Kunst des 19. Jahrhunderts · 2019. 4. 27. · Kunst des 19. Jahrhunderts 303 Kunst des 19....

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Kunst des 19. Jahrhunderts 29. Mai 2019

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    Kunst des 19. Jahrhunderts 29. Mai 2019

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    Kunst des 19. Jahrhunderts 29. Mai 2019, 15 Uhr 19th Century Art 29 May 2019, 3 p.m.

  • Frida-Marie Grigull +49 30 885 915 [email protected]

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    Zustandsberichte Condition [email protected]

    Grisebach — Frühjahr 2019

    Dr. Anna Ahrens +49 30 885 915 [email protected]

    Vorbesichtigung der Werke Sale Preview

    Ausgewählte Werke

    MünchenAusgewählte Werke:3. und 4. Mai 2019Kunst des 19. Jahrhunderts:14. und 15. Mai 2019GrisebachTürkenstraße 10480799 München

    Hamburg7. Mai 2019Galerie CommeterBergstraße 1120095 Hamburg

    Dortmund8. und 9. Mai 2019Galerie UtermannSilberstraße 2244137 Dortmund

    Zürich13. bis 15. Mai 2019GrisebachBahnhofstrasse 148001 Zürich

    Düsseldorf18. Mai 2019GrisebachBilker Straße 4–640213 Düsseldorf

    Sämtliche Werke

    Berlin24. bis 28. Mai 2019GrisebachFasanenstraße 25, 27 und 7310719 BerlinFreitag bis Montag 10 bis 18 UhrDienstag 10 bis 15 Uhr

  • Grisebach — Frühjahr 20198

    100 Ludwig Emil GrimmHanau 1790 – 1863 Kassel

    „Ansicht von Goßfelden bei Marburg“. 1829 Aquarell über Bleistift, mit Pinsel in Grau an drei

    Seiten gerahmt, auf dünnem, bräunlichem Whatman-Velin. 18 × 15,9 cm (7 ⅛ × 6 ¼ in.). Auf dem Unterla ge-papier unten links mit Bleistift monogrammiert, datiert und bezeichnet: L G. im August. 1829 del. Unten mit Feder in Schwarz bezeichnet; in der Mitte: meine Ausicht in Gosfelden; rechts: muß schöner abgeschnitten werden [über „schöner“ ein Bleistift-kreuz, das sich oben rechts und an den beiden Seiten unten wiederfindet]. Werkverzeichnis: Koszinowski/Leuschner L 231. Am Rand auf Papier geklebt. Zwei leichte Knickfalten, die Ecke unten links abgeschrägt mit Textverlust. [3214]

    Provenienz Ehemals Sammlung Eugen Roth, München

    EUR 3.000–4.000USD 3,370–4,490

    Die vorliegenden vier Blätter von Ludwig Emil Grimm (Lose 100–102, 105) sind subtile Zeugnisse aus dem Seelenleben eines Romantikers. Sie erzählen von Fernenlust und Heimat-liebe, sie sind akribische Naturabschriften und stilisierte Überhöhungen zugleich, sie ergehen sich in der Andacht zum Unbedeutenden und erfassen im selben Moment das Monumentale, Zeitlose. Weit lässt Grimm im August 1829 den Blick aus seinem Zimmer über die Fachwerkhäuser und Felder in Goßfelden schweifen (Los 100). Was auf den ersten Blick so ganz und gar kunstlos wirkt, ist ein komplex strukturiertes Fensterbild der Romantik, wie wir es auch von Caspar David Friedrich ken-nen. Der grau getuschte Rahmen markiert die Begrenzung des Bildes, er ist zugleich der materielle Fensterrahmen, durch den der Zeichner auf die Natur blickt. Wohl kalkuliert ist der tief liegende Horizont, der dem eigentlich unspekta-kulären Landschaftsausschnitt eine gewisse Monumentalität verleiht. Das saftige Grün des Aquarells und die präzis gezeich-neten Fachwerkhäuser besitzen ihre kunsthistorische Refe-renz in Dürers Aquarell der „Drahtziehmühle“ (Berlin, Kupfer-stichkabinett): Der Romantiker blickt aus dem Fenster und erkennt die stille Poesie der heimatlichen Landschaft. Wie ein Crescendo wirkt dagegen das zweite Land-schaftsblatt (Los 101), welches weit früher, nämlich 1816, gezeichnet wurde. Auch wenn Grimm hier den weichen Bleistift wählt, atmet das Blatt den Geist südlich-antiker Erhabenheit. Auf seiner Italienreise von 1816 besuchte Grimm auch die Stadt Neapel. Eine der am häufigsten darge-stellten Sehenswürdigkeiten war das sogenannte Grab des Vergil, dem sich Grimm auf unkonventionelle Weise annä-hert. Weniger die Grotte oder das Monument an sich, son-dern der Blick durch den Felsspalt auf die sich dahinter an die Hügel anlehnenden Häuser und eine üppig wuchernde Natur interessieren ihn als Zeichner. Die „Frau in Tracht aus Orferode“ (Los 102) besticht durch ihre frische Farbigkeit. Sie ist gleichermaßen Charak-terstudie wie Zeugnis romantischer Ethnografie. Gleich nebenan, direkt vor der Tür entdeckten die Zeichner der Romantik das Besondere, Seltene, Charakteristische, das sie als Archivare der Wirklichkeit mit Bleistift und Pinsel fixieren wollten. Michael Thimann

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  • Grisebach — Frühjahr 201910

    101 Ludwig Emil GrimmHanau 1790 – 1863 Kassel

    „Grab des Virgil bei Neapel“. 1816Bleistift auf Papier. 21,5 × 18,8 cm (25,3 × 18,8 cm) (8 ½ × 7 ⅜ in. (10 × 7 ⅜ in.)). Im Unterrand mit Bleistift bezeichnet; links: gez. den. 19t. July. 1816. zu. Neapel; in der Mitte: Grab des Virgils. Werkverzeichnis: Koszinowski/Leuschner L78. In den Ecken auf graues Papier geklebt. [3214]

    Provenienz Ehemals Sammlung Eugen Roth, München

    EUR 3.000–4.000 USD 3,370–4,490

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    102 Ludwig Emil GrimmHanau 1790 – 1863 Kassel

    „Frau in Tracht aus Orferode“. 1825Bleistift, aquarelliert, auf Papier. 23,4 × 20,8 cm (9 ¼ × 8 ¼ in.). Unten rechts bezeichnet: Chatrina Elisabeth Fassauer. von Orferode am Meisner del adviv 26t July. 25 in den Soden bei Allendorf. Rückseitig unten mit Bleistift beschriftet: L. E. Grimm. Werkverzeichnis: Koszinowski/Leuschner G 129. Die Ecken mit Japan hinterlegt. [3214]

    Provenienz Ehemals Sammlung Eugen Roth, München

    EUR 3.000–4.000 USD 3,370–4,490

    Ausstellung Ludwig Emil Grimm 1790–1863. Maler, Zeichner, Radierer (= 200 Jahre Brüder Grimm, Band 2). Kassel, Museum Fridericianum, und Hanau, Schloß Steinheim, 1985, Kat.-Nr. 114, mit Abbildung

  • Grisebach — Frühjahr 201912

    103 Carl Philipp FohrHeidelberg 1795 – 1818 Rom

    „Bildnis Ludwig Sigismund Ruhl“. 1816Feder in Schwarzgrau über Bleistift auf Papier (Was-serzeichen: [Signet] Tiara). 17,9 × 13,7 cm (7 × 5 ⅜ in.). Rückseitig die Stempel Lugt 5100 und Lugt 1969b sowie der Entwidmungsstempel des Kupferstich-kabinetts Berlin. Werkverzeichnis: Märker Z 748. Mit Feder in Schwarz gerahmt. Entgegen der Beschrei- bung im Werkverzeichnis ist das Blatt lediglich leicht gebräunt und am Rand minimal fleckig. [3021]

    Provenienz Karl Mayer, Darmstadt (spätestens 1926) / Staatliche Museen, Kupferstichkabinett, Berlin (Inv.-Nr. F III 2873, SZ Fohr 15; 1941 auf der Versteigerung bei Boerner erworben, 2019 an die Erben nach Karl Mayer restituiert)

    EUR 25.000–35.000 USD 28,100–39,300

    Ausstellung Deutsch-römische Malerei und Zeichnung, 1790–1830. Leipzig, Museum der bildenden Künste und Leipziger Kunstverein, 1926, Kat.-Nr. 97 / Deutsche Bildnisse 1800–1960. Ausstellung der Lucas-Cranach-Kommis-sion beim Ministerium für Kultur. Berlin (Ost), Staatli-che Museen zu Berlin, Nationalgalerie, 1962, S. 17, Abb. 10 / Karl Philipp Fohr, 1795–1818. Frankfurt a.M., Städelsches Kunstinstitut, 1968, Kat.-Nr. 66 / Von Caspar David Friedrich bis Adolph Menzel. Aquarelle und Zeichnungen der Romantik. Aus der National-galerie Berlin/DDR. Wien, Kunstforum Länderbank, 1990, Kat.-Nr. 79, Abb. S. 157 / Ahnung und Gegen-wart. Zeichnungen und Aquarelle der deutschen Romantik im Berliner Kupferstichkabinett, Berlin, 1994/95, Kat.-Nr. 30, Abb. S. 69

    Literatur und Abbildung Ernst Scheyer: Aus Carl Fohrs künstlerischer Hinter-lassenschaft. Zu zwei unbekannten Arbeiten des Künstlers aus schlesischem Besitz. In: Neue Heidel-berger Jahrbücher, Neue Folge, 1932, S. 82-90, hier S. 84 / Versteigerungskatalog 204: Deutsche Hand-zeichnungen des XIX. Jahrhunderts aus verschiede-nem Besitz, dabei eine Partie von Zeichnungen aus der nachgelassenen Sammlung des Prinzen Johann Georg, Herzog zu Sachsen [...]. Leipzig, C. G. Boerner, 8.5.1941, Kat.-Nr. 95 („Bildnis eines jungen Mannes“), Abb. Tf. 9 und auf dem Vorderumschlag / Paul Ortwin Rave: Das Antlitz der Romantik. Die Sammlung Parthenon. Neue Folge. O. O., o. J. (um 1943), Abb. Tf. XXII / Hans Geller: Die Bildnisse der deutschen Künstler in Rom 1800–1830. Berlin, Deutscher Verein für Kunstwissenschaft, 1952, Nr. 303 / Ausst.-Kat.: Carl Philipp Fohr, 1795–1818. Skizzenbuch der Neckar-gegend. Badisches Skizzenbuch. [...]. Heidelberg,

    Kurpfälzisches Museum, 1968, erwähnt unter Kat.-Nr. 112 (nicht ausgestellt) / Jens Christian Jensen: Carl Philipp Fohr in Heidelberg und im Neckartal. Landschaften und Bildnisse. Karlsruhe, Verlag G. Braun, 1968, S. 38, S. 111, Nr. 50, u. S. 68, Abb. 22 / Brigitte Rechberg-Heydegger: Ludwig Sigismund Ruhl (1794–1887). Leben und Werk. Giessen, Univ., Diss. 1973, Nr. B 6 / Marianne Bernhard (Hrsg.): Deutsche Romantik. Handzeichnungen. 2 Bände, hier Bd. 1: Carl Blechen (1798–1840) bis Friedrich Olivier (1791–1859). München, Rogner & Bernhard, 1973, hier Bd. 1, Abb. S. 303

    Die Zeichnung wird im ausdrücklichen Einvernehmen mit den Erben nach Karl Mayer angeboten. Karl Mayer hatte in Darmstadt einen Eisenwarengroßhandel betrieben und musste 1933 emigrieren. Seine Fohr-Zeichnung gelangte in den Kunsthandel und wurde 1941 von den Berliner Museen erworben. Im Rahmen eines Provenienzforschungsprojekts des Kupferstichkabinetts wurde sie nun an die Nachfahren Karl Mayers restituiert.

    Wenn gleich mehrere Zeichnungen von Carl Philipp Fohr, dem früh verstorbenen Wunderkind der deutschen Romantik, in einer Auktion angeboten werden, dann darf man das sicher einen glücklichen Zufall nennen. Insbesondere, wenn sie so eng miteinander verbunden sind wie hier, denn die drei Blätter sind allesamt in der frühen Münchner Studienzeit um 1815/16 entstanden und zeigen eine enge Verbindung zu Fohrs Künst-lerkollegen und Freund Ludwig Sigismund Ruhl (1794–1887). Fohr und Ruhl hatten sich in Rom eine Herberge geteilt, bis es, wohl im Streit über Ansprüche an dem gemeinsamen Bernhardinerhund Grimsel, zum großen Zerwürfnis kam, das in einem mit Pistolen ausgefochtenen Duell gipfelte. Ein Jahr darauf, am 29. Juni 1818, ertrank Fohr mit nur 22 Jahren beim Baden im Tiber, und der Verlust dieses „ausgezeichnetsten Talents, was in seinem Fach hier war“ (Karoline von Humboldt), stürzte die Gemeinschaft der Deutschrömer in verzweifelte Trauer. Große Teile seines Nachlasses wurden noch in Rom unter den Künstlern selbst versteigert, die alles daransetz-ten, sich eines seiner Werke für ihre eigene Sammlung oder als Mustervorlage zu sichern. Das ganze Genie Fohrs als Zeichner offenbart auch unser Bildnis des Freundes Ruhl, das ganz am Anfang seiner Porträtkunst steht und dabei doch schon auf die berühmte Serie der Bildnisse seiner Künstlerkollegen in Rom verweist, die er für ein geplantes Gruppenbild der deutschen Künstler im Café Greco zeichnete. Äußerst elegant gekleidet, in alt-deutscher Tracht, sitzt der junge Ruhl betont nachdenklich am Tisch, auf dem ein Buch liegt, das auf seine literarischen Interessen hindeutet. Durch die rahmende Stellung der Arme ist die Komposition ganz auf die Bildmitte mit dem halb aufgefalteten Brief konzentriert. Das Zentrum des Blat-tes ist aber zweifellos der leicht geneigte Kopf mit dem lockig gewellten Haar und dem suggestiven Blick, der diese Zeichnung wie eine Ikone früher romantischer Bildniskunst erscheinen lässt. MM/FMG

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  • Grisebach — Frühjahr 201914

    104 Carl Philipp FohrHeidelberg 1795 – 1818 Rom

    „Begegnung auf der Falkenjagd“. 1816 (?)Feder in Schwarz, teilweise über Bleistift, auf Velin (Wasserzeichen: R. SCHMID). 42,5 × 33,4 cm (16 ¾ × 13 ⅛ in.). Werkverzeichnis: Märker Z 688 c. Rückseitig mit Bleistiftskizzen, u.a. von der Burg. Eine vertikale und zwei horizontale Mittelfalten. Etwas braunfleckig. [3214]

    Provenienz Ehemals Sammlungen Remmele und Eugen Roth, München

    EUR 10.000–15.000 USD 11,200–16,900

    Ausstellung Gezeichnete Kunst. Der Blick auf das Ich. Frankfurt a.M., Hans W. Fichter, Kunsthandel, 1993, S. 50, Abb. S. 51

    Wir danken Dr. Peter Märker, Berlin, für freundliche Hinweise zur Zeichnung.

    Das beeindruckende Blatt ist eine von mehreren zeichneri-schen Vorarbeiten für eine Lithografie von Fohr, die in den Umkreis der Illustrationen zu Fouqués „Zauberring“ gehört. Unser Blatt ist die ausgeführteste Vorzeichnung und stimmt mit der Lithografie in vielen Details überein. Unter den Linien der teils sehr schnell ausgeführten Federzeichnung zeigt sich allerdings eine bislang nicht beachtete Bleistiftvorzeichnung, die in sehr vielen Details abweicht und eindeutig den Ent-wurfscharakter des Blattes belegt. Es handelt sich um die entscheidende Ausarbeitung dieser Komposition, bevor sie Fohr seitenverkehrt auf den Lithografiestein zeichnete. Mit überbordender jugendlicher Fantasie zeigt uns Fohr hier im Vordergrund eine vornehme Reitergesellschaft bei einer Falkenjagd und im oberen Bildteil eine mittelalterli-che Burganlage auf felsigem, bewaldetem Hang. Wie ein Spin-nennetz legt er die verschiedenen zeichnerischen Strukturen über das gesamte Bildfeld und entwickelt je eigene Formeln für Wolken, Bäume und Figuren, die der Zeichnung insgesamt einen sehr poetischen Charakter verleihen. Unsere Zeichnung und ebenso das Blatt zu Tiecks „Melusine“ (Los 106) haben große formale und inhaltliche Ähnlichkeiten mit den etwa zeitgleich in München entstande-nen Gemälden „Der verirrte Ritter“ und „Die Ritter vor der Köhlerhütte“ aus der Sammlung der Berliner Nationalgalerie. Die Anregungen zu den mittelalterlichen Märchengeschich-ten hat Fohr sicher aus dem Umfeld der Heidelberger Roman-tiker empfangen und von den Besuchen in der berühmten Heidelberger Sammlung mit altdeutscher und altniederländi-scher Kunst der Brüder Boisserée, wobei ihn hier besonders das Bild Albrecht Altdorfers „Heiliger Georg“ (heute München, Alte Pinakothek) beeindruckt haben dürfte. Die erwähnten Gemälde schenkte Fohr seiner Gönne-rin, der Erbprinzessin Wilhelmine von Hessen-Darmstadt. In seinem Widmungsbrief erwähnt er ausdrücklich die Anre-gungen, die ihm sein Künstlerfreund Ludwig Sigismund Ruhl (Los 103) bei diesen ersten Versuchen in der Ölmalerei gegeben hat: „Der junge Ruhl aus Kassel … hat mir die Behandlung der Ölfarben mitgeteilt und mich hierdurch in den Stand gesetzt, den Gebilden meiner Phantasie einen kräftigen und bleibenden Eindruck zu geben.“ MM

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  • Grisebach — Frühjahr 201916

    105 Ludwig Emil GrimmHanau 1790 – 1863 Kassel

    „Jungfer Meil“. 1825Bleistift auf Papier. 16,5 × 13 cm (6 ½ × 5 ⅛ in.). Oben links datiert und bezeichnet: 1820 adviv 11. Jan 1825 Jungfer Meil 80 Jahre alt. Werkverzeich-nis: Koszinowski/Leuschner G 126. Am Rand punktuell auf graues Papier aufgeklebt. Leicht fleckig. [3214]

    Provenienz Ehemals Sammlung Eugen Roth, München

    EUR 1.200–1.500 USD 1,350–1,690

    106 Carl Philipp Fohr (?)Heidelberg 1795 – 1818 Rom

    Illustration zu Tiecks „Melusine“: Die Fahrt zur Hochzeit Raimunds und Melusines. Anfang 1816

    Feder in Grau und Schwarz, teilweise über Bleistift, auf Transparentpapier. 24 × 31 cm (9 ½ × 12 ¼ in.). Unten links mit Bleistift beschriftet: Fohr. K. [..]. Rückseitig unten links auf dem Unterlagepapier der Stempel Lugt 2010. Werkverzeichnis: Nicht bei Märker (vgl. Z 674). In den Ecken auf blaues Bütten geklebt. Etwas braunfleckig. [3214]

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    Provenienz Ehemals Sammlungen Anton Maximilian Pachinger, Linz/München/Wien, und Eugen Roth, München

    EUR 4.000–6.000 USD 4,490–6,740

    Ausstellung Aus der Sammlung Eugen Roth, München. München, Staatliche Graphische Sammlung, 1955, Kat.-Nr. 17

    Wir danken Dr. Peter Märker, Berlin, für freundliche Hinweise.

    Wie uns Ludwig Sigismund Ruhl (Los 103) rückblickend berichtet, beschäftigten sich beide Künstlerfreunde 1815/16 mit Illustrationen zu Ludwig Tiecks „Melusine“ und wollten diese anschließend als Umrissradierungen veröffentlichen. Weiter berichtet Ruhl von einer eigenhändigen Radierung Fohrs mit unserem Motiv, von der sich leider kein Exemplar erhalten hat, und schreibt: „denn alles muss so gezeichnet sein, dass es sich gut als Radierung auf die Kupferpatte über-tragen lässt“. Diese Überlieferung passt sehr gut zu unserer Zeichnung auf Transparentpapier, die man als vorbereitende Studie gut in diesen Werkprozess einbinden könnte, auch wenn das Verhältnis von eigenhändigen und fremden Paus-zeichnungen hier noch nicht abschließend geklärt ist. MM

  • Grisebach — Frühjahr 201918

    107 Georg Schöbel1860 – Berlin – 1930

    Rüstungen (Studie). Gouache auf graugrünem Velin, auf Karton aufgezogen. 46,7 × 27 cm (18 ⅜ × 10 ⅝ in.). Unten rechts signiert: G. Schöbel. [3072] Gerahmt.

    EUR 1.000–1.500 USD 1,120–1,690

    108 Ludwig Persius1803 – Potsdam – 1845

    Ideale gotische Architektur. 1835Öl auf Holz. 25,8 × 21 cm (10 ⅛ × 8 ¼ in.). Unten links monogrammiert: L.P. Unten rechts monogrammiert und (schwach lesbar) datiert: L.P. 35/18. [3357] Gerahmt.

    EUR 3.000–4.000 USD 3,370–4,490

    Das auf 1835 datierte Gemälde von Ludwig Persius zeigt ein gotisches Architekturensemble. Anleihen bei dem Kirchen-bau auf der rechten Seite dürfte der Architekt beim Dom zu Königsberg gemacht haben. So erinnern die Situation des Turms und dessen Haube sowie der Fries des Langhauses an das für Preußens Könige bedeutsame Bauwerk. Karl Friedrich Schinkel, mit dem Persius seit den frühen Dreißigerjahren unter anderem am Schloss Babelsberg und an der Nikolai-kirche in Potsdam zusammenarbeitete, hatte Königsberg auf seiner Inspektionsreise im Sommer 1834 besucht und dabei auch den Dom in Begleitung von August Rudolf Gebser be sichtigt. Gebser war der Herausgeber des 1833 erschie-nenen und mit Lithografien prachtvoll ausgestatteten Bandes zum Königsberger Dom. Persius besaß ein Exemplar dieses Werks. Neben den historischen Reminiszenzen verweist das Gemälde aber auch auf die für Persius charakteristischen Formen zeitgenössischer Architektur im Stil der Neogotik: klare stereometrische, meist zweigeschossige Baukörper, die in einer strengen Ordnung zueinander stehen, und offene Vorhallen als verbindende Elemente zwischen Innen- und Außenräumen, zudem Zinnenkränze, hinter denen die Dach-an sätze verborgen bleiben und die als horizontale Glie de-rungs elemente die Baukörper abschließen. Schloss Babelsberg wurde im Januar 1835 feierlich eingeweiht. Allerdings entsprach die Bauausführung nicht ganz den Ideen Prinz Wilhelms, sodass er mit der Erweiterung des Gebäudes nicht mehr Schinkel, sondern Persius beauf-tragte. Noch bevor dieser mit den Planungen begann, zeich-nen sich in dem hier vorliegenden Gemälde Baugedanken und -ornamente ab, die später in Babelsberg wieder aufge-griffen werden. In beiden Fällen führen Treppenaufgän ge zu Terrassen mit identischem Maßwerk der Balustraden und erschließen rechter Hand gotische respektive neo- gotische Vorhallen. Auch die Balustraden über dem Erd-geschoss weisen mit ihren Vierpässen im Bild sowie an dem später ausgeführten Schlossbau sehr ähnliche Ornamente auf. So verbindet Persius historisch-sakrale mit aktuellen profanen Stilformen und Bauaufgaben. Reinhard Wegner

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  • Grisebach — Frühjahr 201920

    109 Deutsch, um 1830/40

    Ruine an einem See bei Mondschein. Öl auf Papier auf Leinwand. 18,3 × 16,8 cm (7 ¼ × 6 ⅝ in.). [3007]

    EUR 1.000–1.500 USD 1,120–1,690

    110N Deutsch, um 1825/35

    Ruine über einem Fluss im Mondschein. Öl auf Holz. 28,7 × 23,4 cm (11 ¼ × 9 ¼ in.). Unten links (kaum lesbar) monogrammiert: F. P[?]. Kleine Retuschen. [3167]

    EUR 3.500–4.500 USD 3,930–5,060

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  • Grisebach — Frühjahr 201922

    111 Henry Raeburn1756 – Edinburgh – 1823

    Porträt eines jungen Mannes. Um 1810/20Öl auf Leinwand. Doubliert. 74,5 × 62,5 cm (29 ⅜ × 24 ⅝ in.). Auf dem Keilrahmen rechts unten mit Kreide beschriftet: DR. LUZ. Retuschen. [3174] Gerahmt.

    Provenienz Robert von Mendelssohn, Berlin (spätestens 1908, bis 1917) / Giulietta Giordigiani, Witwe des Vorbesitzers, Berlin/Florenz / Dr. W. A. Luz, Berlin / Privatsamm-lung, Schweden (1967 bei Spik erworben)

    EUR 8.000–12.000 USD 8,990–13,500

    Ausstellung Ausstellung aelterer englischer Kunst. Berlin,

    Königliche Akademie der Künste, 1908, Kat.-Nr. 51 (als „Unbekannter Künstler“) / Berliner Sammler-

    Tradition. Berlin, Bezirksamt Tiergarten, Abt. Volks-bildung, Amt für Kunst und Verband der Berliner Kunst- und Antiquitätenhändler e.V. im Haus am Lützowplatz 9, 1950, Kat.-Nr. 186 a (als Henry Raeburn)

    Literatur und Abbildung Weltkunst, XXXVII. Jg., Nr. 10, 15.5.1967, Abb. S. 485 (Annonce für die folgende Auktion] / Auktion 460: Gemälde, Graphik, Möbel [...] aus verschiedenem Besitz. Berlin, Leo Spik, 26./27.5.1967, Kat.-Nr. 194, Abb. Tf. 43 (als „Sir Henry Raeburn zugeschrieben“)

    Wir danken Helen Smailes, Senior Curator of British Art at National Galleries of Scotland, Edinburgh, für freundliche Hinweise zur Datierung.

    Geht man sehr nah an dieses Porträt eines jungen Mannes heran, so erkennt man, was der Malerkollege Sir David Wilkie für Henry Raeburn den „square touch“ genannt hat: eine extreme Malweise, bei der der einzelne, zum Teil dick aufge-tragene Pinselstrich für sich stehen bleibt und nicht mit den danebenliegenden Pinselstrichen vermischt wird. In beson-derem Maße gilt dies für die leuchtende Farbe Weiß. In Raeburns Gesichtern wird dieses Verfahren regel-mäßig an drei Partien deutlich: auf der Nase, unter der Nase, in dem Bereich, auf den das starke, von schräg links einfallende Licht sich konzentriert und, geradezu brutal, in einem dicken, spachtelartig gezogenen Strich auf der erleuchteten Stirnseite. Diese Alabastergesichter werden besonders bei jungen Leuten mit Rosa abgetönt, in den Schattenzonen mit Grau oder Braunschwarz. Das dicke Impasto findet sich zudem auf der sichtbaren Ohrmuschel, hier als durchgehender knapper Halbkreis. Charakteristisch für Raeburns Porträts ist der durchgehende Nasenrücken-strich, der auf der Nasenspitze zumeist noch einen zusätz-

    lichen weißen Punkt bekommt, etwas breiter als der Nasen-strich. Tritt man zurück, so schließen sich die einzelnen Striche harmonisch zusammen. Wir haben zwei Quellen, die relativ gleichlautend von Raeburns Malprozess berichten, eine von einem unbekann-ten „sitter“, eine von Sir Walter Scott, den Raeburn viermal gemalt hat. Raeburn begann den Prozess sogleich mit Pinsel und Farbe auf der Leinwand ohne jede vorhergehende zeichnerische Anlage. Hatte er ein Gesicht in groben Stri-chen angelegt, trat er mehrfach weit zurück, betrachtete längere Zeit den „sitter“, um dann in schnellen Schritten, ohne auf sein Modell weiter zu achten, zur Leinwand zu schreiten, um unmittelbar dem optisch Erfahrenen male-risch Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. In der Entfernung hatte er nur die für die Erscheinung des Gesichts relevanten Hauptformen im Licht wahrnehmen können. Ihre Wieder-gabe allein gab „Ähnlichkeit“ – das ist so etwas wie ein wahr-nehmungspsychologisches Gesetz. Das Verfahren hat eine gewisse Verwandtschaft mit Gainsboroughs Vorgehen, das schon am Ende des 18. Jahr-hunderts überliefert wurde. Gainsborough verdunkelte den Malraum, arbeitete ebenfalls ohne Vorzeichnung direkt in Farbe, zudem mit einem extrem langen Pinsel und relativ dünnflüssiger Farbe. Dabei ordnete er sein Modell und die Staffelei so an, dass sie etwa gleich weit von ihm entfernt waren. Aufgrund der Verdunkelung konnte er ebenfalls nur die entscheidenden Gesichtszüge wahrnehmen und entspre-chend wiedergeben. Auch bei der von Vasari für Tizian über-lieferten Form, die später nach dem Vorbild Tizians auch für Rembrandt galt, schlossen sich die Pinselstriche wie durch ein Wunder zusammen. Ebendies stellte Reynolds, der diese Tradition kannte, auch für Gainsborough fest. Alles dieses findet sich bei unserem Porträt in über-zeugender Weise wieder. Halsbinde und Jabot, strahlend weiß, sind mit groben, rasanten Strichen angelegt. Weitere Eigenheiten sprechen ebenfalls für die Eigenhändigkeit. Wie Reynolds setzte auch Raeburn seine „sitter“ auf ein flaches Podest, sodass wir den Kopf in minimaler Unter-sicht sehen; wir schauen ein wenig in die stark verdunkel-ten Nasenlöcher. Dadurch gewinnt der Dargestellte eine gewisse Überlegenheit. Raeburn verwendet für Brustporträts ein Standardfor-mat: 30 x 25 Inches, also etwa 76 x 64 Zentimeter, das ent-spricht in etwa dem sogenannten KitKat-Format. Ferner pflegt er bei diesem Typus den Hintergrund bei weiblichen Porträts zumeist mit einer ganz schwach angedeuteten Landschafts-staffage zu versehen; bei den männlichen Porträts ist der Hintergrund dagegen einfarbig in dunklem Braun oder Brau-nocker, vor dem sich das Gesicht und die weiße Hemdbrust umso deutlicher abzeichnen, zumal auch das Gewand selbst dunkel gefasst ist. Die Lichter auf den Metallknöpfen bei unse-rem Porträt finden sich beinahe identisch bei Raeburns Porträt von James Cochrane of Edinburgh – wie auch all die anderen genannten Eigenheiten. Die Datierung ist schwierig. Raeburn hat sich, als er seine Form gefunden hatte, wenig entwickelt. Dennoch wird man aufgrund der besonders sou-veränen Malweise mit den unverbundenen Strichen auf um oder bald nach 1810 spekulieren müssen. Werner Busch

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  • Grisebach — Frühjahr 201924

    112 Gustav Adolph HennigDresden 1797 – 1869 Leipzig

    Bildnis der Anna Thecla Kraft mit rotem Schal. (Vor) 1836Öl auf Leinwand. 30,8 × 25,8 cm (12 ⅛ × 10 ⅛ in.). Auf dem Keilrahmen mit Feder in Schwarz beschriftet, oben: Anna Thecla Kraft geb. von Haugk. + 6 Febr. 1836 Leipzig; rechts: gemalt von Hennig. Mit einer Exper-tise von Dr. Hildegard Heyne, der langjährigen Kustodin am Leipziger Museum der bildenden Künste, vom 2. März 1952. [3206] Gerahmt.

    EUR 3.000–4.000 USD 3,370–4,490

    Man schaut ihr zuerst in die Augen. Diese riesigen, mandelför-migen Augen. Taubenblau, wach, blitzgescheit schaut sie uns an. Ein wenig schüchtern, vorsichtig-skeptisch, warmherzig, neugierig, vielleicht ahnend. Wir sind mit ihr im Hier und Jetzt. Es scheint der Moment, in dem sie physisch vor uns sitzt – oder dem bekannten Maler Gustav Adolph Hennig Modell. Hennig kam gebürtig aus Dresden, das mit so wohl-klingenden Namen wie Anton Raphael Mengs, Anton Graff, Gerhard von Kügelgen, Philipp Otto Runge, Carl Vogel von Vogelstein eine starke Tradition in der Porträt- und Bildnis-malerei vorzuweisen hatte. An der ortsansässigen Akademie hatte Hennig selbst bei dem Vater von Letzterem, Christian Leberecht Vogel, studiert sowie bei Friedrich Matthäi, der unter anderem auch Philipp Veit ausbildete. Von Dresden nach Italien schien es gedanklich nicht weit, und so zog es den begabten jungen Künstler von 1822 bis 1826 und noch einmal 1832/33 zum Studium in das zitronenbaumreiche Sehnsuchtsland – zu Fuß. Der erste Aufenthalt sollte ihn prä-gen. Hennig hatte sich seinem Landsmann Julius Schnorr von Carolsfeld angeschlossen, dessen „nazarenische Prägnanz der Linie“ ihn so sehr begeisterte, dass „seine Bildnisse bei aller malerischen Zurückhaltung oft eine kultivierte Sinnlich-keit ausstrahlen“ (Neidhardt, Dresdner Malerei, S. 328). Das Porträt der Anna wird kurz nach dem zweiten Italienaufenthalt entstanden sein. Hennig war als Professor an die Leipziger Akademie berufen worden, der er ab 1840 als Direktor vorstand. Als Bildnismaler war er schnell außer-ordentlich erfolgreich. Dabei hatte er „Wesentliches für sei-ne Kunst“, so Neidhardt, „seiner nazarenischen Schulung zu verdanken“. Schauen wir auf unser Bild, so scheint es die Stimmung der damaligen Zeit, sprich Mitte der 1830er-Jahre, auf ebenso qualitätvolle wie wunderbare Weise genau zu treffen und ihr zugleich einen ganz individuellen Ausdruck zu verleihen. Das Halbfigurenporträt zeigt die junge Frau, auf einem Lehnstuhl sitzend, in einem eleganten, schulterfreien Kleid aus taubenblauer Seide mit betonter Taille und auffällig aus-ladenden Schinkenärmeln – eine Mode, die Mitte der 1830er-Jahre hochmodern ist. Eine goldene Brosche und

    große, hängende Ohrringe in Blütenform schmücken ihr Antlitz. Dazu der rote Kaschmirschal, der ihren zarten Hals sanft umspielt und dem Kupferton ihrer zum hohen Knoten geflochtenen Haare schmeichelt. Bei aller Hingabe für die reduzierte, aber zugleich kostbare und überaus aktuelle Kleiderwahl scheinen die Seidenrobe, der auffällige große Goldschmuck und der kaminrote Schal jedoch nur einer Aufgabe zu dienen: die unendlich weichen Gesichtszüge, die zarte, elfenbeinfarbene Haut, die leicht rosigen Lippen und Wangen und vor allem die gütigen, großen Mandelaugen würdig zu rahmen. Die weiche, ovale Gesichtsform und die auffallend großen Augen lassen Hennigs hervorragende Kenntnisse der nazarenischen Porträtkunst erkennen, etwa von Schnorr von Carolsfeld oder Friedrich Overbeck und dessen berühmtem Bildnis seines Freundes Franz Pforr (Alte Natio-nalgalerie, Berlin). Auch hier sitzt eine Frau im Hintergrund, die in der Bibel liest. Sie trägt die Farben Mariens, Blau und Rot, so wie unsere Anna. Eine solche Anspielung auf Fröm-migkeit über Farben entsprach der christlichen Tradition und erfüllte für die Nazarener zugleich die Funktion, die Szene zu verinnerlichen und zu vergeistigen, Ruhe und Ernsthaftigkeit zu vermitteln. Anna von Haugk, Tochter einer vornehmen Leipziger Kaufmanns- und Handelsfamilie, hatte 1834 Peter Robert Kraft geheiratet, ebenfalls aus Leipzig und Sohn des Besitzers der Steinkohlewerke Kraft & Lücke (vgl. das Porträt im Stadt-geschichtlichen Museum Leipzig, Inv. Nr. L/1/2007/13). Sie verstarb bereits zwei Jahre später. Die merkwürdig versteck-ten und scheinbar nicht zu Ende gemalten Hände mögen ein Hinweis darauf sein, dass das Hochzeitsbild verfrüht und möglicherweise abrupt zu einem Erinnerungsbild wurde. Anna Ahrens

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  • Grisebach — Frühjahr 201926

    113 Franz KobellMannheim 1749 – 1822 München

    Abhang. Pinsel in Grau und Schwarz auf Bütten. 16,7 × 20,4 cm (6 ⅝ × 8 in.). Beigabe: Südliche Küstenlandschaft. Feder in Braun mit Rahmenlinie auf Bütten. 18 x 21,3 cm. Etwas stockfleckig, leicht gebräunt. [3206] Gerahmt.

    EUR 800–1.200 USD 899–1,350 Wir danken Thomas Herbig, München, für die Bestätigung der Authentizität der Zeichnung und freundliche Hinweise.

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    114 Franz KobellMannheim 1749 – 1822 München

    Bäume am Wiesenrand. Pinsel in Grau und Schwarz auf dünnem Velin. 16,7 × 21,4 cm (6 ⅝ × 8 ⅜ in.). Rückseitig unten rechts mit dem Stempel Lugt 1012. [3528] Gerahmt.

    Provenienz Ehemals Fritz Hasselmann, München (gest. 1894)

    EUR 1.200–1.500 USD 1,350–1,690

    Wir danken Thomas Herbig, München, für die Bestätigung der Authentizität der Zeichnung und freundliche Hinweise.

    Von ungewöhnlicher Modernität erscheinen uns heute solche flott ausgeführten Tuschpinselzeichnungen von Franz Kobell, die schon um 1800 entstanden. Die Licht- wirkung in der Bildmitte ist grandios eingefangen und läßt die Vegetation an der Stelle geradezu aufleuchten.

  • Grisebach — Frühjahr 201928

    115 Wilhelm von KobellMannheim 1766 – 1855 München

    „Nach der Jagd“. 1839Aquarell über Bleistift auf Papier, mit Bleistift gerahmt. 19 × 23,6 cm (7 ½ × 9 ¼ in.). Unten links signiert (ligiert) und datiert: Wilhelm v Kobell 1839. Werkverzeichnis: Wichmann 1556 (datiert „1836“). Eine schwache Falte am linken Rand. [3614] Gerahmt.

    Provenienz Privatsammlung, Deutschland (1930 von der Galerie Carl Nicolai erworben, bis mind. 1970)

    EUR 40.000–60.000 USD 44,900–67,400

    Literatur und Abbildung Versteigerungskatalog CLXXII: Originalhandzeichnun-gen [...]. Radierungen, Holzschnitte, Lithographien [...]. Leipzig, C. G. Boerner, 29.4.1931, Kat.-Nr. 66, Abb. Tf. II

    Zwei fulminante Ausstellungen feierten die Wiederent-deckung des Biedermeier im neuen Jahrtausend: „The Spirit of an Age“ (Berlin/Washington, 2001) und „Die Erfindung der Einfachheit“ (Berlin/Wien/Paris/Milwaukee, 2007). Der frische Blick und die kluge Objektwahl (Malerei, Möbel, Glas, Porzellan, Silber) öffneten die Augen für Schön-heit und Modernität jener hochkultivierten Kunstrichtung, die dem nachnapoleonischen Europa eine neue ästhetische Vision verlieh. Die Wertschätzung der Materialien und ein neuer Sinn für Praktikabilität verbanden sich mit einer anspruchsvollen Suche nach schlichten und klaren Formen. Das Gegenmodell zum ausschweifenden Luxusstil des ausgehenden 18. Jahrhun-derts leistete sich eine neue, eine „moderne“ Bescheidenheit, die auf Qualität statt Quantität setzte. Als einer der wichtigsten Maler des Biedermeier wur-de Wilhelm von Kobell mit Künstlern wie Hummel, Kersting und Gaertner gewürdigt, deren Bedeutung in eine Reihe gestellt wurde mit den frühen Romantikern, aber auch den deutschen Impressionisten und Symbolisten – bis hin zu den Künstlern des Bauhauses. Unser Blatt zeigt den „späten“ Kobell, dessen reicher künstlerischer Erfahrungsschatz in Komposition und Aus-führung eingeflossen ist. Aufgewachsen im aufgeklärten Künstlermilieu der kurpfälzischen Residenzstadt Mannheim (sein Onkel war Franz Kobell, vgl. Los 113 und 114), lebte Wilhelm seit 1793 als Hofmaler in München. Ab 1815 entwi-ckelte er mit dem „Begegnungsbild“ einen eigenen Bildtypus und leistete damit einen bedeutenden Beitrag für die Kunst-geschichte des 19. Jahrhunderts. Es handelt sich bei Kobells Begegnungsbildern vorwie-gend um kleinformatige Gemälde und Aquarelle, die das Leben der Gegenwart in „zufälligen“ Zusammentreffen meist von Reitern, Jägern, Bauern und Tieren thematisieren - ohne jedoch im eigentlichen Sinn erzählerisch zu sein. Die Schau-

    plätze sind vertraut: Sie zeigen das Münchner Umland mit den berühmten Seen und Blicken auf die Stadtsilhouette oder die Berge. Die Figuren aber wirken isoliert, seltsam in ihrer Pose verharrend und weit entfernt von allem Alltäglichen. Sie sind mit zarten, klaren Konturen deutlich voneinander abgesetzt, ihre Silhouetten in bunter Folge vor den hohen Himmel und das klare Blau des still liegenden Sees gesetzt. Ihre zeitlose, fast surreale Präsenz verstärkt der Ein-druck, als seien die Gestalten „entstofflicht“, als könnten wir durch sie hindurchsehen. Die filigranen, formgebenden Lini-en sind trotz ihrer hohen Präzision porös, wodurch sie eine außergewöhnliche Illusionskraft entwickeln. Sie sind das „Grammgewicht“ der Komposition (Wichmann, S. 83) und bestätigen Kobell als den Meister der Kontur. Zugleich sind Transparenz, Glanz und Schönheitswert der Farben so leuch-tend und klarsichtig wie jener dargestellte Föhntag, der die einzelnen Gegenstände bis in die äußerste Ferne noch gut erkennen lässt. Dieses unverwechselbare „Kobell-Licht“, das die aus hintereinander gelagerten Prospekten gebaute Bildwelt bestimmt, ist das auffälligste und eigenwilligste Merkmal des Künstlers: Der Vordergrund, der sich kobelltypisch als kuppelartige Anhöhe ausformt, ist merkwürdig scharf aus-geleuchtet und präsentiert sich als vorgelagerte Raumellipse, eine Art Bühne im Scheinwerferlicht. Sie ist die eigentliche Stätte der Begegnung. Tiere und Menschen sind aufeinander ausgerichtet, doch sind es vor allem die langen, schmalen Schattenwürfe, die sie miteinander verbinden. Der Fern-raum hingegen erscheint im allseitigen Freilicht. Die Zonen, in denen diese beiden Extreme zusammentreffen, zeigen jenes Kombinationslicht, das die Gegenstände so merkwür-dig entkörperlicht, ihnen aber eine Wirkung verleiht, die über ihre Daseinsgröße hinausgeht. Das Erzielen einer solchen Wirkung, die kunstphiloso-phischen Forderungen der Zeit entspricht, beruht bei Kobell auf realen Beobachtungen: Das Kombinationslicht belebte die damals beliebten Guckkästen (seitliches Kerzenlicht mit dem reduzierten allseitigen Tageslicht der Stube). Das Studi-um der Veränderung von Farbwerten in der Natur durch das Medium Luft war eine aktuelle und fortdauernde Herausfor-derung für die Maler des 19. Jahrhunderts. Schatten sind schon bei Kobell keine Dunkelwerte mehr, sondern vertiefte Farben. Dem gegenüber steht die artifizielle, kommaartige Strichführung in lockerer, fast „ostasiatischer“ Manier (Wichmann). Die teppichhafte Wiese des Vordergrundes ist durch ein Pinselpunktsystem gegliedert, die Materie etwa in Form von Baumstümpfen porträthaft hervorgehoben. Eine puristische, alles auf einen Nenner bringende Formvorstellung wird über einen Oberflächenkult der Mate-rialien zelebriert und zeigt zugleich eine vollendete Ord-nung: Allen Objekten und allen Erscheinungen im Naturraum – Landschaft, Mensch, Tier – wird gleichberechtigt dieselbe Aufmerksamkeit zuteil. „Eine heitere Gegenwart“, so Kobells Zeitgenosse Adalbert Stifter, „soll alles umstrahlen und ver-schönern.“ Anna Ahrens

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  • Grisebach — Frühjahr 201930

    „Darum sauge dich voll, o Seele, voll Luft, Licht und Sonnenschein, voll Formen und Bilder und trage einen reichen, nie alternden Schatz der glücklichsten Erinnerungen über den Berg und seinen Wolkensteg nach Hause.“ Karl Stieler, Italien - Eine Wanderung von den Alpen bis zum Aetna, 1876

    116 Deutsch, um 1800Porträt eines Jünglings.

    Öl auf Leinwand. Doubliert. 45,5 × 38 cm (17 ⅞ × 15 in.). [3389] Gerahmt.

    EUR 2.500–3.500 USD 2,810–3,930

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    117 Johann Christian ReinhartHof 1761 – 1847 Rom

    Ideallandschaft mit Ziegenhirten. 1841Öl auf Holz. 16,2 × 20,2 cm (6 ⅜ × 8 in.). Rückseitig mit Pinsel in Schwarz signiert, bezeichnet und datiert: Joh: Chr: Reinhart fec. Romae 1841. aetatis suae, anno 80mo. [3448] Gerahmt.

    EUR 6.000–8.000 USD 6,740–8,990

    Originalgröße

  • Grisebach — Frühjahr 201932

    118 Gustav F. Papperitz1813 – Dresden – 1861

    Blick von Civitella bei Olevano auf den Monte Serrone und die Volkser Berge.

    Öl auf Papier auf Holz. 27,5 × 37,7 cm (10 ⅞ × 14 ⅞ in.). Retuschen. [3153] Gerahmt.

    EUR 2.500–3.500 USD 2,810–3,930

    119 Franz Ludwig CatelBerlin 1778 – 1856 Rom

    Im Klosterhof von San Domenico in Palermo. 1843Öl auf Zinkblech. 17,5 × 13,8 cm (6 ⅞ × 5 ⅜ in.). Unten rechts monogrammiert und datiert: F. C. 43. Rückseitig auf einem Aufkleber mit Feder in Schwarz (vom Künstler?) beschriftet: Im Klosterhof Franz Catel 1843. Das Gemälde wird aufgenommen in das Werk-verzeichnis der Gemälde Franz Ludwig Catels von Dr. Andreas Stolzenburg, Hamburg (in Vorbereitung). [3066] Gerahmt.

    EUR 4.000–6.000 USD 4,490–6,740

    Der Betrachter blickt in den mittelalterlichen Klosterkreuz-gang hinein, in das von Bäumen und blühenden Büschen – wohl Oleander – bestandene und durch die hochstehende Sonne erhellte Quadrat des Innenhofes hinüber auf die sich im rech-ten Winkel anschließende Seite des Kreuzgangs. Rechts, im Durchblick durch die Doppelsäulen, ist die Apsis einer kleinen, sich an den Kreuzgang anschließenden Kapelle aus Bruchstein zu sehen. Zwischen den beiden vorde-ren Doppelsäulen befindet sich ein Durchgang in den Hof, über den man über drei flache Stufen gelangt. Im Hof fliegen zwei weiße Vögel, wohl Tauben. Rechts daneben sitzt auf einer Bank ein bärtiger Kartäusermönch in weißer Kutte und liest in einem Buch. Der rechte Bildrand zeigt eine geschlossene Wand mit einer Tür, die wohl zur erwähnten Kapelle führt; daneben ein Andachtsbild. Vor der Tür stehen zwei Pilger in brauner Klei-dung, einer trägt einen Kreuzstab als Zeichen der Pilgerschaft. Beide scheinen im Begriff zu sein, die Kapelle zu betreten. Es handelt sich, wie oft bei Catel, um die Wiedergabe eines konkreten Ortes, nämlich des Klosterkreuzgangs der Kirche San Domenico in Palermo. Am selben Standort hatte bereits der Engländer William Leighton Leitch, der 1833–37 in Italien war, den Kreuzgang gezeichnet. Leitchs Zeichnung wurde dann von John Henry Le Keux um 1840 radiert. Catel war mehrfach selbst in Palermo (u. a. 1819), doch ist die Motivwahl dem Stich bis auf die Anlage der mönchischen Staffagefiguren so ähnlich, dass durchaus auch denkbar wäre, dass die Radierung dem Künstler als Vorlage diente.

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    Die vorliegende kleinformatige Ölmalerei auf Zink-blech stammt zweifellos von der Hand des Berliner Malers Franz Ludwig Catel, der ab Ende 1811 bis zu seinem Tod 1856 in Rom lebte und arbeitete. Gegen Ende seines Lebens schuf er immer wieder bereits über Jahrzehnte erprobte und höchst erfolgreiche Landschafts- und Architekturbilder in verschiedensten Formaten, in denen Mönche in allen Varianten als Staffagefiguren eingesetzt wurden. Sowohl die Pinselführung mit der partiell pastos auf-getragenen Ölfarbe und den typischen streifigen Pinselpar-tien wie auch die Lichtführung mit ihrem Hell-Dunkel-Kon-

    trast zwischen Hof und Kreuzgang sowie die nur skizzierten Staffagefiguren der beiden stehenden Mönche in Rücken-ansicht tragen eindeutig die Handschrift des erfahrenen Künstlers. Das Bild ist mit seiner freien und duftigen Pinsel-führung und dem kleinen Format wie eine plein air entstan-dene Ölstudie gestaltet, wird jedoch aufgrund des Bildträgers Zinkblech eher als Erinnerungsbild für einen unbekannten Romreisenden im römischen Atelier Catels an der Piazza di Spagna entstanden sein. Die Beschriftung auf der Rückseite des Zinkblechs könnte dabei der Handschrift nach durchaus vom Künstler selbst stammen. Andreas Stolzenburg

    Originalgröße

  • Grisebach — Frühjahr 201934

    120 Deutsch, 1817„Tasso-Eiche in Rom“. 1817

    Bleistift auf Velin. 25,1 × 35,3 cm (9 ⅞ × 13 ⅞ in.). Oben links bezeichnet und datiert: La Quercia di Tasso. al Monastero di S. Honoffrio. d 27 Jan: 1817. Unten links beschriftet: Tasso Eiche in Rom. [3214]

    Provenienz Ehemals Sammlung Eugen Roth, München

    EUR 2.500–3.500 USD 2,810–3,930

    Wir danken Prof. Dr. Hermann Mildenberger, Weimar, für freundliche Hinweise.

    Das oben links auf Italienisch mit deutschem Datum bezeich-nete Blatt hatte der Kunstkenner und Sammler Eugen Roth dem begabten Johann Christoph Erhard zugeschrieben. Das wohl authentische Datum macht eine solche Autorschaft jedoch unwahrscheinlich: Erhard kam erst 1819 nach Rom, wo er schon 1822 viel zu früh verstarb. Die qualitätvolle Zeich-nung, die mit dem 27. Januar 1817 den Tag genau benennt, an dem Goethes umsungene „Tasso-Eiche“ besucht wurde, mag ihren wahren Schöpfer also noch preisgeben.

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    121 Heinrich ReinholdGera 1788 – 1825 Rom

    Italienische Landschaft (Olevano). Bleistift und Pinsel in Grau, mit Rahmenlinie in Blei-stift, auf Transparentpapier. 24,4 × 33,2 cm (9 ⅝ × 13 ⅛ in.). Unten rechts im Rand (schwer lesbar) beschriftet: fra Reinhold – olevano – [?]. Kleine, sorgfältig restaurierte Randeinrisse. [3214]

    Provenienz Ehemals Sammlung Eugen Roth, München

    EUR 2.500–3.500 USD 2,810–3,930

    Wir danken Dr. Petra Kuhlmann-Hodick, Dresden und Dr. Hinrich Sieveking, München, für freundliche Hinweise.

    Den Sommer 1822 verbrachte Heinrich Reinhold in Olevano. Ludwig Richter, der ebenfalls dort war, berichtet, wie Reinhold „fast jeden Nachmittag, ohne sich von der Seite zu rühren, bis spät zum Abend saß“. Dabei habe er „trefflich die Standorte zu wählen verstanden, wo sich das Motiv mit Ferne, Vor- und Mittelgrund zu einem Ganzen zusammen-schloß“. Zurück in Rom zeigte Reinhold den Künstlerkolle-gen vor Ort sein reiches Portefeuille der Zeichnungen, die in der Serpentara entstanden waren – Schnorr von Carolsfeld, Catel, alle waren voll Bewunderung. Die meist großformatigen Blätter aus Olevano sind Höhepunkte seiner Zeichenkunst. Vergleichbare Arbeiten fin-den sich etwa in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Kupferstichkabinett (Inv. C 1963–1693) und in Privatbesitz (Ausst. Kat. Spurenlese 2017, Nr. 78).

  • Grisebach — Frühjahr 201936

    122 Carl WagnerRoßdorf in der Rhön 1796 – 1867 Meiningen

    „Amalfi“. 1823Öl über Bleistift auf Bütten. 32,9 × 23,6 cm (13 × 9 ¼ in.). Rückseitig unten rechts mit Bleistift bezeichnet und datiert: Amalfi 30 Juli 23. Vergleiche Carl Wagners Ölstudie „Amalfi“ von 1823, in: Otto H. Förster: Der Maler Carl Wagner. In: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwis-senschaft, Band 2, Jg. 1935, S. 274-283, hier S. 280, Abb. 9. Drei kleine Randeinrisse. [3079]

    EUR 5.000–7.000 USD 5,620–7,870 Wir danken Prof. Dr. Johannes Grave, Jena, und Prof. Dr. Helmut Börsch-Supan, Berlin, für die Bestätigung der Authentizität der Studie und für freundliche Hinweise.

    Am 21. Oktober 1822, seinem ersten Tag in Rom, pochte dem jungen Carl Wagner aus Dresden das Herz gewaltig, im Anblick der Schönheiten, die sich vor seinen Augen ausbrei-teten. „Endlich nach vieljährigem Sehnen, Hoffen und Wün-schen ... In Rom! In Rom! Ist es denn wahr oder ein Traum?“, schreibt er in Erinnerung an diesen Moment. Seine ahnungs-vollen Erwartungen sollten nicht enttäuscht werden. Wie für seinen Herzensfreund Ludwig Richter und so viele andere wurde das Italienerlebnis auch für Wagner zu einem Wende-punkt, an dem all die „Rätselfragen an Kunst und Leben“ (Ludwig Richter) eine vorläufige Antwort fanden (oder bei Sang und Wein im heiteren Zusammensein der Künstler zumindest temporär in Vergessenheit gerieten). Wagner blieb insgesamt drei Jahre in Rom. Neben Richter gehörten dort Carl Götzloff, Heinrich Reinhold, Joseph Anton Koch, Ernst Ferdinand Oehme und Schnorr von Carolsfeld zu seinem engeren Kreis. Gemeinsam unter-nahmen die Künstler Fahrten in die römische Campagna, durchstreiften die Albaner und Sabiner Berge und bespra-chen die entstandenen Studien in einer wöchentlichen Ver-sammlung. Gut möglich, dass auch unser Blatt in diesem Plenum der Besten diskutiert wurde. Es datiert auf eine Reise an den Golf von Neapel, zu welcher der damals 26-jährige Wagner im April 1823 (nicht im Mai 1823, wie in der Literatur fälschlich angegeben wird) in Begleitung von Götzloff, Florian Grosspietsch, Johannes Thomas aus Frank-furt und Maximilian Roch aus Breslau aufgebrochen war. „Der Vesuv ward bestiegen, eine Seefahrt nach Ischia gemacht, die Kunstschätze von Neapel in Augenschein genommen und der liebenswürdige, bescheidene alte Kniep besucht [der Goethe auf dessen legendäre „Italienische Reise“ begleitet hatte und dabei in Neapel hängengeblieben war]. Auf Capri und in Amalfi wurde fleissig gezeichnet, in Sorrent gemalt und Meerstudien gemacht“, überliefert

    Andreas Andresen in seiner Enzyklopädie „Die deutschen Maler-Radierer des 19. Jahrhunderts“ (1864–74). Tatsächlich hielten sich die Freunde insgesamt min-destens zehn Tage in Amalfi auf und füllten ihre Mappen mit Zeichnungen und Ölstudien, die der Lauf der Zeit in Privat-sammlungen und Museen auf der ganzen Welt spülte. Einige dieser Blätter aus Wagners Hand sind in einem Aufsatz von Otto H. Förster aus dem Jahr 1935 abgedruckt. Darunter eine Ölstudie – „Amalfi. 1823“ –, die das Motiv unseres Blat-tes in ein Querformat überführt. Die sich nach vorn ausbrei-tenden Maueranbauten fehlen in diesem Zwillingsblatt, und auch an anderen Stellen finden sich kleinere Abweichungen. Das Querformat weist keine Partien unausgeführter Malerei auf und wirkt durch die Panorama-Perspektive insgesamt etwas konventioneller. Und doch stammen die beiden Blät-ter unverkennbar aus der gleichen Hand. Mit dem Selbstverständnis eines Künstlers, der sich als Maler, nicht nur als Zeichner begreift, spürt Wagner dem süd-lichen Farb- und Lichtklang nach, mischt in der für ihn cha-rakteristischen Weise Grün-Nuancen in die Schattenpartien und setzt strahlende Lichtsäume um Felsen und -Bäume, schmilzt den Himmel in zartestem Blau auf das Papier und nutzt sonnenwarmes Ocker und Braun, um die Architekturen mit geradezu kubistisch anmutender Klarheit aufzuschichten. Die Studie „Amalfi. 1823“ sei „ein wirkliches Bild“, befand Förster, und dies gilt uneingeschränkt auch für unser Blatt: „wunderbar reich ist dieses Bild ... mit seinen sich durch-kreuzenden Richtungen und Achsen, seinem phantastisch reizenden Spiel von Enthüllen und Verstecken“. Am 28. September traf die Reisegesellschaft wieder in Rom ein, und Wagner führte seinen Freund Richter in die Technik der Malerei mit Öl auf Leinwand ein, die selbigem bis dahin noch fremd war. Bei aller Virtuosität, die Wagner auf diesem Gebiet an den Tag legte, waren es doch vor allem seine Ölstudien, die den jüngeren Richter schwärmerische Lobeslieder singen ließen, in die wir mit Blick auf die Amalfi-Studie heute nur umso lauter einstimmen können: Wagner hielt „sich an die Natur und suchte das auf dem Papier zur Anschauung zu bringen, was in der Natur sein Auge sah und vor allem sein Herz erfreute. ... Der Eindruck dieser Studien- blätter ... war mir wie ein fernes Sternbild, nach dem man das Schifflein lenkt.“ Frida-Marie Grigull

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  • Grisebach — Frühjahr 201938

    123 Jean-Auguste- Dominique IngresMontauban 1780 – 1867 Paris

    Römische Straßenecke mit Bildhauerwerkstatt. Bleistift auf Velin. 21,8 × 28,8 cm (8 ⅝ × 11 ⅜ in.). Rückseitig oben in der Mitte mit Bleistift beschriftet: Jean Auguste Dominique Ingres (1780–1867). In der Ecke unten rechts von anderer Hand mit Bleistift beschriftet: Ingres?. Zwei leichte Knicke, etwas fleckig. Kleine Randmängel. [3087]

    Provenienz Privatsammlung, Norddeutschland

    EUR 10.000–15.000 USD 11,200–16,900

    Die vorliegende Zeichnung dem Oeuvre Ingres zuzuordnen, mag auf den ersten Blick überraschen – nicht so auf den zweiten. In unserer Vorstellung sind Ingres' Zeichnungen per-fekt im Lineament, vollkommen in der Form, die endgültig zu sein scheint, keine Reuezüge, auch kein zeichnerisches Umkreisen, wie bei seinem Antipoden Delacroix. Dieser Typus beherrscht die Ausstellungen und Buch-publikationen zu Ingres, gelegentlich begleitet durch einige wenige, fast ausschließlich mit der Feder angelegte erste Ideenskizzen. Sie zielen, sehr im Gegensatz zu den ausgeführ-ten Bleistiftzeichnungen, nicht auf Schönheitlichkeit, im Gegenteil, sie entwickeln fortschreitend einen festen Typus, bei dem die Gegenstände bloß abstrahierend markiert sind. Übersehen wird bei dieser Form der Präsentation der Zeich-nungen Ingres', dass es ungezählte zeichnerische Zwischen-stufen gibt, Modell- oder Gewandstudien, Gegenstands- aufnahmen, Reisenotizen. Sie haben benennbare Funktionen, können weiterverwendet werden, zielen nicht auf Vollendung. Sie erscheinen selten auf dem Markt. Es genügt ein Blick in den von George Vigne 1995 publizierten Bestandskatalog der Zeichnungen Ingres' in Montauban. Er führt sage und schreibe 4505 Arbeiten auf, und die bei Weitem meisten gehören dem genannten Zwischenbereich an. Ingres ist primär Historien- und Porträtmaler/-zeich-ner, doch es gibt auch eine nicht unbeträchtliche Gruppe von Landschaftszeichnungen, genauer von Stadtansichten. Sie entstehen so gut wie ausschließlich in Italien, überwie-gend in Rom. 1806, nach drastischer Kritik an seinen stark stilisierten Porträts, reiste er nach Rom, um seine Studien in der Villa Medici fortzusetzen, und blieb – bis 1820. Von 1820 bis 1824 hielt er sich in Florenz auf, um dann nach Paris zurückzukehren. Als 1834 erneut ein Salonbeitrag von der Kritik abgelehnt wurde, bewarb er sich enttäuscht an der Académie de France in Rom und wurde ab 1835 deren Direk-tor in der Villa Medici. In der ersten Phase bis 1824, kaum in der Villa Medici installiert, begann er mit zeichnerischen Aufnahmen seines unmittelbaren Umfelds. Die Forschung hat sich mit diesen Zeichnungen schwergetan. Einer ersten

    Gruppe gesellte sie den Notnamen „Maître des jardins de la Villa Medici“ bei (datiert auf vor 1816). Sie sind in der Tat steif, mit dem Lineal konstruiert und wirken seltsam leblos. Eine zweite Gruppe bekam den Namen des „Maître aux petits points“. Sie erscheint sehr viel überzeugender und ist für uns von größtem Interesse. Denn auf diesen Zeichnungen finden sich Hunderte von kleinen Punkten - ein Phänomen, dessen Klärung relativ einfach ist: Wie schon die etwas unnatürlich wirkenden Verkürzun-gen, vor allem von Mauern, die sich vom Vordergrund bis in den Hintergrund erstrecken, deutlich machen – sie wirken wie mit einem Weitwinkelobjektiv aufgenommen – , benutzte Ingres optische Hilfsmittel, und zwar wohl primär die Camera lucida. Während der Kasten der Camera obscura, wie sie etwa Canaletto benutzt hat, einen festen Stand hat und der Blick durch den Apparat auf eine milchige Platte projiziert vom Künstler nachgezeichnet werden kann, (was zumeist einen etwas zittrigen Strich, aber auch gewisse optische Ver-zerrungen gegenüber dem unbewaffneten menschlichen Auge bewirkt) ist die Camera lucida einfacher strukturiert, braucht allerdings in der Benutzung einige Übung. Sie wurde 1806 von William Wollaston patentiert, war aber schon einige Jahre früher in Gebrauch. Sie besteht aus einem bloßen, auf einem Stab montierten Prisma, das das Abbild des Gesehenen auf dem Zeichenbogen widerspie-gelt. Im Gegensatz jedoch zur Camera obscura, bei der der identische Blick problemlos erneut eingenommen werden kann, ist der Blick durch das Prisma der Camera lucida durch die leichteste Abweichung verzerrt. Es kommt also darauf an, exakt die immer gleiche Position vor dem auf-zunehmenden Gegenstand einzunehmen. Um dies tun zu können, ist es für die Wiedergabe insbesondere von Archi-tekturen und ihren Details hilfreich, die jeweilige Erstre-ckung etwa einer Häuserkante oder eines Fensterrahmens beim ersten Blick oben und unten mit einem Punkt zu mar-kieren und so den identischen Blick wieder zu erreichen. Dieses Punktesystem findet sich auch auf unserer Zeich-nung – ebenso wie ein Trick, den Ingres bei der Fixierung von

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    Fenstern und Türen anwendet und der sich so offenbar nur bei ihm findet. Ingres setzt einen Punkt unten rechts und einen oben links und kann so die genaue Erstreckung in Höhe und Breite auch ohne den Blick durchs Prisma festhalten, wie auch auf der frontalen großen Häuserwand unserer Zeich-nung zu sehen ist. Doch es gibt weitere Phänomene auf dieser Zeichnung, die sich so nur bei Ingres finden: etwa die sonderbaren Schwärzungen, die Schattenzonen andeuten sollen und sich wiederholt starkem Druck des Bleistifts verdanken. Dutzend-fach lassen sie sich in seinem Oeuvre nachweisen (vgl. Best. Kat. Montauban. Nr. 2187, 2828, 2920, bes. 3083). Betrachten wir zudem eine späte Zeichnung von 1839, die Raffaels Geburtshaus in Urbino darstellt (Nr. 3138), fällt neben besag-ten Phänomenen außerdem ein großes, auf eine Unterlage montiertes Holzrad ins Auge, das so gut wie identisch ist mit dem Wagenrad der Karre vor der Bildhauerwerkstatt unserer

    Zeichnung - die ansatzweise zu Figuren bearbeiteten großen Steinblöcke vor der Werkstatt lassen auf eine solche schlie-ßen. Entscheidend dabei ist eine winzige, etwas paradoxe Eigenheit, die uns an den Rädern beider Zeichnungen begegnet: Der Nabe des jeweiligen Rades ist eine winzige Spiralform eingeschrieben, als wollte der Künstler die Beweglichkeit des Rades andeuten. Das Motiv ist so ungewöhnlich, dass Ingres sich hier geradezu „verraten“ zu haben scheint. Betrachtet man zudem, wie Ingres Leitersprossen zeichnet, wie er halbrun-de Dachziegeln andeutet oder – auf unserer Zeichnung ganz unten links – auf Holztüren Beschläge zeichnet, winzige Schatten durch Verstärkung des Bleistiftstriches an oberen und vor allem unteren Rändern von Türen markiert, dann scheint es wenig Zweifel an der Authentizität unserer Zeich-nung geben zu können. Sie dürfte eine entschiedene Berei-cherung von Ingres' Oeuvre darstellen. Werner Busch

  • Grisebach — Frühjahr 201940

    124 Deutsch, um 1840/50 Die Küste vor Taormina.

    Öl auf Papier. 27,2 × 41,4 cm (10 ¾ × 16 ¼ in.). Am unteren Rand bezeichnet (in die nasse Farbe geritzt): Taormina. Diagonale Falte. Randmängel. [3087] Gerahmt.

    EUR 2.500–3.500 USD 2,810–3,930

    125 Pasquale MattejFormia 1813 – 1879 Neapel

    Aufstieg zum Krater des Vesuvs. Um 1850Öl auf Leinwand. Doubliert. 61,5 × 74,8 cm (24 ¼ × 29 ½ in.). Unten rechts signiert: P. MATTEJ. Auf dem Spannrahmen ein Etikett der Galleria Simonetti, Rom. Craquelé, wenige Retuschen. [3253] Gerahmt.

    EUR 6.000–8.000 USD 6,740–8,990 Pasquale Mattej gehörte zum Kreis der Scuola di Posillipo, die Anfang der 1820er-Jahre von dem niederländischen Maler Anton Sminck van Pitloo in Neapel begründet worden war und beeinflusst vom Stil Corots und Turners eine neue, freiere Form der Landschaftsmalerei entwickelte. Die Bezeichnung „Scuola di Posillipo“ wurde zunächst als Schmähbegriff verwendet (ähnlich wie später in Frankreich das Wort „Impressionismus“), denn die Künstler der Gruppe verstießen in vielerlei Hinsicht gegen den akademischen Kanon. Sie malten bevorzugt „plein air“, also im Freien, und bewusst spontan, schnell und mit lockerem Pinselduktus. Der Geist dieser Kunstauffassung weht auch durch unser

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    Bild, und das buchstäblich, denn das Zentrum der Komposi-tion ist der sich in fantastisch bunten Farben malerisch aus-breitende Rauch aus dem Krater des Vesuvs. Mattejs offen-kundige Begeisterung für dieses mächtige Naturspektakel findet ein Echo in der Besuchergruppe mit dem Mann am Kraterrand, der vor Aufregung die Arme in die Luft wirft und im Vergleich so nichtig klein erscheint, dass man sich an die Worte des deutschen Zeitgenossen Carl Gustav Carus erin-nert fühlt, der im Jahr 1828 selbst auf den Vesuv gestiegen war: „Tritt denn hin auf den Gipfel des Gebirges ... und welches Gefühl ergreift Dich? ... Dein Ich verschwindet, Du bist nichts, Gott ist alles.“ („Briefe über Landschaftsmalerei“, 1831) FMG

  • Grisebach — Frühjahr 201942

    126 Deutsch, um 1820 Der Sibyllentempel in Tivoli.

    Öl auf Leinwand. 109 × 87 cm (42 ⅞ × 34 ¼ in.). Rück-seitig auf der Leinwand und auf drei Seiten des Keil-rahmens der Stempel Lugt 292a. Auf dem Keilrahmen oben rechts ein Etikett der Sammlung Georg Schäfer, Schweinfurt. [3006] Gerahmt.

    Provenienz Unbekannte Privatsammlung (bis 1939) / Kunsthalle, Bremen (Inv.-Nr. Inv. 490-19191/4; erworben 1939 als Geschenk eines Kunstfreundes, 1953 abgegeben) / Anselm Gedon, München (1953) / ehemals Sammlung Georg Schäfer, Schweinfurt (Inv.-Nr. 2064; erworben 1953 bei A. Gedon, München, bis 2000)

    EUR 18.000–24.000 USD 20,200–27,000

    Ausstellung Heinrich Reinhold (1788–1825). Italienische Land-schaften. Zeichnungen, Aquarelle, Ölskizzen, Gemälde. Eine Ausstellung aus Anlaß seines 200. Geburtstages. Gera, Kunstgalerie, 1988, Kat.-Nr. 183, Abb. S. 267

    Literatur und Abbildung Versteigerungskatalog: Gemälde aus der Sammlung Dr. Georg Schäfer. Düsseldorf, Christie's, 31.1.2000, Kat.-Nr. 24, m. Abbildung

    Wir danken Prof. Dr. Reinhard Wegner, Heidelberg, und Dr. Markus Bertsch, Hamburg, für freundliche Hinweise zum Gemälde, sowie Prof. Dr. Dorothee Hansen, der stellvertre-tenden Direktorin der Kunsthalle Bremen, für Auskünfte zur Provenienz.

    Das aus der Sammlung Schäfer stammende und vormals Heinrich Reinhold zugeschriebene Gemälde beeindruckt durch seine Farbigkeit und die Qualität der malerischen Handschrift. Die dargestellte Gegend des am Rand der Sabiner Berge gelegenen Tivoli hat von jeher als Sehnsuchtsort der Italienreisenden fasziniert, denn dort verbinden sich Anti-kenverehrung und Naturerfahrung zur symbiotischen Ein-heit. Der von eleganten korinthischen Säulen umschlossene Rundtempel der Vesta galt bis ins 19. Jahrhundert hinein als Tempel der legendären Tiburtinischen Sibylle. Er thront hoch über der steilen Felsschlucht mit den verzweigten Wasserfällen des Aniene. Indem sich das fragil wirkende Bauwerk und die dra-matisch nach unten stürzenden Wasserkaskaden zum Sinn-bild von allem Zeitlichen verbinden, drückt das Gemälde idealtypisch das existenziell berührende Tivoli-Erlebnis aus, das Goethe in der „Italienischen Reise“ als „eins der ersten Naturschauspiele“ beschrieb: „Es gehören die Wasserfälle dort, mit den Ruinen und dem ganzen Komplex der Land-schaft zu den Gegenständen, deren Bekanntschaft uns im tiefsten Grunde reicher macht“. (16. Juni 1787) Bei der Frische und Lockerheit des Farbauftrags muss besonders erstaunen, dass das um 1820 entstandene Gemäl-de einer Landschaft des Dresdner Malers Christian Wilhelm Ernst Dietrich, genannt Dietricy, folgt. Von den beiden eigen-händigen Fassungen in Berlin und Sankt Petersburg kommt das hier vorliegende Werk der 1845 im Kunsthandel erwor-benen Variante in der Berliner Gemäldegalerie in den moti-vischen Details besonders nahe. Gegenüber der pastos gemalten und stark gefirnissten Vorlage erweist sich jedoch der Schöpfer des vorliegenden Bildes als Meister der romantischen Neuinterpretation: Der vormals durch starke Hell-Dunkel-Gegensätze geprägte Bildaufbau wird übersetzt in eine neue Farbigkeit. Varian-tenreich überzeugen die dünn aufgetragenen Farbschichten mit bezaubernden Valeureffekten und den hiebartig gesetz-ten, expressiven Wasserspritzern im Bildvordergrund. Auch wird die Statik von Dietricys Komposition gelockert, indem sich die harte Konturierung der Gegenstände in einen aus-fransenden, die Dinge untereinander verwebenden Farb-auftrag auflöst. Die erhabene Landschaftserfahrung des 18. Jahrhunderts verbindet sich mit dem romantischen Farb- und Naturempfinden um 1820 und der Souveränität des virtuos geführten Pinsels. Johannes Rößler

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  • Grisebach — Frühjahr 201944

    127 Französisch, um 1840Besichtigung des Kolosseums in Rom. 1829 (?)

    Öl auf Leinwand auf Pappe. 48 × 40,5 cm (18 ⅞ × 16 in.). Unten links unleserlich bezeichnet. Rückseitig unten links schwer lesbar mit Feder in Blau beschriftet: G. F. CLOSSON „VISITE AU COLYSÉE“ 1829. Retuschen. [3171] Gerahmt.

    EUR 3.000–4.000 USD 3,370–4,490

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    128 Deutsch/ Italienisch, 1851

    Blick auf das Kolosseum in Rom. 1851 Aquarell über Bleistift auf Papier. 26,6 × 37,7 cm (10 ½ × 14 ⅛ in.). Unten links datiert: 15 Gen 1851. Farben leicht geblichen. Randmängel. [3505] Gerahmt.

    EUR 1.500–2.500 USD 1,690–2,810

    „Abends kamen wir ans Coliseo, da es schon dämmrig war. Wenn man das ansieht, scheint wieder alles andre klein, es ist so groß, daß man das Bild nicht in der Seele behalten kann.“ Johann Wolfgang von Goethe, Italienische Reise, 11. November 1786

  • Grisebach — Frühjahr 201946

    129 Französisch, um 1860

    Studie aus Ariccia. Öl auf Leinwand auf Pappe. 12,7 × 24,8 cm (5 × 9 ¾ in.). Retuschen. [3584] Gerahmt.

    EUR 2.000–3.000 USD 2,250–3,370

    130 Deutsch, um 1850Giacomo Orlandi di Subiaco.

    Öl auf Leinwand. Doubliert. 40 × 40 cm (15 ¾ × 15 ¾ in.). Retuschen. [3544]

    EUR 4.000–6.000 USD 4,490–6,740

    Was einer Momentaufnahme gleicht, ist bis ins letzte Detail durchkomponiert. Schließlich gesellt sich der uns heute unbekannte Maler zu einer Reihe bedeutender Künstler, die das gefragteste Modell jener Zeit porträtierten. Der zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 20-jährige Römer heißt Giacomo Orlandi di Subiaco und muss bei den auslän-dischen Künstlern eine Art „Topmodel“, das römische Ideal-gesicht schlechthin gewesen sein. Die markanten Gesichts-züge des jungen Mannes und das wilde Lockenhaar waren sein Aushängeschild und animierten diverse Künstler zu einer Reihe von Porträts und Studien. Die frühesten uns bekannten Bildnisse des jungen Giacomo Orlandi stammen von dem französischen Maler

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    Jean-Léon Gérôme, der zwischen 1843–1844 gleich drei Porträts von ihm anfertigte. Zeitlich folgten eine Zeichnung Johannes Niessens, datiert auf das Jahr 1847 (Grisebach, Sammlung Bernd Schultz, 2018), sowie ein Gemälde, ent-standen um 1857/58 von Anselm Feuerbach. Die letzten drei uns heute bekannten Studien stammen von Edgar Degas aus den Jahren 1856 bis 1859. Unser Porträt zeigt das Modell auf dem Höhepunkt seines Erfolgs. Es hält den flüchtigen Augenblick der Jugend fest, bevor der Ruhm und das ekstatische Leben im Künst-lerkreis ihren Tribut forderten: Degas konnte Giacomo nur noch als einen Mann mit eingefallenen Gesichtszügen zeich-nen. Einzig das Strahlen der Augen blieb. Patrick Golenia

  • Grisebach — Frühjahr 201948

    131 Louis GurlittAltona 1812 – 1897 Naundorf/Sachsen

    Albaner Berge. Um 1845Öl auf Leinwand. Doubliert. 27,8 × 46,5 cm (11 × 18 ¼ in.). Unten links bezeichnet: Ricordo. 18 Ottobre 1851 Roma. Rückseitig mit Feder in Braun beschriftet: Diese Skizze malte Arnold Boecklin am 18 October 1851 in Frascati bei Rom. Studie zu Louis Gurlitts Gemälde „Albaner Berge“ (1850) in der Nationalgalerie, Berlin. [3075] Gerahmt.

    Provenienz Wolfgang Gurlitt, Berlin/München (in der Familie Gurlitt als ein Werk und Geschenk Böcklins bis mindestens 1962)

    EUR 18.000–24.000 USD 20,200–27,000

    Wir danken Dr. h.c. Hans Holenweg, Muttenz, für freund-liche Hinweise zur Zuschreibung und Datierung.

    Im Winter 1924/25 kam in Chicago ein Konvolut von 31 Land-schaftsstudien in den Handel. Die Folge wurde alsbald Arnold Böcklin zugeschrieben, im April in Zürich ausgestellt, dann von der Kunsthandlung Hugo Perls in Berlin übernom-men. Fast alle der Studien sollten um 1851 in Italien entstan-den sein. Im Sommer 1925 zeigte die Nationalgalerie den spektakulären Fund. Mit Sondermitteln konnten drei der Arbeiten teuer erworben werden. Aber es gab auch Zweifel an Böcklins Autorschaft und öffentlich ausgetragene Fehden, immerhin ging es um viel Geld. Im Zusammenhang dieses späten Hypes um Böcklin könnten die fälschlichen Angaben auf Vorder- und Rückseite der vorliegenden Studie angebracht worden sein. Heute gilt keines der Werke mehr als von Böcklins Hand. Eindeutig dagegen handelt es sich bei der vorliegen-den Studie um ein herausragendes Werk von Louis Gurlitt: 1843 reiste der Künstler erstmals nach Italien. Während der Sommerwochen im Albaner Gebirge 1844 und 1845 entstan-den wunderbare Landschaftsstudien, die ihm noch Jahre später in Deutschland als Anregung zu Gemälden dienten. Während des anschließenden Aufenthaltes in Berlin entwi-ckelte Gurlitt im Gespräch mit Alexander von Humboldt und ermutigt von König Friedrich Wilhelm IV. den Plan zu einem Zyklus großformatiger europäischer Landschaftsbilder. Als Vorlage für eines der beiden ersten, 1848 vollen-deten Bilder verwendete Gurlitt die vorliegende Studie mit der mächtigen Gruppe aus Zypressen und Pinien. Die Revo-lution vereitelte den Plan, Gurlitt verließ Berlin. Das riesige Bild, nach Ansicht des Sohnes Ludwig „das schönste, was ich von meinem Vater kenne“, gelangte in Hamburger Privat-besitz. (Abb. in: Ludwig Gurlitt, „Louis Gurlitt“, Berlin 1912, S. 177). Eine kleinere Variante, datiert 1850, erwarb Konsul Wagener aus der Berliner Akademieausstellung. Sie gelangte

    mit dessen Sammlung später in die Nationalgalerie. In bei-den Fällen ist die linke Baumgruppe genau übernommen, der Rest ist frei variiert. Der beiden Bildern zugrunde lie-gende Entwurf mit der weiten, dunstigen Abendlandschaft in feinst abgestuften roten, blauen und gelben Tönen hin-ter dem breiten Streifen aus grünem Laubwerk, der sich zu der besagten Baumgruppe am linken Rand emporschwingt, gehört zweifellos zu den schönsten Studien Gurlitts. Wir sehen über flaches Land bis zu der fernen Bergkette, die bei allen drei Werken aus einem etwas anderen Blickwinkel

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    gegeben ist. Der in der Grundierung belassene Vorder-grund lenkt den Blick auf das Eigentliche, die unendliche Ferne unter einem hohen Himmel. Die wohl nach Zeich-nungen später im Atelier mit Sorgfalt ausgeführte Studie verblieb in der Familie. Sie ging in den Besitz des Enkels Wolfgang Gurlitt über, der die Berliner Kunsthandlung seines Vaters Fritz Gurlitt, der einst zu Böcklins spätem, großem Ruhm beitrug, weiterführte - was den fälschlichen Bezug auf Böcklin zusätzlich erklären mag. Angelika Wesenberg

  • Grisebach — Frühjahr 201950

    132 Adolf SenffHalle a.d. Saale 1785 – 1863 Ostrau

    Blumengerahmtes Nest mit Eiern. 1860Öl auf Pappe. 27,8 × 42,9 cm (11 × 16 ⅞ in.). Unten links signiert, unten rechts bezeichnet und datiert: Adolf Senff Ostrau. 1860. Retuschen. [3530]

    EUR 10.000–15.000 USD 11,200–16,900 Wir danken Dr. Bärbel Kovalevski, Berlin, für die Bestätigung der Authentizität des Gemäldes.

    133 Adolf SenffHalle a.d. Saale 1785 – 1863 Ostrau

    Knabe mit Wanderstock. Öl auf Leinwand. Doubliert. 51 × 43 cm (20 ⅛ × 16 ⅞ in.). [3524]

    Provenienz Privatsammlung, Süddeutschland

    EUR 18.000–24.000 USD 20,200–27,000

    Wir danken Dr. Bärbel Kovalevski, Berlin, für die Bestätigung der Authentizität des Gemäldes.

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  • Grisebach — Frühjahr 201952

    134 Adolf SenffHalle a.d. Saale 1785 – 1863 Ostrau

    Sitzender weiblicher Akt. 1844Bleistift auf Papier. 42,8 × 35,7 cm (16 ⅞ × 14 in.). Unten links mit Bleistift beschriftet: Prof. Senff. Rückseitig oben links mit Bleistift (vom Künstler?) signiert, bezeichnet und datiert: Senff – Rom 1844. Leicht gebräunt und stockfleckig. Randmängel. [3471]

    EUR 2.500–3.500 USD 2,810–3,930

    Der hohe Stellenwert, den die frühen Deutschrömer der freien, selbstständigen Zeichnung beimaßen, zeigt sich nir-gends deutlicher als in ihren Studien nach der Natur und nach dem lebenden Modell. Entsprechende Bedeutung wurde dem Aktstudium beigemessen. Die Haltung unserer

    jungen, auf einem Steinsockel sitzenden Frau erinnert kaum zufällig an Vorbilder aus Antike und Renaissance. Ihr andro-gyner Körper ist mit kristallin-zartem Bleistift modelliert – eine Oberfläche wie die einer Marmorskultur. Ihr Gesicht aber mit der gescheitelten Hochsteckfrisur trägt deutlich individuelle Züge. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich um die gerade 19-jährige Malerin Emma Gaggiotti-Richards (vgl. ihr Selbstporträt, Royal Collection Hampton Court Palace, Lon-don). Adolf Senff, der nach seiner Dresdner Ausbildung bei Gerhard v. Kügelgen 1816 nach Rom übersiedelte und im Künstlerkreis um Thorvaldsen und Alexander v. Humboldt lebte, hatte schon 1819 ihre Mutter Angelina porträtiert (Staatl. Galerie Moritzburg, Halle). Bärbel Kovalevski vermu-tet, dass Senff die junge Emma in Rom aufwachsen sah (Kovalevski 2009, S. 2).

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    135 Ernst F. Oehme1797 – Dresden – 1855

    Aussicht vom Monte Mario auf Rom. 1829 (?)Aquarell über Bleistift, mit etwas Deckweiß gehöht, auf grauem Papier. 27,6 × 22 cm (10 ⅞ × 8 ⅝ in.). Unten rechts mit Feder in Braun signiert: E Oehme.Werkverzeichnis: Neidhardt Nr. 77 erwähnt eine dem gleichnamigen Gemälde von 1829 zugrunde gelegte aquarellierte Zeichnung. Gebräunt. [3134] Gerahmt.

    EUR 2.000–3.000 USD 2,250–3,370

    Wir danken Dr. Petra Kuhlmann-Hodick, Dresden, Dr. Andreas Stolzenburg, Hamburg, und Dr. Markus Bertsch, Hamburg, für freundliche Hinweise.

  • Grisebach — Frühjahr 201954

    136 Carl Gustav CarusLeipzig 1789 – 1869 Dresden

    „Weidenstamm mit Unterholz“. Um 1820Öl auf Papier auf Karton. 12,6 × 15,6 cm (5 × 6 ⅛ in.). Werkverzeichnis: Prause 391 (dort datiert 1835/40). [3004] Gerahmt.

    Provenienz Johann Friedrich Lahmann, Dresden-Weißer Hirsch / Privatsammlung, Süddeutschland

    EUR 25.000–35.000 USD 28,100–39,300

    Literatur und Abbildung Versteigerungskatalog 2122: Nachlaß Johann Friedrich Lahmann, Weißer Hirsch-Dresden. Gemälde und Handzeichnungen alter und neuer Meister, Möbel, Teppiche, europäisches und ostasiatisches Kunstge-werbe. Berlin, Rudolph Lepke's Kunst-Auctions-Haus, 27.-29.4.1938, Kat.-Nr. 36 („Vegetationsstudie“)

    Eine kleine Ölmalerei von Postkartengröße, wenig spektaku-lär im Motiv, doch von besonderer Anziehungskraft. Die Art der Naturauffassung und die Malweise sind so charakteris-tisch, dass trotz fehlender Bezeichnung die Einordnung in das Werk von Carl Gustav Carus vollkommen überzeugt. Carus, ein „Universalgelehrter“ noch ganz im Sinne von Goethe und Alexander von Humboldt, hatte in Leipzig Naturwissenschaften, Philosophie und Medizin studiert, allerdings niemals eine Kunstakademie besucht, sodass er sich selbst als Dilettant und Autodidakt bezeichnete. Den-noch war er einer der bemerkenswertesten Maler seiner Zeit. Neben Caspar David Friedrich und Johan Christian Dahl ist er als dritter Hauptmeister romantischer Landschafts-malerei in Dresden anerkannt worden. Seine künstlerische Prägung durch den zeitweise engen Freund Friedrich ist bekannt. Doch heute will es scheinen, als ob gerade jene zahlreichen Naturstudien, die Carus schuf, die persönlichen Intentionen des leidenschaftlichen Naturforschers und geistreichen „Erdlebenbild“-Suchers noch viel besser zur Geltung bringen konnten. Denn auch von Dahl ist Carus schon früh beeinflusst worden. Er hatte den norwegischen Wahl-Dresdner bereits 1820 im Atelier besucht und bewun-derte „die Wahrheit vieler einzelner Gegenstände, beson-ders die Vorgründe in seinen Bildern“. 1822 saß Carus nach eigener Mitteilung selbst „unter Pflanzen und Bäumen“ vor der Stadt „viele Stunden lang“, um seine Natureindrücke in malerischen Studien festzuhalten. Paul Ferdinand Schmidt hat 1928 festgestellt: „Man legt wohl zu viel Nachdruck auf den Einfluß, den er [Friedrich], der Reifere, der berufsmäßi-ge Künstler, auf den dilettierenden Arzt ausübte. ... Carus ist in allem Naturnach ahmenden als ernsthafter Schüler von Klengel und weit mehr im Wettstreit mit Dahl und Öhme als mit Friedrich zu achten.“

    Für seine kleine Vegetationsstudie mit dem Weiden-stamm im Unterholz wählte der Maler einen nahsichtig erfassten Ausschnitt der Natur, der jedoch kaum zufällig erscheint, sondern allem Anschein nach diskret kalkuliert ist, sodass ein weitgehend bildmäßiger Eindruck entsteht. Auch die Abfolge der Bildebenen vom äußersten Vorder-grund über die dichtere Raumschicht mit Baumstamm und Strauchwerk bis in den diffusen Hintergrund bestätigt die-sen bildmäßigen Aufbau. Bei der Wiedergabe im Einzelnen versucht der Maler so genau wie möglich zu sein. Das betrifft die Detailformen der Vegetation ebenso wie die farbliche Differenzierung etwa der Grüntöne, die dem Maler in der Natur mannigfach vorgegeben sind. Lichtwir-kungen werden durch Weißhöhungen und helle Grüntöne ins Bild gesetzt, und die Hell-Dunkel-Kontraste in Blatt-fläche, zarter Linie eines Halmes oder dichter Ballung von Blättern rhythmisieren zugleich die Gesamtheit der Bild-erscheinung. Das radiale Auseinanderstreben von Weiden-ruten hinter dem mächtigen Baumstamm konterkariert in geschickter Weise den Anschein wohlgeordneter Natur, und mit der sich abzeichnenden Kreisform – fast an das Rad eines Pfaus erinnernd – wird dem Naturbild ein über-raschendes Formelement hinzugefügt. Viele der Studien von Carus, die eine unmittelbare Seherfahrung voraussetzen, werden in die Zeit um 1835/40 datiert, wofür vor allem biografische Gründe ausschlagge-bend sind. Nachdem Carus 1827 zu einem der Königlichen Sächsischen Leibärzte ernannt worden war, hatte er oft in der Sommerresidenz Schloss Pillnitz Dienst zu tun und erwarb deshalb 1832 ein Landhaus am Rande des Dorfes. Ausgedehnte Wanderungen in die Umgebung ergaben ver-mehrt Gelegenheit zur intensiven Wahrnehmung der Natur. Im vorliegenden Fall stellt sich allerdings die Frage, ob die Arbeit nicht schon früher, zu Anfang der 1820er-Jahre, ent-standen sein könnte. In Malweise und bildlicher Auffassung vergleichbar erscheint ein kleines Ölbild, „Gartentor mit Kürbisranken“, 1821 datiert und 1822 zusammen mit drei weiteren Arbeiten von Carus an Goethe nach Weimar gesandt. Ein „Waldstück mit Baumstamm“ in der Dresdner Galerie, entstanden vermutlich 1820, kann ebenfalls zum Vergleich herangezogen werden. Die Studie ist auf dem Bildträger von einer schmalen goldenen Zierkante umgeben, die aus perlstabähnlich gepräg-ter Pappe besteht. Diese Form einer aufwertenden Einfas-sung ist auch bei anderen Arbeiten von Carus zu finden. Sie weist wohl darauf hin, dass der Maler das Werk besonders schätzte und möglicherweise zu verschenken beabsichtigte. Mit großer Wahrscheinlichkeit gehörte die Studie mit Wei-denstamm später zur legendären Sammlung von Johann Friedrich Lahmann in Dresden und wurde 1938 aus dessen Nachlass versteigert. Lahmann hat nicht nur für die Rezep-tion des Werks von Christian Gille, sondern auch für das malerische Oeuvre von Carl Gustav Carus bahnbrechende Arbeit geleistet. Durch sein Engagement als Sammler konnten 1920 die Gemälde von Carus erstmals in größerem Umfang, und zwar als langfristige Leihgabe, Eingang in die Dresdner Gemäldegalerie finden. Gerd Spitzer

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    Originalgröße

  • Grisebach — Frühjahr 201956

    137 Carl Gustav CarusLeipzig 1789 – 1869 Dresden

    „Tannen“. Um 1840Öl auf Papier auf Pappe. 14,8 × 11 cm (5 ⅞ × 4 ⅜ in.). Rückseitig oben mit Feder in Braun beschriftet: Aus dem Skizzenbuch meines Urgroßvaters C. G. Carus. Rietschel Oberregierungsbaurat. Werkverzeichnis: Prause 394. [3298] Gerahmt.

    Provenienz Franz Rietschel, Urenkel des Künstlers, Dresden / Privatsammlung, Friedberg (1968) / Privatsammlung, Berlin

    EUR 18.000–24.000 USD 20,200–27,000

    Als Carl Gustav Carus in den 1820er-Jahren an den „Briefen über Landschaftsmalerei“ arbeitete, die zu seiner bedeu-tendsten kunsttheoretischen Schrift werden sollten, nahm er die Begriffe „Erdlebenbild“ und „Erdlebenbildkunst“ zu Hilfe, um den erweiterten Anspruch an das Landschaftsbild in der künftigen Malerei besser umschreiben zu können. Carus betonte dabei, dass keineswegs nur große Kom-positionen oder erhabene Szenerien zum Erdlebenbild geschaffen wären, sondern dass „jede, auch die stillste und einfachste Seite des Erdlebens, wenn nur ihr eigentlicher Sinn, die in ihr verborgene göttliche Idee richtig erfaßt ist, ein würdiger und schöner Gegenstand der Kunst“ sei. Und noch genauer erläuterte er: „Der stillste Waldwinkel mit sei-ner mannigfach treibenden Vegetation, der einfachste Rasenhügel mit seinen zierlichen Pflanzen ..., wird das schönste Erdlebenbild gewähren können, welches, sei es nun in kleinem oder großem Raume ausgeführt, wenn nur mit Seele erfaßt, nichts zu wünschen übrig lassen wird.“ Obwohl es selbstredend immer problematisch bleibt, die theoretischen Erwägungen eines praktizierenden Künst-lers mit den von ihm geschaffenen Werken in Kongruenz bringen zu wollen, wird man doch im Falle der kleinen Wald-studie von Carus mindestens die grundsätzliche Zielstellung als Maßstab anlegen können. Der malende Naturbeobachter widmet sich in der annähernd handtellergroßen Studie einem kleinen, ganz nah gesehenen Ausschnitt der Natur, der – und das ist fast wört-lich zu nehmen – in den Fokus des Blicks genommen ist. Die Unschärfen an den Rändern im unteren Bildteil scheinen diese optisch fixierende Sicht zu bestätigen. Obwohl das ausgewählte Waldstück, das pars pro toto, von der Art sei-ner Erscheinung her wahrhaft unspektakulär ist, bietet es ausreichend Gelegenheit, die authentischen Eindrücke eines genauen Naturstudiums in die malerische Form zu übertragen. Beobachtet werden im Einzelnen etwa die Staf-felung der unterschiedlich hohen Bäume, die verschiedenen Helligkeitsstufen ihrer Schichtung von der Tiefe bis in den nahen Vordergrund hinein, die Reflexe des Lichts auf den Blättern und Zweigen, der Kontrast zwischen der dunklen

    Silhouette des Waldes und dem hellen Blau des Himmels wie auch Formmuster in den Ballungen dichten Laubwerks oder beim Aufstreben paralleler Zweige. Die lockere, rasch notie-rende Pinselschrift betont das Erfassen aus dem unmittel-baren, gleichwohl kontrollierten Augeneindruck heraus. Als künstlerisches Dokument erhält die Studie zusätzlichen Reiz durch die nachweisbare Herkunft aus der Familie des Malers, in der sie über Generationen weiterge-reicht worden ist. Laut einer rückseitigen Beschriftung stammt das Werk aus dem Besitz des Dresdner Oberregie-rungsbaurats Franz Adolph Rietschel, der ein Urenkel von Carl Gustav Carus gewesen ist. Sophie Charlotte, die ältes-te Tochter von Carus, hatte 1836 den Dresdner Bildhauer Ernst Rietschel geheiratet, dessen erste Frau jung gestor-ben war. Doch auch der zweiten Ehe von Rietschel war nur eine kurze Zeitspanne vergönnt, da Sophie Charlotte, geb. Carus, bereits am 12. Mai 1838 in Dresden starb. Der Sohn Wolfgang, der am 28. August 1837 als einziges Kind aus die-ser Verbindung hervorgegangen war, wurde zum Ahnherrn aller Nachfahren von Carl Gustav Carus, weil von dessen insgesamt elf Kindern keine weiteren Nachkommen ausgin-gen. Der Urenkel Franz Adolph Rietschel, der sich auf der Rückseite der Studie selbst als Besitzer ausweist, wurde am 8. Mai 1869 geboren, wenige Wochen bevor sein Urgroß-vater Carl Gustav Carus am 28. Juli desselben Jahres verstarb. Der Großvater Ernst Rietschel dagegen ist im Alter von 56 Jahren bereits 1861 gestorben. So führt uns die Herkunft dieses kleinen Bildchens zugleich in die Geschichte der miteinander verbundenen Dresdner Künst-lerfamilien Carus und Rietschel ein. Gerd Spitzer

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    Originalgröße

  • Grisebach — Frühjahr 201958

    138 Carl Haller von HallersteinHiltpoltstein b. Nürnberg 1774 – 1817 Ampelakia/Thessalien

    Griechische Landschaft (Panorama). 1810/17Aquarell (wohl nachträglich) über Bleistift auf vier aneinandergefügten Bögen Bütten (Wasserzeichen: VAN DER LEY und Signet „Fortuna“ über VDL]. 44,5 × 113,5 cm (17 ½ × 44 ⅝ in.). Am oberen Rand mit Bleistift bezeichnet: weisliche klare Wolken. Rück-seitig unten links quer mit Bleistift beschriftet: Haller von Hallerstein Aquarell–Original Griechen-land. Vertikale Knickfalten. Minimal fleckig. Kleine Randmängel. [3214]

    EUR 2.000–3.000 USD 2,250–3,370 Wir danken Prof. Dr. Hansgeorg Bankel, München/Lauf an der Pegnitz, für die Bestätigung der Authenzität der Zeichnung und für den Hinweis auf die wohl nachträgliche Kolorierung.

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    139 Dresden, um 1850Am Waldesrand.

    Öl auf Papier auf Pappe. 26,5 × 34,8 cm (10 ⅜ × 13 ¾ in.). Rückseitig oben rechts mit Feder in Schwarz bezeichnet und (schwer lesbar) datiert: No 73 Dresden 1850[?]. [3066] Gerahmt.

    EUR 3.000–4.000 USD 3,370–4,490 Wir danken Dr. Gerd Spitzer, Dresden, für freundliche Hinweise.

    Virtuos verbinden sich Nah- und Fernsicht in dieser klei-nen Waldstudie, die unseren Blick vogelgleich über Busch- und Baumkronen hinweg in die Weiten der Laubhänge lockt und zugleich festhält im lustvollen Farbenspiel der Grün-töne, die unmittelbar vor uns so famos und nuancenreich den jüngeren Baum- und Pflanzenwuchs charakterisieren. Die frühlingshafte Natur streckt sich selbstbewusst dem trüben Himmel entgegen – so wie eine Gruppe kahler, sch-mal auslaufender Baumstämme, die wie Pfähle senkrecht und unverrückbar ihren Standort behaupten. AA

  • Grisebach — Frühjahr 201960

    140 Anton RadlWien 1774 – 1852 Frankfurt a.M.

    Kronberg im Taunus. Um 1830Aquarell über Bleistift auf Bütten. 16,3 × 38 cm (6 ⅜ × 15 in.). Unten rechts mit Bleistift signiert: RADL. Rückseite mittig mit Bleistift beschriftet: Anton Radl, Kronberg i. Taunus. Ein auf 1830 datiertes Gemälde (65,5 x 95 cm) in der Gegensicht auf Kron-berg befindet sich in der Staatsgalerie Stuttgart (Inv.-Nr. 1995). [3214]

    Provenienz Ehemals Sammlung Eugen Roth, München

    EUR 2.000–3.000 USD 2,250–3,370

    Ausstellung Aus der Sammlung Eugen Roth, München. München, Staatliche Graphische Sammlung, 1955, Kat.-Nr. 40

    141 Deutsch, um 1820Mädchen mit Pelzkappe.

    Bleistift auf bräunlichem Papier. 17,4 × 10,8 cm (6 ⅞ × 4 ¼ in.). [3210]

    EUR 800–1.200 USD 899–1,350

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    142 Jakob BeckerDittelsheim b. Worms 1810 – 1872 Frankfurt a.M.

    Gewitterlandschaft und Reisende mit Planwagen. Um 1840/50

    Öl auf Malpappe. 18 × 27,7 cm (7 ⅛ × 10 ⅞ in.). Rück-seitig oben auf einem Aufkleber mit Feder in Schwarz (vom Künstler?) beschriftet: Becker von Worms [...]. Retuschen. [3529]

    EUR 3.000–4.000 USD 3,370–4,490

    Diese schöne Ölstudie ist ein ebenso seltenes wie kostbares Beispiel im Werk von Jakob Becker, der uns heute eher durch seine sorgfältig komponierten Genrebilder bekannt ist. Als Professor für Genre und Landschaftsmalerei an der Frankfurter Städelschule unterrichtete er ab 1842 eine gan-ze Generation angehender Maler, von denen einige später die berühmte Kronberger Malerkolonie gründeten. Im Gegensatz zu seinen ausgeführten Kompositionen geht unsere Studie auf einen unmittelbaren Natureindruck zurück und zeigt in der frischen und realistischen Darstel-lungsweise Ähnlichkeiten mit den Landschaftsstudien seines befreundeten Künstlerkollegen Carl Friedrich Lessing. MM

  • Grisebach — Frühjahr 201962

    143 Friedrich Preller d. Ä.Eisenach 1804 – 1878 Weimar

    In der römischen Campagna (Ruth und Boas). 1875Öl auf Leinwand. Doubliert. 100,5 × 148,5 cm (39 ⅝ × 58 ½ in.). Unten rechts monogrammiert (das „F“ spiegelbildlich), datiert und bezeichnet: 18 FP 75 Weimar. Dort erneut monogrammiert (das „F“ spiegel-bildlich) und datiert: 18 FP 75. Das Gemälde wird von Uwe Steinbrück, Jena, in das Verzeichnis der Werke Friedrich Prellers d. Ä. aufgenommen. Retuschen. [3334] Gerahmt.

    Provenienz Hermann Böhlau, Weimar (1875 im Auftrag von Böhlau gemalt, bis 1900) / Helene Böhlau, Tochter von Hermann Böhlau, Weimar (1900 bis 1940) / Privat-sammlung, Thüringen (seit 2015)

    EUR 8.000–12.000 USD 8,990–13,500

    Ausstellung Ausstellung von Werken des Professors Friedrich Preller (1804-1878). Berlin, Königliche National- Galerie, 1879, Kat.-Nr. 166

    Literatur und Abbildung Otto Roquette: Friedrich Preller. Ein Lebensbild. Frankfurt, Rütten & Loening, 1883, S. 329 / Friedrich von Boetticher: Malerwerke des neunzehnten Jahr-hunderts. 4 Bände. Dritter, unveränderter Nachdruck, Hofheim am Taunus, H. Schmidt & C. Günther, 1979 (zuerst Fr. v. Boetticher's Verlag, Dresden 1891–1901), hier Zweiter Band (Erste Hälfte), S. 313, Nr. 105 / Julius Gensel: Friedrich Preller d. Ä. Bielefeld und Leipzig, Verlag von Velhagen & Klasing, 1904 (= Künstler-monographien, hrsg. v. H. Knackfuß u.a., Bd. LXIX), S. 128 / Ina Weinrautner: Friedrich Preller d. Ä. (1804–1878). Leben und Werk. Münster, LIT Verlag, 1997 (= Bonn, Univ., Diss., 1996), Nr. 354

    Friedrich Preller verarbeitet in dem großformatigen Gemäl-de die alttestamentarische Begebenheit der ersten, schick-salhaften Begegnung des wohlhabenden Grundbesitzers Boas mit der verwitweten Ruth, die ihrer Schwiegermutter von Moab nach Bethlehem gefolgt war. Der die Schnitter beaufsichtigende Knecht berichtet seinem Herrn von Ruths Bescheidenheit, woraufhin ihr großherzig die Gnade des Ährenlesens sowie Speis und Trank gewährt werden. Es ist jene Szene, die schon Nicolas Poussin in sein großes Sommerbild (Louvre, Paris) einband und die später durch Joseph Anton Koch und andere Deutschrömer in klassizistische Gestaltungstopoi überführt wurde. Preller wird keines der allesamt vor 1828 entstandenen „Ruth und Boas“-Gemälde Kochs gesehen haben, doch belegt eine während der Sichtung von dessen Nachlass um 1859/60 gefertigte Transparentpapierkopie die genaue Kenntnis von

    Vorstudien. Die frühesten eigenen Entwürfe zum Buch Ruth stammen aus dem Jahr 1874. In sieben bis Mai 1876 entstan-denen Zeichnungen kündigt sich bereits eine zyklische Behandlung an, die von dem Leipziger Kunstverleger Alphons Dürr erst im Sommer angeregt worden sein soll. Im Herbst hatte Preller alle fünf als Holzschnitt auszuführen-den Szenen gezeichnet, d