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Zentralstelle für Klinische Sozialarbeit Deutsche Gesellschaft für Sozialarbeit e.V. Deutsche Vereinigung für Sozialarbeit im Gesundheitswesen e.V. KLINISCHE SOZIALARBEIT 2. Jg. Heft 3 Juli 2006 Themenschwerpunkt: Psychosoziale Behandlung Editorial Psychoanalytische Sozialarbeit mit dem bifokalen Behandlungsmodell Udo Rauchfleisch Selbsthilfe, Therapieformen und Umgangsmöglichkeiten für Angehörige bei der Borderline-Störung Ulrike Schäfer und Ulrich Sachsse Profil der Sozialberufe bei der Zulassung zur staatlich anerkannten Ausbildung in Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie Günter Zurhorst Aktuelles: Anerkennung als Fachsozialarbeiter/in für Klinische Sozialarbeit (ZKS) Zu den AutorInnen dieser Ausgabe Wissenschaftlicher Beirat und Impressum 3 4 7 10 2 2 2 Inhalt Herausgeber ZEITSCHRIFT FÜR PSYCHOSOZIALE PRAXIS UND FORSCHUNG

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Zentralstelle für Klinische Sozialarbeit Deutsche Gesellschaft für Sozialarbeit e.V.Deutsche Vereinigung für Sozialarbeit im Gesundheitswesen e.V.

KLINISCHE SOZIALARBEIT

2. Jg. Heft 3 Juli 2006

Themenschwerpunkt: Psychosoziale Behandlung

Editorial

Psychoanalytische Sozialarbeitmit dem bifokalen BehandlungsmodellUdo Rauchfleisch

Selbsthilfe, Therapieformen und Umgangsmöglichkeiten für Angehörige bei der Borderline-StörungUlrike Schäfer und Ulrich Sachsse

Profil der Sozialberufe bei der Zulassung zur staatlich anerkanntenAusbildung in Kinder- und JugendlichenpsychotherapieGünter Zurhorst

Aktuelles: Anerkennung als Fachsozialarbeiter/in für Klinische Sozialarbeit (ZKS)

Zu den AutorInnen dieser Ausgabe

Wissenschaftlicher Beirat und Impressum

3

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7

10

2

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Inhalt

Herausgeber

ZEITSCHRIFT FÜR PSYCHOSOZIALE PRAXISUND FORSCHUNG

Herausgeber:Deutsche Vereinigung für Sozialarbeit im Ge-sundheitswesen e.V. (v.i.S.d.P.) in Kooperationmit der Zentralstelle für Klinische Sozialarbeit,Coburg, und der Deutschen Gesellschaft fürSozialarbeit e.V., Sektion Klinische SozialarbeitRedaktionsteam:Uwe Klein (Leitung) Norbert Gödecker-GeenenSilke Birgitta Gahleitner Gernot HahnAnzeigenakquise:G. Hahn, Virchowstr. 27, 90766 FürthTel. 0175/276 1993Anschrift der Redaktion:Redaktion "Klinische Sozialarbeit"Zentralstelle für Klinische Sozialarbeit Berlinc/o Uwe Klein, Krankenhaus HedwigshöheKlinik für Psychiatrie und PsychotherapieHöhensteig 1, 12526 BerlinTel. 030/67 413 021 Fax 030/67 413 002 oder:Tel. 030/60 500 856 Fax 030/60 500 857Email: [email protected], Grafik & Schlussredaktion:Ilona Oestreich, BerlinDruck:GREISERDRUCK GmbH & KoKG, 76437 RastattErscheinungsweise: viermal jährlich als Einlegezeitschrift im DVSG –FORUM sozialarbeit + gesundheitISSN:1861-2466Auflagenhöhe: 2250Copyright: Nachdruck und Vervielfältigen, auch auszugs-weise, sind nur mit Genehmigung der Redaktiongestattet. Die Redaktion behält sich das Rechtvor, veröffentlichte Beiträge ins Internet zu stel-len und zu verbreiten. Der Inhalt der Beiträgeentspricht nicht unbedingt der Meinung derRedaktion. Für unverlangt eingesandte Manu-skripte, Fotos und Datenträger kann keineGewähr übernommen werden, es erfolgt keinRückversand. Die Redaktion behält sich dasRecht vor, Artikel redaktionell zu bearbeiten.

Dipl.-Soz.päd. Kirsten Becker-Bikowski Universitätsklinikum Heidelberg

Prof. Dr. Peter Buttner Fachhochschule München

Prof. Dr. emer. Wolf Crefeld Evangel. Fachhochschule Bochum

Prof. Dr. Heike DechEvangel. Fachhochschule Darmstadt

Prof. Dr. Peter Dentler Fachhochschule Kiel

Prof. Dr. Brigitte Geißler-PiltzAlice-Salomon-Fachhochschule Berlin

Prof. Dr. Cornelia Kling-KirchnerHTWK Leipzig, Fachbereich Sozialwesen

Prof. Dr. Albert MühlumFachhochschule Heidelberg

Prof. Dr. Helmut Pauls Fachhochschule Coburg

Prof. Dr. Ralf-Bruno ZimmermannKatholische Hochschule für Sozialwesen Berlin

Prof. Dr. Dr. Günter ZurhorstHochschule Mittweida

Wissenschaftlicher Beirat

IInnffoosseeiittee

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ImpressumZiel

Wir halten es für wichtig, dass die deutscheKlinische Sozialarbeit nicht von der internationa-len Entwicklung abgekoppelt bleibt. Deshalbhaben wir uns entschieden, unsere folgendenAnerkennungs- und Akkreditierungskriterien hin-sichtlich der erforderlichen Berufspraxis in An-lehnung an die Standards des American Boardof Examiners in Clinical Social Work (ABE) zudefinieren. Die im Antrag anzuerkennendenberufsethischen Prinzipien stammen von derClinical Social Work Federation (CSWF).

Kriterien

Die Akkreditierung als Klinische/r Sozialarbeiter/-in mit Vergabe eines Zertifikates ZKS können alleBerufspraktiker/-innen erwerben, die folgendeKriterien erfüllen. Die hier dargestellten Anerken-nungskriterien gelten zur Zeit als Übergangsbe-stimmungen.

Fachhochschul-Diplom in Sozialer Arbeit bzw.Sozialpädagogik (oder Diplom in Pädagogikmit dem Studienschwerpunkt Sozialarbeit)

mindestens 5 Jahre und dabei 7500 StundenBerufspraxis; dies entspricht 5 Jahren Tätig-keit im Rahmen einer Vollzeitstelle (bei Teil-zeitarbeit entsprechende Zeitverlängerung)nach dem Hochschulabschluss mit klinisch-sozialen Aufgabenstellungen

Fort- bzw. Weiterbildung in Gesprächsfüh-rung, Beratung, Psycho- oder Soziotherapie ineinem wissenschaftlich fundierten Verfahrenim Umfang von mindestens 500 Unterrichts-stunden. Alternativ können auch mehrere kli-nisch relevante kürzere Fortbildungen bzw.Module als kumulative Bausteine anerkanntwerden

100 Stunden Selbsterfahrung in der Gruppe(wird ggf. als Bestandteil o.g. Weiterbildungvollständig oder anteilig anerkannt)

50 Stunden Supervision (wird ggf. als Be-standteil o.g. Weiterbildung vollständig oderanteilig anerkannt)

Anerkennung der berufsethischen Prinzipiender ZKS

Empfehlung einer/eines Diplom-Sozialpäda-gogin/Sozialpädagogen bzw. Diplom-Sozial-arbeiterin/Sozialarbeiters mit mindestens 5Jahren Berufserfahrung.

Wie kann man die Anerkennung beantragen?

Sie beantragen die Akkreditierung, indem Sieeinen formellen Antrag bei der ZKS stellen, derfolgende Bestandteile umfasst:

Antragsformular der ZKS

beglaubigte Kopie des Hochschulabschlussesbzw. Ausbildungsabschlusses

tabellarischer Lebenslauf

Nachweis über die bisherige Berufspraxis, ori-ginal oder beglaubigt (s. Antragsunterlagen*)

beglaubigte Nachweise über Fort- und Weiter-bildungen (s. Antragsunterlagen*)

Empfehlungsschreiben einer Fachkollegin odereines Fachkollegen (s. Antragsunterlagen*)

polizeiliches Führungszeugnis

*Die dafür erforderlichen Antragsunterlagen ste-hen auf der Homepage der ZKS zum Downloadzur Verfügung: www.klinische-sozialarbeit.de/antragsunterlagen.htm.

Gebühren

Mit dem Einsenden aller Antragsunterlagen bit-ten wir Sie, die Akkreditierungsgebühr von der-zeit Eur 230.- zu überweisen. Diese Prüfgebührschließt sämtliche Bearbeitungskosten ein. Beieiner Nichtanerkennung durch die ZKS wird derBetrag von Eur 153.- zurückerstattet.

Bitte überweisen Sie die Akkreditierungsgebührauf folgendes Konto: ZKS im IPSGVereinigte Coburger Sparkassen BLZ: 783 500 00 Konto Nr. 851 105

Information

Bei weiteren Fragen wenden Sie sich bitte an dieZKS-Geschäftsstelle:

Telefon 0 95 61/427 987 8

Telefax 0 95 61/331 97

Email [email protected]

Homepage www.klinische-sozialarbeit.de

oder direkt an Herrn Cizmadia:

Telefon 0 95 61/42 79 87 8

Email [email protected]

Aktuelles

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch

Professor für Klinische Psychologie an der Uni-versität Basel, Psychoanalytiker (DPG, DGPT); 30Jahre als Klinischer Psychologe an der Psychia-trischen Universitätspoliklinik Basel tätig, jetztPsychotherapeut in privater Praxis.

Email: [email protected]

Prof. Dr. Ulrich Sachsse

Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psycho-analyse, Oberarzt der Fachklinik für Psychiatrieund Psychotherapie am Niedersächsischen Lan-deskrankenhaus Göttingen, Honorarprofessoran der Universität Kassel, Fachbereich Sozial-wesen.

Email: [email protected]

Dr. med. Ulrike Schäfer

Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie, Kinder-und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie ineigener Praxis in Göttingen

Email: [email protected]

Prof. Dr. Dr. Günter Zurhorst

Hochschule Mittweida, Fachbereich Soziale Ar-beit, Berufungsgebiet Gesundheitswissenschaf-ten, Gesundheitsförderung und Prävention.

Email: [email protected]

Zu den AutorInnen dieser Ausgabe

Anerkennung als Fachsozialarbeiter/in für Klinische Sozialarbeit (ZKS)

sychosoziale Behandlung, Therapieund Beratung sind Leitbegriffe einerKlinischen Sozialarbeit, die ihre

Methodenkompetenz theoretisch unterlegtund reflektiert. Francis Turner stellt diesenAspekt in den Vordergrund eines Basis-konzepts von "Psychosozialer Therapie":

"From its earliest days, psychosocial the-rapy has been an open system stronglycommitted to the integration of new ideas.Although its routs are in a psychodynamictradition, it has integrated concepts frommost other theories driving contemporarysocial work practice... Psychosocial theo-rists view practice theories as tools that aredifferentially used in responding to whereand who the client is. Thus, just as itmoved as a theory from a position that vie-wed each social worker as having compe-tence in an single modality, such as case-work or groupwork, it now deems it essen-tial that practitioners not only be multime-thod competent but also multitheoreticalin their orientations." (Turner, 2002:110)

"Psychosoziale Therapie" ist mit Blick aufdie Entwicklung des Clinical Social Work inden USA ein für die Profession identitäts-stiftender, die Person in ihrer Umwelt be-handelnder Ansatz, dessen Konturen erstin der Dialektik von allgemeinen Leitlinienund indikationsspezifischer Methodenan-wendung deutlich werden. Mit dieser Per-spektive wird auch für die Klinische Sozial-arbeit in Deutschland ein Anknüpfen anzeitlich unterschiedlichen Punkten der Pro-fessionalisierung möglich.

In ihrer Abhandlung "Soziale Diagnose"(1926/2004) erörtert Alice Salomon dieFunktion des Helfens in den Formen derUnterstützung des Einzelnen und der Ver-änderung seiner Umwelt. Diesen beidenZielen ordnet sie "zweierlei Behandlungs-weisen, zwei verschiedene Arten desVorgehens" (ebd.: 308) zu. Sie beschreibteinen formal-bürokratischen Ansatz, derdem Klienten die Strukturen des Versor-gungssystems auf der Ebene der Informa-tion und Vermittlung zugänglich macht.Und sie benennt und unterscheidet davoneine Methode, die dem Einzelnen hilft, mitsich und seiner Umwelt besser zurecht zukommen. Die Wirksamkeit dieser Methodebindet sie dabei an die Interaktion Für-sorger-Klient, an die Motivation des Klien-ten, sich im Kontakt zu einem sich auf diespezifische Lebenssituation respektvolleinlassenden Sozialarbeiters zu verändern."Ihr Erfolg hängt von dem Einfluß ab, dendie Persönlichkeit des Wohlfahrtspflegersausübt. Das ist das wesentliche Hilfsmit-tel." (ebd.: 309).

Im Nachgang zur Therapeutisierungs-debatte in der Sozialarbeitsprofessionali-sierung der siebziger und achtziger Jahrezeigt Goldbrunner am Beispiel der "Arbeitmit Problemfamilien" (Goldbrunner, 1989),wie wesentlich die Beachtung der Ver-schränkung psychosozialer Konflikte mitmateriellen Lebensbedingungen bei derSuche nach Lösungswegen ist.

"Eines der Kernprobleme in der Arbeitmit Problemfamilien ist die Aufspaltungder äußeren, materiellen und der inneren,psychischen und interpersonellen Realität,institutionell verankert in der Trennungzwischen Einrichtungen, die Hilfen schwer-punktmäßig anbieten im äußeren Bereich,

z.B. Sozialamt, Institutionen der Sozialar-beit und Einrichtungen, die Hilfen schwer-punktmäßig im psychischen Bereich an-bieten, z.B. Beratungs- und Psychothera-piezentren." (ebd.: 76)

Methodisch schlägt Goldbrunner – mitBezug zu Rauchfleisch - eine Zweigleisig-keit im methodischen Handeln vor, diesowohl die materielle Notlage wie auch dieintra- und interpsychische Problematikberücksichtigt. Demnach verfolgt der So-zialarbeiter gleichzeitig zwei Prozessebe-nen, die zum Teil parallel laufen und zumTeil ineinander übergehen. Dadurch wer-den beide Ebenen über die Beziehung So-zialarbeiter-Klient in ihrer Bedeutsamkeitfür den Klienten bzw. die Familie aner-kannt, auch wenn in der manifesten Arbeitsituationsabhängig eine Ebene den vorran-gigen Fokus bildet.

Das hier aufscheinende Thema der Inte-gration mehrfacher methodischer Kompe-tenzen in einer Person oder ihrer Auftei-lung auf mehrere Funktionsträger stellt ei-nen der Angelpunkte der Thematisierungvon psychosozialer Behandlung, Therapieund Beratung dar.

n zwei Ausschnitten klinisch-sozi-alarbeiterischer Praxis soll in denBeiträgen dieser Zeitschrift die

Thematik der methodischen Kompetenzaufgenommen werden – zum einen bezo-gen auf die Behandlung von Menschen mitschweren psychischen Störungen beieiner gleichzeitig vorhandenen schwieri-gen sozialen Situation, zum anderen bezo-gen auf die komplizierte Lebenssituationvon Borderline-Patienten und ihren Part-nern bzw. Angehörigen. In einem drittenBeitrag wird das Thema der Psychosozia-len Behandlungskompetenz im Hinblickauf die Zulassung von Absolventen vonMasterstudiengängen in Sozialer Arbeitzur Ausbildung in Kinder- und Jugendli-chenpsychotherapie auf eine hochschul-und bundespolitische Ebene gehoben.

In seinem Artikel "PsychoanalytischeSozialarbeit mit dem bifokalen Behand-lungsmodell" stellt Udo Rauchfleisch eineKlientengruppe in den Vordergrund, beider schwere psychische Störungen die All-tagskompetenz deutlich einschränken unddabei entstehende soziale Problemfelderauf die psychische Verfassung destabilisie-rend zurückwirken. Die für den KlinischenSozialarbeiter auftauchende Frage, welcheHilfeform zwischen sozialer Unterstützungund psychotherapeutischer Interventionam ehesten angemessen ist, beantwortetRauchfleisch mit der Entwicklung eines bi-fokalen Behandlungsmodells. Um in dieserschwierigen Arbeit handlungsfähig zu blei-ben, benötigt der Sozialarbeiter entspre-chende psychoanalytische Kentnisse undFertigkeiten, die ihm eine Beweglichkeit inder Beziehung zum Klienten durch Erken-nen der Übertragungs- und Gegenüber-tragungsdynamiken ermöglichen. Dabei ister gehalten, gleichwertig an beiden Pro-blembereichen - sozialer Realität und psy-chischer Dynamik - zu arbeiten. DiesemModell sozialarbeiterischer Kompetenzwäre bereits in der Ausbildung bezogenauf die Vermittlung psychodynamischerTheorie wie auch durch entsprechendeSelbsterfahrung Rechnung zu tragen.

Ulrike Schäfer und Ulrich Sachsse ver-deutlichen in ihrem Beitrag "Selbsthilfe,Therapieformen und Umgangsmöglich-keiten für Angehörige bei der Borderline-Störung" die gesamte Spannbreite vonkrankheitsbildspezifischem Wissen, wie esals state of the art für die Vermittlung anPatienten und Angehörige zur Verfügungsteht und die Grundlage für psychothera-peutische Interventionen bildet. Sie zeigenauf, welche Erschwernisse die Partner-schafts- und Angehörigenbeziehungen zuBorderline-Patienten prägen, welche Op-tionen der (psycho-)therapeutischen Be-handlung auf der Patientenseite, welcheüberlebenswichtigen Einstellungs- undVerhaltensnotwendigkeiten auf der Ange-hörigenseite und welche Interaktions-regeln für beide Seiten ein besseres Mit-einander ermöglichen können.

Die Diskussion um die Zulassung derSozialberufe zur Ausbildung in Kinder- undJugendlichenpsychotherapie stellt ein ak-tuelles Szenario dar, an dem sich die Be-sonderheit der Basisqualifikation "KlinischeSozialarbeit" besonders gut herausstellenlässt. Als ein Ergebnis der von der Deut-schen Gesellschaft für Sozialarbeit e.V. ini-tiierten "Arbeitsgemeinschaft zur Zulas-sung von Sozialberufen in Kinder- undJugendlichenpsychotherapie" (AZA-KJP)fasst Günter Zurhorst in Form einer Sy-nopse die Folgen des Bologna-Prozessesfür die Zulassungsfrage sowie die ausSicht der Klinischen Sozialarbeit wün-schenswerten Konsequenzen zusammen.Der Text wird ergänzt durch die von derAZA-KJP beschlossenen "Mindeststan-dards für ein klinisch-pädagogisch-sozial-arbeiterisches Profil von Masterstudien-gängen (MA) in Sozialer Arbeit und Heil-pädagogik".

Das oben aufgeworfene Thema der Inte-gration unterschiedlicher theoretischerund praktischer Wissensbestände in einerPerson lässt sich für die Klinische Sozial-arbeit auf zwei Ebenen beantworten. Diepsychosoziale Behandlungskompetenz imSinne von Bifokalität oder Zweigleisigkeitist für alle direct-practice-Bereiche von Kli-nischer Sozialarbeit zwingend. Ihre metho-dische Ausrichtung und Tiefung jedochbewegt sich in einem triangulären Kon-strukt zwischen den Eckpunkten Sozial-therapie, Beratung und Psychotherapie –unter dem Dach der Klinischen Sozial-arbeit.

Für die Redaktion:

Uwe Klein

LiteraturGoldbrunner, H. (1989). Arbeit mit Problemfamilien.Systemische Perspektiven für Familientherapie undSozialarbeit. Mainz: Grünewald.Salomon, A. (1926/2004). Soziale Diagnose. In A. Sa-lomon, Frauenemanzipation und soziale Verantwor-tung. Schriften. Bd. 3: 1919-1948 (S. 255-314), Neu-wied: Luchterhand 2004. (Original 1926)Turner, F. (2002). Psychosocial Therapy. In A.R.Roberts & G.J. Greene (eds.) (2002), Social Workers'Desk Reference (pp. 109-112), Oxford/New York:Oxford University Press.Woods, M.E. & Hollis, F. (2000). Casework. A Psycho-social Therapy. Boston: McGraw-Hill.

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Einleitung

In vielen sozialen, psychiatrischen undpsychologischen Institutionen und Pra-xen haben wir Menschen vor uns, die mitgroßen sozialen Schwierigkeiten kämp-fen und zugleich schwere psychischeStörungen aufweisen. Damit sind nichtursprünglich gesunde Persönlichkeitengemeint, die beispielsweise aufgrundvon Langzeitarbeitslosigkeit sekundärpsychisch erkranken. Es geht im Fol-genden vielmehr um die – zahlenmässigkeineswegs kleine – Gruppe von Klien-tinnen und Klienten, die bereits primärerhebliche Störungen aufweisen undsich, dadurch bedingt, in vielfältige sozia-le Schwierigkeiten verstricken. Das Cha-rakteristische bei ihnen ist, dass es imVerlauf der Jahre zu einer unheilvollenVerquickung zwischen psychischen undsozialen Problemen und zu einer zuneh-menden Eskalation beider Störungs-bereiche kommt.

Es sind Menschen, die uns Professio-nelle vor große Schwierigkeiten stellen,da es bei den betreuerischen und thera-peutischen Interventionen unmöglich ist,nur eine der beiden Dimensionen, die

soziale oder die psychische, zu beachten.Es gilt vielmehr, beide Bereiche zuberücksichtigen. Dies ist jedoch einVorgehen, das in den gängigen Aus-bildungen im Allgemeinen nicht vermit-telt wird. Die Konsequenz ist, dass Men-schen mit schweren psychischen Störun-gen und sozialen Problemen bei derSuche nach Hilfe oft „zwischen Stuhl undBank“ fallen. Das heißt: Die Vertreterin-nen und Vertreter der Sozialarbeit sindder Ansicht, diese Klientinnen und Klien-ten bedürften zunächst einer intensivenPsychotherapie, bevor sie von den Ange-boten der Sozialarbeit profitieren könn-ten, während die Psychotherapeutinnenund -therapeuten meinen, das Wichtigstesei die sozialarbeiterische Betreuung.Wenn eine Psychotherapie überhauptinfrage komme (was bei diesen Klientenvon therapeutischer Seite oft bezweifeltwird), habe diese erst einen Sinn, wenndie sozialen Probleme geklärt seien.

Um diesen Klientinnen und Klientengerecht zu werden, bedarf es eines modi-fizierten Vorgehens, das beiden Stö-rungsbereichen, der sozialen und derpsychischen Dimension, Rechnung trägt.Das von mir entwickelt bifokale Behand-lungsmodell (Rauchfleisch, 1996, 1999)versucht diese Forderung zu erfüllen.

Das bifokaleBehandlungsmodell

Wie dargestellt, sehen wir uns bei Men-schen mit schweren Persönlichkeitsstö-rungen (z.B. solchen vom Borderline-Typ)und massiven sozialen Problemen derSchwierigkeit gegenüber, dass wir ihnennicht gerecht werden, wenn wir in derBegleitung und Behandlung unser Au-genmerk jeweils nur auf einen dieser Stö-rungsbereiche richten. Die beiden Stö-rungsanteile gehen im Verlauf der Zeiteine so enge Legierung miteinander ein,dass es schließlich nicht mehr möglichist, sie unabhängig voneinander zu be-trachten und anzugehen. Es gilt vielmehr,beiden Bereichen gleichermaßen Beach-tung zu schenken und an ihnen zu arbei-ten.

Dieses Ziel sucht das bifokale Behand-lungskonzept zu erreichen, indem dasAugenmerk gleichermaßen auf die Arbeitan den sozialen Problemen und an denpsychischen Störungen gerichtet ist. Fürdie Professionellen aus dem Bereich derSozialarbeit bedeutet dies, dass sie denKlientinnen und Klienten nicht nur bei derLösung ihrer sozialen Probleme behilflichsind, sondern zugleich an den psychi-schen Problemen arbeiten.

Das heißt: sie müssen die Psychodyna-mik und die persönlichkeitsstrukturellenBesonderheiten ihrer Klienten berück-sichtigen und auf die Übertragungs-Gegenübertragungsdispositionen achtenund immer dort, wo sie auf die unheilvol-le Kontamination von sozialen und psy-chischen Problemen stoßen, den psycho-dynamischen Hintergrund bearbeiten,weil die Klientinnen und Klienten sonstnicht von den Angeboten der Sozialarbeitprofitieren können. Auf Einzelheiten die-ses Interventionsansatzes werde ichunter Punkt 3 eingehen.

Umgekehrt folgt aus dem Konzept desbifokalen Vorgehens, dass die Psycho-therapeutinnen und -therapeuten sichnicht auf die traditionelle Psychotherapiebeschränken können, sondern die sozialeDimension immer mitdenken und mitun-ter die sozialen Probleme auch direkt inihre Behandlung einbeziehen müssen.

Die Aktivität der Professionellen imsozialen Leben dieser Klientinnen undKlienten kann ganz verschiedene Berei-che betreffen: Kontakte und Konflikte mitArbeitgebern und Ämtern, gemeinsameSitzungen mit Betreuerinnen und Betreu-ern anderer Berufsgruppen, Einbezugvon Angehörigen, bis hin zur Hilfe bei derArbeits- und Wohnungssuche und beiSchuldensanierungen.

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An dieser Stelle der Überlegungenkönnte man einwenden, es sei dochgünstiger, wenn die sozialen und psycho-therapeutischen Aufgaben von zwei ver-schiedenen Personen mit je Spezialaus-bildung in Sozialarbeit und Psychothera-pie übernommen würden. Es sei zumeinen eine Überforderung für die Profes-sionellen, wenn sie beide Bereiche abde-cken sollten, und zum anderen bestehedie Gefahr, dass ein Bereich nur dilettan-tisch betreut werde.

Gewiss kann es von Vorteil sein, wennin die Begleitung und Behandlung vonMenschen in sozialen NotsituationenFachleute der verschiedenen Disziplineninvolviert sind und sie je ihre spezifischenberuflichen Kompetenzen einbringen.Eine solche Aufteilung der Aktivitätenmacht nach meiner Erfahrung jedoch nurdort Sinn – und kann sich nur dort kon-struktiv für die Klientinnen und Klientenauswirken –, wo ein therapeutisch orien-tiertes Team besteht, das die verschiede-nen Störungsanteile der Klientinnen undKlienten zu integrieren vermag.

Dies setzt ein gut ausgebildetes, vomgleichen Behandlungskonzept ausgehen-des Team voraus, das zudem in einemgemeinsamen Supervisionsprozess dieMöglichkeit hat, die divergierenden An-teile der Klienten zusammen zu bringen.

Dies sind jedoch Bedingungen, die wirbei ambulanten Betreuungen praktischnie antreffen. Und selbst in Institutionengestaltet sich die integrative Zusammen-arbeit von Mitgliedern der verschiedenenBerufsgruppen oft nicht in der Art, wiegerade die hier erwähnten Klientinnenund Klienten sie benötigen.

Gelingt es aber nicht, die verschiede-nen Störungsanteile im Teamprozess zuintegrieren, so besteht die Gefahr, dassSpaltungen unbearbeitet bleiben oder garnoch zementiert werden, indem die ver-schiedenen, am therapeutischen Prozessbeteiligten Professionellen nebenein-ander her oder gegeneinander arbeiten.

Aus den genannten Gründen ist es beiBegleitungen von Menschen mit schwe-ren Persönlichkeitsstörungen und erheb-lichen sozialen Schwierigkeiten im Sinnedes bifokalen Behandlungskonzepts an-gezeigt, die soziale und psychische Pro-blematik gleichermaßen im Auge zubehalten und an beiden Störungsanteilenzu arbeiten.

Anwendung des bifokalenBehandlungskonzepts inspezifischen Situationen

Indikatoren für eine verstärkteBeachtung beider Störungsanteile Wie ausgeführt, ist es bei der Arbeit mitKlientinnen und Klienten der hier be-schriebenen Art vor allem wichtig, stetsbeide Dimensionen, die soziale wie diepsychodynamische, im Auge zu behal-ten. Je nach aktuellem Stand der Behand-lung, nach der vorherrschenden Übertra-

gungsdynamik und nach den im Momentim Vordergrund stehenden Zielen wer-den wir einmal den sozialen Bereich ver-stärkt ansprechen und an den dort beste-henden Problemen arbeiten, ein anderesMal hingegen den psychischen Proble-men unsere besondere Aufmerksamkeitschenken. Dies darf aber nicht heißen,den jeweils anderen Bereich zu verges-sen. Er muss vielmehr immer mit gedachtwerden, auch wenn er im Augenblicknicht direkt angesprochen wird.

Die psychische Dimension besitzt vorallem dann Priorität, wenn spürbar wird,dass die Klientinnen und Klienten vonden sozialen Angeboten keinen Ge-brauch machen können, resp. wenn sichzeigt, dass sie die mit ihnen erarbeitetenStrategien nicht umsetzen. In solchenSituationen gilt es, mit ihnen herauszuar-beiten, welche psychodynamischenGründe es ihnen unmöglich machen, dieihnen gebotene Hilfe anzunehmen unddie weiteren, für die soziale Integrationnötigen Schritte zu tun. Es wäre unzurei-chend, hier nur an die mangelnde Übungzu denken, sondern es erscheint mirwichtig, auch die Wirkung unbewussterKräfte (Abwehr, Widerstand, Übertra-gungsdispositionen etc.) zu berücksichti-gen. Spätestens in Situationen, in denenwir als Professionelle den Eindruckgewinnen, es „harze“ in der Umsetzungdes bisher Erarbeiteten, sollten wir unserAugenmerk verstärkt auf die psychody-namischen Faktoren richten und dieseaufzuspüren versuchen und klären. Erstdadurch wird für die Klientinnen undKlienten der Weg wieder frei, sich denAufgaben zuzuwenden, die im sozialenBereich zu erfüllen sind.

Gründe für den Vorrang der Arbeitan den sozialen Problemen

Ein erster Grund dafür, dass, unabhängigdavon, welcher Berufsgruppe wir ange-hören, in der Behandlung und Begleitungvon Menschen mit schweren Persönlich-keitsstörungen und gravierenden sozia-len Problemen vor allem die Arbeit an dersozialen Dimension – zumindest zuBeginn, aber auch immer wieder imVerlauf der Begleitung – im Vordergrundsteht, liegt darin, dass die Probleme indiesem Bereich besonders drängendsind und die psychischen Schwierigkei-ten durch die oft desolate soziale Situa-tion noch verschärft werden. Die sozialeDimension ist bei ihnen aufs engste mitihrer psychischen Dynamik verwobenund beide Störungsanteile üben wechsel-seitig großen Einfluss aufeinander aus.Wir würden zudem die Brisanz der sozia-len Dimension unterschätzen, wenn wiruns in erster Linie den psychischenProblemen zuwendeten und die sozialenAspekte außer Acht ließen.

Außerdem ist zu bedenken, dass diepsychische Stabilität dieser Klientinnenund Klienten durch die brisanten sozialen

Probleme weiter unterhöhlt wird unddurch die enge Legierung der beidenStörungsbereiche die psychische Erkran-kung eskaliert, wenn den sozialenSchwierigkeiten nicht vorrangig Beach-tung geschenkt wird. In der Genese derPersönlichkeitsstörung haben vielfachdesolate soziale Verhältnisse in der Her-kunftsfamilie eine zentrale Rolle gespielt,die Störung wird durch die sozialen Pro-bleme verschärft, und die Prognose wirdwesentlich dadurch bestimmt, ob es ge-lingt, neben der psychischen auch einesoziale Stabilisierung zu erzielen. Dabeiist zu bedenken, dass Veränderungen inden sozialen Kompetenzen nicht nur po-sitive Auswirkungen auf das Befinden ha-ben, sondern selbst Ausdruck von Ände-rungen im psychischen Bereich sind.

Schließlich ist bei diesen Klientinnenund Klienten zu berücksichtigen, dass sieeiner traditionellen Psychotherapie oftnicht zugänglich sind, was aber keines-wegs heißt, dass derartige Interventionenbei ihnen nicht möglich wären und siedavon nicht profitieren würden. Aufgrundihrer bisherigen Lebenserfahrungen be-stehen bei ihnen jedoch etliche Hinde-rungsgründe, sich auf therapeutische An-gebote traditioneller Art ohne Weitereseinzulassen (s. Rauchfleisch, 1996, 1999):neben einer großen Ambivalenz gegen-über intensiven Beziehungen bestehenoft ausgeprägte Ängste, dass in der psy-chotherapeutischen Beziehung aggressi-ve, aus frühen Versagungen und psy-chischen Verletzungen herrührende Im-pulse aufbrechen könnten. Diese Men-schen stehen unter der Angst, dass in derBeziehung zu Professionellen die Wun-den früherer traumatisch erlebter Bezie-hungserfahrungen wieder aufgerissenwerden, und aufgrund ihrer Selbst-wertprobleme empfinden viele dieserKlientinnen und Klienten das Behand-lungs- und Betreuungsangebot als emp-findliche narzisstische Kränkung. Diessind nur einige der Gründe, die dazu füh-ren, dass die hier dargestellten Klientin-nen und Klienten häufig keine Motivationim traditionellen Sinne für unsere psy-chotherapeutischen Angebote aufbrin-gen können.

Es kommt in diesem Fall darauf an,dass wir ihnen Bedingungen bieten,unter denen sie sich auf eine Beziehungzu uns einlassen können. Ein guter – weilam wenigsten Angst auslösender – „Ein-stieg“ in die Beziehung zu uns Professio-nellen ist im Sinne des bifokalen Behand-lungskonzepts der über die Fokussierungauf die sozialen Probleme unter Berück-sichtigung der Psychodynamik. DiesesVorgehen beunruhigt die Klientinnen undKlienten am wenigsten und bietet ihnenHilfe vor allem dort, wo ihre derzeitigenHauptprobleme liegen, die sie bewusstauch als solche wahrnehmen. Erst imVerlaufe der Zeit lassen sich dann auchdie psychischen Probleme ansprechen.

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Beachtung der Beziehungsdynamikin Gestalt von Übertragung undGegenübertragung im Rahmen desbifokalen Behandlungskonzepts

Im Rahmen der psychoanalytischenTheorie beachten wir in besondererWeise die Übertragungs- und Gegen-übertragungsprozesse – Phänomene, diesich in der Interaktion zwischen Klientenund Behandelnden entfalten (Rauch-fleisch, 2001).

Das Übertragungskonzept besagt, dassdie Interaktion der Klientinnen undKlienten mit uns zu einem mehr oderweniger großen Teil durch ihre Bezie-hungserfahrungen der Vergangenheitgeprägt sind. Sie tragen in unsere Bezie-hung etwas hinein, das nicht der Gegen-wart und der äußeren Realität entspricht,sondern aus unbewussten Quellen ge-speist wird und letztlich Wahrnehmungs-verzerrungen darstellen. Es gilt, dieseÜbertragungsdynamik zu beachten undzu bearbeiten, weil sie sich häufig ausge-sprochen störend auf die Interaktionenauswirkt, die die Klientinnen und Klientenzu uns wie auch zu anderen Menschenunterhalten. Am Ursprung vieler sozialerKonflikte stehen aus der Übertragungherrührende Probleme. Und immer wie-der zeigt sich, dass diese Klienten dieHilfe, die ihnen beispielsweise im Rah-men sozialpädagogischer Interventionengeboten wird, aufgrund von Übertra-gungsdispositionen nicht annehmen bzw.nicht umsetzen können. Dies geschiehtbeispielsweise, indem die Professionel-len per Übertragung als versagende El-ternfiguren empfunden werden oderindem an sie die Forderung gerichtetwird, sie müssten – im Gegensatz zu denrealen Eltern – die unablässig gebenden,alle bisherigen Mangelerfahrungen wett-machenden „guten“ Eltern sein. SolcheÜbertragungsdispositionen führen zuerheblichen Problemen in der Sozialbera-tung und Betreuung, da die Klientinnenund Klienten die ihnen gebotene Hilfenicht realitätsgerecht verstehen und an-nehmen können, sondern das Handelnder Professionellen gleichsam durch die„Brille“ ihrer Übertragung nur verzerrtwahrnehmen und interpretieren. Unterder Gegenübertragung verstehen wirheute das Gesamt der Reaktionen derBehandelnden auf die Klientinnen undKlienten, d.h. die emotionalen und imHandlungsbereich sich zeigenden Reak-tionen ebenso wie die bei den Professio-nellen auftauchenden Phantasien. DieGegenübertragung erweist sich in diag-nostischer wie in therapeutischer Hin-sicht als äußerst wichtig, da sie uns Hin-weise auf die vorherrschende Psychody-namik der Klientinnen und Klienten liefertund uns hellhörig für Probleme macht,die aus der Übertragung herrühren.

So nehmen wir in der Gegenübertra-gung beispielsweise Ärger und aggres-

sive Impulse bei uns wahr, wenn unsereprofessionellen Angebote bei den Klien-ten immer wieder wie im Nichts „verpuf-fen“, unsere Aktivitäten entwertet werdenoder wir von den Klienten per Übertra-gung als uneinfühlsame, sie letztlichschädigende Elternfiguren wahrgenom-men werden. In diesen Fällen weist unsunsere Gegenübertragung auf den ag-gressiven Affekt der Klienten hin, dendiese aber nicht offen äußern, sondernden wir zum einen stellvertretend für siewahrnehmen und den wir zum anderenin unserer Reaktion auf ihr Verhalten inuns spüren. Eine solche Beziehungs-dynamik lässt uns erkennen, dass es indiesem Falle nicht ausreicht, an der sozia-len Dimension zu arbeiten, sondern dasses parallel dazu der Bearbeitung derunbewussten Impulse bedarf, die sich inÜbertragung und Gegenübertragung zei-gen.

Anklammerndes Verhalten und unangemessene Erwartungen an dieProfessionellen

Ich habe bei der Diskussion der Übertra-gung bereits darauf hingewiesen, dassunsere professionellen Angebote vonden Klientinnen und Klienten einerseitsmitunter vehement abgelehnt werdenund wir bei ihnen häufig nicht von einerBehandlungs- und Betreuungsmotivationim traditionellen Sinne ausgehen dürfen.Andererseits finden wir bei ihnen aberauch eine Übertragungsdynamik, bei derwir in die Rolle von unendlich gebenden,alle früheren Versagungen wettmachen-den Elternfiguren gedrängt werden.

Diese Dynamik wird bei einigen dieserKlienten von Anfang an sichtbar, beianderen entwickelt sie sich im Verlauf derBegleitung. Es ist eine Beziehungsform,die sich durch ein ausgesprochen an-klammerndes Verhalten und völlig unan-gemessene Erwartungen an die Profes-sionellen auszeichnet.

Die Klientinnen und Klienten über-schwemmen uns geradezu mit Wün-schen der verschiedensten Art: Wir sol-len die finanziellen, die Wohn- undArbeitsprobleme für sie lösen, sollenihnen Schutz vor staatlichen und privaten„Feinden“ bieten (d.h. vor Menschen, diedie Klienten als ihnen „böse“ gesinnt erle-ben oder die in irgendeiner Weise ihnengegenüber kritisch sind und ihnenEinschränkungen abverlangen), und wirsollen ihnen letztlich alle Lebensschwie-rigkeiten aus dem Weg räumen (und unsdamit unter Einfluss der Übertragung imErleben der Klienten als „gute Eltern“erweisen).

Es ist klar, dass wir diese überhöhtenAnsprüche nie erfüllen können. Hinzukommt, dass es für die Klientinnen undKlienten auf einer tieferen Ebene letztlichauch nicht (nur) um die konkrete Hilfegeht, sondern dass sich in diesen An-sprüchen ein aus der Frühzeit ihrer Ent-

wicklung herrührender oral-aggressiverKernkonflikt (Rauchfleisch, 1999) artiku-liert, der sich in ihrem Erleben in einemsie permanent beherrschenden Gefühldes Zukurzgekommen-Seins manifes-tiert. Dieser Konflikt wird noch dadurchverschärft, dass die aktuellen Einschrän-kungen und Versagungen, denen dieseKlientinnen und Klienten heute in ihremsozialen Leben ausgesetzt sind, vor demHintergrund der in der Kindheit erlittenenMangelerfahrungen emotionaler Art eineungleich größere Belastung für sie dar-stellen als für andere Menschen, die sichin einer ähnlichen sozialen Situation be-finden.

In Anbetracht dieser psychodynami-schen Konstellation ist die sich allein aufdie psychische oder allein auf die sozialeDimension ausrichtende Arbeit bei die-sen Klientinnen und Klienten gleicherma-ßen unzureichend. Die soziale Dimensionist zwar von zentraler Bedeutung. Wirdaber die psychische Dynamik nicht be-achtet und in die Behandlung einbezo-gen, so bleibt das fast verzweifelte In-sistieren auf sofortige Befriedigung der –von außen her gesehen: inadäquaten –Wünsche völlig unverständlich und führtauf Seiten der Professionellen unter Um-ständen zu einem ähnlich unerbittlichenInsistieren auf der Forderung nach Ein-schränkung und Maßhalten. Dadurchkann es in der Beziehung zwischen Pro-fessionellen und Klienten zu einer Patt-situation kommen, die in diesen Fällenüber kurz oder lang von der einen oderanderen Seite her zum Abbruch der Be-ziehung führt.

Im Sinne des bifokalen Behandlungs-konzepts bedarf es in diesen Situationender Arbeit an beiden Problembereichen,an der sozialen Realität mit ihren (geradebei diesen Klientinnen und Klienten tat-sächlich oft ganz erheblichen) Einschrän-kungen und Versagungen und zugleich ander psychischen Dynamik, die aufgrundder negativen frühkindlichen Beziehungs-erfahrungen durch eine oral-aggressiveHaltung charakterisiert ist und bei diesenMenschen dazu geführt hat, dass sie sichin geradezu gieriger Weise „einzuverlei-ben“ und anzueignen versuchen, wasauch immer sich ihnen bietet, Drogen,Alkohol, Geld, menschliche Zuwendung.

Es besteht bei ihnen ein fundamentaler„Hunger“ existenziellen Ausmaßes, dersich selbstverständlich nicht durch mate-rielle Dinge und professionelle Hilfe stil-len lässt, was den seelischen Schmerzsolcher Menschen umso größer machtund sie dazu treibt, immer unerbittlicherauf die sofortige Befriedigung ihrer Wün-sche zu bestehen. Da sie zugleich aberspüren, dass sie letztlich doch leer zurückbleiben, entsteht ein verhängnisvollerTeufelskreis aus Ansprüchen, die von derUmwelt nicht erfüllt werden können undwegen ihrer Unangemessenheit im Allge-meinen auch von den Professionellen de-

zidiert zurückgewiesen werden, und Ent-täuschungen über die Nichterfüllung derWünsche, worauf wiederum ein verstärk-tes Drängen auf deren Erfüllung folgt.

Für den professionellen Umgang mitsolchen Klientinnen und Klienten ergibtsich daraus die Konsequenz, dass wirProfessionellen einerseits Vertreterinnenund Vertreter der sozialen Realität seinmüssen und durch Arbeit an den Ich-Funktionen ihre Realitätswahrnehmungund Konfliktlösungsstrategien verbes-sern. Andererseits müssen wir mit ihnenaber auch die seelische Dynamik klärenund ihnen dabei behilflich sein, sich mitder Trauer darüber auseinander zu set-zen, dass die in der Kindheit erlittenenVerluste und Versagungen im Erwachse-nenalter nicht ungeschehen und wieder„gut“ gemacht werden können.

Schlussfolgerungen

Aus den Ausführungen ergeben sich eini-ge für die Ausbildung in Sozialarbeit undPsychotherapie bedeutsame Konsequen-

zen. Es erscheint mir unumgänglich, dassin den Ausbildungsgängen beider Diszi-plinen die wichtigsten Grundlagen des jeanderen Faches mit berücksichtigt wer-den. Konkret heißt das: In der Ausbildungder Sozialarbeiterinnen und Sozialarbei-ter müssen die wichtigsten Aspekte derpsychodynamischen Theorie und eingewisser Anteil an Selbsterfahrung ent-halten sein, so dass die Kompetenzerlangt wird, psychodynamische Prozes-se zu erfassen und darauf angemessen –d.h. unter Berücksichtigung von Übertra-gung und Gegenübertragung – zu reagie-ren. In die Ausbildungsgänge der Psy-chotherapeutinnen und -therapeutenmüssen umgekehrt wichtige Aspekte dersozialarbeiterischen Tätigkeit integriertwerden, so dass in der Behandlung derhier geschilderten Klientinnen und Klien-ten die soziale Dimension immer mitge-dacht, zum Teil aber auch direkt in diePsychotherapie einbezogen wird. Diesbedeutet nicht, dass Sozialarbeiterinnenund Sozialarbeiter „Schmalspurthera-peuten“ und Psychotherapeutinnen und

-therapeuten „Hobbysozialarbeiter“ wür-den. Es heißt aber, sich je einige für denprofessionellen Umgang mit Klientinnenund Klienten der hier geschilderten Artnötige Kompetenzen anzueignen, umdann von beiden Disziplinen her mit dembifokalen Behandlungskonzept arbeitenzu können. Eine solche Ausweitung in derAusbildung hätte auch den Effekt, dassdie interdisziplinäre Zusammenarbeitzwischen Psychotherapie und Sozial-arbeit besser gelänge und mehr gegen-seitiges Verständnis entstünde.

Literatur

Rauchfleisch, U. (1996): Menschen in psychosozialerNot. Beratung, Betreuung, Psychotherapie. Göttin-gen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Rauchfleisch, U. (1999): Außenseiter der Gesell-schaft. Psychodynaik und Möglichkeiten zur Psycho-therapie Straffälliger. Göttingen: Vandenhoeck &Ruprecht.

Rauchfleisch, U. (2001): Arbeit im psychosozialenFeld. Beratung, Begleitung, Psychotherapie, Seel-sorge. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. (UTB -Universitätstaschenbücher. 2272.)

ufklärung, Information, Vermitt-lung, emotionale Unterstützungund Entlastung zur Verarbeitung

einer Erkrankung sind unabdingbareVoraussetzungen, um eine längerfristigeCompliance zu erzielen und damitTherapieerfolge zu ermöglichen. Geradebei chronischen oder langjährigen Er-krankungen bzw. Störungsbildern hat diePsychoedukation einen hohen Stellen-wert bekommen. Eine Möglichkeit zurInformationsvermittlung und Aufklärungsind Patienten- und Angehörigenrat-geber. Sie können eine Hilfe sein, Ver-ständnis für die Erkrankung zu bekom-men, zur Akzeptanz und Verarbeitung derErkrankung beizutragen sowie zu einemErlernen von verantwortungsvollem Um-gang mit der Erkrankung zu führen. Ne-ben sachlicher Aufklärung und Informa-tionen sind Aspekte der emotionalen Un-terstützung und Entlastung von Bedeu-tung. Sie dienen zur Förderung der Hand-lungskompetenz und der Eigenverant-wortlichkeit. Sie können motivationsför-dernd für die Durchführung einer spezifi-schen Therapie sein. Selbstverständlichsind sie kein Ersatz für eine Therapie.Aber wie bei körperlichen Erkrankungengilt auch bei psychischen Störungen,dass ein informierter Patient und ein auf-geklärter Angehöriger Therapieangebote

besser nutzen und Heilungskräfte bessermobilisieren und ausschöpfen können.Insbesondere ist der Einbezug von Ange-hörigen, die bei Borderline-Störungenvor immense Herausforderungen gestelltsind, notwendig, damit sie die Reaktions-weisen und Symptome der Borderline-Betroffenen verstehen und Möglichkeitenerkennen, wie sie mit dem Borderline-Patienten umgehen können, ohne dasssie Gefahr laufen, als „Co-Therapeut“ zuagieren oder gar selber psychisch zu de-kompensieren.

Das Lesen von Ratgebern ist abhängigvon persönlichen Voraussetzungen desPatienten und seiner Angehörigen, wiebeispielsweise der Motivation, der Intelli-genz, der Lesegewohnheiten bzw. -bereit-schaften sowie der Lesefertigkeiten und-fähigkeiten.

Die Information und Aufklärung betrifftzum einen das Verständnis der unter-schiedlichen Symptome, wie beispiels-weise Stimmungsschwankungen, Wut,Aggressionen, Ängste, Gefühl der Leere,Schwarz-Weiß-Denken, Selbstverletzun-gen, Suizidideen, Suizidversuche, Alko-holexzesse, Drogenmissbrauch, Essstö-rungen, Erschöpfungszeichen und De-pressionen. Auf mögliche Fehldiagnosen,wie Depressionen, Angststörungen, Pa-nikstörungen, Bulimia Nervosa, Medi-

kamentenabhängigkeit, Somatisierungs-störungen und bipolare Störungen isthinzuweisen.

Die auffälligsten Verhaltensmuster beiBorderline-Patienten resultieren aus einerStörung der Gefühlsregulation (Affektre-gulation), einem erhöhten Erregungs-niveau mit verzögerter Rückbildung derGefühle auf das emotionale Ausgangs-niveau. Im zwischenmenschlichen Be-reich ist die Ausbalancierung von Näheund Distanz für Patienten und Ange-hörige zugleich oft ein „Eiertanz“. Bei denBorderline-Patienten kommt es einerseitszur ausgeprägten Angst vor dem Allein-sein mit entsprechenden Verlassenheits-ängsten, andererseits führt Nähe undGeborgenheit häufig ebenfalls zur Angst,Schuld oder Scham. Spannungszustän-de, Körperwahrnehmungsstörungen mitSchmerzunempfindlichkeit und dissozia-tiven Phänomenen, selbstschädigendesVerhalten, psychoseähnliche Symptome,impulsives Verhalten mit aggressivenDurchbrüchen, Schlafstörungen mit Alb-träumen und Alkohol- und/oder Drogen-missbrauch sowie Essstörungen ergän-zen die Vielfalt der verschiedenen Symp-tome. Im Zentrum der Borderline-Stö-rung steht die Angst bzw. eine unzurei-chende Angstbewältigungsmöglichkeit.

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Ulrich Sachsse

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Angst vor dem Alleinsein, Angst verlas-sen zu werden, Angst vor Selbstverlust,Angst vor Nähe und Angst vor Kontroll-verlust sind wesentliche Themen. Disso-ziative Symptome wie Depersonalisationund Derealisation finden sich meist beiBorderline-Patienten, die ein schweresKindheitstrauma hatten. Oft kommt es beidiesen Patienten zu selbstverletzendemVerhalten; meist wird das selbstverlet-zende Verhalten eingesetzt, um Zuständeder Dissoziation zu beenden. Neben deneigentlichen Selbstverletzungen, wieSchneiden, Ritzen oder Verbrennungen,sind selbstschädigendes Verhalten wieKaufrausch, Diebstähle, riskante Sexua-lität, extremes Risikoverhalten (z.B. U-Bahnsurfen) und exzessiver Alkoholkon-sum oder Rauchen zu nennen.

Die bei Borderline-Patienten häufigstenAbwehmechanismen wie Spaltung undprojektive Identifizierung dienen in ersterLinie der Angstabwehr. Weitere Mecha-nismen sind die der Idealisierung undVerleugnung. Aufklärung und Vermittlungeines für den Patienten und Angehörigenverständlichen Modells über diese intra-psychischen Prozesse sowie über mögli-che Ursachen und Entstehungsbedingun-gen tragen zum besseren Verständnis bei.Insbesondere die Vermittlung eines multi-faktoriellen Bedingungsgefüges kann zurEntlastung führen. Neben biologischerVeranlagung (Genetik, Neurobiologie,Neurochemie) sind Umweltbedingungen(Traumaerfahrungen, Stressfaktoren) zunennen. Konstitutionelle Faktoren wieeine erhöhte Empfindsamkeit gegenüberReizen, verminderte Regulation der Emo-tion und herabgesetzte Steuerungsfähig-keit der Impulse haben einen zentralenStellenwert. Neurobiologische, neuro-chemische und genetische Untersuchun-gen weisen auf Störungen des Neuro-transmitterstoffwechsels hin.

Für den Borderline-Patienten ist dasErlernen von Umgangsmöglichkeiten mitseinen unterschiedlichen und vielfältigenSymptomen wichtig. Zunächst sollte erangehalten werden, eine Problemanalyse(Verhaltensanalyse) durchzuführen, umeigene Anteile zu erkennen und sich seineigenes Verhalten bewusst zu machen. Inproblematischen Verhaltenssituationensollte eine Bedingungsanalyse durchge-führt werden, eine Sensibilisierung ge-genüber auslösenden Faktoren. Das Er-kennen von positiven bzw. negativenFolgen sowie die Entwicklung alternativerVerhaltensweisen und Handlungen sindanhand von Beispielen vorzunehmen,wobei in einem Ratgeber natürlich keineindividuellen Lösungsmöglichkeiten erar-beitet werden können. Das Erarbeitenvon Zielen, wie beispielsweise „ich willdas Alleinsein aushalten lernen“, „ich willdie Impulse beherrschen können“ oder„ich will Ambivalenz ertragen und nutzenkönnen“ treffen die Kernproblematik derBorderline-Patienten. Das Erlernen des

Umgangs mit Suizidalität und Vermei-dung von selbstverletzendem Verhaltensetzen ebenfalls eine genaue Situations-analyse und ein Aufzeigen alternativerHandlungsweisen voraus. Das Erlernendes Umgangs mit den Gefühlen wirddurch Übungen zur inneren Achtsamkeitsowie Ressourcenorientierung für positi-ve Gefühle zu ermöglichen versucht. Hierist das Bewusstmachen und Erkennenautomatisch ablaufender Gedanken undGefühle ebenfalls von Bedeutung.

Auch bei Problemen der Impulssteue-rung sollte der Patient angehalten wer-den, eine Situationsanalyse durchzufüh-ren, um für sich die erhöhte Bereitschaftzur Impulsivität auf bestimmte Umge-bungsreize zu eruieren. Häufig führenStress- oder Überforderungssituationenzu verschiedenen Borderline-Sympto-men, so dass es von großem Nutzen ist,dass Borderline-Patienten lernen, ihreindividuellen Stressoren auf der einenSeite zu erkennen und auf der anderenSeite Entspannungsmöglichkeiten zu ler-nen, um ihr Stressniveau zu reduzieren.Das Erlernen von Entspannungsverfah-ren wie Autogenes Training, Muskelre-laxation nach Jacobson, Yoga oderMeditation können hilfreich sein. ImRahmen einer Psychotherapie könnenImaginationsübungen wie „Orte derSicherheit“ oder „Orte der Ruhe“ vermit-telt werden.

Störungen in sozialen Beziehungensind häufig Folge des mangelnden Selbst-vertrauens, des Schwarz-Weiß-Denkensund unzureichender Grenzsetzungen. DieVermittlung, dass bei Konfliktlösungennicht die Frage, wer Recht hat oder wersiegt, zu klären ist, sondern wie künftigKonflikte vermieden oder angemessengelöst werden können, sind vorrangig.Eigene Anteile zu erkennen, Selbstver-antwortung zu übernehmen und Auslö-ser des Konfliktes im eigenen Verhaltenzu suchen, seien beispielhaft erwähnt.

Besteht beim Borderline-Patienten eineAlkohol- und/oder Drogenabhängigkeit,so muss eine zusätzliche Entzugsbehand-lung erfolgen.

Bei traumatisierten Patienten ist daraufhinzuweisen, dass eine traumaspezifi-sche Psychotherapie erforderlich ist.Über die absolute Notwendigkeit, keinenKontakt mehr zum Täter zu haben sowiefür äußere sichere Verhältnisse zu sor-gen, ist der Patient und seine Angehö-rigen zu informieren.

Trotz vielfältiger Probleme und Schwie-rigkeiten verfügen auch Borderline-Pa-tienten über Ressourcen und Fähigkeitenund innere Stärken, die gezielt eingesetztwerden können und den Patienten hilf-reich zur Seite stehen. In Krisensituatio-nen sollte der Patient einen „Notfallkof-fer“ zusammengestellt haben, in dem in-dividuell ausgesuchte Dinge zur Beruhi-gung oder Erinnerungen an positive undangenehme Situationen liegen.

Akzeptanz der Störung

Übernahme der VerantwortungMotivation zur VeränderungFestlegen der ZieleProblemanalyse

Definition des ProblemsBedingungs- und SituationsanalyseProblemhierarchie

Strategien bei selbstverletzendem VerhaltenStrategien bei SuizidalitätUmgang mit Gefühlen

Wahrnehmung von GefühlenImpulskontrolle

BedingungsanalyseStresssituationen erkennenEntspannungsübungen

Verbesserung der sozialen Beziehungenbei Essstörungen: Aufbau eines normalenEssverhaltensbei Alkoholabhängigkeit: Entzugsbehandlungbei durchlebtem Trauma: PsychotherapieRessourcen erkennen und ausbauen“Notfallkoffer packen” und stets bei sich haben

Abb.: Umgang des Borderline-Patienten mit seinerStörung (aus: Schäfer, Rüther & Sachsse, 2006)

Verschiedene Psychotherapieformen ste-hen zur Behandlung der Borderline-Stö-rung zur Verfügung. Zum einen ist diepsychodynamische Psychotherapie undzum anderen die Verhaltenstherapie zunennen. Aus der Verhaltenstherapie wur-de die für Borderline-Störungen spezifi-sche Psychotherapie der dialektisch-be-havioralen Therapie (DBT) nach MarshaLinehan entwickelt. Neben verhaltensthe-rapeutischen Erkenntnissen fließen in dieDBT Zen-Buddhismus und dialektischeGesprächsführung ein. Annahme ist,dass die Borderline-Symptome eine ver-ständliche Reaktion im Sinne nicht opti-maler Lösungsstrategien sind. Ziel derBehandlung ist für Borderline-Betroffene,Gefühlsschwankungen erkennen undakzeptieren zu lernen sowie die Wut zubearbeiten, die häufig zu selbstverletzen-dem Verhalten führt. Erkennen der wut-auslösenden Situationen, Sensibilisie-rung für die Wahrnehmung von Früh-warnzeichen und Erlernen alternativerVerhaltensweisen sind Inhalte der Thera-pie. Dazu gehören weiter Erlernen vonbestimmten Fertigkeiten (skills), das Trai-ning der sozialen Kompetenz, Emotions-training, Stressbewältigungstraining undVermittlung von Entspannungstraining,wie beispielsweise die Übung der inne-ren Achtsamkeit. Schwerpunkt der DBT-Therapie ist der Abbau der selbstgefähr-denden Verhaltensweisen und derSuizidalität.

Die tiefenpsychologische oder psycho-dynamische Psychotherapie wird beiBorderline-Störungen modifiziert und diefavorisierte Therapiemethode ist dieübertragungsfokussierte Psychotherapie.Im Mittelpunkt dieser Therapieform stehtdie Arbeit an der Übertragung. Durch dieArt, wie der Patient die Beziehung zumTherapeuten gestaltet, sind Rückschlüsse

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auf seine Lebensgeschichte möglich. DerPatient aktualisiert die problematischenBeziehungsmuster in der Therapie.Schwerpunkt dieser Psychotherapieformist, dass der Borderline-Patient seine spe-zifischen Abwehmechanismen und sei-nen Umgang mit anderen versteht undverändert.

Beide Therapieformen haben zum Ziel,das selbstschädigende Verhalten zu redu-zieren und die zwischenmenschlichenBeziehungen zu verbessern. Eine längereBehandlungsdauer ist von Nöten. Unter-scheidende Merkmale der beiden Thera-pieformen sind, dass die DBT als Ursacheder Borderline-Störung einen Mangelannimmt, Gefühle angemessen zu regu-lieren und eine entsprechende Emotions-regulation und Impulskontrolle zu haben,während die tiefenpsychologischen An-sätze die Borderline-Störung eher alsErgebnis einer gestörten kindlichen Ent-wicklung sehen, insbesondere bei der Artund Weise, wie der Patient und seine frü-heren Bezugspersonen interagiert haben.

Viele Borderline-Patienten sind trauma-tisiert. Bei ihnen werden verschiedenespezifische traumazentrierte psychothe-rapeutische Ansätze in die bereitsgenannten Psychotherapieformen inte-griert. Ziel der traumazentrierten Psycho-therapie ist es, Vergangenheit als vergan-gen erleben zu lassen: was geschehenist, war, es ist dort und damals und nichthier und jetzt. In der ersten Phase derTraumatherapie geht es um die Stabilisie-rung. Äußere Sicherheitsaspekte, innereStabilisierung, Übungen zur Achtsamkeitund Imaginationsübungen stehen imMittelpunkt. In der Traumaexpositiongeht es darum, eine Einheit aus Wort,Bild, Gefühl und Körpersensation herzu-stellen, das Trauma in Worte zu fassenund dem sprachlichen Bewusstsein zu-gänglich zu machen. Verschiedene thera-peutische Techniken kommen zum Ein-satz, wie Beobachtertechnik, Bildschirm-technik und EMDR (Eye Movement-Desensitization and Reprocessing). EMDRgilt derzeit als die am besten untersuchteMethode bei traumatischen Störungen.Im Anschluss an die Traumaexpositions-phase wird im Rahmen der Integrations-phase das Trauma in die bisherigenLebenserfahrungen integriert. Ziel ist es,das Trauma als unabänderliche Tatsachezu akzeptieren, um den damit verbunde-nen Verlust zu trauern und danach wiederetwas Neues entstehen zu lassen.

Medikamentöse Behandlungen könnenergänzend eingesetzt werden. Psycho-pharmaka können hilfreich sein, Emotio-nen besser regulierbar zu machen, dieStörung der Impulskontrolle zu mildernund Ängste und Depressionen zu redu-zieren bzw. die Stimmung zu stabilisie-ren. Ein spezifisches Anti-Borderline-Me-dikament gibt es jedoch nicht. Psycho-pharmaka können allenfalls ergänzend indie bereits vorgestellten Psychotherapie-

formen integriert werden.Antidepressiva, insbesondere selektive

Serotoninwiederaufnahmehemmer kom-men bei Depressionen, Angststörungen,Zwangssymptomen, Suizidalität und beiselbstverletzendem Verhalten zum Ein-satz. Antipsychotika der zweiten Gene-ration wie beispielsweise Risperidonoder Olanzapin oder Quetiapin könnenbei psychotischen Symptomen und beiselbstverletzendem Verhalten zum Ein-satz kommen. Der Opiat-Antagonist Nal-trexon kann bei selbstverletzendem Ver-halten und bei aggressiven Verhaltens-weisen angewendet werden. Stim-mungsstabilisierende Medikamente, wiebeispielsweise Lithium, Carbamazepinoder Valproat können bei ausgeprägtenStimmungsschwankungen und bei ag-gressiven Verhaltensweisen verwendetwerden. Benzodiazepine sind nur inabsoluten Krisensituationen wegen deshohen Abhängigkeitspotentials einzuset-zen. Liegt zusätzlich eine Aufmerksam-keitsdefizithyperaktivitätsstörung (ADHS)vor, so kann Methylphenidat zum Einsatzkommen. Die medikamentöse Behand-lung ist immer individuell und stets inKombination mit Psychotherapie einzu-setzen.

Aufgrund der Schwierigkeiten in derGestaltung ihrer zwischenmenschlichenBeziehungen, der grundlegenden Zweifelan ihrer eigenen Liebenswürdigkeit undBeziehungsfähigkeit, aufgrund ihrer per-manenten Angst, enttäuscht, verlassenoder verletzt zu werden, sind Borderline-Patienten in der Gestaltung ihrer Partner-schaften erheblichen Problemen ausge-setzt, und nicht nur sie, sondern ihreunmittelbaren Angehörigen ebenfalls.Die Beziehungen sind oft von Misstrauenund Unsicherheit gekennzeichnet, ständi-ge Rückversicherungen, Kontrolle überden anderen, ein ständiger Kreislauf vonKontrolle, Anklammern, Eifersucht undBestätigung, Zweifeln, Misstrauen undAngst vor Trennung prägen die Verhal-tensweisen in der Partnerschaft. Für dieAngehörigen bedeutet dieser „Tanz umNähe und Distanz“ eine permanenteHerausforderung und die Gefahr derErmüdung und Erschöpfung. Häufig ent-wickeln Angehörige und Partner vonBorderline-Patienten das Gefühl, für alleSorgen und Probleme in der Beziehungallein verantwortlich zu sein. In ihrerHilflosigkeit versuchen sie, die wider-sprüchlichen Verhaltensweisen des Bor-derline-Patienten auf sich zu beziehen,oder aber es kommt zu Diskussionen,wer im Recht sei. Logischen Argumentenist jedoch der Borderline-Patient meistnicht zugänglich. Es kommt zu einemWindmühlenkampf, der nur verloren wer-den kann.

Als wichtigste Maßnahme gilt, dass derAngehörige oder Partner von einemBorderline-Patienten lernt, ausreichendeGrenzen zu setzen. Er muss seine eige-

nen Grenzen erkennen und eigeneBedürfnisse und Ansprüche wahrneh-men, sonst läuft er Gefahr, im Hin undHer der Beziehung zum Borderline-Patienten sein eigenes Selbst zu verlie-ren. Durch ausreichende Grenzsetzungmuss er sich schützen. Selbstaufopfe-rung ist für keinen der Beteiligten in derBeziehung hilfreich. Unter Umständenmuss der Partner vom Borderline-Patien-ten ebenfalls eine Unterstützung imRahmen einer Psychotherapie erfahren.Das Aufdecken von gegenseitigen Ver-strickungen, das Erkennen der spezifi-schen Abwehrmechanismen des Border-line-Patienten und die individuelle Grenz-setzung und das Erkennen der Belas-tungsfähigkeit sind Voraussetzungen,sich in der Partnerschaft zu einemBorderline-Patienten nicht aufzureiben.Wichtig ist, dass der Partner erkennt: Erkann dem Borderline-Patienten hilfreichzur Seite stehen, aber er ist nicht derTherapeut seines Partners. Grundsätz-liche Kommunikationsregeln, wie einan-der zuzuhören, den anderen aussprechenzu lassen, respektvoll und höflich mitei-nander umzugehen, eine eigene Meinungund Gefühle zu haben, Schuldzuwei-sungen zu vermeiden, sind die Basis.Konfrontationen und Voreingenommen-heit sowie Schuldzuweisungen führennicht weiter. In „guten Zeiten“, also inweniger konfliktträchtigen Situationen,sollte der Partner vom Borderline-Patien-ten mit dem Borderline-Betroffenen ab-sprechen, wie in Krisensituationen umge-gangen werden sollte. Grundsätzlich soll-te der Irrtum beseitigt werden, dass der,der wirklich liebt, alles versteht. Bezie-hungen unter Erwachsenen beinhaltenbei noch so großer Liebe immer Grenzendes Verstehenkönnens.

Zusammengefasst sind hilfreiche Ver-haltensweisen der Angehörigen einerechtzeitige Grenzsetzung, eine klareeigene Positionierung: die Erkenntnis,dass Verantwortung in der Beziehunggeteilt wird, das klare Äußern von Ge-danken und Gefühlen, Vermeidung vonEskalationen, Vorwürfen und Schuldzu-weisungen und klare Absprachen fürKrisensituationen. Dabei ist die Informa-tion, dass Veränderung nur in sehr klei-nen Schritten möglich ist, zu beachten.

Viele tragfähige Partnerschaften zei-gen, dass sich Beziehungen mit einemBorderline-Patienten über Jahre hinwegstabilisieren können. Dies geschieht zumeinen durch die Verbesserung der Bor-derline-Symptomatik bei den Betrof-fenen, zum anderen durch die Erfahrungdes Partners, dass die Borderline-Symp-tome sich nicht auf ihn persönlich bezie-hen. Inwieweit die bislang gut untersuch-ten Therapiestrategien die Prognose undden Verlauf der Erkrankung insgesamtgünstig beeinflussen, bleibt weiterenUntersuchungen vorbehalten. Es bestehtjedoch viel Grund zu Optimismus.

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Literatur

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Zu Einzelsymptomen:Schäfer, U. & Rüther, E. (2003). Tagebuch meinerDepression. Aktiv mit der Krankheit umgehen.Bern: Huber.Dies. (2004). Gut schlafen - fit am Tag: Ein Traum?Ein Ratgeber bei Schlafstörungen. Berlin: ABW.Dies. (2004). Im Auf und Ab der Gefühle. Manie undDepression - die bipolare affektive Störung. EinRatgeber. Berlin: ABW Wissenschaftsverlag.Dies. (2004). Schizophrenie. Eine Krankheit - keinUnwort. Ein Ratgeber. Berlin: ABW.Dies. (2005). ADHS im Erwachsenenalter. Ein Rat-geber für Betroffene und Angehörige. Göttingen:Hogrefe.Dies. (2005). Ängste - Schutz oder Qual? Angststö-rungen. Ein Ratgeber für Betroffene und Angehö-rige. Berlin: ABW.Schäfer, U., Rüther, E. & Sachsse, U. (2006). Hilfeund Selbsthilfe nach einem Trauma. Ein Ratgeberfür seelisch schwer belastete Menschen und ihreAngehörigen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.Dies. (2006). Borderline-Störungen. Ein Ratgeberfür Betroffene und Angehörige. Göttingen: Vanden-hoeck & Ruprecht.

1100 KKLLIINNIISSCCHHEE SSOOZZIIAALLAARRBBEEIITT 22((33)) // 22000066

Die bisherige Situation

Das Psychotherapeutengesetz (PsychThG) von 1998, das nur für den nicht-ärzt-lichen Bereich gilt, hatte zwei neue Heil-berufe etabliert: den PsychologischenPsychotherapeuten (PPT) und den Kin-der- und Jugendlichenpsychotherapeu-ten (KJP). Während der Erstgenannte denDiplom-PsychologInnen vorbehalten ist,sind beim Letzteren auch Sozialberufe zurstaatlich anerkannten Ausbildung zuge-lassen, die zu einer Approbation führt.Hierzu zählen vor allem Absolventen mitStudienabschlüssen in Sozialpädagogik,Pädagogik und Heilpädagogik (jeweilsUniversität oder Fachhochschule).

Darüber hinaus haben die Länder-behörden in unterschiedlicher Weise wei-tere Sozialberufe zugelassen. Mit dieserRegelung vollzog der Gesetzgeber dieohnehin von Anfang an bestehendeSituation nach, dass die Kinder- undJugendlichenpsychotherapie in Deutsch-land maßgeblich von PädagogInnen ent-wickelt und praktiziert wurde und wird.

Obwohl das PsychThG eindeutig vonder Gleichwertigkeit der psychologischenund pädagogischen Berufe bei derZulassung ausgeht, gab es hin und wie-der berufspolitisch motivierte Diskussio-nen über den Kreis der zuzulassendenBerufe, die sich hauptsächlich um dieFrage drehte, welcher Beruf wie viele kli-nisch relevante Kenntnisse und Erfah-rungen im Umgang mit Patienten für dieAusbildung mitbringt.

Die neue Situation:Studienreform Bachelor/Master

Bei der Festlegung der zuzulassendenBerufe war das PsychThG davon ausge-gangen, dass das Diplom (Uni oder FH)oder ein gleichwertiger Abschluss für dieZulassung notwendig ist. Zwar taucht inder Gesetzesformulierung der Begriff„Diplom“ nicht auf; jedoch haben sichalle Länderbehörden auf den Diplom-Abschluss verständigt. Aufgrund desBologna-Prozesses und der damit einge-leiteten Studienreformen wird es an denHochschulen jedoch zunehmend wenigerDiplom-Studiengänge und stattdessenBachelor- und Master-Studiengänge ge-ben. Dadurch entstand die Diskussion, obein Bachelor of Arts (BA) bzw. Bachelor of

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Psychotherapie Heidelberg e.V.

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bildungsinstitut der VAKJP

Erwerb der Approbation

Erwerb zweier Fachkunde-

nachweise (in analytischer

und tiefenpsychologisch fun-

dierter Kinder- und Jugend-

lichenpsychotherapie) in ver-

klammerter Ausbildung

Zugelassen werden:

Sozialarbeiter, Sozialpädagogen, Pädagogen, Heilpädagogen, Erziehungs-

wissenschaftler und Psychologen.

Die Ausbildung kann berufsbegleitend absolviert werden und dauert ca. 5

Jahre.

Nähere Informationen unter www.akjp-hd.de

22((33)) // 22000066 KKLLIINNIISSCCHHEE SSOOZZIIAALLAARRBBEEIITT 11

Science (BSc) oder aber ein Master ofArts (MA bzw. Master of Science (MSc)für die Zulassung gefordert werden soll.

Obwohl der Bachelor-Abschluss ge-meinhin als der erste berufsqualifizieren-de Abschluss gilt, haben sich inzwischenaus guten Gründen die relevanten psy-chotherapeutischen Berufs- und Fach-verbände, die Psychotherapeutenkam-mern und die universitären Psychologie-Institute darauf verständigt, dass nur derMaster-Abschluss als neues Zulassungs-kriterium in Frage kommt. Denn nur sowäre eine Vergleichbarkeit der unter-schiedlichen Berufsgruppen (Ärzte, Psy-chologen, Sozialpädagogen, Pädagogen,Heilpädagogen etc.) möglich und sinn-voll.

Diese Auffassung scheinen sich auchzunehmend die Länderbehörden zu eigenzu machen, so dass es notfalls eine vomBundesgesetzgeber durchgeführte No-vellierung des PsychThG zur Klarstellungdieser Frage geben könnte.

Während bei den psychologischen

Studiengängen aufgrund ihrer stärkerenEinheitlichkeit dazu übergegangen wur-de, einen einheitlichen Master-Abschluß(MSc), der ein bestimmtes Maß an kli-nisch-psychologischen Inhalten aufweist,den Hochschulen für die Zulassung zuempfehlen, gibt es diese Einheitlichkeitbei den sehr unterschiedlichen pädagogi-schen Studiengängen in dieser Formnicht. Hier ist das Feld der Master-Abschlüsse relativ heterogen. Die Frage,die sich aus dieser Situation ergibt, ist, obnicht die pädagogischen Master-Ab-schlüsse ebenfalls ein bestimmtes Profilbeinhalten sollten, um die Zulassung zurstaatlich anerkannten KJP-Ausbildung beieiner eventuellen Novellierung desPsychThG nicht zu gefährden.

Die Initiative der AZA-KJP

Die Frage, wie unter den neuen Bedin-gungen der Studienreform und mit Blick

auf die Standards der ärztlichen und psy-chologischen Psychotherapie-Ausbil-dung die Zulassung der Sozialberufe ge-sichert werden kann, war Ausgangspunkteiner Initiative von Mitgliedern der Bun-despsychotherapeutenkammer, der Fach-hochschulen (Hochschullehrern) und desFachbereichstages Soziale Arbeit, diesich Anfang 2005 konstituierte. Sehrschnell entwickelte sich diese Initiative zueiner „Arbeitsgemeinschaft für die Zulas-sung zur Ausbildung in Kinder- und Ju-gendlichenpsychotherapie“ (AZA-KJP),an der VertreterInnen der DeutschenGesellschaft für Sozialarbeit (Feder-führung), des Deutschen Berufsver-bandes für Soziale Arbeit, der Psycho-therapeutenkammern, der psychothera-peutischen Berufs- und Fachverbände,der Fachhochschulen, der Fachbereichs-tage Soziale Arbeit und Heilpädagogiksowie der Zentralstelle für KlinischeSozialarbeit und einiger Ausbildungs-institute für Kinder- und Jugendlichen-psychotherapie teilnahmen.

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Mindeststandards für ein klinisch-pädagogisch-sozialarbeiterisches Profil

von Masterstudiengängen (MA) in Sozialer Arbeit und HeilpädagogikBeschlossen von der AZA-KJP am 7.3.2006

Studienbereiche (insgesamt 18 ECTS, Aufteilung je nach Master)

1. Modelle von Gesundheit, Krankheit, Normalität und AbweichungModelle der normalen und pathologischen Entwicklung von Kindern und JugendlichenEpidemiologie/Sozialepidemiologie psychischer/psychosomatischer StörungenMultifaktorielle Erklärungsmodelle psychischer Störungen

2. Diagnostik und InterventionsplanungPrinzipien der Diagnostik und InterventionsplanungEinführung in Klassifikationssysteme Diagnostische Verfahren und Methoden (Anamnese, Test, Fragebogen, Interview, partizipative Vorgehensweisen)

3. Psychosoziale, pädagogische und klinische Interventionen Grundlagen und Methoden wissenschaftlich begründeter Beratungs- und/oder PsychotherapieverfahrenPsychosoziale Arbeit mit Einzelnen, Paaren, Familien und Gruppen

Familien- und LebensformenInterpersonelle Faktoren, Beziehungsgestaltung und psychische StörungenGrundlagen und Methoden wissenschaftlich begründeter paar- und familienbezogener Interventions- undTherapieverfahrenModelle und Interventionen der Gruppenarbeit

Pädagogische und systemorientierte InterventionenHilfen in therapeutischen EinrichtungenAufsuchende Arbeit und InterventionenHilfen in komplexen sozialen Systemen (Kita, Schule, Einrichtungen der Jugendhilfe etc.)

Prävention und RehabilitationVerhaltens- und verhältnisbezogene PräventionsansätzeGrundlagen und Konzepte der Rehabilitation

Praxisreflexion (Grundlagen und wissenschaftlich begründete Methoden der Anleitung, Supervision, Fallreflexion)Versorgungsstrukturen

4. Forschungs- und KontrollmethodenMethoden empirischer Sozialforschung (quantitative und qualitative Verfahren, Testtheorie)Methoden der Dokumentation (Basisdokumentation) und Evaluation (Struktur-, Verlaufs- und Ergebnisbewertung)Grundlagen der Interventionsforschung: Prozessforschung und Veränderungsmessung

Nach ausführlichen Diskussionen wur-de festgestellt, dass nur der Masterab-schluss (MA) die weitere Zulassung derSozialberufe garantieren kann. Die in derHochschullandschaft bereits in Gang ge-kommene außerordentliche Heterogeni-tät der konsekutiven und Weiterbildungs-Master sollte durch einen Kriterienkata-log für solche Masterstudiengänge einge-dämmt werden, die an einer Zulassungder AbsolventInnen zur Ausbildung inKJP interessiert sind. Dieser Kriterien-katalog mit dem Titel: „Mindeststandardsfür ein klinisch-pädagogisch-sozialarbei-terisches Profil von Masterstudiengängen(MA) in Sozialer Arbeit und Heilpädago-gik“ liegt inzwischen vor und ist diesemInfo-Brief in der Anlage beigefügt. Diedort aufgelisteten vier Studienbereicheerscheinen aus fachlicher Hinsicht als einnotwendiges Minimum und sollen insge-samt in einem Mindestumfang von 18ECTS in solche Masterstudiengänge auf-genommen werden, die die weitere

Zulassung der Sozialberufe anstreben.Die Aufteilung der 18 ECTS auf die einzel-nen Bereiche wird vom Profil des jeweili-gen Masters abhängen.

Bei genauer Betrachtung wird deutlich,dass es sich hier um keine Einbahnstraßehandelt. Die Aufnahme psychologischerInhalte in den Katalog bedeutet keines-falls eine Einschränkung des pädagogi-schen Profils. Vielmehr wäre wünschens-wert, dass die Masterstudiengänge fürPsychologen, die auf die Ausbildung inKJP ausgerichtet sind, wesentlich mehrpädagogische Inhalte des Kriterienkata-logs berücksichtigen würden, statt alleineiner Engführung auf forschungsorien-tierte Klinische Psychologie das Wort zureden.

Die Bedeutung der„Mindeststandards“

Das von der AZA vorgelegte Papier über„Mindeststandards“ dient in erster Linie

der Information und Diskussion in denunterschiedlichen Berufs- und Fachver-bänden, den wissenschaftlichen Fachge-sellschaften, den institutionellen Einrich-tungen und den Ausbildungsinstituten.Des Weiteren dient es als Empfehlung fürdie Hochschulen (Universitäten undFachhochschulen), sich bei der Entwick-lung von geeigneten Master-Studiengän-gen an dem ausgewiesenen Minimum anStandards zu orientieren, um denAbsolventInnen eine wichtige beruflicheOption zu ermöglichen bzw. zu erhalten.

Das hier beschriebene Profil dient vor-erst nicht einer Diskussion im öffentlich-rechtlichen Raum über die Stellung derSozialberufe im PsychThG. Sollte esjedoch zu einer Initiative des Bundes-ministeriums für Gesundheit kommen,das PsychThG zu novellieren, um dabeidie Frage der Zulassung von Master-studiengängen und Berufsgruppen zuerörtern, könnte es allerdings von einigerBedeutung sein.

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