le corbusier - unité d'habitation

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 Die Uni t d’Habitatio n Die Unit d’Habitation ist die Zusammenfassung und Ver deutlichung der Theorien Le Corbusiers über St dteplanung und Wohnen. Corbusier fasste darin seine lebenslange Suche nach der idealen Gemeinschaft zusammen und entwickelte "Wohnmaschinen" als autarke W ohneinheiten in einem st dtebaulichen und gemeinschaftlichen Gesamtkonzept. Basierend auf einer kritischen Auseinandersetzung mit Tradition und Vorbild stellte sie dennoch einen radikalen Bruch mit allen vorherigen Wohnmodellen und urbanen Visionen dar, und pr sentierte eine innovative sung für die Wohnungsnot und den Wiederaufbau in Folge des II. Weltkriegs. Innovativ waren sie nicht nur durch ihr st dtebauliches, r umliches und funk tionelles Konzept, sondern auch in ihrer konstruktiven Struktur und Materialit t, der verwendeten Technologie und dem Versuch industrielle, standardisierte Herstellungs- methoden zu verwenden. Überdies sind sie eines der wichtigsten soziologischen und architektonischen Experimente des 20. Jahrhundert. Doch über die Jahre vergegenst ndlichen die G ebä ude eine Konfrontation des einfachen, modernen Innovationsgeistes mit der komplexen, unberechenbaren Allta gsreal it t. und die Gemeinschaft Eine wesentliche Leitidee der Unit ’s war Le Corbusier’s Streben, ein betont privates, famili res Wohngef ühl im Rahmen einer gr ßeren Gemeinschaft zu erzeugen. Das Zusammenspiel zwischen dem minimierten L eben der Mö nche in ihren Zellen, die aber zugleich in ein weitreichen- des Gemeinschaftsleben eingebunden sind, diente Corbusier als Modell, ein für ihn elementarer Dualismus zwischen Individuum und Kollektiv. Die Unit sollte die Familien zu einer Einheit mit sozialem Charakter zusammenschließen. Zum Teil ist dies aus einer Kritik des Einfamilienhaustyp bzw. der Mietshaus entstan- den, in dem man zwar einzeln, aber in nä chster he mit dem Nachb ar wohnte, ihn sehen und von ihn gesehen werden konnte. Statt dessen konzi- pierte Le Corbu sier r hrenfö rmige Wohnung en, geschlossen an den Seiten und offen an den Enden, und somit stapelbar. Die Wohnungen der Unit d’Habitation sind, obwohl kompakt neben- und übereinanderliegend, gut schallisoliert, und die Loggien schützen vor seitlichen Einblicken (vgl. Atelier 5). In der Unit wohnte man nahe beieinan- der, jedoc h ohne Beeintr chtigu ng. Man hö rte den Nachbarn nicht, und die nä chsten Nachbarn in anderen Hä usern waren 250m bis 300m entfernt.  Gleichzeitig sollte die r umliche Isolierung der Wohnungen nicht zu einer sozialen Abgrenzung führen. Die Familie bleibt geschützt innerhalb der Wohnung, sobald sie aber aus der Wohnung heraustreten, tauchen sie in das gesellschaftliche Leben ein. Die Anzahl der Wohnungen sollte zwischen 300 und 400 Familien (1000-2000 Personen) betragen, eine gesellschaftliche Gruppe entsprechend des sozialen Charakters eines Dorfes oder eines Stadtteils. So wurden eine Reihe kommunikativer Angebote zur F rderung der natürliche Entwicklung eines Gemeinschafts- lebens vorgesehen – Lä den, Kioske, Kindergarten, sportliche Bet tigung, Versammlung und Kultur, Jugendr ume ebenso wie G esundheitliche Einrichtungen. Die Wohnungsgr ße sollte das W achsen bzw. Schrumpfen einer Familie berücksichtigen. So wurden verschiedene Variationen des Grundtyps entwickelt, um unterschiedliche Bedürfnisse abzu- decken . Bei Ver nderung der Familiengr ße (wie Familienzuwachs oder aber Verkleinerung der Familie durch Wegzug, Tod oder Scheidung) wechselte man einfach die Wohnung, so Corbusier. Die Wohnungseinheit selbst sollte auch die Familieneinheiten st rken. Le Corbusier beschrieb in ‚Die Theorie der 7V (Sieben Wege)’ wie die Küche und Essplatz als der hä usliche Herd fungieren sollten, er nannte es ‚Die Zuflucht der Familie’. So wurden in den neuen Wohnungen der vertikalen Stadt traditionelle Elemente der konven- tionellen Behausung integriert. Für Le Corbusier waren die Unit s moderne Wohnhä user ‚die freilich eine nderung der Mentalit t der Mieter voraussetzen’. Sie wurden aber selten von ‚Neuen Menschen’ bewohnt. So haben ein ige Uni t s unter einer si ch stark ve r n- dernden demographischen Zusammensetzung gelitten. Die meisten Unit s entsprechen nicht mehr einer sozialistischen oder philanthropisch- bedingten Zusammensetzung, sobald diese Stütz- strukturen nachgelassen haben, litten sie unter einer starken ‚Verarmung’ der Bewohnerschaft. In den letzten zehn J ahren haben die Unit ’s wieder am P opularit t gewonnen, es ziehen mehr gut verdienende Freiberufler und Angestellte ein, die Wohnungen sind heute wieder gefragt. Im Kontext des heutigen Angebots des Wohnungs- marktes gelten sie als individualistisch und unkonventionell. Vielleicht ist die Zeit der ‚Neuen Menschen’ gekommen, gibt es für geplagte Grosstadtbewohner eine besser e Lö sung als die, den Kindergarten, die Joggingstrecke und den Lebensmittelladen in den Gesamtzusammenhang des Hauses integriert zu haben? »Ein Ereignis von umwälzender Bedeutung: Sonne, Raum, Grünflächen. Wenn man will, dass die Familie in der Intimität der Stille und der Natur  gemäss lebt ..., tut man sich zu 2.00 0 Personen zusammen, nimmt sich bei der Hand, geht durch eine einzige Türe zu vier Lifts für je 20 Personen ... Man wird so Abgeschlossenheit und die unmittelbare Verbindung von aussen und innen geniessen. Die Häuser werden 50 m hoch sein. Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen steht der Park um das Gebäude herum zur Verfügung. Die Stadt wird im Grünen liegen und auf dem Dach befinden sich Kinderkrippen.« UNITE d’HABITATION – Le Corbusier J Reisenberger - T Riechert Soziale Zusammensetzung – die Familienein heit

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Die Unité d’Habitation

Die Unité d’Habitation ist die Zusammenfassung und Verdeutlichung der Theorien

Le Corbusiers über Stä dteplanung und Wohnen. Corbusier fasste darin seine

lebenslange Suche nach der idealen Gemeinschaft zusammen und entwickelte

"Wohnmaschinen" als autarke Wohneinheiten in einem stä dtebaulichen und

gemeinschaftlichen Gesamtkonzept.

Basierend auf einer kritischen Auseinandersetzung mit Tradition und Vorbild

stellte sie dennoch einen radikalen Bruch mit allen vorherigen Wohnmodellen

und urbanen Visionen dar, und prä sentierte eine innovative Lö sung für die

Wohnungsnot und den Wiederaufbau in Folge des II. Weltkriegs. Innovativ waren

sie nicht nur durch ihr stä dtebauliches, rä umliches und funktionelles Konzept,

sondern auch in ihrer konstruktiven Struktur und Materialitä t, der verwendeten

Technologie und dem Versuch industrielle, standardisierte Herstellungs-

methoden zu verwenden. Überdies sind sie eines der wichtigsten soziologischen

und architektonischen Experimente des 20. Jahrhundert.

Doch über die Jahre vergegenstä ndlichen die Gebä ude eine Konfrontation des

einfachen, modernen Innovationsgeistes mit der komplexen, unberechenbaren

Alltagsrealitä t.

und die Gemeinschaft

Eine wesentliche Leitidee der Unité ’s war

Le Corbusier’s Streben, ein betont privates,

familiä res Wohngefühl im Rahmen einer grö ßeren

Gemeinschaft zu erzeugen. Das Zusammenspiel

zwischen dem minimierten Leben der Mö nche in

ihren Zellen, die aber zugleich in ein weitreichen-

des Gemeinschaftsleben eingebunden sind, diente

Corbusier als Modell, ein für ihn elementarer

Dualismus zwischen Individuum und Kollektiv. Die

Unité sollte die Familien zu einer Einheit mit

sozialem Charakter zusammenschließen.

Zum Teil ist dies aus einer Kritik des

Einfamilienhaustyp bzw. der Mietshaus entstan-

den, in dem man zwar einzeln, aber in nä chster

Nä he mit dem Nachbar wohnte, ihn sehen und von

ihn gesehen werden konnte. Statt dessen konzi-

pierte Le Corbusier rö hrenfö rmige Wohnungen,

geschlossen an den Seiten und offen an den

Enden, und somit stapelbar. Die Wohnungen der

Unité d’Habitation sind, obwohl kompakt neben-und übereinanderliegend, gut schallisoliert, und

die Loggien schützen vor seitlichen Einblicken (vgl.

Atelier 5). In der Unité wohnte man nahe beieinan-

der, jedoch ohne Beeinträ chtigung. Man hö rte den

Nachbarn nicht, und die nä chsten Nachbarn in

anderen Hä usern waren 250m bis 300m entfernt.

Gleichzeitig sollte die rä umliche Isolierung der

Wohnungen nicht zu einer sozialen Abgrenzung

führen. Die Familie bleibt geschützt innerhalb der

Wohnung, sobald sie aber aus der Wohnung

heraustreten, tauchen sie in das gesellschaftliche

Leben ein. Die Anzahl der Wohnungen sollte

zwischen 300 und 400 Familien (1000-2000

Personen) betragen, eine gesellschaftliche Gruppe

entsprechend des sozialen Charakters eines

Dorfes oder eines Stadtteils. So wurden eine Reihe

kommunikativer Angebote zur Fö rderung der

natürliche Entwicklung eines Gemeinschafts-

lebens vorgesehen – Lä den, Kioske, Kindergarten,

sportliche Betä tigung, Versammlung und Kultur,

Jugendrä ume ebenso wie Gesundheitliche

Einrichtungen.Die Wohnungsgrö ße sollte das Wachsen bzw.

Schrumpfen einer Familie berücksichtigen. So

wurden verschiedene Variationen des Grundtyps

entwickelt, um unterschiedliche Bedürfnisse abzu-

decken. Bei Verä nderung der Familiengrö ße (wie

Familienzuwachs oder aber Verkleinerung der

Familie durch Wegzug, Tod oder Scheidung)

wechselte man einfach die Wohnung, so Corbusier.

Die Wohnungseinheit selbst sollte auch die

Familieneinheiten stä rken. Le Corbusier

beschrieb in ‚Die Theorie der 7V (Sieben Wege)’

wie die Küche und Essplatz als der hä usliche Herd

fungieren sollten, er nannte es ‚Die Zuflucht der

Familie’. So wurden in den neuen Wohnungen der

vertikalen Stadt traditionelle Elemente der konven-

tionellen Behausung integriert.

Für Le Corbusier waren die Unité s moderne

Wohnhä user ‚die freilich eine Ä nderung der

Mentalitä t der Mieter voraussetzen’. Sie wurden

aber selten von ‚Neuen Menschen’ bewohnt. Sohaben einige Unité s unter einer sich stark verä n-

dernden demographischen Zusammensetzung

gelitten. Die meisten Unité s entsprechen nicht

mehr einer sozialistischen oder philanthropisch-

bedingten Zusammensetzung, sobald diese Stütz-

strukturen nachgelassen haben, litten sie unter

einer starken ‚Verarmung’ der Bewohnerschaft.

In den letzten zehn Jahren haben die Unité ’s

wieder am Popularitä t gewonnen, es ziehen mehr

gut verdienende Freiberufler und Angestellte ein,

die Wohnungen sind heute wieder gefragt. Im

Kontext des heutigen Angebots des Wohnungs-

marktes gelten sie als individualistisch und

unkonventionell. Vielleicht ist die Zeit der ‚Neuen

Menschen’ gekommen, gibt es für geplagte

Grosstadtbewohner eine bessere Lö sung als die,

den Kindergarten, die Joggingstrecke und den

Lebensmittelladen in den Gesamtzusammenhang

des Hauses integriert zu haben?

»Ein Ereignis von umwälzender Bedeutung: Sonne, Raum, Grünflächen.

Wenn man will, dass die Familie in der Intimität der Stille und der Natur 

 gemäss lebt ..., tut man sich zu 2.000 Personen zusammen, nimmt sich bei 

der Hand, geht durch eine einzige Türe zu vier Lifts für je 20 Personen ... Man

wird so Abgeschlossenheit und die unmittelbare Verbindung von aussen und 

innen geniessen. Die Häuser werden 50 m hoch sein. Kindern, Jugendlichen

und Erwachsenen steht der Park um das Gebäude herum zur Verfügung. Die

Stadt wird im Grünen liegen und auf dem Dach befinden sich Kinderkrippen.«

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Soziale Zusammensetzung – die Familieneinheit

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Urbanisme – die Wohnung und die städtebauliche

Moderne Die Unité d’Habitation ermö glichte Le Corbusier

die Zusammenfassung und Verdeutlichung lang-

  jä hriger Untersuchungen und Überlegungen, zum

einen über Stä dteplanung (La Ville Radieuse, 1935

und die Charta von Athen), zum anderen über das

Wohnen und die Familieneinheit.

Unter dem Begriff ‚Die vertikale Gartenstadt’

experimentierte Corbusier mit einer Synthese aus

Elementen zweier Stadtmodelle: der suburbanen

Gartenstadt, in der die einzelne Wohnung in

direktem Bezug zur Natur stand; und der hoch-

urbanen Stadt ‚la grande Ville’ charakterisiert

durch Komplexitä t und Dichte.

Den Einfamilienhaustyp erkannte Corbusier

zwar als „noch immer der Herzenswunsch der

Massen“ an, unterzog ihn aber einer grundsä tz-

lichen Kritik. Das kleine Hä uschen, so Corbusier

„überlastet die Hausfrau mit übermä ssiger Haus-arbeit und den Staatshaushalt mit übermä ssigen

Unterhaltskosten.“ Die großflä chige Inanspruch-

nahme des Bodens durch die horizontale Garten-

stadt benö tigt ausgedehnte kommunale Versor-

gungseinrichtungen und verursacht zudem

beträ chtliche Verkehrsströ me und großen

Transportaufwand. Als Bewohner wohnte man

einzeln, allerdings in nä chster Nä he mit dem

Nachbarn, konnte ihn also sehen und von ihm

gesehen werden. Die territoriale Abgrenzung

verhindert das Zusammenleben in einer

Gemeinschaft.

Aber immerhin entsprach das kleine

Einfamilienhaus dem an sich wertvollen Gefühl für

die Einheit der Familie und dem Bedürfnis nach

engerem Kontakt mit der Natur.

Corbusier suchte nach Wohnungsformen die

diese Bedürfnisse befriedigen, sich aber in einer

kompakten Formen addieren oder agglomerieren

lassen kö nnten.

Ausgehend von früheren Studien der gestapelten

Villa in Les Immeubles Villas, die Maison Citrohan

B Fruges und Le Pavillon de l’Esprit Nouveau

konzipierte Le Corbusier die Familieneinheit neu:

ein Haus als offenes Rohr mit einer verglasten

Front und geschlossene Seiten; und daher stapel-

bar. Diesem verlieh er einen doppelt hohen

Wohnraum, eine Anleihe aus dem Künstler-Atelier,

und eine Loggia als eigenen Naturraum, eine

perfektionierte Einheit, ein Wohntyp konzipiert für

Neue Menschen mit dem nö tigen ‚savoir habiter’,

ein Gefühl für neues Wohnen.

Die einzelne Wohneinheiten sollten dicht zu

einem zentral versorgten Block zusammenmon-

tiert sein. Der Zusammenschluss der Wohn-

einheiten sollte gegenseitige Hilfe, Sparsamkeit

und Solidaritä t f ö rdern – eine ‚vertikale Gemeinde’

unterstützt durch Gemeinschaftseinrichtungen.Die hohe Verdichtung sollte Platz für die Natur

schaffen, so dass die "wesentlichen Freuden" von

Licht, Raum und Grün allen zugä nglich wä ren. So

waren die Blö cke von der Erdebene auf Stütz-

pfeilern zu erheben, dass die Erde wieder der

Natur zurückgegeben werden kann.

Die weitgehend autarken Blö cke wurden dann

als freistehende Kö rper innerhalb eines groß-

rä umigen Landschaftsraumes angeordnet, ihre

Ausrichtung bestimmten die Elemente Sonne

und Wind.

Diese kompakte Form der ‚vertikalen

Gartenstadt’ bietet Lö sungen gegen die unange-

messene Inanspruchnahme des Bodens, gegen die

übermä ßigen Transportansprüche der ‚horizonta-

len’ Stadt sowie eine Konzentrierung und ange-

messene ö ffentliche Einrichtungen.

Analogie und Metapher

Die Unité d’Habitation wird vielseitig interpretiert,

sowohl seitens der Architekturkritiker wie auch

von Le Corbusier selbst. Insofern kann sie nicht

nur als eine Synthese Le Corbusier’s früherer

Werke und stä dtebaulicher Überlegungen, sondern

auch als Montage von Fragmenten verschiedener

Sinn- und Vorbilder gesehen werden.

Sie ist in ihrer Zusammensetzu ng von Zelle und

Gemeinschaft Elementen von Klö stern, in ihrer

Stellung in der Landschaft und ihrem kraftvollen

Ausdruck der nach außen expressiven Struktur

Elementen mediterraner Tempeln entlehnt. Als

reprä sentatives Gebä ude von monumentale Grö ße

sah Corbusier sie als Palä ste, nicht mehr für die

Herrschenden, sondern als demokratische Palä ste

des Menschen, wiederum entlehnt aus Beispielen

wie dem Palais Royal oder den früh-sowjetischen

sozialen Experimenten.

Vor allem aber diente Corbusier zugleich derOzeandampfer, der Tausende von Passagieren auf

sehr beschrä nktem Raum behaust, ernä hrt und

unterhä lt als inhaltliches Vorbild und Metapher.

Das Kreuzfahrtschiff, Inbegriff des ‚guten Lebens’

unter Licht, Luft mit gesundheitliche Betä tigung.

Einer Zeichnung Cunard’s, der die Gliederung

eines Schiffes abbildete mit Kabinen, ö ffentlichen

Rä umen, Dienstleistungsbereichen sowie

Sonnendecks, betitelt mit ‚Dies ist der Querschnitt

eines Hauses’ (LC „La Ville Radieuse“ - Die

strahlende Stadt; 1935), diente als Inspiration für

die Aufteilung des privaten sowie

gemeinschaftlichen Raumes – die innere Strasse

mit Zugä ngen zu den Wohnungen, die Korridore

der kommerziellen Dienstleistungen (Einkaufen,

Wä sche waschen, Versorgung mit Speisen und

Geträ nken) und das Dach als oberstes ‚Deck’ mit

Sporthalle, 300-Meter Bahn, Freilichtbühne und

Kinderspielplatz.

Abbildungen von Schiffskabinen dienten als

Beispiele einer effizienten Organisation von Raum

und Ausstattung, so Corbusier ‚die Resultate

strengster Ö konomie’. LC übersetzte dies in

ä ußerst kompakte, aber funktionstüchtige Zellen

‚eine menschliche Einheit‚ ...die biologisch in sich

selbst (seinsgemä ß) gut ist.“

Viele funktionale und platzsparende Ansä tze der

Schiffskabine fanden ihre Entsprechungen in den

Wohnungen der Unité s. Allerdings ist die

Verweildauer eines Passagiers auf dem Dampfer

beschrä nkt. Die strenge Ö konomie des Raumes,

die vielen Einbauten bieten für das langfristigen

Leben auf beengtem Raum in den Unité s keine

Mö glichkeit der weiteren persö nlichen

Raumdefinition und verlangen eine gewisses

Gefühl für sparsames Leben ohne viele

Besitztümer.

Auch wenn Le Corbusier’s Werk voll vonhistorischen oder technologischen Vorbildern ist,

so ist seine Haltung demgegenüber doch so

kritisch, dass daraus keine Ansammlung

eklektischer Vorbilder resultiert, sondern ein

neues Objekt mit neuer Bedeutung. Kein anderer

Bau dieser Zeit, vielleicht gar des Jahrhundert,

reprä sentiert so eine deutliche Abkehr von

historischen und stä dtebaulichen Vorbildern.

Dennoch versucht sie an die menschliche

Erinnerung anzuknüpfen.

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Die Wohnungen

In „Die Theorie der 7 V Sieben Wege“

(Stadtplanung (Urbanisme) erlä uterte Le Corbusier

sein Konzept einer Wohnung, welche die Einheit

der Familie umfassen soll. Er beschrieb eine

Zelleneinheit, die gleichermaßen auf ebener Erde

umgeben von Rasen, wie auch viele Dutzend Meter

über dem Erdboden liegen konnte. Kernstückbildet die Küche und die Ess- und Wohnbereiche

wie auch der hä usliche Herd als Mittelpunkt des

Familien-lebens [3]. Wie in der Immeubles Villas

und dem Pavillion d'Esprit Nouveau stellte sich

Corbusier den Aufenthaltsraum als

zweigeschossigen Raum vor. Dieser ö ffnet sich

mittels einer Loggia der Sonne, der Landschaft

und dem Grün der Natur [4]. Die Schlafrä ume

[6,7], Wasch- und Abstell-rä ume [5,8] sind auf

einer eigener Ebene gesammelt.

In der Unité wurden die Wohnungen als

eigenstä ndige, abgeschlossene konstruktive

Einheiten gestaltet, die innerhalb des überge-

ordneten konstruktiven Gefüges eingestellt werden

konnten, analog Flaschen in einem Flaschen-

gestell (siehe Konstruktion). Alle Wohnungen, bis

auf die 1-Zimmer-Appartments, sind Maisonette-

Wohnungen und abwechselnd aufeinander-

gestapelt, Flaschenboden zu Flaschenhals

ausgerichtet, über jeweils drei Geschosse. Sie sinderschlossen durch einen Mittelgang, konzipiert als

‚innere Strasse' in der mittlere Ebene. Von dieser

inneren Strasse gelangt man entweder im Niveau

der Essgalerie ("oberer Typ") oder im Niveau der

Loggia ("unterer Typ") in die Wohnungen. Die nach

Osten und Westen orientierten Wohnungen

verwirklichen das Prinzip des Durchwohnens

sowohl horizontal als auch vertikal. Um die

Wohnungstiefe so gut wie mö glich auszunutzen,

sind die Grundrisse zoniert: der zweigeschossige

Wohnraum orientiert sich zu der durchlaufenden

Loggia, wä hrend Nassrä ume und Küchen zum

dunklen Mittelgang liegen. Die Glaswand zur

Loggia kann gä nzlich weggefaltet werden, so dass

sich der Wohnraum in den Außenraum der Loggia

fortsetzen kann. Die minimierten Schlafbereiche

mit Elternzimmer, 2 Kinderzimmern und Bad

liegen im Ober- bzw. Untergeschoss. Die

Kinderzimmer sind in Paaren organisiert, jedes

breit genug für ein Bett und Gang, sie kö nnen aber

mittels einer Schiebetür auch miteinander

verbunden werden, um im Bereich der Fenster als

ein Raum über die gesamte Wohnungsbreite zu

fungieren. Die Kinderzimmer besitzen ihre eigene

Loggia.

Varianten

In Marseille fügen sich 337 Wohnungen in ein 18-

geschossiges Gerüst für ca. 1600 Bewohner. Es

gibt 23 Varianten eines Grundtyps, der die Spann-

weite vom Single-Haushalte über kinderlose

Paaren bis hin zur Familien mit bis zu 8 Kinder

abdecken, wobei für den 1930er CIAM-Kongress

vorgeschlagene Grundrissstudien 14qm pro

Bewohner als Richtwert zugrunde legten. Durch

die Trennung der Wascheinrichtungen der Eltern-

schlafzimmer und die der Kinderzimmer kö nnen

die Elemente der Wohnung unabhä ngig von

einander addiert und subtrahiert werden, um die

verschiedenen Wohnungsgrö ßen zu realisieren.

 

Größe und Ausstattung

Mit einer Breite von ca. 3,66m Innenmaß und einer

Hö he von 4,8m sind die Wohnungen ä ußerst

sparsam gestaltet und weitgehend mit Einbau-mö beln ausgestattet. Ein wichtiges Anliegen Le

Corbusiers war es, der Familie der Nachkriegszeit

in ihrer Wohnzelle Zugang zu den neuesten

technischen Errungenschaften zu verschaffen.

Daher sind alle Wohnungen mit warmen und

kaltem Wasser, Heizung, Klimaanlage, WC,

Duschen, Gas, Telefon und Elektrizitä t ausge-

stattet, was für die damaligen Verhä ltnisse in

Frankreich keine Selbstverstä ndlichkeit war.

Insbesondere den Küchen widmete Corbusier in

Zusammenarbeit mit Charlotte Perriand viel

Aufmerksamkeit. Die halbhohen Küchenelemente

vermitteln zwischen Wohnen und Küche und sind

zweiseitig bedienbar, so das jedermann in der

Küche am Familiengeschehen Teil haben kann.

Ausgestattet mit elektrischen Herd, Ventilation,

Müllentsorgung und von außen befüllbarer Eisbox

waren sie „kleine arbeitsparende Labore“

(Wogensky s.52) . Weitere platzsparende

Einbauten befanden sich in den Rä umen, Bä der

und Fluren, z.B. das ausklappbare Bügelbrett im

Flur.

Sich verändernde Bedürfnisse

Die Einteilung der Wohnungen wurde von denBedürfnissen der Bewohner und den von Le

Corbusier definierten "Wohnfunktionen"

abgeleitet; zu dieser Zeit hieß das nicht mehr

Wohnen für das Existenzminimum, praktischer

Komfort sollte der modernen Familie geboten

werden.

Aus heutiger Sicht sind die Wohnungen, als

optimierter Raum, in den nur wenige verä nderbare

Optionen eingebracht wurden (wie der Schiebetür

zwischen den beiden Kinderzimmern) wenig

flexibel und kaum entwicklungsfä hig für

Verä nderungen durch den Benutzer. Die

Raumö konomie schreibt bestimmten Flä chen

bestimme Tä tigkeiten vor, und lä sst den

Bewohnern wenig Spielraum für ihre eigenen

Vorstellungen. Die Grundrissorganisation macht

es den Bewohnern schwer, sich zurückzuziehen.

Bildschirmarbeit, Heimarbeit, Zeitarbeit und das

Ansteigen der Arbeitslosigkeit führen heute zu

neuen Nutzungsansprüchen an die Wohnung. Einoffener Grundriss führt zu Konflikten, wenn in

einem strengen und standardisierten Schema

familiä rer Aktivitä ten und Lebensrhythmen zu viele

Zwangskontakte entstehen, was dann Problemen

bereitet, das tä gliche Aufeinandertreffen

verschiedenster und sich verä ndernder

Lebensformen verträ glich zu gestalten.

Das Bedürfnis der heutigen Generation nach

mehr Platz hat unter anderem dazu geführt, dass

manche Hausbewohner zwei nebeneinander-

liegende Wohneinheiten gekauft und miteinander

verbunden haben.

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Die erweiterte Wohnung Ein wesentlicher Teil des Konzeptes der ‚vertikalen

Gartenstadt' ist auch die Idealvorstellung einer

selbst-stützenden Gemeinschaft .

Le Corbusier's Beschreibung dafür war die

‚logements prolongué s' oder erweiterte Wohnung,

die Wohnung erweitert sich um gemeinschaftliche

Einrichtungen die das tä gliche Leben der Einheit

ergä nzen und Mö glichkeiten der gemeinschaft-

lichen Begegnung fö rdern. Nach Corbusier sind

sie in „gemeinsame Dienstleistungen“, die der

Versorgung mit Nahrungsmitteln dienen z. T. auch

mit Zubringerdienst, und „Verlä ngerung der

Unterkünfte“, die der Erziehung, der Freizeit und

dem Sport dienen, zu unterscheiden.

Kindergarten, Hort, Turnhalle und Lä den, z.T.

auch Hotel, wie auch Krankenzimmer u.a. waren

typischerweise auf drei unterschiedlichen Ebenen

angeordnet, auf der Erde, in der kommerziellen

‚Strasse' auf halber Hö he und auf dem Dach. Jede

besitzt ihre eigene formale Identitä t:

Das Gebä ude ist aufgestä ndert, erhoben über

eine darunter hindurchfließende Erdebene, die

dem Menschen und der Natur zurückgegeben

werden soll, als grüner Park, Spielwiese und

Erholungsraum für alle Altersgruppen.

Die ö ffentliche Strasse im 7. und 8. Geschoss

bot in Marseille Raum für ein 24-Zimmer Hotel

sowie Bar, Lä den und weitere Einrichtungen wie

Waschsalon, Bä cker, Fleischer, Friseur, Sauna und

Büros. Sie sind um eine lange doppelgeschossige

Galerie organisiert, die mittels senkrechter

Verschattungselemente den Blick weit in Richtung

Meer lenkt.

Am Dach wird die Hochseedampfer-Metapher

fortgesetzt: die Brücken-ä hnliche Turnhalle, die

expressiven Schornsteine, der hohe Balkon

erinnert an ein Hochseedampfer Sea-Deck. Eine

hohe umlaufende Brüstung versperrt den Blick auf

die direkte Umgebung, und lenkt den Blick auf den

Horizont sowie den Himmel. Hier sind

Kindergarten, Pool, Turnhalle und eine 300m lange

Laufbahnangeordnet - das gesunde Leben in Licht

und Luft unter einem mediterranem Himmel.

Es ist dieser Aspekt, der in vielen Ausführungen

vernachlä ssigt wurde. In den Unité s in Nantes,

Briey-en-Forê t und Berlin ist keine kommerzielle

Strasse auf halber Hö he vorhanden. In Berlin

wurden sie im geringen Umfang zwischen den

Pilotis im Erdgeschoss untergebracht, hier ist auch

eine stark verkleinerte Dachlandschaft realisiert.

Auch in Marseille wurden nicht alle Vorschlä ge aus

der Planung tatsä chlich realisiert - Museum,

Panoramarestaurant, Gemeinschaftsküche,

medizinisches Zentrum und Krankenzimmer. Die

gemeinschaftlichen Einrichtungen haben an

Bedeutung verloren.

Heute sind viele Versorgungseinrichtungen infolge

der zunehmenden Technisierung der Wohnung

durch Haushaltsgerä te z.T. überflüssig geworden,

die Waschmaschine in der Wohnung macht eine

Gemeinschaftswaschküche überflüssig und der

Kühlschrank reduziert die Notwendigkeit von

tä glich frischen Lebensmitteln.

Wirtschaftsstrukturen und Einkaufsangebot haben

die Art und Weise des Einkaufens geä ndert, in der

Unité ebenso wie im Dorf.

 

UNITE d’HABITATION – Le Corbusier

Kindergarten

Rampe

Aufzugsturm

Entlüftung

Windschutz (Theater)

Turnhalle

oberes Sonnendeck

Innere Strasse

Gemeinschaftseinrichtungen

Loggia / Brise-Soleil

Fluchttreppen

Technikgeschoss

Pilotis

J Reisenberger - T Riechert

4 Läden9 Studio/ 

Atelierräume10 Brise-Soleil

1 Fluchttreppe2 Eingangshalle

3 Gemeinschafts-  raum4 Läden5 Supermarkt-  lager6 Supermarkt7 Waschen

11 Aufzüge12 Luftraum

13 Wäscherei14 Galerie

8 Promenade9 Studio/ 

Atelierräume10 Brise-Soleil11 Aufzüge

1 Innere Strasse2 Turnhalle3 Sonnendeck4 Cafeteria5 Spielplatz6 Gesundheits-  einrichtungen7 Hort8 Kindergarten9 Bar/  Restaurant

10 Jugendzentrum/  Arbeitsräume11 Wäscherei12 Eingang13 Einfahrt14 Wohneinheit

 

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Konstruktion Flasche und Wein-Regal

Mit der Unité d'Habitation kehrte Corbusier ab von

seinem bisherigen Prinzip des freien Planes und

des strukturellen Rasters, bekannt aus der Maison

Domino und seinen fünf Prinzipien einer neuen

Architektur.

Auf Vorschlag von Jean Prouvé wurde ein

modulares, strukturelles Traggerüst verwendet, in

das weitgehend standardisierte Einheiten

eingefügt sind. Le Corbusier verglich dieses

Prinzip mit Wein-Flaschen in einem

Flaschengestell:

„Ein Flasche kann Champagner, Qualitä tswein

oder einfachen Tafelwein beinhalten, aber die, von

denen wir sprechen, beinhalten eine Familie … sie

muss mit der gleichen Konsequenz gestaltet

werden als ob es eine Maschine, Flugzeug, Auto

oder ein sonstiges Produkt der moderne

Gesellschaft wä re. Und nachdem wir unsere

Flasche, die Wohnung, fertig haben, kö nnen wir es

hinstellen unter ein Apfel-Baum in der Normandie,

unter eine Kiefer in der Jura. Wir kö nnten es aber

auch in ein Fach stecken, das heißt in das fünfte

bzw. siebzehnte Geschoss e iner Tragstruktur.

Einfach gesagt, wir bewahren die Flasche in einem

Flaschengestell auf“

Das abstrakte Konzept der eigenstä ndigen

Flasche im Regal wird durch die gewä hlte

Konstruktion unterstrichen. Jede Wohnung ist

Die Fassade Brise-Soleil

Die Brises-Soleil dienen zugleich als Fassade und

Hülle, als ein formales Element zur Fassaden-

komposition sowie als Vermittler zwischen Innen

und Außen. Ausgebildet als eine großflä chige,

1,70m dicke Schicht wurden sie so vor den

Wohnungen angebracht, dass jede Wohnung einen

geschützten Aufenthaltsraum im Freien erhielt.

Die Loggien selbst wurden als Verschattungs-

elemente gegen die starke mediterrane Sonne

ausgebildet.

Bereits erprobt in verschiedenen vorange-gangenen Gebä uden (z.B. dem Ausbildungs-

ministerium in Rio de Janeiro) stellten sie eine

Abkehr von Le Corbusier's früheren Prinzipien der

langen Fenster oder der transparenten Fassade

dar, hin zu einem, dem Rhythmus des Tag-Nacht-

Jahreszeit modulieren-den Systems des Sonnen-

schutzes. Die Brises-Soleil sollen vermitteln

zwischen den Krä ften der Natur und dem

Nutzungsverhalten der Bewohner, sie regulieren

dabei das Verhä ltnis von Licht und Dunkelheit,

sowie die Temperaturentwicklung. Diese fest-

stehenden Sonnenschutzelemente verhindern

direkten sommerlichen Sonneneinfall, erlauben

aber der niedrig stehenden Sonne, im Winter tief in

die Wohnungen zu gelangen. So sollte zu jeder

Jahreszeit in jeder Wohnung über den Tag immer 2

Stunden Sonneneinfall gewä hrleistet sein.

Viel gelobt als frühzeitiges low-tech System des

passiven Sonnenschutzes, wurde manchmal das

Prinzip über die ortsspezifischen Gegebenheitengestellt. In Marseille wurde die Unité gedreht zum

Boulevard errichtet um sich gegen den Mistral

Wind zu schützen. Dabei sind aber die Brises-

Soleil gleichartig am allen Fassaden - Ost, West

und Süd - angebracht, obwohl der Sonneneinfall

unterschiedlich ist, mit dem Resultat, dass alle

Rä ume nach Osten hin zu dunkel sind, alle zum

Westen zu hell. Die Westfassade bekommt 2

Stunden Sommersonne, aber nur 20 Minuten

Sonne im Winter. Die Südfassade ist dagegen den

ganzen Sommer verschattet, bekommt in Winter

aber bis zu 8 Stunden Sonneneinfall.

Alle Unité 's sind nach diesem Muster ausge-

führt, in Standorten mit weniger intensiven

Sonneneinfall ist die Angemessenheit einer

solchen Fassadenausführung allerdings fraglich.

Materialität Beton Brut

Obwohl ursprünglich als Stahlkonstruktion

gedacht, wurde die Konstruktionsmethode - wegen

Materialmangels in Folge des Krieges - auf Beton

umgestellt. Aus dem gleichen Grunde wurde auf

alle weiteren veredelnden Schritte wie Putzschicht

oder Farbe verzichtet. Le Corbusier gab die

Vorstellung auf, dass Stahlbeton ein Prä zisions-

baustoff sei, und verwandelte seine Ungeschliffen-

heit und die Abbildung der hö lzernen Schalung in

ein architektonisches Ausdrucksmittel. Der

Eindruck der roh-belassen Bretter-Verschalung

auf den Beton, genannt bé ton brut, reagiert starkauf Licht und Schatten und nimmt in Farbe und

Struktur den Hintergrund der felsigen Berge auf.

Formale Komposition

Die Fassade gestaltete Le Corbusier mit Hilfe des

Modulors so, dass die Hierarchie der Ö ffentlichen

und privaten Bereiche abzulesen ist und sich aus

der Nä he und aus der Ferne gesehen zu einem

harmonischen Ganzen zusammenfügt.

Der 1948/1955 herausgegebene Modulor war ein

auf dem Menschen basierendes (anthropomor-

phisches) Maßsystem, das zwischen menschlicher

Grö ße und allen Bezugsystemen, egal wie klein

oder groß, vermitteln sollte, von Türgriff zu Tür,

Wand, Zimmer, Fassade, zu Block bis hin zu den

Blockabstä nden. Le Corbusier entwickelte sie mit

der Absicht, die neue Realitä t der Massen-

herstellung zu humanisieren.

Obwohl die einzelne Wohneinheiten abzulesen

sind, sind alle Elemente menschlichen Maßstabes,wie Türen und Fenster, die normalerweise auf das

Gebä ude als ein Behä lter von Inhalt verweisen,

zurückgestellt. So steht das Gebä ude eher als ein

skulpturales Objekt, ä hnlich einem Tempel mit

umlaufender Kolonnade, von der Erde erhoben und

dem Großraum zugewandt.

In ihrer formalen Komposition kann an den

Fassaden eine zunehmende Verfeinerung

abgelesen werden: die Einteilung der ö ffentlichen

und privaten Bereiche, das Kennzeichnen der

einzelne Einheiten, eine horizontale und vertikale

Rhythmisierung und Gliederung der Fassade durch

die Brüstungen - die zugleich den dahinter-

liegenden ein- oder doppelgeschossigen Raum

abbildet - und schließlich die Glaswand als

Vermittler zwischen Innenraum und Loggia.

einzeln innerhalb des Gerüstes konstruiert und

besitzt eine eigene untergeordnete Stahlrahmen-

Tragstruktur, die auf die Lä ngsseiten der Unité auf

Blei-Auflagen gelegt ist, um Schallübertragung

durch das Traggerüst zu vermeiden. Mit

Mineralwolle gefüllte Holzrahmen bilden die

Wohnungstrennwä nde.

Dieses Konzept wurde aus Kostengründen nicht

für alle Unité 's verwandt und ist in Nantes und

Briey-en-Forê t ersetzt durch ein System

aufeinander- und nebeneinander gelegter

UNITE d’HABITATION – Le CorbusierJ Reisenberger - T Riechert

 

5/13/2018 le corbusier - unité d'habitation - slidepdf.com

http://slidepdf.com/reader/full/le-corbusier-unite-dhabitation 6/6

UNITE d’HABITATION – Le Corbusier

Berlin, 1957 - 1959

Ursprünglich zur Mitarbeit am Wiederaufbau des

Hansaviertels geladen, lehnte es Le Corbusier ab, dort

einen gewö hnlichen Bau zu errichten, er bestand auf

einer Unité d`Habitation , für die aber im Hansaviertel

kein ausreichend großer Baugrund vorhanden war. Statt

dessen wurde das Gebä ude mehr oder weniger isoliert

in dem suburbanen Viertel Charlottenburg, neben dem

Olympiastadion am Stadtrand gebaut.Da das Gebä ude im

Rahmen des sozialen Wohnungsbaus finanziert wurde,

hatte Le Corbusier dessen Belange anerkennen, so

musste die Geschosshö he z.B. 2.50 m anstatt seiner

2.26 m betragen. Wä hrend die Wohnungen der Unité Typ

Berlin als großzügig gelten, ist ansonsten das Konzept

der Unité stark geschwä cht. Wä hrend der Ausführung

erfolgten viele von Le Corbusier nicht abgesegneten

Ä nderungen des Konzeptes, was letztlich dazu führte,

dass Le Corbusier seine Beteiligung zurückzog. Die

stark geschrumpften Gemeinschafts-bereiche auf

halber Hö he wurde als Wohnungen fertiggestellt, die

Dachaufbauten sind beinahe verschwunden und die

Brises-Soleil der Loggien wurden ohne obere

Sonnenbrecher ausgeführt, was vielleicht auf die wenig

sonnenintensiven klimatische Verhä ltnisse

zurückzuführen ist. Die wenigen Gemeinschafts-

einrichtungen, ein Laden und eine Postautomatenstelle,

wurden dann zwischen die Pilotis gestellt und verklä rendaher das Konzept der durchfließenden Erdebene. Der

Bau erweckte reges Interesse, nicht nur wä hrend der

Interbau, kritisiert wurde allerdingsdie Erschließung

mit 60 Wohnungstüren an einem schmalen, 135m langen

Kunstlichtgang.

Nicht desto trotz verkö rpert die Unité einen

revolutionä ren stä dtebauliche Ansatz gegenüber der

Berliner Mietskaserne. Die soziale Bindung an das

Corbusierhaus sollte durch die Aufteilung der ö ffentliche

Mittel in Teilhypotheken lä nger bestehen bleiben. Mitte

der 80er Jahre stark renovierungsbedürftig, konnten

aber die Bewohner die Instandhaltungskosten nicht

decken, und viele leerstehende Wohnungen wurden dann

als Privateigentum vermarktet.

Heute ist das Corbusierhaus noch immer als

Wohngebä ude genutzt.

Standort, Eingang und Durchwegung

Die Unité d’Habitation verstehen sich alsweitgehend autarke Blöcke, angeordnet als

freistehende Körper innerhalb eines großflächigenLandschaftsraumes, ihre Ausrichtung bestimmt

durch die Elemente Sonne und Wind. In Marseillepositioniert sich die Unité im Raum zwischen denBergen und dem Meer und orientiert sich nicht an

dem vorbeiführenden Boulevard. Die Wohnungenschauen wechselweise in Richtung Meer und inRichtung der Berge. Die Unité steht aufrecht, eine

plastische Gestalt auf ‚Beinen’ analog desmediterranen Menschen mit dem Rücken zu denBergen und dem Gesicht zum Meer.

Bei fast allen Unités ist daher das unmittelbareUmfeld gestaltet als unter dem Gebäudehindurchfließender Landschaftsraum . Zugang für 

Fahrzeuge und Fußgänger auf dem Geländesindvoneinander getrennt , das Parkieren ist in den

meisten Fällen abseits des Gebäudes angeordnet,  wobei es möglich ist, bis an das Gebäude und die

Aufzüge zu fahren, um z.B.auszuladen. Die

horizontale Ebene der Erde wird mit dem Gebäude

nur an den Stellen der vertikalen Gebäude-

erschließung verbunden, welchen zumeist eine

gläserne oder teilverglaste Eingangshalle mit

Vordach vorgeschaltet ist, das zugleich schützt

sowie auch das Eingangssignal setzt.

Der Eingang in das Gebäude erfolgt somit von  

unten über die vertikale Erschließung, welche die 

öffentlichen Bereiche wie auch die innerenStrassen verbindet. Die Innere Strasse gestaltete

Corbusier nach dem Bild einer mit Wohnhäusern  gesäumten Dorfstraße, jeder private

Wohnungseingang weist einen Briefkastenschlitz,

einen großen, vorspringen-den Kasten für

Lieferungen und Zustellungen und eine Leuchte

über der Tür auf. So sollte das Leben in der Unité

dem Dorfalltag gleichen, wo der Briefbote jedenTag die Post bringt, Waren ins Haus geliefertwerden und Licht an jedem Haus den Besucher

begrüßt. Ein Farbschema ermöglicht das

Erkennen der individuellen Wohnungseingänge . Der vorspringende Zustellkasten, als einzig sicht-

bares Farbelement bei einem Blick entlang derStrasse, sind dagegen auf jeweils einer Ebene

identisch gestrichen, wechseln aber ihre Farbe,um die einzelnen Stockwerke optischunterscheidbar zu machen.

Der städtische Raum setzt sich inhaltlich in den

Gemeinschaftsbereichen der kommerzielle

Strasse auf halber Höhe fort, z.T. auch auf der  

Dachterrasse. Von hier kann wiederum zurück auf

die Stadt, die Berge und das Meer geblickt werden.

Nantes-Rezé, 1953 - 1955

Die Unité in Nates-Rezé liegt am Rande der Stadt

Nantes an der Atlantikküste Frankreichs, gegenüber der

Mündung der Loire in nahe des Port de Rezé, mit Blick

Richtung Atlantik.

Sie wurde nicht staatlich beauftragt, sondern durch

die künftigen Bewohner, einer Genossenschaft „La

Maison Familiale“, die sich hauptsächlich aus Arbeitern

und Vorarbeitern der Hafenwerkstätten Nantes

zusammensetzte. Mitteln waren daher sehr knapp und

dies führte zu Änderungen im Inhalt sowie in der

Ausführung des Gebäudes. Die Gemeinschafts-

einrichtungen konnten nicht in halber Höhe des

Gebäudes realisiert werden, sie wurden unabhängig am

Fuße des Gebäudes errichtet, gedacht als zukünftiges

Zentrum eines neuen Quartiers. Auf dem D ach befinden

sich noch der Garten, eine Laufbahn, ein Theater im

Freien sowie Gemeinschaftsräume und Verwaltung.

Die schweren plastische Pilotis (Stutzpfeiler) sind in

Nantes durch Reihen von vier Scheiben-ähnlicher

Pfeilern ersetzt. Das Konstruktionssystem Flasche-

Flaschengestell, das in Marseille verwendet wurde, ist in

Nantes ersetzt durch ein System aufeinander- und

nebeneinander gestapelter, vorfabrizierter Beton-

schachteln. Jede Schachtel ist wegen des

Schallschutzes durch Bleibänder von der nächsten

isoliert. Der doppelt hohe Wohnraumder Wohnungen ist stark verkleinert

und zur Hälfte überbaut, um mehr

Fläche zu gewinnen. Die Loggias

entsprechen in Form und Größe

denen in Marseille, die dahinter

gelegende Glaswand erfuhr aber eine

größere Differenzierung von

geschlossener und verglaster Fläche,

proportioniert nach dem Modulor, so

dass diese z.T. zur vierten Wand des

dahinterliegenden Raumes wird.

Deren Unterteilung entspricht den

dahinterliegenden Nutzungen so

bspw. dem doppelt hohen Raum wie

auch der Einteilung der

ineinandergefügten Wohnungspaare.

1996 renoviert wird die Unité noch

als Wohngebäude genutzt.

Briey-en-Forêt, 1955-1957

In Briey-en-Forêt wurde nach Marseille und Nantes-Rezé die dritte Unité d'Habitation erbaut. In derAusführung und ihrem Inhalt entspricht sie der Unitévon Nantes, das Konstruktionssystem basiert aufvorfabrizierten gestapelten Stahlbeton-‚Schachteln',

und auch hier wurde keine kommerzielle Strasse aufhalber Hohe realisiert. Obwohl als Teil eines

größeren Architekturkonzeptes geplant, liegt dasGebäude relativ abgelegen am Waldrand.

Ursprünglich für die Behausung derMinenarbeiter im Lothringer Land gebaut

und zur Eröffnung als „ein Paradies derMillionäre für die Lohnarbeiter von

Briey“ gefeiert, litt die Briey-Unitéschon wenige Jahre später an

ersten Mangelerschein-

ungen. Schon zu dieser Zeit zu 25%von Arbeitsimmigranten bewohnt, stiegdieser Verhältnis mit der Zeit stark an. Mitdem Wegfall der Schwer-industrie verlor dieUnité ihre Daseins-berechtigung und innerhalbvon fünf Jahren gab es einen Leerstand von über 200

Wohnungen. 1984, in stark lädiertem Zustand, wohntennur noch wenige Familien in der Unité und sie solltenach dem vollständigen Leerzug einfach geschlossenwerden, da die Abrisskosten zu hoch gewesen wären.

Ohne das Vorhandensein von gemeinschafts-fördernden Strukturen lässt sich nicht

mit der Mischung von Isolationund Zwangsvereinheitlichungauf Dauer leben.Verschiedenste Nutzungenwurde überdacht Altenheim,Hotel, Schule, bevor die Unitévon der benachbarteSchwesternschule gekauftwurde und umgerüstet werdensollte.Sie hat sich ihre vorüber-gehende Rettung schließlichdurch Fachinteresse gesichert,durch eine Teilnutzung derArchitekturschule Nancy.

 F u ßg ä nge r

 F u ß g ä n g e

 r

Fußgänger 

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Autos

J Reisenberger - T Riechert