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Algebraische Topologie II – (Ko)Homologie im WS 2013/14 – Kurzskript Prof. Dr. C. L¨ oh Wintersemester 2013/14 Inhaltsverzeichnis -1. Literaturhinweise 1 0. Einf¨ uhrung 2 1. Was ist algebraische Topologie? 3 1.1. Topologische Bausteine ............................ 3 1.2. Kategorien und Funktoren .......................... 9 1.3. Homotopie ................................... 16 1.4. Homotopieinvarianz – Was ist algebraische Topologie? .......... 19 2. Axiomatische Homologie 24 2.1. Die Eilenberg-Steenrod-Axiome ....................... 24 2.2. Finger¨ ubungen ................................ 25 2.3. Homologie von Sph¨ aren und Einh¨ angungen ................ 29 2.4. Verkleben von R¨ aumen – die Mayer-Vietoris-Sequenz ........... 37 2.5. Ausblick: Existenz und Eindeutigkeit von Homologietheorien ...... 42 3. Singul¨ are Homologie 45 3.1. Anschauliche Skizze der Konstruktion ................... 45 3.2. Konstruktion singul¨ arer Homologie ..................... 45 3.3. Homotopieinvarianz von singul¨ arer Homologie ............... 53 3.4. Ausschneidung in singul¨ arer Homologie .................. 55 3.5. Singul¨ are Homologie als gew¨ ohnliche Homologietheorie .......... 62 3.6. Die 1 -Halbnorm auf singul¨ arer Homologie ................. 69 3.7. Singul¨ are Homologie und Homotopiegruppen ............... 73 4. Zellul¨ are Homologie 82 4.1. CW-Komplexe ................................ 82 4.2. Zellul¨ are Homologie ............................. 87 4.3. Vergleich von Homologietheorien auf CW-Komplexen ........... 94 4.4. Die Euler-Charakteristik ........................... 101 4.5. Homotopietheorie von CW-Komplexen ................... 110 5. Ausblick 114 A. Grundbegriffe aus der mengentheoretischen Topologie A.1 A.1. Topologische R¨ aume ............................. A.1 A.2. Stetige Abbildungen ............................. A.3 A.3. (Weg-)Zusammenhang ............................ A.4 A.4. Hausdorffr¨ aume ................................ A.5 A.5. Kompaktheit ................................. A.6 B. Homologische Algebra B.1 B.1. Exakte Sequenzen .............................. B.1 B.2. Kettenkomplexe und Homologie ....................... B.5 B.3. Kettenhomotopie ............................... B.9 Version vom 4. M¨ arz 2014 [email protected] Fakult¨ at f¨ ur Mathematik, Universit¨ at Regensburg, 93040 Regensburg

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Algebraische Topologie II – (Ko)Homologie

im WS 2013/14 – Kurzskript

Prof. Dr. C. Loh Wintersemester 2013/14

Inhaltsverzeichnis

-1. Literaturhinweise 1

0. Einfuhrung 2

1. Was ist algebraische Topologie? 31.1. Topologische Bausteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.2. Kategorien und Funktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91.3. Homotopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161.4. Homotopieinvarianz – Was ist algebraische Topologie? . . . . . . . . . . 19

2. Axiomatische Homologie 242.1. Die Eilenberg-Steenrod-Axiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242.2. Fingerubungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252.3. Homologie von Spharen und Einhangungen . . . . . . . . . . . . . . . . 292.4. Verkleben von Raumen – die Mayer-Vietoris-Sequenz . . . . . . . . . . . 372.5. Ausblick: Existenz und Eindeutigkeit von Homologietheorien . . . . . . 42

3. Singulare Homologie 453.1. Anschauliche Skizze der Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453.2. Konstruktion singularer Homologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453.3. Homotopieinvarianz von singularer Homologie . . . . . . . . . . . . . . . 533.4. Ausschneidung in singularer Homologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553.5. Singulare Homologie als gewohnliche Homologietheorie . . . . . . . . . . 623.6. Die `1-Halbnorm auf singularer Homologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 693.7. Singulare Homologie und Homotopiegruppen . . . . . . . . . . . . . . . 73

4. Zellulare Homologie 824.1. CW-Komplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 824.2. Zellulare Homologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 874.3. Vergleich von Homologietheorien auf CW-Komplexen . . . . . . . . . . . 944.4. Die Euler-Charakteristik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1014.5. Homotopietheorie von CW-Komplexen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

5. Ausblick 114

A. Grundbegriffe aus der mengentheoretischen Topologie A.1A.1. Topologische Raume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.1A.2. Stetige Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.3A.3. (Weg-)Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.4A.4. Hausdorffraume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.5A.5. Kompaktheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.6

B. Homologische Algebra B.1B.1. Exakte Sequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B.1B.2. Kettenkomplexe und Homologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B.5B.3. Kettenhomotopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B.9

Version vom 4. Marz [email protected] fur Mathematik, Universitat Regensburg, 93040 Regensburg

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-1. Literaturhinweise

Die folgenden Listen enthalten eine kleine Auswahl an Literatur zur algebraischenTopologie und verwandten Gebieten.

Algebraische Topologie ((Ko)Homologie)

[1] W.F. Basener. Topology and Its Applications, Wiley, 2006.

[2] J.F. Davis, P. Kirk. Lecture Notes in Algebraic Topology, AMS, 2001.

[3] A. Dold. Lectures on Algebraic Topology, Springer, 1980.

[4] A. Hatcher. Algebraic Topology, Cambridge University Press, 2002.http://www.math.cornell.edu/∼hatcher/AT/ATpage.html

[5] W. Luck. Algebraische Topologie: Homologie und Mannigfaltigkeiten, Vieweg,2005.

[6] W.S. Massey. A Basic Course in Algebraic Topology, dritte Auflage, Springer,1997.Hinweis. In diesem Buch wird singulare (Ko)Homologie mithilfe von Wurfelnstatt Simplizes definiert.

[7] P. May. A Concise Course in Algebraic Topology, University of Chicago Press,1999.

[8] T. tom Dieck. Algebraic Topology, European Mathematical Society, 2008.

Mengentheoretische Topologie

[9] K. Janich. Topologie, achte Auflage, Springer, 2008.

[10] J.L. Kelley. General Topology, Springer, 1975.

[11] A.T. Lundell, S. Weingram. Topology of CW-complexes. Van Nostrand,New York, 1969.

[12] J.R. Munkres. Topology, zweite Auflage, Pearson, 2003.

[13] L.A. Steen. Counterexamples in Topology, Dover, 1995.

Homologische Algebra

[14] C. Weibel. An Introduction to Homological Algebra, Cambridge University Press,2008.

Kategorientheorie

[15] H. Herrlich, G.E. Strecker. Category Theory, dritte Auflage, Sigma Series in PureMathematics, Heldermann, 2007.

[16] S. MacLane. Categories for the Working Mathematician, zweite Auflage, Sprin-ger, 1998.

[17] B. Richter. Kategorientheorie mit Anwendungen in Topologie, Vorlesungsskript,WS 2010/11, Universitat Hamburg,http://www.math.uni-hamburg.de/home/richter/cats.pdf

. . . und viele weitere Bucher; je nach eigenen Vorlieben werden Ihnen manche Bucherbesser gefallen als andere.

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0. Einfuhrung

Diese Vorlesung gibt eine Einfuhrung in die algebraische Topologie, genauer gesagt insingulare und zellulare (Ko)Homologie.

Die Kernidee der algebraischen Topologie ist es, topologische Probleme in algebrai-sche Probleme zu ubersetzen; dabei werden topologische Raume in algebraische Ob-jekte (z.B. Vektorraume) und stetige Abbildungen in entsprechende Homomorphismen(z.B. lineare Abbildungen) ubersetzt. Die dafur geeignete Abstraktionsebene ist dieSprache der Kategorien und Funktoren.

Die algebraische Topologie beschaftigt sich mit der Klassifikation topologischer Rau-me bzw. stetiger Abbildungen bis auf

”stetige Deformationen,“ sogenannten Homo-

topien. Dazu versucht man, homotopieinvariante Funktoren zu konstruieren und zustudieren. Die Kunst dabei ist, dass solche Funktoren genug interessante Informationuber topologische Raume enthalten sollen, dabei aber trotzdem noch hinreichend gutberechenbar sein sollten.

Ein klassisches Beispiel homotopieinvarianter Funktoren sind (Ko)Homologietheo-rien wie singulare oder zellulare (Ko)Homologie, deren grundlegenden Eigenschaftenund Aspekte wir in diesem Semester kennenlernen werden. Eine erste intuitive Be-schreibung von diesen (Ko)Homologietheorien ist, dass sie in einem gewissen Sinnebeschreiben,

”welche und wieviele Locher“ ein topologischer Raum hat.

Weitere Beispiele sind etwa Homotopiegruppen (s. Algebraische Topologie I).Die algebraische Topologie hat eine Vielzahl von Anwendungen, sowohl in der theo-

retischen als auch in der angewandten Mathematik, zum Beispiel:– Topologie

– Fixpunktsatze– (Nicht)Einbettbarkeitsresultate– Studium von Geometrie und Topologie von Mannigfaltigkeiten– . . .

– Andere Gebiete der theoretischen Mathematik– Fundamentalsatz der Algebra– (Nicht)Existenz gewisser Divisionsalgebren– Freiheits- und Endlichkeitsaussagen in der Gruppentheorie– Vorbildfunktion fur Teile der algebraischen Geometrie– . . .

– Angewandte Mathematik– Existenz von Nash-Gleichgewichten in der Spieltheorie– Konfigurationsprobleme in der Robotik– Untere Komplexitatsschranken fur verteilte Algorithmen– Hohere Statistik– Knotentheorie– . . .

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1. Was ist algebraische Topologie?

Wir erklaren im folgenden, wie man den Ubersetzungsprozess von der Topologie in dieAlgebra mit Hilfe der Sprache der Kategorientheorie formalisieren kann. Dazu fuhrenwir grundlegende Begriffe der Sprache der Kategorientheorie ein, illustrieren diese amBeispiel topologischer Raume und algebraischer Strukturen, und erklaren an einemBeispiel das Grundprinzip der algebraischen Topologie.

1.1. Topologische Bausteine

Wir beginnen zum Einstieg mit grundlegenden Beispielen und Konstruktionen to-pologischer Raume – um spater einen hinreichend großen Fundus an Beispielen zurVerfugung zu haben.

Konstruktionsprinzip: Teilraume

Eine erste Moglichkeit aus topologischen Raumen neue topologische Raume zu kon-struieren, ist mithilfe der Teilraumtopologie (Bemerkung A.6).

Die wichtigsten Bausteine in der algebraischen Topologie sind Balle und Spharen,sowie Simplizes (Abbildung (1.2)):

Definition 1.1 (Ball, Sphare, Standardsimplex). Sei n ∈ N.– Der n-dimensionale Ball ist definiert als

Dn :=x ∈ Rn

∣∣ ‖x‖2 ≤ 1⊂ Rn

(versehen mit der Teilraumtopologie der Standardtopologie auf Rn).– Die n-dimensionale Sphare ist definiert als

Sn :=x ∈ Rn+1

∣∣ ‖x‖2 = 1

= ∂Dn+1 ⊂ Rn+1

(versehen mit der Teilraumtopologie).– Das n-dimensionale Standardsimplex ist definiert als

∆n :=x ∈ Rn+1

∣∣∣ x1 ≥ 0, . . . , xn+1 ≥ 0 und

n+1∑j=1

xj = 1⊂ Rn+1

(versehen mit der Teilraumtopologie). Mit anderen Worten: Das Standardsim-plex ∆n ist die konvexe Hulle von den Einheitsvektoren e1, . . . , en+1 ∈ Rn+1.

Bemerkung 1.3 (Balle vs. Simplizes). Ist n ∈ N, so sind Dn und ∆n homoomorph.Im Kontext der singularen (Ko)Homologie ist das Standardsimplex aufgrund seineroffensichtlichen kombinatorischen Struktur jedoch dem Ball vorzuziehen.

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10∆0 D0

(1, 0)

(0, 1)

1−1 1−1

∆1 D1 S0

∆2 D2 S1

∆3 D3 S2

Abbildung (1.2): Standardsimplizes, Balle, Spharen

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Abbildung (1.5): Der zweidimensionale Torus

Konstruktionsprinzip: Produktraume

Eine Moglichkeit aus zwei topologischen Raumen einen neuen topologischen Raum zukonstruieren, ist mithilfe der Produkttopologie (Bemerkung A.7).

Definition 1.4 (Torus). Sei n ∈ N>0. Der n-dimensionale Torus ist definiert als(S1)n, versehen mit der Produkttopologie (Abbildung (1.5)).

In der Definition von Homotopie werden Produktraume der Form X × [0, 1] einezentrale Rolle Spielen (Kapitel 1.3).

Konstruktionsprinzip: Quotientenraume und Verkleben

Quotientenraume bzw. die Quotiententopologie sind ein Hilfsmittel, um das”Verkle-

ben“ topologischer Raume zu modellieren:

Definition 1.6 (Quotiententopologie). Sei X ein topologischer Raum, sei Y eineMenge und sei p : X −→ Y eine surjektive Abbildung. Die von p auf Y induzierteQuotiententopologie ist als

U ⊂ Y∣∣ p−1(U) ist offen in X

definiert.

In den meisten Anwendungen ist die surjektive Abbildung p : X −→ Y dabei in derForm gegeben, dass man auf X eine Aquivalenzrelation betrachtet, Y die Menge derAquivalenzklassen ist und p die kanonische Projektion ist.

Beispiel 1.8 (Mobiusband). Das Mobiusband ist der Quotientenraum

M := [0, 1]× [0, 1]/ ∼,

wobei [0, 1]×[0, 1] die Produkttopologie tragt und die Aquivalenzrelation”∼“ wie folgt

definiert ist: Fur alle x, y ∈ [0, 1]× [0, 1] gilt genau dann x ∼ y, wenn x = y ist oder dieBedingungen x1 ∈ 0, 1, y1 = 1−x1 und y2 = 1−x2 erfullt sind. Dabei versehen wir Mmit der Quotiententopologie, die von der kanonischen Projektion [0, 1] × [0, 1] −→[0, 1]× [0, 1]/ ∼ induziert wird (Abbildung (1.7)).

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∼(0, x2)

(1, 1− x2)

Abbildung (1.7): Das Mobiusband als Quotientenraum

Definition 1.9 (reell-projektive Raume). Sei n ∈ N. Der n-dimensionale reell-projektiveRaum ist definiert als

RPn := Sn/(∀x∈Sn x ∼ −x),

versehen mit der Quotiententopologie.

Caveat 1.10. Ist X ein topologischer Raum, ist Y eine Menge, ist p : X −→ Ysurjektiv und tragt Y die von p induzierte Quotiententopologie, so ist p im allgemeinennicht offen! (D.h. im allgemeinen bildet p nicht offene Mengen auf offene Mengen ab.)

Mithilfe des folgenden Kriteriums kann man uberprufen, ob eine Abbildung auseinem solchen Quotientenraum heraus stetig ist:

Proposition 1.11 (universelle Eigenschaft der Quotiententopologie). Sei X ein to-pologischer Raum, sei Y eine Menge und sei p : X −→ Y eine surjektive Abbildung.Dann gilt: Ist Z ein topologischer Raum und g : Y −→ Z eine Abbildung, so ist ggenau dann bezuglich der von p auf Y induzierten Quotiententopologie stetig, wenng p : X −→ Z stetig ist.

Beweisskizze. Dies folgt direkt aus der Definition der Quotiententopologie.

Das Verkleben zweier topologischer Raume wird mithilfe von Pushouts modelliert.Als ersten Zwischenschritt modellieren wir das

”Nebeneinanderlegen“ topologischer

Raume durch die disjunkte Vereinigungstopologie:

Definition 1.12 (disjunkte Vereinigungstopologie). Sei I eine Menge und sei (Xi)i∈Ieine Familie topologischer Raume. Dann ist die disjunkte Vereinigunstopologie auf derdisjunkten Vereinigung

⊔i∈I Xi als

U ⊂⊔

i∈IXi

∣∣ ∀j∈I i−1j (U) offen in Xj

definiert, wobei ij : Xj −→

⊔i∈I Xi zu j ∈ I die kanonische Inklusion bezeichnet.1

Wir kombinieren dies nun mit der Quotiententopologie und erhalten so Pushoutstopologischer Raume:

1Wir werden im folgenden (etwas schlampig) immer die Summanden Xi als Teilmengen von⊔

i∈I Xi

ansehen, um die Notation etwas ubersichtlicher zu halten.

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Sn−1 Inklusion //

Inklusion

Dn

obereHemisphare

Dn

untereHemisphare

// Sn

Inklusion//

Inklusion

obereHemisphare

untereHemisphare

//

0, 1 × [0, 1]Inklusion //

(0, t) 7→ (0, t)(1, t) 7→ (1, 1− t)

[0, 1]× [0, 1]

[0, 1]× [0, 1] // Mobiusband

Inklusion //

//

Abbildung (1.15): Pushouts in Top

Definition 1.13 (Pushout topologischer Raume). Seien X0, X1, X2 topologischeRaume und seien i1 : X0 −→ X1 und i2 : X0 −→ X2 stetige Abbildungen. Das Pu-shout von

X0i2 //

i1

X2

X1

ist der topologische Raum (versehen mit der Quotiententopologie der disjunkten Ver-einigungstopologie)

X1 ∪X0X2 := (X1 tX2)/ ∼,

wobei”∼“ die Aquivalenzrelation auf X1 tX2 ist, die von

∀x∈X0 i1(x) ∼ i2(x)

erzeugt wird.

Beispiel 1.14 (Pushouts topologischer Raume). Konkrete Beispiele fur Pushouts to-pologischer Raume finden sich in Abbildung (1.15).

Eine bequeme Moglichkeit, mit Pushouts zu arbeiten, ist die universelle Eigenschaft:

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X0

i1

i2 // X2

j2

f2

X1 j1//

f1

33

X

∃!f

AA

AA

Z

Abbildung (1.17): Die universelle Eigenschaft des Pushouts

Proposition 1.16 (universelle Eigenschaft des Pushouts topologischer Raume). Sei-en X0, X1, X2 topologische Raume und seien i1 : X0 −→ X1 und i2 : X0 −→ X2

stetige Abbildungen. Ein topologischer Raum X, zusammen mit stetigen Abbildun-gen j1 : X1 −→ X, j2 : X2 −→ X, erfullt die universelle Eigenschaft dieses Pushouts,wenn folgendes gilt: Es gilt j2 i2 = j1 i1 und fur alle topologischen Raume Z undalle stetigen Abbildungen f1 : X1 −→ Z, f2 : X2 −→ Z mit f1 i1 = f2 i2 gibt esgenau eine stetige Abbildung f : X −→ Z mit (Abbildung (1.17))

f j1 = f1 und f j2 = f2.

In diesem Fall sagt man auch, dass

X0i2 //

i1

X2

j2

X1 j1// X

ein Pushoutdiagramm topologischer Raume ist.1. Das Pushout X := X1 ∪X0 X2 bezuglich i1 und i2, zusammen mit den von

den Inklusionen nach X1 tX2 induzierten stetigen Abbildungen j1 : X1 −→ X,j2 : X2 −→ X, besitzt die universelle Eigenschaft dieses Pushouts.

2. Erfullt ein topologischer Raum X ′, zusammen mit j′1 : X1 −→ X ′, j′2 : X2 −→X ′ die universelle Eigenschaft dieses Pushouts, so gibt es einen kanonischenHomoomorphismus zwischen X und X ′.

Beweisskizze. Die erste Aussage lasst sich leicht anhand der Konstruktion des Pu-shouts nachvollziehen. Die zweite Aussage ist eine Instanz eines allgemeinen Argumentsuber universelle Eigenschaften.2

Wir beenden diesen kurzen Uberblick uber topologische Bausteine mit einer Listetypischer, klassischer Fragestellungen:

2mehr zu universellen Eigenschaften, Limiten und Kolimiten wurde in der Vorlesung AlgebraischenTopologie I behandelt:http://www.mathematik.uni-r.de/loeh/teaching/topologie1 ss13/lecture notes.pdf

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– Fur welche n,m ∈ N sind Rn und Rm homoomorph? Fur welche n,m ∈ N gibtes nichtleere offene Teilmengen von Rn bzw. Rm, die zueinander homoomorphsind?

– Fur welche n,m ∈ N sind Sn und Sm homoomorph?– Gibt es n ∈ N, fur die es eine Teilmenge von Rn gibt, die zu Sn homoomorph

ist?– Sei n ∈ N und sei S ⊂ Rn+1 zu Sn homoomorph. Was kann man uber das

Komplement Rn ⊂ S aussagen?– Gibt es eine Teilmenge von R3, die zu RP 2 homoomorph ist?– Kann man einen Igel kammen? Fur welche n ∈ N gibt es ein nirgends verschwin-

dendes Vektorfeld auf Sn ?– . . .

Diese Fragen sind jedoch mit elementaren Methoden nicht oder nur mit unverhalt-nismaßig großem Aufwand zu losen. Wir werden im folgenden sehen, wie man mithilfeder Methoden der algebraischen Topologie solche Probleme angehen kann.

1.2. Kategorien und Funktoren

Wir formalisieren nun den Kontext fur”Ubersetzungen“ zwischen mathematischen

Theorien, z.B. von der Topologie in die Algebra.Als ersten Schritt geben wir dazu einen abstrakten Rahmen fur mathematische

Theorien: Mathematische Theorien bestehen aus Objekten (z.B. Gruppen, reelle Vek-torraume, topologische Raume, messbare Raume, . . . ) und strukturerhaltenden Abbil-dungen (z.B. Gruppenhomomorphismen, R-lineare Abbildungen, stetige Abbildungen,messbare Abbildungen, . . . ) dazwischen. Dies abstrahiert man zum Begriff der Kate-gorie:

Definition 1.18 (Kategorie). Eine Kategorie C besteht aus den folgenden Kompo-nenten:

– Eine Klasse3 Ob(C); die Elemente von Ob(C) heißen Objekte von C.– Zu je zwei Objekten X,Y ∈ Ob(C) einer Menge MorC(X,Y ); die Elemente

von MorC(X,Y ) heißen Morphismen von X nach Y in C. (Dabei wird implizitangenommen, dass die Morphismenmengen zwischen verschiedenen Objektpaa-ren disjunkt sind.)

– Zu je drei Objekten X,Y, Z ∈ Ob(C) einer Verknupfung

: MorC(Y, Z)×MorC(X,Y ) −→ MorC(X,Z)

(g, f) 7−→ g f

von Morphismen.Dabei mussen folgende Bedingungen erfullt sein:

3Klassen sind eine Verallgemeinerung von Mengen; so gibt es etwa die Klasse aller Mengen. WeitereInformationen zu Mengen und Klassen finden Sie in den Buchern Mengenlehre fur den Mathe-matiker (U. Friedrichsdorf, A. Prestel, Vieweg, 1985) und Set theory and the continuum problem(R.M. Smullyan, M. Fitting, uberarbeitete Auflage, Dover, 2010).

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– Fur jedes Objekt X in C gibt es einen Morphismus idX ∈ MorC(X,X) mitfolgender Eigenschaft: Fur alle Y ∈ Ob(C) und alle Morphismen f ∈ MorC(X,Y )bzw. g ∈ MorC(Y,X) gilt

f idX = f und idX g = g.

(Dadurch ist idX eindeutig bestimmt und heißt Identitatsmorphismus von Xin C.)

– Die Verknupfung von Morphismen ist assoziativ: Fur alle ObjekteW,X, Y, Z in Cund alle Morphismen f ∈ MorC(W,X), g ∈ MorC(X,Y ) und h ∈ MorC(Y, Z)gilt

h (g f) = (h g) f.

Caveat 1.19. Das Konzept der Morphismen und Verknupfungen ist nach dem Bei-spiel der Abbildungen zwischen Mengen und der gewohnlichen Abbildungskompositionmodelliert. Im allgemeinen muss es sich bei Morphismen aber nicht um Abbildungenzwischen Mengen und bei der Verknupfung nicht um Abbildungskomposition handeln!

Beispiel 1.20 (leere Kategorie). Die leere Kategorie ist die (eindeutig bestimmte)Kategorie, deren Objektklasse die leere Menge ist.

Beispiel 1.21 (Gruppen als Kategorien). Sei G eine Gruppe. Dann erhalten wir wiefolgt eine Kategorie CG:

– Objekte: Die Kategorie CG besitze genau ein Objekt, etwa 0.– Morphismen: Es sei MorC(0, 0) := G.– Verknupfungen: Die Verknupfung sei wie folgt gegeben:

MorC(0, 0)×MorC(0, 0) −→ MorC(0, 0)

(g, h) 7−→ g · h.

Beispiel 1.22 (Mengenlehre). Die Kategorie Set der Mengen besteht aus:– Objekte: Es sei Ob(Set) die Klasse(!) aller Mengen.– Morphismen: Sind X und Y Mengen, so sei MorSet(X,Y ) die Menge aller men-

gentheoretischen Abbildungen X −→ Y .– Verknupfungen: Sind X,Y, Z Mengen, so sei die Verknupfung MorSet(Y,Z) ×

MorSet(X,Y ) −→ MorSet(X,Z) die gewohnliche Abbildungskomposition.Es ist klar, dass die Verknupfung assoziativ ist. Ist X eine Menge, so ist die gewohnlicheIdentitatsabbildung

X −→ X

x 7−→ x

der Identitatsmorphismus idX von X in Set.

Beispiel 1.23 (Algebra). Die Kategorie VectR der R-Vektorraume besteht aus:– Objekte: Es sei Ob(VectR) die Klasse aller R-Vektorraume.– Morphismen: Sind V und W reelle Vektorraume, so sei MorVectR(V,W ) die Menge

aller lineare Abbildungen V −→W .

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– Verknupfungen: Die Verknupfung sei durch die gewohnliche Abbildungskompo-sition gegeben.

Analog erhalt man auch die Kategorie Group der Gruppen, die Kategorie Ab der abel-schen Gruppen, die Kategorie ModR der R-Rechtsmoduln bzw. die Kategorie RModder R-Linksmoduln uber einem Ring R, . . .

Beispiel 1.24 ((absolute) Topologie). Die Kategorie Top der topologischen Raumebesteht aus:

– Objekte: Es sei Ob(Top) die Klasse aller topologischen Raume.– Morphismen: Sind X und Y topologische Raume, so sei

map(X,Y ) := MorTop(X,Y )

die Menge aller stetigen Abbildungen X −→ Y .– Verknupfungen: Die Verknupfung sei durch die gewohnliche Abbildungskompo-

sition gegeben.

Oft ist man aber auch am Unterschied zwischen einem topologischen Raum undeinem gegebenen Unterraum interessiert. Zwei Moglichkeiten dies zu tun sind Quoti-entenraume und Raumpaare:

Beispiel 1.25 (relative Topologie, Raumpaare). Die Kategorie Top2 der Raumpaarebesteht aus:

– Objekte: Es sei

Ob(Top2) :=

(X,A)∣∣ X ∈ Ob(Top), A ⊂ X

.

Die Elemente von Ob(Top2) heißen Raumpaare.– Morphismen: Sind (X,A), (Y,B) Raumpaare, so sei

MorTop2

((X,A), (Y,B)

):=f : X −→ Y

∣∣ f ist stetig und f(A) ⊂ B.

– Verknupfungen: Die Verknupfung sei durch die gewohnliche Abbildungskompo-sition gegeben (dies ist tatsachlich wohldefiniert).

Der absolute Fall entspricht dabei dem Fall, dass der Unterraum leer ist; der Fallpunktierter Raume (der in der Homotopietheorie wichtig ist), entspricht dem Fall,dass der Unterraum aus genau einem Punkt besteht.

Die folgende Kategorie spielt in der homologischen Algebra und in der Konstruktionsingularer Homologie (zumindest implizit) eine zentrale Rolle:

Beispiel 1.26 (Simplexkategorie). Die Simplexkategorie ist wie folgt definiert:– Objekte: Sei

Ob(∆) :=

∆(n)∣∣ n ∈ N

,

wobei wir fur n ∈ N die Notation ∆(n) := 0, . . . , n verwenden.– Morphismen: Sind n,m ∈ N, so sei

Mor∆ :=f : 0, . . . , n −→ 0, . . . ,m

∣∣ f ist monoton wachsend.

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– Verknupfungen: Die Verknupfung sei durch die gewohnliche Abbildungskompo-sition gegeben (dies ist tatsachlich wohldefiniert).

Die Anschauung dazu ist, dass die Elemente von ∆(n) den Ecken des Standardsimple-xes ∆n entsprechen.

Alle Begriffe, die sich durch Objekte und Morphismen ausdrucken lassen, lassensich zu entsprechenden Begriffen in allgemeinen Kategorien verallgemeinern. Ein erstesBeispiel ist der Isomorphiebegriff:

Definition 1.27 (Isomorphismus). Sei C eine Kategorie. Objekte X,Y ∈ Ob(C) sindisomorph in C, wenn es Morphismen f ∈ MorC(X,Y ) und g ∈ MorC(Y,X) mit

g f = idX und f g = idY

gibt. In diesem Fall sind f und g Isomorphismen in C und wir schreiben X ∼=C Y(oder wenn die Kategorie aus dem Kontext klar ist: X ∼= Y ).

Beispiel 1.28 (Isomorphismenbegriffe).– Objekte in Set sind genau dann isomorph, wenn sie gleichmachtig sind.– Objekte in Group, Ab, VectR, . . . sind genau dann im obigen Sinne isomorph,

wenn sie im gewohnlichen algebraischen Sinne isomorph sind.– Objekte in Top sind genau dann isomorph, wenn sie homoomorph sind.– Objekte in der Simplexkategorie ∆ sind genau dann isomorph, wenn sie gleich

sind.

Als nachsten Schritt formalisieren wir nun den”Ubersetzungsbegriff“, den wir ver-

wenden mochten, um Topologie in Algebra zu ubersetzen.; grob gesagt handelt es sichdabei um

”strukturerhaltende Abbildungen zwischen Kategorien“. Dies fuhrt zum Be-

griff des Funktors:

Definition 1.29 (Funktor). Seien C und D Kategorien. Ein (kovarianter) Funk-tor F : C −→ D besteht aus folgenden Komponenten:

– Einer Abbildung F : Ob(C) −→ Ob(D).– Zu je zwei Objekten X,Y ∈ Ob(C) einer Abbildung

F : MorC(X,Y ) −→ MorC(F (X), F (Y )

).

Dabei mussen folgende Bedingungen erfullt sein:– Fur alle X ∈ Ob(C) ist F (idX) = idF (X).– Fur alle X,Y,X ∈ Ob(C) und alle f ∈ MorC(X,Y ) und alle g ∈ MorC(Y,Z) gilt

F (g f) = F (g) F (f).

Beispiel 1.30 (Identitatsfunktor). Sei C eine Kategorie. Dann ist der Identitatsfunk-tor IdC : C −→ C wie folgt definiert:

– Auf Objekten betrachten wir die Abbildung

Ob(C) −→ Ob(C)

X 7−→ X.

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– Auf Morphismen: Fur alle X,Y ∈ Ob(C) betrachten wir

MorC(X,Y ) −→ MorC(X,Y )

f 7−→ f.

Beispiel 1.31 (Vergissfunktor). Der Vergissfunktor Top −→ Set ist wie folgt definiert:– Auf Objekten betrachten wir die Abbildung Ob(Top) −→ Ob(Set), die einem

topologischen Raum die unterliegende Menge zuordnet.– Auf Morphismen: Fur alle topologischen Raume X,Y betrachten wir

MorTop(X,Y ) = map(X,Y ) −→ MorSet(X,Y )

f 7−→ f.

Analog erhalt man Vergissfunktoren VectR −→ Set, VectR −→ Ab, . . .

Beispiel 1.32 (frei erzeugte abelsche Gruppen). Es gibt einen Funktor F : Set −→ Ab,der die Mengenlehre in die kommutative Algebra ubertragt:

– Auf Objekten definieren wir

F : Ob(Set) −→ Ob(Ab)

X 7−→⊕X

Z.

(Wir betrachten dabei eine Menge X in kanonischer Weise als Teilmenge, bzw.sogar Basis, von

⊕X Z.)

– Auf Morphismen definieren wir F wie folgt: Sind X,Y Mengen und ist f : X −→Y eine Abbildung, so definieren wir F (f) :

⊕X Z −→

⊕Y Z als die eindeutig

bestimmte Z-lineare Abbildung, die f von der Basis X auf ganz⊕

X Z fortsetzt.Dies liefert tatsachlich einen Funktor.

Außerdem liefern Objekte in Kategorien Funktoren, die beschreiben wie die entspre-chende Kategorie aus dem Blickwinkel dieses Objekts aussieht:

Beispiel 1.33 (darstellbare Funktoren). Sei C eine Kategorie und X ∈ Ob(C). Dannerhalten wir einen Funktor

MorC(X, · ) : C −→ Set,

den von X dargestellten (kovarianten) Funktor. Dieser Funktor ist wie folgt definiert:– Auf Objekten: Sei

MorC(X, · ) : Ob(C) −→ Ob(Set)

Y 7−→ MorC(X,Y ).

– Auf Morphismen: Sind Y,Z ∈ Ob(C), so definieren wir

MorC(X, · ) : MorC(Y, Z) −→ MorSet

(MorC(X,Y ),MorC(X,Z)

)g 7−→ (f 7→ g f).

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Beispiel 1.34 (Tensorprodukt). Sei R ein Ring und sei A ein Links-R-Modul. Dannerhalten wir einen Funktor · ⊗R A : ModR −→ Ab wie folgt:

– Auf Objekten sei

· ⊗R A : ModR −→ Ab

M 7−→M ⊗R A.

– Auf Morphismen: Fur alle M,N ∈ Ob(ModR) sei

· ⊗R A : MorModR(M,N) −→ MorAb(M ⊗R A,N ⊗R A)

f 7−→ f ⊗R idA .

Fur (Ko)Homologie (sowohl in der algebraischen Topologie als auch in der homo-logischen Algebra) wichtig sind außerdem Funktoren, die auf der Simplexkategorie ∆definiert sind.

Eine wesentliche Eigenschaft von Funktoren ist, dass sie – da sie mit Verknupfun-gen und Identitatsmorphismen vertraglich sind – Isomorphie erhalten und somit eingeeignetes Konzept fur Invarianten liefern:

Proposition 1.35 (Funktoren erhalten Isomorphie). Seien C, D Kategorien, seiF : C −→ D ein Funktor und seien X,Y ∈ Ob(C).

1. Ist f ∈ MorC(X,Y ) ein Isomorphismus in C, so ist F (f) ∈ MorD(F (X), F (Y ))ein Isomorphismus in D.

2. Insbesondere: Ist X ∼=C Y , so folgt F (X) ∼=D F (Y ). Bzw.: Ist F (X) 6∼=D F (Y ),so ist X 6∼=C Y .

Beweisskizze. Der erste Teil folgt direkt aus den definierenden Eigenschaften von Funk-toren. Der zweite Teil ist eine unmittelbare Folgerung aus dem ersten Teil.

Geeignete Funktoren konnen also helfen zu zeigen, dass gewisse Objekte nicht iso-morph sind.

Caveat 1.36. Die Umkehrung gilt im allgemeinen nicht ! D.h. Objekte, die untereinem Funktor auf isomorphe Objekte abgebildet werden, sind im allgemeinen nichtisomorph.

Um mit Funktoren arbeiten zu konnen, wollen wir außerdem in der Lage sein, Funk-toren zu komponieren und zu vergleichen:

Definition 1.37 (Komposition von Funktoren). Seien C,D,E Kategorien und seienF : C −→ D, G : D −→ E Funktoren. Dann ist GF : C −→ E der wie folgt definierteFunktor:

– Auf Objekten: Sei

G F : C −→ E

X 7−→ G(F (X)

).

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– Auf Morphismen: Fur alle X,Y ∈ Ob(C) sei

G F : MorC(X,Y ) −→ MorE(G(F (X)), G(F (Y ))

)f 7−→ G(F (f)).

Funktoren lassen sich mithilfe von sogenannten naturlichen Transformationen ver-gleichen; naturliche Transformationen sind

”strukturerhaltende Abbildungen zwischen

Funktoren“:

Definition 1.38 (naturliche Transformation, naturlicher Isomorphismus). Seien Cund D Kategorien und seien F,G : C −→ D Funktoren.

– Eine naturliche Transformation T von F nach G, kurz T : F =⇒ G, bestehtaus einer Familie

(T (X) ∈ MorD(F (X), G(X))

)X∈Ob(C)

von Morphismen, so

dass fur alle Objekte X,Y ∈ Ob(C) und alle Morphismen f ∈ MorC(X,Y ) dieGleichheit

G(f) T (X) = T (Y ) F (f)

in der Kategorie D gilt – d.h., dass die entsprechenden Diagramme in D kom-mutativ sind:

F (X)F (f)

//

T (X)

F (Y )

T (Y )

G(X)G(f)

// G(Y )

– Ein naturlicher Isomorphismus ist eine naturliche Transformation, die objekt-weise aus Isomorphismen besteht (aquivalent ist die Existenz einer objektweiseninversen naturlichen Transformation).

Beispiel 1.39 (Doppeldual). Wir betrachten einerseits den Identitatsfunktor

IdVectR : VectR −→ VectR

und andererseits den Doppeldualfunktor

D := HomR(HomR( · ,R),R

): VectR −→ VectR .

Ist V ein R-Vektorraum, so definieren wir die R-lineare Abbildung

T (V ) : V −→ HomR(HomR(V,R),R

)v 7−→

(f 7→ f(v)

).

Eine einfache Rechnung zeigt, dass (T (V ))V ∈Ob(VectR) eine naturliche Transforma-tion IdVectR =⇒ D ist. Eingeschrankt auf die Kategorie der endlichdimensionalenR-Vektorraume ist dies sogar ein naturlicher Isomorphismus.

Fur jeden endlichdimensionalen R-Vektorraum V gilt auch V ∼=R HomR(V,R); manbeachte jedoch, dass es keinen naturlichen Isomorphismus dieser Form gibt!

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Abbildung (1.42): Diese Raume sind nicht homoomorph, haben aber dieselbe”prinzi-

pielle Form“.

Beispiel 1.40 (Tensorprodukte). Sei R ein Ring, seien A und B Links-R-Moduln undsei f ∈ Mor

RMod(A,B). Dann ist(idM ⊗Rf : M ⊗R A −→M ⊗R B

)M∈Ob(ModR)

eine naturliche Transformation · ⊗R A =⇒ · ⊗R B. [Mithilfe des sogenanntenYoneda-Lemmas und Beispiel 1.41 lasst sich zeigen, dass alle naturlichen Transforma-tionen · ⊗R A =⇒ · ⊗R B von dieser Form sind.]

Beispiel 1.41 (darstellbare Funktoren). Sei C eine Kategorie, seien X,Y ∈ Ob(C)und sei f ∈ MorC(X,Y ). Dann ist(

MorC(Y,Z) −→ MorC(X,Z))Z∈Ob(C)

g 7−→ g f

eine naturliche Transformation MorC(Y, · ) =⇒ MorC(X, · ). [Mithilfe des Yoneda-Lemmas lasst sich zeigen, dass alle naturlichen Transformationen MorC(Y, · ) =⇒MorC(X, · ) von dieser Form sind.]

1.3. Homotopie

Fur viele Fragestellungen in der (algebraischen) Topologie ist Homoomorphie ein zustarrer Isomorphiebegriff (Abbildung (1.42)). Wir werden daher einen schwacherenIsomorphiebgeriff einfuhren. Dazu werden wir gewisse Deformationen zwischen stetigenAbbildungen bzw. topologischen Raumen als vernachlassigbar ansehen. Dies fuhrt zumBegriff der Homotopie (Abbildung (1.45)):

Definition 1.43 (Homotopie, Homotopieaquivalenz, nullhomotop, kontraktibel). Sei-en X und Y topologische Raume.

– Seien f, g : X −→ Y stetige Abbildungen. Dann heißt f homotop zu g, wenn sichf stetig in g deformieren lasst, d.h., falls es es eine stetige Abbildung h : X ×[0, 1] −→ Y mit

h( · , 0) = f und h( · , 1) = g

gibt (wobei X × [0, 1] mit der Produkttopologie versehen ist). In diesem Fallschreiben wir f ' g und nennen h eine Homotopie von f nach g.

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AX0

1

t

(X × [0, 1], A× [0, 1])

h

g

f

h( · , t)

B

(Y,B)

Abbildung (1.45): Homotopien sind”Filme“ zwischen zwei stetigen Abbildungen [von

Raumpaaren]

– Abbildungen, die zu konstanten Abbildungen homotop sind, heißen nullhomotop.– Die topologischen Raume X und Y heißen homotopieaquivalent, wenn es stetige

Abbildungen f : X −→ Y und g : Y −→ X mit

g f ' idX und f g ' idY

gibt; solche Abbildungen heißen Homotopieaquivalenzen. In diesem Fall schreibtman X ' Y .

– Topologische Raume, die zu einem einpunktigen topologischen Raum homoto-pieaquivalent sind, heißen kontraktibel.

Definition 1.44 (Homotopie/Homotopieaquivalenz von Raumpaaren). Seien (X,A)und (Y,B) Raumpaare.

– Seien f, g : (X,A) −→ (Y,B) stetige Abbildungen von Raumpaaren (d.h. Mor-phismen in Top2). Dann heißt f homotop zu g bezuglich der Unterraume A und B,wenn sich f als Abbildung von Raumpaaren stetig in g deformieren lasst, d.h.,falls es es eine stetige Abbildung h : (X × [0, 1], A× [0, 1]) −→ (Y,B) von Raum-paaren mit

h( · , 0) = f und h( · , 1) = g

gibt. In diesem Fall schreiben wir f 'A,B g und nennen h eine Homotopie vonRaumpaaren von f nach g.

– Die Raumpaare (X,A) und (Y,B) heißen homotopieaquivalent, wenn es stetigeAbbildungen f : (X,A) −→ (Y,B) und g : (Y,B) −→ (X,A) von Raumpaarenmit

g f 'A,A id(X,A) und f g 'B,B id(Y,B)

gibt; solche Abbildungen heißen Homotopieaquivalenzen von Raumpaaren. In die-sem Fall schreibt man (X,A) ' (Y,B).

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Caveat 1.46. Homoomorphismen [von Raumpaaren] sind Homotopieaquivalenzen[von Raumpaaren]. Die Umkehrung gilt im allgemeinen nicht. Zum Beispiel sind Ho-motopieaquivalenzen [von Raumpaaren] im allgemeinen weder injektiv noch surjektiv.

Beispiel 1.47 (Balle sind kontraktibel). Ist n ∈ N, so sind der n-dimensionale Ball Dn

und Rn kontraktibel. Wir werden im Verlauf der Vorlesung sehen, dass Spharen nichtkontraktibel sind.

Beispiel 1.48 (aufgedickte Spharen). Fur alle n ∈ N ist Sn ' Rn+1 \ 0. Es giltjedoch (D1, S0) 6' (R,R\0); letzteres folgt daraus, dass R \ 0 = R ist und S0 nichtzusammenhangend ist. Dies gilt analog auch hoherdimensional, erfordert aber hohereZusammenhangsbegriffe und -resultate, die uns im Moment noch nicht zur Verfugungstehen.

Proposition 1.49 (Grundlegende Eigenschaften des Homotopiebegriffs von Raum-paaren).

1. Seien (X,A) und (Y,B) Raumpaare; dann ist”'A,B“ eine Aquivalenzrelation

auf der Menge

map((X,A), (Y,B)

):= MorTop2

((X,A), (Y,B)

)der stetigen Abbildungen (X,A) −→ (Y,B) von Raumpaaren.

2. Seien (X,A), (Y,B), (Z,B) Raumpaare und seien f, f ′ ∈ map((X,A), (Y,B))und g, g′ ∈ map((Y,B), (Z,C)) stetige Abbildungen von Raumpaaren mit f 'A,Bf ′ und g 'B,C g′. Dann gilt auch g f 'A,C g′ f ′.

Beweisskizze. Zum ersten Teil: Reflexivitat folgt mithilfe der Homotopie, die zu jedemZeitpunkt dieselbe Abbildung liefert; Symmetrie folgt, indem man entsprechende Ho-motopien ruckwarts durchlauft; Transitivitat folgt, indem man entsprechende Homoto-pien mit doppelter Geschwindigkeit durchlauft und dann mithilfe von Proposition A.13verklebt.

Der zweite Teil folgt, indem man entsprechende Homotopien”komponiert“.

Proposition 1.50 (Grundlegende Eigenschaften des Homotopiebegriffs).1. Seien X und Y topologische Raume; dann ist

”'“ eine Aquivalenzrelation auf

der Menge map(X,Y ) der stetigen Abbildungen von X nach Y .2. Seien X, Y , Z topologische Raume und seien f, f ′ : X −→ Y und g, g′ : Y −→ Z

stetige Abbildungen mit f ' f ′ und g ' g′. Dann gilt auch g f ' g′ f ′.3. Sei X ein kontraktibler topologischer Raum. Dann gilt fur alle topologischen

Raume Y , dass alle stetigen Abbildungen X −→ Y bzw. Y −→ X nullhomo-top sind.

Beweisskizze. Die ersten beiden Teile folgen analog zum Beweis von Proposition 1.49.Der dritte Teil folgt aus dem zweiten Teil, indem man berucksichtigt, dass idX

nullhomotop ist (da X kontraktibel ist).

Mithilfe dieser Propositionen kann man leicht zeigen, dass die folgenden Kategorienwohldefiniert sind:

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Definition 1.51 (Homotopiekategorien von topologischen Raumen/Raumpaaren).

– Die Homotopiekategorie topologischer Raume ist die Kategorie Toph, deren Ob-jekte topologische Raume sind, und deren Morphismen Homotopieklassen steti-ger Abbildungen sind: Sind X und Y topologische Raume, so definieren wir

[X,Y ] := MorToph(X,Y ) := map(X,Y )/ ' .

Die Verknupfung von Homotopieklassen von Abbildungen ist dabei durch diereprasentantenweise Verknupfung von Abbildungen definiert, d.h.: Sind X, Y , Ztopologische Raume, so ist

: [Y,Z]× [X,Y ] −→ [X,Z]([g], [f ]

)7−→ [g f ];

mit”[ · ]“ bezeichnen wir dabei die zugehorigen Homotopieklassen.

– Die Homotopiekategorie von Raumpaaren ist die Kategorie Top2h, deren Objekte

Raumpaare sind, und deren Morphismen Aquivalenzklassen punktierter stetigerAbbildungen bzgl. Homotopie von Abbildungen zwischen Raumpaaren sind: Sind(X,A) und (Y,B) Raumpaare, so definieren wir[

(X,A), (Y,B)]

:= MorTop2h

((X,A), (Y,B)

):= map

((X,A), (Y,B)

)/ 'A,B .

Die Verknupfung von punktierten Homotopieklassen von punktierten Abbildun-gen ist dabei durch die reprasentantenweise Verknupfung von Abbildungen defi-niert, d.h.: Sind (X,A), (Y,B), (Z,C) Raumpaare, so ist

:[(Y,B), (Z,C)

]×[(X,A), (Y,B)

]−→

[(X,A), (Z,C)

]([g]A,B , [f ]A,B

)7−→ [g f ]A,B ;

mit”[ · ]A,B“ bezeichnen wir dabei die zugehorigen Homotopieklassen von steti-

gen Abbildungen zwischen Raumpaaren.

Bemerkung 1.52. Wir erhalten somit eine kategorientheoretische Formulierung desBegriffes der Homotopieaquivalenz: Topologische Raume sind genau dann homoto-pieaquivalent, wenn sie in Toph isomorph sind. Raumpaare sind genau dann homoto-pieaquivalent, wenn sie in Top2

h isomorph sind.

Im allgemeinen ist es nicht leicht zu entscheiden, ob zwei gegebene topologischeRaume homoomorph bzw. homotopieaquivalent sind oder nicht – da es im allgemeinensehr viele stetige Abbildungen gibt. In der algebraischen Topologie studiert man daheralgebraische Invarianten, um Probleme dieser Art (partiell) zu losen.

1.4. Homotopieinvarianz – Was ist algebraische Topologie?

Eines der Hauptziele der algebraischen Topologie ist es, topologische Raume soweitwie moglich bis auf Homotopieaquivalenz zu klassifizieren (also die Homotopiekatego-

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rien Toph,Top*h, . . . besser zu verstehen). Dazu versucht man, Funktoren

Toph −→ Ab

Top2h −→ Ab

...

zu konstruieren und zu studieren. Die Kunst dabei ist, dass solche Funktoren genug in-teressante Information uber topologische Raume enthalten sollen, dabei aber trotzdemnoch hinreichend gut berechenbar sein sollten.

Definition 1.53 (homotopieinvarianter Funktor). Sei T eine der Kategorien Top,Top2, . . . 4 und sei C eine Kategorie. Ein Funktor F : T −→ C ist homotopieinvariant,falls folgendes gilt: Fur alle X,Y ∈ Ob(T ) und alle f, g ∈ MorT (X,Y ) mit f 'T g istF (f) = F (g).

Bemerkung 1.54. Sei T eine der Kategorien Top, Top2, . . . , sei C eine Kategorie undsei F : T −→ C ein Funktor. Dann ist F genau dann im obigen Sinne homotopiein-variant, wenn F uber den Homotopieklassenfunktor H : T −→ Th faktorisiert (der aufObjekten die Identitat ist und Morphismen auf die entsprechenden Homotopieklassenabbildet), d.h. wenn es einen Funktor Fh : Th −→ C mit Fh H = F gibt:

T

H

F // C

Th

Fh

>>~~

~~

Homotopieinvariante Funktoren liefern insbesondere notwendige Kriterien fur Ho-motopieaquivalenz von Raumen:

Proposition 1.55 (homotopieinvariante Funktoren liefern Homotopieinvarianten).Sei T eine der Kategorien Top,Top2, . . . , sei C eine Kategorie, sei F : T −→ C einhomotopieinvarianter Funktor und seien X,Y ∈ Ob(T ).

1. Gilt X 'T Y , so folgt F (X) ∼=C F (Y ).2. Bzw.: Gilt F (X) 6∼=C F (Y ), so folgt X 6'T Y .

Beweisskizze. Dies ist eine Konsequenz der obigen Beschreibung homotopieinvarian-ter Funktoren (Bemerkung 1.54), der Tatsache, dass Funktoren Isomorphie erhalten(Proposition 1.35), und der Reformulierung von Homotopieaquivalenzen mithilfe vonHomotopiekategorien (Bemerkung 1.52).

Im Verlauf der Vorlesung werden wir den folgenden (nicht-trivialen) Satz beweisen:

Satz 1.56 (Existenz”interessanter“ homotopieinvarianter Funktoren). Es gibt eine

Folge (Fn)n∈N homotopieinvarianter Funktoren Top −→ Ab mit folgenden Eigenschaf-ten:4Wir werden im folgenden noch weitere Kategorien mit einem zugehorigen Homotopiebegriff (und

einer zugehorigen Homotopiekategorie) kennenlernen.

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a. Fur alle n,m ∈ N gilt

Fm(Sn) ∼=

0 falls n 6= m

Z falls n = m.

b. Fur alle n ∈ N und alle j ∈ 1, . . . , n gilt

Fn(r(n)j ) 6= idFn(Sn),

wobei

r(n)j : Sn −→ Sn

(x1, . . . , xn+1) 7−→ (x1, . . . , xj−1,−xj , xj+1, . . . , xn+1).

Wir geben nun ein paar erste Anwendungen dieses Satzes. Sobald wir Beispielesolcher Funktoren konkreter beschreiben konnen und besser verstehen, werden sichnoch viele weitere Anwendungen ergeben.

Korollar 1.57 (Invarianz der Dimension, I).0. Fur alle n ∈ N ist Sn nicht kontraktibel.1. Fur alle n,m ∈ N gilt genau dann Sn ' Sm, wenn n = m ist.2. Fur alle n,m ∈ N gilt genau dann Rn ∼= Rm, wenn n = m ist.

Beweisskizze (unter der Annahme, dass Satz 1.56 gilt). 0. Sei n ∈ N, ohne Einschran-kung n 6= 0. Ware Sn kontraktibel, so waren alle stetigen Abbildungen Sn −→ Sn

nullhomotop und somit homotop zueinander (da Sn wegzusammenhangend ist). Dies

steht jedoch im Widerspruch zu Fn(r(n)1 ) 6= idFn(Sn) = Fn(idSn).

1. Dies folgt aus Satz 1.56 a.2. Seien n,m ∈ N mit Rn ∼= Rm, ohne Einschrankung n 6= 0 6= m. Ist f : Rn −→ Rm

ein Homoomorphismus, so ist f |Rn\0 : Rn \ 0 −→ Rm \ f(0) ein Homoomorphis-mus; also folgt

Sn−1 ' Rn \ 0 ∼= Rm \ f(0) ' Sm−1,

und damit nach dem vorherigen Teil n = m.

Unter der Annahme, dass Satz 1.56 gilt, konnen wir zum Beispiel außerdem denSatz vom Igel beweisen: Als ersten Schritt betrachten wir dazu die folgende Variantedes Prinzips der Abbildungsgrade:

Proposition 1.58 (Abbildungsgrade fur Selbstabbildungen). Sei C eine Kategorie,sei F : C −→ Ab ein Funktor und sei X ∈ Ob(C) mit F (X) ∼= Z. Die Gradabbildungauf X bezuglich F ist dann definiert als

degF : MorC(X,X) −→ Zf 7−→ d ∈ Z mit F (f) = d · idF (X).

Dann gilt:

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Abbildung (1.60): Stetige Kammung eines eindimensionalen Igels

0. Die Abbildung degF : MorC(X,X) −→ Z ist wohldefiniert.1. Fur alle f, g ∈ MorC(X,X) ist

degF (g f) = degF (g) · degF (f).

2. Es ist degF (idX) = 1 und fur alle C-Isomorphismen f ∈ MorC(X,X) gilt

degF (f) ∈ −1, 1.

Beweisskizze. Dies folgt daraus, dass Endomorphismen von unendlich zyklischen Grup-pen eindeutig bestimmte ganzzahlige Vielfache der Identitat sind, und den Funktorei-genschaften.

Satz 1.59 (Satz vom Igel). Sei n ∈ N. Dann existiert genau dann ein nirgends ver-schwindendes Vektorfeld auf Sn, wenn n ungerade ist.

Insbesondere kann ein Igel (aufgefasst als S2) nicht stetig gekammt werden.Zur Erinnerung:– Ein Vektorfeld auf einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit M ist eine stetige

Abbildung v : M −→ TM mit p v = idM , wobei p : TM −→M die Bundelpro-jektion des Tangentialbundels von M ist. Ein solches Vektorfeld v : M −→ TMist nirgends verschwindend, falls v(x) 6= 0 ∈ TxM fur alle x ∈M gilt.

– Ist n ∈ N, so entsprechen [nirgends verschwindende] Vektorfelder auf Sn stetigenAbbildungen v : Sn −→ Rn+1 mit

∀x∈Sn

⟨v(x), x

⟩= 0 [und v(x) 6= 0].

Beweisskizze (unter der Annahme, dass Satz 1.56 gilt). Ist n ∈ N ungerade, etwa n =2 · k + 1 mit k ∈ N, so ist

Sn −→ Rn+1

x 7−→ (x2,−x1, x4,−x3, . . . , x2·k+2,−x2·k+1)

ein nirgends verschwindendes Vektorfeld auf Sn (Abbildung (1.60)).

22

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Ist umgekehrt n ∈ N und v : Sn −→ Rn+1 ein nirgends verschwindendes Vektorfeld,so ist

Sn × [0, 1] −→ Sn

(x, t) 7−→ cos(π · t) · x+ sin(π · t) · 1

‖v(x)‖2· v(x)

wohldefiniert und stetig und zeigt idSn ' − idSn . Mithilfe des Abbildungsgrades auf Sn

bezuglich Fn folgt aus Satz 1.56 und Proposition 1.58, dass

1 = degFn(idSn) = degFn

(− idSn) = degFn(r

(n)n+1) · · · · · degFn

(r(n)1 ) = (−1)n+1,

und damit, dass n ungerade ist.

Weitere Anwendungen und Schlusse dieser Art werden wir systematischer im Zusam-menhang mit den Eilenberg-Steenrod-Axiomen im folgenden Kapitel kennenlernen.

23

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2. Axiomatische Homologie

Wir werden nun die Eilenberg-Steenrod-Axiome fur Homologietheorien kennenlernenund uns uberlegen, was man aus diesen Axiomen ableiten kann bzw. wie man mitsolchen Homologietheorien arbeiten kann.

In Kapitel 3 und Kapitel 4 werden wir Homologietheorien dieser Art fur topologischeRaume bzw. sogenannte CW-Komplexe konstruieren.

2.1. Die Eilenberg-Steenrod-Axiome

Wir beginnen mit der Formulierung der Eilenberg-Steenrod-Axiome fur Homologie-theorien:

Definition 2.1 (Eilenberg-Steenrod-Axiome fur Homologie). Sei R ein Ring mit Eins.Eine Homologietheorie auf Top2 mit Werten in RMod ist ein Paar

((hk)k∈Z, (∂k)k∈Z

),

wobei– (hk)k∈Z eine Folge von Funktoren Top2 −→ RMod– und (∂k)k∈Z eine Folge naturlicher Transformationen ∂k : hk =⇒ hk−1 U , ge-

nannt Verbindungshomomorphismen (oder Randoperatoren), wobei U : Top2 −→Top2 der Funktor ist, der Objekte (X,A) auf (A, ∅) und stetige Abbildungen vonPaaren auf die entsprechende Einschrankungen abbildet,

mit folgenden Eigenschaften ist:– Homotopieinvarianz. Fur alle k ∈ Z ist hk : Top2 −→ RMod ein homotopieinva-

rianter Funktor im Sinne von Definition 1.53.– lange exakte Paarsequenz. Fur alle Raumpaare (X,A) ist die Sequenz

. . .∂k+1

// hk(A, ∅)hk(i)

// hk(X, ∅)hk(j)

// hk(X,A)∂k // hk−1(A, ∅)

hk−1(i)// . . .

exakt (Definition B.2), wobei i : (A, ∅) −→ (X, ∅) und j : (X, ∅) −→ (X,A) dieInklusionen sind.

– Ausschneidung. Fur alle Raumpaare (X,A) und alle B ⊂ A mit B ⊂ A ist dievon der Inklusion (X \B,A \B) −→ (X,A) induzierte Abbildung

hk(X \B,A \B) −→ hk(X,A)

fur alle k ∈ Z ein Isomorphismus (Abbildung (2.2)).Man nennt

(hk(∅, ∅)

)k∈Z die Koeffizienten der Theorie.

Eine solche Homologietheorie((hk)k∈Z, (∂k)k∈Z

)heißt gewohnlich, wenn das Dimen-

sionsaxiom erfullt ist:– Dimensionsaxiom. Fur alle Einpunktraume P und alle k ∈ Z \ 0 gilt

hk(P, ∅) ∼= 0.

Eine Homologietheorie((hk)k∈Z, (∂k)k∈Z

)heißt additiv, wenn das Additivitatsaxiom

erfullt ist:

24

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X1

A \B

X \B

hk(X \B,A \B)

A

B

X

hk(X,A)

Abbildung (2.2): Ausschneidung, schematisch

– Additivitat. Fur alle Mengen I und alle Familien (Xi)i∈I topologischer Raumeinduzieren die kanonischen Inklusionen (Xi −→

⊔j∈I Xj)i∈I fur alle k ∈ Z einen

Isomorphismus ⊕i∈I

hk(Xi, ∅) −→ hk

(⊔i∈I

Xi, ∅).

Bemerkung 2.3.– Die lange exakte Paarsequenz beschreibt den Zusammenhang zwischen Homolo-

gie eines Raumes, des Unterraumes, und des zugehorigen Paares.– Das Ausschneidungsaxiom erlaubt es, Homologie von Raumen bzw. Raumpaa-

ren durch Zerlegen in kleinere Teile zu berechnen. Im Gegensatz zum Ausschnei-dungssatz von Blakers-Massey fur Homotopiegruppen (Algebraische Topologie I)gilt Ausschneidung fur Homologie nicht nur in bestimmten Gradbereichen, son-dern allgemein. Dies ist der Hauptgrund, warum Homologie deutlich einfacherzu berechnen ist als Homotopiegruppen.

– Ist X ein topologischer Raum und k ∈ Z, so schreiben wir im obigen Kontextauch kurz

hk(X) := hk(X, ∅).

– Die obigen Axiome lassen sich analog nicht nur in Top2, sondern auch in anderenKategorien aus der Topologie formulieren.

– In Satz 4.41 werden wir sehen, in welchem Sinne Homologietheorien durch dieEilenberg-Steenrod-Axiome bereits eindeutig bestimmt sind.

2.2. Fingerubungen

Bevor wir mit Verkleberesultaten und topologischen Anwendungen von Homologiebeginnen, uben wir das Arbeiten mit den Eilenberg-Steenrod-Axiomen mit einfachenFingerubungen. Haufig werden dabei grundlegende Techniken fur exakte Sequenzen(Kapitel B.1) benotigt.

Setup 2.4. In diesem Abschnitt sei R ein Ring mit Eins und((hk)k∈Z, (∂k)k∈Z

)sei

eine Homologietheorie auf Top2 mit Werten in RMod.

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Proposition 2.5 (mehr zu Homotopieinvarianz).1. Ist (X,A) ein Raumpaar und ist die Inklusion i : A −→ X eine Homotopieaqui-

valenz, so isthk(X,A) ∼= 0

fur alle k ∈ Z. Insbesondere ist hk(X,X) ∼= 0 fur alle k ∈ Z.2. Ist f : (X,A) −→ (Y,B) eine stetige Abbildung von Raumpaaren und sind sowohl

f : X −→ Y als auch f |A : A −→ B Homotopieaquivalenzen in Top, so ist

hk(f) : hk(X,A) −→ hk(Y,B)

fur alle k ∈ Z ein Isomorphismus.

Beweisskizze. Der erste Teil folgt aus der langen exakten Paarsequenz. Der zweite Teilfolgt aus der langen exakten Paarsequenz und dem Funferlemme (Proposition B.6).

Als nachstes zeigen wir, wie man die Koeffizienten der Theorie (d.h. die Homologievon Einpunktraumen) aus der Homologie jedes (nicht-leeren) Raumes abspalten kann:

Proposition 2.6 (Abspalten der Homologie des Punktes).1. Sei X ein topologischer Raum und sei x0 ∈ X. Dann induzieren die Inklusi-

on (X, ∅) → (X, x0) und die konstante Abbildung X −→ x0 fur alle k ∈ Zeinen Isomorphismus

hk(X) ∼= hk(x0

)⊕ hk

(X, x0

).

2. Diese Isomorphismen sind im folgenden Sinne naturlich: Ist f : X −→ Y einestetige Abbildung topologischer Raume und ist x0 ∈ X, so ist fur alle k ∈ Z dasDiagramm

hk(X)∼= //

hk(f)

hk(x0

)⊕ hk

(X, x0

)hk(f |x0)⊕hk(f)

hk(Y ) ∼=// hk(f(x0)

)⊕ hk

(Y, f(x0)

)kommutativ, wobei die horizontalen Isomorphismen, die Isomorphismen aus demersten Teil sind.5

Beweisskizze. Die Naturlichkeit im zweiten Teil folgt direkt daraus, dass die Inklu-sion der entsprechenden Basispunkte und die konstanten Abbildungen auf die ent-sprechenden Einpunktraume mit f vertraglich sind – und dass diese Eigenschaft nachAnwendung der Funktoren (hk)k∈Z erhalten bleibt.

5Dies entspricht der Aussage, dass die Isomorphismen aus dem ersten Teil eine naturliche Transfor-mation

hk F =⇒ hk U ⊕ hk : Top* −→ RMod

bilden, wobei Top* die Kategorie der punktierten Raume (also Raumpaare, deren Unterraumeinpunktig ist) und F : Top* −→ Top2 der Funktor ist, der den einpunktigen Unterraum durchden leeren Unterraum ersetzt und U der Unterraumfunktor (Definition 2.1) ist. In der algebraischenTopologie wird jedoch oft diese genauere Formulierung nicht explizit genannt.

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Fur den Beweis des ersten Teils betrachten wir die lange exakte Paarsequenz desPaares (X, x0). Wegen

(X −→ x0

)(x0 → X

)= idx0 folgt fur alle k ∈ Z,

dasshk(X −→ x0

) hk

(x0 → X

)= idhk(x0) .

Dies zeigt, dass wir aus der langen exakten Paarsequenz kurze spaltende exakte Se-quenzen

0 // hk(x0

) hk(x0→X)// hk(X)

hk((X,∅)→(X,x0))//

hk(X→x0)

ff qke_YS

hk(X, x0

)// 0

erhalten. Daraus folgt mit Proposition B.5 die Behauptung.

Die Abspaltung der Koeffizienten lasst sich auch durch die sogenannte reduzierteHomologie ausdrucken:

Bemerkung 2.7 (reduzierte Homologie). Sei • := ∅”der“ Einpunktraum. Ist X

ein topologischer Raum und k ∈ Z, so definieren wir die k-te reduzierte Homologievon X bezuglich

((hk)k∈Z, (∂k)k∈Z

)durch

hk(X) := ker(hk(cX) : hk(X) −→ hk(•)

)⊂ hk(X),

wobei cX : X −→ • die eindeutig bestimmte Abbildung ist. Dann ist fur alle x0 ∈ Xund alle k ∈ Z die von den Inklusionen induzierte Komposition

hk(X) −→ hk(X) −→ hk(X, x0

)ein Isomorphismus. Ist f : X −→ Y eine stetige Abbildung topologischer Raume, soist

hk(f) := hk(f)|hk(X) : hk(X) −→ hk(Y )

wohldefiniert und man erhalt einen homotopieinvarianten Funktor hk : Top −→ RModmit hk(•) ∼= 0.

Im Zusammenhang mit Ausschneidungsargumenten betrachtet man oft Raumtripel,d.h. Raumpaare mit einem zusatzlichen Unterraum des Unterraums. Dabei ist haufigdie folgende lange exakte Sequenz hilfreich:6

Proposition 2.8 (lange exakte Tripelsequenz). Sei X ein topologischer Raum undseien B ⊂ A ⊂ X Unterraume. Dann ist die Sequenz

. . .∂

(X,A,B)k+1// hk(A,B) // hk(X,B) // hk(X,A)

∂(X,A,B)k // hk−1(A,B) // . . .

6Fur langere absteigende Ketten von Unterraumen sind exakte Sequenzen als Hilfsmittel der homo-logischen Algebra im allgemeinen nicht mehr machtig genug; das geeignete Werkzeug sind dannsogenannte Spektralsequenzen.

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. . . . . .

hk+1(X,A)

∂(X,A)k

hk(A)

hk(B)

hk(A,B)

∂(A,B)k

hk(X,B)∂(X,B)k

hk(X)

hk−1(B)

hk−1(A)

hk(X,A)∂(X,A)k

hk−1(X)

hk−1(A,B)

∂(X,A,B)k+1

∂(X,A,B)k

Abbildung (2.9): Das Zopfdiagramm der langen exakten Tripelsequenz; die unmarkier-ten Homomorphismen sind jeweils durch die entsprechenden Inklu-sionen induziert.

exakt, wobei wir fur k ∈ Z den Verbindungshomomorphismus ∂(X,A,B)k der Tripelse-

quenz als die Komposition

hk(X,A)∂

(X,A,B)k //_______

∂(X,A)k

$$IIIIIIIIhk(A,B)

hk(A)

::uuuuuuuu

definieren und die unmakrierten Homomorphismen jeweils durch die entsprechendenInklusionen topologischer Raume/Raumpaare induziert sind.

Beweisskizze. Sei k ∈ Z. Wir betrachten das Zopfdiagramm in Abbildung (2.9), das ausder gewunschten Tripelsequenz und den langen exakte Paarsequenzen der Paare (A,B),(X,B) und (X,A) geflochten ist. Nach Definition des Verbindungshomomorphismusder Tripelsequenz, wegen der Funktorialitat der (hm)m∈Z und der Naturlichkeit derVerbindungshomomorphismen der Homologietheorie ist dieses Zopfdiagramm kommu-tativ.

Die Kompositionhk(A,B) −→ hk(X,B) −→ hk(X,A)

der durch die Inklusionen induzierten Homomorphismen ist der Nullhomomorphismus,denn diese Komposition faktorisiert uber hk(A,A) ∼= 0. Auch die anderen jeweils

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X

[−1]

[0]

[1]

X

[−1]

[0]

[1]

X × [−1, 1]/∼ = ΣX

Abbildung (2.10): Einhangung, schematisch; die obere und die untere Zickzackliniewerden jeweils zu einem Punkt identifiziert.

aufeinanderfolgenden Homomorphismen der Tripelsequenz liefern als Komposition denNullhomomorphismus (wir finden im Zopfdiagramm immer eine alternative Route,die zwei aufeinanderfolgende Homomorphismen aus einer langen exakten Paarsequenzenthalt).

Mit einer Diagrammjagd kann man nun die Exaktheit der Tripelsequenz aus derExaktheit der drei langen exakten Paarsequenzen folgern.

2.3. Homologie von Spharen und Einhangungen

Wir berechnen nun die Homologie von Spharen und geben erste Anwendungen da-von. Um die Homologie von Spharen zu berechnen gehen wir induktiv mithilfe dersogenannten Einhangung vor.

Definition 2.11 (Einhangung).– Die Einhangung eines topologischen Raumes X ist definiert als

ΣX := X × [−1, 1]/∼

mit der Quotiententopologie der Produkttopologie, wobei”∼“ von

∀x,x′∈X (x, 1) ∼ (x′, 1)

∀x,x′∈X (x,−1) ∼ (x′,−1)

erzeugt wird (Abbildung (2.10)).– Ist f : X −→ Y eine stetige Abbildung topologischer Raume, so ist die Abbildung

Σf : ΣX −→ ΣY

[x, t] 7−→[f(x), t

]

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x x

∼=Top

Abbildung (2.12): Einhangungen von Spharen sind Spharen

wohldefiniert und stetig.Auf diese Weise erhalt man den Einhangungsfunktor Σ: Top −→ Top.

Beispiel 2.13 (Einhangungen von Spharen sind Spharen). Fur alle n ∈ N ist

ΣSn −→ Sn+1

[x, t] 7−→(cos(π/2 · t) · x, sin(π/2 · t)

)ein wohldefinierter Homoomorphismus (Abbildung (2.12)).

Satz 2.14 (Homologie von Einhangungen). Sei((hk)k∈Z, (∂k)k∈Z

)eine Homologie-

theorie auf Top2. Sei X ein topologischer Raum und sei x0 ∈ X. Dann gibt es furalle k ∈ Z einen naturlichen Isomorphismus (den sogenannten Einhangungsisomor-phismus)

σk(X) : hk(X, x0

)−→ hk+1

(ΣX, [(x0, 0)]

).

Beweisskizze. Sei k ∈ Z. Dann erhalten wir die Kette von (naturlichen) Isomorphismenin Abbildung (2.15).

Der unterste vertikale Homomorphismus ist dabei der Verbindungshomomorphismusder langen exakten Tripelsequenz (Proposition 2.8) des Tripels

x0 ⊂ X ⊂ C−X.

Dieser Verbindungshomomorphismus ist ein Isomorphismus, denn: Da C−X kontrak-tibel ist, folgt mit Proposition 2.5, dass hm(C−X, x0) ∼= 0 fur alle m ∈ Z gilt.

Bemerkung 2.16 (Wie wendet man Ausschneidung an?). Sei((hk)k∈Z, (∂k)k∈Z

)eine

Homologietheorie auf Top2 und sei X ein topologischer Raum. Wie im obigen Beweiskann man die Homologie (hk(X))k∈Z dann oft mithilfe von Ausschneidung wie folgtberechnen: Man sucht Unterraume B ⊂ A ⊂ X mit B ⊂ A mit der Eigenschaft,

– dass man (hk(A))k∈Z gut beschreiben kann

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C+X

X

[−1]

[0]

[1]

12C+X

X

[−1]

[0]

[1]

C+X \ 12C+X

X

[−1]

[0]

[1]

C−X

X

[−1]

[0]

[1]

hk+1

(ΣX, [x0, 0]

)∼= verallgemeinerte Homotopieinvarianz (Proposition 2.5)

hk+1(ΣX,C+X)

hk+1

(ΣX \ 1

2C+X,C+X \ 12C+X

)∼= Ausschneidung

OO

hk+1

(C−X,X × 0

)∼= Homotopieinvarianz

OO

∼= Verbindungshomomorphismus der Tripelsequenz, s.u.

hk(X, x0

)

Abbildung (2.15): Berechnung der Homologie von Einhangungen

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– und dass man (hk(X \ B,A \ B))k∈Z gut beschreiben kann (z.B. mithilfe derTripelsequenz 2.8 oder der Paarsequenz),

und kombiniert dann Ausschneidung mit der langen exakten Paarsequenz des Paa-res (X,A). In Abschnitt 2.4 werden wir eine Reformulierung von Ausschneidung ken-nenlernen, die es oft erleichtert, Homologie nach dem Baukastenprinzip zu berechnen.

Caveat 2.17 (falsche Anwendung von Ausschneidung). Bei der Anwendung von Aus-schneidung ist darauf zu achten, dass der Abschluss des auszuschneidenden Raumesim Inneren des Teilraumes enthalten ist!

Aus Satz 2.14 und Beispiel 2.13 erhalten wir:

Korollar 2.18 (Homologie von Spharen). Sei((hk)k∈Z, (∂k)k∈Z

)eine Homologietheo-

rie auf Top2. Dann gilt:1. Fur alle n ∈ N und alle k ∈ Z gibt es einen naturlichen Isomorphismus

hk(Sn, en+1

1 ) ∼= hk+1

(ΣSn, [en+1

1 , 0]) ∼= hk+1

(Sn+1, en+2

1 ),

wobei en+11 bzw. en+2

1 jeweils den ersten Einheitsvektor (1, 0, . . . , 0) bezeichnet.2. Insbesondere folgt mit Proposition 2.6 und Ausschneidung induktiv fur alle n ∈ N

und alle k ∈ Z, dass

hk(Sn) ∼= hk(Sn, en+1

1 )⊕ hk

(en+1

1 )

∼= hk−n(S0, e1

1)⊕ hk

(en+1

1 )

∼= hk−n(•)⊕ hk(•).

3. Ist((hk)k∈Z, (∂k)k∈Z

)eine gewohnliche Homologietheorie, so folgt: Fur alle k ∈ Z

ist

hk(S0) ∼=

h0(•)⊕ h0(•) falls k = 0

0 falls k 6= 0.

Fur alle n ∈ N>0 und alle k ∈ Z ist

hk(Sn) ∼=

h0(•) falls k ∈ 0, n0 falls k ∈ Z \ 0, n.

Gewohnliche Homologie mit nicht-trivialen Koeffizienten entdeckt also das n-dimen-sionale spharische

”Loch“ in der n-dimensionalen Sphare. Im Gegensatz zu Homoto-

piegruppen (Algebraische Topologie I) entdeckt gewohnliche Homologie aber nichtnur spharische Locher, sndern auch andere (wie man z.B. an der Homologie des To-rus S1 × S1 sehen kann).

Eine erste Anwendung der Berechnung in Korollar 2.18 ist eine verfeinerte Versionder Invarianz der Dimension (unter der Annahme, dass gewohnliche Homologietheorientatsachlich existieren):

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Korollar 2.19 (Invarianz der Dimension, II). Falls eine gewohnliche Homologietheo-rie((hk)k∈Z, (∂k)k∈Z

)auf Top2 mit Werten in ZMod = Ab und Koeffizienten (isomorph

zu) Z existiert, so folgt:Sind n,m ∈ N und sind U ⊂ Rn, V ⊂ Rm offen und nicht-leer mit U ∼= V , so gilt

bereits n = m.

Beweisskizze. Ohne Einschrankung seien n,m > 0. Sei x ∈ U und sei f : U −→ V einHomoomorphismus. Mithilfe von Ausschneidung kann man dann die Homologie desPaares (U,U \ x) auf die von (Rn,Rn \ 0) zuruckfuhren (Ausschneidung des Teilsvon U , der außerhalb eines kleinen offenen Balles um x liegt) und erhalt so wegen(U,U \ x) ∼=Top2 (V, V \ f(x)) und der langen exakten Paarsequenz:

hn−1(Sm−1) ∼= hn(V, V \ f(x)

)∼= hn

(U,U \ x

)∼= hn−1(Sn−1).

Aus Korollar 2.18 folgt daher n = m.

Als nachsten Schritt bestimmen wir nun Abbildungsgrade fur Selbstabbildungenvon Spharen (positiver Dimension) bezuglich gewohnlicher Homologietheorien; diesist ein wichtiges Hilfsmittel, um Homologie von Raumen, die induktiv aus Spharen

”zusammengesetzt“ sind, zu berechnen:

Korollar 2.20 (Abbildungsgrade fur Selbstabbildungen von Spharen). Es sei((hk)k∈Z, (∂k)k∈Z

)eine gewohnliche Homologietheorie. Dann gilt:

1. Ist n ∈ N>0 und j ∈ 1, . . . , n+ 1, so ist

hn(r(n)j ) = − idhn(Sn),

wobei r(n)j die in Satz 1.56 definierte Spiegelung ist.

2. Fur d ∈ Z sei

fd : S1 −→ S1

z 7−→ zd,

wobei wir S1 als Teilmenge von C auffassen. Dann gilt

h1(fd) = d · idh1(S1) .

3. Fur alle n ∈ N>0 und alle d ∈ Z gilt

hn(Σn−1fd) = d · idhn(Sn) .

Insbesondere folgt: Ist((hk)k∈Z, (∂k)k∈Z

)eine gewohnliche Homologietheorie mit Wer-

ten in ZMod und Koeffizienten (isomorph zu) Z, so gilt (wobei der Abbildungsgrad wiein Proposition 1.58 definiert ist):

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– Fur alle n ∈ N>0 und alle j ∈ 1, . . . , n ist

deghnr

(n)j = −1.

– Fur alle n ∈ N>0 und alle d ∈ Z ist

deghnΣn−1fd = d.

Insbesondere ist deghn: [Sn, Sn] −→ Z surjektiv.7

Der Beweis beruht auf der folgenden Beobachtung:

Lemma 2.21 (Homologie von”Addition“ von Abbildungen auf Spharen). Es

sei((hk)k∈Z, (∂k)k∈Z

)eine gewohnliche Homologietheorie auf Top2 und sei n ∈ N>0.

Zu d ∈ N betrachten wir die Einpunktvereinigung (auch Wedge)

d∨Sn :=

d⊔Sn/∼,

wobei”∼“ die ersten Einheitsvektoren der d Spharen miteinander verklebt; außerdem

betrachten wir die Inklusionsabbildungen (ij : Sn −→∨d

Sn)j∈1,...,d der Summan-

den und die Kollapsabbildungen (pj :∨d

Sn −→ Sn)j∈1,...,n, die jeweils auf einem

Spharensummanden die Identitat sind und die anderen Summanden auf en+11 abbilden.

Dann gilt:1. Die Inklusionen (ij)j∈1,...,d und die Kollapsabbildungen (pj)j∈1,...,d induzie-

ren fur alle k ∈ N>0 Isomorphismen

hk

( d∨Sn)∼=

d⊕hk(Sn).

2. Sei

cSn : Sn −→2∨Sn

αx(t) 7−→

i1(αx(2 · t)

)falls t ∈ [0, 1/2]

i2(αx(2 · t− 1)

)falls t ∈ [1/2, 1],

wobei αx : [0, 1] −→ Sn zu x ∈ Sn−1×0\en+11 der eindeutig bestimmte Kreis

(mit konstanter Geschwindigkeit, startend in Richtung en+1n+1) ist, der x und en+1

1

als diametral gegenuberliegende Punkte enthalt und in der Ebene durch x, en+11

und en+11 + en+1

n+1 liegt (Abbildung (2.22)). (Die Abbildung cSn ist wohldefiniertund stetig). Dann gilt fur alle topologischen Raume X und alle f, g ∈ map(Sn, X)mit f(en+1

1 ) = g(en+11 ), dass

hn((f ∨ g) cSn

)= hn(f) + hn(g).

Dabei bezeichnet f ∨ g :∨2

Sn −→ X die eindeutig bestimmte stetige Abbildungmit (f ∨ g) i1 = f und (f ∨ g) i2 = g.

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x

αx

3

1

2

3

12

S2cS2 ∨2

S2

Abbildung (2.22): Die”Einschnurungsabbildung“ cSn : Sn −→

∨2Sn.

Beweisskizze. Der erste Teil folgt induktiv mithilfe von Ausschneidung.Wegen p1 cSn ' idSn ' p2 cSn folgt aus dem ersten Teil, dass

hn((f ∨ g) cSn

)= hn(f ∨ g) hn(i1) hn(p1) hn(cSn)

+ hn(f ∨ g) hn(i2) hn(p2) hn(cSn)

= hn((f ∨ g) i1

) hn(p1 cSn) + hn

((f ∨ g) i2

) hn(p2 cSn)

= hn(f) + hn(g),

wie gewunscht.

Bemerkung 2.23 (Hurewicz-Homomorphismus). Sei((hk)k∈Z, (∂k)k∈Z

)eine gewohn-

liche Homologietheorie auf Top2 mit Werten in Ab und Koeffizienten (isomorph zu) Z.Sei n ∈ N und sei außerdem [Sn] ∈ hn(Sn) ∼= Z ein Erzeuger. Dann erhalten wir furjeden punktierten topologischen Raum (X,x0) einen Homomorphismus

πn(X,x0) −→ hn(X)

[f ]∗ 7−→ hn(f)([Sn]

)von der n-ten Homotopiegruppe (s. Algebraische Topologie I) in die Homologie imGrad n, den sogenannten Hurewicz-Homomorphismus im Grad n. Genauer liefert dies

7Tatsachlich ist deghn: [Sn, Sn] −→ Z sogar bijektiv. Dies kann man z.B. mit den Methoden aus

der Homotopietheorie (Algebraische Topologie I) zeigen.

35

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eine naturliche Transformation πn =⇒ hn F , wobei F : Top* −→ Top2 der Funktorist, der den Basispunkt durch den leeren Teilraum ersetzt.

Beweisskizze von Korollar 2.20. 1. Indem wir Spiegelungen mit Homoomorphismen,die je zwei Koordinaten tauschen, konjugieren, sehen wir, dass es genugt, die Behaup-

tung fur die Spiegelung r(n)2 zu zeigen.

Induktiv folgt mit dem naturlichen Einhangungsisomorphismus (Satz 2.14 und Bei-

spiel 2.13) und der Tatsache, dass Σr(n)2 fur alle n ∈ N>0 der Spiegelung r

(n+1)2 ent-

spricht, dass es genugt

h1(r(1)2 ) = − idh1(S1)

zu zeigen.

Da (idS1 ∨r(1)2 ) cS1 zu einer konstanten Abbildung homotop ist (wie man leicht an

der Konstruktion ablesen kann), erhalten wir aus Lemma 2.21, dass

0 = h1(const) = h1

((idS1 ∨r(1)

2 ) cS1

)= h1(idS1) + h1(r

(1)2 ).

2. Wir unterscheiden drei Falle:– Die Abbildung f0 ist konstant; also faktorisiert h1(f0) uber h1(•) ∼= 0, und

damit h1(f0) = 0.

– Ist d ∈ Z<0, so ist fd = r(1)2 f|d|. Nach dem ersten Teil ist daher h1(fd) =

h1(r(1)2 ) h1(f|d|) = −h1(f|d|).

– Es genugt daher, den Fall d ∈ N>0 zu betrachten: Es ist

fd =( d∨

idS1

) c(d)

S1 ,

wobei c(d)S1 : S1 −→

∨dS1 die entsprechende Verallgemeinerung der Einschnu-

rungsabbildung aus Lemma 2.21 ist. Die zugehorige Verallgemeinerung von Lem-ma 2.21 liefert dann

h1(fd) = d · h1(idS1) = d · idh1(S1) .

Der dritte Teil folgt mithilfe des naturlichen Einhangungsisomorphismus (Satz 2.14und Beispiel 2.13) induktiv aus dem zweiten Teil.

Mithilfe des Abbildungsgrades kann man zum Beispiel den Fundamentalsatz derAlgebra beweisen:

Korollar 2.24 (Fundamentalsatz der Algebra). Falls es eine gewohnliche Homologie-theorie auf Top2 mit Werten in Ab und Koeffizienten (isomorph zu) Z gibt, so folgtder Fundamentalsatz der Algebra:

Jedes nicht-konstante Polynom aus C[X] besitzt mindestens eine Nullstelle in C.

Beweisskizze. Angenommen, es gibt ein nicht-konstantes Polynom p ∈ C[X], das keineNullstelle in C besitzt. Dann konnen wir eine nullhomotope Abbildung S1 −→ S1

konstruieren, deren Abbildungsgrad bezuglich der gegebenen Homologietheorie mitdem Grad des Polynoms p ubereinstimmt. Dies ist jedoch ein Widerspruch.

36

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U

U ∩ V

V

hk(U ∩ V )

hk(U) hk(V )

hk(X)

Abbildung (2.26): Die Ausgangssituation fur die Mayer-Vietoris-Sequenz

Außerdem erhalten wir:

Korollar 2.25 (Existenz”interessanter“ homotopieinvarianter Funktoren). Falls(

(hk)k∈Z, (∂k)k∈Z)

eine gewohnliche Homologietheorie auf Top2 mit Werten in Ab undKoeffizienten (isomorph zu) Z ist, so sind die entsprechenden reduzierten Homologie-funktoren (Bemerkung 2.7)

h0, h1, . . . : Top −→ Ab

Funktoren mit den Eigenschaften aus Satz 1.56.

Eines der Ziele der Vorlesung ist daher, eine gewohnliche Homologietheorie mit Z-Koeffizienten zu konstruieren (Kapitel 3 und Kapitel 4).

2.4. Verkleben von Raumen – die Mayer-Vietoris8-Sequenz

Wir leiten nun eine Variante von Ausschneidung ab, die es oft ermoglicht, Homologie,bequem nach dem Baukastenprinzip zu berechnen. Genauer: Wie konnen wir die Ho-mologie eines Raumes X = U ∪ V berechnen, wenn wir die Homologie von U , V undU ∩ V kennen? (Abbildung (2.26))

Wir werden dies insbesondere auf Abbildungskegel anwenden; dies liefert einer-seits Realisierungsresultate und andererseits eine Moglichkeit, auch Homologietheorienauf Top (statt auf Top2) axiomatisch zu erfassen.

Satz 2.27 (Mayer-Vietoris-Sequenz). Sei((hk)k∈Z, (∂k)k∈Z

)eine Homologietheorie

auf Top2. Sei X ein topologischer Raum, seien U , V ⊂ X mit der Eigenschaft, dassder Abschluss von U \V (in U ∪V ) im Inneren von U (in U ∪V ) liegt, und sei A ⊂ Xmit A ⊂ U ∩ V .

1. Ist U ∪ V = X, so ist die Sequenz

. . .∆k+1

// hk(U ∩ V ,A)(hk(iU ),−hk(iV ))

// hk(U,A)⊕ hk(V ,A)hk(jU )⊕hk(jV )

// hk(X,A)∆k // hk−1(U ∩ V ,A) // . . .

8Leopold Vietoris; osterreichischer Mathematiker, 1891–2002(!)

37

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exakt. Dabei bezeichnen iU : (U ∩ V,A) −→ (U,A), iV : (U ∩ V,A) −→ (V,A),jU : (U,A) −→ (X,A) und jV : (V,A) −→ (X,A) die Inklusionen. Fur k ∈ Z ist∆k als die Komposition

hk(X,A) //

∆k

))

hk(X,U) hk(V,U ∩ V )∼=

Ausschneidungoo

∂(V,U∩V,A)k

// hk−1(U ∩ V,A)

definiert (wobei die unmarkierten Pfeile von den entsprechenden Inklusionen in-duziert werden).

2. Außerdem die Sequenz

. . .∆k+1

// hk(X,U ∩ V )(hk(iU ),−hk(iV ))

// hk(X,U)⊕ hk(X,V )hk(jU )⊕hk(jV )

// hk(X,U ∪ V )∆k // hk−1(X,U ∩ V ) // . . .

exakt. Dabei bezeichnen iU : (X,U ∩ V ) −→ (X,U), iV : (X,U ∩ V ) −→ (X,V ),jU : (X,U) −→ (X,U ∪ V ) und jV : (X,V ) −→ (X,U ∪ V ) die Inklusionen.Fur k ∈ Z ist ∆k als die Komposition

hk(X,U ∪ V )∂

(X,U∪V,U)k

//

∆k

))

hk−1(U ∪ V,U) hk(V,U ∩ V )∼=

Ausschneidungoo // hk−1(X,U ∩ V )

definiert (wobei die unmarkierten Pfeile von den entsprechenden Inklusionen in-duziert werden).

Beweisskizze. Der Beweis beruht auf der algebraischen Mayer-Vietoris-Sequenz (Pro-position B.8).

Man beachte, dass in beiden Fallen Ausschneidung anwendbar ist (wegen der topo-logischen Voraussetzungen an U und V ).

Der erste Teil folgt, indem wir Proposition B.8 auf die kommutative Leiter

. . . // hk(U ∩ V,A) //

hk(V,A) //

hk(V,U ∩ V )

∼=

∂(V,U∩V,A)k // hk−1(U ∩ V,A) //

. . .

. . . // hk(U,A) // hk(X,A) // hk(X,U)∂

(X,U,A)k

// hk−1(U,A) // . . .

anwenden, deren Zeilen die lange exakte Tripelsequenzen zu (V,U∩V,A) bzw. (X,U,A)sind.

Analog folgt der zweite Teil, indem wir Proposition B.8 auf die kommutative Leiter,die entsprechend von den langen exakten Tripelsequenzen zu (X,V, U∩V ) und (X,U∪V,U) gebildet werden, anwenden.

38

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b

b

a a

Torus T

b

b

a a

U '∨2

S1

b

b

a a

V ' •

x0

b

b

a a

U ∩ V ' S1

Abbildung (2.28): Zerlegung des Torus

Beispiel 2.29 (Homologie des Torus). Sei((hk)k∈Z, (∂k)k∈Z

)eine gewohnliche Ho-

mologietheorie auf Top2 mit Werten in Ab und Koeffizienten (isomorph zu) Z. Wirbestimmen nun die Homologie des Torus T := S1 × S1: Die Mayer-Vietoris-Sequenzder Zerlegung in Abbildung (2.28) liefert die exakte Sequenz (wobei A := x0)

. . .∆k+1

// hk(U ∩ V,A) // hk(U,A)⊕ hk(V,A) // hk(T,A)∆k // hk−1(U ∩ V,A) // . . .

hk(S1, e21) 0

//___

∼=

OO

hk(∨2

S1, e21)⊕ 0

∼=

OO

hk−1(S1, e21) 0

//___

∼=

OO

. . .

Warum ist der gestrichelte Homomorphismus trivial? Nach der Berechnung der Homo-logie von Spharen, genugt es, h1 zu betrachten. Die Inklusion U ∩ V → U entsprichtdabei der folgenden Abbildung S1 −→

∨2S1:

– den ersten Kreis durchlaufen,– danach den zweiten Kreis ruckwarts durchlaufen,– danach den ersten Kreis ruckwarts durchlaufen,– danach den zweiten Kreis vorwarts durchlaufen.

Mit Korollar 2.20 und Lemma 2.21 folgt, dass dies in h1 den trivialen Homomorphismusinduziert.

Daraus erhalten wir fur alle k ∈ Z:

hk(T, x0

) ∼=h1

(S1, e2

1) ∼= Z falls k = 2

h1

(∨2S1, e2

1) ∼= Z⊕ Z falls k = 1

0 falls k ∈ Z \ 1, 2

bzw. (Proposition 2.6)

hk(T ) ∼=

Z falls k = 0

Z⊕ Z falls k = 1

Z falls k = 2

0 falls k ∈ Z \ 0, 1, 2.

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X

Cone(X)

f

Y

Abbildung (2.30): Abbildungskegel, schematisch

Die Homologie in Grad 1 stammt dabei von S1 × e21 ∪ e2

1 × S1 ∼=∨2

S1.Analog kann man die Homologie aller kompakten Flachen berechnen.

Wir betrachten nun die Homologie von Abbildungskegeln (Abbildung (2.30)):

Definition 2.31 (Abbildungskegel). Sei X ein topologischer Raum.– Der Kegel uber X ist definiert als

Cone(X) := X × [0, 1]/X × 0,

falls X 6= ∅. Ist X = ∅, so definieren wir Cone(X) := • (sozusagen nur dieKegelspitze).

– Ist f : X −→ Y eine stetige Abbildung, so definieren wir den Abbildungskegelvon f durch das Pushout

Xf

//

Y

Cone(X) // Cone(f)

in Top, wobei die linke Abbildung die Inklusion X → X × 1 → Cone(X) ist.

Beispiel 2.32 (Abbildungskegel).– Ist X ein topologischer Raum, so ist Cone(idX) ∼= X.– Ist f : X −→ Y eine Homotopieaquivalenz, so ist Cone(f) kontraktibel. Die

Umkehrung gilt im allgemeinen nicht.– Es ist

Cone(f2) ∼= RP 2,

wobei f2 : S1 −→ S1 wie in Korollar 2.20 definiert ist.

Aus der Mayer-Vietoris-Sequenz erhalten wir die folgenden langen exakten Sequen-zen fur Abbildungskegel:

40

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Satz 2.33 (lange exakte Homologiesequenz von Abbildungskegeln). Sei f : X −→ Yeine stetige Abbildung topologischer Raume und sei

((hk)k∈Z, (∂k)k∈Z

)eine Homolo-

gietheorie auf Top2 . Dann gibt es (naturliche) lange exakte Sequenzen

. . . // hk(X)hk(f)

// hk(Y )

hk(Y →Cone(f))

// hk(Cone(f)

)// hk−1(X)

hk−1(f)// . . .

bzw.

. . . // hk(X)hk(f)

// hk(Y )

hk(Y →Cone(f))

// hk(Cone(f)

)// hk−1(X)

hk−1(f)// . . .

(Fur die erste Sequenz wird X 6= ∅ benotigt.)

Beweisskizze. Ohne Einschrankung sei X 6= ∅ und sei x0 ∈ X. Wir betrachten die Zer-legung des Abbildungskegels von f in Abbildung (2.34). Dies liefert die entsprechendeMayer-Vietoris-Sequenz

. . . // hk(U ∩ V,A) // hk(U,A)⊕ hk(V,A) // hk(Cone(f), A

)// hk−1(U ∩ V,A) // . . .

hk(X, x0)hk(f)

//___

∼=

OO

hk(Y, f(x0))⊕ 0hk(Inkl)

//___

∼=

OO

hk(Cone(f), f(x0))

∼=

OO

hk−1(X, x0)

∼=

OO

//___ . . .

hk(X)hk(f)

//_______

∼=

OO

hk(Y )hk(Inkl)

//________

∼=

OO

hk(Cone(f))

∼=

OO

hk−1(X)

∼=

OO

//____ . . .

Dabei ist A := [x0, 1/2] ⊂ U ∩ V und die vertikalen Homomorphismen sind von denInklusionen induziert.

Dies zeigt die Existenz der ersten (naturlichen) langen exakten Sequenz. Addierenwir (via ⊕) zur mittleren exakten Sequenz die lange exakte Sequenz

. . . // hk(x0

)hk(f |x0

∼=// hk(f(x0)

)// 0 // hk−1

(x0

)hk(f |x0)

∼=// . . .

so erhalten wir mithilfe von Proposition 2.6 die zweite (naturliche) lange exakte Se-quenz.

Bemerkung 2.35. Diese lange exakte Homologiesequenz fur Abbildungskegel ist ineinem gewissen Sinne zur langen exakten Fasersequenz fur Homotopiegruppen dual.

Aus der langen exakten Homologiesequenz erhalten wir insbesondere die folgendeCharakterisierung von Homologieisomorphismen:

Korollar 2.36 (Homologieisomorphismen und Abbildungskegel). Sei((hk)k∈Z, (∂k)k∈Z

)eine Homologietheorie auf Top2 und sei f : X −→ Y eine stetige Abbildung topologi-scher Raume. Dann sind aquivalent:

41

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X

Cone(X)

fY

U

X

Cone(X)

fY

V

X

Cone(X)

fY

U ∩ V

Abbildung (2.34): Zerlegung des Abbildungskegels im Beweis der langen exakten Ho-mologiesequenz

1. Fur alle k ∈ Z ist hk(f) : hk(X) −→ hk(Y ) ein Isomorphismus.

2. Fur alle k ∈ Z ist hk(Cone(f)) ∼= 0.

3. Fur alle k ∈ Z ist hk(f) : hk(X) −→ hk(Y ) ein Isomorphismus.

Man kann die lange exakte Homologiesequenz von Abbildungskegeln auch verwen-den, um Realisierungsresultate fur Homologietheorien zu beweisen (dies fuhrt zumBeispiel zu sogenannten Moore-Raumen).

Außerdem konnen wir Abbildungskegel verwenden, um relative Homologie durchabsolute (reduzierte) Homologie darzustellen:

Proposition 2.37 (relative Homologie via Abbildungskegel). Sei((hk)k∈Z, (∂k)k∈Z

)eine Homologietheorie auf Top2, sei (X,A) ein Raumpaar und sei i : A → X dieInklusion. Dann induzieren die Inklusionen

(X,A) −→(Cone(i),Cone(A)

)←−

(Cone(i),Kegelspitze

)fur alle k ∈ Z naturliche Isomorphismen

hk(X,A) ∼= hk(Cone(i)

).

Beweisskizze. Dies folgt aus Ausschneidung, Proposition 2.5 und Bemerkung 2.7.

Wir erhalten somit die Beziehungen fur Z-Folgen von Funktoren auf Top2h in Ab-

bildung (2.38). Umgekehrt erhalten wir fur Z-Folgen von Funktoren auf Toph die Be-ziehungen in Abbildung (2.39). Dies zeigt, dass man die Eilenberg-Steenrod-Axiomealternativ auch aquivalent fur Homologietheorien auf Toph statt Top2

h formulieren kann.

2.5. Ausblick: Existenz und Eindeutigkeit von Homologietheorien

– Existenz.– Beispiele gewohnlicher Homologietheorien:

– singulare Homologie auf Top2 (Kapitel 3)– zellulare Homologie auf der Kategorie der relativen CW-Komplexe (Ka-

pitel 4)

42

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Ausschneidung lange exakte Paarsequenz

=⇒

lange exakte Tripelsequenz︸ ︷︷ ︸

=⇒

(reduzierte) Mayer-Vietoris-Sequenz

Abbildung (2.38): Eigenschaften von Folgen von Funktoren auf Top2h

(reduzierte) Mayer-Vietoris-Sequenz=⇒ =⇒

lange exakte Homologiesequenz

fur Abbildungskegel

=⇒

lange exakte Paarsequenz

fur die Erweiterung auf Top2h

Ausschneidung

fur die Erweiterung auf Top2h

Abbildung (2.39): Eigenschaften von Folgen von Funktoren auf Toph

43

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– simpliziale Homologie auf der Kategorie der simplizialen Komplexe bzw.der triangulierten topologischen Raume (Seminar

”Topologie vs. Kom-

binatorik“ im WS 2013/14)– Maßhomologie auf Top2

– . . .– Beispiele fur Homologietheorien, die nicht gewohnlich sind:

– Bordismus– K-Homologie– . . .

– Eindeutigkeit.– Vergleichssatz fur Homologietheorien auf CW-Komplexen (Satz 4.41)– Vergleichssatz fur Homologietheorien auf Mannigfaltigkeiten (Algebraische

Topologie III im SS 2014)– Auch die Atiyah-Hirzebruch-Spektralseqeunz liefert Eindeutigkeitsaussagen

fur Homologietheorien.

44

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3. Singulare Homologie

Wir zeigen nun wie man zu vorgegebenen Koeffizienten eine gewohnliche Homologie-theorie auf Top2 konstruieren kann.

Wir geben zunachst eine anschauliche Skizze der Konstruktion von singularer Ho-mologie (Kapitel 3.1. Aufbauend auf dem Vokabular der homologischen Algebra (An-hang B.2) geben wir in Kapitel 3.2 die Konstruktion singularer Homologie.

Im Anschluss daran weisen wir nach, dass singulare Homologie die Eilenberg-Steen-rod-Axiome erfullt (Kapitel 3.3–3.4) und geben Anwendungen von singularer Homolo-gie (Kapitel 3.5–3.6), wie zum Beispiel Trennungssatze (Jordanscher Kurvensatz etc.).

3.1. Anschauliche Skizze der Konstruktion

Singulare Homologie versucht topologische Raume durch einfache, an Simplizes ange-lehnte Bausteine, zu verstehen:

Definition 3.1 (singulares Simplex). Sei X ein topologischer Raum und k ∈ N. Einsingulares k-Simplex ist eine stetige Abbildung ∆k −→ X, wobei ∆k das k-dimensio-nale Standardsimplex bezeichnet. Wir schreiben

Sk(X) := map(∆k, X)

fur die Menge aller singularen k-Simplizes in X.

Die Grundidee ist nun,”Locher“ in topologischen Raumen durch das

”Umschließen“

mit singularen Simplizes zu entdecken.Etwas genauer sieht das wie folgt aus (die prazise Konstruktion wird in Kapitel 3.2

gegeben):– Da einzelne singulare Simplizes fur das

”Umschließen“ von

”Lochern“ im allge-

meinen nicht ausreichen werden, betrachtet man stattdessen sogenannte Kettenvon singularen Simplizes (Abbildung (3.2)).

– Kandidaten fur Ketten, die ein”Loch“ entdecken, sind solche Ketten, die

”keinen

Rand“ haben, sogenannte Zykel (Abbildung (3.3)).– Zykel entdecken nur dann ein

”echtes Loch“, wenn sie nicht selbst Rand einer

hoherdimensionalen Kette sind (Abbildung (3.4)).Man definiert daher fur einen topologischen Raum X fur alle k ∈ N:

singulare Homologie von X im Grad k :=singulare k-Zykel

Rander von singularen k + 1-Ketten.

3.2. Konstruktion singularer Homologie

Wir geben nun die Konstruktion singularer Homologie. Dafur verwenden wir die Spra-che der homologischen Algebra (Anhang B.2).

Setup 3.5. Sei im folgenden R ein Ring mit Eins und sei Z ein Links-R-Modul.

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Loch

Abbildung (3.2): Singulare Ketten, schematisch

Loch Loch

Abbildung (3.3): Singulare Zykel, schematisch. Die linke Kette kann kein”Loch“

”um-

schließen“, die rechte schon.

Loch

Abbildung (3.4): Singulare Rander, schematisch. Der linke Zykel ist Rand einer sin-gularen Kette, kann also kein

”Loch“ entdecken; der rechte Zykel ist

nicht Rand einer singularen Kette (das”Loch“ ist im Weg).

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Singulare Ketten und ihre Rander werden wie folgt algebraisch modelliert:

Proposition und Definition 3.6 (singularer Kettenkomplex).1. Sei X ein topologischer Raum. Zu k ∈ Z sei

Ck(X) :=

⊕map(∆k,X) Z = F

(map(∆k, X)

)falls k ≥ 0

0 falls k < 0,

wobei F : Set −→ Ab der freie Erzeugungsfunktor ist (Beispiel 1.32). Außerdemsei

∂k :=

∑kj=0(−1)j · ∂k,j falls k > 0

0 falls k ≤ 0: Ck(X) −→ Ck−1(X),

wobei fur k ∈ N>0 und j ∈ 0, . . . , k

ik,j : ∆k−1 −→ ∆k

(t0, . . . , tk−1) 7−→ (t0, . . . , tj−1, 0, tj , . . . , tk−1)

die Inklusion der j-ten Seite von ∆k bezeichnet und

∂k,j := F(map(ik,j , X)

): Ck(X) −→ Ck−1

σ 7−→ σ ik,j

(Abbildung (3.7)). Dann ist

C(X) :=(C∗(X), ∂∗

)ein Kettenkomplex abelscher Gruppen, der singulare Kettenkomplex von X.

2. Sei f : X −→ Y eine stetige Abbildung topologischer Raume. Fur k ∈ N sei

Ck(f) := F(map(∆k, f)

): Ck(X) −→ Ck(Y )

σ 7−→ f σ

und fur k ∈ Z<0 sei Ck(f) := 0. Dann ist C(f) :=(Ck(f)

)k∈Z eine Kettenabbil-

dung C(X) −→ C(Y ).3. So erhalt man einen Funktor Top −→ ZCh.

Beweisskizze. Fur alle k ∈ N>0, alle j ∈ 0, . . . , k + 1 und alle r ∈ 0, . . . , j − 1 ist

ik+1,j ik,r = ik+1,r ik,j−1.

Eine einfache Rechnung zeigt dann fur alle σ ∈ map(∆k+1, X), dass

∂k ∂k+1(σ) =

k+1∑j=0

k+1∑j=r+1

(−1)j+r · σ ik+1,r ik,j−1

+

k+1∑j=0

k∑r=j

(−1)j+r · σ ik+1,j ik,r;

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σ−∂1,1σ

+

∂1,0σ 0 1

2

σ

+

∂2,2σ

−∂2,1σ + ∂2,0σ

Abbildung (3.7): Der singulare Randoperator in niedrigen Graden

da sich die beiden Summen nur um das Vorzeichen unterscheiden, folgt ∂k∂k+1(σ) = 0.Also ist ∂k ∂k+1 = 0.

Der zweite und der dritte Teil folgen durch einfaches Nachrechnen.

Bemerkung 3.8 (singularer Kettenkomplex via simpliziale Mengen). Die obige Kon-struktion stimmt mit der folgenden Konstruktion uberein: Wir betrachten den Funktor

∆op × Top∆op

Top×idTop// Topop×Top

map( · , · )// Set

F // Ab,

wobei ∆Top : ∆ −→ Top abstrakte Simplizes und monotone Abbildungen in Stan-dardsimplizes und die entsprechenden affin linearen Abbildungen ubersetzt. Die obigeKomposition induziert einen Funktor Top −→ ∆(Ab) und damit einen Funktor

Top // ∆(Ab)C // ZCh

(Beispiel B.13 und B.17). Dieser Funktor ist genau der singulare Kettenkomplexfunktoraus Proposition 3.6.

Wir konnten nun singulare Homologie als algebraische Homologie dieses Ketten-komplexes definieren. Wir geben jedoch gleich die entsprechende Verallgemeinerungfur Raumpaare und allgemeine (konstante) Koeffizienten an:

Definition 3.9 (singularer Kettenkomplex mit (konstanten) Koeffizienten).– Ist (X,A) ein Raumpaar, so definieren wir

C(X,A;Z) := Z ⊗Z C(X)/

im(Z ⊗Z C(A → X)) ∈ Ob(RCh)

(wobei der Randoperator vom Randoperator auf C(X) induziert wird).– Ist f : (X,A) −→ (Y,B) eine stetige Abbildung von Raumpaaren, so definieren

wir C(f ;Z) = (Ck(f ;Z))k∈Z durch

Ck(f ;Z) : Ck(X,A;Z) −→ Ck(Y,B;Z)

[c] 7−→[C(f)(c)

]fur alle k ∈ Z (dies ist wohldefiniert).

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Dies liefert einen Funktor C( · , · ;Z) : Top2 −→ RCh.

Beispiel 3.10 (singulare Ketten mit Koeffizienten).– Wir betrachten S1: Sei

σ : ∆1 −→ S1 ⊂ C(t, 1− t) 7−→ e2·π·i·t.

Dann ist 1⊗ σ ∈ C1(S1, ∅;Z) ein Zykel.– Wir betrachten (D1, S0): Sei

σ : ∆1 −→ D1

(t, 1− t) 7−→ 2 · t− 1.

Dann ist 1 ⊗ σ ∈ C1(D1, ∅;Z) kein Zykel, aber 1 ⊗ σ reprasentiert einen Zykelin C1(D1, S0;Z).

Definition 3.11 (singulare Homologie mit (konstanten) Koeffizienten). Der Funktor

H∗( · , · ;Z) := H∗(C∗( · , · ;Z)

): Top2 −→ RGrad

heißt singulare Homologie mit Koeffizienten in Z.

Notation 3.12. Wir schreiben fur topologische Raume X auch kurz

C(X;Z) := C(X, ∅;Z)

H∗(X;Z) := H∗(X, ∅;Z).

Man beachte, dass die Konstruktion von singularer Homologie nicht nur in Raum-paaren funktoriell ist, sondern auch in den Koeffizienten. Man erhalt einen Funk-tor H∗( · , · ; · ) : Top2×RMod −→ RGrad.

Beispiel 3.13 (singulare Homologie der leeren Menge). Nach Definition ist Ck(∅;Z) ∼=0 fur alle k ∈ Z, und somit

Hk(∅;Z) ∼= 0

fur alle k ∈ Z.

Bemerkung 3.14 (singulare Homologie in negativen Graden). Nach Konstruktiongilt fur alle Raumpaare (X,A) und alle k ∈ Z<0, dass Ck(X,A;Z) ∼= 0, und somit

Hk(X,A;Z) ∼= 0.

Beispiel 3.15 (singulare Homologie des Einpunktraumes). Der singulare Kettenkom-plex C(•;Z) des Einpunktraumes mit Koeffizienten in Z ist nach Konstruktion iso-morph zu dem Kettenkomplex

Grad 2 1 0 −1

. . .idZ

// Z0// Z

idZ

// Z0// Z

0// 0

0// 0

0// . . .

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Also erhalten wir fur alle k ∈ Z, dass

Hk(•;Z) ∼=

Z falls k = 0

0 falls k ∈ Z \ 0.

Beispiel 3.16. Sei

σ : ∆1 −→ S1

(t, 1− t) 7−→ e2·π·i·t

(Beispiel 3.10). Dann ist 1⊗ σ ∈ C1(S1;Z) ein Zykel und die singulare Kette 1⊗ τ ∈C2(S1;Z) mit

τ : ∆2 −→ S1

(t0, t1, t2) 7−→ e2·π·i·(t0−t2)

zeigt, dass2 · [1⊗ σ] =

[f2 · (1⊗ σ)

]in H1(S1;Z) gilt; dabei ist f2 : S1 −→ S1 wie in Korollar 2.20 definiert. Analog folgtauch d · [1⊗ σ] = [fd · (1⊗ σ)] fur alle d ∈ Z.

Singulare Homologie erfullt die folgende starke Form von Additivitat; man beachtedabei, dass Wegzusammenhangskomponenten im allgemeinen weder offen noch abge-schlossen sind.

Proposition 3.17 (starke Additivitat von singularer Homologie). Sei X ein topologi-scher Raum und sei (Xi)i∈I die Familie der Wegzusammenhangskomponenten von X.Dann induzieren die Inklusionen (Xi → X)i∈I fur alle k ∈ Z Isomorphismen⊕

i∈IHk(Xi;Z) −→ Hk(X;Z)

in RMod.

Beweisskizze. Ist k ∈ N, so ist ∆k wegzusammenhangend; also induzieren die Inklu-sionen (Xi → X)i∈I eine Bijektion⊔

i∈Imap(∆k, Xi) −→ map(∆k, X).

Daher induzieren die Inklusionen (Xi → X)i∈I einen Isomorphismus⊕i∈I

C(Xi;Z) −→ C(X;Z)

in RCh (die direkte Summe von Kettenkomplexen ist dabei durch die gradweise direk-te Summe der Kettenmoduln und der Randoperatoren gegeben). Da Homologie vonKettenkomplexen mit direkten Summen vertraglich ist, folgt die Behauptung.

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Satz 3.18 (singulare Homologie im Grad 0).1. Ist X ein wegzusammenhangender nicht-leerer topologischer Raum, so induziert

die konstante Abbildung c : X −→ • einen Isomorphismus

H0(c;Z) : H0(X;Z) −→ H0(•;Z)

in RMod.2. Also ist H0( · ;Z) : Top −→ RMod naturlich isomorph zu

Z ⊗Z F π+0 : Top −→ RMod,

wobei F : Set −→ Ab der freie Erzeugungsfunktor (Beispiel 1.32) und

π+0 := [•, · ] : Top −→ Set

der Wegzusammenhangskomponentenfunktor ist.

Beweisskizze. Der zweite Teil folgt aus dem ersten Teil und der starken Additivitatvon singularer Homologie (Proposition 3.17).

Es genugt daher, den ersten Teil zu zeigen: Sei x0 ∈ X und sei i : • −→ x0 → Xdie Inklusion. Wegen c i = id• liefert die Funktorialitat von H0( · ;Z), dass H0(c;Z)surjektiv ist und dass H0(c;Z) genau dann injektiv ist, wenn H0(i;Z) surjektiv ist.

Es ist H0(i;Z) surjektiv, denn: Sei c =∑mj=1 aj ⊗ xj ∈ C0(X;Z) ein 0-Zykel (mit

a1, . . . , am ∈ Z und x1, . . . , xm ∈ Z; wir identifizieren hierbei singulare 0-Simplizesin X mit Punkten in X). Da X wegzusammenhangend ist, gibt es zu jedem j ∈1, . . . ,m einen Weg γj : ∆1 −→ X mit

∂1,1(γj) = xj und ∂1,0(γj) = x0

(Abbildung (3.19)). Dann gilt in H1(X;Z):

[c] =

[c+ ∂1

( m∑j=1

aj ⊗ γj)]

=

[ m∑j=1

aj ⊗ x0

]∈ imH0(i;Z).

Also ist H0(i;Z) surjektiv, wie gewunscht.

Singulare Homologie kann also erkennen wieviele Wegzusammenhangskomponentenein topologischer Raum hat. Dies ist zum Beispiel beim Beweis von Separationssatzenwie dem Jordanschen Kurvensatz relevant (Satz 3.47).

Satz 3.20 (lange exakte Paarsequenz in singularer Homologie). Sei (X,A) ein Raum-paar und seien i : A → X bzw. j : (X, ∅) → (X,A) die Inklusionen. Dann ist

. . .∂k+1

// Hk(A;Z)Hk(i;Z)

// Hk(X;Z)Hk(j;Z)

// Hk(X,A;Z)∂k // Hk−1(A;Z) // . . .

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γj

x0

xj

Abbildung (3.19): Verbindung von singularen 0-Simplizes in einem wegzusam-menhangenden Raum durch ein singulares 1-Simplex

eine naturliche lange exakte Sequenz in RMod, wobei fur k ∈ N>0 der Verbindungsho-momorphismus die explizite Beschreibung

∂k : Hk(X,A;Z) −→ Hk−1(A;Z)[c+ Z ⊗Z imCk(i)

]7−→

[∂k(c)

]besitzt. Die Naturlichkeit bezieht sich dabei sowohl auf Naturlichkeit in Raumpaarenals auch in Koeffizienten.

Insbesondere erhalten wir fur alle k ∈ Z naturliche Transformationen

∂k : Hk( · , · ;Z) =⇒ Hk−1( · , · ;Z) U,

wobei U : Top2 −→ Top2 der Unterraumfunktor ist (Definition 2.1).

Beweisskizze. Die (naturliche) Sequenz

0 // C(A;Z)C(i;Z)

// C(X;Z)Projektion

// C(X,A;Z) // 0

in RCh ist (gradweise) exakt; die (gradweise) Exaktheit an den Stellen C(X,A;Z)bzw. C(X) folgt dabei direkt aus der Konstruktion, die (gradweise) Exaktheit ander Stelle C(A;Z) folgt daraus, dass die Injektion C(i) : C(A) −→ C(X) einen Spaltbesitzt und somit nach Anwenden von Z ⊗Z · injektiv bleibt.

Die Behauptung folgt nun aus der algebraischen langen exakten Homologiesequenzund der algebraischen Konstruktion der Verbindungshomomorphismen (Satz B.23).

Unser nachstes Ziel ist nun, zu zeigen, dass((Hk( · , · ;Z)

)k∈Z, (∂k)k∈Z

)eine additive gewohnliche Homologietheorie auf Top2 mit Werten in RMod und Koef-fizienten (isomorph zu) Z ist. Dazu fehlen noch der Beweis der Homotopieinvarianzund von Ausschneidung.

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3.3. Homotopieinvarianz von singularer Homologie

Wir zeigen nun, dass singulare Homologie homotopieinvariant ist:

Satz 3.21 (Homotopieinvarianz von singularer Homologie). Sei R ein Ring mit Einsund sei Z ∈ Ob(RMod). Seien (X,A), (Y,B) Raumpaare und seien f, g : (X,A) −→(Y,B) stetige Abbildungen von Raumpaaren mit f 'Top2 g.

1. Dann giltC(f ;Z) '

RCh C(g;Z) : C(X,A;Z) −→ C(Y,B;Z).

2. Insbesondere folgt

Hk(f ;Z) = Hk(g;Z) : Hk(X,A;Z) −→ Hk(Y,B;Z)

fur alle k ∈ Z.

Wir zeigen dies zunachst mit einem geometrischen Argument fur den Modellfall derInklusion von Boden bzw. Deckel in den Zylinder und leiten dann daraus die allgemeineAussage ab: Die technische Hauptschwierigkeit besteht dabei darin, dass ∆k × [0, 1]fur k > 0 kein Simplex ist; daher ist es notig, solche Prismen systematisch in (k + 1)-Simplizes zu zerlegen:

Lemma 3.22 (Zerlegung von Prismen). Sei X ein topologischer Raum. Dann ist(hX,k)k∈Z mit

hX,k : Ck(X) −→ Ck+1

(X × [0, 1]

)map(∆k, X) 3 σ 7−→

k∑j=0

(−1)j · (σ × id[0,1]) τk,j

fur alle k ∈ N und hX,k := 0 fur k ∈ Z<0 eine Kettenhomotopieaquivalenz in ZChvon C(i0) nach C(i1). Dabei sind i0, i1 : X → X × [0, 1] die Inklusionen des Bodensbzw. Deckels des Zylinders X × [0, 1] und fur alle k ∈ N und j ∈ 0, . . . , k ist (Abbil-dung (3.23))

τk,j : ∆k+1 −→ ∆k × [0, 1]

(t0, . . . , tk+1) 7−→((t0, . . . , tj−1, tj + tj+1, tj+2, . . . , tk+1), tj+1 + · · ·+ tk+1

).

Diese Kettenhomotopie ist im folgenden Sinne naturlich: Fur alle stetigen Abbildun-gen f : X −→ Y und alle k ∈ Z ist

Ck+1(f × id[0,1]) hX,k = hY,k Ck(f).

Beweisskizze. Die Naturlichkeit folgt direkt aus der Konstruktion.

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∆1

[0, 1]τ1,0

0

1 2

τ1,1

0 1

2

Abbildung (3.23): Triangulierung des Prismas ∆k × [0, 1]

Fur alle k ∈ N und alle σ ∈ map(∆k, X) gilt nach Definition

∂k+1 hX,k(σ) =

k+1∑r=0

k∑j=0

(−1)j+r · (σ × id[0,1]) τk,j ik,j

= (σ × id[0,1]) τk,0 ik+1,0

+∑

”innere“ Seiten

+∑

”außere“ Seiten

+ (−1)k+k+1 · (σ × id[0,1]) τk,k ik+1,k+1.

Da jede”innere“ Seiten genau zweimal (und dann mit verschiedenen Vorzeichen) auf-

tritt, ist der zweite Summand Null; der dritte Summand stimmt mit −hX,k−1 ∂k(σ)uberein. Insgesamt folgt damit

∂k+1 hX,k = Ck(i1)− hX,k−1 ∂k − Ck(i0),

wie gewunscht.

Beweisskizze von Satz 3.21. Wegen der Homotopieinvarianz von Homologie von Ket-tenkomplexen (Proposition B.37) genugt es, den ersten Teil zu zeigen.

Sei etwa h : (X × [0, 1], A× [0, 1]) −→ (Y,B) eine Homotopie in Top2 von f nach g.Dann ist (

Ck+1(h) hX,k : Ck(X) −→ Ck+1(Y ))k∈Z

nach Lemma 3.22 eine Kettenhomotopie in ZCh von

C(h) C(i0) = C(h i0) = C(f)

nachC(h) C(i1) = C(h i1) = C(g).

Wegen der Naturlichkeit der Konstruktion in Lemma 3.22 gilt

im(Ck+1(h) hX,k Ck(A → X)

)⊂ im

(Ck+1(B → Y )

)

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fur alle k ∈ Z. Deshalb induziert die obige Kettenhomotopie durch Tensorprodukt-und Restklassenbildung eine Kettenhomotopie

C(f ;Z) 'RCh C(g;Z) : C(X,A;Z) −→ C(Y,B;Z)

in RCh.

Caveat 3.24. Sei X ein topologischer Raum und sei k ∈ N. Sind c =∑mj=1 aj · σj

und c′ =∑mj=1 aj · σ′j ∈ Ck(X) singulare Zykel und gilt

∀j∈1,...,m σj 'Top σ′j ,

so folgt im allgemeinen nicht [c] = [c′] ∈ Hk(X). Die entsprechenden Homotopien dersingularen Simplizes sind im allgemeinen auf ∂∆k nicht kompatibel und die Prismen-zerlegung liefert somit keine Kette b ∈ Ck+1(X) mit ∂k+1(b) = c− c′.

Diese Tatsache ist essentiell fur die Konstruktion singularer Homologie: Da ∆k kon-traktibel ist, sind alle stetigen Abbildungen ∆k −→ X homotop zueinander (falls Xwegzusammenhangend ist) . . .

Falls es in der obigen Situation”auf dem Rand kompatible“ Homotopien zwischen

den singularen Simplizes gibt, kann man jedoch tatsachlich einen entsprechenden sin-gularen Rand konstruieren. Dies ist z.B. nutzlich, um glatte singulare Ketten in glattenMannigfaltigkeiten mit gewohnlichen singularen Ketten zu vergleichen, oder um dieInvarianz von singularer Homologie unter sogenannten schwachen Aquivalenzen zuzeigen.

3.4. Ausschneidung in singularer Homologie

Wir zeigen nun, dass singulare Homologie Ausschneidung erfullt, d.h., dass die Inklu-sion (X \B,A \B) → (X,A) fur alle Raumpaare (X,A) und alle B ⊂ X mit B ⊂ Asowie alle Ringe R mit Eins, alle Z ∈ Ob(RMod) und alle k ∈ Z Isomorphismen

Hk(X \B,A \B) −→ Hk(X,A)

induziert.Die technische Hauptschwierigkeit beim Beweis ist, dass singulare Simplizes in X

naturlich im allgemeinen nicht in X \B oder A liegen (Abbildung (3.25)).Die Idee ist daher, singulare Simplizes systematisch so in

”kleine“ singulare Simplizes

zu unterteilen, dass diese”kleinen“ Simplizes jeweils in X \ B oder A liegen. Wir

verwenden dazu die baryzentrische Unterteilung (Abbildung (3.27)), wobei wir mitdem Fall von singularen Simplizes in konvexen Raumen beginnen:

Definition 3.26 (baryzentrische Unterteilung). Sei ∆ ⊂⊕

N R eine konvexe Teilmen-ge (z.B. ein Standardsimplex).

– Der Schwerpunkt eines singularen Simplexes σ : ∆k −→ ∆ ist

β(σ) :=1

k + 1·k∑j=0

σ(ek+1j+1 ) ∈ ∆.

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A

B

∆2 −→ X

A

B

∆2 −→ X

Abbildung (3.25): Ein singulares Simplex in X, das nicht in X \ B oder A liegt undeine Unterteilung davon in

”kleine“ Simplizes

– Sei v ∈ ∆. Dann definieren wir den Kegeloperator zu v durch

v ∗ · : Ck(∆) −→ Ck+1(∆)

map(∆k,∆) 3 σ 7−→

(∆k+1 −→ ∆

(t0, . . . , tk+1) 7−→ t0 · v + (1− t0) · σ(

t11−t0 , . . . ,

tk+1

1−t0

))

fur alle k ∈ N (und durch v ∗ · := 0 fur k ∈ Z<0).– Die baryzentrische Unterteilung B : C(∆) −→ C(∆) ist induktiv wie folgt defi-

niert:– Fur alle k ∈ Z<0 sei Bk := 0.– Es sei B0 := idC0(∆).– Fur alle k ∈ N>0 sei

Bk : Ck(∆) −→ Ck(∆)

map(∆k,∆) 3 σ 7−→ β(σ) ∗(Bk−1(∂kσ)

).

– Außerdem definieren wir (Hk : Ck(∆) −→ Ck+1(∆))k∈Z induktiv durch:– Fur alle k ∈ Z≤0 sei Hk := 0.– Fur alle k ∈ N>0 sei

Hk : Ck(∆) −→ Ck+1(∆)

map(∆k,∆) 3 σ 7−→ β(σ) ∗(Bk(σ)− σ −Hk−1(∂kσ)

)Bemerkung 3.28. Die Konstruktionen aus Definition 3.26 sind im folgenden Sinnemit Inklusionen von konvexen Teilmengen von

⊕N R kompatibel: Sind ∆,∆′ ⊂

⊕N R

konvex und ist ∆ ⊂ ∆′, so gilt

Ck(∆ → ∆′) B∆k = B∆′

k Ck(∆ → ∆′)

undCk+1(∆ → ∆′) H∆

k = H∆′

k Ck(∆ → ∆′)

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Dimension 0

Dimension 1 σ

∂1σ

B0(∂1σ)

β(σ)

Dimension 2

σ

∂2σ

B1(∂2σ)

β(σ)

Abbildung (3.27): baryzentrische Unterteilung

fur alle k ∈ Z. Daher verwenden wir fur alle konvexen Teilmengen von⊕

N R fur”B“

und”H“ dieselbe Notation und fur alle k ∈ N ist

Bk(id∆k) ∈ Ck(∆k) und Hk(id∆k) ∈ Ck+1(∆k).

Fur allgemeine topologische Raume definieren wir:

Definition 3.29 (baryzentrische Unterteilung in topologischen Raumen). Sei X eintopologischer Raum.

– Wir definieren BX : C(X) −→ C(X) wie folgt: Fur alle k ∈ Z<0 sei BX,k := 0und fur alle k ∈ N sei

BX,k : Ck(X) −→ Ck(X)

map(∆k, X) 3 σ 7−→ Ck(σ) Bk(id∆k).

– Zu k ∈ Z<0 sei HX,k := 0: Ck(X) −→ Ck+1(X). Fur alle k ∈ N sei

HX,k : Ck(X) −→ Ck+1(X)

map(∆k, X) 3 σ 7−→ Ck+1(σ) Hk(id∆k).

Proposition 3.30 (algebraische Eigenschaften der baryzentrischen Unterteilung intopologischen Raumen). Sei X ein topologischer Raum.

1. Dann ist BX : C(X) −→ C(X) eine Kettenabbildung in ZCh.2. Die Familie (HX,k)k∈Z ist eine Kettenhomotopie BX 'ZCh idC(X).3. Ist f : X −→ Y stetig, so gilt

C(f) BX = BY C(f)

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undCk+1(f) HX,k = HX,k Ck(f)

fur alle k ∈ Z.

Fur den Beweis verwenden wir die entsprechenden Eigenschaften im affinen Fall:

Lemma 3.31 (algebraische Eigenschaften der baryzentrischen Unterteilung; affinerFall). Sei ∆ ⊂

⊕N R affin.

0. Fur alle v ∈ ∆, alle k ∈ N und alle σ ∈ map(∆k,∆) gilt

∂k+1(v ∗ σ) =

σ − constv falls k = 0

σ − v ∗ ∂k(σ) falls k > 0.

Ist f : ∆ −→⊕

N R affin linear, so gilt außerdem

f (v ∗ σ) = f(v) ∗ σ.

1. Es ist B : C(∆) −→ C(∆) eine Kettenabbildung.2. Die Familie (Hk)k∈Z ist eine Kettenhomotopie B 'ZCh idC(∆).

3. Fur alle k ∈ N und alle affin linearen Abbildungen σ : ∆k −→⊕

N R gilt

Bk(σ) = Ck(σ) Bk(id∆k)

undHk(σ) = Ck+1(σ) Hk(id∆k).

Beweisskizze. Teil 0 folgt mti einer einfachen Rechnung aus der Definition des Kegel-operators (Definition 3.26).

Teil 1 und Teil 2 lassen sich per vollstandiger Induktion anhand der Definitionenvon B und H nachrechnen.

Teil 3 folgt mit einer kleinen Rechnung induktiv aus Teil 0.

Beweisskizze von Proposition 3.30. Wir zeigen nur Teil 1 (Teil 2 geht analog und Teil 3folgt direkt aus der Konstruktion).

Fur alle k ∈ N und alle σ ∈ map(∆k, X) gilt nach Konstruktion (und da C(σ) undB Kettenabbildungen sind)

∂k BX,k(σ) = ∂k Ck(σ) Bk(id∆k)

= Ck−1(σ) Bk−1(∂k id∆k)

=

k∑j=0

(−1)j · Ck−1(σ) Bk−1(ik,j).

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Da ik,j : ∆k−1 −→ ∆k fur alle j ∈ 0, . . . , k affin linear ist, erhalten wir aus demdritten Teil von Lemma 3.31, dass

∂k BX,k(σ) =

k∑j=0

(−1)j · Ck−1(σ) Ck−1(ik,j) Bk−1(id∆k−1)

=

k∑j=0

(−1)j · Ck−1(σ ik,j) Bk−1(id∆k−1)

= BX,k−1 ∂k(σ),

woraus die Behauptung folgt.

Als nachsten Schritt zeigen wir mithilfe der baryzentrischen Unterteilung, dass”klei-

ne“ Simplizes singulare Homologie berechnen:

Setup 3.32. Fur den Rest des Abschnitts sei R ein Ring und sei Z ∈ Ob(RMod).

Definition 3.33 (kleine Simplizes). Sei X ein topologischer Raum und sei U = (Ui)i∈Ieine verallgemeinerte offene Uberdeckung von X (d.h. fur alle i ∈ I ist Ui ⊂ X und esgilt

⋃i∈I U

i = X).

– Der Kettenkomplex CU (X) der U -kleinen singularen Simplizes in X ist definiertdurch

CUk (X) :=

0 falls k < 0

F (⋃i∈I map(∆k, Ui)) =

⊕⋃i∈I map(∆k,Ui)

Z falls k ≥ 0

zusammen mit der Einschrankung der Randoperatoren von C(X) (dies ist wohl-definiert!).

– Wir schreiben dannHU∗ (X) := H∗

(CU∗ (X)

).

– Ist A ⊂ X, so definieren wir

CU (X,A;Z) := Z ⊗R CU (X)/Z ⊗R im(CU∩A(A) → CU (X)) ∈ RCh

(wobei U ∩A := (Ui ∩A)i∈I) und

HU∗ (X,A;Z) := H∗

(CU (X,A;Z)

)∈ Ob(RGrad),

sowie C∗(X;Z) := CU (X, ∅;Z) bzw. HU∗ (X;Z) := HU

∗ (X, ∅;Z).

Satz 3.34 (kleine Simplizes berechnen singulare Homologie). Sei X ein topologischerRaum, sei U eine verallgemeinerte offene Uberdeckung von X und sei j : CU (X) −→C(X) die Inklusion. Dann ist

H∗(Z ⊗Z j) : HU∗ (X;Z) −→ H∗(X;Z)

ein Isomorphismus in RGrad.

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Bemerkung 3.35. Es gilt sogar, dass Z ⊗Z j eine Kettenhomotopieaquivalenz ist,fur die man eine

”inverse“ Kettenhomotopieaquivalenz explizit angeben kann. Dies ist

jedoch technisch etwas aufwendiger zu zeigen.

Fur den Beweis des Satzes benotigen wir zwei Hilfsmittel:

Proposition 3.36 (Lebesgue-Lemma). Sei (X, d) ein kompakter metrischer Raumund sei U = (Ui)i∈I eine verallgemeinerte offene Uberdeckung von X. Dann existiertein ε ∈ R>0 mit folgender Eigenschaft:

∀x∈X ∃i∈I Bε(x) ⊂ Ui

Beweisskizze. Angenommen, es gibt kein solches ε ∈ R>0. Dann gibt es zu jedem n ∈N>0 ein xn ∈ X mit

∀i∈I B1/n(xn) 6⊂ Ui.

Da X kompakt ist, besitzt die Folge (xn)n∈N>0einen Haufungspunkt x in X. Fur

diesen gibt es jedoch ein i ∈ I mit x ∈ Ui , was man leicht zum Widerspruch fuhrenkann.

Proposition 3.37 (baryzentrische Unterteilung verkleinert affine Simplizes). Sei k ∈N und sei ∆ ⊂

⊕N R konvex.

1. Ist σ : ∆k −→ ∆ affin linear, so gilt fur alle Summanden τ aus der Definitionvon Bk(σ) ∈ Ck(∆) (Definition 3.26), dass

diam(τ(∆k)

)≤ k

k + 1· diam

(σ(∆k)

).

2. Insbesondere folgt: Ist ε ∈ R>0 und ist σ : ∆k −→ ∆ affin linear, so existiertein n ∈ N, so dass fur alle Summanden τ aus der n-fachen baryzentrischenUnterteilung von σ bereits

diam(τ(∆k)

)< ε

gilt.

Beweisskizze. Der erste Teil folgt induktiv mit elementaren Uberlegungen aus der kon-vexen Geometrie. Der zweite Teil ist eine direkte Konsequenz aus dem ersten Teil.

Korollar 3.38. Ist X ein topologischer Raum, ist U eine verallgemeinerte offeneUberdeckung von X, ist k ∈ N und σ ∈ map(∆k, X), so gibt es ein n ∈ N mit

(BX,k)n(σ) ∈ CUk (X).

Beweisskizze. Sei U = (Ui)i∈I . Die Behauptung folgt aus Proposition 3.36, Propositi-on 3.37 und der Naturlichkeit aus Proposition 3.30, da ∆k ein kompakter metrischerRaum und (σ−1(Ui))i∈I eine verallgemeinerte offene Uberdeckung von ∆k ist.

Wir beweisen nun Satz 3.34:

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Beweisskizze von Satz 3.34. Wie in der Konstruktion der langen exakten Paarsequenzfur singulare Homologie (Satz 3.20) folgt, dass

Z ⊗Z j : CU (X;Z) −→ C(X;Z)

gradweise injektiv ist. Wir fassen daher CU (X;Z) als Unterkomplex von C(X;U) auf.Sei k ∈ Z, ohne Einschrankung sei dabei k ≥ 0.– Es ist Hk(Z ⊗Z j) surjektiv, denn: Sei c ∈ Ck(X;Z). Aus Korollar 3.38 erhalten

wir (da c nur aus endlich vielen singularen Simplizes besteht) ein n ∈ N mit

(Z ⊗Z (BX,k)n)(c) ∈ CUk (X;Z).

Wegen Z ⊗Z (BX)n 'RCh idC(X;Z) (Proposition 3.30 und Proposition B.35) gilt

in Hk(X;Z), dass

[c] =[(Z ⊗Z (BX,k)n)(c)

]∈ imHk(Z ⊗Z j).

– Es ist Hk(Z ⊗Z j) injektiv, denn: Dies folgt analog, indem man (k + 1)-Kettenin C(X;Z) hinreichend oft baryzentrisch unterteilt. Man beachte dabei, dassauch Z⊗BX |CU (X;Z) zu idCU (X;Z) kettenhomotop ist (da die baryzentrische Un-terteilung und die zugehorige Kettenhomotopie nach Proposition 3.30 naturlichsind).

Korollar 3.39 (kleine Simplizes berechnen singulare Homologie, relativer Fall). Sei(X,A) ein Raumpaar und sei U eine verallgemeinerte offene Uberdeckung von X. Danninduziert die kanonische Abbildung CU (X,A;Z) −→ C(X,A;Z) einen Isomorphismus

HU∗ (X,A;Z) −→ H∗(X,A;Z)

in RGrad.

Beweisskizze. Wir betrachten das kommutative Diagramm

0 // CU∩A(A;Z) //

CU (X;Z) //

CU (X,A;Z) //

0

0 // C(A;Z) // C(X;Z) // C(X,A;Z) // 0

in RCh (wobei alle Kettenabbildungen die entsprechenden kanonischen Abbildungensind). Die untere Zeile ist gradweise exakt (Beweis von Satz 3.20); analog sieht manauch, dass die obere Zeile gradweise exakt ist. Mit der naturlichen langen exaktenSequenz von Kettenkomplexen (Satz B.23) und dem Funfer-Lemma (Proposition B.6)folgt die Behauptung aus Satz 3.34.

Korollar 3.40 (Ausschneidung in singularer Homologie). Sei (X,A) ein Raumpaarund sei B ⊂ X mit B ⊂ A. Dann induziert die Inklusion (X \ B,A \ B) → (X,A)einen Isomorphismus

H∗(X \B,A \B;Z) −→ H∗(X,A;Z)

in RGrad.

61

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Beweisskizze. Sei U := (X \ B,A); wegen B ⊂ A ist U eine verallgemeinerte offeneUberdeckung von X. Dann ist

CU (X,A;Z) =Z ⊗Z C

U (X)

Z ⊗Z im(CU∩A(A) → CU (X))

=Z ⊗Z

(C(X \B) + C(A)

)Z ⊗Z im(C(A \B) + C(A) → C(X \B) + C(A))

∼=Z ⊗Z C(X \B)

Z ⊗Z im(C(A \B) → C(X \B))

= C(X \B,A \B;Z),

wobei das Inverse dieses Isomorphismus in RCh von der Inklusion induziert wird; dabeihaben wir verwendet, dass C(A) ∩ C(X \ B) = C(A \ B) ist. Mit Korollar 3.39 folgtsomit die Behauptung.

3.5. Singulare Homologie als gewohnliche Homologietheorie

Wir fassen nun die bisherigen Ergebnisse nochmal zusammen:

Satz 3.41 (singulare Homologie als gewohnliche Homologietheorie). Sei R ein Ringund sei Z ∈ Ob(RMod). Dann ist singulare Homologie(

Hk( · , · ;Z) : Top2 −→ RMod)k∈Z

zusammen mit den Verbindungshomomorphismen(∂k : Hk( · , · ;Z) =⇒ Hk−1( · , · ;Z) U

)k∈Z

aus Satz 3.20 (wobei U der Unterraumfunktor aus Definition 2.1 ist) eine additivegewohnliche Homologietheorie auf Top2 mit Werten in RMod mit Koeffizienten (iso-morph zu) Z.

Beweis. Die einzelnen Teile haben wir an den folgenden Stellen bewiesen:– Funktorialitat: (Proposition und) Definition 3.6, 3.9, 3.11– Konstruktion der Verbindungshomomorphismen und ihre Naturlichkeit: Satz 3.20– Homotopieinvarianz: Satz 3.21– lange exakte Paarsequenz: Satz 3.20– Ausschneidung: Korollar 3.40– Dimensionsaxiom und Berechnung der Koeffizienten: Beispiel 3.15– Additivitat: Propositon 3.17

Als Konsequenz erhalten wir somit die Ergebnisse in Abbildung (3.42).Wir konnen nun auch bestatigen, dass unsere ursprungliche Idee zur Konstruktion

singularer Homologie in Kapitel 3.1 korrekt umgesetzt ist:

62

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– Insbesondere existiert eine additive gewohnliche Homologietheorie mit vorgege-benen Koeffizienten.

– Berechnung singularer Homologie von Spharen und Abbildungsgrade fur Selbst-abbildungen von Spharen(Korollar 2.18 und 2.20)

– Insbesondere sind Spharen nicht kontraktibel.– Existenz

”interessanter“ homotopieinvarianter Funktoren

(Satz 1.56 und Korollar 2.25)– Invarianz der Dimension I und II

(Korollar 1.57, Korollar 2.19)– Satz vom Igel

(Satz 1.59)– Fundamentalsatz der Algebra

(Korollar 2.24)– Brouwerscher Fixpunktsatz

(Aufgabe 3 von Blatt 3)– Existenz von Nash-Gleichgewichten

(Bonusaufgabe von Blatt 3)– Alle aus den Eilenberg-Steenrod-Axiomen abgeleiteten Aussagen treffen auch auf

singulare Homologie zu (z.B. Mayer-Vietoris-Sequenz, . . . )(Kapitel 2)

Abbildung (3.42): Konsequenzen aus Satz 3.41

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+

∂2 id∆2

− +

0

2

1

σ

Abbildung (3.44): Der 1-Zykel ∂2 id∆2 erkennt das Loch in ∂∆2; ebenso auch der Zy-kel σ fur S1 ∼= ∂∆2

Beispiel 3.43 (singulare Homologie von Spharen, explizit). Sei R ein Ring mit Eins.– Eine sorgfaltige induktive Analyse zeigt zusammen mit den Berechnungen aus

Korollar 2.18: Fur alle n ∈ N>1 gilt:– Es ist 1⊗ id∆n ∈ Cn(∆n;R) eine singulare Kette, deren zugehorige relative

Homologieklasse von (∆n, ∂∆n) ∼=Top2 (Dn, Sn−1) den Modul

Hn(∆n, ∂∆n;R) ∼= Hn(Dn, Sn−1;R) ∼= R

erzeugt.– Es ist 1 ⊗ ∂n id∆n ∈ Cn−1(∂∆n;R) ein Zykel (Abbildung (3.44)), dessen

Homologieklasse

Hn−1(∂∆n;R) ∼= Hn−1(Sn−1;R) ∼= R

erzeugt.– Insbesondere liefert dies auch explizite, geometrische Erzeuger furHn−1(Sn−1;R)

und Hn(Dn, Sn−1;R).– Sei

σ : ∆1 −→ S1

(t, 1− t) 7−→ e2·π·i·t.

Dann erzeugt [1⊗ σ] die Homologie H1(S1;R) ∼= R, da man leicht eine explizitesingulare 2-Kette konstruieren kann, deren Rand σ −

”∂2 id∆2 “ ist (und diese

Zykel somit dieselbe Homologieklasse reprasentieren).

Beispiel 3.45 (singulare Homologie des Torus, explizit). Geht man durch die Berech-nung gewohnlicher Homologie des Torus S1 × S1 mit Z-Koeffizienten in Beispiel 2.29und kombiniert dies mit dem obigen Beispiel 3.43, so sieht man (wobei die Notationin Abbildung (3.46) eingefuhrt wird):

– Die Klassen [σa] und [σb] in H1(S1×S1;Z) bilden eine Basis von H1(S1×S1;Z) ∼=Z⊕ Z.

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τ0

0

1 2

τ1

0 1

2

b σb

b

a a σa

Abbildung (3.46): Singulare Homologie des Torus, explizit

– Es ist τ1 − τ0 ∈ C2(S1 × S1) ein Zykel und die Klasse [τ1 − τ0] erzeugt H2(S1 ×S1;Z) ∼= Z.

Außerdem konnen wir nun mithilfe von singularer Homologie die folgende Versiondes Jordanschen Kurvensatzes beweisen:

Satz 3.47 (Jordanscher Kurvensatz). Sei n ∈ N>1.1. Ist f : Dn −→ Rn stetig und injektiv, so ist Rn \ f(Dn) wegzusammenhangend.

1’. Ist D ⊂ Rn homoomorph zu Dn, so ist Rn \D wegzusammenhangend.2 Ist f : Sn−1 −→ Rn stetig und injektiv, so besitzt Rn \ f(Sn−1) genau zwei Weg-

zusammenhangskomponenten.2’ Ist S ⊂ Rn homoomorph zu Sn−1, so besitzt Rn \ S genau zwei Wegzusammen-

hangskomponenten.

Der Fall stetiger injektiver Abbildungen S1 −→ R2 ist der klassische JordanscheKurvensatz; der Satz mag zunachst offensichtlich erscheinen, man bedenke aber, dassTeilmengen von R2, die zu S1 homoomorph sind, durchaus

”kompliziert aussehen“

konnen (Abbildung (3.50)).

Bemerkung 3.48. Mit etwas mehr Aufwand kann man folgende Verfeinerung desobigen Jordanschen Kurvensatzes zeigen: Ist n ∈ N>1 und ist S ⊂ Rn homoomorphzu Sn−1, so ist eine der beiden Wegzusammenhangskomponenten von Rn \ S be-schrankt, die andere unbeschrankt, und S ist der Rand der beiden Wegzusammen-hangskomponenten.

Caveat 3.49 (gehornte Alexander-Sphare). Ist n ∈ N>2 und ist D ⊂ Rn homoomorphzu Dn, so ist Rn \ D im allgemeinen nicht homoomorph zu Rn \ Dn; ein Beispielfur eine solche Situation in R3 ist die sogenannte gehornte Alexander-Sphare (Ab-bildung (3.52)). Im Fall n = 2 ist diese Aussage jedoch wahr – nach dem Satz vonJordan-Schonflies.

Um den Jordanschen Kurvensatz zu beweisen nutzen wir aus, dass H0( · ;R) (und

damit auch H0( · ;R)) die Anzahl der Wegzusammenhangskomponenten bestimmt(Satz 3.18). Wir verwenden dazu die folgende Berechnung (die auch mit anderen Ko-effizienten gilt):

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Abbildung (3.50): Teilmenge von R2, die zu S1 homoomorph ist

Abbildung (3.52): die gehornte Alexander-Sphare(http://en.wikipedia.org/wiki/File:Alexander horned sphere.png)

Lemma 3.51. Seien n,m ∈ N.1. Ist f : Dm −→ Sn stetig und injektiv, so gilt

Hk

(Sn \ f(Dm);R

) ∼= 0

fur alle k ∈ Z.2. Ist m < n und ist f : Sm −→ Sn stetig und injektiv, so gilt

Hk

(Sn \ f(Sm);R

) ∼= Hk(Sn−m−1;R) ∼=

R falls k = n−m− 1

0 sonst

fur alle k ∈ Z.

Beweisskizze. Zu 1: Wir zeigen die Behauptung durch Induktion uber m ∈ N undverwenden Im := [0, 1]m ∼=Top D

m statt Dm, weil das notationell etwas gunstiger ist.– Induktionsanfang. Im Fall m = 0 gilt

Sn \ f(D0) ∼=Top Rn 'Top •,

woraus die Behauptung in diesem Fall folgt.

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– Indukionsschritt. Sei m ∈ N>0 und die Behauptung fur m− 1 bereits bewiesen;dann gilt sie auch fur m, denn:Sei f : Im −→ Sn stetig und injektiv und k ∈ Z. Angenommen, es gibt ein α ∈Hk(Sn \ f(Im);R) \ 0; insbesondere ist dann k ≥ 0. Wir betrachten

U := Sn \ f(Im−1 × [0, 1/2]

)V := Sn \ f

(Im−1 × [1/2, 1]

).

Dann ist U ∩ V = Sn \ f(Im) und U ∪ V = Sn \ f(Im−1 × 1/2) und dieVoraussetzungen fur die Mayer-Vietoris-Sequenz (Satz 2.27) sind erfullt. Da finjektiv ist und Im 6∼=Top Sn ist, ist dabei insbesondere U ∩ V nicht leer, undwir erhalten daher eine Mayer-Vietoris-Sequenz fur reduzierte singulare Homo-logie (Bemerkung 2.7). Diese liefert zusammen mit der Induktionsvoraussetzung(angewendet auf U ∪ V ), dass

– das Bild von α in Hk(U ;R) nicht 0 ist

– oder dass das Bild von α in Hk(V ;R) nicht 0 ist.Induktiv erhalten wir so eine Folge [0, 1] = I0 ⊃ I1 ⊃ I2 ⊃ . . . von Intervallen,deren Durchschnitt nur einen Punkt t enthalt und so dass fur alle j ∈ N das Bildvon α in Hk(Sn \ f(Im−1 × Ij ;R) nicht 0 ist. Andererseits ist⋃

j∈NSn \ f(Im−1 × Ij) = Sn \ f

(Im−1 × t

)und

Hk(Sn \ f(Im−1 × t);R) ∼= 0

nach Induktionsvoraussetzung. Dies widerspricht jedoch dem Verhalten von sin-gularer Homologie unter aufsteigenden Vereinigungen (Proposition 3.53). Also

ist Hk(Sn \ f(Im);R) ∼= 0.Zu 2: Auch den zweiten Teil zeigen wir induktiv uber m ∈ 0, . . . , n− 1:– Induktionsanfang. Im Fall m = 0 < n ist

Sn \ f(S0) ∼=Top Sn−1 × R 'Top S

n−1,

woraus die Behauptung in diesem Fall folgt.– Induktionsschritt. Sei nun m ∈ 1, . . . , n − 1 und die Behauptung fur m − 1

bereits bewiesen; dann gilt sie auch fur m, denn:Wir betrachten die Zerlegung

Sm = Dm+ ∪Dm

in die obere bzw. untere Hemisphare; man beachte dabei, dass Dm+∼=Top D

m ∼=Top

Dm− und dass Dm

+ ∩Dm− = Sm−1 ⊂ Sm ist. Sei

U := Sn \ f(Dm+ )

V := Sn \ f(Dm− ).

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Dann ist U∩V = Sn\f(Sm) und U∪V = Sn\f(Sm−1); da f injektiv, da m < nund Sm 6∼=Top S

n ist, ist U ∩ V 6= ∅. Mit der Mayer-Vietoris-Sequenz (Satz 2.27)fur reduzierte singulare Homologie zusammen mit dem ersten Teil (angewendetauf U bzw. V ) erhalten wir, dass

Hk

(Sn \ f(Sm);R

) ∼= Hk(U ∩ V ;R)

∼= Hk+1(U ∪ V ;R)

∼= Hk+1

(Sn \ f(Sm−1);R

)fur alle k ∈ Z gilt. Mit der Induktionsvoraussetzung folgt somit die Behauptung.

Im Beweis haben wir folgendes verwendet (fur reduzierte singulare Homologie):

Proposition 3.53 (singulare Homologie und aufsteigende Vereinigungen). Sei R einRing mit Eins und sei Z ein Links-R-Modul. Sei X ein topologischer Raum und sei(Xn)n∈N eine aufsteigende Folge von Teilraumen von X mit

⋃n∈NX

n = X. Dann gilt:

Die Inklusionen (Xn → X)n∈N induzieren fur alle k ∈ Z Isomorphismen

colimn∈N

Hk(Xn;Z) −→ Hk(X;Z).

Dabei istcolimn∈N

Hk(Xn;Z) :=(⊕n∈N

Hk(Xn;Z)) /∼,

wobei”∼“ die Aquivalenzrelation ist, die von

∀n∈N ∀m∈N≥n∀α∈Hk(Xn;Z) α ∼ Hk(in,m)(α) ∈ Hk(Xm;Z)

erzeugt wird, wobei in,m : Xn −→ Xm die entsprechende Inklusion bezeichnet.

Beweisskizze. Dies ist ein einfaches Kompaktheitsargument.

Beweisskizze (des Jordanschen Kurvensatzes (Satz 3.47)). Offenbar sind 1’ und 2’ di-rekte Konsequenze von 1 bzw. 2. Wir zeigen daher nur die Teile 1 und 2.

Wir beginnen mit dem ersten Teil: Ist f : Dn −→ Rn stetig und injektiv, so istf(Dn) kompakt; betrachten wir die stetige und injektive Abbildung

f : Dn f−→ Rn →”Rn ∪ ∞“ ∼=Top S

n,

so haben also Rn\f(Dn) und Sn\f(Dn) dieselbe Anzahl an Wegzusammenhangskom-ponenten. Mit Lemma 3.51 und der Berechnung von singularer Homologie in Grad 0(Satz 3.18) folgt somit, dass Rn \ f(Dn) genau

dimRH0

(Sn \ f(Dn);R

)= dimR H0

(Sn \ f(Dn);R

)+ 1 = 0 + 1 = 1

Wegzusammenhangskomponenten besitzt.

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Der zweite Teil folgt analog aus der Tatsache, dass nach Lemma 3.51

dimR H0

(Sn \ f(Sn−1);R

)= 1

fur alle stetigen und injektiven Abbildungen f : Sn−1 −→ Sn gilt.

Aus dem Jordanschen Kurvensatz erhalten wir unter anderem:

Korollar 3.54 (Gebietsinvarianz). Sei n ∈ N, sei U ⊂ Rn offen und sei f : U −→ Rnstetig und injektiv. Dann ist f(U) ⊂ Rn offen.

Beweisskizze. Dies folgt mit einer geeigneten lokalen Betrachtung und grundlegen-den Eigenschaften von (Weg)Zusammenhang in Rn aus dem Jordanschen Kurvensatz(Satz 3.47).

Korollar 3.55. Sei n ∈ N.1. Es gibt keine stetige und injektive Abbildung Sn −→ Rn.2. Ist m ∈ N>n, so gibt es keine stetige und injektive Abbildung Rm −→ Rn.

Beweisskizze. Der zweite Teil folgt wegen Sn ⊂ Rn+1 ⊂ Rm aus dem ersten Teil.Wir zeigen nun den ersten Teil: Ohne Einschrankung sei n > 0. Angenommen, es

gibt eine injektive und stetige Abbildung f : Sn −→ Rn. Dann ist die Komposition

f : Snf−→ Rn ∼=Top Rn × 0 −→ Rn+1

stetig und injektiv; nach dem Jordanschen Kurvensatz (Satz 3.47) hat Rn+1 \ f(Sn)somit genau zwei Wegzusammenhangskomponenten. Andererseits sieht man der Kon-struktion von f jedoch an, dass Rn+1 \ f(Sn) wegzusammenhangend ist (indem mandie hinzugefugte Koordinate nutzt), was ein Widerspruch ist. Also gibt es keine stetigeund injektive Abbildung Sn −→ Rn.

3.6. Die `1-Halbnorm auf singularer Homologie

Wir wollen nun verstehen wie”kompliziert“ singulare Homologieklassen sind, gemes-

sen daran,”wieviele“ singulare Simplizes notig sind um sie zu reprasentieren. Eine

naheliegende Mogichkeit, dies zu modellieren, ist die sogenannte `1-Halbnorm auf sin-gularer Homologie (die die

”Anzahl“ singularer Simplizes mithilfe der Koeffizienten

gewichtet):

Definition 3.56 (`1-Halbnorm auf singularer Homologie). Sei X ein topologischerRaum und sei k ∈ N.

– Die `1-Norm auf Ck(X;R) ist die `1-Norm auf Ck(X;R) bezuglich der Ba-sis map(∆k, X):

‖ · ‖1 : Ck(X;R) −→ R≥0

m∑j=1

aj︸︷︷︸∈R

⊗ σj︸︷︷︸∈map(∆k,X)

alle verschieden

7−→m∑j=1

|aj |.

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– Die `1-Halbnorm auf Hk(X;R) ist die von der `1-Norm auf Ck(X;R) induzierteHalbnorm:

‖ · ‖1 : Hk(X;R) −→ R≥0

α 7−→ inf‖c‖1

∣∣ c ∈ Ck(X;R) ist ein Zykel mit [c] = α.

Bemerkung 3.57. Entsprechend konnen wir `1-Halb”normen“ auf singularer Homo-

logie mit anderen”normierten“ Koeffizienten definieren (z.B. Z, Q, C, . . . ).

Die `1-Halbnorm ist im folgenden Sinne funktoriell:

Proposition 3.58 (Funktorialitat der `1-(Halb-)Norm). Sei f : X −→ Y eine stetigeAbbildung topologischer Raume und sei k ∈ N.

1. Dann gilt fur alle c ∈ Ck(X;R), dass:∥∥Ck(f ;R)(c)∥∥

1≤ ‖c‖1.

2. Und fur alle α ∈ Hk(X;R) gilt∥∥Hk(f ;R)(α)∥∥

1≤ ‖α‖1.

3. Insbesondere folgt: Ist f : X −→ Y eine Homotopieaquivalenz in Top, so ist dieinduzierte Abbildung Hk(f ;R) : Hk(X;R) −→ Hk(Y ;R) isometrisch.

Beweisskizze. Der erste Teil folgt aus der Definition der `1-Halbnorm; man beruck-sichtige dabei, dass Ck(f ;R) verschiedene singulare Simplizes nicht notwendig auf ver-schiedene Simplizes abbildet. Der zweite Teil folgt aus dem ersten, der dritte aus demzweiten.

Die `1-Halbnorm liefert somit ein Hindernis fur die Existenz stetiger Abbildungenmit gewissen Eigenschaften in singularer Homologie.

Bemerkung 3.59 (funktorielle Halbnorm). Die obige Proposition sagt nichts ande-

res als, dass Hk( · ;R) : Top −→ VectR uber den Vergissfunktor Vect|·|R −→ VectRfaktorisiert:

Vect|·|R

Vergissfunktor

TopHk( · ;R)

//

‖·‖1<<x

xx

xVectR

Dabei bezeichnet Vect|·|R die Kategorie der halbnormierten R-Vektorraume, deren Mor-phismen die R-linearen Abbildungen, die die Halbnorm nicht vergroßern, sind.

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Beispiel 3.60.– Sei n ∈ N>0 und sei f : Sn −→ Sn eine stetige Abbildung mit Hn(f ;R) =

2 · idHn(Sn;R); eine solche existiert nach Korollar 2.20. Dann gilt wegen der Funk-torialitat im Sinne von Proposition 3.58

2 · ‖α‖1 = ‖2 · α‖1=∥∥Hn(f ;R)(α)

∥∥1

≤ ‖α‖1

bzw. ‖α‖1 = 0 fur alle α ∈ Hn(Sn;R).– Analog kann man mithilfe von Beispiel 3.45 zeigen, dass ‖α‖1 = 0 fur alle α ∈H1(S1 × S1;R) bzw. ∈ H2(S1 × S1;R) gilt.

Proposition 3.61 (die `1-Halbnorm auf H1( · ;R)). Sei X ein topologischer Raum.Dann gilt

‖α‖1 = 0

fur alle α ∈ H1(X;R).

Beweisskizze. Indem wir singulare Zykel im Grad 1 genau analysieren, sehen wir, dasses m ∈ N, a1, . . . , am ∈ R, α1, . . . , αm ∈ H1(S1;R) und f1, . . . , fm ∈ map(S1, X) mit

α =

m∑j=1

aj ·H1(fj ;R)(αj) ∈ H1(X;R)

gibt. Nun folgt die Behauptung aus Beispiel 3.60.

Bemerkung 3.62. Analog erhalten wir aus Beispiel 3.60: Ist (X,x0) ein punktiertertopologischer Raum, ist k ∈ N>0 und ist α im Bild der Komposition

πk(X,x0) −→ Hk(X;Z) −→ Hk(X;R),

wobei der linke Homomorphismus der Hurewicz-Homomorphismus ist (Bemerkung 2.23)und der rechte der von der Inklusion Z → R der Koeffizienten induzierte Homomor-phismus ist, so folgt

‖α‖1 = 0.

Insbesondere liefert die `1-Norm also ein Hindernis dafur, dass gewisse Elemente imBild dieser Komposition liegen.

Auch im Grad 0 lasst sich die `1-Halbnorm explizit beschreiben (der Einfachheithalber beschranken wir uns auf den wegzusammenhangenden Fall):

Proposition 3.63 (die `1-Halbnorm auf H0( · ;R)). Sei X ein wegzusammenhangen-der topologischer Raum und sei x0 ∈ X. Dann gilt∥∥[a · x0]

∥∥1

= |a|

fur alle a ∈ R, wobei wir a · x0 als Zykel in C0(X;R) auffassen.

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Abbildung (3.65): orientierte, geschlossene, zusammenhangende Flache mit”zwei Hen-

keln“

Beweisskizze. Dies kann man analog zur Berechnung von H0(•;R) (Beispiel 3.15) bzw.H0(X;R) (Satz 3.18) zeigen.

Caveat 3.64. Im allgemeinen ist die `1-Halbnorm auf H∗( · ;R) sehr schwer exaktzu berechnen; dies ist Gegenstand aktueller Forschung. Die Methoden umfassen da-bei (normierte) homologische Algebra, Funktionalanalysis, Maßtheorie, Geometrie undgeometrische Gruppentheorie.

Wir geben nun einen kleinen Ausblick auf weitere Eigenschaften und Anwendungender `1-Halbnorm:

Ist M eine orientierte, geschlossene, zusammenhangende n-dimensionale Mannigfal-tigkeit, so besitzt M eine sogenannte (reelle) Fundamentalklasse [M ]R ∈ Hn(M ;R)und man nennt

‖M‖ :=∥∥[M ]R

∥∥1∈ R≥0

das simpliziale Volumen von M . Dabei ist M orientiert, wenn man lokale Orientie-rungen von M wahlt, die global kompatibel sind (Algebraische Topologie III).Mannennt M geschlossen, falls M kompakt ist und keinen Rand besitzt. Gibt es eine Trian-gulierung von M , so liefern die Simplizes einer solchen Triangulierung einen singularenZykel, der [M ]R reprasentiert. Grob gesprochen misst das simpliziale Volumen also

”wieviele“ Simplizes man benotigt, um M singular zu triangulieren. Mit den grundle-

genden Eigenschaften von Fundamentalklassen kann man folgern, dass das simplizialeVolumen eine Homotopieinvariante von orientierten geschlossenen zusammenhangen-den Mannigfaltigkeiten ist.

Zum Beispiel gilt fur alle g ∈ N>0, dass

‖Fg‖ = 4 · g − 4,

wobei Fg die orientierte, geschlossene, zusammenhangende Flache mit”g Henkeln“

bezeichnet (Abbildung (3.65)); dies ist jedoch nicht offensichtlich. Andererseits ist esein offenes Problem, den exakten Wert von ‖F2 × F2 × F2‖ zu bestimmen . . .

Das folgende Resultat geht auf Gromov und Thurston zuruck. Dieses kann als Bau-stein in Gromovs Beweis von Mostow-Starrheit verwendet werden.

Satz 3.66 (simpliziales Volumen hyperbolischer Mannigfaltigkeiten). Sei n ∈ N≥2.Dann gibt es eine Konstante vn ∈ R>0 mit folgender Eigenschaft: Fur alle orientier-

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ten, geschlossenen, zusammenhangenden, hyperbolischen n-dimensionalen Mannigfal-tigkeiten gilt

‖M‖ =vol(M)

vn∈ R>0.

Insbesondere ist das simplizale Volumen von M nicht 0 und das riemannsche Volumenist in diesem Fall eine Homotopieinvariante(!).

Eine riemannsche Mannigfaltigkeit ist hyperbolisch, wenn die Schnittkrummung kon-stant −1 ist (oder, aquivalent, falls die riemannsche universelle Uberlagerung zum hy-perbolischen Raum der entsprechenden Dimension isometrisch ist. Außerdem besitztauch vn eine Interpretation in hyperbolischer Geometrie.

Dieser Satz besitzt vielfaltige Verallgemeinerungen auf andere Situationen negativerKrummung und erlaubt es, in manchen Situationen, das simpliziale Volumen als Ersatzfur das riemannsche Volumen zu verwenden.

Ein weiterfuhrenderer Uberblick uber das simpliziale Volumen findet sich zum Bei-spiel im Manifold Atlas (http://www.map.mpim-bonn.mpg.de/Simplicial volume).

Außerdem gibt es vielfaltige, uberraschende, Zusammenhange zwischen der `1-Halb-norm auf singularer Homologie und der Fundamentalgruppe. Ein erstes Beispiel dieserArt ist der folgende Satz von Gromov:

Satz 3.67 (die `1-Halbnorm auf H∗( · ;R) von einfach zusammenhangenden Raumen).Sei X ein einfach zusammenhangender topologischer Raum und sei k ∈ N>0. Danngilt

‖α‖1 = 0

fur alle α ∈ Hk(X;R).

Verallgemeinerungen dieses Satzes machen den Zusammenhang mit (geometrischer)Gruppentheorie noch deutlicher.

Die Untersuchung der `1-Halbnorm auf singularer Homologie ist ein aktives For-schungsgebiet im Spannungsfeld zwischen Topologie, Geometrie und Gruppentheoriemit vielfaltigen Anwendungen zwischen diesen Gebieten.

3.7. Singulare Homologie und Homotopiegruppen

Wir werden im folgenden singulare Homologie mit Z-Koeffizienten mit Homotopie-gruppen vergleichen.

Zunachst geben wir eine kurze Einfuhrung in Homotopiegruppen9: Homotopiegrup-pen sind Homotopieinvarianten von (punktierten) topologischen Raumen, die die

”sphari-

schen Locher“ beschreiben.

Definition 3.68 (punktierte topologische Raume). Die Kategorie Top* der punk-tierten Raume ist die volle Unterkategorie der Kategorie Top2 der Raumpaare miteinpunktigem Unterraum, d.h. Top* ist gegeben durch:

9Weitere Details zu Homotopiegruppen und ihren Eigenschaften finden Sie im Skript zur VorlesungAlgebraische Topologie Ihttp://www.mathematik.uni-r.de/loeh/teaching/topologie1 ws1314/lecture notes.pdf

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– Objekte: Die Klasse Ob(Top*) besteht aus allen Paaren (X,x0), wobei X ein to-pologischer Raum und x0 ∈ X ist (sogenannten punktierten topologischen Raum-en).

– Morphismen: Sind (X,x0), (Y, y0) punktierte topologische Raume, so ist

MorTop*

((X,x0), (Y, y0)

):= map*

((X,x0), (Y, y0)

):=f ∈ map(X,Y )

∣∣ f(x0) = y0

(solche stetigen Abbildungen nennt man punktierte stetige Abbildungen).

– Die Verknupfungen sind durch die gewohnliche Abbildungskomposition gegeben.Analog definiert man auch die Homotopiekategorie Top*h der punktierten topologischenRaume als Kategorie der punktierten topologischen Raume zusammen mit punktiertenHomotopieklassen punktierter stetiger Abbildungen als Morphismen und den entspre-chenden Homotopieklassenfunktor Top* −→ Top*h.

Die Homotopiegruppen beschreiben punktierte topologische Raume vom Blickwinkelder Spharen aus:

Definition 3.69 (Homotopiegruppen als mengenwertige Funktoren). Zu n ∈ N sei(analog zu Beispiel 1.33)

πn :=[(Sn, en+1

1 ), ·]∗ : Top* −→ Set,

wobei [ · , · ]∗ := MorTop*h( · , · ) fur die Menge der punktierten Homotopieklassen

punktierter stetiger Abbildungen steht.

Nach Konstruktion sind die Funktoren πn : Top* −→ Set homotopieinvariant indem Sinne, dass sie uber den Homotopieklassenfunktor Top* −→ Top*h faktorisieren.Mithilfe der Abbildung cSn : Sn −→ Sn ∨ Sn (Lemma 2.21) kann man eine Gruppen-struktur auf Homotopiegruppen definieren:

Satz 3.70 (Gruppenstruktur auf Homotopiegruppen). Sei n ∈ N>0. Dann faktori-siert πn : Top* −→ Set uber den Vergissfunktor Group −→ Set; ist (X,x0) ein punk-tierter topologischer Raum, so definiert

πn(X,x0)× πn(X,x0) −→ πn(X,x0)([f ]∗, [g]∗

)7−→

[(f ∨ g) cSn

]∗

eine Gruppenstruktur auf πn(X,x0) und diese Gruppenstruktur ist funktoriell bezuglichpunktierten stetigen Abbildungen. Ist n > 1, so ist diese Gruppenstruktur sogar abelsch.

Definition 3.71 (Homotopiegruppen, Fundamentalgruppe). Ist (X,x0) ein punktier-ter topologischer Raum und ist n ∈ N>0, so bezeichnet man πn(X,x0) als n-te Homo-topiegruppe von (X,x0); dabei nennt man π1(X,x0) normalerweise Fundamentalgruppevon (X,x0).

Die Fundamentalgruppe ist also durch punktierte Homotopieklassen von punktiertenSchleifen gegeben und die Verknupfung ist reprasentantenweise durch das Aneinander-ketten von Schleifen gegeben (Abbildung (3.72)).

Wir stellen nun einige grundlegende Eigenschaften von Homotopiegruppen zusam-men; die meisten dieser Ergebnisse sind jedoch nicht offensichtlich.

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x0f g

Abbildung (3.72): Die Gruppenstruktur auf π1; die violette Schleife ist ein Reprasen-tant von [f ]∗ · [g]∗.

Beispiel 3.73.– Der Funktor π0 : Top* −→ Set beschreibt die Wegzusammenhangskomponenten

punktierter topologischer Raume. Auf π0 gibt es keine vernunftige Gruppen-struktur.

– Fur alle k ∈ N>0 ist

πk(S1, e21) ∼=

Z falls k = 1,

0 falls k > 1.

Im Grad 1 entspricht dabei die Gruppe Z (wie im Fall von H1(S1;Z)) dem

”Herumwickeln“ von S1 um S1.

– Fur alle n ∈ N>0 und alle k ∈ N>0 ist

πk(Sn, en+11 ) ∼=

Z falls k = n,

0 falls k ∈ 1, . . . , n− 1,?! falls k > n.

Im allgemeinen sind die hoheren Homotopiegruppen von Spharen nicht trivial(zum Beispiel ist π3(S2, e3

1) ∼= Z (!)) und im allgemeinen auch nicht bekannt.Grundsatzlich ist es sehr schwierig, Homotopiegruppen von verklebten topologi-schen Raumen aus den Homotopiegruppen der Einzelteile zu berechnen.

– Es gilt

π1

(S1 ∨ S1, [e2

1]) ∼=

freie Gruppe vom Rang 2,

erzeugt von den beiden S1-Summanden falls k = 1,

0 falls k > 1

fur alle k ∈ N>0. Insbesondere ist die Fundamentalgruppe von (S1 ∨ S1, [e21])

nicht abelsch.

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– Homotopiegruppen sind mit Produkten vertraglich. Insbesondere gilt

πk(S1 × S1, (e2

1, e21)) ∼= Z⊕ Z falls k = 1,

0 falls k > 1

fur alle k ∈ N>0. Dabei ist eine Basis der Fundamentalgruppe durch die Inklusionder beiden S1-Faktoren in S1 × S1 gegeben.

Um Homotopiegruppen und singulare Homologie mit Z-Koeffizienten zu vergleichenverwenden wir den Hurewicz-Homomorphismus aus Bemerkung 2.23. Wir geben nuneine konkrete Beschreibung des Hurewicz-Homomorphismus in singularer Homologiemit Z-Koeffizienten:

Definition 3.74 (Hurewicz-Homomorphismus in singularer Homologie). Sei k ∈ N>0.Dann ist der Hurewicz-Homomorphismus

h · ,k : πk =⇒ Hk( · ;Z) P

(wobei P : Top* −→ Top2 der Funktor ist, der den Basispunkt durch den leerenUnterraum ersetzt) im Grad k gegeben durch: Fur jeden punktierten topologischenRaum (X,x0) sei

h(X,x0),k : πk(X,x0) −→ Hk(X;Z)

[f ]∗ 7−→ Hk(f ;Z)([Sk]

);

dabei ist [Sk] ∈ Hk(Sk;Z) ∼= Z der Erzeuger, der dem Element [∂k+1 id∆k+1 ] ∈Hk(∂∆k;Z) entspricht (Beispiel 3.43).

Beispiel 3.75.– Im Grad 1 ist der Hurewicz-Homomorphismus im allgemeinen kein Isomorphis-

mus, denn H1( · ;Z) ist abelsch, aber π1( · ) ist im allgemeinen nicht abelsch.– Auch in hoheren Graden ist der Hurewicz-Homomorphismus im allgemeinen kein

Isomorphismus.

Der Satz von Hurewicz besagt jedoch, dass der Hurewicz-Homomorphismus fur ge-wisse topologische Raume fur gewisse Grade ein Isomorphismus ist. Bevor wir denSatz formulieren, fuhren wir zwei Begriffe ein – hohere Zusammenhangsbegriffe unddie Abelianisierung von Gruppen:

Definition 3.76 (hohere Zusammenhangsbegriffe). Sei n ∈ N. Ein punktierter topo-logischer Raum (X,x0) heißt n-zusammenhangend, falls

∀k∈0,...,n πk(X,x0) ∼= 0

ist.

Beispiel 3.77.– Wegzusammenhang punktierter topologischer Raume entspricht 0-Zusammenhang.

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– Einfach zusammenhangend entspricht 1-zusammenhangend.– Ist n ∈ N>0, so ist (Sn, en+1

1 ) ein punktierter topologischer Raum, der (n − 1)-zusammenhangend, aber nicht n-zusammenhangend ist.

Proposition und Definition 3.78 (Abelianisierung).1. Sei G eine Gruppe. Die Kommutatoruntergruppe [G,G] von G ist die von

g · h · g−1 · h−1 | g, h ∈ G ⊂ G

erzeugte Untergruppe von G. Die Kommutatoruntergruppe [G,G] von G ist einNormalteiler und die Quotientengruppe

Gab := G/[G,G]

ist abelsch. Die Gruppe Gab heißt Abelianisierung10 von G.2. Ist f : G −→ H ein Gruppenhomomorphismus, so ist

fab : Gab −→ Hab

[g] 7−→[f(g)

]ein wohldefinierter Gruppenhomomorphismus. Dadurch wird

· ab : Group −→ Ab

zu einem Funktor.

Beweisskizze. All diese Eigenschaften folgen durch einfache Rechnungen aus den De-finitionen.

Außerdem besitzt die Abelianisierung eine alternative Charakterisierung uber eineuniverselle Eigenschaft:

Proposition 3.79 (alternative Charakterisierung der Abelianisierung). Sei G eineGruppe.

1. Dann ist [G,G] ⊂ G der bezuglich Inklusion kleinste Normalteiler N mit derEigenschaft, dass der Quotient G/N abelsch ist.

2. Die kanonische Projektion π : G −→ Gab besitzt die folgende universelle Eigen-schaft: Die Gruppe Gab ist abelsch und fur alle abelschen Gruppen A und alleGruppenhomomorphismen f : G −→ A gibt es genau einen Gruppenhomomor-phismus f : Gab −→ A mit

f π = f.

Gf//

π

A

Gab

f

==||

||

Dadurch ist die Abelianisierung π : G −→ Gab bis auf kanonischen Isomorphis-mus eindeutig bestimmt.

10Oder”Abelisierung“ oder

”Abelung“ (und entsprechend

”abeln“) . . .

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Beweisskizze. Auch dies lasst sich mit einfachen Rechnungen anhand der Definitionennachvollziehen.

Beispiel 3.80.– Ist G eine abelsche Gruppe, so ist die kanonische Projektion G −→ Gab ein

Isomorphismus.– Sei X eine Menge und sei FGroup(X) die freie von X erzeugte Gruppe, d.h.FGroup(X) erfullt zusammen mit der Inklusion i : X → FGroup(X) die folgendeuniverselle Eigenschaft: Ist G eine Gruppe und f : X −→ G eine Abbildung vonMengen, so gibt es genau einen Gruppenhomomorphismus f : FGroup(X) −→ Gmit

f i = f.

Dann ist FGroup(X)ab eine freie abelsche Gruppe mit dem Bild von X unter derkanonischen Projektion als Basis.

– Ist n ∈ N>1, so induziert die Signumsabbildung Sn −→ Z/2 einen Isomorphis-mus (Sn)ab

∼= Z/2.

Nun konnen wir den Satz von Hurewicz formulieren:

Satz 3.81 (Satz von Hurewicz). Sei n ∈ N>0 und sei (X,x0) ein (n− 1)-zusammen-hangender punktierter topologischer Raum.

1. Ist n = 1, so induziert h(X,x0),1 : π1(X,x0) −→ H1(X;Z) einen naturlichenIsomorphismus

π1(X,x0)ab∼=Ab H1(X;Z).

2. Ist n > 1, so istHk(X;Z) ∼= 0 ∼= πk(X,x0)

fur alle k ∈ 1, . . . , n−1 und h(X,x0),n : πn(X,x0) −→ Hn(X;Z) ist ein naturli-cher Isomorphismus abelscher Gruppen.

Beweisskizze. Als ersten Schritt ersetzen wir den singularen Kettenkomplex C(X)durch einen Unterkomplex, in dem nur spezielle singulare Simplizes erlaubt sind:Zu k ∈ N sei

Sk :=σ ∈ map(∆k, X)

∣∣ fur alle Seiten ∆ ⊂ ∆k der Dimension ≤ n− 1 ist σ|∆ = x0

.

Sei Cx0,n(X) ⊂ C(X) der Unterkettenkomplex, der fur k ∈ N im Grad k von Sk(statt map(∆k, X)) erzeugt wird. Insbesondere kann man die Elemente von Sn we-gen ∆n/∂∆n ∼= Sn auch als stetige Abbildungen (Sn, en+1

1 ) −→ (X,x0) auffassen.Dies macht bereits den Zusammenhang mit den Homotopiegruppen von (X,x0) deut-lich.

Da (X,x0) ein (n− 1)-zusammenhangender Raum ist, konnen wir induktiv kompa-tible Homotopien wie in Lemma 3.82 konstruieren.

Lemma 3.82 (induktive Homotopien). Sei X ein topologischer Raum. Zu k ∈ Nsei Sk ⊂ map(∆k, X) eine Teilmenge; dabei gelte σ ik,j ∈ Sk−1 fur alle k ∈ N>0,alle σ ∈ Sk und alle j ∈ 0, . . . , k. Außerdem gebe es eine Familie (hσ : ∆k× [0, 1] −→X)k∈N,σ∈map(∆k,X) stetiger Abbildungen mit folgenden Eigenschaften:

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– Fur alle k ∈ N und jedes σ ∈ map(∆k, X) ist hσ eine Homotopie von σ zu einemsingularen Simplex in Sk.

– Fur alle k ∈ N>0, alle σ ∈ map(∆k, X) und alle j ∈ 0, . . . , k gilt

hσik,j= hσ (ik,j × id[0,1]).

– Fur alle k ∈ N und alle σ ∈ Sk ist

hσ =((x, t) 7→ σ(x)

).

Sei CS(X) ⊂ C(X) der Unterkettenkomplex abelscher Gruppen, der in jedem Grad k ∈N von Sk statt von map(∆k, X) erzeugt wird.

Dann ist die Inklusion CS(X) → C(X) eine Kettenhomotopieaquivalenz in ZCh undinduziert somit einen Isomorphismus H∗

(CS(X)

)−→ H∗(X).

Beweisskizze von Lemma 3.82. Dies folgt ahnlich wie im Beweis der Homotopieinva-rianz (Satz 3.21) von singularer Homologie durch Zerlegung von Prismen.

Wir fahren nun mit dem Beweis von Satz 3.81 fort. Aus dem Lemma folgt, dass dieInklusion

Cx0,n(X) → C(X)

eine Kettenhomotopieaquivalenz ist.Nach Konstruktion stimmt Cx0,n(X) bis zum Grad n− 1 mit C(x0) uberein und

auch die Mengen der Rander im Grad n − 1 stimmen uberein. Also gilt fur alle k ∈1, . . . , n− 1:

Hk(X;Z) ∼= Hk

(Cx0,n(X)

)= Hk

(x0;Z

) ∼= 0.

Es bleibt also nur noch zu zeigen, dass

h(X,x0),n,ab : πn(X,x0)ab −→ Hn(X;Z)

ein Isomorphismus ist: Dazu konstruieren wir zunachst einen”inversen“ Homomor-

phismus ϕ : Hn(Cx0,n(X)) −→ πn(X,x0)ab: Sei

ϕ : Sn −→ πn(X,x0)

σ 7−→ [fσ]∗,

wobei fσ : (Sn, en+11 ) −→ (X,x0) unter der kanonischen Identifikation Sn ∼=Top ∂∆n+1

der Abbildung entspricht, die auf der 0-ten Seite σ ist, und sonst uberall konstant x0

ist (dies ist moglich, da σ ∈ Sn auf ∂∆n konstant x0 ist). Daraus erhalten wir einenHomomorphismus

ϕ : Cx0,n(X) −→ πn(X,x0)ab.

Mithilfe der Definition der Verknupfung auf πn(X,x0) sieht man, dass (in πn(X,x0)ab)

n+1∑j=0

(−1)j · [fσin+1,j]∗,ab = 0

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fur alle σ ∈ Sn+1 gilt. Also induziert ϕ einen Homomorphismus

ϕ : Hn

(Cx0,n(X)

)−→ πn(X,x0)ab.

Man beachte dabei, dass nach Konstrukion

h(X,x0),n([fσ]∗) =[σ + (1 + (−1)n) · constx0

]in Hn(X;Z) fur alle σ ∈ Sn gilt.

Wir kommen nun zum Beweis, dass h(X,x0),n,ab ein Isomorphismus ist:– Surjektivitat. Sei α ∈ Hn(X;Z). Dann gibt es einen Zykel c ∈ Cx0,n(X), der α

reprasentiert. Also erhalten wir

h(X,x0),n,ab

(ϕ(c)

)= α+ etwas in Hn(x0;Z) = α

in Hn(X;Z).– Injektivitat. Sei γ = [f ]∗,ab ∈ kerh(X,x0),n,ab ⊂ πn(X,x0). Dann gibt es ein σ ∈Sn mit

f '∗ fσ.

Dann ist (in Hn(X;Z))

0 = h(X,x0),n,ab(γ) = h(X,x0),n([fσ]∗) =[σ + (1 + (−1)n) · constx0

].

Da Cx0,n(X) → C(X) eine Kettenhomotopieaquivalenz ist und der Zykel σ +(1 + (−1)n) · constx0

in Cx0,n(X) liegt, folgt[σ + (1 + (−1)n) · constx0

]= 0

in Hn(Cx0,n(X)). Anwenden von ϕ liefert dann

0 = ϕ([σ + (1 + (−1)n) · constx0

])= ϕ(σ) + (1 + (−1)n) · ϕ(constx0)

= [fσ]∗,ab + (1 + (−1)n) · [constx0 ]∗,ab

= γ + 0

in πn(X,x0)ab

Dies vervollstandigt den Beweis des Satzes von Hurewicz.

Korollar 3.83 (Homotopiegruppen aus Homologiegruppen). Sei (X,x0) ein einfachzusammenhangender punktierter Raum und sei n ∈ N>1 mit

∀k∈1,...,n−1 Hk(X;Z) ∼= 0.

Dann ist (X,x0) bereits (n−1)-zusammenhangend und der Hurewicz-Homomorphismus

h(X,x0),n : πn(X,x0) −→ Hn(X;Z)

ist ein Isomorphismus.

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Beweis. SeiN := min

k ∈ N

∣∣ πk(X,x0) 6∼= 0∈ N ∪ ∞.

Da X einfach zusammenhangend ist, ist N > 1. Mit dem Satz von Hurewicz folgt N ≥n und eine nochmalige Anwendung des Satzes von Hurewicz liefert die Behauptung.

Bemerkung 3.84 (Homotopiegruppen von (Wedges von) Spharen). Sei n ∈ N>1.– Hat man bereits gezeigt, dass (Sn, en+1

1 ) einfach zusammenhangend ist (z.B. mitdem Satz von Seifert und van Kampen, s. Algebraische Topologie I), so folgt mitder Berechnung von H∗(S

n;Z) und dem obigen Korollar, dass

πk(Sn, en+11 ) ∼=

0 falls k ∈ 1, . . . , n− 1Z falls k = n

gilt.– Ist I eine Menge, so kann man analog auch die Homotopiegruppen πk(

∨I S

n)fur k ∈ 1, . . . , n bestimmen.

Man kann den Satz von Hurewicz auch fur relative Homotopiegruppen und H∗( · ;Z)von (punktierten) Raumpaaren beweisen (z.B., indem man ihn mit geeigneten Kegel-und Zylinderkonstruktionen aus der absoluten Version herleitet). Dies liefert unteranderem auch die folgende Variante:

Satz 3.85 (Satz von Hurewicz fur Abbildungen). Sei n ∈ N>1 und sei f : (X,x0) −→(Y, y0) eine punktierte stetige Abbildung einfach zusammenhangender punktierter Raume.Dann sind folgende Aussagen aquivalent:

1. Fur alle k ∈ 1, . . . , n − 1 ist πk(f) : πk(X,x0) −→ πk(Y, y0) bijektiv undπn(f) : πn(X,x0) −→ πn(Y, y0) ist surjektiv.

2. Fur alle k ∈ 1, . . . , n − 1 ist Hk(f ;Z) : Hk(X;Z) −→ Hk(Y ;Z) bijektiv undHn(f ;Z) : Hn(X;Z) −→ Hn(Y ;Z) ist surjektiv.

Caveat 3.86. Die Voraussetzung, dass die beteiligten Raume einfach zusammenhan-gend sind, ist in diesen Versionen des Satzes von Hurewicz essentiell! Es gibt auchVersionen fur Raume, die nicht einfach zusammenhangend sind; dann muss jedoch dieOperation der Fundamentalgruppe und die Homologie der universellen Uberlagerungmiteinbezogen werden.

Bemerkung 3.87 (Darstellungssatze von Brown). Es gibt noch einen weiteren wich-tigen Zusammenhang zwischen Homologietheorien und Homotopiegruppen: die Dar-stellungssatze von Brown. Auf diese werden wir im Kontext von Kohomologie kurzeingehen.

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4. Zellulare Homologie

Da der singulare Kettenkomplex sehr”groß“ ist, ist es im allgemeinen schwierig, kon-

kret damit zu rechnen. Wir suchen daher geeignete”kleinere“ Kettenkomplexe zur

Berechnung singularer Homologie. Klassische Beispiele dafur sind:– simpliziale Homologie fur simpliziale Komplexe; mit simplizialen Komplexen

lasst sich gut maschinell rechnen, aber simpliziale Komplexe sind manchmal nichtflexibel genug, um bequem damit zu arbeiten.11

– zellulare Homologie fur CW-Komplexe; dies ist eine etwas flexiblere Variante, diefur Modellierung und Berechnung gut geeignet sind.

Wir werden in diesem Kapitel die folgenden Aspekte behandeln:– CW-Komplexe– zellularer Kettenkomplex und zellulare Homologie– Vergleich von zellularer Homologie und singularer Homologie– Euler-Charakteristik und ihre Anwendungen

4.1. CW-Komplexe

Wir beginnen mit einer kurzen Einfuhrung in CW-Komplexe. Bei CW-Komplexen han-delt es sich um topologische Raume, die induktiv aus einfachen, flexiblen Bausteinen,sogenannten Zellen, zusammengesetzt sind:

Definition 4.1 ((relativer) CW-Komplex).– Sei (X,A) ein Raumpaar. Eine relative CW-Struktur auf (X,A) ist eine Folge

A =: X−1 ⊂ X0 ⊂ X1 ⊂ · · · ⊂ X

von Unterraumen mit den folgenden Eigenschaften:– Es ist X =

⋃n∈NXn.

– Die Topologie auf X stimmt mit der Kolimestopologie des Systems A =X−1 ⊂ X0 ⊂ X1 ⊂ . . . uberein (d.h. eine Teilmenge U ⊂ X ist genau dannoffen, wenn fur alle n ∈ N ∪ −1 gilt, dass U ∩Xn in Xn offen ist).

– Fur alle n ∈ N entsteht Xn aus Xn−1 durch Ankleben von n-dimensionalenZellen, d.h. es existiert eine Menge In und ein Pushout der Form⊔

InSn−1 //

Inklusion

Xn−1

⊔InDn // Xn

in Top; wir verwenden dabei die Konvention S−1 := ∅. Man nennt Xn auchdas n-Skelett von X. (Die Anzahl |In| ist die Anzahl der Wegzusammen-hangskomponenten von Xn \ Xn−1, aber die Wahl der Pushouts ist nichtTeil der Struktur.)

11s. Seminar”Topologie vs. Kombinatorik“ im WS 2013/14

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– Ein relativer CW-Komplex ist ein Raumpaar (X,A) zusammen mit einer re-lativen CW-Struktur auf (X,A). Ist A = ∅, so spricht man auch von einemCW-Komplex.

– Ist (X,A) ein relativer CW-Komplex und ist n ∈ N, so sind die Wegzusam-menhangskomponenten von Xn \Xn−1 homoomorph zu Dn und werden offenen-Zellen von (X,A) genannt.

– Ist (X,A) ein relativer CW-Komplex, so ist die Dimension von (X,A) definiertdurch

dim(X,A) := minn ∈ N

∣∣ ∀m∈N≥nXm = Xn

∈ N ∪ ∞.

– Ein (relativer) CW-Komplex ist endlich, wenn er aus nur endlich viele Zellenbesteht. Ein (relativer) CW-Komplex ist von endlichem Typ, wenn er in jederDimension nur endlich viele Zellen hat.

Caveat 4.2 (Existenz und Eindeutigkeit von CW-Strukturen?!).– Nicht jeder topologische Raum ist zu einem CW-Komplex homotopieaquivalent!

(Beispiel 4.70)– In der Notation erwahnt man im Normalfall die gewahlte CW-Struktur eines (re-

lativen) CW-Komplexes nicht explizit. Da es jedoch im allgemeinen viele mogli-che CW-Strukturen auf einem Raumpaar geben kann, kann dies zu Missverstand-nissen fuhren. Die Tatsache, dass auf Raumpaaren verschiedene CW-Strukturenexistieren konnen, ist jedoch wichtig – man kann daher fur jedes Problem ver-suchen, eine entsprechende, passende CW-Struktur auszuwahlen (z.B. eine mitmoglichst wenigen Zellen oder eine, die

”symmetrisch“ ist . . . ).

Wir beginnen mit dem Modellfall des grundlegenden Bausteins von CW-Komplexen:

Beispiel 4.3 (CW-Struktur auf (Dn, Sn−1)). Sei n ∈ N. Dann ist durch

Xn−1 := Xn−2 := · · · := X−1 := Sn−1

∀k∈N≥nXk := Dn

eine relative CW-Struktur auf (Dn, Sn−1) definiert. Ein Pushout fur den Ubergangvom (n− 1)-Skelett zum n-Skelett ist zum Beispiel (wobei die vertikalen Abbildungendie Inklusionen sind)

Sn−1idSn−1//

Xn−1 = Sn−1

DnidDn

// Xn = Dn.

Beispiel 4.4 (CW-Strukturen). Beispiele fur CW-Strukturen auf dem Kreis, der zwei-dimensionalen Sphare, auf dem zweidimensionalen Torus und auf RP 2 sind in Abbil-dung (4.5) skizziert.

Als nachsten Schritt fuhren wir einen geeigneten Morphismenbegriff fur CW-Komplexeein:

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0-Skelett 1-Skelett 2-Skelett gesamter Raum

S1

eine 0-Zelle eine 1-Zelle keine 2-Zellen

S1

zwei 0-Zellen zwei 1-Zellen keine 2-Zellen(Nord-/Sudhalbkreis)

S2

eine 0-Zelle keine 1-Zelle eine 2-Zelle

S2

zwei 0-Zelle zwei 1-Zellen zwei 2-Zellen(Nord-/Sudhalbkugel)

S1 × S1

eine 0-Zelle zwei 1-Zellen eine 2-Zelle

RP 2

eine 0-Zelle eine 1-Zelle eine 2-Zelle

Abbildung (4.5): Beispiele fur CW-Strukturen

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Abbildung (4.10): Eine CW-Struktur auf [0, 1]

Definition 4.6 (zellulare Abbildung). Seien (X,A) und (Y,B) relative CW-Komplexe.Eine zellulare Abbildung f : (X,A) −→ (Y,B) ist eine stetige Abbildung f : X −→ Ymit

∀n∈N∪−1 f(Xn) ⊂ Yn(wobei (Xn)n∈N∪−1 bzw. (Yn)n∈N∪−1 die relativen CW-Strukturen auf (X,A) bzw.(Y,B) sind).

Beispiel 4.7. Wir betrachten S1 mit den ersten beiden CW-Strukturen aus Abbil-dung (4.5).

– Dann ist die Spiegelung S1 −→ S1 an der horizontalen Koordinatenachse einezellulare Abbildung, sowohl bezuglich der ersten CW-Struktur als auch bezuglichder zweiten CW-Struktur.

– Die Spiegelung S1 −→ S1 an der vertikalen Koordinatenachse ist bezuglich derersten CW-Struktur keine zellulare Abbildung (aber bezuglich der zweiten).

Dies liefert Kategorien von CW-Komplexen:

Definition 4.8 (Kategorien von CW-Komplexen).– Sei CW die Kategorie, die wie folgt gegeben ist:

– Objekte: Die Klasse der Objekte ist die Klasse aller CW-Komplexe.– Morphismen: Die Morphismenmenge zwischen je zwei CW-Komplexen ist

die Menge der zellularen Abbildungen.– Verknupfungen: Die Verknupfungen sind durch gewohnliche Abbildungs-

komposition gegeben.– Sei CW2 die Kategorie, die wie folgt gegeben ist:

– Objekte: Die Klasse der Objekte ist die Klasse aller relativen CW-Komplexe.– Morphismen: Die Morphismenmenge zwischen je zwei relativen CW-Komplexen

ist die Menge der zellularen Abbildungen.– Verknupfungen: Die Verknupfungen sind durch gewohnliche Abbildungs-

komposition gegeben.

Außerdem mochten wir einen zellularen Homotopiebegriff einfuhren. Dazu geben wirzunachst ein zellulares Modell des Intervalls bzw. von Zylindern:

Beispiel 4.9 (CW-Struktur auf dem Einheitsintervall). Im folgenden betrachten wirdie CW-Struktur

∅ ⊂ 0, 1 ⊂ [0, 1] ⊂ [0, 1] ⊂ · · · ⊂ [0, 1]

auf [0, 1] (Abbildung (4.10)).

85

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Proposition 4.11 (CW-Struktur auf dem Zylinder). Sei (X,A) ein relativer CW-Komplex mit CW-Struktur (Xn)n∈N∪−1. Dann ist (X ′n)n∈N∪−1 mit

X ′−1 := A× [0, 1]

∀n∈N X ′n :=(Xn × 0, 1

)∪(Xn−1 × [0, 1]

)eine relative CW-Struktur auf (X × [0, 1], A× [0, 1]).

Beweisskizze. Wahlt man Pushouts fur die relative CW-Struktur auf (X,A), so kannman explizit entsprechende Pushouts fur (X × [0, 1], X × [0, 1]) konstruieren.

Caveat 4.12. Sind X und Y CW-Komplexe, so ist (Zn)n∈N∪−1 mit Z−1 := ∅ und

∀n∈N Zn :=⋃

k∈0,...,n

Xk × Yn−k

im allgemeinen keine CW-Struktur auf X × Y .

Die CW-Struktur aus Proposition 4.11 gibt uns eine Moglichkeit, zellulare Homoto-pie zu definieren:

Definition 4.13 (zellular homotop). Seien (X,A) und (Y,B) relative CW-Komplexeund seien f, g : (X,A) −→ (Y,B) zellulare Abbildungen. Wir nennen f und g zellularhomotop, wenn es eine zellulare Abbildung h : (X × [0, 1], A× [0, 1]) −→ (Y,B) mit

h i0 = f und h i1 = g

gibt. Dabei betrachten wir die relative CW-Struktur aus Proposition 4.11 auf demZylinder (X × [0, 1], A× [0, 1]) und i0, i1 : (X,A) −→ (X × [0, 1], A× [0, 1]) bezeichnendie Inklusion von

”Boden“ bzw.

”Deckel“ des Zylinders.

Man kann leicht nachprufen, dass dieser Homotopiebegriff die ublichen Vererbungs-eigenschaften erfullt. Insbesondere erhalten wir so entsprechende Homotopiekategorienvon CW-Komplexen:

Definition 4.14 (Homotopiekategorien von CW-Komplexen).– Die Kategorie CWh ist wie folgt gegeben:

– Objekte: Die Objekte von CWh sind alle CW-Komplexe.– Morphismen: Morphismen zwischen CW-Komplexen sind zellulare Homo-

topieklassen von zellularen Abbildungen.– Verknupfungen: Die Verknupfungen sind durch reprasentantenweise Abbil-

dungskomposition gegeben.– Die Kategorie CWh ist wie folgt gegeben:

– Objekte: Die Objekte von CW2h sind alle relativen CW-Komplexe.

– Morphismen: Morphismen zwischen relativen CW-Komplexen sind zellulareHomotopieklassen von zellularen Abbildungen von relativen CW-Komplexen.

– Verknupfungen: Die Verknupfungen sind durch reprasentantenweise Abbil-dungskomposition gegeben.

Diese Homotopiekategorien besitzen auch alternative Beschreibungen, wie wir inAbschnitt 4.5 sehen werden.

86

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4.2. Zellulare Homologie

Wir wollen nun die zellulare Struktur von CW-Komplexen nutzen, um Homologiegeeignet berechnen zu konnen. Dazu fuhren wir zellulare Homologie ein und vergleichendiese dann mit (gewohnlichen) Homologietheorien.

Setup 4.15. Im folgenden sei R ein Ring und sei h :=((hk)k∈Z, (∂k)k∈Z

)eine Homo-

logietheorie auf Top2 mit Werten in RMod.

Wir geben zunachst die abstrakte Definition des zellularen Kettenkomplexes zu han und erklaren dann, wie man ihn (im Fall einer gewohnlichen Homologietheorie)bequem von der zellularen Struktur ablesen kann.

Proposition und Definition 4.16 (zellularer Kettenkomplex). Der Funktor

Ch : CW2 −→ RCh

ist wie folgt definiert:1. Sei (X,A) ein relativer CW-Komplex mit relativer CW-Struktur (Xn)n∈N∪−1.

Fur alle n ∈ N seiChn(X,A) := hn(Xn, Xn−1)

und fur alle n ∈ Z<0 sei Chn(X,A) := 0. Fur alle n ∈ N>0 definieren wir ∂h,(X,A)n

durchChn(X,A)

∂h,(X,A)n

hn(Xn, Xn−1)

∂(Xn,Xn−1,Xn−2)n

∂(Xn,Xn−1)n

**UUUUUUUUUUU

hn−1(Xn−1)

hn−1(Inklusion)ttjjjjjjjjjjj

Chn−1(X,A) hn−1(Xn−1, Xn−2)

Dann ist Ch(X,A) :=((Chn(X,A))n∈Z, (∂

h,(X,A)n )n∈Z

)ein Kettenkomplex in RCh,

der zellulare Kettenkomplex von (X,A) bezuglich h.2. Ist f : (X,A) −→ (Y,B) eine zellulare Abbildung relativer CW-Komplexe, so

definieren wir fur alle n ∈ N

Chn(f) := hn(f |Xn) : Chn(X,A) = hn(Xn, Xn−1) −→ hn(Yn, Yn−1) = Chn(Y,B)

und fur alle n ∈ Z<0 definieren wir Chn(f) := 0. Dann ist Ch(f) :=(Chn(f)

)n∈Z

eine Kettenabbildung Ch(X,A) −→ Ch(Y,B).

Beweisskizze. Zum ersten Teil: Ist n ∈ N>0, so ist

∂h,(X,A)n ∂h,(X,A)

n+1 = 0,

denn in dieser Komposition treten nach Definition zwei aufeinanderfolgende Terme derlangen exakten Paarsequenz von (Xn, Xn−1) auf.

87

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Der zweite Teil folgt aus der Naturlichkeit des Verbindungshomomorphismus derlangen exakten Tripelsequenz (Proposition 2.8), welche eine Konsequenz der Funkto-rialitat von h und der Naturlichkeit der Verbindungshomomorphismen (∂n)n∈Z ist.

Dass Ch tatsachlich einen Funktor definiert, kann man leicht anhand der Definitionnachvollziehen.

Definition 4.17 (zellulare Homologie). Wir definieren zellulare Homologie bezuglich hals den Funktor

Hh∗ := H∗ Ch : CW2 −→ RGrad .

Bemerkung 4.18 (zellulare Homotopieinvarianz). Da hn fur alle n ∈ Z homotopie-invariant ist, ist der Funktor Hh

∗ in dem Sinne zellular homotopieinvariant, dass eruber den Homotopieklassenfunktor CW2 −→ CW2

h faktorisiert.

Die Definition des zellularen Kettenkomplexes mag zunachst kompliziert erscheinen;tatsachlich lasst er sich aber aus der CW-Struktur einfach explizit berechnen:

Beispiel 4.19 (zellulare Homologie des Einheitsintervalls). Wir betrachten die CW-Struktur auf [0, 1] aus Beispiel 4.9:

∅ ⊂ 0, 1 ⊂ [0, 1] = [0, 1] = · · · .

Sei h singulare Homologie mit Z-Koeffizienten. Mithilfe der konkreten Berechnungvon H1([0, 1], 0, 1;Z) ∼= H1(D1, S0;Z) (Beispiel 3.43) und der expliziten Beschrei-bung des Verbindungshomomorphismus in singularer Homologie (Satz 3.20) folgt, dassCh([0, 1) zum folgenden Kettenkomplex (in ZCh) isomorph ist:

Grad 2 1 0 −1

. . .0// 0

0// 0

0// Z // Z⊕ Z

0// 0

0// 0

0// . . .

x // (−x, x)

Dieser Kettenkomplex ist der Komplex I aus Definition B.25.Es folgt

Hhk

([0, 1]

) ∼= 0 falls k 6= 0

Z falls k = 0∼= Hk

([0, 1];Z)

fur alle k ∈ Z.

Beispiel 4.20 (zellulare Homologie von Spharen). Sei n ∈ N, der Einfachheit halbersei n ≥ 2 und wir schreiben Z := h0(•). Wir betrachten Sn mit der CW-Struktur

∅ ⊂ en+11 = en+1

1 = · · · = en+11 ⊂ Sn = Sn = · · · ,

die aus genau einer 0-Zelle und genau einer n-Zelle besteht (analog zum dritten Beispielin Abbildung (4.5)). Mit Korollar 2.18 folgt dann, dass Ch(Sn) in RCh zum folgendenKettenkomplex isomorph ist:

Grad n+ 1 n n− 1 . . . 1 0 −1

. . .0// 0 // Z // 0 // . . . // 0 // Z // 0 // . . .

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Wegen n ≥ 2 ist bei jedem der Randoperatoren von Ch(Sn) der Start- oder Zielraum

trivial. D.h. ∂h,Sn

k = 0 fur alle k ∈ Z. Insbesondere liefert dies

Hhk (Sn) ∼=

Z falls k ∈ 0, n0 falls k ∈ Z \ 0, n

fur alle k ∈ Z. Falls h eine gewohnliche Homologietheorie ist, stimmt dies mit h(Sn)uberein (Korollar 2.18).

Diese beiden Beispiele legen nahe, dass zellulare Kettenmoduln im wesentlichendurch die Anzahl der Zellen in der entsprechenden Dimension bestimmt sind. Wirwerden dies nun prazise formulieren:

Bemerkung 4.21 (Homologie von angeklebten Zellen). Sei n ∈ N und sei (Y,X) einRaumpaar, fur das es ein Pushout der Form⊔

I Sn−1 ϕ

//

X

⊔I D

n

Φ// Y

in Top gibt (wobei die vertikalen Abbildungen die Inklusionen sind). Falls die Homo-logietheorie h nicht additiv ist, nehmen wir hierbei zusatzlich an, dass die Menge Iendlich ist.

1. a) Ist n ∈ N>0 und ist k ∈ Z, so ist die folgende Komposition ein Isomorphis-mus in RMod:

hk(Y,X) hK

(⊔I D

n,⊔I S

n−1)

hk(Φ)

∼=oo⊕

I hk(Dn, Sn−1)∼=⊕

I hk(Inkl)oo

∼= //⊕

I hk−1

(Sn−1, en1

) ⊕I hk−n(•)

∼=oo

Der erste Isomorphismus ist dabei eine Konsequenz von Ausschneidung(nach Aufdicken von X), der zweite folgt aus Ausschneidung bzw. Addi-tivitat, den dritten erhalt man aus der langen exakten Tripelsequenz desTripels (Dn, Sn−1, en1), und der letzte ist ein iterierter Einhanungsiso-morphismus (Korollar 2.18).

b) Im Fall n = 0 ist analog

hk(Y,X) hK

(⊔I D

n,⊔I S

n−1)

hk(Φ)

∼=oo⊕

I hk(Dn, Sn−1)∼=⊕

I hk(Inkl)oo

∼= //⊕

I hk(•, ∅) ⊕

I hk−n(•)∼=oo

fur alle k ∈ Z ein Isomorphismus.2. a) Sei n ∈ N>0 und sei X 6= ∅. Der Standard-Homoomorphismus Dn/Sn−1 ∼=

Sn induziert zusammen mit dem obigen Pushout einen Homoomorphismus

Y/X ∼=Top

∨I

Sn.

Dann stimmt

89

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hk(Y,X)hk(Proj)

// hK(Y/X, •)∼=

hk(s.o.)// hk

(∨I S

n, en+11

) ∼= //⊕

I hk(Sn, en1

) ⊕I hk−n(•)

∼=oo∼=oo

fur alle k ∈ Z mit dem obigen Isomorphismus uberein.b) Ist n = 0, so induzieren D0 −→ −1 ⊂ S0 und X −→ 1 ⊂ S0 eine

stetige Abbildung Y/X −→∨I S

0; diese ist ein Homoomorphismus, wennX 6= ∅ ist.

Proposition 4.22 (zellularer Kettenkomplex, explizit). Sei h eine gewohnliche Ho-mologietheorie und sei Z := h0(•). Sei (X,A) ein relativer CW-Komplex mit CW-Struktur (Xn)n∈N∪−1; ist h keine additive Homologietheorie, so nehmen wir zusatz-lich an, dass es sich dabei um einen CW-Komplex von endlichem Typ handelt. Zu n ∈N wahlen wir ein Pushout ⊔

InSn−1

ϕ=⊔

i∈In ϕi//

Xn−1

⊔InDn

Φ=⊔

i∈In Φn

// Xn

in Top (wobei die vertikalen Abbildungen die Inklusionen sind).1. Fur alle n ∈ N liefern dann die Abbildungen aus Bemerkung 4.21 einen Isomor-

phismus

Chn(X,A) ∼=⊕In

Z

und fur alle k ∈ Z \ n ist hk(Xn, Xn−1) ∼= 0.

2. Sei n ∈ N>0. Zu i ∈ In und j ∈ In−1 sei f(n)i,j die Komposition

Sn−1ϕi // Xn−1

Proj// Xn−1/Xn−2

//∨In−1

Sn−1 // Sn−1

wobei die vorletzte Abbildung wie in Bemerkung 4.21 definiert ist und die letzteAbbildung die Projektion auf den j-ten Summanden ist.

a) Sei n ∈ N>1. Dann entspricht ∂h,(X,A)n : Chn(X,A) −→ Chn−1(X,A) unter

den Isomorphismen aus dem ersten Teil der”

Matrix“

Fn :=((σn−1)−1hn−1(f

(n)i,j )σn−1

)j∈In−1,i∈In

∈MIn−1×In(HomR(Z,Z)

),

wobei σn−1 : Z = h0(•) −→ hn−1(Sn−1, en1) ∼= hn−1(Sn−1) den iteriertenEinhangungsisomorphismus bezeichnet (Korollar 2.18).Insbesondere: Ist Z ∼=RMod R, so konnen wir Fn als Matrix in MIn−1×In(R)auffassen und man nennt die Eintrage dieser Matrix Inzidenzzahlen.

b) Der Randoperator ∂h,(X,A)1 entspricht analog der Matrix

F1 :=(d

(1)i,j · idZ

)j∈I0,i∈I1

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wobei

d(1)i,j :=

0 falls f

(1)i,j (1) = f

(1)i,j (−1)

1 falls f(1)i,j (1) = −1 6= f

(1)i,j (−1)

−1 falls f(1)i,j (1) = 1 6= f

(1)i,j (−1)

fur alle i ∈ In, j ∈ In−1 ist.

Beweisskizze von Proposition 4.22. Der erste Teil ist eine direkte Konsequenz von Be-merkung 4.21.

Wir beweisen nun den zweiten Teil im Fall n ∈ N>1 (die Beschreibung fur ∂h,(X,A)1

kann man analog zeigen). Dazu betrachten wir das Diagramm in Abbildung (4.23); dadas Diagramm kommutiert und die obere bzw. untere Zeile nach Bemerkung 4.21 mitden Isomorphismen aus dem ersten Teil ubereinstimmen, folgt daraus die behauptete

Beschreibung fur ∂h,(X,A)n .

Bemerkung 4.24 (Inzidenzzahlen). Wir verwenden die Notation aus Proposition 4.22.Sei n ∈ N>1. Man kann zeigen, dass

[Sn−1, Sn−1] −→ Z[f ] 7−→ degHn−1( · ;Z) f

eine Bijektion ist. Insbesondere konnen wir Inzidenzzahlen immer als ganze Zahlenauffassen.

Man kann die obigen Bijektion auch formulieren und beweisen, ohne singulare Ho-mologie zu verwenden. Daher kann man mithilfe von Korollar 2.20 den zellularen Ket-tenkomplex zu einer gewohnlichen Homologietheorie (mit Ringkoeffizienten) aus denKoeffizienten direkt konstruieren (und damit auch zellulare Homologie), indem mandie Beschreibung des zellularen Kettenkomplexes aus Proposition 4.22 verwendet. Esist jedoch technisch etwas aufwendig, die Konstruktion so zu modifizieren, dass sienicht von der Wahl von Pushouts, sondern nur von relativen CW-Strukturen abhangt.

Man kann den zellularen Kettenkomplex also nach Proposition 4.22 berechnen, in-dem man

– Pushouts in allen Dimensionen wahlt,– die Anzahl der Zellen pro Dimension bestimmt,– und dann untersucht, wie die anheftenden Abbildungen die Zellen an die Zellen

niedrigerer Dimension ankleben.Dies ist fur ein einfaches Beispiel in Abbildung (4.25) illustriert.

Beispiel 4.26 (zellulare Homologie reell-projektiver Raume). Sei n ∈ N>1. Induktivkann man zeigen, dass

∅ ⊂ RP 0 ⊂ RP 1 ⊂ RP 2 ⊂ · · · ⊂ RPn = RPn = · · ·

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Ch n(X,A

)

∂h,(X,A

)n

=hn(X

n,X

n−

1)

∂(X

n,X

n−

1)

n

∼ =hn(Φ

) hn

( ⊔ In(D

n,S

n−

1)) ∼ =

⊕ Inhn(D

n,S

n−

1)∼ =

⊕ In∂

(Dn,S

n−

1)

n⊕ I

nhn−

1(S

n−

1,•

)

dan>

1:∼ =

∼ =⊕ I

nZ

⊕ Inσn−

1

Fn

hn−

1(X

n−

1)

hn−

1(I

nkl)

⊕ Inhn−

1(S

n−

1)

⊕ i∈Inhn−

1(ϕi)

hn−

1(P

roj)

( h n−1(f

(n)

i,j

)) j∈In−

1,i∈In

hn−

1(X

n−

1/Xn−

2)

hn−

1(I

nkl)

∼ =hn−

1

( ∨ In−

1Sn−

1) ∼ =

⊕ In−

1hn−

1(S

n−

1)

⊕ Inσn−

1

Ch n−

1(X,A

)∼ =

hn−

1(X

n−

1,X

n−

2) hn−

1(P

roj)

hn−

1(X

n−

1/Xn−

2,•

)∼ =

hn−

1

( ∨ In−

1Sn−

1,•) ∼ =

⊕ In−

1hn−

1(S

n−

1,•

)∼ =

dan>

1:∼ =

⊕ In−

1Z

Abbildung (4.23): Der Randoperator des zellularen Kettenkomplexes in Dimension> 1

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D2

S1

ϕ

X0 = X−1 = A

X1 1-Zelle a 1-Zelle b

Ch2 (X,A)

Ch1 (X,A)

∼=

∼=

Z

Z⊕ Za b

∂h,(X,A)2 1 7→ (2,−1)

Abbildung (4.25): Der zellulare Kettenkomplex nach Proposition (4.25); als gewohn-liche Homologietheorie h betrachten wir dabei singulare Homologiemit Z-Koeffizienten.

eine CW-Struktur auf RPn definiert, da

Sn−1 //

RPn−1

Dn // RPn

ein Pushout in Top ist; dabei sind die vertikalen Abbildungen die Inklusionen, die obereAbbildung ist die kanonische Projektion, die untere Abbildung ist die Inklusion Dn ⊂Sn als nordliche Hemisphare gefolgt von der kanonischen Projektion Sn −→ RPn.Insbesondere hat diese CW-Struktur nur in den Dimensionen 0, . . . , n Zellen und dortjeweils genau eine.

Sei h eine gewohnliche Homologietheorie mit h0(•) ∼=RMod R. Dann ist der zellulareKettenkomplex Ch(RPn) zu einem Kettenkomplex (in RCh) der folgenden Form iso-morph:

. . . // 0 // R∂n // R

∂n−1// . . . // R

∂2 // R∂1 // R // 0 // . . .

n n− 1 2 1 0 −1

Die Randoperatoren ∂1, . . . , ∂n konnen wir durch die entsprechenden Inzidenzzah-len bestimmen: Da die CW-Struktur nur genau eine 0-Zelle hat, ist ∂1 = 0. Seik ∈ 2, . . . , n. Dann ist das Diagramm in Abbildung (4.27) bis auf Homotopie kom-mutativ. In hn−1 induziert diese Abbildung somit (Lemma 2.21 und Korollar 2.20)(

1 + (−1)k)· idhk−1(Sk−1) .

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Sk−1Proj

//

induziert von cSk−1

((QQQQQQQQQQQQQQQQQQQQQQQQQQQQQQQQQQQ RP k−1Proj

// RP k−1/RP k−2 kanonisch //

∼=

Sk−1

(Sk−1/Sk−2)/Antipode

∼=

(Sk−1 ∨ Sk−1)/

(∀x∈Sk−1 i1(x) ∼ i2(x))

induziert von id∨ − id

99tttttttttttttttttttttttttt

Abbildung (4.27): Bestimmung der Inzidenzzahlen fur RPn

Nach Proposition 4.22 ist Ch(X,A) somit zum folgenden Kettenkomplex isomorph:

. . . // 0 // R1+(−1)n

// R // . . . 0 // R2 // R

0 // R // 0 // . . .

n n− 1 2 1 0 −1

Also ist

Hhk (RPn) ∼=

R falls k = 0

R/2 ·R falls k ∈ 1, . . . , n− 1 ungerade ist

x ∈ R | 2 · x = 0 falls k ∈ 2, . . . , n gerade ist

R falls k = n ungerade ist

0 sonst

fur alle k ∈ Z. Wir erhalten daher zum Beispiel:

Hhk (RPn)

R k ∈ 1, . . . , n− 1 k ∈ 2, . . . , n falls k = nungerade gerade ungerade

Z Z/2 0 ZZ/2 Z/2 Z/2 Z/2Q 0 0 Q

4.3. Vergleich von Homologietheorien auf CW-Komplexen

Wir werden nun Homologietheorien auf CW-Komplexen miteinander vergleichen. Wirbeginnen mit gewohnlichen Homologietheorien (und insbesondere dem Vergleich mitsingularer Homologie) und gehen danach kurz auf den allgemeinen Fall ein.

94

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Satz 4.28 (zellulare Homologie einer gewohnlichen Homologietheorie). Sei R ein Ringmit Eins, sei h :=

((hk)k∈Z, (∂k)k∈Z

)eine gewohnliche Homologietheorie auf Top2 mit

Werten in RMod und sei n ∈ Z. Dann sind die Funktoren

Hhn : CW2

fin −→ RMod,

hn : CW2fin −→ RMod

naturlich isomorph, wobei CW2fin die Kategorie der endlichen relativen CW-Komplexe

bezeichnet. Genauer gilt:1. Ist (X,A) ein endlicher relativer CW-Komplex und n ∈ Z<0, so ist

Hhn(X,A) ∼= 0 ∼= hn(X,A).

2. Ist (X,A) ein endlicher relativer CW-Komplex, so induzieren die von den Inklu-sionen induzierten Abbildungen

Chn(X,A) = hn(Xn, Xn−1)←− hn(Xn, A) −→ hn(X,A)

einen Isomorphismus Hhn(X,A) ∼= hn(X,A).

Bemerkung 4.29. Ist die Homologietheorie h im obigen Satz zusatzlich additiv, sogilt die analoge Aussage auch fur die Kategorie CW2 aller relativen CW-Komplexe.Im Fall von singularer Homologie folgt dies aus einem Kompaktheitsargument (ana-log zu Proposition 3.53), im allgemeinen Fall benotigt man ein allgemeines (Homoto-pie)Kolimesargument.

Insbesondere konnen wir singulare Homologie durch die zugehorige zellulare Homo-logie berechnen. D.h. die Berechnungen fur zellulare Homologie im vorigen Abschnittliefern auch die entsprechenden Ergebnisse fur singulare Homologie, zum Beispiel furreell-projektive Raume (Beispiel 4.26).

Beweisskizze von Satz 4.28. Sei (X,A) ein endlicher relativer CW-Komplex mit relati-ver CW-Struktur (Xn)n∈N∪−1. Wir beginnen mit ein paar einfachen Voruberlegungenzu den auftretenden relativen Homologiegruppen:

a. Nach Bemerkung 4.21 gilt (da h eine gewohnliche Homologietheorie ist)

∀n∈N ∀k∈Z\n hk(Xn, Xn−1) ∼= 0.

b. Induktiv folgt daraus

∀n∈N ∀k∈Z\0,...,n hk(Xn, A) ∼= 0

c. bzw.∀n∈N∪−1 ∀N∈N≥n

∀k∈Z≤nhk(XN , Xn) ∼= 0.

Da (X,A) ein endlicher relativer CW-Komplex ist, gibt es ein N ∈ N mit

XN = X.

Wir unterscheiden nun zwei Falle:

95

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1. Sei n < 0. Dann ist (nach Voruberlegung b bzw. der Definition von zellularerHomologie)

hn(X,A) = hn(XN , A) ∼= 0 ∼= Hhn(X,A).

2. Sei n ∈ N. Wir betrachten das folgende Diagramm in RMod mit exakten Zeilen:

Chn+1(X,A)∂h,(X,A)n+1

// ker ∂h,(X,A)n

Proj// Hh

n(X,A)0 // 0

hn+1(Xn+1, Xn)∂

(Xn+1,Xn,A)

n+1

// hn(Xn, A) //

À

OO

hn(Xn+1, A)

Â

OO

Áwwoooooooooooo// hn(Xn+1, Xn) ∼= 0

∼=

OO

hn(X,A)

Der Homomorphismus Á ist dabei ein Isomorphismus (dies folgt aus Voruberle-gung c und der langen exakten Tripelsequenz fur (X = XN , Xn+1, A)).Wie wird der Homomorphismus À konstruiert? aus der langen exakten Tripel-sequenz von (Xn, Xn−1, A) und Voruberlegung b folgt, dass die Inklusion einenIsomorphismus

hn(Xn, A) ∼= ker ∂(Xn,Xn−1,A)n

induziert. Außerdem kann man sich mit der langen exakten Tripelsequenz desTripels (Xn−1, Xn−2, A) und Voruberlegung b leicht uberlegen, dass

ker ∂(Xn,Xn−1,A)n = ker ∂h,(X,A)

n

gilt. Dies liefert den Isomorphismus Á.Da das linke Quadrat des obigen Diagramms kommutiert, induziert À einen wohl-definierten Homomorphismus Â. Nach dem Funfer-Lemma (Proposition B.6) ist dabei ein Isomorphismus.Also liefern Á und  zusammen den gewunschten Isomorphismus Hh

n(X,A) ∼=hn(X,A). Dieser ist naturlich.

Korollar 4.30 (Endlichkeits-/Verschwindungsresultate fur gewohnliche Homologie-theorien). Sei R ein Ring mit Eins, sei h eine gewohnliche Homologietheorie auf Top2

mit Werten in RMod und sei (X,A) ein endlicher relativer CW-Komplex der Dimen-sion N .

1. Dann gilt fur alle k ∈ Z \ 0, . . . , N

hk(X,A) ∼= Hhk (X,A) ∼= 0.

2. Ist R noethersch (z.B. Z oder ein Korper) und ist h0(•) ∼=RMod R, so gilt: Furalle k ∈ 0, . . . , N ist hk(X,A) ∼= Hh

k (X,A) ein endlich erzeugter R-Modul.

Beweis. Dies folgt direkt aus dem obigen Satz bzw. aus der expliziten Beschreibungder Kettenmoduln (Proposition 4.22).

96

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Korollar 4.31 (Eindeutigkeit gewohnlicher Homologietheorien auf CW2fin). Sei R ein

Ring mit Eins, sei h eine gewohnliche Homologietheorie auf Top2 mit Werten in RMod,und sei Z := h0(•). Sei außerdem n ∈ Z.

1. Ist k eine gewohnliche Homologietheorie auf Top2 mit Werten in RMod undist k0(•) ∼= Z, so sind hn und kn als Funktoren CW2

fin −→ RMod naturlichisomorph.

2. Insbesondere sind hn und Hn( · ;Z) als Funktoren CW2fin −→ RMod naturlich

isomorph.(Sind die betrachteten Homologietheorien additiv, so gelten die analogen Aussagenfur CW2 statt CW2

fin.)

Beweisskizze. Der zweite Teil folgt direkt aus dem ersten. Wir skizzieren nun denBeweis des ersten Teils: Aus der Diskussion der Beschreibung der zellularen Ketten-komplexe mithilfe von Inzidenzzahlen (Bemerkung 4.24) folgt: Die zellularen Ketten-komplexe Ch und Ck sind als Funktoren CW2

fin −→ RCh naturlich isomorph. Dahersind auch Hh

n = Hn Ch und Hkn = Hn Ck als Funktoren CW2

fin −→ RMod naturlichisomorph. Mit Satz 4.28 folgt somit die Behauptung.

Caveat 4.32. Es gibt gewohnliche Homologietheorien h auf Top2 mit Werten in RModund Koeffizienten (isomorph zu) R, fur die es topologische Raume X und n ∈ N mit

hn(X) 6∼=R Hn(X;R)

gibt (z.B. sogenannte Maßhomologie). Diese Beispiele von topologischen Raumen sindaber keine CW-Komplexe.

Caveat 4.33. Ist h eine Homologietheorie auf Top2, die nicht gewohnlich ist, so ist diezellulare Homologie zu h nicht isomorph zu h (man betrachte etwa den Einpunktraum).

Es gibt aber dennoch auch im Falle allgemeiner Homologietheorien einen systemati-schen Zusammenhang zwischen der betrachteten verallgemeinerten Homologietheorieund singularer Homologie:

Satz 4.34 (Atiyah-Hirzebruch-Spektralsequenz). Sei R ein Ring mit Eins und sei heine Homologietheorie auf Top2 mit Werten in RMod. Ist (X,A) ein endlicher relativerCW-Komplex, so gibt es eine (in (X,A) und h) naturliche, konvergente Spektralsequenz

E1pq = hp+q(Xp, Xp−1) =⇒ hp+q(X,A)

bzw.E2pq = Hp

(X,A;hq(•)

)=⇒ hp+q(X,A).

Was sind Spektralsequenzen? Spektralsequenzen sind eine Verallgemeinerung vonlangen exakten Sequenzen und bestehen aus einer Folge (Er, dr)r∈N≥1

von bigraduier-ten Kettenkomplexen (den Seiten der Spektralsequenz), wobei der Randoperator dr

den Grad (−r, r − 1) besitzt und Er+1 aus Er durch Homologie bezuglich dr ent-steht (Abbildung (4.35)). Im Beispiel der Atiyah-Hirzebruch-Spektralsequenz ist dieZeile von E1, die zu

”q = 0“ gehort, gerade der zellulare Kettenkomplex Ch(X,A).

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q

p

d1

q

p

d2

q

p

d3 . . .

q

p

E1 E2 E3 . . . E∞

Abbildung (4.35): Seiten einer homologischen Spektralsequenz

In gunstigen Fallen, stabilisiert dieser Prozess und liefert die sogenannte ∞-Seite E∞

der Spektralsequenz. Falls Konvergenz

E1pq =⇒ Bp+q

der Spektralsequenz vorliegt, so bedeutet dies, dass E∞ in einem gewissen Sinne eineApproximation an B liefert; genauer liefert die Folge (E∞p,n−p)p∈Z eine Approxima-tion an An. Im allgemeinen lasst sich der

”Grenzwert“ B aber nicht genau aus E∞

bestimmen, sondern nur bis auf sogenannte Erweiterungsprobleme. Außerdem ist zubedenken, dass die Randoperatoren in den hoheren Seiten einer Spektralsequenz imallgemeinen nicht vernunftig berechenbar sind. Dennoch konnen Spektralsequenzenund die zugehorige Trickkiste in vielen Fallen helfen, allerlei Ruckschlusse uber denGrenzwert zu ziehen.12

Wir werden auf die Begrifflichkeiten und den Beweis hier nicht weiter eingehen undnur ein damit verwandtes (einfacheres) Resultat genauer diskutieren – den Vergleichs-satz fur Homologietheorien auf CW-Komplexen (Satz 4.41). Zur Vorbereitung klarenwir zunachst ein paar Begriffe:

Definition 4.36 (Unterkomplex, CW-Paar). Sei X ein CW-Komplex mit CW-Struk-tur (Xn)n∈N∪−1 und sei A ⊂ X.

– Wir nennen A einen Unterkomplex von X, wenn fur alle offenen Zellen e ⊂ Xmit e ∩ A 6= ∅ bereits e ⊂ A gilt (in diesem Fall ist (A ∩ Xn)n∈N∪−1 eineCW-Struktur auf A und (X,A) ist ein relativer CW-Komplex).

– Ist A ein Unterkomplex von X, so nennen wir (X,A) ein CW-Paar.

Beispiel 4.37.– Skelette von CW-Komplexen sind Unterkomplexe.– Bezuglich der durch ∅ ⊂ 0, 1 ⊂ [0, 1] gegebenen CW-Struktur auf [0, 1] sind

[0, 1) und [0, 1/2] keine Unterkomplexe; aber 0 ist ein Unterkomplex.

Wir erhalten so die (Homotopie)Kategorie der CW-Paare:

12Eine kurze Einfuhrung in Spektralsequenzen, Literaturangaben und die einfachsten Techniken fin-den Sie im Skript zur Vorlesung Algebraische Topologie III aus dem WS 2009/10http://www.mathematik.uni-r.de/loeh/teaching/topologie3 ws0910/prelim.pdf

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Definition 4.38 (Kategorie der CW-Paare, Homotopiekategorie der CW-Paare).– Die Kategorie CWÁ der CW-Paare besteht aus:

– Objekte sind die CW-Paare im Sinne der obigen Definition.– Morphismen: Sind (X,A) und (Y,B) CW-Paare, so ist

MorCWÁ

((X,A), (Y,B)

):=f ∈ MorCW(X,Y )

∣∣ f(A) ⊂ B.

– Verknupfungen: Diese sind durch die gewohnliche Abbildungskompositiongegeben.

– Sind (X,A) und (Y,B) CW-Paare, so sind Abbildungen f, g : (X,A) −→ (Y,B)von CW-Paaren zellular homotop als Abbildungen von CW-Paaren, kurz f 'CWÁ

g, wenn es eine zellulare Abbildung h : (X× [0, 1], A× [0, 1]) −→ (Y,B) von CW-Paaren mit

h( · , 0) = f und h( · , 1) = g

gibt. Dabei versehen wir X × [0, 1] mit der CW-Struktur aus Proposition 4.11.– Die Homotopiekategorie CWÁ

h der CW-Paare besteht aus:– Objekte sind die CW-Paare im Sinne der obigen Definition.– Morphismen: Sind (X,A) und (Y,B) CW-Paare, so ist

MorCWÁh

((X,A), (Y,B)

):= MorCWÁ

((X,A), (Y,B)

) /'CWÁ .

– Verknupfungen: Diese sind durch die reprasentantenweise gewohnliche Ab-bildungskomposition gegeben.

Analog zum Fall von Raumpaaren konnen wir nun formulieren, was Homologietheo-rien auf CW-Paaren sind:

Definition 4.39 (Homologietheorie auf CW-Paaren). Sei R ein Ring mit Eins. Ei-ne Homologietheorie auf CWÁ mit Werten in RMod ist ein Paar

((hk)k∈Z, (∂k)k∈Z

),

bestehend aus– einer Folge (hk)k∈Z von Funktoren CWÁ −→ RMod und– einer Folge (∂k)k∈Z von naturlichen Transformationen

∂k : hk =⇒ hk−1 UCW,

wobei UCW : CWÁ −→ CWÁ den durch– auf Objekten: (X,A) 7−→ (A, ∅)– auf Morphismen:

(f : (X,A)→ (Y,B)

)7−→

(f |A : (A, ∅)→ (B, ∅)

)gegebenen Unterkomplexfunktor bezeichnet (hierbei ist es essentiell, dass wirmit CWÁ statt CW2 arbeiten).

mit folgenden Eigenschaften:– Homotopieinvarianz. Fur alle k ∈ Z faktorisiert hk : CWÁ −→ RMod uber den

Homotopieklassenfunktor CWÁ −→ CWÁh .

– lange exakte Paarsequenz. Fur alle CW-Paare (X,A) ist die Sequenz

. . .∂k+1

// hk(A, ∅)hk(i)

// hk(X, ∅)hk(j)

// hk(X,A)∂k // hk−1(A, ∅)

hk−1(i)// . . .

exakt, wobei i : (A, ∅) −→ (X, ∅) und j : (X, ∅) −→ (X,A) die Inklusionen sind.

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– Ausschneidung. Fur alle CW-Paare (X,A) und alle Unterkomplexe C ⊂ X istdie von der Inklusion (C,C ∩A) −→ (X,A) induzierte Abbildung

hk(C,C ∩A) −→ hk(X,A)

fur alle k ∈ Z ein Isomorphismus.

Wir haben die obigen Formulierung von Ausschneidung gewahlt, da Komplementevon Unterkomplexen im allgemeinen keine CW-Komplexe sind.

Als letzte Zutat benotigen wir noch eine Moglichkeit, Homologietheorien zu verglei-chen:

Definition 4.40 (naturliche Transformation von Homologietheorien). Sei R ein Ringmit Eins und seien h :=

((hk)k∈Z, (∂k)k∈Z

)und h′ :=

((h′k)k∈Z, (∂k)k∈Z

)Homologie-

theorien auf CWÁ mit Werten in RMod. Eine naturliche Transformation h =⇒ h′ vonHomologietheorien auf CWÁ ist eine Folge (Tk : hk =⇒ h′k)k∈Z naturlicher Transfor-mationen mit

Tk−1(A, ∅) ∂(X,A)k = ∂′k

(X,A) Tk(X,A)

fur alle CW-Paare (X,A).

Wir konnen nun den Vergleichssatz formulieren:

Satz 4.41 (Vergleichssatz fur Homologietheorien). Sei R ein Ring, seien h und h′

Homologietheorien auf CWÁ mit Werten in RMod und sei (Tk)k∈Z eine naturlicheTransformation h =⇒ h′ von Homologietheorien auf CWÁ mit der Eigenschaft, dass

Tk(•) : hk(•) −→ h′k(•)

fur alle k ∈ Z ein Isomorphismus in RMod ist. Dann folgt: Fur alle endlichen CW-Paare (X,A) ist

Tk(X,A) : hk(X,A) −→ h′k(X,A)

ein Isomorphismus in RMod.

Beweisskizze. Dies folgt durch eine Induktion uber die Skelette.

Caveat 4.42. Sei R ein Ring mit Eins und seien h und h′ Homologietheorien auf CWÁ

mit Werten in RMod mithk(•) ∼= h′k(•)

fur alle k ∈ Z. Im allgemeinen folgt dann nicht, dass h und h′ bereits auf allen end-lichen CW-Paaren ubereinstimmen (Beipsiele solcher Art lassen sich etwa uber so-genannten orientierten Bordismus konstruieren). Es ist im obigen Satz also wichtig,dass der Isomorphismus auf den Werten des Einpunktraumes von einer naturlichenTransformation h =⇒ h′ induziert ist.

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4.4. Die Euler-Charakteristik

Die Euler-Charakteristik ist eine der altesten topologischen Invarianten. Sie hat denVorteil, dass sie leicht aus einer Zellenstruktur berechnet werden kann, aber den Nach-teil, dass sie nicht funktoriell ist. Wir geben eine kurze Einfuhrung in die grundlegendenEigenschaften und Anwendungen der Euler-Charakteristik.

Definition 4.43 (Euler-Charakteristik eines endlichen CW-Komplexes). Sei X einendlicher CW-Komplex.

– Zu n ∈ N bezeichnen wir mit cn(X) die Anzahl der offenen n-Zellen von X.– Die Euler-Charakteristik von X ist definiert als (die endliche Summe!)

χ(X) :=∑n∈N

(−1)n · cn(X) ∈ Z.

Beispiel 4.44. Eine kleine Sammlung von ersten Beispielen findet sich in Abbil-dung (4.45).

Das kleine Wunder der algebraischen Topologie, dass die Euler-Charakteristik nichtvon der CW-Struktur abhangt (und sogar eine Homotopieinvariante ist), wurde vonPoincare entdeckt (Satz 4.48). Zur Formulierung fuhren wir den klassischen Begriff derBetti-Zahlen ein:

Definition 4.46 (Betti-Zahlen). Sei X ein endlicher CW-Komplex und sei R einnoetherscher Ring mit Eins, der einen geeigneten Rangbegriff rkR fur endlich erzeugteLinks-R-Moduln besitzt.13 Ist n ∈ N, so ist

bn(X;R) := rkRHn(X;R) ∈ N

die n-te Betti-Zahl von X bezuglich R (diese ist nach Korollar 4.30 wohldefiniert); wirschreiben

bn(X) := bn(X;Z)

und nennen dies die n-te Betti-Zahl von X.

Beispiel 4.47. Es gilt (nach Beispiel 4.26 und Satz 4.28)

b2(RP 2;Z) = 0 6= 1 = b2(RP 2;Z/2).

Wir konnen nun den Satz von Poincare formulieren. Aufgrund dieses Satzes bezeich-net man singulare Homologie auch als Kategorifizierung der Euler-Charakteristik (eineBegriffsbildung, die z.B. in der Knotentheorie verwendet wird).

Satz 4.48 (Homotopieinvarianz der Euler-Charakteristik). Sei X ein endlicher CW-Komplex und sei R ein noetherscher Ring mit Eins, der einen geeigneten Rangbegriff(im Sinne der obigen Definition) besitzt.

13D.h. fur alle d ∈ N ist rkR Rd = d und rkR ist unter kurzen exakten Sequenzen endlich erzeugter R-Moduln additiv; einen solchen Rangbegriff gibt es zum Beispiel fur Hauptidealringe (und Korper).

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Raum CW-Struktur Euler-Charakteristik

• 1

[0, 1] 2− 1 = 1

S1 1− 1 = 0

S1 2− 2 = 0

S2 1− 0 + 1 = 2

S2 2− 2 + 2 = 2

S2 8− 12 + 6 = 2

Abbildung (4.45): Erste Beispiele fur die Euler-Charakteristik

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1. Dann gilt

χ(X) =∑n∈N

(−1)n · bn(X;R)

(und diese Summe ist nach Korollar 4.30 endlich).2. Insbesondere gilt: Ist Y ein endlicher CW-Komplex mit X 'Top Y , so folgt

χ(X) = χ(Y ).

Also ist die Euler-Charakteristik insbesondere unabhangig von der betrachtetenendlichen CW-Struktur(!).

Beweisskizze. Der zweite Teil folgt direkt aus dem ersten Teil (da singulare Homologieund somit auch Betti-Zahlen homotopieinvariant sind). Den ersten Teil erhalten wiraus (wobei wir h fur die singulare Homologietheorie mit R-Koeffizienten schreiben):

χ(X) =∑n∈N

(−1)n · cn(X)

=∑n∈N

(−1)n · rkR Chn(X)

=∑n∈N

(−1)n · rkRHn

(Chn(X)

)=∑n∈N

(−1)n · rkRHn(X;R)

=∑n∈N

(−1)n · bn(X;R);

die zweite Gleichheit folgt aus Proposition 4.22, die dritte aus einer konsequentenAnwendung der

”Dimensionsformel“ (Additivitat von rkR fur kurze exakte Sequenze

von endlich erzeugten R-Moduln), die vierte aus Satz 4.28.

Beispiel 4.49.– Fur alle n ∈ N ist

χ(Sn) =

0 falls n ungerade ist

2 falls n gerade ist,

χ(RPn) =

0 falls n ungerade ist

1 falls n gerade ist,

χ(CPn) = n+ 1.

– Man kann leicht abzahlen, dass die Flache die Euler-Charakteristik −2besitzt. Analog sieht man, dass die entsprechende Flache mit g ∈ N

”Henkeln“

die Euler-Charakteristik 2− 2 · g besitzt.

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K3,3 K5

Abbildung (4.51): Die (nicht-planaren) Graphen K3,3 und K5

Beispiel 4.50 (Eulersche Polyederformel fur CW-Strukturen). Fur jede (endliche)(zweidimensionale) CW-Struktur auf S2 mit e Ecken (0-Zellen), k Kanten (1-Zellen)und f Flachen (2-Zellen) gilt

e− k + f = 2.

Die Eulersche Polyederformel hat zahlreiche klassische Anwendungen:– Bestimmung der kombinatorischen Struktur regularer Polyeder.– Nicht-Planaritatsresultate fur gewisse Graphen, z.B. fur die GraphenK5 undK3,3

(Abbildung (4.51)).– Farbungssatze fur planare Graphen.

Wir gehen kurz auf die erste Anwendung ein:

Korollar 4.52 (Kombinatorik der regularen Polyeder). Sei P ⊂ R3 ein konvexes,regulares dreidimensionales Polyeder mit e Ecken, k Kanten und f Seitenflachen. Dannist (e, k, f) eines der folgenden Tripel:

e k f entspricht der Kombinatorik von

4 6 4 Tetraeder6 12 8 Oktaeder8 12 6 Hexaeder (Wurfel)20 30 12 Dodekaeder12 30 20 Ikosaeder

Mithilfe von euklidischer Geometrie folgt außerdem, dass es zu jedem kombinatori-schen Typ nur das jeweils angegebene regulare Polyeder gibt.

Beweisskizze. Der Rand ∂P ∼=Top S2 erbt von P eine CW-Struktur mit e Ecken (0-

Zellen), k Kanten (1-Zellen) und f Flachen (2-Zellen). Die Eulersche Polyederformel(Beispiel 4.50) liefert somit

2 = χ(S2) = χ(∂P ) = e− k + f.

Da P regular ist, existieren m,n ∈ N≥3 mit:– Jede Seitenflache von P hat genau m Ecken/Kanten.– An jeder Ecke von P treffen sich genau n Kanten/Seitenflachen.

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Abbildung (4.53): Großer Sterndodekaeder

Da jede Kante die Kante von genau zwei Seitenflachen ist und jede Kante genau zweiEcken miteinander verbindet, folgt

m · f2

= k undn · e

2= k.

Also ist 2 = e− k + f = 2 · k/n− k + 2 · k/m bzw.

1

2<

1

k+

1

2=

1

n+

1

m.

Insbesondere kann daher (m,n) nur die folgenden Werte annehmen:

(3, 3), (3, 4), (4, 3), (3, 5), (5, 3).

Daraus ergeben sich die angegebenen Moglichkeiten fur (e, k, f).

Ein Beispiel fur ein nicht-konvexes, regulares dreidimensionales Polyeder ist dergroße Sterndodekaeder (Abbildung (4.53)).

Beispiel 4.54 (Kombinatorik via Topologie). Fur alle n ∈ N>0 ist

n∑k=0

(−1)n ·(n

k

)= 0.

Dies kann man mithilfe der binomischen Formel aus (1+(−1))n = 0 folgern. Alternativist es aber auch eine Konsequenz aus

χ(∆n−1) = χ(•) = 1

und der Betrachtung der durch die Kombinatorik von ∆n−1 gegebenen CW-Strukturauf ∆n−1.

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Bemerkung 4.55 (L2-Betti-Zahlen). Sei X ein wegzusammenhangender endlicherCW-Komplex, sei x0 ∈ X und sei G := π1(X,x0). Die Gruppen-von-Neumann-Al-gebra NG von G ist eine gewisse Vervollstandigung des Gruppenrings ZG bzw. CG;als abelsche Gruppe ist ZG =

⊕g∈G Z ·g und die Ringstruktur ist durch formales Aus-

multiplizieren gegeben, wobei die zu Gruppenelementen gehorigen Basiselemente wie inder Gruppe multipliziert werden. Ist G nicht abelsch, so sind die Ringe ZG bzw. NGnicht kommutativ. Man kann jedoch zeigen, dass der Ring NG einen vernunftigenRangbegriff zulasst (der jedoch nicht ganzzahlig ist). Man definiert nun zu n ∈ N dien-te L2-Betti-Zahl von X durch

b(2)n (X) := rkNGHn

(C(X)⊗ZG NG

),

wobei wir auf X bzw. C(X)”die“ Operation von G durch Decktransformationen be-

trachten. Man kann nun zeigen, dass das Analogon zu Satz 4.48 auch fur diese Betti-Zahlen gilt:

χ(X) =∑n∈N

(−1)n · b(2)n (X).

Der Vorteil an L2-Betti-Zahlen gegenuber gewohnlichen Betti-Zahlen ist, dass sie haufi-ger verschwinden; daher kann man manchmal das Verschwinden der Euler-Charakteri-stik zeigen, indem man nachweist, dass alle L2-Betti-Zahlen verschwinden.

Zur Berechnung der Euler-Charakteristik sind die folgenden Eigenschaften nutzlich:

Proposition 4.56 (Euler-Charakteristik, Vererbungseigenschaften).1. Seien X und Y endliche CW-Komplexe. Dann liefert( n⋃

k=0

Xk × Yn−k)n∈N

eine endliche CW-Struktur auf X × Y und

χ(X × Y ) = χ(X) · χ(Y ).

2. Sei

Af//

i

B

j

X g// Y

ein Pushout in Top, wobei A, B und X endliche CW-Komplexe sind, i : A −→ Xdie Inklusion eines Unterkomplexes und f : A −→ B zellular ist. Dann liefert(

g(Xn) ∪ j(Bn))n∈N

eine endliche CW-Struktur auf Y und es gilt

χ(Y ) = χ(X) + χ(B)− χ(A)

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3. Sei X ein endlicher CW-Komplex und sei p : Y −→ X eine endliche Uberlage-rung mit d ∈ N Blattern. Dann liefert(

p−1(Xn))n∈N

eine endliche CW-Struktur auf Y und es gilt

χ(Y ) = d · χ(X).

Eine gemeinsame Verallgemeinerung der Multiplikatvitat der Euler-Charakteristikbezuglich Produkten und endlichen Uberlagerungen ist die Multiplikativitat fur gewis-se Faserungen (was mithilfe einer geeigneten Spektralsequenz gezeigt werden kann).

Beweisskizze. Dass die angegebenen Filtrierungen tatsachlich CW-Strukturen liefern,folgt durch die Betrachtung geeigneter Pushouts. In den drei Fallen erhalten wir dabeifur alle n ∈ N die folgenden Relationen zwischen den Anzahlen der offenen n-Zellen:

cn(X × Y ) =

n∑k=0

ck(X) · cn−k(Y ), bzw.

cn(Y ) = cn(X) + cn(B)− cn(A), bzw.

cn(Y ) = d · cn(X).

Daraus folgen dann die entsprechenden Zusammenhange zwischen den Euler-Charak-teristiken.

Beispiel 4.57.– Fur alle n ∈ N>0 ist

χ((S1)n

)=(χ(S1)

)n= 0.

– Ist X ein endlicher CW-Komplex mit χ(X) 6= 0, so gibt es keinen endlichenCW-Komplex Y mit

X 'Top S1 × Y.

Tatsachlich gilt dies noch viel allgemeiner (fur gewisse nicht-triviale S1-Ope-rationen), wie man zum Beispiel mithilfe von L2-Betti-Zahlen (Bemerkung 4.55)sehen kann.

– Gibt es eine endliche Uberlagerung einer Flache mit”g Henkeln“ durch eine

Flache mit”h-Henkeln“, so folgt (Beispiel 4.49)

1− g | 1− h.

(Die Umkehrung gilt auch.)– Ist G eine Gruppe, fur die es einen endlichen CW-Komplex X vom Typ K(G, 1)

gibt, so konnen wir die Euler-Charakteristik der Gruppe G durch

χ(G) = χ(X)

definieren (und dies ist wohldefiniert). Die obigen Vererbungseigenschaften furdie Euler-Charakteristik endlicher CW-Komplexe ubersetzen sich dann in ent-sprechende Vererbungseigenschaften fur die Euler-Charakteristik solcher Grup-pen.

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Af

//

ϕ ∼=

A

ϕ∼=

Rd ⊕ T //___ Rd ⊕ T

Proj

Rdf

//_____

Inkl

OO

Rd

Abbildung (4.60): Spur von Endomorphismen uber Hauptidealringen

Dass Wechselsummen (wie in der Definition der Euler-Charakteristik) bessere topo-logische Invarianzeigenschaften besitzen als die entsprechenden vorzeichenlosen Vari-anten, ist ein allgemeines Prinzip der Topologie und spielt zum Beispiel auch bei derLefschetz-Zahl und Indexsatzen eine Rolle.

Definition 4.58 (Lefschetz-Zahl fur zellulare Selbstabbbildungen von endlichen CW–Komplexen). Sei X ein endlicher CW-Komplex und sei f : X −→ X zellular. Dann ist(die endliche Summe)

Λ(f) :=∑n∈N

(−1)n · trZ CH∗( · ;Z)n (f)

die Lefschetz-Zahl von f .

Bemerkung 4.59 (Spur uber Hauptidealringen). Sei R ein Hauptidealring, sei A einendlich erzeugter R-Modul und sei f : A −→ A ein R-Homomorphismus. Nach demHauptsatz uber endlich erzeugte Moduln uber Hauptidealringen, gibt es ein d ∈ N undeinen R-Torsionsmodul T und einen R-Isomorphismus

ϕ : A −→ Rd ⊕ T.

Dann definiert man die Spur von f durch

trR f := trRMf ∈ R,

wobei Mf ∈ Md×d(R) die Matrix zu f bezuglich der Standardbasis von Rd ist und

f : Rd −→ Rd wie im Diagramm in Abbildung (4.60) definiert ist. Diese Definitionist (wegen der Spureigenschaft der Matrizenspur) tatsachlich unabhangig vom obigenIsomorphismus ϕ.

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Beispiel 4.61. Ist X ein endlicher CW-Komplex, so ist

Λ(idX) =∑n∈N

(−1)n · trZ CH∗( · ;Z)n (idX)

=∑n∈N

(−1)n · trZ idC

H∗( · ;Z)n (X)

=∑n∈N

(−1)n · rkZ CH∗( · ;Z)n (X)

=∑n∈N

(−1)n · cn(X)

= χ(X).

Wie die Euler-Charakteristik konnen auch Lefschetz-Zahlen uber Homologie berech-net werden:

Satz 4.62 (Lefschetz-Zahl via Homologie). Sei X ein endlicher CW-Komplex und seif : X −→ X zellular.

1. Ist R ein Hauptidealring, so gilt

Λ(f) =∑n∈N

(−1)n · trRHn(f ;R)

in R (bzw. in Z/(charR)).2. Insbesondere ist die Lefschetz-Zahl homotopieinvariant, d.h.: Ist g : X −→ X

zellular und f 'Top g, so giltΛ(g) = Λ(f).

Beweisskizze. Der zweite Teil folgt direkt aus dem ersten Teil. Den ersten Teil kannman analog zum Fall der Euler-Charakteristik mithilfe einer geeigneten Additivitatder Spur bzgl. kurzer exakter Sequenzen zeigen; zu beachten ist dabei, dass wegenBemerkung 4.24 in R bzw. in Z/(charR)

trR CH∗( · ;R)n (f) = trZ C

H∗( · ;Z)n (f)

fur alle n ∈ N gilt.

Analog zur Euler-Charakteristik erfullt auch die Lefschetz-Zahl entsprechende Ver-erbungseigenschaften. Außerdem hat auch die Lefschetz-Zahl die Spureigenschaft.

Eine interessante Eigenschaft der Lefschetz-Zahl ist der folgende Bezug zur Existenzvon Fixpunkten:

Satz 4.63 (Lefschetzscher Fixpunktsatz). Sei X ein endlicher CW-Komplex und seif : X −→ X zellular.

1. Hat f keine Fixpunkte, so gilt Λ(f) = 0.2. Bzw.: Ist Λ(f) 6= 0, so besitzt f mindestens einen Fixpunkt in X.

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Beweisskizze. Es genugt, den ersten Teil zu zeigen. Endliche CW-Komplexe sind me-trisierbar; sei etwa d : X ×X −→ R≥0 eine Metrik, die die Topologie auf X induziert.Da X als endlicher CW-Komplex kompakt ist und f : X −→ X keine Fixpunkte hat,gibt es ein ε ∈ R>0 mit

∀x∈X d(f(x), x

)> 3 · ε.

Man kann nun eine endliche CW-Struktur X ′ auf X finden, deren offene Zellen Durch-messer kleiner als ε haben; außerdem gibt es eine zellulare Abbildung g : X ′ −→ X ′

– die (in Top) homotop zu f ist– und folgende Eigenschaft erfullt: Fur alle offenen Zellen e von X ′ ist

g(e) ∩ e = ∅.

Mit Satz 4.62 folgt aus der ersten Eigenschaft Λ(f) = Λ(g). Die zweite Eigenschaftliefert zusammen mit Proposition 4.22, dass CH∗( · ;Z)(g) durch Matrizen dargestelltwird, deren Diagonaleintrage alle 0 sind; insbesondere haben diese Matrizen Spur 0.Damit folgt Λ(g) = 0, und damit auch Λ(f) = 0.

Korollar 4.64 (Brouwerscher Fixpunktsatz, zellular). Sei n ∈ N und sei f : Dn −→Dn bezuglich einer endlichen CW-Struktur auf Dn zellular. Dann folgt mit Satz 4.62und Satz 3.18

Λ(f) =∑k∈N

(−1)k · trZHk(f ;Z)

= trZH0(f ;Z)

= trZ idH0(Dn;Z)

= 1.

Nach dem Lefschetzschen Fixpunktsatz hat f somit mindestens einen Fixpunkt.

Bemerkung 4.65 (freie Operationen auf Spharen). Außerdem kann man mit demLefschetzschen Fixpunktsatz zum Beispiel auch zeigen, dass eine endliche Gruppe, diefrei auf einer geradedimensionalen Sphare operiert, trivial oder isomorph zu Z/2 ist.

4.5. Homotopietheorie von CW-Komplexen

Wir geben nun eine kurze Zusammenfassung (ohne Beweise) uber die wichtigsten ele-mentaren homotopietheoretischen Eigenschaften von CW-Komplexen. Dabei untersu-chen wir die folgenden Fragen:

– Wie kann man uberprufen, ob CW-Komplexe homotopieaquivalent sind? Insbe-sondere suchen wir hinreichende Kriterien fur Homotopieaquivalenz.

– Wie kann man allgemeine Raume/Abbildungen durch CW-Komplexe bzw. zel-lulare Abbildungen approximieren?

Da CW-Komplexe induktiv aus Zellen zusammengebaut sind, wissen Homotopie-gruppen (fast) alles uber den Homotopietyp von CW-Komplexen:

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Satz 4.66 (Satz von Whitehead fur Homotopiegruppen). Seien X und Y CW-Komplexeund sei f : X −→ Y eine stetige Abbildung. Dann sind folgende Aussagen aquivalent:

1. Die Abbildung f : X −→ Y ist eine Homotopieaquivalenz in Top.2. Die Abbildung f : X −→ Y ist eine schwache Homotopieaquivalenz, d.h. fur

alle x0 ∈ X und alle n ∈ N ist

πn(f) : πn(X,x0) −→ πn(Y, f(x0)

)bijektiv.

3. Fur alle CW-Komplexe Z ist

[Z,X] −→ [Z, Y ]

[g] 7−→ [f g]

bijektiv.

Beweisskizze.1 =⇒ 2 Dies folgt aus der (unpunktierten!) Homotopieinvarianz der Homotopiegrup-

pen.2 =⇒ 3 Dies ist der komplizierteste Teil des Beweises und beruht auf einer induk-

tiven Konstruktion; grob gesagt, funktioniert dies, da CW-Komplexe induktivaus Zellen zusammengesetzt sind, und die Homotopiegruppen diese Informationhinreichend gut zur Verfugung stellen.

3 =⇒ 1 Dies ist ein allgemeines Argument (Yoneda-Trick): man setzt einfach Z = Yals Testraum ein und betrachtet das Urbild von [idY ].

Caveat 4.67. Es genugt nicht, nur abstrakte Isomorphismen zwischen den Homoto-piegruppen zu haben; es ist wichtig, dass diese Isomorphismen von stetigen Abbildun-gen induziert werden. Zum Beispiel zeigt Uberlagerungstheorie, dass RP 2 × S3 undS2 × RP 3 isomorphe Homotopiegruppen haben; mithilfe zellularer Homologie kannman aber zeigen, dass

H5(RP 2 × S3;Z) ∼= 0 6∼= Z ∼= H5(S2 × RP 3;Z)

gilt. Insbesondere sind RP 2 × S3 und S2 × RP 3 nicht homotopieaquivalent.

Korollar 4.68 (Satz von Whitehead fur Homologie). Seien X und Y einfach zusam-menhangende CW-Komplexe und sei f : X −→ Y stetig. Dann sind aquivalent:

1. Die Abbildung f : X −→ Y ist eine Homotopieaquivalenz in Top.2. Fur alle n ∈ Z ist Hn(f ;Z) : Hn(X;Z) −→ Hn(Y ;Z) ein Isomorphismus.

Beweis.1 =⇒ 2 Dies folgt aus der Homotopieinvarianz von singularer Homologie.2 =⇒ 1 Dies folgt zusammen mit dem Satz von Hurewicz fur Abbildungen (Satz 4.66)

aus dem Satz von Whitehead fur Homotopiegruppen (Satz 3.85).

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Abbildung (4.69): der Warschauer Kreis

Beispiel 4.70 (Warschauer Kreis). Der Warschauer Kreis (Abbildung (4.69))

S :=

(x, sin(2 · π/x))∣∣ x ∈ (0, 1]

∪(1 × [−2, 0]

)∪([0, 1]× −2

)∪(0 × [−2, 1]

)mit der Teilraumtopologie von R2 ist

– nicht kontraktibel,– aber die konstante Abbildung S −→ • induziert fur alle n ∈ Z Isomorphis-

men Hn(S;Z) −→ Hn(•;Z),– und S ist einfach zusammenhangend.

Mit Korollar 4.68 erhalten wir somit, dass S nicht zu einem CW-Komplex homoto-pieaquivalent sein.

Beispiel 4.71 (Homologie-Spharen). Sei n ∈ N>0. Ein topologischer Raum X ist eineHomologie-n-Sphare, wenn

∀k∈Z Hk(X;Z) ∼=

Z falls k ∈ 0, n0 falls k ∈ Z \ 0, n

∼= Hk(Sn;Z)

gilt. Beispiele sind Spharen und etwa auch die sogenannte Poincare-Sphare (eine Homo-logie-3-Sphare, die nicht einfach zusammenhangend, aber eine dreidimensionale kom-pakte Mannigfaltigkeit ohne Rand ist).

Die Poincare-”

Vermutung“ besagt: Ist M eine kompakte Mannigfaltigkeit der Di-mension n ohne Rand und gilt M 'Top S

n, so ist M bereits zu Sn homoomorph.Die Poincare-Vermutung wurde mittlerweile in allen Dimensionen bestatigt:– In den Dimensionen ≤ 2 folgt dies aus der (klassischen) Klassifikation der kom-

pakten Mannigfaltigkeiten ohne Rand in diesen Dimensionen.– In den Dimensionen ≥ 5 wurde dies mithilfe von Chirurgie-Theorie gezeigt

(Fields-Medaille 1966 fur Smale).– In Dimension 4 wurde dies mit einer Verfeinerung von Chirurgie-Theorie gezeigt

(Fields-Medaille 1986 fur Freedman).– In Dimension 3 wurde dies mithilfe von Methoden aus der riemannschen Geome-

trie (mit dem sogenannten Ricci-Fluss) gezeigt (Fields-Medaille 2006 fur Perel-man (der diese abgelehnt hat)).

Obwohl nicht jeder topologische Raum zu einem CW-Komplex homotopieaquivalentist, gibt es dennoch einen starken homotopietheoretischen Bezug zwischen allgemeinentopologischen Raumen und CW-Komplexen:

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Satz 4.72 (zellulare Approximation). Seien X und Y CW-Komplexe.1. Ist f : X −→ Y stetig, so gibt es eine zellulare Abbildung f ′ : X −→ Y mit

f 'Top f′.

2. Sind f, g : X −→ Y zellulare Abbildungen und gilt f 'Top g, so sind f und gbereits zellular homotop.

Beweisskizze. Der erste Teil folgt aus einer induktiven Konstruktion uber die Skelet-te (dabei ist essentiell, dass sich die Homotopiegruppen der Skelette Xn und X inniedrigen Graden nicht unterscheiden).

Der zweite Teil folgt, indem man eine geeignete relative Version des ersten Teils aufHomotopien anwendet.

Korollar 4.73 (alternative Beschreibung CWh). Sind X und Y CW-Komplexe, so gilt

MorCWh(X,Y ) =

f ∈ map(X,Y )

∣∣ f ist zellular /'CW

= map(X,Y )/'Top .

Satz 4.74 (CW-Approximation).1. Sei X ein topologischer Raum. Dann existiert ein CW-Komplex Y und eine

schwache Homotopieaquivalenz f : Y −→ X; man nennt ein solches Paar (Y, f)eine CW-Approximation von X.Ist n ∈ N und ist X ein n-zusammenhangender Raum, so kann man eine CW-Approximation (Y, f) von X finden, die Yn = • erfullt.

2. Sind X, X ′ topologische Raume, sind (Y, f) bzw. (Y ′, f ′) CW-Approximationenvon X bzw. X ′ und ist g : X −→ X ′ stetig, so gibt es eine (bis auf zellulareHomotopie eindeutige) zellulare Abbildung g : Y −→ Y ′ mit

g f 'Top f′ g.

Beweisskizze. Der Beweis beruht auf einer induktiven Konstruktion der CW-Approxi-mation (bzw. von zellularen Abbildungen dazwischen); diese induktive Konstruktionverlauft ahnlich zur Konstruktion von Eilenberg-MacLane-Raumen in der VorlesungAlgebraische Topologie I.

Als direkte Konsequenzen aus diesem Satz erhalten wir:

Korollar 4.75 (CW-Approximation als Funktor). Es gibt einen (bis auf naturlicheIsomorphismen eindeutigen) Funktor

A : Toph −→ CWh

mit folgenden Eigenschaften:

– Die Komposition CWh// Toph

A // CWh ist die Identitat, wobei der linke

Funktor durch Vergessen der CW-Struktur gegeben ist.– Sind X und Y schwach homotopieaquivalente topologische Raume, so gilt

A(X) = A(Y ).

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5. Ausblick

Zum Abschluss geben wir noch einen kurzen Ausblick zu weiterfuhrenden Themen undoffenen Fragen, mit denen wir uns bisher noch nicht beschaftigen konnten:

– Konnen wir singulare Homologie so verfeinern, dass wir graduierte Algebren stattgraduierten Moduln erhalten?

– Wie verhalt sich (Ko)Homologie (topologisch und algebraisch) bezuglich gewissenalgebraischen Operationen?

– Gibt es (Ko)Homologietheorien, die sich essentiell von singularer (Ko)Homologieunterscheiden?

– Welche besonderen Eigenschaften hat singulare (Ko)Homologie von Mannigfal-tigkeiten?

– Wie kann man (Ko)Homologie topologischer Raume einsetzen, um Gruppentheo-rie besser zu verstehen?

5.1. Produktstrukturen

Wir haben bisher Homologietheorien auf topologischen Raumen betrachtet; diese lie-fern graduierte Moduln. Außer den Verbindungshomomorphismen kennen wir jedochnoch keinen Bezug zwischen den Moduln in den einzelnen Graden.

Frage 5.1. Konnen wir singulare Homologie so verfeinern, dass wir graduierte Alge-bren statt graduierten Moduln erhalten?

Auf singularer Homologie geht dies nicht auf sinnvolle Art und Weise. Man kannaber die Konstruktion dualisieren (dies liefert sogenannte singulare Kohomologie) unddann zeigen, dass diese Theorie eine entsprechende Produktstruktur besitzt: Ist R einRing mit Eins, so definiert man

H∗( · ;R) := H∗(HomZ

(C( · ;Z), R

)).

Durch das Dualisieren wird jedoch die Richtung der Morphismen”umgedreht“, d.h.

man erhalt einen kontravarianten Funktor, keinen kovarianten. Im Fall von Mannigfal-tigkeiten ist diese Theorie (mit R-Koeffizienten) mit de Rham-Kohomologie verwandt.

Die zusatzliche Produktstruktur auf H∗( · ;R) ist in vielen Fallen außerst nutzlich(zum Beispiel bei reell- oder komplex-projektiven Raumen), insbesondere im Zusam-menhang mit Konfigurationsraumen in der Robotik.14

5.2. Universelle Koeffizienten

Frage 5.2. Wie verhalt sich (Ko)Homologie (topologisch und algebraisch) bezuglichgewissen algebraischen Operationen?

Genauer betrachten wir die Fragen in Abbildung (5.3); dabei sei R ein Ring mitEins, X und Y seien topologische Raume und C und D seien Z-Kettenkomplexe.

14M. Farber. Topological Robotics, 2007. http://agt.cie.uma.es/∼cata/robotics.pdf

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topologisch algebraisch

(Wie) Kann man H∗(X;R) ausH∗(X;Z) berechnen? Und umgekehrt??

(Wie) Kann man H∗(C ⊗Z R) ausH∗(C) berechnen?

(Wie) Kann man H∗(X × Y ;Z) ausH∗(X;Z) und H∗(Y ;Z) berechnen?

(Wie) Kann man H∗(C ⊗Z D) ausH∗(C) und H∗(D) berechnen?

Was hat C(X × Y ) mit C(X)⊗Z C(Y )zu tun?

(Wie) Kann man H∗(X;Z) ausH∗(X;Z) berechnen?

(Wie) Kann man H∗(HomZ(C,Z)) ausH∗(C) berechnen?

Abbildung (5.3): Vererbungseigenschaften von (Ko)Homologie?

Bei all diesen Fragen stoßen wir auf dasselbe Problem: Tensorprodukt- und Hom-Funktoren bilden im allgemeinen exakte Sequenzen nicht auf exakte Sequenzen ab undsind daher im allgemeinen nicht mit Homologie vertraglich.

Dieses Problem lasst sich mit dem Hilfsmittel der sogenannten abgeleiteten Funkto-ren aus der homologischen Algebra behandeln.

5.3. Weitere (Ko)Homologietheorien

Frage 5.4. Gibt es (Ko)Homologietheorien, die sich essentiell von singularer (Ko)Ho-mologie unterscheiden?

Zwei prominente Beispiele dafur sind die Bordismustheorien (Homologietheorien)und topologische K-Theorie (Kohomologietheorie; kovariante Version davon: K-Homo-logie topologischer Raume).

Wir skizzieren kurz die Definition von unorientiertem Bordismus: Die grundlegendeIdee hinter Bordismus ist, (singulare) Simplizes und ihre Rander durch (singulare,glatte) Mannigfaltigkeiten und ihre Rander zu ersetzen:

– Ist X ein topologischer Raum und n ∈ N, so definieren wir

ΩOn (X) :=

(M,f)

∣∣M geschlossene n-Mannigfaltigkeit, f ∈ map(M,X) /∼ .

Eine Mannigfaltigkeit heißt geschlossen, wenn sie kompakt ist und ihr Randleer ist. Die Aquivalenzrelation

”∼“ ist dabei wie folgt definiert: Sind M , M ′

geschlossene n-Mannigfaltigkeiten und sind f ∈ map(M,X), f ′ ∈ map(M ′, X),so schreiben wir (M,f) ∼ (M ′, f ′), wenn es eine (n+ 1)-dimensionale kompakteMannigfaltigkeit W mit Rand ∂W und eine stetige Abbildung F : W −→ X mitfolgenden Eigenschaften gibt (Abbildung (5.5)):

– Es ist ∂W = B tB′

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M ∼= B

M ′ ∼= B′

W X

f

f ′

F

Abbildung (5.5): Bordismus uber X, schematisch

– und es gibt Homoomorphismen b : M −→ B und b′ : M ′ −→ B′ mit

f = F b und f ′ = F b′.

In diesem Fall sind (M,f) und (M ′, f ′) uber X bordant und (W,F ) ist ein ent-sprechender Bordismus zwischen (M,f) und (M ′, f ′). Die obige Relation

”∼“

ist tatsachlich eine Aquivalenzrelation (Transitivitat folgt durch Verklebung vonBordismen entlang von Randkomponenten).

– Auf ΩOn (X) betrachten wir die Verknupfung, die reprasentantenweise durch dis-

junkte Vereinigung gegeben ist. Dies macht ΩOn (X) zu einer abelschen Gruppe.

– Ist g : X −→ Y stetig, so ist

ΩOn (X) −→ ΩO

n (Y )

[M,f ] 7−→ [M, g f ]

ein Gruppenhomomorphismus. Dadurch wird ΩOn zu einem Funktor

ΩOn : Top −→ Ab .

Man kann diese Definition (mithilfe von Mannigfaltigkeiten mit Rand/Ecken) auchauf Raumpaare erweitern; durch Bildung des topologischen Randes erhalt man passen-de Verbindungshomomorphismen und klassische Methoden (der Differentialtopologie)zeigen, dass man so eine Homologietheorie bekommt. Und ΩO

∗ (•) besitzt sogar einegeeignete Produktstruktur (gegeben durch reprasentantenweises Produkt von Man-nigfaltigkeiten).

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Abbildung (5.7): Ein Blorxismus (uber •) zwischen S1 und S1

Beispiel 5.6.– Das neutrale Element der Bordismusgruppen ist durch [∅, ∅] gegeben.– Sei X ein topologischer Raum, sei n ∈ N und sei [M,f ] ∈ ΩO

n (X). Dann zeigtder Zylinder M × [0, 1] zusammen mit

M × [0, 1] −→ X

(x, t) 7−→ f(x),

dass [M,f ] + [M,f ] = 0 ∈ ΩOn (X). Also konnen wir ΩO

n (X) als Vektorraumuber Z/2 auffassen.

– Ist X ein wegzusammenhangender Raum, so ist

ΩO0 (X) ∼= Z/2.

– Die Koeffizienten, d.h. die Gruppen (ΩOn (•))n∈N sind fur alle n ∈ N bekannt. Zum

Beispiel gilt ΩO1 (•) ∼= 0; dies kann man sich leicht uberlegen – es ist jedoch zu be-

achten, dass Bordismen zwischen eindimensionalen Mannigfaltigkeiten durchausbereits

”kompliziert“ sein konnen (Abbildung (5.7)). Außerdem ist ΩO

2 (•) ∼= Z/2(wobei diese Gruppe von RP 2 erzeugt wird); dies zu zeigen erfordert jedochtiefere Methoden.

Es stellt sich heraus, dass unorientierter Bordismus und singulare Homologie sehrnahe miteinander verwandt sind: Fur alle topologischen Raume X und alle n ∈ N giltnamlich (als Tensorprodukt von graduierten Moduln)

ΩOn (X) ∼=

⊕k∈0,...,n

Hk(X;Z/2)⊗Z/2 ΩOn−k(X)

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(dies ist jedoch nicht offensichtlich). Signifikant verschieden davon ist jedoch der soge-nannte orientierte Bordismus ΩSO, der uber sogenannte orientierte Mannigfaltigkeitendefiniert wird.

Topologische K-Theorie ist eine Kohomologietheorie, die uber Aquivalenzklassenvon Vektorbundeln uber topologischen Raumen definiert ist; diese Theorie ist 2-perio-disch (via Bott-Periodizitat) und daher keine gewohnliche Kohomologietheorie. Auchdiese Theorie ist signifikant von singularer Kohomologie verschieden.

Sowohl fur die Bordismustheorien als auch fur topologische K-Theorie gibt es alter-native homotopietheoretische Beschreibungen. Aus dieser Erkenntnis hat sich stabileHomotopietheorie und damit die Theorie der Spektren15 entwickelt. Tatsachlich stelltsich heraus, dass alle (Ko)Homologietheorien eine solche homotopietheoretische Be-schreibung zulassen (Brownscher Darstellungssatz ).

5.4. (Ko)Homologie von Mannigfaltigkeiten

Frage 5.8. Welche besonderen Eigenschaften hat singulare (Ko)Homologie von Man-nigfaltigkeiten?

Sei M eine kompakte n-dimensionale Mannigfaltigkeit ohne Rand.– Dann gibt es eine topologische Beschreibung des Orientierbarkeitsbegriffs fur M

durch H∗(M ;Z), der dem geometrischen Orientierbarkeitsbegriff entspricht. IstM orientierbar, so ist

Hn(M ;Z) ∼= Z.

Wahlt man eine Orientierung auf M , so erhalt man einen entsprechenden Erzeu-ger [M ]Z ∈ Hn(M ;Z), die Fundamentalklasse von M . Ist M triangulierbar, sokann man die Fundamentalklasse [M ]Z auch durch Triangulierungen beschreiben.

– Insbesondere gibt es fur orientierte kompakte Mannigfaltigkeiten ohne Rand ei-ne entsprechende Theorie fur Abbildungsgrade. Im glatten Fall kann dies auchdifferentialtopologisch beschrieben werden.

– Fur alle k ∈ Z gibt es einen Isomorphismus

· ∩ [M ]Z : Hk(M ;Z) −→ Hn−k(M ;Z).

Dieses Phanomen wird als Poincare-Dualitat bezeichnet und hat weitreichendeKonsequenzen fur die Topologie und Geometrie von Mannigfaltigkeiten. AuchPoincare-Dualitat besitzt im glatten Fall eine explizite differentialtopologischeBeschreibung (Abbildung (5.9)).

5.5. (Ko)Homologie von Gruppen

Frage 5.10. Wie kann man (Ko)Homologie topologischer Raume einsetzen, um Grup-pentheorie besser zu verstehen?

15nicht die Spektren aus der Funktionalanalysis oder der algebraischen Geometrie . . .

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Abbildung (5.9): Die Zykel, die dem roten bzw. blauen Kreis entsprechen, sind durchPoincare-Dualitat miteinander verbunden

Mithilfe der sogenannten Eilenberg-MacLane-Raume vom Typ K( · , 1) erhalten wireinen Funktor Group −→ Toph (bzw. punktierte Versionen davon), der ein einseiti-ges Inverses zum Fundamentalgruppenfunktor liefert. Somit erhalten wir durch Ver-knupfung mit singularer (Ko)Homologie (Ko)Homologie von Gruppen. Diese Theoriebesitzt außerdem auch eine algebraische Beschreibung (durch abgeleitete Funktoren).Dieses Zusammenspiel zwischen Topologie und Algebra hat in der Gruppentheorie zumBeispiel die folgenden Anwendungen:

– Endlichkeitsbegriffe in der Gruppentheorie, die”endlich erzeugt“ und

”endlich

prasentiert“ verfeinern.– Beschreibung/Klassifikation von Erweiterungen von Gruppen (mit abelschem

Kern).– Welche Gruppen konnen frei (und eigentlich) auf Sphare operieren?– . . .

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A. Grundbegriffe aus der mengentheoretischen Topologie

Wir sammeln die wichtigsten Grundbegriffe und Aussagen aus der mengentheoreti-sche Topologie aus den Grundvorlesungen. Detailliertere Erklarungen, sowie Beispielefinden sich in allen Buchern uber mengentheoretische Topologie.

A.1. Topologische Raume

Die Grundidee topologischer Raume ist, Nahe nicht durch Abstande, sondern durchSysteme von Teilmengen auszudrucken – den sogenannten offenen Mengen:

Definition A.1 (topologischer Raum, Topologie). Ein topologischer Raum ist einPaar (X,T ), wobei X eine Menge und T eine Topologie auf X ist, d.h. T ist eineTeilmenge der Potenzmenge P (X) von X mit folgenden Eigenschaften:

– Es ist ∅ ∈ T und X ∈ T .– Ist U ⊂ T , so ist

⋃U ∈ T .

– Ist U ⊂ T endlich, so ist⋂U ∈ T .

Die Elemente von T heißen offene Mengen (bezuglich T ); ist A ⊂ X und X \ A ∈ T ,so heißt A abgeschlossen (bezuglich T ).

Warum man gerade diese Axiome fur offene Mengen betrachtet, kann man gut an-hand des Beispiels metrischer Raume illustrieren:

Proposition A.2 (die von einer Metrik induzierte Topologie). Sei (X, d) ein metri-scher Raum. Dann ist

T :=U ⊂ X

∣∣ ∀x∈U ∃ε∈R>0U(x, ε) ⊂ U

eine Topologie auf X. Man nennt T die von d auf X induzierte Topologie. Dabeiverwenden wir fur x ∈ X und ε ∈ R>0 die Notation

U(x, ε) :=y ∈ X

∣∣ d(y, x) < ε.

Bemerkung A.3.– Der Begriff offener Mengen bezuglich der Standardmetrik auf R stimmt also mit

dem Begriff aus der Analysis I uberein.– Die von der euklidischen Metrik auf Rn induzierte Topologie auf Rn heißt Stan-

dardtopologie auf Rn.– Ist (X, d) ein metrischer Raum, ist x ∈ X und ist ε ∈ R>0, so ist U(x, ε) in X

offen. D.h. offene Balle sind tatsachlich offene Mengen bezuglich der von derMetrik induzierten Topologie.

– Analog zum Fall von Teilmengen von R kann Abgeschlossenheit in metrischenRaumen auch durch Konvergenz von Folgen ausgedruckt werden. Daraus folgt,dass abgeschlossene Balle tatsachlich bezuglich der von der Metrik induziertenTopologie abgeschlossen sind.

Caveat A.4. Nicht jeder topologische Raum ist metrisierbar! (Korollar A.26).

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Bemerkung A.5 (Klumpentopologie, diskrete Topologie). Sei X eine Menge.– Dann ist ∅, X eine Topologie auf X, die sogenannte Klumpentopologie auf X.– Außerdem ist P (X) eine Topologie auf X, die sogenannte diskrete Topologie

auf X; iese stimmt mit der von der diskreten Metrik induzierten Topologie ube-rein.

Zwei elementare Konstruktionen topologischer Raume sind Teilraume und Produkte:

Bemerkung A.6 (Teilraumtopologie). Sei (X,T ) ein topologischer Raum und Y ⊂X. Dann ist

U ∩ Y | U ∈ Teine Topologie auf Y , die sogenannte Teilraumtopologie. Ist T auf X von einer Metrik dauf X induziert, so stimmt die Teilraumtopologie auf Y mit der von d auf Y induziertenMetrik induzierten Topologie uberein.

Bemerkung A.7 (Produkttopologie). Seien (X,TX) und (Y, TY ) topologische Raume.Dann ist

U ⊂ X × Y∣∣ ∀x∈U ∃UX∈TX

∃UY ∈TYx ∈ UX × UY ⊂ U

eine Topologie auf X × Y , die sogenannte Produkttopologie.

Die Standardtopologie auf R2 = R× R stimmt dabei mit der Produkttopologie derStandardtopologie auf R uberein. Die Produkttopologie erfullt auch die universelleEigenschaft des Produkts im kategorientheoretischen Sinne.

Außerdem ist es oft nutzlich, die folgenden Begriffe zur Verfugung zu haben:

Definition A.8 ((offene) Umgebung). Sei (X,T ) ein topologischer Raum und x ∈ X.– Eine Teilmenge U ⊂ X ist eine offene Umgebung von x, wenn U offen ist undx ∈ U ist.

– Eine Teilmenge U ⊂ X ist eine Umgebung von x, wenn es eine offene Umge-bung V ⊂ X von x mit V ⊂ U gibt.

Definition A.9 (Abschluss, Inneres, Rand). Sei (X,T ) ein topologischer Raum undsei Y ⊂ X.

– Das Innere von Y ist

Y :=⋃U | U ∈ T und U ⊂ Y .

D.h. Y ist die (bezuglich Inklusion) großte in X offene Menge, die in Y enthaltenist.

– Der Abschluss von Y ist

Y :=⋂A | X \A ∈ T und Y ⊂ A.

D.h. Y ist die (bezuglich Inklusion) kleinste in X abgeschlossene Menge, die Yenthalt.

– Der Rand von Y ist∂Y := Y ∩ (X \ Y ).

A.2

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A.2. Stetige Abbildungen

Stetige Abbildungen spielen die Rolle der strukturvertraglichen Abbildungen in derWelt der topologischen Raume:

Definition A.10 (stetig). Seien (X,TX) und (Y, TY ) topologische Raume. Eine Ab-bildung f : X −→ Y ist stetig (bezuglich TX und TY ), wenn

∀U∈TYf−1(U) ∈ TX ,

d.h., wenn Urbilder offener Mengen offen sind.

Bemerkung A.11.– Fur Abbildungen vom Typ X −→ R mit X ⊂ R stimmt dieser Begriff von

Stetigkeit mit dem aus der Analysis I uberein.– Dasselbe Argument uber das ε-δ-Kriterium zeigt: Fur Abbildungen zwischen

metrischen Raumen stimmt dieser Begriff von Stetigkeit mit dem bereits zuvordefinierten uberein.

– Sei X eine Menge und seien T bzw. T ′ Topologien auf X. Dann ist die IdentitatidX : (X,T ) −→ (X,T ′) genau dann stetig, wenn T ′ ⊂ T ist, d.h. wenn T ′ groberals T ist.

– Die Abbildungen +, ·,− : R2 −→ R und / : R × (R \ 0) −→ R sind bezuglichder Standardtopologie stetig.

– Ist (X,T ) ein topologischer Raum und Y ⊂ X, so ist die Inklusion Y → Xbezuglich der Teilraumtopologie auf Y stetig.

– Konstante Abbildungen sind stetig.

Proposition A.12 (Vererbungseigenschaften stetiger Abbildungen). Seien (X,TX),(Y, TY ) und (Z, TZ) topologische Raume und seien f : X −→ Y und g : Y −→ ZAbbildungen.

1. Sind f und g stetig, so ist auch g f : X −→ Z stetig.2. Ist f stetig und ist A ⊂ X, so ist auch die Einschrankung f |A : A −→ Y stetig

(bezuglich der Teilraumtopologie auf A).3. Die Abbildung f : X −→ Y ist genau dann stetig, wenn f : X −→ f(X) bezuglich

der Teilraumtopologie auf f(X) stetig ist.

Proposition A.13 (Verkleben stetiger Funktionen). Seien (X,TX) und (Y, TY ) topo-logische Raume, seien A,B ⊂ X abgeschlossene Teilmengen mit A∪B = X und seienf : A −→ Y und g : B −→ Y stetige Abbildungen (bezuglich der Teilraumtopologieauf A bzw. B) mit f |A∩B = g|A∩B. Dann ist die (wohldefinierte) Abbildung

f ∪A∩B g : X −→ Y

x 7−→

f(x) falls x ∈ A,g(x) falls x ∈ B

stetig.

Der Isomorphiebegriff in der Kategorie der topologischen Raume ist Homoomorphie:

A.3

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Definition A.14 (Homoomorphismus). Seien (X,TX) und (Y, TY ) topologische Raume.Eine Abbildung f : X −→ Y ist ein Homoomorphismus, wenn sie stetig ist und es einestetige Abbildung g : Y −→ X mit g f = idX und f g = idY gibt. Falls es einenHomoomorphismus X −→ Y gibt, heißen X und Y homoomorph.

Caveat A.15. Nicht jede stetige bijektive Abbildung ist ein Homoomorphismus!

Anschaulich gesprochen sind topologische Raume genau dann homoomorph, wennman sie durch

”verbiegen“ und

”aufblasen/schrumpfen“ ineinander uberfuhren kann,

ohne zu”schneiden“ oder zu

”kleben“.

A.3. (Weg-)Zusammenhang

Einer der zentralen Satze uber stetige Funktionen vom Typ [0, 1] −→ R ist der Zwi-schenwertsatz. Im allgemeineren Kontext der topologischen Raume kann man diesesPhanomen durch die Begriffe Wegzusammenhang und Zusammenhang beschreiben.

Definition A.16 (Weg, wegzusammenhangend). Sei (X,T ) ein topologischer Raum.– Ein Weg in X ist eine stetige Abbildung γ : [0, 1] −→ X (bezuglich der Standard-

topologie auf [0, 1] ⊂ R). Man nennt γ(0) den Startpunkt und γ(1) den Endpunktvon γ. Der Weg γ heißt geschlossen, wenn γ(0) = γ(1) ist.

– Der Raum X ist wegzusammenhangend, wenn folgendes gilt: Fur alle x, y ∈ Xgibt es einen Weg γ : [0, 1] −→ X mit γ(0) = x und γ(1) = y.

Bemerkung A.17.– Das Einheitsintervall ist (bezuglich der Standardtopologie) wegzusammenhangend.– Ist n ∈ N, so ist Rn wegzusammenhangend (bezuglich der Standardtopologie).– Ist X eine Menge mit |X| ≥ 2, so ist X bezuglich der diskreten Topologie nicht

wegzusammenhangend.

Proposition A.18 (Stetigkeit und Wegzusammenhang). Seien (X,TX) und (Y, TY )topologische Raume und sei f : X −→ Y stetig. Ist X wegzusammenhangend, so istauch f(X) bezuglich der Teilraumtopologie wegzusammenhangend.

Insbesondere gilt: Sind X und Y homoomorph, so ist X genau dann wegzusam-menhangend, wenn Y wegzusammenhangend ist. Mit anderen Worten: Wegzusammen-hang ist eine topologische Invariante.

Zum Beispiel kann man diese Eigenschaft (und einen kleinen Trick) verwenden, umzu zeigen, dass R nur dann zu Rn homoomorph ist (bezuglich der Standardtopologie),wenn n = 1 ist.

Eine Abschwachung des Wegzusammenhangsbegriffs ist Zusammenhang:

Definition A.19 (zusammenhangend). Ein topologischer Raum (X,TX) ist zusam-menhangend, wenn folgendes gilt: Fur alle U, V ∈ TX mit U ∩ V = ∅ und U ∪ V = Xist bereits U = ∅ oder V = ∅. (D.h. X lasst sich nur trivial in offene Mengen zerlegen).

Bemerkung A.20. Das Einheitsintervall [0, 1] ist bezuglich der Standardtopologiezusammenhangend.

A.4

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Proposition A.21 (Wegzusammenhang impliziert Zusammenhang). Jeder wegzu-sammenhangende topologische Raum ist zusammenhangend.

Caveat A.22. Es gibt topologische Raume, die zusammenhangend, aber nicht weg-zusammenhangend sind!

In diesem allgemeinen Kontext lautet der verallgemeinerte Zwischenwertsatz nunwie folgt:

Proposition A.23 (Verallgemeinerter Zwischenwertsatz). Seien (X,TX) und (Y, TY )topologische Raume und sei f : X −→ Y stetig. Ist X zusammenhangend, so ist auchf(X) zusammenhangend (bezuglich der Teilraumtopologie).

Insbesondere: Sind X und Y homoomorph, so ist X genau dann zusammenhangend,wenn Y zusammenhangend ist. Mit anderen Worten: Zusammenhang ist eine topolo-gische Invariante.

In der algebraischen Topologie studiert man außer Zusammenhang und Wegzusam-menhang auch noch hohere Zusammenhangsbegriffe.

A.4. Hausdorffraume

Die Klumpentopologie zeigt bereits, dass es viele exotische und unintuitive Topologiengibt. Daher gibt es viele Begriffe fur topologische Raume, die sicherstellen, dass Raumehinreichend gutartig sind. Ein Beispiel ist der folgende Begriff, der zu den sogenanntenTrennungseigenschaften gehort:

Definition A.24 (hausdorffsch). Ein topologischer Raum (X,T ) ist hausdorffsch,wenn folgendes gilt: Fur alle x, y ∈ X mit x 6= y existieren offene Mengen U, V ⊂ Xmit x ∈ U , y ∈ V und U ∩ V = ∅. (D.h. je zwei Punkte konnen durch offene Mengengetrennt werden.)

Proposition A.25 (metrische Raume sind hausdorffsch). Ist (X, d) ein metrischerRaum, so ist X bezuglich der von der Metrik d auf X induzierten Topologie haus-dorffsch.

Korollar A.26. Sei X eine Menge mit |X| ≥ 2. Dann gibt es keine Metrik auf X,die die Klumpentopologie auf X induziert.

Bemerkung A.27. Sind (X,TX) und (Y, TY ) homoomorphe topologische Raume, soist X genau dann hausdorffsch, wenn Y hausdorffsch ist.

Es gibt noch weitere Trennungseignschaften topologischer Raume, sowie sogenannteAbzahlbarkeitseigenschaften; die Zusammenhange zwischen diesen Begriffen sind et-was unubersichtlich und konnen gut in dem Buch Counterexamples in Topology vonL.A. Steen und J.A. Seebach Jr nachgelesen werden.

A.5

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A.5. Kompaktheit

Einer der wichtigsten und nutzlichsten topologischen Begriffe ist Kompaktheit; grobgesprochen ist Kompaktheit eine Art topologische Endlichkeitsbedingung. Wir begin-nen mit der abstrakten Definition als Endlichkeitsbedingung von Uberdeckungen undzeigen spater, dass dieser Begriff den bisherigen Kompaktheitsbegriff in R verallgemei-nert (Satz A.36).

Definition A.28 (kompakt). Ein topologischer Raum (X,T ) ist kompakt, wenn jedeoffene Uberdeckung von X eine endliche Teiluberdeckung enthalt, d.h., wenn folgendesgilt: Fur alle U ⊂ T mit

⋃U = X gibt es eine endliche Teilmenge V ⊂ U mit

⋃V = X.

Bemerkung A.29. Sei X eine Menge. Dann ist X bezuglich der Klumpentopologiekompakt. Außerdem ist X genau dann bezuglich der diskreten Topologie kompakt,wenn X endlich ist.

Wir werden spater eine Charakterisierung kompakter Mengen in Rn geben undzunachst allgemeine Eigenschaften kompakter Mengen aus der Definition ableiten:

Proposition A.30 (Verallgemeinertes Extremalprinzip). Seien (X,TX) und (Y, TY )topologische Raume und sei f : X −→ Y stetig. Ist X kompakt, so ist auch f(X)kompakt (bezuglich der Teilraumtopologie).

Korollar A.31 (Kompaktheit ist eine topologische Invariante). Insbesondere gilt: Sind(X,TX) und (Y, TY ) homoomorphe topologische Raume, so ist X genau dann kompakt,wenn Y kompakt ist.

Proposition A.32 (Abgeschlossenheit und Kompaktheit). Sei (X,T ) ein topologi-scher Raum und sei Y ⊂ X.

1. Ist X kompakt und Y in X abgeschlossen, so ist Y bezuglich der Teilraumtopo-logie kompakt.

2. Ist X hausdorffsch und Y bezuglich der Teilraumtopologie kompakt, so ist Y in Xabgeschlossen.

Korollar A.33. Sei (X,TX) ein kompakter topologischer Raum, sei (Y, TY ) ein Haus-dorffraum und sei f : X −→ Y stetig und bijektiv. Dann ist f bereits ein Homoomor-phismus(!).

Zum Abschluss des Abschnitts uber allgemeine Kompaktheitseigenschaften betrach-ten wir noch die Vertraglichkeit von Kompaktheit mit Produkten:

Proposition A.34 (Produkt zweier kompakter Raume). Seien (X,TX) und (Y, TY )kompakte topologische Raume. Dann ist das Produkt X × Y bezuglich der Produktto-pologie kompakt.

Bemerkung A.35 (Satz von Tychonoff). Der Satz von Tychonoff

Beliebige (auch unendliche!) Produkte kompakter topologischer Raume sind kom-pakt.

A.6

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ist aquivalent zum Auswahlaxiom (!), und damit auch aquivalent zum Zornschen Lem-ma bzw. dem Wohlordnungssatz.

In euklidischen Raumen gibt es eine einfache Charakterisierung kompakter Mengen:

Satz A.36 (Satz von Heine-Borel). Sei n ∈ N und sei A ⊂ Rn. Wir betrachtenauf A die von der Standardtopologie auf Rn induzierte Teilraumtopologie. Dann sinddie folgenden Aussagen aquivalent:

1. Die Menge A ist kompakt.2. Die Menge A ist in Rn bezuglich der euklidischen Metrik beschrankt und abge-

schlossen.3. Die Menge A ist bezuglich der euklidischen Metrik folgenkompakt, d.h. jede Folge

in A besitzt eine bezuglich der euklidischen Metrik konvergente Teilfolge, derenGrenzwert auch in A liegt.

Etwas allgemeiner gilt auch:

Proposition A.37. Kompakte Mengen in metrischen Raumen sind beschrankt undabgeschlossen.

Caveat A.38. Die Umkehrung der obigen Proposition gilt im allgemeinen nicht !D.h. es gibt beschrankte und abgeschlossene Mengen in gewissen (sogar vollstandigen)metrischen Raumen, die nicht kompakt sind (zum Beispiel sind unendliche Mengenbezuglich der diskreten Metrik in sich selbst beschrankt und abgeschlossen, aber nichtkompakt).

A.7

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B. Homologische Algebra

Dieses Kapitel enthalt die fur die algebraische Topologie notigen Grundlagen aus derhomologischen Algebra. Homologische Algebra ist die Algebra von exakten bzw. nicht-exakten Sequenzen und Funktoren, die Exaktheit erhalten bzw. nicht erhalten.

Wir betrachten der Einfachheit halber nur homologische Algebra in Modulkategorienstatt in allgemeinen sogenannten abelschen Kategorien; nach dem Einbettungssatz vonFreyd-Mitchell ist dies jedoch keine wesentliche Einschrankung.

B.1. Exakte Sequenzen

Wir geben eine kurze Einfuhrung in exakte Sequenzen; wir formulieren alles fur Links-moduln – analog geht dies naturlich auch fur Rechtsmoduln.

Setup B.1. Im folgenden sei R ein Ring mit Eins.

Definition B.2 ((kurze) exakte Sequenz).

– Eine Sequenz Af// B

g// C von Morphismen in RMod ist exakt an der

Stelle B, wenn im f = ker g ist.– Wir nennen eine Sequenz

0 // Af// B

g// C // 0

in RMod eine kurze exakte Sequenz in RMod, wenn die Sequenz an allen Stellenexakt ist (d.h. f ist injektiv, g ist surjektiv, und im f = ker g).

– Eine N- oder Z-indizierte Sequenz

. . . // Akfk // Ak−1

fk−1// Ak−1

fk−1// Ak−2

// . . .

in RMod ist exakt, wenn sie an allen Stellen exakt ist.

Beispiel B.3. Die Sequenzen

x // (x, 0)

0 // Z // Z⊕ Z/2 // Z/2 // 0

(x, y) // y

undx // 2 · x

0 // Z // Z // Z/2 // 0

x // [x]

B.1

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in ZMod = Ab sind exakt; man beachte dabei, dass die mittleren Moduln nicht iso-morph sind, obwohl die außeren isomorph sind. Die Sequenz

x // x

0 // Z // Z // Z // 0

x // x

ist nicht exakt.

Caveat B.4. Ist S ein Ring mit Eins, so bilden Funktoren RMod −→ SMod imallgemeinen exakte Sequenzen nicht auf exakte Sequenzen ab.

Besonders einfache exakte Sequenzen sind die sogenannten spaltenden exakten Se-quenzen (die sich außerdem auch unter Funktoren besser verhalten als allgemeine ex-akte Sequenzen):

Proposition B.5 (spaltende exakte Sequenzen). Sei

0 // Ai // B

p// C // 0

eine kurze exakte Sequenz in RMod. Dann sind folgende Aussagen aquivalent:1. Es gibt einen R-Modulhomomorphismus r : C −→ B mit p r = idC .2. Es gibt einen R-Modulhomomorphismus s : B −→ A mit s i = idA.

Falls diese Aussagen zutreffen, nennt man die obige Sequenz eine spaltende kurzeexakte Sequenz in RMod und in diesem Fall sind

A⊕ C // B // A⊕ C

(a, c) // (i(a), r(c))

b // (s(b), p(b))

Isomorphismen in RMod.

Beweisskizze. Wir zeigen die Implikation 2 =⇒ 1: Sei also s : B −→ A ein Homomor-phismus mit s i = idA. Wir betrachten den Homomorphismus

r : B −→ B

b 7−→ b− i s(b).

Dann ist ker p ⊂ ker r, denn: Sei b ∈ ker p. Wegen der Exaktheit existiert also ein a ∈ Amit i(a) = b und es folgt

r(b) = i(a)− i s(i(a)) = i(a)− i(idA(a)) = 0.

Nach der universellen Eigenschaft des Quotienten induziert r somit einen Homomor-phismus r : C ∼= B/ ker p −→ B und dieser erfullt nach Konstruktion p r = idC .

Ahnlich zeigt man die Implikation 1 =⇒ 2.Falls die Aussagen 1 und 2 erfullt sind, rechnet man leicht nach, dass die angegebenen

Homomorphismen zwischen B und A⊕C bijektiv (und somit Isomorphismen in RMod)sind.

B.2

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Beim Vergleich von exakten Sequenzen ist oft das Funfer-Lemma nutzlich:

Proposition B.6 (Funfer-Lemma). Sei

Aa //

fA

Bb //

fB

Cc //

fC

Dd //

fD

E

fE

A′a′// B′

b′// C ′

c′// D′

d′// E′

ein kommutatives Diagramm in RMod mit exakten Zeilen. Dann gilt:1. Sind fB, fD injektiv und ist fA surjektiv, so ist fC injektiv.2. Sind fB, fD surjektiv und ist fE injektiv, so ist fC surjektiv.3. Insbesondere gilt: Sind fA, fB, fD, fE Isomorphismen, so ist fC ein Isomor-

phismus.

Beweisskizze. Wir beweisen den ersten Teil mithilfe einer sogenannten Diagrammjagd(viele Aussagen in der homologischen Algebra werden auf diese Weise bewiesen). DerBeweis des zweiten Teils geht analog; der dritte Teil ist eine direkte Folgerung aus denersten beiden Teilen.

Es seien also fB und fD injektiv und fA sei surjektiv. Sei x ∈ C mit fC(x) = 0.Dann ist x = 0, denn (Abbildung (B.7)):

– Wegen fD c(x) = c′ fC(x) = c′(0) = 0 und der Injektivitat von fD folgtc(x) = 0.

– Wegen im b = ker c existiert ein y ∈ B mit b(y) = x.– Wegen b′ fB(y) = fC b(y) = fC(x) = 0 und im a′ = ker b′ folgt: Es gibt

ein z′ ∈ A′ mit a′(z′) = fB(y).– Da fA surjektiv ist, existiert ein z ∈ A mit fA(z) = z′.– Dabei ist a(z) = y, denn: Es gilt

fB(a(z)

)= a′ fA(z) = a′(z′) = fB(y)

und fB ist injektiv.– Also ist (wegen im a ⊂ ker b)

x = b(y) = b a(z) = 0,

wie gewunscht.

Fur den Beweis der Mayer-Vietoris-Sequenz (Satz 2.27) verwenden wir die folgendeKonstruktion langer exakter Sequenzen:

Proposition B.8 (algebraische Mayer-Vietoris-Sequenz). Sei R ein Ring mit Einsund sei

. . .ck+1

// Akak //

fA,k

Bkbk //

fB,k

Ckck //

fC,k

Ak−1ak−1

//

fA,k−1

. . .

. . .c′k+1

// A′ka′k

// B′kb′k

// C ′kc′k

// A′k−1a′k−1

// . . .

B.3

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A B C D E

A′ B′ C ′ D′ E′

x

0 0

0

A B C D E

A′ B′ C ′ D′ E′

x

0 0

0y

A B C D E

A′ B′ C ′ D′ E′

x

0 0

0y

•z′

A B C D E

A′ B′ C ′ D′ E′

x

0 0

0y

•z′

z

A B C D E

A′ B′ C ′ D′ E′

x

0 0

0y

•z′

z

Abbildung (B.7): Die Diagrammjagd aus dem Funfer-Lemma

B.4

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ein (Z-indiziertes) kommutatives Diagramm in RMod mit exakten Zeilen. Außerdemsei fC,k : Ck −→ C ′k fur alle k ∈ Z ein Isomorphismus. Fur k ∈ Z sei

∆k := ck f−1C,k b

′k : B′k −→ Ak−1.

Dann ist die Sequenz

. . .∆k+1

// Ak(fA,k,−ak)

// A′k ⊕Bka′k⊕fB,k

// B′k∆k // Ak−1

// . . .

exakt.

Beweisskizze. Dies folgt aus einer Diagrammjagd.

B.2. Kettenkomplexe und Homologie

Wir fuhren nun allgemeine algebraische Begrifflichkeiten zur Konstruktion von Homo-logie ein; diese beruhen historisch auf den ersten geometrischen Homologietheorien.

Setup B.9. Im folgenden sei R ein Ring mit Eins.

Definition B.10 (Kettenkomplex, Zykel, Rand). Ein Links-R-Modul-Kettenkomplexist eine Paar C = (C∗, ∂∗), wobei C∗ = (Ck)k∈Z eine Folge von Links-R-Moduln(den sogenannten Kettenmoduln) und ∂∗ = (∂k : Ck −→ Ck−1)k∈Z eine Folge von R-Modulhomomorphismen (den sogenannten Randoperatoren oder Differentialen) mit

∀k∈Z ∂k ∂k+1 = 0

ist. Sei k ∈ Z.– Die Elemente von Ck heißen k-Ketten.– Die Elemente von ZkC := ker ∂k heißen k-Zykel.– Die Elemente von BkC := im ∂k+1 heißen k-Rander.

Analog kann man z.B. auch N-indizierte Kettenkomplexe definieren.

Beispiel B.11 (Kettenkomplexe).– Lange exakte Sequenzen liefern Kettenkomplexe, aber nicht alle Kettenkomplexe

sind exakt.– Ist C = (C∗, ∂∗) ein Links-R-Modul-Kettenkomplex und ist Z ∈ Ob(ModR), so

istZ ⊗R C :=

((Z ⊗R Ck)k∈Z, (idZ ⊗R∂k)k∈Z

)ein Kettenkomplex abelscher Gruppen.

Caveat B.12. Ist ein Kettenkomplex C exakt und ist Z ∈ ModR, so ist Z ⊗R C imallgemeinen nicht exakt!

Beispiel B.13 (Kettenkomplexe simplizialer Moduln). Sei S : ∆op −→ RMod einFunktor (ein sogenannter simplizialer Links-R-Modul); dabei bezeichnet ∆op die duale

B.5

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Kategorie der Simplexkategorie (die man durch”Umdrehen“ der Morphismen erhalt).

Zu k ∈ Z sei

Ck(S) :=

S(∆(k)

)falls k ≥ 0

0 falls k < 0,

∂k :=

∑kj=0(−1)j · S(dkj ) falls k > 0

0 falls k ≤ 0;

dabei ist dkj ∈ Mor∆(∆(k− 1),∆(k)) der Morphismus, dessen Bild 0, . . . , k \ j ist.Wir schreiben

C(S) :=((Ck(S))k∈Z, (∂k)k∈Z

).

Dann ist C(S) ein Links-R-Modul-Kettenkomplex. Dies ist eine der zentralen Kon-struktionen von Kettenkomplexen, die hinter vielen Homologietheorien steckt.

Die passenden strukturerhaltenden Abbildungen zwischen Kettenkomplexen sindKettenabbildungen:

Definition B.14 (Kettenabbildung). Seien C = (C∗, ∂C∗ ) und D = (D∗, ∂

D∗ ) Links-

R-Modul-Kettenkomplexe. Eine Kettenabbildung f : C −→ D ist eine Folge (fk ∈Mor

RMod(Ck, Dk))k∈Z mit∂Dk fk = fk−1 ∂Ck

fur alle k ∈ Z.

. . . // Ck∂Ck //

fk

Ck−1//

fk−1

. . .

. . . // Dk∂Dk

// Dk−1// . . .

Beispiel B.15 (Kettenabbildungen).– Ist C = (C∗, ∂∗) ein Kettenkomplex, so ist idC := (idCk

)k∈Z eine Kettenabbil-dung C −→ C.

– Die gradweise Komposition von Kettenabbildungen ist eine Kettenabbildung.– Zum Beispiel ist

. . . // 0 //

0

Z 2 //

idZ

Z 0 //

x7→(x,x)

Z //

0

0 //

0

. . .

. . . // 0 // Z0// Z⊕ Z

0// Z // 0 // . . .

keine Kettenabbildung.

Somit erhalten wir eine Kategorie von Kettenkomplexen:

Definition B.16 (Kategorie der Kettenkomplexe). Die Kategorie RCh der Links-R-Kettenkomplexe besteht aus:

B.6

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– Objekte: die Klasse aller Links-R-Kettenkomplexe,– Morphismen: Kettenabbildungen von Links-R-Kettenkomplexen,– Verknupfungen: gradweise Komposition von Kettenabbildungen.

Beispiel B.17 (Kettenkomplexe von simplizialen Moduln, funktoriell). Zum Beispiellasst sich die Konstruktion aus Beispiel B.13 zu einem Funktor

∆(RMod) −→ RCh

erweitern. Dabei ist ∆(RMod) die Kategorie, deren Objekte Funktoren ∆op −→ RModund deren Morphismen naturliche Transformationen zwischen solchen Funktoren sind.

Wir konnen nun Homologie fur Kettenkomplexe definieren:

Definition B.18 (Homologie). Sei C = (C∗, ∂∗) ∈ Ob(RCh). Die Homologie von Cist die Folge H∗(C) := (Hk(C))k∈Z, wobei wir fur alle k ∈ Z

Hk(C) := ker ∂k/

im ∂k+1 ∈ Ob(RMod)

definieren.

Homologie misst also die Abweichung von Exaktheit:

Bemerkung B.19 (Homologie vs. Exaktheit). Sei C = (C∗, ∂∗) ∈ Ob(RCh). Dannsind aquivalent:

1. Die Sequenz

. . . // Ck+1∂k+1

// Ck∂k // Ck−1

// . . .

ist exakt.2. Fur alle k ∈ Z ist Hk(C) ∼= 0.

Beispiel B.20. Sei C der Kettenkomplex

. . . // 0 // Z 2 // Z 0 // Z // 0 // . . .

abelscher Gruppen (wobei sich die nicht-trivialen Moduln im Grad 0, 1, 2 befinden).Dann gilt fur alle k ∈ Z, dass

Hk(C) ∼=

Z falls k = 0

Z/2 falls k = 1

0 falls k ∈ Z \ 0, 1.

Caveat B.21. Ist C ∈ Ob(RCh) und ist Z ∈ Ob(ModR), so gilt im allgemeinenfur k ∈ Z

Hk(Z ⊗R C) 6∼= Z ⊗R Hk(C).

B.7

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Proposition B.22 (Homologie als Funktor).1. Sei f : C −→ D eine Kettenabbildung in RCh. Zu k ∈ Z sei

Hk(f) : Hk(C) −→ Hk(D)

[c] 7−→[fk(c)

].

Dann ist Hk(f) ein wohldefinierter Links-R-Modul-Homomorphismus.2. Dies macht Homologie zu einem Funktor

H∗ : RCh −→ RGrad .

Dabei ist RGrad die Kategorie der Z-graduierten Links-R-Moduln (d.h. Z-Folgenvon Links-R-Moduln mit Folgen von Homomorphismen und komponentenweiserKomposition).

Beweisskizze. Zum ersten Teil: Aus der Definition von Kettenabbildungen folgt:– Ist c ∈ Ck ein Zykel, so ist auch fk(c) ein Zykel.– Sind c, c′ ∈ Ck Zykel, die dieselbe Homologieklasse reprasentieren (d.h. sich um

einen Rand in C unterscheiden), so unterscheiden sich auch fk(c) und fk(c′) umeinen Rand in D und liefern somit dieselbe Homologieklasse.

Also ist Hk(f) wohldefiniert. Offenbar ist Hk(f) mit der Modulstruktur vertraglich.Der zweite Teil folgt aus der Konstruktion im ersten Teil.

Zum Abschluss dieser Einfuhrung in die Grundbegriffe von Kettenkomplexen undHomologie leiten wir die wichtigste Quelle fur lange exakte Homologieseuqenzen her:

Satz B.23 (algebraische lange exakte Homologiesequenz). Sei

0 // Ai // B

p// C // 0

eine kurze exakte Sequenz in RCh (d.h. die entsprechenden Sequenzen in jedem Gradsind exakt in RMod). Dann gibt es eine lange exakte Sequenz

. . .∂k+1

// Hk(A)Hk(i)

// Hk(B)Hk(p)

// Hk(C)∂k // Hk−1(A) // . . .

Diese ist im folgenden Sinne naturlich: Ist

0 // Ai //

fA

Bp//

fB

C //

fC

0

0 // A′i′// B′

p′// C ′ // 0

ein kommutatives Diagramm in RCh mit exakten Zeilen, so ist das zugehorige Leiter-diagramm

. . .∂k+1

// Hk(A)Hk(i)

//

Hk(fA)

Hk(B)Hk(p)

//

Hk(fB)

Hk(C)∂k //

Hk(fC)

Hk−1(A) //

Hk−1(fA)

. . .

. . .∂k+1

// Hk(A′)Hk(i′)

// Hk(B′)Hk(p′)

// Hk(C ′)∂k

// Hk−1(A′) // . . .

B.8

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kommutativ (mit exakten Zeilen).

Beweisskizze. Sei k ∈ Z. Wir konstruieren den Verbindungshomomorphismus

∂k : Hk(C) −→ Hk−1(A)

wie folgt: Sei γ ∈ Hk(C); sei c ∈ Ck ein Zykel, der γ reprasentiert. Da pk : Bk −→ Cksurjektiv ist, existiert ein b ∈ Bk mit

pk(b) = c.

Da p eine Kettenabbildung ist, ist pk−1 ∂Bk (b) = ∂Ck pk(b) = ∂Ck (c) = 0; aufgrundder Exaktheit im Grad k existiert somit ein a ∈ Ak−1 mit

ik−1(a) = ∂Bk (b).

Wir nennen in dieser Situation (a, b, c) ein kompatibles Tripel fur γ und definieren

∂k(γ) := [a] ∈ Hk−1(A).

Mit einfachen Diagrammjagden zeigt man nun:– Ist (a, b, c) ein kompatibles Tripel fur γ, so ist a ∈ Ak−1 ein Zykel und reprasen-

tiert somit tatsachlich eine Klasse in Hk−1(A).– Sind (a, b, c) und (a′, b′, c′) kompatible Tripel fur γ, so ist [a] = [a′] in Hk−1(A).

Daran lasst sich leicht ablesen, dass ∂k ein Homomorphismus ist und dass ∂k naturlichist.

Weitere Diagrammjagden liefern, dass die entstehende lange Sequenz exakt ist.

B.3. Kettenhomotopie

Im folgenden studieren wir einen algebraischen Homotopiebegriff fur Kettenabbildun-gen.

Setup B.24. In diesem Abschnitt sei R ein Ring mit Eins.

Wir erinnern uns zunachst an den Homotopiebegriff in Top: Stetige Abbildun-gen f, g : X −→ Y zwischen topologischen Raumen sind homotop, wenn es eine stetigeAbbildung h : X × [0, 1] −→ Y mit

h i0 = f und h i1 = g

gibt; dabei bezeichnen i0 : X → X×0 → X×[0, 1] und i1 : X → X×1 → X×[0, 1]die kanonische Inklusion als Boden bzw. Deckel des Zylinders uber X.

Wir ubersetzen dies nun in die Kategorie RCh der Kettenkomplexe: Als erstenSchritt modellieren wir das Intervall [0, 1] durch einen geeigneten Kettenkomplex (Ab-bildung (B.26), vgl. Beispiel 4.19):

B.9

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Grad 1 Grad 0

Z Z⊕ Zx (−x, x)

Abbildung (B.26): ein algebraisches Modell fur [0, 1]

Definition B.25 (algebraisches Modell fur [0, 1]). Sei I ∈ Ob(ZCh) der Kettenkom-plex

Grad 2 1 0 −1

. . .0// 0

0// 0

0// Z // Z⊕ Z

0// 0

0// 0

0// . . .

x // (−x, x)

Das Produkt topologischer Raume ersetzen wir durch das Tensorprodukt von Ket-tenkomplexen; die Definition leitet sich dabei von dem Gedanken ab, dass die Ket-tenmoduln in Grad k Information uber k-dimensionale Phanomene enthalten und sichdaher die Grade der Tensorfaktoren jeweils auch zum entsprechenden Grad summierensollten:

Definition B.27 (Tensorprodukt von Kettenkomplexen). Sei C ∈ Ob(ChR) und D ∈Ob(RCh). Dann definieren wir C ⊗R D ∈ Ob(ZCh) durch

(C ⊗R D)k :=⊕j∈Z

Cj ⊗R Dk−j

und die Randoperatoren

(C ⊗R D)k −→ (C ⊗R D)k−1

Cj ⊗R Dk−j 3 c⊗ d 7−→ ∂Cj c⊗ d+ (−1)j · c⊗ ∂Dk−jd

fur alle k ∈ Z. (Dies ist tatsachlich ein Kettenkomplex!) Man beachte dabei: Tragt Cauch noch eine Linksstruktur bezuglich einem Ring S, so vererbt sich diese Strukturauf das Tensorproduk C ⊗R D.

Bemerkung B.28 (Wahl von Vorzeichen). Wir halten uns bei der Wahl von Vorzei-chen an die folgende Konvention: Wird ein Randoperator an einem Element

”vorbei-

gezogen“, so fuhren wir das Vorzeichen

(−1)Grad dieses Elements

ein. Man beachte jedoch, dass in der Literatur manchmal auch andere Vorzeichenkon-ventionen getroffen werden. Bei der Ubernahme von Formeln ist also Vorsicht geboten.

B.10

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Bemerkung B.29 (Funktorialitat des Tensorprodukts). Seien C,C ′ ∈ Ob(ChR), seienD,D′ ∈ Ob(RCh) und seien f ∈ MorChR

(C,C ′) und g ∈ MorRCh(D,D′). Dann ist

f ⊗R G : C ⊗R D −→ C ′ ⊗R D′

c⊗ d 7−→ f(c)⊗ g(d)

eine wohldefinierte Kettenabbildung in ZCh.

Als nachsten Schritt modellieren wir die Inklusionen von Boden und Deckel vonZylindern:

Definition B.30 (algebraisches Modell der Inklusionen von Boden und Deckel inZylindern). Ist C ∈ Ob(RCh), so definieren wir die Kettenabbildungen

i0 : C −→ C ⊗Z I

Ck 3 c 7−→ (c, 0, 0) ∈ Ck ⊕ Ck−1 ⊕ Ck ∼= (C ⊗Z I)k

i1 : C −→ C ⊗Z I

Ck 3 c 7−→ (0, 0, c) ∈ Ck ⊕ Ck−1 ⊕ Ck ∼= (C ⊗Z I)k.

Bemerkung B.31. Seien C,D ∈ Ob(RCh) und seien f, g ∈ MorRCh(C,D). Eine

Kettenabbildung h : C ⊗Z I −→ D in RCh mit h i0 = f und h i1 = g entsprichteiner Familie (hk ∈ Mor

RMod(Ck, Dk+1))k∈Z mit

∂Dk+1 hk = hk−1 ∂Ck + (−1)k · gk − (−1)k · fk

(Abbildung (B.32)) bzw.

∂Dk+1 (−1)k · hk + (−1)k−1 · hk−1 ∂Ck = gk − fk

fur alle k ∈ Z.

Man definiert daher:

Definition B.33 (kettenhomotop, nullhomotop, kontraktibel). Seien C,D ∈ Ob(RCh).– Kettenabbildungen f, g ∈ Mor

RCh(C,D) heißen kettenhomotop (in RCh), wennes eine Folge h = (hk ∈ Mor

RMod(Ck, Dk+1))k∈Z mit

∂Dk+1 hk + hk−1 ∂Ck = gk − fk

fur alle k ∈ Z gibt. Man nennt dann h eine Kettenhomotopie von f nach g(in RCh) und schreibt f '

RCh g.– Wir nennen f ∈ Mor

RCh(C,D) eine Kettenhomotopieaquivalenz (in RCh), fallses ein g ∈ Mor

RCh(D,C) mit

f g 'RCh idD und g d '

RCh idC

gibt. In diesem Fall schreiben wir auch C 'RCh D.

B.11

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(C ⊗Z I)k+1 =

Ck+1

⊕Ck

⊕Ck+1

= (C ⊗Z I)k

Ck

⊕Ck−1

⊕Ck

Dk+1 Dk

∂Ck+1

∂Ck+1

∂Ck+1

−(−1)k

(−1)k

∂Dk+1

fk+1 ⊕ hk ⊕ gk+1 fk ⊕ hk−1 ⊕ gk

Abbildung (B.32): Herleitung des Begriffs der Kettenhomotopie

– Kettenabbildungen, die (in RCh) zur Nullabbildung kettenhomotop sind, heißennullhomotop (in RCh).

– Der Kettenkomplex C ist kontraktibel (in RCh), falls idC nullhomotop (in RCh)ist (bzw. aquivalent, falls C zum Nullkomplex kettenhomotopieaquivalent ist).Homotopien (in RCh) von idC zur Nullabbildungen werden auch Kettenkontrak-tionen (in RCh) von C genannt.

Beispiel B.34. Sei C ∈ Ob(RCh). Dann ist i0 'RCh i1 : C −→ C ⊗Z I.Wir betrachten außerdem die Kettenabbildung

p : C ⊗Z I −→ C

Ck ⊕ Ck−1 ⊕ Ck 3 (c0, c, c1) −→ c0 + c1 ∈ Ck

in RCh. Dann gilt p i0 = idC und i0 p 'RCh idC⊗RI . Also ist

C 'RCh C ⊗Z I.

Analog zur topologischen Situation gilt:

Proposition B.35 (grundlegende Eigenschaften von Kettenhomotopie).1. Seien C,D ∈ Ob(RCh) und seien f, f ′, g, g′ ∈ Mor(RCh) mit f '

RCh f ′ undg '

RCh g′. Dann gilt

a · f + b · g 'RCh a · f ′ + b · g′

fur alle a, b ∈ R.2. Sind C,D ∈ Ob(RCh), so ist

”'

RCh“ eine Aquivalenzrelation auf MorRCh(C,D).

3. Seien C,D,E ∈ Ob(RCh), seien f, f ′ ∈ MorRCh(C,D) und g, g′ ∈ Mor

RCh(D,E)mit f '

RCh f′ bzw. g '

RCh g′. Dann folgt

g f 'RCh g

′ f ′.

B.12

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4. Seien C,C ′ ∈ Ob(ChR), D,D′ ∈ Ob(RCh) und seien f, f ′ ∈ MorChR(C,C ′),

g, g′ ∈ MorRCh(D,D′) mit f 'ChR

f ′ bzw. g 'RCh g

′. Dann folgt

f ⊗R g 'ZCh f′ ⊗R g′.

Beweisskizze. All diese Eigenschaften lassen sich direkt anhand der Definitionen nach-rechnen.

Insbesondere ist die folgende Kategorie wohldefiniert:

Definition B.36 (Homotopiekategorie der Kettenkomplexe). Die Homotopiekategorieder Kettenkomplexe RCh ist die Kategorie RChh, die durch die folgenden Daten gegebenist:

– Objekte: Sei Ob(RChh) := Ob(RCh).– Morphismen: Zu C,D ∈ Ob(RCh) sei

[C,D] := MorRChh

(C, d) := MorRCh(C,D)

/'

RCh .

– Verknupfungen: reprasentantenweise Verknupfung von Kettenabbildungen.

Die zentrale Eigenschaft des Begriffs der Kettenhomotopie ist, dass Homologie indiesem algebraischen Sinne homotopieinvariant ist:

Proposition B.37 (Homologie von Kettenkomplexen ist homotopieinvariant). DerFunktor H∗ : RCh −→ RGrad faktorisiert uber RChh.

Beweisskizze. Seien C,D ∈ Ob(RCh) und seien f, g ∈ MorRCh(C,D) mit f '

RCh g; seietwa h eine solche Kettenhomotopie. Dann ist Hk(f) = Hk(g) fur alle k ∈ Z, denn: Istc ∈ Ck ein Zykel, so gilt nach Definition (in Hk(D))

Hk(f)[c] =[fk(c)

]=[gk(c)− ∂Dk+1 hk(c)− hk−1 ∂Ck (c)

]=[gk(c)− ∂Dk+1 hk(c)− 0]

=[gk(c)

]= Hk(g)[c],

wie gewunscht.

Analog zum topologischen Fall gibt es auch im Kontext von Kettenkomplexen Ab-bildungskegel:

Definition B.38 (Abbildungskegel von Kettenabbildungen). Seien C,D ∈ Ob(RCh)und sei f ∈ Mor

RCh(C,D). Der Abbildungskegel von f ist der Kettenkomplex Cone(f) ∈Ob(RCh) mit (

Cone(f))k

:= Ck−1 ⊕Dk

und den Randoperatoren(Cone(f)

)k7−→

(Cone(f)

)k−1

Ck−1 ⊕Dk 3 (c, d) 7−→(∂Ck−1c, ∂

Dk d+ (−1)k · fk−1(c)

)fur alle k ∈ Z. (Dies ist tatsachlich ein Kettenkomplex.)

B.13

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Im algebraischen Kontext spiegeln Abbildungskegel die Eigenschaften von Kettenab-bildungen sogar noch etwas besser wider als im topologischen Fall:

Proposition B.39 (Abbildungskegel und Isomorphismen). Seien C,D ∈ Ob(RCh)und sei f ∈ Mor

RCh(C,D).1. Dann ist f : C −→ D genau dann eine Kettenhomotopieaquivalenz in RCh, wenn

Cone(f) in RCh kontraktibel ist.2. Es ist H∗(f) : H∗(C) −→ H∗(D) genau dann ein Isomorphismus in RGrad, wenn

H∗(Cone(f)) ∼= 0 ist.

Caveat B.40. Kettenabbildungen, die Homologieisomorphismen induzieren, sind imallgemeinen keine Kettenhomotopieaquivalenzen!

Zum Beispiel liefert die Kettenabbildung

. . . // 0 //

0 //

Z 2 //

Z //

mod 2

0 //

0 //

. . .

. . . // 0 // 0 // 0 // Z/2 // 0 // 0 // . . .

in ZCh Isomorphismen in Homologie; da die einzige Kettenabbildung in die andereRichtung die Nullabbildung ist und die Kettenkomplexe aber nicht kontraktibel sind(die Homologie ist nicht trivial), kann es sich dabei aber nicht um eine Kettenhomo-topieaquivalenz handeln.

B.14