Lacan: Jamais deux sans trois – Nie Zwei ohne ein Drittes

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    Jacques Lacan

    Jamais deux sans trois

    Das hier mit Jamais deux sans trois [Nie zwei ohne ein Drittes] berschriebene Kapitelstellt den letzten Abschnitt der Vorlesung Lacans vom 28.02.1968 dar. Es ist Teil des noch

    unverffentlichten XV. Seminars Lacte psychanalytique [Der psychoanalytische Akt] undfolgt dem Text der Mitschrift, wie er von der Ecole Lacanienne de Psychanalyse (http://www.ecole-lacanienne.net/bibliotheque.php) zur Verfgung gestellt wird (Lacan, 1968, 51/387-53/389) und bislang nicht in deutscher bersetzung zugnglich ist.

    Die nachfolgende bersetzung stellt eine erste private bertragung des Verfassers (UK) ausdem Franzsischen mit ggf. erforderlichen Orientierungs- und Verstndnishilfen zur Verf-gung, die anlsslich einer Recherche zu sinojapanischen Referenzen Lacans fr den persn-lichen Gebrauch erstellt wurde. Bei ungewhnlichen Termini, mehrdeutigen Begriffen und insDeutsche nicht bersetzbaren, lediglich adaptationsfhigen Neologismen wird der franzsi-sche Originaltext in eckigen Klammern [ ] als nachprfbares Zitat angegeben. Die eingefg-

    ten Abbildungen werden als gemeinfreie Illustrationen im Sinne von Zitationen wiedergege-ben.

    Nie zwei ohne ein Drittes

    Daher muss ich Sie bei dieser Gelegenheit denn es ist womglich die letzte da-rauf aufmerksam machen, dass in den japanischen Druckgrafiken, den ziemlich ein-zigartigen hergestellten, schriftlichen Kunstwerken, die dafr bekannt sind, dass inihnen gewagt wird, uns etwas vorzustellen, von dem niemand annehmen sollte, dassich seinen Wert schmlere: die kopulatorischen Gier [la fureur copulatoire]. Man musssagen, dass dies nicht jedermann zugnglich ist. Man muss sich in einer gewissen zi-vilisatorischen Ordnung befinden, die sich nie in den Dienst jener Dialektik gestellthat, die ich Ihnen eines Tages beilufig nher zu bestimmen versuchen werde: eshandelt sich um die christliche. Es ist sehr befremdlich, dass jedes Mal, wenn sie die-se Personen sehen, die sich auf wahrhaftig ergreifende Weise umarmen, die [aber]nichts mit der wahrlich widerlichen sthetik gemein hat, wie sie sich in den gewhnli-chen Darstellungen dieses Niveaus in unserer Malerei abspielt, dass Sie seltsamer-weise sehr hufig, fast immer, in ein kleinen Ecke der Grafik ein kleine dritte Personvorfinden; manchmal hat dies den Anschein, ein Kind zu sein, manchmal sogar nurder Knstler, ein wenig eine Lachnummer denn in alledem werden Sie erkennen,dass diese dritte Person, ganz gleich wie man sie darstellt, und wir zweifeln nicht,

    worum es sich dabei handelt, eben dasjenige ist, das ertragen muss, dass ich es alsObjekt " bezeichne, und dies ganz genau in der Form, in der es tatschlich substan-tiell da ist, in der es in die zwischenmenschliche Kopulation jenes nicht erklrbareEtwas einfhrt, das just mit dem zusammenhngt, das Sie zu seiner Vervollstndi-gung niemals erwarten, und das sich ganz einfach der Blick nennt. Gerde deshalbhandelt es sich bei dieser kleinen Person manchmal um ein Kind und manchmal wahrlich seltsam und rtselhaft fr uns, die durch unsere Brille darauf schielen ein-fach ein kleiner Mensch als ganz und gar Mensch, erschaffen und gezeichnet mitdenselben Proportionen wie der sich da aktiv bettigende Mann; nur eben ganz undgar verkleinert; als eine Illustration, fr das empfindsam ist, was sich als wirklichgrundlegend [basal] erweist, und die uns dazu zwingt, das sogenannte Prinzip der

    Widerspruchsfreiheit, zumindest soweit dieses das damit behandelte Feld betrifft, alseinem fundamentalen Ursprungspunkt des Denkens [point raidical lorigine de lapense] zu revidieren, und das sich, um eine gngige [ colloquial], umgangsprachli-

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    che Formulierung zu verwenden, so uert: Nie zwei ohne ein Drittes [jamais deuxsans trois].1 Sie sagen dies ohne nachzudenken. Sie denken einfach, dies besagte,dass wenn Sie bereits zwei Scherereien [emm] habe, sie zwangslufig auch einedritte erleben werden.2 Mitnichten! Keineswegs will es das besagen! Es bedeutet,dass es, um Zwei zu sein, eines Dritten bedarf.

    Sie haben sicher nie darber nachgedacht. Doch gerade hierin ist die Forderung be-grndet, dass wir in unser Wirken [opration] das einfhren, das diesem intervenie-renden Element [lment intercalaire] Rechnung trgt, das wir selbstverstndlichdurch eine logische Verknpfung begreifen knnen, denn wenn Sie sich in der Wirk-lichkeit anschicken, dieses Etwas in einer Ecke zu erfassen, werden sie garantiertreingelegt, denn gerade die Wirklichkeit ist, wie jedermann wei, auf Ihr Ich aufge-baut, auf das Subjekt des Bewusstseins, und damit ist sie genau so konstruiert, dassSie sie niemals erreichen werden.

    Nur uns als Analytikern kommt diese Rolle zu. Wir, wir verfgen ber die erforderli-chen Mittel (Lacan, 1968, 387-389).

    Lacan greife die Dynamik des radikalen bis tdlichen Begehrens so die Kom-mentierung durch Lamienny-Boczkowski (2013, 136) im Kontext eines als Umweg [dtour]zu verstehenden Aperus ber die japanische Druckgrafik auf, der er als wesentliches Cha-rakteristikum die Reprsentanz der kopulatorischen Gier [fureur copulatoire] eingeschrie-ben als Inschrift zugewiesen [mettre en exergue] habe.

    Tatschlich stellt Lacan berlegungen ber das Objekt " als Drittes an, wozu in derZeitschrift Savoir et clinique (n 16 / 2013, I) nachfolgende Grafik von Keisai Eisen 3mit dem Titel Secret Words of a Courtesanabgedruckt wird: Diese Reproduktion ist inso-fern irritierend, als die gewhlte Grafik zwar ein intimes Paar zum Thema hat, aber bei La-

    mienny-Boczkowski (2013, 136 Fn 11) lediglich auf den Zusammenhang zwischen dem laca-nianischen Es gibt keine sexuelle Beziehung [Il ny a pas de rapport sexuell] und der Schriftverweist, gerade das von Lacan hervorgehobene Objekt " aber nicht enthlt.

    1 Die franzsische Formel Jamais deux sans trois entspricht eigentlich der deutsche Redewendung Aller guten Dinge sind

    drei, doch gibt dies die fr die Existenz von zweien erforderliche (Voraus-)Setzung eines Dritten nicht wieder.2 Das franzsische Sprichwort Jamais deux sans trois bedeutet ganz im Sinne der Wendung Et de trois! auch Ein Un-glck kommt selten allein3 Keisai Eisen, 1790 1848, jap. Knstler der ukiyo-e-Grafik mit Spezialisierung inbijinga[Bilder von schnenFrauen] nach dem zeitgenssischen Schnheitsideal.

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    Auf was sich Lacan ganz offensichtlich als Reprsentanz des in die zwischen-menschliche Kopulation eingefhrten nicht erklrbaren Etwas bezieht, sind jene Abbil-dungen, wie sie Suzuki Harunobu 4 in einem shunga, einem sog. Frhlings-bild5 vom ukiyo-e-Genre6, mit besagtem kleinen / verkleinerten Menschen vorstellt.

    Eine andere Variante besteht in den Grafiken von Isoda Koryusai 7 mit ei-ner kleinen Katze als drittem Objekt in der Grafik Love Interrupts the Making of Silkvorstelltund in einem weiteren shungavon Suzuki Harunobu kopulierend wiederholt wird.

    Vor dem Hintergrund dieser Verknpfung (Kopula) des Begehrens mit dem Todund der erst durch die Todesdrohung gewonnenen Bedeutung des eigenen Lebens, vermagdas Subjekt ob Analysant oder Zen-Schler erst in der Auseinandersetzung mit dem Le-

    4 Suzuki Harunobu, ~1725 - 07.07.1770, jap. Knstler der mittleren ukiyo-e-Periode, Mitentwickler des Mehrfarben-

    drucks nishike-e[Brokatbilder].5 Dabei dient der Begriff Frhling als eine Metapher fr Sex.6 Die Kennzeichnung als ukiyo-e, etwa Bilder der flieenden Welt, betrifft Szenen des Alltags in einer irdischen, ver-gnglichen Welt einschlielich der zahlreichen Spielarten sexueller Fantasien.7 Isoda Koryusai, 1735 - 1790, jap. Knstler der ukiyo-e-Grafik mit Samurai-Background.

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    ben als einem Sein-zum-Tode dahin zu gelangen, dass es Verantwortung bernimmt undsich dem Realen des Todes stellt. Die Konstituierung der diesem Akt (als Potential) inne-wohnenden Freiheit des Menschen erweist sich dabei, so Lacan (1953, 320), als in eingrundlegendes Dreieck eingeschrieben, das aus einem Verzicht des Begehrens des an-deren, aus einer Selbstentsagung als Einverstndnis mit dem Opfer seines Lebens aus

    Grnden, die dem menschlichen Leben sein Ma geben und aus einer Selbstverleug-nung, einem selbstmrderischen Verzicht als jene verzweifelte Affirmation des Lebens,die die reinste Form darstellt, in der wir den Todestrieb (an-)erkennen gebildet wird.

    Versuchen Sie sich zu fragen, was sein Begehren realisiert haben bedeuten kann wenn nicht gar es im Tode [ la fin] realisiert zu haben, wenn man das so sagenkann. Es ist dieses Sich-Ausdehnen [empitement] des Todes auf das Leben, das je-der Frage ihre Dynamik verleiht, wenn diese das Thema der Verwirklichung des Be-gehrens in Worte zu fassen versucht. [] Hat das Leben etwas mit dem Tod zu tun?Kann man sagen, dass die Beziehung zum Tod, wie die Bogensehne, den Bogen [si-

    nus] des Anstiegs und des Falls des Lebens (er-)trgt [supporte] und verbindet [sous-tend]? (Lacan, 1960, 341).

    Schneiderman merkt nicht nur an, mit dieser Unvorhersehbarkeit des Endes habe frden Analysanten etwas vom Schrecken des Todes in diesen Sitzungen gelegen auchLacan selbst fhrt aus, dass der Todeswunsch nicht einem Schlaf oder den Traum gleich-komme, sondern dem Erwachen, das heit man erwacht, um zu begehren, und dieses Be-gehren ist das des Todes (Schneiderman, 1983, 132-133). Hinsichtlich dieser Konfrontationmit dem eigenen Tod merkt Lacan (1959a, 496) an, eine der Funktionen des Begeh-rens sei, diesen Moment der Wahrheit (des Todes) als Stunde des Eintreffens des Begeh-rens [heure de la rencontre dsire] mglichst weit weg zu halten. Folglich besteht fr dasSubjekt eine der Aufgaben darin, sich mit dem Intervall (Lacan, 1959a, 505) auseinander-zusetzen bzw. diese als eine zeitliche Distanz anzuerkennen, die das Subjekt zwischenden beiden Lebenshorizonten [lignes] aufrechterhlt, um dort fr die Zeit Atem holen zu kn-nen, die ihm zum Leben bleibt; und genau dies ist das, was wir als Begehren bezeichnen(Lacan, 1959a, 506). In Verbindung mit dem [kleinen] anderen " stellt die dialektische Bezie-

    hung S&" als Beziehung des Subjekt zum Objekt, soweit dieses, wenn man es so ausdr-cken kann, ein Regelinstrument [curseur] ist, die Ebene [niveau] dar, auf der sich etwas ab-spielt [situer] oder einbringt [placer], das beim Subjekt genau genommen das Begehren aus-macht (Lacan, 1959a, 509) und dementsprechend als Mathem S&"d geschrieben werden

    msste. Indem das Subjekt danach trachtet, im anderen als Objekt " seine Stunde abzule-sen (Lacan, 1959b, 529), das heit seinen Tod zu bestimmen und hinauszuschieben, ent-steht eine Geste, die aus einer bestimmten Interpretation dieses Begehrens resultiert: DasSubjekt fhlt, dass ihm der Tod nach seinem Leben trachtet, nicht mehr und nicht weniger.Und dieses Leben, was immer sein Wert sein mag, ist etwas, an dem es so lange wie mg-

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    lich festhalten will. Dass der Tod an seinem Leben Gefallen finden knnte, ist das, was demLeben seinen Wert verleiht (Schneiderman, 1983, 145). Es ist, was sich bereits als kleinerTod [la petite mort] da realisiert, wo das Begehren des anderen zwischen beispielsweise

    unsterblichem Verliebtsein und zum Sterben [mourir] schnen Momenten oszilliert und da das

    Subjekt dabei, ohne es zu merken, die Grenze,hinter der die Sprache aufhrt, berschreitet(Wolf, 2007, 20-21) ein amourir andeutet (La-can, 1963b, 584).8 Diese begehrende Beziehungzum Tod impliziert, so weiter Lacan (1978, 30),dass der von ihm als Kopula [copule]9 qualifi-zierte Mensch [tre humain] in dieser existentiel-len In-Fragestellung als ein amort10, ein zum To-de Seiender, zu begreifen ist.

    Ein ukiyo-evon Tsukioka Yoshitoshi

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    mit dem Titel Hanai Oume Killing Minekichithematisiert die Dynamik eines tdlichen Begeh-rens anhand der Geisha Oume, einer Restaurant-besitzerin in Tokyo, die in der regnerischen Nachtdes 09.06.1887 den sie verfolgenden Minekichi,dessen Begehren sie einige Zeit lang zurckwiesund dessen Diener Kamekichi in sie verliebt war,mit einem mitgefhrten Kchenmesser ttete.

    Literatur

    Bnabou, Marcel & Cornaz, Laurent & Lige, Dominique de & Plissier, Yan (Hrsg.). 2002.789 nologismes de Jacques Lacan. Paris: EPEL.

    Lacan, Jacques. 1953. Fonction et champ de la parole et du langage en psychanalyse. In:Lacan, J. (1966) a.a.O., 237-322.

    Lacan, Jacques. 1959a. Le Sminaire, Livre VI: Le dsir et son interprtation (490-513).[Transkript vom 08.04.1959] Online-Publikation: http://www.ecole-lacanienne.net.

    Lacan, Jacques. 1959b. Le Sminaire, Livre VI: Le dsir et son interprtation (514-540).[Transkript vom 15.04.1959] Online-Publikation: http://www.ecole-lacanienne.net.

    Lacan, Jacques. 1960. La demande du bonheur et la promesse analytique. In: Lacan, J.(1986) a.a.O., 337-348.

    Lacan, Jacques. 1963a. Les paupires de Bouddha. In: Lacan, J. (2004) a.a.O., 247-264.

    Lacan, Jacques. 1963b. Le Sminaire, Livre X: Langoisse (568-590). [Transkript vom29.05.1963]. Online-Publikation: http://www. ecole-lacanienne.net.

    Lacan, Jacques. 1966. Ecrits. Paris: Seuil.Lacan, Jacques. 1968. Le Sminaire, Livre XV: Lacte psychanalytique (337-389). [Transkript

    vom 28.02.1968]. Online-Publikation: http://www.ecole-lacanienne.net.Lacan, Jacques. 1986. Le Sminaire, Livre VII: Lthique de la psychanalyse. Paris: Seuil.

    8 Der Neologismus amourir entsteht aus einer Zusammenziehung von mourir [zum Sterben] und amour [Liebe]; er istin der publizierten Fassung des Seminars (Lacan 1963a, 304) nicht mehr enthalten, jedoch sehr wohl im Transkript der Vor-lesung (Lacan 1963b, 584) sowie bei Bnabou et al. (2002, 17), und knpft an das tre mourir [Sein-zum-Tode] an..9Kopula (lat.) = dt. Band im Sinne von a) Verschmelzung, Kopulation, b) grammatikalische Verbindung von Subjekt und Pr-

    dikat durch ein Verb, c) logische Verbindung von Subjekt und Prdikat zu einer Aussage.10 Der Neologismus amort ist ein Homophon von sowohl mort [zum Tode] als auch Amor, knpft an das amourir (sie-he oben) an und kann auch als "mort, als totes Objekt [klein] " wahrgenommen werden.11 Tsukioka Yoshitoshi, 1839 - 09.06.1892, spter Taiso Yoshitoshi, jap. Knstler der ukiyo-e-Grafik, innova-tiver und kreativer Meister dieses klassischen japanischen Farbholzschnitts.

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    Lacan, Jacques. 1978. Le Sminaire, Livre XXV: Le moment de conclure (29-43). [Transkriptvom 17.01.1978]. Online-Publikation: http://www.ecole-lacanienne.net.

    Lacan, Jacques. 2004. Le Sminaire, Livre X: Langoisse. Paris: Seuil.Lamienny-Boczkowski, Diana. 2013. Linconscient et la langue japonaise chez Lacan. In :

    Savoir et clinique, 16, 133-139.Schneiderman, Stuart. 1983. Jacques Lacan: The death of an intellectual hero. Cambridge:

    Harvard University Press.Wolf, Christa. 2007. Kassandra. Mnchen: SZ.

    Stand:

    07.05.2013

    bersetzung:

    Dr. Ulrich Kobbiwifo-Institut, Postfach 30 01 25, D-59543 Lippstadte-mail: [email protected]