Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in...

30

Transcript of Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in...

Page 1: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen
Page 2: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen

LausbergDie extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971

Page 3: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen
Page 4: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen

Michael Lausberg

Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971

Tectum Verlag

Page 5: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen

Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971. Zugl. Diss. RWTH Aachen 2011 Umschlagabbildung: © dmos - www.photocase.com � Tectum Verlag Marburg, 2012 ISBN 978-3-8288-5769-8 (Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Buch unter der ISBN 978-3-8288-2989-3 im Tectum Verlag erschienen.) Besuchen Sie uns im Internet www.tectum-verlag.de www.facebook.com/tectum.verlag

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Page 6: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen

Inhalt

1 Einleitung 7

2 Methodisches Vorgehen: Die Inhaltsanalyse 15

3 Zum Begriff Rechtsextremismus 21

4 Eckpunkte der politischen Geschichte Nordrhein-Westfalens 1945 – 1971 29

4.1 Wiederaufbau und Reeducation: Die Frühphase des Landes Nordrhein-Westfalen 29

4.2 Fortschreitende Etablierung einer demokratischen Kultur: Von der Ära Arnold bis zur Landtagswahl 1958 38

4.3 Modernisierung und »Zechensterben«: Von der Ära Meyers bis Ende 1971 45

5 Entnazifizierung 53

6 Parteien 63

6.1 Deutsche Konservative Partei – Deutsche Rechtspartei (DKP/DRP) 65

6.2 Deutsche Partei (DP) 696.3 Sozialistische Reichspartei (SRP) 786.4 Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) 936.5 Deutsche Reichspartei (DRP) 1036.6 Deutsche Soziale Union (DSU) 1286.7 Die Unabhängige Arbeiter-Partei (UAP) 1386.8 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 1446.9 Andere rechte Parteien und Organisationen 174

7 Wiking-Jugend (WJ) 201

Page 7: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen

8 Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS e.V. (HIAG) 215

9 FDP und die Naumann-Affäre 229

9.1 Rechtsruck der FDP bis zum Ende des Jahres 1952 2299.2 Die »Naumann-Affäre« 242

10 Rechtsextreme Publizistik 257

10.1 Nation und Europa (NE) 25710.2 Deutsche National-Zeitung (DNZ) 26210.3 Verlag für Volkstum und Zeitgeschichtsforschung 26510.4 Unabhängige Nachrichten (UN) 26610.5 Criticón 26610.6 Deutschland-Schrift für neue Ordnung 267

11 Jüdisches Leben und Antisemitismus 269

12 Verdrängung und fehlende Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der Nachkriegszeit 301

13 Fazit 333

14 Literaturverzeichnis 351

Danksagung 377

Page 8: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen

7

1) Einleitung

»Wir Buchenwalder, Russen, Franzosen, Polen, Tschechen, Slowaken und Deutsche, Spanier, Italiener und Österreicher, Belgier und Hol-länder, Engländer, Luxemburger, Rumänen, Jugoslawen und Ungarn, kämpften gemeinsam gegen die SS, gegen die nazistischen Verbrecher, für unsere eigene Befreiung. Wir schwören deshalb vor aller Welt auf diesem Appellplatz, an dieser Stätte des faschistischen Grauens: Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Ka-meraden, ihren Angehörigen schuldig.«1 (Der Schwur von Buchenwald vom 19.04.1945)

»Ein adäquates Bewusstsein der Gegenwart lässt sich nicht entwi-ckeln, wenn man Auschwitz vergisst.«2 (Detlev Claussen)

Spätestens seit den 1980er Jahren entwickelte sich die wissenschaftliche Forschung zur Geschichte des Rechtsextremismus in der Bundesrepu-blik Deutschland zu einem beliebten Untersuchungsgegenstand. Die »geistig-moralische Erneuerung« der seit 1982 regierenden Koalition aus CDU/CSU/FDP verschob das gesellschaftspolitische Denken und Handeln nach rechts; Elitedenken, Deregulierung, ein rücksichtsloses Leistungsethos und die Renaissance der »nationalen Identität« wurden als neue Werte propagiert.3 Schon in seiner Regierungserklärung vom 13.10.1982 machte Helmut Kohl die »Ausländerpolitik« zu einem Schwerpunkt seiner Amtszeit. Dabei ging es vor allem um die Bestäti-gung des Anwerbestopps, die Begrenzung des Familiennachzuges, die Förderung der Rückkehr in die »Heimat« und die Verhinderung des »Asylmissbrauchs«.4 Die Forschungen zur historischen Entwicklung des

1 Huhn, A.: »Einst kommt der Tag der Rache«: die rechtsextreme Herausforde-rung 1945 bis heute, Freiburg im Breisgau 1986, S. 12

2 Claussen, D.: Grenzen der Aufklärung. Antisemitismus als Destruktionskraft, in: Widerspruch, Heft 18, Dezember 1989, S. 20 – 31, hier: S. 23

3 Butterwegge, C.: Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt. Erklärungsmo-delle in der Diskussion, Darmstadt 1996, S. 106

4 Stöss, R.: Ideologie und Strategie des Rechtsextremismus, in: Schubarth, W./Stöss, R. (Hrsg.): Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Bilanz, Opladen 2001, S. 101 – 130, hier S. 119

Page 9: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen

8 Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971

Rechtsextremismus können als Reaktion auf diese Rechtsentwicklung verstanden werden. Vor allem die Werke des Parteienforschers Richard Stöss5, die Schriften von Peter Dudek und Hans-Gerd Jaschke6 oder die Arbeiten des marxistischen Faschismusforschers Reinhard Opitz7 sind hier exemplarisch zu nennen.

Dank dieser Überblicksdarstellungen, die einen ersten wichtigen Einblick in die Parteienlandschaft sowie die Kulturorganisationen der extremen Rechten im postfaschistischen (West-)Deutschland geben, gilt der historische Rechtsextremismus in der Bundesrepublik als gut erforscht.

Anders sieht die Situation in den einzelnen Bundesländern, Regio-nen oder Städten aus. Dort gibt es lediglich einzelne Darstellungen, die meistens erst nach der »Wiedervereinigung« beginnen. Auf das Bun-desland Nordrhein-Westfalen bezogen existiert keine einzige zusam-menhängende historische Darstellung des Rechtsextremismus. Erst seit dem regelmäßigen Erscheinen der Verfassungsschutzberichte Mitte der 1960er Jahre lässt sich in Nordrhein-Westfalen von einer kontinuierli-chen Beschäftigung mit extrem rechten Parteien oder Organisationen sprechen. Die Absicht dieser Dissertation ist es, diese Forschungslü-cke zu schließen. Dabei wird ein notwendiges Forschungsdesiderat er-schlossen, zugleich werden bislang unbekannte Primärquellen vorgelegt.

Im Mittelpunkt der Arbeit stehen folgende Leitfragen: Wie und in welcher Form schaffte es der Rechtsextremismus, sich nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft im neu gegründeten Bundesland Nordrhein-Westfalen auszubreiten und zu etablieren? Wer waren die

5 Stöss, R.: Parteien-Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland seit 1945, 4. Bände, Opladen 1986; Stöss, R.: Die extreme Rechte in der Bun-desrepublik. Entwicklung, Ursachen, Gegenmaßnahmen, Opladen 1989; Stöss, R.: Rechtsextremismus im vereinten Deutschland, 2. Auflage, Bonn 1999

6 Dudek, P./Jaschke, H.-G.: Entstehung und Entwicklung des Rechtsextremis-mus in der Bundesrepublik, Band 1, Opladen 1984; Dudek, P./Jaschke, H.-G.: Entstehung und Entwicklung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, Band 2: Dokumente und Materialien, Opladen 1984; Dudek, P./Jaschke, H.-G.: Revolte von Rechts. Anatomie einer neuen Jugendpresse, Opladen 1984

7 Opitz, R.: Faschismus. Entstehung und Verhinderung. Materialien zur Faschis-mus-Diskussion, Frankfurt/Main 1972; Opitz, R.: Faschismus und Neofaschis-mus, Band 1, Köln 1988; Opitz, R.: Neofaschismus in der Bundesrepublik, Band 2, Köln 1988

Page 10: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen

91) Einleitung

entscheidenden Akteure oder Organisationen bei dieser Revitalisierung des Rechtsextremismus?

Dabei wird von der These ausgegangen, dass die rechten Parteien, die keine lange Bestandsdauer hatten, für den Aufbau und die Etablie-rung extrem rechter Strukturen nicht die entscheidende Rolle spielten. Vielmehr waren es Organisationen wie die Wiking-Jugend (WJ) und die Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS e.V. (HIAG), die für die Schaffung von langfristigen und nachhaltigen Strukturen der extremen Rechten in Nordrhein-Westfalen verantwortlich waren.

Der Untersuchungszeitraum beläuft sich auf die Zeit von der offi-ziellen Gründung Nordrhein-Westfalens am 23.08.1946 bis zur Grün-dung der Deutschen Volksunion (DVU) als rechte Sammlungsbewe-gung unter ihrem Vorsitzenden Gerhard Frey als Verein am 18.01.1971. Diese Gründung war als Auffangbecken für enttäuschte Mitglieder der rechtsextremen Nationaldemokratischen Partei Deutschland (NPD) gedacht, da die NPD nach ihren Wahlerfolgen in den späten 1960er Jahren kontinuierlich bei Bundes- und Landtagswahlen einen Großteil ihrer Stimmen einbüßte. Ein weiterer Grund waren die Ostverträge der sozialliberalen Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt, die als »Kapitulationspolitik gegenüber dem Osten« interpretiert wurden.8 Die DVU entwickelte sich zu einer führenden Partei im Lager der ex-tremen Rechten und feierte vor allem in den 1990er Jahren bei Land-tagswahlen beachtliche Erfolge.

Die Wahl des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen als Untersu-chungsgegenstand hat folgende Hintergründe: Das nach dem 2. Welt-krieg neu gebildete Bundesland Nordrhein-Westfalen nahm aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke und seiner hohen Bevölkerungszahl in-nerhalb der Bundesrepublik eine Schlüsselstellung ein. Wenn extrem rechte Parteien oder Organisationen in der BRD dauerhaft Erfolg haben wollten, war eine starke Verankerung in Nordrhein-Westfalen unumgänglich.

8 Spannbauer, A.: Dr. Gerhard Frey. 500 Millionen stehen hinter ihm, in: Elsässer, J.: Braunbuch DVU. Eine deutsche Arbeiterpartei und seine Freunde, Ham-burg 1998, S. 31 – 42, hier S. 32

Page 11: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen

10 Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971

Es gibt keine aktuelle, wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Gesamtdarstellung zum Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen bis 1971. Bei der Sondierung des Forschungsstandes fällt auf, dass in verschiedenen Darstellungen nur auf Teilaspekte des Rechtsextremis-mus in Nordrhein-Westfalen eingegangen wird. In den schon oben er-wähnten historischen Überblickdarstellungen des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik9 werden Strukturen und Organisationsmerk-male in Nordrhein-Westfalen nur am Rande erwähnt. Das Werk von Hans-Helmuth Knütter »Ideologien des Rechtsradikalismus im Nach-kriegsdeutschland« aus dem Jahre 196110 bietet einen ersten Einblick in die Programmatik und Methoden der extremen Rechten auch in Nordrhein-Westfalen. Der Ansatz Knütters, der den Rechtsextremis-mus in der Nachkriegszeit mit dem historischen Nationalsozialismus gleichsetzt, bleibt jedoch fragwürdig. In dem Buch von Büsch/Furth11, das sich mit der Geschichte und den Zielen der Sozialistischen Reichs-partei (SRP) beschäftigt, wird an einigen Stellen auf den nordrhein-westfälischen Landesverband eingegangen. Die Schrift von Johann Paul12, die die Debatten über den Nationalsozialismus und den Rechts-extremismus im nordrhein-westfälischen Landtag analysiert, bietet ei-nen guten Einstieg in die Mentalitätsbestände der beiden Volksparteien CDU und SPD sowie der FDP im Hinblick auf Fragen der Vergan-genheitspolitik und Entnazifizierung. In Überblicksdarstellungen über die politische Geschichte Nordrhein-Westfalens13 finden sich nur ver-einzelt Informationen über extrem rechte Parteien und Organisationen in Nordrhein-Westfalen. Darstellungen über die jüdische Geschichte

9 Siehe Fußnoten 5 – 710 Knütter, H.-H.: Ideologien des Rechtsradikalismus im Nachkriegsdeutschland.

Eine Studie über die Nachwirkungen des Nationalsozialismus, Bonn 196111 Büsch, O./Furth, P.: Rechtsradikalismus im Nachkriegsdeutschland. Studien

über die Sozialistische Reichspartei (SRP), Berlin/Frankfurt/Main 195712 Paul, J.: Debatten über Nationalsozialismus und Rechtsextremismus im Land-

tag Nordrhein-Westfalen von 1946 – 2000, Düsseldorf 200313 Von Alemann, U. (Hrsg.): Parteien und Wahlen in Nordrhein-Westfalen, Köln

1985; Von Alemann, U./Brandenburg, P.(Hrsg.): Nordrhein-Westfalen ent-deckt sich neu, Köln/Stuttgart/Berlin 2000; Briesen u.a.: Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte Rheinlands und Westfalens, Köln/Stuttgart/Berlin 1995, Brunn, G./Reulecke, J.: Kleine Geschichte von Nordrhein-Westfalen, Köln 1996

Page 12: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen

111) Einleitung

in Nordrhein-Westfalen14 geben wichtige Einblicke in antisemitische Denkmuster und Ausschreitungen. Stadtgeschichtliche Überblicks-werke15 enthalten weitere Informationen über den Antisemitismus in Nordrhein-Westfalen. Die Quellenbestände des Hauptstaatsarchivs in Düsseldorf über extrem rechte Personen und Organisationen sind ebenso für die Bearbeitung des Themas von Bedeutung. Bisher nicht verfügbare Quellen, die dem Autor vom nordrhein-westfälischen Ver-fassungsschutz zur Verfügung gestellt wurden, enthalten viele neue Informationen, die für die Abfassung der Arbeit von entscheidender Wichtigkeit sind.

Um den Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen zwischen 1946 und 1971 möglichst vollständig darzustellen, reichen eine Analy-se der rechten Parteien und Organisationen sowie eine Auflistung von Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund nicht aus. Die gescheiterte Entnazifizierung, die hier in einem eigenen Kapitel behandelt wird, war unter anderem dafür verantwortlich, dass viele ehemalige Nationalso-zialisten es schafften, entscheidende Positionen in Wirtschaft, Verwal-tung, Justiz und Wissenschaft im postfaschistischen Deutschland und damit auch in Nordrhein-Westfalen zu besetzen. Der nordrhein-westfä-lische Landesverband der FDP diente in den frühen 1950er Jahren ehe-maligen Nationalsozialisten als Auffangbecken. Die Verdrängung und die fehlende Aufarbeitung des Nationalsozialismus nach dem Ende des 2. Weltkrieges führten dazu, dass sich nationalsozialistische Mentali-tätsbestände erhielten, die jederzeit abrufbar waren, auch wenn sie sich nicht in großen Wahlerfolgen für rechtsextreme Parteien manifestierten. Meinungsumfragen über die NS-Zeit belegen eindrücklich die Konti-nuität nationalsozialistischer Einstellungsmuster in der Nachkriegsbe-völkerung. Bei einer Umfrage im Frühjahr 1947 wurde festgestellt, dass

14 Grübel, M./Mölich, G. (Hrsg.): Jüdisches Leben im Rheinland. Vom Mittelal-ter bis zur Gegenwart, Köln/Weimar/Wien 2005; Pracht, E.: Jüdisches Kultur-erbe in Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1997

15 Zieher, J.: Im Schatten von Antisemitismus und Wiedergutmachung. Jüdisches Leben in Köln in den fünfziger Jahren, in: Dülffer, J. (Hrsg.): Köln in den fünf-ziger Jahren. Zwischen Tradition und Modernisierung, Köln 2001, S. 277 – 304; Serup-Bilfeldt, K.: Zwischen Dom und Davidstern. Jüdisches Leben in Köln von den Anfängen bis heute, Köln 2001; Kripping, U.: Die Geschichte der Juden in Dortmund während der Zeit des Dritten Reiches, Dortmund 1977; Mahn- und Gedenkstätte (Hrsg.): Aspekte jüdischen Lebens. In Düsseldorf und am Niederrhein, Düsseldorf 1997

Page 13: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen

12 Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971

sich 19 % der westdeutschen Bevölkerung als Nationalsozialisten, 22 % als Rassisten und 20 % als Antisemiten sehen.16 Bei der Beantwortung der Frage, ob dem Nationalsozialismus mehr schlechte oder mehr gute Seiten zuzurechnen seien, kam im Jahre 1962 heraus, dass 37,3 % der befragten Jugendlichen oder jungen Erwachsenen der NS-Zeit »mehr gute« oder »nur gute« Seiten zurechneten.17 Die Diskrepanz zwischen einer starken Minderheit extrem rechts eingestellter Wähler und den oft enttäuschenden Wahlergebnissen rechter Parteien ist ein wichtiges Charakteristikum des Rechtextremismus der Nachkriegszeit.18

In der Forschungsarbeit wird zunächst auf die methodische Vor-gangsweise der Inhaltsanalyse eingegangen. Dann geht es um eine fundierte Analyse des Begriffs des Rechtsextremismus. Danach wird in Grundzügen die politische Geschichte des Landes Nordrhein-Westfa-len von seiner Gründung im Jahre 1946 bis zum Jahre 1971 vorge-stellt. Die Auseinandersetzung mit der auf dem Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalens durchgeführten Entnazifizierung ist Untersu-chungsgegenstand des folgenden Kapitels. Dann folgt eine Analyse von Parteien mit genuiner und tendenzieller rechtsextremer Ausrich-tung in Nordrhein-Westfalen. Die Gliederung dieser Parteien erfolgt nach ihrem jeweiligen Gründungsdatum. Anschließend werden die Wiking-Jugend (WJ) und die Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS e.V. (HIAG) vorgestellt, die die wichtigsten Netzwerke des Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen darstellten. Die extrem rechten Strömungen innerhalb der FDP bis Anfang der 1950er Jahre und die »Naumann-Affäre« stehen im Mittelpunkt des nächsten Kapitels. Die nordrhein-westfälische FDP übernahm Anfang der 1950er Jahre die Funktion einer Rechtspartei. Eine Gruppe ehemaliger Nationalsozialisten um Werner Naumann, des letzten Staatssekretärs des »Reichspropagandaministers« Joseph Goeb-bels, versuchte 1952/53, die FDP bundesweit zu unterwandern, mit dem Schwerpunkt im Landesverband Nordrhein-Westfalen. Dies ver-hinderte die britische Besatzungsmacht mit der Verhaftung Naumanns und weiterer Mitglieder seines Kreises im Januar 1953. Weiterhin folgt

16 Knütter, Ideologien des Rechtsradikalismus im Nachkriegsdeutschland. Eine Studie über die Nachwirkungen des Nationalsozialismus, a.a.O., S. 28

17 Eberhard, R.: Die Bundesrepublik zwischen Protest und Reaktion, München 1992, S. 89 Im Kapitel 11 folgt eine ausführlichere Betrachtung.

18 Bache, F.: Wahlverhalten und Ideologie, Stuttgart 1999, S. 37f

Page 14: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen

131) Einleitung

eine Betrachtung der wichtigsten rechtsextremen Publikationsorgane in Nordrhein-Westfalen, die den Versuch unternahmen, ihre antide-mokratische und rassistische Weltsicht innerhalb der Bevölkerung zu verbreiten. Einschlägige rechtsextremistische Verlage wie der Grabert/Hohenrain-Verlag19 in Tübingen, der in Plön/Schleswig-Holstein ansäs-sige Arndt-Verlag20 oder der von dem Rechtsextremisten Udo Walendy 1965 in Vlotho gegründete Verlag für Volkstums- und Zeitgeschichts-forschung21 werden nicht näher analysiert. Anschließend geht es um die Neugestaltung des jüdischen Gemeindelebens und die Renaissance antisemitischer Einstellungsmuster sowie judenfeindlicher Übergriffe in Nordrhein-Westfalen. Dabei wird im Besonderen auf die Synagogen-schändung in Köln im Dezember 1959 eingegangen. Danach werden die Verdrängung und die fehlende Aufarbeitung des Nationalsozialis-mus in der Nachkriegszeit untersucht. In der Schlussbemerkung wird eine abschließende Zusammenfassung und Bewertung der Untersu-chungsergebnisse durchgeführt.

19 Der 1953 von Herbert Grabert als »Verlag der deutschen Hochschullehrer-Zei-tung« in Tübingen gegründete und 1974 umbenannte Grabert-Verlag gehört mitsamt seinem Tochterunternehmen, dem Hohenrain-Verlag, zu den größten und bekanntesten rechtsextremen Verlagen in der Bundesrepublik Deutsch-land. Im Grabert-Verlag erschien seit seiner Gründung vor allem revisionisti-sche Literatur. Insbesondere das Buch »Der erzwungene Krieg – die Ursachen und Urheber des Zweiten Weltkriegs« des US-amerikanischen Autors David L. Hoggan trug zum ökonomischen Erfolg des Verlags bei und verbesserte dessen Reputation innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Vgl. dazu Fin-kenberger, M./Junginger, H. (Hrsg.): Im Dienste der Lügen. Herbert Grabert (1901 – 1978) und seine Verlage, Aschaffenburg 2004

20 Der Arndt-Verlag, der 1963 von Heinz von Arndt gegründet wurde, veröffent-licht in besonderem Maße revisionistische Bücher, die die Kriegsschuld des »Dritten Reiches« und die Verbrechen der Wehrmacht relativieren und dabei den Nationalsozialismus glorifizieren. Verschiedene Bücher des britischen Ho-locaust-Leugners David Irving wurden vom Arndt-Verlag beworben. Vgl. dazu Hundseder, F.: Rechte machen Kasse. Gelder und Finanziers der braunen Szene, München 1995

21 Udo Walendy veröffentlichte in seinem Verlag zahlreiche Werke, in denen die Schuld Deutschlands am Ausbruch der beiden Weltkriege und der Holocaust bestritten werden. Darunter fallen »Starben wirklich sechs Millionen« von Ri-chard Harwood und »Der Jahrhundertbetrug« von Arthur Butz, außerdem die Schriftenreihe »Historische Tatsachen«, die eine ähnliche Zielsetzung verfolgte. Vgl. dazu Der Spiegel 49/1971, S. 38

Page 15: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen

14 Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971

Abschließend noch eine Bemerkung zu den Fußnoten: Das nord-rhein-westfälische Landesamt für Verfassungsschutz hat dem Autor bis-her unveröffentlichte Quellen unter der Bedingung zur Verfügung ge-stellt, dass keine Persönlichkeitsrechte noch lebender Personen verletzt werden. Der Autor hat sich mit seiner Unterschrift dazu verpflichtet, diese Quellen nicht explizit zu benennen. Daher fehlt in manchen Fuß-noten der Verweis auf die Quelle; dort ist nur der Zusatz »Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen« zu finden. Dass dies ein bedenklicher Umgang mit Quellen in einer wissenschaftlichen Arbeit darstellt, ist dem Autor bewusst, aber in Anbetracht von Sachzwängen nicht zu ändern.

Page 16: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen

15

2) Methodisches Vorgehen: Die Inhaltsanalyse

Unter den empirischen Forschungsmethoden spielt das Verfahren der Inhaltsanalyse eine wichtige Rolle. Sie gilt als einer der gängigsten Me-thoden in der politikwissenschaftlichen Forschung.22

Die Inhaltsanalyse wurde in den 1940er Jahren im Rahmen der US-amerikanischen Massenkommunikationsforschung entwickelt. Als Begründer der Inhaltsanalyse gelten die Forscher Bernhard Berelsen und Harold D. Lasswell, die Untersuchungen zu Kriegsberichten und Kriegspropaganda während des 2. Weltkrieges durchführten.23 Nach dem Ende des 2. Weltkrieges wurde die Inhaltsanalyse vor allem durch Berelsen systematisch weiterentwickelt. Dabei ging es vor allem um die Frage, was eigentlich die Inhalte von Kriegsberichten sind und wie die-se Botschaften von Menschen verstanden und verarbeitet werden. Da-bei geht er von folgender Definition aus: »Content analysis is a research technique for the objective, systematic, and quantitative description of the manifest content of communication.”24

Neben Berelsen spielten Merten und Früh bei der weiteren Aus-arbeitung und Verbesserung der inhaltsanalytischen Methode eine Hauptrolle. Merten ist der Ansicht, dass die Methode (d.h. systema-tisches, planvolles Vorgehen) der Inhaltsanalyse dazu dienen muss, aufgrund vorliegender, also manifester Texte soziale Wirklichkeit, d.h. nicht manifeste Kontexte zu erfassen und zu verstehen. Er definiert die Inhaltsanalyse folgendermaßen: »Die Inhaltsanalyse ist eine Metho-de zur Erhebung sozialer Wirklichkeit, bei der von Merkmalen eines manifesten Textes auf Merkmale eines nicht-manifesten Kontextes ge-schlossen wird.«25

22 Franck, N./Stary, J. (Hrsg.): Die Technik des wissenschaftlichen Arbeitens, 11. Auflage, Paderborn 2003, S. 154, Lisch, R./Kriz, J.: Grundlagen und Me-thoden der Inhaltsanalyse. Bestandsaufnahme und Kritik, Reinbek bei Ham-burg 1978, S.  11; Wirth, W./Lauf, E. (Hrsg.): Inhaltsanalyse: Perspektiven, Probleme, Potentiale, Köln 2001, S. 20f

23 Mochmann, E.: Inhaltsanalyse, in: Kriz, J./Nohlen, D./Schulze, R.O. (Hrsg.); Lexikon der Politik. Band 2: Politikwissenschaftliche Methoden, München 1994, S. 184 – 187, hier S. 184

24 Berelson, B.: Content Analysis in Communication Research, New York 1952, S. 18

25 Merten, K.: Inhaltsanalyse: Einführung in Theorie, Methode und Praxis, 2. Auflage, Opladen 1995, S. 59

Page 17: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen

16 Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971

Laut Früh versteht man unter Inhaltsanalyse allgemein die systema-tische, regelgeleitete und intersubjektiv nachvollziehbare Beschreibung von Kommunikationsinhalten.26

Die Inhaltsanalyse bezieht sich grundsätzlich auf alle Arten von fixierten Kommunikationsinhalten, also sowohl auf Texte, Photogra-phien, Filme, Bilder, Audiodaten etc. Da sich aufgrund des Einsatzes moderner Kommunikationsmittel (Webseiten, Archive und Biblio-theken für schriftliches Material) Texte einfach zusammenstellen las-sen, entwickelte sich die Inhaltsanalyse zu einem bevorzugten Anwen-dungsbereich für Sekundäranalysen. Als nicht reaktives Verfahren, das hauptsächlich mit bereits vorhandenen Daten arbeitet, eignet sich die Inhaltsanalyse für die Analyse der öffentlichen Kommunikation in den Medien sowie für Analysen von politischen Dokumenten und Materi-alien.27

Im Vergleich zu anderen Methoden hat die Inhaltsanalyse folgende Vorteile:28

es lassen sich Aussagen über Kommunikatoren und deren Ab-sichten treffen, die nicht erreichbar sind,die untersuchten Quellen stehen zeitunabhängig zur Verfügung,die Untersuchung lässt sich im Zweifelsfalle wiederholt durch-führen und die Vorgehensweise nachvollziehen.

Zu den wichtigsten Grundlagen der inhaltsanalytischen Methode zäh-len die Kategorien und der Codierprozess. Unter Kategorien versteht man Ordnungsschemata, die zur Erfassung eines Gegenstandsbereichs benutzt werden. Dabei lassen sich verschiedene Arten von Kategorien unterscheiden, z.B. bewertende, beschreibende und deutende/interpre-tierende Kategorien.29

Im Verlaufe der Inhaltsanalyse werden mehrere Kategorien syste-matischen Kategoriensystemen zugeordnet. Weiterhin werden Regeln

26 Früh, W.: Inhaltsanalyse: Theorie und Praxis, 5. Auflage, Konstanz 2004, S. 2527 Kuckartz, U.: Inhaltsanalyse, in: Westle, B. (Hrsg.): Methoden der Politikwis-

senschaft, Baden-Baden 2009, S. 334 – 343, hier S. 33628 Krippendorf, K.: Content Analysis. An Introduction to Its Methodology, 2.

Auflage, Thousend Oaks 2004, S. 2529 Kuckartz, Inhaltsanalyse, in: Westle, Methoden der Politikwissenschaft, a.a.O.,

S. 336

Page 18: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen

172) Methodisches Vorgehen: Die Inhaltsanalyse

für die Relation zwischen Kategorien erstellt, z.B. dass diese sich nicht überlappen dürfen und eindeutig sein müssen. Diese festgelegten Re-geln für Kategoriensysteme sollen aber kein unumstößliches Dogma darstellen, sondern sind Gegenstand von praxisangemessenen Definiti-onen der Wissenschaftler.

Ein weiterer zentraler Begriff der Inhaltsanalyse ist die Analyseein-heit. Darunter versteht man ein einzelnes Element der empirischen Untersuchung. Der Begriff Codieren steht für den Vorgang der Zu-ordnung einer Kategorie zu einer Analyseeinheit bzw. das Auffinden der Kategorie in derselben. Die Person, die die Zuordnung vornimmt, wird als Codierer bezeichnet. Die Gesamtheit aller im Verlaufe einer Inhaltsanalyse verwendeten Kategorien wird als Kategoriensystem oder Kategorienschema definiert. Um die untersuchten Texte oder andere Quellen codieren zu können, benötigen die Codierer eine möglichst präzise Anleitung, die man Codieranweisung nennt.30

Es lassen sich sechs Hauptphasen einer Inhaltsanalyse unter-scheiden:31

1. Auswahl des Materials, Bestimmung der Analyseeinheit und der Codiereinheit,

2. Erstellen des Kategoriensystems und der Kategoriendefinitio-nen, Codierschulung,

3. Materialdurchlauf und Codieren des Materials,4. Kategorienbasierte Auswertung,5. Kategorienübergreifende Zusammenhangsanalyse,6. Erstellen des Ergebnisberichts,

In der ersten Phase geht es um die Planung der Grundgesamtheit und der Untersuchungseinheiten analog zur Forschungsfrage. Nachdem die Quellen gesichtet und ausgewählt worden sind, wird die Einheit der Analyse bzw. die Einheit beim Codieren näher bestimmt.

Bei der zweiten Phase geht es hauptsächlich um die Kategorienbil-dung.32 Dabei muss zwischen der induktiven und deduktiven Kategori-

30 Kuckartz, U.: Einführung in die computergestützte Analyse qualitativer Daten, 2. Auflage, Wiesbaden 2007, S. 60 – 63, hier S. 61

31 Kuckartz, Inhaltsanalyse, in: Westle, Methoden der Politikwissenschaft, a.a.O., S. 338

32 Ebd., S. 339f

Page 19: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen

18 Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971

enbildung unterschieden werden. Von einer deduktiven Kategorienbil-dung wird dann gesprochen, wenn aus einer bestehenden Theorie oder einer früheren Forschung Kategorien abgeleitet, also deduziert, werden. Die Kategorien werden so gebildet, dass mit ihnen die Hypothesen der Theorie überprüft werden können, ohne vorher das Material an-zusehen. Die deduktive Kategorienbildung ist vorherrschend für For-schungsprojekte, die Hypothesen überprüfen und sich innerhalb eines vorab fixierten Theorierahmens bewegen. Induktive Kategorienbildung liegt dann vor, wenn die Kategorien aus dem Material selbst entwickelt werden. Die Kategorienbildung selbst wird nicht nach einem dogmati-schen Muster vorgenommen; vielmehr ist eine selbstständige Fähigkeit des Forschenden zur inhaltlichen Strukturierung notwendig. In der Forschungspraxis sind diese beiden Arten der Kategorienbildung nur selten in ihrer reinen Form anzutreffen. Es wird oft mit Mischformen gearbeitet, wo mit einem relativ groben deduktiven Kategoriensystem begonnen wird, dass durch induktive Kategorienbildung verfeinert wird.

In der nächsten Phase stehen der Materialdurchlauf und der eigent-liche Codierprozess im Vordergrund. Das gesichtete Material wird in der gleichen systematischen Weise codiert. Durch das Kategoriensys-tem bzw. die Definitionen der Kategorien wird ein Rahmen für das Verständnis des Textes geschaffen. Durch die Interpretationskompetenz des Forschenden wird die Bedeutung eines Textes erfasst.

Im nächsten Schritt werden die Kategorienhäufigkeiten für be-stimmte Teilgruppen des Materials ausgewertet.33 Der Forscher stellt alle zur gleichen Kategorie codierten Textstellen zusammen und ordnet sie in ein nachvollziehbares Schema ein. Verschiedene Dimensionen werden zusammengefasst, Kategorien und Konzepte im Zweifelsfalle modifiziert und ausdifferenziert.

In der fünften Phase geht es um die kategorienübergreifende Zu-sammenhangsanalyse: Dabei steht nicht mehr die Auswertung einzelner Kategorien im Vordergrund, sondern die Analyse von Zusammenhän-gen und zwar sowohl von Zusammenhängen zwischen Kategorien als auch von komplexen Zusammenhängen mit unabhängigen Variablen.34

33 Ebd., S. 34234 Ebd., S. 343

Page 20: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen

192) Methodisches Vorgehen: Die Inhaltsanalyse

In der finalen Phase wird ein Forschungsbericht erstellt, der die entscheidenden Aussagen der Arbeit dokumentiert und zugleich der interessierten Öffentlichkeit die Ergebnisse zur Verfügung stellt.

Page 21: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen
Page 22: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen

21

3) Zum Begriff Rechtsextremismus

In den 1960er Jahren wurde von den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder der Begriff »Rechtsradikalismus« verwendet. Ihrer Definition nach wurde die »freiheitlich-demokratische Grund-ordnung« durch »Radikale von links und rechts« bedroht. Mitte der 1970er Jahre wurde der Begriff »Rechtsradikalismus« durch den Ter-minus »Rechtsextremismus« unter Bezugnahme auf eine spezifische Forschungstradition in den USA, die sich »right wing extremism« oder auch »right wing authoritarism« zum Thema gemacht hatte35, weitge-hend ersetzt. Der Begriff »Radikalismus« wurde in seiner Bedeutung als »einem Übel an die Wurzel gehen/grundsätzlich neu beginnen« als zu positiv bewertet.36

Die sprachlichen Wurzeln von Extremismus liegen in den lateini-schen Begriffen »extremus« (äußerst, entfernt) und »extremitas« (der äußerste Punkt bzw. Rand).37 Diese beiden Wörter enthalten bereits ein normatives Charakteristikum: extrem wird in vielen Fällen als polari-sierend, prekär und kompromisslos wahrgenommen, die Mitte dagegen als harmonisch, gleichmäßig oder gemäßigt.

Seit längerer Zeit existiert eine regierungsnahe Auffassung des Links- und Rechtsextremismus, die in den Veröffentlichungen des Verfassungsschutzes sowohl des Bundes als auch der Länder verwen-det wird. Die beiden Politikwissenschaftler Uwe Backes und Eckhard Jesse38 sind bemüht, die Extremismustheorie über Staatsschutzorgane

35 Diese Ansätze bezogen sich auf die Autoritarismusforschung von Adorno, Bet-telheim und anderen, die Mitte der 1950er Jahre die Theoriediskussion prägten.

36 Burkert, E.: Rechtsextremismus und Geschlecht. Politische Selbstverortung weiblicher Auszubildender, Herbolzheim 2006, S. 9

37 Neugebauer, G.: Extremismus – Rechtsextremismus – Linksextremismus: Ei-nige Anmerkungen zu Begriffen, Forschungskonzepten, Forschungsfragen und Forschungsergebnissen, in: Schubarth, W./Stöss, R. (Hrsg.): Rechtsex-tremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Bilanz, Opladen 2001, S. 13 – 37, hier S. 14

38 Thomas Pfeiffer stellte sogar fest: »Backes und Jesse sind dem Umfeld der Neu -en Rechten zuzuordnen. Gemeinsam mit dem Neurechten Rainer Zitelmann ga- ben sie den Sammelband heraus ‚Die Schatten der Vergangenheit. Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus’. Backes und Jesse gehören auch zu den Unterzeichnern einer Solidaritätserklärung für Zitelmann, als dieser unter Kri- tik in der Welt-Redaktion geriet.« Vgl. Pfeiffer, T.: Rechtsextremisten auf dem Daten-Highway (unveröffentlichte Diplomarbeit) 1996, S. 21

Page 23: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen

22 Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971

oder Regierungsapparate hinaus im akademischen Bereich zu etablie-ren. Backes und Jesse operieren mit dem Extremismusbegriff als eine »Sammelbezeichnung für unterschiedliche politische Gesinnungen und Bestrebungen (…), die sich in der Ablehnung des demokratischen Ver-fassungsstaates und seiner fundamentalen Werte einig wissen.«39 Beim Extremismus handelt es sich laut Backes und Jesse um eine Ideologie, die die Bestandteile des demokratischen Verfassungsstaates (Gewal-tenteilung, Menschen- und Bürgerrechte, die Anerkennung des Plu-ralismus- und des Repräsentationsprinzips sowie Toleranz gegenüber Minderheiten und Andersdenkenden) negiert.40 Im Falle der Negierung des Prinzips menschlicher Fundamentalgleichheit sprechen die beiden Forscher von Rechtsextremismus. Wenn der Gleichheitsgrundsatz auf alle Lebensbereiche ausgedehnt wird und damit der »Gedanke der indi-viduellen Freiheit« überlagert wird, handelt es sich um Kommunismus. Falls jede Form von Staatlichkeit als »repressiv« gilt und abgelehnt wird, geht es um Anarchismus.41

Der Ansatz von Backes und Jesse ignoriert jedoch, dass »Extremis-men verschiedener Couleur zwar gewisse Gemeinsamkeiten, insbeson-dere auf der Phänomen- und Symptom-Ebene, aufweisen mögen, sich Rechtsextremismus und Linksextremismus aber deutlich, ja fundamen-tal inhaltlich voneinander unterscheiden.«42 Richard Stöss konstatiert: »Der Rechtsextremismus strebt die Beseitigung der Demokratie, der Sozialismus jedoch die Abschaffung des Kapitalismus an. Während der Rechtsextremismus sich nur auf eine spezifische Form bürgerlicher Herrschaft bezieht, ohne deren ökonomische Grundlagen in Frage zu stellen, geht es dem Sozialismus gerade um die Veränderung der Pro-duktionsverhältnisse. Denn erst mit der Abschaffung des Privateigen-tums an Produktionsmitteln und durch die Beseitigung der ungleichen Verteilung von ökonomischer Macht seien soziale Gleichheit und da-mit soziale Gerechtigkeit möglich. Ohne soziale Gerechtigkeit aber, so die sozialistische Theorie, gibt es keine wirkliche Demokratie. Rechts-extremismus dagegen ist grundsätzlich von der Idee her und in seinen

39 Backes, U./Jesse, E.: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutsch-land, 3. Auflage, Bonn 1993, S. 40

40 Ebd., S. 30f41 Ebd., S. 4042 Möller, K.: Extremismus, in: Schäfers, B./Zopf, W. (Hrsg.): Handwörterbuch

zur Gesellschaft Deutschlands, Opladen 1998, S. 188 – 200, hier S. 191

Page 24: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen

23���������� ���������������

Zielen antidemokratisch, der Sozialismus ist es nur, wenn er bürokra-tisch missbraucht oder pervertiert wird.«43

Dieser Einwand zeigt deutlich eine große Schwäche des Extremis-muskonzeptes, nämlich seine Eindimensionalität. Die Extrempositio-nen der Links-Rechts-Achse stellen in diesem Konzept mit Blick auf die als demokratisch definierte Mitte notwendige gleiche Widersacher dar. Karl Heinz Roth bezeichnet die Extremismustheorie als eine »ma-nichäische Schwarz-Weiß-Typologie, die aus einem Bild und einem Ge-genbild besteht. Dabei fungiert die Vorderseite lediglich als normativer Ausgangspunkt. Sie stellt den ‚repräsentativ-demokratischen Verfas-sungsstaat’ dar, der aus der weiteren Analyse ausgeblendet bleibt. Das normative Vor-Bild hat lediglich die Funktion, die ‚totalitäre Diktatur’ als Kehrseite der Gewaltenteilung und der Garantie von Menschen-rechten zu entwerfen, um sie für komperativ-empirische Analysen von bestimmten Varianten des Gegen-Bilds verfügbar zu machen. Ein sol-ches Modell ist per se reine Herrschaftsideologie.«44

Weiterhin wird übersehen, dass antidemokratische Tendenzen und Gefahrenpotentiale in allen politischen Parteien, Gewerkschaften oder gesellschaftlichen Gruppen auftreten können. Butterwegge stellt fest: »Rechtsextremismus kommt aus ‚der Mitte der Gesellschaft’, ist also keineswegs ein Randphänomen.«45 Eine nicht näher definierte Mitte grenzt somit rivalisierende Positionen links und rechts von sich aus und lässt keine Kritik an der eigenen Werthaltung zu. Der Rechtsex-tremismus kann sich nur dann etablieren, wenn die »demokratische Mitte« – verbunden mit den staatlichen und gesellschaftlichen Institu-tionen –  ihm nicht genügend Widerstand leistet oder sogar nationalis-tische Diskurse aufnimmt und weiterverbreitet (z.B. faktische Abschaf-fung des Asylrechtes).

Die Extremismustheorie bedient sich – angelehnt an Aristoteles – einem Zentrum zwischen zwei Extremen, um den eigenen Standpunkt

43 Stöss, Die extreme Rechte in der Bundesrepublik. Entwicklung – Ursa-chen – Gegenmaßnahmen, a.a.O., S. 18

44 Roth, K. H.: Geschichtsrevisionismus. Die Wiedergeburt der Totalitarismust-heorie, Hamburg 1999, S. 60

45 Butterwegge, C.: Entwicklung, gegenwärtiger Stand und Perspektiven der Rechtsextremismusforschung, in: Ders./Griese, B./Krüger, C. u.a.: Rechtsex-tremisten in Parlamenten, Opladen 1997, S. 9 – 53, hier S. 28

Page 25: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen

24 Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971

als legitim und mustergültig erscheinen zu lassen. Der Rechtsextre-mismus wird nicht als soziales Phänomen gesehen, das mitten in der Gesellschaft Anklang findet und sich immer weiter ausbreitet: »Gesell-schaftliche Ursachenzusammenhänge wie etwa soziale Ungleichheiten, ökonomische Entwicklungen und Vorurteilsstrukturen bleiben außen vor, weil soziologische und analytische Ebenen in einer Politikwissen-schaft keine Rolle spielen, wo es um die Rehabilitierung und Verteidi-gung der Staatsräson gegen politische Normabweichungen von Bür-gern geht.«46

Trotz der oben angeführten Bedenken steht der Begriff »Rechtsex-tremismus« im Zentrum der weiteren Ausführungen, da bislang keine wissenschaftlich fundierte Alternative existiert.47

Es gibt keine allgemein akzeptierte Definition des Rechtsextremis-mus. Bei der Bestimmung der Merkmale des Rechtsextremismusbegrif-fes existieren zahlreiche – sich manchmal fundamental unterscheiden-de – Varianten, die hier nicht alle wiedergegeben werden können.48

46 Jaschke, H.-G.: Staatliche Institutionen und Rechtsextremismus, in: Kowalsky, W./Schröder, W. (Hrsg.): Rechtsextremismus. Einführung und Forschungsbi-lanz, Opladen 1994, S. 309 – 320, hier S. 315

47 Butterwegge, C.: Rechtsextremismus, Freiburg i. B. 2002, S. 19; Lynen von Berg, H.: Politische Mitte und Rechtsextremismus. Diskurse zu fremdenfeind-licher Gewalt im 12. Deutschen Bundestag (1990 – 1994), Opladen 2000, S. 288; Leiprecht, R.: Woher kommen Rechtsextremismus und Rassismus? – Einige Hinweise zu bisherigen Erklärungsversuchen, in Faller, K. u.a. (Hrsg.): Dem Haß keine Chance. Wie ist die Gewalt zu stoppen?, Köln 1993, S. 35 – 55, hier S. 47

48 Hier nur eine kleine Auswahl: Gessenharter, W.: Extremismus, in: Görlitz, A./Prätorius, R. (Hrsg.): Handbuch Politikwissenschaft. Grundlagen, Forschungs-stand, Perspektiven, Reinbek bei Hamburg 1987, S.  84; Herz, T.A.: Soziale Bedingungen für Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland und in den Vereinigten Staaten, Meisenheim am Glan 1975, S. 29; Pfahl-Traughber, A.: Rechtsextremismus. Eine kritische Bestandsaufnahme nach der Wiederver-einigung, Bonn 1993; Heitmeyer, W.: Rechtsextremistische Orientierungen bei Jugendlichen. Empirische Ergebnisse und Erklärungsmuster einer Unter-suchung zur politischen Sozialisation, Weinheim/München 1987, S. 16; But-terwegge, Rechtsextremismus, a.a.O., S. 18; Lohmann, H.-M. (Hrsg.): Extre-mismus der Mitte. Vom rechten Verständnis deutscher Nation, Frankfurt/Main 1994; Fuchs. D./Klingemann, H.-D.: The Left-Right-Schema, in: Jennings, M. K./van Deth, J.W. u.a.: A Longtudinal Study of Political Orientatins in Three Western Democracies, Berlin/New York 1990, S. 203 – 234

Page 26: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen

25���������� ���������������

Zahlreiche Autoren sehen in einem aggressiven völkischen Natio-nalismus ein Kernelement der rechtsextremen Ideologie. Rechtsextre-misten besitzen einen »übersteigerten Nationalismus« verbunden mit einem imperialistischen Hegemonialdenken, womit eine feindselige Haltung anderen Staaten gegenüber einhergeht. Die eigene Nation49 betrachtet sich anderen Nationen als überlegen. Laut Herz ist ein we-sentlicher Bestandteil des Nationalismus, »dass man die Nation, das Volk, das Reich als zentrales Bezugsobjekt betrachtet (…), dass man die eigene Nation in jeder Hinsicht für besser erachtet als alle anderen Nationen; dass man alles Fremde ablehnt etc.«50

Weiterhin wird festgestellt, dass die rechtsextreme Weltanschauung die universellen Freiheits- und Gleichheitsrechte der Menschen leugnet. Darunter versteht Stöss »insbesondere das Recht auf Leben und körper-liche Unversehrtheit, das Recht auf Freiheit, Freizügigkeit und Sicher-heit, das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf Versammlungs-, Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit.«51

Als ein weiteres Ideologieelement des Rechtsextremismus gilt der Antipluralismus. Rechtsextremistische Organisationen oder Einzelper-sonen zielen darauf ab, die pluralistische Demokratie und das Mehr-heitsprinzip abzuschaffen und dafür eine Einheitspartei zu etablieren, die sowohl alle Bereiche des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens umfasst als auch die Unterordnung individueller Inter-essen unter kollektive fordert.

Zur Rechtfertigung von Gleichschaltungsabsichten wird eine äußere Bedrohung konstruiert. Gemäß dem Eindruck der meisten Forschungsbeiträge besitzen Rechtsextremisten das Bild einer Volks-

49 Der Autor begreift den Begriff »Nation« als Konstrukt und folgt der Argu-mentation von Balibar und Wallerstein, die diagnostizierten: (…) »Sicher ist indessen, dass es uns beiden gleichermaßen wichtig erscheint, die Nation und das Volk als historische Konstruktionen zu denken, dank derer die heutigen In-stitutionen und Antagonismen in die Vergangenheit projiziert werden können, um den ‚Gemeinschaften’ eine relative Stabilität zu verleihen, von denen das Gefühl der individuellen ‚Identität’ abhängt.« Vgl. Balibar, E./Wallerstein, I.: Rasse Klasse Nation. Ambivalente Identitäten, Hamburg/Berlin 1990, S. 15

50 Herz, Soziale Bedingungen für Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland und in den Vereinigten Staaten, a.a.O., S. 43

51 Stöss, Die extreme Rechte in der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O. , S. 19

Page 27: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen

26 Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971

gemeinschaft, in der Volk und Staat zu einer Einheit verschmelzen.52 Ungeachtet dieser Tatsache existiert bei rechtsextremen Parteien, die an parlamentarischen Wahlen teilnehmen, ein verbales Bekenntnis zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.

Weitere Elemente des Rechtsextremismus sind eine völkische Rela-tivierung, Umdeutung bzw. Leugnung aller Verbrechen des deutschen und internationalen Faschismus, ein patriarchalisch – sexistisches Welt-bild sowie ein auf biologistischer Grundlage basierender Rassismus mit der Version des Antisemitismus und Antiziganismus meist unter An-drohung/Anwendung von Gewalt. Rechtsextremisten betrachten Ob-dachlose oder behinderte Menschen als Menschen zweiter Klasse, die ihrem Konzept des »gesunden Volkskörpers« entgegenstehen.

Rechtsextremismus richtet sich gegen parlamentarische, plura-listische Systeme, die auf der Basis von Volkssouveränität und dem Mehrheitsprinzip beruhen. Die Akteure des Rechtsextremismus sind bestrebt, die demokratischen Grundrechte einzuschränken oder außer Kraft zu setzen: »Rechtsextremismus (…) verlangt die Unterordnung des Bürgers unter eine deutlich obrigkeitsgläubig orientierte Staatsrä-son und verwirft jeden Wertepluralismus liberaler Demokratie mit der Stoßrichtung, Demokratisierung rückgängig machen zu wollen.«53

Eine einzige Partei oder Organisation mit einem starken Führer wird angestrebt, Parteienkonkurrenz oder demokratischer Pluralismus wird wie die Forderung der Französischen Revolution nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit abgelehnt.

Ein weiteres Merkmal des Rechtsextremismus ist der Geschichts-revisionismus. Die Alleinschuld Deutschlands am Ausbruch des 2.  Weltkrieges wird geleugnet, der »Schuldanteil der Alliierten« und deren »Kriegsverbrechen« hervorgehoben und die nach dem Ende des Nationalsozialismus von den Siegermächten durchgeführten Kriegsver-brecher und NS-Prozesse als rechtswidrige, politische Justiz abgelehnt.

52 Winkler, Rechtsextremismus: Gegenstand – Erklärungsansätze – Grundproble-me, in: Schubarth,/Stöss, Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutsch-land, a.a.O., S. 38 – 68, hier S. 47

53 Glaß, C.: Politische Bildungsarbeit vs Gewaltbereitschaft und Rechtsextremis-mus Jugendlicher, in: Sozialwissenschaftliche Rundschau 37 (1998), S. 68 – 77, hier S. 71

Page 28: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen

274) Eckpunkte der politischen Geschichte Nordrhein-Westfalens 1945 – 1971

Im rechtsextremen Weltbild gilt die Familie als »Keimzelle des Vol-kes und Träger des biologischen Erbes«. Brück spricht von einer »patri-achalen Familialisierung«, in der die Familie das Modell darstellt, nach dem die Nation und das Volk geformt werden sollte.54 Rechtsextremis-tisches Denken wird von einem rigiden Antifeminismus geprägt, das der Frauenbewegung vorwirft, sie hätte die Familie als Grundlage des Volkes zerstört und den Kampf zwischen den Geschlechtern propagiert.

54 Rommelspacher, B.: Das Geschlechterverhältnis im Rechtsextremismus, in: Schubarth, W./Stöss, R. (Hrsg.): Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Bilanz, Opladen 2001, S. 199 – 219, hier S. 208

Page 29: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen
Page 30: Lausbergdownload.e-bookshelf.de/download/0000/9651/53/L-G...Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946–1971 Michael Lausberg Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen

29

4) Eckpunkte der politischen Geschichte Nordrhein-Westfalens 1945 – 1971

Für die Untersuchung des Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfa-len ist eine kurze Darstellung der politischen Geschichte Nordrhein-Westfalens unumgänglich. Da die politische Entwicklung des Landes Nordrhein-Westfalen auch immer von der Bundespolitik beeinflusst worden ist, werden auch Leitlinien der politischen Geschichte der BRD erwähnt.

������������������������������� Die Frühphase des Landes Nordrhein-Westfalen

In den letzten Monaten vor der Befreiung vom Nationalsozialismus versuchten Träger des NS-Regimes in Form von »Werwolf-Gruppen«, eine Art terroristische »Widerstandsbewegung« aufzubauen. Die Lo-sung dieser Terrorkommandos lautete: »Haß ist unser Gebot, Rache ist unser Kampfruf!«55 Bereits im Herbst 1944 hatte der damalige stell-vertretende Reichspressechef der NSDAP, Helmut Sündermann, ge-fordert: »Kein deutscher Halm soll den Feind nähren, kein deutscher Mund ihm Auskunft geben, keine deutsche Hand ihm Hilfe bringen, jeden Steg soll er zerstört, jede Straße gesprengt vorfinden – nichts als Tod, Vernichtung und Haß wird ihm entgegentreten. Schaudernd soll er verbluten auf jedem Meter deutschen Bodens, der uns gehört und den er rauben will.«56 Am 25.03.1945 ermordeten Mitglieder einer die-ser »Werwolf-Gruppen« den von den US-amerikanischen Befreiern im Aachener Raum eingesetzten Bürgermeister Oppenhoff.57 Die Mitglie-der dieser »Werwolf-Gruppe« versuchten nach der Tat über den Rhein zu fliehen; dabei kam der angebliche Mörder Oppenhoffs, der Öster-reicher Sepp Leitgeb, in der Eifel durch eine Mine ums Leben. Alle an-deren Mitglieder wurden vom britischen Geheimdienst festgenommen und später vor ein deutsches Gericht gestellt. Dabei wurden Haftstra-

55 Zitiert aus Hirsch, K.: Rechts von der Union: Personen, Organisationen, Partei-en seit 1945: ein Lexikon, München 1989, S. 66

56 Ebd.57 Madloch, N.: Rechtsextremismus in Deutschland nach dem Ende des Hitler-

faschismus, in: Kinner, K./Richter, R. (Hrsg.): Rechtsextremismus und Antifa-schismus, Berlin 2000, S. 57 – 214, hier S. 107