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Christiane Dätsch (Hg.)Kulturelle Übersetzer

Edition Kulturwissenschaft | Band 103

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Christiane Dätsch (Hg.)

Kulturelle ÜbersetzerKunst und Kulturmanagement im transkulturellen Kontext

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Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, BielefeldUmschlagabbildung: Teilnehmer einer Führung des Projekts »Multaka: Treff-

punkt Museum« im Vorderasiatischen Museum © Staatliche Museen Berlin, Museum für Islamische Kunst, Foto: Kaveh Rostamkhani

Lektorat: Dr. Susanne Mädger, SpeyerSatz: Justine Buri, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, WetzlarPrint-ISBN 978-3-8376-3499-0PDF-ISBN 978-3-8394-3499-4

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Inhalt

Zu diesem SammelbandChristiane Dätsch | 9

I. Welcher Kultur-, Welcher KunstbegrIff?

Kultur als ÜbersetzungsprozessAnnäherungen an einen Begrif fFlorian Mittelhammer | 21

Der Fall des CampanileTranskulturalität, Hyperrealität, multiple AuthentizitätThomas Knubben | 37

Imagination, Joy & Trust – Collective WisdomKulturelle Übersetzung im Feld internationaler KulturarbeitElke aus dem Moore | 53

II. Künstler als übersetzer: DIachrone transKulturalItät

Wer sind die Übersetzer?Transkulturell Handelnde im MusikbetriebChristina Richter-Ibáñez | 67

Der Maler Osman Hamdi Bey und die Translation der westlichen ModerneBuket Altınoba | 81

Nam June Paik: Catching up with the West?Institutionelle Bedingungen und Grenzen transkulturell konstituier ter AutorschaftFranziska Koch | 97

Fotografie – ein transkultureller VerhandlungsraumEine Analyse der Arbeiten von Ravi Agarwal (Delhi)Cathrine Bublatzky | 115

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III. europa unD DIe Welt: postKolonIale perspeK tIven

Korrektiver BlickwechselPostkoloniale Einflüsse auf die Programmpolitik spezialisier ter FilmfestivalsVerena Teissl | 135

Unübersetzbarkeiten?Ombres d’espoir von Wilfried N’Sondé. Eine Auftragsproduktion des Festivals africologne 2013Annette Bühler-Dietrich | 153

Literatur auf zweiter StufeDer Fall Meursault – eine Gegendarstellung von Kamel DaoudChristiane Dätsch | 171

Kolonialismus im Kasten?Ein alternativer MuseumsguideFranziska Wegener | 191

Iv. eInWanDerungsl anD Deutschl anD: WanDel Des Kanons?

Kulturerbe über-setzenNeue Formate für die Vermittlungsarbeit der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-WürttembergKarin Stober/Cem Alaçam | 209

»Wir müssen aus unserem Elfenbeinturm raus.«Gespräch mit dem Schauspieler Murat Yeginer, MainzChristiane Dätsch | 225

Der Chamisso-Preis: Viele Kulturen – eine Sprache?Gespräch mit dem Projektmanager Frank W. Albers, StuttgartChristiane Dätsch | 239

Kulturelle Übersetzung in der BibliothekGespräch mit Dr. Jan-Peter Barbian und Yilmaz Holtz-Ersahin, DuisburgChristiane Dätsch | 251

»Wir müssen anders denken, wir müssen auch anders sammeln.«Gespräch mit dem Kunsthistoriker Dr. Tayfun Belgin, HagenChristiane Dätsch | 265

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v. Deutsche WIllKommensKultur? partIzIpatIon unD projeK te

Freiheitsstimmen und KonzertpatenschaftenDie Öffnung des Konzertwesens am Beispiel von Elbphilharmonie und Laeiszhalle HamburgDorothee Kalbhenn | 283

Zaide. Eine Flucht: Die Kunst, mit Oper kulturell zu übersetzenGespräch mit der Mezzosopranistin Cornelia Lanz, StuttgartSteffen Pross | 301

Multaka: Treffpunkt MuseumKulturelle Übersetzer im Deutschen Historischen Museum (DHM), BerlinBrigitte Vogel-Janotta | 311

Teachers for LifeTranskulturelle Bildung in der Arbeit mit GeflüchtetenGernot Wolfram | 325

vI. Inter- oDer transKulturell? erKenntnIsse Des Kulturmanagements

Multi-, Inter- und Transkulturalität (als Begriffe) in der empirischen KulturbesucherforschungVera Allmanritter | 339

Management zwischen KulturenEin Ansatz jenseits von HofstedeLena Schmitz | 355

Internationalisierung des KulturmanagementsZwischen effizientem Handeln auf globalisier ten Märkten und Aushandlungsprozessen neuer transkultureller IdentitätenBirgit Mandel | 369

Interkulturelle versus transkulturelle Räume des KulturtourismusAnja Saretzki/Carola May | 383

Die Beiträgerinnen und Beiträger | 401

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Zu diesem Sammelband

Christiane Dätsch

Die Geschichte vom Turmbau zu Babel ist keine Erfolgsgeschichte. Der Wunsch der Menschen, sich mit einem himmelhohen Turm einen Namen zu machen, wird von Gott persönlich unterbunden (Gen 11, 4-9). Statt gemeinsam an einem Ort zu leben und eine Sprache zu sprechen, werden die Menschen in verschiedene Regionen der Welt verstreut und erleben eine Kulturen- und Sprachenvielfalt. Die Stadt mit dem Turm heißt seitdem »Wirrsal« (Babel). Die biblische Parabel liefert Hinweise auf zwei Konsequenzen des metaphysischen Kräftemessens, die auch den Kontakt von Kulturen bis heute prägen: die Betonung des Eigenen und die Erfahrung des Anderen oder Fremden. Damit verknüpft ist die Frage, wie die Menschen mit der entstandenen Verschiedenheit von Kultur(en) umgehen – sowohl in der Ferne als auch in der eigenen Gesellschaft. In welches Verhältnis setzen sie sich dazu?

Abb. 1: Lucas van Valckenborch: Der Turmbau zu Babel, 1594, Paris. Foto: Grandes énigmes de l’humanité/éditions Larousse

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Christ iane Dätsch10

zur fr agestellung unD Konzep tIon DIeses banDes

Der vorliegende Band konkretisiert das Modell der kulturellen Übersetzung für den deutschen Kulturbetrieb in einem transkulturellen Kontext. Gerichtet an eine Leserschaft aus Kulturschaffenden, -wissenschaftlern und -managern will er mit diesem Konzept eine Brücke zwischen Theorie und Praxis, Kulturwissenschaft und Kulturmanagement schlagen. Der Band versteht sich interdisziplinär und gibt eine Bestandsaufnahme jüngster transkultureller Forschungsansätze sowohl aus den Kulturwissenschaften als auch aus dem Bereich des Kulturmanagements. Darüber hinaus befragt er Kulturbetriebe, inwiefern sich ihre Aufgaben und Pro-gramme, ja möglicherweise ihr Selbstverständnis angesichts gesellschaftlicher He-rausforderungen wie Globalisierung, Migration und Flucht verändern.

Der Titel des Buches personalisiert den Begriff der Übersetzung zum kultu-rellen Übersetzer. Darunter werden Einzelpersonen des Kunst- und Kulturbetriebs (Künstler, Vermittler und Kulturmanager) verstanden, aber auch Kultureinrich-tungen und Mittlerorganisationen, die als Akteure der Mesoebene zwischen künst-lerischen Perspektiven, wissenschaftlichen Justierungen, politischen Vorgaben, gesellschaftlichen Stimmungen und Publikumsinteressen »übersetzen«. Kulturel-le Übersetzer gestalten nach diesem Verständnis nicht nur die Handlungsfelder der Interpretation, Darstellung und Repräsentation ihrer Organisationen, sondern auch deren Kontakt zur Gesellschaft (Van den Berg 2007). Angesichts einer sol-chen Definition wird unmittelbar einsichtig, dass das Kulturverständnis, das ein Akteur von seinem Gegenstand und seinem Aufgabenfeld entwickelt hat, seine (Übersetzer-)Tätigkeit maßgeblich beeinflusst. Da die Praxisbeiträge des Bandes vor allem auf den öffentlichen respektive öffentlich geförderten deutschen Kultur-betrieb fokussieren, spielt ein Kunst- und Kulturverständnis eine große Rolle, das gemeinhin als jenes der europäischen Hochkultur bezeichnet wird (vgl. den Bei-trag von Florian Mittelhammer in diesem Band). Diesem Kunst- und Kulturver-ständnis, das ideengeschichtlich im deutschen Idealismus wurzelt, ist Innerlich-keit eingeschrieben: Indem sich der Betrachter zum ästhetischen Werk oder zur Geschichte seines Territoriums in Bezug setzt, reflektiert er das Eigene, das er als universal oder kommun ansieht.

Nicht erst in Zeiten großer Migrationsbewegungen und weltweiter Globalisie-rung ist dieses bürgerliche Kunst- und Kulturverständnis unter Druck geraten. Der Blick auf eine heterogene deutsche Gesellschaft erweckt den Eindruck, dass nicht mehr von einer fraglos kommunen Handlungs- und Gesinnungsgrundlage für die-ses Eigene in Kunst und Kultur ausgegangen werden kann. Vielmehr sind neue Referenzsysteme vonnöten: Das (kollaborative) Verständnis von Kunst als Kom-munikation, das ältere kunstautonome Positionen ablösen will, stellt eine Antwort auf diese Entwicklung dar (vgl. den Beitrag von Elke aus dem Moore in diesem Band; Lang 2015); das Interesse an der Agency der Postcolonial Studies und eine Neujustierung im Rahmen der Erinnerungskultur sind zwei weitere Reaktionen (vgl. den Beitrag von Franziska Wegener in diesem Band). Das postkoloniale Ver-ständnis von Kultur, vermittelt durch die europäische Ethnologie, holt unter dem Stichwort der Machtasymmetrie nicht nur die einstigen kolonialen Großmächte Frankreich, Großbritannien und Spanien ein, sondern auch Deutschland. Seit der Jahrhundertwende, so konstatiert Thomas Thiemeyer, habe sich hierzulande ein unübersehbares Interesse für postkoloniale Dynamiken entwickelt. Er nennt da-

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für vier Gründe: »die Transformation Deutschlands zum Einwanderungsland; die öffentlichkeitswirksamen Debatten um das Berliner Humboldt-Forum; eine sich verändernde deutsche Erinnerungskultur und die Diskussionen um Eigentums-rechte an Kulturbesitz aus Unrechtskontexten, namentlich der NS-Raubkunst und der kolonialzeitlichen Sammlungen« (Thiemeyer 2016: 34).

Vor allem die Transformation Deutschlands zum Zuwanderungsland und die sich verändernde Erinnerungskultur sind Entwicklungen, auf die auch dieser Band reagiert. Deutschland nimmt in den kommenden Jahren für sich nicht nur nachhaltige demografische, sondern auch kulturelle und soziale Veränderungen an. Dieser Umstand erfordert einen neuen Modus der Selbstwahrnehmung, der erkennt, dass das Fremde nicht nur auf Reisen in ferne Länder, sondern auch im eigenen Land (neu) gelernt werden muss (vgl. den Beitrag von Anja Saretzki und Carola May in diesem Band). Mehr denn je steht das Modell einer herkunftskul-turellen Identität angesichts einer in Deutschland lebenden Bevölkerung, von der etwa ein Fünftel einen Migrationshintergrund hat, auf dem Prüfstand.

Nicht zuletzt deshalb gewinnt ein Kulturkonzept an Bedeutung, das gleicher-maßen anthropologische wie philosophische Wurzeln hat: jenes der Transkultur-alität. Transkulturalität versucht nicht, kulturelle Verschiedenheiten zu nivellieren oder zu ignorieren, sondern eine andere Perspektive auf die Vielfalt von Kulturen zu entwickeln. Statt herkunftskultureller Kriterien nimmt sie die historische und synchrone Vernetztheit von Kulturen in den Blick. Im vorliegenden Band spielt Transkulturalität dort eine Rolle, wo Produktions- und Rezeptionsvorgänge von Künstlern beschrieben werden. Die Beiträge zeigen, wie sehr sie von fremden Kul-turen angeregt wurden, machen allerdings auch deutlich, dass die Idee der künst-lerischen Universalität durch persönliche Erfahrungen und kulturelle Grenzen bisweilen wieder relativiert wird. Dessen ungeachtet ist die Tatsache eines Vorhan-denseins von Transkulturalität in den Künsten – ihren Objekten, Programmen und Kommunikationsprozessen – nicht abzustreiten. Daher soll die Frage leitend sein, wie die Kultureinrichtungen die Chancen und Grenzen von transkulturellen An-sätzen in ihren eigenen Praxis- und Handlungsfeldern einschätzen.

In den Fallbeispielen aus Kulturwissenschaften, Vermittlungspraxis und Kul-turmanagement in diesem Band fallen die Antworten durchaus unterschiedlich aus. Während sich die Transkulturalität in künstlerischen und kulturwissenschaft-lichen Konzepten bereits einen festen Platz erobert hat, erweist sich ihr prozes-suales Kulturverständnis für die meisten Kultureinrichtungen als eher schwierig: Transkulturalität wird mehr als eine Idee denn als ein operatives Konzept verstan-den. Gleiches gilt für die Disziplin der empirischen Kulturforschung als wichtiger Bezugswissenschaft des akademischen Kulturmanagements. Wie von den Prak-tikern wird auch von vielen empirischen Kulturforschern der Begriff der Trans-kulturalität kaum angewendet; sie bevorzugen das Konzept der Interkulturalität, das von Personen oder Gruppen als Trägern von Kultur ausgeht. Interkulturali-tät bezeichnet die – sozialpsychologisch grundierte – Vorstellung, dass kulturelle Identitäten über Enkulturationsprozesse entstehen, bei denen sich Individuen in Wechselwirkung mit sozialen, kulturellen und sonstigen Prägungen ihrer Um-gebung befinden. Interkulturalität setzt somit, anders als der Begriff der Trans-kulturalität, nicht bei einem »Bedeutungsgewebe« (Clifford Geertz) an, sondern beim konkreten Kulturträger (vgl. den Beitrag von Lena Schmitz in diesem Band). Die unterschiedlichen Auffassungen über die Voraussetzungen kultureller Identi-

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tät werden in den einzelnen Beiträgen immer wieder aufscheinen; es kann als ein erstes Ergebnis dieses interdisziplinären Ansatzes angesehen werden, dass er den derzeitigen Status quo der Begrifflichkeit in den Einzeldisziplinen festhält.

Vor dem Hintergrund dieser begrifflichen Gemengelage zur Trans- und Inter-kulturalität prüft der vorliegende Band die Anwendbarkeit des Konzepts der kul-turellen Übersetzung. Als Begriff von Homi K. Bhabha eingeführt, wurde das Kon-zept in Deutschland von der Literaturwissenschaftlerin Doris Bachmann-Medick für die Interpretation kultureller Kontexte fruchtbar gemacht (Bachmann-Medick 2016 u.v.a.). Ihr ethnografischer Ansatz geht davon aus, dass kulturelle Überset-zungen sowohl einen Bedeutungstransfer vollziehen als auch, auf der Ebene des Übersetzungsaktes, eine grenzüberschreitende Interaktion darstellen. Übersetzer rekurrieren auf eine bestimmte soziale und kulturelle Praxis; daher hängen Über-setzungen (auch) stets vom Standpunkt des Übersetzers, seinen Repräsentations- und Bezugssystemen ab. Semantisch zielen kulturelle Übersetzungen nicht auf eine deckungsgleiche Wiedergabe der Herkunftskultur durch die Zielkultur (dies wäre aus vielen Gründen unmöglich), sondern stellen eine »allegorische Form der Übertragung, Darstellung und Vermittlung« dar, »bei welcher der ethnolo-gische wie literarische Übersetzer seine eigenen Akzente setzt« (Bachmann-Me-dick 1997: 6). Die Aneignung fremder Kulturen ist folglich ein kreativer Prozess der Interpretation und Kontextualisierung. Missverständnisse und Brüche sind fruchtbare Zwischenschritte; durch sie handelt der Übersetzer in seiner Beschäfti-gung mit der fremden Kultur gleichfalls Bedeutung aus.

Übersetzer, die sich überwiegend an eigenen Repräsentationsinteressen orien-tieren, können dazu beitragen, fremde Kulturbilder zu verfestigen; solche wiede-rum, die sich der fremden Kultur aus einer transkulturellen Perspektive nähern, können Fremdbilder aufbrechen. Vor allem der interaktionale Aspekt macht das Modell der kulturellen Übersetzung für Kultureinrichtungen interessant: Es kann Aufschluss darüber geben, wo sich Kulturvermittler und -manager im gesellschaft-lichen Spannungsfeld von Eigenem und Fremden positionieren, und welches Be-wusstsein sie vom Einfluss und der Wirkmacht ihrer eigenen (Repräsentations-)Strategien in diesem Spannungsfeld haben.

Die Theorie der kulturellen Übersetzung ist unter Kulturschaffenden und -ma-nagern bislang nur wenig bekannt. Gleichwohl ist der Begriff ein vielgebrauch-ter Terminus sowohl in der Wissenschafts- als auch der Alltagssprache (vgl. Wolf 2010: 44; Schreiber 2017).1 Der vorliegende Band will zur Schärfung des Konzepts der kulturellen Übersetzung beitragen, indem er zwei theoretische Aspekte he-rausarbeitet, die auch für die Praxis relevant sind: zum einen die Frage der Dar-stellung bei der Vermittlung von Inhalten (etwa der Art der Inszenierung oder der Konzeption einer Ausstellung), zum anderen die Frage nach den Repräsentations-strategien (etwa von Intendanten, Kuratoren, Dramaturgen oder Lektoren und auch der Kulturpolitik); sie spiegeln das normative Selbstverständnis der Übersetzer

1 | So findet sich der Terminus »Übersetzung« in jüngster Zeit zunehmend im Kontext von praxisnahen Vorträgen und Symposien, die eine Beschreibung der künstlerischen, vermit-telnden und kulturmanagerialen Tätigkeiten im Kunst- und Kulturbetrieb vornehmen; etwa in der Festspielrede der Journalistin Carolin Emcke zur Ruhrtriennale 2016 (Vom Übersetzen) oder im Titel eines Symposiums der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg am 20. Oktober 2017 (Kulturerbe über-setzen).

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wider. Es zeigt sich, dass die befragten Einrichtungen erstens als kulturelle Über-setzer agieren, wenn es um die Vermittlung des Eigenen – des kulturellen Erbes oder Kanons – an ein Publikum geht, dem dieses Eigene fremd ist, etwa Migranten und Flüchtlingen. Sie sind zweitens als Übersetzer von kulturell fremden Inhal-ten für ein heimisches Publikum tätig, beispielsweise von Programmen in einem postkolonialen Kontext, und sie entwickeln drittens durch die (Neu-)Befragung von Beständen, die Einladung fremder Künstler als Kuratoren oder die Einbindung von migrantischem Führungspersonal neue Perspektiven auf das vermeintlich Eige-ne. Dass dabei auch (gewandelte) Selbstbilder von Kunst- und Kultureinrichtungen eine wichtige Rolle spielen, ist unmittelbar einsichtig. In diesem dreifachen Sinne – als Frage nach dem Umgang mit fremden Inhalten, fremden Darstellungsstrate-gien und sozialen Interaktionen – bildet der Begriff der kulturellen Übersetzung den roten Faden, der die Beiträge in diesem Band verbindet.

Auch die Kulturmanagementforschung zu diesem Thema hat bereits begonnen (Lang 2015; Henze/Wolfram 2014; Wolfram 2012). Transkulturelle Kulturkonzepte wirken sich auf den Beruf des Kulturmanagers insofern aus, als er sich nicht mehr nur als organisatorischer Dienstleister, sondern als Mitwirkender an Prozessen kultureller Bedeutungsproduktion versteht. Der Kulturmanager, ob im In- oder Ausland tätig, benötigt neben Kommunikations-, Finanzierungs- und Marketing-kenntnissen auch ein profundes Verständnis von der jeweils anderen Kultur und ihren gesellschaftlichen Implikationen (vgl. den Beitrag von Birgit Mandel in die-sem Band). Daher muss auch er einen Perspektivwechsel vollziehen: Ein Kultur-manager als Übersetzer versucht, querzudenken und »künstlerische Denk- und Handlungsprinzipien in das Management einzubringen« (Mandel 2008: 57). Der Kulturmanager wirkt einerseits als Brückenbauer zwischen unterschiedlichen Systemen wie Kultur und Ökonomie, andererseits als Organisator und Moderator von Plattformen, auf denen ein »polyphoner Austauschprozess« (Lang 2015:  16) möglich ist. Darin zeigt ein transkulturelles Management Synergieeffekte mit einer kritischen Kunst- und Kulturvermittlung und mit einem Selbstverständnis, wie es derzeit auch in der freien Szene anzutreffen ist. Kulturmanager als Überset-zer gestalten demnach nicht nur betriebswirtschaftliche, sondern auch kulturelle Kontexte aktiv mit.

zu Den beItr ägen DIeses banDes

Diesen Grundgedanken nähern sich die Beiträge des Bandes in sechs themati-schen Abschnitten. Das erste Kapitel greift die Problematik einer Begriffsdefinition noch einmal auf. Im ersten Beitrag skizziert Florian Mittelhammer die derzeitige Forschung zum Begriff der Kultur, aber auch jenem der Transkulturalität und der kulturellen Übersetzung; in einem Ausblick gibt er erste Hinweise auf den (poten-ziellen) Einsatz des Konzepts in der kulturellen Praxis. Dass transkulturelle Dyna-miken, wie sie hier angeklungen sind, auch für kulturelle Erscheinungen sorgen können, die mit der heute zur Verfügung stehenden Terminologie nur schwer zu beschreiben sind, macht der Beitrag von Thomas Knubben über den Fall des Campa-nile deutlich: Anhand des venezianischen Wahrzeichens und seiner Reproduktion durch eine amerikanische Hotelkette zeigt er den Balanceakt zwischen kultureller Identität, Glokalisierung und »Kulturimperialismus« phänomenologisch auf. Die

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Frage, ob es sich bei solchen Praktiken um ein cultural sampling handelt (vgl. Ernst/Freitag 2015: 21), oder ob Originalitäts- und Authentizitätspostulate vielmehr einer wahrnehmungsgesteuerten Zuschreibung entspringen, lässt der Beitrag bewusst offen. Elke aus dem Moore regt an, dass die Organisation von der Kunst lernen möge: Sie expliziert einen kommunikativen Kunstbegriff, der Dialoge, Öffnungen und Übersetzungen als künstlerische Handlungen versteht, und zeigt, wie Kunst als Kommunikation unmittelbar in die Gesellschaft hineinwirken kann. Dafür ist jedoch vielerorts noch ein Umdenken der vermittelnden Institutionen notwendig, worauf ihr institutionelles Manifest zielt.

Das zweite Kapitel thematisiert die transkulturelle Verflochtenheit künstleri-scher Arbeit aus einer diachronen Perspektive. Anhand des Künstlers Cameron Carpenter und der Geschichte der Melodie El cóndor pasa macht Christina Richter-Ibáñez transkulturelle und -mediale Anverwandlungen von Musik aus Deutsch-land und Lateinamerika sichtbar. Buket Altınoba beschreibt in ihrem Beitrag die Rückübersetzung der französischen Orientmalerei im 19. Jahrhundert durch den osmanischen Orientmaler Osman Hamdi Bey, den ersten Direktor der Istanbuler Akademie der Schönen Künste. Franziska Koch folgt mit Nam June Paik der Spur eines international agierenden Künstlers des 20.  Jahrhunderts, der als Vertreter der Fluxus-Künstlergruppe ein universelles Kunstverständnis propagiert, in Bezug auf seine Person jedoch auch Grenzen der Transkulturalität artikuliert. Cathrine Bublatzky beleuchtet im Anschluss, wie der zeitgenössische indische Fotograf und documenta 11-Teilnehmer Ravi Agarwal als Vermittler zwischen Dokumentar- und Kunstfotografie einerseits und zwischen westlichen und östlichen Kulturen ande-rerseits changiert.

Der dritte Abschnitt legt den Fokus auf postkoloniale Positionen. Dies impli-ziert auch eine – teilweise politisch motivierte – Infragestellung des Modells der kulturellen Übersetzung und der Transkulturalität. Am Beispiel der international agierenden Kunstform Film zeigt Verena Teissl die Programmpolitik von Filmfes-tivals und deren problematische Gatekeeperfunktion für die Verbreitung westaf-rikanischen Filmschaffens außerhalb des afrikanischen Kontinents auf. Annette Bühler-Dietrich erläutert anhand des Kölner Festivals der afrikanischen Künste africologne und des Theaterstücks Ombres d’espoir (2012) von Wilfried N’Sondé die Schwierigkeiten des Kulturkontakts zwischen Afrikanern und Deutschen, ihre Desillusionen angesichts ungleicher gesellschaftlicher (Macht-)Verhältnisse und von kulturellen Übersetzungsproblemen. Christiane Dätsch analysiert den Roman Der Fall Meursault – eine Gegendarstellung (2013) des algerischen Autors Kamel Daoud, der als Antwort auf Albert Camus’ Erzählung Der Fremde (1942) an-gelegt ist, und vergleicht ihre Lektüre mit zwei Theateraufführungen des Romans in Deutschland. Dass postkoloniale Ansätze nicht nur dazu führen, Künstler von den einstigen »Rändern« der Welt zu Wort kommen lassen, sondern auch Reprä-sentationsformen im Zentrum zu reflektieren, zeigt Franziska Wegener, indem sie den alternativen Audioguide Kolonialismus im Kasten? für die Dauerausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin vorstellt; dort wird der deutsche Kolo-nialismus bis heute nur als marginaler Teil der Geschichte des Deutschen Kaiser-reiches begriffen.

Das vierte Kapitel macht den deutschen Kulturbetrieb, sein Selbstverständnis und seine Aufgaben zum Thema: Wie können und sollen Theater, Museen, Biblio-theken, Verlage und Denkmalschutz-Einrichtungen ihre Aufgabe wahrnehmen,