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Kurzintervention undmotivierende Gesprächsführung

– Workshop –

19. - 21. September 2000Schöppingen

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

Die Bedeutung von Kurzinterventionen für die Suchthilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7Dr. Hans-Jürgen Rumpf, Lübeck

Motivational Interviewing - . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17Motivierende GesprächsführungGrundlagen, Prinzipien und StrategienGeorg Kremer, Bielefeld

Kurzinterventionen bei Patient/innen mit . . . . . . . . . . . . . . . 45Alkoholproblemen - ein ErfahrungsberichtGeorg Kremer, Bielefeld

Kurzintervention in der gynäkologischen Praxis: . . . . . . . . . 63Schwangerschaft und RauchenPeter Lang, Bremen

Voraussetzungen der Implementierung effektiver . . . . . . . . 79KurzinterventionenDr. Ralf Demmel, Münster

Motivational Interviewing: Lifestyle oder Feigenblatt? . . . . 85Dr. Ralf Demmel, Münster

Arbeitsgruppenprotokolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89Norbert Beuchel-Wagner/Elke Landeskroener

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Vorwort

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Auch 10 Jahre nachdem WIENBERGden Fokus auf die „vergessene Mehr-heit” der Suchtkranken gelenkt hat,nimmt lediglich eine Minderheit allerSubstanzabhängigen die Angebotedes professionellen Suchthilfesystemsin Anspruch. Neue Wege, neue Ansät-ze und Initiativen sind erforderlich, umeine größere Veränderungs- und Be-handlungsbereitschaft zu erreichen.Die Möglichkeiten verschiedener Kurz-interventionen hierzu werden bereitsseit Mitte der 80er Jahre in Großbri-tannien und den Vereinigten Staatenerprobt. Hierzulande erfährt zurzeitdas von Miller und Rollnick entwickel-te Motivational Interviewing beson-dere Beachtung. Im Curriculum„Suchtmedizinische Grundversorgung”der Bundesärztekammer ist es festerBestandteil.

Im Workshop "Kurzintervention undmotivierende Gesprächsführung" ga-ben wir den Teilnehmerinnen und Teil-nehmern zunächst einen Überblicküber bereits bestehende Erfahrungenmit Kurzinterventionen aus unter-schiedlichen Bereichen der Suchtar-beit. Aus den Beiträgen wurde deut-lich, dass bereits Interventionen vonnur 3 Minuten wirksam sein können.Der zweite Tag war dem Kennenlernender Methode des Motivational Inter-viewing (nach Miller und Rollnick) vor-behalten.

Im dritten und letzten Teil der Veran-staltung erfolgte eine kritische Ein-schätzung der Anwendungsmöglich-keiten des Motivational Interviewingssowie Überlegungen zur Integrationmotivierender Kurzinterventionen inden Arbeitsalltag der Anwesenden.

Im vorliegenden Band 27 der Reihe„Forum Suchf” sind die Beiträge derVeranstaltung zusammen gestellt. Siegeben einen guten Überblick über diederzeitige Fachdiskussion zum The-ma. Wir wünschen Ihnen eine anre-gende Lektüre und Unterstützung fürIhren Arbeitsalltag.

Dr. Wolfgang PittrichLandesrat

Wolfgang RometschLeiter der Koordinationsstelle

Doris SarrazinFort- und Weiterbildung

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Inhalt

I. Empirische Begründung der Bedeutsamkeit von Kurzinterventionen für die Versorgung

1. Remissionen ohne formelle Hilfe2. Inanspruchnahme suchtspezifischer Hilfe3. Erreichbarkeit in der medizinischen Basisversorgung

II. Wirksamkeit von Kurzinterventionen

III. Neue Ansätze

IV. Versorgungsmodelle und Ausblick

Literatur

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Die Bedeutung von Kurzinterventionen für die Suchthilfe

Dr. Hans-Jürgen Rumpf Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie derMedizinischen Universität zu LübeckForschungsgruppe S:TEP (Substanzmissbrauch:Therapie, Epidemiologie und Prävention)Ratzeburger Allee 16023538 Lübeck

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beinhalten, finden sich auch in derMotivierenden Gesprächsführung(MILLER & ROLLINCK, 1999).

2. Inanspruchnahme suchtspe-zifischer Hilfe

Sowohl internationale als auch natio-nale Daten zeigen, dass nur ein gerin-ger Teil der Alkoholabhängigen oderAlkoholmissbraucher suchtspezifischeHilfe in Anspruch nimmt (DAWSON,1996; GRANT, 1996; RUMPF et al.,2000). In einer repräsentativen Bevöl-kerungsstudie aus Norddeutschlandzeigte sich, dass eine verschwindendkleine Gruppe der Alkoholmissbrau-cher angab, jemals Hilfe in Anspruchgenommen zu haben; die häufigsteNennung waren 5,4% Beratungendurch einen Arzt (RUMPF et al., 2000).Bei alkoholabhängigen Personen lagdie Inanspruchnahme von irgendeinerHilfe bei 59,5%. Weitere 13,7% hattennur geringfügigen Kontakt zum Sucht-hilfesystem und 26,8% zeigten darü-ber hinausgehende Inanspruchnah-me. Die Daten zeigen, dass nurgeringfügige Inanspruchnahmeratenvorhanden sind, somit also durch dasbestehende Suchtversorgungssystemder überwiegende Teil der Betroffenennicht erreicht wird. Der Einsatz vonKurzinterventionen mit niedrigschwel-ligem Charakter könnte hier Abhilfeschaffen.

3. Erreichbarkeit in der medizi-nischen Basisversorgung

In Einrichtungen der medizinischenBasisversorgung (dazu gehören vorallem Hausärzte und Allgemeinkran-kenhäuser) sind die Prävalenzraten für

Alkoholabhängigkeit und -missbrauchdeutlich erhöht (vgl. JOHN et al.,1996). Diese Aggregation von sub-stanzbezogenen Störungen ist be-gründet durch die alkoholbezogenenFolgeerkrankungen (GERKE, HAPKE,RUMPF & JOHN, 1997). Darüber hin-aus lässt sich auch zeigen, dass eingroßer Prozentsatz der Alkoholabhän-gigen und der Alkoholmissbraucherzum medizinischen Versorgungssy-stem mindestens ein Mal pro JahrKontakt hat. So wiesen 80% der Alko-holabhängigen im letzten Jahr vorBefragung mindestens einen Kontaktzum Hausarzt, praktischen Arzt oderInternisten auf, 24,5% mindestenseinen Krankenhausaufenthalt und ins-gesamt 92,7% irgendeinen Kontakt zueinem niedergelassenen Arzt oderKrankenhaus (RUMPF et al., 2000).Bei Alkoholmissbrauchern waren dieRaten für die einzelnen Bereicheetwas geringer, insgesamt war jedochdie Erreichbarkeit mit 95,3% erneutsehr hoch. Aus den Daten lässt sichschlussfolgern, dass Personen mitalkoholbezogenen Störungen in dermedizinischen Basisversorgung gut zuerreichen sind. Hier könnten Kurzin-terventionen als geeignete Maßnah-men für eine deutliche Verbesserungder Versorgungssituation genutzt wer-den.

Neben der medizinischen Basisver-sorgung sind weitere Zugangswegedenkbar; hierzu gehören der Arbeits-platz und Institutionen wie Sozialamtoder Arbeitsamt. Aber auch das Inter-net stellt einen günstigen Zugang zueiner breiten Gruppe von Personenher.

Die Bedeutung von Kurzinterventionen in der Suchthilfee 9

I. Empirische Begrün-dung der Bedeutsam-keit von Kurzinterven-tionen für die Versor-gung

Drei Gründe belegen die Bedeutungvon Kurzinterventionen für das Versor-gungssystem:

1. Das häufige Vorkommen vonRemissionen ohne formelle Hilfen, 2. Die geringe Inanspruchnahmesuchtspezifischer Hilfen bei Alkohol-abhängigen, -missbrauchern und Risi-kokonsumenten und3. Die Erreichbarkeit von Personenmit problematischem Alkoholkonsumin der medizinischen Basisversorgungund über andere Zugangswege, ein-schließlich neuer Medien wie Internet.

1. Remissionen ohne formelle Hilfen

Epidemiologische Studien haben ge-zeigt, dass der überwiegende Anteilder Personen mit einer Alkoholabhän-gigkeit oder problematischem Alko-holkonsum ohne die Inanspruchnah-me von formellen Hilfen (z.B. ambu-lante oder stationäre Therapie, Selbst-hilfegruppe, Beratung) das Alkohol-problem überwindet. In zwei kanadi-schen Studien an der Allgemeinbevöl-kerung ergaben sich Raten für dieRemission ohne formelle Hilfe von75% und 77% für Personen mit Alko-holproblemen (SOBELL, CUNNIG-HAM & SOBELL, 1996). In dieser Stu-die wurde jedoch keine kriterienorien-tierte Definition von Alkoholabhängig-keit oder -missbrauch benutzt. Aberauch bei restriktiverer Definition derZielgruppe zeigt sich, dass die Mehr-

heit der Alkoholabhängigen ohne for-melle Hilfe remittiert. Zahlen hierfür lie-fert eine repräsentative Bevölkerungs-studie aus Lübeck und angrenzendenGemeinden. Dabei hatten 66,3% der-jenigen, die eine Lebenszeit-Alkohol-abhängigkeit nach DSM-IV (SASS,WITTCHEN & ZAUDIG, 1996) aufwie-sen, im letzten Jahr die Kriterien fürdiese Störung nicht mehr erfüllt unddabei keine Hilfe in Anspruch ge-nommen (RUMPF, MEYER, HAPKE,BISCHOF & JOHN, 2000). Zu einerähnlichen Rate kommt eine großeUntersuchung an über 40.000 Perso-nen aus den USA (DAWSON, 1996).Aus der Tatsache, dass die Mehrzahlvon Personen mit Alkoholproblemenkeine Hilfe aus dem Suchtversor-gungssystem benötigt, um zu einerLösung der Probleme zu gelangen,lässt sich der Schluss ziehen, dasseine Förderung solcher Prozesse der“Selbstbewältigung” mit relativ einfa-chen und kurzen Interventionen mög-lich erscheint. Entsprechende Inter-ventionen wurden aus diesen Befun-den abgeleitet (SOBELL et al., 1996b).Ein wirksames Element solcher Inter-ventionen basiert auf der Erkenntnis,dass ein kognitiver Bewertungspro-zess des Konsums und seiner Konse-quenzen stattfindet, bevor es zu einerRemission kommt (SOBELL et al.,1993; KLINGEMANN, 1991). Hier fin-den sich Ähnlichkeiten zu einer Theo-rie der Entscheidungsfindung, derzu-folge Vor- und Nachteile bewertet undabgewogen werden (JANIS & MANN,1968). Die abgeleiteten Interventionenbeinhalten beispielsweise ein normati-ves Feedback, welches es ermöglicht,das eigene Trinkverhalten in Bezie-hung zu dem Konsum der Allgemein-bevölkerung sowie zu möglichen Risi-ken zu setzen. Ähnliche Interventio-nen, die die Entscheidungsbalance

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nats-Nachuntersuchung konnte ge-zeigt werden, dass in der Gruppe mit10 - 15-minütiger Beratung durch denArzt eine bedeutsam höhere Abnah-me der Trinkmenge sowie eine Verrin-gerung der Hospitalisierung zu ver-zeichnen war.

Nicht in allen Studien zeigte sich einbedeutsamer Effekt von Kurzinterven-tionen. Eine weitere Studie in Arztpra-xen ergab zwar eine Trinkmengenre-duktion nach 6 Monaten, jedoch nichtnach 12 Monaten (RICHMOND,HEATHER, WODAK, KEHOE & WEB-STER, 1995). Allerdings hatten sichbei der 1-Jahres Katamnese die nega-tiven sozialen Konsequenzen desAlkoholkonsums im Vergleich zur Kon-trollgruppe verringert. Diese Studie,die ein naturalistischeres Design auf-wies als vergleichbare Untersuchun-gen, zeigt, dass hinsichtlich der Imple-mentierung von Interventionen undder Auswahl der jeweils geeignetstenForm noch Forschungsbedarf besteht.So kommt eine Metaanalyse von POI-KOLAINEN (1999) zu dem Ergebnis,dass ein gesicherter Effekt bei auf-wendigeren Interventionen und weib-lichen Probanden gesichert werdenkonnte. Obgleich eine Abnahme derTrinkmenge in ähnlicher Höhe auchbei Männern vorlag, wurde der Effektaufgrund mangelnder statistischerHomogenität nicht bedeutsam.

Neben Untersuchungen in Arztpraxenliegen auch Studien aus Allgemein-krankenhäusern zur Effektivität vonKurzinterventionen vor (z.B. HEAT-HER, ROLLINCK, BELL & RICH-MOND, 1996). Eine Studie an einemLübecker Allgemeinkrankenhaus er-gab neben einer Trinkmengenreduk-tion vor allem eine Erhöhung der Inan-spruchnahmeraten beim Vergleich der12-Monats Zeiträume vor und nach

Beratung im Krankenhaus (HAPKE,RUMPF & JOHN, 1998).

III. Neue Ansätze

Ein entscheidender Aspekt zur Nut-zung von Kurzinterventionen ist dieMotivation zur Verhaltensänderung.Dabei ist es notwendig, dass die Maß-nahmen der jeweiligen Änderungsmo-tivation angepasst sind. Ein grundle-gendes Modell dazu ist das Transthe-oretische Modell der Motivation zurVerhaltensänderung von PROCKA-SKA und DiCLEMENTE (KELLER,VELICER & PROCHASKA, 1999;PROCHASKA & DICLIMENTE, 1986).Das Modell beinhaltet Stadien derÄnderungsbereitschaft, die charakteri-sieren, welche Änderungsmotivationbei Personen vorhanden ist. Im Sta-dium der Absichtslosigkeit gibt esnoch keine kognitive Auseinanderset-zung mit dem Problemverhalten. ImStadium der Absichtsbildung findeteine Auseinandersetzung statt, diejedoch noch nicht zur konkreten Ver-haltensänderung führt, da Ambivalenzvorherrscht. Im Stadium der Vorbe-reitung werden schließlich konkreteHandlungen antizipiert, die dann imHandlungsstadium umgesetzt wer-den. Es folgt das Aufrechterhal-tungsstadium, in dem das neueVerhalten (z.B. weniger oder gar kei-nen Alkohol mehr zu trinken) beibehal-ten wird. Zu diesen Stadien der Ände-rungsbereitschaft gehören 10 Prozes-se der Änderung, die es ermöglichen;von einem Stadium zum nächstenvoranzuschreiten und schließlich zuder tatsächlichen Verhaltensänderungzu gelangen. Dabei sind in den frühenStadien auf das Erleben bezogeneProzesse (z.B. Erhöhung des Pro-blembewusstseins) von höherer

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II Wirksamkeit vonKurzinterventionen

In Anlehnung an Maßnahmen beianderen gesundheitlich gefährdendenVerhaltensweisen wie Tabakrauchenoder ungesundem Essverhalten erfor-dern Kurzinterventionen für alkoholbe-zogene Störungen einen geringenAufwand und zielen auf eine Verhal-tensänderung im Sinne von Gesund-heitsförderung ab (BABOR, RITSON &HODGSON 1986). Dabei geht es umInterventionen von unterschiedlicherLänge und Form. Diese können unter-teilt werden in schriftliche Information,Ratschlag, Kurzberatung (Dauer biszu 1 Stunde) und Beratung (Dauerüber 1 Stunde) sowie Behandlung(JOHN, 1994). Kurzinterventionenwerden am häufigsten in Bereichender medizinischen Basisversorgung,also in Krankenhäusern und Arztpra-xen, eingesetzt (vgl. JOHN,HAPKE,RUMPF, HILL & DILLING, 1996). Fürdie Wirksamkeit solcher Maßnahmenliegt eine Reihe von Untersuchungenvor (Übersicht z.B. BIEN, MILLER &TONIGAN, 1993).

Bereits Interventionen von minimalemAufwand, wie das Aushändigen einerInformationsbroschüre oder einesSelbsthilfemanuals zeigen Effekte beiKatamnesen (HEATHER, ROBERT-SON, MACPHERSON, ALLSOP &FULTON, 1987; MILLER & TAYLOR,1980). Ratschläge können mit einemFeedback gekoppelt sein wie bei derschwedischen Studie von KRISTON-SON, OHLIN, HULTON-NOSSLIN,TRELL & HOOD (1983). Dabei konntegezeigt werden, dass über eine regel-mäßige Rückmeldung eines Blutwer-tes, der Gamma-Glutamyl-Transferase(GGT), bereits ein deutlicher Interven-tionserfolg zu verzeichnen war. Bei der

Versuchsgruppe wurden monatlichBlutkontrollen und vierteljährliche Arzt-kontakte durchgeführt. Verglichen mitder randomisierten Kontrollgruppe,die nur einmal schriftlich über dieerhöhten Blutwerte und eine erneuteKontrolle nach zwei Jahren informiertwurde, waren die Patienten bei Nach-untersuchungen seltener krankge-schrieben, hatten ein geringeres Aus-maß an Krankenhausaufenthalten undeine geringere Mortalität. Bei beidenGruppen war eine Abnahme der GGT-Werte zu verzeichnen.

Einfache Maßnahmen wie gesundheit-liche Warnungen des Arztes könnenauch bei späteren Behandlungenpositive Effekte zeigen, wofür Dateneiner Studie von WALSH et al. (1992)sprechen. Im Rahmen einer betrieb-lichen Maßnahme zur Identifizierungund Weiterverweisung von Mitarbei-tern mit Alkoholproblemen zu dreiBehandlungsmodalitäten wurden dieProbanden befragt, ob sie vorherKontakt zu einem Arzt gehabt hättenund ob dieser sie gewarnt habe, dassder Alkoholkonsum ihre Gesundheitschädige. 74% von 200 Teilnehmernder Studie gaben an, Kontakt zueinem Arzt gehabt zu haben. 22%derjenigen, die einen Arzt aufsuchten,berichteten, der Arzt habe einegesundheitliche Warnung bzgl. desAlkoholkonsums ausgesprochen. Inder Nachuntersuchung nach 24Monaten zeigte sich eine signifikanthöhere Abstinenzrate für die Gruppe,die diesen Hinweis vom Arzt erhaltenhatte. In einer Studie in Arztpraxenkonnten insgesamt 723 Personen ent-weder einer Kurzberatung durch denArzt oder einer Kontrollbedingung(Broschüre zur allgemeinen Gesund-heit) zugewiesen werden (FLEMIMG,BARRY, MANWELL, JOHNSON &LONDON, 1997). Bei einer 12-Mo-

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ders ökonomisches und sensitivesVerfahren hierfür liegt mit dem Lü-becker Alkohlabhängigkeits- und -missbrauch Screening Test vor (LAST;RUMPF, HAPKE, HILL & JOHN,1997).Dieses Verfahren ist insbeson-dere zur Identifizierung von Personenmit Alkoholabhängigkeit und -miss-brauch geeignet. Ist der Befund nega-tiv und soll darüber hinaus eine Ent-deckung von Personen mit riskantemAlkoholkonsum erfolgen, bietet sich ineinem weiteren Schritt als anschlie-ßendes Verfahren der AUDIT-C an(Alcohol Use Disorders IdentificationTest - Consumption Questions;BUSH, KIVLAHAN, McDONELL FIHN& BRADLEY, 1998). Die sich an dasScreening anschließenden Maßnah-men sollten die Stadien der Ände-rungsbereitschaft als die Interventionbestimmende Voraussetzung berück-sichtigen. Für die Zukunft scheineninsbesondere kostengünstige auto-matisierte Interventionen in Form vonExpertensystemen eine nützliche Ergänzung.Neben diesen neuen Zugangswegenzu Personen mit Alkoholproblemenkann die Kurzintervention innerhalbder klassischen Suchtkrankenversor-gung einen wichtigen Platz einneh-men. Diese würde ermöglichen, denFokus der entsprechenden Einrichtun-gen zu erweitern. Insbesondere eingestufter Versorgungsansatz kann dieArbeit in der Suchthilfe deutlich opti-mieren und Kapazitäten zur Auswei-tung der Tätigkeitsfelder – z. B. durchLiaisondienste mit medizinischen Ein-richtungen oder anderen Institutionen,die neue Zugangswege darstellen.

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Die Bedeutung von Kurzinterventionen in der Suchthilfe 13

Bedeutung als verhaltensbezogeneProzesse (z.B. Belohnung desgewünschten Verhaltens), die in spä-teren Stadien an Bedeutung gewinnen(PERZ, DICLIMENTE & CARBONARI,1996). Die Stadien und Prozesse derÄnderung ermöglichen es, Interventio-nen auf die jeweilige Motivationslagedes Betroffenen zuzuschneidern.Hiervon wird z.B. in der motivierendenGesprächsführung Gebrauch ge-macht (HAPKE, RUMPF, SCHUMANN& JOHN, 1999; MILLER & ROLLINCK1999). Die aus dem Modell der Ände-rungsbereitschaft abgeleiteten Inter-ventionen können jedoch auchkostengünstig im Rahmen eines com-puterisierten Expertensystems ge-nutzt werden. Beispiele für wirksameExpertensysteme mit individualisiertenRückmeldungen gibt es für den Be-reich des Rauchens (PROCHASKA,DICLEMENTE, VELICER & ROSSI,1993; VELICER, PROCHASKA, FAVA,LAFORGE & ROSSI, 1999).

IV. Versorgungsmodel-le und Ausblick

Kurzinterventionen sind ein geeigne-tes Mittel, die Versorgungssituation fürMenschen mit alkoholbezogenen Pro-blemen deutlich zu verbessern. ZurWirksamkeit solcher Maßnahmen liegtgenügend wissenschaftliche Evidenzvor. In der Mehrzahl der Studien sindKurzinterventionen für Personen ein-gesetzt worden, die einen riskantenAlkoholkonsum betrieben, Alkohol-missbrauch oder leichte Formen derAlkoholabhängigkeit hatten. Dabeiwird riskanter Alkoholkonsum auf-grund von Trinkmengen und -häufig-keiten definiert, z.B. 20 gr. Reinalkoholtäglich bei Frauen, 30 gr. bei Männern.Interventionen von geringem Aufwand

spielen also insbesondere für die bis-lang kaum versorgte Gruppe der nochnicht schwer Abhängigen eine wichti-ge Rolle; jedoch auch bei Personenmit fortgeschrittener Abhängigkeitkann durch Kurzinterventionen eineMotivierung zur Inanspruchnahmeweitergehender Hilfen ermöglicht wer-den.

Es ist jedoch noch weitestgehendunklar, in welcher Weise die Interven-tion in ihrer Aufwendigkeit auf die je-weilige Konstellation von Schwere desProblems, Änderungsmotivation undweiteren bedeutsamen Faktoren (z.B.soziale Ressourcen) abgestimmt wer-den kann. Ein mögliches Konzepthierfür bietet der Ansatz gestufter Ver-sorgung (Stepped-Care), wonach dieMaßnahme mit dem geringsten Auf-wand als erstes eingesetzt wird undbei fehlendem Erfolg eine intensivereMaßnahme folgt (vgl. DRUMMOND,1997). Kurzinterventionen sollten je-doch nicht ein Ersatz für hochwirksa-me aufwendige Maßnahmen (z.B. sta-tionäre Therapie, Entwöhnungsbe-handlung) sein, wenn diese aufgrundder Klientencharakteristika notwendigsind. Das ist z.B. der Fall, wenn eineKomorbidität mit einer anderen Stö-rung besteht oder bereits Maßnahmenmit geringerer Intensität zu keiner Ver-haltensänderung geführt haben.

Die Suchtversorgung könnte durchdie Übernahme eines Stepped-CareAnsatzes eine deutliche Effizienzstei-gerung erfahren. Ansatzpunkte bietensich hierfür insbesondere in der medi-zinischen Basisversorgung. Dazu istes notwendig, dass in den entspre-chenden Einrichtungen standardisier-te Routinescreenings durchgeführtwerden, um Personen mit alkoholbe-zogenen Störungen oder riskantemAlkoholkonsum zu identifizieren. Einim internationalen Vergleich beson-

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Hinweis:

Dieses Manuskript enthält Teile einesBuchbeitrages, der demnächst unterfolgendem Titel erscheint:

RUMPF, H.-J., HAPKE, U., BISCHOF,G., MEYER, C. & JOHN, U. (imDruck).Kurzinterventionen bei alkoholbezoge-nen Störungen. In: Deutsche Haupt-stelle gegen die Suchtgefahren (Hrsg.)Individuelle Hilfen für Suchtkranke –Früh erkennen, professionell handeln,effektiv integrieren.Freiburg im Breisgau: Lambertus.

Die Bedeutung von Kurzinterventionen in der Suchthilfe 15

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14 Die Bedeutung von Kurzinterventionen in der Suchthilfe

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Inhalt

I. Einführung

II. Das Phänomen der Ambivalenz

III.Grundprinzipien motivierender Gesprächsführung

IV. Strategien zur Förderung der Veränderungsmotivation

V. Strategien zum Umgang mit Widerstand

VI.Strategien zur Einleitung konkreter Veränderungsschritte

VII. Zur Beteiligung von Angehörigen und wichtigen Bezugs-personen

Literatur

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Motivational Interviewing – Motivie-rende Gesprächsführung – Grundla-gen, Prinzipien und Strategien

Georg Kremer Psychiatrische Klinik Gilead Bethesdaweg 1233617 Bielefeld

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wird weiter geraucht, gekokst und ge-trunken.

Das Phänomen, das hier angespro-chen wird, heißt “Ambivalenz”. DerBegriff setzt sich zusammen aus denlateinischen Wörtern ambi = beide,doppelt und valere = stark sein. Wennwir von Ambivalenz sprechen, spre-chen wir von Gedanken, Gefühlen,Empfindungen oder Verhaltenswei-sen, die einander widersprechen, abergleichzeitig vorhanden sind. “ZweiSeelen wohnen, ach! in meiner Brust!”klagt Faust. Ambivalenz ist ein Be-gleiter in allen wichtigen Lebensent-scheidungen und häufige Begleiter-scheinung psychologischer Problemebzw. Störungen: “Ein Agoraphobikerkönnte sagen: ‚Ich möchte gern aus-gehen, habe aber Angst, dass ich dieKontrolle verlieren könnte.‘; ein de-pressiver und sozial isolierter Patient:‚Ich wäre gern mit Leuten zusammen,aber ich fühle mich unattraktiv.‘, einPatient mit Waschzwang oder Kon-trollzwängen versucht immer wiederverzweifelt, Rituale zu vermeiden undfühlt sich gleichzeitig angstvoll dazugetrieben, diese auszuführen” (MIL-LER & ROLLNICK ebd.). BLEULER(1983) schreibt in seinem Lehrbuchder Psychiatrie: “Schon der Gesundespürt oft ‚zwei Seelen in seiner Brust‘,er kann die Übernahme einer neuenArbeit fürchten und doch herbei-wünschen ... Ambivalente Gefühlsbe-tonungen können vom Gesunden be-wältigt werden; aus widersprechen-den Wertungen kann er ein Fazit zie-hen. Er kann auch lieben, wenn er dieSchattenseiten einer Geliebten be-rücksichtigt ... In der Genese vonNeurosen spielt Ambivalenz eine ent-scheidende Rolle. Vor dem Bewusst-sein des Neurotikers mag sich die eineTendenz durchsetzen, die andere wirdins Unbewusste verdrängt, macht sich

aber aus dem Unbewussten herausstörend geltend.”Im Zusammenhang mit süchtigen Ver-haltensweisen ist Ambivalenz ein zen-trales Phänomen. Petry (1998) stelltfest, dass “ ... die Kernproblematik derBehandlungs- und Veränderungsmoti-vation in einer konflikthaften Ambiva-lenz gegenüber der Anforderung zurLoslösung von dem Suchtmittel undder damit verbundenen alternativenLebensweise zu suchen ist.” Die Ursa-che der Ambivalenz ist dabei nachMILLER & ROLLNICK (ebd.) weder ineiner klar umrissenen pathologischen(“süchtigen”) Persönlichkeit zu findennoch in charakterlich fehlgeleitetenAbwehrmechanismen (wie z. B. Ver-leugnen, Rationalisieren, Projizieren).Viel eher müsse für den im Hinblickauf den Suchtmittelkonsum bzw. sei-ne Beendigung ambivalenten Men-schen das Gefangensein in einemsog. “Annäherungs-Vermeidungs-Kon-flikt” angenommen werden: er fühlesich hin- und hergerissen zwischenden angenehmen und unangenehmenFolgen des Konsums, zwischen At-traktion und Destruktion, zwischenWeitermachen und Aufhören.Um diesen Konflikt näher zu beschrei-ben, führen MILLER & ROLLNICK(ebd.) das Bild einer Waage an, dieaus zwei Waagschalen besteht: auf je-der Waagschale befinden sich zweiArten von Gewichten. In die eine wer-den die erlebten Vorteile des Konsumsund die erwarteten Nachteile einerÄnderung geworfen, in die andere dieerlebten Nachteile des Konsums unddie erwarteten Vorteile einer Ände-rung. Abb. 1 (nach MILLER & ROLL-NICK, ebd.) zeigt dieses Muster amBeispiel des Trinkverhaltens eines al-koholabhängigen Mannes.

Motivational Interviewing - Motivierende Gesprächsführung 19

I. Einführung

Im Folgenden wird ein Gesprächsfüh-rungskonzept vorgestellt, das geeig-net erscheint, die Veränderungsmoti-vation von suchtgefährdeten odersuchtmittelabhängigen Patienten po-sitiv zu beeinflussen. Es basiert im we-sentlichen auf dem Konzept “Motivie-rende Gesprächsführung” (“Motivatio-nal Interviewing”, deutsch: MILLERW.R. & ROLLNICK, S. 1999) und denkonkreten Erfahrungen mit der Umset-zung dieses Konzepts im Rahmen ver-schiedener Praxisfelder. Im Konzeptder “Motivierenden Gesprächsfüh-rung” finden sich viele Prinzipien undStrategien wieder, die für die allge-meine und psychotherapeutische Ge-sprächsführung als notwendig undsinnvoll angesehen werden. Das Be-sondere dieses Konzepts ist aller-dings, dass es konsequent auf denUmgang mit Menschen mit Suchtmit-telproblemen zugeschnitten ist undhier konkrete Strategien und Metho-den vorhält.Suchtmittelspezifische Aspekte derGesprächsführung können nach MIL-LER & ROLLNICK (ebd.) so gestaltetwerden, dass die betroffenen Patien-tinnen und Patienten möglichst wenigWiderstand aufbauen, sich mit ihremproblematischen Suchtmittelkonsumauseinandersetzen und ein Höchst-maß an Veränderungsbereitschaft ent-wickeln.Primärer Fokus der Ausführungen istder Gesprächskontakt zwischen The-rapeut (Pflegekraft, Ärztin, Psycholo-ge, Sozialarbeiterin usw.) und Patientbzw. Therapeut und Angehörigen.Grundsätzlich ist allerdings zu berück-sichtigen, dass die Veränderungsbe-reitschaft eines Patienten nicht nurdurch den direkten Gesprächskontaktmit einem Professionellen, sondern

darüber hinaus auch durch eine Reiheanderer Faktoren beeinflusst wird:durch das Ausmaß körperlicher, seeli-scher oder sozialer Folgeprobleme,durch das Ausmaß suchtmittelspezifi-scher Probleme im Freundes- und Be-kanntenkreis oder z. B. durch Absti-nenzerfahrungen der Patienten. Auf-gabe professioneller Gesprächsfüh-rung ist es deshalb, neben der Ver-mittlung der selbst erhobenen Befun-de und der eigenen Eindrücke die imHinblick auf eine Veränderung desSuchtmittelkonsums “motivationalen”Aspekte des Lebensalltags der Pa-tienten bewusst zu machen und insrechte Licht zu rücken. Das vorliegende Kapitel liefert dazueinige grundlegende Informationen. Ineinem ersten Schritt wird die Bedeu-tung ambivalenten Erlebens und Ver-haltens mit besonderer Berücksichti-gung süchtiger Verhaltensweisendiskutiert. Die nächsten vier Kapiteldienen der Darstellung der wesent-lichen Grundlagen des Gesprächsfüh-rungskonzepts. Einige Ausführungenzum Einbezug wichtiger Bezugsperso-nen (wie etwa Angehöriger) bilden denAbschluss.

II. Das Phänomen derAmbivalenz

“Dies ist meine letzte Zigarette!” “Ich werde in Zukunft nur noch Me-thadon nehmen!” “Ich brauche den Alkohol nicht mehr!”Drei Vorsätze, die – viele Leserinnenund Leser werden dies bestätigen – inder Regel nicht eingehalten werden.Im Moment der Aussprache mit vol-lem Ernst und im Brustton der Über-zeugung vertreten, verlieren sie oftschon kurze Zeit später an Kraft: es

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Machtkämpfen mit den Patienten.MILLER & ROLLNICK (ebd.) sprechenvom “Ambivalenzmanagement” undvergleichen motivierende Gesprächs-führung eher mit einer freundlichenSchachpartie als einem “Frontalangriffauf eine Festung”.

BECK u. a. (1997) führen ein Beispieleiner solchen freundlichen Partie an:“Ein Patient könnte z. B. sagen: ‚Ichweiß, ich muss immer auf der Hutsein, ich darf die Kontrolle nicht aufge-ben, auch wenn die Dinge sich ganzgut entwickeln, denn immer dannwerde ich übermütig und denke, ichkönnte wieder anfangen, Drogen zunehmen.‘ Später bittet derselbe Pa-tient um eine Beendigung der Bera-tungsgespräche und sagt: ‚Alles istjetzt okay in meinem Leben.‘ - eineÄußerung, die der Berater als kogniti-ve Vereinfachung und Verzerrung be-wertet. Aber anstatt dem Patienten zusagen, dass er sich selbst belügt, undihn dann zu drängen, die Therapieweiterzuführen, reagiert er folgender-maßen: ‚Ich bin jetzt etwas verwirrt.Sie erzählen mir, dass im Momentalles okay ist und dass Sie die Thera-pie beenden können. Aber vor einigerZeit haben Sie mir erzählt - und ichhabe das sogar hier aufgeschrieben,weil es mich so beeindruckt hat -,dass Sie gerade in Zeiten wie diesenganz besonders auf der Hut sein müs-sten, weil Sie wissen, dass Sie ausÜbermut wieder anfangen könnten,Drogen zu nehmen. Das habe ichdamals sehr ernst genommen, undich dachte, dass Sie sich selbst sehrgut kennen. Es sieht so aus, als obdas, was Sie gerade erleben, genaueine solche Situation ist. Wie denkenSie darüber?”

III. Grundprinzipienmotivierender Ge-sprächsführung

Das Herzstück der motivierendenGesprächsführung bilden die fünfGrundprinzipien. Eine Anwendung derweiter unten beschriebenen Strategi-en und “Techniken” motivierender Ge-sprächsführung ist ohne eine Beach-tung der Grundprinzipien nicht denk-bar.

Prinzip 1: Empathie ausdrücken

Empathie, d. h. die Bereitschaft undFähigkeit, sich in die Einstellungen an-derer Menschen einzufühlen, kann alsdas wesentliche Charakteristikum mo-tivierender Gesprächsführung ange-sehen werden. Empathie meint, dieGefühle, Sichtweisen und Standpunk-te der Patienten zu verstehen - ohnesie zu bewerten, zu kritisieren oder garins Lächerliche zu ziehen. “Verstehen”heißt dabei nicht dasselbe wie “einver-standen sein” oder “billigen”. Empa-thisch sein heißt zu versuchen, dieStandpunkte der Klienten so umfas-send wie möglich zu begreifen, d.h.insbesondere ambivalente Einstellun-gen zuzulassen.

Empathisch sein heißt nicht, in dermanchmal unstrukturierten und chao-tischen Erlebnis- und Gefühlswelt derPatienten mit zu schwimmen. Eineprofessionelle Empathie verlangt Dis-tanz bei gleichzeitigem Respekt vorder Würde des Gegenübers, oder wiees LUBAN-PLOZZA/LAEDERACH-H O F M A N N / K N A A K / D I C K H A U T(1998) ausdrückten: “Mitfühlen ja –Mitleiden nein.” Empathie muss ernstgemeint sein, sonst verkommt sie zurKarikatur. Empathie als “Technik des

Motivational Interviewing - Motivierende Gesprächsführung 21

Das Erstellen einer solchen Waage -begleitet von Respekt des Therapeu-ten gegenüber allen vom Patientengeäußerten Aspekten – führt in derRegel zu einer differenzierteren Sicht-weise gegenüber dem Suchtmittel-konsum. Diese stellt wiederum dieBasis einer stabilen Veränderungs-motivation und einer individuell abge-stimmten differenzierten Zielfindungdar. Erster Schritt also im “motivieren-den” Umgang mit Suchtmittelproble-men ist die Anerkennung von Ambiva-lenzen gegenüber einer Änderung desSuchtverhaltens.

Es ist häufig beobachtet worden, dassMenschen, die sich in einem Annähe-rungs-Vermeidungs-Konflikt befinden,ihre Aufmerksamkeit auf die gegen-überliegende Seite verlagern, sobaldsich die Waage zu einer Seite neigt.Bezogen auf Menschen mit Suchtmit-telproblemen heißt das, dass sie beieiner Überbetonung einer Seite derAmbivalenz oftmals die andere ins

Spiel bringen. Eine Gesprächsfüh-rung, die ausschließlich die negativenFolgen des Suchtmittelkonsums inden Mittelpunkt stellt (z. B. die körper-lichen Folgeprobleme), und dabei diesubjektiven Vorteile des Konsums ver-nachlässigt, wird beinahe zwangsläu-fig den “Widerstand” des Patientenhervorrufen, etwa in der Form: “Siehaben ja recht, aber ...” MILLER &ROLLNICK (ebd.) halten es für nichthilfreich, einem solchen Patienten einemangelnde Motivation zu unterstellen,sondern viel eher eine schwankende.Führt man sich einmal vor Augen, wiesensibel und flexibel reale Waagen wiediejenige in Abbildung 1 auf kleinsteGewichtsveränderungen reagieren,dann kann man verstehen, dass Moti-vation kein statischer Zustand ist,sondern einem ständigem Wechselunterliegt.

Eine Gesprächsführung, die dieseSichtweise beherzigt, führt zu wenigerKommunikationsproblemen und

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ABB. 1: VORTEIL-NACHTEIL-WAAGE

Vorteile des KonsumsAlkohol hilft mir zu entspannenHabe angenehme Rauscherlebnisse

Nachteile einer ÄnderungWeniger EntspannungKeinen Rausch mehrWas soll ich den Freunden sagen

Nachteile des KonsumsGefährde eine EheBin schlechtes Vorbild für die KinderRuiniere meine Gesundheit Verschwende Zeit und Geld

Vorteile einer ÄnderungFühre glücklichere EheHabe mehr Zeit für die FamilieHabe weniger finanzielle Propleme

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In der Behandlung von Suchtkrankenhat sich über viele Jahre die Überzeu-gung gehalten, dass nur eine stichhal-tige, unerschütterliche und aggressivvorgetragene Konfrontation geeignetist, den Patienten zu erreichen und ihnzum Umkehren zu bewegen. Heuteweiß man, dass das Bedürfnis vielerTherapeuten, ihren Patienten etwasauf den Kopf zuzusagen oder ihnen“mal so richtig den Kopf zu waschen”,zum einen aus einer unangemessenenZieldefinition resultiert und zum an-dern oftmals ein unreflektiertes emo-tionales Agieren des Arztes nach ne-gativen Übertragungsreaktionen desPatienten darstellt. Dazu WEDLER(1998): “Da der Arzt sich in aller Regelzu kontrollieren bemüht ist, erfolgt dasAusagieren von Emotionen häufig inverdeckter Form. ‚Solche Problemehaben viele, da ist doch nichts Beson-deres dran‘ oder gar ‚Solche Proble-me habe ich auch!‘ sind typische Bei-spiele für verdeckte Aggressionen, mitdenen der Arzt in seiner Gegen-übertragung den Patienten brüsk indessen Schranken verweist.”

Aggressive Konfrontationen im Zu-sammenhang mit Substanzkonsumerzeugen in aller Regel Widerstand –oder anders ausgedrückt: aufkom-mender Widerstand beim Patientensollte den Behandlern immer ein Zei-chen sein, den bisherigen Gesprächs-verlauf, konkrete Beratungsstrategienund (offene oder verdeckte) Bera-tungsziele zu überprüfen. Widerstandist das Problem des Behandlers -nicht das des Patienten. Dem Patien-ten dient er in aller Regel als Schutz,oftmals als Schutz vor respektloserBehandlung.

Beweisführungen entwickeln sichhäufig, wenn Behandler glauben,nachweisen zu können, dass ein “Pro-blem” (mit Suchtmitteln) bzw. ein

bestimmtes Ausmaß eines Problems(Abhängigkeit) einwandfrei vorliegt,Patienten allerdings noch nicht so weitsind, diese Festschreibung zu akzep-tieren. Für viele Menschen bedeutetes eine schmerzhafte Selbsteinsichtund soziale Stigmatisierung, ein Pro-blem mit Suchtmitteln zu haben odergar abhängig zu sein. Hier ist es Auf-gabe der Behandler, Empathie undGeduld aufzubringen und kleineSchritte auf dem Weg zur “Einsicht” zurespektieren. WILKE (1994) schreibt:“Zu frühe diagnostische Einordnungenund therapeutische Maßnahmen ver-hindern, dass der Kranke sich ver-standen fühlt”. Zahlreiche Untersu-chungen im Bereich der Behandlungvon Menschen mit Alkoholproblemenz. B. haben belegt, dass es im Hin-blick auf eine Veränderung von Kon-sumgewohnheiten nicht notwendigist, dass jemand sich selbst als “alko-holabhängig” bezeichnet. Dies mussin manchen Fällen Ziel der Behand-lung sein, kann aber nicht zur Voraus-setzung erhoben werden.

Prinzip 4: Den Widerstand auf-nehmen

Wenn man nicht streitet und Beweiseanführt, was soll man dann tun? MIL-LER & ROLLNICK (ebd.) führen hierein Prinzip asiatischer Kampfsportar-ten (z.B. Aikido) ein: einem mit einerbestimmten Kraft vorgetragenen An-griff wird nicht dieselbe oder eine nochgrößere Kraft entgegengesetzt (wie z. B. beim Boxen), sondern die Kraftdes Gegners wird aufgenommen undin eine andere Richtung gelenkt. Manfügt dem Schwung eine leichte Dre-hung bei, geht einen kleinen Schrittzur Seite und bringt den Gegner so zuFall. Man lässt ihn dabei nicht ins Lee-re laufen, sondern bleibt ständig mit

Motivational Interviewing - Motivierende Gesprächsführung 23

Widerspiegelns” ist falsch verstande-ne Empathie. Verschiedene Untersuchungen im Be-reich von Suchterkrankungen habengezeigt, dass ein Beratungsstil i. S.dessen, was ROGERS in seiner Ge-sprächspsychotherapie als Empathievertritt, mehr Erfolg bringt als etwa einkonfrontativ-aggressiver Stil oder einreines Verhaltenstraining. Empathieund Respekt sind wesentliche Grund-lagen eines Arbeitsbündnisses, siestärken die Selbstachtung der Patien-ten und ermöglichen es ihnen, in einerautonomen Atmosphäre über Verän-derungen ihrer Konsumgewohnheitennachzudenken.

Prinzip 2: Diskrepanzen entwik-keln

Es ist sicherlich nicht das oberste Zielmotivierender Gesprächsführung, denPatienten zu helfen, sich selbst zuakzeptieren und dann alles beim Altenzu lassen. Motivierende Gesprächs-führung verfolgt das Ziel, die Verände-rungsmotivation der Patienten zu stär-ken und Wege der Veränderung zu fin-den. Deshalb ist es nicht sinnvoll, denPatientinnen und Patienten allein dieWahl von Inhalt, Richtung und Tempodes Gesprächs zu überlassen. Viel-mehr ist es zum gegebenen Zeitpunktwichtig, Expertenwissen und (mögli-cherweise ungemütliche) Realitäten zuvermitteln.“Diskrepanzen entwickeln” bedeutet,dazu beizutragen, dass Patienten inihrer Selbstwahrnehmung Widersprü-che oder “Dissonanzen” entdecken:sie stellen etwa fest, dass ein Unter-schied besteht zwischen der gegen-wärtigen Situation und dem, was siefrüher einmal für sich gehofft hattenoder sich heute für die Zukunft wün-schen würden. Sie genießen den Nut-

zen des Substanzkonsums, leidenaber gleichzeitig unter den negativenKonsequenzen. Diskrepanzen könnengrundsätzlich in allen Lebensberei-chen sichtbar werden: Gesundheit,Fami l i e /Par tne rscha f t /F reunde ,Arbeitsplatz, Selbstachtung, persön-liche Ziele usw.Wenn Menschen Hilfe suchen, habensie in aller Regel eine Diskrepanzwahrgenommen. Aufgabe des Exper-ten ist es, diese Diskrepanz, die derPatient in sich trägt, bewusst zumachen und wenn nötig (und möglich)zu verstärken. Menschen mit Sucht-mittelproblemen, die in Arztpraxenund Allgemeinkrankenhäusern behan-delt werden, haben häufig keinesuchtspezifische Hilfe gesucht. Dia-gnostische Befunde allerdings, die oft-mals in einer sehr aussagekräftigenForm vorliegen, eignen sich in hervor-ragender Weise, Informationen zu ver-mitteln, die die Wahrnehmung vonDiskrepanzen fördern kann. Wenndies gelingt, ohne die Abwehrstrategi-en der Patienten übermäßig zu aktivie-ren (indem nämlich mit Distanz undRespekt sachlich informiert wird),dann bestehen gute Chancen, dassdie Patienten die Gründe für eine Ver-änderung selbst finden.

Prinzip 3: Beweisführungenvermeiden

Das dritte Grundprinzip basiert auf derErfahrung, dass Debatten und Streitszwischen Behandlern und Patienten,die eher an Gerichtsverhandlungenerinnern denn an Krankenbehandlung,im Hinblick auf die Förderung von Ver-änderungsmotivation uneffektiv sind:die Wahrscheinlichkeit, dass jemandnicht in eine bestimmte Richtung geht,steigt, je mehr man von außen ver-sucht, ihn dahin zu bringen.

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Fähigkeiten ist ein zentrales Charakte-ristikum erfolgreicher Veränderungs-versuche in zahlreichen Effektivitäts-Untersuchungen von Suchtbehand-lungen. Man kann alle Prinzipien be-rücksichtigt haben: man war empa-thisch, hat Diskrepanzen entwickelt,nicht gestritten, man hat den Wider-stand aufgenommen - wenn aber derPatient keine Hoffnung auf Erfolgsieht, wenn er auf sich selbst keinenPfifferling setzt, dann wird eine Verän-derung von Konsumgewohnheitenunwahrscheinlich.

Ein grundsätzliches Ziel motivierenderGesprächsführung ist es also, denGlauben des Patienten an sich selbst,sein Selbstvertrauen zu stärken undsich selbst als jemand wahrzuneh-men, der mit einer bestimmten Aufga-be und mit den dabei möglicherweiseauftretenden Hindernissen fertig wird.Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten istes hier, sich weniger auf Defizite,Schwächen und negative Konsequen-zen zu konzentrieren, sondern dieFähigkeiten, Stärken und (sozialen)Ressourcen der Patienten in denMittelpunkt zu stellen. Dabei ist es vonzentraler Bedeutung, dass eine allge-meine Stärkung des Selbstvertrauens– die durch eine empathische Grund-haltung gefördert wird -“heruntergebrochen” wird auf konkre-te zu lösende Aufgaben. Die Anony-men Alkoholiker setzen sich zum Ziel,“heute” auf den Alkohol zu verzichten,nicht für den Rest des Lebens. DieForderung der lebenslangen Sucht-mittelfreiheit ist für viele abhängigeMenschen eine Über-Forderung. Diesführt häufig zu Resignation (“Es hatdoch sowieso alles keinen Sinn!”). Esgilt stattdessen, gemeinsam mit demPatienten den nächsten realistischen –d. h. auf seine spezifischen Kompe-tenzen zugeschnittenen - Schritt in

Richtung einer Veränderung von Kon-sum- und/oder Lebensgewohnheitenzu finden. So kann es selbst beigrundsätzlich eher resignativ und pas-siv eingestellten Menschen gelingen,konkrete aktive Schritte in Gang zusetzen.Es kann für viele Patienten ermutigendsein, zu sehen, dass es viele möglicheWege der Veränderung gibt, nichtmehr nur den Königsweg (Beratungs-stelle – Entgiftungsstation – Entwöh-nungsklinik – Selbsthilfegruppe). Warjemand auf einem bestimmten Wegnicht erfolgreich (z. B. hält ein Patienteine ambulante Entgiftung nicht durchoder hat zunehmenden Beigebrauchbei Methadon-Substitution), dann wares möglicherweise nicht der richtigeund es gilt – ein nach wie vor beste-hendes Veränderungsinteresse vor-ausgesetzt -, einen für die jetzige Le-benssituation angemesseneren Verän-derungsweg zu finden. So könnte imersten Fall eine teilstationäre oder sta-tionäre Entgiftung angezeigt sein; imzweiten Fall eine kurze stationäre In-tervention mit dem Ziel des Aufbauseiner Tagesstruktur. Die Zielfindung ist somit ein zentraler Baustein derSelbstwirksamkeitsüberzeugung.

IV. Strategien zur För-derung der Verän-derungsmotivation

Nachdem nun die Grundprinzipienmotivierender Gesprächsführung vor-gestellt wurden, sollen in den näch-sten beiden Abschnitten einige Strate-gien zur Umsetzung erläutert werden.In diesem Abschnitt geht es um Stra-tegien, die geeignet sind, die Bereit-schaft des Patienten zu konkreten

Motivational Interviewing - Motivierende Gesprächsführung 25

ihm in Kontakt. Der Vergleich solltenicht überstrapaziert werden, es gehtnicht um einen Kampf mit Sieger undVerlierer. Allenfalls muss die eine oderandere - möglicherweise verzerrte -Wahrnehmung des Patienten in Fragegestellt und verändert werden. Was aber den Umgang mit Wider-stand angeht, so lassen sich aus demBild verschiedene Leitlinien ableiten:

1. Widerstand ist ein Interaktionsphä-nomen: er verlangt vom Behandlereine Überprüfung eigener Strate-gien.

2. Die Kraft des Widerstands kannpositiv genutzt werden: Behandlersind weder passiv und erduldendnoch aggressiv oder gekränkt,sondern greifen das Widerstands-thema aktiv steuernd auf.

3. Behandler bleiben mit den Patien-ten im Kontakt.

Widerstand als Ausdruck nicht odernicht genügend gewürdigter Ambiva-lenzen ist im Zusammenhang mitSuchtmittelproblemen (jedoch nichtnur dort) ein Dauerthema. Häufig ent-steht Widerstand, wenn Behandlerden Patienten eine bestimmte Lösungihrer Probleme präsentieren (“Ich den-ke, Sie sollten sich mit ihrer Sucht fürdrei bis vier Monate in einer Fachklinikauseinandersetzen. Lassen Sie sichmal einen Termin in einer Suchtbera-tungsstelle geben!”), im guten Glau-ben, dass das doch der beste Wegsei. An dieser Stelle beginnen diePatienten oft, Gründe und Indizien zupräsentieren, warum ihr Suchtproblemvielleicht doch nicht so gravierend ist,oder warum sie gerade jetzt ihrenArbeitsplatz oder ihre Familie für solange Zeit nicht verlassen können,oder warum eine “Kur” gerade bei ih-nen nichts hilft usw. Dies nicht von

vornherein als mangelnde Motivation,sondern als Hinweis auf unberück-sichtigte ambivalente Einstellungenaufzufassen, ist die grundlegende Auf-gabe der Behandler. Vielleicht ist dervorgeschlagene Veränderungsschrittzu groß oder – obwohl in beider Au-gen der richtige – zu früh gesetzt. Inder motivierenden Gesprächsführungist es nicht die Aufgabe des Behand-lers, Lösungen zu finden und zu ver-schreiben, sondern dem Patientendazu zu verhelfen, seine eigenen Lö-sungen, seine eigenen Antworten zufinden. Ärztinnen und Ärzte solltensich hier bemühen, den Patientennicht ihre Sichtweisen aufzudrängenund ihnen ihre eigenen Ziele zu ver-ordnen. Stattdessen sollten sie denPatienten in Anerkennung ihrer Eigen-verantwortung sachliche Informatio-nen und neue Perspektiven anbieten.MILLER & ROLLNICK (ebd.): “Wider-stand ist kein Grund zur Sorge. Erwird erst dann zu einem Problem,wenn er über mehrere Therapiesitzun-gen als stabiles Reaktionsmuster desKlienten bestehen bleibt oder gar es-kaliert. Darauf aber haben Sie als Be-rater oder Therapeut einen entschei-denden Einfluss. Wie Sie auf den Wi-derstand reagieren, das unterscheidetmotivierende Gesprächsführung vonanderen Konzepten.” Im Abschnitt 4sind einige konkrete Strategien be-schrieben, wie Ärztinnen und Ärzte mitaufkommendem Widerstand der Pa-tienten konstruktiv umgehen können.

Prinzip 5: Selbstwirksamkeitfördern

“Selbstwirksamkeit meint das Vertrau-en einer Person in die Fähigkeit, einespezifische Aufgabe erfolgreich lösenzu können” (MILLER & ROLLNICK,ebd.). Der Glaube an die eigenen

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nerschaft” hin zum Thema “Arbeit,Freizeit”; oder ein Wechsel vom Moti-vationsaufbau hin zum Nachdenkenüber konkrete Veränderungsschritte).Sie ermöglichen dem Patienten, dieRichtung und das Tempo der Gesprä-che zu bestimmen; sie geben demArzt eine Fülle von (manchmal unge-ordneten) wichtigen Informationenüber den Stellenwert des Suchtmittel-konsums, die in späteren Gesprächs-sequenzen aufgegriffen werden kön-nen; sie tragen dazu bei, dass Patien-ten sich ernst genommen fühlen mitihrer Sicht der Dinge und stärken sodas Arbeitsbündnis zwischen Thera-peuten und Patienten.

Aktiv Zuhören

Aktiv Zuhören bedeutet, eine Ein-schätzung darüber abzugeben, wasder Gesprächspartner vermutlich mit-teilen wollte. Dabei geht es allerdingsnicht darum, das Gesagte noch ein-mal zu wiederholen, sondern es imHinblick auf die Zielsetzung des Ge-sprächs (z. B. Förderung der Verände-rungsmotivation) zu filtern und ausge-wählte Aspekte mit neuen Worten wi-derzuspiegeln. Reflexionen vermitteln dem PatientenVerständnis und stärken das Arbeits-bündnis. Aktiv Zuhören ist kein passi-ver Vorgang. Ganz im Gegenteil: derTherapeut wählt aus der Fülle der an-gebotenen Informationen das für ihnSinnvollste aus und kleidet es in neueWorte. Reflexionen sind somit aktiveElemente, um Tempo und Richtungdes Gesprächsverlaufs zu beeinflus-sen. Dies klingt einfacher als es in der Rea-lität ist. Ein Gespräch zwischen zweiMenschen gestaltet sich für gewöhn-lich sehr komplex. Es setzt sich ausmindestens drei Aspekten zusammen:� Verbal vermittelten Inhalten

� Nonverbal vermittelten Inhalten

� Beziehungserfahrungen/Vorinfor-mationen/Erwartungen

Alle drei Aspekte wiederum lassensich weiter aufschlüsseln. So kann einund dieselbe verbale Mitteilung vieleverschiedene Bedeutungen haben:“Ich bin für gewöhnlich gut organi-siert.” könnte bedeuten, dass derSprecher seinen Schreibtisch gut auf-räumt, dass er pünktlich zur Arbeitgeht, dass er alle nötigen Unterlagenimmer dabei hat, dass er sein Bezie-hungsleben in Ordnung hält usw. Dar-über hinaus können mit ein und der-selben verbalen Mitteilung verschiede-ne Botschaften verbunden sein.SCHULZ von THUN (1981) unter-scheidet den Sach-, Selbstoffenba-rungs-, Appell- und Beziehungschar-akter einer verbalen Mitteilung. AlsBeispiel führt er ein Ehepaar auf einerAutofahrt an. Sie fährt. Plötzlich sagter zu ihr: “Du, die Ampel ist grün!” Die-se schlichte Äußerung beinhaltet eineSachinformation (“Die Ampel istgrün.”), hat wahrscheinlich aber auchSelbstoffenbarungscharakter (“Ichhabe es eilig!”), sagt vielleicht etwasüber die Beziehung aus (“Du brauchstmeine Hilfe.”) und enthält vermutlichden Appell: “Gib‘ Gas!”

Nonverbale Mitteilungen (Mimik,Gestik, Tonfall, Haltung, Nähe-Dis-tanz) begleiten oder ersetzen verbaleMitteilungen. Häufig unterstreichen siedas Gesagte und bestätigen es,manchmal aber geben sie uns zusätz-liche Informationen (etwa über die“wahre” Ausprägung eines Gefühls)oder teilen uns etwas anderes mit, alsgesagt wurde (etwa wenn jemand miteinem traurigen Gesichtsausdruckund einer “belegten” Stimme bekräf-tigt, dass in seinem Leben im Momentalles in Ordnung ist).

Motivational Interviewing - Motivierende Gesprächsführung 27

Veränderungsschritten zu stärken.Viele Patienten sind im Hinblick aufeine Veränderung ihrer Konsum- bzw.Lebensgewohnheiten sehr ambiva-lent. Bei diesen Patienten macht eswenig Sinn, über konkrete Verände-rungsschritte und Problemlösungennachzudenken. Es sollte stattdessenzunächst darum gehen, Umständeund Funktionen des Konsums ken-nenzulernen, Ambivalenzen herauszu-arbeiten und subjektive Gründe füreine Veränderung zu identifizieren undgegebenenfalls zu verstärken. Dazusind die im Folgenden dargestelltenStrategien hilfreich.

Offene Fragen stellen

Zu Beginn einer Auseinandersetzungmit einer möglichen Suchtproblematikist es wichtig, eine Atmosphäre vonAkzeptanz und Vertrauen herzustellen,die es dem Patienten ermöglicht, sichgegenüber dem Therapeuten zu öff-nen. In dieser Phase sollte der Patientdie meiste Zeit reden, während derTherapeut sorgfältig zuhören und da-bei eine ermutigende Haltung einneh-men sollte. Er sollte möglichst frühFragen stellen, die den Patienten an-regen, sich ausführlich zu äußern:

� “Sie hatten sich einverstandenerklärt, mit mir einmal über IhrenAlkoholkonsum zu sprechen. Er-zählen Sie doch mal. Wie siehtdenn ein normaler Tag bei Ihnenaus? Und welche Rolle spielt derAlkohol darin?”

� “Sie haben gesagt, dass Sie nicht zufrieden sind mit Ihrem Beigebrauch.An welcher Stelle stört er Sie?”

� “Sie sind von Ihrem Vorgesetz-ten in unsere Beratungsstelle ge-schickt worden. Was war der An-lass dafür?”

Geschlossene Fragen (auf die der Pa-tient im wesentlichen nur mit “Ja” oder“Nein” antworten kann) sind zwar gutgeeignet, um in aller Kürze viele Infor-mationen einzuholen, sollten aber inder Anfangsphase möglichst vermie-den werden. Sie fördern die Asymme-trie der Helfer-Beziehung und drängenden Patienten zu sehr in eine passiv-regressive Rolle. Diese aber ist im Hin-blick auf die Zielsetzung der therapeu-tischen Gespräche, nämlich eineeigenverantwortliche Veränderung vonKonsumgewohnheiten, kontraproduk-tiv. Bei vielen Klienten genügt ein kur-zer Anstoß, um sie zum Sprechen zubringen, andere sind zurückhaltenderund benötigen mehr Ermutigung. Hat man mit Patienten zu tun, die nurwenig offene Bereitschaft zeigen, ih-ren Suchtmittelkonsum zu thematisie-ren, muss man sehr behutsam undkleinschrittig vorgehen. Es kann sinn-voll sein, beide Seiten der Ambivalenzaktiv anzusprechen oder eine Reihe“neutraler” Fragen zu stellen, die mit-einander in Beziehung stehen. Dazuzwei Beispiele:

� “Erzählen Sie mal von IhremKokainkonsum. Was gefällt Ihnendaran? Und was macht Ihnen Sor-gen?”

� “Wenn Sie einmal Ihr Trinkverhaltenüber die Jahre hinweg anschauen, können Sie daran irgend eine Ver-änderung feststellen? Gibt esetwas, das Sie oder andere Men-schen beunruhigen könnte?”

Offene Fragen sind nicht nur in derAnfangsphase der Auseinanderset-zung mit dem Suchtmittelkonsum,sondern immer dann angezeigt, wennein bislang nicht angesprochener The-menkomplex in den Mittelpunkt rückt(z. B. ein Wechsel vom Thema “Part-

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Zuhörens und vermeiden Sie zunächstweitere Fragen. Fragen zu stellen istfür Berater einfacher, als aktiv zuzuhö-ren, man gerät dann allerdings auchleicht in die Frage-Antwort-Falle. Die-se wiederum ist eher geeignet, Wider-stand zu wecken, als selbst-motivierende Aussagen hervorzubrin-gen.”

Bestätigen

Vielen Professionellen fällt es leichter,negative Entwicklungen, defizitäreSymptome und Schwächen ihrer Pa-tienten zu erkennen, als positive (Teil-)Verläufe, ”gesunde” Anteile und Stär-ken. Dies hängt zum einen mit derRollenverteilung innerhalb der hel-fenden Beziehung zusammen: es gibteinen Helfer und einen, der Hilfe benö-tigt. Zum andern spiegelt sich darinaber auch eine symptomorientierteGrundhaltung und verkürzte Sicht-weise gegenüber dem Patienten wi-der: der Patient wird nicht als Mensch,sondern als Träger eines Symptoms(“Der Magen in Zimmer 14!”) betrach-tet. Mag eine solche Haltung bei der Operation eines Kreuzbandrissesnoch ausreichend sein, so stößt siebei der Behandlung und Problemati-sierung von Suchterkrankungen sehrschnell an ihre Grenzen. Hier wirdnämlich umgehend deutlich, dass eineBesserung oder Heilung der Krankheitnur mit den Kompetenzen des Patien-ten zu erreichen ist. Bei LUBAN-PLOZZA u. a. (ebd.) finden wir dazudie folgende Aussage eines Arztesgegenüber seinem Patienten: “Ichkann Ihnen nicht helfen. Sie könnensich nur selbst helfen. Aber lassen Sieuns gemeinsam besprechen, wie ichIhnen dabei helfen kann”.Diese Erfahrungen bilden den Hinter-grund einer dritten Strategie, des

Bestätigens. Bestätigen bedeutet,den Patienten ”zu loben und ihm An-erkennung und Verständnis entgegen-zubringen” (MILLER & ROLLNICK,ebd.). Dies kann sich auf aktuelleEreignisse im Leben des Patientenbeziehen, aber auch auf vergangene.Viele Patienten, die heute Suchtpro-bleme haben, haben in der Vergan-genheit schwierige Lebenssituationenbewältigt. Dies zu erkennen und demPatienten widerzuspiegeln, kann sei-nen Glauben an die Fähigkeit, kom-mende Aufgaben zu meistern, enormsteigern. Einige Beispiele für bestäti-gende Äußerungen (angelehnt an MIL-LER & ROLLNICK, ebd.):

� Ich finde es prima, dass Sie etwasbezüglich Ihres Problems tun wol-len.

� Das muss sehr schwer für Siegewesen sein.

� Mit Sicherheit sind Sie ein starkerMensch, wenn Sie es geschafft ha-ben, mit diesem Problem so langezu leben und dabei nicht ins Ab-seits zu rutschen.

� Es muss für Sie schwer sein, tag-täglich ein Leben voller Stress zuakzeptieren. Ich muss schon sa-gen, wenn ich an Ihrer Stelle wäre,würde ich das auch ganz schönschwierig finden. Und ich glaube,das ist auch der Grund, weswegenSie hier sind - weil Sie diese Formvon Stress nicht mehr länger ertra-gen wollen.

� Mir kommt es so vor, als seien Sieeine wirklich energische und wil-lensstarke Person. Sie mögen es,mit anderen Leuten Spaß zu habenund sie zum Lachen zu bringen. Sogesehen, ist es hart, darüber nach-zudenken, mit dem Trinken aufzu-hören.

Motivational Interviewing - Motivierende Gesprächsführung 29

Die konkreten Beziehungserfahrun-gen, Vorinformationen und Erwartun-gen stellen für uns eine Art Hinter-grundfolie dar, auf der wir das Mitge-teilte einzuordnen und zu bewertenversuchen. Passt diese Mitteilung indas Bild, das ich bislang vom Patien-ten hatte? Ist es das, was ich erwartethatte, dass er antworten würde?Wenn nicht, merken wir auf und hakenvielleicht noch einmal nach.MILLER & ROLLNICK (ebd.) erläuterndiesen Entscheidungsprozess: “Umaktiv zuzuhören, müssen Sie zuerstlernen, entsprechend zu denken. Dasbedeutet vor allem, sich klar zu ma-chen, dass die Bedeutung, die Sie ei-ner Klientenäußerung geben, nicht un-bedingt mit der des Klienten überein-stimmt ... Aktives Zuhören heißt dann,Ihr Verständnis der Mitteilung zu über-prüfen, anstatt es von vornherein fürdas einzig Richtige zu halten. Sielegen dem Klienten gewissermaßenIhr Verständnis seiner Aussagen zurPrüfung vor.”Es lassen sich verschiedene Formenunterscheiden, in denen Aktives Zu-hören gestaltet wird. Sie unterschei-den sich vor allem im Hinblick auf dieNähe, die damit zum Patienten er-zeugt wird:1. Frage: „Wie fühlen Sie sich dabei?”

– wahrt Distanz2. Hypothetische Frage: „Hat Sie das

sehr geärgert?” – schafft relativeNähe

3. Feststellung: „Das hat Sie sehrgeärgert!” – schafft Nähe

Alle drei Formen sind im Rahmenmotivierender Gesprächsführunggrundsätzlich nützlich. Die Frage, wel-che der drei zu einem gegebenenZeitpunkt einzusetzen ist, muss spon-tan entschieden werden und hängt abvon der Stabilität der Beziehung, derDynamik des bisherigen Gesprächs-

verlaufs und der “Bedrohlichkeit” desjeweiligen Themas. Insbesondere im Umgang mit Wider-standsäußerungen ist aktives Zuhörengeeignet, den Kontakt nicht abbre-chen zu lassen, ohne dabei das Wi-derstandsthema zu ignorieren. Dazudrei (idealtypische) Beispiele (in Anleh-nung an MILLER & ROLLNICK ebd.) :

� Patient: „Sie haben doch über-haupt keine Ahnung, was esbedeutet, ”drauf” zu sein!”Therapeut: „Sie fühlen sich von mirnicht richtig verstanden.” (EinfacheReflexion)Patient: „Genau!”

� Patient: „Ich könnte gar nicht auf-hören. Was würden meine Freundedenken?”Therapeut: „Es könnte tatsächlichsehr hart für Sie werden, über-haupt irgend etwas zu verändern.”(Überzogene Reflexion) Patient: „Na ja, so ist es nun auchwieder nicht.”

� Patient: „Okay, vielleicht habe ichein paar Probleme mit dem Alko-hol, aber ich bin kein Alkoholiker.Therapeut: Sie haben kein Problemdamit, zu sehen, dass Ihnen IhrTrinkverhalten nicht gut tut, aberSie wollen nicht mit einem ”Etikett”versehen werden.” (Reflexion derAmbivalenz)Patient: „Genau!”

Abschließend noch einmal MILLER &ROLLNICK (ebd.): „Wir empfehlen,dem aktiven Zuhören gerade in derAnfangsphase einer Beratung großeBedeutung beizumessen. Insbe-sondere sollten selbstmotivierendeAussagen in dieser Weise gespiegeltwerden. Wenn Sie eine offene Fragegestellt haben, reagieren Sie auf dieAntwort des Klienten im Sinne aktiven

28 Motivational Interviewing - Motivierende Gesprächsführung

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kommen Menschen von einer solchenAngewohnheit los?”4. Zuversicht: „Ich glaube, ich schaffe

es.” „Jetzt, da ich mich entschie-den habe, bin ich sicher, dass ichmich verändern kann.” / „Ich bindabei, mit diesem Problem fertig zuwerden.”

Viele Patienten müssen in Richtungsolcher Aussagen angeregt bzw. er-mutigt werden, insbesondere diejeni-gen, die deutliche Ambivalenzen hin-sichtlich ihres Suchtmittelkonsums

aufweisen. Hier stehen dem Arzt ver-schiedene Möglichkeiten der Einfluss-nahme zur Verfügung. Eine direkteMethode ist die, den Patienten offennach selbstmotivierenden Einschät-zungen zu fragen. Nicht, ob er sichSorgen macht, sondern welche Sor-gen das sind. MILLER & ROLLNICK(ebd.) schlagen eine Reihe von offe-nen Fragen zu allen vier Kategorienselbstmotivierender Aussagen vor (s. Kasten).

Motivational Interviewing - Motivierende Gesprächsführung 31

� Sicherlich müssen Sie im Momentmit einer Vielzahl von Problemen fer-tig werden mehr als andere Leute.Dass Sie sich manchmal so sehr nacheiner Aufmunterung, nach einer Entla-stung sehnen, kann ich gut verstehen.

Selbstmotivierende Aussagenhervorrufen

Motivierende Gesprächsführung be-deutet, dem Patienten dabei zu hel-fen, seine individuellen Gründe für eineVerhaltensänderung zu finden. DieseSelbstmotivation ist es, die eine Ab-sicht zur Verhaltensänderung langfri-stig trägt. Wenn man das soziale Um-feld von abhängigkeitskranken Men-schen betrachtet, dann trifft man oft-mals auf Angehörige, Freunde, Kolle-gen usw., die zu wissen meinen, wa-rum der Betroffene möglichst baldetwas an seinem Verhalten ändernmüsse und was diese Änderung bein-haltet. Diese “Fremdmotivation” gilt eszunächst einmal zu erkennen undnicht mit Eigenmotivation zu verwech-seln. Fremdmotivation ist in den mei-sten Fällen mit Widerstand verbun-den: der Patient wehrt sich gegen eineBevormundung. Diesen Widerstandmuss man als Behandler ernst neh-men und dem Patienten verständnis-voll widerspiegeln. So könnte einSuchtberater Folgendes zu einem sei-ner Klienten sagen: „Ich sehe, dass Ihre Frau sehr vielInteresse hat, dass Sie mit dem Trin-ken aufhören. Sie war es ja auch, diemich letzte Woche wegen Ihres Alko-holkonsums angesprochen hat. Dasist ja bestimmt jetzt für Sie keine ange-nehme Situation. Ich kann mir vorstel-len, dass Sie sich ganz schön unterDruck fühlen.”Erst dann ist es möglich, mit demPatienten über seine eigene Einschät-

zung seines Alkohol- (oder anderen)Konsums zu sprechen, möglichst be-ginnend mit einer offenen Frage (s. o.):

„Mich würde interessieren, wie Sie dieDinge sehen. Wie sieht denn ein nor-maler Tag bei Ihnen aus. Und welcheRolle spielt da der Alkohol?”

Im günstigen Fall wird der Patient nunvom Ärger auf seine Frau ablassenund eigene Gedanken bzw. Sorgenbezüglich seines Alkoholkonsumsberichten.

Selbstmotivierende Aussagen kom-men selten in direkter Form zur Spra-che. Oft sind sie verschlüsselt, tau-chen nur im Nebensatz auf oder ver-mitteln sich nonverbal. Therapeutensollten in dieser Hinsicht sehr wach-sam sein und einen gewissen krimina-listischen Spürsinn aufbringen.

Wir können vier Bereiche unterschei-den, in denen selbstmotivierende Aus-sagen eine Rolle spielen:

1. Problembewusstsein: Mögliche Äu-ßerungen von Patienten [alle nachMILLER & ROLLNICK, ebd.]: „Ichdenke, das Problem ist größer alsich dachte.” / „Ich habe noch niewirklich realisiert, wieviel ich eigent-lich trinke.” / „Das ist ernst!” /„Wahrscheinlich bin ich ziemlichviele dumme Risiken eingegangen.”

2. Ausdruck von Besorgnis: „Ich bindeswegen wirklich in Sorge.” / „Wiekonnte mir das nur passieren? Ichfasse es nicht!” / „Ich fühle michvöllig hilflos.”

3. Veränderungsabsicht: „Ich glaube,es wird Zeit für mich, über das Auf-hören nachzudenken.” / „Ich mussin dieser Hinsicht etwas unterneh-men.” / „So will ich nicht sein. Waskann ich tun?” / „Ich weiß nochnicht, wie ich es anstellen soll, aberich muss was verändern.” / „Wie

30 Motivational Interviewing - Motivierende Gesprächsführung

Offenen Fragen zur Förderung selbstmotivierender Aussagen (nach MILLER & ROLLINCK, ebd.)

1. ProblembewusstseinWas bringt Sie auf den Gedanken, dass es sich um ein Problem handelt?Welche Schwierigkeiten haben Sie wegen des Drogengebrauchs bekommen?Inwiefern war das ein Problem für Sie?Wie hat der Gebrauch von Tranquilizern Sie dazu gebracht, nicht mehr das zu tun, was Sie wollen?

2. BesorgnisInwiefern ist Ihr Trinken für Sie selbst oder andere Menschen Anlass zur Sorge?Was ängstigt Sie an Ihrem Drogengebrauch?Was stellen Sie sich vor, könnte mit Ihnen geschehen, wenn Sie so weiter machen?Wie sehr versetzt Sie das in Sorge?Auf welche Weise beunruhigt Sie das?

3. VeränderungsabsichtWas veranlasst Sie zu der Annahme, dass Sie sich verändern müssen?Angenommen, Sie wären zu hundert Prozent erfolgreich und alles würde genausolaufen, wie Sie es sich wünschen, was wäre der Unterschied zur augenblicklichenSituation?Was spricht dafür, in Zukunft weiter zu konsumieren wie bisher? Und was ist mitder anderen Seite? Was spricht dafür, etwas zu verändern?Welche Vorteile würde eine Veränderung bringen?Ich habe den Eindruck, dass Sie sich im Moment festgefahren fühlen. Was müsste sich denn ändern?

4. ZuversichtWas gibt Ihnen die Kraft zu glauben, dass Sie sich verändern könnten, wenn Siees wollten?Was würde Ihres Erachtens für Sie arbeiten, wenn Sie sich verändern würden?

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Eine letzte Strategie schließlich, diedazu dienen soll, selbstmotivierendeAussagen hervorzurufen, besteht dar-in, diagnostische Befunde fachge-recht zu nutzen. Dazu ein Beispiel ausder medizinischen Versorgung. Kör-perliche Erkrankungen oder Störun-gen sind häufig Motoren eines Ver-änderungsprozesses. InsbesondereMenschen, die von einer Substanznicht abhängig sind, sondern eherdem Spektrum riskanten oder schädli-chen Konsums zuzurechnen sind,können von einem sachlichen Ge-spräch über ihre somatische Verfas-sung, über einzelne pathologische Pa-rameter bzw. über körperliche Risiken,denen sie sich aussetzen, enorm pro-fitieren. Die „somatische Krise” ist einbedeutender motivationaler Faktor imHinblick auf eine Veränderung vonKonsumgewohnheiten. Der Arzt mussallerdings darauf achten, dass er diediagnostischen Befunde in einer Artund Weise rückmeldet, die auf Be-werten, Moralisieren und Schüren vonAngst verzichtet. Statt dessen sollte erdie ihm zur Verfügung stehendenInformationen sachlich vermitteln unddie Reaktion des Patienten beobach-ten bzw. erfragen. Ein kurzer Dialogkönnte sich folgendermaßen anhören:

Arzt: „Ja, Herr Müller, ich hatte Ihnenbeim letzten Termin Blut abgenom-men, und hier sind nun die Werte. ImGroßen und Ganzen normal, nur einLeberenzym ist erhöht. Sehen Sie hier,H -GT liegt bei 180, normal wärehöchstens 30. Der H -GT-Wert steigtin der Regel dann an, wenn man übereinen längeren Zeitraum mehr Alkoholtrinkt, als die Leber abbauen kann.Wie hört sich das für Sie an?”Patient: „Na ja, okay, manchmal wird’sschon etwas mehr, aber Sie müssenauch sehen, was ich für einen Stress

in der Firma habe. Dass man da malam Abend ein paar Bierchen zum Ent-spannen trinkt, also das würden Sieauch tun.”Arzt: „Okay, Herr Müller, ich möchtedas gleich einmal im Detail mit Ihnenbesprechen. Ich merke aber schon,dass das für Sie kein einfaches Themaist. Mir ist es wichtig zu sagen, dassich Sie damit nicht belästigen möchte.Ich will Ihnen auch nichts einreden.Meine Aufgabe sehe ich darin, einegute Diagnostik durchzuführen undIhnen Informationen anzubieten überRisiken, über Ursachen von bestimm-ten Symptomen und - wenn nötig -auch über spezifische Behandlungs-möglichkeiten. Ihre Aufgabe wäre es,daraus Konsequenzen zu ziehen. Wasmeinen Sie, können wir weiterma-chen?”Patient: „Ist schon in Ordnung.”In diesem kurzen fiktiven Dialog ist esdem Arzt gelungen, einen diagnosti-schen Befund sachlich zu vermittelnund die Reaktion des Patienten (Wi-derstand: Bagatellisieren) konstruktivin seine nachfolgende Interventioneinzubauen, indem er seine eigeneRolle definiert und die persönlicheEntscheidungsfreiheit des Patientenbetont hat (s. u. Strategien zum Um-gang mit Widerstand). Es bedeutet für viele professionelleHelfer eine große Herausforderung,selbst bei deutlichsten Befunden einerespektvoll-sachliche Distanz zu wah-ren, die Gesprächsführung nicht ausder Hand zu geben und die Verant-wortung für eine Veränderung vonKonsumgewohnheiten beim Patientenzu belassen.

Zusammenfassen

Regelmäßige Zusammenfassungen –etwa zwischen zwei Gesprächsblök-

Motivational Interviewing - Motivierende Gesprächsführung 33

Eine zweite Strategie, selbstmotivie-rende Aussagen hervorzurufen, istdas Erstellen einer Vorteil-Nachteil-Waage. Der Patient erstellt allein (imambulanten Bereich eignet sich dieseStrategie hervorragend als „Hausauf-gabe”) oder gemeinsam mit dem The-rapeuten eine Vier-Feld-Matrix mitVorteilen und Nachteilen der gegen-wärtigen Situation sowie Vorteilen undNachteilen einer Veränderung der Kon-sumgewohnheiten (s. o.). Geschiehtdies in einer respektvoll-sachlichen At-mosphäre, die allen Aspekten genü-gend Wertschätzung erlaubt, dannführt es häufig dazu, dass Patienteneigene Sorgen zulassen und ein wenigWiderstand aufgeben können. Hier istes dann wichtig, die Sorgen möglichstkonkret zu benennen und von einervorsichtig abstrakt geäußerten Be-sorgnis (z. B. „Mit der Familie läuft esnicht so gut.”) hin zu einer detailliertenBeschreibung und Auflistung aller re-levanten beunruhigenden Entwicklun-gen zu kommen. In diesem Zusam-menhang kann es in Einzelfällen sehrhilfreich sein, wenn der Therapeut füreine gewisse Zeit (und mit der gebote-nen inneren Distanz) nur eine Seite derWaage vertritt, etwa diejenige der Vor-teile der gegenwärtigen Situation.Derartige „paradoxe Interventionen”führen oft zu einer Zuspitzung von Dis-krepanzen und einer stärkeren Beto-nung der anderen – veränderungsori-entierten - Waagschale auf Seiten desPatienten. Es kann sinnvoll sein, diePatienten um eine Bewertung undHierarchie ihrer Sorgen zu fragen odersie aufzufordern, sich die unange-nehmsten Konsequenzen vorzustel-len. Dies kann insbesondere bei sol-chen Patienten nötig sein, die sich ineiner scheinbar völlig chaotischen Le-benssituation befinden. Fragen könn-ten hier sein: „Was beunruhigt Sie am

meisten?” oder: „Was wäre dasSchlimmste, das passieren könnte,wenn Sie nichts veränderten?”

Eine weitere Strategie besteht darin,den Patienten zu bitten, sich seine früheren Lebensumstände - vor Auf-treten der heutigen Probleme - vorzu-stellen, oder zu versuchen, sich einBild davon zu machen, wie eine bes-sere Zukunft aussehen könnte. DerVergleich von Vergangenheit und Zu-kunft mit der gegenwärtigen Situationkann bedeutende motivierende As-pekte hervorrufen. Hier entwickeln Pa-tienten häufig ein Bewusstsein davon,welche Werte und Güter in ihrem Le-ben wesentlich sind und welche nicht.Viele ehemals Abhängige haben denÜbergang in stabilere Phasen vollzo-gen und aufrecht erhalten, weil sie imLaufe der Auseinandersetzung mitihrem Suchtmittelkonsum „höhere”Werte entdeckt und ausgebaut ha-ben, von denen ein ständiger Zug inRichtung Veränderung ausging. Dies-bezügliche Fragen des Therapeutenkönnten folgendermaßen lauten (nachMILLER & ROLLNICK, ebd.), zunächstzu früheren Lebenserfahrungen: „Kön-nen Sie sich an eine Zeit erinnern, inder für Sie alles gut lief? Was hat sichseitdem verändert?” / „Wie ging es zu,bevor Sie so stark anfingen zu trin-ken? Was waren Sie damals für ei-ner?” / „Wie hat der DrogenkonsumSie darin gehindert, sich weiter zuentwickeln?” Zur Zukunft: „Wenn Siesich tatsächlich dazu entschließensollten, sich zu verändern, welcheHoffnungen verbinden Sie damit fürdie Zukunft?” / „Welche Dinge würdenSie gern zu ihren Gunsten verändertwissen?” / „Ich merke, dass Sie imMoment sehr enttäuscht sind. Washätten Sie gern anders?” / „Was kämeim günstigsten Fall für Sie dabei her-aus, wenn Sie sich veränderten?”

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Es ist im Einzelfall spontan zu prüfen,welche Strategie eingesetzt werdensollte. (Alle Beispiele im folgenden ausMILLER & ROLLNICK, ebd.)

Den Fokus verschieben

Hier geht es darum, die Aufmerksam-keit des Patienten vom Widerstandweg zu lenken. Man geht gewisser-maßen um den Widerstand herum,nimmt ihn zwar ernst, steigt auf das„Angebot” des Patienten aber nichtein. Diese Strategie sollte insbesonde-re dann eingesetzt werden, wenn einAspekt zur Sprache kommt, der imHinblick auf eine Förderung der Verän-derungsmotivation oder eine Umset-zung konkreter Veränderungsschritteunwesentlich ist. Ein Beispiel:Patient: „Okay, vielleicht habe ich einpaar Probleme mit dem Alkohol, aberich bin kein Alkoholiker.”Arzt: „Ich glaube nicht, dass dies daseigentliche Problem ist, und ich möch-te nicht, dass Sie sich darüber Sorgenmachen. Mir ist es nicht wichtig, obSie sich für einen Alkoholiker haltenoder nicht. Vielmehr mache ich mir -genau wie Sie - Sorgen wegen einigerDinge, die in Ihrem Leben geschehensind. Erzählen Sie doch bitte ein wenigmehr über ...”

Zustimmung mit einer Wendung

Hier geht es darum, dem Patienten imGrundsatz zuzustimmen, aber seinerÄußerung eine kleine, fast unmerkli-che Wendung bzw. Richtungsände-rung zu verleihen. Dies geschieht inder Überzeugung, dass das Themazwar wichtig ist, in der vorgetragenenForm aber eher destruktiv und hem-mend wirkt. Man stimmt also zu, aller-dings mit der Absicht, das angespro-

chene Thema mit der zugefügtenWendung konstruktiver behandeln zukönnen.

Patient: „Warum kümmern Sie undmeine Frau sich eigentlich nur ummein Trinken? Was ist mit ihren Pro-blemen? Sie würden auch trinken,wenn Ihre Familie Sie dauernd quälenwürde.”Arzt: „Sie sprechen da etwas an, demich wahrscheinlich bisher zu wenigAufmerksamkeit geschenkt habe. Esgeht um mehr als Ihr persönlichesTrinkverhalten. Probleme mit Alkoholhaben meistens etwas mit der ganzenFamilie zu tun. Wir sollten das nichtvergessen.”

Umformen und anders beleuch-ten

Diese Strategie ist dadurch gekenn-zeichnet, dass die Äußerungen desPatienten unter einem anderen Blick-winkel betrachtet werden. Das ist be-sonders in solchen Situationen ange-zeigt, in denen sich Therapeut undPatient zwar über die Sache einigsind, bezüglich ihrer Bedeutung undder daraus zu ziehenden Konsequen-zen aber nicht. Die Einschätzungendes Klienten werden zwar ernstgenommen, aber in einer Form neuinterpretiert, die eine Entwicklung inRichtung Veränderung eher unter-stützt. Eine günstige Gelegenheit zurNeuformulierung bietet z. B. das Phä-nomen der Toleranzentwicklung. DazuMILLER & ROLLNICK (ebd.): „StarkeTrinker berichten in der Regel, dasssie ‚mehr vertragen‘ als andere Men-schen ... Starke Trinker konsumierenregelmäßig Alkoholmengen, die aus-reichen, beträchtliche körperlicheSchäden zu verursachen, ohne dass

Motivational Interviewing - Motivierende Gesprächsführung 35

ken, am Ende eines Gesprächs, amAnfang des nächsten – stärken dasGefühl des Verstandenwerdens aufseiten des Patienten. Sie differenzie-ren zwischen Wesentlichem und Un-wesentlichem, geben Therapeutenund Patienten strukturiertes Materialan die Hand und fungieren als Kon-trollmechanismen des Arbeitsbünd-nisses. Zusammenfassungen verstär-ken, was gesagt wurde, zeigen denPatienten, dass ihnen zugehört wur-de, und leiten über zu einer anderenGesprächsphase. Auch hier handeltes sich nicht um einen passiven Pro-zess, der Therapeut entscheidet, wel-che Aspekte des Gesprächs er in eineZusammenfassung aufnimmt undwelche nicht. Der Ton ist kooperativ,er erlaubt den Patienten, etwas hinzu-zufügen oder zu korrigieren.

Zusammenfassungen werden in ihrerBedeutung oftmals unterschätzt. Ge-rade Patienten mit Suchterkrankun-gen sind in ihren Gedankengängenhäufig sehr unstrukturiert. Es werdenselbst in einem kurzen Gespräch soviele Aspekte angesprochen, dass essowohl für Therapeuten als auch fürPatienten (zumindest am Ende desGesprächs) ausgesprochen hilfreichist, die wichtigsten Gesprächsinhaltenoch einmal zusammenzutragen.Wichtig ist es hier vor allem, aufge-tauchte Ambivalenzen und Dis-krepanzen deutlich zu benennen. EineZusammenfassung zwischen zweiGesprächsblöcken könnte sich fol-gendermaßen anhören (nach MILLER& ROLLNICK, ebd.) :

„Es hört sich an, als wären Sie zwi-schen zwei Zuständen hin und hergerissen. Einerseits sind Sie sehrbeunruhigt, dass Sie durch Ihr TrinkenIhrer Familie zusetzen und dass IhreArbeit ebenfalls in Mitleidenschaftgezogen wird. Sie sind besonders

darüber erstaunt, dass Ihnen zweiFreunde unabhängig voneinander inderselben Woche sagten, dass siesich Sorgen machten wegen IhresTrinkens. Gleichzeitig halten Sie sichnicht für einen Alkoholiker und habenfestgestellt, dass Sie eine ganzeWoche lang ohne Alkohol auskommenkönnen, ohne dabei irgendeine Beein-trächtigung zu bemerken. Habe ichSie richtig verstanden?”

V. Strategien zumUmgang mit Wider-stand

Ausgehend von der Annahme, dassWiderstand keine Charaktereigen-schaft von Suchtkranken ist (man fin-det Widerstandsphänomene beinahezu allen körperlichen und psy-chischen Störungen), sondern in derInteraktion zwischen Therapeut undPatient entsteht, somit in Auftretenund Ausmaß prinzipiell beeinflussbarist, bietet die motivierende Ge-sprächsführung verschiedene Strate-gien zum Umgang mit bzw. zur Ver-meidung von Widerstand an. Vier Strategien zum Umgang mitWiderstand wurden schon weiteroben vorgestellt: „Einfache Reflexion”,„Überzogene Reflexion” und „Refle-xion der Ambivalenz” im Zusam-menhang mit aktivem Zuhören sowie„Persönliche Entscheidungsfreiheitund Selbstkontrolle betonen” imZusammenhang mit der Vermittlungdiagnostischer Befunde. Darüber hin-aus sollen hier noch vier weitere Stra-tegien vorgestellt werden, die sich alsReaktion auf Äußerungen des Wider-stands bewährt haben. Grundsätzlichgilt, dass keine der genannten Strate-gien in jeder Situation angemessen ist.

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ich mein Leben nicht auch ohne Alko-hol in den Griff bekäme ...”Alle Strategien zum Umgang mit Wi-derstand dienen dazu, den Kontaktzum Patienten zu halten und die Aus-einandersetzung mit der Suchtmittel-problematik nicht abreißen zu lassen.Konstruktiv mit dem Widerstand um-gehen, bedeutet für den Therapeutenoft, einen Schritt zurückzutreten, dasTempo der Problemlösung zu verlang-samen und/oder seine Richtung zu än-dern. In diesen Fällen ist es die vorran-gige Aufgabe des Therapeuten, sich inseiner Expertenrolle nicht gekränkt zufühlen, sondern den Patienten auf sei-nem Veränderungsweg zu begleiten.

VI. Strategien zur Ein-leitung konkreterVeränderungs-schritte

Wenn es gelungen ist, die Verände-rungsmotivation des Patienten zustärken und ein konkretes Verände-rungsinteresse zu wecken, dann folgtdaraus konsequenterweise die Ent-wicklung eines konkreten Verände-rungsplans. Zunächst aber gilt es, denrechten Zeitpunkt für den Übergang indieses Stadium der Gespräche zuerkennen. MILLER & ROLLNICK(ebd.) geben einige Hinweise, woranman erkennen kann, ob ein Patientsich für konkrete Veränderungsschrit-te entschieden hat (s. Kasten ).

Motivational Interviewing - Motivierende Gesprächsführung 37

sie diese sofort spüren oder sehen.Folglich fehlt den Betroffenen das nor-male Warnsystem, das einen voreinem Trinkexzess bewahrt. An dieserStelle bietet sich für den Therapeutendie Gelegenheit, Einschätzungenumzuformen und anders zu beleuch-ten.” Die Umformulierung könnte sichhier in den Worten des Therapeutenetwa folgendermaßen anhören (nachMILLER & ROLLNICK, ebd.): Patient: „Ich trinke viel mehr als meineKumpels und bin immer noch nichtbesoffen.” Therapeut: „Ich weiß nicht, ob Sie daswissen - viele Menschen wissen esnicht -, aber das ist gerade ein Grundzur Sorge. Sehen Sie mal, norma-lerweise trinkt jemand ein oder zweiDrinks und merkt dann allmählich dieWirkung. Er belässt es dann dabei. Ir-gendwas in ihm sagt ihm, dass esjetzt genug ist. Aber einige Menschenhaben - unglücklicherweise - das, waswir eine ‚erhöhte Toleranz‘ nennen.Ihnen fehlt das normalerweise einge-baute Warnsystem. Vielleicht kamensie schon so auf die Welt, vielleichthaben sie es im Laufe des Lebens ver-loren - warum es so ist, kann niemandsagen. Das Ergebnis allerdings ist,dass sie sich selbst schaden, ohne eszu merken.”

Paradoxe Intervention

Paradox intervenieren bedeutet, dasGegenteil von dem zu „verschreiben”,was man eigentlich beabsichtigt.Wenn man also den Patienten dazubewegen will, sein Trinkverhalten zuverändern, empfiehlt man ihm, soweiterzumachen wie bisher. Der Effektkann sein, dass die in diesem Momentvom Patienten erlebte Konsequenz einUmdenken und Gegensteuern er-zeugt. Aus der Kommunikationspsy-

chologie ist außerdem bekannt, dassdie Empfehlung, etwas Bestimmtes zutun, quasi automatisch – im Sinne ei-nes Autonomie-Reflexes und unab-hängig vom Inhalt – Impulse in die Ge-genrichtung provoziert. Beide Aspek-te, bewusster erlebte Konsequenz undAutonomie-Streben, begründen einegewisse Erfolgswahrscheinlichkeit pa-radoxer Interventionen. Man sollte die-se Strategie allerdings nur sehr be-dacht einsetzen. Sie kann auch insGegenteil umschlagen und dem Pa-tienten den Eindruck vermitteln, dasser nicht ernst genommen wird. Para-doxe Interventionen also nur in einerstabilen Therapeut-Patient-Beziehung!Ein Beispiel (nach MILLER & ROLL-NICK, ebd.):

Therapeut: „Sie erinnern sich, dass wirüber die Vor- und Nachteile des Trin-kens gesprochen haben, und obwohlSie mir einige Gründe genannt haben,warum Alkohol Ihnen Unannehmlich-keiten bereitet, glaube ich heraus zuhören, dass bei Ihnen immer noch dieVorteile überwiegen. Sie sind durchausglücklich mit ihrem Trinken, und Siewollen das im Grunde nicht verändern.Das ist eine Entscheidung, die Sieallein treffen, und vielleicht ist es auchdas, was Sie tun sollten. Sicher, eswürde schwer für Sie werden, IhrTrinkverhalten zu verändern, vielleichtzu schwer für Sie. Vielleicht könntenSie es auch gar nicht tun, selbst wennSie es wollten. Der Punkt ist der, dasses sich so anhört, als wollten Sie inWirklichkeit so weiter trinken wie bis-her, oder sogar noch mehr. Vielleichtist es ja das, was Sie brauchen. Viel-leicht brauchen Sie den Alkohol, umdas Leben überhaupt zu bewältigen.”

Im günstigen Fall antwortet der Patientnun: „Na ja, so ist es ja nun auch wie-der nicht. Das wäre ja gelacht, wenn

36 Motivational Interviewing - Motivierende Gesprächsführung

Anzeichen für Veränderungsbereitschaft

� Nachlassender Widerstand. Die Patienten beenden das Argumentieren, Unter-brechen oder Verleugnen usw.

� Weniger Fragen zur Problematik. Die Patienten haben anscheinend genügendInformationen zu ihren Problemen und stellen keine Fragen mehr.

� Entschluss Die Patienten haben offensichtlich einen Entschluss gefasst und wir-ken ruhiger, friedvoller, entspannter und/oder entlasteter. Diese Entwicklung trittmanchmal dann ein, wenn sie gerade eine Phase der Trauer und des Schmer-zes durchlebt haben.

� Selbstmotivierende Äußerungen. Die Patienten erkennen ein Problem ("Ichschätze, das ist ernst."), sind offen für Veränderungen ("Ich müsste etwas tun."),sind besorgt ("Das beunruhigt mich.") oder voller Optimismus ("Ich werde dasschaffen!").

� Häufige Fragen zur Veränderung. Die Patienten fragen, was sie gegen diesesProblem tun könnten, oder was andere Menschen dagegen tun.

� Zukunftsphantasien, Ausblicke. Die Patienten sprechen darüber, wie das Lebennach einer Veränderung aussehen könnte, welche Schwierigkeiten auf siezukommen könnten oder welche Vorteile eine Veränderung hätte.

� Experimente. Wenn die Patienten zwischen den Beratungssitzungen Zeithaben, machen sie erste Versuche mit Veränderungen, gehen z. B. zu Treffenvon Selbsthilfegruppen, trinken einige Tage gar nichts oder lesen ein Selbsthil-febuch o.ä.

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sprochen - genügend Alkohol in IhremBlut sein muss, um Sie zu beein-trächtigen und einigen Schaden anzu-richten. Sie wollen schonend mit sichumgehen und sind besorgt über IhreGesundheit. Die von uns durchgeführ-ten Blutanalysen zeigen, dass Ihr Kör-per durch das Trinken Schadengenommen hat ... Sie haben bereitseinige Probleme aufgezählt, die mitdem Alkohol zusammenhängen, undes gibt einige Anzeichen, dass Sie imBegriff stehen, eine Abhängigkeit zuentwickeln. Gleichzeitig halten Sie sichnicht für einen Alkoholiker, und früherhaben Sie gedacht, solange Sie keinAlkoholiker sind, brauchen Sie sichauch um nichts, was mit dem Trinkenzusammenhängt, Sorgen zu machen.Sie hatten einige schlimme Kater, Siesind besorgt wegen des Einflussesdes Alkohols auf Ihr Erinnerungs-vermögen, und Ihre Testergebnissezeigen, dass Ihre Sorgen berechtigtsind. Ihre Werte ähneln denen starkerTrinker, in auffallendem Kontrast zuIhrer ansonsten hohen Intelligenz. Ichweiß, dass Sie sich darüber Gedankengemacht haben, inwiefern Ihr Trinkendem Ihres Vaters gleicht, und das istbeunruhigend. Wir sprachen über IhreFamiliengeschichte, und dass Siewahrscheinlich einem höheren Risikoals die meisten anderen Menschenausgesetzt sind, durch Alkohol ge-schädigt zu werden. Sie wollen vor al-lem sichergehen, dass Ihr Trinken IhrerFamilie nicht schadet, denn Sie wis-sen, was das bedeutet. Ist das einegute Zusammenfassung?”

K: „Ja, außer dass ich, bevor ich hier-her kam, nicht wirklich gedacht habe,ich würde mehr als andere Menschentrinken.”

T: „Es hatte für Sie den Anschein,dass Ihr Trinken völlig normal wäre.”

K: „Gut, vielleicht nicht normal, aberauch nicht ungewöhnlich. Ich hatteeinfach noch nicht darüber nachge-dacht.”

T: „Aber nun denken Sie darübernach. Ich habe Ihnen eine Menge In-formationen gegeben, und ein paardavon sind ziemlich hart. Was machenSie nun damit?”

Sog. Schlüsselfragen (“Was bedeutetdas jetzt für Sie?”/ „Wohin könnte esnun gehen?`”/ „Was, meinen Sie,müsste sich verändern?” usw.) dienendazu, auf der Basis der vom Patientenanerkannten guten Gründe für eineVeränderung seiner Konsumgewohn-heiten den Übergang in die konkreteUmsetzung einzuleiten. Sie unterstrei-chen die Eigenverantwortung desPatienten und verhindern so, dass derTherapeut für den Patienten Lösungs-wege entwickelt, die diesem nichtangemessen sind.

Häufig fragen Patienten in dieser Pha-se, was sie denn nun tun sollen. Hiersollte sich der Therapeut nicht zueinem vorzeitigen Ratschlag „verfüh-ren” lassen (“Sicherlich kann ich Ihnensagen, was ich denke, wenn Sie daswirklich wissen wollen. Aber ichmöchte nicht, dass es Ihnen so vor-kommt, als ob ich Ihnen vorschreibenwürde, was Sie tun sollen. Es würdemich zum jetzigen Zeitpunkt viel mehrinteressieren, was Sie für eigene Ideenhaben. Meine kann ich Ihnen dannimmer noch sagen.”). Er sollte sichzunächst darauf beschränken, Infor-mationen über mögliche Verände-rungsalternativen zu geben. In einigenFällen kann es angezeigt sein, erfolg-reich beschrittene Veränderungswegeanderer Patienten zu beschreiben(“Ich weiß nicht, ob das bei Ihnenfunktioniert, aber ich kann Ihnen schil-dern, was bei anderen Menschen, diein einer vergleichbaren Situation wa-

Motivational Interviewing - Motivierende Gesprächsführung 39

Eine Entscheidung, etwas gegen dasSuchtmittelproblem zu tun, bedeutetnicht unbedingt, dass alle Ambivalen-zen des Patienten aufgelöst sind.Häufig begegnen wir dem Phänomen,dass Patienten erst im Moment desernsten Entschlusses erfassen, wasdieser in der Konsequenz eigentlichbedeutet. Ein Patient z. B., der sichnach mehreren Gesprächen mit sei-nem Suchtberater und nach Abwägenaller Vor- und Nachteile durchringt,künftig auf den Alkohol zu verzichten,wird oftmals erst jetzt spüren, welcheinschneidende Veränderungen dieserEntschluss für sein Leben birgt. Erwird seinen Entschluss möglicher-weise unter dem Einfluss aufkommen-der Ängste noch einmal überdenken.Dieses „Wiederaufflackern” von Ambi-valenzen muss ernst genommen wer-den. Die konkreten Konsequenzen derEntscheidung sollten deshalb imDetail besprochen werden, um eineerneute, stabilere Entscheidung vor-zubereiten. Dazu einige beispielhafteÄußerungen des Therapeuten (nachMILLER & ROLLNICK, ebd.): � “Wie würde sich Ihr Leben verän-

dern, wenn Sie diesen Weg verfol-gen und den Konsum völlig been-den würden?”

� “Sie sagten, dass Sie gerne weni-ger konsumieren würden. LassenSie uns einen Moment darübersprechen. Wie könnte das IhrerMeinung nach funktionieren?”

� “Das ist also Ihr Ziel. Was glaubenSie, könnte an diesem Planschiefgehen?”

� “Wenn Sie dieses Ziel erreichenwürden, was würde außerdemnoch passieren? Was würde sichgut entwickeln, was nicht so gut?”

Wenn dies abgeschlossen ist und derPatient nach wie vor den Eindruckerweckt, dass er an einer Verände-rung seiner bisherigen Konsumge-wohnheiten interessiert ist, kann essinnvoll sein, ihm eine zusammenfas-sende Rückmeldung zu geben überselbstmotivierende Äußerungen, Am-bivalenzen, objektive Befunde zu Risi-ken und Problemen, Hinweise aufkonkrete Veränderungsabsichten oder–pläne sowie die eigene Einschätzungseiner Situation. „Der Zweck dieserZusammenfassung besteht darin,möglichst viele Gründe für eine Verän-derung zusammenzutragen, währendgleichzeitig Zögern oder Ambivalenzanerkannt wird” (MILLER & ROLL-NICK, ebd.).

Am Ende einer solchen Zusammen-fassung gilt es zunächst, sich zu ver-sichern, dass man nichts Wesentli-ches ausgelassen hat, um im näch-sten Schritt den Patienten zu fragen,was dies nun für ihn bedeutet. Ein Bei-spiel einer solchen Zusammenfassunggeben MILLER & ROLLNICK (ebd.; T= Therapeut, K = Klient):

T: „Dann will ich einmal zusammenfas-sen, wo wir im Moment stehen, undSie sagen mir, ob ich etwas ausgelas-sen habe. Sie kamen hierher zum Teilauf Bitten Ihrer Frau, zum Teil ..., weilSie selbst besorgt über Ihr Trinkensind, bis dahin jedoch noch nie sehrviel darüber nachgedacht hatten. Siewaren sich bewusst, dass Ihr Trinkenin den letzten Jahren zugenommenhat, und z. Zt. sind es mehr als 50Standardgetränke die Woche. Siewaren sich ebenso im Klaren darüber,dass Sie mehr trinken als andere Men-schen, und anscheinend haben Sieeine deutliche Toleranz für Alkoholentwickelt. Sie können sehr viel trin-ken, ohne sich betrunken zu fühlen,obwohl - wir haben heute darüber ge-

38 Motivational Interviewing - Motivierende Gesprächsführung

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beitskollegen (vor allem im Falle vonProblemen mit Alkohol) sowie Eltern,andere Familienangehörige undFreunde (im Falle von Problemen mitillegalen Drogen) wenden sich häufigan professionelle Stellen und bittenum Unterstützung. Sie hoffen auf In-formationen, fordern oft aber auchmehr oder weniger direkt auf, denBetroffenen „trocken zu legen” oder„gründlich umzukrempeln” o. ä. „Be-sonders dann, wenn der Partner denKlienten gedrängt hat, Hilfe anzuneh-men, kann es zunächst sinnvoll sein,sich mit dem Klienten allein zu treffen,um eine Atmosphäre des Vertrauensund der Unterstützung zu schaffen”(MILLER & ROLLNICK, ebd.). Zu-nächst gilt es also, die Interessen desPatienten deutlich von denen seinerAngehörigen zu unterscheiden.

Eine weitere Differenzierung bestehtdarin, die Motivationsdynamik zwi-schen Patient und Angehörigen imHinblick auf eine Veränderung derSuchtmittelproblematik zu ermitteln.Diese Ermittlung sollte sich auf Beob-achtungen der Kommunikation stüt-zen. Therapeuten sollten z. B. daraufachten, ...... ob der Patient konkrete Verände-rungsabsichten äußert und darin vonseinen Angehörigen unterstützt wird,... ob der Patient Problemlösungenberichtet bzw. vorschlägt und dieAngehörigen darauf eher konstruktivreagieren, und ... ob die Angehörigen für den Falleiner Veränderung bereit wären, ihreLebensführung teilweise umzustellen,wenn dies den Patienten unterstützenwürde.

Im Hinblick auf eine Veränderungergeben sich aus solchen Beobach-tungen vier prinzipielle Fälle der Moti-vationsverteilung zwischen Patientund Angehörigen:

Fall 1: Patient eher veränderungsmo-tiviert, Angehörige ebenso.

Fall 2: Patient eher veränderungsmo-tiviert, Angehörige eher nicht.

Fall 3: Angehörige eher verände-rungsmotiviert, Patient ehernicht.

Fall 4: Patient und Angehörige ehernicht veränderungsmotiviert.

Für die Gesprächsführung unter Ein-bezug von Angehörigen gelten grund-sätzlich dieselben Prinzipien und Stra-tegien wie für die Gesprächsführungmit dem Patienten allein.Fall 1 verlangt vom Therapeuten Infor-mationen über Hilfsangebote, überalternative Veränderungswege undpositive Veränderungsmodelle. DerTherapeut sollte Patient und Angehö-rige ermutigen, den eingeschlagenenWeg weiter zu verfolgen, und versu-chen, die Ressourcen der Beziehungkonstruktiv zu nutzen. Es sollten ge-meinsame Behandlungsziele und ge-meinsam getragene konkrete Verän-derungsschritte formuliert werden.

Im Fall 2 muss der Therapeut heraus-finden, ob die widerstrebende Haltungdes Angehörigen ein unverrückbaresHindernis auf dem Veränderungswegdes Patienten darstellt oder aber alsQuelle von wichtigen ambivalentenEinstellungen (auch des Patienten) inden Beratungsprozess integriert wer-den kann. Letzteres stärkt den Klä-rungs- und Veränderungsprozess,ersteres zwingt Therapeut und Patientzu einer Entscheidung, ob die Be-handlung ohne den Angehörigen wei-tergeführt oder aber abgebrochenwerden muss. Führt der Patient dieBehandlung ohne den Angehörigenweiter, so muss der Widerstand desAngehörigen bei jeder Vereinbarungkonkreter Veränderungsschritte mit-bedacht werden.

Motivational Interviewing - Motivierende Gesprächsführung 41

ren, funktioniert hat.”). Sollte der Pa-tient dennoch auf einen konkretenRatschlag drängen, so sollte der The-rapeut deutlich machen, dass es sichhierbei um seine Meinung handelt, dieder Patient annehmen kann oder auchnicht (“Vielleicht erscheint es Ihnensinnvoll, vielleicht auch nicht, aber eswäre eine Möglichkeit. Sie müssenselbst beurteilen, ob es zu Ihnenpasst.”). Die Entscheidung über Aus-maß, Richtung und Tempo einer Ver-änderung trifft der Patient ganz allein. Wenn ein Patient nicht in der Lage ist,eine verbindliche Entscheidung zutreffen, sollte der Arzt ihn nicht drän-gen. Besser ist es, sein Zögern ernstzu nehmen und zu sagen: „Wenn Sienoch nicht dazu bereit sind, dannmöchte ich auch nicht, dass Sie sichverbindlich äußern. Dies ist viel zuwichtig, als dass es übers Knie gebro-chen werden sollte. Gehen Sie nachHause und denken Sie noch einmal inRuhe nach, so dass wir beim näch-sten Mal weiter darüber reden kön-nen.” (MILLER & ROLLNICK, ebd.). Man kann die Selbstverpflichtung desPatienten zur Veränderung untermau-ern, indem man einen konkreten Planerstellt bzw. (im ambulanten Rahmen)den Patienten bittet, dies bis zu einemnächsten Termin zu tun. Ein solcherVeränderungsplan sollte folgende As-pekte beinhalten:

� Die wichtigsten Gründe für eineVeränderung

� Die wesentlichen Veränderungs-ziele

� Die ersten Schritte

� Weitere konkrete Handlungsschrit-te und ihr jeweiliger Zeitpunkt

� Personen, die die Veränderungs-schritte unterstützen

� Positive Erwartungen für den Alltag

Die Verbindlichkeit eines solchenPlans kann erhöht werden, wenn einewichtige Bezugsperson des Patientenmit einbezogen wird (s. u.). Darüberhinaus stärkt jede „öffentliche” Be-kanntgabe von Veränderungsabsich-ten (etwa gegenüber Freunden, Fami-lienmitgliedern oder Arbeitskollegen)die Selbstverpflichtung des Patienten.Je konkreter schließlich der Verände-rungsplan ist und je früher und un-mittelbarer er beginnt, desto höher istdie Wahrscheinlichkeit, dass er einge-halten wird.

VII. Zur Beteiligungvon Angehörigenund wichtigenBezugspersonen

Grundsätzlich gilt, dass der Patientder erste und wichtigste Kommunika-tionspartner ist. Ohne seine Zustim-mung und seinen Willen findet Bera-tung und Behandlung in der Regelnicht statt. Der Einbezug von Angehö-rigen und wichtigen anderen Bezugs-personen (im folgenden kurz: Ange-hörigen) kann allerdings für den Verän-derungsprozess des Patienten sehrförderlich sein. Erfolgreiche Verände-rungsversuche werden häufig vonAngehörigen mit getragen und unter-stützt. Aus diesem Grunde ist es sinn-voll, in jedem Fall über einen Einbezugvon Angehörigen nachzudenken. Diesbedeutet allerdings nicht, dass einEinbezug in jedem Fall angezeigt ist.Manchmal ist er sogar kontraindiziert(s. u.).Angehörige sind häufig von der Sucht-erkrankung bzw. dem Missbrauchmitbetroffen. Partner, Kinder und Ar-

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vielen Fällen entwickelt sich erst imLaufe der Behandlung die Bereit-schaft, gemeinsam mit den Partnernan einer Veränderung zu arbeiten.Zusammenfassend haben sich die fol-genden allgemeinen Strategien dermotivierenden Gesprächsführung un-ter Einbezug von Angehörigen alseffektiv erwiesen:

Positiven Einstieg finden

Die Angehörigen sollten in ihren bishe-rigen Bemühungen, dem Patientenmit seinem Suchtmittelproblem zu hel-fen, bestärkt werden. Sie sollten Aner-kennung dafür erfahren, dass sie ander Behandlung teilnehmen. Sie soll-ten nach ermutigenden und positivenErfahrungen gefragt werden.

Die positiven Ressourcen derBeziehung aufgreifen

Der Therapeut sollte Äußerungen undVerhaltensweisen verstärken, die diepositiven Aspekte der Beziehungbetreffen. Gemeinsame Lebenserfah-rung, Vertrauen oder gemeinsameLebensziele sind zentrale Faktoren,um die Veränderungsmotivation derPatienten während und nach derBehandlung zu stützen. Vorschläge zupositiv besetzten gemeinsamen Akti-vitäten können hilfreich sein.

Fallen vermeiden

Der Therapeut sollte nicht versuchen -insbesondere nicht im Gespräch mit(Ehe-) Partnern - als Experte für dieLösung der Suchtmittel- oder Bezie-hungsprobleme aufzutreten. Es be-steht die Gefahr, dass er damit zurProjektionsfläche für nicht ausgespro-chene Ambivalenzen des Patientenoder Differenzen zwischen den Part-

nern wird und ein Nachdenken überkonkrete Veränderungsschritte gera-dezu verhindert. Ebenso real ist dieGefahr, in die sogenannte Schuld-Fal-le zu tappen: der Patient wirft demAngehörigen vor, für seine Suchtmit-telprobleme verantwortlich zu sein(oftmals Männer gegenüber ihrenFrauen, im Drogenbereich oftmals dieabhängigen Kinder gegenüber ihrenEltern). Der Therapeut sollte sich aneiner solchen Diskussion nicht beteili-gen und statt dessen versuchen, dasGespräch auf pragmatische Fragendes Alltags zurückzuführen.

Konsens über Behandlungszie-le herstellen

Die jeweiligen Bewertungen derSchwere des Problems sowie diejeweiligen Vorstellungen über die Kon-sequenzen sollten offen gelegt wer-den. So kann allmählich ein Konsensüber die Behandlungsziele erarbeitetwerden. Wenn eine gemeinsame Ba-sis geschaffen ist, können im Rahmeneines Veränderungsplans (s. o.) dienotwendigen ersten Schritte verein-bart werden.

Prinzipien und Strategien wieim Einzelgespräch einsetzen

Die Prinzipien und Strategien der mo-tivierenden Gesprächsführung unterEinbezug von Angehörigen unter-scheiden sich grundsätzlich nicht vondenen, die auch im Einzelgesprächmit den Patienten verwandt werdensollten: Empathie zeigen, Diskrepan-zen entwickeln, Streitgespräche ver-meiden, Widerstand aufnehmen, AktivZuhören, Bestätigen, Zusammenfas-sen usw. Das Besondere ist, dassman es hier mit zwei (oder mehr) Ge-sprächspartnern zur selben Zeit zu tun

Motivational Interviewing - Motivierende Gesprächsführung 43

Fall 3 ist eine grundsätzlich schwierigeSituation. Handelt es sich bei derBeziehung zwischen Patient und An-gehörigen um eine stabile und beider-seitig als zufriedenstellend erlebte,dann kann eine vom Therapeuten ein-geholte Rückmeldung des Angehöri-gen über (problematische) Konsum-gewohnheiten des Patienten dessenMotivation zur Veränderung positivbeeinflussen. Dies kann auch erreichtwerden, indem der Therapeut den An-gehörigen zu alternativen Lösungsvor-schlägen befragt. Hier muss manallerdings behutsam vorgehen, umdem Patienten nicht das Gefühl zu ge-ben, zwei Gegner zu haben, die ihn indie Enge führen. Im Gespräch miteinem alkoholabhängigen Mann (zö-gerlich) und seiner Ehefrau (auf Verän-derung drängend) könnte der Thera-peut sagen: „Ich kann mir vorstellen,dass es frustrierend ist, wenn so we-nig Übereinstimmung zwischen Ihnenund Ihrem Mann darüber besteht, wiees denn nun weitergehen soll. Siehaben jetzt verschiedene Möglichkei-ten. Eine ist, Sie [Ehefrau, GK] kom-men auch weiterhin gemeinsam zurBehandlung und sprechen über dasTrinken und seine Folgen - ein Weg,der im Moment nicht viel Erfolg ver-spricht, oder? Eine andere Möglichkeitist, Sie widmen Ihre Energien sichselbst bzw. dem Rest der Familie, undIhr Mann bestimmt allein, was er inbezug auf das Trinken unternehmenwill” (nach MILLER & ROLLNICK,ebd.). Handelt es sich um eine ange-spannte oder instabile Beziehung,dann sollte der Therapeut das alleini-ge Gespräch mit dem Patientensuchen. Es kann in diesem Fall sinn-voll sein, dem Angehörigen ein Un-terstützungsangebot zu machen(etwa Informationen über Selbsthilfe-gruppen für Angehörige geben). Zu

einem späteren Zeitpunkt, wenn dieInteressen des Patienten hinreichendgewürdigt wurden und sich ein wach-sendes Interesse an einer Verände-rung abzeichnet, kann ein gemeinsa-mes Gespräch mit dem Angehörigenwiederum unterstützend wirken.

Im Fall 4 sollte der Therapeut seineRolle darauf beschränken, Patient undAngehörigen eine Rückmeldung überobjektive Befunde zu geben. Wenn dieKommunikation zwischen Patient undAngehörigem sehr destruktiv er-scheint, sollte der Therapeut allge-meine Informationen über Belastun-gen von Beziehungen in Folge chroni-scher Krankheiten geben und so ver-suchen, beide Beziehungspartner zuentlasten. Er kann versuchen, diemangelnde Veränderungsabsicht bei-der Partner durch Informationen überalternative Veränderungsmöglichkei-ten und eine Hierarchisierung der Zie-le neu zu beleuchten. Er sollte aller-dings nicht auf Veränderung drängen.Dies würde eher den Widerstand bei-der Partner provozieren. Wenn derTherapeut den Eindruck hat, dassPatient und Angehöriger die Problemeund möglichen Lösungen unter-schiedlich einschätzen, sollte er unbe-dingt einen alleinigen Termin mit dem Patienten ausmachen, um den(manchmal nur scheinbaren) Mangelan Veränderungsabsicht im Einzelkon-takt abzusichern.

Im Falle von (Ehe-)Partnerschaften giltfolgender Grundsatz: Wenn die Pa-tienten zögern, ihre Partnerinnen (oderumgekehrt) in die Behandlung mit ein-zubeziehen, sollte der Therapeut zu-nächst einmal die erwarteten Vor- undNachteile des Einbezugs ermitteln.Wenn sich dabei herausstellt, dass dieerwarteten Nachteile für die Patientenüberwiegen, sollte nicht weiter aufeinem Einbezug insistiert werden. In

42 Motivational Interviewing - Motivierende Gesprächsführung

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hat, deren Beziehungsdynamik dieDiagnostik und Einflussnahme er-schwert. Wenn es allerdings gelingt,Patient und Angehörige auf einengemeinsamen Weg zu verpflichten,dann bestehen beste Chancen, dassdas angestrebte Ziel auch erreichtwird.

Literatur

BECK, A.; WRIGHT, F.D.; NEWMAN,C.F.; LIESE K. (1997): Kognitive The-rapie der Sucht. Beltz, Weinheim

BLEULER, E. (1983): Lehrbuch derPsychiatrie (15. Auflage, neubearb. v.Bleuler M) Springer, Berlin - Hei-delberg - New York

LUBAN-PLOZZA, B.; LAEDERACH-HOFMANN, K.; KNAAK, L.; DICK-HAUT, H.H. (1998): Der Arzt als Arz-nei. Das therapeutische Bündnis mitdem Patienten. Deutscher Ärzte-Ver-lag, Köln

MILLER, W.R. & ROLLNICK, S.(1999): Motivierende Gesprächsfüh-rung. Lambertus, Freiburg i. Br.

PETRY, J. (1998): Suchtentwicklungund Motivationsdynamik. In: Bundes-verband für stationäre Suchtkranken-hilfe, Beutel, M. (Hrsg.): Motivation inder Suchttherapie - IntrapsychischerProzess und versorgungspolitischeAufgabe. Neuland, Geesthacht

REIMER, C. (Hrsg., 1994): ÄrztlicheGesprächsführung. Springer, Berlin –Heidelberg – New York

SCHULZ von THUN, F. (1981): Mitein-ander reden. Rowohlt, Reinbek

WEDLER, H. (1998): Das ärztlicheGespräch. Anleitung zur Kommunika-tion in der psychosomatischen Grund-versorgung. Schattauer, Stuttgart

WILKE, E. (1994): Leitlinien des ärztlich-psychotherapeutischen Gesprächs. In:Reimer, C. (ebd.)

44 Motivational Interviewing - Motivierende Gesprächsführung

Inhalt

I. Einleitung

II. Methodik

III.Ergebnisse

IV. Diskussion

Literatur

Kurzinterventionen bei Patientinnenund Patienten mit Alkoholproblemen - ein Erfahrungsbericht

Georg Kremer Psychiatrische Klinik Gilead Bethesdaweg 1233617 Bielefeld

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Erkennen und eine qualifizierte Bera-tung von Patienten/innen mit Alko-holproblemen gewährleisten (AROLTet al. 1995). Es mangelt an allgemei-nen Gesprächsführungskompetenzensowie der praktischen Erfahrung mitspezifischen Motivationsstrategien(HELBER 1991). Im Rahmen des hierbeschriebenen Projekts wurde deut-lich, dass die teilnehmendenÄrzte/innen nur über eine lückenhafteKenntnis des regionalen Hilfeangebotsfür Menschen mit Alkoholproblemenverfügen (KREMER, DORMANN,PÖRKSEN et al. im Druck). Eine sys-tematische Einleitung von Nachsorgefindet - mit wenigen Ausnahmen (z. B.DEIGNER, REITZE und HORSCH1995) - nicht statt. Die Einstellung vonÄrzt/innen gegenüber Patient/innenmit Alkoholproblemen muss als pro-blematisch angesehen werden: Ineiner Untersuchung an Allgemein-ärzt/innen in Schleswig-Holstein (REI-MER und FREISFELD 1984) gaben56% der befragten Ärzte/innen an,dass sie Alkoholiker/innen wenigergern behandelten als andere Patien-ten/innen. Schwierigkeiten in der Be-handlung entstünden vor allem auf-grund der Willensschwäche der Pa-tienten/innen (93%), ihrer fehlendenKrankheitseinsicht (84%) und der feh-lenden Kooperationsbereitschaft (81%).Ihre eigenen Hilfsmöglichkeiten sahen78% der Ärzte/innen als begrenzt an.

Seit Mitte der 80er Jahre wurde eineReihe von Arbeiten veröffentlicht, diesich mit der Umsetzung und Effekti-vität von kurzen Beratungsansätzenbei Alkoholproblemen befassten, diemeisten von ihnen aus dem englisch-sprachigen Raum (vgl. RUMPF in die-sem Band). Verschiedene Studien zuKurzinterventionen, die in Allgemein-krankenhäusern durchgeführt wurden,berichten übereinstimmend signifi-

kante Effekte im Hinblick auf die Ver-änderung von Trinkgewohnheitenoder die Inanspruchnahme weiterfüh-render Hilfsangebote (z. B. CHICK,LLOYD und CROMBIE 1985, ELVY,WELLS und BAIRD 1988, GENTILEL-LO, DONOVAN, DUNN und RIVARA1995, HEATHER, ROLLNICK, BELLund RICHMOND 1996). Insbesonderefür Patienten/innen “unterhalb” derAbhängigkeitsschwelle - riskant oderschädlich gebrauchende - stelltenKurzinterventionen eine zur Erhöhungder Veränderungsbereitschaft undEinleitung konkreter Veränderungs-schritte oft ausreichende Beratungs-form dar.

Patienten/innen mit einem riskantenAlkoholgebrauch – engl. hazardoususe: erstmals definiert in einer Mittei-lung der WHO 1981, seitdem iminternationalen Sprachgebrauch eta-bliert (vgl. HEATHER 1995, ED-WARDS, ANDERSON, BABOR et al.1997) - zeichnen sich durch ein Kon-summuster aus, das bislang weder zueiner körperlichen oder psychischenStörung noch zu beruflichen oder so-zialen Problemen geführt hat, mit einergewissen Wahrscheinlichkeit aber zuFolgeproblemen oder -erkrankungenführen wird. Die British Medical Asso-ciation (1995) hat die Grenzwerte füreinen risikoarmen Konsum auf ca. 110Gr. Alkohol/Woche bei Frauen und ca.170 Gr. Alkohol/Woche bei Männernfestgesetzt. Auch häufige Trinkexzes-se können ein Kriterium riskanten Al-koholkonsums sein. Für den deutsch-sprachigen Raum wurden erste Erfah-rungen mit Kurzinterventionen im All-gemeinkrankenhaus im Rahmen einerPrävalenz- und Sekundärpräventions-studie aus Lübeck berichtet (JOHN,HAPKE, RUMPF et al. 1996, HAPKE,RUMPF, HILL und JOHN 1997).

Kurzinterventionen bei Patienten/innen mit Alkoholproblemen 47

Die folgenden Ausführungen beziehensich auf Erfahrungen mit Kurzinterven-tionen im Rahmen eines Modellpro-jekts des Bundesministeriums fürGesundheit, das von 1994 – 1997 inBielefeld durchgeführt wurde. DieErgebnisse des Projekts wurdenbereits an anderer Stelle veröffentlicht(vgl. KREMER / DORMANN / WIEN-BERG / PÖRKSEN / WESSEL /RÜTER 1998, KREMER / WIENBERG/ PÖRKSEN 1999, KREMER / WIEN-BERG / DORMANN / WESSEL /PÖRKSEN 1999) und werden hier nurausschnittweise referiert. Der Schwer-punkt dieses Beitrags liegt auf derpraktischen Umsetzung von Kurzinter-ventionen in der medizinischen Ver-sorgung, speziell auf inneren und chi-rurgischen Stationen des Allgemein-krankenhauses.

I. Einleitung

Die Prävalenz von Alkoholproblemenin internistischen und chirurgischenAbteilungen von Allgemeinkranken-häusern ist hoch. Einer Berechnungvon Wienberg (1995) zufolge suchtjeder vierte Alkoholabhängige minde-stens einmal im Jahr eine internisti-sche oder chirurgische Abteilungeines Allgemeinkrankenhauses auf.Wienberg (ebd.) stellte eine Übersichtvon Prävalenzstudien der Jahre 1981-1988 aus dem deutschsprachigenRaum zusammen und berichtete einePrävalenz von 11% (im Median; Streu-ung 7,2% - 16,4%) für Alkoholabhän-gigkeit. Zwei neuere Studien ausLübeck kommen zu vergleichbarenPrävalenzen: AROLT, DRIESSEN undSCHÜRMANN (1995) 9,0% für Alko-holabhängigkeit und 5,5% für Alkohol-missbrauch, JOHN, HAPKE, RUMPFet al. (1996; jedoch nur Altersgruppe

18-64) 12,7% für Alkoholabhängigkeitund 4,8% für Alkoholmissbrauch (zu-sätzlich 9,7% Verdachtsfälle). Dabeisind die Ergebnisse der Studie vonJOHN et al. als wesentlich aussage-kräftiger einzustufen. Insbesonderespricht die Tatsache, dass alle Statio-nen des Allgemeinkrankenhauses (bisauf die Intensivstation) über einen Zei-traum von sechs Monaten erfasstwurden, für einen hohen Repräsen-tativitätsgrad in Bezug auf die unter-suchte Altersgruppe. Zur Prävalenzvon Alkoholproblemen bei Patien-ten/innen ab 65 Jahren liegt ebenfallsaus Lübeck eine aktuelle Untersu-chung vor (BOTZET, RUMPF, BRO-MISCH et al. 1996). Danach weisen3,1% der Patienten/innen eine Alko-holabhängigkeit auf, 0,4% einen Alko-holmissbrauch und 3,5% einen Ver-dacht auf Abhängigkeit oder Miss-brauch. Diese Ergebnisse sind aller-dings nur als Trendaussage einernachlassenden Prävalenz im höherenAlter zu werten, da etwa jede/r zweitePatient/in nicht untersucht wurde.

Aus anderer Sicht wird die Bedeutungvon Alkoholproblemen für das Allge-meinkrankenhaus eindrucksvoll unter-strichen: Eine Analyse des Medizini-schen Dienstes der Stadt Hamburg zuden psychiatrischen Krankenhausfäl-len der Jahre 1988 bis 1994 ergab,dass unter den acht Diagnosen mitdem höchsten Pflegetagvolumen inder inneren Medizin allein drei aufge-führt werden, die im Zusammenhangmit Alkoholkonsum stehen: Leberzirr-hose, Alkoholabhängigkeit und Pan-kreaserkankungen (MAYLATH undSEIDEL 1997).

Trotz dieser quantitativ enormen Be-deutung des Alkoholproblems man-gelt es im Allgemeinkrankenhaus anintegrierten Diagnose- und Behand-lungskonzepten, die ein frühzeitiges

46 Kurzinterventionen bei Patienten/innen mit Alkoholproblemen

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regelmäßigen Stichproben in den Auf-nahmebüchern der Stationen ist al-lerdings davon auszugehen, dass sieauf den drei am häufigsten fre-quentierten Stationen (darunter dieunfallchirurgische) bei nahezu 100%,insgesamt bei etwa 95% lag. Von denerfassten Patienten/innen waren 69%männlich und 31% weiblich. Bei denPatienten/innen mit einer alkoholbe-zogenen Diagnose verschob sich dasVerhältnis - wie zu erwarten - zu-gunsten der Männer: 88% zu 12%.Das mittlere Alter aller erfasstenPatienten/innen betrug 46 Jahre, beiPatienten/innen mit einer alkohol-bezogenen Diagnose 45 Jahre. Weite-re soziodemographische Daten wur-den nur von den Patienten/innenerhoben, die eine Kurzintervention er-fuhren. 26 Patienten/innen (2%) lehn-ten eine Beteiligung an der Un-tersuchung ab. 71 Patienten/innenwurden wegen der Schwere aktuellersomatischer Probleme nicht befragt(z. B. bei Krebserkrankungen im fina-len Stadium).

2. Darstellung des Vorgehens der Studie

Es wurden 1221 Screenings durchge-führt. Als Selbstaussagefragebogenwurde der LAST (RUMPF, HAPKE,HILL und JOHN 1997) eingesetzt, einim Rahmen der medizinischen Versor-gung entwickeltes Instrument mit 9Items, das im Vergleich zu internatio-nal gebräuchlichen Instrumenten wieetwa dem CAGE oder S-MAST einehöhere Sensitivität aufweist und damitfür eine systematische Früherkennungbesonders geeignet ist. Der LASTwurde auf allen internistischen Statio-nen von den Stationsärzt/innen über-reicht (im Anschluss an die Anam-nese), auf der unfallchirurgischen Sta-tion von den Projektmitarbeiter/innen(am ersten Tag nach der Aufnahme).

13% der Patienten/innen mit einempositiven Screening-Befund konntennicht weiter befragt werden, da sieentweder frühzeitig entlassen wurden(6%) oder aber ein diagnostischesGespräch ablehnten (7%).Alle anderen Patienten/innen miteinem positiven Screening-Befundwurden mit Hilfe eines im Projekt ent-wickelten klinischen Leitfadens – aus-gehend von den positiv beantwortetenFragen im Screening-Bogen - diagno-stisch befragt. Der Leitfaden enthieltFragen zu den Trinkmengen undTrinkgewohnheiten der Patienten/-innen, Fragen zu den Kriterien fürschädlichen Gebrauch und Abhängig-keit der internationalen Krankheits-Klassifikation ICD-10 (DILLING, MOM-BOUR und SCHMIDT 1993), Fragenzu früheren suchtspezifischen Be-handlungserfahrungen, sowie Fragenzu soziodemographischen Daten. Bei Vorliegen einer alkoholbezogenenDiagnose schloss sich die sog. Kurz-intervention an. Diese wurde von le-diglich einem Patienten abgelehnt. AlsKurzintervention galt ein einmaligesBeratungsgespräch von bis zu 60Minuten Dauer, das auf den folgendenvon MILLER und ROLLNICK (1991)beschriebenen sechs Grundelemen-ten basierte: (1) Empathie und Respekt zeigen,(2) Rückmeldung geben,(3) Eigenverantwortung betonen,(4) Selbstwirksamkeitsüberzeugung

stärken,(5) Alternative Veränderungswege auf-

zeigen,(6) Einen konkreten Ratschlag geben.Diagnostik und Kurzintervention wa-ren in einem diagnostisch-therapeuti-schen Gespräch verknüpft. Alle Patienten/innen mit riskantem undschädlichem Gebrauch erhielten wäh-rend des Beratungsgesprächs ein

Kurzinterventionen bei Patienten/innen mit Alkoholproblemen 49

Kurzinterventionen in der medizini-schen Primärversorgung verfolgeneine begrenzte Zielsetzung: Ver-änderungsmotivation ermitteln, wennmöglich stärken und evtl. einen erstenVeränderungsschritt vereinbaren. An-gestrebt wird ein auf den einzelnenPatienten abgestimmter gesündererUmgang mit Alkohol. Für alle Patien-ten/innen gilt dabei das allgemeineInterventionsziel “Verringerung des Al-koholkonsums über Veränderung vonTrinkgewohnheiten”. Für Patienten/-innen mit einer Abhängigkeitsdiagno-se kommt darüber hinaus noch denZielen “Erlangung bzw. Aufrechterhal-tung von Abstinenz (-Phasen)” und“Vermittlung in eine Einrichtung desHilfesystems für Abhängigkeitskranke”eine wichtige Bedeutung zu. Das In-terventionsziel ist jeweils im Einzelfallzu konkretisieren.

Ziel des vorliegenden Beitrags ist es,die Veränderungen des Trinkverhal-tens sowie die Inanspruchnahmeweiterführender Hilfen bei Patien-

ten/innen des Allgemeinkrankenhau-ses 12 Monate nach einer Kurzinter-vention darzustellen.

II. Methodik

1. Beschreibung der StichprobeAuf fünf Stationen zweier BielefelderAllgemeinkrankenhäuser wurden zwi-schen 1995 und 1996 über ein halbes(zwei internistische Stationen) bzw. einJahr (zwei internistische Stationen /eine unfallchirurgische Station) allePatienten/innen der Altersgruppe 18-65, die länger als einen Tag stationärbehandelt wurden - unabhängig vomAufnahmeanlass - auf eine Alkohol-problematik hin befragt. Insgesamt wurden auf den fünfKrankenhausstationen 1318 Patien-ten/innen erfasst (vgl. Tab. 1). Die Ge-samterfassungsrate lässt sich auf-grund der inkompatiblen Altersstufenvon Projekt- und Krankenhausstatistiknicht exakt bestimmen. Aufgrund der

48 Kurzinterventionen bei Patienten/innen mit Alkoholproblemen

Tab. 1: Erfasste Patient/innen, negative und positive Screenings, drop-outs, durchgeführte Kurzinterventionen

absolut ProzentGesamt erfasst: 1318“Kein Screening” dokumentiert: 97 (davon abgelehnt: 26)

Anzahl Screenings: 1221Screening negativ: 904 74,0%Screening positiv: 317 26,0%

davon falsch positiv: 68Frühzeitig entlassen: 18Diagnostik abgelehnt: 23Kurzintervention abgelehnt: 1

Kurzinterventionen durchgeführt: 207

Page 27: Kurzintervention und motivierende Gesprächsführung ... · nats-Nachuntersuchung konnte ge-zeigt werden, dass in der Gruppe mit 10 - 15-minütiger Beratung durch den Arzt eine bedeutsam

an einer 16-stündigen Fortbildung teil-genommen.

Die Dauer der diagnostisch-therapeu-tischen Gespräche betrug zwischen15 und 60 Minuten, im Durchschnittaller geführten Gespräche (inkl. derZeiten für ein zweites Gespräch) 36Minuten pro Patient/in.

Die Nachbefragungen wurden 12 Mo-nate nach der Kurzintervention auf derBasis eines im Projekt entwickeltenLeitfadens von den Projektmitarbei-ter/innen durchgeführt. Der Leitfadenenthielt dieselben diagnostischen Fra-gen wie der Erstberatungsleitfaden,ergänzt durch Fragen zu bedeutendenLebensereignissen im Nachbefra-gungszeitraum, zur subjektiven Be-findlichkeit und zur Bedeutung derKurzintervention im Krankenhaus. Vonden 207 Patienten/innen, die eineKurzintervention erfahren hatten, ga-ben 161 ihr Einverständnis zur Nach-befragung (vgl. Tab. 2). 15 Patienten/-innen verweigerten zum Nachbefra-gungszeitpunkt die Teilnahme, 12konnten nicht erreicht werden, 11 wa-ren unbekannt verzogen, 4 verstor-ben, 3 über 300 Km verzogen, 1schwerst erkrankt und 1 in Haft. Da-ten zur Nachbefragung liegen von 114Patienten/innen vor, das sind 70,8%derjenigen Patienten/innen, die ihr

Einverständnis zur Nachbefragungerklärt hatten. Wenn eine persönlicheoder telefonische Nachbefragungnicht zu vereinbaren war, stand einKatamnesefragebogen zum Selbst-ausfüllen zur Verfügung. Persönlichnachbefragt wurden 83%, telefonisch12% und schriftlich 5%. Soweit mög-lich wurden die persönlich oder telefo-nisch durchgeführten Nachbefra-gungen nicht von dem Projektmitar-beiter durchgeführt, der auch an derBeratung im Krankenhaus beteiligtwar. Diese “blinde” Nachbefragungohne Kenntnis der Ausgangsdiagnosekonnte in 80% der persönlich bzw. te-lefonisch durchgeführten Katamnesengewährleistet werden.

III. Ergebnisse

Tabelle 3 zeigt die Verteilung der Dia-gnosen derjenigen Patienten/innen,die auf den Stationen der beiden All-gemeinkrankenhäuser beraten wor-den sind. Zusammengefasst wurdenin den beiden Allgemeinkrankenhäu-sern für die Altersgruppe der 18-65-jährigen Patienten/innen somit 15,7%aktuelle alkoholbezogene Diagnosenermittelt.

Kurzinterventionen bei Patienten/innen mit Alkoholproblemen 51

Informationsblatt “Zur Verträglichkeitvon Alkohol” (s. PETRY 1997), aufdem die o. g. Grenzwerte der BritishMedical Association erläutert wurden.Patienten/innen mit einer Alkohol-abhängigkeit wurde geraten, im An-schluss an die körperliche Entgiftungein weiterführendes fachspezifischesHilfsangebot (insb. Beratungsstelle,Selbsthilfegruppe) in Anspruch zunehmen. Die einzelnen regional ver-fügbaren Angebote wurden ausführ-lich erläutert. Die Patienten/innen be-kamen außerdem schriftliche Informa-tionen mit Adressen und Telefon-nummern. Den Patienten/innen wurdegeraten, schon während des Kran-kenhausaufenthaltes einen Termin(etwa mit einer Suchtberatungsstelle)zu vereinbaren, diesen gegebenenfallssogar schon während des Aufent-haltes wahrzunehmen. Patienten/-innen aller Diagnosegruppen, die sichim Beratungsgespräch deutlich ambi-valent gegenüber einer Veränderungdes Alkoholkonsums zeigten, wurde

eine Liste über “Vorteile und Nachteileeiner Veränderung des Alkoholkon-sums” (s. PETRY 1997) zur Verfügunggestellt.

Ein zweiter Beratungstermin im Kran-kenhaus wurde vereinbart, wenn Pa-tienten/innen dies wünschten und eszur Stärkung der Veränderungsmoti-vation sinnvoll erschien. Tatsächlicherhielt jede/r vierte Patient/in (25%) einzweites Beratungsgespräch.

Die diagnostisch-therapeutischen Ge-spräche wurden in der Unfallchirurgieausschließlich durch die Projekt-mitarbeiter/innen auf den inneren Sta-tionen entweder durch die Projekt-mitarbeiter/innen allein (50% der Fälle)oder gemeinsam mit den Stations-ärzt/innen (50% der Fälle) durchge-führt. Die Projektmitarbeiter/innen ver-fügten über mindestens dreijährige kli-nische Erfahrung in der Diagnostikund Behandlung psychiatrischer Stö-rungen. Die Stationsärzt/innen hattenim Vorfeld der praktischen Erprobung

50 Kurzinterventionen bei Patienten/innen mit Alkoholproblemen

Tab. 2: Beratungs- und Nachbefragungsstichprobe

Zum Beratungszeitpunkt Beratungsstichprobe 207Im Krankenhaus verstorben 1Wohnsitz über 300 Km entfernt 2Nachbefragung abgelehnt 43Nachbefragungsstichprobe 161

Zum NachbefragungszeitpunktNachbefragung abgelehnt 15 (9,3%)Nicht erreicht 12 (7,5%)Unbekannt verzogen 11 (6,8%)Verstorben 4 (2,5%)Wohnsitz über 300 Km entfernt 3 (1,9%)Schwersterkrankt 1 (0,6%)Haftstrafe 1 (0,6%)Nachbefragung durchgeführt 114 (70,8%)

Tab.3: Diagnosen der Patienten/innen mit Kurzintervention (n = 207)

abs. Prozent v. 207 Prozent v. 1221Riskanter Gebrauch 49 24% 4,0%Schädlicher Gebrauch 48 23% 3,9%Abhängigkeit 95 46% 7,8%

Zwischensumme 192 93% 15,7%

Remitt. Abhängigkeit 12 6% 1,0%Andere psych. Diagnosen 3 1% 0,3%

Gesamt 207 100% 17,0%

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Die Tabellen 4 - 6 zeigen, dass in Be-zug auf Diagnosen, Alkoholtrinkmen-gen und vorherige Inanspruchnahmesuchtspezifischer Hilfen zum Bera-tungszeitpunkt keinerlei signifikanteUnterschiede zwischen der Bera-tungsstichprobe und der Gruppe der

tatsächlich Nachbefragten auszuma-chen sind. Ebenso weisen die sozio-demographischen Merkmale der tat-sächlich nachbefragten Patienten/-innen zu denen der Beratungsstich-probe keine signifikanten Unterschie-de auf.

Tabelle 5 zeigt, dass die Alkoholtrink-mengen im Katamnesezeitraum hoch-signifikant verringert wurden. Es wur-de insgesamt bedeutend wenigerAlkohol getrunken (Mittelwert). Der

stark gesunkene Median-Wert zeigt,dass die Anzahl der im Bereich desgeringen oder leicht ansteigendenRisikos Trinkenden stark angestiegenist.

Kurzinterventionen bei Patienten/innen mit Alkoholproblemen 5352 Kurzinterventionen bei Patienten/innen mit Alkoholproblemen

Tab. 4: Diagnosen

Beratungsstichprobe Nachbefragungsstichprobe

Beratungs- Nachbefragungs-zeitpunkt zeitpunkt

n = 207 n = 114 n = 114

Riskanter Gebrauch 24% 25% 11% (p<.001*)Schädlicher Gebrauch 23% 25% 11% (p<.001*)Abhängigkeit 46% 43% 38%Rem. Abhängigkeit 6% 6% 15% (p<.001*)And. psychiatr. Diagnose 1%Keine Diagnose (mehr) 25%

Tabelle 4 zeigt, dass sich die Summeder alkoholbezogenen Diagnosen (ris-kanter Gebrauch, schädlicher Ge-brauch, Abhängigkeit) im Laufe desKatamnesezeitraums um etwa einDrittel verringert hat (von 93% auf60%). Jede/r vierte Patient/in wieszum Nachbefragungszeitpunkt keinealkoholbezogene Diagnose im o. g.Sinne mehr auf. Darüber hinaus ist ein

Tab. 6: Inanspruchnahme suchtspezifischer Hilfen

Beratungsstichprobe Nachbefragungsstichprobe

Beratungs- Nachbefragungs-zeitpunkt zeitpunkt

n = 207 n = 114 n = 114

Lebenszeit 36% 33%

signifikanter Anstieg der Diagnose“remittierte Alkoholabhängigkeit” fest-zustellen. Darunter fallen diejenigenPatienten/innen, die - z. T. unter Inan-spruchnahme weiterführender fach-spezifischer Angebote - im Katamne-sezeitraum die notwendigen Kriteriendes Abhängigkeitssyndroms nicht(mehr) erfüllt haben.

Tab. 5: Alkohol-Trinkmengen (Gramm/Woche)

Beratungsstichprobe Nachbefragungsstichprobe

Beratungs- Nachbefragungs-zeitpunkt zeitpunkt

n = 207 n = 114 n = 114

Mittelwert 926 837 499 (p<.001*)Median 440 420 160

* Wilcoxon Matched-Pairs Signed-Ranks Test

Die in Tabelle 6 dargestellten Datenbelegen, dass es in den 12 Monatennach der Beratung im Krankenhaus zueiner hochsignifikanten Steigerung derInanspruchnahme suchtspezifischerHilfen kam. Psychiatrische Entzugs-behandlung (31%), Suchtberatungs-stellen (28%, z. T. mit Weiterver-mittlung in Entwöhnungsbehand-lungen) und Selbsthilfegruppen (19%)wurden am häufigsten genutzt. Ange-bote des komplementären Bereichs

wie z. B. Betreutes Wohnen (17%)spielten auch eine wichtige Rolle.Von den 49 NachbefragungsPatien-ten/innen, die zum Beratungszeit-punkt eine Abhängigkeitsdiagnoseaufwiesen, haben 17 (35%) im Nach-befragungszeitraum kein weiterfüh-rendes Hilfsangebot in Anspruch ge-nommen. Soziodemographisch warkeine Besonderheit dieser Patienten-gruppe festzustellen. 7 von diesen 17Patienten/innen weisen eine positive

Tab. 7: Bewertung der Verläufe anhand Kriterien “Veränderung der Diagnose” und “Veränderung der Alkoholtrinkmenge um 50%” nach Diagnose-gruppen zum Beratungszeitpunkt

Häufigkeit von Bewertungen Häufigkeit von Diagnosen zumzum Nachbefragungszeitpunkt Beratungszeitpunkt

Besser 56 15 Riskanter Gebrauch 19 Schädlicher Gebrauch 22 Abhängigkeit

Unverändert 39 4 Riskanter Gebrauch 4 Schädlicher Gebrauch

31 Abhängigkeit

Schlechter 19 10 Riskanter Gebrauch 6 Schädlicher Gebrauch 3 Abhängigkeit

Page 29: Kurzintervention und motivierende Gesprächsführung ... · nats-Nachuntersuchung konnte ge-zeigt werden, dass in der Gruppe mit 10 - 15-minütiger Beratung durch den Arzt eine bedeutsam

würde es allerdings wesentlich mehr,insbesondere im Zusammenhang mitdem Besuch von Fußballspielen deseinheimischen Bundesligisten. An sol-chen Tagen werde schon früh mor-gens Bier “in rauhen Mengen” getrun-ken, häufig komme da eine ganzeKiste pro Mann zusammen, zusätzlichnoch einige kleine Schnäpse. Ins-gesamt würde er in dieser Art undWeise schon seit etwa 5 Jahren Alko-hol konsumieren.

Mit dem Einverständnis von HerrnSchäfer nimmt der ProjektmitarbeiterEinblick in die Krankenunterlagen undstellt eine deutliche Erhöhung derLeberwerte H -Gt und MCV fest. ImScreening-Fragebogen hatte er ange-geben, seinen Alkoholkonsum nichtimmer kontrollieren zu können, schonmal ein schlechtes Gewissen gehabtzu haben und auch schon mal von derPolizei wegen Trunkenheit in Gewahr-sam genommen worden zu sein. Außerdem hätten sich nahe Be-zugspersonen über sein Trinken Sor-gen gemacht.

Aufgrund der bereits eingetretenenkörperlichen Folgeprobleme wirdHerrn Schäfer die Diagnose “Schäd-licher Gebrauch” mitgeteilt. Der Pro-jektmitarbeiter empfiehlt ihm, denAlkoholkonsum auf ein gesundheitlichverträgliches bzw. weniger schädli-ches Maß zu senken. Verschiedenepragmatische Strategien werdendurchdacht. Herr Schäfer zeigt sichgrundsätzlich interessiert, gibt aller-dings zu bedenken, dass es gar nichtso einfach sei, in den Kreisen, indenen er sich bewege, weniger Alko-hol zu trinken. Darüber hinaus scheinter auch ein wenig stolz zu sein auf diegroßen Mengen Alkohol, die er ver-trägt. Das Gespräch endet ohne kon-krete Vereinbarung oder Zielsetzung.

Frau Abend44 Jahre alt, Hausfrau, Mutter eines12-jährigen Sohnes (berufstätig biszur Geburt ihres Kindes). Auf Drängendes Ehemannes, der eine gesicherteund gut dotierte Position bei der Postbekleidet, hat sie seinerzeit ihreBerufstätigkeit aufgegeben.

Seit Beginn der Schulpflicht des Soh-nes, der eine leichte Auffälligkeit imSinne einer minimalen zerebralen Dys-funktion (MCD) aufweist, fehlt derPatientin die befriedigende Tages-struktur. Da die Haushaltsführung imeigenen Haus sie nicht ausfüllte, hatsie sich im Laufe der Zeit mehr undmehr mit Freundinnen und Bekanntengetroffen und bei diesen Treffen (v.a.tagsüber) zunehmende Mengen Alko-hol konsumiert. Dies geschah zu-nächst in Form von Sekt zum gemein-samen Frühstück, Likör vormittagsoder als Aperitif zum Mittagessen,Wein in lockerer Runde am Abendusw. Der Alkoholkonsum stieg allmäh-lich auf ca. 10 Standardgetränke (ca.80 Gramm Alkohol) pro Tag an. Auchdie Trinkgewohnheiten verändertensich, so dass die Patientin zunehmendalleine trank und darüber auch denregelmäßigen Kontakt zum Freundes-kreis vernachlässigte. Sie beobachte-te bei sich selbst immer öfter ein star-kes Bedürfnis nach Alkohol: Alkoholhalf ihr, die Langeweile und Unzufrie-denheit zu ertragen. Der Ehemann derPatientin reagierte, obwohl mehrmalsvon ihr auf das Thema Alkohol ange-sprochen, mit Unverständnis undUnwillen. Die Patientin suchte in die-ser Situation ihren Hausarzt auf. Die-ser wies sie mit Verdacht auf eineHyperthyreose in die internistischeAbteilung eines Allgemeinkrankenhau-ses ein. Im Screening-Fragebogenhatte sie angegeben, schon einmaldas Gefühl gehabt zu haben, ihren

Kurzinterventionen bei Patienten/innen mit Alkoholproblemen 55

Veränderung im nachfolgend be-schriebenen Sinne auf.Tabelle 7 zeigt die Anzahl der Patien-ten/innen, die zum Nachbefragungs-zeitpunkt Veränderungen der “Diagno-se” (andere oder keine) oder “Alkohol-trink-menge” (um mind. 50% verän-dert) aufweisen. Dabei zeigt sich beijedem zweiten Patienten eine positiveVeränderung. Prozentual gesehen istder Anteil der positiven Veränderun-gen innerhalb der Gruppe der riskantoder schädlich konsumierenden höher(34 von 58 = 59%) als in der Gruppeder abhängigen Patienten/innen (22von 56 = 39%).Zur Veranschaulichung der diagno-stisch-therapeutischen Gespräche mitder Gruppe der früh erkannten Patien-ten werden im folgenden drei Patien-ten vorgestellt und die Gespräche mitihnen kurz skizziert: eine Patientin mitriskantem Gebrauch (Frau Risse1), einPatient mit schädlichem Gebrauch(Herr Schäfer) und eine Patientin ineinem frühen Stadium der Abhängig-keit (Frau Abend).

Frau Risse43 Jahre alt, Hausfrau, arbeitet imVerlagshaus ihres Mannes mit. Gebür-tig aus einem Weindorf in der Pfalz.Der Ehemann ist seit einem halbenJahr an Krebs erkrankt. Es ist zubefürchten, dass er bald stirbt. DasEhepaar hat keine Kinder. Bis zu derErkrankung des Mannes haben dieEheleute über 20 Jahre lang täglich 1bis 2 Flaschen (0,7 L.) Wein getrun-ken. Seit einem halben Jahr trinkt FrauRisse täglich etwa einen halben LiterWein. Keine körperlichen Schädigun-gen feststellbar, H -Gt und MCV imoberen Normbereich (mit Frau Risse’sEinverständnis kontrolliert). Keine psy-chischen oder sozialen Störungen. EinZusammenhang zwischen dem Alko-

holkonsum des Mannes und seinerKrebserkrankung ist nicht bekannt.Frau Risse liegt auf der unfallchirurgi-schen Station mit einem Bänderriss.Im Screening-Fragebogen hatte sieangegeben, dass sie schon einmaldas Gefühl hatte, ihren Alkoholkon-sum verringern zu müssen, und dassihr außerdem schon einmal gesagtworden sei, sie habe eine Störung derLeber.Im insgesamt 35-minütigen diagno-stisch-therapeutischen Gespräch wirdzunächst die Diagnose “Riskanter Ge-brauch” rückgemeldet und anhandeiner Skala erläutert. Frau Risse rea-giert erstaunt, immerhin habe ihr ihrWeinhändler mitgeteilt, der Konsumvon einer Flasche Wein täglich seiabsolut unschädlich. Sie wünschtmehr Informationen über schädlicheTrinkmengen, Untersuchungen zurkardioprotektiven Funktion des Weinsusw. Weitere Gesprächsinhalte: Trink-motive (Entspannung, Genuss), Mög-lichkeiten der Alkoholreduktion (klei-nere Gläser u.ä.), Erkrankung desEhemannes.Frau Risse möchte ihren Alkoholkon-sum aktuell nicht verändern, akzep-tiert allerdings die schriftlichen Infor-mationen über riskante Trinkmengen.Das Gespräch bezeichnet sie als sehrinformativ. Es wurde kein weiteresBeratungsgespräch vereinbart.

Herr Schäfer23 Jahre alt, alleinlebend, keine Kin-der, arbeitslos. Kam auf die unfallchi-rurgische Station wegen einer Sport-verletzung. Herr Schäfer berichtet vonregelmäßigen Treffen mit seinen Kum-pels etwa dreimal die Woche, beidenen er im Schnitt etwa drei LiterBier trinken würde. Am Wochenende

54 Kurzinterventionen bei Patienten/innen mit Alkoholproblemen

1 Alle Namen sind geändert

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Fußballfans (unter starkem Alkoholein-fluss). Nach eigenen Angaben hatHerr Schäfer unmittelbar nach derBeratung im Krankenhaus seinen Al-koholkonsum reduziert, dies habe erallerdings nicht lange durchgehalten.Schon nach wenigen Wochen sei erwieder auf seinem alten Level ange-langt. Mittlerweile trinke und vertrageer sogar noch einiges mehr alsdamals. Starker Drang, Alkohol zutrinken, Toleranzsteigerung, Vernach-lässigung wichtiger Aufgaben und dieim Katamnesezeitraum erstmals auf-getretenen Entzugssymptome führenzur Diagnose “Alkoholabhängigkeit”.Sein Hausarzt habe ihn zwar einmalauf die körperlichen Folgeproblemedes starken Alkoholkonsums hinge-wiesen, das habe ihn aber nichtsonderlich beeindruckt. Da hätten ihnschon eher die Sorgen seiner Ex-Freundin verunsichert, aber mit der seier ja jetzt sowieso nicht mehr zusam-men. Die Perspektive für Herrn Schä-fer ist offen. Einiges scheint davonabzuhängen, wie das Gerichtsver-fahren ausgeht.

Frau AbendZum Nachbefragungszeitpunkt stelltsich die Situation folgendermaßendar: Frau Abend nahm vom Zeitpunktder Krankenhausentlassung an regel-mäßig Einzelgespräche mit einerMitarbeiterin der Beratungsstelle wahr.Sie beantragte eine stationäre Ent-wöhnungstherapie und erhielt imAugust 1995 - mittlerweile schon seit2 Monaten abstinent - einen Platz ineiner Fachklinik. Die Therapie warzunächst für 6 Monate geplant, FrauAbend verlängerte den Aufenthaltjedoch aus eigener Initiative und mitUnterstützung des behandelnden Arz-tes um weitere 2 Monate. Auch wei-terhin erhielt sie keinerlei Unterstüt-zung durch ihren Ehemann, der sie

während des Aufenthaltes in derFachklinik nicht ein einziges Mal be-suchte, fand jedoch Verständnis beieinigen Freundinnen und ihrer Schwe-ster. Nach der Rückkehr in das ge-meinsame Haus stellte sie fest, dassihr Ehemann keine schützenden Vor-kehrungen getroffen, sondern - imGegenteil - zahlreiche alkoholischeGetränke im Haus belassen hatte. Siefasste daraufhin den Entschluss, sichvon ihrem Mann zu trennen, eine ei-gene Wohnung zu suchen und ihreBerufstätigkeit wieder aufzunehmen.Zum Zeitpunkt der Nachbefragungstand Frau Abend inmitten dieserUmbruchsituation.Nachtrag: Ein halbes Jahr später riefsie im Projekt an und berichtete, dasssie mit Hilfe der Suchtberatungsstelleund ihrer Schwester sämtliche Vorha-ben verwirklicht habe: Trennung vomEhemann, eigene Wohnung, Berufstä-tigkeit. Außerdem bemühe sie sichgerade um das Sorgerecht für ihrenSohn, der unter der Trennung derEltern leidet. Sie habe mit ihm bereitseinen Kinder- und Jugendpsychiateraufgesucht. Nach wie vor lebe sie völ-lig abstinent.

IV. Diskussion

Befragungen zum Alkoholkonsumwerfen die Frage nach der Validitätund Reliabilität von Selbstaussagenauf. Mehrere Untersuchungen derletzten Jahre weisen übereinstimmendauf eine zufriedenstellende Validitätund Reliabilität solcher Daten hin(BABOR, STEPHENS und MARLATT1987, BROWN, KRANZLER und DelBOCA 1992, GRANT, ARCINIEGA,TONIGAN et al. 1997). Einige spezifi-sche Faktoren des hier gewählten me-thodischen Ansatzes sprechen darü-ber hinaus für die Validität der zum

Kurzinterventionen bei Patienten/innen mit Alkoholproblemen 57

Alkoholkonsum verringern zu müssenund schon einmal wegen ihres Alko-holtrinkens ein schlechtes Gewissengehabt zu haben. Darüber hinaus hät-te sich ihr Partner bereits über ihr Trin-ken beklagt.

Frau Abend zeigt sich erleichtert, dasssie endlich über ihr Alkoholproblemsprechen kann. Nach eingehenderBefragung wird ihr die Diagnose “Ab-hängigkeit” rückgemeldet und erläu-tert. Die Patientin reagiert einsichtigund äußert ein dringendes Bedürfnisnach fachlicher Hilfe. Nach einer kur-zen Klärung und Abwägung der ver-schiedenen weiterführenden Hilfsan-gebote rät die Projektmitarbeiterinzum Besuch einer Ambulanten Bera-tungs- und Behandlungsstelle fürSuchtkranke und stellt die ent-sprechenden Adressen und Telefon-nummern zur Verfügung. Die Patientinvereinbart unmittelbar im Anschlussan das 30-minütige Gespräch telefo-nisch einen ersten Gesprächsterminmit der Beratungsstelle.

Früherkennung und Kurzinterventionin der medizinischen Versorgungscheinen für viele Patienten mit eineralkoholbezogenen Diagnose ausrei-chende Interventionsformen zu sein,um persönliche Gewohnheiten undEntwicklungstrends zu verändernbzw. aufzuhalten oder ein weiter-führendes Hilfeangebot anzunehmen.Dass jedoch nicht alle Patienten dieBeratungsinhalte positiv umgesetzthaben, wird am Beispiel des HerrnSchäfer deutlich, der bereits im letztenKapitel vorgestellt wurde und nungemeinsam mit Frau Risse und FrauAbend bis zur Nachbefragung “weiter-verfolgt” wird.

Frau RisseFrau Risse hatte zunächst imgewohnten Stil weitergetrunken, bis

nach einigen Monaten ihr Mann starb.Sie war plötzlich auf sich alleingestellt. Die berufliche Situation ver-schlechterte sich sofort, da sie selbstden Betrieb nicht weiterführen konnte.In dieser krisenhaften Situation er-innerte sie sich nach eigenen Anga-ben “deutlich” an das Beratungsge-spräch im Krankenhaus und machtesich ernsthafte Sorgen - wie sie sichausdrückte - “abzustürzen”. Gesprä-che mit einer guten Freundin bestärk-ten sie darin, eine Strategie zum kon-trollierten Umgang mit Alkohol zu ent-wickeln. Sie kaufte sich eine kleineKaraffe (0,5 l). Diese füllt sie seitdemtäglich (abends) bis zur Hälfte mitWein und trinkt ihn in kleinen Schluk-ken. Manchmal “gönnt” sie sich nochein zusätzliches kleines Glas Wein. Sietrinkt somit seit 8 Monaten etwa dieHälfte der Menge, die sie zum Bera-tungszeitpunkt getrunken hat, undbefindet sich damit in einem Bereich,den man als “Konsum mit geringembis ansteigendem Risiko” einstufenmuss. Ihre Lebenssituation bezeichnetsie als zufriedenstellender als zumBeratungszeitpunkt. Nach einer Pha-se der intensiven Trauer hat sie sichmit dem Alleinleben eingerichtet. Siehat eine neue Arbeit angenommen.Die Kontrolle über ihren Alkoholkon-sum erfüllt sie mit Stolz.

Herr SchäferEin Jahr später hat sich die Lebenssi-tuation von Herrn Schäfer in einigenBereichen deutlich verschlechtert: sei-ne Sportverletzung verheilte nichtoptimal, so dass er im Moment anKrücken laufen muss und nicht mehrFußball spielen kann; seine Partnerinhat sich von ihm getrennt; er hat seineArbeit verloren (“zu viele blaue Monta-ge”), und darüber hinaus steht einGerichtsverfahren an wegen schwererKörperverletzung eines gegnerischen

56 Kurzinterventionen bei Patienten/innen mit Alkoholproblemen

Page 31: Kurzintervention und motivierende Gesprächsführung ... · nats-Nachuntersuchung konnte ge-zeigt werden, dass in der Gruppe mit 10 - 15-minütiger Beratung durch den Arzt eine bedeutsam

tersuchung). Auch CHICK et al. (1985)fanden eine drastische Reduktion deswöchentlichen Alkoholkonsums nach12 Monaten (53%), allerdings mit derBesonderheit, dass die Patienten/-innen der Kontrollgruppe, die aus-schließlich diagnostisch interviewtwurden, eine ähnlich hohe Reduktionzeigten. Die Patienten/innen der Inter-ventionsgruppe wiesen allerdingsweniger alkoholassoziierte sozialeProbleme und bessere Blutwerte auf.Auch war die Anzahl der Patienten/-innen, die ihren Alkoholkonsum ummehr als 50% reduziert hatten, in derInterventionsgruppe höher als in derKontrollgruppe. Insgesamt aber kanndas Ergebnis der Studie von CHICK etal. auch als Beleg dafür angesehenwerden, dass eine systematischeFrüherkennung von Alkoholproblemen- selbst ohne anschließende Interven-tion - für sich genommen schon einenEffekt haben kann.

Kurzinterventionen erweisen sich alsbesonders wirkungsvoll bei Patien-ten/innen mit riskantem und schädli-chem Gebrauch. Etwa zwei von dreiPatienten/innen mit diesen Diagnosenhaben im Nachbefragungszeitraumeine positive Veränderung ihrer Trink-gewohnheiten vorgenommen. Hierwird zum einen der präventive Nutzenvon Kurzinterventionen in der medizi-nischen Primärversorgung deutlich,denn zumindest bei einem Teil dieserPatienten/innen kann davon ausge-gangen werden, dass ein Entwick-lungstrend in Richtung einer Schä-digung bzw. einer Alkoholabhängig-keit aufgehalten wurde. Zum anderenkönnen die Ergebnisse insbesonderedieser Patientengruppe als positiv imHinblick auf die allgemeine Gesund-heitsförderung bewertet werden: eingeringerer Alkoholkonsum (als Haupt-kriterium der Veränderung) ist gleich-

bedeutend mit einem geringeren Risi-ko für zahlreiche alkoholassoziiertebzw. alkoholbedingte physische, psy-chische und soziale Probleme (vgl.RITSON 1997). Die Ergebnisse der vorliegenden Un-tersuchung belegen, dass dem Allge-meinkrankenhaus eine potentiell gro-ße Bedeutung bei der Früherkennungund Sekundärprävention von Alkohol-problemen zukommt. Es hat sich alssinnvoll erwiesen, das somatische Be-handlungskonzept um ein alkoholspe-zifisches Kurz-Interventionskonzeptzu ergänzen. Die kontinuierliche Umsetzung deralkoholbezogenen Interventionen imAllgemeinkrankenhaus erfordert dieHinzuziehung qualifizierten Fachper-sonals. Auf der Grundlage der Projekt-erfahrungen wurden konkrete Berech-nungen des dafür erforderlichen Per-sonalaufwandes vorgelegt (PÖRK-SEN, WIENBERG, KREMER et al.1997; s. a. JOHN et al. 1996).

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Kurzinterventionen bei Patienten/innen mit Alkoholproblemen 59

Beratungs- und Nachbefragungszeit-punkt erhobenen patientenbezogenenDaten (vgl. MIDANIK 1988):(1) Die Erst-Befragung im Allgemein-

krankenhaus wurde durch Vertrau-enspersonen (Stationsärzt/innen)oder Projektmitarbeiter/innen initi-iert, von denen die Patienten/innenkeine negativen Konsequenzen zuerwarten hatten.

(2) Die Behandlung im Allgemein-krankenhaus erhöht die Ansprech-barkeit für problematische Themenund senkt die Abwehrbereitschaft(vgl. RUMPF, HAPKE und JOHN1997).

(3) Beratung und Nachbefragung wur-den als Leitfadengespräch durch-geführt. Dadurch konnten dieSelbstaussagen in mehrerenGesprächssequenzen aus unter-schiedlichen Perspektiven validiertwerden.

Die hier dargestellten Ergebnissebasieren auf einer Katamnesequotevon 70,8%. Dies ist für einen derartkurzen Beratungskontakt, wie er imAllgemeinkrankenhaus gegeben war,außerordentlich zufriedenstellend underfüllt die wissenschaftlichen Mindest-anforderungen für valide Interpretatio-nen von Katamneseergebnissen(GRANT et al. 1997). JOHN et al.(1996) berichten für ihre Nachbe-fragung von Patienten/innen desAllgemeinkrankenhauses eine ähnlichgute Katamnesequote (71,1%).Die Nachbefragungsstichprobe weistim Hinblick auf alkoholspezifische undsoziodemographische Variablen ge-genüber der Beratungsstichprobe keine signifikanten Unterschiede auf.Die Nachbefragungsergebnisse kön-nen deshalb als repräsentativ für diegesamte im Krankenhaus erfasstePatientenstichprobe angesehen wer-den.

Die Ergebnisse zur Veränderung vonDiagnose, Trinkmenge und Inan-spruchnahme weiterführender Hilfenbelegen, dass ein Früherkennungs-und Kurzinterventionskonzept, wie esim Rahmen des Projekts erprobt wur-de, bei etwa 50% der Patienten/innengesundheitsförderliche Veränderun-gen bewirken kann. Dies ist nach Ansicht des Verfassersvor allem auf drei Faktoren zurückzu-führen:1. Ein kurzes Früherkennungsinstru-

ment (LAST), das sich durch seineSachlichkeit auszeichnet und nichtintrusiv vorgeht.

2. Eine respektvolle Grundhaltung. 3. Ein flexibles Beratungskonzept mit

gezielten motivationsförderlichenElementen und einer individuell an-gemessenen Zielfindung.

Die hier zur Diskussion stehendenNachbefragungsergebnisse werdendurch Ergebnisse anderer Kurzinter-ventions-Studien in Allgemeinkran-kenhäusern bestätigt. So stellten Johnet al. (1996) eine Erhöhung der In-anspruchnahme suchtspezifischer Hil-fen nach 12 Monaten von 29% auf56% fest (19% auf 33% in dieser Un-tersuchung). Allerdings wird sowohl inder hier vorliegenden als auch derJohn-Untersuchung deutlich, dass esdurch eine Kurzintervention nichtimmer gelingt, beratungs- undbehandlungsbedürftige Patienten/-innen mit einem Alkoholproblem vonder Annahme eines weiterführendenfachspezifischen Hilfsangebots zuüberzeugen.HEATHER et al. (1996) berichteten(bei vergleichbarem Beratungsansatz)eine Reduktion des wöchentlichenAlkoholkonsums nach 6 Monaten inder Interventionsgruppe um 42% ge-genüber 29% in der Kontrollgruppe(46% nach 12 Monaten in dieser Un-

58 Kurzinterventionen bei Patienten/innen mit Alkoholproblemen

Page 32: Kurzintervention und motivierende Gesprächsführung ... · nats-Nachuntersuchung konnte ge-zeigt werden, dass in der Gruppe mit 10 - 15-minütiger Beratung durch den Arzt eine bedeutsam

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60 Kurzinterventionen bei Patienten/innen mit Alkoholproblemen

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62 Kurzinterventionen bei Patienten/innen mit Alkoholproblemen

Inhalt

I. Einführung

II. Das Interventionsprogramm in Schweden

III. DieSituation in Deutschland

IV. Beratungsgrundlagen

V. Zielgruppen verstärkter präventiver Bemühungen

VI. „Kritische” Entscheidungsphasen

VII. Ergebnisse aus den Perinatalerhebungen

VIII. Schlussbemerkungen

Literatur

Kurzinterventionen in der gynokälogi-schen Praxis: Schwangerschaft undRauchen

Peter LangBremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin (BIBS)Linzer Str. 828359 Bremen

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Übersichtsartikel gezeigt, für den sieeine Vielzahl an Studien aus den Jah-ren 1965 bis 1995 analysiert haben(Tabelle 1).

Aus der Tabelle ist beispielsweise zuentnehmen, dass das Relative Risiko(RR) für Asthma als Folge von Passiv-rauch um 1,43 erhöht ist, d. h. dasRisiko für eine asthmatische Erkran-kung ist für Kinder von Eltern, die rau-chen, 1,43-fach oder etwa 50% höherals für Kinder nicht rauchender Eltern.Die Zahlenangaben zum bevölke-rungsbezogenen Risiko (PAR) erlau-ben eine Prognose darüber, wie vieleErkrankungen weniger vorkommenwürden, wenn keine Passivrauchbela-stung besteht. Bezogen auf das Bei-spiel der asthmatischen Erkrankungenbedeutet der in der Tabelle genannteWert, dass die Gesamtzahl an Asthmabei Kindern in der Bevölkerung um 8-13% gesenkt werden könnte, wenn inihrer Gegenwart nicht geraucht wür-de.

Positiv ist zu registrieren, dass ein Teilder werdenden Mütter, die zu Beginnder Schwangerschaft noch rauchen, -häufig ‚spontan‘ - mit dem Rauchenaufhört und die Motivation zumRauchverzicht in dieser Phase beson-ders hoch ist. Ungünstig ist, dass trotzdieser guten Voraussetzungen, denmeisten ein Rauchverzicht nicht ge-lingt und viele Mütter, die in derSchwangerschaft mit dem Rauchenaufgehört haben, nach der Entbin-dung erneut mit dem Rauchen begin-nen.

Zur Förderung der Gesundheit vonMutter und Kind sind unterstützendeMaßnahmen und Beratung dringendnotwendig, die den zwischenzeitlichenErfolg sichern, verstärken und stabili-sieren. Die regelmäßigen medizini-schen Vorsorgeuntersuchungen in derSchwangerschaft und im frühen Kin-

desalter bieten eine sehr gute Voraus-setzung für die Gesundheitsberufe,Beratung zum Nichtrauchen durchzu-führen.

Untersuchungen haben gezeigt, dassder Anteil Frauen, die während derSchwangerschaft auf das Rauchenverzichten und auch nach der Entbin-dung nicht wieder mit dem Rauchenbeginnen, erhöht werden kann, wennihnen eine strukturierte und systemati-sche Beratung angeboten wird (siehezum Beispiel McBRIDE et al., 1999;POSWILLO & ALBERMAN, 1992).

Ein solches Vorgehen muss wederaufwendig noch sehr zeitintensiv sein.In verschiedenen Übersichtsartikelnkommt man zu dem Ergebnis, dassbereits ein Zeitaufwand von etwa 5 -15Minuten für die Nikotinentwöhnungs-beratung ausreichend sein kann, umzum Erfolg zu führen. Voraussetzungdafür ist geschultes Beratungsperso-nal und spezifisch für die Schwanger-schaft konzipierte Beratungsbroschü-ren und Informationsmaterial (MELVINet al., 2000; FIORE et al.; 2000a,b;siehe auch WINDSOR et al., 1998).Selbst von einer solchen zeitlich kom-primierten Basisstrategie wird im Ver-gleich zur herkömmlichen Routinebe-ratung (‚usual care‘) durchschnittlicheine um 70% erhöhte Erfolgswahr-scheinlichkeit für einen Rauchverzichterwartet (MELVIN et al., 2000, p. iii81).Daraus wird gefolgert, dass mit derEinführung zumindest eines minimalenBeratungskonzeptes weitaus mehrFrauen in der Schwangerschaft zueinem Rauchverzicht motiviert werdenkönnten. Dabei sollte allerdings weni-ger die reine Zeitkomponente für dieBeratung im Vordergrund stehen alsvielmehr die Orientierung auf kurze,klar strukturierte Beratungselemente,die der Lebenssitution der Schwange-ren angepasst sind (für einen allge-

Kurzintervention in der gynäkologischen Praxis 65

I. Einführung

Bereits seit den 80er Jahren werdenverstärkt Bemühungen gefordert, dengesundheitlichen Risiken des Rau-chens in der Schwangerschaft undden Folgen des Passivrauchens imfrühen Kindesalter mehr Beachtung zuschenken. Die Maßnahmen solltendarauf ausgerichtet sein, Schwange-re, ihre Partner sowie Eltern von Klein-kindern zu motivieren, für die Verbes-serung ihrer eigenen Gesundheit undder ihrer Kinder auf das Rauchen zuverzichten (U.S. Department of Healthand Human Services, 1980). An die-ser Einschätzung hat sich auch zwan-zig Jahre später noch nichts geändert:In der Dokumentation der Weltge-sundheitsorganisation (WHO) zum„Welt-Nichtraucher-Tag 1999” heißtes „smoking is probably the mostimportant modifiable cause of poorpregnancy outcome among women incountries such as the US and theEuropean Union“ und „in order toreduce the risks of an unsuccessfulpregnancy outcome, general preven-tion efforts need to be enhanced ....“

(World Health Organization, 1999, S.30f).

Rauchen während der Schwanger-schaft und die Passivrauchbelastungim Säuglingsalter wird mit einer Viel-zahl an Erkrankungen und Schädigun-gen für Ungeborene und Kleinkinder inVerbindung gebracht. Ein Rauchver-zicht in der Schwangerschaft kannu.a. entscheidend dazu beitragen, dasRisiko einer Fehlgeburt oder Frühge-burt zu mindern, die Chance auf einnormal gewichtiges Baby zu erhöhen,sowie die Entwicklung der Lungen-funktionen beim Kind zu verbessern(Health Education Authority [HEA],1995; POSWILLO & ALBERMAN,1992). Kinder, die in Haushalten auf-wachsen in denen geraucht wird, sindu.a. anfälliger für Bronchitis, Lungen-entzündungen, asthmatische Erkran-kungen und Mittelohrentzündungen;aber auch die Gefahr für den ‚Plötz-lichen Kindstod (SIDS)‘ ist deutlicherhöht (BLAKELY & BLAKELY, 1995;LAWRENCE, 1998).

In welchem Umfang Kinderkrankhei-ten vermieden werden können, habenDiFRANZA & LEW (1996) in einem

64 Kurzintervention in der gynäkologischen Praxis

Quelle: DiFranza & Lew, 1996

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einen täglichen Zigarettenkonsumnannten, lag der Prozentanteil im Jahr1983 noch doppelt so hoch (Abbil-dung 1). Erste Auswertungen von Registerda-ten zum Rauchverhalten nach derEntbindung aus dem Jahre 1996 las-sen eine sehr geringe Rückfallratenach der Entbindung vermuten. Vonden Eltern mit etwa vier Wochen altenSäuglingen rauchten lediglich 11%der Mütter und 17% der Väter; bei El-tern mit 8 Monate alten Babys wur-den ähnlich niedrige Angaben zumRauchen ermittelt (Mütter: 13%; Vä-ter: 16%). (Ausführliche Darstellungender schwedischen Interventionsmaß-nahmen und Beurteilungen des Pro-grammerfolges finden sich in HAG-LUND, 1999; SYLWAN, 1999; einÜberblick über Projekte zur Förde-rung des Nichtrauchens in derSchwangerschaft in Europa gibtLANG, 1999).

III. Die Situation inDeutschland

In Deutschland hat es bis vor kurzemkeinen bundesweiten Interventionsan-satz zur Reduzierung des Rauchens in

der Schwangerschaft gegeben. Erstseit September 1999 hat die Bundes-zentrale für gesundheitliche Aufklä-rung (BZgA) ihre Kampagnen „rauch-frei“ um ein Angebot zur Förderungdes Nichtrauchens bei werdendenund jungen Eltern ergänzt. Das Me-dienpaket „Rauchfrei für mein Baby“ist für die Beratung in der Schwange-renvorsorge entwickelt worden undbesteht aus drei Teilen (Abbildung 2):

- Das Beratungsmanual „Rauchfreiin der Schwangerschaft“ richtetsich in erster Linie an Gynäkologenund Hebammen. In Anlehnung andas theoretische Modell von PRO-CHASKA et al. (1994) und dieschwedischen Erfahrungen bietetes ein Orientierungsschema für dieDurchführung von Beratungsge-sprächen zum Nikotinverzicht inder Schwangerschaft. Themensind u.a. die Stärkung der Motiva-tion zum Rauchverzicht, Anleitungzur Entwicklung von Handlungsal-ternativen zum Rauchen und Hilfenbei der Bewältigung von Rückfäl-len.

- Die beiden Elternratgeber „Ich be-komme ein Baby – rauchfrei“ unddas „Das Baby ist da“ wenden sichunmittelbar an die Schwangere

Kurzintervention in der gynäkologischen Praxis 67

meinen Überblick siehe insbesondereROLLNICK et al., 1999).

Wie solche ‚einfachen‘ Beratungskon-zepte auch landesweit erfolgreich inein Gesundheitssystem integriert wer-den können, zeigen die Erfahrungenaus Schweden.

II. Das Interventions-programm inSchweden

Bereits Mitte der 70iger Jahre wurdenin Schweden die ersten Kampagnenzum Thema Rauchen in der Schwan-gerschaft durchgeführt. Diese Maß-nahmen wurden 1992 in ein umfang-reiches nationales Programm über-führt und weiter entwickelt. Das Pro-gramm wurde mit dem Ziel gestartet,den Prozentanteil der Raucherinnen inder Schwangerschaft zu senken undnach Beratungsmöglichkeiten zu su-chen, die sich leicht in die tägliche

Beratungssituation von Hebammenintegrieren lassen.Zentrales Element der interventivenMaßnahmen sind Weiterbildungs- undSchulungsseminare für Hebammenund Kinderkrankenschwestern zur ef-fektiven Gesprächsführung und zurDurchführung von Beratung zum Ni-kotinverzicht. Ausgangspunkt dieserStrategie waren Untersuchungen, dieerkennen ließen, dass in den Gesund-heitsberufen zwar ausreichend Infor-mationen über das Rauchen vorhan-den waren, aber Unsicherheit darüberbestand, wie ein erfolgreiches Bera-tungsgespräch gestaltet werden soll.Die jährlich erstellten nationalen Stati-stiken über die Rauchgewohnheitenschwangerer Frauen und Eltern vonKleinkindern sind ein Indikator für denErfolg der umfangreichen Maßnah-men. Seit 1983 ist der Prozentanteilan Frauen, die während der Schwan-gerschaft rauchen, kontinuierlich zu-rückgegangen. Während im Jahre1997 nur noch 15% der Schwangeren

66 Kurzintervention in der gynäkologischen Praxis

Quelle: Haglund, 1999 Abb. 2: Beratungsmaterial „Rauchfrei für mein Baby” der BZgA

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Stadium 5: „Rauchverzicht“ („Main-tenance“)Mit zunehmender Dauer des Rauch-verzichts nimmt die Sicherheit zu,auch ohne Nikotin auskommen zukönnen. Die Stabilisierung des Niko-tinverzichts und die leichtere Bewälti-gung möglicher rückfallkritischer Situ-ationen sind daher die typischen Cha-rakteristika der „Erhaltungs-Phase“.Mit sinkendem Risiko eines Rückfallssteigt die Wahrscheinlichkeit, Nicht-raucher/in zu bleiben, und damit denKreislauf „Rückfall“ und „neuerlicherVersuch mit dem Rauchen aufzuhö-ren“ zu durchbrechen (Abbildung 3).

Die Erfahrungen zeigen, dass ein Ni-kotinverzicht zwar manchmal im er-sten Versuch gelingen kann, typi-scherweise aber mehrere Versuchenotwendig sind, in denen die ver-schiedenen Stadien durchlaufen wer-den, bis das Rauchen endgültig auf-gegeben ist. Die Annahmen von PRO-CHASKA et al. (1994) machen es dar-über hinaus notwendig, die Angeboteund Inhalte der Nikotinentwöhnungs-

beratung dem Stadium anzupassen,in dem die Raucherin oder der Rau-cher sich befindet, anderenfalls wer-den sie nicht erfolgreich sein.

Vor diesem Hintergrund sollten Bera-tungskonzepte zum Nikotinverzicht soangelegt sein, dass sie auf der jeweilsangemessen „Stufe der Veränderung“aufbauen und ihre Beratungsinhaltedarauf ausrichten (Tabelle 2).

Als Ausgangspunkt einer Beratungs-strategie bietet sich die Anamnesezum Nikotinkonsum an. Neben demZigarettenkonsum der Schwangerensollte dabei auch das Rauchverhaltender Partner und ggf. das Rauchen amArbeitsplatz berücksichtigt werden.

Auch wenn deutlich wird, dass keinInteresse an einem Rauchverzicht be-steht, kann es sinnvoll sein, nach denGründen der Entscheidung zu fragen,um mögliche Barrieren oder Versa-gensängste zu erkennen und zu ver-stehen. Das Angebot weiterer Unter-stützung eröffnet eine Beratungsper-spektive, falls die Entscheidung fürdas Rauchen revidiert wird.

Besteht der Wunsch, auf das Rau-chen zu verzichten, haben sich einigeBeratungselemente als empfehlens-wert herausgestellt, die in der nachfol-genden Übersichtstabelle dargestelltsind (Tabelle 3).

Kurzintervention in der gynäkologischen Praxis 69

und ihren Partner. Zur Unterstüt-zung der Beratungsgesprächedurch die Gynäkologen sind hiernoch einmal wichtige Gesundheits-informationen und Hilfen zusam-mengestellt, um während derSchwangerschaft aber auch nachder Entbindung ohne Zigarettenauszukommen.

Die Materialien sind kostenlos. Die bei-den Broschüren können auch in grö-ßerer Stückzahl direkt bei der BZgAangefordert werden. (Eine Bestellungist auch über das Internet unter derAdresse http://www.bzga.de möglich.)

Die Materialien sind in dem BremerProjekt „Zur Förderung des Nichtrau-chens bei Schwangeren und Elternvon Säuglingen“ entstanden, das seit1994 durch die Europäische Kommis-sion gefördert wird und darauf abzielt,das Beratungsverhalten von Gynäko-logen und Kinderärzten zum Nichtrau-chen zu stärken und zur systemati-schen Durchführung von Nikotinent-wöhnungsberatungen anzuregen. DieGrundlagen des Beratungskonzepteswerden nachfolgend kurz skizziert(siehe auch LANG, 1999; LANG &GREISER, 1999).

IV. Beratungsgrundla-gen

Als ein hilfreiches theoretisches Mo-dell bei der Planung und Durchfüh-rung von Beratung zum Nikotinver-zicht haben sich die Überlegungenvon PROCHASKA et al. (1994) erwie-sen. Die Autoren gehen von fünf ver-schiedenen Stadien der (Verhaltens-)Veränderung („Stages of Change“)aus, die durchlaufen werden, bevorein langfristiger Rauchverzicht erreichtwerden kann:

Stadium 1: „Nicht an Rauchverzichtinteressiert“ („Precontemplation“)Stadium, in dem kein Interesse vor-handen ist, das Rauchverhalten inabsehbarer Zeit zu ändern. Im persön-lichen Bilanzieren der Gründe für odergegen das Rauchen überwiegen dievermeintlichen Vorteile des (Weiter-)Rauchens gegenüber den erwartetenVorteilen eines Rauchverzichts.Stadium 2: „Nachdenken über ei-nen Rauchverzicht“ („Contempla-tion“)In dieser Phase wird das eigeneRauchverhalten als „eher“ nachteiligbewertet und Überlegungen für eineneventuellen Rauchverzicht angestellt.Allerdings ist die Motivation (noch)nicht so stark ausgeprägt, dasstatsächlich auch schon eine Bereit-schaft zum Handeln besteht. Stadium 3: „Entschluss zumRauchverzicht“ („Preparation“)Diese Personengruppe ist dazu ent-schlossen, in absehbarer Zeit mit demRauchen aufzuhören. Sie sind auf derSuche nach Möglichkeiten, wie siebeim Verzicht auf die Zigaretten ambesten vorgehen können, und versu-chen für sich eine Strategie zu entwik-keln. Stadium 4: „Versuch aufzuhören“(„Action“)Der Verzicht auf die Zigaretten wirdgewagt; die Sicherheit und das Ver-trauen, dass der Versuch mit demRauchen aufzuhören tatsächlich auchgelingt, ist z.T. (noch) nicht sehr groß.Die Aktions-Phase ist von daher durch(intensive) Anstrengungen und Bemü-hungen gekennzeichnet, eine Ände-rung im Rauchverhalten aufrechtzuer-halten und nicht wieder zur Zigarettezu greifen. Das Risiko eines Rückfallesin die alten Rauchgewohnheiten ist indieser Phase relativ hoch.

68 Kurzintervention in der gynäkologischen Praxis

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- „Starke“ Raucherinnen

Eine Gruppe mit erhöhtem Beratungs-bedarf zum Nikotinverzicht stellenauch die intensiven Raucherinnen dar.Ihnen fällt es am schwersten, im Ver-lauf der Schwangerschaft auf denNikotinkonsum zu verzichten (Abbil-dung 5).

Der Prozentanteil der werdenden Müt-ter, die in der Schwangerschaft mitdem Rauchen aufhören, ist um so nie-driger je mehr Zigaretten zu Beginnder Schwangerschaft geraucht wur-den. Während 60 bis 80% der Frauen,die zu Beginn der Schwangerschaft 1bis 9 Zigaretten im Tagesdurchschnittgeraucht haben, bis zur Geburt desKindes auf das Rauchen verzichteten,gelang dies nur 10 bis 15% derSchwangeren, die einen Zigaretten-konsum von mehr als 25 Zigarettenpro Tag nannten.

- Rauchende Partner

Während eine Vielzahl an Studien zurÄnderung des Rauchverhaltens in derSchwangerschaft vorliegen, wird demRauchverhalten der Partner eine ver-hältnismäßig geringe Beachtung zu-gemessen. Dies, obwohl mehr als75% der Frauen, die zu Beginn derSchwangerschaft rauchen, mit einemPartner zusammenleben, der eben-falls Raucher ist, und damit die Chan-ce auf einen dauerhaften Nikotinver-zicht der Frauen über die Schwanger-schaft hinaus deutlich sinken(WATERSON, EVANS & MURRAY-LYON, 1990).

Untersuchungen aus Großbritannienzeigen, dass etwa die Hälfte aller Kin-der in Haushalten aufwächst, in denenmindestens ein Elternteil raucht(Health Education Authority, 1994).Befragungen in Bremen kommen zuähnlichen Ergebnissen, wie die Abbil-dung 6 zeigt.

Kurzintervention in der gynäkologischen Praxis 71

Die einzelnen Beratungsschritte sindausführlich dargestellt in BRECK-LINGHAUS et al. (1999) (siehe EURO-scip Projektgruppe, 2000).

Die Erfahrungen zeigen, dass für ein-zelne Gruppen ein höherer Zeitauf-wand und intensivere Beratungsbe-mühungen erforderlich sind, um zumNichtrauchen zu motivieren.

V. Zielgruppen ver-stärkter präventiverBemühungen

- Junge Raucherinnen

Zum Zeitpunkt des Bekanntwerdensder Schwangerschaft raucht inDeutschland etwa ein Drittel der wer-denden Mütter noch täglich Zigaret-ten, wobei das Rauchverhalten sehrstark mit dem Alter variiert. Ein auffäl-lig hoher Nikotinkonsum zeigt sich inden jüngeren Altersgruppen, wie dieBefragungen auf Bremer Wöchnerin-nen-Stationen der Jahre 1994, 1996und 1997 zeigen (Abbildung 4).

In der Altersgruppe der unter 25-Jäh-rigen gab jede zweite Schwangere anzu Beginn der Schwangerschaftgeraucht zu haben. Keine andereAltersgruppe weist darüber hinauseinen höheren Anteil an Frauen auf,die zu Beginn der Schwangerschaft20 Zigaretten und mehr im Tages-durchschnitt geraucht haben (LANGet al., 1998).

70 Kurzintervention in der gynäkologischen Praxis

Quelle: Lang et al, 1998

Quelle: Lang et al, 1998

Tab. 3: Praktische Unterstützung

(Schriftliche) Informationen zu den Vorgehensweisen beim Nikotinverzicht.Entwicklung eines „Aktions”-Planes *Festlegung von weiteren Beratungsgesprächen und Nachsorgeterminen auch über den STOP-Tag hinaus.

Hinweis: Ein „Aktions”-Plan wird eher erfolg-reich sein, wenn er die nachfolgenden Elemente berücksichtigt:

ZeitplanFestlegung eines „STOP”-TagesVorschläge durch die Schwangere selbstGemeinsam mit der Schwangeren entwickeltRealitätsbezugZusicherung von Unterstützung

(siehe auch; HEA, 1997.p.11ff)

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Drittel der werdenden Mütter nennenals Zeitpunkt des Rauchverzichts dieersten 3 Schwangerschaftsmonate.Mit zunehmendem Schwangerschafts-verlauf wird ein Nikotinverzicht un-wahrscheinlicher. Beratung zum Niko-tinverzicht sollte von daher systema-tisch mit den ersten Schwanger-schafts-Vorsorgeuntersuchungen ver-bunden werden (LANG et al., 1998;RAW, McNEILL & WEST, 1998;WATTS et al., 1998).

Mit der Geburt ihres Kindes nimmt fürviele Frauen die Bereitschaft, auchweiterhin auf das Rauchen zu verzich-ten, stark ab. Insbesondere in denersten Monaten nach der Entbindungkommt es häufig zum erneutenRauchbeginn. Untersuchungen zeigenRückfallquoten von bis zu 60% in denersten drei Monaten nach der Entbin-

dung (McBRIDE & PIRIE, 1990; LANGet al., 1998; WATTS et al., 1998).

Dieser kritischen Phase der Neube-wertung des eigenen Rauchverhaltenswird bisher nur in wenigen Interven-tionsprojekten Rechnung getragen, indem Maßnahmen zur Rückfallprophy-laxe nach der Entbindung entwickeltwurden. Insbesondere die Erfahrun-gen aus Schweden zeigen, dass miteinem geringen Beratungsaufwandein Rückfall in die alten Rauchge-wohnheiten deutlich gesenkt werdenkann (HAGLUND, 1999; SYLWAN,1999).

VII. Ergebnisse ausden Perinatalerhe-bungen

Auswertungen der Angaben zumRauchverhalten während derSchwangerschaft auf der Basis derPerinatalerhebungen aus den Bun-desländern Niedersachsen, Hamburgund Bremen zeigen seit Beginn derInterventionsmaßnahmen für Bremeneine deutlich positive Entwicklung:

� Der Anteil Raucherinnen ist inHamburg zwischen 1992 und1998 in etwa konstant geblieben:19% der dort befragten Schwan-geren geben an, zur Zigarette zugreifen.

� Für Niedersachsen ist nach Jahrenstetigen Rückganges im Prozent-anteil der Raucherinnen währendder Schwangerschaft im Jahr 1998erstmals wieder ein Anstieg zu ver-zeichnen.

� Die auffälligste Veränderung ist inBremen zu registrieren. Seit 1995ist der Anteil Raucherinnen deut-lich zurückgegangen. Während

Kurzintervention in der gynäkologischen Praxis 73

- Zusammenfassende Übersicht zuden Einflussfaktoren des Rauchens inder Schwangerschaft und nach derEntbindung

In Tabelle 4 sind neben den bereitsgenannten Faktoren weitere Indikato-ren zusammengestellt, die einen mög-lichen Rauchverzicht in der Schwan-gerschaft begünstigen oder erschwe-ren und die bei der Beratung Beach-tung finden sollten.

In der Gruppe der Raucherinnen wäh-rend der Schwangerschaft finden sichhäufiger Frauen, die u. a. jünger sind,mit schwierigeren sozialen und finan-ziellen Lebenssituationen konfrontiertsind, ihr erstes Kind erwarten undeinen Partner haben, der ebenfallsraucht.

Ein Rauchverzicht gelingt eher, wenndie Frauen sich selbst auch zutrauen,den Verzicht auf die Zigaretten zuschaffen (BOLLING & OWEN, 1997;OWEN & BOLLING, 1996).

Ob nach der Entbindung der Rauch-verzicht aufrechterhalten wird, hängt

neben dem sozialen Status, dem Alterund der Unzufriedenheit über daseigene Körpergewicht entscheidendvom Rauchverhalten des Partners ab.Raucht der Partner, ist ein erneuterRauchbeginn der Mutter nach derEntbindung mit einer höheren Wahr-scheinlichkeit zu erwarten. Interventi-ve Maßnahmen zum Rauchverzicht inder Schwangerschaft sollten vondaher von Beginn an das Rauchver-halten der Partner mit berücksichtigen(WATTS et al., 1998).

„Kritische“ Entscheidungspha-sen

Für die Beratung zum Nichtrauchenwährend der Schwangerschaft unddie Aufrechterhaltung des Nikotinver-zichts über den Zeitpunkt der Entbin-dung hinaus, sind zwei Zeitabschnittevon besonderer Bedeutung.

Die Entscheidung zum Nichtrauchenin der Schwangerschaft wird überwie-gend direkt mit der Feststellung derSchwangerschaft getroffen. Etwa zwei

72 Kurzintervention in der gynäkologischen Praxis

Quelle: Lang et al, 1998

Tab.4: Einflussfaktoren des Nikotinver-zichts

Einflussfaktoren

Quelle: Health Education Authority, 1997, p. 5

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Allerdings erscheint es wichtig, dieBeratung nicht nur auf die Phase derSchwangerschaft zu konzentrieren.Etwa 50% der Frauen, die währendder Schwangerschaft auf die Zigaret-ten verzichtet haben, werden in dieserZeit wieder rückfällig. Interventions-maßnahmen zur Rückfallprophylaxefehlen oft. Untersuchungen in Schwe-den haben gezeigt, dass es mit gerin-gem Aufwand möglich ist, die Rück-fallquote von 50% auf 20% zu vermin-dern.

Während in einigen europäischen Län-dern Informationsmaterialien und Trai-ningsprogramme für die Gesundheits-berufe bereits entwickelt wurden, sindin Deutschland Schulungs- und Fort-bildungsprogramme für Gynäkologen,Hebammen und Kinderärzte zurDurchführung von Nikotinentwöh-nungsberatung bisher nur in geringemMaß vorhanden. In Hinblick auf eineAusweitung des Beratungsangebotessollten verstärkt Weiterbildungsmaß-nahmen aufgebaut werden. Eine Aus-dehnung der Interventionskonzepteauf die Zeit vor der Schwangerschaftund nach der Entbindung erscheintdabei dringend geraten.

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Kurzintervention in der gynäkologischen Praxis 75

1995 noch 23,6% der Schwange-ren rauchten sind es 1998 nurnoch 17,5%: Ein relativer Rück-gang von etwa 25%! Auch wennein kausaler Zusammenhang nichtbelegt werden kann, darf darüberspekuliert werden, ob diese erfreu-liche Entwicklung mit den Mitte1995 in der Stadt begonnenen undseitdem intensivierten Maßnahmenzur Förderung des Nichtrauchensbei Schwangeren und Eltern vonKleinkindern in Zusammenhangstehen (siehe Abbildung 7).

Insgesamt ist allerdings zu vermuten,dass die Zahlen zum Rauchen in derSchwangerschaft aus den drei Bun-desländern insgesamt ein zu optimi-stisches Bild zeigen. Die Frauen wer-den in der Regel bei der Anmeldungder Geburt im Krankenhaus befragt –also etwa um den 6./7. Schwanger-schaftsmonat. Zu diesem Zeitpunkthat etwa jede dritte bis jede zweiteSchwangere mit dem Rauchen aufge-hört. Der Prozentanteil der Raucherin-nen zu Beginn der Schwangerschaft

sollte demnach etwa zwischen 25%bis 35% veranschlagt werden.

VII: Schlussbemerkun-gen

Die Schwangerschaft bietet - im Ver-gleich zu anderen Lebensphasen -eine sehr günstige Gelegenheit fürinterventive Angebote zum Rauchver-zicht. Etwa 40% der Frauen, die zuBeginn der Schwangerschaft rau-chen, verzichten bis zur Entbindungvöllig auf den weiteren Nikotinge-brauch. Etwa 50 bis 60% von ihnengelingt der Rauchverzicht in denersten drei Monaten der Schwanger-schaft, vielen bevor sie die Schwan-gerschaftsvorsorge beginnen und mitGynäkologen oder Hebammen inKontakt kommen. Studienergebnisselegen nahe, dass durch einfache,knappe Beratung durch geschultesPersonal und die Weitergabe vonInformationen etwa 20% der Schwan-geren zusätzlich zum Rauchverzichtmotiviert werden könnten.

74 Kurzintervention in der gynäkologischen Praxis

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7978

Inhalt

I. Definitionen

II. Empirische Begründung

III. Theoretische Begründung

IV. Standardisierung

V. Individualisierung

VI. Kompetenz

VII. Evaluation

VIII. Transparenz

Literatur

Voraussetzungen der Implementie-rung effektiver Kurzinterventionen

Dr. rer. nat. Ralf Demmel, Dipl.-Psych. Westfälische Wilhelms-Universität MünsterPsychologisches Institut IPsychologische Diagnostik und Klinische PsychologieFliednerstr. 2148149 Münster

Page 42: Kurzintervention und motivierende Gesprächsführung ... · nats-Nachuntersuchung konnte ge-zeigt werden, dass in der Gruppe mit 10 - 15-minütiger Beratung durch den Arzt eine bedeutsam

gezeigt werden, dass MotivationalEnhancement Therapy (MET) – eineModifikation und Weiterentwicklungdes DCU (MILLER et al., 1988) –ebenso erfolgreich sein kann wieandere wesentlich aufwendigereBehandlungsprogramme (Zusammen-fassung und kritische Bewertung inMARLATT, 1999).

III. TheoretischeBegründung

Der Einfluss (sozial-)psychologischerTheorien der Einstellungs- und Verhal-tensänderung auf die Entwicklung der in der englischsprachigen Literaturbeschriebenen Kurzinterventionen ist unverkennbar (zur Theorie der kog-nitiven Dissonanz siehe DRAYCOTT &DABBS, 1998a, 1998b; zusammen-fassende Darstellung der Theorie der psychologischen Reaktanz in DICKENBERGER, GNIECH & GRA-BITZ 1993; zu Soziale Lerntheorie sie-he BANDURA, 1986; ROLLNICK &HEATHER, 1982): So soll beispiels-weise der Hinweis auf die Eigenver-antwortung des Patienten (responsibi-lity) Reaktanz (”Widerstand”) reduzie-ren, die Förderung der Selbstwirksam-keitserwartungen (self-efficacy) hinge-gen Zuversicht und Veränderungsbe-reitschaft erhöhen.

IV: Standardisierung

Die Standardisierung empirisch undtheoretisch begründeter Interventio-nen soll den andauernden Erfolg derjeweiligen Maßnahmen auf einemmöglichst hohen Niveau gewährlei-sten und darüber hinaus eine Über-prüfung des Behandlungserfolgs er-

möglichen (follow-up). Ein Beispiel: Injüngster Zeit wurde von DIMEFF,BAER, KIVLAHAN und MARLATT(1999) eine Integration der von MIL-LER und ROLLNICK (1991, deutscheÜbersetzung 1999) beschriebenenGesprächstechniken und kognitiv-behavioraler Behandlungskonzepte(zusammenfassend DEMMEL, inpress; KADDEN, 1999) vorgeschla-gen. Ergebnis dieser Synthese ist dasstandardisierte Harm-Reduction-Pro-gramm BASICS (Brief Alcohol Scree-ning and Intervention for College Stu-dents). BASICS ist eine niedrigschwel-lige Kurzintervention (zwei Sitzungenje 50 Minuten), die weitgehend demDCU (siehe MILLER et al., 1988) ent-spricht (ausführliche Darstellung inDEMMEL, in press). In einer Reiheempirischer Untersuchungen konntendie positiven Effekte des Programmsnachgewiesen werden (Zusammen-fassung in DIMEFF et al., 1999).

V. Individualisierung

Standardisierung schließt ein indivi-duelles Vorgehen keinesfalls aus. DieImplementierung der beschriebenenProgramme (BASICS, DCU, MET etc.)setzt einerseits die detaillierte Kennt-nis der Manuale, andererseits aberauch ein hohes Maß an Flexibilität vor-aus, da die spezifischen Interventio-nen in Abhängigkeit von der Verände-rungsbereitschaft der Patienten modi-fiziert werden müssen. StandardisierteDiagnostik und Befunderhebung(assessment) erleichtern die Durch-führung einer ”maßgeschneiderten”Intervention: Die sachliche und wer-tungsfreie Rückmeldung der Ergeb-nisse (feedback) kann darüber hinauswesentlich zur Erhöhung der Verände-rungsbereitschaft beitragen.

Voraussetzungen der Implementierung effektiver Kurzinterventionen 81

Während in den Vereinigten Staaten,Kanada, Australien, Großbritannienund Skandinavien seit Anfang der80er Jahre verschiedene sekundär-präventive Programme entwickelt undhinsichtlich ihrer Wirksamkeit über-prüft wurden (zusammenfassendHEATHER, 1998; ZWEBEN & FLE-MING, 1999), sind vergleichbare Prä-ventions- und Behandlungsansätze imdeutschsprachigen Raum bislanglediglich im Rahmen weniger Modell-projekte erprobt worden (z.B. JOHN,HAPKE, RUMPF, HILL & DILLING,1996; KREMER, WIENBERG, DOR-MANN, WESSEL & PÖRKSEN, 1999).Vor dem Hintergrund dieses For-schungsdefizits erscheint es sinnvoll,in stärkerem Maße als bislang von denFortschritten der internationalen For-schung zu profitieren.

I. Definitionen

BABOR (1994) unterscheidet minimal(einmalige Intervention von bis zu fünfMinuten), brief (maximal drei Sitzun-gen von jeweils bis zu 60 Minuten),moderate (fünf bis sieben Sitzungen)und intensive interventions (acht odermehr Sitzungen). Der deutsche BegriffKurzinterventionen wird häufig nichtausreichend definiert oder von ande-ren Begriffen (motivationale Interven-tionen, Frühinterventionen, Früherken-nung, Sekundärprävention, scha-densmindernde Strategien etc.) abge-grenzt (siehe z.B. SCHOSTOK, 2000).Im vorliegenden Beitrag werden mini-mal und brief interventions sensuBABOR (1994) zusammenfassend alsKurzinterventionen bezeichnet. Diewesentlichen Elemente dieser Inter-ventionen beschreibt das AkronymFRAMES (MILLER & SANCHEZ,1994; ausführliche Erläuterung und

weitere Begriffsdefinitionen in DEM-MEL, 2000):

- Feedback (Rückmeldung),- Responsibility (Eigenverantwortung),- Advice (Ratschlag),- Menu (Auswahl verschiedener Be-

handlungsmöglichkeiten),- Empathy (Empathie),- Self-Efficacy (Selbstwirksamkeit).

Kurzinterventionen sind i.d.R. früheInterventionen (early intervention): Ver-änderungsbereitschaft und Behand-lungsmotivation sollen in frühen Pha-sen der Abhängigkeitsentwicklunggefördert werden (siehe DONOVAN &MARLATT, 1993). MILLER (1996) hebtjedoch hervor, dass beispielsweise dieDurchführung des drinker’s check-up(DCU) (MILLER, SOVEREIGN & KRE-GE, 1988) auch in weit fortgeschritte-nen Stadien der Alkoholabhängigkeiteine sinnvolle Ergänzung herkömm-licher Behandlungsprogramme seinkann (siehe z.B. BIEN, MILLER &BOROUGHS, 1993; BROWN & MIL-LER, 1993).

II. Empirische Begrün-dung

Die Ergebnisse zahlreicher empiri-scher Untersuchungen belegen dieWirksamkeit der im vorliegenden Bei-trag beschriebenen Interventionen(zusammenfassend HEATHER, 1998;ZWEBEN & FLEMING, 1999; sieheauch BIEN, MILLER & TONIGAN,1993; MILLER, ANDREWS, WIL-BOURNE & BENNETT, 1998). Im Rah-men des vom National Institute onAlcohol Abuse and Alcoholism geför-derten Projekts MATCH (MatchingAlcoholism Treatments to ClientHeterogenity) konnte beispielsweise

80 Voraussetzungen der Implementierung effektiver Kurzinterventionen

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Voraussetzungen der Implementierung effektiver Kurzinterventionen 83

VI. Kompetenz

Standardisierung und flexible Anpas-sung des spezifischen Vorgehenserfordern ein hohes Maß an Kompe-tenz: ”...training, peer support andongoing professional development arestrongly recommended” (ROLLNICK,MASON & BUTLER, 1999, p. ix). Diejeweiligen Interventionen sollten daherden Vorkenntnissen der durchführen-den Ärzte, Psychologen, Sozialarbei-ter etc. angemessen sein (siehe REID,FIELLIN & O’CONNOR, 1999, p.1687).

VII. Evaluation

Die Implementierung der Interventio-nen sollte von einer fortlaufenden Pro-zess-Evaluation begleitet werden (Ent-spricht die Durchführung dem vorge-sehenen Ablauf? Folgen die Thera-peuten dem Manual? etc.). Die Be-wertung des Erfolgs der Intervention(Outcome-Evaluation) setzt die Unter-suchung einer Kontrollgruppe sowieKenntnis des weiteren Krankheitsver-laufs (follow-up) voraus (Reduktiondes Konsums? Erhöhung der Be-handlungsmotivation? Verbesserungder subjektiven Befindlichkeit? etc.).Die in deutschsprachigen Arbeitenhäufig ausschließlich berichtetenAngaben zur Akzeptanz eines Präven-tions- oder Behandlungsprogramms(siehe z.B. MEYENBURG, RABES,WALTER & ROTTMANN, 1997) erlau-ben keine Aussagen zur Effektivitätbzw. Effizienz einer Intervention (Über-blick in European Monitoring Centrefor Drugs and Drug Addiction, 1999;siehe auch UHL, 2000).

VIII. Transparenz

Die Berücksichtigung der bislangbeschriebenen Voraussetzungen för-dert Offenheit gegenüber Mitarbeiternund Patienten. Transparenz schütztden Patienten – neben der Grundhal-tung des Therapeuten (empathy) – vorManipulation durch elaborierte Ge-sprächsführung und bewahrt seineEntscheidungsfreiheit (responsibility)(siehe ROLLNICK et al., 1999, p. 37).Offenheit gegenüber den an der Ent-wicklung und Implementierung einerIntervention beteiligten Mitarbeiternerhöht die Akzeptanz der Maßnahmenund somit die Wahrscheinlichkeit einerlangfristigen Etablierung.

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84 Voraussetzungen der Implementierung effektiver Kurzinterventionen

Inhalt

I. Eine Frage des Stils

II. Ethische Aspekte

III. Qualitätssicherung

Literatur

Motivational Interviewing: Lifestyleoder Feigenblatt?

Dr. rer. nat. Ralf Demmel, Dipl.-Psych. Westfälische Wilhelms-Universität MünsterPsychologisches Institut IPsychologische Diagnostik und Klinische PsychologieFliednerstr. 2148149 Münster

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al., 1999, p. 36-37) breiten Raum ein:Darf die Entscheidungsfreiheit desPatienten eingeschränkt werden? Wiekönnen Patienten vor Manipulationgeschützt werden? Stimmen die(impliziten) Werte und Ziele vonPatienten und Therapeuten überein?Wie lässt sich die Beziehung zwischenPatient und Therapeut charakterisie-ren? Nach ROLLNICK et al. (1999)zeichnet sich eine vertrauens- undrespektvolle Beziehung zwischenPatient und Therapeut u.a. durch dieVereinbarung der Behandlungsziele ingegenseitigem Einvernehmen aus(negotiation). EMANUEL und EMA-NUEL (1992) unterscheiden – inAbhängigkeit vom Ausmaß der demPatienten zugestandenen Autonomie– vier Definitionen der Beziehung zwi-schen Patient und Arzt:

- der Arzt als ”sorgender Vater” desPatienten (paternalistic model): derArzt verordnet; geringe Beteiligung desPatienten an Entscheidungen überweiteres Vorgehen; Gesundheit bzw.Genesung haben Vorrang vor der Ent-scheidungsfreiheit des Patienten

- der Arzt als Experte im Dienste desPatienten (informative model): der Arztinformiert den Patienten über Krank-heitsbild, Prognose, Behandlungs-möglichkeiten etc.; der Patient bewer-tet diese Informationen in Überein-stimmung mit seinen persönlichenWerten und entscheidet über das wei-tere Vorgehen

- der Arzt als Berater des Patienten(interpretive model): der Arzt informiertden Patienten (siehe informativemodel) und muss ihn darüber hinausbei der Klärung seiner – möglicher-weise widersprüchlichen – Werte undder Auswahl einer ihm entsprechen-den Behandlung unterstützen; der

Patient entscheidet über das weitereVorgehen

- der Arzt als ”Freund” des Patienten(deliberative model): der Arzt infor-miert, diskutiert und empfiehlt weite-res Vorgehen; er versucht, den Patien-ten durch Argumente zu überzeugen

Die Offenlegung der Behandlungszieleund des Behandlungsrationals vor-ausgesetzt entspricht MI einem deli-berative model der Beziehung zwi-schen Patient und Therapeut (sieheEMANUEL & EMANUEL, 1992) –wobei der Patient jedoch nicht durchArgumente überzeugt werden sollte.Empathie und Offenheit sollen denPatienten vor Manipulation schützen:”If in any doubt about what you aredoing, ask the patient. Be clear andhonest” (ROLLNICK et al., 1999, p. 37).(”Falls Sie Zweifel haben an dem, wasSie tun, fragen Sie den Patienten.Seien Sie klar und ehrlich.”)

III. Qualitätssicherung

MI seems to be the flavor of themonth, which worries me a bit. Quali-ty control is just bound to break downas studies (not to mention clinicalapplications) proliferate.MILLER (2000, p. 2)(MI scheint der ”Renner der Saison”zu sein, was mir etwas Sorgen macht.Die Kontrolle der Qualität drohtzusammenzubrechen, wenn sich dieStudien, nicht zu sprechen von denklinischen Anwendungen, vermehren.)Gegenwärtig scheinen die drei Etiket-ten ”Kurzintervention”, ”Frühinterven-tion” und ”motivationale Intervention”das Rational einer Behandlung sowiedas jeweilige therapeutische Vorgehenhäufig eher zu verschleiern als zu

Motivational Interviewing: Lifestyle oder Feigenblatt 87

Motivational interviewing (MI) ist envogue: Die Nachfrage nach der deut-schen Übersetzung von MotivationalInterviewing: Preparing people tochange addictive behavior (MILLER &ROLLNICK, 1991, deutsche Überset-zung 1999; siehe auch die Rezensionvon DEMMEL, in press) ist groß. DasCurriculum Suchtmedizinische Grund-versorgung der Bundesärztekammer(1999) sieht vor, dass die Kursteilneh-mer/innen in die Grundlagen Motivie-render Gesprächsführung eingeführtwerden (Baustein V: 14 Stunden). Aufzahlreichen Fachtagungen und Kon-gressen werden MI-Workshops ange-boten. Warum beobachten MI-Trainerdiese Entwicklung gelegentlich mitgemischten Gefühlen?

I. Eine Frage des Stils

A word of informed consent: Thisapproach is likely to change you.MILLER & ROLLNICK (1991, p. xi)(Eine Äußerung, die (sach-)kundigeZustimmung ausdrückt: diese Haltungwird Dich wahrscheinlich ändern.)Der von MILLER und ROLLNICK(1991) beschriebene Behandlungs-ansatz ist in vielerlei Hinsicht eine Synthese aus klientenzentrierter Ge-sprächspsychotherapie und kognitiv-behavioralen Verfahren: ”Motivationalinterviewing is a directive client-cente-red counseling approach for initiatingbehavior change by helping clients to resolve ambivalence” (MILLER,1996, p. 835). MILLER (1996, p. 837)(Motivational interviewing ist ein direk-tiver klientenzentrierter Beratungsan-satz, um Klienten bei der Auflösungvon Ambivalenzen zu helfen unddadurch Verhaltensänderungen inGang zu setzen) hebt hervor, dass MIweniger eine spezifische Behand-

lungsmethode (set of particular tech-niques), sondern vielmehr ein charak-teristischer Behandlungsstil ist. Inter-ventionen wie z.B. der drinker’scheck-up (MILLER, SOVEREIGN &KREGE, 1988) zeichnen sich einer-seits durch ein sowohl empirisch alsauch theoretisch begründetes stan-dardisiertes Vorgehen und anderer-seits durch eine empathische Grund-haltung des Therapeuten aus, derenpositive Wirkung auf die Verände-rungsbereitschaft des Patienten wie-derum empirisch nachgewiesen wer-den konnte. Die Aneignung von Be-handlungstechniken ist notwendige,aber keinesfalls hinreichende Bedin-gung der Durchführung von Interven-tionen, die mit den von MILLER undROLLNICK (1991) skizzierten Prinzi-pien übereinstimmen. Dennocherscheint es unangebracht, MI zumLifestyle zu erheben oder MI-Prinzi-pien unreflektiert zu verallgemeinern.So ist beispielsweise die Förderungder Abstinenzzuversicht (self-efficacy)in fortgeschrittenen Stadien derAbhängigkeitsentwicklung häufig we-nig sinnvoll, da zahlreiche Patienten zuunrealistisch hohen Selbstwirksam-keitserwartungen neigen (DEMMEL,RIST & OLBRICH, in press).

II. Ethische Aspekte

There is no such thing as a purelypragmatic, value-free behavior chan-ge consultation!ROLLNICK, MASON & BUTLER(1999, p. 37)(Eine rein pragmatische und wertfreieKonsultation zur Verhaltensänderunggibt es nicht!) Die Diskussion ethi-scher Aspekte nimmt in den Arbeitenvon MILLER (z.B. 1994, 1995) undROLLNICK (siehe z.B. ROLLNICK et

86 Motivational Interviewing: Lifestyle oder Feigenblatt

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MILLER, W.R. & ROLLNICK, S.(1991). Motivational interviewing: Pre-paring people to change addictivebehavior. New York, NY: Guilford.

MILLER, W.R. & ROLLNICK, S.(1999). Motivierende Gesprächsfüh-rung: Ein Konzept zur Beratung vonMenschen mit Suchtproblemen. Frei-burg im Breisgau: Lambertus.

MILLER, W.R., SOVEREIGN, R.G. &KREGE, B. (1988). Motivational inter-viewing with problem drinkers: II. TheDrinker’s Check-up as a preventiveintervention. Behavioural Psychothe-rapy, 16, 251-268.

ROLLNICK, S., MASON, P. & BUT-LER, C. (1999). Health behavior chan-ge: A guide for practitioners. Edin-burgh: Churchill Livingstone.

UHL, A. (2000). Evaluation. In F. STIM-MER (Ed.), Suchtlexikon (pp. 228-234). München: Oldenbourg.

Arbeitsgruppenprotokoll 89

beschreiben: ”More precision is nee-ded about the actual method used,how it was thaught to practitioners,and how quality control was maintai-ned throughout the study”

(ROLLNICK et al., 1999, p. ix).

(Präzisere Angaben sind nötig: über dietatsächlich angewandte Methode, da-rüber, wie diese den Praktikern ver-mittelt wurde und darüber, wie die Kon-trolle der Qualität während des Verlaufsder Studie durchgehalten wurde.)

Die Anwendung des von MILLER undROLLNICK (1991) beschriebenen Behandlungsverfahrens setzt die Inte-gration einer Vielzahl anspruchsvollerund komplexer therapeutischer Tech-niken und somit ein hohes Ausbil-dungsniveau voraus (siehe MILLER &ROLLNICK, 1991, p. 158): Eine fort-laufende Aus- und Weiterbildung,sowie eine begleitende Prozessevalu-ation (siehe UHL, 2000) der Imple-mentierung sind unerlässlich (siehedie Website des Motivational Inter-viewing Network of Trainers:http://www.motivationalinterview.org).Die (unautorisierte) Publikation vonAusbildungsmaterialien, die lediglichder Demonstration einer missverstan-denen Rezeption dienen können, för-dert die Etablierung eines ”motivatio-nal style” in Deutschland nicht (siehez.B. MERCK KGaA, ohne Jahr): MIdarf nicht das Feigenblatt (vorwie-gend) ökonomischen Interessen die-nender Behandlungsempfehlungensein.

Literatur

Bundesärztekammer (Arbeitsgemein-schaft der Deutschen Ärztekammern).(1999). Curriculum SuchtmedizinischeGrundversorgung: Kursweiterbildung

(50 Stunden). Köln: Bundesärztekam-mer.

DEMMEL, R. (in press). [Besprechungdes Buches Motivierende Gesprächs-führung: Ein Konzept zur Beratungvon Menschen mit Suchtproblemen].Zeitschrift für Klinische Psychologieund Psychotherapie.

DEMMEL, R., RIST, F. & OLBRICH, R.(in press). Selbstwirksamkeitserwar-tungen alkoholabhängiger Patientenim ersten Jahr nach stationärerBehandlung. In Fachverband Suchte.V. (Ed.), Rehabilitation Suchtkranker– mehr als Psychotherapie. Gees-thacht: Neuland.

EMANUEL, E.J. & EMANUEL, L.L.(1992). Four models of the physician-patient relationship. JAMA, 267,2221-2226.MERCK KGaA (Producer). (ohneJahr). Kurzinterventionen bei Alkohol-kranken durch den Hausarzt [Film].Darmstadt: Merck KGaA.

MILLER, W.R. (1994). Motivationalinterviewing: III. On the ethics of moti-vational intervention. Behavioural andCognitive Psychotherapy, 22, 111-123.

MILLER, W.R. (1995). The ethics ofmotivational interviewing revisited.Behavioural and Cognitive Psychothe-rapy, 23, 345-348.

MILLER, W.R. (1996). Motivationalinterviewing: Research, practice, andpuzzles. Addictive Behaviors, 21,835-842.

MILLER, W.R. (2000). Notes from thedesert. Motivational InterviewingNewsletter: Updates, Education andTraining, 7, 1-2.

88 Motivational Interviewing: Lifestyle oder Feigenblatt

Integration motivierender Kurz-interventionen und Motivieren-der Gesprächsführung in denArbeitsalltag

-Gruppenarbeit I-Angesichts einer Fülle von Eindrückenund Informationen fiel es allen Arbeits-gruppenmitgliedern zunächst schwer,sich über den Transfer in die Einrich-tungen Gedanken zu machen. Anfangsstatements einiger Gruppen-mitglieder waren :-„Alter Wein in neuen Schläuchen“-„Konfrontation ist aber manchmaldoch sehr notwendig“

-„Paradoxe Interventionen sind dochsehr effektiv - man muss natürlichsein Handwerk beherrschen“

-„Meine Patient/innen brauchen dasalles nicht, sie sind motiviert. Thera-pieentscheidung ist da längst gefal-len.“

-„War doch alles etwas kurz. Hättemanches ausführlicher sein können.“

Nach etwas aufgeregter Diskussionmehrte sich dann der Eindruck, dassdoch vieles vom Gehörten auf die Pra-xis übertragbar ist. Folgende Punktewurden festgehalten:

- Die fünf PrinzipienBesonders die Vorstellung der fünfPrinzipien motivierender Gesprächs-führung schien den Gruppenteilneh-mern hilfreich. Eine erfolgversprechen-de Methode, die durch die Auflistungder fünf Prinzipien gut gegliedert undanwendbar wird.

- Umgang mit Ambivalenz Die Einheit über den Umgang mitAmbivalenz scheint eine häufige Situ-ation der stationären Behandlungsfor-men aufzugreifen. Mit Eintritt in die Kli-nik ist längst nicht alles klar. Das Ver-

Page 47: Kurzintervention und motivierende Gesprächsführung ... · nats-Nachuntersuchung konnte ge-zeigt werden, dass in der Gruppe mit 10 - 15-minütiger Beratung durch den Arzt eine bedeutsam

das Behandlungsmuster BASICS wur-den lobend erwähnt.

Nach anfänglichen Schwierigkeitenmit der Aufgabenstellung zeigte sich,dass es zu dem erlebten Seminarnoch großen Diskussionsbedarf gibt.Über die Transfermöglichkeiten in diePraxis stationärer Einrichtungenherrschte aber letztendlich eine rechtpositive Grundmeinung.

Norbert Beuchel-Wagner

-Gruppenarbeit II-Die Teilnehmer/innen der Gruppewaren Mitarbeiter und Mitarbeiterin-nen aus den SozialpsychiatrischenDiensten und einer ambulanten Bera-tungs- und Behandlungsstelle. Unter-schiedliche Berufserfahrung und diedivergierenden Aufgaben am Arbeits-platz prägten die Auseinandersetzungmit dem Thema. Gleichwohl war Kon-sens, dass die vorgestellte Methodesowohl eine Bereicherung darstellt, alsauch eine korrektive Funktion inneha-ben kann. Da dem oben genanntenAnsatz eine akzeptierende Grundhal-tung zu Grunde liegt, wird nach Ein-schätzung der Arbeitsgruppe dasVerantwortungsbewusstsein auf bei-den Seiten gestärkt. Im Sinne einerkundenorientierten Dienstleistung wirdder Klient mit den individuellen Fakto-ren, bzw. Auffälligkeiten (Blutwerten)und deren Folgen (z. B. erhöhtesKrankheitsrisiko) konfrontiert, als auchmit dem Auftrag und der Leistung desBeraters/der Beraterin. Die Interven-tion wird als Anregung und Angebotverstanden, obwohl sie direktiveAspekte beinhaltet. Der Klient erhältSpiel- und Entscheidungsraum imErstkontakt zur Entscheidungsfin-dung. Es wird davon ausgegangen,

dass gezielt eingesetzte Informationdie Motivation des Gegenübers för-dern können. Sicherlich können nichtalle Klienten mit diesem Ansatzerreicht werden, der/die Berater/in hatdie Aufgabe sehr individuelle Aspektevorzugeben und einzubringen. Dazuwerden aus verschiedene MethodenAnleihen gemacht: offene Fragen,bestätigen, spiegeln, konfrontieren,Ratschläge geben etc. mit der Ab-sicht, die Veränderungsbereitschaftdes Klienten zu erhöhen.Das strukturierte Vorgehen im Rah-men dieser Methode wurde als entla-stendes Element aufgenommen, anderen Ende eine klare überprüfbareVereinbarung zwischen Berater undKlient stehen sollte. Für beide Seitenwird damit ein Handlungsrahmen ab-gesteckt.

Dieses Vorgehen, dass Aspekte undElemente aus verschiedenen Ansät-zen zusammenträgt, die je nachberuflicher Erfahrung zum Teil aufeinen hohen Bekanntheitskreis stie-ßen, wurde dann eher als Korrektivwahrgenommen, denn als neuerHandlungsansatz.

Ein wesentlicher Aspekt war der Um-gang mit Widerständen auf Seiten desKlientens. Widerstand als Ambivalenzbei der Entscheidungsfindung akzep-tierend aufzugreifen, wird einerseitszur Grundlage weiterer Schritte, ent-weder in Richtung Korrektiv der Bera-tung oder als Wegweiser im Sinneeiner Spieglung, dabei werden korrek-te Hilfen gegeben, z. B. das Abfragennach Veränderungsbereitschaft, Re-flexion von Ambivalenzen, Betonungder Entscheidungsfreiheit usw.

Über verschiedene Strategien der Ver-änderung, wie

Kleingruppenarbeit zur Integration des individuellen Arbeitsansatzes 91

halten und die Entwicklung der Pa-tient/innen bleibt von ambilvalentenVerhaltensweisen geprägt. Diese Wi-dersprüche sind mit wechselndenThemen bis weit in den Nachsorgebe-reich hinein anzutreffen. „Einerseitssuche ich Arbeit, andererseits habeich soviel Schulden, dass es kaumlohnt.“ Motivierende Gesprächsfüh-rung scheint bei der Aufdeckung undBearbeitung dieser Ambivalenzen guteinsetzbar.

- Kontakt zwischen Klient/in undTherapeut/in / Mitarbeiter/in /Zielfindung

Dem positiven Kontakt zu denKlient/innen wird große Bedeutungbeigemessen. Er dient zu Beginn derBehandlung und bei neuen Behand-lungsschritten der Ergründung desStandpunktes und einer realistischenZielfindung. Mit motivierenden Ge-sprächsformen kann es vermiedenwerden den Patient/innen Ziele über-zustülpen.

- Ein wichtiger Aspekt des Semi-nars war die Beziehung auf die per-sönliche Heilungserwartung derPatient/innen. Die eigene Prognose zuergründen und aufzugreifen scheintebenso wichtig wie das Beziehen aufpositive Erfahrungen in der Vergan-genheit wie zum Beispiel Clean-Pha-sen und Phasen der Teilabstinenzbzw. Reduzierung des Suchtmittel-konsums.

- Als besonders hilfreich und all-tagsbezogen wurde die Seminarein-heit zum Umgang mit Widerständenerlebt. Jeder konnte sich durch diePraxisbeispiele an eigene Erfahrungenmit Widerstand erinnern; Widerständeumzulenken und für die weitere Be-handlung positiv zu nutzen. „Neue

Sichtweise“: der Klient als kompeten-ter Ratgeber.Generell wurde festgestellt, dassKlient/innen in der Praxis häufig nichtam Prozess der Diagnoseerstellungbeteiligt werden Es fehlt ihnen dannan Transparenz über Sinnhaftigkeitvon therapeutischen Maßnahmen undFörderplanungen. Bemühen umTransparenz, Dokumentation undBeteiligung kann als Strategie gese-hen werden, Widerstände zu minimie-ren.

- Als problematisch für die Einfüh-rung von motivierender Gesprächs-führung wurde die mangelnde Akzep-tanz von Kolleg/innen befürchtet.Überall bestand die Absicht, die jewei-ligen Teams über die Fortbildungsin-halte zu informieren. Der wenig kon-frontative Ansatz müsste dann jedochauch von allen Mitarbeiter/innen mit-getragen werden. Es wurde befürch-tet, dass dies nicht jedem einleuchtenwürde und gemeinsame Handlungs-planung in den Teams erschwert wer-den könnte. Ziel sollte es sein, überdie „neue“ Methode erst Konsens imTeam zu erzielen. Gleiche Haltungenund Interventionsformen sollten dannteamintern abgesprochen werden.

- Als positiv und von Wert für diepersönliche Arbeit wurden dann zu-letzt die verschiedenen Kurzinterven-tionsformen beschrieben. Die genaueFestlegung von Einzelschritten undInterventionen, die geplante Abfolgevon Gesprächen und der Zwang zurgenauen Dokumentation wurde alshilfreich für Klient/innen und Thera-peuten gleichermaßen eingeschätzt.Es bestand der Wunsch nach hierfürbereits vorhandenen Manualen undBehandlungsrastern. Insbesonderedie Interventionsstruktur FRAMES und

90 Arbeitsgruppenprotokoll

Page 48: Kurzintervention und motivierende Gesprächsführung ... · nats-Nachuntersuchung konnte ge-zeigt werden, dass in der Gruppe mit 10 - 15-minütiger Beratung durch den Arzt eine bedeutsam

Ratschläge geben,Sympathien zeigen,Hindernisse entfernen,Feedback geben, Ziele klären

die der Motivation dienen, soll ein Wegaus dieser Ambivalenz gefunden wer-den, der dem Klienten einen für ihngangbaren Weg eröffnet.In der Arbeitsgruppe wurde mit die-sem Themenkomplex eine Notwen-digkeit zur Vertiefung betont, da häu-fig Widerstandsformen in Beratungs-zusammenhängen auftauchen. Hier-bei ist zu betonen, dass die Mehrheitder Klienten in vorgenannten Arbeits-feldern fremdmotiviert in der ambulan-ten Beratung auftauchen (Führer-scheinverlust, Drohung des Arbeits-platzverlustes, Scheitern von Partner-schaften und Ehe, Gerichtliche Aufla-gen).

Die oben aufgeführten Ansatzpunktewurden in der AG durch die derMethode zugrundliegende Strukturdurch klare Handlungs- und Interven-tionsstrategien (die in Rollenspielenerprobt wurden) und durch die Reduk-tion einer hohen Anspruchshaltungder Suchtkrankenhilfe (viele findenden Ausstieg ohne professionelle Hil-fe) als entlastend empfunden undführten zu einer Reflexion der eigenenArbeitshaltung im Sinne der Effekti-vität möglichst viele Klienten in eineTherapie zu vermitteln. Dieser Punktkonnte leider aus Zeitmangel nichtvertieft werden, eigene Erwartungen,die von Arbeitgebern, Ärzten, anderenInstitutionen oder dem sozialen Um-feld (Angehörige, Team) erschwerendie Gelassenheit und Bescheidenheit,die diesem Ansatz innewohnt.Veränderungsprozesse zu initiieren isteine Aufgabe, die einen sehr sensiblen

Umgang mit dem Gegenüber erfordertund nachweislich weniger durchDruck erreicht werden kann. Eigenver-antwortung, Entscheidungsfreiheit aufder einen Seite, Angebot und Anre-gung auf der anderen Seite sindwesentliche Elemente, die die Verän-derungsbereitschaft erhöhen können.Ohne die suchtspezifischen Anteile zuvernachlässigen, weiß jede/r wieschwierig es ist, im eigenen LebenVeränderungen anzugehen. Die Refle-xionen eigener Verhaltensweisen imUmgang mit Veränderung können alsKorrektiv fungieren und zu einer ange-messenen Grundhaltung im Umgangmit Menschen mit Suchtproblemendienen, die diesem Ansatz innewohnt.Zu wenig Zeit verblieb der Gruppeauch, um eine Auseinandersetzungmit dem eigenen Stil und der Umsetz-barkeit zu erarbeiten, von daherscheint es ratsam, nach dieser Einfüh-rungsveranstaltung ein Folgeseminarzur Vertiefung der gewonnenen Ein-sichten anzubieten.

Elke Landeskroener

92 Kleingruppenarbeit zur Integration des individuellen Arbeitsansatzes