Kulturlandschaft als Heimatthomas-gunzelmann.net/wordpress/wp-content/uploads/2010/...6 Peter...

13
Dr. Thomas Gunzelmann Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege Außenstelle Bamberg Schloss Seehof 96117 Memmelsdorf mailto:[email protected] Vortrag zum 100-jährigem Jubiläum des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege am 11.10.2002 in Kronach, Festung Rosenberg Kulturlandschaft als Heimat. Landschafts- und Denkmalpflege im Zeitalter der Globalisierung. Thomas Gunzelmann Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 1 2 Die Begriffe Heimat und Kulturland- schaft 2 3 Kulturlandschaft und Heimatschutzbe- wegung 4 4 Kulturlandschaft heute 8 5 Ausblick für Bayern 11 1 Einleitung 100 Jahre »Bayerischer Landesverein für Heimat- pflege« sind ein geeigneter Anlass, über ein Phäno- men nachzudenken, das im zurückliegenden Jahr- hundert heimatpflegerischer Arbeit immer eine – ausgesprochen oder unausgesprochen – wichtige Rolle gespielt hat: die Kulturlandschaft. Einige we- nige Hinweise zu Beginn mögen dies verdeutli- chen, bevor dann dieser durchaus schillernde Be- griff in seinem Verhältnis zur Heimat und in sei- ner Bedeutung für die aktuelle Heimatpflege, aber auch für die Landschafts- und Denkmalpflege un- ter den Bedingungen der sich immer rascher glo- balisierenden Welt näher beleuchtet wird. In seinem Geleitwort zur Festschrift zum 100- jährigen Bestehen des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege schreibt dessen Vorsitzender, der Präsident des bayerischen Landtags Johann Böhm, dass bereits die Gründungsmitglieder des Landes- vereins »frühzeitig die drohenden Gefahren für unsere Kulturlandschaft« erkannt hatten. 1 An glei- cher Stelle spricht das Ehrenmitglied des Landes- vereins, der Architekt Helmut Gebhard von »Kul- turlandschaft ... als Herausforderung für die Zu- kunft.« 2 Die Bewahrung, aber auch die Gestaltung 1 Johann Böhm: Geleitwort. In: Bayerischer Landesverein für Heimatpflege (Hrsg.): Heimat erleben – bewahren – neu schaffen. 100 Jahre Bayerischer Landesverein für Heimat- pflege e.V. München 2002, S. 7 - 8, hier S. 7. 2 Helmut Gebhard: Kulturlandschaft und Baupflege als Her- ausforderung für die Zukunft. In: Bayerischer Landesver- 1

Transcript of Kulturlandschaft als Heimatthomas-gunzelmann.net/wordpress/wp-content/uploads/2010/...6 Peter...

Page 1: Kulturlandschaft als Heimatthomas-gunzelmann.net/wordpress/wp-content/uploads/2010/...6 Peter Weichhart, Raumbezogene Identität als Problem-stellung der Regionalentwicklung. In: Beiträge

Dr. Thomas GunzelmannBayerisches Landesamt für DenkmalpflegeAußenstelle BambergSchloss Seehof96117 Memmelsdorfmailto:[email protected]

Vortrag zum 100-jährigem Jubiläum desBayerischen Landesvereins für Heimatpflege

am 11.10.2002 in Kronach, Festung Rosenberg

Kulturlandschaft als Heimat. Landschafts- undDenkmalpflege im Zeitalter der Globalisierung.

Thomas Gunzelmann

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 1

2 Die Begriffe Heimat und Kulturland-schaft 2

3 Kulturlandschaft und Heimatschutzbe-wegung 4

4 Kulturlandschaft heute 8

5 Ausblick für Bayern 11

1 Einleitung

100 Jahre »Bayerischer Landesverein für Heimat-pflege« sind ein geeigneter Anlass, über ein Phäno-men nachzudenken, das im zurückliegenden Jahr-hundert heimatpflegerischer Arbeit immer eine –ausgesprochen oder unausgesprochen – wichtigeRolle gespielt hat: die Kulturlandschaft. Einige we-nige Hinweise zu Beginn mögen dies verdeutli-

chen, bevor dann dieser durchaus schillernde Be-griff in seinem Verhältnis zur Heimat und in sei-ner Bedeutung für die aktuelle Heimatpflege, aberauch für die Landschafts- und Denkmalpflege un-ter den Bedingungen der sich immer rascher glo-balisierenden Welt näher beleuchtet wird.

In seinem Geleitwort zur Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des Bayerischen Landesvereinsfür Heimatpflege schreibt dessen Vorsitzender, derPräsident des bayerischen Landtags Johann Böhm,dass bereits die Gründungsmitglieder des Landes-vereins »frühzeitig die drohenden Gefahren fürunsere Kulturlandschaft« erkannt hatten.1 An glei-cher Stelle spricht das Ehrenmitglied des Landes-vereins, der Architekt Helmut Gebhard von »Kul-turlandschaft ... als Herausforderung für die Zu-kunft.«2 Die Bewahrung, aber auch die Gestaltung

1 Johann Böhm: Geleitwort. In: Bayerischer Landesverein fürHeimatpflege (Hrsg.): Heimat erleben – bewahren – neuschaffen. 100 Jahre Bayerischer Landesverein für Heimat-pflege e.V. München 2002, S. 7 - 8, hier S. 7.

2 Helmut Gebhard: Kulturlandschaft und Baupflege als Her-ausforderung für die Zukunft. In: Bayerischer Landesver-

1

Page 2: Kulturlandschaft als Heimatthomas-gunzelmann.net/wordpress/wp-content/uploads/2010/...6 Peter Weichhart, Raumbezogene Identität als Problem-stellung der Regionalentwicklung. In: Beiträge

2 Die Begriffe Heimat und Kulturlandschaft

der Kulturlandschaft wird somit als Aufgabe derbayerischen Heimatpflege schon in der Vergan-genheit, aber auch weiterhin für die Zukunft gese-hen. Wagen wir an dieser Stelle noch einen Blicküber Bayern hinaus. Auch in den aktuellen Zielset-zungen des Bundes Heimat und Umwelt (BHU),der Dachorganisation der Heimatverbände in derBundesrepublik Deutschland, spielt das Konzeptder Kulturlandschaft eine wesentliche Rolle. Dortwird festgestellt, dass Umweltschutz und Heimat-pflege sich gerade in der »Bewahrung und Gestal-tung unserer Kulturlandschaften« verbinden.3

2 Heimat und Kulturlandschaft – derbegriffliche und sachlicheZusammenhang

Über den Heimatbegriff, seinen Gebrauch, aberauch seinen Missbrauch wurde in umfänglicherWeise nachgedacht und kontrovers diskutiert. Daskann und soll an dieser Stelle nicht aufgerolltwerden, er soll hier lediglich in seiner Bezie-hung zum Begriff der Kulturlandschaft analysiertwerden. Grundsätzlich muss man sich die Fragestellen, ob »Heimat« ein Ort, also ein materiel-ler Raum, oder ein Gefühlszustand, ein geistig-seelisches Konstrukt sei. Es wohl so, dass diese bei-den Ebenen in dem, was wir mit »Heimat« aus-drücken wollen, miteinander verwoben sind. Ei-nerseits die äußere, materielle Heimat, der hand-feste gegenständliche Ort, andererseits die geistig-seelische Heimat, die gefühlsmäßige Verwurze-lung mit dem materiellen Raum. Letztere Kompo-nente ließe sich auch als »Heimatgefühl« bezeich-nen. Damit ist Heimat – stark vereinfacht ausge-drückt – die positiv besetzte Beziehung des Men-schen zum erlebten Ort oder Raum.

Zudem hat Heimat eine dritte, eine zeitliche Di-mension, denn sie ist oft erinnerte oder vergange-ne Heimat.4 Sie ist vergangen, weil sie als Raum inihren Eigenarten bedroht oder verändert wurde,oder weil sich der Mensch selbst von ihr entfernthat und sie nur noch als verklärte Kindheitserinne-rung behält. Wie stark die gefühlsorientierte Kom-ponente des Begriffs Heimat ist, zeigt auch sei-ne enge fast komplementäre Beziehung zum Be-

griff des »Heimwehs«, das dann eintritt, wenn manseine Heimat verloren hat. Heimweh als die Fol-ge von Exil und Entwurzelung ist ein altbekanntesPhänomen, das mindestens seit dem 17. Jahrhun-dert behandelt wird, dagegen setzt die Diskussionüber Heimat erst im 19. Jahrhundert ein,5 dannnämlich, als bereits Bedrohungen ihrer räumlich-konkreten Existenz sichtbar werden.

Dies zeigt wiederum die enge Bindung von Hei-mat an den Ort, an den vertrauten Raum undseine sichtbare Ausgestaltung und vor allem andessen Wiedererkennbarkeit. Vertrautheit und Er-kennbarkeit des Raumes sind konstituierend fürHeimat oder – verwenden wir ausnahmsweiseeinen modernen Parallelbegriff – für die »Räum-liche Identität«. Für den österreichischen Sozial-geographen Peter Weichhart entsteht raumbezo-gene Identität eines Individuums durch die Sicher-heit und Verlässlichkeit seiner eigenen Umweltbe-urteilung, da jeder Mensch darauf aus ist, psychi-sche Spannungszustände abzubauen. Zu Sicher-heit und Verlässlichkeit muss schließlich noch dieErfahrung von Konstanz treten.6 Aus dieser Kon-stanz, die auch über die Lebensspanne eines In-dividuums hinausgehen kann, lässt sich wiederumdie historische Dimension von räumlicher Identi-tät, aber auch von Heimat ableiten.

Wir brauchen also, um Heimat zu erzeugen,einen Raum, der konstant und damit verlässlich ist.Einigen wir uns zunächst einmal darauf, dass Kul-turlandschaft eine Umschreibung des positiven In-haltes der räumlich-materiellen Komponente vonHeimat sein könnte. In diesem Sinne ist sie also

ein für Heimatpflege (Hrsg.): Heimat erleben – bewahren –neu schaffen. 100 Jahre Bayerischer Landesverein für Hei-matpflege e.V. München 2002, S. 241 - 252.

3 Vgl. Internetauftritt des BHU; http://www.bhu.de/Ziele/standp/standp.htm

4 Johannes Schmitt: Heimat und Globalisierung. In: Impri-matur Heft 7+8/2001.

5 Hermann Bausinger: Heimat und Globalisierung. In: Ös-terreichische Zeitschrift für Volkskunde. LV/104, 2001, S.121 - 135, hier S. 126

6 Peter Weichhart, Raumbezogene Identität als Problem-stellung der Regionalentwicklung. In: Beiträge zur theo-retischen Grundlegung der Raumentwicklung. Hannover2000, (= Arbeitsmaterial der ARL, Nr. 254), S. 51-68, hierS. 63.

2

Page 3: Kulturlandschaft als Heimatthomas-gunzelmann.net/wordpress/wp-content/uploads/2010/...6 Peter Weichhart, Raumbezogene Identität als Problem-stellung der Regionalentwicklung. In: Beiträge

2 Die Begriffe Heimat und Kulturlandschaft

konkrete Ausgestaltung eines Raumes, eines Ortesoder anderen Teiles der Erdoberfläche, der Ver-lässlichkeit, Wiedererkennbarkeit und damit Kon-stanz in seinen Eigenarten für die in ihm lebendenMenschen bietet. Konzeptionell bedingt dies danneine sehr langsame Weiterentwicklung des Raum-es, denn unter einer dynamischen Raumentwick-lung leidet die Konstanz und damit die Wiederer-kennbarkeit.

Gerade diese exponenzielle Dynamik ist seit et-wa 150 Jahren aber ein Kennzeichen jeglicher Kul-turlandschaftsentwicklung in Mitteleuropa. Schonwenige Jahrzehnte nach dem Beginn dieses Pro-zesses, der zur immer stärkeren Entwertung raum-zeitlicher Strukturen oder – wenn man so will– Traditionen und Verankerungen bewirkte, er-wuchs als Gegenreaktion die Heimatbewegung.Lassen Sie uns noch etwas weiter den Begriff derKulturlandschaft durchdringen, was bei dem in-flationären, schlagwortartigen Gebrauch durchausvon Nöten ist. In ihrem traditionellen geographi-schen Sinngehalt ist sie das Ergebnis der materiel-le Gestaltung der Erdoberfläche, die der Menschüber Jahrhunderte im Zuge der Ausübung seinerGrunddaseinsfunktionen Wohnen, Arbeiten, SichFortbewegen usw. geschaffen hatte.7 Damit be-sitzt die Kulturlandschaft auch eine zeitliche Kom-ponente, was schließlich dazu führt, dass in deraktuellen Kulturlandschaft Elemente und Struktu-ren aus unterschiedlichen Epochen nebeneinan-der oder auch miteinander vernetzt bestehen. Imgeographischen Sinn sieht das klassische Konzeptder Kulturlandschaft auch keine Trennung zwi-schen bebauten und unbebauten Raum vor –Stadt, Dorf und freie Landschaft sind Teil der Kul-turlandschaft. Zudem hebt das Konzept auch aufdie Wechselwirkung von vorgegebener Naturaus-stattung und menschlicher Einflussnahme ab, Kul-turlandschaft »ist also Verschmelzung und Inter-fe renz natürlicher und kultürlicher Eigenschaf-ten und Elemente in einem Raum«,8 oder an-ders formuliert, »das Ergebnis einer jahrhunderte-langen Wechselwirkung von naturräumlichen Vor-aussetzungen und menschlichem Handeln«.9 Ge-rade diese integrale Auffassung, der ganzheitli-che Aspekt im Hinblick auf die Beziehung Naturund Mensch machte den Reiz dieses Konzeptes

schon zu Zeiten der Heimatschutzbewegung aus,als es noch gar nicht so klar formuliert werdenkonnte. Aber auch heute, unter dem Zeichen derNachhaltigkeitsdiskussion vermag es einen tragfä-higen Ansatz zu liefern. Nun wurde bereits fest-gestellt, dass eines der Merkmale der Kulturland-schaft ihre dynamische Weiterentwicklung ist. Zuleicht jedoch verstellt der ungeheure Landschafts-wandel der Gegenwart den Blick auf die tatsächli-chen Verhältnisse – ein ebenso wesentliches Kenn-zeichen der Kulturlandschaft ist das Phänomender Beharrung, der Persistenz von Elementen undStrukturen. Unter dem Eindruck der dynamischenund globalen Wandlungen wird vielfach überse-hen, dass die Beharrlichkeit von sozialen Syste-men, Kulturmustern und ganz schlicht auch Bau-werken enorm ist und das sogar ohne konkreteBemühungen um ihren Fortbestand.

Diese persistenten Strukturen sind es schließ-lich, die für räumliche Heimat sorgen. In ihrerVernetzung kann man diese Strukturen, vor allemwenn ihr Anteil an der gesamten Kulturlandschafterlebbar hoch ist, als »traditionelle«, »gewachsene«oder neutraler »historische« Kulturlandschaft um-schreiben. Verlassen wir nun für einen Augenblickdie trockene Theorie und versuchen uns vorzustel-len, wie solches heute aussehen mag.

Selbstverständlich wollen wir dies dem heutigenAbend angemessen am Beispiel des Frankenwal-des tun. Als Kulturlandschaft blickt der Franken-wald auf eine vergleichsweise kurze Geschichtezurück, denn als unwirtliches Waldgebirge wur-de er erst nach vorletzten Jahrtausendwende be-

7 Zur Diskussion des geographischen Kulturlandschaftsbe-griff, vgl. Gerhard Hard: Zu den Landschaftsbegriffen derGeographie. In: A. H. v. Wallthor & H. Quirin, (Hrsg.):Landschaft als interdisziplinäres Forschungsproblem, Ver-öff. des Provinzialinstutes f. Westfälische Landes-u. Volks-forschung, Reihe 1, Heft 21: 13-25, Münster 1977; auchThomas Gunzelmann: Die Erhaltung der historischen Kul-turlandschaft. Angewandte Historische Geographie desländlichen Raumes mit Beispielen aus Franken. BambergerWirtschaftsgeographische Arbeiten Heft 4. Bamberg 1987.

8 Peter Weichhart: Geographie im Umbruch. Ein methodo-logischer Beitrag zur Neukonzeption der komplexen Geo-graphie. Wien 1975, hier S. 34

9 Hans Frei: Kulturlandschaft – Eine gemeinsame Aufgabevon Heimatpflege und Naturschutz. In: Schönere Heimat4, 1981, S. 207-213, hier S. 207.

3

Page 4: Kulturlandschaft als Heimatthomas-gunzelmann.net/wordpress/wp-content/uploads/2010/...6 Peter Weichhart, Raumbezogene Identität als Problem-stellung der Regionalentwicklung. In: Beiträge

3 Kulturlandschaft und Heimatschutzbewegung

siedelt und intensiver erschlossen. Anders als diealtbesiedelten Gebiete Frankens erreichte er auchnicht eine so vielschichtige Nutzungstiefe, was da-zu führte, dass man seine wesentlichen kulturland-schaftlichen Prägungen heute noch hervorragendablesen kann. Dies sind zum einen die hoch- undspätmittelalterlichen Rodungssiedlungen auf denHochflächen, deren Parzellengrenzen im Grund-satz seit 800 Jahren stabil sind und damit ein äl-teres geschichtliches Zeugnis ablegen, als es dieallermeisten Bauten in Franken vermögen. Dorf-und Flurstrukturen sind hier in einem Maße kon-serviert, dass man ein ganzes Lehrbuch der Sied-lungsgeographie mit ihrer Beschreibung und Ana-lyse füllen könnte. Dazu treten die landschaftli-chen Zeugnisse der landschaftsverbundenen Roh-stoffgewinnung, seien es die historischen Sand-steinbrüche im Kronacher Land, der Schieferab-bau im nördlichen Frankenwald oder der viel-fältige Bergbau im östlichen Frankenwald, zwarüberwiegend funktionslos, aber doch Zeugen dermenschlichen Bemühungen, dem Land soviel ab-zugewinnen, dass ein Leben dort möglich war.Und schließlich in den Flusstälern des Frankenwal-des die historische Kulturlandschaft der Flößerei,die als wirtschaftlich einträglichstes Gewerbe bisin das 20. Jahrhundert hinein die Gestalt der Flüs-se, der Taldörfer und nicht zuletzt des Waldes inganz spezifischer Weise formte. Alles musste demBetrieb dieses nachhaltigen Transportsystems, beidem das Transportgut auch gleichzeitig das ener-gielose Fahrzeug war, angepasst werden. All die-se Spuren lassen in hervorragender Weise in derLandschaft erkennen, sofern man gelernt hat, im»Raum die Zeit zu lesen«, wie es der GeographFriedrich Ratzel einmal in etwas anderem Zusam-menhang formuliert hat.10 Insgesamt ist dies allesein Bündel, das langsam in Jahrhunderten in derAuseinandersetzung des Menschen mit der vonim vorgefundenen Naturlandschaft entstanden ist,durchaus auch Brüche enthaltend und nicht im-mer von schonenden Umgang mit der Umwelt ge-kennzeichnet. Es entstand jedoch eine individuel-le Kulturlandschaft, die den Frankenwald auch in-nerhalb des Reigens deutscher Waldgebirge unver-wechselbar macht.

Zugegebenermaßen ist dies so, weil der kul-

turlandschaftliche Erneuerungsdruck hier nicht sohoch ist, was viele Menschen aus naheliegendenGründen zurecht bedauern, doch belassen wir eszunächst bei dieser Situationsbeschreibung undkehren wieder auf die definitorische Ebene zu-rück.

Kulturlandschaft ist also ein System der perma-nenten Veränderung bei gleichzeitiger Übernahmeälterer Strukturen, die angepasst oder aber auchunverändert, zum Teil sogar funktionslos, weiter-tradiert werden können. Der einzelne Menschoder die Gesellschaft ist an den Prozess derfortwährenden Umwälzung baulicher und land-schaftlicher (wie auch sozialer und wirtschaftli-cher) Strukturen immer gewöhnt gewesen und ver-mochte dies auch im Sinne von Heimat inner-lich zu verarbeiten und damit zu akzeptieren. Le-diglich in Zeiten, in denen dieser Wandel eineneue Qualitätsstufe im Sinne von Beschleunigungund flächenmäßiger Ausweitung erreicht, scheinter Gegenreaktionen zunächst von einzelnen Men-schen und dann von gesellschaftlichen Gruppie-rungen zu provozieren. Dies war vor 100 Jahrenso, als sich als Reaktion auf die ungeahnten kul-turlandschaftlichen Begleiterscheinungen der In-dustrialisierung die Heimatschutzbewegung kon-stituierte und dies scheint heute wieder so seinals Reaktion auf die Auswirkung der Globalisie-rung. Allerdings umfassen die aktuellen Reaktio-nen auf die tatsächliche oder vermeintliche Bedro-hung ein weit umfangreicheres Spektrum – Gewaltnicht ausgeschlossen.

3 Kulturlandschaft und dieHeimatschutzbewegung vor 100 Jahren

Doch bleiben wir zunächst noch in der aus heu-tiger Sicht vergleichsweise ruhigen und beschauli-chen – ich verkneife mir den Ausdruck die »gute,alte« – Zeit des Heimatschutzes vor hundert Jah-ren. Konfrontieren wir uns heute mit Auffassun-gen und Zielsetzungen der Heimatschutzbewe-gung, so müssen wir, die wir das sektorale und so-

10 zit. nach Karl Schlögel: Die Wiederkehr des Raumes. In:Karl Schlögel: Promenade in Jalta und andere Städtebilder.München/Wien 2001, S. 29 - 40.

4

Page 5: Kulturlandschaft als Heimatthomas-gunzelmann.net/wordpress/wp-content/uploads/2010/...6 Peter Weichhart, Raumbezogene Identität als Problem-stellung der Regionalentwicklung. In: Beiträge

3 Kulturlandschaft und Heimatschutzbewegung

Abb. 1: Die Waldhufenflur des RodungsdorfesBirnbaum. Foto: Thomas Büttner 2002

Abb. 2: Historischer Ortsrand des Rundanger-dorfes Birnbaum. Foto: Thomas Büttner 2002

mit Schubladendenken wenn schon nicht mit derMuttermilch, aber immerhin mit der Ausbildungaufgesogen haben, erstaunt feststellen, welchenganzheitlichen Blick man der Problematik gegen-über hatte. Sicherlich kann man der im Grundebürgerlich-konservativen bis nationalen Heimat-schutzbewegung Angst vor der Modernisierungund rückwärts gerichteten Protest vorwerfen, al-lerdings muss man auch sehen, dass dort erstmalsauf die Gefahren eines Primats der Ökonomie auf-merksam gemacht wurde und in diesem Zusam-menhang die Qualität eines Lebensraums heraus-gehoben wurde, der sowohl sein ökologisches wiesein kulturelles Potenzial nicht verschleudern, son-dern pfleglich weiterentwickeln sollte.11 Im Hei-matschutz fand durchaus eine integrale Betrach-tung von Naturschutz und Denkmalpflege statt,wie wir heute kaum noch in der Lage sind, sie zuleisten.

Der Gründervater der Heimatschutzbewegung,der Musikprofessor Ernst Rudorff (1840 - 1916) sahschon im Jahr 1880 diesen Zusammenhang: »Dasmalerische und poetische der Landschaft entsteht,wo ihre Elemente zu zwangloser Mischung ver-bunden sind, wie die Natur und das langsameWalten der Geschichte sie hat werden lassen.«12

Zum Zweck des schließlich 1904 gegründetem»Bund Heimatschutz« wurde es dann folgerich-tig auch »Die deutsche Heimat mit ihren Denk-mälern und der Poesie ihrer Natur vor weiterer

Verunglimpfung schützen.«13 Der erste Vorsitzen-de des Bundes Heimatschutz, der Maler, Archi-tekt und Publizist Paul Schultze-Naumburg (1869 -1949),14 dessen frühe Verdienste für den Heimat-schutz er leider durch sein späteres Abgleiten indie Rassenlehre verdunkelte, gab 1905 eine Flug-schrift unter dem Titel »Die Entstellung unseresLandes« heraus, die die Ziele des Heimatschutzeserläutern sollte.15 Darin wird der Zusammenhangvon Stadt, Dorf und freier Landschaft als Heimatdargestellt. Noch deutlicher wird dieser Zusam-menhang in den drei in der neunbändigen Reiheseiner »Kulturarbeiten« 1916 - 1917 erschienenenBänden »Die Gestaltung der Landschaft durch denMenschen.«16 Darin stellte er fest: »im übrigen

11 zur gesellschaftsgeschichtlichen Einordnungen der Heimat-schutzbewegung beispielweise Winfried Speitkamp: DieVerwaltung der Geschichte. Denkmalpflege und Staat inDeutschland 1871 - 1933. Kritische Studien zur Ge-schichtswissenschaft Band 114. Göttingen 1996, hier S. 18.

12 Ernst Rudorff: Über das Verhältnis des modernen Men-schen zur Natur. In: Preußische Jahrbücher 45 (1880), S.261 - 276; zit. nach Norbert Huse (Hrsg.): Denkmalpflege.Deutsche Texte aus drei Jahrhunderten. München. 21996,hier S. 161.

13 zit. nach Huse, 1996, S. 151.14 zu Schultze-Naumburg, vgl. Norbert Borrmann: Paul

Schultze-Naumburg. Maler – Publizist – Architekt. Essen1989.

15 Paul Schultze-Naumburg: Die Entstellung unseres Landes.Halle 1905.

16 Paul Schultze-Naumburg: Kulturarbeiten. Die Gestaltung

5

Page 6: Kulturlandschaft als Heimatthomas-gunzelmann.net/wordpress/wp-content/uploads/2010/...6 Peter Weichhart, Raumbezogene Identität als Problem-stellung der Regionalentwicklung. In: Beiträge

3 Kulturlandschaft und Heimatschutzbewegung

Abb. 3: Uferpflasterung des Lamitzbaches bei Wolfersgrün. Foto: Thomas Gunzelmann 2000

dürfte nicht ein Stück Erdoberfläche in Deutsch-land mehr so aussehen, wie es vor der Kultivie-rung durch Menschenhand der Fall war, denn al-les, was wir sonst um uns sehen, vom Forst bis zumFeld, von der Wiese bis zum Mühlenwehr, ist Men-schenwerk oder doch Natur, von Menschenhandgebändigt und verändert.«17 Der Wert dieser vomMenschen gestalteten Landschaft liegt für ihn inihrer Schönheit und Harmonie: »Unser Buch sollvor allem von der Schönheit der berührten Natur,..., dem kultivierten Lande handeln, von der wirwissen, dass sie uns reichste Schönheit geschenkthat.«18 Er behandelt dabei nicht nur die Gestal-tung der freien Landschaft selbst, sondern er be-zieht auch Häuser, Gärten, Schlösser, Dörfer undStädte mit ein, sie sind für ihn »das Schönste derLandschaft«19, damit ist aufs deutlichste der inte-grale Ansatz von Kulturlandschaft angesprochen,wie wir es heute nennen würden. Seine Werke,

die ihre Wirkung vor allem auch aus ihren her-vorragenden Fotos und der Gegenüberstellung vonBeispiel und Gegenbeispiel bezogen, haben dieHeimatbewegung des frühen 20. Jahrhunderts we-sentlich mitgeprägt und wirken auch heute noch –man ist versucht zu sagen – im kollektiven Unter-bewussten stark nach. Trotz alledem unterscheidetsich seine Sichtweise doch erheblich vom heuti-gen Verständnis von Kulturlandschaft, gerade auchaus dem Blickwinkel der Denkmalpflege. Obwohler mit seinen positiven Beispielen laufend auf his-torische Vorbilder zurückgreift, ist es für in im we-sentlichen nur das 18. Jahrhundert bis in das frühe19. Jahrhundert des Biedermeiers hinein, das mit

der Landschaft durch den Menschen. Bd. VII, Bd. VIII u.Band IX. München 1916/17.

17 Schultze-Naumburg, 1916, Bd. VII, S. 10/11.18 Schultze-Naumburg, 1916, Bd. VII, S. 15.19 Schultze-Naumburg, 1916, Bd. IX, S. 97.

6

Page 7: Kulturlandschaft als Heimatthomas-gunzelmann.net/wordpress/wp-content/uploads/2010/...6 Peter Weichhart, Raumbezogene Identität als Problem-stellung der Regionalentwicklung. In: Beiträge

3 Kulturlandschaft und Heimatschutzbewegung

Abb. 4: Der Floßteich »Schwarzer Teich« im Quellgebiet der Fränkischen Muschwitz. Foto: ThomasGunzelmann 1999

seiner Gestaltung von Landschaft, Haus und Sied-lung Geltung beanspruchen kann. Ihr Wert bestehtfür ihn nicht etwa im geschichtlichen Zeugnis, son-dern in Schönheit und Harmonie, wie er sie ver-standen wissen wollte. Daraus folgt selbstverständ-lich für ihn auch, dass qualitätvolle Landschaft undStadt neu geschaffen werden kann, solange mansich an das Vorbild der »Goethezeit« hält, sozusa-gen sein »Leitbild« der Landschaftsentwicklung.

Auch der Naturschutz hielt sich zu dieser Zeitnoch unter dem Dach der Heimatschutzbewe-gung auf, wodurch ein enger gedanklicher Zu-sammenhang zwischen Denkmalpflege und Na-turschutz entstand. So ist es auch nicht verwunder-lich, dass der Naturschutz in der frühesten Formseiner Institutionalisierung »Naturdenkmalpflege«genannt wurde – 1906 wurde die Staatliche Stel-le für Naturdenkmalpflege in Preußen unter ihremLeiter Hugo Conwentz (1855 - 1922) gegründet.Auch beim frühen Naturschutz stand zunächst das

ästhetisch-romantische Moment im Vordergrund,wenngleich sich dann Schritt für Schritt das Kon-zept des Artenschutz entwickelte. Ohne nun dasweitere Schicksal der Heimatbewegung weiter ver-folgen zu wollen – schließlich soll unsere Zeit imMittelpunkt des Vortrags stehen – lässt sich ver-knappt sagen, dass die konzeptionelle Schwächedes ästhetisch-pädagogischen Ansatz zum Auslau-fen von Naturschutz und Denkmalpflege aus demgemeinsamen Hafen des Heimatschutzes führte.Im Zuge einer fortschreitenden Verwissenschaft-lichung sind einerseits die ökologische, ande-rerseits die historische Dimension die wesentli-chen Wertkriterien zur Bewahrung ihrer jeweiligenSchutzgegenstände geworden. Durch diese sekto-rale Auseinanderentwicklung geriet auch der in-tegrale ehemalige gemeinsame Schutzgegenstandder vom Menschen gestalteten Kulturlandschaftweitgehend aus dem Blickfeld.

7

Page 8: Kulturlandschaft als Heimatthomas-gunzelmann.net/wordpress/wp-content/uploads/2010/...6 Peter Weichhart, Raumbezogene Identität als Problem-stellung der Regionalentwicklung. In: Beiträge

4 Kulturlandschaft heute

4 Schutz und Bedrohung derKulturlandschaft im Zeitalter derGlobalisierung

Wo stehen wir also heute? Auch heute kann manwieder den Eindruck gewinnen, dass die gebau-te Umwelt, die Kulturlandschaft oder schlicht dieHeimat einem Wandel auf einer neuen Qualitäts-stufe unterworfen ist, auch wenn das Wort »Qua-lität« hier sicherlich unangebracht ist. Nivellierungund Homogenisierung von Kultur und Landschaftfindet heute nicht mehr im vorwiegend nationa-len, sondern im weltweiten Maßstab statt. Trans-nationale Wirtschaftsgeflechte herrschen mittler-weile den Großteil der Weltwirtschaft und desWelthandels mit der unmittelbaren Folge, dass derEinfluss des Nationalstaats auf die Wirtschaft unddie von ihr bewirkten räumlichen Strukturen stetigabnimmt. Einscheidungsprozesse über den Raumwerden damit immer stärker aus dem Raum her-ausgenommen, den es eigentlich betrifft. Dies giltsowohl für die Politik, die Entscheidungen im-mer öfter auf die europäische Ebene transferierenmuss, noch mehr aber für die Wirtschaft, in derdie Corporate Identity eines weltweit agierendenKonzern wie selbstverständlich weit höher einge-schätzt wird, als die regionale Eigenart des jeweili-gen Standortes, das Schlagwort von der »Mcdonal-disierung« sei hier angeführt.

Sicherlich ist die damit umschriebene Globa-lisierung im Kern nichts Neues, weltweiten wirt-schaftlichen, aber auch kulturellen Austausch hates immer gegeben. So ist auch ein typisch frän-kisches Gericht, wie der Entenbraten mit Wirsingund Klößen, im Kern kaum etwas anderes als einErgebnis der Globalisierung. Der Wirsing kommtaus Italien und wird nördlich der Alpen erst seitdem 16. Jahrhundert angebaut und die Kartof-fel stammt schließlich aus den Andenländern Süd-amerikas. Hans Rogler und andere Bauern aus Pil-gramsreuth 20 bei Rehau in Oberfranken bautensie nachweislich bereits um 1647 an – und damit120 Jahre früher als der in dieser Hinsicht vielge-rühmte Alte Fritz. Gerade diese ostoberfränkischeEcke gab aber auch etwas an Südamerika zurück:viele der Ponchos der dortigen Indios wurden im19. Jahrhundert von den bitterarmen Hauswebern

aus Helmbrechts und Umgebung hergestellt. Wirt-schaftlicher, aber auch kultureller Austausch unddamit gegenseitige Beeinflussung – ob mit oderohne Zwang – war auch in der Vergangenheit im-mer möglich und gewöhnlich.

Was heute Betroffenheit erzeugt, ist die Be-schleunigung und Verdichtung von Abläufen, diesich einstmals über Generationen hingezogen hat-ten und nun in wenigen Jahren sich vollziehen.Kulturelle Globalisierung ist vordergründig jedochkein Austausch, sondern die Dominanz einer do-minierenden Einzelkultur, die mit den oberflächli-chen Symbolen Hollywood, Coca Cola, MTV oderCNN umschrieben werden kann. Somit ist dieGefahr nicht von der Hand zu weisen, dass derAustausch heute eher als Einbahnstraße fungiertund mittelfristig lokale und regionale Kulturen ent-scheidend schwächen wird. Für die Kulturland-schaft Mitteleuropas als räumlich-materieller Aus-prägung einer im Weltmaßstab regionalen Kulturbedeutet dies folgendes:

1. Der Anteil der Landwirtschaft an der Zahlder Beschäftigen und an der volkswirtschaft-lichen Wertschöpfung hat konstant abgenom-men. Wer für den Weltmarkt landwirtschaftli-che Erzeugnisse produzieren will, muss enor-me Ansprüche an Flächen, aber auch an land-wirtschaftliche Betriebsgebäude stellen. Bei-des lässt sich so nicht mit der kleinteiligen tra-ditionellen Kulturlandschaft vereinbaren.

2. Die flächenmäßigen Ansprüche anderer Wirt-schaftssektoren, vor allem des Handels, sindsprunghaft gestiegen. Dieses Wachstum, dasman durchaus als »Flächenfraß« bezeichnenkann, findet nicht mehr in der Stadt, son-dern in ihrem Umland statt. Dieser Subur-banisierungsprozess ist soweit fortgeschritten,

20 Vgl. Heidrich, Hermann: Kleine Alltagsgeschichte der Kar-toffel in Nordbayern. In: Ottenjahn, Helmut und Zies-sow, Karl-Heinz (Hrsg.): Die Kartoffel. Geschichte und Zu-kunft einer Kulturpflanze. Arbeit und Leben auf dem Lan-de. Eine kulturwissenschaftliche Schriftenreihe, herausge-geben von den Museen des Ausstellungsverbundes, Bd.1, Cloppenburg 1992, S. 95-126, hier S. 95, oder Thü-ringisches Kloßmuseum http://home.t-online.de/home/klossmuseum/Rogler.html

8

Page 9: Kulturlandschaft als Heimatthomas-gunzelmann.net/wordpress/wp-content/uploads/2010/...6 Peter Weichhart, Raumbezogene Identität als Problem-stellung der Regionalentwicklung. In: Beiträge

4 Kulturlandschaft heute

dass man durchaus von der »Zwischenstadt«sprechen kann.21 Dabei sind diese raum-füllenden Einkaufszentren, Schlafsiedlungenund – wenn es gut geht – auch mal Produk-tionsstätten, Ergebnisse einer durch den in-ternationalen Konkurrenzdruck getriebenen,nicht langfristigen angelegten Standortent-scheidung, deren Prämissen sich oft nach we-nigen Jahren überholt haben und damit ih-re Funktion verlieren. Die dabei angesetztenAbschreibungszyklen von 5, 10, maximal 15Jahren machen deutlich, dass Qualität in Pla-nung und Ausführung überhaupt keine Rollezu spielen braucht.

3. Dagegen steht der periphere Raum, denes bekanntermaßen auch im dicht besie-delten Mitteleuropa gibt. Dort ist die tradi-tionelle Kulturlandschaft durch den Rückzugder Landwirtschaft, durch den Bevölkerungs-schwund infolge mangelnder Beschäftigungs-alternativen ebenso bedroht wie in der Zwi-schenstadt. Dort ist es das »Factory OutletCenter«, hier ist es schlicht und ergreifend derWald. Dabei ist dieser kulturlandschaftlicheSchrumpfungsprozeß nicht einmal alleine imländlichen Raum festzustellen, in den Neu-en Ländern muss man sich intensiv mit demRückbau ganzer Stadtquartiere, unter denenauch denkmalpflegerisch wertvolle sein kön-nen, auseinandersetzen.

Das Ergebnis dieser parallel laufenden Prozessefür die Kulturlandschaft mit ihren Siedlungen undFreiflächen ist ein enormer Verlust an Vielfalt undKomplexität, eine Verschwendung von Flächen zuLasten nachfolgender Generationen und eine un-gebrochene Tendenz zur Nivellierung und Homo-genisierung von Bauformen und Landschaftsgestal-tung. Diese Diagnose ist keinesfalls neu, das nunerreichte Ausmaß zwingt allerdings zum Nachden-ken und eigentlich auch zum Handeln.

Dahinter stecken wohl nicht nur die Zwängeder Globalisierung, sondern auch der mangeln-de Wille des Staates unter seinem aktuellen Leit-bild der Deregulierung im weitesten Sinne raum-ordnend einzugreifen, wenn nicht beides ohnehinnicht zwei Seiten der selben Medaille sind.

Nun ist es sicherlich so, dass Globalisierungnicht nur als Einbahnstraße aufzufassen ist, sie er-zwingt geradezu Gegenreaktionen. Neben dem»Universalismus« der Globalisierung ist durch-aus ein wachsender »Partikularismus« festzustel-len, der an regionalen Eigenarten festhalten oderdiese auch neu definieren will. Dieser Partikularis-mus ist beileibe nicht nur der Ausweg enttäuschterGlobalisierungsverlierer, er wird durchaus von in-ternationalen Gremien gefördert.

Erst Ende 2001 hat die UNESCO in einer »Uni-versal Declaration on Cultural Diversity« festge-stellt, dass die kulturelle Vielfalt für die Mensch-heit ebenso wichtig wie die biologische Vielfalt ist.Viel älter ist die für unsere Fragestellung wichtige»Convention for the Protection of the World Cul-tural and Natural Heritage«, die heuer ihr 30jähri-ges Jubiläum feiern kann, weswegen das Jahr 2002auch zum Jahr des kulturellen Erbes erklärt wur-de. Die UNESCO führt eine Liste von 20 unter-schiedlichen Typen des kulturellen Erbes. In die-ser Auflistung erscheinen neben so einleuchten-den Typen wie Sprache, Musik, Literatur, kulina-rische Traditionen eben auch die »cultural lands-capes«, eben die »Kulturlandschaft«. Das Konzeptder UNESCO unterscheidet – leider etwas will-kürlich – drei Typen der Kulturlandschaft, nämlichdie deutlich abgegrenzte, bewusst gestaltete (clear-ly defined landscape designed and created inten-tionally) Landschaft, die organisch entwickelte (or-ganically evolved), die entweder fossil oder fort-bestehend sein kann und schließlich die assozia-tive Kulturlandschaft. Auf dieser Basis wurden inden zurückliegenden Jahren alleine in Österreich,das hier den Vorreiter spielte, 1997 die Kulturland-schaft Hallstatt-Dachstein Salzkammergut, 2000die Wachau, 2001 Fertö/Neusiedlersee, grenz-überschreitend mit Ungarn, sowie in Deutschland2002 das Mittelrheintal als Weltkulturerbe aner-kannt.22 An dieser Stelle darf ich schon einmal

21 Vgl. Thomas Sieverts: Zwischenstadt. Zwischen Ortund Welt, Raum und Zeit, Stadt und Land. Braun-schweig/Wiesbaden, 21998 (=Bauwelt Fundamente 118)

22 für das Mittelrheinthal liegt erstmals eine großanlegte Do-kumentation über das Wesen dieser Kulturlandschaft vor,vgl. Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz (Hrsg.):Das Rheintal von Bingen und Rüdesheim bis Koblenz. Eine

9

Page 10: Kulturlandschaft als Heimatthomas-gunzelmann.net/wordpress/wp-content/uploads/2010/...6 Peter Weichhart, Raumbezogene Identität als Problem-stellung der Regionalentwicklung. In: Beiträge

4 Kulturlandschaft heute

vorgreifen und die Übertragung eines solchen Be-werbungssystem auch für Bayern anregen. Wenn-gleich ich nicht glaube, dass wir noch eine Kul-turlandschaft von Weltgeltung haben – die Politi-ker werden das sicher anders sehen – so gibt esdoch eine ganze Reihe von Kulturlandschaften vonnationaler und landesweiter Bedeutung. Unter ge-wissen Bedingungen könnten sich diese zertifizie-ren lassen, womit natürlich auch Auflagen verbun-den wären, letztlich könnte ein solches Zertifikat»Gewachsene Kulturlandschaft« oder wie man esimmer nennen mag, ihrem eigenen Marketing zugute kommen.

Auch die Europäische Union hat sich des The-mas in hohem Maße angenommen. Das Europäi-sche Raumentwicklungskonzept (EUREK)23, dasauf eine ausgewogene und nachhaltige Entwick-lung des Gebietes der EU abhebt, hat sich nebendem wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhaltund der Wettbewerbsfähigkeit als drittes Hauptzieldie Erhaltung und das Management der natürli-chen Lebensgrundlagen und des kulturellen Erbesvorgenommen, eine Gewichtung des letztgenann-ten Aspektes, die so noch in keiner raumordneri-schen Konzeption aufgetaucht ist – den Heimat-pfleger muss es freuen. In diesem Konzept wirdfestgehalten: »Das kulturelle Erbe Europas – vonden gewachsenen Kulturlandschaften der ländli-chen Gebiete bis hin zu den historischen Stadt-zentren – ist Ausdruck seiner Identität und vonweltweiter Bedeutung«.24 Darin wird auch betont,das nur ein kleiner Teil dieses Erbes durch rigo-rose Schutzmaßnahmen wie dem Denkmalschutzgesichert werden kann, für den größeren Teil seieine kreative Weiterentwicklung unter Beachtungder kulturellen Resourcen von Nöten.

Das EUREK ist ein entscheidend wichtigerSchritt, den Komplex Kulturlandschaft in derRaumordnung aller Ebenen und ihren Wert imweltweiten Wettbewerb der Regionen zu veran-kern. Dahinter steckt wahrscheinlich aber auch dieIdee, dass Subventionen der Landwirtschaft mittel-fristig weiter möglich sein werden, wenn sie nichtder Nahrungsmittelproduktion, sondern dem Kul-turbetrieb zugeführt werden.

Schließlich haben diese Überlegungen auch Ein-gang in das bundesdeutsche Raumordnungsgesetz

bei dessen letzter Novellierung gefunden, wo einneuer Grundsatz Nr. 13 im § 2 Abs. 2 ROG ein-gefügt wurde: Die geschichtlichen und kulturellenZusammenhänge sowie die regionale Zusammen-gehörigkeit sind zu wahren. Die gewachsenen Kul-turlandschaften sind in ihren prägenden Merkma-len sowie mit ihren Kultur- und Naturdenkmälernzu erhalten.25 Allerdings sind Vorschläge und Vi-sionen, wie solches den geschehen könnte, auf dereuropäischen Ebene schon viel weiter gediehen.26

Somit sind eigentlich die Grundlagen geschaf-fen, bei der Weiterentwicklung aller Raumeinhei-ten, von der Kommune, über das Land bis nachEuropa, Kulturlandschaft als Heimat im positivenSinn in jegliche raumwirksame Maßnahme einzu-beziehen. Zahlreiche Initiativen der letzten Jahr-zehnt in der Forschung, aber auch in der Praxisvermitteln, dass es vorangeht. Leider sind jedochsind allenthalben gewaltige Defizite festzustellen.

Es besteht sicherlich Einigkeit darin, die Resteunserer traditionellen, gewachsenen oder histori-schen Kulturlandschaft nicht unter die berühmteKäseglocke zu stellen, sondern sie als Potenzial füreine Weiterentwicklung zu sehen. Im gleichen Sin-ne ist auch das Baudenkmal kein absolut statischesObjekt, denn es hat sich in seiner eigenen Ver-gangenheit weiterentwickelt und neuen Nutzungs-ansprüchen angepasst. Ebenso wird auch heutesich in den allermeisten Fällen die Konservierungund Erhaltung mit zeitgemäßen nutzungsbeding-ten Anpassungen vereinbaren lassen. Pointiert aus-gedrückt, könnte man daher sagen, eine Pflegeund Weiterentwicklung der Kulturlandschaft ist die

europäische Kulturlandschaft. 2 Bände. Mainz 2001.23 Europäische Kommision (Hrsg.): Eurek. Europäisches

Raumentwicklungskonzept. Auf dem Wege zu einer ausge-wogenen und nachhaltigen Entwicklung der EuropäischenUnion. Luxemburg 1999, online unter http://europa.eu.int/comm/regional_policy/sources/docoffic/official/reports/som_de.htm

24 EUREK, S. 32.25 zu dieser neuen Aufgabe der Raumordnung vgl. Gerhard

Stiens: Veränderte Sichtweisen zur Kulturlandschaftserhal-tung und neue Zielsetzungen der Raumordnung. In: Infor-mationen zur Raumentwicklung Heft 5/6 1999 »Erhaltungund Entwicklung gewachsener Kulturlandschaften als Auf-trag der Raumordnung«, S. 321 - 232.

26 Stiens 1999, S. 329.

10

Page 11: Kulturlandschaft als Heimatthomas-gunzelmann.net/wordpress/wp-content/uploads/2010/...6 Peter Weichhart, Raumbezogene Identität als Problem-stellung der Regionalentwicklung. In: Beiträge

5 Ausblick für Bayern

Umsetzung des Konzepts der Nachhaltigkeit mitseinen ökologischen, ökonomischen und sozialenKomponenten in die räumliche Ebene.27

Die traditionelle Kulturlandschaft ist ein kom-plexes System, deswegen sind die Kriterien, dieals Wertmaßstab anzuwenden sind, ebenfalls viel-schichtig. Für die Heimatpflege, aber auch für dieDenkmal- und Landschaftspflege wird Kulturland-schaft erst dann zum zum Gegenstand von Erhal-tungsbemühungen, wenn ihr ein Wert im Sinneder jeweiligen Ziele zugewiesen werden kann. Fürdie Heimatpflege wäre dies im Sinne des oben Ge-sagten dann der Fall, wenn die KulturlandschaftVertrautheit und Wiedererkennbarkeit herstellenkann. Für die Denkmalpflege ist sicherlich die his-torische Bedeutung, die Funktion als wissenschaft-liche Quelle und die Ablesbarkeit von Geschichteder ausschlaggebende Faktor, für Naturschutz undLandschaftspflege ist es ihre Vielfalt, Eigenart undSchönheit, aber auch die ökologische Komponen-te, denn traditionelle Kulturlandschaften sind zu-meist artenreich. Daneben gibt es sicherlich nochandere Werte, wie derjenige als weicher Standort-faktor. Dabei sollte regionale Eigenart keinesfallsmit Bodenständigkeit verwechselt werden, dennKulturlandschaften besaßen schon immer die Fä-higkeit zur Aufnahme neuer Impulse und zur Ein-passung von außen kommenden Elemente undDenkweisen – auch im weltweiten Maßstab schonvor der Entdeckung der Globalisierung.

Vor allem, Kulturlandschaft im so verstande-nen Sinne darf nicht Opfer des Lobbyismus wer-den. Sie ist noch lange nicht deswegen Kultur-landschaft, weil Landwirte sie mit immer größe-ren Maschinen bewirtschaften, wie es das Bayeri-sche Kulturlandschaftsprogramm und die Bauern-verbände sehen. Sie ist es, weil sie vielschichtigeSpuren menschlicher Geschichte in ganz konkre-ter materieller Ausprägung in sich trägt. Auch diequalitätvollen Zeugen der industriellen Kultur des19. und 20. Jahrhunderts, gerade hier im nördli-chen und östlichen Oberfranken, die aktuell einererheblichen Bedrohung unterliegen, sind ebensowie die noch erhaltenen historischen Flurstruktu-ren und Landnutzungssysteme Teil unserer Kultur-landschaft. Natürlich geht es keinesfalls ohne dieLandwirtschaft – sie ist es, die den flächenmäßig

immer noch größten Teil der Kulturlandschaft ver-antwortet und sie muss dafür auch noch in hö-herem Maße als bisher entlohnt werden. Aber siekann aus dieser Tatsache keinen Alleinvertretungs-anspruch ableiten, wie sie es jetzt bisweilen tut,und auch ihre Mittel zum Zweck müssen deutli-cher als bisher auf den Prüfstand gestellt werden.

Die Kulturlandschaft ist auch nicht ausschließ-lich »weicher Standortfaktor«, weil sich über ihrespezifischen Eigenarten Regionen vermarkten undder Tourismus ankurbeln lassen, spät genug ha-ben es ja die Vertreter des Regionalmarketings ge-merkt. Gerade diese Aspekte nehmen es mit derAuthentizität und der tatsächlichen Substanz nichtsonderlich genau, auf diese kommt es aber an.

Sie ist erst recht nicht der Freiraum der Land-schaftsarchitekten und Landschaftsplaner, denman nach Belieben be- und verplanen kann. Auchin diesem Zusammenhang gilt: Jeder Quadratme-ter hat Geschichte. Wo diese hochwertig und au-genscheinlich ist, helfen auch keine Ausgleichsflä-chen – historische Substanz ist individuell, einma-lig und nicht ersetzbar. Im Gegenteil – die öko-logischen Ausgleichsflächen, die allenthalben indurchaus positiver Zielsetzung angegangen wer-den, belasten oftmals die historische Kulturland-schaft.

Die Erhaltung von Kulturlandschaft als Heimatkann nur Aussicht auf Erfolg haben, wenn siebei allen räumlich wirksamen Maßnahmen alsQuerschnittsaufgabe einbezogen wird28, wenn sieganzheitlich oder integral betrachtet wird, wiees auf etwas weniger anspruchsvoller Basis, aberdurchaus erfolgreich, die Heimatbewegung schonvor 100 Jahren vorgemacht hat.

5 Ausblick für Bayern

Was ist nun zu tun, was wird schon getan? Be-trachten wir die bayerische Situation. Erschre-ckend ist nach wie der Gegensatz zwischen gesetz-

27 Winfried Schenk: Wir brauchen ein Kulturlandschaftskatas-ter. In: Landschaftsverband Rheinland (Hrsg.): RheinischesKulturlandschaftskataster. Tagungsbericht 2001. Köln 2002(= Beiträge zur Landesentwicklung 55), S. 9 - 15.

28 Schenk 2002, S. 12.

11

Page 12: Kulturlandschaft als Heimatthomas-gunzelmann.net/wordpress/wp-content/uploads/2010/...6 Peter Weichhart, Raumbezogene Identität als Problem-stellung der Regionalentwicklung. In: Beiträge

5 Ausblick für Bayern

lichen Vorgaben, politischen Ansprüchen, Initiati-ven zahlreicher Gruppierungen vor Ort und dem,was wir wirklich über die Kulturlandschaft und ihrereale Ausprägung wissen. Über eine vage Feststel-lung der Notwendigkeit, hier mehr zu tun, sind wirerst teilweise hinausgekommen. Die Schwierigkeitliegt eben auch darin begründet, dass sich wegender mangelnden Institutionalisierung des Problem-feldes – die Kulturlandschaft sitzt institutionell zwi-schen allen Stühlen – bisher zumeist nur informelleund ständig wechselnde Gruppierungen meist auspersönlichem Interesse und ohne übergeordnetenAuftrag zusammengefunden haben.

Andere Länder sind da schon weiter, im Rhein-land hat man die ersten Schritte zur Erstellung ei-nes »Rheinischen Kulturlandschaftskataster« schongetan. Hier tritt mit dem Landschaftsverband aucheine wegen der dort zusammengefassten Behör-den einschlägige Institution auf. In Niedersachsenwurde eine andere Vorgehensweise gewählt. Hierübernimmt der Niedersächsische Heimatbund die»Erfassung und Dokumentation historischer Kultur-landschaften«. Das Projekt fußt dort auf der Zu-sammenarbeit vieler ehrenamtlicher und wenigerhauptamtlicher Kräfte. Ein erster Projektabschnittwurde bereits durchgeführt. An dessen Ende standdie Publikation einer Handreichung, was eigent-lich und wie zu erfassen sei.29 An diesem Bei-spiel sieht man deutlich, dass diesen integralen An-spruch von Natur und Kultur, von Geschichte undWeiterentwicklung, vom Austausch des Globalenund des Lokalen in der Landschaft eigentlich beider Heimatpflege ganz gut aufgehoben wäre.

Konkrete Fortschritte mögen sich in Bayern der-zeit aus einem gemeinsamen Projekt der Landes-ämter für Umweltschutz und Denkmalpflege, anwelchem auch die Regionalplanung beteiligt ist,ergeben, das am Beispiel der Region Oberfranken-West das Thema »Historische Kulturlandschaft«als eigenständiges Schutzgut in das sogenannte»Landschaftsentwicklungskonzept« einführt, wel-ches wiederum zunächst als vorwiegend ökologi-sches Leitbild für die Landschaftsentwicklung ei-ner Region gedacht war. Es ließen sich darüberhinaus noch etliche weitere kleine Schritte anfüh-ren, wie die Zusammenarbeit mit der BayerischenVerwaltung für ländliche Entwicklung30 oder, gera-

de hier in Kronach, mit dem Naturpark Franken-wald im Hinblick auf die historische Kulturland-schaft der Flößerei,31 der ganze große Wurf für dieErfassung der bayerischen Kulturlandschaft stehtaber noch aus. Immerhin konnte ich – etwas über-raschend – einem Beschluss des Hauptausschus-ses der bayerischen Bezirke von 1999 entneh-men, dass »das kulturelle Erbe Bayerns . . . nebenden gebauten Denkmälern auch aus der von Men-schen geformten Kulturlandschaft« bestehe, dahersolle »die bezirkliche Denkmal- und Heimatpfle-ge . . . deshalb um den Bereich der landkreisüber-greifenden Kulturlandschaftspflege« erweitert wer-den.32 Sollte hier schon eine bayernweite Kultur-landschaftspflege eingeführt sein, die ihre segens-reiche Wirkung bisher im Verborgenen entfaltethat? Wenn wir im Hinblick auf eine ganzheitlicheKulturlandschaftspflege weiter kommen wollen, sobrauchen wir eine zumindest lockere Institutiona-lisierung, meinetwegen als fachübergreifende Ar-beitsgruppe, die mit gewissen Kompetenzen – undauch Finanzen – ausgestattet ist. Am Beginn ihrerArbeit müsste erst einmal eine Bestandsaufnahmeder zahlreichen Aktivitäten und Initiativen stehen,die unkoordiniert unter der Flagge der Kulturland-

29 Christian Wiegang u. Niedersäschsischer Heimatbund(Hrsg.): Spurensuche in Niedersachsen. Historische Kultur-landschaftsteile entdecken. Hannover 2002.

30 Bayerisches Staatsministerium für Landwirtschaft und Fors-ten (Hrsg.): Historische Kulturlandschaft. Materialien zurländlichen Entwicklung 39/2001; auch Thomas Gunzel-mann: Wege zur Bewahrung des kulturellen Erbes in derLandschaft: Das Projekt »Historische Kulturlandschaft inder Ländlichen Entwicklung«. In: Bayerische Akademieländlicher Raum e.V. (in Zusammenarbeit mit dem Bil-dungswerk des Bund Naturschutz in Bayerrn e.V.): Frei-lichtmuseum oder Produktionsfaktor? Kulturlandschaft imSpannungsfeld gegensätzlicher Nutzungsinteressen. HeftNr. 31. München 2002, S. 120 - 132.

31 Thomas Gunzelmann: Flößerei im Frankenwald: die Kul-turlandschaft und die Denkmäler. In: Denkmalpflege In-formationen. Ausgabe B 123, Oktober 2002, S. 24 -27; online http://home.t-online.de/home/Tom.Gunzelmann/FLOESSER.PDF

32 Verband der Bayerischen Bezirke: Anlage zum Rund-schreiben Nr. 30 – Zukunftsperspektiven der baye-rischen Bezirke. Beschluß des Hauptausschusses desVerbands der bayerischen Bezirke vom 21. 4.1999http://www.bay-bezirke.de/pages/aktuell/rs1999/anlrsnr30.html

12

Page 13: Kulturlandschaft als Heimatthomas-gunzelmann.net/wordpress/wp-content/uploads/2010/...6 Peter Weichhart, Raumbezogene Identität als Problem-stellung der Regionalentwicklung. In: Beiträge

5 Ausblick für Bayern

schaftspflege durch Land segeln. Dann würde esihr obliegen, die dringend notwendige landeswei-te Erfassung zu organisieren. Zudem müsste einesolche Institution versuchen, ein Bewusstsein umden Wert der Reste unserer traditionellen Kultur-landschaft in der Öffentlichkeit aufzubauen undan ihrer Pflege und Weiterentwicklung mit zu ar-beiten, die schließlich jeder betreibt, der raum-wirksam tätig ist. Mit dem auf dem Papier aner-kannten Konzept der Nachhaltigkeit, das auch inzahlreichen Sonntagsreden unserer Politiker im-mer wieder Material für die Füllung von Sprech-blasen abgeben darf, steht das entsprechende Leit-bild zur Verfügung.

Blicken wir zum Schluss noch einmal auf dieAnfänge der Heimatschutzbewegung zurück: derin dieser Bewegung stark engagierte Dichter Her-mann Löns stellte auf einem Vortrag 1911 inBremen fest: »Die Naturverhunzung arbeitet ›engros ‹; der Naturschutz ›en detail‹«. Die Naturver-hunzung herrscht, der Naturschutz steht in ihrenDiensten. Im übertragenen Sinne kann man diesauch im Hinblick auf die aktuelle Pflege unsererKulturlandschaft behaupten.

Trotzdem ein tröstliches Wort zu guter Letzt.Dass es sich heute immer noch lohnt, sich umdie Erhaltung der traditionellen Kulturlandschaft zubemühen, obwohl schon die Heimatschutzbewe-gung vor 100 Jahren alles für zu spät hielt, zeigt,dass sich die Kulturlandschaft behaupten und viel-leicht auch qualitätvoll weiterentwickeln kann.

13