Landgericht Kiel Urteil Im Namen des Volkes Tatbestand...derten Sinn und Zweck der Verordnung ist...

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Beglaubigte Abschrift 0 153/18 Seite 2 11 0 153/18 Verkündet am 08.10.2019 gez. Vermehren, JFAng als Urkundsbeamterder Geschäftsstelle Landgericht Kiel Urteil PE 09.10.2019 Im Namen des Volkes ln dem Rechtsstreit - Kläger - Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Gansei, Wallstraße 59,10179 Berlin, Gz.:(||||H||||||||||H||||D gegen Volkswagen AG, vertreten durch d. Vorstand, dieser vertreten durch den Vorsitzenden Herbert Diess, Berliner Ring 2, 38440 Wolfsburg - Beklagte - hat die 11. Zivilkammer des Landgerichts Kiel durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. Hanßen als Einzelrichter auf die mündliche Verhandlung vom 10.09.2019 für Recht erkannt: Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 35.751,- nebst Zinsen in - he von vier Prozent seit dem 30.04.2013 bis zum 20.07.2018 sowie Zin- sen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.07.2018 zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug um Zug gegen Über- eignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke Skoda vom Typ Ye- ti, 2.0 TDI 4x4 mit der Fahrzeugidentifikationsnummer dHHHHHIIlIPnebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außerge- richtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.436,57 nebst Zinsen in - he von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.07.2018 zu zahlen und ihn von weiteren 154,34 freizustellen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Tatbestand Der Kläger ist Eigentümer eines PKW mit einem Dieselmotor der Baureihe EA189 der Be- klagten und begehrt unter anderem die Zahlung von Schadensersatz. Mit Rechnung vom 29.04.2013 bestätigte das Skoda Zentrum Düsseldorf dem Kläger die Bestellung eines PKW Skoda Yeti 2.0 TDI zum Preis von 35.751,-€. In Erfüllung seiner Ver- bindlichkeit aus dem Kaufvertrag zahlte der Kläger den Kaufpreis am 30.04.2013 und er- hielt das Fahrzeug. Wegen der Einzelheiten zur Bestellung des Kraftfahrzeuges wird auf die Anlage Kl verwiesen. Die Beklagte hatte den im Fahrzeug des Klägers verbauten Motor hergestellt. Das Fahrzeug des Klägers erhielt am 19.07.2017 das Softwareupdate. Zum Kaufzeitpunkt war das Fahrzeug mit der von der Beklagten als Umschaltlogik bezeichneten Motorsteue- 110153/18 Seite 3 rungssoftware ausgestattet. Mit Anwaltsschreiben vom 07.11.2017 (Anlage K27) forderte der Kläger die Beklagte zur Anspruchserfüllung auf. Der Kläger behauptet, es sei ihm bei der Kaufentscheidung wichtig gewesen, ein umwelt- freundliches und wertstabiles Fahrzeug zu erwerben. Er hätte das Fahrzeug nicht gekauft, wenn er gewußt hätte, dass ihm in bestimmten Städten ein Fahrverbot droht. Die Beklagte habe in den Motor eine rechtswidrige Abschalteinrichtung eingebaut. Der Kläger beantragt, 1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 35.751,-€ nebst Zinsen in Höhe von 4 % seit dem 30.04.2013 bis zum 20.07.2018 sowie in - he von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.07.2018 zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug um Zug gegen Über- eignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke Skoda vom Typ Yeti, 2.0 TDI 4x4 mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) dHHIIHIIIIIDnebstzwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft sowie Zahlung eines Nutzungsersatzes in - he von 14.685,56 €. Hilfsweise beantragt er, 2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeugs der Marke Skoda vom Typ Yeti, 2.0 TDI 4x4 mit der Fahr- zeugidentifikationsnummer (FIN)(HHH|||H||||Dmit der mani- pulierten Motorsoftware durch die Beklagte resultieren. Weiter beantragt er, 3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in vor- 110153/18 Seite 4 genannten Klageanträgen genannten Zug um Zug Leistung im Annah- meverzug befindet. 4. Es wird festgestellt, dass der im Antrag zu 1) bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt. 5. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der au- ßergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.436,57 nebst Zin- sen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.07.2018 zu zahlen und ihn von weiteren 998,17 freizustellen. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte ist der Ansicht, dass Schadensersatzansprüche des Klägers nicht gegeben sind. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Partei- en gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Erklärungen zu Protokoll der mündli- chen Verhandlung Bezug genommen. Entscheidungsgründe Der Klageantrag zu 4) ist unzulässig. Die weiteren Klageanträge sind zulässig und überwie- gend begründet; der Klageantrag zu 3) ist insgesamt unbegründet. A. Klageantrag zu 1) Die Beklagte ist gemäß § 826 BGB und gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 263, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB jeweils in Verbindung mit § 249 BGB zur Zahlung von Scha-

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Beglaubigte Abschrift 0 153/18 Seite 2

11 0 153/18 Verkündet am 08.10.2019

gez.Vermehren, JFAngals UrkundsbeamterderGeschäftsstelle

Landgericht Kiel

Urteil

PE 09.10.2019

Im Namen des Volkes

ln dem Rechtsstreit

- Kläger -

Prozessbevollmächtigte:Rechtsanwälte Gansei, Wallstraße 59,10179 Berlin, Gz.:(||||H||||||||||H||||D

gegen

Volkswagen AG, vertreten durch d. Vorstand, dieser vertreten durch den Vorsitzenden Herbert Diess, Berliner Ring 2, 38440 Wolfsburg

- Beklagte -

hat die 11. Zivilkammer des Landgerichts Kiel durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht

Dr. Hanßen als Einzelrichter auf die mündliche Verhandlung vom 10.09.2019 für Recht erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 35.751,- € nebst Zinsen in Hö­

he von vier Prozent seit dem 30.04.2013 bis zum 20.07.2018 sowie Zin­

sen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem

21.07.2018 zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug um Zug gegen Über­

eignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke Skoda vom Typ Ye­

ti, 2.0 TDI 4x4 mit der Fahrzeugidentifikationsnummer

dHHHHHIIlIPnebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein,

Kfz-Brief und Serviceheft.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die durch die Beauftragung der

Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außerge­

richtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.436,57 € nebst Zinsen in Hö­

he von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem

21.07.2018 zu zahlen und ihn von weiteren 154,34 € freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils

zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger ist Eigentümer eines PKW mit einem Dieselmotor der Baureihe EA189 der Be­

klagten und begehrt unter anderem die Zahlung von Schadensersatz.

Mit Rechnung vom 29.04.2013 bestätigte das Skoda Zentrum Düsseldorf dem Kläger die

Bestellung eines PKW Skoda Yeti 2.0 TDI zum Preis von 35.751,-€. In Erfüllung seiner Ver­

bindlichkeit aus dem Kaufvertrag zahlte der Kläger den Kaufpreis am 30.04.2013 und er­

hielt das Fahrzeug. Wegen der Einzelheiten zur Bestellung des Kraftfahrzeuges wird auf die

Anlage Kl verwiesen. Die Beklagte hatte den im Fahrzeug des Klägers verbauten Motor

hergestellt.

Das Fahrzeug des Klägers erhielt am 19.07.2017 das Softwareupdate. Zum Kaufzeitpunkt

war das Fahrzeug mit der von der Beklagten als Umschaltlogik bezeichneten Motorsteue-

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rungssoftware ausgestattet. Mit Anwaltsschreiben vom 07.11.2017 (Anlage K27) forderte

der Kläger die Beklagte zur Anspruchserfüllung auf.

Der Kläger behauptet, es sei ihm bei der Kaufentscheidung wichtig gewesen, ein umwelt­

freundliches und wertstabiles Fahrzeug zu erwerben. Er hätte das Fahrzeug nicht gekauft,

wenn er gewußt hätte, dass ihm in bestimmten Städten ein Fahrverbot droht. Die Beklagte

habe in den Motor eine rechtswidrige Abschalteinrichtung eingebaut.

Der Kläger beantragt,

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 35.751,-€ nebst Zinsen in

Höhe von 4 % seit dem 30.04.2013 bis zum 20.07.2018 sowie in Hö­

he von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem

21.07.2018 zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug um Zug gegen Über­

eignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke Skoda vom Typ

Yeti, 2.0 TDI 4x4 mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN)

dHHIIHIIIIIDnebstzwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein,

Kfz-Brief und Serviceheft sowie Zahlung eines Nutzungsersatzes in Hö­

he von 14.685,56 €.

Hilfsweise beantragt er,

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger

Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus der Ausstattung des

Fahrzeugs der Marke Skoda vom Typ Yeti, 2.0 TDI 4x4 mit der Fahr­

zeugidentifikationsnummer (FIN)(HHH|||H||||Dmit der mani­

pulierten Motorsoftware durch die Beklagte resultieren.

Weiter beantragt er,

3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in vor-

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genannten Klageanträgen genannten Zug um Zug Leistung im Annah­

meverzug befindet.

4. Es wird festgestellt, dass der im Antrag zu 1) bezeichnete Anspruch

aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.

5. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die durch die Beauftragung

der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der au­

ßergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.436,57 € nebst Zin­

sen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem

21.07.2018 zu zahlen und ihn von weiteren 998,17 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass Schadensersatzansprüche des Klägers nicht gegeben

sind.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Partei­

en gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Erklärungen zu Protokoll der mündli­

chen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Klageantrag zu 4) ist unzulässig. Die weiteren Klageanträge sind zulässig und überwie­

gend begründet; der Klageantrag zu 3) ist insgesamt unbegründet.

A. Klageantrag zu 1)

Die Beklagte ist gemäß § 826 BGB und gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit

§§ 263, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB jeweils in Verbindung mit § 249 BGB zur Zahlung von Scha-

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densersatz in Höhe von 35.751,-€ Zug um Zug gegen Rückgabe des Skoda Yeti 2.0 TDI

verpflichtet. Eine Vorteilsausgleichung findet nicht statt.

1.) Die Beklagte ist dem Kläger gemäß § 826 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. Nach

dieser Vorschrift ist zum Schadensersatz verpflichtet, wer in einer gegen die guten Sitten

verstoßenen Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt.

Sittenwidrig ist nach der Rechtsprechung eine Handlung, die nach Inhalt oder Gesamtcha­

rakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggründen und Zweck zu

ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, das

heißt mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist.

Dass das Verhalten gegen vertragliche Pflichten oder das Gesetz verstößt, unbillig er­

scheint oder einen Schaden hervorruft, genügt nicht. Insbesondere ist die Verfolgung eige­

ner Interessen bei der Ausübung von Rechten im Grundsatz auch dann legitim, wenn damit

eine Schädigung Dritter verbunden ist. Hinzutreten muss nach der Rechtsprechung eine

nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als anständig Geltenden be­

sondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten

Mitteln, der zutrage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann (vgl.

Palandt -.Sprau, BGB, 78. Aufl., § 826 Rn 4 m. w. N.).

Bei Würdigung der Gesamtumstände ist der Einsatz der von der Beklagten als Umschaltlo­

gik bezeichneten Prüfstanderkennungssoftware als sittenwidrig zu bewerten, da ein derarti­

ges Verhalten mit den Grundbedürfnissen loyaler Rechtsgesinnung unvereinbar ist und von

einem redlichen und rechtstreuen Verbraucher auch nicht erwartet werden kann. Bei der ur­

sprünglich im Fahrzeug des Klägers vorhandenen Einrichtung, die bei erkanntem Prüfstand­

lauf eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert, handelt es sich um eine nach Artikel 5 Abs.

2 Satz 1 der VO (EG) Nr. 715/2007 des europäischen Parlaments und des Rates vom

20.06.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von

leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (EURO 5 und EURO 6) unzulässige Ab­

schalteinrichtung (vgl. BGH NJW2019, 1133,1134).

Die Verordnung legt technische Vorschriften der Mitgliedstaaten für die EG - Typgenehmi­

gung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich ihrer Schadstoffemissionen fest. Dabei regelt sie un­

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der Typgenehmigung im NEFZ gemessenen Emissionswerte unter normalen Betriebsbe­

dingungen nicht erreicht werden konnten.

Entgegen der Ansicht der Beklagten handelt es sich bei der Abgasrückführung um einen

Teil des Emissionskontrollsystems und nicht um eine hiervon zu trennende, innermotorische

Maßnahme, die zur Kontrolle der Verbrennung dient. Auch insoweit ist der Wortlaut des Ar­

tikels 5 Abs. 1 der genannten Verordnung eindeutig. Wenn die Auffassung der Beklagten

richtig wäre, bedürfte es keiner Abgasrückführung, weil diese das Emissionsverhalten nicht

beeinflusst. Das Gegenteil ist allerdings der Fall, da die Beklagte selbst vorträgt, dass es

im Modus 1 zu einer höheren Abgasrückführungsrate und in der Folge zu geringeren Emis­

sionen kam. Damit handelt es sich bei der von der Beklagten ursprünglich installierten Soft­

ware um eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Artikel 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007.

Denn die Software ermittelte aufgrund technischer Parameter die betreffende Betriebsart

des Fahrzeuges - Prüfstandlauf oder Echtbetrieb - und steuerte die Rate der Abgasrückfüh­

rung, was unmittelbar die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems und damit die Emis­

sionsrate beeinträchtigt.

Die Voraussetzung für das Vorlegen einer Ausnahme im Sinne des Artikels 5 Abs. 2 Satz 2

Buchstaben a-c VO (EG) Nr. 715/2007 liegen nicht vor. Denn die als Umschaltlogik be-

zeichnete Software war nicht notwendig, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu

schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeuges zu gewährleisten. Denn das erledigt

der Modus 0, der im Normalbetrieb aktiv ist. Folglich ist es auch nicht so, dass die Einrich­

tung nicht länger arbeitete als zum Anlassen des Motors erforderlich war. Ferner sind die

Bedingungen der Umschaltlogik in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen

und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen nicht enthalten. Die in Arti­

kel 5 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe c VO (EG) Nr. 715/2007 vorgesehene Privilegierung ist nur

dann einschlägig, wenn die Abschalteinrichtung deshalb greift, weil dies durch die Prüfver­

fahren zur Emissionsmessung im Wesentlichen vorgegeben wird. Nach dem oben geschil­

derten Sinn und Zweck der Verordnung ist damit gerade nicht gemeint, dass eine Motor­

steuerungssoftware dazu dient, die im NEFZ gemessenen Emissionswerte nach unten zu

ter anderem auch die Anforderungen, die die Hersteller von Neufahrzeugen zu erfüllen ha­

ben, um eine EG - Typgenehmigung zu erhalten. Nach Artikel 5 Abs. 1 der genannten Ver­

ordnung hat der Hersteller von ihm gefertigte Neufahrzeuge dergestalt auszurüsten, dass

die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefer­

tigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen den Vorga­

ben der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Damit soll sicherge­

stellt werden, dass sich die vorgebenen Emissionsgrenzwerte auf das tatsächliche Verhal­

ten der Fahrzeuge bei ihrer Verwendung beziehen (vergleiche Erwägungsgrund 12 derVO

(EG) Nr. 715/2007) und dass die zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der

Luftverschmutzungsgrenzwerte erforderliche erhebliche Minderung der Stickoxydemissio­

nen bei Dieselfahrzeugen (vergleiche Erwägungsgrund 6 der VO (EG) Nr. 715/2007) er­

reicht wird.

Folglich sieht die Verordnung die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung

von Emissionskontrollsystem verringern, schlicht als unzulässig an, sofern nicht eine der

ausdrücklich normierten Ausnahmetatbestände (Art. 5 Abs. 2 Satz 2 VO (EG) Nr.

715/2007) eingreift. Nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten kannte die imklägeri-

schen Fahrzeug installierte Software zwei unterschiedliche Betriebsmodi, die die Abgas­

rückführung steuern. Im Modus 1, der im NEFZ aktiv war, kam es zu einer höheren Abgas­

rückführungsrate. Unter Fahrbedingungen, die im normalen Straßenverkehr vorzufinden

sind, war der Modus 0 aktiv. Weil es im normalen Straßenbetrieb praktisch ausgeschlossen

sei, den NEFZ nachzufahren, habe sich das Fahrzeug mit der ursprünglich installierten Soft­

ware im normalen Straßenverkehr durchgehend im Modus 0 befunden. Damit räumt die Be­

klagte selbst ein, dass der von ihr gefertigte Motor im Fahrzeug des Klägers nicht den An­

forderungen des Artikels 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 entspricht. Denn der bei Erlan­

gung der EG - Typgenehmigung im NEFZ - Zyklus eingeschaltete Modus 1 ist im normalen

Betriebszustand abgeschaltet. Die Formulierung in Artikel 5 Abs. 1 der genannten Verord­

nung ist eindeutig, da es dort ausdrücklich heißt, dass der Hersteller das Fahrzeug so aus­

rüstet, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so kon­

struiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedin­

gungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Nach dem ei­

genen Vorbringen der Beklagten entsprach der Motor und damit auch das Fahrzeug unter

normalen Betriebsbedingungen aber gerade nicht der Verordnung, da die zur Erlangung

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korrigieren und damit im Verfahren zur Erlangung der EG - Typgenehmigung geringere

Emissionswerte vorzutäuschen.

Damit steht fest, dass der im Fahrzeug des Klägers eingebaute Motor bei Kauf des Fahr­

zeuges durch den Kläger über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügte. Das Indenver­

kehrbringen von Motoren, die über eine unzulässige Abschaltrichtung verfügen, ist im hohen

Maße sittenwidrig und verwerflich. Nach dem Erwägungsgrund 6 derVO (EG) Nr. 715/2007

soll diese Verordnung gerade dafür sorgen, dass die Luftqualität verbessert und die zur

Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte erforderliche erhebliche Minderung der Stick­

oxydemissionen bei Dieselfahrzeugen erreicht wird. Sinn und Zweck der genannten Verord­

nung ist es daher für die Einhaltung der Stickoxydgrenzwerte in Ballungszentren und entlang

von besonders belasteten Straßen zu sorgen. Die Verordnung dient damit auch dem Schutz

von Leib und Leben der Bevölkerung in der EU. Die Beklagte hatte sich bei der Erlangung

der Typgenehmigung für den hier maßgeblichen Motor offensichtlich über Sinn und Zweck

der genannten Verordnung hinweggesetzt.

Die Beklagte hat damit bewusst die Schädigung von Leib und Leben einer großen Anzahl

von Menschen in Kauf genommen. Dass Stickoxyde gesundheitsschädlich sind, ist allge­

mein bekannt und muss daher auch der Beklagten bekannt gewesen sein. Es ist offensicht­

lich, dass die für die Beklagte tätigen Mitarbeiter hierbei mit Vorsatz im Sinne eines dolus

directus 1. Grades handelten. Keine Software entwickelt sich von alleine und wird ohne

menschliches Zutun in ein Motorsteuerungs- und Abgasrückführungssystem integriert. Zu­

mal die Beklagte einen nachvollziehbaren Grund für die Installation der Umschaltlogik in der

Motorsteuerungssoftware des Motors nicht vorgetragen hat. Der einzige Grund dürfte darin

zu sehen sein, dass es der Beklagten und den für sie tätigen Menschen allein darum ging,

den Absatz der von ihr produzierten Motoren und Fahrzeuge durch das Vortäuschen gerin­

gerer Emissionswerte zu steigern. Die Beklagte hat hier vorsätzlich ein gegen das An­

standsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßendes, unanständig gesteigertes

Gewinnstreben an den Tag gelegt, welches nur als im hohen Maße verwerflich und sitten­

widrig eingestuft werden kann

Der Kläger hat durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten einen Schaden erlitten.

Schaden bedeutet jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage (Palandt - Sprau,

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BGB, 78. Aufl., § 826 Rn 3). Grundsätzlich ist die Differenz zwischen der Vermögenslage

vor dem schädigenden Ereignis und nach diesem Ereignis zu ermitteln. Ein Vermögens­

schaden ist gegeben, wenn der jetzige tatsächliche Wert des Vermögens des Geschädig­

ten geringer ist als der Wert, den das Vermögen ohne das die Ersatzpflicht begründende

Ereignis hätte (Palandt- Grüneberg, BGB, 78. Aufl., Vorbv§ 249 BGB Rn 10).

Auf der Aktivseite des klägerischen Vermögens stand nach dem Kauf des streitgegen­

ständlichen Fahrzeuges der erworbene PKW, der mit einer unzulässigen Abschalteinrich­

tung versehen war. Auf der Passivseite stand der gezahlte Kaufpreis. Der erworbene PKW

war den Kaufpreis nicht wert. Ein PKW, der aufgrund seiner Ausrüstung mit einer Software,

die einen speziellen Modus für den Prüfstandlauf sowie einen hiervon abweichenden Modus

für den Alltagsbetrieb vorsieht und hierdurch nur im Prüfzyklus verbesserte Stickoxydwerte

generiert, ist nicht vorschriftsmäßig im Sinne § 5 Abs. 1 FZV. Denn ein solches Fahrzeug

entspricht entgegen den in § 3 Abs. 1 Satz 2 FZV normierten Zulassungsvoraussetzungen

keinem genehmigten Typ. Folglich sieht sich der Halter eines solchen Fahrzeuges, solange

eine ordnungsgemäße Nachrüstung nicht durchgeführt worden ist, einer drohenden Be­

triebsbeschränkung oder Untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV ausgesetzt. Diese Gefahr be­

steht nicht erst bei einer durch Bescheid des Kraftfahrtbundesamtes an den Fahrzeugher­

steller erteilten Umrüstanordnung, sondern auch schon dann, wenn die Typgenehmigungs­

behörde eine entsprechende Maßnahme gegenüber dem Hersteller noch nicht gefordert

hat. Denn auch dann liegt im Ansatz bereits ein Sachverhalt vor, der dazu führen kann, dass

die Zulassungsbehörde eine Betriebsuntersagung oder Beschränkung nach § 5 Abs. 1 FZV

vornimmt, weil das Fahrzeug wegen der gegen Artikel 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 versto­

ßenen Abschalteinrichtung nicht dem genehmigten Typ (§ 3 Abs. 1 Satz 2 FZV) entspricht

(vgl. BGH NJW2019, 1133, 1135).

Diese zumindest latent bestehenden Gefahr einer Betriebsuntersagung oder Beschränkung

hat einen wirtschaftlichen Wert. Die Schätzung eines solchen Wertes ist gemäß § 287 ZPO

von dem erkennenden Gericht vorzunehmen. Dieses schätzt den Wert der Vermögensmin­

derung, die aus der latent bestehenden Gefahr der Betriebsunterbrechung oder Beschrän­

kung resultiert, auf einen Betrag in Höhe des Kaufpreises. Denn solange die latente Gefahr

der Betriebsuntersagung oder Unterbrechung besteht, besteht eben auch die Gefahr, dass

der Kläger den Kaufpreis gezahlt hat, ohne das Fahrzeug weiter benutzen zu dürfen. Dieser

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sungsprüfung nicht durch Manipulation gleich welcher Art in dem Sinne verfälscht wurde,

dass die Zulassung nur auf Grundlage der Manipulation erfolgen konnte.

Der Kläger hat über sein Vermögen verfügt, indem er den Kaufpreis an die Verkäuferin ge­

zahlt hat.

Hierdurch ist dem Kläger auch ein Vermögensschaden entstanden. Der Begriff der Vermö­

gensbeschädigung wird überwiegend so definiert, dass der Gesamtgeldwert verringert sein

müsse, Vermögensschaden also der Unterschied zwischen dem Wert des Gesamtvermö­

gens vor und nach der Verfügung sei. Es muss der Wert der Aktiven vermindert werden

oder es müssen neue Verbindlichkeiten entstehen, ohne dass die Minderung durch einen

unmittelbaren Zuwachs gänzlich kompensiert wird (sogenannte Gesamtsaldierung). Dabei

ist der Wert der Zu- und Abflüsse anhand des jeweiligen Verkehrs- oder Marktwerts zu be­

stimmen, wobei auch normative Gesichtspunkte eine Rolle spielen können, die wirtschaftli­

che Betrachtungsweise dadurch aber nicht verdrängt oder überlagert werden darf

(Schönke/Schröder/Perron, StGB, 30. Auflage 2019, Rn. 99 mit weiteren Nachweisen).

Diese Voraussetzungen sind nach den obigen Ausführungen zum Schadensbegriff bei §

826 BGB gegeben.

Der subjektive Tatbestand ist ebenfalls erfüllt. Die Beklagte handelte vorsätzlich und in

Fremdbereichungs- und Eigenbereicherungsabsicht. Das Gericht schließt aus, dass sich

die Manipulationssoftware zufällig einen Weg in die Motorsteuerungssoftware des klägeri­

schen Fahrzeuges gebahnt hat. Eigenbereicherungsabsicht ist gegeben, da die Beklagte

mit jedem verkauften Fahrzeug einen geldwerten Vorteil erzielt hat. Dieser ist auch stoff­

gleich mit dem vom Kläger gezahlten Kaufpreis. Fremdbereicherungsabsicht ist gegeben,

da auch der das Fahrzeug verkaufende KFZ-Händler einen Vermögensvorteil zieht, der

ebenfalls stoffgleich ist mit dem vom Kläger gezahlten Kaufpreis.

Es kann dahinstehen, welche konkrete Person bzw. welche konkreten Personen die Tat­

handlungen seitens der Beklagten begangen haben. Unstreitig handelt es sich bei den Mo­

toren des Typs EA 189 um eine Entwicklung der Beklagten. Mithin haben auch konkrete

Schaden ist bereits mit Zahlung des Kaufpreises und Übergabe des Fahrzeuges entstan­

den. Damit hatte das an den Kläger übergebene Fahrzeug einen Wert von 0,- €.

Die für die Beklagte tätigen Menschen handelten auch insoweit mit Vorsatz. Sie kannten ih­

re eigene Entwicklung und die Tatsache des Erschleichens der Typgenehmigung. Somit

haben sie absichtlich Fahrzeuge ohne rechtmäßige Typgenehmigung in den Verkehr ge­

bracht.

2.) Gemäß § 823 Abs. 2 BGB ist derjenige, welcher gegen ein den Schutz eines anderen

bezweckenden Gesetzes verstößt, dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden

Schadens verpflichtet. Ein solches Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ist § 263

StGB. Durch das Inverkehrbringen des mit der als Umschaltlogik bezeichneten Manipulati­

onssoftware ausgestatteten Fahrzeuges hat die Beklagte den Tatbestand des Betruges ge­

mäß § 263 Absatz 1 StGB schuldhaft erfüllt. Es kann dahinstehen, ob das Verhalten der Be­

klagten auch den Tatbestand des § 263 Abs. 3 StGB der gewerbsmäßigen Begehung er­

füllt.

Einen Betrug im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB begeht, wer in der Absicht, sich oder einem

Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, vorsätzlich das Vermögen

eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Ent­

stellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält.

Die Beklagte hat den Kläger über Tatsachen getäuscht. Denn die Beklagte hat den Kläger

nicht darüber aufgeklärt, dass das von der Beklagten in den Verkehr gebrachte und vom

Kläger erworbene Fahrzeug eine gemäß Artikel 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) 715/2007 unzu­

lässige Abschalteinrichtung enthält. Durch den Einsatz der Umschaltlogik hat die Beklagte

den Kläger und auch jeden anderen Kunden, der ein Fahrzeug gekauft hat, in dem die Soft­

ware verbaut war, im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB getäuscht und bei dem jeweiligen Kun­

den einen Irrtum erregt, da der Rechtsverkehr und damit auch der Kläger darauf vertrauen

durfte, dass das Fahrzeug nebst Motor die Zulassungsprüfung nach den geltenden Geset­

zen durchlaufen hatte. Dies umfasst auch die Vorstellung, dass das Ergebnis derZulas-

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Mitarbeiter der Beklagten die tatbestandsmäßigen Handlungen begangen und jeweils je­

denfalls in Fremdbereicherungsabsicht gehandelt.

Das Gericht geht davon aus, dass die Verkäuferin keine Kenntnis von der Existenz der un­

zulässigen Abschalteinrichtung hatte. Damit handelte die Beklagte in mittelbarer Täterschaft

gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 StGB.

3. ) Nach den vorstehenden Ausführungen kommt es im Ergebnis auf weitere, sich insbe­

sondere aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) Nr. 715/2007 ergeben­

den Anspruchsgrundlagen nicht an.

4. ) Die Beklagte haftet gemäß § 31 BGB oder gemäß § 831 BGB oder wegen Organisati­

onsverschuldens für die bei ihr tätigen und für den Einsatz der Umschaltlogik verantwortli­

chen Personen. Soweit die Beklagte behauptet, dass nach dem bisherigen Stand ihrer Er­

mittlungen bei ihr keine Kenntnis darüber bestehe, welche konkrete Person für den Einsatz

der Umschaltlogik verantwortlich ist, ist dies nicht glaubhaft. Die Beklagte trägt hier offen­

sichtlich wahrheitswidrig vor, da sie mehrere Jahre Zeit zur Aufklärung hatte. Zudem verfügt

sie über die beste Möglichkeit der Aufklärung, da nur sie vollständigen Einblick in die eige­

nen Geschehensabläufe hat. Es spricht auch für sich, dass - wie allgemein bekannt - in der

Zwischenzeit die Staatsanwaltschaft Braunschweig Anklage gegen den ehemaligen Vor­

standsvorsitzenden Winterkorn der Beklagten erhoben hat. Vor diesem Hintergrund ist die

behauptete Unkenntnis der Beklagten, die bessere Ermittlungsmöglichkeiten als eine

Staatsanwaltschaft hat, gänzlich unglaubhaft.

Nach § 31 BGB ist die Beklagte verantwortlich für den Schaden, den ein verfassungsmäßig

berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begange­

ne, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt. Dabei ist ein verfas­

sungsmäßiger Vertreter jede Person, der durch die allgemeine Betriebsregelung und Hand­

habung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen,

eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, die also die juristische Person auf diese

Weise repräsentiert. Um eine solche Person handelt es sich bei derjenigen, die den Ein­

satz der Umschaltlogik in den Motoren der Beklagten genehmigt hat. Ob dies ein Mitglied

des Vorstandes oder der Vorstandsvorsitzende selbst gewesen ist, kann dahinstehen.

Page 4: Landgericht Kiel Urteil Im Namen des Volkes Tatbestand...derten Sinn und Zweck der Verordnung ist damit gerade nicht gemeint, dass eine Motor steuerungssoftware dazu dient, die im

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Denn die Beklagte hat entgegen ihrer Verpflichtung aus § 138 Abs. 1 ZPO ihre Erklärungen

über die tatsächlichen Umstände, die zum Einsatz der Umschaltlogik geführt haben, weder

vollständig noch der Wahrheit gemäß abgegeben. Dass die entsprechende Software nicht

von allein entstanden ist, sondern von Menschen entwickelt worden sein muss und andere

Menschen die Genehmigung zum Einsatz der Motorsteuersoftware gegeben haben, dürfte

denklogisch nicht zu widerlegen sein.

Selbst wenn kein verfassungsmäßiger Vertreter i. S. d. § 31 BGB direkt verantwortlich sein

sollte, wäre eine Haftung der Beklagten gemäß § 831 BGB gegeben. Wer einen anderen zu

einer Verrichtung bestellt, ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den der andere in Aus­

führung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein,

wenn der Geschäftsherr die bei der Leitung der Verrichtung erforderliche Sorgfalt beobach­

tet oder der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden wäre. Geschäftsherr

im Sinne dieser Regelung ist der Vorstand der Beklagten (§ 76 Abs. 1 AktG). Offensichtlich

hätte der gesamte Vorstand der Beklagten seine Verpflichtung zur Leitung der Mitarbeiter

grob fahrlässig verletzt, wenn es richtig wäre, dass kein Organ der Beklagten i. S. d. § 31

BGB für den Einsatz der Umschaltlogik verantwortlich wäre. Die untergeordneten Mitarbei­

ter der Beklagten hätten dann die offensichtlich vollständig unbeaufsichtigte Möglichkeit ge­

habt, der Beklagten einen - soweit allgemein bekannt - Milliardenschaden zu verursachen.

Jedenfalls haftet die Beklagte nach den Grundsätzen des Organisationsverschuldens für die

Tätigkeit ihrer Mitarbeiter. Jede juristische Person ist verpflichtet, den Gesamtbereich ihrer

Tätigkeit so zu organisieren, dass für alle wichtigen Aufgabengebiete ein verfassungsge­

mäßer Vertreter i. S. d. § 31 BGB zuständig ist. Entspricht die Organisation diesen Anfor­

derungen nicht, muss sich die juristische Person so behandeln lassen als wäre der tatsäch­

lich eingesetzte Verrichtungsgehilfe ein verfassungsgemäßer Vertreter (Palandt - Ellenber­

ger, BGB, 78. Aufl., § 31 Rn 7). Dies gilt erst recht, wenn die juristische Person so mangel­

haft organisiert ist, dass sie auch nach jahrelangen internen Ermittlungen die verantwortliche

Person oder die verantwortlichen Personen nicht benennen kann.

5.) Die Beklagte hat gemäß § 249 BGB Schadensersatz zu leisten. Nach Absatz 1 dieser

Vorschrift hat derjenige, der zum Schadensersatz verpflichtet ist, den Zustand herzustellen,

der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.

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tatsächliche Zahlung des Kaufpreises. Ab Eintritt der Rechtshängigkeit richtet sich der An­

spruch auf Zinszahlung nach §§ 291, 288 BGB.

Die Beklagte hat den Kläger damit so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er den mit einer

unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Artikels 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 ver­

sehenen PKW nicht gekauft hätte. Die Beklagte hat damit den vom Kläger gezahlten Kauf­

preiszu erstatten.

Eine Nutzungsentschädigung ist nicht zu zahlen. Im Rahmen des Schadensersatzrechts wird

eine Nutzungsentschädigung zugesprochen, wenn eine Vorteilsausgleichung vorzunehmen

ist. Diese muss dem Zweck des Schadensersatzes entsprechen, das heißt sie darf den Ge­

schädigten nicht unzumutbar belasten und den Schädiger nicht unbillig begünstigen (BGH

NJW2006, 499). Beide Voraussetzungen sind nicht gegeben.

Der Kläger ist zwar mit dem Fahrzeug gefahren. Er hat es damit genutzt. Die Nutzung eines

mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeuges kann allerdings jeder­

zeit untersagt werden (siehe oben). Die Beklagte hat sich durch das in den Verkehr bringen

eines Motors mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung grob sittenwidrig und verwerflich

verhalten. Wenn jetzt der Kläger eine Nutzungsentschädigung an die Beklagte zu entrichten

hätte, würde dies darauf hinauslaufen, dass der Kläger Miete für ein Fahrzeug zahlen müss­

te, welches durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten in den Verkehr gebracht wor­

den ist. Damit würde die Beklagte im Ergebnis einen geldwerten Vorteil aus ihrem sitten­

widrigen Verhalten ziehen. Ein solches Ergebnis ist nicht hinnehmbar. Es würde bedeuten,

dass ein Verkäufer, der lediglich mit der Folge eines Rücktritts vom Kaufvertrag vertrags­

widrig handelt, im Ergebnis ebenso behandelt werden würde wie die Beklagte, die sich ver­

tragswidrig, sittenwidrig und strafbar verhalten hat. Die von der Beklagten entwickelte krimi­

nelle Energie würde mit einem erheblichen geldwerten Vorteil für die Beklagte honoriert

werden. Dies wäre eine deutlich unbillige Begünstigung. Außerdem wollte der Kläger das

Fahrzeug kaufen und nicht mieten.

Es ist anzumerken, dass es sich bei der Vorteilsausgleichung allein um eine Frage der

Schadensberechnung und nicht um einen Zug um Zug geltend zu machenden Gegenan­

spruch handelt. Die unklare Formulierung im Klageantrag zu 1) ist daher in diesem Sinne

auszulegen.

6.) Der Zinsanspruch ist aus § 849 BGB begründet. Maßgeblich für den Zinsbeginn ist die

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Beglaubigt

Vermehren, JFAng

B. Der Klageantrag zu 3) ist unbegründet, da der Kläger nicht dargelegt hat, wie und wann

er der Beklagten die Rückgabe des Fahrzeuges angeboten hat. Das Anspruchsschreiben

vom 07.11.2017 (Anlage K27) ist insoweit unergiebig.

C. Der Klageantrag zu 4) ist unzulässig. Das erforderliche rechtliche Interesse an der Fest­

stellung (§ 256 Abs. 1 ZPO) ist nicht gegeben. Bei der Beklagten handelt es sich nicht um

eine Person im Sinne des § 850 ZPO, die Arbeitseinkommen bezieht, und nicht um eine na­

türliche Person im Sinne der §§ 302, 286 InsO.

D. Der Klageantrag zu 5) ist überwiegend begründet, im Übrigen unbegründet. Die außer­

gerichtlichen Kosten sind gemäß § 249 BGB als Kosten sachgerechter Rechtsverfolgung in

Höhe von 1.590,91 € zu erstatten. Für die Geschäftsgebühr ist lediglich eine 1,3fache Ge­

bühr anzusetzen. Der Umfang der Sache rechtfertigt keine höhere Festsetzung. Der erhöhte

Aufwand wird dadurch ausgeglichen, dass es sich bei den Tätigkeiten im Rahmen des Die­

selskandals in aller Regel für die beteiligten Prozessbevollmächtigten um eine in mehreren

Verfahren gleichermaßen zu verwertende Tätigkeit handelt. Der Kläger ist zur Geltendma­

chung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten als Nebenforderung von der ARAG er­

mächtigt. Diese hat 1.436,57 € gezahlt. Hinsichtlich des Restbetrages ist der Freistellungs­

antrag begründet.

E. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 2, 709 ZPO.

Der Schriftsatz der Beklagten vom 26.09.2019 bot keinen Anlass zur erneuten Eröffnung

der mündlichen Verhandlung.

Dr. HanßenVorsitzender Richter am Landgericht