich typisch koreanisch?

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Wie bewertest du das/stehst du dazu? Wo sind für dich die positiven/negativen Aspekte daran? Was schätzt du an der deutschen Kultur besonders, was an der koreanischen Kultur? Spiegelst du typisch koreanische/deutsche Verhaltensweisen/Eigenschaften wider? Gibt es Situationen, in denen du es als Bereicherung erlebst oder erlebt hast, mit zwei Kulturen aufgewachsen zu sein? Identität/Name Hast du einen koreanischen Namen? Würdest du gerne einen deutschen/koreanischen Rufnamen haben? War das bislang von Vorteil/Nachteil mit deutschem/koreanischem Namen? Würdest du deinem Kind einen deutschen oder koreanischen Namen geben? Politik Bist du politisch aktiv? Gehst du wählen? Informierst du dich über das politische Geschehen in Korea/Deutschland? Medien Siehst du koreanische Filme/Serien? Siehst du deutsche Filme/Serien? Amerikanische? Besuchst du koreanische Internetseiten? Liest du koreanische Zeitungen? Kyopo shinmun? Fremdwahrnehmung Was sind deine Erfahrungen mit anderen Nicht-Deutschen? Wirst du oft über die koreanische Kultur ausgefragt? Wie sehen andere dich? Wirst du öfter auf dein koreanisches Aussehen/deinen koreanischen Namen angesprochen? Hörst du oft „Sie sprechen aber gut Deutsch“? Was empfindest du dabei? Hast du Erfahrungen mit Rassismus/Diskriminierung machen müssen? Netzwerk/Freundeskreis Welche Nationalität haben deine Freunde überwiegend? Hast du mehr deutsche oder koreanische Freunde? Gibt es einen bestimmten Grund dafür? Bist du in einer koreanischen Community aktiv? Wünsche Hast du bestimmte Wünsche für die Zukunft? Religiosität Welche Religion hast du und welche Rolle spielt diese in deinem Leben? Wie ist die Konfessionszugehörigkeit deiner Eltern?

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Legst du mehr Wert auf/unterstreichst du mehr deine • religiöse oder nationale Identität? • Gleichwertig?

Wie stehst du zum Christentum? Lehnst du es grundsätzlich ab? Wie stehst du zum Buddhismus? Wie stehst du zum Islam? Gehst du ab und zu in die Kirche? Besuchst du Migrationsgemeinden/internationale Gottesdienste? Wie oft besuchst du den Sonntagsgottesdienst? Worauf vertraust du mehr? Auf religiösen Glauben oder wissenschaftliches Wissen? Beides gleich viel? Auf welcher Sprache betest du? Wie bist du zu der Gemeinde gekommen? Wie würdest du deine Bindung an die Gemeinde bezeichnen? (sehr eng - eng - mittel - locker - sehr locker - gar keine)

Triffst du dich mit Mitgliedern deiner Gemeinde auch außerhalb des Gottesdienstes? Hast du mit bestimmten Gruppen innerhalb deiner Gemeinde engeren Kontakt?

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Anhang 2: Transkriptionsregeln I.: Interviewerin unterstrichen Betontes Wort * Pause kurz (circa 1 bis 2 Sekunden) ** Pause mittel (circa 2 bis 3 Sekunden) *** Pause lang (circa 4 Sekunden und länger) (lacht) Lautäußerung in Klammern ääähm Dehnung im Wort (?) Frageintonation  ... Abgebrochener Satz des Sprechers  ((...)) Auslassung im Transkript