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Landtag Ausschussprotokoll Nordrhein-Westfalen APr 16/777 16. Wahlperiode 12.12.2014 Ausschuss für Europa und Eine Welt 28. Sitzung (öffentlich) 12. Dezember 2014 Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Europäischen Union Rue Montoyer 47, B-1000 Brüssel 10:00 Uhr bis 13:20 Uhr Vorsitz: Nicolaus Kern (PIRATEN) Protokoll: Gertrud Schröder-Djug Verhandlungspunkte und Ergebnisse: Vor Eintritt in die Tagesordnung 3 1 Aktueller Stand der Verhandlungen zur Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) / Ausblick 6 Gast: Dr. Jan Schmitz, TTIP-Koordinator der Europäischen Kommission, Generaldirektion Handel Dr. Jan Schmitz berichtet und diskutiert mit den Abgeordneten über verschiedene Fragestellungen.

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Landtag Ausschussprotokoll Nordrhein-Westfalen APr 16/777 16. Wahlperiode 12.12.2014

Ausschuss für Europa und Eine Welt 28. Sitzung (öffentlich)

12. Dezember 2014

Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Europäischen Union Rue Montoyer 47, B-1000 Brüssel

10:00 Uhr bis 13:20 Uhr

Vorsitz: Nicolaus Kern (PIRATEN)

Protokoll: Gertrud Schröder-Djug

Verhandlungspunkte und Ergebnisse:

Vor Eintritt in die Tagesordnung 3

1 Aktueller Stand der Verhandlungen zur Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) / Ausblick 6

Gast: Dr. Jan Schmitz, TTIP-Koordinator der Europäischen Kommission, Generaldirektion Handel

Dr. Jan Schmitz berichtet und diskutiert mit den Abgeordneten über verschiedene Fragestellungen.

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro 2 EU-Migrations- und Flüchtlingspolitik 24

a) Einführung zu aktuellen Entwicklungen sowie sozialrechtlichen Aspekten der europäischen Migrations- und Flüchtlingspolitik

Gäste: Daniela Giannone/Klaus Müller

Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Europäischen Union

b) Die Förderung von sozialer Eingliederung und Integration im Rahmen des Europäischen Sozialfonds (ESF)

Gast: Franz-Peter Veits

EU-Kommission, Generaldirektion Beschäftigung

Bericht von Daniela Giannone 24

Bericht von Klaus Müller 28

Bericht von Franz-Peter Veits 30

Aussprache 34

3 Debatte zur Zukunft der Europäischen Union 39

Gast: Janis Emmanouilidis

European Policy Centre

Bericht von Direktor Janis Emmanouilidis (European Policy Centre), Diskussion.

4 Verschiedenes 53

Der Ausschuss beschließt den Terminplan 2015.

* * *

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Aus der Diskussion

Vor Eintritt in die Tagesordnung

heißt Staatssekretär Dr. Marc Jan Eumann (MBEM) den Ausschuss in der Lan-desvertretung in Brüssel herzlich willkommen. Er freue sich, dass der Ausschuss die Gelegenheit nutze, die auswärtige Sitzung in der Landesvertretung stattfinden zu lassen. Der Ausschuss habe am gestrigen Tage interessante Gespräche geführt. Er sei sicher, dass man das heute fortsetzen könne.

Es werde jetzt schon mit Hochdruck daran gearbeitet, aus den vorliegenden Informa-tionen die europapolitischen Prioritäten abzuleiten. In einer Vereinbarung mit dem Landtag sei zugesichert worden, dass die europapolitischen Prioritäten mit dem Aus-schuss diskutiert würden. Er sei auf die neuen Informationen gespannt, sodass man sehr früh, im ersten Quartal des kommenden Jahres die europapolitischen Prioritäten ableiten könne, wobei sich für die Landesregierung neben dem wichtigen Thema „Soziales Europa“ zwei Elemente als besonders wichtig erwiesen.

Das eine sei eine weitere Intensivierung der Arbeit im Benelux-Raum. Da sei man sehr engagiert. Frau Gauber sei die Vertreterin NRWs im Benelux-Sekretariat. Die Situation sei sehr erfreulich, nicht nur weil es einen sehr engen Austausch auf der politischen Spitzenebene gebe. Die Ministerpräsidentin sei regelmäßig mit den politi-schen Chefs der Benelux-Region zusammen. Erst vor wenigen Wochen habe ein solcher Austausch stattgefunden. Er verweise auf die politischen Vereinbarungen in Partnerregionen. Die Zusammenarbeit solle noch weiter intensiviert werden.

Das Zweite, was die regionale Zusammenarbeit anbelange, sei das regionale Wei-marer Dreieck, die Zusammenarbeit mit Nord-Pas de Calais und mit Oberschlesien, Polen. Es sei beabsichtigt, das weiter zu intensivieren, weil man über die lange Zu-sammenarbeit jetzt die Vertrauensverhältnisse aufgebaut habe, die zu einem frucht-baren Austausch führten. Wenn er die Benelux-Region zuerst angesprochen habe, dann habe das auch damit zu tun, dass man gerade im Bereich Wissenschaftsclus-ter, im Bereich Energie, Innovationsförderung grenzüberschreitend vorbildlich zu-sammenarbeite. Darauf wolle man gerne aufsetzen. Er schlage vor, dass der Aus-schuss den Kolleginnen und Kollegen aus der Landesvertretung kurz die Gelegen-heit gebe, das Portfolio zu nennen.

Ministerialdirigent Rainer Steffens (Leiter der Vertretung des Landes Nord-rhein-Westfalen bei der Europäischen Union) heißt den Ausschuss in der Landes-vertretung herzlich willkommen. Er sei auch gestern schon mit dem Ausschuss un-terwegs gewesen. Das Programm sei sehr abwechslungsreich gewesen.

Mit dem neuen Parlament, der neuen Kommission sei die Landesvertretung vor neue Herausforderungen gestellt. Man müsse die Netzwerke neu sortieren und neu auf-bauen, überall sei neues Personal an den Schaltstellen tätig. Die Landesvertretung habe mit den nordrhein-westfälischen Abgeordneten im Parlament eine Gesprächs-

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro reihe begonnen, bei der systematisch mit jedem ein intensiver Austausch geführt werde. Das Gleiche gelte auch für die Kommission, wo man, wie gesagt, verstärkt neue Kontakte finden müsse, alte ausbauen müsse. Da sei man sehr gut aufgestellt.

Was das Wirken in Form von Veranstaltungen angehe, so würden 2015 wieder viele Veranstaltungen fachpolitischer Art durchgeführt, aber auch kultureller Art. Manchmal sei es schade, wenn es die Vertretung vor allem mit einer Veranstaltung, etwa der Karnevalsveranstaltung als Brauchtumsveranstaltung, in die Tageszeitungen schaffe, aber weniger mit den fachpolitischen Veranstaltungen, die den eigentlichen Kern der Arbeit ausmachten, wobei man ein sehr gutes positives Image in Brüssel habe, dass das nicht so häufig nach Düsseldorf rüberschwappe. Er hoffe, dass man in Zukunft verstärkt darstellen könne, was in der Landesvertretung tatsächlich geleistet werde, wozu man in der Lage sei. – Er bitte die Kolleginnen und Kollegen, sich kurz vorzu-stellen.

Jörg Singelnstein legt dar, er sei seit einem halben Jahr stellvertretender Leiter und mache das, was früher Frau Zwiffelhoffer gemacht habe. Darüber hinaus sei er für den Fachpolitikbereich Medien und Netzpolitik verantwortlich. Im kommenden Jahr werde es eine neue Veranstaltungsreihe zur Digitalisierung in Brüssel geben.

Jede Woche könne man in Düsseldorf das Resultat der Arbeit sehen, und zwar den Wochenbericht, der in seinem Fachbereich zusammengetragen werde. In den letzten sechs Monaten habe sich da etwas getan. Per Twitter könne man auch Teile der Wochenberichte abrufen. Für die Auffindbarkeit der vielen Produkte, die im Hause entstünden, sei das sehr sinnvoll. Er empfehle, das zu nutzen. Dadurch sei eine bes-sere Sortierfähigkeit und Auffindbarkeit gegeben. Er hoffe, dass man weiterhin das Niveau halten könne und der Wochenbericht jede Woche durchgearbeitet werde. Er freue sich, wenn es auch Rückmeldungen gebe, was gefalle und was nicht gefalle. Für die Kritik sei man sehr offen, für Lob auch.

Johannes Grotz gibt an, er sei aus dem Wirtschaftsministerium abgeordnet und in der Landesvertretung zuständig für Wirtschaft und die Strukturpolitik.

Jörg Janßen erklärt, er habe schon im letzten Jahr die Ehre gehabt, in dieser Runde anwesend sein zu dürfen. In der Landesvertretung sei er zuständig für den Fachbe-reich Wissenschaft, Forschung und Innovation. In der Landesvertretung werde die erfolgreiche Grand-Challenges-Serie aus dem Wissenschaftsministerium organisiert. Zu der wolle er den Ausschuss auch an dieser Stelle recht herzlich einladen.

Daniela Giannone führt aus, sie sei im Hause zuständig für die Fachbereiche Inne-res und Sport und werde gleich einen kleinen Vortrag zur EU-Migrationspolitik halten.

Klaus Müller gibt an, er sei aus dem MAIS und darüber hinaus sei er zuständig für Familie, Kinder und Jugend aus dem anderen Ressort.

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro Dr. Pascal Belling gibt an, er begleite den Ausschuss der Regionen aus der Lan-desvertretung.

Vorsitzender Nicolaus Kern dankt herzlich Staatssekretär Dr. Eumann und Herrn Steffens für die Gastfreundschaft. Der Ausschuss freue sich, dass er in diesem Jahr wieder die Gelegenheit habe, in den Räumlichkeiten der NRW-Landesvertretung zu tagen. Er bedanke sich bei Herrn Steffens für die tatkräftige Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung der zweitägigen Informationsreise.

Wieder einmal sei es gelungen, interessante Gesprächspartner zu gewinnen und Themen zu diskutieren. Ein besonderer Dank gelte Frau Anne Steven, die mit ihrer gelungenen Premiere bei der Reisevorbereitung und -durchführung gezeigt habe, dass der Landtag in Brüssel sehr gut aufgestellt sei. Er bedanke sich für die Unter-stützung.

(Allgemeiner Beifall)

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro 1 Aktueller Stand der Verhandlungen zur Transatlantischen Handels- und

Investitionspartnerschaft (TTIP) / Ausblick

Gast: Dr. Jan Schmitz, TTIP-Koordinator der Europäischen Kommission, Generaldirektion Handel

Vorsitzender Nicolaus Kern führt aus, ein kurzer Name sorge für eine anhaltende Debatte: TTIP. Seit Beginn der Verhandlungen im Sommer 2013 trage die mediale Berichterstattung über das geplante „Transatlantic Trade and Investment Part-nership“ zwischen der EU und den USA zur kritischen Auseinandersetzung mit der Thematik bei. Hier ergebe sich bisweilen die Schwierigkeit, sachlich fundierte Argu-mente von einseitigen Stellungnahmen zu differenzieren.

Faktisch handle es sich bei TTIP um ein Freihandels- und Investitionsabkommen, dessen konkrete Ausgestaltung derzeit verhandelt werde. Befürworter erwarteten ein Wachstumsimpuls der amerikanischen und europäischen Wirtschaft, neue Arbeits-plätze und eine Stärkung der transatlantischen Wertegemeinschaft.

Kritiker wiesen demgegenüber auf die Intransparenz des Verhandlungsprozesses hin und fürchteten einen Abbau von Standards, eine Beeinträchtigung des Verbraucher-schutzes und den Verlust staatlicher Souveränität. Wie genau der aktuelle Stand der Verhandlungen zu TTIP derzeit aussehe, wolle der Ausschuss heute früh aus erster Hand erfahren. Er freue sich, Herrn Dr. Schmitz in seiner Funktion als TTIP-Koordinator der Europäischen Kommission in der Generaldirektion Handel in der Ausschusssitzung begrüßen zu können.

Es freue ihn, dass der Kollege Markus Töns als Berichterstatter im Ausschuss der Regionen zu TTIP heute Morgen an der Sitzung teilnehme. Seine Stellungnahme werde in der kommenden Woche, am 17. Dezember 2014, in der AdR-Fachkommission ECOS abgestimmt und dem AdR-Plenum Anfang des kommenden Jahres vorgelegt. Er freue sich auf einen interessanten Austausch.

Dr. Jan Schmitz (TTIP-Koordinator der Europäischen Kommission, Generaldi-rektion Handel) trägt vor:

Guten Morgen! Wie Sie an meinem Namen sehen, komme ich aus Köln. Insofern hoffe ich, dass ich bei Ihnen einen Vertrauensbonus habe oder zumindest den Vertrauensmalus der Kommission teilweise ausgleichen kann. Es ist für mich als Kölner eine große Ehre, vor Landtagsabgeordneten zu sprechen, insbesondere vor dem Europaausschuss.

Ich möchte kurz versuchen darzulegen, was die Kommission mit TTIP bezweckt, und Ihnen dann kurz den Stand der Verhandlungen darstellen. Ich versuche, mich kurz zu halten. Unterbrechen Sie mich bitte, wenn Sie denken, ich erzähle Ihnen etwas, was Sie schon wissen, oder ich erzähle Ihnen etwas, was Sie nicht hören wolle.

Was ist TTIP? Wenn Sie wollen, können Sie TTIP in drei Boxen einteilen. Die ers-te Box ist die klassische Freihandelsabkommens-Box. Da geht es um Marktzu-

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gang, da geht es um die Abschaffung von Zöllen. Da geht es um die Frage, in welchen Sektoren ausländische Dienstleistungserbringer diskriminiert werden dür-fen. Ganz besonders wichtig für die deutsche Industrie: Da geht es um die Frage bei der öffentlichen Beschaffung, wenn etwas ausgeschrieben wird. Wann dürfen amerikanische Unternehmen in Europa oder europäische Unternehmen in den USA mitbieten, wenn staatliche Aufträge vergeben werden?

Dann ist da eine zweite Box. Sie ist wahrscheinlich die auch in der Öffentlichkeit am intensivsten diskutierte Box. Da geht es um die regulatorische Zusammenar-beit, die Frage, wie man den Handel erleichtern kann. Wir haben natürlich Zölle, die liegen zwischen 3 % und 5 %. Auch Kleinvieh macht Mist. Wenn wir uns das Handelsvolumen anschauen: 2 Milliarden Güter und Dienstleistungen werden pro Tag über den Atlantik gehandelt. Wenn Sie sich vorstellen, dass da 3 % bis 5 % Zölle drauf sind, dann verursacht das eine ganze Menge Reibungsverluste.

Bei den richtigen Handelshemmnissen geht es, wenn Sie die kleinen und mittel-ständischen Unternehmen fragen, um Standardisierung von Maschinenteilen. Da geht es um Regelungen in allerlei Sektoren, die auf beiden Seiten unterschiedlich sind. Es gibt zwei Kategorien von Regulierungen und Standards. Die Autoblinker-Frage haben Sie wahrscheinlich tausend Mal gehört. Da gibt es eine ganze Reihe anderer Beispiele. Ich möchte Ihnen ein anderes nennen. Wenn pharmazeutische Produkte – seien es Medikamente, seien es medizinische Geräte – hergestellt werden, dann gibt es einen internationalen Kodex, eine internationale Guideline, wie diese Produktionsprozesse organisiert werden sollen, aus Sicherheitsgründen, dass die Maschinen sauber sind, dass die Arbeitsprozesse weit genug voneinan-der physisch voneinander entfernt sind. Alle solche Dinge sind darin geregelt. Sie sind international gleich geregelt.

Wenn Sie aber Ihr Medikament in den USA verkaufen wollen, dann reicht es nicht aus, dass der deutsche Inspektor die Fabrik untersucht, sondern dann muss auch zusätzlich noch einmal der amerikanische kommen. Das kostet 10.000 €, manch-mal 100.000 €, die der Produzent zahlt. Ein Unternehmen wie Bayer kann sich das vielleicht leisten. Das ist ein großer Markt. Sie haben große Volumina.

Stellen Sie sich vor, Sie sind ein kleiner Generika-Hersteller, der vielleicht nicht diese Volumen hat. Er möchte aber seine Aspirin-Medikamente zum Beispiel auf den amerikanischen Markt bringen. So etwas ist für den ein Handelshemmnis, was de facto zu einem Marktausschluss führt. Solche Dinge gibt es nicht nur in diesem Bereich. Da können Sie eine lange Liste von Hunderten von Einzelbeispie-len machen. Das sind alles nicht die Chlorhühnchen und die Hormonfleisch-Schlagzeilen, die Sie damit erzeugen. Niemand interessiert sich dafür in der Pres-se. Aber das sind die Dinge, die wir angehen wollen.

Dann gibt es eine zweite Komponente von regulatorischen Problemen. Das betrifft die Dinge, wenn wir wirklich etwas anderes regulieren wollen, Gentechnik zum Beispiel. Die Amerikaner haben einen viel laxeren Ansatz. Sie sagen: Wir lassen das zu, bis uns jemand nachweist, dass das gefährlich ist. Wir haben da ein sehr restriktives Zulassungsverfahren. Das geht erst durch die EFSA. Dann muss es durch verschiedene Ratsformationen usw. Wir sind in der Konsequenz so restrik-

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tiv, dass sehr wenig zugelassen wird. Da kann man nicht einfach sagen: Gut, dann erkennen wir die amerikanischen Standards an wie bei den Maschinenteilen oder bei der Inspektion der Herstellungsprozesse. Da ist die Regulierungsabsicht eine andere. Wir wollen ein anderes Regulierungsergebnis erreichen. Bei solchen Be-reichen kann man nicht einfach das andere anerkennen. Da müssen wir wahr-scheinlich zu einem Schluss kommen; da können wir uns auch nicht einigen, weil wir etwas anderes wollen. Ob man das für gut oder richtig hält, darüber gibt es un-terschiedliche Meinungen. Die Gesellschaften haben sich in ihren demokratischen Prozessen unterschiedlich entschieden. Entsprechend wurden die Bereiche unter-schiedlich reguliert. Das heißt, da können wir nichts machen.

Das heißt aber nicht, dass das, wenn solche Themen nicht gemacht werden, nicht gut für die Wirtschaft ist. Genau diese kleinen Beispiele sind der Sand im Getriebe der transatlantischen Wirtschaft. Das sind die Probleme, die wir angehen.

Wir werden natürlich nicht die Arbeitslosigkeit durch TTIP in Europa abschaffen. Es wird ein Teil der Lösung sein, vielleicht ein kleiner, aber ein wichtiger Teil, öko-nomisch voranzukommen. Es geht nicht allen so gut wie in Deutschland. Wir ver-handeln das Abkommen ja für die EU. Vergessen Sie das nicht!

Dann möchte ich zur dritten Box kommen. Da geht es um handelsbegleitende Re-geln. Freihandel, jeglicher Handel findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern er findet in der Welt statt, so wie sie ist mit den guten und den schlechten Sachen da-rin. Deshalb hat eine ganze Reihe von anderen Umständen in der Welt Einfluss auf Handel. Zum Beispiel sind die Löhne in vielen Teilen der Welt nicht so wie bei uns. Oder die Umweltschutznormen sind nicht so wie bei uns. Damit betrifft das auch die Möglichkeiten, billiger zu produzieren. Wir haben da vielleicht eine mora-lische Bringschuld. Wir wollen, dass es den Arbeitnehmern besser geht.

Wir wollen, dass die ihre Umweltstandards verbessern. Wenn Sie das objektiv aus ökonomischer Perspektive angehen, dann wollen wir verhindern, dass die anderen Länder Lohndumping, Umweltdumping machen. Deshalb schreiben wir in unsere Handelsverträge immer Mindestnormen hinein, das sind Mindestsozialnormen, Mindestumweltregeln. Die gehen vielen nicht weit genug. Das ist klar. Wir müssen natürlich auch die andere Seite überzeugen, diese Regeln zu akzeptieren. Wir schreiben das nicht alleine. Das ist immer ein internationaler Vertrag, den wir mit jemandem abschließen.

Wir haben sehr lange in der WTO, in den multilateralen Handelsverhandlungen versucht, solche Regeln durchzusetzen – Mindeststandards bei Sozialnormen, Mindeststandards im Umweltbereich. Sie können sich vorstellen: Das waren nicht die Amerikaner, die das blockiert haben. Das sind die Entwicklungs-, die Schwel-lenländer China, Indien usw., die darin einen Wettbewerbsvorteil sehen. Man wirft uns Protektionismus vor, wenn wir damit ankommen und fordern, das sollte auch mit reingeschrieben werden. Insofern sind wir da multilateral – das müssen wir lei-der sagen – nicht sehr weit gekommen.

Die Verhandlungen, die wir mit den Kanadiern abgeschlossen haben, aber auch TTIP insbesondere bedeuten bei allen Unterschieden, die wir mit den Amerikanern

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in diesen Bereichen sicherlich haben, auch eine Chance, sich mit denjenigen zu einigen, die zumindest grundsätzlich in die Richtung denken.

Die USA sind kein Niedriglohnland. Sie missachten aber teilweise Arbeitnehmer-rechte nach unserem Verständnis. Wenn Sie das mit Ländern wie Indien verglei-chen, die die ILO-Norm ratifiziert haben, und sehen, wie die Arbeitsbedingungen in der Realität sind, dann kann man nicht sagen, dass die Amerikaner die Arbeit-nehmer extrem schlecht behandeln.

Auch bei den Umweltfragen kann man sagen: Sie haben eine andere Vorstellung vom Klimaschutz als wir. Aber auch da: Die Amerikaner machen mehr als andere. Im Umweltgesetzgebungsbereich sind die Amerikaner durchaus mit uns ver-gleichbar. Insofern können wir versuchen, mit denjenigen, die zumindest teilweise so denken wie wir, das zu machen, was machbar ist, und dann später, wenn der Gedanke in der WTO wiederbelebt werden muss, gemeinsam solche Vorschläge weiter vorbringen. Das ist die Idee einer Brückenbildung. Wenn wir uns mit denen einigen, mit denen wir uns einigen können, hat das vielleicht auch Potenzial, spä-ter diese Punkte gemeinsam zu vertreten.

Lassen Sie mich abschließend einen Punkt nennen, der wahrscheinlich sehr in-tensiv gleich diskutiert werden wird. Da geht es um den Investitionsschutz, einen Teil von TTIP. Hier möchte ich erklären, was das ist. Inzwischen hört man es ver-einzelt. Wenn man die deutsche Presse liest, hat man immer das Gefühl: Das ist etwas, was aus der Brüsseler Blase, aus dem Brüsseler Raumschiff nach Deutschland segelt und dem deutschen Staat und allen Gebietskörperschaften aufoktroyiert wird.

Die Investitionsschutzverträge hat die Bundesrepublik Deutschland erfunden. Die Bundesrepublik Deutschland ist das Land auf der Welt, das die meisten dieser In-vestitionsschutzverträge abgeschlossen hat – 134 wurden ratifiziert, noch mehr verhandelt. Die meisten von denen beinhalten auch diesen Investor zur Staats-schiedsgerichtsbarkeit. Es gibt 3.000 von diesen Verträgen. Davon sind 1.400 von europäischen Mitgliedstaaten abgeschlossen. Die Bundesrepublik hat mit OECD-Ländern – mit zwölf EU-Mitgliedstaaten – solche Verträge abgeschlossen. Das ist nichts, was auf einmal neu aus Brüssel nach Deutschland kommt.

Was machen diese Verträge? Diese Verträge geben Investoren das Klagerecht gegenüber Staaten, wenn die Regeln aus diesen internationalen Verträgen, die die Staaten unterschrieben haben und eingegangen sind, missachtet werden. Da kann man sich fragen – das ist eine berechtigte Frage –: Warum gibt man Unter-nehmen solche Rechte? Es ist vielleicht auch gut, dass wir diese Grundsatzdebat-te einfach einmal haben. Seit 40 Jahren schließt die Bundesrepublik solche Ver-träge ab, andere europäische Länder auch. Niemand hat sich darum gekümmert, niemand hat das infrage gestellt. Wenn das problematisch ist – viele Leute den-ken, dass das problematisch ist –, dann sollte man die Debatte vielleicht einfach führen.

Erinnern wir uns zurück: Warum sind diese Verträge damals so gestaltet worden? Die Bundesrepublik konnte damals keine Kanonenboot-Politik machen. Ich weiß

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nicht, ob Ihnen das etwas sagt. Es kommt aus dem 19. Jahrhundert. Wenn man sich früher für ein Großunternehmen aus dem eigenen Land einsetzen wollte, hat man Zerstörer vor die Küste geschickt und hat herumgeballert als Warnung in die Luft. Im übertragenen Sinne heißt das heute, dass die diplomatischen Kanäle von Staaten genutzt werden, um Wirtschaftsinteressen durchzusetzen und, wenn et-was mit einem anderen Staat schief läuft, sich für Großunternehmen einzusetzen.

In den 50er-Jahren hatte die Bundesrepublik relativ wenige Möglichkeiten auf-grund der Ereignisse 20 Jahre davor, das zu machen. Man hat sich deshalb ge-dacht: Vielleicht verrechtlichen wir diesen Prozess und geben das an ein internati-onales Schiedsgericht, weil wir uns mit unseren klassischen machtpolitischen, in-ternationalen Mechanismen da nicht durchsetzen können. Das ist die Idee, warum das erfunden worden ist.

Bei der Kritik gibt es im Prinzip zwei Ansatzpunkte, zu denen man sagen muss: Na ja, das stimmt vielleicht. Das sage ich als Kommissions-Verhandler. Das eine ist die Frage der Transparenz. Die Schiedsgerichte tagen bis jetzt nach den deut-schen Verträgen – und vielen anderen europäischenauch – geheim. Das heißt, die Klageschrift ist nicht zugänglich; das Klageergebnis ist nicht zugänglich. Das be-deutet, die Bürger wissen eigentlich gar nicht, was passiert, wenn ein Staat ver-klagt wird und wie mit ihren Steuergeldern – zu Recht oder zu Unrecht – umge-gangen wird. Ich denke, das ist etwas, was im Prinzip nicht hinnehmbar ist. Wir haben versucht, das mit Blick auf Kanada zu ändern. Das muss grundsätzlich ge-ändert werden in diesen Verträgen.

Die zweite Sache sind die materiellen Rechte, die in diesen Verträgen zugestan-den werden. Da ist im Kern die Frage, die man angehen muss, eine Frage der Präzisierung und eine Frage der Klarstellung: Was sind eigentlich die Rechte, die wir Unternehmen in solchen Verträgen geben wollen? In deutschen Verträgen steht größtenteils drin: Ausländische Unternehmen müssen fair und gerecht be-handelt werden. Das klingt gut. Das hat aber zur Konsequenz, dass die Schieds-gerichte in jedem Einzelfall prüfen können, ob sie denken, dass dieses Unterneh-men jetzt fair und gerecht behandelt wird.

Sie können sich vorstellen, dass abhängig von der Zusammensetzung dieser Schiedsgerichte dann auch Interpretationen möglich sind, die Staaten oder Ge-bietskörperschaften so gar nicht gewollt haben. Wie kann man das ändern? Man kann klar reinschreiben: Was ist eine ungerechte Behandlung? Zum Beispiel kein Zugang zu Gerichten oder eine unverschämte Verzögerung von Prozessen. Dar-über kann man diskutieren: Was sind die Dinge, die wir als nicht angemessen be-trachten? Dann kommt die Frage der indirekten Enteignung. Grundsätzlich – das steht auch im Grundgesetz – muss eine Enteignung entschädigt werden. Man darf enteignen, aber man muss entschädigen. In diesen Verträgen steht auch drin: Niemand darf entschädigungslos enteignet werden. Das klingt auch gut.

Was ist denn enteignen? Wie hoch ist der Wert der Enteignung? Das ist die Kern-frage sowohl vor nationalen Gerichten als auch vor diesen Schiedsgerichten. Auch da muss man klarstellen: Was ist eine indirekte Enteignung? Einfach der Verweis auf zukünftige entgangene Gewinne?, was es durchaus gegeben hat. Das muss

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man ausschließen. Oder die Frage: Wenn eine allgemeine, nicht diskriminierende Umwelt- oder Sozialgesetzgebung verabschiedet wird und das Einfluss auf aus-ländische und inländische Unternehmen hat, dann darf das auch nicht als Enteig-nung gewertet werden. Wenn man das alles nicht formuliert – das muss ich leider sagen, in den bestehenden Verträgen ist das so –, sind diese ganzen Risiken da.

Stefan Engstfeld (GRÜNE) kommt darauf zu sprechen, dass Herr Schmitz lapidar gesagt habe, dass es die Schiedsgerichtsverfahren und Freihandelsabkommen ge-geben habe – Deutschland habe ganz viele gemacht –, danach habe aber kein Hahn gekräht. Das würde er für seine Fraktion verneinen. Die Grünen habe das seit den 80er-Jahren interessiert. Sie hätten auch immer gekräht. Er nenne das Stichwort Freihandelsabkommen/Kolumbien. Man sei im Bundesrat immer wieder aktiv gewor-den und habe sich dazu geäußert. Das sei schon immer schwierig gewesen. Das habe seine Fraktion schon länger beschäftigt. Mit CETA, TTIP und TiSA habe das Thema eine neue Aufmerksamkeit.

Zu den Schiedsgerichtsverfahren: Es gebe viele. Er habe bereits im Plenum des Landtags die Frage gestellt, warum zwischen G8-Staaten eine private Schiedsge-richtsbarkeit additiv oder neben einer staatlichen Gerichtsbarkeit bestehe. Man habe kein ISDS zwischen G8-Staaten. Deutschland habe 140 gemacht. Er frage, warum man zwischen G8-Staaten überhaupt noch einmal eine private Schiedsgerichtsbar-keit brauche. Das erschließe sich ihm so nicht.

Herr Schmitz habe CETA kurz erwähnt. Er wüsste gerne, was aus Sicht von Herrn Schmitz CETA mit TTIP zu tun habe, ob CETA eine Blaupause für TTIP sei. Er bitte um Stellungnahme.

Wenn TTIP fertig verhandelt worden sei – man gehe davon aus, es sei ratifiziert und trete in Kraft –, dann wüsste er gerne, ob es so etwas wie eine Kündigungsklausel gebe, wie man da überhaupt wieder herauskomme.

Er habe es immer so verstanden, dass TTIP so etwas wie ein transatlantischer Bin-nenmarkt sein solle, das, was man in der EU schon habe, aber transatlantisch. Er frage, wer diesen transatlantischen Binnenmarkt kontrollieren solle, wobei man in-nerhalb der EU Institutionen habe, die demokratisch legitimiert seien, die auch eine demokratische Kontrolle ausüben könnten.

Markus Töns (SPD) bedankt sich bei Herrn Schmitz, dass er den Mut besitze, in diese Diskussion zu gehen. Er begegne ihm nicht das erste Mal. Er sei Obmann für die SPD im Ausschuss und Mitglied des Ausschusses der Regionen. Seine Stellung-nahme mit den 41 Punkten, die seine Fraktion für relevant und wichtig halte, liege vor. Er sei Berichterstatter.

Gerade sei von den regulatorischen Bestimmungen gesprochen worden. Man sei na-türlich darauf eingegangen, dass es diese Schiedsgerichte gebe. Herr Engstfeld ha-be bereits gefragt, ob die Schiedsgerichte zwischen G8-Staaten überhaupt notwen-dig seien. Er würde noch weitergehen. Es sei zu fragen, ob, wenn man überhaupt ei-ne Schiedsgerichtsbarkeit brauche, sie nicht sinnvoller beim EuGH anzusiedeln sei,

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro wo man schon eine hohe Gerichtsbarkeit innerhalb der Europäischen Union habe, oder vielleicht darüber hinaus beim Internationalen Gerichtshof, wo man eine Wirt-schaftsgerichtsbarkeit schaffen würde. Bekannt sei, dass die Amerikaner Probleme mit dem Internationalen Gerichtshof hätten. Man müsse sich aber darauf verständi-gen können.

Nun gehe es um das Ausschließen von Sachverhalten. Es gehe um den diskriminie-rungsfreien Marktzugang, den man zunächst einmal begrüßen könne. Übrigens hät-ten amerikanische Unternehmen leichteren Marktzugang zur öffentlichen Beschaf-fung in Europa, als es europäische Unternehmen in den USA hätten. Das gehöre auch zur Wahrheit dazu. Ihn interessiere, wenn es um den diskriminierungsfreien Zugang gehe, warum man nicht über eine Positivliste die Dinge ausschließe, die nicht behandelt werden sollten. In CETA sei es eine Negativliste geworden. Es sei zu befürchten – man wisse nicht, was am Ende in TTIP stehen dürfe –, dass es auch eine Negativliste sei. Er sehe die Gefahr, dass in einer Negativliste all das drinstehe, was in den Verhandlungen abgeschlossen sei, was den diskriminierungsfreien Marktzugang bedeute, was man ausdrücklich nicht erwähnt habe. Das sei immer ein Problem.

Zu den Sozialstandards: Es sei sicherlich richtig, dass die Ratifizierung der ILO-Standards noch nicht ausreiche, um Sozialstandards zu gewährleisten. Ihn würde in-teressieren, inwieweit dieser Vertrag den Vertragspartnern vorschreibe, ILO-Standards zukünftig zu ratifizieren.

Zum gemischten Abkommen: Die Bundesregierung vertrete die Auffassung, dass es ein gemischtes Abkommen sei. Der Landtag habe noch nicht darüber abgestimmt. Er sei sich aber ziemlich sicher, dass er auch diese Auffassung teile, die Länder im All-gemeinen auch. Der Vorgänger, Herr De Gucht, habe die Auffassung, dass es kein gemischtes Abkommen sei. Er wüsste gerne, wie das die Kommission im Moment sehe. Diese Frage beziehe sich auch auf CETA.

Zur Transparenz: Ein Problem dieser Diskussion sei, man wisse nicht, was darin ste-he. Man wisse auch nicht, ob Kapitel schon zu Ende verhandelt worden seien. Im Prinzip warte man auf das Ende der Verhandlungen, um eine Paraphe daran zu ma-chen. Es gebe ein veröffentlichtes Verhandlungsmandat. Mittlerweile gebe es für alle Mitglieder des EP die Möglichkeit, an Papiere zu kommen, aber auch nur aufseiten der Kommission, nicht vonseiten der amerikanischen Verhandlungspartner. Wenn Freihandel eine gute Idee sei, wenn es eine gute Idee sei, einen solchen Vertrag zu machen, dann könne das nur funktionieren, wenn man die Menschen mitnehme, und zwar alle in Europa. Es könne nur funktionieren, wenn man ein größtmögliches Maß an Transparenz herstelle.

Er wisse, dass man nicht jede Verhandlungsrunde in aller Breite und Tiefe öffentlich machen könne. Man müsse schon darüber öffentlich diskutieren, auch diskutieren wollen, was man drin haben wolle und was nicht. Sein Eindruck sei, dass die Kom-mission sich zu Beginn der Verhandlungen sehr schwergetan habe, diese Position zu vertreten, was im Moment zu einem Riesenproblem werde, weil dadurch erst die Si-tuation entstanden sei, dass das sehr viele sehr kritisch sähen.

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro Dann wüsste er gerne, ob CETA nachverhandelt werde oder nicht. Man höre unter-schiedliche Auffassungen dazu. Er sei der Auffassung, dass es nachverhandelt wer-den müsse, weil bestimmte Dinge darin stünden, die er nicht für verhandelbar halte – neben den Schiedsgerichten.

Dr. Jan Schmitz (TTIP-Koodinator der Europäischen Kommission, Generaldi-rektion Handel) führt aus, er wisse nicht, wie viele von diesen bilateralen Investiti-onsschutzabkommen abgeschlossen worden seien, als Rot-Grün an der Regierung gewesen sei. Er wisse auch nicht, wie die Grüne-Bundestagsfraktion immer abge-stimmt habe. Diese Abkommen seien Konsens gewesen. Man habe sie durchge-winkt.

Warum man das mit den G8-Staaten, insbesondere mit den Amerikanern, mache. Wenn man das System reformieren wolle – das wolle die Kommission, übrigens teil-weise gegen den Widerstand der alten Bundesregierung, auch bei den Kanada-Verhandlungen habe die Position der Bundesregierung nicht so ausgesehen wie jetzt –, dann mache man das mit denjenigen, die das System weltweit bestimmen würden. 60 % der Klagen kämen von europäischen Unternehmen, 30 % von den Amerika-nern, der Rest verteile sich. Es seien die Europäer und die Amerikaner, die dieses System benutzten und die diese Verträge hauptsächlich abschießen würden. Wenn man das System weltweit verändern wolle – das werde nicht von heute auf morgen gehen –, dann mache man das mit denjenigen, die einen Einfluss darauf hätten, wie sich dieses System letztlich weltweit gestalte.

Wenn man die Frage nach dem Internationalen Gerichtshof stelle – vielleicht erst einmal nach einer zweiten Instanz als Zwischenschritt mit Richtern, die nicht Anwälte seien –, dann müsse man das doch mit den Akteuren machen, die auch einen Ein-fluss auf das System hätten. Das sei der Ansatz, warum man das mit den Amerika-nern mache. Dass man die Debatte habe, sei für die Beamten gar nicht so einfach. Man brauche aber eine Klärung. Wenn man das mit den Amerikanern nicht schaffe, dann bekomme man es vielleicht gar nicht hin. Dann bleibe das alte System beste-hen.

Es sei auch nach der Kündigungsfrist gefragt worden. Natürlich könne man das TTIP-Abkommen oder das Kanada-Abkommen wie jeden völkerrechtlichen Vertrag auch kündigen. Dann gebe es wahrscheinlich Konzentrationsfristen. Natürlich könne man das kündigen. Er wolle einmal darauf hinweisen, wie das aussehe, wenn man ein deutsches Investitionsschutzabkommen heute kündigen wolle. Es werde heute gekündigt und werde in 30 bis 40 Jahren wirksam. Man kündige das für die eigenen Kinder. Es sei zu fragen, ob man so etwas für richtig halte. Die europäischen Investi-tionsschutzverträge würden im Übrigen, wenn sie abgeschlossen seien, die beste-henden Investitionsschutzabkommen ersetzen, die Mitgliedstaaten mit anderen Dritt-staaten verhandelt hätten.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Und kürzeren Kündigungsfristen!)

– Man wolle es verbessern. Man umgehe damit die Problematik. Deutschland habe kein Abkommen mit den USA abgeschlossen, aber neun Mitgliedstaaten hätten so

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro ein Abkommen nach altem Stil mit den Amerikanern abgeschlossen. Für die müsse man auch Politik machen. Sie seien auch in der Klemme.

Zu der Verbindung Kanda/TTIP: Er denke nicht, dass man das als Blaupause be-zeichnen könne. Es gebe sicherlich viele Aspekte, zum Beispiel im Bereich der öf-fentlichen Beschaffung, wo die Kanadier sehr weitgehende Zugeständnisse gemacht hätten. Man würde sich freuen, wenn die Amerikaner das machen wollten. Das gelte nicht unbedingt für den Investitionsschutz, wo man eigentlich noch mehr machen müsse, vielleicht die Reform noch weiter vorantreiben müsse, als es in Kanada ge-macht worden sei.

Ob das so eine Art Binnenmarkt werde: Man habe ja gar nicht die demokratische Kontrolle oder Gesetzgebungsverfahren, um so etwas zu machen. Deshalb werde das auch kein Binnenmarkt. Er sei selbstkritisch: Einige auf seiner Seite, aber auch diejenigen auf Industrieseite, die das Abkommen pushen wollten, müssten sich dar-über im Klaren sein: Das werde kein transatlantischer Binnenmarkt. Das werde eine Verstärkung des transatlantischen Marktes sein.

Zur Regulierungskompetenz: Letztlich zu entscheiden, was man und wie man es re-gulieren wolle, werde dadurch nicht weggenommen. Der angedachte Regulierungs-rat habe keine Regulierungskompetenz. Das sei ein Kooperationsrat, in dem die Re-gulatoren beider Seiten sich zusammensetzen und überlegen sollten, was denn sinnvolle Ansätze seien. Da werde man manchmal einer Meinung sein. Dann mache es Sinn zu versuchen, das ähnlich zu regulieren, damit die nicht tarifären Handels-hemmnisse nicht entstünden. Wenn man auf Regulatoren-Ebene schon nicht einer Meinung sei, dann werde man halt unterschiedlich regulieren. Danach werde in je-dem Fall, ob man sich einig sei oder nicht, das normale gesetzgeberische Verfahren auf beiden Seiten des Atlantiks beginnen.

Die Parlamentarier wüssten, dass das, was in ein Parlament hineinkomme, nicht im-mer dasselbe sei, was wieder herauskomme. Das sei gut so. Das sei die Demokra-tie. Das werde TTIP auch nicht ändern.

Zur Positiv- und Negativliste Kanada: Das Abkommen sei fertig verhandelt. Die Bun-desregierung habe jeden Verhandlungsstand mitbekommen. Der Bundestag habe al-le Dokumente gehabt. Das Abkommen sei mit Zustimmung der Bundesregierung ab-geschlossen worden. Einige würden sagen, das gefalle nicht. Man wolle es wieder aufmachen. Alles könne man machen. Die Chance, dass das Abkommen dann falle, sei sehr groß.

Es werde versucht – das sähen einige Mitgliedstaaten nicht sehr gerne –, mit den Kanadiern noch einmal im Investitionsschutzbereich anzuschauen, wie die Schieds-gerichte ausgestaltet seien. Man habe einen Verhaltenskodex für die Schiedsrichter gemacht. Vielleicht könne man sich bei der Bestimmung der Schiedsrichter genau anschauen, was man da machen wolle. Man habe jetzt schon eine Klausel darin, dass man sich anschauen wolle, wie man eine zweite Instanz – eine Art Internationa-len Gerichtshof – andenken könne. Das gehe auch nicht von heute auf morgen. Viel-leicht könne man das beschleunigen. Vielleicht könne man von den Kanadiern eine stärkere Verpflichtung bekommen. Diese Dinge würden im Rahmen der Rechtsprü-

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro fung – Legal Scrubbing – ausgehandelt. Jetzt kämen die Horden von Anwälten, die sich das anschauten und überprüften, ob das konsistent sei, ob es Sinn mache. Viel-leicht könne man in diesem Zuge noch kleine Punkte ändern. Die Verhandlungen aufzumachen, werde letztlich dazu führen, dass man nicht mehr als seriöser Ver-handlungspartner wahrgenommen werde.

Mit der Zustimmung aller Regierungen sei das zu Ende verhandelt. Jetzt komme auf einmal ein Mitgliedstaat und sage, man habe sich das vier Jahre lang nicht genug angeschaut. Jetzt schaue man es sich an, und es falle einem doch noch etwas ein. Die Politiker könnten kämpfen, wofür sie wollten. Man müsse aber die Position der Kommission als Verhandler verstehen. Die Mitgliedstaaten und das Europäische Par-lament seien immer in normale Prozesse eingebunden worden. Am Ende habe man für die Kompromisse, die ausgehandelt worden seien, Kompromisse bekommen.

ILO-Kernarbeitsnorm: Die Amerikaner hätten das nicht ratifiziert. Das liege am Kon-gress, der republikanisch dominiert sei. Man brauche sich keine Hoffnung zu ma-chen, dass sie die ILO-Kernarbeitsnorm ratifizierten. Wenn man sich anschaue, was in den ILO-Kernarbeitsnomen stehe, so finde man vereinzelte Punkte, warum die Amerikaner das nicht ratifizieren wollten.

Ein Großteil der Dinge, die darin stünden, sei de facto in der amerikanischen Ar-beitsgesetzgebung verpflichtend dargestellt. Man könnte versuchen, thematische Ar-tikel zu diesen Bereichen in das TTIP-Abkommen aufzunehmen. Es sei ein völker-rechtlich bindender Vertrag. Damit habe man sie vielleicht nicht über die ILO-Ratifizierung begonnen, aber über das TTIP-Abkommen. Das werde nicht alles sein. Das werde bei kritischen Punkten besonders problematisch sein. Die Betriebsratsge-schichte in Tennessee hätten alle verfolgt. Wenn man es gar nicht mache, sei auch niemandem geholfen. Wenn man TTIP nicht mache, würden die ILO-Kernarbeitsnormen auch nicht ratifiziert. Insofern könne man das als Schritt in die richtige Richtung werten, wenn man etwas hinbekommen könnte.

Gemischtes Abkommen: Der Lissaboner Vertrag sei klar: Handelspolitik sei europäi-sche Kompetenz, grundsätzlich seien solche Abkommen, wenn sie über die Kompe-tenz der Handelspolitik nicht hinausgingen, keine gemischten Abkommen. Dann ge-be es vereinzelte Bereiche, wo es rechtlich strittig sei, ob sie gemischt seien oder nicht, z. B. im Dienstleistungs-, Transportbereich. Das seien punktuelle Teile des Ab-kommens. Politisch sei es wieder eine andere Frage. Es sei sehr wahrscheinlich, dass da auch Teile drin sein würden, die das als gemischtes Abkommen qualifizier-ten. Die letztliche Entscheidung könne keine politische sein. Man könne das politisch fordern, politische Kompromisse eingehen, was man bei den meisten Abkommen auch gemacht habe. Die meisten Abkommen würden so abgeschlossen, dass die Kommission und der Rat über ihre Position eine Protokollerklärung abgäben, die ei-nen sagten, es sei gemischt, die anderen nicht, dann gehe es durch den Rat, durch das Europaparlament und werde dann befristet in Kraft gesetzt. Trotzdem gehe es noch einmal durch alle nationalen Parlamente.

Ob dieser Kompromiss auch für TTIP erzielt werde, könne er nicht vorhersagen. In jedem Falle könne man diese Frage nicht beantworten, bevor das Abkommen nicht ausverhandelt sei. das sei erst einmal eine rechtliche Frage. Bei Kanada prüfe man

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro genau, welche Teile gemischt seien und welche nicht. Er sei weder Jurist noch habe er komplett die 1.600 Seiten durchgelesen. Er würde sich wundern, wenn das anders wäre als bei den Abkommen, die er dargestellt habe.

Zur Transparenz: Natürlich gingen alle EU-Texte, bevor man sie den Amerikanern zeige, an die Bundesregierung. Die Bundesregierung gebe all diese Texte jedem einzelnen Bundestagsabgeordneten zur Kenntnis und zur Einsicht. Das gehe nach seiner Kenntnis auch an den Bundesrat. Er wisse nicht, wie das dort organisiert sei, wer dort Zugang habe. Auch der Bundesrat sollte informiert sein.

Die Positionspapiere habe man den Amerikanern im Laufe der letzten Verhandlungs-runden gegeben habe – die EU-Positionen zu den Bereichen. Das seien die vorbe-reitenden Dokumente für die Verhandlungstexte. Sie seien, nachdem man sie mit den Mitgliedstaaten abgestimmt habe und nachdem sie ins Parlament gegangen sei-en, ins Internet gestellt worden. Die EU-Verhandlungspositionen, die man den Ame-rikanern zu den Bereichen gegeben habe, stünden im Internet. Sie seien auf Eng-lisch. Deshalb sei das Interesse nicht so groß. Vielleicht müsse man an den Überset-zungen noch arbeiten. Das sei das, was man bis jetzt gemacht habe.

Jetzt wolle man einen Schritt weitergehen. Man wolle die EU-Verhandlungstexte, die man auf den Tisch lege, auch veröffentlichen. Die Amerikaner machten das anders. Aber man sei hier so unter Druck auf der Suche nach Lösungen, wie man den Kriti-kern und Zweiflern zeigen könne, was man beabsichtige, was im Übrigen nicht das sei, was in der Presse stehe, was einige Leute behaupteten. Diesen Schritt wolle man wagen.

Die Verhandlungen sollte man mit internationalen Verträgen vergleichen, die die Bundesrepublik abgeschlossen habe. Da müsse es auch immer Möglichkeiten für Kompromisse und für Verhandlungen hinter geschlossenen Türen geben. Wenn man Kompromisse im Parlament aushandele, dann passiere das auch nicht vor den Ka-meras. Man mache das in einem Raum, dessen Tür zu sei. Nachher gehe man raus und verkaufe es. Das heiße, man müsse die richtige Balance finden zur Transparenz und die Information an die Öffentlichkeit und an die Multiplikatoren weitergeben. Man könne nicht mit allen 500 Millionen europäischen Bürgern reden. Das laufe letztlich über Multiplikatoren wie die Politiker. Man müsse sie in die Lage versetzen, diese In-formation weiterzugeben, zu diskutieren und kritisch zu betrachten. Es gehe aber auch darum, einen gewissen Spielraum zu haben, Verhandlungen zu führen. Ernst-hafte Verhandlungen würden letztlich nie komplett öffentlich geführt.

Ilka von Boeselager (CDU) findet es gut, über diese Themen breiter zu diskutieren. Sie bedauere sehr, dass das in der deutschen Öffentlichkeit so negativ besetzt sei und kein positiver Silberstreifen zu sehen sei. Insofern sei es sehr gut zu versuchen, mehr für die Öffentlichkeit in Deutschland zu ermöglichen.

Sie sei Sprecherin der CDU-Fraktion. Ihre Fraktion sehe das Abkommen bei allen Schwierigkeiten, die bei den Verhandlungen aufträten, sehr positiv für die Zukunft – nicht nur für Europa, sondern auch für Deutschland.

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro Sie wüsste gerne, wann damit zu rechnen sei, dass dieses Abkommen abgeschlos-sen werde. Auch wüsste sie gerne, welche Auswirkungen dieses Abkommen auf den afrikanischen Markt habe. Der Kontinent Amerika habe eine besondere Dimension. Das würde sie sehr interessieren.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) hält fest, von den Grünen habe man gehört, sie hätten in den 80er-Jahren schon gekräht. Da habe seine Fraktion noch nicht krähen kön-nen, weil es sie nicht gegeben habe. Wenn es Piraten gegeben hätte, hätten sie – da sei er sich sicher – auch gekräht.

Herr Dr. Schmitz habe drei Knackpunkte zum Thema „Schiedsgerichte“ benannt. Er glaube eher, dass es fünf seien. Dr. Schmitz habe gesagt, dass bei den Vereinba-rungen eine klare Sprache gesprochen werden müsse. Man dürfe nicht vergessen, dass man es mit unterschiedlichen Sprachen und Sprachgeschichten zu tun habe. Man müsse nicht erst Noam Chomskys Transformationsgrammatik heranziehen, um klarzustellen, dass schon in den sprachlichen Unterschieden Konfliktpotenzial liege. Nicht umsonst habe sich Chomsky gegen Freihandelsabkommen dieser Art ausge-sprochen mit den Schiedsgerichtsvereinbarungen, und zwar nicht, weil er ein politi-scher Links-Ausleger sei, sondern aufgrund linguistischer wissenschaftlicher Beden-ken. Das sollte an der Stelle eine Rolle spielen.

Der zweite Punkt sei, dass die supranationale Institution Neues Gericht etwas sei, was in keiner Form durch irgendeinen demokratisch verfassten Prozess legitimiert sei. Er glaube, dass das ein wesentlicher Punkt sei, der die Bürgerinnen und Bürger in Europa störe, der dazu geführt habe, dass jetzt 1 Million Unterschriften gegen das Abkommen zustande gekommen seien. Das heiße, es gehe nicht nur um die Trans-parenz, es gehe auch um das Mitspracherecht bei den Dingen, bei denen der Bürger fühle – ob das rational sei oder nicht –, dass er da überhaupt nichts mehr zu sagen habe.

Dann gebe es eine weitere Frage: Er wüsste gerne, wie Dr. Schmitz die Tatsache bewerte, dass sich Leute wie Joseph Stiglitz auf amerikanischer Seite gegen den Abschluss dieses Freihandelsabkommens ausgesprochen hätten.

Prognosen würden aufzeigen, dass TTIP ein Wirtschaftswachstum von 0,9 % in den nächsten zehn Jahren bewerkstelligen solle. Die Bertelsmann Stiftung habe so etwas herausgegeben. Da sei doch zu fragen, warum man das überhaupt mache, warum man sich nicht auf das konzentriere, was wesentlich mehr Wirtschaftswachstum ver-spreche.

Dr. Ingo Wolf (FDP) meint, Dr. Schmitz habe in seiner rheinischen kölschen Art den-jenigen den Wind aus den Segeln genommen, die ihre Kritik hätten äußern wollen, indem er die Kritik geschickt aufgenommen habe. Für die Liberalen könne er sagen, dass es auch noch welche gebe, die die positive Seite von TTIP sehen würden, die versuchten, der Panikmache entgegenzutreten. Dr. Schmitz habe mit einem Stich-wort klar gesagt: Nichts werde besser auf der Welt, wenn TTIP nicht komme. Diese Botschaft sollte man hinnehmen. Es lohne sich auch bei der Frage Chancen und Ri-siken, das national abzuwägen.

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro Interessant sei, dass politische Gruppierungen erst dann, wenn sie in der Opposition seien, erkennen würden, wo Probleme sein sollten. Das sei klar geworden. Die Ge-schichte mit den Schiedsklauseln habe eine lange Tradition. Offensichtlich scheine es erst im Jahre 2014 ein Problem damit zu geben. Er glaube, dass man sehr viel Entspannung dadurch reinbringen könne, dass man sage, alles müsse am Ende de-mokratisch legitimiert sein, was etwa die Frage des Abschlusses des Verfahrens be-treffe.

Dr. Schmitz habe dargestellt, dass im Prinzip die Leute alles wüssten, die es wissen wollten. Am Ende sei es öffentlichkeitswirksam gelungen, das Chlorhühnchen zu ei-nem Protestsymbol zu machen, obwohl niemand gezwungen werde, auch wenn es zu den Absprachen komme, dieses Chlorhühnchen zu essen – unabhängig davon, dass es ungesund sei.

Bei dem alles entscheidenden Punkt der Schiedsgerichte würde ihn interessieren, ob Dr. Schmitz darstellen könne, welche Probleme es mit diesem Verfahren gegeben habe. Er habe gehört, dass gerade Deutschland die Schiedsgerichte in nicht uner-heblichem Maße in Anspruch genommen habe. Vielleicht gebe es ja Zahlenmaterial. Er wüsste gerne, ob das zum Nachteil Deutschlands gewesen sei, ob es da Proble-me gegeben habe. Er bitte um Aufklärung. Insgesamt halte er das Ziel, einen diskri-minierungsfreien Zugang auf beiden Seiten der Kontinente des Atlantiks möglich zu machen und damit Wirtschaftswachstum zu generieren, für erstrebenswert. Man könne darüber natürlich explizieren, wie viel es am Ende sei. Das seien immer nur Schätzungen. Wenn man das in Milliarden umsetze, laute für ihn das Motto: lieber dieses als gar nichts. Er wäre sehr dankbar, wenn die Sache möglichst schnell vom Tisch käme. Aber es gebe viele, die das Gegenteil wollten. Da werde es ein Ringen geben.

Er halte es für einen Irrglauben, dass Deutschland am Ende internationale Verträge auf das Tariftreuegesetz Nordrhein-Westfalen herunterverhandele. Das werde nicht gelingen. Da würden die anderen auch ihre Interessen durchsetzen. Das müsse man einfach akzeptieren und irgendwann einen Strich daruntersetzen können. Man werde nicht zu 100 % eigene Positionen durchsetzen können.

StS Dr. Marc Jan Eumann (MBEM) hält fest, bei der Debatte um CETA, TTIP und TiSA gehe es nicht darum, diese Abkommen nicht zu ermöglichen, sondern es gehe darum, eine Diskussionskultur zu ermöglichen, die am Ende ein Zustandekommen zum Ziel habe. Das sei auch Ziel der nordrhein-westfälischen Landesregierung. Zu-gleich müsse man zur Kenntnis nehmen, dass Bürgerinnen und Bürger an viele Insti-tutionen Fragen hätten. Es sei völlig richtig, in einem neuen Prozess intensiv mit die-sen Fragen umzugehen.

Man erkenne an – dafür sei er ausgesprochen dankbar –, dass sich unter der Juncker-Administration die Diskussionskultur erheblich verbessert habe. Er habe in diesem Raum mit Herrn De Gucht in den letzten Amtswochen eine interessante Be-gegnung gehabt. Die Landesregierung nehme zur Kenntnis, dass Kommissarin Malmström dieses Verfahren als sehr wichtig bezeichne. Sich dahinter zu verste-cken, wie das die alte Kommission gemacht habe, führe eher zu einem Scheitern der

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro Abkommen denn zu einem Gelingen. Die Stellungnahmen – das sei auch in dem Entwurf der Abgeordneten Töns und Lange enthalten –, hätten einen differenzierten, aber ins Gelingen verliebten Ansatz verfolgt. Herr Töns habe schon nach dem ge-mischten Abkommen gefragt.

Kommissarin Malmström habe den Hinweis gegeben, dass CETA als gemischtes Abkommen eingeschätzt werde. Wenn das bei CETA der Fall sein werde, gebe es starke Hinweise, dass das mit TTIP genauso der Fall sein werde. Er rate dazu, diese Debatte nicht weiterzuführen, sondern zu sagen, das sei ein gemischtes Abkommen. Man hole schon eine Menge Kritik aus dem Verfahren heraus, wenn man sich über solche Fragen keinen Streit mehr erlaube. Die Mechanismen, die gepflegt würden, wie man auch mit gemischten Abkommen umgehen könne, seien beschrieben.

Er sei sicher, dass auch in der föderal verfassten Bundesrepublik die Belange der Länder und Kommunen betroffen sein würden. Vor diesem Hintergrund sei es gut, die Debatte direkt in diesen Bereichen zu führen.

Er habe das Stichwort Kommunen genannt. Die Kommunen seien sehr engagiert – Stichwort Daseinsvorsorge. Es liege im Interesse der Mitgliedstaaten der Europäi-schen Union, dass man das Thema Daseinsvorsorge ganz nach vorne schiebe und nicht durch die Hintertür oder die Fronttür Verhältnisse bekomme, die man wirklich nicht haben wolle. Er wäre dankbar, wenn Dr. Schmitz das auch mit Blick auf das Thema Daseinsvorsorge und die wichtigen Stellungnahmen, die von den Spitzenver-bänden der Kommunen und Gemeinden kämen, qualifizieren würde.

Man werde es ihm nachsehen, dass er sich noch einmal ausdrücklich mit dem The-ma „Kultur und AV“ beschäftige. Auch hier höre man, dass es nicht Gegenstand der Verhandlungen sei. Das beteuerten alle in den Gesprächen, die dazu geführt wür-den. Gleichwohl höre man trotzdem, dass es immer wieder Versuche – gerade der US-amerikanischen Seite – gebe, den Status quo in den Verhandlungen festzu-schreiben. Das helfe weder bei der Daseinsvorsorge noch bei dem Thema „Audiovi-suelle Medien“, zumal sich die Dinge veränderten. Wenn durch die Festschreibung des Status quo auch Entwicklungsmöglichkeiten genommen würden und sich daraus im Sinne von ISDS möglicherweise Schadenersatzklagen ergeben könnten, sei das etwas, was einen sehr wachsam machen sollte.

Er schließe eine Frage an die von Frau von Boeselager an. Man sei sehr Euro-fixiert. Es sei unterstellt worden, dass das eine deutsche Debatte sei, die man führe. Wenn man sich mit US-Amerikanern auseinandersetze, dann gebe es auch in den Bundes-staaten bezüglich der Zugänge zu Ausschreibungen, was Infrastrukturprojekte anbe-lange, große Sorgen. In den Bundesstaaten der Vereinigten Staaten, die eine starke Maschinenbauindustrie hätten, mache man sich große Sorgen, was TTIP für deren Märkte bedeuten könne. Darüber hinaus gebe es eine politische Konstellation in Washington, die es eher unwahrscheinlich werden lasse, dass die Obama-Administration noch lange sprachfähig sein werde. Er frage, ob man das in den Ver-handlungen spüre, wie das qualifiziert werde und wie das mit Blick auf die Zeitabläu-fe eingeschätzt werde.

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro Dr. Jan Schmitz (TTIP-Koordinator der Europäischen Kommission, Generaldi-rektion Handel) bedankt sich für die offenen positiven Bekenntnisse. Das freue ei-nen Kommissions-Beamten sehr, der meistens nur der Kritik ausgesetzt sei. Die Fra-ge, wann das abgeschlossen sein werde, könne er nicht beantworten. Der amerika-nische Präsident und der amerikanische Handelsminister würden aller Voraussicht nach nicht mehr in der neuen Regierung sein. Man könne sich vorstellen, dass sie das als ihr Projekt ansähen, zumindest der amerikanische Handelsminister. Er würde nicht ausschließen, dass 2016 etwas passiere.

Die Verhandlungen seien dann fertig, wenn sie fertig seien. Das könne man nicht vorhersagen. Es werde dann sicherlich politische Prozesse geben, die dazu führten, dass einige fordern würden, die Verhandlungen abzuschließen. Dann sei zu fragen, ob genug auf dem Tisch liege und ob das akzeptabel sei, was auf dem Tisch liege. Dann werde man versuchen abzuschließen. Wenn nicht, werde sich das weiter ver-zögern. Die Republikaner seien in den Senats- und Unterhauswahlen im Amerikani-schen Kongress erfolgreich gewesen. Sie stünden den Freihandelsverträgen grund-sätzlich positiv gegenüber.

Er erinnere an die Mandatsdiskussion vor anderthalb Jahren. Die Amerikaner hätten das noch vor sich. Sie bräuchten ein Gesetz, das dem Präsidenten die Autorität ge-be, solche Verträge abzuschließen. Da höre man Signals, dass das vielleicht das einzige überparteiliche Projekt sein könne, das in den nächsten Monaten möglich sei. Da gebe es viele Dinge, die das noch zum Scheitern bringen könnten, etwa beim Thema Klimaschutz oder in der Immigrationspolitik. Die Republikaner müssten aber auch zeigen, dass sie nicht nur Opposition machten. Das sei ein Thema, bei dem sie ein Interesse daran hätten, dass das stattfinde, wobei die Demokraten eher die Wa-ckelkandidaten seien. Vielleicht gebe es eine politische Konstellation, in der es mög-lich werde. Die amerikanische Politik sei immer für Überraschungen gut.

Die Dritte-Welt-Problematik sei angesprochen worden. Im Prinzip gebe es zwei Pro-zesse, die auf Drittstaaten einwirkten, wenn ein bilaterales Handelsabkommen abge-schlossen werde. Er verweise auf den handelsverdrängenden Effekt. Deutschland handle mehr mit den Amerikanern. Das habe auch zur Konsequenz, dass die Pro-dukte nicht aus anderen Ländern gekauft würden, sondern von den Handelspartnern, weil die wettbewerbsfähiger geworden seien. Die Zölle seien weggefallen. Da müsse man sich anschauen, welche Produkte mit den Amerikanern gehandelt würden und welche Produkte mit Dritte-Welt-Ländern gehandelt würden. Das seien ja nicht direk-te Konkurrenzprodukte.

Das Problem bei den landwirtschaftlichen Produkten seien in der Regel nicht die Zöl-le. Die Produkte würden vom Markt durch Lebensmittelnormen ferngehalten. Die Konsumenten sollten geschützt werden. Das werde aber als Handelsbarriere ange-sehen. Das sei das Haupthindernis, wenn man sich anschaue, warum der Handel mit Agrarprodukten mit der Dritten Welt nicht stattfinde.

Dann gebe es einen zweiten Effekt, der im Zweifel sogar positiv wirken könne. Wenn man gemeinsame Standards zwischen den USA und Europa zum Beispiel für be-stimmte Maschinenteile oder Produkte habe, die weiterverarbeitet würden, dann sei das ein doppelt so großer Markt, im Übrigen ein Markt, in dem nur ein Standard gel-

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro te. Wenn solche Produkte aus Drittstaaten importiert würden, dann müssten sie nicht mehr für zwei verschiedene Märkte produziert werden, sondern nur für einen. Das könne auch positive Effekte haben. Welcher Effekt am Ende überwiege, könne er auch nicht vorhersagen. Es gebe Schätzungen, denen er vertraue, dass das plus/minus null ausgehe. Es gebe diese beiden Effekte, es gebe negative und positi-ve. Sie würden sich vielleicht die Balance halten. Er erwarte nicht, dass die amerika-nischen Produkte auf einmal alle Dritte-Welt-Produkte auf dem Markt verdrängen würden.

Es gehe nicht nur um eine Klarstellung bei den Investitionsschutzverträgen, bei den materiellen Rechten, sondern es gehe um eine Einschränkung der Rechte für Unter-nehmen, die man einklagen könne. Im Vergleich zu den bestehenden Verträgen ge-he es um eine Einschränkung der Rechte für Unternehmen in diesem Bereich. Wenn man etwas klarstelle, heiße es, dass man Dinge in der Regel ausschließe. Man stelle klar, was die Klagegründe seien. Er sei kein Jurist. Wenn man von einer weiten schwammigen Formulierung zu einer klaren Liste von Klagegründen komme, dann sei das eine Einschränkung.

Ob die Amerikaner der Legitimierung von internationalen Gerichten zustimmen wür-den, glaube er schon. Wenn sie nicht zustimmen würden, dann werde es wahr-scheinlich nie kommen. Man müsse sich mit den Amerikanern einigen. Man gehe mit Forderungen hinein, was man bei den Investitionsschutzverbesserungen fordere. Na-türlich müssten die Amerikaner zustimmen. Wenn sie nicht zustimmen würden, dann werde man sich auch nicht einigen. Das seien Verhandlungen. Das werde auch bei anderen Themen so sein. Wenn man sich nicht einige, werde das nicht Bestandteil des Vertrages sein. Natürlich hätten die Mitgliedstaaten und das Europäische Parla-ment Einflussmöglichkeiten mit Blick auf das, was sie forderten und was man am Ende abschließen könne.

Die ökonomischen Vorteile seien angesprochen worden. Es gebe mittlerweile ver-schiedene Bertelsmann-Studien. Er habe den Überblick verloren. Sie kämen auch zu unterschiedlichen Ergebnissen. Er vertraue der Studie, weil man sie in Auftrag gege-ben habe. Man habe verstanden, wie die zustande gekommen sei. Sie hätten erklä-ren müssen, wie sie zu den Ergebnissen gekommen seien. Er habe Stunden mit de-nen verbracht, um zu verstehen, wie das Modell funktioniere, dass sie einen nicht hinters Licht führten und irgendwelche Ergebnisse produzierten, die er nachher ver-kaufen müsse. Wenn herauskomme, dass sie nicht stimmen würden, wäre das fatal. Er habe Stunden investiert, um das zu verhindern. Das könne er bei Bertelsmann nicht sagen. Er traue dem Bertelsmann-Ergebnis nicht.

Er wolle erklären, was die 0,5 % bedeuteten. 0,5 % seien nicht jedes Jahr der Wachstumseffekt, sondern das sei die Zahl, um die das europäische Bruttoinlands-produkt höher sei, wenn TTIP in der Art und Weise komme, wie das simuliert worden sei. Das seien alles Schätzungen; dann sei das europäische Bruttoinlandsprodukt höher. 0,5 % höre sich wenig an. Aber das europäische Bruttoinlandsprodukt sei sehr hoch.

0,5 % vom europäischen Bruttoinlandsprodukt seien 120 Milliarden €, die der euro-päischen Volkswirtschaft jedes Jahr zur Verfügung stehen würden. Man könne sa-

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro gen, das sei noch zu wenig. 120 Milliarden € seien mehr als der Sozialhaushalt der Bundesrepublik, mehr als der EU-Haushalt eines Jahres. Dadurch werde man nicht die Euro-Krise und die Arbeitslosigkeit in Europa abschaffen. Aber es sei vielleicht ein Beitrag. Diese 120 Milliarden € Bruttoinlandsprodukt würden sicherlich nicht ohne die Schaffung von Arbeitsplätzen kreiert.

Bei aller Kritik an den unterschiedlichen Studien, die man zum Teil teilen könne: Es gebe eine Studie von einem Studenten einer amerikanischen Universität, in der vo-rausgesagt werde, das sei der Weltuntergang. Es gingen 600.000 Jobs verloren. Das sei ein Modell, das nicht einmal Zölle simuliere. Natürlich könne man immer, wenn man irgendwelche Modelle nehme, zu allen möglichen Ergebnissen kommen, die man wolle. Aber wenn man sich die seriösen Studien auf dem Markt anschaue – da gebe es zehn, zwölf –, dann kämen alle in einen Bereich zwischen 0 % und 1 % Bruttoinlandsprodukt in der EU. Da sei man ungefähr im Mittelfeld. Ob das mehr oder weniger sei, wisse er nicht. Das seien die seriösen Schätzungen, die man sich seiner Ansicht nach anschauen müsse.

Es sei nach Problemfällen und Zahlen gefragt worden. Es gebe Statistiken, die man den Abgeordneten zukommen lassen könne. Pi mal Daumen gewännen die Staaten 60 % der Fälle, die an sie herangetragen würden. Das gelte weltweit. Da seien auch die nicht rechtsstaatlich organisierten Staatswesen dabei. Die Bundesrepublik Deutschland habe bis jetzt keinen Fall verloren. Bei Vattenfall stehe die Frage aus. Die Amerikaner hätten keinen einzigen Fall verloren. Die Kanadier hätten in der Tat ein paar Fälle verloren. Das seien zum Beispiel Gesetze gewesen, die man auch vor anderen Gerichten verloren hätte. Das seien ausländische Unternehmen gewesen.

Herr Staatssekretär habe eine Reihe von Fragen angesprochen. Er wolle etwas zum Investitionsschutz sagen. Die Befürchtung bestehe, dass die Dinge, die man nicht wolle, über Investitionsschutz eingeklagt werden könnten – wie regulatorische Zu-sammenarbeit oder das Chlorhühnchen, das nachher über ISDS komme. Diese Schiedsgerichte könnten nicht über das ganze Abkommen entscheiden. Nur ein ganz kleiner Teil des Abkommens unterliege diesen Schiedsgerichten. Es komme in der öffentlichen Debatte nicht immer rüber. Es sei zu fragen, ob man ein ausländisches Unternehmen diskriminieren dürfe, ob man zum Beispiel ein Gesetz machen dürfe, das nur Ausländern eine Steuer auferlege. Solche Dinge seien verboten.

Oder es gehe um die Frage, ob man ausländische Unternehmen enteignen dürfe, ohne sie zu entschädigen. Das sei verboten. Oder es gehe um die Frage, ob man ausländische Unternehmen unfair behandeln dürfe – nein. Dann sei zu definieren, was eine ungerechte Behandlung sei. Die Auflistung der Tatbestände, die ungerecht seien, die geahndet werden sollten, stehe im Vordergrund. Man dürfe nicht verbieten, dass Kapital zurückfließe. Wenn jemand investiere, müsse er seine Gewinne auch in die Muttergesellschaft zum Beispiel rücktransferieren dürfen. Das seien die Dinge, die ein Investitionsstaatsschiedsgericht überhaupt entscheiden dürfe.

Die anderen Teile des Abkommens unterlägen dem gar nicht – etwa die Darlegung öffentlicher Daseinsvorsoge. Bei der öffentlichen Daseinsvorsorge wolle man auch nichts anderes machen, als was man in den letzten 20, 30 Jahren gemacht habe. Er wisse nicht, ob in der Vergangenheit Einflüsse auf die öffentliche Daseinsvorsorge

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro durch Handelsabkommen festgestellt worden seien. Wenn ja, bitte er das mitzuteilen. Dann versuche man das zu verändern. Wenn nein, mache es vielleicht Sinn, dass man den Ansatz, den man bei den anderen Handelsabkommen gewählt habe, auch weiter nehme. In der öffentlichen Daseinsvorsorge gehe es um die Frage, ob man rekommunalisieren dürfe, wenn man eine Dienstleistung an private Anbieter heraus-gebe. Natürlich dürfe man das. Das ändere sich auch durch TTIP nicht. Das habe sich auch durch alle anderen Handelsverträge nicht geändert. Man dürfe rekommu-nalisieren. Was man nicht dürfe, wenn man als Kommune etwas nicht mehr öffent-lich, sondern privat anbiete: Dann dürfe man nicht sagen, dass nur deutsche Unter-nehmen anbieten dürften. Zu denselben Bedingungen müsse man das europaweit ausschreiben. Das schreibe schon die Beschaffungsrichtlinie vor. Dann dürften die amerikanischen Unternehmen auch mitbieten. Wenn eine Kommune aber entschei-de, sie wolle das wieder kommunal anbieten, dann stehe das der Kommune frei. Dann habe man in den Handelsverträgen immer das Recht, das zu tun.

Zu audiovisuellen Dienstleistungen: Er könne beruhigen. Auch da gelte, dass das nicht durch Investitionsschutz eingeklagt werden könne. Auch wenn man das privati-siere, könne man das durch einen Handelsvertrag auch wieder rückgängig machen in der Art und Weise, wie man es wolle. Audiovisuelle Dienstleistungen seien materi-ell vom Vertrag ausgenommen. Politisch sei das ein heißes Eisen. Wenn man versu-chen würde, das anzufassen, könne man verzweifeln.

StS Dr. Marc Jan Eumann (MBEM) informiert, der Bundesrat bekomme über das Bundeswirtschaftsministerium ausgewählte Dokumente. Es gebe keinen unmittelba-ren Zugang der Kommission zum Bundesrat. Es sei verabredet worden, nur die offi-ziellen Dokumente zu übersenden. Im Rahmen von TTIP handele es sich nicht um offizielle Dokumente. Deswegen erreichten diese Dokumente den Bundesrat nicht of-fiziell. Über das federführende Bundeswirtschaftsministerium erreichten den Bundes-rat ausgewählte Dokumente.

Vorsitzender Nicolaus Kern bedankt sich bei Dr. Schmitz. – Das Thema werde den Ausschuss noch weiter beschäftigen. Er könne sich vorstellen, dass sich der Aus-schuss hier oder an anderer Stelle mit Dr. Schmitz oder den Kollegen auseinander-setze.

(Allgemeiner Beifall)

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro 2 EU-Migrations- und Flüchtlingspolitik

a) Einführung zu aktuellen Entwicklungen sowie sozialrechtlichen As- pekten der europäischen Migrations- und Flüchtlingspolitik

Gäste: Daniela Giannone/Klaus Müller Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Europäischen Union

b) Die Förderung von sozialer Eingliederung und Integration im Rahmen des Europäischen Sozialfonds (ESF)

Gast: Franz-Peter Veits EU-Kommission, Generaldirektion Beschäftigung

Vorsitzender Nicolaus Kern merkt an, der Ausschuss wolle sich in seiner heutigen Sitzung einem weiteren, sehr wichtigen und derzeit viel diskutierten Thema auf der EU-Agenda widmen, der EU-Migrations- und -Flüchtlingspolitik. Frau Giannone und Herr Müller würden zunächst die aktuellen Entwicklungen und sozialrechtlichen As-pekte der Europäischen Migrations- und Flüchtlingspolitik erläutern. Anschließend werde Herr Veits von der EU-Kommission zum Thema „Förderung von sozialer Ein-gliederung und Integration im Rahmen des Europäischen Sozialfonds“ ausführen. Er bedanke sich, dass die Referenten heute Vormittag Gast im Ausschuss seien.

Daniela Giannone (Landesvertretung NRW, Brüssel) trägt vor:

Guten Morgen von mir noch einmal! Ich hatte mich bereits vorgestellt. Ich bin die Leiterin der Fachpolitik für Inneres und Sport und die Kontaktreferentin für das In-nenministerium. Ich möchte Ihnen einleitend einen kurzen Überblick über den ak-tuellen Status quo der Migrations- und Flüchtlingspolitik der EU geben. Ich freue mich, dass Sie sich gerade über diesen Politikbereich informieren möchten. Denn ganz ohne Zweifel stellt dieses Feld für die kommenden Jahr für diese Legislatur-periode ein Priorität dar, auch für die Juncker-Kommission, zumindest so lange sich die Weltlage mit ihren Krisen, Kriegen und Konflikten nicht ändert, wovon im Moment nicht ausgegangen werden kann.

Wie allen bekannt ist: Seit 1. November ist die Juncker-Kommission nun im Amt. Im Hinblick auf die Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik gibt es zwei wichtige Personen, die man im Blick haben muss, nämlich erstens Frans Timmermanns, Erster Vizepräsident, primus inter pares sozusagen bei den Vizepräsidenten. Wir haben ja jetzt sieben. Er ist zuständig für bessere Rechtsetzung, interinstitutionelle Beziehungen, Rechtsstaatlichkeit und die EU-Grundrechte-Charta, und zweitens der Kommissar für Migration, Inneres und Bürgerschaft, Dimitris Avramopoulos, ehemaliger griechischer Verteidigungsminister.

Wir haben jetzt endlich auch einen Kommissar, der ausdrücklich für Migrationsan-gelegenheiten zuständig ist. Das ist jetzt neu als eigenständiger Teil des Ressorts geschaffen worden. Alle Vizepräsidenten leiten Teams. Es gibt auch ein Timmer-manns-Team. Zu diesem Team gehören der Innen- und Migrationskommissar und

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Frau Vera Yourová, die Kommissarin für Justiz, Verbraucherschutz und Gleichstel-lung.

Mein Vortrag wird sich auf die externen und ordnungspolitischen Aspekte der ak-tuellen Einwanderungspolitik konzentrieren. Klaus Müller wird die arbeitsmarkt-, die sozial- und die migrationspolitischen Aspekte abdecken. Ich hoffe, dass sich das nicht allzu sehr überschneiden wird.

Wichtig ist an dieser Stelle, noch einmal darauf hinzuweisen, welche Teilaspekte aus Sicht der Europäischen Kommission zur Migrationspolitik überhaupt schwer-punktmäßig gehören. Das sind insbesondere die Regelungen zur legalen als auch illegalen Migration. Mittlerweile bevorzugt man den Begriff irrregulär, weil es ei-gentlich keine illegalen Migranten geben soll. Ich nenne die Umsetzung des ge-meinsamen europäischen Asylsystems, die Sicherung der Außengrenzen und die Visumspolitik als die Top-Bereiche.

Ausgangspunkt aller Überlegungen und Entwicklungen ist die aktuelle Flüchtlings-krise im Mittelmeer, die wir seit über einem Jahr schon haben. Dazu kann ich nur ein paar Schlaglichter bieten. Ich habe einen Teil einer Frontex-Präsentation, der Grenzschutzagentur Frontex herumgehen lassen. Ich hoffe, dass alle ein Exemplar haben, damit Sie sich die Zahlen einmal anschauen können – vgl. An-lage 1 zu diesem Protokoll. Ich kann dem Ausschuss auch gerne als Datei die Gesamtpräsentation später noch zur Verfügung stellen und an Herrn Kern schi-cken.

Auf der ersten Seite sehen Sie, wie sich die Lage von 2013 bis 2014 entwickelt hat. Die Zahlen sind Anfang September im Innenausschuss des Europa-parlaments vorgestellt worden. Das sind in der Gesamtheit im Moment die aktu-ellsten Zahlen, zumindest so, wie sie bis Ende August 2014 zusammengefasst werden konnten. Sie sehen von Januar bis August 2013 gab es 60.581 irrreguläre Migranten, im Jahre 2014 von Januar bis August schon 161.000. Das heißt, wir haben einen enormen Anstieg in diesem Jahr gehabt.

Auf der zweiten Seite können Sie sehen, wie sich die Flüchtlingsrouten dazu ver-halten. Man muss den Fokus richten auf den Raum des zentralen Mittelmeers, wo es einen Anstieg von 410 % gegeben hat. Von Januar bis August 2013 sind über diese Fluchtroute knapp 20.000 Menschen in die EU gekommen, 2014 hatten wir zumindest bis August über 100.000 Menschen. Das ist die Fluchtroute über Liby-en, die hauptsächlich genutzt wird.

Die Verteilung der Nationalitäten finden Sie auf der letzten Seite. Hauptsächlich sind es im Moment die Syrer, dann Personen aus Eritrea, der Subsahara-Afrika, aus Mali und aus Afghanistan. Das ist Ihnen sicher aus der Medienberichterstat-tung bekannt. Libyen ist das wichtigste Transitland im Moment – die Kommission hat das mehrfach betont –, da es dort einen völligen Zusammenbruch jeglicher staatlicher Strukturen gibt. Es gibt in Libyen keine wirksamen Grenzkontrollen mehr – weder im Süden noch im Osten und im Westen. Es gibt keine Kontrolle der Küste. Es kommen aus ganz Afrika und dem Nahen Osten Menschen dorthin, die unbehelligt durch das Land flüchten können und nicht an der Küste gestoppt wer-

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den. Sie werden in erster Linie mit Booten versorgt, die aus Tunesien und aus Ma-rokko kommen. Die Menschen werden auf Nussschalen – das kann man schon so sagen – über das Meer geschickt.

Es gibt nun Leitlinien von Herrn Juncker. Er hat einen sogenannten 5-Punke-Plan zur Einwanderungspolitik vorgestellt, der nun auch das weitere Vorgehen von Herrn Avramopoulos, dem Innen-Kommissar, vorgibt. Wichtig ist, dass die ge-meinsamen europäischen Werte, die historische Verantwortung Europas an erster Stelle stehen. Das wird jetzt noch mehr betont als in der Vergangenheit – genau so, wie das auch in dem Entwurf der Stellungnahme zu TTIP des AdR in den all-gemeinen Bemerkungen ganz vorne zu finden ist. Die EU-Grundrechtecharta muss man in Zukunft stärker beachten. Das wird zumindest im Moment gesagt. Wir werden sehen, wie sich das in den nächsten Jahren entwickeln wird.

Der Schutz und die Förderung von Menschenrechten sollen also für Migranten, unabhängig von ihrem Status – das ist ganz wichtig –, nicht optional sein. Wie sich der Status entwickelt, soll erst einmal irrelevant sein. Diese fünf Punkte beginnen mit dem gemeinsamen europäischen Asylsystem als erstem Punkt. Das Asylsys-tem wurde letztes Jahr bereits schon im Juli verabschiedet. Es sollte unverzüglich in allen Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Man muss aber jetzt schon konstatie-ren, dass es Probleme bei der Umsetzung gibt, dass es leider immer noch in den 28 Mitgliedstaaten sehr unterschiedliche Levels der Umsetzung und der Handha-bung gibt.

Diese neuen EU-Vorschriften wurden eigentlich vereinbart, um gemeinsam hohe Standards und eine stärkere Zusammenarbeit festzulegen, auch um zu gewähr-leisten, dass Asylbewerber in einem offenen und gerechten System gleichbehan-delt werden – unabhängig davon, wo sie ihren Antrag stellen. Da sagt die Kom-mission ganz klar: Davon sind wir noch weit entfernt. Deswegen wird es in den nächsten Jahren ein Hauptziel der Kommission sein, gemeinsam mit den Mitglied-staaten, in denen das Niveau noch nicht erreicht ist, zusammenzuarbeiten, damit man da auf einen Nenner kommt. Das heißt, da sollen nicht so sehr neue Gesetz-gebungsvorhaben gemacht werden, sondern es geht um eine Konsolidierung. Das hört sich einfach an, ist es aber nicht. Da muss sehr viel Beratungsarbeit, sehr viel Kontrollarbeit, sehr viel Evaluierungsarbeit geleistet werden, wobei die Kommissi-on eine große Rolle spielt.

Ganz kurz: Es sind insgesamt fünf Gesetzesakte, die da eine Rolle spielen, und zwar drei Richtlinien, zwei Verordnungen, die dieses Asylsystem darstellen. Das sind alles keine neuen Gesetzesakte, sie sind alle überarbeitet worden. Das sind die Asylverfahrensrichtlinie, die Richtlinie über die Aufnahmebedingungen, die An-erkennungsrichtlinie, die Dublin-Verordnung und die Eurodac-Verordnung, die Verordnung, die regelt, dass allen Migranten, allen irregulären Flüchtlingen Fin-gerabdrücke abgenommen werden, die in eine Datei eingespeist werden. Das dient einerseits der Identifizierung, andererseits haben unter strengen Vorausset-zungen auch Strafverfolgungsbehörden darauf Zugriff – je nachdem, wenn es um schwere Straftaten oder Terrorismusakte geht.

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Wir haben ein Problem, dass in vielen Staaten wie in Spanien, Italien und Grie-chenland nur ein sehr geringer Prozentsatz aller Flüchtlinge überhaupt identifiziert wird und die Fingerabdrücke abgibt. Die meisten können relativ unbehelligt weiter-reisen. Auch da gibt es im Moment bilaterale Gespräche und Einwirkungen der Kommission – das wurde uns vonseiten der Kommission versichert. Man versucht, das nach oben zu treiben, weil die nördlichen Länder, insbesondere Deutschland, Österreich, Schweden und die Niederlande Probleme haben, wenn sie hier Asyl-bewerber oder Flüchtlinge aufgreifen. Häufig ist nicht genau festzustellen, woher diese kommen außer den Angaben, die von Flüchtlingen selbst gemacht werden. Das heißt, da gibt es noch viel Potenzial für Verbesserungen.

Der zweite Punkt dieses 5-Punkte-Plans steht direkt im Zusammenhang damit. Es soll mehr praktischen Support geben durch das europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen. Es wurde auf Malta eingerichtet. Es soll weiter ausgebaut werden, mehrere Ressourcen bekommen, soll die betroffenen Mitgliedstaaten noch besser unterstützen, Risikobewertungen und spezielle Schulungen für Beamte in den je-weiligen Mitgliedstaaten durchführen. Ganz besonders soll in den Mitgliedstaaten an den Außengrenzen der Union mehr Know-how über die Vorgänge bestehen, es soll mehr Effektivität eingeführt werden.

Ein Top-Thema zurzeit sind die legale Einwanderung, die Möglichkeiten, die dafür geschaffen werden können. Nach Ansicht Junckers wird die Einwanderungsfrage nur dann gelöst werden können, wenn Europa einer begrenzten, aber erhöhten Zahl von Migranten erlaubt, auf rechtlich legale und kontrollierte Weise nach Eu-ropa zu kommen.

Es gibt die Blue-Card-Arbeitsgenehmigungsrichtlinie, die von der EU im Jahre 2012 eingeführt wurde. Das war in dieser Hinsicht ein erster Schritt. Die Richtlinie erlaubt, dass hochqualifizierte Nicht-EU-Bürger in der EU arbeiten und leben dür-fen – mit Ausnahme von Dänemark, Irland und Großbritannien. Allerdings haben einige Mitgliedstaaten diese Blue-Card-Richtlinie in den letzten zwei Jahren noch nicht komplett umgesetzt. Auch die praktische Anwendung wird auf nationaler Ebene durch zu viel Bürokratie häufig behindert.

In den ersten zwei Jahren wurden europaweit nur ca. 10.000 Blue-Card-Arbeitsgenehmigungen ausgeteilt. Das ist eine sehr geringe Quote. Da muss man den Ball flach halten. Die Kommission betont zwar ständig, dass sie ein legales Einwanderungssystem ähnlich der USA, Kanada, Australien aufbauen möchte. Aber es gibt noch kein echtes Konzept. Was ist mit den nicht hochqualifizierten Menschen, die nur mittelmäßig qualifiziert sind? Was ist mit Facharbeitern? Da gibt es noch keine stark begrenzten Kategorien. Das wird auch von den Parlamen-tariern des Innenausschusses des Parlaments kritisiert.

Die Punkte 4 und 5: Da sind die Sicherung von Außengrenzen, Grenzmanage-ment und die Zusammenarbeit mit Drittländern von zentraler Bedeutung. Das heißt, es solle weiterhin ein intensiver politischer Dialog mit Herkunfts- und Trans-ferländern geführt werden. Frontex soll gestärkt werden. Triton ist am 1. Novem-ber gestartet, eine neue Grenzsicherungsmission im Mittelmeer, an der 21 Mittel-meer-Staaten teilnehmen. Ein großer Punkt sind die Mobility-Partnerships, die es

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jetzt unter anderem mit Tunesien, Marokko und Jordanien gibt. Es soll noch weite-re geben. Da sollen ganz viele Projekte durchgeführt werden. Das kann man in der Kürze der Zeit jetzt alles gar nicht darstellen. Die Informationslage der Bürger soll in Bezug auf Einwanderungsmöglichkeiten und Visa-Regulierungen verbessert werden – Arbeitsstudien, Weiterbildung, Forschung: Was ist da möglich? Zahlrei-che Gemeinschaftsprojekte, Informationskampagnen, Trainingsprogramme. Inso-fern steht da sehr viel an. Zum Abschluss: Bei der Kommission merkt man schon, dass sie gewillt ist, in dem Bereich ihre Arbeit und auch die Ressourcen finanziel-ler Natur stark zu erhöhen.

Klaus Müller (Landesvertretung NRW, Brüssel) führt aus:

Vielen Dank für die Möglichkeit, Ihnen hier vortragen zu dürfen. Sie haben von mir zwei Unterlagen bekommen, einmal eine Übersicht über die Beschäftigungsent-wicklung, dann über die Entwicklung der Verdienste derjenigen, die zu uns kom-men – vgl. Anlage 2 zu diesem Protokoll. Was hat das mit der Veränderung von sozialrechtlichen Bestimmungen zu tun? Das Verhältnis bei der Zuwanderung ist im Moment so, dass nach Deutschland 75 % Zuwanderer aus der EU kommen und 25 % aus Drittstaaten, dazu zählen auch die Flüchtlinge.

Die Sorge, insbesondere Anfang 2014, war, dass es, wenn jetzt die Freizügigkeit für die Rumänen und Bulgaren kommt, zu einer Zuwanderung in die Sozialsyste-me kommt und nicht zu einer Zuwanderung in Beschäftigung. Die Daten, die ich Ihnen vorstelle, sind im Wesentlichen von der Bundesagentur für Arbeit. Dahinter liegen Daten vom Statischen Bundesamt. Die erste Übersicht stellt dar, wie sich die Beschäftigung der Rumänen und Bulgaren seit 2008 entwickelt hat. Sie kön-nen sehen, dass im Januar 2014 die größte Steigerung gekommen ist. Bis jetzt hat sich die Beschäftigung gegenüber Anfang des Jahres fast verdoppelt. Das heißt, diese 93 % sind in Beschäftigung. Der größte Teil ist in sozialversiche-rungspflichtiger Beschäftigung.

Die Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien gehen in erster Linie nach Bayern, dann nach Baden-Württemberg und dann nach Nordrhein-Westfalen. Sie verteilen sich auf die Branchen Landwirtschaft, Hotel- und Gaststättengewerbe, Bauneben-gewerbe und Verarbeitungsgewerbe sowie Gesundheitswesen, das heißt, nach dort, wo die Arbeitsbedingungen prekärer sind und auch von den Deutschen nicht so als attraktiv angesehen werden.

Darunter befindet sich die Tabelle über die Entwicklung der sozialversicherungs-pflichtigen Beschäftigungen. Sie können sehen, dass sich seit der vollen Freizü-gigkeit die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aus den neuen Mitglied-staaten mehr als verdoppelt hat. Es sind jetzt etwa 600.000 mehr sozialversiche-rungspflichtige Beschäftigte als vor der Einführung der Freizügigkeit. Das bedeutet auch einiges für die sozialen Sicherungssysteme. Wenn Sie sich das Schaubild 4 – vgl. Anlage 2 zu diesem Protokoll – ansehen, dann können Sie sehen, dass immer dann, wenn den Leuten erlaubt worden ist, zu wandern, die Beschäftigung steigt. Die Beschäftigung steigt stärker als die Zuwanderung. Das heißt, es gehen mehr in Beschäftigung als Zuwanderer kommen. Was heißt das? Sie waren schon

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da. Sie können an der Steigerung sehen, dass die Menschen offenbar keine Deutschkurse besucht haben, um Beschäftigung zu finden. Denn so schnell kön-nen sie keine Deutschkurse organisieren, wie sie Arbeit gefunden haben. Manch-mal kommen sie auch gar nicht in Nordrhein-Westfalen an, weil sie vorher in Bay-ern und Baden-Württemberg schon Arbeit gefunden haben.

Die zusammenfassende Betrachtung der Bundesagentur für Arbeit ist dann fol-gende: Bei denjenigen, die aus Südeuropa kommen, hat die Beschäftigung inner-halb eines Jahres um 7 % zugenommen, aus den Mitgliedstaaten wie Polen und anderen ab 2004 um 17 %, im Jahresvergleich Bulgaren und Rumänen mit 66 %. Die Gesamtbeschäftigung ist aber nur um 1,4 % gestiegen. Das heißt, Zuwande-rer finden zehnmal schneller eine Arbeit als deutsche Arbeitssuchende. Das ist Fakt. Warum? Sie sind jünger, flexibler, besser qualifiziert und oft zu gut für die Tätigkeit, in der sie arbeiten. Die Arbeitslosigkeit ist im gleichen Zeitraum nur um 60.000 zurückgegangen. Das heißt, sie werden vom Arbeitsmarkt ohne Probleme aufgenommen.

Zur Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme: Die Arbeitslosigkeit ist für diese Zielgruppe auch gestiegen. Die Arbeitslosigkeit ist um 20 %, die Beschäfti-gung um 50 %, 60 % gestiegen. Das heißt, die Beschäftigungsquote ist gestiegen, weil die Beschäftigung stärker gestiegen ist als die Arbeitslosigkeit. Von daher sind sie sozialpolitisch kein Problem. Sie haben netto ungefähr 8 bis 10 Milliar-den € in die deutsche Rentenversicherung eingezahlt. Da gab es auch verschie-dene Veröffentlichungen: fiskalische Beiträge der Zuwanderer zu unseren öffentli-chen Haushalten bzw. in die sozialen Sicherungssysteme. Der Beitrag für die Ren-tenversicherung im letzten Jahr dürfte ungefähr bei 7 bis 10 Milliarden €, je nach-dem, was man als Berechnungsgrundlage nimmt, liegen. Das heißt, die Rente mit 63, die Mütterrente wäre ohne die Zuwanderer nicht finanzierbar gewesen – es sei denn, man hätte die Beiträge erhöht. Das war der Teil „Zuwanderung innerhalb Europas“.

Es kommt der Teil „Zuwanderung von Flüchtlingen“. Diese Leute haben ein hohes Arbeitsmarktpotenzial. Warum? Es hat ein Bundesprogramm für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge gegeben. Dabei ist herausgekommen, dass 60 % bleiberechtigte Flüchtlinge waren, die in den Arbeitsmarkt vermittelt worden sind, wenn man ihnen die Möglichkeit gibt. Das ist so ähnlich wie mit den Rumänen und Bulgaren. Man muss es den Leuten nur erlauben. Wenn Sie also 60 % der Zuwanderer und Flüchtlingen erlauben zu arbeiten, dann haben Sie auch weniger in den Heimen, was offensichtlich ist.

Dann hat es eine Evaluierung gegeben. Es waren 10.000 Teilnehmer. Bei der Evaluierung ist herausgekommen: Flüchtlinge, die man arbeiten lässt, kosten die Kommunen weniger Geld als Flüchtlinge, die man nicht arbeiten lässt. Mit denen hat man auch weniger soziale Probleme. Die Evaluierung kann ich Ihnen zur Ver-fügung stellen. Es liegt auf der Hand. Jetzt ist die Frage: Wer würde das denn un-terstützen? Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hat einen Vorschlag gemacht, der in die gleiche Richtung geht. Sie sagen: Ja, wir brauchen die Leute. Wir müssen die Asylverfahren schnell durchziehen. Wenn wir sie

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schnell durchgezogen haben, sollte man den Leuten den Zugang zum Arbeits-markt ermöglichen. Das würde auch funktionieren. Dann würde man viel Druck herausnehmen. Aber es ist möglicherweise eine zu einfache Lösung. Die Evaluie-rung, von der ich gerade gesprochen habe, hat der Leiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zum Anlass genommen zu sagen: Wenn das so einfach ist, dass man die Leute nur arbeiten lassen muss, wenn sie wollen, dann machen wir das auch. Da hat der damalige Bundesinnenminister Friedrich gesagt: Nein, das machen wir nicht: Es ist also eine Frage des politischen Willens, ob man diese Möglichkeiten nutzt. 60 % haben – das kann man zeigen – es geschafft. Die Zu-wanderung von Rumänen und Bulgaren zeigt auch, dass die Leute Arbeit suchen und Arbeit finden. Es ist eine Frage, wie man damit in Zukunft umgeht.

Franz-Peter Veits (EU-Kommission, Generaldirektion Beschäftigung) legt dar:

Ich entschuldige zunächst Herrn Adam Pokorny. Ich habe den Verdacht, dass et-was bei der Kommunikation schiefgegangen ist. Mein Thema ist die Förderung von sozialer Eingliederung und Integration. Es gibt verschiedene Fonds. Ich hatte zunächst vor, einen Rundumschlag zu machen, um die Fonds alle und die Umset-zung anzusprechen.

Die EU-Förderung aus den Struktur- und Investitionsfonds ist dieses Mal eindeutig auf die Zielrichtung der Europa 2020-Strategie abgestellt. Früher gab es auch Strategien. Das waren eher Lippenbekenntnisse. Das ist in den Verordnungen er-heblich enger verknüpft worden, sodass wir jetzt auch strategisch fast ausschließ-lich auf die Ziele der Europa 2020-Strategie ausrichten müssen, sodass man ge-wisse liebgewonnene Gepflogenheiten in manchen Staaten leider begraben muss. Ich nenne es das Spielgeld für einige Minister. Dann werden wir auch ergebnisori-entiert prüfen, ob die Ziele erreicht sind. Das setzt voraus, dass wir nicht nur sa-gen, ich habe versucht, Geld auszugeben, sondern ich habe vor, ein Output und soundso viele Ergebnisse zu erreichen.

Im Bereich der Investition in Menschen ist der Integrationseffekt in den ersten Ar-beitsmarkt das höchste Ziel, falls das nicht klappt, Integration in Zwischenschrit-ten. Das ist nicht so einfach wie das Messen von Kilometern von Autobahnen. Das ist klar. Das setzt ein erhebliches Monitoring, ein Erfassen von Daten voraus.

In Deutschland geht es auch noch um den Datenschutz. Wenn ich das Gesetz richtig lese, komme ich da nicht hin. Ich weiß, dass es schwierig ist, an gewisse Daten zu kommen. Die Daten können nur von den Teilnehmern kommen. Wenn die ihnen das nicht sagen, haben sie die Daten nicht. Wir haben einige als Pflichtelemente. Wenn ein Element fehlt, gilt der Teilnehmer als nicht vorhanden für die Statistik. Früher war es einfach, die Teilnehmer zu zählen. Wer Mann oder Frau war, war klar. Beides ging nicht zu 100 % auf.

Der Verbleib nach einer Qualifikationsmaßnahme, einer Arbeitsbeschäftigungs-maßnahme war unheimlich schwierig nachzuvollziehen. Ich habe gemerkt, wo die Lücken sind, wo das Erfassen nicht möglich war. Wir haben versucht, unsere Zie-le, diese Gelder-Strategie zu verknüpfen. Wir haben versucht, sie in einen mittel-

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fristigen Finanzrahmen einzubauen. Der war nicht überambitioniert im Vergleich zu sieben Jahre davor, wo man blauäugig herangegangen ist. Er war schon ange-passt an die finanziellen haushaltsmäßigen Schwierigkeiten, die es gibt. Man woll-te die geringeren Mittel durch eine bessere strategische Ausrichtung und Konzent-rierung der Ausgaben wieder wettmachen. Es wurde leider weiter gekürzt, sodass geringere Mittel herausgekommen sind, als wir erhofft haben. Wir haben nunmehr einen Rückgang im Vergleich zu der alten Periode. Wir haben Besonderheiten eingerichtet für die Jugend, die Jugendbeschäftigungsinitiative. Es gibt die Strate-gie. Sie wird durch spezielle Gelder flankiert. Sie ist vorab schon in trockene Tü-cher gepackt worden, sodass sie bei der mittelfristigen Finanzplanung ein Fakt war.

Unsere Vorschläge waren höher. Herausgekommen sind 3 Milliarden € in einem nominellen Wert 2011. Man muss es in Perioden einteilen. Sie werden indiziert mit 2 %. Das ist fiktive Inflationsrate, die derzeit in der Tat weit weg von dem ist, was wir an Inflationsrate haben. Früher hatte man es im Griff, dass die Preise steigen.

Das war auf Mitgliedstaaten konzentriert, die die Regionen im NAT-II-Bereich ha-ben eine Jugendarbeitslosenquote von 25 % und mehr. Wenn ein Staat eine sol-che Region hat, Brüssel oder Hennegau, dann kann man das Geld nicht in ganz Belgien ausgeben. Es ist auch richtig, dass wir Abgrenzungsprobleme haben. Denn so ein Melderecht, wie wir es in Deutschland haben, gibt es nicht unbedingt in den anderen Staaten. Wo ist der Teilnehmer? Wird nicht absichtlich verscho-ben? Wir reden von 3 Milliarden €, die an nominellen Werten herauskommen. Für die betroffenen Staaten gibt es dieses, zu denen Deutschland nicht gehört, um-sonst. Man muss sie nicht kofinanzieren. Ein Euro ist ein Euro. Man muss nichts dazu tun. Ich muss aber aus meinem ESF-Topf dazu tun. Ein Euro Jugendbe-schäftigungsinitiative, 1 Euro ESF. Dadurch erklären sich die 6 Milliarden €, die immer in der Presse auftauchen. Auch diese Beträge sind falsch, denn den ESF muss ich kofinanzieren. Der Kofinanzierungssatz schwankt zwischen den Gebie-ten – früher nannte man das Konvergenzgebiete. Dann haben wir Übergangsge-biete. Die Sätze sind unterschiedlich. In Brüssel, wo wir eine sehr hohe Arbeitslo-sigkeit haben, beträgt der Satz 50 %. Statt 1 € habe ich faktisch 3 € zur Verfü-gung.

Die 6 Milliarden € indiziert, durch Kofinanzierung aufgestockt, machen erheblich mehr Geld für den Zweck aus als das, was man üblicherweise in der Presse liest. Das Geld ist, weil der Deckel auf dem Budget drauf war, irgendwo anders gekürzt, im Zweifel bei den anderen Fonds.

Die wirtschaftliche Betrachtungsweise ist für die Staaten, die davon profizieren, eher gegeben. Ich habe außerhalb der normalen Zuordnung der Gelder auf die Mitgliedstaaten eine andere Zuordnung. Ich bekomme das Geld für einen Zeit-raum von zwei Budgetjahren. Das ist der einzige Unterschied. Wirtschaftlich vom Zusatz zu reden, ist makroökonomisch gesehen, nicht richtig.

Wir haben dann einen weiteren Fonds, der außerhalb des Strukturinvestitions-fonds ist, das ist der EHAP, der ist für die Ärmsten der Armen. Der stammt aus ei-ner landwirtschaftlichen Förderung. Das ist nicht sehr viel Geld im Vergleich zu

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dem, was wir sonst haben. Das müssten sie dann loswerden. Es war bei einigen von Interesse, dass das weitergeführt wird.

Da ist Frankreich zu nennen. Es sieht eher nach Subventionierung der Landwirt-schaft aus. Diese Gelegenheit haben wir nutzen können, weil es dann doch einen Konsens gab: Wir machen weiter mit der Sache, sodass wir auch soziale Aspekte reinbringen können. Das war ursprünglich ein Zuschuss zu den Ernährungsmitteln gewesen. Bei uns ist es jetzt so, dass auch immer verpflichtend begleitende Maß-nahmen erforderlich sind. Personen, die in die Küchen kommen, werden einzeln herangeholt. Da sind Menschen, die betreuen sollen, die die Situation ausgucken sollen, warum sie abseits der Gesellschaft sind, wie man sie näher heranbringen kann. Begleitende Maßnahmen sind da. Wir haben die Möglichkeit, materiell zu unterstützen, ein Programm für soziale Inklusion zu machen. In Europa wird es fünf solcher Programme geben. Italien hat beide Typen, das Essen und die Inklu-sion. Deutschland macht die Inklusion.

Wir haben die Fondsmittel. Von EHAP kann ich sagen: In diesen nominellen Wer-ten waren das 2011 3,4 Milliarden €. Dazu komme ich gleich.

Wie werden die Mittel aufgeteilt? Wir wollen zur sozialen Komponente: Wir haben den EFRE und den ESF. Diese Aufteilung ist nicht vom Gesetz vorgegeben. Wir haben früher, als wir die Vorschläge erarbeiteten – mein Haus, Generaldirektion Beschäftigung –, versucht, ein eigenes Budget für den ESF zu bekommen. Das ist bereits an Regio gescheitert. Sie meinten, damit könnten sie die Hand draufhalten. Es ist ein gemeinsamer Geldtopf, den sich die Mitgliedstaaten aufteilen müssen, wo dann das Problem bei den Verhandlungen losgeht. Das hätte man sich sparen können. Es gibt Staaten, die meinen, ESF sei nicht so wichtig, nur der EFRE schaffe Arbeitsplätze.

Man kann auch sagen: Es gibt eine Regierung, die schneidet, wenn die Kameras an sind, ein Band an der Autobahn durch. Es ist sehr schwierig für uns, das zu verteidigen. Wir haben festgestellt in dieser Periode, dass der ESF-Anteil rückläu-fig war. Es wurde ein höchst komplizierter Kompromiss gefunden, der bei einem krummen Prozentsatz endet. Damit konnte man leben.

In Deutschland haben wir, was die Aufteilung angeht, kein Problem. Das war nie ein Politikum. In Deutschland sieht das anders aus. Es gibt gewisse Landesregie-rungen, die meinen, mit einem 15 %-Anteil herauszukommen. Wir haben einen Konsens im Westen, auch im Regierungsbezirk Leipzig und Berlin. Da haben wir die Aufteilung 50:50 zwischen EFRE und ESF. In den östlichen Gebieten brauche ich das nicht. Da reicht auch ein geringer Prozentsatz. Wir sind aber bei 40 % beim ESF. Das führt insgesamt dazu, dass wir jetzt weniger Geld in Deutschland haben. Wir haben etwa 20 % weniger ESF-Geld als in der Periode davor. Das ist bei den Ländern unterschiedlich ausgeprägt.

Beim EFRE haben wir nur Landesprogramme, beim ESF haben wir ein Bundes-programm, und jedes Land hat sein Programm. Das führt dazu, dass wir jeweils zwei Programme haben, die in jedem Bundesland wirken. Wir mussten sicherstel-len, dass eine Kohärenz besteht, dass nicht jeder das Gleiche macht. Es passierte

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nämlich in der letzten Periode schwerpunktmäßig, dass der Bund mit Programmen kam. Das Bundesprogramm kam als Letztes als Vorschlag. Das haben wir dies-mal anders gemacht. Alle Programme mussten zeitgleich kommen. Wir hatten es im Griff. Jetzt muss es auch noch umgesetzt werden. Es gibt erste Zeichen, dass das wieder problematisch wird. Die Kommunikation zwischen Bund und Landes-ESF ist auf jeden Fall erheblich verbessert gegenüber früheren Jahren. Das bestä-tigen mir alle, mit denen ich rede.

Nun haben wir in der Regel konkrete Säulen, die hauptsächlich mit dem ESF be-dient werden. Da ist eine gewisse Stabilität enthalten. Wir haben auf jeden Fall den frühen Schulabgang als einen Bereich. Wir haben die Notwendigkeit der Fort-bildung der Beschäftigten – lebenslanges Lernen –, und wir haben die soziale Eingliederung. Da sind die Länder sehr aktiv, weil sie vor allem mit den Job-Centern zusammenarbeiten, weil wir dort die Leute registriert haben. Wir bemühen uns in Deutschland weiterhin, kurz vor der Schwelle zum Arbeitsmarkt etwas zu machen. Der ESF erlaubt viel jüngere Geschichten. Das hatten wir früher nicht er-laubt. Es gibt Staaten, bei denen ich volles Verständnis habe, weil dort die Verwal-tungsstrukturen, der Aufbau der Systeme, etwa die Kinderbetreuung, völlig neu auf die Beine gestellt werden müssen. Das betrifft aber Deutschland nicht.

In den Programmen werden Langzeitarbeitslose thematisiert. Wir haben eine klare Tendenz, dass der Weg hin zu Fällen geht, bei denen der Erfolg möglich ist, wobei man individuelle Teile hat, wo die Leute nicht nur allgemein sozialpädagogisch be-treut werden, sondern spezifisch. Sie werden begleitet. Jugendliche, die schwer zu vermitteln sind, die dann einen Ausbildungsplatz haben, werden weiter begleitet. Jetzt gibt es begleitende Elemente. Das ist etwas Neues, was die Länder jetzt probieren und einbauen wollen.

Der EHAP ist eine Geschichte – das ist für Nordrhein-Westfalen wichtig –: Das wird nur vom Bund verwaltet. Es gibt zwei Zielgruppen: die Armutszuwanderung auf der einen Seite, unterteilt in Erwachsene und Kinder, auf der anderen Seite Obdachlose. Das kann sich auch überschneiden. Das Programm ist neutraler for-muliert, damit wir keine Diskriminierung darin haben. Es wird im Wesentlichen die Zielgruppe aus Bulgarien und Rumänien betreffen – das mag sich noch verschie-ben –, die Menschen, die jetzt kommen, die keine Arbeit finden, von denen Klaus Müller erzählt hat, bei denen gar nicht daran zu denken ist, dass sie Arbeit finden.

Das soziale Verhalten ist unterschiedlich. Diese Leute konnten von zu Hause aus nicht lesen und haben nichts gelernt. Das ist ein Problem. Das wird über die Städ-te umgesetzt. Antragsteller bei den EHAP sind nicht die Bundesländer, sondern die Kommunen in Verbindung mit Wohlfahrtsdefinitionen, die definiert sind. Es ist auch umgekehrt, dass die Wohlfahrtsorganisationen den Antrag stellen können. Dann ist die Kommune im Boot. Das ist eine arbeitsteilige Sache. Wir stellen uns vor, dass es ähnliche Projekte sein werden.

Es wird vorgeschlagen, über ein Expertengremium wird votiert, wer förderfähig ist. Das sind die Dinge, die wir in Nordrhein-Westfalen in großen Städten seit Anfang 2014 haben. Wir lassen das als Pilotprojekte laufen, weil wir das Programm nicht umgeändert haben. Das bedeutet aber auch, dass wir in Zukunft nicht sehen wol-

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len, dass Nordrhein-Westfalen mit ESF-Geldern diese Sache weitermacht. Es muss eine Abgrenzung sein. 92,8 Millionen € Gelder sind da. Die Kofinanzierungs-rate beträgt 85 % und ist höher als alles, was wir sonst haben. Wir müssen auf-passen, dass es nicht zu Überschneidungen kommt. Deutschland hätte übrigens mehr Geld haben können.

Serdar Yüksel (SPD) legt dar, Frau Giannone habe gerade die nicht vorhandene Asylpolitik Europas beschrieben. Wenn man sich die Situation in den Krisengebieten und die Lastenverteilung in der Europäischen Union anschaue, dann sei es wirklich beschämend, dass sich einige Länder der Europäischen Union nicht an der Aufnah-me von Flüchtlingen beteiligten. Er nenne eine Zahl: Die Engländer hätten ganze drei syrische Flüchtlinge aufgenommen, Deutschland habe 64.000 syrische Flüchtlinge bisher aufgenommen. Hollande habe zugesichert, 150 syrische Flüchtlinge aufzu-nehmen. Was die Solidarität bei der Aufnahme von Flüchtlingen anbelange, so sei das beschämend.

Papst Franziskus sei in seiner ersten Reise nach Lampedusa gefahren. Einige Wo-chen später sei die Katastrophe mit über 400 Toten vor Lampedusa passiert. Barroso und andere hätten sich vor den vielen Holzsärgen aufgestellt und hätten gesagt: Die europäische Politik gegenüber Flüchtlingen müsse sich grundlegend ändern. Der Papst sei vor Kurzem im Europäischen Parlament gewesen und habe diese Frage noch einmal explizit angesprochen. Im Ergebnis sei wieder gesagt worden, die EU müsse sich anders aufstellen. Es tue sich in dieser Frage nichts bis gar nichts. Das sei beschämend. Man stelle sich vor, dass jeden Monat über einer europäischen Stadt eine vollbesetzte Boing-Maschine abstürze. Das sei das, was passiere. Alleine die Zahl der Toten an den europäischen Außengrenzen betrage in diesem Jahr 3.800. Die Dunkelziffer dürfte noch viel höher sein.

An den spanischen Küsten würden jeden Tag acht bis zwölf Tote angeschwemmt, die überhaupt nicht mehr in den Zeitungen stünden. Das sei absolut beschämend. Das Dublin-Verfahren funktioniere vorne und hinten nicht, was die Rückübernahme von Flüchtlingen anbelange – er sei Mitglied im Petitionsausschuss. Italien, Grie-chenland und Polen würden Verfahren anwenden, die vorne und hinten nicht funktio-nierten.

Er erinnere an das Programm Mare Nostrum der Italiener. Sie hätten 110.000 Men-schen vor dem Ertrinken gerettet. Die Italiener hätten das nicht mehr allein weiter fi-nanzieren können. Sie hätten die europäische Solidarität eingefordert mit dem Er-gebnis, dass die Europäer zwar gesagt hätten, die Italiener hätten zwar 110.000 Menschen gerettet, sie würden aber in den einzelnen Staaten landen. Man habe kein Interesse daran, sich an diesem Projekt zu beteiligen, weil dann im eigenen Land die Flüchtlingszahlen anstiegen. Das neue Triton-Projekt – von Frontex initiiert – ziele auf Grenzsicherung, nicht auf das Retten von Menschenleben.

Wenn man von der Charta der Grundrechte rede, müsste das Retten von Menschen-leben höher bewertet werden als die europäische Grenzsicherung.

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro Der Appell von Herrn Yüksel sei edel, aber es fehle die Lösung, erwidert Dr. Ingo Wolf (FDP). In der Konsequenz müsse Deutschland, wenn sich andere verweigerten, alle aufnehmen. Dann gebe es Probleme in den Kommunen.

Frau Giannone sei auf das Thema Blue Card eingegangen. Er sei ein großer Ver-fechter von gewünschter Zuwanderung. Die FDP habe sich seit zehn Jahren dafür eingesetzt, auch dafür, dass die Bemessungswerte bei der Blue Card herunterge-setzt würden. Das sei jetzt erfolgt. Es habe einen Kampf in den Innenministerkonfe-renzen gegeben, nicht viele seien dafür gewesen. Frau Giannone habe auch gesagt, dass es gewünschte Zuwanderung unterhalb der absolut Hochqualifizierten gebe – Stichwort: Pflegepersonal. Hier könne man noch viel mehr machen. Angesichts des Kampfes um Arbeitskräfte bei Bevölkerungsschrumpfung in der gesamten Europäi-schen Union wäre da ein Stück Offenheit vernünftig.

Herr Müller habe das Positive geschildert, was Zuwanderung alles bringe. 60 % höre sich gut an, da blieben aber noch 40 % übrig. Es sei zu fragen, was mit denen pas-siere, die in ihren Ländern häufig Diskriminierung erfahren hätten, im Zweifel völlig ungebildet und auch nicht arbeitswillig seien. Es gehe auch um deren Perspektive. Er frage, was Herr Müller den Kommunen, die am Ende betroffen seien, empfehle. Er frage, ob es bei den Roma eine Perspektive gebe, dass sie in Beschäftigung über-gingen. Es sei zu fragen, ob sie auch beteiligt würden oder ob sie in der 40-%-Ecke immer bleiben würden. Es gebe ja eine Verpflichtung allen gegenüber zu ermögli-chen, dass sie in den Arbeitsmarkt eintreten könnten.

Ilka von Boeselager (CDU) geht davon aus, dass eine Legalisierung der Zuwande-rung, eine Öffnung für die Zuwanderer nach Europa schlechthin große Erleichterun-gen für die Menschen bringen würden, die Strapazen auf sich nähmen und ihr Leben riskierten.

Herr Müller habe darauf verwiesen, dass die Menschen eigentlich Arbeit suchten. Da gebe es nach wie vor eine Arbeitssperre. Sie frage, was man dazu beitragen könne, dass man endlich flexibler reagiere. Die Rednerin ist davon überzeugt, dass die Menschen sehr viel schneller in den Arbeitsmarkt einzugliedern wären, was zu einer Entspannung in den Kommunen in erheblichem Maße beitragen würde, ganz abge-sehen von den Kosten.

Daniela Giannone (Landesvertretung NRW, Brüssel) führt, an Herrn Yüksel ge-wandt, aus, grundsätzlich sei klar, dass sich die EU und die Mitgliedstaaten in einem Spannungsverhältnis befänden. So werde Solidarität mit den Flüchtlingen als auch den Mitgliedstaaten untereinander eingefordert. Das sei eine ausgesprochen schwie-rige Geschichte, die einerseits sehr viel Geld koste. Andererseits habe man in vielen Ländern einen Rechtsruck in Europa mit extremistischen Parteien, die die Agenda auch teilweise so bestimmen würden, dass sie auch die Regierungen vor sich her-trieben. Das Thema habe in vielen Staaten nicht so eine große Lobby. Das sei teil-weise sehr schwierig.

Im Oktober und Dezember hätten Ratssitzungen der Justiz- und Innenminister statt-gefunden. Minister de Maizière habe im Oktober einen Vorstoß gemacht, dass die

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro Dublin-Verordnung revidiert oder überarbeitet werde, dass die Verteilungsschlüssel innerhalb Europas neu verhandelt würden. Er habe an die anderen Mitgliedstaaten appelliert, sie sollten mehr Kontingente aufnehmen. Da sei er auf sehr wenig Gegen-liebe gestoßen. Die Situation vieler Staaten in Europa sei ausgesprochen bequem. Bisher gebe es im Rat keine Einigung darüber, dass so etwas in den nächsten Mona-ten stattfinden könnte.

Es sei beabsichtigt, in einem Pilotprojekt ein neues Resettlement-Programm mit eventuell 10.000 Flüchtlingen zu initiieren, wobei ein neuer Verteilungsschlüssel ausprobiert werden solle. Das stecke noch in den Kinderschuhen. Wann das Projekt implementiert werden solle, sei noch nicht ganz klar. Das betreffe auch die Dublin-Verordnung. Ob das Verfahren geändert werde, dass ein Flüchtling, der in Deutsch-land aufgegriffen werde, der eigentlich nach Italien zurückgeschickt werden solle, weil er dort zuerst eingewandert sei, stehe zwar diskussionsmäßig auf der Agenda. Es lasse sich aber nicht absehen, dass das in näherer Zukunft gelöst werde. Man habe ja die Probleme jetzt. Jetzt gebe es die Kriege. Die Bürokratie der EU, aber auch der Mitgliedstaaten untereinander sei das Problem. Man dürfe nicht alles auf die Kommission abwälzen. Es seien schon die Mitgliedstaaten im Rat, die der Hauptmotor sein sollten. Da gebe es keine große gemeinsame Basis.

Was Frontex angehe, so treffe es zu, dass die Seenotrettungsaktion Mare Nostrum Ende des Jahres auslaufe. Sie sei um zwei Monate verlängert worden. Das sei eine aktive Seenotrettungsaktion gewesen. Man sei bis an die libysche Küste gefahren und habe aktiv nach Booten gesucht. Triton werde das nicht einmal annähernd er-setzen können. Die 21 Mitgliedstaaten, die daran teilnähmen, hätten insgesamt 65 Grenzbeamte abgeordnet. Die technische Ausrüstung bestehe bisher aus vier Flug-zeugen, einem Helikopter, vier Schiffen für die hohe See und drei Küstenpatrouillen, also zwölf technischen Ausrüstungen größerer Natur plus 65 Grenzbeamte für das zentrale Mittelmeer.

Jetzt könne man sich das Seegebiet anschauen. Das werde so nicht funktionieren. Triton sei in erster Linie für die Sicherung der Außengrenzen gedacht. Im Rahmen der Möglichkeiten würden natürlich auch Flüchtlinge aufgegriffen. Wenn man nur vier Schiffe für die hohe See habe, die auch gar nicht so weit südlich hinausführen, wie das vorher die italienische Marine gemacht habe, wenn die Entwicklung im Jahre 2015 so bleibe wie im Jahre 2014, dann würden die Opferzahlen höchstwahrschein-lich ansteigen, es sei denn, überall breche der Frieden aus.

Für die neue Triton-Mission gebe es eine Erhöhung der Gelder auf 2,9 Millionen €. Gelder aus dem Fonds für die innere Sicherheit seien jetzt in das Frontex-Budget verlagert worden. Es sei trotzdem ein Tropfen auf den heißen Stein. Auch da könne die Kommission nur an die Mitgliedstaaten appellieren; das sei alles auf freiwilliger Basis. Jeder gebe, so viel wie er wolle. Deutschland gebe im Vergleich schon relativ viel.

Zu der Frage, ob eine legale Einwanderung das erleichtern würde: Wenn es ein Ein-wanderungsregime ähnlich wie in den USA geben würde – dort habe man verschie-dene Kategorien für die verschiedenen Bildungsstände –, dann hätte man eine feste Quote. In Europa habe man keine feste Quote, man könnte aber Kontingente festle-

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro gen. In USA gebe es auch ein Green-Card-Verfahren, was man auch nicht in Europa habe. Wenn die Menschen in den Herkunfts- und Transitstaaten besser informiert würden und Möglichkeiten hätten, sich von ihrem Land aus für erleichterte Visaver-fahren, für Arbeitsvisa zu bewerben, dann würden sie – so sei der theoretische Ge-danke – davon abgehalten, sich auf den Weg zu machen, um auf illegale Art und Weise einzureisen. Das sei schon mit enormen Anstrengungen verbunden. Die Mobi-lity-Partnerships seien sehr wichtig. Das Problem sei, die Mobility-Partnerships seien auch bloß politische Absichtserklärungen auf der Basis von nicht rechtsverbindlichen Abkommen. Das seien keine Legislativakte. Wenn man ein legales Einwanderungs-system aufziehe, sei das ein legal verbindlicher Rechtsakt. Im Moment habe man ein Übergewicht von relativ unverbindlichen Partnerschaften – da gebe es mögliche Ver-einbarungen, die hochoffiziell unterzeichnet würden. Auch die Evaluierung sei sehr schwierig. Man bemühe sich, Grenzbeamte vor Ort zu trainieren, Asylbearbeitungs-beamte würden geschult. Es laufe jetzt an. Das Programm verspreche Besserung, aber nur mittel- und langfristig. Es müsste eigentlich noch mehr gemacht werden.

Klaus Müller (Vertretung des Landes NRW, Brüssel) sieht in der Zuwanderung zunächst das Positive. Auch der Europaabgeordnete Graf Lambsdorff habe im Zu-sammenhang mit dem Urteil zur Sozialhilfe gesagt, man solle doch nicht so tun, als ob die Leute kämen, um SGB-II-Mittel zu bekommen. Sie kämen, um zu arbeiten. Dieses Jahr gebe es eine Nettozuwanderung von 500.000 Personen. Das sei ein Humankapitalimport, das man sich nicht vorstellen könne.

Die Kapazitäten für die Ausbildung von Pflegekräften, die man sich dadurch sparen könne, habe man gar nicht. Man habe nicht einmal die Leute, die die Arbeit machen wollten. Die Leute verdoppelten ihr Einkommen. Wer hier sein Einkommen verdopp-le, gehe nicht so schnell zurück. Da die Leute jung seien, hätten sie die Chance, noch mehr zu verdienen.

Die Beschäftigungsquote von Neuzuwanderern sei höher als die Beschäftigungsquo-te von Deutschen. Beim Bleiberecht der Flüchtlinge sei das anders. Diese Gruppe sei schon lange da. Man habe sie lange nicht arbeiten lassen. Für diese Gruppe sei 60 % keine schlechte Quote. Es sei zu fragen, was man tun könne, um damit das noch besser funktioniere. Man müsse die Verfahren zügig durchführen. Europa habe keine Wahl. Die Leute kämen, wenn sie kommen wollten. Da gebe es die Möglich-keit, Deutschkurse zu machen. Die schienen innerhalb von Europa nicht so notwen-dig zu sein. Auch gehe es darum, die Qualifikation, die die Leute mitbrächten, schnell anzuerkennen. Die Qualifikation, die man anerkenne, brauche man nicht auszubil-den. Das koste nicht einmal Geld.

Dr. Ingo Wolf (FDP) merkt an, auch die Äußerungen von Graf Lambsdorff könne man durch seine Äußerungen nicht ersetzen. Er habe eben die Roma angesprochen. Er habe zu keinem Zeitpunkt gesagt, dass er Zuwanderung vom Prinzip her nicht gut finde. Es sei zu fragen, wie man mit der schwierigen Klientel, die die Kommunen in hohem Maße beschäftige, klarkomme. Da fehle ihm die Einschätzung, ob es aus

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro diesem kritischen Bereich Übergang in Beschäftigung gebe, wie die Perspektiven dort seien.

Vorsitzender Nicolaus Kern bittet um Verständnis, das bilateral zu klären. Jeder dürfe eine Frage stellen. An der Stelle wolle er konsequent bleiben. Er bedanke sich bei den Gästen und bei den Referentinnen und Referenten.

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro 3 Debatte zur Zukunft der Europäischen Union

Gast: Janis Emmanouilidis European Policy Centre

Vorsitzender Nicolaus Kern begrüßt Herrn Emmanouilidis. Er sei Studienleiter und Direktor am European Policy Centre in Brüssel. Dieses European Policy Centre sei eine Denkfabrik, die sich mit Angelegenheiten der Europäischen Union beschäftige. Sie habe sich verpflichtet, die europäische Integration voranzutreiben sowie die Dis-kussion und weiteres Nachdenken über die aktuellen und zukünftigen Fragen um Probleme der Europäischen Union zu fördern. Insgesamt gehörten dem EPC mehr als 400 Mitgliedsorganisationen aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens an.

Er freue sich, dass Herr Emmanouilidis heute Vormittag Gast des Ausschusses sei. Bevor man gemeinsam in die Debatte zur Zukunft der Europäischen Union einsteige, freue sich der Ausschuss auf den Beitrag von Herrn Emmanouilidis.

Direktor Janis Emmanouilidis (European Policy Centre) führt aus:

Vielen Dank für die Einladung und die Chance, heute über das Thema „Die Zu-kunft der Europäischen Union“ zu debattieren. Es ist der richtige Zeitpunkt, um das zu tun. Wir befinden uns gerade am Beginn eines neuen politischen Zyklus. Das neue EU-Führungspersonal ist im Amt mit Herrn Tusk, der erst vor einigen Wo-chen Präsident des Europäischen Rates geworden ist. Es ist der richtige Zeit-punkt, über die Zukunft zu debattieren. Aber es ist natürlich unheimlich schwierig, das zu tun.

Wir gehen fünf Jahre zurück zum Beginn des letzten politischen Zyklus 2009. Wir haben eine Debatte über die Zukunft der EU geführt. Wer hätte gedacht, dass das, was in den Jahren 2010 und folgende passiert ist, passiert wäre? Wir konnten uns das nicht vorstellen. Heute eine Prognose über die Zukunft der EU abzugeben, ist sehr schwierig. Ich habe keine Kristallkugel. Ich werde trotzdem versuchen, ein bisschen in die imaginäre Kristallkugel hineinzublicken und dabei die Vogelper-spektive auf die EU einzunehmen – Vogelperspektive in dem Sinne, dass ich mich nicht mit dem sogenannten Kleinklein beschäftigen möchte – nicht, weil die Ein-zelaspekte nicht wichtig sind, sondern weil ich glaube, dass die größere Perspek-tive uns teilweise erklärt, warum wir in den einzelnen spezifischen Fragen hinter-herhinken oder nicht in der Lage sind, zu guten Kompromissen zu kommen. Das Thema, über das Sie gerade gesprochen haben, zeigt das sehr wohl.

Was ich nun in meiner Rede tun werde, sind zwei Dinge. Einmal geht es um die Frage: Was sind denn die Probleme, was sind die zentralen Herausforderungen? Dann stelle ich die Frage: Was wird wohl geschehen mit Blick auf die Zukunft, und was sollte geschehen? Ich komme, wie Herr Kern gesagt hat, aus einem Think Tank. Überlegungen über das, was geschehen sollte, sind uns nicht fern. Ich ver-suche, mit Ihnen meine Gedanken zu teilen, die ich zusammen mit anderen erar-beitet habe.

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Zum ersten Punkt: Was ist das Problem? Wo stehen wir? Was sind die zentralen Herausforderungen? Wenn ich es in sehr einfachen Worten beschreiben will, dann hört sich das etwas negativ an. Ich glaube, wir sind in der EU zu einem guten Teil festgefahren. Wir sind nicht in der Lage, eine gewisse negative politische Psycho-logie, die es sowohl innerhalb der EU, aber auch außerhalb Europas gibt, zu überwinden.

Einige Wörter, die das umschreiben: niedriges Wachstum, die Gefahr einer erneu-ten Rezession, deflationäre Risiken, ein Mangel an Beschäftigung, Arbeitslosigkeit vor allem unter der Jugend – Sie kennen die Zahlen –, ein Schuldenstand in vielen Mitgliedstaaten, der immens ist, der uns Sorge bereitet und die Tatsache, dass gewisse Interessen in vielen Mitgliedstaaten Reformen nicht weiter zulassen.

Ich könnte fortführen bis zu dem Punkt, dass wir den Zuwachs an populistischer Rhetorik, populistischen Kräften in vielen Mitgliedstaaten erleben mit allen Einflüs-sen, die das auf diejenigen hat, die sich an der Macht befinden. Alles in allem be-schäftigen wir uns immer noch unter dem Eindruck der Konsequenzen der Kollate-ralschäden der Krise, Euro-Krise, Große Krise – nennen wir sie, wie wir wollen –, aber wir sind unter dem Eindruck dieser Krise. Verstehen Sie mich nicht falsch! Wenn ich auf die letzten vier, fünf Jahre zurückblicke und sehe, was auf europäi-scher Ebene mit Blick auf die Krisenreaktion geschehen ist, dann ist da vieles ge-schehen. Viele der Dinge, die geschehen sind, wären vor fünf, sechs, sieben, acht Jahren undenkbar gewesen. Ich könnte hier einige Beispiele nennen. Aber auf-grund der Zeit werde ich das nicht tun. Sie wissen, wovon ich spreche.

In systemischer Hinsicht ist die Situation heute auch besser, als sie es noch bei-spielsweise im Sommer 2012 war, als es fraglich war, ob dieser Schneeball der Krise an weiterer Fahrt gewinnt und unkontrollierbar wird. Wir wissen, was ge-schehen ist, vor allem mit Blick auf die EZB und die Ankündigung damals. Die Si-tuation hat sich in systemischer Hinsicht beruhigt. Wenn ich so etwas beispielwei-se in Portugal, in Spanien oder in meinem Vaterland Griechenland sagen würde, dann würde man mir sagen: Das kriegen wir nicht mit. Die Situation heute ist nicht besser als 2012 – ganz im Gegenteil. Die Arbeitslosigkeit ist da, wo sie ist. Ich weiß nicht, wie ich meine Miete bezahlen soll, wie ich Steuern bezahlen soll usw. Deswegen sage ich systemisch.

Dennoch ist einiges geschehen. Der ironische Effekt ist: Seitdem der Krisendruck abgenommen hat, hat auch die Reformmüdigkeit zugenommen. Das sehen wir auf europäischer Ebene, das sehen wir auch auf nationaler Ebene in unterschiedli-chem Maße. Wir sehen, dass die Erwartungshaltung dessen, was man versucht zu erreichen, viel geringer ist, als es noch in der Vergangenheit der Fall war.

Konsolidierung ist das, was groß geschrieben wird. Mein Mutterland ist Bayern. Da würde man sagen: Durchwurschteln ist das, was eher gesagt ist, als ambitionier-tes Vorangehen. Im englischen Jargon würde man wohl sagen: Muddling-Through. Das ist das, was den Tag im Grunde genommen prägt. Wir brauchen ei-ne neue Form des Momentums. Wie kriegen wir das hin? Wir brauchen dieses Momentum auch, wenn man sich umschaut und die Entwicklung in der Nachbar-schaft darüber hinaus sieht. Verstehen Sie mich nicht falsch! Ich glaube, dass Eu-

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ropa viel Potenzial hat. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die die Dinge negativ be-trachten. Ich glaube, wir haben sehr viel Potenzial in den einzelnen Mitgliedstaa-ten und auch kollektiv. Die Frage ist: Wie können wir dieses Potenzial ausschöp-fen?

Das sind zwei strategische Herausforderungen, Probleme, vor denen wir stehen, die wir meistern müssen. Ich könnte jetzt eine lange Liste mit Einzelproblemen er-öffnen. Sie haben bereits über einige davon heute und gestern gesprochen. Ich will das nicht tun. Ich will mich fragen: Was sind die strategischen zwei Herausfor-derungen? Die erste lässt sich subsumieren unter dem Begriff „Fragmentierung“. Was wir in der Europäischen Union in den letzten Jahren erlebt haben, ist eine zunehmende Fragmentierung. Die Gründe dafür hängen zu einem Großteil mit der Krise zusammen, die als Katalysator gewirkt hat. Viele der Dinge, die ich gleich ansprechen werde, gab es auch schon vorher. Die Krise hat sie noch verstärkt. Es gibt neue Elemente der Fragmentierung.

Nur ganz kurz, weil es mehrere Dimensionen dieser Fragmentierung gibt: Das ei-ne ist die Fragmentierung zwischen der EU und den Bürgern. Immer mehr Bürger haben der EU den Rücken zugewandt, so wie sie sich momentan darstellt. Es gibt einen Unterschied mit Blick auf die Frage, wie Bürger die europäische Integration sehen. Sehr viele Bürger sehen sehr wohl den Mehrwert der europäischen In-tegration, sind aber damit unzufrieden, wie sie sich momentan darstellt. Wir haben ein ähnliches Problem auch unter den Eliten – nicht nur unter den sogenannten Normalbürgern.

Wir haben ökonomische Fragmentierungen innerhalb der Europäischen Union. Die Diversität, ökonomisch gesehen, zwischen den Mitgliedstaaten nimmt weiter zu, mit allen Problemen, die das mit sich bringt. Fragen Sie die Leute bei der EZB, wie einfach es ist, monetäre Politik in so einem diversen Raum zu gestalten! Fragmentierung zwischen den Staaten – das hätte ich vor sechs, sieben, acht Jahren nicht gedacht –, auch zwischen nationalen Gesellschaften. Das Aufkom-men von nationalen Ressentiments habe ich mir in dieser Form nicht vorstellen können. Vielleicht bin ich da auch durch meine Zweistaatlichkeit Deutschland-Griechenland geprägt, wobei ich einiges in den letzten Jahren erfahren habe, lei-der.

Zur sozialen und politischen Fragmentierung innerhalb der Mitgliedstaaten: Es gibt das Gefühl, dass die soziale Schere weiter aufgeht, dass es soziale Ungerechtig-keit gibt und auch das Gefühl, dass diejenigen, die an der Macht sind, nicht in der Lage sind, die Probleme, die es gibt, zu lösen.

Zu guter Letzt die geopolitische Fragmentierung als neue Herausforderung: Wenn man sich die Lage in der Nachbarschaft anschaut, geht es um die Frage, wie das Verhältnis künftig mit Russland, unserem größten Nachbarn sein wird. Diese Form der Fragmentierung ist eine der strategischen Herausforderungen, der wir gerecht werden müssen.

Die zweite Herausforderung, die damit zusammenhängt, ist das immer stärker verbreitete Gefühl – aber ich habe das Glück gehabt, über die letzten zwölf Mona-

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te in einer Mehrheit der Mitgliedstaaten zu sein – eines Verlustes, dass die EU ei-ne Win-win-Situation ist. Es gibt in vielen Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen, die man im Einzelnen anfechten kann, ob sie objektiv gerechtfertigt sind oder nicht, das Gefühl, dass die EU nicht länger von Interesse ist, dass sie keine Win-win-Situation darzustellt. Es gibt einige Beispiele dazu. Wenn Sie wollen, können wir in der Diskussion weiter darauf eingehen.

Jetzt möchte ich darauf eingehen: Was tun wir angesichts dieser zwei strategi-schen Herausforderungen, der Fragmentierung, des Verlustes des Eindruckes ei-nes Positiv-Summen-Spiels, wie man in der Spieltheorie sagen würde? Wie kann man dieses neue Momentum generieren, das notwendig ist?

Wie kann man die Gordischen Knoten, die es in der Europäischen Union gibt, ver-suchen zu kappen, zu durchschneiden, um jenseits dieses Durchwurschtelns zu kommen? Man muss sich jederzeit bewusst sein, wer etwas anderes suggeriert, liegt falsch: Es gibt nicht das eine Mittel, die eine Sache, die man tun kann, die hilft, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden. Die EU ist sicherlich nur ein Teil der Ebene, auf der man agieren muss, um diesen Phänomenen, die ich beschrieben habe, gerecht zu werden. Auf nationaler Ebene wird das meiste zu tun sein, aber auch europäischer Ebene muss auch viel getan werden – nicht aus ideologischen Gründen. Es geht nicht darum, dass man mehr Integration aus ideo-logischen, europa-ideologischen Gründen braucht. Mit Blick auf die Herausforde-rungen, die wir haben, wird eine EU, die von Fragmentierung geprägt ist, nicht in der Lage sein, adäquate politische Antworten auf die Probleme zu geben, die man hat.

Um auf diese Einzelprobleme kollektiv eingehen zu können und dieses neue Mo-mentum zu generieren, braucht man eine Art neuer Grand Bargain, einen Packa-ge Deal – eine Einigung unter den Mitgliedstaaten, die viele Elemente beinhaltet. Ich glaube, dass der Beginn eines neuen politischen Zyklus dazu führt, dass man sich Gedanken darüber macht, was dieser Grand Bargain sein kann. Ich selbst bin in einem Projekt involviert, bei dem wir nicht von Grand Bargain sprechen, wir sind da etwas bescheidener. Wir brauchen – im Englischen sagen wir New Pact, auf Deutsch würde man es neues Bündnis nennen – einen New Pact zwischen den EU-Mitgliedstaaten, zwischen der EU und seinen Bürgern. Die Frage ist: Aus was oder könnte dieser neue Pakt, dieses neue Bündnis bestehen?

Wir haben 3 zentrale Pfeiler identifiziert. Der eine ist relativ klar, nämlich: Welche Möglichkeiten bestehen, um Wachstum, Beschäftigung zu generieren? Wir glau-ben, dass Investments das zentrale Element sind. Der Investitionspakt von Herrn Juncker weist in die richtige Richtung. Ich glaube nicht, dass er ausreichend sein wird. Übrigens war in einem Bericht, den wir erarbeitet haben, diese Idee bereits ähnlich formuliert. Wir haben es etwas anders genannt, als es jetzt genannt wird: European Strategic-Investmentfonds heißt es auf europäischer Ebene. Wir haben es European Investment Guarantee Scheme genannt. Wir hatten etwas Ähnliches im Kopf. Aber das, was momentan auf dem Tisch liegt, wird nicht ausreichen. Wir können gerne darüber sprechen.

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Gleichzeitig brauchen wir in diesem Pfeiler eine neue Diskussion darüber, wie wir Reformen in den Mitgliedstaaten über Maßnahmen auf europäischer Ebene stär-ken können. Wir haben gesehen, dass Sanktionen nicht helfen. Wir sehen auch, dass Peer Pressure nicht ausreicht. Deswegen muss man mehr über Anreize dis-kutieren. Welche Anreize kann man schaffen, um auf nationaler Ebene Reformen voranzubringen?

Die Bundesregierung hat versucht, einiges in Form der Diskussion über Vereinba-rungen zwischen einzelnen Mitgliedstaaten und den europäischen Institutionen einzubringen. Das hat nicht gefruchtet. Ich glaube, wir brauchen diese Diskussion erneut. Vielleicht war es auch nicht der beste Akteur, um etwas Derartiges vorzu-bringen. Was ich von allen Mitgliedstaaten höre, ist, dass das als ein weiterer Ver-such aufgenommen wurde, den anderen Mitgliedstaaten aufzuoktroyieren, was zu tun ist.

Der zweite Pfeiler ist, dass man die Dimension der Europäischen Union stärkt, den Eindruck vermittelt und etwas für die Probleme der Bürger vor Ort tut. In vielen Mitgliedstaaten wird die EU mittlerweile als eine Institution gesehen, die dazu bei-trägt, zu sagen: Ihr müsst euch reformieren. Aber das führt gleichzeitig zu einem Verfall der sozialen Strukturen in den jeweiligen Mitgliedstaaten. In den Pro-gramm-Ländern ist das wesentlich ausgeprägter. Man muss etwas dagegen tun. Es gibt einzelne Vorschläge, die man diskutieren könnte.

Der dritte Pfeiler wäre die Frage, wie man die Bürger stärker in europäische Poli-tikformulierungsprozesse involviert, wie man die EU partizipativer macht – jenseits der Frage, ob man das Europäische Parlament stärkt. Welche Möglichkeiten gibt es? Ich glaube, dass man hier weiter daran arbeiten muss.

Jenseits dieser drei Pfeiler gibt es eine weitere Erfahrung, wie uns die Geschichte lehrt. Wenn man sich in Momenten befindet, in denen Momentum fehlt, ist die Identifikation eines Großprojekts der richtige Ansatz.

In den 80er-Jahren nach der Phase der Eurosklerose war das der Binnenmarkt. Die Frage ist: Welches Projekt wäre es heutzutage? Man kann darüber diskutie-ren, welches Projekt es sein könnte. Ein mögliches Projekt könnte die Energie-Union sein. Das ist kein einfaches Projekt, aber es wäre ein Projekt, das viele Be-reiche beinhaltet, Spill-over-Effekte von einem Bereich in den anderen Bereich bringen könnte. Die Tatsache, dass wir jetzt einen Präsidenten des Europäischen Rates haben, der aus Polen kommt, Herr Tusk, der sich genau das auf die Fahne geschrieben hat, ist vielleicht ein Indikator dafür, dass wir uns in diese Richtung bewegen. also: neues Momentum generieren, versuchen, diesen Pakt, dieses Bündnis zu schmieden.

Wie stehen die Chancen? Obwohl ich es propagiere. Ich glaube, die Chancen ste-hen nicht besonders gut. Denn die Bereitschaft auf mitgliedstaatlicher Ebene ist eher begrenzt, dass man bei gewissen Dingen voranschreitet, die ambitionierter sind als das, was wir momentan haben. Wir sehen viel Reformmüdigkeit. Die Fra-ge ist: Wie kann man hier ein neues Momentum generieren? In den nächsten

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sechs Monaten werden wir in 16 Mitgliedstaaten gehen, diese Frage diskutieren und versuchen, ein Momentum zu generieren. Ob wir es schaffen, weiß ich nicht.

Vorsitzender Nicolaus Kern bedankt sich für die Ausführungen. Er hoffe, dass der Ausschuss jetzt in die Diskussion einsteige. Er bekräftige die Analyse zum Problem der Fragmentierung. Seine Partei Die Piraten habe sehr viel Sympathie dafür, wenn eine stärkere Bürgerbeteiligung gefordert werde. Die Forderung werde natürlich nicht nur von seiner Partei vorgebracht. Die Frage sei, wie man es konkret umsetze. Na-türlich sei es schwierig, für die EU als Institution zu werben, wenn die Positivmeldun-gen fehlten und sie immer im negativen Kontext erwähnt werde – eben habe man über die Flüchtlingsdramatik gesprochen.

Seit Längerem werde über die Verwerfungen, die mit der Wirtschafts- und Wäh-rungsunion einhergingen, gesprochen. Da komme die Frage ins Spiel, wohin die Reise gehe, wie es weitergehe. Er habe die Sorge, dass, wenn über die Solidarität von Staaten auf europäischer Ebene gesprochen werde, man da auf die Idee kom-men könnte, dass das einfacher gehe, wenn man eine Krise oder einen äußeren Feind habe. Es wäre ein gefährlicher Ansatz, wenn man so versuche, Einigkeit in Eu-ropa herzustellen. Da sei ihm die Idee wesentlich lieber, das über ein Großprojekt wie eine Energie-Union zu versuchen.

Matthias Kerkhoff (CDU) bedankt sich für den Vortrag und für die Ideen. Alle teilten den Wunsch, dass die Akzeptanz für Europa, für die europäischen Institutionen stei-ge. Das sei auch deshalb wichtig, weil diejenigen, die die Gründung Europas als Fol-ge der Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts miterlebt hätten, immer weniger würden – aus biografischen Gründen. Es sei wichtig, dass auch für junge Menschen deutlich werde, welche Bedeutung Europa habe.

Die negative Sicht auf Europa sei nicht auf die EU und ihre Institutionen zurückzufüh-ren. Die Europäische Union werde vielfach für das Versagen nationaler Regierungen herangezogen. Die politischen Ebenen hätten in vielen Ländern wie in Griechenland versagt. Griechenland – Herr Emmanouilidis habe es als Vaterland bezeichnet – durchlebe jetzt schwierige politische Verwerfungen. Die Fragmentierung sei ja nicht Folge einer europäischen Politik, sondern sie sei Folge von Versagen nationaler Poli-tik über viele Jahrzehnte. Er sei nun zu wenig im Griechenland-Thema drin und wis-se nicht, wie das vor Ort politisch verkauft werde, ob man klar sage, dass das jetzt eine Reaktion darauf sei, weil in diesem Land viel schief gelaufen sei, oder ob man sage, man müsse das jetzt tun, weil die EU das wolle. Dann sei klar, dass eine sol-che Institution vor Ort eine negative Bedeutung bekomme. Der Analyse stimme er zu.

Was die Frage der Lösungswege angehe, sei das nicht hinreichend konkret. Natür-lich seien das alles Ziele, die über Investments, den Juncker-Plan und all diese Din-ge zu erreichen seien. Letztendlich entlaste das niemanden, die Dinge, die national zu tun seien, auch zu tun. Da sei man wieder bei den nationalen politischen Eliten, die den eigenen Teil der Verantwortung wahrnehmen und ehrlich benennen müss-ten, woran es letztendlich liege.

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro Markus Töns (SPD) bedankt sich für die interessanten und nachdenklich machen-den Worte von Herrn Emmanouilidis. Er habe über Fragmentierung gesprochen. Das gelte nicht nur für Griechenland, sondern auch für andere Länder. Man spreche ger-ne von Euro-Krise. Er sage immer, es sei eine Banken-Krise gewesen, die die Euro-Krise ausgelöst habe. Das werde – da stelle man Fragmentierung im politischen Raum fest – sehr unterschiedlich gesehen. Das Ganze habe auch eine Menge damit zu tun, dass die Menschen immer dann, wenn die Krise spürbar sei, keinen erfolgrei-chen Lösungsansatz sähen.

Der Lösungsansatz sehe so aus – er nehme das Beispiel Spanien –, man rette die Banken mit 100 Milliarden €, tue aber nichts gegen die Jugendarbeitslosigkeit und gegen die hohe Arbeitslosigkeit, wobei die Sozialleistungen erheblich eingeschränkt würden. Da setzten die Menschen an die Politik der Europäischen Union ein Frage-zeichen. Das sei ein wichtiger Punkt. Man habe immer gesagt, man sei eine Werte-gemeinschaft, mehr als eine Wirtschafts- und Währungsunion. Allerdings sei das in den vergangenen 50 Jahren anders gelebt worden. Die EU habe die Wertegemein-schaft nicht gelebt, sondern habe die Wirtschafts- und Währungsunion gelebt.

Die Wirtschafts- und Währungsunion habe sich positiv entwickelt. Alle hätten davon profitiert. Und weil davon alle gehabt hätten, die Deutschen besonders viel, habe das auch funktioniert. In der Krise rede man jetzt von der Wertegemeinschaft, habe das im Prinzip 30 Jahre vernachlässigt. Seiner Meinung nach sei das einer der entschei-denden Punkte, die man ansprechen müsse. Er wolle das mit der EU-Erweiterung der letzten Jahre in Verbindung bringen. Häufig werde kritisch gesagt, die 28 Mit-gliedsländer seien zu viele. Es werde gefragt, ob das richtig gewesen sei, ob die Länder nicht zu früh gekommen seien. Das werde immer nur wirtschaftlich betrach-tet. Nie sei darüber nachgedacht worden, ob die Länder in die Europäische Union kämen, weil sie überzeugte Europäer seien und etwas von Europa wollten, sich an der Wertegemeinschaft beteiligen wollten, oder ob sie nur eingetreten seien, weil sie den Binnenmarkt und eine wirtschaftliche Strukturentwicklung wollten.

Das Letztere sei häufiger der Beweggrund für Europa-Begeisterung gewesen, nicht die politische Überzeugung, dass Europa mehr sei als eine Wirtschaftsgemeinschaft. An dem Punkt müsse man ansetzen und auch einmal darüber nachdenken, das an-ders zu diskutieren. Er sehe das auch – das habe man am Morgen schon einmal dis-kutiert – im Fall der Ukraine. Die Anlehnung an die Europäische Union habe bei der Ukraine nichts damit zu tun, dass sie in die Wertegemeinschaft der Europäischen Union wolle, sondern sie wolle in die Wirtschaftsgemeinschaft der Europäischen Uni-on. Das müsse man kritisch betrachten, wenn man zukünftig über eine Erweiterung der Europäischen Union nachdenke.

Stefan Engstfeld (GRÜNE) stimmt Herrn Emmanouilidis zu, dass man, wenn man sich innerhalb der EU bewege, einen Verlust des Win-Win-Gefühls feststellen könne. Die Bundeskanzlerin habe in Köln auf dem CDU-Parteitag gesagt: Deutschland ist die Heimat, Europa ist die Zukunft. Dass Europa positiv gesehen werde, dass Zu-kunftsfähigkeit durch Integration innerhalb der Europäischen Union hergestellt werde, werde von vielen mittlerweile infrage gestellt. Europa werde im Gegenteil als Bedro-

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro hung, als Strangulierung empfunden. Die europäische Politik sei dafür ausschlagge-bend, dass die Fragmentierung im sozialen und politischen Bereich in den Mitglied-staaten stattfinde. Das sei gut beschrieben worden.

Wachstum und Beschäftigung seien zu generieren. Investitionen brauche man. Als Grüner füge er das Wort „nachhaltig“ hinzu. Der Juncker-Plan gehe in die richtige Richtung. Er habe einige Fragezeichen zu diesem Juncker-Plan. Die Hebelwirkung von 21 Milliarden € auf 350 Milliarden € sehe er so nicht ganz. Die Anmeldung von den Mitgliedstaaten betrügen mittlerweile 1,3 Billionen €. Das sei eine völlig übertrie-bene Haltung. Es werde das angemeldet, was man sowieso vorhabe. Das habe nichts mehr mit Innovation zu tun, sondern nur damit, dass es Geld gebe und dass man das, was man sowieso vorgehabt habe, mit europäischem Geld bezahlen kön-ne, anstatt mit dem nationalstaatlichen Geld – abgesehen von solchen Klammern.

Die Briten hätten 60 Milliarden € für drei neue Atomkraftwerke angemeldet. In der Ständigen Vertretung habe man gestern schon gesagt, das dürfe nicht sein. Ein In-vestitionsprogramm dürfe kein Investitionsprogramm für AKWs werden. Da setze er einige Fragezeichen.

Mit Blick auf die Investitionen bitte er noch einmal auszuführen, was er darunter ver-stehe, welche Ideen er da genauer habe. Er bitte, in medias res zu gehen.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) bedankt sich für die Ausführungen. Er habe den Ein-druck gewonnen, dass es tatsächlich so etwas wie ein Thing Tank in der Europäi-schen Union gebe. Viele Aspekte seien angesprochen worden. Herr Töns sei auf die fehlende Wertegemeinschaft eingegangen. Diese Frage sei in den vergangenen Jah-ren in dem Glauben, die Wirtschaft werde es schon richten, verdrängt worden. Nun stelle man fest, dass das nicht so sei. Am Vortage habe man gehört, der Juncker-Plan sei in erster Linie kein Kuchen, den es zu verteilen gebe, sondern eher ein Kon-zept für Backpulver.

Herr Emmanouilidis habe die Caring Dimension und Partizipation angesprochen. Partizipation – Herr Kern habe das bereits angesprochen – sei für alle Fraktionen ein sehr wichtiger Aspekt. Vor einiger Zeit habe der Landtag im Bereich Caring Dimensi-on kontrovers über die Möglichkeit einer Europäischen Arbeitslosenversicherung de-battiert. Er frage, ob es alternative Möglichkeiten gebe, wo das Geben und Nehmen die Bürger deutlicher an die Union binde. Das sei wieder ein wirtschaftlicher Aspekt. Caring füreinander sei auch ein Wert. Darüber könne man die Wertegemeinschaft neu beleben.

Dr. Ingo Wolf (FDP) bezeichnet die suboptimistische Einschätzung der Entwicklung von Europa mit Blick auf das, was Europa in den letzten Jahren ereilt habe, richtig, insbesondere auch mit Blick auf die Europa-Feindlichkeit, was er hohem Maße be-dauere. Das sei aber auch nicht völlig ungewöhnlich, wenn man die unterschiedli-chen Einschätzungen sehe. Es werde nicht unbekannt sein, dass die These von Herrn Töns, alles sei eine Banken-Krise, nicht die alleinige Analyse sein könne. Es gehe um eine Verschuldungs- und Strukturkrise. Europa könne im weltweiten Wett-bewerb nicht dadurch besser werden, dass alles bleibe, wie es sei.

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro Er stimme Herrn Kerkhoff zu, dass viele es sich einfach machten und Europa zum Buhmann für Dinge machten, die sie selber verbockt hätten, insbesondere in den Ländern, wo nichts klappe, wo nichts funktioniere, wo man nichts ändern wolle.

In den zwei Tagen in Brüssel habe man feststellen können, dass sehr viele Interes-senpolitik machten. Nur sei es sehr schwierig, die Interessenpolitik für Europa durch-zusetzen. Die Diskussion über die Flüchtlinge sei ein beredtes Beispiel. Man müsse sich darüber im Klaren sein, es werde immer Interessenpolitiken der Nationen inner-halb der Europäischen Union geben. Da müsse man die Frage stellen, was man als Gemeinschaftsprojekt machen könne. Er finde die Idee mit der Energie-Union, die er um eine Klima-Union erweitern würde – die Themen gehörten unmittelbar zusammen –, gut, unabhängig davon, wie man das im Einzelnen sehe. Dass Energie- und Klimapolitik miteinander verbunden seien, darüber sei man sich sicherlich sehr schnell einig. Er halte es allerdings für fraglich, ob das alleine ausreiche.

Es sei deutlich, dass man in Europa auf mittlere und lange Sicht nicht durch Rückfall in nationalstaatliche Muster Erfolg haben werde. Er nenne es Schicksalsunion, ins-besondere wenn man an andere Märkte auf der Welt denke. Man werde spätestens von den Wirtschafts- und Finanzmärkten eingeholt, wenn man sich nicht gemeinsam bewege. Am Ende zähle immer der Wettbewerb auf der Welt. Das müsse man so sehen. Deswegen sehe er es auch kritisch, dass bei Einheit und Vielfalt, die man in Europa wolle, sehr schnell versucht werde, alles über einen Kamm zu scheren. Wenn überall dynamische Volkswirtschaften auf der Welt unterwegs seien, dann müsse man auch dynamisch sein. Das könne auch nicht immer heißen, sich auf dem niedrigsten Level zu einigen. Da müssten auch Leute vorpreschen. Sie müssten in-novativ sein. Nur dann könne man in dem großen Konzern reüssieren.

Es sei ein schwieriges Unterfangen, der Bevölkerung klarzumachen, dass nur in der Veränderung letztendlich eine Chance liege. In den letzten Jahren habe man eher er-lebt, dass alle versuchten, alles so zu belassen, wie es sei, dass man sich neuen Dingen nicht öffne.

StS Dr. Jan Marc Eumann (MBEM) bedankt sich für den Vortrag, auch wenn der Blick in Teilen pessimistisch sei. Gelegentlich habe er das Gefühl, dass die Sehn-sucht nach einem neuen Narrativ für Europa gleich sei mit der Sehnsucht nach Eu-ropa selbst. Er wolle Herrn Töns nicht widersprechen, sondern ihn nur ergänzen. Neben der Frage der Wirtschafts- und Währungsunion dürfe man die Werte Frieden und Freiheit, die auch für den Integrationsprozess innerhalb der Europäischen Union in der Entwicklung nach 1945 fundamental seien, nicht vergessen.

Er habe zwei konkrete Fragen. Herr Emmanouilidis habe den Hinweis gegeben, dass insbesondere die Euro-Skeptiker in vielen Staaten der Europäischen Union einen enormen Zulauf hätten. Er trage das jetzt nicht als Staatssekretär vor, sondern als jemand, der sich für Europa interessiere. Er frage, ob Herr Emmanouilidis, vor allem wenn er die Entwicklung im Vereinigten Königreich nehme, in den nächsten 24 Mo-naten eine ernste Gefahr für den Zusammenhalt der Europäischen Union sehe. Er wüsste gerne, ob die Administration des Vereinigten Königreichs eine Antwort auf diese Entwicklung finde, die hoffentlich tragen könne.

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro In dem spannenden Papier seien Optionen formuliert worden, die jeder unterschied-lich gewichten würde. Da könne man das eine oder andere kombinieren. Er frage, welche Option Herr Emmanouilidis am liebsten von den Optionen nehmen würde, die er formuliert habe, welche Option die realistischere sei, mit welcher Option man sich intensiver beschäftigen sollte, nach dem, was in dem Papier mit den anderen Akteu-ren vorgelegt worden sei.

Janis Emmanouilidis (European Policy Centre) bedankt sich für die Fragen und die positiven Worte. Pessimistischer Blick: Wenn man die Situation objektiv analysie-re, müsse man einen sehr ausgewogenen Blick auf die Dinge haben. Wenn man sich auf die Analyse konzentriere, konzentriere man sich eher auf die Probleme, die Her-ausforderungen statt auf das, was erreicht worden sei. Er wolle nicht untergraben, dass über die letzten Jahre hinweg vieles getan worden sei, was ihm vor sechs, sie-ben oder achten Jahren noch als unmöglich erschienen wäre. Es sei zu fragen, wie man, wenn man eine objektive Analyse der Situation mache, damit umgehe.

Der Pessimismus, der aus unterschiedlichen Gründen weit verbreitet sei, habe oft-mals mit Angst zu tun, mit dem Gefühl, was mit Blick auf die Zukunft des Euro, auf die Zukunft der Sparkonten, die Zukunft der Kinder passiere, ob sie eine wirtschaftli-che Prosperität haben würden oder nicht. Diese Angst sei der treibende Faktor für viele der Dinge gewesen, die man in den letzten Jahren gesehen habe. Er glaube, dass man mit dem Faktor Angst nicht dauerhaft werde operieren können. Es helfe nicht in der aktuellen Situation, nicht bei der Frage Schicksalsgemeinschaft oder bei der Frage, warum man überhaupt die europäische Integration brauche, Thema „Nar-rativ“ – welche Erzählung gebe es von dem künftigen Europa, nicht dem Europa der Vergangenheit?

Wenn man den jungen Bürgerinnen und Bürgern sage, was alles erreicht worden sei, dann werde damit nicht das Interesse an der EU geweckt. Es gehe um die Zukunfts-fähigkeit, die Möglichkeiten der Europäischen Union, einen Beitrag mit Blick auf die Zukunft zu leisten. Die letzten Jahre seien eher generiert von den Ängsten, von den Befürchtungen. Es sei zu fragen, wie man das drehen könne.

In Griechenland sei es aktuell, wo die aktuelle Regierung aus politisch nachvollzieh-baren Gründen auch mit der Angst spiele. Die Märkte reagierten negativ auf die poli-tische Instabilität. Das werde von politischen Kräften als Argument genutzt: Wählt uns und nicht die anderen! Da argumentiere man wieder mit Angst. Das sei ein kon-kretes Beispiel.

Insgesamt müsse man wegkommen von Ängsten und Befürchtungen hin zu den Chancen. Das höre sich sehr einfach an. Das, was er vorgeschlagen habe, klinge teilweise sehr wage. Für diejenigen, die Interesse hätten, bitte er, sich die Publikati-on, die vor drei Wochen veröffentlicht worden sei, „The need for a new pact in Euro-pe“ sich anzuschauen. Da finde man einzelne Vorschläge in den einzelnen Berei-chen. Er habe den Eindruck, dass die EU einen Mehrwert bringe. Seit einigen Jahren werde darüber geredet, dass die EU eine Schicksalsgemeinschaft, eine Wertege-meinschaft sei. Viele redeten auch von einer Solidargemeinschaft.

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro Er orientiere sich an dem, was Mario Monti nenne: an Lightened Self-Interest, das aufgeklärte Selbstinteresse an dem Projekt namens EU, namens Europa, sich zu überlegen, warum es Sinn mache, Teil dieser Gesamtheit zu sein. Das betreffe die Frage: Was ist als Mitgliedstaat mein individuelles Win-Element in diesem Gesamt-gefüge? Von dieser Warte könne man fragen, welchen Mehrwert die EU bringe, was sie konkret tun könne. Danach sollte man sich erst die Frage nach den Werten stel-len. Er begrüße das neue Narrativ. Er glaube, dass es Elemente gebe, wie man das gut umschreiben könne. Das müsse man mit den konkreten Fragen verbinden.

Zum Juncker-Plan: Man müsse realistisch sein. Man sollte die Erwartungen nicht zu hoch schrauben. In den letzten Wochen und Monaten habe man die Erwartungen sehr hoch geschraubt. Er glaube, das sei falsch. Es gehe in die richtige Richtung. Es sei unklar, wie hoch der Hebeleffekt sein werde. Leute aus der Europäischen Investi-tionsbank hätten ihm glaubhaft vermittelt, dass sehr viel Hebelpotenzial bestehe. Es sei aber nicht nur zu fragen, wie viel Geld man generiere, sondern wie viel neues Geld das sei, wie viel neue Investitionen damit umgesetzt werden könnten, wofür man das Geld ausgebe, ob man mit dem Gießkannenprinzip herumgehe und versu-che, in alle Richtungen zu verteilen, um alle positiv zu stimmen. Es sei zu fragen, ob man sich nicht besser auf Investitionen konzentriere, die tatsächlich Sinn machten – the Turn of Investment.

Man müsse überlegen, ob man sich auf die Länder konzentriere, in denen die Inves-titionsquote noch mehr zurückgegangen sei als in anderen aufgrund der Krise, wobei die Möglichkeiten von Investitionen aufgrund der Bankenlage oder anderer Gründe gering seien.

Auch müsse man prüfen, inwieweit die Mitgliedstaaten bereit seien, in diesen Topf selbst Geld zu investieren. Diese Möglichkeit bestehe. Das werde im Kontext des Stabilitätspakts nicht angerechnet. Das sei ein Argument, das dafür spreche. Wenn es einen Hebeleffekt gebe und die Mitgliedstaaten Geld in den Topf von 21 Milliar-den € hineingeben würden, könne das einen zusätzlichen Effekt haben. Wichtig sei, um welche Projekte es sich handele.

Zur europäischen Arbeitslosenversicherung: Es gebe sehr unterschiedliche Konzep-te, wie eine derartige Arbeitslosenversicherung aussehen könnte. Wenn man das als etwas Ersetzendes ansehe, mache das wenig Sinn, weil es von der Größe her eine Dimension beinhalten würde, über die man nicht nachdenken sollte. Man rede über etwas Komplementäres, etwas Ergänzendes, das zu einem gewissen Maße eine gewisse Wirkung in den einzelnen Mitgliedstaaten mit sich bringen würde, was auch dazu führen würde, dass man die Situationen in den Mitgliedstaaten stabilisieren könnte, wenn die Länder selbst nicht mehr in der Lage seien. Darüber müsse man in begrenztem Maße nachdenken.

Leider sei es mit dem Wort Europäische Arbeitslosenversicherung so ähnlich, als wenn man über Eurobonds diskutiere. Da müsse man sich anschauen, was man ge-nau darunter verstehe. Über die Arbeitslosenversicherung sollte man sich Gedanken machen. Es mache Sinn, wenn man sie in einer gewissen Art und Weise verstehe.

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro Zur der Analyse der Krise, ob es eine Banken-Krise, einer Schuldenkrise, eine Wett-bewerbskrise, eine soziale Krise oder eine politische Krise sei: Alle diese Elemente fänden sich alle in der Krise wieder. Alle würden miteinander zusammenhängen.

Wenn man sich anschaue, wie man versucht habe, auf die einzelnen Elemente zu reagieren, dann habe man Dinge in einem Bereich getan, der dem anderen Bereich geschadet habe und umgekehrt. Diese Krise sei sehr diffizil. Es sei sehr schwer, ih-rer habhaft zu werden. Mit einzelnen Elementen habe man kontraproduktive Wirkun-gen mit Blick auf andere Dimensionen der Krise erzielt. Man müsse alle Dimensionen im Blick haben und dürfe sich nicht auf den einen oder anderen versteifen. Das ma-che es umso schwieriger.

Zur Frage Energie-Union und Klima: Beides müsse man zusammen sehen. In dem zweiten Bericht komme sein Zentrum zum Schluss, dass das ein mögliches Großpro-jekt sein könne. Er sehe aber auch die Schwierigkeiten, die damit verbunden seien. Er verweise auf die unterschiedlichen Interessenlagen, die unterschiedlichen geopoli-tischen Situationen. Das Gesamtbild sei sehr komplex. Das sei ein Potenzial dafür, dass man in diesem Bereich die Möglichkeiten generiere, die ein Großprojekt gene-rieren müsste, das über einzelne Bereiche hinaus Vorteile bringe – sowohl in der Außen- als auch in der Sicherheitspolitik wie auch in der Ökonomie, in der Klimadi-mension. Alles sollte man gemeinsam bedenken. Es sei interessant zu sehen, wie man versuche, einen Gesamt-Bargain zwischen den Mitgliedstaaten zu schmieden.

Das Element Energie könne etwas sein, was der letzte Stein sei, den man draufset-zen müsse. Eine Energie-Union werde aber nicht reichen. Man müsse in vielen Di-mensionen denken. Die Energie-Union sei ein Element, das, politisch gesehen, den einen oder anderen an Bord bringen könnte, was auch ein Vorteil mit Blick auf die Frage wäre, wie man das Gesamtpaket zusammenbringe.

Zum Vereinigten Königreich: Dieses Thema werde die Kommission definitiv in den nächsten Monaten und Jahre beschäftigen. Es sei gefragt worden, ob man in den nächsten 24 Monaten etwas erreichen werde, um der Probleme habhaft zu werden. Wenn er sich die letzten Jahre vor Augen führe, dann sehe er das nicht. Herr Came-ron sei im Amt unter Druck durch die sogenannten Backbencher geraten. Es gebe immer mehr Frontbencher als Backbencher. Herr Cameron habe versucht, in einer Art und Weise auf seine Backbenchers zu reagieren, die nicht gefruchtet habe. Die Situation auf nationaler Ebene sei immer schwieriger geworden.

Diejenigen, die ihn aus dem rechten Lager attackierten, überholten ihn von rechts. Er sei nicht in der Lage, in irgendeiner Form hinterherzukommen. Da stelle sich die Fra-ge nach den populistischen Kräften: Die Leute wählten lieber das Original als die Ko-pie. Herr Cameron habe seine Situation zu Hause verschlechtert, und er habe sie auch auf europäischer Ebene verschlechtert. Wenn er sich in dieser Stadt umhöre: Die Bereitschaft, auf Großbritannien zuzugehen, werde eher weniger, obwohl fast al-le sagten, niemand wolle, dass es zu diesem Unfall komme, dass das Vereinigte Kö-nigreich in einem Referendum eventuell mit Nein stimme.

Diejenigen, die sich in Großbritannien besser auskennen würden als er, sagten ihm, die Wahrscheinlichkeit nehme zu, dass dieser politische Unfall stattfinden könne. Die

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro Rezeptur von Herrn Cameron gehe bisher nicht auf. Er finde es positiv, dass man gewisse Grenzen dessen aufzeige, was getan werden könne und was nicht getan werde könne. Es mache Sinn, bei gewissen Fragen zu sagen, hier seine eine rote Linie, über die man nicht gehen dürfe. Das werde nicht diskutiert. Da sei das Thema Arbeitnehmerfreizügigkeit als zentrales Element, über das man nicht diskutieren kann. Diese Message müsse man auch rüberbringen.

Zu den Optionen: In einem ersten Bericht habe das European Policy Centre fünf Op-tionen aufgezeichnet, in welche Richtungen sich die EU in den nächsten fünf Jahren, im nächsten politischen Zyklus entwickeln könnte. Dies seien Szenarien, wo die EU in zehn oder 20 Jahren stehen könnte. Es sei darum gegangen, welchen Weg man beschreiten könne. Da gehe es darum, sich auf das zu konzentrieren, was das We-sentliche sei. In London konzentriere man sich auf den Binnenmarkt. Alles andere – das habe sich in den letzten Jahren gezeigt – sei der falsche Weg. Manche sagten, dass auch der Euro der falsche Weg gewesen sei. Das sei eine Option.

Am anderen Ende der Skala habe die föderale Option gestanden. Dazwischen habe es Zwischenlösungen gegeben. Er nehme das Thema „Konsolidierung“ wahr, dass man sich auf einen Konsolidierungskurs befinde. In den letzten Jahren habe man sehr viel getan sowohl auf europäischer wie auf nationaler Ebene. Man müsse dem mehr Zeit geben. Jetzt sei der falsche Moment, um ambitionierte Schritte zu tun und die Verträge zu öffnen. Das sei momentan die Option, die dominant sei.

Wenn man in den Mitgliedstaaten herumreise, höre man, dass das realistisch sei. Das heiße nicht, dass das die Option sei, die man präferiere. Einige präferierten das Föderale oder eine Option, die dazwischenliege, die Option drei. In einem Papier ha-be sein Zentrum versucht zu fragen, wie man gleichzeitig ambitioniert und realistisch sein könne, wie man den Mittelweg finden könne, um in den nächsten Jahren Schrit-te zu tun. Die Schritte seien in dem Papier niedergelegt: Wie könne man realistisch und ambitioniert zugleich sein? Wie könne man die Debatte darüber führen? Es fehle eine wesentliche stärkere Debatte über die Frage, wie es weitergehe, beispielsweise mit der Wirtschafts- und Währungsunion.

Alle würden über das Investment-Package von Juncker reden. Auf dem europäi-schen Gipfel Ende Oktober habe es die Vereinbarung darüber gegeben, dass die vier Präsidenten unter Führung von Herrn Juncker, des Kommissions-Präsidenten, einen Bericht über das bessere Regieren in der Europäischen Wirtschafts- und Wäh-rungsunion ausarbeiten sollten. Nächste Woche bei dem neuen Gipfel werde es die-sen Bericht noch nicht geben. Man werde darüber sprechen, wie man das ausarbei-te, was man 2015 angehen wolle, um sich weitere Gedanken darüber zu machen, was man damit meine, wenn man besseres wirtschaftliches Regieren innerhalb der Wirtschafts- und Währungsunion wolle. Das werde seines Erachtens in der Diskussi-on unterbelichtet. Alle redeten über das Investment-Package, weil man das besser greifen könne.

Vorsitzender Nicolaus Kern bedankt sich für die spannende Diskussion, die man jetzt nicht zu Ende bringen könne. Sicherlich werde sie fortgesetzt. Er würde sich

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro freuen, wenn es im nächsten Jahr vielleicht gelingen könnte, noch einmal einen ähn-lichen Vortrag zu bekommen.

Sodann überreicht der Vorsitzende Herrn Emmanouilidis eine kleine Auswahl von Pralinen und bemerkt dabei mit einem Augenzwinkern, dass ihm das vorkomme wie Eulen nach Athen tragen.

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Ausschuss für Europa und Eine Welt 12.12.2014 28. Sitzung (öffentlich) sd-ro 4 Verschiedenes

Vorsitzender Nicolaus Kern führt aus, der AEEW-Terminplan 2015 sehe folgende Sitzungstermine vor:

23. Januar 2015

13. März 2015

17. April 2015

08. Mai (Bedarfstermin)

19. Juni 2015

28. August 2015 (Bedarfstermin)

25. September 2015

23. Oktober 2015

20. November 2015

11. Dezember 2015

Der Ausschuss beschließt den Terminplan 2015.

gez. Nicolaus Kern Vorsitzender

2 Anlagen

22.01.2015/25.03.2015

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3. Zusammenfassende Betrachtung

,.. Die Beschäl1igung von Personen mit einer Staatsangehorigkeit aus einem der acht Staa­

ten, fllr die seit dem 1. Mai 201 1 die uneingeschrankle Atbeitnehmerlrei.t.ugigkeil gilt. hat

im September gegenOber dem Vorjahr um 74 .000 oder 17 Prozent zugenommen.

~ Die Beschäftigung von Staatsangehörigen aus Bulgarien und Rumanien, /Ur die seit dem 1. Januar 2014 die uneingeschrMkte Arbeilnehmerfreizfrgigl:eit 9ill. ist um 104 .000 oder

66 Prozent gestiegen.

~ Im selben Zeitraum erhöhte sich die BeSChäftigtenzahl von Personen mit einer Staats­angehorigkeil aus Griechenland. Ilalien, Portugal und Spanien um 34.000 oder

7 P/Ozenl.

~ Zusammengenommen ergibt sich damil eine Zunahme von 212.000 oder 19 Prozent. Im

Vergleich dazu erhöhte sich die Zahl der Beschatligten insgesamt um 1.4 Prozent oder

506.000.

hbelle J: AIlle IlSIJCMIIIH . ArOe!'-'I0ge und Le h lungile mpfJnaer Im SGe 11 naCh aUS(}(l VlJr,Utn St~JISlIll,)<" ~6rjlJ~ellen

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Landtag Nordrhein-Westfalen - 60 - APr 16/777Anlage 2 zu TOP 2, Seite 2

Monatliche Nettoverdienste vor und nach

der Zuwanderung

Durchschoitt d~r monatlichen Nettoverdienste in Euro

• im Jahr vordem Zuzug'l

im renten Mooat vor du Bcfl'Clgung in Deu~hland

11 Um rur~n~ruIl9tn dlln:h AuSltiGtr:u tortigicll!fl. wul1len hief nur die f'tncnt;hlC!1C im IfltclVill I 'Ib bis 99 flb ~t, Nencmonal:S(in~om mcnsvtrtcllung bul1cksichtigt. Ftmcr wurden Wem, die durch W~h rungs rtformcl'l nicht eindeutig WlUOrdncn sind, ~vsgcschk>sstn.

l! Alle Staaten, die der EU berci~ vor dem 1.5.2004 angehÖl't haben. >I All(: Staaten, die der EU ab dem 1.5.2004 beigetreten sind. <I Albanien, Tilrtei und alk: NachfolgcSU3tcn des frü~rcn Jugoslawien

ohOt: die ~utigtnEU-Mitglicds.s~alcn (Kroatien, Slowenien).

"Alle heutigen der hiihC/cn Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft UlUbM..gigcr Stilalcn (GUS).

CI Alle ara\:li$(hcl'lltl'ld sonsli~ fl Slu lcn, die eine mu~imiscllc: Scvöl\(c fungsmchrhcit b(~tzcn.

Quelle: Eigene Berechnungen auf Grufldlage der IAB-SOEP-Migr.niOllS­stichprobe (gewichtet).

lAB

Alle Her\c.unftsländer

.--­Mänl\!!f I

Frauen

ländergruppen

EU-15H :::::::::::~~~72. 1 .1 ~~~ E' 1.806

EU-13 • 497 (N~ue EU-Mitglie-dsstaaten)ll CI 1.241

SüdOS1!!Uropa'\ • 603 • 1.266

(Friihere) GUS~ --11 307 -----..;•• , .176

Arabische und andere • 585 mu~imische $taat~nGl • 1.153

. 514Rest du Welt • 1.191

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