Leben mit Nr. 47 / Sept. 2004 - DS-InfoCenter · „Friend to Friend“-Konzept der Karen Gaffney...

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Nr. 47 / Sept. 2004 ISSN 1430-0427 Leben mit 8. Down-Syndrom-Weltkongress in Singapur Cochlea-Implantat – eine Chance für ertaubte und taub geborene Kinder mit Down-Syndrom? Überlegungen über das Erstgespräch Unterstützte und Gestützte Kommunikation Down-Syndrom-Ambulanz

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Nr. 47 / Sept. 2004ISSN 1430-0427Leben mit

8. Down-Syndrom-Weltkongress in Singapur

Cochlea-Implantat – eine Chance für ertaubte undtaub geborene Kinder mit Down-Syndrom?

Überlegungen über das Erstgespräch

Unterstützte und Gestützte Kommunikation

Down-Syndrom-Ambulanz

E D I T O R I A L

Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 1

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

als Erstes möchte ich Sie bitten, uns bei der„Postkarten für Promis“-Aktion zu unter-stützen und Ihre Postkarten im Oktober ab-zuschicken (Seite 5). Vielleicht können wir ge-meinsam einige deutsche Promis für einegroße Plakatkampagne 2005 gewinnen.

In dieser Leben mit Down-Syndrom findenSie eine Reihe Artikel zu medizinischen

Themen, die beim Weltkongress in Singapur vorgestellt wurden.Interessant waren, meiner Meinung nach, vor allem praxisbezoge-ne Konzepte wie das „Changing Lives“-Programm oder der Aufbauvon DS-Ambulanzen.

Als Ausgleich zu diesem medizinischen Teil, wobei es doch immerum Defizite und Probleme geht, gibt es Mut machende Berichteüber Personen mit Down-Syndrom, die richtige Lebenskünstlerund Stehaufmännchen sind. Dabei wurde bei ihrer Geburt behaup-tet, sie würden nie sehr weit kommen! Und jetzt sind sie Künstler,Schwimmer, Redner und Ehepartner geworden, sind selbststän-dige, selbstbewusste Menschen und haben ein erfülltes Leben.

Wie haben sie das trotz Vorurteilen und schlechter Prognosen geschafft? Ein Grund ist mit Sicherheit, dass sie begleitet wurdenvon Menschen, die an sie glaubten, die ihre Möglichkeiten erkann-ten und sie in ihrer Entfaltung unterstützten.

In diesem Heft geht es weiter mit der Serie „Rechnen lernen mitlinks und rechts“. Frau Prof. Wilken erklärt, was man unter „Gestützte Kommunikation“ versteht, und ist daran interessiert, zu hören, ob Erfahrungen damit bei Menschen mit Down-Syndromvorliegen.

Ich möchte allen ans Herz legen, sich an der Studie von Dr. Gelbzu beteiligen. Da geht es um Ernährungsfragen, ein ganz wichtigesThema, das häufig nicht ernst genommen wird. Dabei hängenErnährung, Gesundheit und Entwicklung eng zusammen, auchund insbesondere bei Menschen mit Down-Syndrom.

Frau Maurer, die in der vorigen Ausgabe über die Malentwicklungbei Kindern mit Down-Syndrom berichtete, möchte mit ihren Studien weiterfahren und bittet unsere Leser/-innen um Mithilfe.Nehmen Sie sich doch die Zeit, ihre Fragen zu beantworten!

Herzlich Ihre

I N H A L T

2 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

AktuellesNeue Broschüren ..................................................................................................4Aktion im Oktober: Postkarte mit Giorgio Armani an deutsche „Promis“..............5

Singapur8. Down-Syndrom-Weltkongress ..........................................................................6

MedizinPsychiatrische Störungen und Down-Syndrom ....................................................8Medizinische Aspekte der Pubertät und danach bei Mädchen und Frauen ..........9Wachstum, Wachstumstabellen und Hormonbehandlung ..................................10Die Diagnose einer Unterfunktion der Schilddrüse ............................................10Schlafapnoe – Untersuchung mit MRT ................................................................11Down-Syndrome Medical Interest Group ............................................................11Erstgespräch: Wieso sind die Leute so sauer auf mich?......................................12„Changing Lives“-Programm ..............................................................................14Wie baut man eine DS-Ambulanz auf? ..............................................................15DS-Ambulanzen in Deutschland?........................................................................17Ernährung bei Menschen mit Down-Syndrom / Ernährungsstudie ....................18Schmerz..............................................................................................................20Cochlea-Implantat – Eine Chance für ertaubte und taub geborene Kinder mit Down-Syndrom? ..............................................................................21

ErfahrungsberichteDrei kleine Schnecken ........................................................................................25Fabian bekommt ein Cochlea-Implantat ............................................................27

VerschiedenesEine Kur ist kein Urlaub ....................................................................................31

IntegrationDer Schüler Nicolas ............................................................................................34Das „Friend to Friend“-Konzept ........................................................................37

FörderungRechnen lernen mit links und rechts (Teil 2) ......................................................38Unterstützte und Gestützte Kommunikation ......................................................42

Titelbild: David de Graaf (19) aus den

Niederlanden (Foto: Erik de Graaf)

Foto Rückseite: Die „Happy Dancers“

(Foto: Spangenberg)

I N H A L T

Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 3

PersonenAnna, Sophie und Alexander auf der Bühne bei Wagners „Parsifal“ ..................44Die Happy Dancers ............................................................................................45Karen schwimmt gegen den Strom ....................................................................46Pilgerin Pearl ......................................................................................................47Eine Märchenliebe – mal anders ........................................................................50Irene Millie Pinole – eine Überlebenskünstlerin ..................................................53

ErfahrungsberichteSchwimmen lernen ............................................................................................56Eine Katze in der Schule ....................................................................................58Steffens erstes Wort war „Muh“ ........................................................................59Theresa und „ihre“ Pferde ................................................................................60

PublikationenMenschen mit Down-Syndrom............................................................................62Alltagsfähigkeiten ..............................................................................................63Mach Musik ......................................................................................................64Warum Frauen nicht schwach, Schwarze nicht dumm und Behinderte nicht arm dran sind ........................................................................64

VerschiedenesStudie zur Malentwicklung von Kindern mit Down-Syndrom ............................65

VeranstaltungenSymposien, Seminare, Kongresse ......................................................................66

Bestellungen / Vorschau / Impressum ............................................................67

Noch einmal Singapur!

Die Fotos auf diesen beiden Seiten

wurden beim Kinderprogramm am

8. Down-Syndrom-Weltkongress

aufgenommen.

A K T U E L L E S

4 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

Nachrichten aus demDeutschen Down-SyndromInfoCenter

d e u t s c h e s

i n f o c e n t e rdown-syndrom

Babybroschüre und Herzbroschüre in neuem Outfit

Zwei unserer Informationsbroschüren sind überarbeitetworden und im neuen Outfit erschienen.

Die Broschüre Ein Baby mit Down-Syndrom erschien zum ersten Mal

im Jahr 1995. Seitdem wurde sie einigeMale geringfügig geändert oder bekamein neues Titelbild. Nun ist die sechsteAuflage erschienen. Dieses Mal wurdeder Text überarbeitet und um verschie-dene Kapitel ergänzt. So wird in einemKapitel auf die Gefühle und Reaktionennach der Geburt, in einem anderen aufdie Situation der Geschwister eingegan-gen. Insgesamt enthält diese neue Auf-lage mehr Informationen zum Down-Syndrom, über die Entwicklungsmög-lichkeiten des Kindes und über die un-terschiedlichsten Hilfsangebote. DieKapitel „Ein Leben so normal wie mög-lich“ und „Positiv in die Zukunft“ kön-nen neu betroffenen Familien zeigen,wohin der Weg mit ihrem Baby mit Down-Syndrom führen kann.

Eine Reihe Zitate (anonymisiert), diehauptsächlich aus Briefen, die uns El-tern geschickt haben, oder aus Ge-sprächen mit Familien stammen, gebenErfahrungen und Meinungen wiederund machen Mut. Diese Babybroschüresowie die auf dieser Seite vorgestellteHerzbroschüre liegen der Erstinfomap-pe bei. Für viele Eltern ist dies die ersteLiteratur, die sie zum Thema Down-Syndom lesen, auch deshalb sind dieTexte mit viel Sorgfalt zusammenge-stellt.

Die Fotos in der Broschüre stammenfast alle aus unserem letzten Fotowett-bewerb.

Es ist erfreulich, dass wir nun auchbei den Literaturempfehlungen eineAuswahl guter Bücher erwähnen kön-nen. Das war vor einigen Jahren nochnicht der Fall!

Die neue Broschüre ist umfangrei-cher, sie zählt zwölf Seiten mehr als dievorige Ausgabe. Natürlich sind auch dieKosten für Layout und Druck seit 1995gestiegen. Deshalb mussten wir leiderauch den Verkaufspreis erhöhen.

Ein Baby mit Down-Syndrom kannab sofort bei uns bestellt werden. PreisEuro 5,–.

Der Text der neuen Herzbroschürewurde nur wenig abgeändert. Es

wurde jedoch ein Kapitel mit den Faktenzum Down-Syndrom hinzugefügt unddas Heft wurde versehen mit aktuellenKontaktadressen und Literaturangaben.Vor allem wurde das Layout dem unse-rer anderen Publikationen angepasst.

Die Broschüre mit einem Vorwortvon Professor Dr. H. Singer, Chef-Kar-diologe, Universität Erlangen, nenntzwar die verschiedenen Herzfehler, diebei Down-Syndrom auftreten können,geht darauf jedoch nicht detailliert ein –das würde den Rahmen der kleinen Bro-schüre sprengen. Vielmehr wird be-schrieben, welche Untersuchungen esgibt, wie der organisatorische Ablauf beieiner Herz-OP ist, die verschiedenenOperationsverfahren genannt, das The-ma Anästhesie behandelt, die Kinderin-tensivstation und eventuell auftretendeFrühkomplikationen beschrieben.

Alle Fotos in der Broschüre zeigenKinder mit Down-Syndrom und einemHerzfehler.

Herzfehler bei Kindern mit Down-Syndrom kostet Euro 5,–.

A K T U E L L E S

Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 5

Aktion im Oktober:

Postkarten mit Giorgio Armani an deutsche „Promis“

Giorgio Armani wirbt inItalien, zusammen mit Antonella, für Kinder mit Down-Syndrom. Wir suchen nun deutsche Persönlichkeiten, die sichgenauso engagieren möchten und bei einer DS-Plakatkampagne im Jahr2005 mitmachen!

Deutsche Promis für DS-Image-kampagne 2005 gesucht

Armani als Ansporn! Wir suchendeutsche Persönlichkeiten, die sich,

wie Georgio Armani, für Kinder mitDown-Syndrom engagieren möchten.Ganz speziell für eine Imagekampagne,die wir für Oktober 2005 planen. GroßePlakate, auf denen jeweils ein Promi miteinem Kind mit Down-Syndrom zu se-hen ist. Und ein passender Spruch dazu.Diese Plakate möchten wir dann u.a.über die Städtereklame und die Bahnre-klame im Oktober 2005 bundesweit ver-breiten. Ähnliche Kampagnen im Aus-land führten dort zu einer anderen,mehr positiven Wahrnehmung und zueinem besseren Image von Menschenmit Down-Syndrom.

Wir haben uns nach viel „Brainstor-ming“ auf zehn deutsche Persönlichkei-ten geeinigt, die wir auffordern möch-ten, an unserer Plakataktion teilzuneh-men und zu zeigen, dass sie Menschenmögen und nicht Vorurteile. Ihre Na-men finden Sie auf dem Begleitschrei-ben zu der Karte. Pro „Promi“ wurden400 Karten mit einem Text und seinerAdresse gedruckt und der Zeitschriftnach dem Zufallsprinzip beigelegt.

Postkarte im Oktober verschicken

Wir vom InfoCenter informieren diesePromis Ende September in einem aus-führlichen Schreiben über das Ziel un-serer Aktion.

Sie unterstützen unser Anliegen, in-dem Sie die vorbereitete Postkarte, dieIhrer Zeitschrift beiliegt, unterschrei-ben, darauf eine Briefmarke (45 Cent)kleben und sie im Oktober losschicken.

Auf diese Weise landen dann mög-lichst viele Karten am Ort der Bestim-mung. Wir hoffen natürlich, dass Sie al-le unsere Aktion unterstützen und IhreKarte wegschicken. Vielleicht könnenwir so gemeinsam einige bekannte deut-sche Sympathieträger für diese DS-Ima-ge-Kampagne 2005 gewinnen.

In der Vereinbarung mit der Arma-ni-Presseagentur ist festgelegt, dass diePostkartenaktion zeitlich begrenzt ist,Die Karten sollen alle im Oktober ver-schickt werden, nicht mehr danach!

Aufruf an unsere Leser: Schicken Sieeine Postkarte an einen „Promi“!

Das Foto von Armani und Antonellastammt aus einer Serie von zwölf, dieder Fotograf Gianmarco Chieregatoim Auftrag des italienischen DS-Ver-eins apid gemacht hat. Damit wurde2002 ein Kalender gestaltet. Zwölfberühmte Italiener waren jeweils miteinem Kind mit Down-Syndrom ab-gebildet. Der Kalender wurde kosten-los über die größte Tageszeitung inItalien verbreitet. Eine enorm wirksa-me DS-Image-Kampagne!

Giorgio Armani stellte sein Bildaußerdem einigen DS-Vereinen welt-weit zur Verfügung, um es in großenTageszeitungen unterzubringen. InDeutschland war das Foto währendder Weihnachtszeit 2003 in der „Süd-deutschen“ zu sehen.

Wir haben nun von allen beteilig-ten Personen die Genehmigung be-kommen, das Foto für unsere Post-kartenaktion im Oktober zu benutzen.

D S - W E L T K O N G R E S S

6 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

Leben hat, weil er zu wenig Freude, zuwenig Erlebnisse, zu wenig Herausfor-derungen und keine Ziele und echte Le-bensinhalte hat – insgesamt keine guteLebensqualität.

Das haben die Australier erkannt.Sie wissen, wie wichtig es ist, ihre Er-wachsenen mit Down-Syndrom fit zuhalten, sie vor stets neue Aufgaben zustellen, sie herauszufordern, ihnenneue Inhalte im Leben zu geben. Jekompetenter sie werden, desto mehrkönnen sie auch Angebote der Kommu-nen wahrnehmen. Ihr Leben wird inter-essanter und abwechslungsreicher.

Das australische Konzept ist nach-ahmenswert. Die Frage ist, wer soll dasin die Tat umsetzen? Und vor allem, wersoll das finanzieren?

Aber habe ich nicht damals aus Syd-ney die Idee zu einer Tanzgruppe mitge-nommen und haben wir jetzt nichttatsächlich unsere eigenen Happy Dan-cers und sind nicht weitere Tanzgrup-pen im Aufbau? Vielleicht fangen wireinfach mal hier und da mit einem Kursfür junge Erwachsene an und wer weiß,wie sich das dann entwickelt ...

Und möglicherweise können wirdann in einigen Jahren stolz die erstenWeiterbildungskurse und Lernmateria-lien für junge Erwachsene vorweisen.Und vielleicht gibt es dann auch die ers-ten DS-Ambulanzen (siehe Seite 15 ff.)oder ein Freundschaftsprogramm fürIntegrationsschulen (siehe Seite 37)?

8. Down-Syndrom-Weltkongress in Singapur Cora Halder

Welche Eindrücke vom DS-Weltkongress in Singapursind jetzt, nach drei Monaten, noch präsent? Was istaußer Untersuchungen und Studien erwähnenswert?Am wichtigsten sind mir die Anregungen für die Praxis –Ideen und Konzepte, die eine bessere Lebensqualität für Menschen mit Down-Syndrom bedeuten.

Anregungen für die Praxis

Zurückdenkend an den Weltkongressmuss ich feststellen, dass mir von denvielen Vorträgen hauptsächlich die imGedächtnis geblieben sind, die mit prak-tischen Dingen zu tun haben. Spannen-de, interessante und nützliche Projekteund Konzepte, die ich am liebsten soforthier in Deutschland umsetzen möchte.Dazu gehören zum Beispiel das „Chan-ging Lives“-Programm aus den USA, das„Friend to Friend“-Konzept der KarenGaffney Stiftung, natürlich die DS-Am-bulanzen, sowohl für Kinder wie auchfür Erwachsene mit Down-Syndrom,oder die australischen Weiterbildungs-maßnahmen für junge Erwachsene.

Weiterbildung für Erwachsene

Schon beim vorhergehenden Weltkon-gress in Sydney (2000) hatten mir dieaustralischen Weiterbildungsmaßnah-men für Teenager und junge Erwachse-ne gut gefallen. Die dazugehörigen her-vorragenden Arbeits- und Lernmateria-lien, die dann eingesetzt werden, wenndie Schule nicht mehr zuständig ist, hat-ten mich begeistert. Jetzt waren dieAustralier mit noch mehr, noch aus-führlicherem Material angereist. Zu vie-len lebensnahen Themen sind Arbeits-bücher erstellt, mit denen das Weiter-lernen jungen Erwachsenen bestimmtSpaß macht. In Australien arbeiten jun-ge Menschen mit Down-Syndrom in derRegel an drei Tagen der Woche in „nor-malen“ Jobs. An den beiden anderenTagen besuchen sie die verschiedenstenKurse, die von den großen DS-Vereinenangeboten werden, und bilden sich dortin vielen Bereichen weiter. So gehen dieSchulkenntnisse nicht verloren und sie

lernen viele nützliche Dinge, die ihnendas selbstständige Leben in der Gesell-schaft ermöglichen. Auch die sozialeKomponente ist wichtig, während siebei der Arbeit in einer integrativen Um-gebung sind, begegnen sie an den Kurs-tagen anderen Menschen mit Down-Syndrom.

Dieses Konzept würde ich gerneübernehmen. Viele Eltern beklagen sich,dass ihre Jugendlichen, wenn sie einmalaus der Schule sind, keine großen Fort-schritte mehr machen, dass bestimmteFertigkeiten wieder verloren gehen. El-tern fällt es aus verschiedenen Gründenschwer, ihre erwachsenen Kinder beimWeiterlernen zu unterstützen. Vor allembrauchen die jungen Menschen Anre-gungen von anderen, außerhalb ihrereigenen Familien. Ein entsprechendesAngebot in den Wohngruppen ist seltenund andere Anbieter gibt es kaum. Sehrschnell fällt der Erwachsene in eine Le-thargie, ihm bleibt neben der Arbeithäufig nur das passive Fernsehschauen.Es wird immer schwieriger, ihn aus die-sem Trott herauszureißen. Dazu brauchtes schon eine gehörige Portion Energieund Fantasie. Und wer bringt das nochauf?

Als Entschuldigung wird dann häu-fig gesagt: „Nun ja, die sind ja alle so be-quem, sie brauchen ihren geregeltenAblauf und sind doch so ganz glücklich!Wieso soll man das ändern wollen?“

Später wundert man sich, dass soviele Menschen mit Down-Syndrom De-pressionen bekommen, die dann ebenauch wieder „typisch für Down-Syn-drom“ sind. Dabei wird die Depressionnicht verursacht durch das Syndrom,sondern weil der Mensch kein erfülltes

Balbir Singh, Vorsitzender der DS-

Association in Singapur und

Organisator des Kongresses, wurde

bei einer Sitzung der DSI (Down

Syndrome International) zum neuen

Präsidenten gewählt und löst

damit Prof. Sue Buckley ab.

D S - W E L T K O N G R E S S

Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 7

Verhalten einiger junger Kongress-teilnehmer problematisch

Was mir am Rande des Kongressesauch aufgefallen ist und mich immernoch beschäftigt, war das Verhaltenvon einigen Teenagern oder jungen Er-wachsenen. Wäre man nach Singapurgekommen, in der Hoffnung, etwasüber störende Verhaltensweisen in Er-fahrung zu bringen, hier hätte man aufjeden Fall einige Praxisbeispiele erle-ben können. Einen guten Vortrag zudiesem Phänomen habe ich auf demProgramm vermisst.

Freiwillige Helfer, meistens jungeStudenten, unerfahren im Umgang mitMenschen mit Behinderungen, waren alsBegleiter für die jungen Kongressteil-nehmer engagiert – fast schon eine Eins-zu-eins-Betreuung. Ihnen war gesagtworden, dass sie alles tun mussten, umes den Jugendlichen so angenehm wiemöglich zu machen. Aber so einfachwar diese Aufgabe nicht und so man-cher gut meinende Student hatte damitgroße Probleme. Die Studenten und Stu-dentinnen waren den Launen ihrerSchützlinge hilflos ausgeliefert und hoff-nungslos überfordert. Einige der Tee-nies und Twens benahmen sich nämlichwie uneinsichtige Kleinkinder: Sie war-fen sich auf den Boden, weigerten sich,weiterzugehen und ließen sich wegtra-gen, versuchten, sich ihrem Begleiterum den Hals zu werfen, dauernd zu küs-sen oder zu streicheln, klatschten ihnenzum Beispiel ständig auf Po oder Rückenoder wollten ihnen unbedingt die Haarekämmen.

Weshalb, fragten wir uns, benehmensich sonst kompetente Teenager so da-neben? Einzeln erlebt, sind sie ganz um-gänglich und vernünftig, sind vielleichtgute Redner, Schauspieler, Tänzer oderSportler. Hier in der Gruppe fielen eini-ge jedoch total aus der Rolle.

Vielleicht löst eine solche Eins-zu-eins-Betreuung dieses Verhalten aus?Vielleicht reizt es, die eigene Machtposi-tion über diese unbekannte, freundli-che, aber hilflose Person, die einem janichts verbieten kann, auszunützen?Mal so richtig auskosten, wie weit mangehen kann?

Vielleicht ist es auch eine Reaktionauf die Frage: „Wieso brauche ich ei-gentlich so einen Rund-um-die-Uhr-Be-treuer? Ich bin doch erwachsen, selbst-ständig!“ Eine italienische Psychologinsagte einmal in einem Vortrag, als es umsolche kindliche Verhaltensweisen beierwachsenen Menschen ging, folgendenSatz, den ich mir gemerkt habe: „If youtreat me like a baby, then I act like a ba-by!“ Vielleicht löst man dieses Verhaltenselbst aus, wenn man erwachsene Men-schen mit Down-Syndrom nicht alters-gemäß behandelt?

Aber noch etwas mag eine Rollespielen. Jede einzelne Person mit Down-Syndrom ist in ihrer eigenen Familie, inihrem eigenen Umfeld häufig der Mittel-punkt. Vieles, ja oft alles dreht sich umsie oder ihn. Daheim sind sie Prinz oderPrinzessin. Jetzt kommen all diese klei-nen Prinzen und Prinzessinnen zusam-men und sind plötzlich nicht mehr soeinmalig, nicht mehr der alleinige Mit-

telpunkt. Das können einige offenbarschlecht akzeptieren und versuchen,durch störendes Benehmen die Auf-merksamkeit auf sich zu lenken.

Viele kompetente junge Menschenmit Down-Syndrom

Natürlich betraf Obenstehendes nur ei-nen kleinen Teil der jungen Kongress-teilnehmer, die meisten wussten sichauf diesem internationalen Parkett gutzu bewegen und amüsierten sich präch-tig. Interessant war es, festzustellen, wiedeutlich auch Menschen mit Down-Syn-drom von ihrer eigenen Kultur geprägtsind. Die australischen Jugendlichentreten zum Beispiel sehr selbstbewusst,locker und ziemlich laut auf, die Japanersind viel zurückgezogener, sehr formellund höflich.

Als Ausgleich zu den vielen, defizit-orientierten Beiträgen tat es gut zu se-hen, dass nicht alles so schlecht bestelltist um Menschen mit Down-Syndrom.Es war wichtig für mich diese vielen jun-gen Menschen hier zu erleben, die trotzall dieser medizinischen und kognitivenProbleme fröhlich, unbeschwert undaufgeweckt waren.

Selbstbewusster junger Australier

Teilnehmer, Musiker und eine Buchautorin aus Japan,

Indonesien, Malaysia, Singapur und aus den USA

M E D I Z I N

8 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

Psychiatrische Störungen bei Patien-ten mit Down-Syndrom beinhalten

unterschiedliche Störungen in Stim-mungen, Denken und Verhalten, die aufverschiedene Ursachen zurückgeführtwerden können. In dieser Studie wurden100 Personen mit Down-Syndrom unter-sucht. Bei 25 von ihnen lagen besonde-re Probleme vor. Das Alter dieser Pati-enten lag zwischen fünf und 30 Jahren.Folgende Störungen wurden festgestellt:

Vier Personen hatten ADS,fünf zeigten aggressives Verhalten,

wobei es zu häufigen Wutanfällen kam, vier Patienten zeigten selbstverlet-

zende Verhaltensweisen, wie Kopf-Anschlagen, Nägel-Beißen oder -Aus-reißen,

vier Personen zeigten Ticks und ste-reotype Verhaltensweisen,

vier Menschen hatten eine Depression,eine Person zeigte obsessive Zwangs-

handlungen,drei Menschen litten unter intermit-

tierenden explosiven Störungen.

Bei den jüngeren Patienten traten Ag-gressivität und ADS öfter auf, währendbei den Älteren häufiger eine Depressi-on vorlag oder vermehrt stereotype Ver-haltensweisen festgestellt wurden. Beikeinem der Patienten hat es größereKonflikte, gravierende Veränderungenim Lebensumfeld oder einen Verlust vonAngehörigen etc. gegeben. Die Patien-tengruppe bestand aus 13 Männern undzwölf Frauen. Die Störungen wurdenmit Pharmazeutika, Psychotherapie undVerhaltenstherapie behandelt.

N. Aruna, R. Rema Devi, Sayee Rajangam

St. John’s Medical College, India

Auch in einer italienischen Studieging es um psychopathologische

Störungen bei Down-Syndrom. Profes-sor Romano gab in seinem Vortrag eineallgemeine Übersicht über diese The-matik. Es ist bekannt, dass psychopa-thologische Störungen (PPD = psycho-pathological disorders) in der Kombina-tion mit einer geistigen Behinderung re-lativ häufig auftreten. Seit 1965 habensich Wissenschaftler mit den Zusam-menhängen zwischen Down-Syndromund zusätzlichen Persönlichkeitsstörun-gen befasst. In einem Bericht von Mc-Carthy und Boyd wurden diese Störun-gen bei 35 Prozent der jungen Erwach-senen mit Down-Syndrom diagnosti-ziert.

Professor Romano trug die Ergeb-nisse seiner Untersuchung vor. Dabeiwurde in einer Periode von zehn Jahrenbei 17,8 Prozent (57 Patienten) von 319Menschen mit Down-Syndrom im Altervon sechs bis 46 Jahre eine PPD festge-stellt. Vermehrt kamen diese Störungenin der Altersgruppe der 13- bis 18-Jährigen vor, weil in dieser Lebenspha-se oft depressive Störungen auftreten.

Medikamente wie Fluoxetin, Ami-triptylin und Levomepromazin wurdenbei 41 Personen zur Behandlung einge-setzt. Bei 23 gingen die Symptome deut-lich zurück. Diese positive Reaktion (beimehr als 50 Prozent) auf eine Behand-lung mit Psychopharmaka stimmt opti-mistisch. Dass in der italienischen Stu-die die Anzahl der Patienten mit PPD ge-ringer ist als in der von McCarthy undBoyd, führt Romano darauf zurück, dassdie Altersspanne in seiner Untersuchungweiter gefasst war.

C. RomanoOasi Instite, Troina

Eine langfristig angelegte Studie ausFinnland brachte ähnliche Ergebnis-

se. Über 30 Jahre wurden dort Datenvon 126 Menschen mit Down-Syndromgesammelt (76 männliche, 50 weiblichePersonen). Sie wurden zwischen 1970und 2002 regelmäßig einem psycholo-gischen Test unterzogen, medizinischuntersucht, ihr Entwicklungsstand undihre sozialen Fähigkeiten wurden beur-teilt.

ADS schien im Kindesalter häufigvorzukommen. Über eine Behandlungmit Medikamenten konnte nichts ausge-sagt werden, weil kein Kind mit Stimu-lanten behandelt worden war.

Depressionen wurden fast aus-schließlich bei Erwachsenen festgestellt,meistens bei denjenigen mit einer nurmilden geistigen Behinderung. In denmeisten Fällen war eine Behandlung mitAntidepressiva erfolgreich.

Autistische Verhaltensweisen wur-den hauptsächlich festgestellt bei Men-schen mit einer schwereren geistigenBehinderung. Bei manchen alten Men-schen konnte man einen Abbau vonFähigkeiten beobachten, die typisch fürdie Alzheimer-Erkrankung sind.

Dr. Tervo Määttä wies auf die Be-deutung von lebenslangem Lernen fürMenschen mit Down-Syndrom hin undbetonte, wie häufig Seh- und Hörpro-bleme bei älteren Menschen mit Down-Syndrom vorkamen und nicht erkanntwurden.

Tervo MäättäUniversity of Oulo

Finnland

Psychiatrische Störungen und Down-Syndrom

In Singapur stellten Wissenschaftler aus Indien, Italienund Finnland Studien zum Thema Down-Syndrom undzusätzliche psychiatrische Störungen vor.

M E D I Z I N

Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 9

Menschen mit Down-Syndrom le-ben immer länger. Antidiskrimi-

nierungsgesetze in vielen Ländern ga-rantieren ihnen eine adäquate medizi-nische Versorgung. Dies hat u.a. zurFolge, dass behandelnde Ärzte sich ver-traut machen müssen mit Problemen,die bei Frauen mit Down-Syndrom vonder Pubertät an bis in die Wechseljahreund danach auftreten können. Außer-dem müssen Ärzte sich darauf einstel-len, diese Frauen in einigen Fällen vor,während und nach einer Schwanger-schaft medizinisch zu begleiten.

Weil Mädchen mit Down-Syndromöfter körperlich kleiner sind als Gleich-altrige ohne Down-Syndrom und das Al-ter bei den meisten Menschen korreliertmit ihrer Größe, kommt der Zeitpunkt,zu dem ein Mädchen mit Down-Syn-drom die ersten Zeichen anfangenderPubertät zeigt, für alle Beteiligten häufigsehr überraschend. Man erwartet dieseinfach noch nicht.

Bei ihnen läuft dieser Prozess gleichab wie bei anderen Mädchen: Die erstenZeichen, meistens die Entwicklung derBrust, fangen ungefähr zwei Jahre vordem Beginn der Periode an. Dies pas-siert also im Vergleich zu anderen Mäd-chen nicht später. Es ist auch bekannt,dass Mädchen mit Down-Syndrom wäh-rend des ganzen Jahres, bevor die Peri-ode einsetzt, schon regelmäßig monatli-che Symptome zeigen, wie Stimmungs-schwankungen oder Bauchschmerzen.Untersuchungen in Australien ergaben,dass 1988 Mädchen mit Down-Syndromihre erste Periode im Alter von 13,5 Jah-re bekamen, zehn Jahr später, 1998, lagdas Durchschnittsalter bei 12,6 Jahren.

Das Einsetzen der Regelblutung istnicht nur abhängig von den Hormonen.Auch das Gewicht der Frau spielt eineRolle. Dieses muss über 45 kg liegen, da-mit die Menstruation überhaupt einset-zen kann. Wenn eine Frau aus welchemGrund auch immer Gewicht verliert undweniger als 45 kg wiegt, kann die Men-struation ausbleiben, bis die Frau wie-der zugenommen hat.

In der Woche, bevor die Periode ein-setzt, können Frauen bestimmte Sym-ptome zeigen. Einerseits können dies

Schmerzen sein, es können aber auchStimmungsschwankungen, Reizbarkeitoder depressive Verstimmungen auftre-ten, die man PMS, Prämenstruelles Syn-drom, nennt.

Wenn in der Woche vor der Men-struationsblutung Veränderungen imVerhalten bei einer Frau mit Down-Syn-drom festgestellt werden oder die Frauselbst über Beschwerden klagt, könntees sich um ein PMS, um „normale“ Peri-odenschmerzen oder um beides ge-meinsam handeln.

Kyrkou (1999) stellte bei einer Studiefest, dass Frauen mit Down-Syndromsowohl häufiger unter PMS wie unterPeriodenschmerzen litten als andereFrauen, aber dass die Symptome sehrunterschiedlich sein können. Dies ist zuwenig bekannt und so kann gerade beiFrauen mit einer Behinderung die rich-tige Diagnose, was Periodenschmerzenoder PMS betrifft, leicht verfehlt wer-den. Diese Gefahr ist vor allem dann ge-geben, wenn die Frau nicht in der Lageist, sich genügend deutlich mitzuteilen.

Stattdessen versucht man oft, dieeventuellen Verhaltensauffälligkeitenmedikamentös zu behandeln, und greiftvielleicht zu schnell nach Antidepressi-va. Oder man unternimmt gar nichts, inder Annahme, diese Verhaltensweisensind Down-Syndrom-spezifisch.

Vielleicht wird die Frau sogar vonder Schule oder von ihrem Arbeitsplatzweggeschickt oder sie darf nicht mehran Freizeitmaßnahmen teilnehmen, we-gen ihres veränderten, schwierigen Ver-haltens, dessen Ursache man nicht ge-nau untersucht.

Auch wenn PMS schwer zu behan-deln ist, sollte zunächst an eine Thera-pie mit pflanzlichen Präparaten und anEntspannungsübungen gedacht wer-den. Eine ausgewogene Ernährung undregelmäßige körperliche Aktivitätenkönnen ebenfalls einen günstigen Ein-fluss haben.

Eine Frau mit Down-Syndrom in die-ser Situation, die an schwankenden Ge-mütszuständen oder depressiven Ver-stimmungen leidet, vorschnell mit Antidepressiva zu behandeln oder garin eine spezielle Klinik einzuweisen, ist

völlig falsch. Es ist deshalb äußerstwichtig, die Ursache der Beschwerdenherauszufinden. So vermeidet man,dass die Frau fälschlicherweise das La-bel einer psychiatrischen Störung auf-gedrückt bekommt. Auch bei dieser Er-krankung haben Frauen mit Down-Syn-drom Recht auf die genau gleiche Be-handlung ihrer Beschwerden wie andereFrauen mit PMS.

M. KyrkouFlinders University, Australia

Medizinische Aspekte der Pubertät und danach bei Mädchen und Frauen mit Down-Syndrom

Junge Teilnehmerin am

Down-Syndrom-Weltkongress

M E D I Z I N

10 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

Wachstum, Wachstumstabellen undWachstumshormonbehandlung

Eines der bekanntesten klinischenMerkmale von Personen mit Down-

Syndrom ist ihre kurze Statur. Schon beider Geburt sind Neugeborene mit Down-Syndrom kleiner als andere Ba-bys. Danach fällt besonders im Alter vonneun bis 36 Monaten eine deutlicheWachstumsverzögerung auf. DiesenRückstand können sie nicht mehr ein-holen.

Die Tatsache, dass die Kinder mitDown-Syndrom dann relativ früh in diePubertät kommen, beeinflusst ebenfallsihre Endgröße. Und während der Pu-bertät wachsen die Teenager nicht soschnell wie die Jugendlichen ohne Down-Syndrom. Diese Besonderheitenim Wachstumsverlauf und die zusätz-lich häufig auftretenden Krankheitenführen zu der kurzen Statur.

Die ersten Wachstumstabellen fürKinder mit Down-Syndrom, die vonCronke et al. entwickelt wurden, werdennun schon seit vielen Jahren benutzt.Über die globale Anwendbarkeit dieserTabellen wird in letzter Zeit kontroversdiskutiert, weil sie auf Daten beruhen,erhoben bei Menschen mit Down-Syn-drom mit und ohne zusätzliche schwereErkrankungen.

Wissenschaftler haben in letzter Zeitdeutlich gemacht, dass es notwendig ist,

neue Tabellen zu entwickeln, in denendie Daten der Kinder mit zusätzlichengesundheitlichen Problemen wie schwe-re Herzfehler oder Darmerkrankungennicht berücksichtigt sind. Das Ziel ist es,allgemein gültige Wachstumstabellen zuerhalten, die den normalen durch-schnittlichen Wachstumsverlauf inner-halb des Down-Syndroms wiedergeben.Daraus lässt sich dann ein abweichen-des Wachstumsmuster leicht ermitteln.Durch eine geeignete Untersuchung nachden Ursachen kann eine eventuell not-wendige Behandlung früh eingeleitetwerden.

Obwohl in der Literatur wiederholtüber Versuche mit der Gabe von Wachs-tumshormonen berichtet wird, die kurz-fristig auch viel versprechend und si-cher zu sein scheinen, bleibt diese The-rapie für diese Gruppe Kinder umstrit-ten. Es gibt immer noch keine Daten, dieden langfristigen Erfolg einer Hor-montherapie belegen. Deshalb wirdempfohlen, dass eine Hormontherapienur innerhalb einer ethisch vertretba-ren, wissenschaftlich begleiteten Studiestattfinden soll.

Fabian YapKK Women’s and

Children’s HospitalSingapore

Die Diagnose einerUnterfunktion derSchilddrüse

Auf das häufige Vorkommen einerUnterfunktion der Schilddrüse bei

Menschen mit Down-Syndrom habenviele Autoren hingewiesen und es kannnicht genügend betont werden, wiewichtig es ist, diese Diagnose nicht zuübersehen.

Die Folgen einer Unterfunktion sindaußerordentlich ernsthaft. Der Schaden,der am Zentralnervensystem entstehenkann, speziell bei jungen Menschen,kann sehr schwer sein und ist höchst-wahrscheinlich ein bleibender Schaden.Eine unbehandelte Schilddrüsenunter-funktion ist auch deswegen ein Missge-schick, weil sowohl die Diagnose alsauch die Behandlung relativ einfach undeindeutig sind.

Die Diagnose einer Unterfunktionwird gewöhnlich gemacht, indem manden TSH-Wert (Thyreoidea-stimulieren-des Hormon) ermittelt, der in diesemFall erhöht ist.

Die gängige Praxis, den TSH-Wertim Serum zu ermitteln, stützt sich aufdie Annahme, dass der TSH-Wertgleichzeitig eine zuverlässige Wiederga-be des Thyroxin im Serum ist. Dies istaber nicht immer der Fall. Der TSH-Wert kann extrem hoch sein bei ganznormalen Thyroxin-Werten. In diesemFall liegt eine so genannte kompensier-te oder subklinische Hypothereose vor.

Wenn eine solche kompensierte Un-terfunktion bei Personen mit Down-Syn-drom vorliegt, kann es vorkommen,dass der erhöhte TSH-Wert nach gewis-ser Zeit spontan auf den normalen Wertzurückfällt. Wohl kann ein Teil der Men-schen aus dieser Gruppe später eineechte Unterfunktion entwickeln, aberdies trifft nicht auf alle zu.

In Hinblick auf diese Gegebenheitenwird empfohlen, dass Menschen mit Down-Syndrom, bei denen ein hoherTSH-Wert vorliegt, nicht nur auf Grunddieser Daten behandelt werden, son-dern dass die Thyroxin-Werte bestimmtwerden, bevor ein Medikament ver-schrieben wird.

Ben Sacks, Down Syndrome Educational Trust

Portsmouth

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 11

Die DSMIG wurde 1994 gegründetund ist ein loser Verband von

Fachleuten aus der Medizin, die ein be-sonderes Interesse an Menschen mitDown-Syndrom haben. Das Forumsteht allen Medizinern offen. Kontaktelaufen hauptsächlich über E-Mail. Beilokalen, nationalen und internationalenKongressen finden Treffen der Mitglie-der statt, bei denen neue Erkenntnissediskutiert werden, Erfahrungen ausge-tauscht und gemeinsam nach den bes-ten Behandlungsmöglichkeiten gesuchtwird.

Medizinische Richtlinien

Als eine ihrer wichtigsten Aufgabensieht der DSMIG in den USA die Zusam-menstellung und laufende Überarbei-tung der medizinischen Richtlinien. Die-se werden u.a. über die Kinderarztver-bände an die praktizierenden Medizinerweitergegeben. Die DSMIG hat auch ei-ne beratende Funktion zum Beispielwenn es darum geht, eine „medical cli-nic“ für Kinder, Jugendliche und Er-wachsene mit Down-Syndrom einzu-richten.

Down-Syndrom-Beratungsstellen –nur mit Elternengagement möglich

Professor Cohen betonte aber, dass sol-che spezielle Beratungsstellen nurdurch das Engagement und das ständi-ge Drängen der Eltern ins Leben geru-fen werden (siehe dazu Artikel auf Sei-te 15). In der Regel werden zunächstDown-Syndrom-Sprechstunden in einerbestehenden Kinderklinik angeboten.Ein Kinderarzt bietet diesen Terminzum Beispiel an einem Tag in der Wo-che an. Allmählich kommen mehr Fach-leute dazu, eine Physiotherapeutin, eineErnährungsberaterin, verschiedeneFachärzte. Die Sprechstunden findenimmer öfter statt. Schließlich kann einesolche Down-Syndrom-Klinik durchge-hend geöffnet sein.

Das Wichtigste bei dem Aufbau ei-ner solchen Down-Syndrom-Klinik istein Koordinator, der durchgehend er-reichbar ist, organisiert, Termine fest-legt und den Kontakt zu den Elternpflegt etc. Professor Cohen nannte die-

Down-Syndrome Medical InterestGroup (DSMIG)

se Person „the glue of the program“.Idealerweise ist diese Person selbst Mut-ter oder Vater eines Kindes mit Down-Syndrom.

Eine solche Klinik lässt sich natür-lich beliebig ausbauen, denn aus Kin-dern werden Jugendliche, später Er-wachsene.

Gerade für Erwachsene ist das An-gebot in den USA noch zu gering. Es ha-ben sich erst wenige solche spezielle Be-ratungsstellen oder Down-Syndrom-Zentren etabliert, in denen ein Teamvon Fachleuten, darunter Mediziner ausden verschiedenen Fachrichtungen,Psychologen, Psychiater und Therapeu-ten, gemeinsam erwachsene Menschenmit Down-Syndrom beraten und behan-deln.

Datenbank

Weiter plant die DSMIG, eine ausführli-che Datenbank zusammenzustellen.Schwierigkeiten bereiten dabei finanzi-elle und ethische Fragen. Diese Aufgabewurde nun von den kanadischen Mit-gliedern der DSMIG übernommen. Sieentwickeln zurzeit ein virtuelles multi-disziplinäres Informationsnetzwerk zurUnterstützung wissenschaftlicher Un-tersuchungen bei Down-Syndrom (N.Virji-Babul, D. Kisly, J. Mills, alle tätigfür die Down-Syndrome Research Foundation, Kanada).

Mitglied in DSMIG für Mediziner

Bei Interesse können sich Mediziner perE-Mail bei der Gruppe als Mitglied mel-den:[email protected]@chp.edu

William Cohen, Down Syndrome Center of Western

Pennsylvania, USA

Schlafapnoe – Untersuchung mitMRT

Obstruktive Schlafapnoen werdenoft bei Kindern mit Down-Syn-

drom festgestellt. Normalerweise be-steht die Behandlung darin, dass sowohldie Rachenmandel wie die Gaumen-mandel entfernt werden. Während die-se Operation in der Regel bei Kindernsehr erfolgreich ist, scheint dies bei Kin-dern mit Down-Syndrom nicht unbe-dingt der Fall zu sein. Bei 54 Prozentsind die Schlafstörungen auch nach ei-ner Operation noch vorhanden.

Deshalb muss bei diesen Kindernnochmals eine Schlafuntersuchung ineinem Schlaflabor durchgeführt wer-den. Dabei kann man zwar feststellen,ob die Atmungsstörungen im Schlafnoch vorkommen und wie sie sich nachder OP eventuell verändert haben, je-doch gibt sie keine genauen Informatio-nen darüber, durch was die restlicheObstruktion verursacht wird.

Untersuchung mit MRT

Die Referentin schilderte, dass dann inihrer Klinik mittels eine Kernspin-To-mographie (Magnetresonanz-Tomogra-phie) versucht wird, die Ursache derSchlafstörungen zu erforschen. Manch-mal waren zum Beispiel die Adenoidenwieder nachgewachsen oder es lag eineGlossoptose (ein Zurücksinken der Zun-ge) vor. Eine nochmalige Adenotomiewar in einigen Fällen erfolgreich. Auchdie Anwendung einer Sauerstoffmaskewar für manchen Patienten hilfreich, al-lerdings wurde eine Schlafmaske vonkleineren Kindern schlecht akzeptiert.

Sally R. ShottCincinnati Children’s Hospital

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12 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

Wieso sind die Leute sosauer auf mich?Überlegungen über das Erstgespräch

Jane Elisabeth Holan und William I. Cohen

Was soll das denn heißen? Mir ist esja ganz schlecht. Da bin ich mit

meiner Weisheit am Ende. Gerade habeich den Brief gelesen, den Larry undHelen, Eltern von drei meiner kleinenPatienten, mir geschickt haben. Kann essein, dass sie vielleicht jemand anderengemeint haben? Sie sind so wütend undgekränkt und sie tun so, als ob ich siehätte verletzen wollen. Ausgerechnetich!

Jetzt muss ich mich erst mal beruhi-gen und die Geschichte rekapitulieren.Gretchen ist jetzt 14 Monate alt und seitihrer Herzoperation mit fünf Monatenentwickelt sie sich prächtig. Sie hat Down-Syndrom und der Grund, wes-halb die Eltern sich so aufregen, ist, dassihnen offenbar die Art und Weise, in derich sie über die Diagnose ihrer Tochteraufgekärt habe, nicht gefallen hat.

Ich muss zugeben, dass auch ichmich noch deutlich an das Gespräch vondamals erinnern kann. Wahrscheinlichdeswegen, weil es mir immer schwerfällt, schlechte Nachrichten weitergebenzu müssen. Aber ich bin mir ganz si-cher, dass ich diese unangenehme Auf-gabe nicht anders erledigt habe alssonst, wenn ich irgendwelche Elternüber eindeutige Behinderungen beiihrem Kind aufklären muss. Und dies istdas erste Mal überhaupt, dass jemandmich deswegen kritisiert!

Sie schreiben mir hier, dass ich Ih-nen zu viele Informationen gegeben ha-be, dass Sie sich überwältigt fühlten.Aber das ist doch meine Pflicht, nichtwahr, Sie über alle medizinischen Pro-bleme, die auftauchen können, zu infor-mieren? Ich wette, dass Sie noch mehrentsetzt gewesen wären, hätte ich Ih-nen all diese Dinge nicht erzählt. Sie be-haupten, dass ich zu negativ war unddass ich in einer missbilligenden Artüber Down-Syndrom gesprochen hätte.

Sie sagen, dass ich nicht sehr hoff-nungsvoll über die Zukunft war, unddass ich die Tatsache, dass Ihre Tochtergeistig behindert wäre, so herausgestellthätte. Na so was! So weit ich informiertbin, stimmt dies alles. Es wäre falschvon mir gewesen, hätte ich – um Sie zuberuhigen – gesagt, dass Gretchen nor-mal sein würde.

Sie behaupten auch, dass es nichtrichtig von mir war, dass ich nur mitHelen alleine gesprochen habe, ohnedass Larry dabei war. Na ja, was das be-trifft, haben Sie vielleicht Recht, aber alsich morgens in die Klinik kam, warLarry eben nicht da. Und was blieb mirschon anderes übrig, ich muss michschließlich an meine Sprechstundenzei-ten halten. Hätte ich die anderen Pati-enten vielleicht heimschicken sollen?

Sie machten noch einige interessan-te Bemerkungen. Am Tag, nachdem ichmit Ihnen gesprochen hatte, redeten Siemit meinem Partner Rob und fragtenihn, weshalb wir eigentlich dachten,dass das Baby Down-Syndrom hat. Erklärte Sie auf über die typischen Merk-male, inklusive die durchgehende Hand-linie und der etwas gekrümmte kleineFinger. Larry sagte, dass er das genau-so hätte. Rob wies dann darauf hin, dassGretchen etwas schräg stehende Augenund diesen Epikanthus hatte. Und ob-wohl Sie eigentlich gemerkt haben müssten, dass Rob wirklich Ahnung hatvon Down-Syndrom, fanden Sie seineErklärungen dennoch nicht überzeu-gend. Also ich glaube, Sie waren einfachnoch nicht imstande, die Diagnose zuakzeptieren.

Eines der schlimmsten Dinge, diepassiert wären, war, dass Jim, unser Se-nior-Kollege, der schon seit 25 Jahren inder Praxis ist, Sie gefragt hätte, ob Sievorhätten, das Baby zur Adoption frei-zugeben. Dies hätte Sie regelrecht belei-

Eine Anregung vom DS-Weltkongress aus Sin-gapur für unsere eigeneArbeit ist das „ChangingLives“-Programm ausden USA.

Das Programm bestehtaus edukativem Materi-al, speziell entwickeltfür Elterngruppen, diedamit Fachleute über diemedizinischen undpädagogischen Bedürf-nisse von Menschen mitDown-Syndrom aufklä-ren können. Zielgruppensind Ärzte, Kranken-schwestern, Hebammen,Berater in genetischenBeratungsstellen undweiteres Personal im Gesundheitswesen.Dass eine solche Auf-klärung notwendig ist,wird deutlich, wenn manhört, wie viele Eltern negative Erfahrungenbeim ersten Gesprächüber die Diagnose ihresKindes oder weiter imUmgang mit medizini-schem Fachpersonalmachen.Dr. Jane Holan und Dr.William Cohen beschrei-ben, wie es zum „Chan-ging Lives“-Programmkam.

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 13

Aus den Daten dreier unserer Klinikengeht hervor, dass die Diagnose des Down-Syndroms meistens durch die Ge-burtshelfer und die Kinderärzte an dieFamilien gegeben wird. Wir haben fest-gestellt, dass es für die Eltern besser ist,die Information von jemandem zu be-kommen, der die Familie schon kennt.Im Falle eines ersten Kindes hat die Fa-milie in der Regel noch keinen Kontaktzu einem Kinderarzt. Es erschwert dieSituation für die Eltern ungemein, wennsie von einem völlig Fremden die Nach-richt bekommen. Der Hausarzt zum Bei-spiel ist derjenige, der wahrscheinlicheinen durchgehenden Kontakt mit derFamilie hat, genauso wie der Gynäkolo-ge. Diese Vertrautheit kann beim Erst-gespräch sehr hilfreich sein. Sicherlichkönnen auch andere Klinikangestellte,wie zum Beispiel Krankenschwestern,eine wichtige positive Rolle spielen – je-doch können diese auch mal negativePerspektiven aufzeichnen! Einige Fami-lien besprechen sich mit einem Geneti-ker, dies meistens erst nachdem die Dia-gnose schon feststeht. Auch ein Sozial-arbeiter kann eingeschaltet werden.

Unterrichtsmaterial für Berater

Trotz der vielen Publikationen, die dieBedeutung einer sensiblen Beratung be-tonen, müssen wir aus den Informatio-nen, die wir von den Eltern bekommen,schließen, dass hier trotz allem vielesschief läuft.

Wir sind uns darüber im Klaren,dass geschriebene Informationen alleinnicht genügend sind. Es sind andere, di-rektere Unterrichtsmethoden notwen-dig. Dies müsste ein umfassendes Kon-zept sein, abgestimmt auf die verschie-densten Zielgruppen, wie angehendeÄrzte und Krankenschwestern, Kran-kenhauspersonal allgemein, Fachrun-den für Gynäkologen, Hebammen undweiteres Personal in den Geburtsklini-ken.

Um diese verschiedenen Zielgrup-pen leichter und immer wieder (beimhäufigen Wechsel des Klinikpersonalsist dies notwendig) zu erreichen, plan-ten wir, gemeinsam mit dem Elternver-band einen Videofilm rund um das Dia-gnosegespräch zu drehen. Die Eltern-gruppen sind eine unschätzbar wertvol-le Informationsquelle für Fachleute,speziell auch dann, wenn diese ElternKritik haben.

Zusätzlich zu dem Video könne es

digt, keinen Moment wäre Ihnen so et-was in den Sinn gekommen. Natürlichkann ich Jims Bemerkung nachvollzie-hen. Er war vor vielen Jahren mal alsBerater in einer staatlichen Einrichtungtätig, in der zu der Zeit die meisten Kin-der mit Down-Syndrom oder mit ande-ren schweren Behinderungen unterge-bracht wurden, noch bevor die Politiksich diesbezüglich in den letzten zehnJahren änderte.

Sie erwähnen, ich hätte Ihnen mehrHoffnung machen sollen, dass die Dingenicht so schlimm wären, als Sie in demMoment dachten. Mir ist schon bewusst,dass Sie dachten, ich sehe die ZukunftIhrer Tochter pessimistisch. Aber dasist doch realistisch, nicht wahr? Gret-chen wird behindert sein und sie wird ineine Sonderschule mit anderen behin-derten Kindern gehen müssen. Sie wirdimmer in jedem Lebensabschnitt aufHilfe angewiesen sein, besonders wennsie mit der Schule fertig ist. Ich sagte Ih-nen auch, dass ich dachte, es wärewichtig zu planen, welches der beidenGeschwister für Gretchen sorgen würde,wenn Sie nicht mehr da wären. Schließ-lich sollte man die Dinge realistisch se-hen, finden Sie nicht?“

Verunsicherung beim Arzt, Wut bei den Eltern

Der Brief von Gretchens Eltern hat die-sen fürsorglichen, menschlichen Arztverunsichert. Er hatte offensichtlich an-genommen, diese schwierige Aufgabegut erledigt zu haben. Er hatte anschei-nend keine Ahnung davon, dass er ir-gendetwas hätte anders machen sollen.Er glaubte anscheinend, dass er Faktensachlich richtig weitergegeben hat, undfühlte sich nun verletzt, dass seine Be-mühungen erfolglos waren. Vor diesemBrief von Larry und Helen würde erwahrscheinlich nie einen Artikel überdas Wie und Was eines Aufklärungsge-sprächs gelesen haben.

Es ist ausreichend bekannt, dass dieArt und Weise, wie man die Familie überdas Down-Syndrom ihres neugebore-nen Kindes informiert, äußerst ent-scheidend ist. Trotz dieser Erkenntnis-se hören wir regelmäßig von Eltern, diemit ihren Kindern in unsere Vorsorge-klinik zur Untersuchung kommen, „Hor-ror-Geschichten“.

Eine bleibende Wut bei den Eltern,denen gegenüber, die Sie auf eine un-passende Art informiert haben, ist nicht

wegzuleugnen. Wenn wir die Aussagender Eltern überprüfen, stellen wir fest,dass ein negativ geprägtes Aufklärungs-gespräch für den Trauer- und Bonding-Prozess der Eltern enorm belastend ist.

Eine Familie berichtet, dass die un-passenden, bedrückenden Vorhersagenfür die Zukunft ihres Kindes bei der Ge-burt ihre Hoffnungslosigkeit noch ver-stärkt hätten. Später traten an derenStelle Schuldgefühle, als sie nämlichfeststellten, dass das Kind sich weit bes-ser entwickelte, als der Arzt vorherge-sagt hatte, und es ihnen bewusst wurde,wie seine Bemerkungen sie in eine Rich-tung gedrängt hätten, die ihre eigene In-teraktion mit dem Kind behindert hat.

Diagnosevermittlung

Es gibt eine ganze Reihe Richtlinien dar-über, wie man eine schwierige Diagno-se den Eltern vermitteln soll. FolgendeListe stammt von Cooley und Graham(Clinical Pediatrics April 1999):

Wie vermittelt man die Diagnose?

Eltern sollen aufgeklärt werden:1. so bald wie möglich2. von jemandem, der genügendKenntnisse hat, um glaubwürdigzu sein3. mit beiden Eltern anwesend,wenn möglich4. mit dem Baby anwesend, wennmöglich, das beim Namen genanntwerden soll5. in einem privaten, angenehmenRaum, wo man ungestört ist6. auf eine ehrliche und direkteArt, in einer gut verständlichenSprache mit so viel Zeit wie nötig,für Fragen7. mit einer ausgewogenen Sicht-weise, statt mit einer Auflistungaller Probleme8. mit einem nächsten festen Ge-sprächstermin und einer Telefon-nummer, über die immer jemanderreichbar ist, um Informationenzu geben9. mit einer Übersicht weiterer In-formationsquellen, u.a. Kontakt-möglichkeiten zu anderen Eltern,die angebahnt und organisiertwerden können,10. und anschließend ungestörtmit ihrem Baby allein sein kön-nen.

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14 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

Mit diesem Programm können Eltern-gruppen:

Fachleute auf ihre Aufgabe vorberei-ten, die Diagnose und andere sensibleInformationen so gut wie möglich zuvermitteln,

Fachleute über die Bedürfnisse vonMenschen mit Down-Syndrom auf me-dizinischem und pädagogischem Gebietaufklären und auf die notwendigen Vor-sorgemaßnahmen hinweisen,

kommunale und private Anbieter vonDienstleistungen an Menschen mit Down-Syndrom informieren,

neue Eltern und Paare, die ein Babymit Down-Syndrom erwarten, informie-ren.

Das Programm soll auch ein Instrumentsein, langfristig die Beziehungen zwi-schen Fachleuten und Eltern zu verbes-sern. „Changing Lives“ wurde von zweigroßen Elternverbänden zusammenge-stellt und hat sich in der Praxis als sehrpositiv und hilfreich gezeigt.

Das Programmmaterial beinhaltet: ein Trainingshandbuch mit allen In-

formationen und Tipps, die es Vertre-tern einer Elterngruppe ermöglicht,zum Beispiel in einer Geburtsklinik Ärz-te und anderes Klinikpersonal aufzu-klären oder angehende Fachleute anFachschulen zu unterrichten,

zwei Exemplare eines professionellenVideos zum Thema medizinische Vor-sorge bei Down-Syndrom, mit den je-weils dazugehörigen Broschüren,

ein Video für neu betroffene Eltern mitden jeweils dazugehörigen Broschüren,

eine Mappe für die Fachleute, zumVerbleib in der Klinik, mit u.a. medizi-nischen Richtlinien und einer Übersichtnützlicher Online-Adressen für weitereInformationen.

Ausgestattet mit diesen professionell ge-stalteten, aktuellen Materialien fällt esVertretern der Elterngruppen leichter,gute Aufklärungsarbeit zu leisten.

Informationen in schriftlicher Form ge-ben, die laufend aktualisiert werdenmüssten, damit das Personal sich im-mer wieder darüber informieren kann,was neu, positiv und aufregend in derDown-Syndrom-Szene ist.

Wir sind der Meinung, dass alle Ge-burtskliniken Zugang zu solchen Res-sourcen haben sollten. Nur durch Infor-mation und durch eine einfühlsameAusbildung können wir unsere Mitar-beiter in den Kliniken und Praxen sen-sibilisieren, damit Traumata für Famili-en durch die Diagnosevermittlung mög-lichst gering gehalten werden.

Dieser Artikel erschien in DownSyndrome Papers and Abstracts forProfessionals, 15 (2):4-5, 1992 und

wurde uns dankenswerterweise vonDr. Cohen zur Verfügung gestellt.

„Changing Lives“-Programm

Aus oben genannten Über-legungen wurde das„Changing Lives“- Programm entwickelt, dasbeim DS-Weltkongress in Singapur vorgestelltwurde.

Andrea Lack, zweite Direktorin der Na-tional Down Syndrome Society in denUSA, stellte beim 8. Down-Syndrom-Weltkongress in Singapur das Pro-gramm „Changing Lives“ vor, das Grup-pen und Vereine bei ihrer Aufklärungs-arbeit einsetzen können.

Das „Changing Lives“-Programm istentwickelt für Elterngruppen, die damitFachleute über besondere Aspekte aufmedizinischem und pädagogischem Ge-biet bei Menschen mit Down-Syndromaufklären können. Die Zielgruppen sindu.a. Ärzte, Krankenschwestern, Hebam-men, Berater in genetischen Beratungs-stellen und weiteres Personal im Ge-sundheitswesen.

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 15

Down-Syndrom-Klinik – der Anfang

Ende der achtziger Jahren brachte dieDown-Syndrom-Elterngruppe in Cal-gary (Kanada) in Zusammenarbeit mitden städtischen Gesundheitsdienstenund dem Alberta Children’s Hospital(ACH) ein Team von Fachleuten zusam-men, das für die zukünftige medizini-sche Versorgung von Kindern mit Down-Syndrom zuständig sein sollte. Die da-mals ganz neu herausgekommenen„Down-Syndrom Medical Guidelines“dienten als Basis dieses Vorhabens.

Das Team bestand aus einem Kin-derarzt, einer Krankenschwester, einerKrankengymnastin, einer Ergothera-peutin und einer Logopädin und arbei-tete innerhalb der Preschool Develop-ment Clinic.

Die Elterngruppe kaufte einen Com-puter und übernahm die Personalkostenfür die Krankenschwester. Das Pilotpro-jekt begann mit acht Kindern mit Down-Syndrom, jährlich kamen ungefährzwölf bis 13 Kleinkinder dazu.

Die Ärzte übernahmen die gesund-heitliche Versorgung, die Therapeutenkonzentrierten sich auf die weitere Ent-wicklung des Kindes. Eltern wurden er-mutigt, regelmäßig medizinische Check-

Wie baut man eine DS-Ambulanz auf?Ein Beispiel aus KanadaDonna Heeresperger

In vielen Ländern der Welt sind in den letzten Jahren, meistens an Kinderkliniken,spezielle Abteilungen für Down-Syndrom entstanden. Hier steht jeweils ein Team vonFachleuten aus dem medizinischen und therapeutischen Bereich Eltern und ihremKind mit Down-Syndrom zur Verfügung. Auch eine pädagogische und psychologischeBeratung ist dort vermehrt möglich und fast immer sind auch Vertreter der Eltern-gruppe bei den Sprechstunden anwesend, um den Familien mit Rat und Tat zur Seitezu stehen.Gemeinsam haben die meisten Stellen, dass sie auf Anregung und Drängen einer Elternorganisation entstanden sind und ganz klein anfingen. Donna Heerespergerschilderte beim Weltkongress, wie die kleine Beratungsstelle in Calgary sich inner-halb von zehn Jahren zu einem richtigen Kompetenzzentrum entwickelte, das heutebei der medizinischen Versorgung von Kindern mit Down-Syndrom in Kanada nichtmehr wegzudenken ist.

ups nach den neuen Richtlinien durch-führen zu lassen. Hierfür waren die Fa-milien weit gehend selbst verantwort-lich. Der Kontakt zwischen dem DS-Team und den Haus- bzw. Kinderärztenwar damals hauptsächlich einseitig – dieEltern bekamen Berichte und Behand-lungsvorschläge aus der DS-Klinik mitfür ihre Ärzte und Therapeuten.

Die Preschool Development Clinicwar so strukturiert, dass Kinder ihr An-gebot nur während einer gewissen Zeitnützen konnten. Ab einem Alter vonsechs Jahren lag die Zuständigkeit fürdie Therapien bei den Schulen und dieKinderärzte in den Kommunen über-nahmen die medizinische Vorsorge,selbstverständlich unter Beachtung derDown-Syndrom-Richtlinien.

Wir stellten aber fest, dass dieserÜbergang nicht immer so gut klappteund dass nicht alle Kinder anschließendin den Genuss einer ausreichend gutenmedizinischen Versorgung kamen. Je-doch konnte das Down-Syndrom-Teamals Teil der Preschool Development Cli-nic keine weitere Betreuung mehr an-bieten, wenn das Kind das Schulaltererreicht hatte.

Angebot erweitert

Eine Erweiterung unseres Angebot fürKinder mit Trisomie 21 auch nach demsechsten Lebensjahr wurde angestrebt.Das ACH, wo das DS-Team schon in-nerhalb der Preschool Development Cli-nic angesiedelt war, bot sich für unserAnliegen an. Die Klinik ist zuständig fürKinder aus Calgary und Umgebung so-wie aus Teilen der umliegenden Provin-zen Alberta, British Columbia und Sas-katchewan. Es ist die einzige Kinderkli-nik mit eigenem Forschungszentrumzwischen British Columbia und Winni-peg. Ihr Angebot und ihre Philosophiepassten gut zu unserem Programm.

So arbeitet man in dem ACH eng mitden Familien zusammen. Ausgehendvon dem Gedanken, dass Kinder in ihrereigenen Umgebung häufig schneller ge-sund werden, behandelt das Kranken-haus die kleinen Patienten möglichstambulant. Viele kommen auch nur zueinem Termin mit den Spezialisten-teams. Diese Art Sprechstunden wurdeschon angeboten für viele Patienten u.a.mit Asthma, Diabetes, Epilepsie, Schlaf-problemen, Herzproblemen etc.

Zusätzlich zu den ambulanten Diensten hat das ACH ungefähr 110 Bet-

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16 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

ten für Kinder, die für kurze oder länge-re Zeit stationär aufgenommen werdenmüssen. Die Klinik betrachtet bei derFörderung der Gesundheit und desWohlbefindens der Kinder und Jugend-lichen die Familien als wichtige Mitglie-der ihres Teams. In der Klinik gibt es be-treute Spiel- und Warteräume für diePatienten der Klinik, ihre Geschwisterund Familien. Die Spielräume werdenbetreut durch ehrenamtliche Mitarbei-ter.

Ein weiterer Service der Klinik sinddie Sprechstunden „Eltern für Eltern“,die sowohl für die Eltern der ambulan-ten Patienten wie für die der stationäruntergebrachten Kinder zur Verfügungstehen. Hier können sich Eltern beratenlassen und sich informieren über alles,was mit der Erkrankung oder Behinde-rung des Kindes zusammenhängt.

Dieser Elterndienst verfügt über Li-teratur zu den verschiedensten Themenin Zusammenhang mit der Gesundheitder Kinder, hält Broschüren und Filmezu den einzelnen Erkrankungen und Be-hinderungen bereit. Ein „Stillzimmer“und ein Ruheraum für Babys und Klein-kinder sind eine Selbstverständlichkeit.Eine multikulturelle Arbeitsgruppe stehtFamilien mit unterschiedlichstem kultu-rellem Hintergrund zur Verfügung undberät auch Ärzte und Krankenhausper-sonal. Ein Dolmetscherdienst ergänztdas Ganze.

Die Reorganisation des Hospitalwe-sens 1990 brachte verschiedene Ände-rungen – die wichtigste war wohl, dassdas DS-Team jetzt Kinder und Jugendli-che bis zum Alter von 18 Jahren behan-deln durfte.

Die DS-Klinik wurde nun integriertin das ACH und konnte somit gleich alleoben genannten Dienstleistungen nüt-zen. Termine mit verschiedenen Fach-leuten konnten so koordiniert werden,dass die Familien mit ihrem Kind nurwenig Zeit für den Krankenhausbesuchaufbringen und nicht zu verschiedenenStellen fahren mussten.

Nun konnten wir die Kinder längerbehalten und bis im jungen Erwachse-nenalter begleiten. Dadurch ist die Zahlder Patienten, die zu uns kommen, aufüber 350 gestiegen. Nicht nur ist unse-re Stadt sehr gewachsen und bekom-men wir statt zwölf bis 13 jetzt 25 bis 26Neugeborene mit Down-Syndrom jähr-lich. Auch besuchen uns immer mehr äl-tere Kinder und Teenager. Sie werden

von ihren Hausärzten oder Kinderärz-ten zu uns überwiesen, häufig auch aufdringenden Wunsch der Eltern oder vonTherapeuten, die von unserer DS-Klinikgehört haben. Für unser Personal istdies eine große Herausforderung, weilunsere Mitarbeiterzahl nicht in glei-chem Maße gewachsen ist wie die Pati-entenzahl.

Zusammenarbeit mit Elterngruppe

Über die Jahre konnten wir erfreuli-cherweise zusätzliche Fachleute in un-ser Team aufnehmen: eine Sozialarbei-terin, ein Audiologe, eine Ernährungs-beraterin und ein HNO-Arzt. Trotz dergeringen Finanzen sind wir immer be-strebt, unser Angebot auszubauen undden Bedürfnissen der Familien entge-genzukommen, deshalb arbeiten wireng mit der DS-Elterngruppe zusam-men. Gemeinsam werden Personalent-scheidungen getroffen und unsere Emp-fehlungen für Inklusion und Integrationerarbeitet.

Der DS-Verein stellt weiterhin dieGelder für unsere Krankenschwesterzur Verfügung, die an drei Tagen in derWoche für das Team arbeitet, und er-möglicht es den Teammitgliedern, re-gelmäßig DS-Kongresse zu besuchen.Auch sponsert der Verein der Klinik abund zu Spielsachen und spezielle Aus-rüstung für die Klinik

Herausforderung – viele neue Probleme

Dadurch, dass wir unseren Service nunauf Kinder bis zu 18 Jahren ausdehnten,wurden wir mit allerlei Problemen kon-frontiert, mit denen wir vorher nie zutun hatten. Kinder wurden an uns über-wiesen, weil sie zum Beispiel zu Hauseoder in der Schule Verhaltensauffällig-keiten und Lernprobleme zeigten, wirmussten uns beschäftigen mit Themenwie Sauberwerden und Ernährung,häufig mit Übergewicht oder schon seitlanger Zeit existierenden Essstörungen,mit Schlafproblemen, Pubertät und so-zialen Problemen

Zum Glück konnten wir zurückgrei-fen auf die Ergebnisse vieler wissen-schaftlicher Untersuchungen, die in denletzten Jahren gelaufen sind. Wir merk-ten bald, dass wir nicht nur alle mögli-chen Probleme erkennen und behan-deln, sondern auch sehr viel präventivarbeiten mussten, damit diese Problemeerst gar nicht entstehen. Dies bedeutete,

dass wir Familien und Erzieher, Kin-dergärten und Schulen aufklären muss-ten. So sammelte unser Team allmäh-lich viele Erfahrungen und wurde imUmgang mit Patienten und in der Bera-tung von Familien und Erziehern im-mer kompetenter.

Wenig Wissen und viele Vorurteile,auch bei Fachleuten

Eines der wichtigsten Dinge, die wirfeststellten, war, dass es noch viel Un-kenntnis über die Bedeutung des Extra-Chromosoms 21 gibt und dass noch im-mer viele Vorurteile existieren. Wir ha-ben gelernt, dass die Anwendung dermedizinischen Richtlinien allein nichtunbedingt garantiert, dass Problemetatsächlich erkannt und richtig behan-delt werden.

Wenn ein Arzt nämlich davon aus-geht, dass Menschen mit Down-Syn-drom nun einmal langsam und hypotonsind, meistens Übergewicht haben, anVerstopfung leiden, Ess-, Lern-, Verhal-tens- und Konzentrationsstörungen ha-ben, schlecht schlafen und schnarchen,nicht gut sehen und hören können undschließlich an Alzheimer erkranken,schaut er vielleicht nicht so genau hin,um die eigentliche Ursache eines Pro-blems zu entdecken und zu behandeln.

Wenn angenommen wird, dass alldiese Probleme unweigerlich mit Down-Syndrom zusammenhängen, werden siehäufig nicht weiter beachtet und könnenauf Dauer das Leben des Patienten undder ganzen Familie beeinflussen. Fami-lien haben uns öfter erzählt, dass wennsie auf weiteren Untersuchungen undeiner adäquaten Behandlung bestan-den, sie mit den Worten, sie seien „un-realistisch“, heimgeschickt wurden.

Verhaltensauffälligkeiten habenhäufig eine medizinische Ursache

Wir haben auch festgestellt, dass häufigmedizinische Probleme eine Rolle spie-len, auch dann, wenn die Kinder mitDiagnosen wie unkonzentriert, lernun-willig oder verhaltensauffällig zu uns ge-schickt werden. So haben Kinder mitVerhaltensstörungen enorme Fort-schritte gemacht, nachdem wir eine bisdahin nicht diagnostizierte Schlafapnoebehandelten, sie mit Hörgeräten aus-statteten, weil ein hochgradiger Hörver-lust nicht diagnostiziert worden war,oder anregten, durch krankengymnasti-sche Übungen das Kind zu stärken,

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 17

wenn es durch seine Hypotonie in derKlasse nicht ruhig sitzen konnte. BeiKindern, die jahrelang mit Verstopfunggelebt hatten, stellten wir eine Hirsch-sprung-Erkrankung oder eine Unter-funktion der Schilddrüse fest, die wirbehandelten, oder wir brachten ihnenStrategien bei, damit sie ihre Darmpro-bleme besser kontrollieren konnten.

Die Erfahrung hat uns gezeigt, dassbevor irgendwelche Entwicklungs- oderVerhaltenstests durchgeführt werden,es zunächst notwendig ist, alle eventu-ellen gesundheitlichen Probleme auszu-schalten. Deshalb wird bei der Kontakt-aufnahme ein ausführliches telefoni-sches Interview von der Krankenschwes-ter durchgeführt. Alle Angaben zu derKrankheitsgeschichte des Kindes undseinem jetzigen Gesundheitszustand,Beschwerden oder Sorgen der Familieoder der Schule werden abgefragt. In-formationen über die Familie und dasLebensumfeld des Kindes, über Ange-bote der Kommune und über die Thera-pien und weitere Hilfen, die es be-kommt, werden eingeholt. Die Familiebekommt dann verschiedene Unterla-gen und Fragebögen zugeschickt, u.a.was Entwicklungsstand und Lebenslaufbetrifft, sowie Informationen über dieKlinik und weitere kommunale Angebo-te.

Sobald die Familie ihre Einwilligunggegeben hat, kann die Klinik Informa-tionen über das Kind in der Geburtskli-nik, bei den Frühförderstellen, Kinder-gärten und Schulen einholen. Diese In-formationen helfen dem Team dabei,sich ein umfassendes Bild von der Pro-blematik zu machen und sich auf denTermin mit dem Kind und der Familievorzubereiten. Die Erfahrung hat unsgelehrt, dass die Berichte oft Überra-schungen bringen ... zum Beispiel einElektrokardiogramm, wovon die Elternannahmen, es sei in Ordnung gewesen,wurde erst gar nicht gemacht, Schild-drüsenuntersuchungen, die vergessenoder deren Ergebnisse nicht richtig in-terpretiert wurden, Hörtests, die nichtregelmäßig wiederholt wurden ...

DS-Klinik entwickelt sich zu einemanerkannten Kompetenzzentrum

Mit zunehmender Erfahrung begannunsere Zuversicht zu wachsen und wirkonnten den Kindern stets effektiverhelfen. Teammitglieder begannen auch,Kontakte zu knüpfen zu anderen Kran-

DS-Ambulanzen in Deutschland?

Elterninitiativegefragt

Weshalb dieser ausführliche Berichtüber eine DS-Klinik? Weil ich der

Meinung bin, dass es dringend an derZeit ist, auch in Deutschland einige sol-cher DS-Ambulanzen zu etablieren.

Freilich haben wir in Paderborn dieAmbulanz von Dr. Storm, in Bretten diePraxis von Dr. Gelb und Dr. Pampel en-gagiert sich am Klinikum Minden auchspeziell für Kinder mit Down-Syndrom.Und es gibt wahrscheinlich hie und danoch einige andere Kinderärzte, die et-was mehr Ahnung von Down-Syndromhaben als der Durchschnittskinderarzt.

Aber was ich meine, ist etwas ande-res, ist mehr. In einer DS-Ambulanz ar-beitet nicht nur ein einzelner Kinder-arzt, sondern ein ganzes Team von Ärz-ten und Therapeuten und in Zusam-menarbeit mit einer Elterngruppe, wiein dem kanadischen Beispiel.

Spezielle DS-Kompetenzzentren gibtes nicht nur in den USA, in Australienoder Kanada, sondern auch in einer Rei-he europäischer Länder. Allein schon inunserem Nachbarland, den Niederlan-den, gibt es zehn solcher DS-Polis (wie siedort genannt werden) für, im Vergleichmit Deutschland, nur ein Achtel der An-zahl Kinder mit Down-Syndrom! Undein Team hat sich sogar schon speziali-siert auf „Down-Syndrom-Plus“!

Übrigens ... auch in den Niederlan-den waren es die Elterngruppen, die dieInitiative dazu ergriffen.

Und überall dort, wo es die DS-Kli-niken für Kinder gibt, folgen auch ir-gendwann die speziellen Kliniken für dieErwachsenen. Und die brauchen wir hierin Deutschland fast noch dringender.

Wir haben erste Kontakte mit einerKinderklinik in Nürnberg geknüpft, dieBesprechungen laufen. Vielleicht kön-nen wir schon bald von „unserer“ DS-Ambulanz berichten! Und von anderenauch, denn wir hoffen, dass dieser Be-richt Eltern Mut gemacht hat und sie esden Kanadiern oder den Holländerngleich machen.

Cora Halder

kenhäusern aus Gegenden, wo unsereambulanten Patienten herkamen, undkonnten so ihr Wissen weitergeben.

Statt sich darauf zu verlassen, dassFamilien mit ihren Ärzten sprachenoder dass der Arzt tatsächlich unsereBerichte las, fing das Team an, sich di-rekt mit den Fachleuten in Verbindungzu setzen, wenn es Probleme gab. Baldmeldeten sich Ärzte von sich aus bei un-serem DS-Team, um Rat zu holen. Wirmerkten allmählich, dass diese Art vonZusammenarbeit sehr viel effektiverwar.

Menschen mit Down-Syndrom sindkomplex und brauchen die Begleitungvon einem Team. So ein Team bestehtidealerweise aus den Eltern und weite-ren Familienmitgliedern, Erziehern,Lehrern, Ärzten, Therapeuten und Ver-tretern der Kommunen. Die Möglich-keit, sich als eine Gruppe zu treffen, seies persönlich oder via einer Telekonfe-renz, hat viele Vorteile:

ein gesünderes Kind, das sich mitder richtigen Förderung und Behand-lung gut entwickelt,

ein starker Unterstützerkreis für dasKind und seine Familie,

eine kompetente Familie, die ge-stärkt durch dieses Netzwerk in der La-ge ist, die Interessen ihres Kindes zuvertreten.

Zukunftsträume

Der Service des DS-Teams kann nur vonPatienten bis 18 Jahren in Anspruch ge-nommen werden. Schon besteht Bedarfan einer Klinik für erwachsene Perso-nen mit Down-Syndrom. Die Arbeits-weise einer solchen Klinik wäre ähnlichwie die von unserem DS-Kinderteam.Auch dieses Team müsste nach undnach Kompetenz aufbauen und Strate-gien entwickeln. Viele Probleme, die imAlter auftreten, können vielleicht durchgute Vorsorge verhindert oder gemildertwerden.

Noch ist diese Klinik für uns einWunschtraum, aber wir haben nichtvergessen, wie wir damals mit unsererDS-Klinik anfingen. Auch das war da-mals erst ein Traum, der dann zur Rea-lität wurde.

Donna Heeresperger down syndrome team, Alberta’s

Children Hospital, Calgary

M E D I Z I N

18 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

En wesentlicher Teil unseres Lebensist die Art und Weise unserer

Ernährung. Diese Tatsache, dass unserEssen in unser aller Leben eine Schlüs-selrolle spielt, ist inzwischen hinrei-chend bekannt.

Eine Vielzahl von Untersuchungenweltweit hat uns die Zusammenhängezwischen Ernährung, Gesundheit undKrankheit bildhaft vor Augen geführt.So zeigt sich, dass eine optimierteErnährung die Risiken für eine Vielzahlvon Krankheiten erheblich verringernkann, sei es Diabetes, Schlaganfall oderKrebs. (Lyon-Herz-Studie/HARVARD-Studie)

Anderer Stoffwechsel

Menschen mit Down-Syndrom nunzeichnen sich in Bezug auf ihren Stoff-wechsel durch eine Besonderheit aus.Das dreifach vorhandene Chromosom21 bedingt, dass der Stoffwechsel und

die Stoffwechselregulation eine andereist als bei Menschen mit normalemChromosomensatz. So finden wirgehäuft erhöhte Blutfette, veränderteHomocysteinwerte, niedrige Selen-Spie-gel usw. (Gelb 1999/2001/2003/2004)

Wenn wir nun betrachten, mit wel-chen Krankheiten sich Menschen mitDown-Syndrom auseinander setzenmüssen, an welchen Krankheiten sieletztendlich versterben, so finden sichdort Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkran-kungen und die bösartigen Tumore.

Häufig schlechte Ernährungs-angewohnheiten

Mit diesem Grundwissen versehen,lohnt es sich, sich die Ernährungsge-wohnheiten von Menschen mit Down-Syndrom, die Laborwerte und die an-thropometrischen Daten (Größe, Ge-wicht, BMI, Taillenumfang etc.) zu ana-lysieren.

Dies haben wir in unserer Schwer-punktpraxis getan und mussten bedau-erlicherweise feststellen, dass bei einergrößeren Anzahl an Patienten dieErnährungsgewohnheiten und die Mess-werte nicht dem entsprachen, was manals erstrebenswert ansehen kann. Sofanden sich auch eine größere Anzahlübergewichtiger Kinder und Jugendli-cher und ein gehäuftes Vorkommen vonkrankhaft erhöhten Laborwerten.

Als Konsequenz dieser Erkenntnissehaben wir bei unseren Patienten einenvermehrten Fokus auf die Notwendig-keit einer gesunden Ernährung gelegt.Wohl wissend, dass dies bei den Patien-ten, und nicht nur bei diesen, auf er-heblichen Widerstand stoßen kann.

Es gelingt Eltern aber, wenn sie dieveränderte Ernährungsweise vorleben,das Essverhalten ihrer Kinder zum Po-sitiven zu verändern.

Ernährung bei Menschenmit Down-SyndromErnährungsstudie Down-Syndrom

Matthias Gelb

Die Zusammenhänge zwischen Ernährung, Gesundheitund Krankheit sind uns allen eigentlich bekannt. Wieweit sind wir aber bereit, unsere Ernährungsgewohn-heiten zu verändern, damit die Risiken für eine Vielzahlvon Krankheiten verringert werden? Gerade für Men-schen mit Down-Syndrom ist die richtige Ernährung (lebens)wichtig. Und gerade bei ihnen wird häufig zuwenig darauf geachtet! Primäre Zielsetzung dieser Studie ist die Erfassung desErnährungszustandes und des Ernährungsverhaltenseiner repräsentativen Anzahl von Menschen mit Down-Syndrom. Sekundär kann man dann über die Notwen-digkeit eines veränderten Managements in Bezug aufErnährung, Ernährungsschulung, medizinische Betreu-ung und so weiter diskutieren.

Beitrag aus Deutschland am Down-Syndrom-Weltkongress

Dr. Matthias Gelb war einer der bei-den deutschen Referenten in Sin-gapur. Targeted Nutritional Inter-vention (TNI) oder auf Deutsch Nah-rungsergänzung war das Thema sei-nes Vortrags.

Er stellte Ergebnisse aus seinerPraxis vor, in der er seit acht JahrenErfahrungen mit TNI gesammelt hat.Inzwischen behandelt er 180 Kindermit Down-Syndrom.

Es konnte festgestellt werden,dass im Allgemeinen der gesundheit-liche Zustand der behandelten Kin-der stabiler geworden ist, auch eineWachstumszunahme und verbesser-te Laborwerte können als Folge derTNI-Behandlung angenommen wer-den.

Weil leider bisher keine Doppelt-Blindstudie durchgeführt wurde, ha-ben diese Zahlen keine wirkliche Re-levanz. Eine solche Studie wäre drin-gend notwendig, auch aus demGrund, weil in Europa schätzungs-weise zehn bis 15 Prozent der Elternihr Kind mit Down-Syndrom ohnejegliche Kontrolle ärztlicherseits oderÜberprüfung der Laborwerte nah-rungsergänzende Mittel verabrei-chen.

M E D I Z I N

Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 19

Bundesweite Fragebogenaktion

Wir möchten nun in den nächsten Mo-naten mit Unterstützung des DeutschenDown-Syndrom InfoCenters eine bun-desweite Fragebogenaktion starten, ummehr Daten über Ernährungsverhalten,Messwerte etc. von Menschen mit Down-Syndrom zu erhalten.

Folgende Daten sollen dabei erfasstwerden:1. Ernährungsprotokoll über drei bissieben Tage, möglichst grammgenau.Auch die Getränke abmessen.2. Anthropometrische Messwerte: Kör-pergröße, Körpergewicht (morgens,nüchtern), Taillenumfang, Brustum-fang, Oberarmumfang.3. Alte Messwerte, zum Beispiel die Da-ten für Größe, Gewicht, Kopfumfang ausdem gelben Vorsorgeheft.4. Laborwerte, so weit vorhanden undso umfangreich wie möglich.

Die Daten werden selbstverständlichvertraulich behandelt und nur in ano-nymisierter Form verarbeitet. Die Er-gebnisse werden in geeigneter Weisepubliziert und sind nach Abschluss aufjeden Fall in dieser Zeitschrift und aufunserer Homepage zu finden:

Primäre Zielsetzung dieser Studie istdie Erfassung des Ernährungszustandesund des Ernährungsverhaltens einer re-präsentativen Anzahl von Menschen mitDown-Syndrom. Sekundär kann mandann über die Notwendigkeit eines ver-änderten Managements in Bezug aufErnährung, Ernährungsschulung, me-dizinische Betreuung etc. diskutieren.

Mitmachen und Fragebogen abrufen

Alle Menschen mit Down-Syndrom sindhiermit herzlich eingeladen, an dieserErnährungsstudie teilzunehmen.

Die notwendigen Unterlagen (Frage-bogen etc.) können Sie auf unserer Ho-mepage abrufen:www.kinderarzt-bretten.dewww.interdisziplinaere-arbeitsgruppe.de schriftlich oder per Fax anfordern bei:Dres. Gelb&Knecht, Anne-Frank-Straße 27, 75015 Bretten,Fax 07252-78444

Dr. med. Matthias J. GelbArzt für Kinder- und JugendmedizinArzt für Ernährungsmedizin DAEM/

DGEMMember Scientific Board Trisomy 21

Research

Wir möchten hier ja eigentlich

keine Werbung machen und

schon gar nicht für diese Art

von Junk Food, aber ...

die Fotos sind zu schön, um

sie nicht zu zeigen, und passen

zum Ernährungsthema auf

dieser Seite.

Eileen Hoyer (drei Jahre)

genießt ihren Hamburger und

ihre Pommes.

Natürlich bekommt sie die nur

äußerst selten!

M E D I Z I N

20 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

Viele Angehörige und Betreuer vonMenschen mit Down-Syndrom be-

richten häufig über eine höhere Schmerz-schwelle bei diesen Menschen. Zahlrei-che Beispiele scheinen diese Beobach-tungen zu bestätigen. So stellen auchwir in unserer „clinic for adults with down syndrome“ häufig fest, dass vieleunserer Patienten mit gesundheitlichenund sehr schmerzhaften Problemen sichtrotzdem kaum oder gar nicht darüberbeklagen.

Eine kürzlich durchgeführte Studiemit einem „Down-Syndrom-Maus-Mo-dell“ unterstützt diese Beobachtung. Un-tersucht wurden dabei Mäuse mit einerTrisomie. Bei diesem Versuch wurdefestgestellt, dass ihre Schmerztoleranzhöher war als die von nichttrisomenMäusen. Die DS-Maus reagierte aufschmerzhafte Stimuli viel weniger emp-findlich.

Während vieles für eine erhöhteSchmerztoleranz spricht, vermuten wirgleichzeitig, dass diese scheinbare guteSchmerzverträglichkeit vielleicht auchin unserer mangelnden Fähigkeit be-gründet ist, Beschwerden von Menschenmit Down-Syndrom richtig wahrzuneh-men und zu verstehen. Dies kann u.a. anihrer manchmal mangelnden Kommu-nikationsfähigkeit liegen. Weil außer-dem die Selbstwahrnehmung bei eini-gen Menschen mit Down-Syndrom nichtimmer so gut entwickelt ist, kann essein, dass sie nicht genau wissen, woherder Schmerz kommt. Folglich könnensie auch anderen schlecht mitteilen,dass ihnen gerade dieses oder jeneswehtut. Der Mensch kann Schmerzenhaben, nur wir verstehen es einfachnicht.

Schmerzen nicht übersehen

Achten Sie auf leiseste Anzeichen.Ein Gesichtsausdruck, eine Geste, einSatz, anders ausgesprochen als sonst,Schwitzen ohne ersichtlichen Grund, ei-ne andere Haltung, all das könnte einHinweis sein. Es gibt wahrscheinlichnoch viele andere Dinge, die Ihnen auf-fallen können.

Achten Sie auf Veränderungen imVerhalten.Schmerz kann oft in einem verändertenBenehmen zum Ausdruck kommen.Wenn ich Medizinstudenten oder Ärzteunterrichte, betone ich immer, dass ei-ne Verhaltensänderung als eine Formvon Kommunikation angesehen werdenmuss. Das trifft bis zu einem bestimm-ten Grad auf jeden von uns zu. Men-schen mit Down-Syndrom unterschei-den sich da nicht. Gerade weil dasSprachvermögen eines Menschen mitDown-Syndrom eingeschränkt seinkann, versucht er, als letzte Möglichkeit,uns durch sein Verhalten etwas zu sa-gen. Vielleicht ist er weniger oder auchmehr aktiv als sonst, vielleicht sucht ervermehrte Aufmerksamkeit oder geradeweniger, er kann in einer traurigen Ge-mütsverfassung, ärgerlich oder emotio-nal unausgeglichen sein, vielleicht wirkter apathisch.

Haben Sie ein waches Auge auf ihr Fa-milienmitglied mit Down-Syndrom, vorallem wenn Sie wissen, dass er sichkaum beklagt. Anderenfalls kann espassieren, dass Sie erst an weitausschwerer wiegenden Symptomen mer-ken, dass etwas nicht in Ordnung ist.

Es ist wichtig, sich stets vor Augen zuhalten, dass die eingeschränkte Fähig-keit, ihre Schmerzen zu beschreiben,der Hauptgrund sein mag, dass wir mei-nen, die Schmerzschwelle bei Menschenmit Down-Syndrom wäre höher. Durchdie mangelhaften Kommunikations-möglichkeiten kann es außerdem leichtzu einer Fehlinterpretation vonSchmerzsymptomen kommen.

Dr. ChicoineMedical Director of the Adult

Down Syndrom Center Lutheran General Hospital, Illinois

Wie und wo tut es weh?

Auch aus einer französischen Studiegeht hervor, dass Menschen mit Down-Syndrom zwar nicht schmerzunemp-findlich sind, dass sie jedoch deutlichverzögert und weniger genau aufSchmerzstimuli reagieren als die Durch-schnittsbevölkerung. Bei diesem Testwurde zum Beispiel mit kalten Stimuliauf Schläfen, Handgelenken, Händenoder im Mund gearbeitet.

Diese höhere Schmerzschwelle unddie verminderte Fähigkeit, Schmerz zulokalisieren, könnten verursacht wer-den durch eine verzögerte Schmerz-übertragung von der Haut zum Gehirn,einen verzögerten Schmerzintegrations-prozess im Gehirn oder eine verzögertemotorische Reaktion auf den Schmerz.Es kann auch eine Kombination von die-sen Faktoren sein. Was auch immer derGrund sein mag, es ist für medizinischesPersonal und Eltern wichtig, darübersich im Klaren zu sein, dass eine verzö-gerte Schmerzreaktion nicht bedeutet,es gäbe weniger Schmerz und es be-stünde deswegen weniger Bedarf anschmerzstillenden Mitteln.

Quellen:Pain expression and stimulus

localisation in individuals with Down’s syndrome

Hennequin M, Morin C, Feine JS inLancat 2000 Dec. 2;356 (9245):1882-7

Len LeshinDown Syndrome Abstract of the

Month, March 2001

SchmerzBrian Chicoine

Haben Menschen mit Down-Syndrom eine höhereSchmerzschwelle als andere Menschen? Oder ist dieSchmerzschwelle normal und wir verstehen ihre Beschwerden nicht? Die Antwort auf diese beiden widersprüchlich erscheinenden Fragen heißt wahr-scheinlich „Ja“.

M E D I Z I N

Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 21

Einleitung

1988 wurden an der HNO-Klinik derMedizinischen Hochschule Hannoverunter der Leitung von Prof. Lehnhardtdie ersten hochgradig hörgeschädigtenKinder mit einem Cochlea-Implantatversorgt, nachdem vierjährige positiveErfahrungen mit über 135 ertaubten er-wachsenen Patienten vorlagen.

Die Forschungen für eine elektroni-sche Innenohrprothese aber gehen weitin die 50-er Jahre zurück.

Forschergruppen in Europa, in denUSA sowie in Australien widmeten sichintensiv der Elektrostimulation des Hör-nervs. So forschten u.a. in Frankreichder Otologe Eyries und der PhysikerDjourno (1957), in Deutschland der Oto-loge Zöllner und der SinnesphysiologeKeidel (1963), in Australien der Physio-loge und Otochirurg Clark, House undUrban in Los Angeles in den USA. Ent-scheidende Beiträge für die Entwicklungdieser neuen Methode lieferten auchGruppen um Banfai in Düren, Burian,Hochmair-Desoyer und Hochmair inWien, Chouard in Paris, in Zürich warenes Dillier und Spillmann, Fraysse inToulouse und viele andere. Die For-schungen konzentrierten sich auf dieGröße der Implantate und deren Sicher-heit sowie auf die Biokompatibilität derverwendeten Materialien. Große Auf-merksamkeit galt der Entwicklung desElektrodendesigns, der Anzahl der Elek-troden und ihrer Platzierung – extra-oder intracochleär.

Vor allem aber galt es, effizienteSprachkodierungsstrategien und einegeeignete Form der Signalübertragungvon dem außen zu tragenden Sprach-prozessor zum eigentlichen Implantatzu finden. Dabei standen die perkutan-

analoge Signalübertragung mittels einerSteckerverbindung und die transkutan-pulsatile = induktive Übertragung durchdie intakte Haut zur Diskussion.

Die Cochlea-Implantate haben inden vergangenen 20 Jahren eine rasan-te Entwicklung durchlaufen. In der kli-nischen Anwendung zeichnen sie sichdurch hohe Sicherheit und Zuverlässig-keit aus und verfügen in Abhängigkeitvom Fabrikat über verschiedeneSprachkodierungsstrategien. NeueElektrodenträger wurden entwickelt.Die Größe der Sprachprozessoren hatsich insofern verändert, als sie nunmehrauch hinter dem Ohr getragen werdenkönnen (HdO-Sprachprozessoren).

Die Biosicherheit der Implantate ist gutdokumentiert. Ein Ende der Entwick-lung ist derzeit nicht abzusehen, da sichbereits neue Modelle in der Entwicklungbefinden. So wird es in nächster Zeit voll

Cochlea-Implantat –

Eine Chance für ertaubteund taub geboreneKinder mit Down-Syndrom?

Bodo Bertram

80 Prozent der Kindermit Down-Syndrom habenHörprobleme. Bei derMehrheit der Kinder wer-den diese Hörstörungenverursacht durch Infekte,Mittelohrentzündungenetc. und sind nur vorüber-gehend.

Bei einigen Kindern mitDown-Syndrom liegt eineInnenohrschwerhörigkeitvor. Mit Hörgeräten aus-gestattet, können dieseKinder ihr Hörvermögenvielleicht etwas verbes-sern, aber dies ist nichtimmer der Fall. Bei eini-gen nützen auch Hörge-räte nichts.Die ersten Kinder mit Down-Syndrom wurdennun mit einem Cochlea-Implantat versorgt. Wasdas genau ist, erklärt Dr. Bodo Bertram im folgenden Artikel, der ergänzt wird durch zweiErfahrungsberichte.

Übrigens: Cochlea ist daslateinische Wort für„Schnecke“ und bezeich-net das Innenohr, das wieein Schneckenhaus ge-formt ist.

Abb. 1. Auria HdO-Sprachprozessor / Clarion

M E D I Z I N

22 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

implantierbare Cochlea-Implantate ge-ben. Es ist dann äußerlich nicht mehr zuerkennen, ob ein Mensch hochgradighörgeschädigt ist. Hybrid-Implantateund Implantate mit der Möglichkeit zurPharma-Kotherapie sind angedacht.

Im Hinblick auf die Versorgung vonsehr kleinen Kindern musste von Anbe-ginn für den Fall eines Implantatausfallsseine unkomplizierte Auswechselbar-keit gewährleistet sein und ein scho-nendes Operationsverfahren zur Verfü-gung stehen (Lehnhardt 1990, 1994;Lenarz 1994, 1997).

Für die Rehabilitation von Kindernwar ein Konzept zu entwickeln, das ei-ne umfassende Hör-, Sprech- undSprachtherapie der mit Cochlea-Im-plantaten Versorgten ermöglichte. Eben-so war die enge Zusammenarbeit mitder operierenden Klinik sowie mit denTherapeuten und Pädagogen an denHeimatorten der Kinder unbedingt zugewährleisten.

Mit der Eröffnung des Cochlear Im-plant Centrums (CIC) in Hannover imJuli 1990 als weltweit Erstes seiner Artstand nunmehr eine Einrichtung zurVerfügung, die diese Aufgaben in vollemUmfang wahrnehmen konnte.

Das CIC Wilhelm Hirte, das sich inTrägerschaft der Stiftung HannoverscheKinderheilanstalt e.V. befindet, ent-wickelte sich schnell zu einem nationa-len und internationalen Beratungszen-trum. Derzeit werden durch das Zen-trum 850 CI-versorgte Kinder betreut(Stand: Juni 2004).

Was ist ein Cochlea-Implantat undwie funktioniert es?

Ein Cochlea-Implantat ist eine elektro-nische Innenohrprothese, die als funk-tionaler Ersatz des defekten Innenohresdient.

Sie kommt bei solchen hörgeschä-digten Patienten zum Einsatz, die trotzkonventioneller elektro-akustischer Hör-hilfen (Hörgeräte) keine Lautspracheoder diese in nur ungenügendem Maßeverstehen können und deren Hörnervaber funktionstüchtig ist.

Das Cochlea-Implantat wandelt akus-tische Signale in elektrische Erregungs-muster um. Die Elektroden des Elektro-denträgers, die sich in der Scala tympa-ni des Innenohrs befinden, reizen die inunmittelbarer Nähe gelegenen Hörner-venfasern.

Diese aufgezwungenen elektrischen

Erregungsmuster werden durch denHörnerv als Nervenimpulse dem Hör-cortex zugeleitet und dort als Hörein-druck wahrgenommen. Der mit einemCI versorgte Patient muss dann im Lau-fe der Zeit lernen, diesen Höreindrucknicht nur wahrzunehmen, sondern zumBeispiel als Wort oder als typischesGeräusch eines Objekts der Umwelt ver-stehen zu lernen.

Unter günstigen Voraussetzungenkönnen postlingual ertaubte Erwachse-ne mit Hilfe eines Cochlea-Implantatsrelativ schnell wieder Lautsprachehören und verstehen.

Die vergangenen 20 Jahre habennachgewiesen, dass das CI den hörge-stützten Lautspracherwerb auch bei taubgeborenen Kindern ermöglicht, wenndiese in sehr jungem Alter versorgtwerden und eine gute Hör-, Sprech- undSpracherziehung erhalten.

Wie ist ein Cochlea-Implantat (CI)aufgebaut?

Das CI besteht aus zwei Teilen:den externen Teilen: Mikrofon, Ka-

bel, Sprachprozessor und Sendespulemit Magnet sowie

den internen Teilen: Implantat mitMagnet, Receiver/Stimulator, Elektro-denträger mit den Elektroden.

Die Sendespule wird am Kopf hinterdem Ohr getragen und mittels Magnetenam Implantat gehalten. Bei einigen Im-plantaten ist das Mikrofon in der Sen-despule integriert.

Abb. 2. Lage des Elektrodenträgers in

der Scala tympani im Innenohr

Abb. 3. Tempo+ / MedEL

Abb. 4. Esprit 3G / Nucleus

M E D I Z I N

Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 23

Wie funktioniert ein CI? Geräusche und Lautsprache werdenvom Mikrofon aufgenommen, über einKabel zum Sprachprozessor geleitet unddort in elektrische Signale umgewan-delt. Diese wiederum werden via Kabelüber die sich am Kopf befindliche Sen-despule unmittelbar auf das unter derHaut gelegene Implantat (Receiver/Sti-mulator) mittels Induktion übertragen.Dann werden in schneller Folge dieElektroden im Innenohr gereizt, die wiezuvor beschrieben die Hörnervenfasernerregen und diese Impulse dem Hör-zentrum zuleiten.

Was kann von einem Cochlea- Implantat erwartet werden?

Wie eingangs erwähnt, dient dasCochlea-Implantat dem funktionellenErsatz des nicht mehr oder nur unzurei-chend funktionierenden Innenohrs.

Damit eröffnet sich für sehr jungegehörlose und für ertaubte Kinder dieeinmalige Chance, mit Hilfe des Cochlea-Implantats einen weit gehend normalenMutterspracherwerb und damit Laut-sprachkompetenz zu erlangen. Zusätzli-che Erschwernisse oder Behinderungenallerdings gefährden diesen Prozessnachhaltig oder verhindern ihn sogar.Bei sehr früher Versorgung entwickelndie Kinder eine normale Stimmqualität,sprechen mit guter Prosodie und durch-aus auch in Dialekt.

Vorrangiges Ziel der CI-Versorgungist es, allen hochgradig hörgeschädigtenKindern eine altersgemäße Lautsprach-entwicklung zu ermöglichen.

Der Prozess des Hörenlernens mitdem CI und der hörgestützte Laut-spracherwerb bedürfen einer angemes-senen Zeit. Ebenso bedarf es eines so-

Abb. 6. Schema des Übertragungsweges:

Mikrofon-Kabel-Sprachprozessor-Sendespule-Haut

Receiver/Stimulator-Elektroden-Hörnerv-Hörcortex

zialen Umfeldes, das dem Kind ausrei-chend Gelegenheit zu einer umfangrei-chen lautsprachlichen Kommunikationbietet. Angemessene Lernmöglichkeitenund eine konsequente sowie intensiveFörderung sind weitere wichtige Vor-aussetzungen für eine gute Lautsprach-entwicklung.

Auditive Wahrnehmungsstrukturenfestigen sich erst innerhalb eines lang-wierigen Ausbildungsprozesses undbenötigen daher Zeit und ausreichendadäquate Stimulanz. Diese vollziehensich über das Herausbilden elementarerFähigkeiten in der Perzeption akusti-scher Merkmale bis hin zur Herausbil-dung von Hörstrategien höherer Qua-lität im Sprachverstehen.

Das Cochlea-Implantat beeinflusstdie akustische Handlungssteuerung derKinder im Alltagsgeschehen durch dasnunmehr mögliche Nutzen der Warn-,Signal- und Orientierungsfunktion desHörens. Sie erfahren ihre Umwelt in ei-ner neuen Dimension.

Die CI-versorgten Kinder sind überdie Zeit immer besser in der Lage, durcheine wirksame Eigenkontrolle und Ei-genkorrektur (Sprachwahrnehmung)nachhaltig auf Höhe und Intensität ihrerStimme Einfluss zu nehmen.

Der Rehabilitationserfolg wird u.a.nachhaltig beeinflusst durch:

das Alter zum Zeitpunkt der Im-plantation

die Ertaubungsursachedie Hörerfahrung mit konventio-

nellen Hörhilfenden kognitiven Entwicklungs-

standden Sprachentwicklungsstand

zum Zeitpunkt der Operationden Zustand des Hörnervs und

intakte zentrale Hörbahneneine normal konfigurierte Hör-

schnecke oder eine mit Missbildungeventuell vorliegende zusätzliche

Behinderungen im mentalen Be-reich

die Art der postoperativen Reha-bilitation (zum Beispiel lautsprach-lich interaktional)

die Motivation des sozialen Um-felds

das pädagogische Umfeld.

Abb. 5. C124R (CS) Nucleus 24 Contour

Sprachsignal Spule

Implantat

Mikrofon

SprachprozessorImplant Centrum Freiburg

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24 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

Zu bedenken ist, dass taub geboreneKinder in der Regel über keine oderäußerst unzulängliche Hörerfahrungzum Zeitpunkt der CI-Versorgung verfü-gen.

So durchlebt auch der hörendeSäugling eine lange Zeit des Hörenler-nens und übt gleichsam diese Sinnes-funktion. Bevor das hörende Kleinkindzu sprechen beginnt und Sprache ver-stehen lernt, hat es „wesentliche Leis-tungen in der auditiven Wahrnehmungerworben und hat auch schon wichtigeErfahrungen“ aus seiner akustischenUmwelt sammeln können (vgl. Lindner1991, 153).

Ehe das hörende Kind also die kom-plizierte Leistung der auditiven Perzep-tion, das Auffassen der Lautsprache er-lernt, verfügt es über eine Vielzahl vonLeistungen, die diesen Prozess ermögli-chen und erleichtern. Nach Lindner(1991, 154) sind dies:

binaurale Schallquellenlokalisation,binaurale Schallunterdrückung, subjektive Signalauswahl, Sprecheridentifizierung, Erkennen von Ereignissen an der

akustischen Komponente undErgänzung des Unvollkommenen aus

dem Gedächtnis.

Damit wird deutlich, unter welchschwierigen Bedingungen hochgradighörgeschädigte Kinder mit einem CIstarten, um das Hören und Verstehenvon Lautsprache zu erlernen.

Die Entwicklung des auditiven Leis-tungsinventars sowie die phonema-tisch/phonologische, die semantisch/le-xikalische Ebene der Sprache und ihresyntaktisch/morphologische und prag-matische Ebene bilden sich sukzessiveheraus. Die Einheit von Hören, Spre-chen und Sprache ist in diesem Lern-prozess stets zu berücksichtigen.

Eignungsuntersuchung für die CI-Versorgung junger hörgeschädigterKinder

Der CI-Versorgung geben eine umfang-reiche HNO-medizinische, audiologi-sche und allgemein-medizinische Vor-untersuchung an der Klinik ebenso wieeine eingehende pädagogisch-psycholo-gische Begutachtung im CIC hinsichtlichihrer Eignung voraus. Auf die Einzel-heiten kann im Rahmen dieses Beitra-ges nicht weiter eingegangen werden.

Die Cochlea-Implantat-Voruntersuchung

Die CI-Voruntersuchung ist bei derHNO-Klinik der Medizinischen Hoch-schule Hannover/MHH und dem Cochle-ar Implant Centrum Wilhelm Hirte Han-nover/CIC wie folgt organisiert:

Kinder mit zusätzlichen Behinderungenwerden einer zusätzlichen neuropädia-trischen Eignungsuntersuchung unter-zogen, die bei der Entscheidung für odergegen eine CI-Versorgung mit herange-zogen wird.

Cochlea-Implantatauch für Kinder mitDown-Syndrom?

Bei Anfragen zur CI-Versorgung vonKindern mit zusätzlichen Behinde-

rungen reagierten wir zunächst mitgroßer Zurückhaltung, da diesbezügli-che Er-fahrungen kaum vorlagen.

Der Autor forderte bereits 1992 ei-nen Runden Tisch, um auf die vielfälti-gen Fragen Antworten zu finden. Fach-leute und Eltern sollten gemeinsam überdas Für und Wider in aller Offenheit dis-kutieren. Im März 1994 fand ein Kollo-quium in Zusammenarbeit von CIC undHNO-Klinik an der Medizinischen Hoch-schule Hannover zu dieser Thematikstatt. Das Ergebnis der Diskussion wur-de in einem Konsensuspapier zusam-mengefasst und veröffentlicht (Lenarz,Bertram, Lesinski 1996).

In den vergangenen Jahren ist einegrößere Anzahl von Kindern (weit über100 von 850) mit zusätzlichen Behinde-rungen mit einem Cochlea-Implantatversorgt worden. Die Bandbreite desEntwicklungsniveaus hinsichtlich Laut-spracherwerb und Sprachverstehen istin Abhängigkeit von Art und Grad derzusätzlichen Behinderung außerordent-lich unterschiedlich.

Derzeit werden vier Kinder mit Down-Syndrom durch das Cochlear Im-plant Centrum Wilhelm Hirte Hannoverpostoperativ rehabilitiert und betreut.Ein weiteres Kind ist avisiert.

Drei Kinder wurden in Hannoveroperiert, ein Kind in Würzburg. Einesder Kinder mit Down-Syndrom ertaub-te nach Meningitis, die anderen dreisind geburtstaub, eines befindet sichnicht mehr in unserer Obhut.

Das zuletzt genannte Kind machtevon Anbeginn der Rehabilitation einegute Entwicklung und begann nach zweiJahren erste Worte zu sprechen undimitierte Wortmaterial. Der momentaneEntwicklungsstand ist uns nicht be-kannt.

In der Beratung der Eltern ist mitgroßer Deutlichkeit über ihre Erwartun-gen, Motivationen und die Möglichkei-ten, aber auch über die Grenzen der CI-Versorgung hinsichtlich des Laut-spracherwerbs zu diskutieren. Dies ins-besondere vor dem Hintergrund, dass

Organisatorischer Ablauf CI-Voruntersuchung

Termin für Voruntersuchung inder Klinik

Anforderung psychologisch-pädagogischer Gutachten durch das CIC

HNO-ärztliche Untersuchung zirka drei Tage stationär/Klinik

Voruntersuchung und Vorge-spräch/eingehende Beratung der Eltern

Beratung hinsichtlich Eignungdes Kindes (HNO-Klinik/CIC oderhörpädagogische Einrichtung am Heimatort)

unter Umständen Wiedervorstel-lung oder Ablehnung

Eignung CI-Versorgung

M E D I Z I N

Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 25

Sprachauffälligkeiten und Sprachbehin-derungen bei diesen Kindern sehr häu-fig zu finden sind. Ebenso ist es auf-grund des relativ sehr jungen Alters derKinder zum beabsichtigten Termin derCI-Versorgung schwierig, endgültigeAussagen über die Existenz oder garüber den Schweregrad von Intelligenz-minderungen zu treffen.

Allerdings muss klar sein, dassdurch eine Implantation eine eventuellvorhandene Intelligenzminderung nichtzu eliminieren ist. Doch mit Hilfe des CIstellen wir taub geborenen oder ertaub-ten Kindern mit Down-Syndrom einenzusätzlichen Sinneskanal zur Verfü-gung, der der Gesamtentwicklung desKindes mit Sicherheit zuträglich ist.

Kommunikation ist nicht allein auflautsprachliche Interaktion reduziert,sondern sie ist immer auch verbundenmit entsprechender Mimik und Gestik.Dies ist ein Angebot, auf das das Kindreagieren kann. So lernt das Kind, dassseine zunächst nichtsprachlichen Signa-le verstanden werden. Der Kontakt zwi-schen Eltern und Kind ist gesichert undverbindet miteinander.

Dieses Tun wird somit zu sinn- undbedeutungsvollem interaktivem Han-deln. Das Reagieren der Eltern auf dienon-verbalen Signale des Kindes ver-leiht ihrem Handeln kommunikativenCharakter, das sich immer auf konkre-tes Geschehen und Erlebtes bezieht.

Das Hinzutreten akustischer Kom-ponenten (prosodische Merkmale beider Ansprache des Kindes), vermitteltdurch das CI, verstärkt es nachhaltigund ist für das Verstehen der kommuni-kativen Intention von großer Bedeu-tung.

Hinsichtlich der zu erwartendenSprachentwicklung und Sprachkompe-tenz von CI-versorgten Kindern mit Down-Syndrom sind Prognosen auf-grund der wenigen und erst kurzzeiti-gen Erfahrungen kaum möglich. Ver-gleicht man dazu Aussagen zu normalhörenden Kindern mit Down-Syndrom,so lassen diese zumindest hoffen, dasses auch diesen Kindern mit CI gelingt,bei intensiver und konsequenter audio-verbaler Förderung Hörfähigkeit, Mut-tersprache und Sprachverstehen zu er-werben.

Letztendlich bestimmen die intra-personellen Voraussetzungen des Kin-des, die therapeutische Vorgehensweiseund die pädagogische Förderung den

Rehabilitationserfolg. Ihre frühe Hör-Spracherziehung wird ihnen ohne Zwei-fel einen wesentlichen Entwicklungs-schub versetzen und vorhandene Poten-zen freilegen. Die SinnesmodalitätHören eröffnet ihnen unter Umständenvöllig neue Entwicklungschancen. DasHören-Können und die damit verbun-denen Möglichkeiten werden positiveAuswirkungen auf die kognitive, auf diesprachliche, auf die motorische Ent-wicklung sowie auf das Verhalten unddie soziale Kompetenz zeitigen.

Gleichwohl ist mit einer sehr großenVariabilität hinsichtlich der Entwick-lungsmöglichkeiten über die Zeit zurechnen.

Die kommenden Jahre werden auf-zeigen, welchen Vorteil taub geboreneKinder mit Down-Syndrom aus derCochlea-Implantat-Versorgung für ihreGesamtentwicklung ziehen werden.

Die ersten Erfahrungen gebendurchaus guten Anlass zur Hoffnung.

Dr. Bodo BertramCochlear Implant Centrum Wilhelm Hirte, Hannover;

Gehägestraße 28-30, 30655 Hannover

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Literaturangaben können angefordert werden.

Das Bildmaterial wurde mit freund-licher Genehmigung der CI-Firmen zur

Verfügung gestellt.

Unsere Söhne wurden beide taub ge-boren. Natürlich wussten wir das

nicht von Anfang an, aber bei Alexanderhatten wir den ersten Verdacht bereitsnach zwei Monaten. Und tatsächlich be-stätigte uns der HNO-Arzt, dass Alexan-der hochgradig schwerhörig ist. Nachweiteren Untersuchungen, u.a. einerBERA an der Uni-Klinik in Düsseldorf,wussten wir dann endlich mit Sicher-heit, dass unser Sohn an Taubheit gren-zend schwerhörig ist.

Was bedeutet das? Was ist möglich?Tausend Fragen, Wut, Trauer undMachtlosigkeit. Er wurde mit Hörgerä-ten versorgt, aber die kamen ganzschnell an ihre Leistungsgrenzen undwir auch, denn es war ein einzigerKampf, dass Alexander seine Hörgerätetrug. Wir hatten das Gefühl, dass erwirklich nichts von den Hörgeräten hat-te und sie demnach daher auch verwei-gerte. Sein Verhalten wurde merklichaggressiver, denn er konnte sich ja nurschlecht verständlich machen und nichteinfach mal nein oder ja sagen oderschreien.

Durch Zufall erfuhren wir dann voneinem Vortrag über das (CI) Cochlea-Implantat (Cochlea = Hörschnecke) ander Hörgeschädigtenschule in Düssel-dorf und ab dann war klar, was möglichund zu tun ist. Wir meldeten uns zu ei-ner Voruntersuchung an der Medizini-schen Hochschule in Hannover an. Alex-ander war 13 Monate alt, als wir wuss-ten, dass ein CI für ihn, aus medizini-scher und pädagogischer Sicht, in Fragekäme, und wir hatten große Hoffnun-gen, weil wir bei anderen Kindern inHannover sahen, wie erfolgreich sie da-mit hören und sprechen lernen konnten.

Drei kleineSchnecken Erfahrungen mit dem Cochlea-Implantat

Tania und Sven Debbert

E R F A H R U N G S B E R I C H T

26 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

Nach seiner ersten Sprachprozessor-Anpassung im Mai 1999 ging es lang-sam, aber stetig vorwärts. Ungefährnach einem halben Jahr sprach Alexan-der sein erstes Wort! Da war er zweiJahre alt und endlich ließ auch seine Ag-gressivität sich selbst und uns gegen-über spürbar nach – er konnte sich jaendlich ausdrücken, uns klar machen,was er wollte. Es war wie eine Befreiungund für alle, die um ihn herum waren,wurde klar, dass fast alles, was es zuhören gab, auch von ihm gehört wurde!

Nach nur einem weiteren Jahr gingAlexander in den Regelkindergarten inunserer Straße und ist dort vier Jahrelang erfolgreich integriert und gefördertworden, sodass er in diesem Sommerauch in die Grundschule vor Ort einge-schult wird. Zwischenzeitlich hat Alex-ander noch ein zweites CI auf der ande-ren Seite erhalten. Noch ist das nicht dieRegel, aber unsere Krankenkasse hat ei-ner Kostenübernahme zugestimmt. Wirwünschen uns für Alexander, dass erdamit noch besser hören und verstehenlernen kann. Dass er alle Möglichkeitenhat …

Johannes ist wie sein Bruder taubund hat Down-Syndrom!

Während dieser Zeit erwarteten wir un-seren Sohn Johannes. Natürlich waruns vorher klar, dass auch unser zwei-tes Kind eventuell taub sein könnte. Lauteiner humangenetischen Beratung lagdie Wahrscheinlichkeit bei maximal 25Prozent! Aber erst einmal kam allesganz anders:

Johannes hat das Down-Syndrom!Und in der ersten Zeit waren wir einfachfassungslos. Wir fragten uns, wieso unsschon wieder so etwas passierte. Trau-rigkeit und Wut machten sich erneutbreit. Aber nicht sehr lange, denn Jo-hannes zeigte uns, dass es keinen Grundgab, traurig oder wütend zu sein.Schnell gingen wir das Down-Syndroman, knüpften Kontakte, verschlangenBücher und Zeitschriften zum Thema.Sicherlich hat uns dabei auch geholfen,dass wir ja schon ein behindertes Kindhaben und wir diesen Prozess schoneinmal durchgemacht hatten.

Und was erst nicht auch noch mög-lich schien, wurde dann doch zur Ge-wissheit: Auch Johannes ist an Taubheitgrenzend schwerhörig. Und da wir be-reits alle Wege schon einmal gegangenwaren, fiel es uns dann doch relativ

leicht, uns auch für ein CI bei Johanneszu entscheiden. Und wir waren sehr un-geduldig, weil wir ja wussten, was es be-deutet, wenn ein Kind nichts hört undversteht. Die Ärzte gaben schnell grünesLicht und Johannes wurde bereits mitfünf Monaten implantiert.

Was erst wie ein Wagnis aussah,wurde schnell zu einem Segen, weil erdas CI voll akzeptierte und ganz schnellund eindeutig Hörreaktionen vorhan-den waren. Es ging mit Riesenschrittenvorwärts und heute lautiert er gern undviel, spricht erste Worte und verstehtbereits eine ganze Menge. Er zeigt auchschon an, wenn das CI nicht funktio-niert. Für uns gehören die CIs, die unsergroßer Sohn auch gern „seine Ohren“nennt, zum Alltag dazu. Und sie ermög-lichen uns, dass wir mit unseren Kin-

dern „ganz normal“ reden können undsie mit uns.

Natürlich gibt es auch Einschrän-kungen und wir alle sind von der Tech-nik abhängig. Aber trotzdem wiegt dieMöglichkeit, dass unsere Kinder hören(lernen) können, alles andere auf!

Wir stehen gern interessierten Elternfür Fragen und Gespräche zur Verfü-gung.

Sven und Tania Debbert Eltern- und Selbsthilfegruppe „Cochlea-Implantat bei Kindern“ in Schleswig-Holstein Jevenstedter Straße 13, 24784 Westerrönfeld, Tel. 0 43 31 / 83 04 04 Fax 0 43 31 / 83 04 05 E-Mail [email protected]

Deutsche Cochlear Implant Gesell-schaft mit der Zeitschrift „Schnecke“und zahlreichem Informationsmate-rial bei:

Berliner Allee 1389257 IllertissenTel.: 0 73 03 / 39 55www.schnecke-ci.de

Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 27

E R F A H R U N G S B E R I C H T

Nachdem ich mich in den ersten Wo-chen nach Fabians Geburt gründ-

lich über das Down-Syndrom und diemöglichen Begleiterkrankungen infor-miert hatte, begann ich, mit ihm die ver-schiedenen Fachärzte aufzusuchen, umdort Früherkennungsuntersuchungendurchführen zu lassen. Bisher schienFabian ein munteres und an seiner Um-welt interessiertes Kerlchen zu sein, dasbis auf die häufigen Atemwegsinfektekörperlich gesund war.

Fabian war doch so aufmerksam!

Als Fabian fünf Monate alt war, brachteich ihn zur Vorsorgeuntersuchung beimHNO-Arzt. Da er beim Hörtest schlafensollte, trug ich ihn vor der Untersuchungim Tragesack spazieren. Während derMessung der otoakustischen Emissio-nen schaute ich gespannt auf die Kurvenund fragte mich, was sie bedeuteten.Schließlich kamen wir zum Arzt, derauch die Ohren untersuchte. Er teiltemir kurzerhand mit, dass Fabian zwarkeine Paukenergüsse hätte, aber leiderauch keine Hörreaktionen festzustellenwaren. Zur weiteren Abklärung wurdefür Fabian ein Termin in der HNO-KlinikWürzburg vereinbart.

Mit so einer Mitteilung hatte ichnatürlich nicht gerechnet – Fabian hat-te doch immer so aufmerksam alles be-obachtet!

Als ich meinem Mann von dem Er-gebnis berichtete, war er weniger er-schrocken als ich. Ihm war schon auf-

gefallen, dass Fabian auf Ansprachenicht richtig reagierte, während ich die-ses Verhalten eher seiner verzögertenEntwicklung zugerechnet hatte.

Doch es stimmte – wenn Fabian eineGeräuschquelle nicht sehen oder spürenkonnte, zeigte er keine zuverlässigenReaktionen. Wir riefen laut, trommeltenauf Blechdosen und machten allen er-denklichen Lärm. Auch Fabians großeSchwester Annika, damals vier Jahrealt, machte eifrig mit. Wenn Fabian unssehen konnte, beobachtete er das Ge-schehen freudig, er reagierte auch aufjeden Schatten oder Luftzug, doch wennes nur etwas zu hören gab, schien ergänzlich unbeeindruckt.

Untersuchungen

Ich besprach die neue Situation auchmit der Pädagogin der Frühförderstelle.Sie ermutigte mich dazu, wie bisher mitFabian umzugehen, da Fabian auf Mi-mik und Gestik beim Sprechen und Sin-gen reagieren würde. Weiterhin erzähl-te sie mir, dass schwerhörigen Kinderngut mit Hörgeräten geholfen werdenkönne und es sogar für gehörlose Kinderinzwischen eine Prothese gäbe, die dasHören ermögliche.

Mit diesen Kenntnissen ausgestattet,erwartete ich ungeduldig die Untersu-chungen in Würzburg. Irgendwie hoffteich auch noch auf ein positiveres Ergeb-nis als beim HNO-Arzt.

Als ich und mein Mann mit Fabiandas erste Mal nach Würzburg fuhren,

war er sechs Monate alt. Wieder sollteFabian bei der Untersuchung schlafen.Diesmal wurde das Gehör mit dem Be-raphon gemessen: Über einen Kopfhö-rer wurden Geräusche unterschiedli-cher Lautstärke und Frequenzen vorge-spielt, während am Masteoid die Hörre-aktionen gemessen wurden. An einemkleinen Bildschirm verfolgten wir dieMesskurve, ohne die Bedeutung zu ver-stehen. Der Test dauerte auf jedem Ohr15 Minuten, die uns endlos erschienen.

Nach der Messung wurden wir inder Pädaudiologie über das Untersu-chungsergebnis aufgeklärt. Der Arzt er-klärte uns, dass Fabian auch bei diesemHörtest keinerlei Reaktionen gezeigthatte. Allerdings sei der Test nur bis zueiner Lautstärke von 70 dB durchge-führt worden. Wir erfuhren, dass einHörverlust dieser Größenordnung nochgut mit Hörgeräten zu kompensierenwäre, und erhielten die Empfehlung, ei-nen Hörgeräteakustiker aufzusuchensowie Kontakt mit der Frühförderstellefür hörgeschädigte Kinder aufzuneh-men. Um Fabians Hörvermögen beigrößerer Lautstärke zu untersuchen,war ein weiterer Hörtest – die BERA –erforderlich, der in Sedierung oder Voll-narkose erfolgen musste. Wir verein-barten also einen weiteren Termin füreinen kurzen stationären Aufenthalt.

Fabian bekommt Hörgeräte

Inzwischen hatte Fabian seine erstenHörgeräte erhalten und wir beobachte-ten ihn wieder genau: Hört er – oderhört er nicht? Manchmal schien er sichnach einem Geräusch umzudrehen,dann wieder nicht. Eine eindeutige Hör-reaktion konnten wir jedoch leider nichtbeobachten.

Ich sammelte Informationen überverschiedene Formen der Schwerhörig-keit und deren Auswirkung auf dieSprachentwicklung, über Hörgeräteund Messverfahren zur Feststellung desHörvermögens. In einem Buch überHörhilfen erfuhr ich das erste Mal Ge-naueres über die Funktionsweise einesCochlea-Implantats (CI).

Annika erklärte mittlerweile denKindern aus der Nachbarschaft, warumFabian Hörgeräte trug (Zitat: „Der hörtschlecht, wie dein Opa!“).

Vor der geplanten Narkose ließ ichin der hiesigen Kinderklinik FabiansHerz untersuchen. Zum Glück war allesso weit in Ordnung – Fabian hatte le-

Fabian bekommt ein Cochlea-Implantat Christiane Le Breton

„Da geschah das Unglaubliche: Fabian wandte sichspontan um und schaute mich mit erstauntem Blick an.Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er etwas gehört!“

Fabian hat Down-Syndrom. Als er fünf Monate alt ist,stellen seine Eltern fest, dass er keine Hörreaktionenzeigt. Er bekommt Hörgeräte, aber die nützen Fabiannicht viel. Dann liest seine Mutter über das CI: Daskönnte etwas für Fabian sein! Aber ... ist das Down-Syndrom ein Hindernis für ein Implantat?

28 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

E R F A H R U N G S B E R I C H T

diglich ein Foramen ovale, was ihn je-doch in keiner Weise beeinträchtigte.Im Vorfeld dieser Untersuchung kamauch der Chefarzt der Kinderklinik zuuns und erkundigte sich nach Fabian.Er fragte, woher Fabians Hörgeräte kä-men. Ich erklärte, was bisher geschahund was ich veranlasst hatte. Daraufhinerklärte mir dieser Arzt, er glaube nicht,dass Fabian schwerhörig sei, schließ-lich würde er ja so schön lautieren (Fa-bian lag auf der Untersuchungsliege undbrabbelte vor sich hin). Ich solle michnicht verrückt machen, es wäre alles inOrdnung und die Frühförderung fürhörgeschädigte Kinder halte er in die-sem Fall für unnötig. Es folgten noch ei-nige (mir bereits bekannte) Erläuterun-gen zum Down-Syndrom. Schließlicherhielt ich ein kleines Heftchen mit Er-klärungen, wie man Hörprobleme beiSäuglingen und Kindern an deren Ver-halten erkennen kann. Über dieses Ge-spräch war ich sehr verwundert, denndieser Arzt kannte Fabian doch garnicht und die bisherigen Untersuchun-gen hatten ja zweifelsfrei ergeben, dassFabian zumindest mittel- bis hochgra-dig schwerhörig war. Des Weiteren hät-te er eigentlich wissen müssen, dassKinder die erste Lallphase auch danndurchlaufen, wenn sie gehörlos sind.Ich war froh, mich vorher gut informiertzu haben.

Schließlich war es so weit: Fabianwar genau sieben Monate alt, als wir

zum nächsten Hörtest, der BERA, in derWürzburger Kinderklinik aufgenom-men wurden. Im Vorfeld der Untersu-chung erfolgten die üblichen Auf-klärungsgespräche über die Risiken, Fa-bian sollten während der Narkose auchdie Polypen entfernt werden, falls siestark vergrößert waren.

Der Anästhesist hatte Bedenken we-gen Fabians verschleimter Atemwege,doch ich kannte Fabian kaum anders.

Als am Folgetag die BERA erfolgte,war ich ganz unruhig. Ich machte mirSorgen wegen der Narkose und die Zeit,bis ich wieder zu Fabian gerufen wurde,erschien mir endlos.

Down-Syndrom ein Hindernis fürdas Cochlea-Implantat?

Endlich war es so weit. Als ich die In-tensivstation betrat, hörte ich schon vonweitem Fabians Schreien. Ich nahm ihnauf den Arm und versuchte, ihn zu be-ruhigen. Die Ärztin, die Fabian im OPbehandelt hatte, kam eher unwillig her-bei und teilte mir mit, dass Fabian diePolypen entfernt wurden und dass dasErgebnis der BERA am nächsten Tagbesprochen werden solle. Ich wollte esaber sofort wissen und erfuhr dann,dass Fabian kaum Resthörvermögenhatte.

Als ich das hörte, erwähnte ich dieMöglichkeit, Fabian mit einem CI zuversorgen. Doch die Antwort war wie ei-ne Ohrfeige: Fabian hätte ja Down-Syn-

drom und ob für solche Kinder ein CI inFrage käme, könne sie nicht sagen. Ichhatte mit allem gerechnet, jedoch niemit der Möglichkeit, dass Fabians Be-hinderung ein Ausschlussgrund für dasCI sein konnte!

Am nächsten Tag wurde das Ergeb-nis der BERA in der Pädaudiologie et-was genauer mit mir besprochen. Fabi-an zeigte nach der vorläufigen Auswer-tung keinerlei Hörreaktionen bei Laut-stärken unterhalb von 100 dB. Nur beitiefen Frequenzen (ca. 500 Hz) war einResthörvermögen bei Lautstärken ober-halb 100 dB zu vermuten.

Anschließend wurde eine Frei-feldaudiometrie durchgeführt. Ich hieltFabian auf dem Schoß und aus zwei Bo-xen dröhnten mit 120 dB verschiedeneTöne, Geräusche und Musik. Fabianspielte dabei ungerührt mit seinen Fin-gerchen und schien nichts von demLärm zu bemerken. Ich kämpfte mit denTränen, denn jetzt sah, hörte und fühl-te ich erst richtig, wie wenig Fabianakustisch wahrnehmen konnte. Dannwurden Fabians Hörgeräte begutachtet– sie waren nicht ausreichend, erbrauchte jetzt stärkere.

Ich war froh, als ich mit Fabian end-lich wieder zu Hause war, doch mir gingeines nicht aus dem Kopf: Down-Syn-drom konnte ein Hindernis für das CIsein. Ich entschloss mich, beim Deut-schen Down-Syndrom-InfoCenter nach-zufragen, ob dort Kinder mit Down-Syn-drom und CI bekannt waren. Schon amnächsten Tag erhielt ich eine Kontakt-adresse. Ich rief dort an und erhielt vie-le wertvolle Informationen. Auf Rat derKontaktfamilie vereinbarte ich einenTermin im CIC Hannover, wohin meh-rere Kinder mit CI und Down-Syndromzur Therapie kamen.

Zum CI-Center in Hannover

Kurze Zeit später fuhr ich mit meinemMann und Fabian nach Hannover. Dorterfuhren wir viel über die Funktions-weise des CI, über die Entwick-lungschancen der Kinder, aber auchüber mögliche Enttäuschungen, und wirsahen zum ersten Mal ein echtes Nucle-us-CI. Anhand von Videoaufnahmenkonnten wir auch die Entwicklung ver-schiedener Kinder mit und ohne weite-re Behinderung nach der Implantationverfolgen und waren beeindruckt.

Jetzt wussten wir, dass auch Fabianeine Chance auf Hörerfahrungen hatte.

Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 29

E R F A H R U N G S B E R I C H T

Doch trotz allem mussten nun noch ei-nige Monate mit Hörgeräten ertragenwerden, was nicht leicht war. Die stär-keren Power-Geräte gaben schrillePfeiftöne von sich, da die Ohrpassstückeeinfach nicht dicht zu kriegen waren.Fabian fing auch an, die Geräte auszu-ziehen und damit zu spielen. Wir beob-achteten immer noch, ob Fabian aufsehr laute Geräusche Reaktionen zeigte,aber nie mit Erfolg.

Bei einem zwischenzeitlichen Kon-troll-Termin beim HNO-Arzt erkundigtesich dieser nach Fabians Gehör. Er zeig-te sich sehr mitfühlend, als ich ihn überdie Würzburger Ergebnisse informierte.Doch als ich von unserer Absicht be-richtete, Fabian mit einem CI zu versor-gen, zeigte er sich eher skeptisch. Erglaubte, dass ein Kind mit Down-Syn-drom nicht vom „technischen Hören“mit dem CI profitieren könne.

Als Fabian acht Monate alt war, fuh-ren wir wieder nach Würzburg. Dortwurde abermals eine Freifeldaudiome-trie durchgeführt und nach Fabians Ent-wicklung im vergangenen Monat ge-fragt. Da sich herausstellte, dass Fabianauch mit den starken Hörgeräten keineVerhaltensänderung gezeigt hatte, wur-de von einer Ärztin zum ersten Maldann doch konkret die Möglichkeit einerCI-Implantation bei Fabian erwähnt.Fabian erhielt einen Termin für die er-forderliche CI-Voruntersuchung, in derdie anatomischen Voraussetzungen füreine Implantation überprüft werdensollten.

Schwierige Entscheidungen

Vom Hörgeräteakustiker und vom Kin-derarzt erhielt ich dann auch Adressenvon anderen CI-Kindern in unsererNähe. Eine Mutter vermittelte mir denKontakt zu einem HNO-Arzt in Würz-burg, der sich auch sofort bereit erklär-te, mich und meinen Mann an einemWochenende über weitere medizinischeund technische Einzelheiten zu infor-mieren. Das Gespräch war sehr infor-mativ, wir erhielten viele Detail-Infor-mationen über die Operation, konntenein Med-El-CI begutachten und Video-aufnahmen einer Implantation sehen.

Nun wurde es langsam Ernst. Wirüberlegten immer noch, ob wir Fabianin Würzburg oder doch lieber in Han-nover operieren lassen sollten. Weiter-hin war zu entscheiden, welches CI Fa-bian bekommen sollte, damals standen

Nucleus und Med-El zur Debatte. DieEntscheidung war nicht leicht, alles hat-te seine Vor- und Nachteile: Die Datenüber Ausfälle und Reimplantationen wa-ren bei beiden Herstellern nahezugleich, die technischen Unterschiedevon einem Laien kaum zu bewerten undschließlich waren sich ja selbst Fach-leute uneinig darüber, welches CI bessersei.

Schließlich entschieden wir uns füreine Implantation in Würzburg mit ei-nem Med-El-CI.

Operation

Nun begann das Warten auf die Vorun-tersuchung. Fabian trug zwar immernoch seine pfeifenden Hörgeräte, inzwi-schen das dritte Modell, aber wir hattendie Hoffnung auf Erfolge aufgegeben.Auch Annika wurde auf die geplante OPvorbereitet, schließlich würde ich ja län-gere Zeit mit Fabian in der Klink ver-bringen.

Als Fabian zehneinhalb Monate altwar, wurden wir zur CI-Voruntersu-chung und gegebenenfalls auch Implan-tation in der Würzburger HNO-Klinikaufgenommen. Die meiste Zeit in derKlinik verbrachten wir mit Warten, daviele Untersuchungen auf Abruf erfolg-ten. Es wurden u.a. eine Freifeldaudio-metrie, ein CT und ein MRT in Sedie-rung sowie Aufklärungsgespräche überNarkose- und Operationsrisiken durch-geführt. Endlich stand das Ergebnis fest:Fabian hatte einen gut sichtbaren Hör-nerv und die Cochlea war nicht missge-

bildet. Einer Implantation stand nichtsmehr im Wege und der Termin wurdefestgesetzt – wir konnten gleich in derKlinik bleiben. Ich war einerseits er-leichtert, machte mir jedoch gleichzeitigSorgen wegen der OP und der Narkose.Fabian war auch jetzt wieder stark ver-schleimt und hustete nachts.

Als Fabian operiert wurde, warteteich unruhig im Zimmer auf Nachricht.Endlich war es so weit: Eine Ärztin riefan und teilte mit, dass die Implantationerfolgreich war und ich ihn bald wiederin Empfang nehmen könne. Mir fiel einStein vom Herzen und als ich Fabianmittags endlich wieder in den Arm neh-men konnte, war ich glücklich, dass nundas Schlimmste überstanden war.

Fabian trug nun einen riesigen Kopf-verband, der täglich gewechselt wurde.Am zehnten Tag nach der OP wurdendie Fäden gezogen, der Verband abge-nommen und wir wurden entlassen.

Jetzt musste die Wunde weiteresechs Wochen heilen, bis die äußerenTeile des CI angepasst werden konnten.Wir wollten hierzu kurz vor Fabians ers-tem Geburtstag fünf Tage im CIC Han-nover verbringen.

Mit zehn Monaten hört Fabian zum ersten Mal!

Und dann saß ich mit Fabian auf demSchoß in einem kleinen Raum, vor mirein Techniker und ein Pädagoge, der Fa-bian beobachtete. Ich erhielt die Außen-teile von Fabians CI, legte die Sende-spule auf das Implantat und der Techni-ker begann, Fabians Hörnerv zu stimu-lieren. Da geschah das Unglaubliche:Fabian wandte sich spontan um undschaute mich mit erstauntem Blick an.Zum ersten Mal in seinem Leben hatteer etwas gehört. Bei jedem neuen Tonlauschte er, oft suchte er Blickkontakt zumir. Ich war überwältigt. Auf so einedeutliche Reaktion hatten wir alle nichtzu hoffen gewagt. Schließlich wurde dasProgramm in Fabians CI gespeichertund ich verließ mit einem hörendenKind den Raum. Danach erfolgte täglicheine Anpassung, bei der das Programmvorsichtig immer etwas lauter gestelltwurde, und in Therapiesitzungen sollteFabian lernen, was Geräusche bedeu-ten.

Als wir wieder zu Hause waren, fei-erten wir Fabians ersten Geburtstag unddas größte Geschenk war sein CI. Vor al-lem Annika war begeistert. Sie fragte

30 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

E R F A H R U N G S B E R I C H T

immer wieder, ob Fabian uns jetzt wirk-lich hören könne.

Verhaltensänderungen konnten wirjedoch in den ersten Tagen noch nichtfeststellen und auch das Tragen des CIbrachte seine Probleme mit sich: DieSpule, die magnetisch auf dem Implan-tat haftet, rutschte immer wieder vomKopf, sobald Fabian ihn drehte, da erdamals weder sitzen noch krabbelnkonnte. Zum Glück war Annika sehr be-sorgt darum, dass Fabian alles mitkrieg-te, und half mir dabei, die Spule immerwieder auf das Implantat zu setzen.

Experimentieren mit Geräuschen

Nach wenigen Wochen bemerkte ich,dass Fabian jedes Mal lautierte, wennich sein CI anlegte. Anscheinend testeteer seine eigene Stimme, er rief mal laut,mal leise, mal lang gezogene und malkurze „A“. Er begann auch, ganz gezieltdurch Klopfen mit harten GegenständenGeräusche zu erzeugen. Besonders ger-ne klopfte er mit dem Löffel auf Gläser.Der helle Ton brachte ihn jedes Mal zumStrahlen.

Im ersten halben Jahr nach der Erst -anpassung fuhren wir alle fünf bis achtWochen ins CIC Hannover und Fabianhörte mit jedem Mal lauter und deutli-cher. Er lernte, bei Geräuschen nach derUrsache zu suchen und die verschiede-nen Geräusche auch unterschiedlichenDingen zuzuordnen.

Bald begann er auch zu Hause auf-zuschauen, wenn er angesprochen wur-de. Er interessierte sich für alle Geräte,die Geräusche verursachten: den Staub-sauger, den Föhn, die Mikrowelle, denRasierapparat oder die Waschmaschi-ne. Kurz darauf begann er auch, dieGeräusche zu imitieren. Er machte„mmmmm“ oder „wwwww“, sobald ereine Geräuschquelle entdeckte. Ichsprach viel mit ihm, spielte mit Tierenoder Fahrzeugen und imitierte dabei diepassenden Geräusche.

Die ersten Wörter

Nach zirka einem halben Jahr Hörer-fahrung sagte Fabian zum ersten Mal„Mama“, kurz darauf auch „Dada“ (Pa-pa). Er schien zwar anfangs nicht wirk-lich zu wissen, was er da sagte, dochwiederholte er diese Lautketten uner-müdlich.

Er erkannte inzwischen auch Liederund Fingerspiele wieder, die ich und diePädagogin der Frühförderstelle mit ihm

sangen. Nach wenigen Worten zeigte ermit typischen Gesten, dass er wusste,was jetzt folgte (z.B.: Beim „Wie dasFähnchen auf dem Turme ...“ drehte erseine Hände, oder beim „Das ist derDaumen ...“ zog er sich am Daumen).

Weil Fabian inzwischen sitzen konn-te, hielt auch die Spule besser am Kopf,doch leider hatte er auch begriffen, dassich immer zu ihm kam, sobald etwasmit dem CI nicht stimmte. Er fing an,sich das CI ganz gezielt vom Kopf zu zie-hen. Als bei uns spielende Kinder michdeshalb einmal riefen, kommentierteAnnika: „Der Fabian will nur die Mamaanlocken.“ Für sie war inzwischen allesganz normal, sie beschäftigte sich gernemit Fabian und übte mit ihm hören, sowie sie es bei mir oder in Therapien ge-sehen hatte. Auch ihre Puppen wareninzwischen gehörlos und trugen selbst-gebastelte CIs aus Pappe.

Fabian lernt Gebärden mit den GuK-Karten

Allmählich begann Fabian nun, kleineBilderbücher zu betrachten. Ich lieh mirGuK-Karten aus und führte Fabian eini-ge Gebärden vor. Da er Interesse zeigte,schafften wir uns eigene GuK-Karten an.

Seit Fabian eindreiviertel Jahre altist, biete ich im zusätzlich zur Spracheauch Gebärden an. Anfangs ahmte er dieGebärden nur beim Betrachten der Bil-der nach. Manchmal saß er allein mit ei-nem Büchlein auf dem Boden undmachte Gebärden zu den Bildern, die ersah. Dann begann er, zu gehörten Wör-tern auch Gebärden zu zeigen. So er-kannte ich, was er verstand oder auchmissverstand (z.B. wenn ich von einerMaus sprach und Fabian Haus gebärde-te).

Bald zeigte er auch spontan Gebär-den zu Dingen, die er sah, und äußertepassende Laute (z.B. wenn er eine Kat-ze sah „mao“ plus die Gebärde für Kat-ze, beim Anblick eines herunterfliegen-den Fussels „sssss“ plus die Gebärde fürFliege).

Immer mehr Kommunikation möglich

Inzwischen ist Fabian 26 Monate alt. Erkann einfache Wünsche wie essen/trin-ken (mmm-njam-njam), Auto fahren(brrmmm) oder weggehen (Winke-win-ke-machen) äußern, wobei die gelerntenGebärden sehr hilfreich sind.

Er versteht auch kurze Sätze und

wiederholt sie manchmal, als wollte erauf seine Art erzählen, zum Beispiel„Dada brrmmm“ plus die Gebärde fürAuto und Winke-winke bedeutet: Papaist mit dem Auto weggefahren.

Für einige Dinge erfindet er auch ei-gene Gebärden oder setzt bekannte Ge-bärden anders ein, so bezeichnet er et-wa die Waschmaschine mit den Lauten„lalalalal“ und der Gebärde für Musikoder er zieht fiktive Haare zwischen denFingern lang und ruft „Aua“, womit erankündigt, dass er an den Haaren zie-hen will. Auch auf einfache Fragen be-ginnt er allmählich mit Gebärden odernatürlicher Gestik zu antworten, sodasseine wechselseitige Kommunikationmöglich wird.

Das CI wird ab und zu zerlegt!

Leider benutzt Fabian seine zunehmen-de feinmotorische Geschicklichkeit nachwie vor dazu, sein CI immer wieder her-unterzureißen, wenn er Zuwendungmöchte oder Langeweile hat. Er zerlegtes in Einzelteile und wirft die Sendespu-le und manchmal auch das Kabel fort.Die ständige Suche nach den Kleinteilenund die häufig erforderlichen Reparatu-ren zehren manchmal, trotz aller Erfol-ge, auch an den Nerven, doch ich hoffe,dass auch dieses Verhalten eines Tagesaufhören wird.

Das CI erschließt Fabian die Welt

Auf Fabians Erfolge sind wir alle sehrstolz. Was er jetzt kann, war vor gut ei-nem Jahr noch unvorstellbar. Ob Fabi-an jemals richtig sprechen wird, bleibtabzuwarten, doch ist allein die Tatsa-che, dass er hört, für ihn und alle, diemit ihm umgehen, eine enorme Erleich-terung. Trotz mancher Schwierigkeitensind wir froh, dass Fabian sein CI hat,und auf seinem Weg in die Welt derGeräusche haben wir alle – nicht nur Fa-bian – viel gelernt.

Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 31

V E R S C H I E D E N E S

Es kommt bei vielen Müttern im Lau-fe der Kindererziehungsjahre zu ei-

ner chronischen Überlastung, einer Er-müdung, die so tief greifend ist, dass eineinfaches Ausschlafen am Wochenendenicht mehr ausreicht, um wieder fit undleistungsfähig zu werden. Ein behinder-tes Kind in der Familie, das oft zusätz-lich schwer krank ist, Geschwisterkin-der, die ihr Recht fordern, pflegebedürf-tige Eltern und/oder Schwiegereltern,Stress mit kinderlosen Nachbarn, Be-rufstätigkeit und noch einige Belastun-gen mehr bringen das Fass zum Über-laufen. Krankheiten und vielerlei Be-schwerden entwickeln sich. Irgend-wann hat die Erschöpfung einen Punkterreicht, wo man dringend handelnmuss. So geht es nicht weiter.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten,in diesen Kreislauf einzugreifen undMüttern eine Entlastung und Erholungzu schaffen. Eine von diesen Möglich-keiten ist eine Mutter-Kind-Kur.

Was kann eine Mutter-Kind-Kur leisten?

Ehe man sich zu so einer Kur ent-schließt, ist es wichtig zu wissen, wasauf einen zukommt, was so eine Kur bie-tet und was man von dieser speziellenErholungsmaßnahme erwarten kann.Wenn man eine Mutter-Kind-Kur mitvöllig falschen Erwartungen antritt,bleibt nicht nur die dringend benötigteErholung aus, sondern man fährtwomöglich noch frustrierter und er-schöpfter nach Hause, als man die Kurangetreten hat.

Bei einer Mutter-Kind-Kur könnensowohl die Krankheitsbilder der Er-wachsenen als auch die des Kindes be-handelt werden. Voraussetzungen fürdie Behandlung während der Kur sindein ärztliches Attest und die Genehmi-gung von der Krankenkasse. Es istdurchaus möglich, dass das Kind oderdie Mutter nur als Begleitperson zur Kurmitfährt. Es gibt Kliniken, die Schwer-

punktkuren zu festgelegten Terminenanbieten, zum Beispiel auch Down-Syn-drom-Schwerpunktkuren. Es werdendie verschiedensten Therapien angebo-ten, neben der klassischen Medizin auchanerkannte alternative Heilmethodensowie psychosoziale Angebote. Jede Kli-nik hat ihr eigenes Konzept und eigeneBesonderheiten.

Die Krankenkassen (in manchenFällen auch die Rentenversicherungen)übernehmen die Kosten für solche Ku-ren. Durch die zunehmenden Kürzun-gen und Einschränkungen im gesamtenGesundheitssystem wird es zwar immerschwieriger, eine Kur genehmigt zu be-kommen, aber noch ist es möglich –wenngleich oft mit hartnäckigen Kämp-fen verbunden.

Es gibt einige Organisationen undVerbände, die Müttern Unterstützunggeben bei der Beantragung einer Kurund bei der Auswahl eines geeignetenHauses. Es hilft aber sehr, wenn manselber sich im Vorfeld so gut wie nurmöglich informiert. Selbst ist man derbeste Sprecher für sich und sein Kind;als Mutter weiß man am besten um dieBedürfnisse der eigenen Kinder undnatürlich um die eigenen Bedürfnisse.Es lohnt sich immer, sich zu informierenund sachlich und konsequent den eige-nen Standpunkt zu verteidigen.

Regeln müssen sein

Eine Kur ist eine medizinische Maßnah-me, es ist kein Urlaub. Das bedingt einfrühes Aufstehen, festgelegte Mahlzei-ten, vorgeschriebene Ruhezeiten und ge-nerell eine krankenhausähnliche Struk-tur. Dieses ist wichtig, um allen Patien-ten gerecht zu werden und die notwen-digen Therapien anbieten zu können.

Eine Kur ist kein UrlaubGundula Meyer-Eppler

Eine Mutter-Kind-Kur kann für alle Beteiligten einegroße Entlastung sein und einen starken Erholungs-wert haben, vorausgesetzt man geht mit realistischen Vorstellungen und Erwartungen dorthin. Die Autorin, Ergotherapeutin und Mutter von vier Kin-dern, das Jüngste hat das Down-Syndrom, hat selbstschon dreimal eine Mutter-Kind-Kur gemacht, zweimalwar sie bei einer Down-Syndrom-Schwerpunktkur.

Die Klinik Inntaler Hof bietet Down-Syndrom-Schwerpunktkuren an

32 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

V E R S C H I E D E N E S

Was auf den Tisch kommt, wird gegessen!

Die meisten Kurkliniken geben sich al-lergrößte Mühe, ihren Speiseplan ab-wechslungsreich und gesund zu gestal-ten und trotzdem auch noch kindge-recht. Das ist nicht einfach in Zeiten, woüberall Gelder gekürzt werden, trotz-dem gelingt es den meisten Klinikenganz wunderbar. Aber es ist „Groß- küchen-Essen“, eben eine Küche, dieviele Menschen satt bekommen und vie-le verschiedene Diätpläne und Allergienberücksichtigen muss, und das kannsehr anders sein als das gewohnte Es-sen zu Hause. Es ist auch kein Hotel-Es-sen, wo man nach Belieben bestellenkann. Hier sind ein bisschen Toleranzund viel Offenheit gefragt, und die Be-reitschaft, die Tatsache zu genießen,dass man für drei Wochen nicht selberkochen muss!

Achtung Infektgefahr!

Es kommen viele Mütter und Kinder ausallen Ecken Deutschlands zusammen.Obwohl die Kinder ohne Infekte ange-reist sind, können sie trotzdem einen In-fekt ausbrüten und schon ist die ganzeKlinik krank. Das können Magen-Darm-Infekte sein, das können Atemwegsin-fekte sein, das können aber auch Infek-te wie Windpocken und Scharlach sein.Das liegt nicht an mangelnder Hygieneoder mangelnder Vorsicht der Klinik,sondern an der bunten Mischung derKeime, die jede Familie von zu Hausemitbringt. Es ist durchaus vergleichbarmit den ersten Wochen und Monaten,die ein Kind im Kindergarten verbringt– wenn es dort zum ersten Mal mit einerso großen Vielfalt an Krankheitserre-gern konfrontiert wird und ständigkrank ist, bis seine Immunabwehr sichangepasst hat.

In einer Kurklinik läuft es sehr ähn-lich, man hat leider in der Regel nur dreiWochen, um sich mit diesen Keimenauseinander zu setzen. Das heißt, dasses während der Kur sehr häufig zu ei-nem Infekt kommt und dann zu der da-mit verbundenen Zimmer-Aufenthalts-Zeit, damit man nicht unnötig andereansteckt. Es entfallen in so einem Fallein bis drei Tage Anwendungen undTherapien und man verbringt die Zeitmit seinem Kind oder den Kindern in ei-nem kleinen Zimmer! Es lohnt sich, dar-auf vorbereitet zu sein und die Lieb-lingsspielsachen der Kinder und ein gu-

tes Buch für sich selbst mitzubringen.Die Kliniken stellen zwar vieles zur Ver-fügung an Spielzeug und Büchern – aberim Krankheitsfall hat man oft keinen Zu-gang mehr zu den öffentlichen Möglich-keiten.

Toleranz und gute Nerven gefragt!

Je größer die Klinik, je größer ist auchdie Vielfalt an Menschen und Proble-men, die zusammenkommen. Da sindToleranz und Geduld gefordert von allenBeteiligten. Da viele Mütter am Ende ih-rer Kräfte sind und es häufig lange ge-dauert hat, bis sie diese Kur genehmigtbekommen haben, sind ihre Problemeoft nicht zu übersehen oder zu über-hören.

Es gibt zu jeder Tageszeit ein Gebrüllund Geschrei und Gezeter zwischenMüttern und Kindern. Die Kinder spie-geln den Stress wider, sie sind dement-sprechend ungezogen, vorlaut, aggres-siv, destruktiv und teilweise stark ver-haltensauffällig. Wegen dieser Proble-me sind diese Familien zur Kur ge-kommen, weil sie Hilfe und Unterstüt-zung suchen. Sie sind bestimmt nichtgekommen, um andere mit ihren Proble-men zu ärgern oder zu tyrannisieren.Sie brauchen Geduld und Verständnis,manchmal ein offenes Ohr, aber nichtnoch mehr Ärger und noch mehr Stress.Jede Mutter, jedes Kind, jede Familiehat ihr eigenes Tempo und ihren eige-nen Stil, um ihre Probleme zu bearbei-ten, und dieses Tempo und dieser Stilkönnen ganz anders sein als unsere ei-genen. Respekt und Toleranz im Um-gang miteinander sind oberstes Gebot.

Kinderbetreuung? Ja, aber ...

Die Kliniken bieten eine Kinderbetreu-ung während der Behandlungszeitender Mutter an, damit diese in Ruhe ihreTherapien und Anwendungen bekom-men kann. Darüber hinaus ist eine Kin-derbetreuung nur bedingt möglich undin jeder Kurklinik anders geregelt. Kin-der unter drei Jahren fallen oft komplettaus der Kinderbetreuung heraus – undzwar weil Kinder in diesem Alter ei-gentlich eine Eins-zu-eins-Betreuungbrauchen. Wenn man Babys und Klein-kinder in Gruppen zusammen betreut,ist das meist nicht befriedigend für Mut-ter oder Kind, da die Kinder hier fremdsind und eine viel längere Eingewöh-nungszeit bräuchten, als während derKur möglich wäre. Durch eine Grup-

penbetreuung im Kleinkindalter sind dieKinder völlig überfordert und ent-wickeln vielerlei Stress-Symptome. DieTatsache, dass eine Mutter mit Klein-kind(ern) besonders erholungsbedürftigist, ist den Kliniken zwar bekannt, aberim bestehenden System nicht aufzufan-gen. Im akuten Fall muss hier eine an-dere Lösung gesucht werden als eineMutter-Kind-Kur!

Die Kinderbetreuung ist auch nichtgedacht zum „Loswerden“ der Kinder.So verständlich das Bedürfnis nach Ru-he und Erholungszeiten ohne die Kinderist, diese Art von „Babysitten“ löst diebestehenden Probleme zu Hause nicht.Als „Babysitter“ zu fungieren, ist nichtAufgabe einer Mutter-Kind-Kur. Es gehtbei der Kur um grundsätzliche Problem-lösungsstrategien, um Lösungen, dieman für zu Hause erarbeitet. FolgenderSatz drückt es bildlich aus:

Alltagsprobleme selbst lösen lernen

Die Kliniken bieten eine Möglichkeitzum Lernen, neue Erfahrungen zu ma-chen, neue Methoden auszuprobierenund Erfahrungen auszutauschen. IhreAufgabe ist es nicht, die Probleme „weg-zuzaubern“ oder einem die Probleme„abzunehmen“. Es werden die unter-schiedlichsten psychosozialen Angebotegemacht, sehr viele beschäftigen sichmit den Erziehungsproblemen des All-tags, viele auch mit Entspannungsme-thoden, beinahe alle zielen aber daraufab, dass man lernt, seine Alltagsproble-me selber zu lösen.

Der Kurplan, den man für die dreiWochen bekommt, enthält eine bunteMischung aus Therapien und Anwen-dungen. Manche bekommt man in derZeit dreimal, manche nur ein einzigesMal. Da kommen schnell die Beschwer-den: „Von einem einzigen Mal kann sichmein Zustand doch nicht bessern!“,oder: „In drei kurzen Terminen kann

„Gib einem Mann einenFisch und er ist einenTag lang satt.Bring ihm bei, wie manangelt, und er ist seinLeben lang satt.“

Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 33

V E R S C H I E D E N E S

ich doch nicht eine ganze Entspan-nungsmethode lernen und behalten.“Nein, natürlich nicht. Aber es gibt Anre-gungen, Ideen, Möglichkeiten, die manzu Hause weiter verfolgen kann. Es gibtzum Beispiel auch zu Hause die Mög-lichkeit, an Autogenes-Training-Kursenteilzunehmen, die von den Krankenkas-sen finanziert werden. Während derKur hat man vieles kennen lernen kön-nen und kann überlegen, was man zuHause weitermachen möchte.

Angebote nützen

Die psychosoziale Betreuung ist einwichtiger Baustein der Mutter-Kind-Kli-niken. Manches wird im Therapieplanmit erfasst, manches ist ein freiwilligesAngebot. Die psychologische Betreuungin Einzelgesprächen sowie Gruppensit-zungen sind zum Beispiel Teil des The-rapieplanes; die Gesprächsrunden zuverschiedenen Themen wie Erziehungund Stressbewältigung werden oft auffreiwilliger Basis angeboten. Geradeaber diese Gruppengespräche sind sehrwichtig und es ist schade, dass so wenigMütter dieses Angebot in Anspruch neh-men! Der Austausch mit anderen Müt-tern über die Belastungen des Alltagsund die Anregungen der Fachkräfte zuden verschiedenen Themen können ei-ne große Hilfe zu der Bewältigung desAlltags zu Hause sein. Schon alleine dieErfahrung, dass man keineswegs alleinedasteht mit seinen Problemen, sonderndass viele Mütter die gleichen Sorgenund Nöte haben, ist für einige Mütterder entscheidende Schritt zu einer Ent-spannung und zu einer emotionalenEntlastung.

Down-Syndrom-Schwerpunktkur

Die Down-Syndrom-Schwerpunktkurengibt es noch nicht sehr lange. Es ist einrelativ neues Konzept, das sich mit dengemachten Erfahrungen ständig weiter-entwickelt. Momentan sieht es so aus,dass die Kinder ihre Therapien und An-wendungen bekommen und auf den ers-ten Blick ist nicht allzu viel „Down-Syn-drom“-Spezifisches dabei. Aber diesererste Blick täuscht. Die Kinder bekom-men tatsächlich schon heilpädagogischeAngebote, Reiten, Schwimmen oderÄhnliches, speziell auf ihre besonderenProbleme zugeschnitten.

Aber wir dürfen nicht vergessen,dass vieles, was anderen Kindern guttut, unseren Kindern mit Down-Syn-

drom auch gut tut! Die Probleme, dieunsere Kinder haben, sind oft ähnlichwie die der anderen Kinder. So wirdzum Beispiel ein Kind mit ständigenAtemwegsinfekten tägliches Inhalierenverschrieben bekommen, ob es jetzt dasDown-Syndrom hat oder nicht.

Ein sehr wichtiger Aspekt der Down-Syndrom-Schwerpunktkur sind derAustausch und das Kennenlernen vonanderen Familien, die „im gleichenBoot“ sitzen. Auch die allgemeine At-mosphäre von Akzeptanz ist ganz wich-tig. In einem Haus, in dem viele Kindermit Down-Syndrom untergebracht sind,muss man als Mutter nicht ständig sol-che Fragen beantworten wie: „Waaas,Ihr Kind ist schon sieben?“ Es kann sehrzur Erholung beitragen, wenn diese Artvon Fragen und die damit verbundeneRechtfertigung und Aufklärung für dreiWochen entfallen.

Auch die Geschwisterkinder profitie-ren ganz enorm von dem Kontakt zu an-deren Familien mit einem Kind mit Down-Syndrom. Vieles, was die Ge-schwisterkinder während einer Schwer-punktkur erleben, entlastet und hilft ih-nen, ihren Alltag wieder lockerer undunbeschwerter zu meistern. Die inte-grative Arbeit, die in der Kinderbetreu-ung und während der Kur überhauptgeleistet wird, ist vor allem für die Kin-der mit Down-Syndrom, die sonst keineoder wenig Integrationsmöglichkeitenhaben, sehr wichtig.

Eine Kur kann genau das Richtige sein

Drei Wochen aussteigen aus dem Alltagund eine gesunde Ernährung genießen,eine Vielfalt an Therapien und Anwen-dungen ausprobieren und sich mit an-deren Müttern in entspannter Umge-bung austauschen, kann genau den Un-terschied machen, den man als Mutterbraucht, um aus der Erschöpfungsspi-rale auszusteigen.

Eine Mutter-Kind-Kur kann für alleBeteiligten eine große Entlastung seinund einen starken Erholungswert ha-ben, vorausgesetzt, man geht mit realis-tischen Vorstellungen und Erwartungendorthin.

Einige nützliche Adressen:

Mutter-Kind-Hilfswerk e.V.Millberger Weg 194152 Neuhaus am InnTelefon 0 85 03 / 90 04 26www.mutter-kind-hilfswerk.de

Kur + Reha GmbHHelligestraße 2D-79100 FreiburgTelefon 0 761 / 4 53 90 - 0Telefax 0 761 / 4 53 90 - [email protected]

Elly-Heuss-Knapp-StiftungDeutsches MüttergenesungswerkBergstraße 6310115 BerlinTelefon Kurinformationen:030 / 33 00 29-29Telefax030 / 33 00 29-20Telefon Geschäftsstelle030 / 33 00 [email protected]

Die AWO hat eine Liste der Mutter-Kind-Kur-Beratungsstellen online:www.awo.org

Arbeitsgemeinschaft Eltern- und Kindkliniken (Schwer-punktkuren)Millberger Weg 194152 Neuhaus am InnE-Mail: [email protected]

34 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

I N T E G R A T I O N

Unser Sohn Nicolas, inzwischen 14Jahre alt, wurde zuerst in einer

Schule für geistig Behinderte einge-schult. Da wir ihn dort als unterfordertempfanden, holten wir ein erneutes Gut-achten ein und bekamen vom Kultusmi-nisterium Baden-Württemberg eine in-tegrative Beschulung am Wohnort ge-nehmigt. Ab der dritten Klasse benötig-te Nicolas dann differenzierte Förder-maßnahmen, die wiederum vom Kul-tusministerium bewilligt wurden. Lei-der wurden diese von den unteren Schul-instanzen häufig boykottiert. So musstezum Beispiel die zusätzliche Lehrkraft,die für unseren Sohn vorgesehen war,ständig Vertretungsunterricht halten.

Irgendwann war ich der Auseinan-dersetzungen mit Schulleitung und Schul-amt müde und beantragte einen Schul-wechsel auf eine Förderschule. Die zu-ständige Förderschule lehnte unserenSohn aufgrund seines Down-Syndromsab. Der Schulleiter prophezeite ihm inspätestens zwei Jahren eine völlige Stag-nation. Nicolas war damals zehn Jahrealt. Das Schulamt wies unseren Sohn ei-ner anderen Förderschule zu. Von die-ser Schule wurde unser Sohn nach

sechs Wochen verwiesen, weil er zugeistig behindert und verhaltensgestörtwäre. Er gehöre auf die Schule für geis-tig Behinderte. Durch zufällige Eltern-bekanntschaften konnte ich später her-ausfinden, dass unser Kind durch dieSchulleitung und seine Lehrer außeror-dentlich diffamiert, diskriminiert undpsychisch unter Druck gesetzt wurde.So musste Nicolas zum Beispiel imSchullandheim bei einer Lehrerin imZimmer übernachten, wurde abendseingeschlossen, musste ständig an derHand gehen. Während des Unterrichtswurde Nicolas regelmäßig in die Spiel-ecke verwiesen, und wenn er sich dortverkleidete und zu laut spielte, mussteer vor der Tür stehen, da er ja den Un-terricht störte.

Nach einem Rechtsstreit (Nicolasging fünf Monate gar nicht zur Schule)kam er dann schließlich auf eine Schulefür Körperbehinderte.

Nicolas lernt gern

In der Grundschule war Nicolas bei sei-nen Mitschülern sehr beliebt. Es gab in-nerhalb seiner Klasse keine sozialenProbleme.

Der Schüler Nicolas

Margarita Lopez

Schon in einer früheren Ausgabe von Leben mit Down-Syndrom wurde über den Schüler Nicolas berichtet.Auch damals ging es um negative Schulerfahrungen.Seine Mutter fasst die schulische Laufbahn ihres Sohnes noch einmal zusammen und schildert vor allem,wie in der Schule, die Nicolas zurzeit besucht, in keins-ter Weise auf seine Fähigkeiten eingegangen wird, erentweder überfordert, aber meistens absolut unterfor-dert ist. Nicolas besucht zwar seit sieben Jahren eineSchule, aber fast alles, was er gelernt hat, hat er zuHause gelernt.Eine Geschichte, die so oder ähnlich sehr viele Familienerzählen können.

IntegrationSchulische Integration inDeutschland? In einigenBundesländern immernoch, in anderen schonwieder auf Sparflamme.Ein trauriges Thema, das uns seit 20 Jahren begleitet. An einigen Orten, in eini-gen Schulen mag die In-tegration von Schülernmit Behinderungen klap-pen. In den allermeistenFällen ist dies nicht so.Entweder darf die Integration nur so langedauern, wie sie „gut geht“,und diese Entscheidungliegt bei der Schule oderbeim Schulamt – nachzwei, höchstens vier Jah-ren ist sie dann zu Ende. Oder die Kinder besuchenzwar eine Regelschule,aber sie sind dort ebennur „zu Besuch“, gehöreneigentlich nicht dazu, eswird wenig oder kaumRücksicht auf ihre Bedürfnisse genommen,von einer adäquaten Förderung keine Spur.Und die allermeisten Kin-der mit Down-Syndromsind immer noch in einerSonderschule.

Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 35

I N T E G R A T I O N

Lesen konnte Nicolas schon zu Beginnder ersten Klasse. Er las zu Hause im-mer freiwillig und sehr motiviert eineMenge Anfangslesebücher. Lesen undBücher sind für Nicolas auch ein Hobbygeblieben. Das Schreiben lernte er imselben Tempo wie seine Mitschüler (ver-einfachte Ausgangsschrift, Linkshän-der). Für das Rechnen benutzte er eineKugelrechenmaschine. In der drittenKlasse durfte er noch einmal den Zah-lenraum bis 100 wiederholen. Die Ein-maleinsreihen lernte er bis zur Fünf. Erbekam auch Bildtextaufgaben. Diktate,ungeübte oder geübte, schrieb er allemit (bis 80 Wörter). Geübte Diktateschrieb er fast fehlerfrei, ungeübte imSchnitt mit zwölf Fehlern. Weiter fing eran, kleine Bildgeschichten oder eigenekurze Erzählungen sowie Notizzettelund Einkaufswünsche aufzuschreiben,wobei Satzbau und Grammatik meistfehlerhaft waren. Während der fünfmo-natigen Schulpause erweiterte ich dieDiktate auf 100 Wörter und wir lerntenzu Hause das gesamte Einmaleins.

Welcher Bildungsplan gilt?

Mit diesem Leistungsstand kam NicolasEnde März 2001 dann in eine fünfteKlasse der Schule für Körperbehinderte.Von den Schülern seiner Klasse konntenzum damaligen Zeitpunkt noch nicht al-le lesen. Auch scheint grafomotorischesSchreiben nur in Druckschrift oder aufComputer möglich zu sein. Auch in Ma-thematik, so sagte mir die damaligeKlassenlehrerin, wäre die Klasse nochnicht so weit fortgeschritten wie Nicolas.Allerdings konnten und können sich sei-ne Mitschüler, ausgenommen dieschwerst mehrfachbehinderten Kinder,sprachlich besser und deutlicher aus-drücken. So teilte man uns mit, dass Ni-colas den kommunikativen Ansatz desBildungsplanes für geistig Behindertebenötige. Ich war gegen diesen Bil-dungsplan, aber man versprach uns,dass Nicolas im Bereich Schreiben nachdem Bildungsplan für Förderschulenunterrichtet würde sowie ein monatli-ches Diktat bekäme. Nicolas erhieltzwar seine Diktate, die zunehmend kür-zer wurden, aber ansonsten schrieb undschreibt Nicolas in der Schule so gut wienie! Ich frage mich, wozu sich Nicolas inall den Jahren der Grundschulzeit soviel Mühe gegeben hat und schreibengelernt hat. (In zwei Dritteln der Schul-jahreszeit ganze 150 Zeilen, was gerade

mal drei DIN-A4-Seiten mit Normalli-neatur entspricht.) Obwohl er schon län-ger auf Normallineatur schreibt und einpersönliches und regelmäßiges Schrift-bild entwickelt hat, lässt man ihn, wennmal ein paar Worte geschrieben wer-den, immer auf unliniertes Papier oderin eine Art Erstklässlerlineatur schrei-ben. Da diese Lineatur nicht mehr sei-ner persönlichen Schreibgeschwindig-keit sowie Schreibentwicklung entge-genkommt, presst er bei dieser dreitei-ligen Lineatur seine Schrift lediglich insMittelfeld, wodurch dann ein ver-krampftes Schriftbild entsteht. Schon öf-ter habe ich auf diese nicht sinnvolleMaßnahme aufmerksam gemacht. Ver-geblich!

Ein Antrag auf Übernahme in denBildungsplan für Förderschüler (Febru-ar 2003) wurde von der Schulleiterinunter „Zuhilfenahme“ des Oberschul-amtes vehement abgelehnt. Nicolaskönnte an Motivation verlieren, wenn erim Aufsatz und in Mathematik schlech-te Noten bekäme.

Polizeigeschichten unerwünscht

Was das freie Schreiben von Texten be-trifft, so hat Nicolas noch nie Hilfen fürSatzbau oder eine Anleitung zum Ver-fassen eines Textes, geschweige denneine Aufsatzerziehung erhalten, wie esfür Grundschüler eine Selbstverständ-lichkeit ist. Umso mehr war ich betrof-fen, dass die Schulleiterin Nicolas vor-warf, er könnte nur Polizeiberichte

schreiben. Um sich als Polizist zu üben,was sein Berufswunsch war, suchte Ni-colas an den Wochenenden in der Ta-geszeitung nach Polizeinotizen, schriebdiese ab und schrieb sie nochmals inder Schule frei nieder, leider jedes Malmit denselben Grammatikfehlern, eineVerbesserung der Texte erfolgte nie.

Syndromspezifische Lernprobleme,wie auditive Verarbeitungsschwierig-keiten, werden nicht beachtet

Bei Nicolas wurde eine zentrale sowieeine periphere Fehlhörigkeit des linkenOhres festgestellt. So ist seine auditiveSpeicherschwäche auch stark einge-schränkt. Beim Diktat kann man ihmnur zwei bis höchstens drei Wörter dik-tieren. Schon lange fiel mir auf, dass Ni-colas Gedichte, Gebete, Einmaleinsrei-hen etc. nur durch schriftliches Übenauswendig lernen konnte. Ich bin derMeinung, dass Nicolas daher für seineweitere Entwicklung visuelle Kompen-sierungshilfe auch in schriftlichem Tunbekommen sollte und dass ein vorwie-gend mündlicher Unterricht für ihn so-gar wegen der auditiven Verarbeitungs-schwierigkeiten eher belastend wirkt.Dies wurde so auch in seinem letztenSchulgutachten aufgeführt. So fällt mirauch auf, dass uns Nicolas über die Un-terrichtsinhalte der Sachfächer kaumberichten kann. Er nennt mir meist nurdas Thema der gesamten Unterrichts-einheit.

Auch entwickle ich jedes Mal, wennein Test angekündigt wird und ich Nico-las bei der Vorbereitung unterstützenmöchte, ein besonderes Ratespiel, wasdenn nun Inhalt des Testes werdenkönnte, und wir sind vor keiner Überra-schung sicher. So wurde zum Beispiel ineinem Test über England ein Vokabel-test integriert, dessen Vokabeln zumLernen unserem Sohn gar nicht aufge-geben wurden, und zu einem schriftli-chen Mathematiktest zum Thema Geldgab es lediglich handelnde Übungen mitSpielgeld. Dafür, dass dann im Test ver-gessen wurde, dass die Geldeinheit da-zugeschrieben werden muss, gab esnatürlich zur Hälfte Punkteabzug.

Schreiben nicht wichtig, oberstesZiel ist Mathematik

In einer schriftlichen Förderzielangabefür Nicolas begründete die Schule dasmangelnde Angebot an Schreibübungenmit dem Bildungsplan für geistig Behin-

36 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

I N T E G R A T I O N

che Textaufgaben zum Thema Einkau-fen. Nicolas kann am Ziffernblatt derUhr Stunden und Minuten ablesen undmit dem Taschenrechner umgehen.

Bei Diktaten, selbst bei ungeübtenund längeren Texten, macht Nicolas nurnoch wenig Fehler (ca. 130 bis 150 Wör-ter).

Diese Inhalte wurden alle zu Hauseeingeführt und geübt. Schulisch ist sei-ne Klasse noch nicht auf diesem Stand.

Wegen möglicher Überforderung –keine Grammatik und Syntax

Womit Nicolas den ganzen Tag seineZeit verbringt, kann ich schwer nach-vollziehen, da er kaum schriftliche Un-terlagen mitbringt und wenig erzählt.

Im freien Schreiben, das in der Schu-le hauptsächlich auf dem Computer oh-ne eine Themenangabe erfolgt, machteNicolas in den vergangenen drei Jahrenin Grammatik und Syntax kaum Fort-schritte. Grammatik- und Syntaxübun-gen halten seine Lehrerinnen pädago-gisch jedoch nicht für sinnvoll. Er könn-te die Lust wegen Überforderung verlie-ren!

Mein Angebot, dass Nicolas seinSprachlehrebuch mit in die Schule neh-men könnte, deren Aufgaben er nachkurzer Vorbesprechung allein bewälti-gen kann, wurde von den beiden Lehr-kräften abgelehnt. (In der Grundschulekonnte Nicolas die meisten Aufgaben inden regulären Sprachlehrebüchern be-wältigen.) Ich finde, die beiden Lehre-rinnen machen es sich sehr einfach. Da-bei wäre ich schon froh, wenn er we-nigstens regelmäßig abschreiben dürfte.Dies erfolgt lediglich über eine wöchent-liche Hausaufgabe. Ich verstehe nicht,warum diese Differenzierungsmöglich-keit unserem Sohn nicht angebotenwird. Stattdessen soll es sinnvoll sein,dass er freie Texte schreibt mit ständigfalschen Satzmustern, die sich, da Nico-las eine sehr gute visuelle Speicher-fähigkeit hat, meiner Meinung nacheher noch festigen, zumal sie nie korri-giert werden.

So lasse ich seit kurzem zerschnitte-ne Sätze von Nicolas wieder richtig zu-sammensetzen. Bei kurzen und einfa-chen Sätzen gelingt ihm dies ganz gutund es bereitet ihm Spaß, weil wir damitganze Geschichten bauen. Auch übenwir Mustersätze nach einem Sprach-werk aus Österreich für sprachgestörteKinder.

Ausruhen auf dem Bildungsplan fürgeistig Behinderte

Wegen seiner Sprachproblematik wur-de Nicolas auch schon oft von Mit-schülern verspottet, wodurch im letztenSchuljahr einige soziale Probleme ver-ursacht wurden.

Trotzdem geht Nicolas gerne in sei-ne Schule. Er liebt dort vor allem das Be-wegungsangebot. Er ist immer fröhlichund lustig, höflich, leicht motivierbar,sehr fleißig, willig, charmant und sehrliebevoll.

Und doch würde ich es sehr be-grüßen, wenn statt des Zahlenbegriffesdie Kommunikationsfähigkeit an obers-ter Stelle stehen würde, schon allein ausintegrativen Gründen in der Schule wieauch außerhalb. Leider stoßen meineMeinung und meine Wünsche bei derSchule auf Ignoranz und Gleichgültig-keit. Ich bin enttäuscht und wütend dar-über, dass Sonderschullehrer ihre fürmich offensichtliche Bequemlichkeit mitdem Bildungsplan für geistig Behinder-te begründen und rechtfertigen dürfen.

In einer der letzten Ausgaben von Lebenmit Down-Syndrom verglich eine Mutterdie Anforderungen einer integrativenErziehung mit dem Hinaufkommen aufeine Birke, das Kinder mit Down-Syn-drom absolut nicht schaffen könnten.

Ich bin der Meinung, dass manschwerer belastete Kinder (Down-Syn-drom-Plus) durchaus auf einen unterenAst setzen sollte, um ihnen von dort ei-nen besseren Blick zu gewähren, unddass einige weniger belastete Kinderauch ein paar Äste auf einen Baumselbst hochklettern könnten. Wie hochsie dabei kommen oder ob sie die Baum-spitze dabei erreichen, das ist für michunwesentlich. Wichtig finde ich es aller-dings, dass ihnen das Sitzen oder dasKlettern nicht von vornherein unmög-lich gemacht wird, indem man ihnen dieunteren Äste absägt.

Nach unseren Erfahrungen mit Ni-colas geschieht dies aber sehr wohl ge-rade in nicht integrativen Einrichtun-gen.

derte. Gleichzeitig wurde Mathematikals oberstes Lernziel angegeben! (Bes-serer Zahlenbegriff, flexibler Umgangmit den Zahlen im Zahlenraum bis1000!)

Die Zielsetzungen der Schule und de-ren Begründungen finden wir für einKind mit Down-Syndrom unadäquatund inakzeptabel und somit auch nichtan die Lernvoraussetzungen von Nicolasangepasst. Sie sind regelrecht defizitori-entiert. Seine guten Rechtschreibleis-tungen werden überhaupt nicht mehrhonoriert und deren weitere Förderungwird völlig vernachlässigt. So wurde indiesem Schuljahr lediglich ein einzigesDiktat mit 50 Wörtern geschrieben, dasNicolas völlig unterforderte. Schon nachdem ersten Laufdiktat schrieb er es feh-lerfrei nieder und bald diktierte er sichden Text selbst. Trotzdem war er ge-zwungen, es drei Wochen lang wie dieanderen Kinder zu üben (inklusiv derHerbstferien).

Nicolas lernt zu Hause

So bleibt mir im Moment nichts anderesübrig, als ihn zu Hause, in seiner gerin-gen freien Zeit, noch zu fördern (Ganz-tagesschule! Nach der regulären Schul-zeit hat Nicolas pro Woche noch Physio-,Sprach- und Reittherapie).

Nicolas kann die Zahlen bis 1000 be-züglich ihrer Größe miteinander ver-gleichen und sie in ihre Stellenwerteeinteilen und diese zerlegt aufschreiben(Ordinaler Zahlenbegriff, Lesen größe-rer Zahlen bis 100 000 auch möglich,Zahlenraum aber noch nicht einge-führt). Er kann allerdings die Zahlennicht zerlegen, zum Beispiel mit Aufga-ben wie „Was gibt alles 300?“, 300 =1000-700 oder 300 = 280+20, auch mitPlatzhalteraufgaben, wie 4+__ = 19 hater große Probleme (Kardinaler Zahlen-begriff fehlt, diese Aufgabenarten undder dazugehörige Zahlbegriff werdenaber von den Lehrkräften erwartet undals oberstes Lernziel angegeben).

Durch kontinuierliche, häuslicheÜbungen bekommt er inzwischen Si-cherheit im Zusammenzählen von Geld-beträgen bis 1000 Euro. Bei den schrift-lichen Additions- und Subtraktionsauf-gaben benutzt Nicolas bei Zehnerüber-gängen eine Fingertechnik. Auch bei derschriftlichen Multiplikation und Divisionbenutzt er manchmal seine Finger undzählt die Reihen auf. Zu allen Grundre-chenarten machen wir manchmal einfa-

Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 37

I N T E G R A T I O N

Karens Fähigkeit, spontan und enga-giert zu sprechen, hat sie in den

USA schnell zu einer gefragten Referen-tin gemacht. Sie setzt sich nicht nur fürMenschen mit Down-Syndrom ein, son-dern auch für alle anderen mit einerEntwicklungsstörung, die Grenzen über-winden müssen, um ihre Ziele zu errei-chen. Sie passt ihre Vorträge dem Mot-to und dem Publikum der jeweiligenKonferenz oder des Workshops an undspricht mit Begeisterung und aus eige-ner Erfahrung über eine ganze ReiheThemen, wie die Bedeutung früher För-derung, das Kämpfen gegen Vorurteile,das Aufbauen von Selbstvertrauen, dasDurchbrechen von Grenzen und Be-schränkungen, die einem oft von außenauferlegt werden, oder die Bedeutungvon Freundschaften.

Zu diesem letzten Thema hat sie einspezielles Konzept entwickelt, das sievor allem in Schulen für Lehrer undSchüler vorträgt, das „Friend to Friend“-Konzept. Da dieses Modell durchausauch für Integrationsschulen hier inDeutschland interessant ist und meinerMeinung nach es auch dringend erfor-derlich ist, ein solches Konzept zu über-nehmen, möchte ich es hier vorstellen.

Das „Friend to Friend“-Programm

Das „Friend to Friend“-Programm gibtSchülern mit und ohne Behinderung dieMöglichkeit, einen Klub zu gründen, umFreundschaften zu entwickeln und ge-meinsam an einem Projekt ihrer Wahlzu arbeiten, das ihrer Schule oder ihrerKommune nützt.

Das Programm besteht aus drei wichti-gen Teilen:

1. Die Einrichtung eines offiziellenSchulklubs mit dem Thema: „Friend toFriend“. Dies bedeutet, dass der Klub inden Lehrplan aufgenommen wird undden Status eines Wahlfachs bekommt.

Das „Friend to Friend“-Konzept

Die Karen Gaffney Stiftung hat ein Konzept entwickelt,das das Bilden und Pflegen von Freundschaften zwischen Schülern mit und ohne Behinderung in Integrationsschulen fördern soll. Auch eine Idee fürDeutschland, denn auch hier fühlen sich „I-Kinder“,speziell in der Hauptschule, oft isoliert.

Dieser Klub wird zum Beispiel Diskussi-onsrunden abhalten über Themen wieVerschiedenheit und Toleranz und kanndazu Gastredner einladen. Die Schüler,die sich beteiligen, bekommen auch einspezielles Training durch die KarenGaffney Stiftung. Das Klubengagementwird offiziell im Zeugnis bewertet.

2. Die soziale Komponente. DerSchüler mit Behinderung kann sich inder Schule häufig sehr einsam und iso-liert fühlen. „Friend to Friend“ zeigt ei-nen Weg auf, wie Akzeptanz und Inklu-sion aller Schüler gefördert werden, wiesich Schüler mit und ohne Behinderungbesser kennen und verstehen lernenkönnen. „Friend to Friend“ bringt Schü-ler zusammen, einen ohne und einenmit einer Behinderung. Dies ist nichtdas Gleiche wie ein Mentor-Programm,wobei ja ein Schüler als eine Art Auto-rität den anderen begleitet. Schüler des„Friend to Friend“-Programms unter-stützen einander wie Freunde, zum Bei-spiel essen sie ab und zu gemeinsam inder Kantine, halten nacheinander Aus-schau in den Pausen, besuchen gemein-sam Schulversammlungen oder Sport-veranstaltungen etc.

3. Ein gemeinnütziges Projekt. DieSchüler im „Friend to Friend“-Pro-gramm suchen sich ein Projekt, das derSchule oder ihrer Kommune etwasnützt. Gemeinsam wird an diesem Pro-jekt gearbeitet. So lernen sie sich besserkennen. Schüler ohne Behinderung er-fahren so u.a., über welche Fähigkeitenihre behinderten Mitschüler verfügen,und können auch einmal außerhalb derKlasse Zeit miteinander verbringen. Aufdiese Weise können sie gegenseitig ihreGedanken und ihre Kreativität schätzenlernen.

Es hat sich inzwischen gezeigt, dassviele dieser Klubfreundschaften nachder Schule weiter existieren, als ganznormale Freundschaften – ohne Klub!

Karen Gaffney Stiftung

Die Karen Gaffney Stiftung ist eine nichtauf Gewinn ausgerichtete Organisation,die sich die Förderung der Inklusion vonMenschen mit Down-Syndrom in Fami-lien, Schulen, Arbeitswelt und Kommu-nen zum Ziel gesetzt hat. Sie bietet eineReihe Videofilme, Materialien, Work-shops und Seminare an.

Vertreter der Stiftung können vonSchulen, die das „Friend to Friend“-Pro-gramm in ihr Schulangebot aufnehmenwollen, eingeladen werden. In speziel-len Trainingsseminaren werden dieSchüler auf ihre Klubarbeit vorbereitet.

Karen, als Referentin in Singapur

38 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

F Ö R D E R U N G

Rechnen lernen mit linksund rechts!Bernadette Wieser

Im ersten Teil der Serie „Rechnen lernen mit links undrechts“ hat die Autorin die Grundfertigkeiten, die fürdas Rechnenlernen eine Voraussetzung sind, vorgestellt.Im zweiten Teil geht es nun um das Rechnen mit allenSinnen.

Wer das erste Knopfloch nicht fin-det, kommt mit dem Zuknöpfeln

nicht mehr zurecht.“Was schon Goethe so treffend zu for-

mulieren wusste, ist auch heute nochvon großer Aktualität. Im letzten Lebenmit Down-Syndrom habe ich Ihnen dieBedeutung einiger Teilleistungen fürden Rechenlernprozess erläutert.

Die entscheidenden Teilleistungensind:

Körperschema und RaumlageSerialitätFigur-Grund-Wahrnehmung.

Um es auf einen kurzen Nenner zu brin-gen: Kinder mit Down-Syndrom sinddurchaus in der Lage, „Gebrauchsma-thematik“ zu erwerben. Damit meineich so viel Rechnen, dass sie es mit dertäglichen Alltagsbewältigung aufneh-men können, zum Beispiel beim Ein-kaufen oder bei der Uhrzeit. GelebteMathematik bedeutet ja nicht, im KopfWurzeln zu ziehen. Dafür gibt es denTaschenrechner und der ist auch einwichtiges Hilfsmittel für viele von uns.

Die Wurzeln der Mathematik liegen

im Kleinkindalter. Dann wenn das Kindbeginnt, Körper- und Raumerfahrungenzu machen. Diese ursprünglichen undganzheitlichen Wahrnehmungen bauenspäteres Orientieren im Zahlenraumauf.

Übungen und konkrete Tipps für denAlltag finden Sie in der vorigen Ausgabe.

In diesem Artikel geht es um dasRechnen mit allen Sinnen. Lange bevorwir das Kind mit Ziffern konfrontieren,kann es bereits „höhere Mathematik“betreiben, also: Mengen zueinander inBeziehung setzen, pränumerische Addi-tionen und Subtraktionen mittels Holz-stäbchen lösen oder Invarianzerfahrun-gen machen.

Lernen in vier Stufen: Handlung –Bild – Symbol – Automatisierung

Das kindliche Lernen vollzieht sich invier Stufen: von der Handlungsstufe zurBilderstufe, weiter zur Symbolstufe undschließlich zur Automatisierungsstufe.

Das bedeutet: Das Kind kommtzunächst vom Handeln zum Bild underst danach zum Symbol. Dies alles istdie Voraussetzung für Automatisierung,für die Beherrschung einer Tätigkeit.

Aufs Rechnen bezogen: Das eigeneTun erst ermöglicht ein Verständnis fürrechnerische Abbildungen. Bevor einKind eine Abbildung, auf der drei Ge-genstände zu sehen sind, mit der „Men-ge 3“ in Verbindung bringen kann, musses vorher selbst damit ganzheitliche Er-fahrung mit allen Sinnen gemacht ha-ben.

Und erst in einem viel späterenSchritt macht die Bekanntschaft mit der

Ziffer 3, als geschriebenes Symbol, Sinn.Auch beim Hausbau beginne ich beimstabilen Fundament. Würde ich als Ers-tes das Dach aufsetzen wollen, wäre dasProjekt zum Scheitern verurteilt.

Auch der Erwerb mathematischerFertigkeiten erfordert ein systemati-sches schrittweises Vorgehen.

Butterbrot, Perlen und Holzstäbe

Damit das Kind lernt, mathematischeMengen zueinander in Beziehung zusetzen, braucht es einen großen Schatzan realen Erfahrungen. Geben Sie ihmeinen Löffel in die Hand und lassen Siees selbst seinen Aufstrich auf dem Brotverteilen. Ebenso die Hautcreme fürsGesicht, die Zahncreme für die Zahn-bürste und die Paste für die Schuhe.Dass es am Anfang möglicherweise ei-niges für uns zum Putzen gibt, liegt aufder Hand. Doch hier gilt die Regel: Jemehr das Kind dabei kleckert, destomehr braucht es an Übung davon. Denndiese Tätigkeiten erfordern ein gezieltesWahrnehmen von Mengenbeziehungen,und das ist eine wichtige Voraussetzungfür das spätere Rechnen.

Mengen können auch ihr Aussehen än-dern und trotzdem bleibt es immergleich viel: eine interessante Erfahrungfür Kinder. Fünf Perlen können in einerReihe, in einem Kreis, rechteckig, auf ei-nem Haufen oder wie auch immer an-geordnet sein: Solange ich an der An-

„Wer das erste Knopf-loch nicht findet, kommtmit dem Zuknöpfelnnicht mehr zurecht.“

(Goethe)

Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 39

F Ö R D E R U N G

zahl nichts verändere, bleiben es immerdie selben fünf Perlen. Ganz egal, wiedie Formation angelegt wird.

Ein Apfel kann in beliebig viele Spaltengeschnitten werden: Wenn ich diesewieder zusammensetze, ist es dennochnur ein Apfel.

Wenn wir unseren Kindern diese Erfah-rungen bewusst machen wollen, müs-sen wir sie gezielt anbieten. Und darü-ber mit ihnen sprechen. Denn erst dasGespräch darüber hilft, das Geseheneund Erlebte einzuordnen und zu verar-beiten.

Mit dem Vergleich „Das ist so, wie …“ er-halten die Kinder dabei die beruhigen-de Gewissheit, dass sie nicht alles im-mer wieder neu lernen müssen, sondernvieles bereits bekannt ist.

Dazu ein Beispiel: „Wir teilen die Piz-za in acht kleine Stücke. Eins, zwei, drei,vier, fünf, sechs, sieben, acht. Das sindnun acht kleine Stücke. Wenn wir allewieder zusammensetzen, dann ist eswieder eine große Pizza geworden. Dasist so wie beim Apfel, den wir gesterngeteilt haben.“ Beispiele geben Sicher-heit und helfen dem Gehirn, Verknüp-fungen zu schaffen.

Holzstäbe unterschiedlicher Längeermöglichen Vergleiche und erste Addi-tionen.

„Lang, länger, der Längste, kurz,kürzer, der Kürzeste“ – die Stäbe kön-nen zum Vergleich untereinander gelegtwerden und die Kinder begreifen dabei,dass zwei (oder drei oder mehr) kurzeeinem langen gleichen.

Sehr wichtig ist in dieser Phase das Er-lebnis, dass zehn einzelne kleine Würfeleinem langen (10-er Holzstäbchen) glei-chen. Dies ist später für den Aufbau desZahlenraums 100 von großer Bedeu-tung, da die Kinder sich die Zehner überHolzstäbchen symbolisieren, die Einerüber ihre Finger. Aber dazu im nächs-ten Heft mehr.

Vorerst sollen immer wieder zehn ein-zelne Würfel unter einen langen Zeh-nerstab gelegt werden, mit den Worten:„Das ist gleich viel.“

Abstraktion

Eine lustige Möglichkeit, um das Ab-straktionsverständnis anzubahnen, istdas Verstecken von Holzstäbchen untereinem Tuch. Je zwei Stäbchen liegenunter dem Tuch, ein langes und eindeutlich kürzeres. Das Kind holt nun jenach Auftrag eines der beiden heraus,ohne diese vorher gesehen zu haben.Die Reduktion auf den Tastsinn kann ei-ne große Herausforderung für Kindermit Down-Syndrom bedeuten, da siehäufig „visuelle Lerner“ sind, also ihrenSehsinn verstärkt zum Einprägen undzur Kontrolle gebrauchen.

Mengen mit allen Sinnen

Bevor ein Kind die Ziffern kennen lernt,soll es Mengen ganzheitlich und mit al-len Sinnen erfahren können. Ein Bei-spiel mit der Drei:Um den Dreier kennen zu lernen, stehtnicht das Schreiben der Ziffer im Vor-dergrund, sondern das Erfassen derMenge mit unseren fünf Sinnen: dreiDinge sehen, hören, riechen, schme-cken, greifen können.

Konkret: drei Nüsse sehen, diesehören (wenn sie auf den Tisch klopfen),sie riechen, schmecken und genau abtas-ten dürfen.

Mit vielen Materialien in unter-schiedlichen Situationen geübt, erwirbtdas Kind allmählich eine Vorstellungvon der Menge Drei.

Mit den anderen Mengen aus demZahlenraum Zehn wird ähnlich verfah-ren.

Im Haus der Zahlen geht es ganzschön lustig zu. Beim Mengenaufbau solldie Fantasie tolle Blüten treiben können.

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Im Haus der Drei liegen auf drei Servi-etten je drei Gegenstände, die das Kindam besten selbst zusammensucht. Un-sere Tochter hat immer schon sehr ger-ne gegessen (vor allem genascht), und sowurden ihre Häuser vorwiegend kulina-risch eingerichtet. Also: insgesamt neunLeckereien auf die drei Häuser verteilt.Dabei immer genau gezählt und kon-trolliert, danach gegessen.

Am nächsten Tag wieder, bis das Ein-richten völlig selbstständig erledigt wirdund bis es nicht mehr ganz so interes-sant ist. Denn das kennen wir alle: dieBegeisterung zu Beginn und dann dasallmähliche Nachlassen durch den Ge-wöhnungseffekt.

Jetzt ist Zeit für den Zahlenteufel:Dieser Schlingel besucht das Zahlen-haus immer genau dann, wenn das Kindnicht daheim ist oder schläft – und derbringt einiges durcheinander.

Zum Beispiel so:

Das gibt dann ein großes Hallo, wenndie Unordnung bemerkt wird und es ans„Aufräumen“ geht.

Mit diesem Spiel kann das Interesseam Mengenaufbau meist über längereZeit groß gehalten werden, vor allemdann, wenn die Häuser mit Gegenstän-den eingerichtet werden, die ansonsteneher tabu sind (zum Beispiel die kleinen

Spielsachen der älteren Geschwister).Nur der Vollständigkeit wegen: Im Hausder Zwei liegen auf zwei Servietten jezwei Gegenstände, im Haus der Siebenauf sieben Servietten je sieben Gegen-stände, usw.

Zählen und Be-greifen

Begleitend zum Aufbau von Abstraktionund Mengenverständnis kann auch dasrichtige Zählen geübt werden.

Häufig können Kinder die Zahlenrei-he aufsagen, ohne einen Sinngehalt da-mit zu verbinden. Dies zeigt sich daran,dass sie beharrlich bestimmte Ziffernauslassen oder verdrehen.

Zum Erlernen des korrekten Zählenskönnen unsere zehn Finger eine hilfrei-che Unterstützung sein. Sie fördern das„Be-greifen“ durch das Spüren des eige-nen Körpers.

Die nachfolgend vorgestellte Metho-de zum Zählenlernen basiert auf denPrinzipien des kybernetischen Rech-nens, das vom Ehepaar Dreher-Spindlerentwickelt und mit großer Begeisterungund Leidenschaft weitergegeben wird.An dieser Stelle möchte ich Herrn Ha-riolf Dreher herzlich für sein Engage-ment danken. Er hat mich die kyberne-tische Rechen-Methode gelehrt und inmir die Überzeugung geweckt, dass Kin-der mit Down-Syndrom Spaß und Freu-de am Rechnen entwickeln können.

Und ich möchte auch den vielenKindern danken, die im privaten undberuflichen Bereich meine Lehrmeistersind, die als meine „Versuchskanin-chen“ alles Mögliche ausprobieren undmich täglich mit ihren Rechenkünstenerstaunen.

Die Bilder verdeutlichen zunächstden Aufbau des Zahlenraums zehn.

Wir beginnen mit zwei geschlossenenFäusten, die Daumen sind eingezogen.Dies bedeutet Null.

Danach wird der kleine Finger derlinken Hand ausgestreckt: 1.Kleiner Finger und Ringfinger der lin-ken Hand: 2.

Kleiner Finger, Ringfinger undMittelfinger der linken Hand: 3, usw.

Das Ausstrecken der Finger soll im-mer synchron sprachlich begleitet wer-den. Während der linke kleine Finger

Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 41

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ausgestreckt wird, sprechen wir dazu„Eins“. Durch das Zusammenführenvon feinmotorischer Bewegung undSprache ist das Kind intensiv auf seinHandeln konzentriert. Es erlebt auf demtaktilen, visuellen und akustischen Sin-neskanal eine Verbindung zwischenMenge und Ziffer:

Es streckt die Finger aus (taktil), essieht die Menge (visuell) und es hört sei-ne Stimme dazu (akustisch).

Das Ausstrecken einzelner Fingerkann zu Beginn für das Kind schwierigsein. Wenn wir es dabei sanft unterstüt-zen, kann der Zählvorgang trotzdem im-mer wieder durchgeführt werden. Par-allel dazu unterstützen Fingerspiele diefeinmotorische Koordination.

Zählen von Null bis fünf, später bis zehn

Zu Beginn zählt der Erwachsene laut,das Kind streckt dabei laut Abbildungenseine Finger aus (eventuell mit Hilfe). ZuBeginn konzentrieren wir uns nur aufdie linke Hand und zählen von Null bisfünf hoch und wieder zurück. Wenn dasKind allmählich beginnt, mitzuzählen,(oder das vielleicht ohnehin schonkann), geht es weiter mit der rechtenHand. Gemeinsam zählen der Erwach-sene und das Kind von der Null bis zumZehner hoch, dann wieder zurück.

Um das Kind dabei motorisch unter-stützen zu können, steht der Erwachse-ne hinter dem Kind oder er sitzt dane-ben.

Es ist noch nicht nötig, auf dieserRechenstufe Ziffern einzusetzen. Ziffernsind lediglich Symbole für unterschied-liche Mengen.

Erst wenn die Handlungsstufe unddie Bilderstufe durchlaufen sind, machtes Sinn, sich den Herausforderungender nächsten Stufe, nämlich der Sym-bolstufe, zu stellen.

Die intensive Auseinandersetzungmit dem Zahlenraum zehn ist von größ-ter Bedeutung für den späteren Rechen-prozess in großen Zahlenräumen. Dennwenn sie auch schwierig ist, eines mussman der Mathematik lassen: Sie ist lo-gisch. Mathematik baut auf Analogienauf und wer die Rechnung „5+3“ sicherlöst, kann auch „25+3“ lösen und später„725+3“. Voraussetzung dafür ist je-doch, die Ergebnisse nicht auswendiggelernt, sondern mit Sinnverständnisgelöst zu haben. Und es steht nirgendsgeschrieben, dass Kinder mit Down-

Syndrom dazu nicht in der Lage wären.Ganz im Gegenteil. Mehrere Rechen-künstler (mit und ohne Down-Syndrom)haben mich bisher in großes Erstaunenversetzt, als sie eigene Lösungswegeentdeckten, „große“ Rechnungen imZahlenraum 100 selbstständig löstenund dabei auf ihre Erfahrungen im Zah-lenraum zehn zurückgriffen.

In der nächsten Ausgabe werden danndie ersten Ziffern auf der Bildfläche er-scheinen. Zudem geht es um den syste-matischen Aufbau des Zahlenraums100, ausgehend vom 20-er.

Zahlreiche Bilder erklären Additio-nen und Subtraktionen mit Fingern undStäbchen, unterstützt durch Ziffernsym-bole.

Wenn Sie welche bekommen kön-nen, kaufen Sie in der Zwischenzeitschon mal weiße Fingerhandschuhe fürIhr Kind. Sie werden ihm tolle Rechen-helfer werden.

Die Autorin dieses Artikels, Frau Mag.Bernadette Wieser, ist Heilpädagoginund Mutter einer neunjährigen Tochtermit Down-Syndrom.

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Unterstützte und Gestützte Kommunikationfür Menschen mit Down-Syndrom

Etta Wilken

Die Unterstützte Kommunikation

Mit Unterstützter Kommunikation wer-den pädagogische und therapeutischeHilfen bezeichnet, die Personen ohneoder mit erheblich eingeschränkterLautsprache ergänzend oder alternativzur Verständigung angeboten werden(im internationalen SprachgebrauchAAC = Augmentative and AlternativeCommunication).

Ergänzende Kommunikationsver-fahren werden unterstützend bzw. be-gleitend zur Lautsprache eingesetzt. Siesollen bei Kindern mit erheblich verzö-gerter Sprachentwicklung die oft langeZeit überbrücken, wenn Lautsprachenicht oder noch nicht hinreichend mög-lich ist, und zugleich den Spracherwerbfördern. Bei Personen mit schwer ver-ständlicher Sprache soll die Verständi-gung erleichtert sowie ergänzend zu denoft nicht normsprachlichen Lauten (zumBeispiel „ai“ für nein und „mm“ für ja)eine effektivere Kommunikation ermög-licht werden.

Alternative Kommunikationsformenwerden Menschen mit Behinderungenangeboten, die aufgrund fehlender odererheblich eingeschränkter Sprechfähig-keit statt der gesprochenen Sprache einanderes Kommunikationssystem benö-tigen.

Überwiegend werden Gebärden, Bil-der und graphische Symbole, konkreteDinge bzw. greifbare Zeichen sowiesehr unterschiedliche technische Hilfenmit und ohne Sprachausgabe vermittelt.Auch Schrift (Wörter in Schwarzschriftoder manchmal in Braille) können er-gänzend eingesetzt werden.

Die Gestützte Kommunikation

Die Gestützte Kommunikation (interna-tionale Bezeichnung FC = FacilitatedCommunication) wird als subsidiäre(nachrangige) Methode bezeichnet, die

dann angewendet werden sollte, wennandere Kommunikationsverfahren nichtmöglich sind, aber normales Sprachver-ständnis und Hörvermögen vorliegen(vgl. Crossley 1997, S. 35). Bei diesemVerfahren wird der behinderten Personvom Kommunikationspartner eine kör-perliche Hilfestellung an der Hand, am

Unterarm oder auch nur an der Schul-ter gegeben. Dadurch „erreichen dieseMenschen das Mindestmaß an willentli-cher motorischer Kontrolle, das siebrauchen, um auf einen Buchstaben zei-gen oder ihn auf einer Tastatur antippenzu können“ (Nagy 1993, S. 2).

Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 43

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Aber auch das Zeigen auf Bilder oderandere Symbole kann auf diese Weisegestützt werden. Neben der physischenist auch die emotionale Stütze wichtig,weil durch die Berührung der gestütztenPerson Sicherheit und Zutrauen in dieeigenen Kompetenzen vermittelt wer-den.

Wem nützt die Unterstützte undGestützte Kommunikation?

Die Ursachen für eingeschränkte Kom-munikationsfähigkeiten können sehrunterschiedlich sein. So werden die ver-schiedenen Verfahren der Unterstütztenund Gestützten Kommunikation u.a.Personen mit Cerebralparese, geistigerBehinderung, Down-Syndrom und Au-tismus angeboten.

ErfahrungenBesonders kleine Kinder mit Down-Syn-drom, die noch nicht sprechen, aberschon viel verstehen und sich mitteilenmöchten, können bereits früh – oftmalsschon im Alter von 18 Monaten – lernen,sich mit Gebärden zu verständigen. Alsbesonders geeignet hat sich GuK, dieGebärden-unterstützte Kommunikation,erwiesen. Durch dieses Verfahren kön-nen noch nicht sprechende Kinder ihreWünsche und Bedürfnisse mitteilen,Handlungen kommentieren und Fragenstellen. Dadurch erweitern sie nicht nurihre kommunikativen Kompetenzen,sondern auch die kognitiven Fähigkei-ten werden nachhaltig gefördert. Wennzum Beispiel ein kleines Mädchen eineLaterne (wofür sie keine Gebärde kann-te) von sich aus als Papier + Stern oderein Junge eine Fledermaus als Vogel +Maus gebärdet, wird die aktive undkreative Leistung der Kinder deutlich.Die vielfältigen Erfahrungen, die wir seiteinigen Jahren haben, zeigen uns, dassder Spracherwerb insgesamt dadurchsehr positiv gefördert wird.

Auch im Schulalter liegen verschie-dene Erfahrungen von Kindern mit Down-Syndrom vor, die unterstütztkommunizieren. Sie können sich damitim Unterricht beteiligen und mitbestim-men und erleben sich verstanden undkompetent.

So erzählt Brian, ein Junge mit Down-Syndrom, gern und wortreich Ge-schichten von der kleinen Schwester,vom großen Nachbarshund und von

lich über einen zwölfjährigen Jungenmit Down-Syndrom:

„Mit zwölf Jahren äußerte Paul gele-gentlich einen vollständigen Satz, meis-tens benutzte er aber Zwei- und Drei-wortsätze. Manchmal gelang ihm selbstdas nicht und er antwortete nicht ver-bal auf Fragen, sondern benutzte Gesten. Obwohl Paul einige Problememit seiner Artikulation hatte, war seineVerbalsprache normalerweise ver-ständlich. (...) Paul hatte die örtlicheGrundschule mit einem für ihn abge-wandelten Curriculum besucht. Er hieltsich zwar in der Klasse auf, es wurdeaber nicht erwartet, dass er die gleichenDinge leistete wie die anderen Schüler.Mit zwölf Jahren hatte er die Schreib-fertigkeiten auf dem Niveau von Sechs-bis Siebenjährigen. (...)

Er verhielt sich mürrisch und unko-operativ, bis ihm (in der Testsituation)ein Spielzeug angeboten wurde. Wirnahmen einen My Talking Computer.Über dieses Spielzeug versuchten wirErkenntnisse über den Schüler in Bezugauf sein Vorstellungsverständnis zu ge-winnen. Die Aufgaben reichen von Wort-erkennung bis zur Komposition von Sät-zen, (...) Nachdem er alle gestellten Auf-gaben erfolgreich absolviert hatte, tipp-te Paul seinen Namen und I CAN READI GET SILLY I CANT STOP SOMETIMESSCHOOL THINK I’M STUPID auf seinemComputer. Er hatte beträchtlicheSchwierigkeiten, seinen Zeigefinger zuisolieren, um auf die Buchstaben zudrücken. Dies konnte vermindert wer-den, wenn er in seiner Handfläche mitden anderen Fingern ein Rohr umklam-merte. (...) Ein Test zeigte, dass er

International sind fol-gende Begriffe üblich: AAC = Augmentativeand Alternative Com-munication für Unter-stützte Kommunikation.FC = Facilitated Communication für Ge-stützte Kommunikation.

dramatischen Unfällen. Damit ihn allerichtig verstehen, begleitet er seinewichtigsten Aussagen mit Gebärden –die hat er schon im Kindergarten ge-lernt. Wenn die Geschichte sehr kompli-ziert oder neu ist, dann nimmt Briansein „Wörterbuch“ zur Hilfe und zeigt,was er meint. Das Wörterbuch ist selbsthergestellt. Brian klebt jeden Tag Fotosein, aber auch Abbildungen und alleWortkarten, die er schon kennt. Unter-stützt von Gebärden, Bildern und Schriftalso berichtet er von den haarsträuben-den Ereignissen aus dem Leben des Bri-an, die anschließend in sein Tagebucheingeschrieben und mit Bildern ausge-schmückt werden. Inzwischen sind alleKinder an solche anschaulichen oder in-direkten Möglichkeiten der Verständi-gung gewöhnt. Sie verstehen Brianmeist richtig und übersetzen Mitteilun-gen, die auf so ungewöhnliche Weise zu-stande kommen, in altersgemäße Spra-che (Hömberg 2002, S. 109).

Gestützte Kommunikation – sinnvollfür Menschen mit Down-Syndrom?

Während die Gestützte Kommunikationüberwiegend bekannt ist als ein Verfah-ren für Menschen mit Autismus, erfolgtseit einigen Jahren eine zunehmendeErweiterung des Personenkreises. Auchimmer mehr Kinder mit Down-Syndromlernen, sich auf diese Weise zu verstän-digen. Es gibt allerdings erst wenige Er-fahrungsberichte, die zudem kaumRückschlüsse über die syndromspezifi-schen Gründe für die Effektivität undüber Voraussetzungen bei dieser beson-deren Kommunikationsform erlauben.

So berichtete mir eine Mutter, dassein Junge aus ihrer Selbsthilfegruppe,der sich bisher besonders langsam ent-wickelt hat und autistische Verhaltens-weisen zeigt, „gestützt“ ganz erstaunli-che Leistungen zeigt. Die Mutter über-legte nun, ob dieses Verfahren auch ei-ne sinnvolle Möglichkeit für ihren Sohnbieten könnte.

In der DS-Mailing-Liste schrieb voreiniger Zeit eine Mutter, dass ihre elf-jährige, nur wenig sprechende Tochter„gestützt“ sehr differenzierte Texteschreiben würde, die auch in der Recht-schreibung und Zeichensetzung unge-wöhnliche Kompetenzen erkennenließen.

Rosemary Crossley selbst, die dasVerfahren der Gestützten Kommunika-tion entwickelt hat, berichtet ausführ-

44 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

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Eine Bitte!

Ich würde mich in Zusammenhangmit den hier erwähnten alternativenKommunikationsformen sehr freuenüber mir zugeschickte differenzierteErfahrungsberichte, Beschreibungender individuellen Bedingungen beimschulischen und häuslichen Lernensowie über Textbeispiele:

Prof. Dr. Etta WilkenGroße Venedig 3931134 Hildesheim

altersentsprechend sinnentnehmend le-sen konnte. (...)

Seine Familie berichtete, dass mandamit begonnen habe, anders mit ihmumzugehen, nachdem er ihnen übersein Tippen unerwartete Fähigkeitenund Verständnis offenbarte. Paul zöger-te nicht, seine Meinung zu äußern I IN-SIST ON ACADEMIC (WORK) ON THENEXT SESSION BEING HELD HEREAND AM I DAMM WELL GOING TO GETIT. Er absolvierte (in der Schule) keinverändertes Lernprogramm mehr“(Crossley 1997, S. 180 ff.).

Bei „gestützt“ schreibenden Menschenmit Down-Syndrom zeigen sich dem-nach entsprechend erstaunliche Ergeb-nisse, wie wir sie schon von autistischenMenschen kennen. Gerade die großeDiskrepanz zwischen dem allgemeinenVerhalten und anderen Kommunikati-onsformen, wie zum Beispiel Kopf-schütteln, Hinführen zu Objekten, ein-zelne Laut- bzw. Wortäußerungen, istdas hohe Niveau der „gestützt“ erstell-ten Texte schwer nachvollziehbar.

Während sich die mit den üblichen Ver-fahren der Unterstützten Kommunikati-on gezeigten Kompetenzen in das allge-mein bekannte Fähigkeitsprofil von Kin-dern mit Down-Syndrom einfügen undauch die individuellen Leistungen nurdie syndromtypische Heterogenität auf-weisen, werden mit der GestütztenKommunikation oft ganz herausragen-

de Kompetenzen gezeigt. Es ist deshalbdringend geboten, weitere Erfahrungenzu sammeln und auszuwerten. Einekontroverse, überwiegend emotionaleDiskussion sollte vermieden werden,damit sonderpädagogisch reflektierteKonsequenzen gezogen und Eltern an-gemessen beraten werden können.

Literatur:R. Crossley (1997): Gestützte Kommunikation.

Beltz. Weinheim u. Basel

N. Hömberg (2002): With a little Help fromYour Friends. In: E. Wilken (Hrsg.) (2002):

Unterstützte Kommunikation. Kohlhammer.Stuttgart

Ch. Nagy (1993): Einführung in die Methodeder gestützten Kommunikation. Verein „Hilfe

für das autistische Kind“. MünchenE. Wilken (Hrsg.) (2002): Unterstützte

Kommunikation. Kohlhammer. Stuttgart

Anna, Sophie und Alexander auf der Bühnebei Wagners „Parsifal“ in Bayreuth

Letztes Jahr scheiterte in Kopenhagender Regisseur Stefan Bachmann, als

er für die Rolle von Ophelia in Shakes-peares Hamlet eine Frau mit Down-Syn-drom auswählte. Das Stück wurdewährend der Proben abgesetzt. Grund:Einige andere Schauspieler zogen sichzurück, weil sie glaubten, dass die Frauin eine Rolle manipuliert wurde, derenReichweite sie nicht verstand. Über diedarauf folgende Debatte berichteten wirin Leben mit Down-Syndrom, Nr. 45.

Regisseur Christoph Schlingensiefhat das anders gemacht. Er holte zwargleich drei junge Menschen mit Down-Syndrom auf die Bühne und das sogarbei der im Vorfeld heiß diskutierten undskandalverdächtigen Parsifal-Inszenie-rung bei den diesjährigen BayreutherFestspielen. Aber er gab den jungenLeuten „nur“ Statistenrollen.

Für Anna Havla ist das Mitmachenbei dieser Oper ein großes Erlebnis. An

fünf Probentagen stand sie von mittagsbis abends auf der Bühne. Anna ist in al-len drei Akten zu sehen. Sie trägt einweißrosa Kleid mit Schleifen, im Haareinen Kranz aus Perlen und Blüten. Zu-sammen mit der 34-jährigen Sophiebringt sie Schüsseln für die Fußwa-schungen, bereitet die Handlungen vorund danach, so Anna, „müssen die Ele-fanten hinter einem Hasenstall mit ei-nem echten Hasen darin getragen wer-den. Und die Bühne dreht sich. Ichwackel dabei aber gar nicht, sondernstehe ganz fest.“

Und wie reagierten die Mitwirken-den der „Parsifal“-Inszenierung auf die-se jungen Menschen mit Down-Syn-drom? Ein wenig erstaunt waren man-che schon. Dies war nämlich das ersteMal, dass Behinderte bei einer Richard-Wagner-Inszenierung in Bayreuth mit-wirkten. Aber es dauerte nicht lange,dann waren Sophie, Anna und Alexan-

der voll integriert. Katharina Wagnerselbst hat sich sogar sehr um das Triobemüht.

Ganz glücklich und stolz sind diedrei, dass sie mitmachen dürfen, an dasRampenlicht haben sie sich rasch ge-wöhnt. Die anstrengenden Proben sindvergessen, wenn es nach der Vorstel-lung Applaus gibt. Den genießen alleDarsteller gleichermaßen.

Anna mit ihrem Bühnenausweis, auf den sie

unheimlich stolz ist (Foto: Manuela Meyer)

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 45

Sternstunden e.V. sponsert Happy Dancers

Happy Dancers machen Karriere

Die Happy Dancers, ein Projekt desDeutschen Down-Syndrom InfoCenters,machen sich. Vor vier Jahren, als siezaghaft die ersten Tanzschritte probier-ten, hat niemand geahnt, ob und wiesich die Gruppe weiter entwickeln wür-de. Inzwischen stehen einige Tänze unddas Musical Grease auf ihrem Spielplanund nun begeisterten sie ihr Publikummit der Premiere eines neuen Stückes,das Tanzmärchen „Die Schmetterlings-werkstatt“. Ohne das Engagement vonAstrid Petz, der Leiterin der Gruppe,und ihrer Mitarbeiter Hannes Kureckund Claudia Obermeier wäre dies natür-lich nie möglich gewesen.

Werbung mit Fankarte und Flyer

Weil die Happy Dancers nun öfter „ontour“ sind – allein schon im letzten Jahrgab es zwölf öffentliche Auftritte – undihr Fankreis immer größer wird,brauchten sie, wie andere Stars auch,eine Autogrammkarte! Jetzt wurde des-halb eine Postkarte gedruckt, die sieihren Fans zukommen lassen können.

Und weil der Fotograf schon da war,wurden gleich noch weitere Fotos ge-macht für einen Flyer. Mit Autogramm-karte und Flyer möchten die Jugendli-chen selbst für ihre Tanzgruppe werbenund nach Sponsoren Ausschau halten.Denn das Projekt kostet Geld: Tanzleh-rer, Raummiete, die Kostüme und soweiter müssen finanziert werden.

Aus der Geschichte

„Die Werkstatt der

Schmetterlinge“ von

Gioconda Belli haben

Astrid Petz und ihr

Team ein Tanzmärchen

gemacht, das von den

Happy Dancers einstu-

diert wurde und diesen

Sommer Premiere hatte

Sternstunden e.V. unterstützt Happy Dancers mit einer Spende

Großes Glück hatte die Tanzgruppe nun,weil sie als förderungswürdiges Projektvon Sternstunden e.V. (die Benefizakti-on des Bayerischen Rundfunks) ausge-wählt wurde. Ein Teil der Kosten fürdas Jahr 2004/2005 wird von Stern-stunden gesponsert.

Fernsehauftritt ganz groß! Mit dabeiin der Sternstunden-Gala Was den Happy Dancers aber noch bes-ser gefällt, ist, dass sie eingeladen wur-den, in der großen Live-Gala-Show derSternstunden am 17. Dezember 2004aufzutreten: 3000 Menschen im Saal

(Frankenhalle Nürnberg) und einigeMillionen Zuschauer vor dem Fernseh-schirm (Drittes Programm)! Das gefälltunseren Tänzern. Die Vorbereitungensind im Gang. Lampenfieber habenhöchstens die Eltern. Und dass sie sichnicht so schnell zufrieden geben unddurchaus höhere Ziele anstreben, zeigtfolgendes Gespräch zwischen zwei Tän-zern: „Und danach kommt Europa!“sagt der eine selbstbewusst. „Nein Hol-lywood“, meint der andere!

So ist es, wir reden von Defiziten undvon Grenzen. Unsere Jugendlichen re-den von Möglichkeiten, Chancen undihren Träumen.

Eine Autogrammkarte für die Fans!

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46 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

Karen schwimmt gegen den StromKaren fiel auf in Singapur, nicht weil sie Down-Syndromhat, denn mit ihr beteiligten sich dort noch 200 jungeMenschen mit Down-Syndrom. Sie fiel auf, weil sie sehrklein und schlank ist, auch weil sie sehr schlecht läuft,aber vor allem, weil sie enorm gut spricht. Mindestensdreimal hielt sie ihren Vortrag vor einem vollen Saalund kam dabei ohne Manuskript und Technik aus. Sieerzählt ihre Lebensgeschichte, die außergewöhnlich ist:die Geschichte eines Stehaufmännchens. Es ist eine erstaunliche Geschichte darüber, wie man Grenzen über-windet und was erreicht werden kann mit positiven Erwartungen.Karen ist heute in den USA eine viel gefragte Referen-tin, die für die Rechte von Menschen mit Down-Syndromeintritt, sie hat eine eigene Stiftung, hält Workshopsund hat das „Friend to Friend“-Konzept entwickelt. Und Karen schwimmt!

Es ist 24. Juli 2001 und ein jungesPaar wartet im Krankenhaus auf sei-

nen Kinderarzt, der mit ihnen sprechenmöchte über ihre gerade geboreneTochter. Die neuen Eltern wissen nur,dass irgendetwas nicht in Ordnung ist,Dann geht die Tür auf, der Arzt kommtherein, das neugeborene Baby im Arm.Und er hat die Tageszeitung dabei.Wenn er den Eltern erklärt, dass ihrekleine Tochter Down-Syndrom hat, sinddiese voller Fragen. „Wir wissen über-haupt nichts über Down-Syndrom, wasist das genau ... Was bedeutet das fürunsere Tochter? Was sollen wir nun ma-chen? Wo fangen wir jetzt an?“ Der Arztzeigt ihnen die Tageszeitung, die Schlag-zeile lautet: „Ärmelkanal besiegt!“ „Da“,sagt der Arzt, „genau da beginnen wir.Wir werden uns mit solchen positivenPerspektiven beschäftigen!“

Mit dieser kleinen Geschichte beginntKaren Gaffney ihren Vortrag. Karen isteine junge Frau mit Down-Syndrom ausden USA, sie ist auch diejenige, von derdie Zeitung berichtet, die an dem 23. Ju-li 2001 den Ärmelkanal besiegt hat!

Die Tageszeitung bringt die Geschichte,weil sich diese junge Frau mit Down-Syndrom in die Geschichtsbü-cher schwamm. Sie wurde die erste Per-son mit Down-Syndrom, die in einerMannschaft von sechs den Ärmelkanaldurchschwamm. Ein Geschichte, außer-gewöhnlich genug, um auf der Titelsei-te mancher Tageszeitungen zu landen.

Die Schwimmkarriere begann in der Badewanne

Karens Schwimmkarriere begann schonfrüh, schon bald nach der Geburt. Zu-erst in der Badewanne, dann im eigenenSchwimmbad ging es zunächst umAtemkontrolle. Nach einem Umzug gabes kein Schwimmbad mehr zu Hauseund mussten Vater und Tochter auswei-chen und benutzen nun regelmäßig denPool eines Hotels, wo sie nach derSchwimmstunde immer die Cafeteriabesuchen. Dieser Ablauf wurde zum Ri-tual und wenn die Cafeteria mal ge-schlossen war, wurde die Heimfahrt fürden Vater äußerst ungemütlich!

Wie Karen schwimmen lernte, kannman nachlesen in einem detailliertenBericht ihres Vater, den man auf Ka-rens Homepage findet (www.karengaff-neyfoundation.com). Hier seien nur ein-zelne Highlights erwähnt.

So nahm Karen schon mit siebenJahren zum ersten Mal teil an den Spe-cial Olympics und schwamm dort die 25Meter mit.

Dabei sein ist alles

In ihrer Schule war sie von Anfang an inder Schwimmmannschaft. Sie schwammmeistens die 50 Meter im Freistil, waraber auch gut im Rückenschwimmenund schaffte ohne weiteres die 100 oder500 Meter. Eigentlich war sie nie als Erste im Ziel, aber sie gehörte auch niezu den Langsamsten. Dies war Karen je-doch nie wichtig. Wichtig war es, dabeizu sein, anerkannt zu werden, mitma-chen zu können und gute Leistung zubringen. Sie war stolz auf ihren Team-badeanzug, stolz, mit auf dem Teambildzu sein, gemeinsam mit den anderenTeammitgliedern im Bus zu Schwimm-

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 47

veranstaltungen zu fahren. Ihre Team-partner halfen ihr, zurechtzukommen inanderen Schwimmbädern. Sie musstenKaren auch helfen, auf den Startblock zuklettern, denn das kann sie nicht allein.Der Grund ist, dass Karen durch einHüftleiden sich außerhalb des Wasserssehr schlecht und nur langsam bewegenkann. Mit drei Jahren hatte sie bereitsihre erste Hüftoperation. Bis jetzt warenes schon vier. Und es stehen immernoch welche bevor.

Und das ist eben das Erstaunliche,trotz dieser Extra-Einschränkung hatKaren im Schwimmen so viel erreicht.

Beeinträchtigt durch Hüftleiden:„Ich kann schneller schwimmen alslaufen!“

Lachend erzählt sie, dass sie ja vielschneller schwimmen kann als laufen!Dabei benutzt sie zum Schwimmenhauptsächlich ihre Arme, denn die Bei-ne können nicht so recht. Weil sie soklein ist und ihre Beine zu schwach sind,um kräftig abzuspringen, hat sie immergleich schon nach dem Start einen Rück-stand, holt dann aber auf, kann sich je-doch beim Wenden nicht so kräftig mitden Beinen absetzen wie die anderenSchwimmer, also verliert sie auch hierwieder an Tempo, holt dies innerhalbder nächsten Bahn wieder gut auf! Undendet in der Regel als Dritte oder Vierte!

Der Höhepunkt in ihrer Schwimm-laufbahn war die Durchquerung des Är-melkanals als eine von einem Team mitsechs Schwimmern. Zweimal eine Stun-de lang musste sie dem salzigen, kaltenNordseewasser mit einem starken Wel-lengang trotzen. Spezielle Anzüge wa-ren nicht gestattet.

„Mein Team hat mich gebraucht unddie anderen haben Vertrauen in michgehabt, das war ein gutes Gefühl“, sagtKaren. Für diese Herausforderung hat-te sie mehr als ein Jahr geübt – jedenTag schwamm sie ihre drei Meilen imColumbia River.

„Ich hoffe, dass ich mehr Menschenmit Down-Syndrom davon überzeugenkann, Ähnliches zu tun“, meint Karen.Das Schwimmen hat ihr geholfen, mun-ter und aufgeweckt zu bleiben. Es gabihr eine gute Kondition, sodass sie auchbeim Unterricht gut mithalten konnte.Und es gab ihr einen großen Kreis vonUnterstützern und ein Netzwerk vonTeammitgliedern und Freunden, in dassie völlig integriert ist.

Pilgerin Pearl

„Ich hoffe, dass andere Familien sich von unserer Geschichte inspirieren lassen und ihrem Kind mit Down-Syndrom möglichst breit gefächerte Entfaltungs-möglichkeiten bieten und ihm auch Dinge zumuten, die man zunächst für eigentlich unmöglich hält“, meintAlison Milnes, die sich mit Mann und fünf Kindern aufden Weg nach Santiago machte.

Letztes Jahr im Mai brachen Alisonund David Milnes aus York (England)

auf zu einem etwas ungewöhnlichen Ur-laub. Ungewöhnlich deswegen, weil sievorhatten, 750 Kilometer zu Fuß zurück-zulegen. Ungewöhnlich auch, weil siediese Tour mit ihren fünf Kindern, zwi-schen sechs und zwölf Jahren, unter-nehmen wollten. Und noch ungewöhn-licher, weil eins der Kinder Down-Syn-drom hat. Und Kinder mit Down-Syn-drom sind in der Regel nicht diegeborenen Wanderer – abgesehen na-türlich von denen, die geborene Weg-läufer sind! Hier ist jedoch etwas ande-res gemeint. Hier war geplant, dass manneun Wochen lang, Tag für Tag, mit ei-nem Rucksack auf dem Buckel und beijeder Witterung zu Fuß unterwegs ist.Alison und David Milnes planten mitihren Kindern eine Pilgertour, sie woll-ten den Jakobsweg von den Pyrenäenbis Santiago de Compostella gehen.

Ein bisschen besonders war esschon, sogar die Times berichtete imVorfeld über die „Pilgerfamilie“. In ei-nem ausführlichen Bericht mit Fotoswurde erzählt, aus welchen Gründendie Familie sich auf den Weg machte

und welche Vorbereitungen notwendigwaren. Aber dass eines der Kinder Down-Syndrom hatte, war für die Timesnicht weiter erwähnenswert. Pearl wareinfach eines der fünf Kinder der Fami-lie Milnes. Basta! Nur in einem Neben-satz konnte man das erfahren. Da ginges um die Schulen – die Kinder musstenvon ihren Schulen befreit werden, er-zählte die Mutter, und es musste sicher-gestellt sein, dass der Integrationshelfervon Pearl – sie hat Down-Syndrom –nach der Reise wieder zur Verfügungsteht. Das war es schon.

Übrigens war die Schulbefreiungkein Problem, der Schulleiter sagte so-gar: So etwas sollten alle Eltern mal mitihren Kindern machen!

Ich finde es schon etwas Besonderes,wenn ein kleines Mädchen mit Down-Syndrom so eine Tour mitmacht, des-halb nehme ich hier gern die Geschich-te der Familie Milnes auf. Für mich istsie wieder ein Beweis, was alles möglichist, auch mit einem Kind mit Down-Syn-drom. Man muss es eben tun! Auchwenn wir heute wissen, dass Menschenmit Down-Syndrom zu viel mehr in derLage sind, als früher angenommen wur-

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de, auch wenn wir immer wieder sagen,ruhig etwas mehr zu erwarten, ertapptman sich ständig selbst dabei, zu den-ken ... ja, aber dies oder das geht wohlnicht, das traue ich ihr oder ihm nichtzu, nein, das habe ich noch nie gehört,dass jemand mit Down-Syndrom daskann ...

Noch vor einem halben Jahr disku-tierte ich mit dem Jobcoach meinerTochter Andrea darüber, ob sie jedenTag mit zwei Zügen und Umsteigen aufdem großen Nürnberger Bahnhof vonLauf nach Erlangen fahren konnte. Ichmeinte, das würde nie gehen, viel zulang, anstrengend, unübersichtlich, ge-fährlich etc. Er konterte mit meinen ei-genen Worten: „Was ist denn das für ei-ne Erwartungshaltung? So blockierenSie Andrea doch in ihrer Weiterent-wicklung!“ Natürlich fährt sie jetzt dieStrecke allein.

Man muss sich immer wieder fra-gen, welche Fähigkeiten schlummernnoch in meinem Kind? Vor Karen Gaff-ney ist noch nie jemand mit Down-Syn-drom durch den Ärmelkanal ge-schwommen und vor Pearl ist noch nieein zehnjähriges Mädchen mit Down-Syndrom zu Fuß nach Santiago gepil-gert. Und vor Pablo Peneda hat wohlauch noch kein junger Mann mit Down-Syndrom an einer Universität studiert.

Bestimmt hätten auch Sie als Leserangenommen, solche Leistungen wärennicht möglich. Dann sind Sie nun einesBesseren belehrt. Nicht dass jetzt alle ei-ne Kanaldurchquerung oder eine Pil-gerfahrt mit ihrem Kind anstreben. Dar-um geht es nicht. Diese Geschichte unddie von Karen sollen Anlass sein, sich zuüberlegen, ob wir nicht oft selbst unse-re Kinder blockieren, zurückhalten, jageradezu in ihrem Fortkommen behin-dern. Und zu überlegen, welche Her-ausforderungen es noch gäbe, welcheschlummernden Fähigkeiten man nochwecken könnte?

Wichtig ist es für Familien und Be-gleiter von Menschen mit Down-Syn-drom zu wissen, dass die Grenzen ersterreicht sind, wenn man ausprobierthat, wo sie liegen. Aber bis dahin istnoch vieles möglich.

Geschafft! 750 Kilometer zu Fuß

Die Familie Milnes hat es geschafft.Nach 750 Kilometern, 70 Flüssen, dreiBergketten, fünf Städten, 250 Ortschaf-ten, Wäldern, Hügeln, Hochebenen undtiefen Tälern gelangten sie nach Santia-go. Sie schliefen in 64 verschiedenenBetten, besuchten zahlreiche Kirchenund Klöster und begegneten vielen Mön-chen und Nonnen.

Alison schrieb regelmäßig von un-terwegs Berichte für The Times. Dorthieß es u.a., dass die Kinder die einzigenPilger waren, die keine Blasen hatten,sie waren braungebrannt und fitter alsje bevor. Und verwöhnt wurden sie un-terwegs sowohl von anderen Pilgern wievon den Spaniern entlang der Camino.

Eine der größten Freuden unter-wegs, so empfanden Alison und David,war, dass sie als Eltern so viel Zeit hat-ten, sich mit den Kindern zu unterhal-ten. Alison gibt zu, dass weniger gelesenoder geschrieben wurde, als sie sichvorgenommen hatten, aber währenddes Laufens sprachen sie über so vieleverschiedene Dinge, über die Natur,über die Kultur, über Geschichte undReligion, über das Leben zu Hause undüber das Unterwegssein, über Hoffnun-gen, Pläne und Ängste für die Zukunft.Eine Pilgertour ist eine Lernerfahrungder etwas anderen Art.

Pearl läuft einfach mit

Auch Alison hebt in ihren BerichtenPearl niemals hervor. „Hatte Pearl mehrSchwierigkeiten als ihre Geschwister?“,erkundige ich mich. Gab es Dinge, diefür Pearl besonders schwierig waren?Eigentlich nicht, schreibt Alison, Pearlkonnte gut mithalten, nur bei steilen Ab-stiegen ging sie ganz vorsichtig, Schrittfür Schritt, und war ein wenig langsa-mer als die anderen.

Auffallend war aber im Zusammen-hang mit Down-Syndrom, dass ver-schiedene Pilger aus der ganzen Weltund mehrere Spanier unterwegs die Fa-milie ansprachen und erzählten, sie hät-ten auch ein Kind mit Down-Syndrom.Eine Erfahrung, die Alison in Englandnoch kaum gemacht hat!

Für das Jugendblatt Down 2 Earth,das der englischen Down-Syndrom-Zeitschrift Journal beiliegt, schriebPearl einen kleinen Bericht über ihre Pil-gerreise, den wir hier mit Genehmigungvon Pearl, ihrer Familie und der DSA indeutscher Übersetzung abdrucken.

Die Familie hat übrigens „die Pilgeritis“bekommen. Inzwischen sind sie einenalten Pilgerweg in England gegangenund planen weitere Wanderungen, dennda gibt es ja auch noch die Camino In-gles und die Camino Francesca und ...

Cora Halder

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 49

Ich heiße Pearl.Ich möchte euch etwas über eineganz lange Wanderung erzählen, dieich mit meiner Familie im letztenFrühling und Sommer gemacht habe.Diese Wanderung ist eine Pilgertourund heißt der Jakobsweg nach Santiago de Compostella.Wir sind mit dem Flugzeug nach Biarritz geflogen. Dann fuhren wirmit dem Zug und einen Taxi nachRoncesvalles in den Bergen in Spanien. Ich wanderte dann bis Santiago de Compostella, eine wunderschöneStadt. Viele Pilger gehen dorthin.Meine Mutter, mein Vater, meineSchwestern Ruby und Bonny, meineBrüder Max und Olmo und ich warenalle Pilger.

Wir wanderten 750 Kilometer. Daswar ein langer Weg. Es dauerte neunWochen. Ich musste meinen Ruck-sack mit all meinen Sachen selbsttragen. Ich hatte einen Regenschutz,ein paar Kleider, mein Tagebuch undeinen Schlafsack dabei. Wir schliefen in speziellen Herbergenfür Pilger. Manchmal hatte ich Angst,weil die Betten zu hoch waren. Wirstoppten in den Dörfern und aßen inCafés und Restaurants. Zum BeispielChocolate con churros zum Frühstückund mittags machten wir unterwegsein Picknick. Ich traf Pilger aus an-deren Ländern. Viele spanischeMenschen gaben uns Süßigkeiten,weil wir die jüngsten Pilger waren.

Das Essen unterwegs schmeckte mirund mir gefielen die Storchennesterauf den Kirchen gut. Auf die Hügelrauf zu klettern und der Blick vonoben, das war toll. Ich spielte gernTischfußball mit meinen Geschwis-tern in den Bars unterwegs und dienebeligen Berge, das fand ich auchschön.Was ich nicht so gern hatte, warwenn wir einen toten Vogel fanden.Und manchmal war es wirklich heißund schwül, das habe ich nicht gern.Auch nicht wenn es regnete, denndann wurde ich nass. Ich fand den Camino ganz toll, aberich vermisste meine Freunde undjetzt bin ich froh, dass ich wieder beiihnen bin.

Pearl MilnesSeptember 2003

Quelle:Down 2 Earth – the magazine

for and by people with Down’s Syndromeissue 17, spring 2004

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50 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

Nicht in allen Märchen kommt einGlasschuh vor. In manchen Mär-

chen trägt die Prinzessin lieber Cowboy-Stiefel, Größe 34. Auch wenn diese Stie-fel zu absolut nichts passen, was sonstin ihrer Garderobe hängt.

Und ihr Märchenprinz? Er hat einLächeln, das seine ganze Umgebung an-steckt – und er hat in der ganzen Weltkeinen einzigen Feind. Er ist 23 Jahrealt und liebt alles an seiner Frau, ihreganzen 1,45 Meter. Und auch ihre Cow-boy-Stiefel.

Dieses ist die Geschichte von Derekund Nicole Houston, einem Märchen-paar, dessen Alltagsleben alles andereals normal abläuft. Sie leben in einemAppartement, arbeiten beide und habenvor kurzem ihre Hochzeit gefeiert mit ei-ner Reise auf die Bahamas.

Und ... sie haben beide das Down-Syndrom.

Heiraten? Das ist sehr selten

Vor nicht allzu langer Zeit gab es Ge-schichten wie diese nicht. Menschen mitDown-Syndrom wurden zur Einsamkeitverurteilt. Unter anderem glaubte man,dass sie nicht dazu fähig wären, reifeemotionale Beziehungen einzugehen.Die wahre tiefe Liebe und grandioseHochzeiten waren reserviert für alle an-deren. Viele Menschen mit Down-Syn-drom zogen nie von zu Hause aus, man-che kamen nie wieder aus ihren Ein-richtungen oder Anstalten heraus.

Jedes Jahr werden zirka 5000 Kin-der mit Down-Syndrom in den USA ge-boren. Ihre Lebenserwartung ist in denvergangenen Jahren beträchtlich ange-stiegen und liegt heute bei 56 Jahren.Obwohl es immer mehr Geschichtengibt von Menschen mit Down-Syndrom,die ein selbstständiges und selbst be-

stimmtes Leben führen, ist es immernoch sehr selten, dass ein Paar so freiund ungebunden leben kann wie Nicoleund Derek.

Terri Jacobs, die Sonderschulkoor-dinatorin an der Millcreek Career andTechnical Schule in Olathe, USA, arbei-tete mit Derek und Nicole über zwei Jah-re, während beide die High School be-suchten. Sie hat bis jetzt noch nie davongehört, dass zwei Menschen mit Down-Syndrom heiraten. „Es ist sehr, sehr sel-ten“, sagt sie, „ich freue mich so für diebeiden.“

Ihre Liebe füreinander ist nicht zu übersehen

Jeder, der einen Tag oder auch nur eineStunde mit den beiden verbringt, kannbestätigen, dass ihre Liebe nicht zuübersehen ist.

Sie tragen ihre Eheringe wie Medail-len, zeigen sie stolz Freunden undFremden. Ihre liebevolle Kommunikati-on miteinander ist so aufrichtig und ehr-lich. Ein Küsschen hier, eine Umarmungda, ein Lächeln dazwischen. Es gibtkaum eine Pause, kaum einen Moment,wo sie sich nicht spielerisch, liebevollmiteinander beschäftigen.

„Komm her, Süße“ sagt Derek.„Nenn mich nicht so“, lacht Nicole.„O.k., dann komm her, Zuckerpüpp-chen“, grinst er zurück.

Ihre gegenseitige Anbetung scheintnie nachzulassen und so ist das Lied„This Kiss“ von Faith Hill mehr als nurein Lied bei der Hochzeitsfeier: Es ist ein„Way of Life“.

Wenn es nicht so einmalig, so er-staunlich wäre, dann wäre es furchtbarkitschig. „Und manchmal“, sagt NicolesMutter Lori Pillatzke, „ist es tatsächlichschrecklich kitschig!“

„Wir wollten, dass sie ein eigenesLeben führen!“

Lori und ihr Mann Otto haben Nicoleund Derek seit mehr als fünf Jahren zu-sammen erlebt. Sie sind sehr stolz aufdie Unabhängigkeit ihrer Tochter undihres Schwiegersohns. Die beiden ko-chen ihre eigenen Mahlzeiten und wa-schen ihre eigene Wäsche, sie leben ihreigenes Leben.

Cheryl und Tad Houston, Dereks El-tern, sind nicht weniger stolz auf die bei-den. „Eine der Entscheidungen, die wirschon sehr früh getroffen haben, war,dass wir alles tun würden, was nur mög-lich war, um unserem Sohn ein Lebenzu ermöglichen, so normal wie es geht“,sagt Cheryl. „Wir wollten, dass er er-wachsen wird, auszieht, ein eigenes Le-ben führt, außerhalb von seiner Her-kunftsfamilie.“

Einfach verliebt

Die Liebesgeschichte begann 1998, alsDerek und Nicole noch die High Schoolbesuchten. Beide waren zusammen ineinem Kochkurs, wo sie nicht nur ko-chen, sondern auch die Küche in Ord-nung zu halten lernten. Während diesesKurses haben sie sich ineinander ver-liebt. Nicole, jetzt 23, sagt einfach: „Erwar ein wunderschöner Mann.“

Die Saat war gesät, der Grundsteingelegt. Es wuchs eine Beziehung, dieschon bei der ersten Verabredung ver-sprach, etwas Großartiges zu werden.

Diese erste Verabredung war der„High School Prom“, einer der wichtigs-ten sozialen Anlässe im amerikanischenHigh-School-Leben. Es war eine von sie-ben oder acht solcher Tanzveranstal-tungen, die das Paar während der ge-meinsamen Schuljahre besucht hat.Cheryl wird nie vergessen, was passiert

Eine Märchenliebe – mal andersSteve Rock

Übersetzung: Gundula Meyer-Eppler

Dies ist die Geschichte von Derek und Nicole Houston, einem Märchenpaar, dessen Alltagsleben alles andere als normal abläuft. Sie leben in einem Appartement, arbeiten beide und haben vor kurzem ihre Hochzeit gefeiert mit einer Reise auf dieBahamas. Und sie haben beide das Down-Syndrom.

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 51

war, als sie ihren Sohn nach diesem ers-ten Tanzabend abholte: „Er stieg ins Au-to und das Erste, was er sagte, war: ,Ichbin verliebt!‘ Er war rettungslos verlo-ren. Seitdem haben wir immer und im-mer wieder hören müssen: ‚Wann kön-nen Nicole und ich heiraten?‘“

Cheryl Houstons Junge hat einen langenWeg hinter sich, seitdem er im Oktober1980 geboren wurde. Der Arzt sagte denEltern, das sie verschiedene Möglich-keiten hätten, „sie könnten ihn zum Bei-spiel in eine Institution abgeben“.Cheryl brauchte aber nicht lange zuüberlegen und fragte den Arzt nur,worüber er da denn redete, natürlichkomme der Junge mit ihr nach Hause.

Weniger als zwei Monate späterwurde Nicole geboren, auch sie durftemit ihren Eltern nach Hause, als dasZweite von vier Kindern.

Beide Kinder wuchsen in der Sicher-heit und Liebe ihrer eigenen Familienauf und beide kamen in den Genuss vonfrüher Förderung, Nicole schon ab sechsWochen und Derek ab drei Monaten.Während der Jahre stiegen die Erwar-tungen: Beide Kinder besuchten vorwie-gend integrative Schulen, zwar mit extraFörderunterricht in einigen Fächern,aber ansonsten ständig mit ihren Mit-schülern zusammen.

Mit der Zeit wurden beide Kinderimmer unabhängiger und selbstständi-ger. Nicole wohnte zu Hause, bis sie 21war, Derek bis 20. Als die Eltern sichüber Wohnmöglichkeiten für ihre er-wachsenen Kinder informierten, muss-ten sie feststellen, dass in den Wohn-gruppen, die ein gewisses Maß an Frei-heit und Selbstständigkeit zuließen, dieWartezeiten ungefähr fünf bis siebenJahre betrugen. Also kauften sie kurz-entschlossen ein Doppelhaus und bau-ten es als eine Wohngruppen-Anlageum.

Derek und Nicole wohnten dort für et-was mehr als ein Jahr. Als ihre Freund-schaft wuchs und sich vertiefte, brauch-ten sie aber als Paar eine stärkere Pri-vatsphäre.

Die Eltern waren sich jedoch nichtsicher, ob das Paar ein selbstständigesWohnen schon bewältigen könnte.

Zum Beispiel kann Derek zwar lesenund schreiben – aber er ist ungefähr aufdem Stand eines Erstklässlers. Keinervon beiden hat einen Führerschein, so-dass sie völlig von Dritten abhängigsind, um zur Arbeit zu kommen, ein-kaufen zu gehen, überhaupt irgendwohinzukommen (da die amerikanischenöffentlichen Verkehrsmittel häufig nichtmit den europäischen Standards zu ver-gleichen sind).

Beide haben große Schwierigkeitenim Umgang mit Zeit: Würde Derek esschaffen, morgens pünktlich aufzuste-hen und im Golfclub-Restaurant zu er-scheinen, wo er als Tellerwäscher ar-beitet?

Beide verstehen auch nicht wirklichden Wert des Geldes, sodass die Elterndie laufenden Rechnungen erledigenmüssen.

Trotzdem waren diese Sorgen ehergering im Vergleich zu dem, was den El-tern am meisten Angst machte: Men-

schen mit Down-Syndrom – ob Kinderoder Erwachsene – können Zielscheibenwerden für Menschen mit gemeinen undüblen Absichten. Und würden Derekund Nicole nicht freundlich und ah-nungslos für jeden die Tür aufmachen,auch für die größten Schwindler?

Lori hat endlich den Entschluss ge-fasst, sich über ihre Ängste hinwegzu-setzen: „Man kann nicht ewig in Angstleben. Ich glaube, dass Gott auf die bei-den aufpasst. Ich vertraue in eine höhe-re Macht. Wirklich. Ja, ich habe immernoch Angst. Aber ich will die beidennicht einengen wegen meiner Ängste.“

Verlobung

Über die Jahre haben die Houstons unddie Pillatzkes das junge Paar in seinenBemühungen nach Kräften unterstützt.Mal fuhren die einen sie zu einem Ren-dezvous ins Restaurant, mal die ande-ren ins Kino; aber immer bekam dasjunge Paar Zeit für sich alleine.

Das reichte aber nicht. Beide hörtennicht auf, nach Erlaubnis zur Heirat zufragen. Ungefähr ein Jahr, ehe die bei-den zusammenzogen, haben die Elterndann eingewilligt und Derek hat dannWeihnachten 2002 seiner Nicole den of-fiziellen Antrag gemacht. Seitdem wardie Hochzeit Nicoles einziges Thema! In

Als Derek geboren wur-de, sagte der Arzt zu sei-nen Eltern: „Sie könnenihn zum Beispiel in eineInstitution abgeben.“

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dem Supermarkt, wo sie seit vier Jahrenals Einpackhilfe an der Kasse arbeitet,war sie mit der einen Hand beschäftigt,die Ware in Tüten zu tun – und mit deranderen Hand ihren Verlobungsring zuzeigen. „Sie hat es wirklich allen er-zählt“, sagt Jeff Williams, ihr direkterVorgesetzter.

Endlich Hochzeit und Hochzeitsreise!

Endlich, am 2. Januar 2004, war dergroße Tag gekommen! Mehr als 80 Gäs-te waren in der katholischen Kirche amOrt versammelt. Es war eine bewegen-de Predigt – aber es war die Hochzeits-feier danach, die Nicoles Bruder Jamesam besten in Erinnerung behalten wird.

Verschiedene Gäste hielten kurzeReden auf das neu vermählte Paar, eswurde viel gelacht, die Stimmung warsehr gefühlvoll. Plötzlich stand Derekauf. Die Familien hatten diesen Auftrittnicht geplant. Aber Derek war mitgeris-sen von der allgemeinen Stimmung undwollte allen Gästen von seiner Liebe er-zählen. Also stand er da und schaute aufdie Frau neben ihm.

„Er sah ihr direkt in die Augen“, sag-te James, „und sagte, dass er sie mehrliebt als sein eigenes Leben.“

Aber es endete nicht mit der Hoch-zeit. Als Frischvermählte verbrachtensie ihre Flitterwochen auf einer ein-wöchigen Karibikkreuzfahrt, mit beidenElternpaaren im Schlepptau. Beide ha-ben ununterbrochen gestrahlt und ihrenVerheirateten-Status stolz vorgeführt.Eines Tages erschien Derek mit einemT-Shirt mit dem Wort „Bräutigam“ undNicole mit einem passenden T-Shirt„Braut“. „Bis die Woche vorbei war“,sagt Cheryl, „wussten alle 5000 Passa-giere Bescheid.“

Immer noch über die Ohren verliebt

Neulich beim Bowlen hatte Nicole gera-de einen Strike gelandet. Sie schrie:„Yeah!“, und hielt ihre Faust hoch,drehte sich zu ihrem Mann und da stander schon, hielt ihr beide Daumen in dieHöhe und rief: „Toller Schuss, Süße!“Sie geht zu ihm, beugt sich vor, beideBowling-Schuhe berühren sich und sieumarmen sich, und umarmen sich, undumarmen sich. Bis endlich einer ihrerBowling-Partner sagt: „O.k. ihr beiden,jetzt ist es genug!“

Die Hochzeit ist schon mehr als zweiMonate her und beide sind noch genau-so verliebt wie damals auf der High

School. Derek ist immer noch über dieOhren verliebt und tut alles, was Nicolevon ihm verlangt, sagt seine Mutter.

Manchmal benimmt Derek sich einwenig schelmisch und wenn er dann ge-rade an Nicole vorbeigeht, wackelt ermit seinem Hintern. „Derek!“, ruft sie,„oh, er ist so albern!“

Sie ist zärtlich und liebevoll, beinahemütterlich. Als sie ihm letztens einekleine Verletzung verarztet hat, die ersich bei der Arbeit zugezogen hatte, ei-nen Kratzer am rechten Arm, hat sie ihnsanft gestreichelt und ihn gebeten, sichzu ihr auf den Boden zu setzen. Dannhat sie ein Stück Mull auf die Wunde ge-legt und mehrere Verbände drumherumgewickelt. „Du bist eine gute Kranken-schwester“, sagt Derek, „meine NurseHouston.“

Eigene Wohnung, eigener Haushalt

Ja, Derek und Nicole haben sich gut ein-gelebt in ihrer eigenen Wohnung. Nico-les Eltern wohnen nur zwölf Häuser-blocks und Dereks Eltern nur zehn Mei-len entfernt. Es vergehen selten zwei bisdrei Tage hintereinander, in denennicht einer vorbeikommt, um zu sehen,wie es dem jungen Paar geht. Beinahean allen Wochentagen schaut jemandmorgens rein, um sicher zu sein, dassbeide rechtzeitig aufgestanden sind.

Aber den größten Teil der Zeit ver-bringen die beiden zu Hause alleine,schauen Fernsehen, machen die Haus-arbeit, spielen Videospiele, malen oderschreiben.

Ihre Tiefkühltruhe ist gut gefüllt mitden wichtigsten Grundnahrungsmittelnund Fertiggerichten – und auch mit demobersten Stück ihrer Hochzeitstorte. Diebeiden würden sich am liebsten jedenTag eine gefrorene Pizza in den Ofenschieben, wenn ihre Eltern das zulassenwürden, aber sie können auch schonviele Gerichte selbst zubereiten.

Im Schlafzimmer über dem Ehebetthängt ein Mistelzweig. Der hängt dortdas ganze Jahr über und ja, Derek undNicole machen guten Gebrauch davon.„Sie haben eine sehr körperliche Bezie-hung“, sagt Lori, „sie haben schon ver-standen, um was es geht.“

Ihre Kleiderschränke enthalten einkleines bisschen von allem sowie Nico-les Kleid von dem High School Prom undDereks Frack. Sie ziehen manchmal Sa-chen an, die nicht immer zusammen-passen und die Cowboy-Stiefel sind zum

Beispiel auch nicht immer zu jeder Ge-legenheit angebracht. „Ungefähr bei ei-ner von 20 Gelegenheiten schick ich siewieder rein, um sich umzuziehen“, sagtLori.

Natürlich hängt auch Nicoles Hoch-zeitskleid im Schrank, das Kleid, in demsie der Mittelpunkt der Welt war. Übernichts anderes reden die beiden so ger-ne wie über ihre Hochzeitsfeier.

Ehrliche, bedingungslose Liebe

Das Leben könnte nicht besser sein fürDerek und Nicole. Ihre Bedürfnisse sindsehr einfache, grundlegende Bedürfnis-se. Sie beide lieben Kinder, aber sie ver-stehen, dass sie nie welche haben wer-den; nicht nur wären sie mit der Kin-dererziehung überfordert – sondernaußerdem sind wohl fast alle Männermit Down-Syndrom zeugungsunfähig.Aber sie haben sich. Und sie haben eineeigene Wohnung. Was brauchen sie danoch?

„Die Art und Weise, wie sie mitein-ander durchs Leben gehen, ist die reins-te Form der Liebe“, sagt James. „Das istdas Wichtigste, was Derek und Nicoleuns beigebracht haben – ehrliche, be-dingungslose Liebe. Es ist eine der wun-derbarsten Erfahrungen, an denen ichje teilhaben durfte.“

Steve Rock, Kansas City Star

Freie Übersetzung und einige Anmerkungen von

Gundula Meyer-Eppler

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 53

Zu leben an sich ist für Irene MilliePinole, die 1928 mit Down-Syndrom

geboren wurde, schon eine Leistung.Aber durch ihre Malerei hat sie nochviel mehr erreicht.

Geboren wurde Irene Millie Pinolean einem Januartag im Jahre 1928 in ei-nem Krankenhaus mitten in Kaliforni-ens Weingegend. Statistisch gesehenhätte sie nicht älter als zehn Jahre wer-den sollen. Aber entgegen den damali-gen Lebenserwartungen von Kindernmit Down-Syndrom lebte Irene weiter,wuchs auf und wurde alt. Jetzt ist sie 76und zählt damit zu den ältesten „Down-Überlebenden“, die registriert sind.Aber Irene ist mehr als bloß eine Über-lebende. Mit ihren Einmeterfünfund-dreißig und in ihren weichen, leisenSchuhen ist sie für die einen eine Mut-terfigur, für die anderen Tochterersatz.Und wenn sie sich über ihre Staffeleibeugt im Short Center South Kunststu-dio in Sacramento und – das Chaos umsie herum ignorierend – breite, peinlichgenaue Striche auf das weiße Papiermalt, ist sie ganz die „Grand Dame“.

„Ich male mit Wasserfarben“, sagtIrene, ihre Wörter sind undeutlich, be-dingt durch ihre Behinderung unddurch die Tatsache, dass sie sich wei-gert, ihre unbequeme Zahnprothese zutragen. „Willst du sehen?“ Wie Ireneselbst, sind ihre Bilder freundlich und

ordentlich, minimalistisch wie die Kunstvon Agnes Martin.

Während das Radio eine instrumen-tale Version von „The Look of Love“ fürsie und ihre Kunstfreunde spielt, tauchtIrene ihre Pinsel vorsichtig in ihre Farb-palette und fügt noch eine Linie Hellblauzu ihrem Kunstwerk hinzu. Dann hältsie inne: „Der Ozean“, sagt sie, „Hawaii.“

Ein halbes Leben hinterverschlossenen Türen

Irene hat ihren Platz im Leben gefun-den. Aber sie war nicht immer eineKünstlerin. Über ihre dunklen Tagemöchte sie sich nicht unterhalten, abermit Hilfe verschiedener Aufzeichnungenkann man ihre Lebensgeschichte nach-vollziehen. Sie wurde im St. HelenaKrankenhaus geboren als Kind von Jo-seph Pinole, einem Bauern, und ClariceSinclair, Hausfrau. Irene kam in einerZeit zur Welt, in der man noch der Mei-nung war, dass Babys mit Down-Syn-drom hoffnungslose Fälle waren. Diemeisten von ihnen lebten nicht längerals neun Jahre. Irene kann sich nicht anihre Kindheit erinnern. Sie war das ers-te Kind ihrer Mutter und lebte die ers-ten zehn Jahre bei ihr und bei ihrem Va-ter, der in den Akten als Alkoholiker be-schrieben wird. Als Kleinkind hatte sieRachitis, Keuchhusten und Scharlach.Sie hat nie eine Schule besucht. Irene

hatte einen Bruder und eine Schwestersowie einen Halbbruder und eine Halb-schwester aus der ersten Ehe ihres Va-ters. Ihre Namen konnte man in den Ak-ten nicht finden.

Als Irene zehn Jahre alt war, trenn-ten sich ihre Eltern und ihre Muttermusste in Nachtschicht arbeiten. Clari-ce konnte niemanden finden, der fürIrene sorgen konnte, „weil sie“ laut denAufzeichnungen „geistig so schwachwar“. So wurde Irene mit elf Jahren für„schwachsinnig“ erklärt und in das So-noma State Hospital eingewiesen. Ihr IQwurde mit 15 angegeben. Alle Men-schen aus ihrem heutigen Bekannten-kreis sind einhellig der Meinung, dasssie ihre Eltern und Geschwister nie wie-der gesehen hat!

Während ihrer Pubertät und Adoles-zenz blieb Irene hinter den verschlosse-nen Türen des Sonoma Hospitals. Mit 19Jahren, als der Staat versuchte, die An-zahl der Menschen in der überfülltenEinrichtung zu reduzieren, wurde sie indas kleinere DeWitt State Hospital inAuburn verlegt. Hier blieb sie, bis sie ei-ne Erwachsene mittleren Alters war.

Möglicherweise hat Irene ihre Vor-liebe für Kunst schon in de DeWitt ent-deckt. Helen Banks, die dort in densechziger Jahren Malen mit Wasserfar-ben, Arbeiten mit Pappmaché und an-dere Techniken unterrichtete, kann sichzwar nicht an Irene erinnern, aberweiß, dass sie mit mehreren Menschenmit Down-Syndrom gearbeitet hat. „Siefielen auf, weil sie immer so freundlichwaren“, erinnert sich Banks, eine Bild-hauerin. „Sie wollten einen immerzuumarmen und küssen. Sie wollten, dassman sie gern hatte.“ Diese Beschreibungpasst heute noch auf Irene.

Irene Millie Pinole – eine ÜberlebenskünstlerinCynthia Hubert

Dieser Bericht erschien in der Tageszeitung „Sacramen-to Bee“. Es ist die Geschichte von der jetzt 77-jährigenIrene Millie Pinole, die wahrscheinlich zu den weltweitältesten Menschen mit Down-Syndrom gehört. Aber noch erstaunlicher ist es, dass Irene, obwohl sieals Kind von ihrer Familie in eine Einrichtung abgescho-ben wurde und dort mehr als dreißig Jahre hinter verschlossenen Türen verbracht hat, heute gesund undmunter ist, jeden Tag mit einem Bus in eine Kunstwerk-statt fährt, wo sie ihre Bilder malt, und das Lebendurchaus genießt!

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54 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

näht Quilts (Steppdecke), übt sich imSchreiben des Alphabets und singt Lie-der. Ihre Mappe mit Kunstwerken wirdständig dicker. Ihre Lehrer schreibenbegeisterte Berichte. „Sehr stabil undkonzentriert“, schreibt einer. „Außerge-wöhnliche Arbeit“, ein anderer. Sie be-schreiben Irene als eine angenehmeSchülerin, die dafür sorgt, dass sie nichtin Schwierigkeiten gerät, eine begeis-terte Sängerin und immer bereit, ihrenKünstlerfreunden zu helfen. Dass Irenesich ab und zu weigert, Farbe und Pin-sel mit anderen zu teilen, ist eigentlichdie einzige Kritik.

Die Kunstwerke von Irene hängenüberall herum im Studio des Short Cen-ters, ein Ort voller farbenfroher Masken,Keramik- und Holzarbeiten, geschaffenvon Männern und Frauen aller Alters-gruppen und unterschiedlicher Bega-bung. Es freut Irene, wenn Besucher ih-re Bilder kaufen, um sie daheim auf-zuhängen. Sie bringen ihr zwischen 20und 120 Dollar ein. Aber Irene, derenmageres Einkommen von der Sozial-versicherung durch das Alta RegionalCenter verwaltet wird, würde ihre Bil-der genauso verschenken. Das waswirklich für sie und die anderen Short-Center-Künstler zählt, ist, die Möglich-keit zu haben, kreativ, produktiv undweit gehend unabhängig zu sein.

„Ihre Kunst ist das Einzige in ihremLeben, über was Irene die totale Kon-trolle hat“, bemerkt Paul Sershon, derLeiter des Short Centers. „Das ist ganzihrs, gibt ihr Selbstbewusstsein – das istihre Identität. Seit sie vor 33 Jahren ausdem DeWitt auszog, hat sich nie ein Fa-milienmitglied von Irene gemeldet undauch eine umfangreiche Suche in öf-fentlichen Akten blieb ohne Erfolg. Eskonnten keine Verwandten ausfindiggemacht werden. Ganz vage spricht Ire-ne von einer Mutter, „die so war wie

„Damals in DeWitt mangelte es immeran Farbe, Papier oder Leim“, erzähltBanks. „Ich spazierte mit ihnen häufigzum Müllplatz. Dort suchten wir nachHolzbrettern oder Farbe, weil wir nieGeld hatten, etwas zu kaufen.“ DeWittwar zwar nicht direkt die „Hölle auf Er-den“, aber eine stimulierende Umge-bung war es auch nicht. „Die Patienten“,so kann sie sich erinnern, „saßen oderstanden stundenlang auf der Stationherum, sie hatten nichts zu tun. Im Som-mer kamen sie in den engen Gebäudenohne Klimaanlage vor Hitze fast um undfür das wöchentliche Bad mussten siesich nackt in Reihen aufstellen.

Damals, als in den USA behinderteMenschen in tausende solcher Institu-tionen geschickt und dann vergessenwurden, bekam Irene wahrscheinlichnie Besuch. Wie viele andere aus ihrerGeneration, die ihre Kinder- und Ju-gendzeit in Institutionen verbrachten,lernte sie nie lesen oder schreiben.

Anfang der siebziger Jahren, als esendlich ein nationales Anliegen wurde,Menschen mit Behinderungen aus dengroßen Krankenhäusern herauszuholenund umzugliedern in kommunale Ange-bote, verbesserte sich die Lage für Irene.Mit 43 Jahren verließ sie DeWitt undzog in eine der ersten Wohngruppen inSacramento. Einige Jahre später fing siean, täglich mit einem Bus zum ShortCenter zu fahren, das in Amerika einesder ersten Kunstprogramme für Men-schen mit einer Behinderung anbot.

Die Kunst hat ihre Identität geformt

An fünf Tagen in der Woche zieht sichIrene eine bequeme weite Hose an undein passendes T-Shirt, steckt sich eineLunchbox mit Essensresten ein undwartet auf den Bus, der sie zum ShortCenter fährt. Die nächsten fünf odersechs Stunden malt Irene, zeichnet,

ich, klein“, und über eine jüngereSchwester. Sie hat aber keine Ahnung,was mit ihnen passiert sei.

Irene hat viele Freunde

Aber Irene will, dass man weiß, dass sieFreunde hat. Freunde wie Nadia Co-varubbias und Daisy Reyes, die in ihrerGruppe arbeiten, ihr Kuchen backenund Eier zum Frühstück kochen oderihr Augentropfen geben, wenn ihre Au-gen trocken sind. Freunde wie Lita Aca-cio, eine ehemalige Angestellte, die Ire-ne mitnahm auf die Ferienreise ihresLebens, nach Waikiki, Hawaii und diesie auf verschiedenen Ausflügen nachLas Vegas begleitete. Freunde wie Sers-hon im Short Center, der sie malen,nähen und singen lässt und sie eineKünstlerin nennt.

„Irene, ich liebe dich!“ Irene Pinoledreht sich zu ihrer unverbesserlichen,anhänglichen Zimmergenossin TerryGordon um. „Ja ja, ich weiß“, antwortetIrene und streichelt der jungen Frauüber das Gesicht. Eine Szene, die manam Tag häufig beobachten kann.

Irene, die ihren Namen nicht schrei-ben kann, die kein Buch lesen oder dieHandlung einer Fernsehshow nicht ver-stehen kann, ist trotzdem so etwas wieein Vorbild. In dem großen, geräumigenHaus, das sie mit Terry und vier ande-ren Erwachsenen mit einer geistigenBehinderung teilt, wäscht sie sichselbstständig, wählt ihre Kleider ausund räumt den Tisch nach dem Essenab. Beschäftigt zu sein hat höchste Pri-orität. Sie legt äußerst sorgfältig die Wä-sche zusammen und kann mit einemPutzschwamm genauso umgehen wiemit einem Besen.

Ab und zu wird Irene geplagt durchErinnerungen oder Fantasien von bel-lenden Hunden oder von einem bärtigenMann, der sie einst gestoßen und ge-

P E R S O N E N

Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 55

schlagen hat. Manchmal weint sie. „Wirwissen nicht weshalb, weil wir ihre Ver-gangenheit ja nicht kennen“, sagt NadiaCovarubbias, die Leiterin der Wohn-gruppe. Aber Irene lässt sich schnell trös-ten und die meiste Zeit ist sie zufrieden.

Mit ihren zerbrechlichen 50 Kilo-gramm, Büscheln graues Haar, die sieaus ihrem Gesicht kämmt, und ihrenmandelförmigen Augen, vom Alter undKatarakt getrübt, sieht Irene aus wie ei-ne verhutzelte Wahrsagerin. Ihr Gesichtist voller Falten und brauner Flecken.Ihr linkes Augenlid hängt etwas runter.Aber außer Arthritis in ihren Knien istsie erstaunlich gesund. Sie besteht glän-zend jeden medizinischen Check undwenn Reyes abends alle um sich ver-sammelt, um die Medikamente zu ver-teilen, bekommt Irene lediglich Ibu-profen (ein Schmerzmittel gegen Arthri-tis). „Für mich ist Irene etwas Erstaun-liches. Sie ist die Älteste hier und dieFeinste, sie ist einmalig!“, sagt Reyes.

Sie ist einmalig!

Das ist tatsächlich so, bestätigt der Down-Syndrom-Experte Brian Chicoi-ne, nur schon was ihr Alter betrifft. Bri-an Chicoine vom Adult Down SyndromCenter des Lutheran General Hospitalin Park Ridge, Illinois, hat in den letztenJahren mehr als 2300 Erwachsene mitDown-Syndrom behandelt. Er kennt nurganz wenige, die bis in die späten Sieb-ziger gelebt haben.

Vom Down-Syndrom spricht man,wenn die DNA ein Chromosom 21 mehraufweist. Menschen mit dieser Trisomie21 sind in der Regel etwas kleiner, ha-ben kleinere Hände und Füße und eineunterschiedlich ausgeprägte geistige Be-hinderung. Viele von ihnen haben Herz-oder Darmprobleme. Irene blieb jedochvon alledem verschont. Die Überlebens-chancen für Menschen mit Down-Syn-drom sind in den letzten Jahren stetiggestiegen, hauptsächlich durch die vielbesseren Lebensumstände und die me-dizinische Versorgung. Heute leben diemeisten Kinder mit Down-Syndrom inihren Ursprungsfamilien, besuchen Re-gelschulen und nehmen teil an vielerleiAktivitäten, u.a. an den Special Olym-pics. In den früheren State Hospitals,die man jetzt Entwicklungszentrennennt, wohnen nur noch wenige er-wachsene Menschen mit Down-Syn-drom und noch weniger – wenn über-haupt – Kinder mit der Trisomie.

„Frühförderung, gute medizinische Ver-sorgung, Arbeits- und Wohnmöglich-keiten in den Gemeinden, mehr Gele-genheit, Erfahrungen im täglichen Le-ben in der Gesellschaft zu machen, ha-ben eine enorme Veränderung fürMenschen mit Down-Syndrom zuwegegebracht“, sagt Brian Chicoine. Die meis-ten von ihnen werden heute weit überfünfzig Jahre alt.

Irene, die schon öfter erfolgreich ihrGlück an den Geldspielautomaten inden Casinos probiert hat, hat dieses Al-ter gleich um zwanzig Jahre überschrit-ten. Wenn man Irene nach ihrem lan-gen Leben fragt, zuckt sie die Schulternund lächelt nur.

Ihre Betreuer beschreiben Irene alseine angenehme Mitbewohnerin, sau-ber, ruhig und immer darauf bedacht,es allen recht zu machen. „Sie ist ein-fach ein Schatz“, sagt Covarrubias.

Irene zeigt stolz ihr Zimmer, wo sie,wie sie selbst sagt, eines Tages ihre ei-genen Malereien aufhängen möchte.Jetzt hängt dort bloß ein Bild mit Blu-men, gemalt von einer anderen Künst-lerin. Ein Keramik-Engel oben aufihrem Schrank schaut gelassen runter.Auf ihrem Nachttisch steht ein großesRadio, das Irene hauptsächlich benutzt,um Tanzmusik zu hören. Gelegentlichhaben Terry und Irene Auseinanderset-zungen, was das Fernsehprogramm be-trifft. Irene schaut sich gerne Kinder-sendungen an und Terry liebt Basket-ballspiele!

Erinnerungen in einer Schachtel

In einer alten Schuhschachtel, die voneiner Schnur zusammengehalten wird,bewahrt Irene einige ganz spezielle Din-ge auf. Da gibt es Fotos von Festen undLiebesbriefe von einem Freund, Paul.Erinnerungen an die Reise mit Accacio,die sechs Jahre älter als Irene ist und sieals „die Tochter, die sie nie hatte“, be-schreibt. Es gibt ein Bild mit Irene in ei-nem Halloween-Kostüm, ein anderesvon Irene auf einem Boot in Hawaii odereines im Hotelzimmer in Las Vegas undverschiedene von Irene, picobello ge-kleidet für einen Kirchgang. Alles Mo-mente, die Irene behalten möchte.

Ihr Lieblingsfoto steht gut sichtbarauf dem Bettumbau, es zeigt Irene miteinem schönen, handgefertigten Quilt(Patchworkdecke). Im Hintergrund siehtman eine Plakette, mit der ihre Arbeitgeehrt wurde. „Siehst du diese Decke?“,

fragt Irene mit ihrem zahnlosenLächeln. „Habe ich selbst gemacht, ganzallein!“

Und morgen im Kunstcenter wirdIrene wieder vor einem leeren Tuch ste-hen und sie wird es füllen mit Licht undFarbe. Und vielleicht wird sie sich über-legen, das Bild mit nach Hause zu brin-gen, vielleicht.

Quelle:Cynthis Hubert, The art of survival,

Sacbee, Lifestyle, 30. Mai 2004Fotos: Anne Chadwick Williams

56 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

E R F A H R U N G S B E R I C H T

Zurzeit nehmen meine drei Mädelsganz regulär beim Ferienschwim-

men eines Spandauer Sportvereins teil.Dieser Verein veranstaltet schon seitJahrzehnten Ferien-Schwimm-Crash-Kurse für Spandauer Grundschüler.

Frei nach Cora Halders Rat: „... ein-fach hingehen und mitmachen ...“, habeich die Mädels angemeldet, ohne vorheranzugeben, dass Sarah ein Handicaphat. Und da ist mir zum ersten Mal hierin Berlin etwas passiert, das ich mir fürdie Zukunft aller Kinder mit „specialneeds“ wünschen würde:

Mutter zum Schwimmlehrer: „GutenTag, das ist meine Tochter Sarah. BevorSie mehrmals hinschauen müssen, ja,Sarah hat Down-Syndrom. Meinen Sie,damit kommen Sie klar?“

Schwimmlehrer: „Da gibt’s keineProbleme. Kinder mit Down-Syndromhatten wir schon oft in unseren Kursen.“

Die Geschichte von Sarahs Schwimmkünsten

Baby-SchwimmenBaby-Schwimmen stand bei den Zwil-lingen – Sarah mit Down-Syndrom, Mi-riam ohne Down-Syndrom – mit sechsMonaten schon auf dem Programm. FürSarah war es das pure Vergnügen, Mi-riam fand’s schaurig und hat nur ge-weint.

SchwimmtrainerWir kauften uns für beide Schwimm-trainer. Mit diesem Ding ist Sarah im Al-ter von eineinhalb bis vier Jahren ge-

schwommen und gepaddelt wie ein klei-ner Hund und das bis in die Mitte größe-rer Seen. Sie war davon begeistert, imWasser selbst Fahrtrichtung und Ge-schwindigkeit bestimmen zu können,und konnte durch den Auftrieb mit dengrößeren Geschwistern mithalten.

Miriam hatte Angst, spielte lieber am

Wasser. Sie bekam im Alter von dreiJahren Schwimmflügel.

Schwimmflügel kein Erfolg

Dann kam der Sommer 2002, da ist lei-der die Schwimmhilfe kaputt gegangen,und auch Sarah bekam Schwimmflügel.Der Auftrieb mit den Schwimmflügelnwar kein Erfolg, Kopfhaltung ein Pro-blem. Sarah hatte große Mühe, den Kopfkorrekt hochzuhalten, und ist im Was-ser gepaddelt wie eine Fähre mit offenerLadeluke, das heißt, sie hat dauerndWasser geschluckt und sich dann regel-mäßig erbrochen.

Also habe ich angefangen, beideTwins ohne Schwimmhilfen aufs Was-ser zu legen, mit einer Hand unter demBauch, und dann in Richtung Ufer mitSchwung „abzuschießen“ wie einenPfeil. Das lässt sich schlecht beschrei-ben. Beide bekamen aber so endlich dasrichtige Gefühl fürs Wasser.

Schwimmsäckchen

Miriam fing mit den Schwimmbewe-gungen an und brauchte die Schwimm-flügel nur zur Sicherheit. Sarah fingnoch nicht mit den Schwimmbewegun-gen an, ich habe ihr dann die Schwimm-säckchen (sog. Schlorchis) gekauft.

So ging das nun eine Zeit, Sarahlernte dann von der großen Schwester„tauchen“ – nur das Köpfchen untersWasser. Wunderbar, denn dabei gingnun endlich die Ladeluke zu und das Er-brechen wegen Wasserschluckens hör-te auf.

Schwimmen lernen ist lebensnotwendig

Oktober letztes Jahr, die Zwillinge sindnun sechseinhalb Jahre alt, ist Sarah,als wir auf Kur waren, einmal nach demSchwimmen beim Duschen nackig ab-

Schwimmen lernenMartina Bindel

Ferienzeit in Berlin. Martina Bindel meldet ihre dreiTöchter ganz regulär beim Ferienschwimmen einesSpandauer Sportvereins an, nach dem Motto: Anmelden,hingehen, mitmachen, und hat dort gleich ein positivesErlebnis: Down-Syndrom? Kein Problem!Außerdem hat Sarah schon viel Wassererfahrung undschafft jetzt mit sieben Jahren hoffentlich das Seepferd-chen. Ihre Mutter fasst in diesem Bericht die Schwimm-erfahrungen zusammen.

Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 57

E R F A H R U N G S B E R I C H T

gehauen und ins 1,20 Meter tiefe Beckengesprungen. Eine andere Mutter hat siegerettet. Ich nicht, ich stand selbstnackig unter der Dusche, hatte die Au-gen zu und war eingeseift.

Für mich war klar, wenn ich ruhigleben möchte in der Nähe vom Wasser,müssen die Zwillinge so schnell wiemöglich schwimmen lernen.

Ab Januar 2004 fingen wir deshalbmit einem Schwimmkurs an, einmalwöchentlich.

14 Kinder, eine Lehrerin (auch Er-gotherapeutin). Die Frau war jedochüberfordert. Sarah war zwar die ganzeZeit mit den Schlorchis mit dabei, hataber leider nur ihr eigenes Ding durch-gezogen. Aber sie hat ein besseres Ge-fühl fürs Wasser bekommen und dieTrainerin hat ihr trotz allem einiges bei-gebracht.

Miriam hat dann das Seepferdchengeschafft, Sarah nicht, aber wir konntenjetzt immerhin selbst mit Schwimmnu-deln und Brett üben, da sie es gewohntwar.

Ferienschwimmkurs

Jetzt ist Juli 2004 und gibt es drei Wo-chen lang den Spandauer Ferien-schwimmkurs, jeden Tag außer Sonn-tag.

Dieses Mal bin ich gleich gegangenund habe gar nicht zugeschaut, wie esanläuft. Schließlich ist Sarah ja mittler-

weile integriert in der Vorschule und istes nun gewohnt, eine von vielen zu seinund sich in eine „Normalo-Gruppe“ ein-zufügen.

Sie macht alles mit und die Chancenfürs Seepferdchen nach dem Crashkursstehen gut, allerdings gehen wir in dieVerlängerung und lassen sie den glei-chen Kurs noch einmal beim gleichenCoach im zweiten Durchgang machen.

Halbzeit im Crashkurs: Ich hatte dieMöglichkeit, versteckt zuzusehen, undhatte fast einen Herzinfarkt:

Alle Kinder bekamen eine Schwimm-nudel, die Ersten schmissen die Nudelins 1,50 Meter tiefe Becken am Randund sprangen hinterher, mit dem Ober-körper auf die Nudel rauf und dannschwammen sie 15 Meter bis zur Trep-pe.

Ich wusste, dass Sarah das vor zweiWochen nicht konnte. Sie kann dortnicht stehen. Der Trainer stand zwar inder Nähe, für mich als Mutter aber zuweit weg. Aber ... Sarah schmeißt dieNudel, springt hinterher, kommt mitdem Oberkörper auf die Nudel undschwimmt in einem Affenzahn bis zurTreppe, schmeißt die Nudel wieder aufsTrockene, klettert hinterher, schnapptsich die Nudel, rennt zum Trainer,schmeißt die Nudel ins Wasser, springthinterher und das sechs Mal hinterein-ander. Ich bin glücklich!

Nach dem Kurs

Miriam hat ihr Schwimmabzeichen inBronze geschafft, Nathalie (großeSchwester, elf Jahre, hat in einemDurchgang Schwimmabzeichen in Sil-ber und Gold geschafft. Sarah hat bis-lang das Seepferdchen noch nicht ge-schafft und macht den Kurs noch ein-mal. Allerdings kann sie durch denSchwimmkurs und das tägliche Trai-ning nun sehr gut tauchen, und dasscheint ihr auszureichen!

Der Trainer ist weiterhin sehr moti-viert und versucht nun, Sarah ein wenigzu „triezen“. Mal sehen, was dabei her-auskommt. Die beiden sind wirklich einTeam.

Auf alle Fälle werden wir am Ballbleiben, denn wir möchten unbedingt,dass Sarah ihr Seepferdchen und ihrSchwimmabzeichen in Bronze (Frei-schwimmer) noch vor Beginn der drit-ten Klasse schafft, denn da fängt in Ber-lin der Schulschwimmunterricht an.

Es wäre für die Lehrer und für Sarah

dann leichter und Sarah könnte dannauf diesem Gebiet ein wenig „glänzen“.Wir sind uns sicher, dass sie das bis da-hin schaffen wird, zumal sie begeistertvom Wasser und im Wasser ist und janoch zwei Jahre Zeit hat. Der Rest istnur regelmäßiges Training, Muskelauf-bau und viel Loben zur Motivation.

Ganz herzlich möchte ich mich beiNathalie und Miriam Bindel als Co-Trai-nerinnen bedanken, denn Sarah lerntvon ihren beiden Schwestern am meis-ten.

Die Zwillinge Miriam und Sarah

58 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

E R F A H R U N G S B E R I C H T

Wir wohnen in einem Zweifami-lienhaus in der Stadt, erbaut in

den fünfziger Jahren, und haben dasGlück, noch einen wunderschönen Gar-ten hinterm Haus zu haben, in dem dreigroße Nussbäume Platz haben (leiderhat der Sturm Lothar damals einen ge-schafft), trotzdem ... ein Traum für Kin-der, deren Freunde und Katzen.

Eine große Kletterstange und zweiSchaukeln vervollständigen das Ganze.Im Sommer ein aufblasbares Schwimm-becken, dazu der Schatten der Bäume,wie im Bilderbuch auch für uns Er-wachsene.

Wir, das sind Oma und Opa im Erd-geschoss, Mama (unsere Tochter), Papaund drei Jungens in der oberen Etage.Jonas hat das Down-Syndrom. Er ist in-zwischen elf Jahre, Moritz ist neun undFelix sieben Jahre. So verschieden dieKinder auch sind, von unseren zwei Kat-zen sind sie alle begeistert. Vielleicht dieKatzen nicht so ganz von Felix, so genauweiß man es nicht. Jedenfalls hat erschon manchen Kratzer abbekommen,wenn die Katzen nicht so wollen, wieFelix das gerne hätte. Auch EnkelkindLucia mit acht Jahren spielt sehr gernemit allen im Garten, wenn sie zu Besuchist.

Vor etwa drei Jahren hat die gesam-te Familie das schwarze Katerchen Maxauf einem Bauernhof ausgesucht, weilwir ja schon einen Moritz haben, mein-ten sie. Jonas wünschte sich einschwarzweiß getigertes Kätzchen, seineLisa, und erklärter „Bliebling“, wie ersie nennt.

Auch sie hängt sehr an ihm, es be-ruht wohl auf Gegenseitigkeit. Wo Jonasist, ist Lisa nicht weit. Jonas hat sich in-zwischen eine Baustelle unter einemNussbaum eingerichtet, er hat seineSchaufel, sein Sandsieb, seine Absper-rung und alles, was sonst in seinen Vor-stellungen dazugehört.

Wenn er auf der Baustelle buddelt,sitzen beide Katzen in der Nähe, manch-

mal auf dem Klettergerüst, manchmaldirekt im Sand, je nachdem. Jonas redetoft mit ihnen und manchmal fährt erden Max im Schubkarren durch denGarten, das mag Lisa jetzt wohl weni-ger, jedenfalls bleibt sie nicht in der Kar-re sitzen.

Oft spielt Jonas mit einer Schnur, andie was angebunden wurde, mit denKatzen oder mit dem Plastikband für dieAbsperrung der Baustelle, das Bunteund das Geraschel gefallen den Katzen.

Wenn es Jonas mal nicht so gut geht,was selten vorkommt, und er sich aufdie Couch legt, schleicht sich Lisa auf lei-sen Sohlen zu ihm, legt sich auf seinBäuchlein für etwa eine halbe Stunde.Und so wie sie gekommen ist, schleichtsie wieder leise zu ihrem Körbchen. Jo-nas steht auf und lacht wieder. Das tutbeiden gut.

Wir nennen sie manchmal Lady Li-sa, da lacht Jonas immer schallend.„Ach“, meint er, „das hört sich drollig an,aber ich sage doch lieber Bliebling …“

Jonas’ Katze möchte mit zur Schule

Zu Beginn vorigen Jahres lief Lisa mor-gens mit Jonas oft den Schulweg, kehr-te dann wieder um und lief zurück.

Eines Tages wollte sie aber nichtzurück und Jonas war richtig hilflos, wieer uns später erzählte, sie lief einfachweiter mit bis zur Schule, egal was er zuihr sagte. Das war wohl eine Aufregungim Klassenzimmer, die Lehrerin rief anund die Mama holte Lisa ab.

Wir achteten dann morgens darauf,dass Lisa unserem Jonas nicht nachge-laufen kam, er wurde ganz unruhig, weiler sich nicht zu helfen wusste.

Eines Morgens hatte sie es mal wie-der geschafft, als keiner darauf geachtethatte, auch Jonas nicht. Auf einmal warsie bei ihm in der Schule. Dieses Mal riefder Hausmeister an, weil große Aufre-gung in der Turnhalle war. Seitdem hal-ten wir Lisa morgens auf dem Arm undwinken Jonas nach, so ist er beruhigt.

Von Katzen, Kühen und anderen Tieren

Wir lassen sie erst wieder nach einerhalben Stunde aus dem Haus.

Vielleicht weil es mit der Schulenicht mehr klappte (wissen wir wirklich,was Katzen manchmal empfinden?), liefsie voriges Jahr neben Jonas bei derHimmelsfahrts-Prozession mit, irgend-wann aber war es ihr dann doch zu viel,oder auch zu langweilig – jedenfalls ha-ben wir sie nicht mehr gesehen.

Nun, sie wird zu Hause sein, sodachten wir. Nein, das war sie nicht.Wir warteten zwei Tage lang, das warnoch nie vorgekommen. Wir waren alleaufgeregt, vor allem Jonas war fix undfertig. Wir fragten Nachbarn und Be-kannte. Ja doch, sagte eine, eure Lisahaben wir bei der nächsten Straßen-bahnhaltestelle gesehen, ein gutes Stückvon hier entfernt. Aber ruft doch mal imTierheim an, vielleicht hat sie jemanddort abgegeben, hat es gut gemeint, ob-wohl sie sicher nach Hause gefundenhätte. Tatsächlich, Lisa war dort. Welcheine Freude, als sie wieder zu Hausewar, alle freuten sich, am meisten wohlJonas und Lisa, würde ich sagen.

Seitdem scheint sie vorsichtiger ge-worden zu sein. Aber weiß man’s ge-nau?

Lebensfreude

Unsere gesamte Familie kann eigentlichnur von guten Erfahrungen mit unserenKatzen berichten, bei allen Enkelkin-dern. Auf jeden Fall tragen sie, vor allembei Jonas, viel zu seiner Lebensfreudebei.

Eine Katze in der SchuleHeiderose Hofer-Gartska

Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 59

E R F A H R U N G S B E R I C H T

Steffens erstesWort war „Muh“!

Melanie Putella-Brag

Wir betreiben im Nebenerwerb ei-nen kleinen landwirtschaftlichen

Betrieb. Zu unserem tierischen Bestandzählen zirka zwölf Kühe mit ihren Käl-bern, mehrere Katzen, fünf Pferde, einZiegenbock und gelegentlich auchSchweine und Hasen.

Steffens absolute Favoriten sind undbleiben jedoch die Kühe. So kam esauch, dass im Alter von zirka neun Mo-naten eines seiner ersten Wörter nach„Mama“ das Wort „Muh“ war! Er erar-beitete sich diesen Laut selbstständig,indem er zwei Tage vor einem Spiegelübte, bis aus „mmhh“ endlich „muh“wurde.

Inzwischen ist Steffen vier Jahre altund wenn es darum geht, mit dem Papain den Stall oder auf die Weide zu gehen,ist er der Erste, der mit Jacke und Schu-hen an der Tür steht. Ich wünschte, erwürde den gleichen Elan zeigen, wennes mal nicht zu den Tieren, sondern zurTherapie geht. So hat der Gang zur Kuh-weide jedoch auch therapeutischeZwecke, da man Steffen dabei in Bewe-gung halten kann. Egal wie weit derWeg von einer Weide zur anderen auchist, Steffen hält tapfer durch bis zumSchluss. Aber wehe, man schlägt einenanderen Weg ein als den zur nächstenWeide (die kennt Steffen mittlerweile al-le ganz genau), so ertönt lautstarkerProtest und Steffen weigert sich, auf

dem Boden sitzend, auch nur einen Me-ter weiter zu gehen.

Auch in der Weiterentwicklung derFeinmotorik und Geschicklichkeit hel-fen Steffen die Tiere. Wenn er beispiels-weise beim Füttern hilft, macht es ihmkeine Schwierigkeiten, Mehl von einemBecher in einen anderen zu schütten.Förderspielzeuge hingegen werden vonSteffen mit Missachtung gestraft.

Oft steht Steffen 20 bis 30 Minutenam Zaun einer Weide und beobachtetdie jeweiligen Tiere und ihr Verhalten.Was er dort gesehen hat, verarbeitet erspäter, indem er dieses mit seinen Spiel-zeugtieren nachspielt. Mittlerweile hatSteffen schon einen beachtlichen eige-nen Tierbestand für seinen Spielzeug-bauernhof. Durch das Spielen mit denkleinen Spielzeugtieren wie zum Bei-spiel Enten, Gänse und Hühner konnteer das koordinierte Greifen mit Daumenund Zeigefinger problemlos lernen.

Besonders lustig finde ich, wenn Steffenseinem Papa hilft, den Elektrozaun zurAbgrenzung der Weiden zu erweitern.Dann läuft er, einige 80 Zentimeter lan-ge Eisenstangen in der Hand haltend,selbst durch das unebenste Gelände.Dabei ist er kaum größer als die zutransportierenden Stäbe. Dass Steffenhierbei sein Gleichgewicht schult, ist einschöner Nebeneffekt.

Um Steffen auf die entlegenerenWeiden mitnehmen zu können, habenwir auf unserem Traktor einen Kinder-sitz montiert. Hier thront er bei jederFahrt neben dem jeweiligen Fahrer undgrüßt die Leute, die er kennt, schon wieein Großer. Einige unserer Bekanntennennen ihn deshalb schon „den kleinenChef“!

Der Bauernhof als Therapieraum

Durch die zusätzliche Arbeit in derLandwirtschaft, die neben den erlerntenund ausgeübten Berufen anfällt, habenwir oft nicht genug Zeit, um Steffen zufördern. Aber vielleicht ist das auchnicht notwendig. Er ist bei allen Akti-vitäten dabei (Heu- und Kartoffelernte,Stallumbau und vieles mehr) und lerntpraxisbezogen, direkt und naturnah.

Möglicherweise können wir ihmganz andere Inhalte vermitteln, alswenn er ohne den Bauernhof und seineBewohner erwachsen werden würde.

Steffen hat schon

einen beachtlichen

Tierbestand für

seinen Spielzeug-

bauernhof. Auch

hier spielt er am

liebsten mit den

Kühen.

60 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

E R F A H R U N G S B E R I C H T

Im Juni 2000 hatte unsere Tochter(fast zwei Jahre) das erste Mal Kon-

takt mit Pferden, besser gesagt mit Ni-xe, einer gutmütigen Ponystute.

Ich vereinbarte mit der damals 17-jährigen Schülerin Christina, einmal inder Woche mit Theresa kommen zudürfen. Genaue Vorstellungen, was soein Knirps auf einem Pony machen soll-te, hatte ich nicht, doch Christina hatteimmer die richtigen Ideen. So waren eserst nur ein paar Minuten auf demRücken des Ponys und Theresa gefiel essehr gut. Sie fühlte sich immer sichererund wenn inzwischen der Ausritt längerwurde, brabbelte sie die ganze Zeit aufdem Pferderücken im Takt der Bewe-gung fröhlich drauflos. Zu der Zeitkonnte sie noch nicht sprechen, dochdas Reiten inspirierte sie zu allerlei Ge-schichten, die wir zwar nicht verstan-den, aber sehr unterhaltsam fanden.

Bei diesen Ausritten führte Christinadas Pony und ich hielt Theresa fest.Theresa entwickelte ein großes Ver-trauen zu Nixe und ging ganz selbstver-ständlich das Pony von der Wiese holenund es nach der „Reitstunde“ wieder aufdie Wiese bringen.

Sie lernte, wie man das Fell striegelt,was ein Halfter oder ein Hufkratzer istund wie man die Hufe auskratzt, daswurde ihre Lieblingsaufgabe. Oft spiel-te sie selber Pferdchen.

Die Zeit bei Christina und Nixe wur-de nie langweilig, egal ob im Sommeroder Winter, und Theresa versorgt „ih-re Pferde“ immer gut.

Bald saß Theresa so sicher auf demPonyrücken, dass ich sie nicht mehrfesthalten musste (durfte), sondern dasssie jetzt „Reitstunden“ an der Longe be-kam, die sie sehr stolz machten undmich auch.

Theresa wurde immer sicherer undführte bald schon einige Voltigierübun-gen aus. Doch dann stürzte sie von Ni-xe. Sie hatte sich zwar nicht verletzt undsich direkt wieder aufs Pony gesetzt.Doch sie schimpfte mit ihr und sagte ihroft, bevor sie aufstieg: „Nixe nichtbuckeln!“ Das Vertrauen war gebro-chen.

Die erste Reiterprüfung

Dann im August 2003 war ihre ersteReiterprüfung. Eingeladen wurden Omasund Opa, Tanten und Onkel, und The-resa zeigte voller Stolz, dass sie sichaufs Pferd knien und freihändig reitenkonnte, und führte Übungen in den dreiGangarten Schritt, Trab und Galoppvor. Theresa und wir alle waren mäch-tig stolz.

Das Vertrauen zu Nixe war auchwieder hergestellt. Im Oktober 2003folgte ihre zweite Reitprüfung. Diesmalwar sie in der Führzügelklasse ange-meldet. Alles war sehr spannend undaufregend und so ein Reitturnier beflü-gelte Theresa, mit ihrer freudestrahlen-den Art steckte sie alle Zuschauer an.Zwar wurde sie nicht platziert, doch je-der Teilnehmer bekam als Anerken-nung eine Schleife und das war dasWichtigste.

Es macht immer wieder Spaß zuzu-sehen, welche Fortschritte Theresa aufNixe macht und wie sie sich ständigneue Sachen zutraut. Christina hat im-mer wieder neue Herausforderungenfür Theresa, sodass es ihr nie langwei-lig wird, und mit Begeisterung stellt siesich den neuen Aufgaben. So reitet sieauch noch auf zwei anderen Pferden:Luna und Penny. Theresa ist so selbst-bewusst den Pferden gegenüber, dassich manchmal nur noch staunen kann.

Seit September 2003 nehme ich sel-ber Reitstunden bei Christina und erfül-le mir so, angeregt durch meine Toch-ter, einen Kinder- und Jugendtraum.Dazu wäre es ohne Theresa wahr-scheinlich nie gekommen. Theresa fin-det das Klasse, dass Mama jetzt auchreitet, und mir macht es riesigen Spaß.Da ihr kleiner Bruder (zweieinhalb Jah-re jünger) auch beim Reiten mitmacht,sind wir jetzt schon zu dritt.

Reitturnier – ein anregendes Erlebnis für Theresa

Am Pfingstwochenende hatte das Reit-therapiezentrum in Münster-Amels-büren zum 7. Integrativen Reitturniereingeladen. Insgesamt haben 500 Reiterund Pferde an 30 Dressur, Spring- undGeschicklichkeitsprüfungen teilgenom-men. Da war richtig was los. Wir warenauch mit von der Partie. Theresa hattenwir zu einem „integrativen Geschick-lichkeits-Wettbewerb mit Führer“ undalle zusammen haben wir uns zu einerPräsentation eines Schaubildes ange-

Theresa und „ihre“ PferdeMaria Eggenkemper

Hufe auskratzen?

Für Theresa kein Problem.

Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 61

E R F A H R U N G S B E R I C H T

meldet. Für Theresa war die Turnierat-mosphäre wieder prickelnd und sie warvoller Spannung und mit viel Spaß da-bei. Sie hatte wieder alle für sie wichti-gen Menschen eingeladen und genossdas „Rampenlicht“. In dem Geschick-lichkeitswettbewerb mit Nixe meistertesie alle Aufgaben (das hätten wir nichtgedacht) und wurde als erste Reserveplatziert.

Dann folgte das Schaubild. AußerTheresa, Felix und mir machten nochzwei andere Mädchen und zwei Helfe-rinnen mit. Wir hatten uns zu dem LiedNackidei von Rolf Zukowski und weite-ren Melodien Folgendes ausgedacht:Verkleidet gingen wir auf den Platz, leg-ten als Erstes die Verkleidung ab undanschließend zeigte jeder, was er wo-chenlang geübt hatte. Theresa ging alledrei Gangarten, drehte sich selbststän-dig um und setzte sich rückwärts aufstrabende Pferd. Als Höhepunkt stelltesie sich freihändig auf Penny (Stockmaß1,65 Meter). Alles wurde mit Musik un-termalt. Eine Voltigierübung machtenwir zusammen, das fand Theresa be-sonders gut, und den Abschluss bildetenwir dann alle gemeinsam. Das hat unsallen sehr viel Spaß gemacht, nicht nuran dem Tag, sondern auch schon in derVorbereitung.

Positiv für die Entwicklung

Das Reiten ist eine tolle Sache für unse-re Tochter, das ihr sehr viel Selbstbe-wusstsein und Selbstvertrauen gibt. IhrGleichgewicht und die Muskulatur wer-den ganz nebenbei ohne Therapiege-danken geschult und aufgebaut – ein po-sitiver Nebeneffekt. Wir können diesenganzheitlichen Umgang mit Pferden nurempfehlen.

Lothars bester Freund ist seine Katze Mogli. Aber wenn Mogli

gerade unterwegs ist, findet man ihn bei seinen Hasen.

Die geben ihm Ruhe – einfach nur dasitzen und sie beobachten.

Lena Feich mit ihrer Katze

Luke Jörgens unterwegs mit Hund am holländischen Nordseestrand

62 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

P U B L I K A T I O N E N

Menschen mit Down-Syndromin Familie, Schule und Gesellschaft

Autorin: Etta Wilken,mit Beiträgen von Werner DittmannWolfgang Storm und Sabine Wendt Verlag: Lebenshilfe-Verlag, MarburgISBN: 3-88617-308-9Preis: 18,– Euro

Endlich haben wir nun ein Buch überDown-Syndrom von deutschen

Fachleuten direkt für den deutschenMarkt geschrieben. Darauf haben wirseit vielen Jahren gewartet. Die Bücher,die uns Eltern seit vielen Jahren überdas Down-Syndrom informierten, wa-ren allesamt Übersetzungen aus demEnglischen und stammten meistens ausden USA. Das waren u.a. Mark Seliko-witz’ „Down-Syndrom“, Siegfried Pue-schels Buch „Down-Syndrom – Für einebessere Zukunft“ (beide jetzt vergriffen)oder noch aktuell „Babys mit Down-Syndrom“ von Karen Stray Gundersen.Sie wurden für das amerikanische Pu-blikum geschrieben und berücksichtig-ten nicht die deutschen Verhältnisse.

Der letzte Beitrag über besondere Intel-ligenz- und Lernaspekte bei Down-Syn-drom stammt von Prof. Werner Ditt-mann, der im Februar 2002 verstarb.

Übersicht über die Entwicklung

Im zweiten Teil des Buches wird dieEntwicklung vom Baby bis zum Er-wachsenen ausführlich behandelt. DieEntwicklungen der Sprache, der Moto-rik und der Selbstständigkeit sind wich-tige Themen. Es geht u.a. um Ernäh-rungsfragen bei den Kleinen, um lesenund schreiben lernen und um mathe-matische Fähigkeiten bei den Schulkin-dern. Die Wahl des Kindergartens oderder Schule wird erörtert.

Es ist erfreulich, dass in diesemBuch auch viel Wissenswertes über Tee-nager sowie junge und ältere Erwach-sene zu finden ist. Von Themen wie Pu-bertät und Sexualerziehung, Identitäts-bildung und Selbstkonzept, über Arbei-ten und Beruf, Wohnen und Freizeit bishin zu Partnerschaft und Kinderwunschspricht die Autorin alle wichtigen Berei-che an, die sie mit kleinen Geschichten,Anekdoten und Berichten von Menschenmit Down-Syndrom selbst verdeutlicht.

Medizinisches Basiswissen

Teil drei umfasst den Beitrag von Dr.Wolfgang Storm, Kinderarzt in Pader-born, wo er seit vielen Jahren in einerDS-Ambulanz Kinder mit Down-Syn-drom behandelt. Auch er ein Mann ausder Praxis und Vater eines Sohnes mitTrisomie 21. Seine Themen sind diechromosomalen Grundlagen, medizini-sche Besonderheiten, die lebenslangemedizinische Betreuung durch Vorsor-ge- und Routineuntersuchungen. Imp-fungen und Nahrungsergänzung wer-den auch angesprochen.

Rechtliche Grundlagen

Dr. Sabine Wendt ist seit vielen Jahrenim Bereich Recht, Sozialpolitik und Ethikbei der Bundesvereinigung Lebenshilfein Marburg tätig. Sie behandelt im letz-ten Teil des vorliegenden Buches die so-zialen Rechte für Menschen mit Down-Syndrom. Die Themen sind u.a. Behin-dertenausweis, steuerliche Vergünsti-gungen, Eingliederungshilfen, Fragenzur Berufsausbildung, zum Wohnenund zur Pflegeversicherung, zu Renten,Grundsicherung und Betreuungsgesetz.

Ein ausführliches Literaturverzeichnis,

Das Buch ist in vier große Bereiche ge-gliedert. In dem ersten allgemeinen Teilgeht es um die Familiensituation, dieHerausforderungen, denen sich Famili-en nach der Geburt eines Babys mit Down-Syndrom stellen müssen, dieNeuorientierung und die Bewältigungder neuen Situation. Die Bedeutung vonElternselbsthilfegruppen bei diesemVerarbeitungsprozess wird von der Au-torin hervorgehoben.

Das Thema „Pränatale Diagnostik“darf heute in einem Buch über Down-Syndrom nicht fehlen. Etta Wilken stelltdie verschiedenen Verfahren vor, be-schreibt die rechtlichen Grundlagen fürden Schwangerschaftsabbruch bei Tri-somie 21 und geht auf ethische und psy-chische Aspekte ein.

In einem allgemeinen Kapitel überFörderung wird aufgelistet, welche The-rapien Kinder mit Down-Syndrom be-kommen. Die Autorin warnt vor „Nor-malisierungsversprechen“ und „Thera-pietourismus“. Bei der Anwendung vonFörderprogrammen sieht sie eine Ge-fahr – dabei werden häufig Funktionenisoliert eingeübt.

Das neue Down-

Syndrom-Buch von

Etta Wilken können

Sie beim Deutschen

Down-Syndrom

InfoCenter bestellen

Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 63

P U B L I K A T I O N E N

Alltagsfähigkeiten – wie mein Kindlernt, zurechtzukommen Ein Ratgeber für Eltern und Erzieher

Autoren: Bruce Baker, Alan Brightman Verlag: EDITION 21ISBN: 3-925698-22-1Preis: 22,50 Euro

Wie bereits in unserer Mai-Ausga-be angekündigt, soll in diesem

Heft das Buch „Alltagsfähigkeiten“ vonBruce L. Baker, Alan J. Brightman undvielen nicht näher genannten Mitarbei-tern und Eltern, die zahlreiche Vor-schläge, Anregungen und Tipps beige-steuert haben, besprochen werden.

Die nun vorliegende deutsche Aus-gabe stellt eine aktualisierte und über-arbeitete Auflage des im englischen Ori-ginal erschienenen Buches „Steps to In-dependence“ dar.

Seit den 70-er Jahren war ein Teamvon Mitarbeitern damit betraut, eineSerie von Trainings-Handbüchern her-auszugeben, für Eltern von Kindern mit„speziellen Bedürfnissen“. Die Erfah-rungen aus all diesen Büchern wurdengesammelt und lassen das vorliegende

mit Titeln auch besonders für Elternund eine Reihe nützlicher Adressenrunden das Buch ab.

Empfehlenswertes Standardwerk

Etta Wilken konnte auf eine Menge Da-ten zurückgreifen, die sie u.a. bei denvon ihr seit mehr als 20 Jahren durch-geführten Familienseminaren in Zu-sammenhang mit ihrer Lehrtätigkeit ander Universität Hannover oder über die-se Zeitschrift gesammelt hat. Diesesumfangreiche Material und ihre lang-jährige Erfahrung mit Kindern, Jugend-lichen und Erwachsenen mit Down-Syndrom und deren Familien machtenEtta Wilken prädestiniert dafür, diesesBuch zu schreiben, das ein realistischesund praxisnahes Bild der Situation vonMenschen mit Trisomie 21 in Deutsch-land vermittelt.

Dies ist ein Buch, das ich allen El-tern, nicht nur neu betroffenen, wärms-tens empfehle. Und für alle, die beruf-lich mit Menschen mit Down-Syndromzu tun haben, ist es genauso wichtig. Eswird uns in den nächsten Jahren alsStandardwerk begleiten.

Cora Halder

Buch zu einem wahrlich (ge)wichtigenRatgeber werden.

Das Buch ist unterteilt in verschie-dene Abschnitte. Zunächst sollen unsEltern die Grundlagen des Lehrens ver-mittelt werden. Wir sind die Experten,denn nur wir alleine kennen unser Kindwie kein anderer. Und so ist es auch einAnliegen des Buches, nicht unserenUmgang mit unserem Kind grundlegendändern zu wollen, sondern stattdessenunserem Wesen neue Fähigkeiten undneue Sichtweisen im Bezug auf unserKind hinzuzufügen bzw. zu vermitteln,die es zu einem echten Partner für unsmacht.

In Abschnitt 1 geht es im Wesentli-chen darum, sich bewusst zu machen,welche Fähigkeiten man als Eltern sei-nem Kind vermitteln möchte, wie dieeinzelnen Lernschritte, die zum Erfolgführen sollen, festzulegen sind, in wel-cher Form man Ansporn für das Kindschaffen kann, um es zum gewünschtenErfolg zu bringen.

Darüber hinaus wird aber auch dar-auf eingegangen, sich bewusst zu ma-chen, wie wichtig es ist, die Anweisun-gen, die man seinem Kind beim „Leh-ren“ gibt, in die richtige Form zupacken.

Was sich bisher vielleicht rechttrocken und theoretisch anhört, ist in ei-ner gut verständlichen Art und Weisegeschrieben, angereichert mit vielenBeispielen aus der Praxis.

Aufgelockert durch kleine Cartoonsund immer wieder versehen mit Platz

für eigene Notizen und Beobachtungen,lässt sich die Anwendung des Buchesleicht in die Praxis umsetzen. Hat mansich erst einmal durch die Anweisungenzum richtigen Lehren durchgearbeitet,so geht es im nun folgenden Abschnittdarum, unseren Kindern Fähigkeitenauf ganz bestimmten Gebieten näher zubringen. Dies reicht von Fähigkeiten desToilettentrainings über Spielfähigkei-ten, die man Kleinkindern vermittelnmöchte, bis hin zu den häuslichenFähigkeiten. Selbstversorgung und Com-puter-Entdecken runden die Anweisun-gen für die Heranwachsenden ab.

Auch hier sind die Artikel gespicktmit nützlichen Tipps, Tabellen zumBuchführen über getätigte Erfolge, An-schauungsunterricht aus der Alltags-praxis und und und.

Tipps, auch noch für Teenager

Es sei betont, dass es nicht nur umdie Vermittlung von Fähigkeiten beiKleinkindern geht. Nein, ebenso gut lässt sich zum Beispiel dem Kapitel„Selbstversorgung“ bzw. „Unabhängigleben“ viel Nützliches auch für unsereTeenager entnehmen.

Ein weiterer Abschnitt ist dem Um-gang mit Verhaltensauffälligkeiten ge-widmet und der Anwendung eines Pro-gramms zur Bewältigung derselben.

In den umfangreichen Anhängendes Buches – immerhin zirka 160 Seitenstark, wovon man sich aber nicht ab-schrecken lassen sollte – wird Schrittfür Schritt zunächst erklärt, wie mansein Kind dazu bringt, einem überhauptAufmerksamkeit zu schenken. Die Auf-merksamkeitsfähigkeit als das A und O,auf der die Erlernung aller weiterenFähigkeiten aufbaut. Ist diese grundle-gende Aufgabe erst einmal gemeistert,kann man sich Anleitungen für dieFähigkeiten heraussuchen, die man sei-nem Kind gerade näher bringen möch-te.

Ein für mich gelungener Ratgeber,der es auf seine gut verständliche Artschafft, uns Eltern die Förderung vonAlltagsfähigkeiten bei unseren Kindernzu erleichtern. Sind es doch die kleinenDinge, die uns im Umgang mit unserenKindern viel Zeit und oftmals auch Ner-ven kosten. Hier lassen sich für jedes Al-ter entsprechende Tipps und Anregun-gen finden, selbst wenn man – wie ich –eine Tochter im Teenageralter hat.

Claudia Dümmler

64 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

P U B L I K A T I O N E N

Warum Frauen nicht schwach,Schwarze nicht dumm und Behinderte nicht arm dran sind

Autor: Wolfram HennVerlag: Herder SpektrumISBN: 3-451-05479-5Preis: 9,90 Euro

Der Autor dieses Buches mit demlangen Titel ist Wolfram Henn, Pro-

fessor der Humangenetik und Ethik inder Medizin an der Universität des

Mach Musik

Autorin: Ulrike TheilenVerlag: Ernst Reinhardt VerlagISBN: 3-497-01699-3Preis: 24,90 Euro

„Mach-Musik“-Autorin Ulrike Theilenist sowohl Sonderpädagogin als auchRhythmikerin. Somit hat sie sowohl pro-

funde Kenntnisse der Lernwelt vonMenschen mit schweren Behinderun-gen als auch ein solides musikalisch-rhythmisches Know-how.

Entstanden ist das Buch „Mach Mu-sik“ aufgrund sechsjähriger musikali-scher Arbeit in einer Klasse mit siebenKindern mit schweren Beeinträchtigun-gen und Mehrfachschädigungen. Dabeiwurde häufig in Eins-zu-eins-Situatio-nen gearbeitet oder in Kleingruppenvon bis zu vier Kindern.

Zielgruppe des vorliegenden Buchessind Lehrer, Erzieher oder Heilpädago-gen, die in Einrichtungen arbeiten unddiese Arbeit musikalisch prägen und ge-stalten wollen. Das Buch richtet sichNICHT an Eltern von Kindern mit Be-hinderungen.

Vorwiegend geht es darum, wie mitMenschen musiziert werden kann, dieentweder liegen, motorisch unruhigsind, über wenig Sprache verfügen oderemotional noch sehr unsicher sind. DerAutorin ist sehr daran gelegen, einesensible Grundhaltung gegenüberSchwerbehinderten zu vermitteln. Ein

umfangreiches Kapitel ist darum derKommunikation im musikalischen Mit-einander gewidmet. Des Weiteren gehtes um „Sich-Bewegen“ im Musikunter-richt unter erschwerten Bedingungen:zum Beispiel im Wasserbett oder in derHängematte. Natürlich wird auch überMöglichkeiten des Instrumenteneinsat-zes berichtet. Sehr detailliert sind dabeivor allem die Informationen über dieWirkung einzelner Instrumente auf daskörperliche Erleben schwerstbehinder-ter Menschen.

Gegliedert sind alle Kapitel (Musika-lisches Miteinander – Sich Bewegen –Hören-Töne-Grunderfahrungen undLieder) in Hinweise für die Lehrkraftund in einer gesonderten Spalte die „Er-lebnisebene des Schülers“.

Obwohl „Mach Musik“ einen Leitfa-den für Musikunterricht mit Schwerst-behinderten abgibt, ersetzt das Buchauf keinen Fall eigene musikalische Er-fahrungen.

Ohne basale Kenntnisse im Bereich„Musik“ ist das Buch also nicht einsetz-bar.

Martina Zilske

Saarlandes. Für Leser der Down-Syn-drom-E-Mail-Liste ist sein Name ein Be-griff. Er ist der Genetiker auf der Liste,der kompetente, gut verständliche Ant-worten auf komplizierte genetische Fra-gen gibt.

In seinem Buch befasst sich Wolf-ram Henn mit Genen aller Art. Er gehtder Frage nach, ob wir nach der Ent-schlüsselung des menschlichen Erbgutesfür das neue Genomzeitalter ein neuesMenschenbild brauchen. Haben die mo-derne Biologie und die Genetik mora-lisch relevante neue Erkenntnisse überuns selbst gebracht, dass wir den Um-gang miteinander und unser Selbstver-ständnis als Menschen neu gestaltenmüssen?

Um unsere Toleranz gegenüber bio-logischer Verschiedenheit zu überprü-fen, untersucht er, wie wir mit Lebewe-sen anderer Arten, mit anderen Völ-kern, mit dem anderen Geschlecht undmit dem gesundheitlich anderen umge-hen.

In den vier Kapiteln: „Der Mensch –Krone der Schöpfung?“, „Rassen – Lau-nen der Natur?“, „Eva – nur Adams Rip-pe?“ und „Gesundheit – ein Menschen-recht?“, geht er auf diese Fragen ein.

Der Autor zeigt auf, dass wir trotz allder neuen Erkenntnisse die Gene nurschlecht manipulieren können, Geneverhalten sich unberechenbar. Es liegtalso schon in der „Natur der Gene“,dass die Möglichkeiten der Gentechnikbeschränkt sind.

Er macht auch klar, dass wir nichtSklaven unserer Gene sind. Und dass esdas Gen für Intelligenz, für Sportlichkeitoder für Homosexualität nicht gibt. Im-mer spielt das Zusammenwirken meh-rerer Gene und äußerer Einflüsse eineRolle.

Natürlich ist in seinem Buch auch ei-niges zum Thema Down-Syndrom, zurPränatal-Diagnostik und zu Chromoso-men zu lesen und da finden sich danneine Reihe interessanter Bemerkungenund guter Argumente, die wir uns alsEltern eines Kindes mit Down-Syndrommerken sollten. Die können uns manch-mal in einer Diskussion um Lebensqua-lität, Lebensrecht, Menschenwürdenützlich sein.

Das Buch ist vor allem ein Plädoyerfür Toleranz anderen gegenüber. Nie-mand ist genetisch vollkommen und dasist gut so.

Cora Halder

V E R S C H I E D E N E S

Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 65

Es würde mich sehr freuen, wenn Siesich einige aktuelle Bilder Ihres Kin-

des ansehen würden und sich die Zeitnähmen, mir unten stehende Fragen zubeantworten. Ihre Antworten könnenSie selbstverständlich anonym verfas-sen, zumal sie ohnehin ausschließlichanonym Verwendung finden sollen.

Die Fragen beziehen sich der Ein-fachheit halber vom Wortlaut her aufKinder, aber Angaben zu Malverhaltenund Malentwicklung erwachsener Men-schen mit Down-Syndrom sind eben-falls sehr willkommen! Ebenso wie Ant-worten zu Kindern unter zwei Jahren.

Elf Fragen zur Malentwicklung

1. Ist Ihr Kind mit Down-Syndrom einMädchen oder ein Junge?

2. Wie alt ist Ihr Kind zurzeit (Angabenbitte in Jahr und Monat, also z.B. 3,5 für3 Jahre und 5 Monate)?

3. In welchem Alter hat Ihr Kind ersteMalversuche unternommen? (Wenn Siedas nicht mehr genau nachvollziehenkönnen, reicht auch eine ungefähre Al-tersangabe.)

4. Wie oft malt Ihr Kind zurzeit (z.B.täglich/wöchentlich x mal, monatlich xmal)? Müssen Sie Ihr Kind in der Regelzum Malen animieren oder äußert es inder Regel selbst den Wunsch zu malen?

5. Mit welchen Stift- bzw. Farbsortenmalt Ihr Kind zurzeit am liebsten? Ha-ben Sie beobachtet, ob es bestimmteStiftsorten besser handhaben kann alsandere (falls ja, was macht die Handha-

bung bestimmter Stiftsorten für IhrKind eher schwierig bzw. erleichtertihm den Umgang)?

6. Was malt Ihr Kind zurzeit (Themender Bilder), wenn es ohne Themenvor-gabe malt? Gibt es Erklärungen zu denBildern ab bzw. ist für Sie erkennbar,was es gemalt hat?

7. In welcher Phase der Malentwicklungbefindet sich Ihr Kind zurzeit (zur Be-antwortung dieser Frage sende ich Ih-nen gern eine Kurzfassung der Malent-wicklungsphasen per E-Mail (Kontakt-adresse s.u.)? Sie können sich auch ander ausführlichen Beschreibung derMalentwicklungsphasen in Leben mitDown-Syndrom, Nr. 46 Mai-Ausgabe2004, ab Seite 52 orientieren.)

8. Wie beurteilen Sie den Stellenwertdes Malens als Kommunikationsmittelbzw. Medium für Ihr Kind im Vergleichzu anderen Kommunikationsmöglich-keiten wie Lautsprache, lautsprachbe-gleitende Gebärden/GuK oder Ähnli-ches (z.B.: Malen ist in der Regel Selbst-zweck / Malen hat regelmäßig eine er-gänzende Funktion zu anderenKommunikationsformen / Malen ersetztzum Teil andere Kommunikationsfor-men)?

9. Bekommt Ihr Kind eine spezielle För-derung im Bezug auf seine Malentwick-lung, wenn ja, in welcher Form (z.B.durch integrative Malkurse in seinerFreizeit / durch gestütztes Malen /durch Förderung in Kindergarten /Schule / zu Hause oder Ähnliches)?

Studie zur Malentwicklung von Kindern mit Down-SyndromSabine Maurer

In der Mai-Ausgabe von Leben mit Down-Syndrom wurde ein Artikel zur Malentwicklung von Kindern mitDown-Syndrom veröffentlicht. Für die Vertiefung desThemas möchte die Autorin gerne eine Statistik zu Malverhalten und Malentwicklung von Kindern mitDown-Syndrom erstellen. Sie bittet um die Mithilfe unserer Leserinnen und Leser!

10. Würden Sie sich spezielle Malför-derangebote für Ihr Kind wünschen,falls ja, in welcher Form (z.B. integrati-ve Malkurse in Malschulen / spezielleFörderstunden in Kindergarten und /oder Schule usw. / durch Fortbildungs-angebote für Sie selbst, damit Sie IhrKind zu Hause adäquat bei seiner Mal-entwicklung unterstützen können, oderÄhnliches)?

11. Haben Sie sonstige Hinweise, An-merkungen, Tipps oder Ähnliches, dieIhnen im Hinblick auf die Malentwick-lung und das Malverhalten Ihres Kindeswichtig erscheinen?

Für die Zuordnung der Antwortenreicht die Angabe der jeweiligen Num-mer der Frage aus. Sie müssen die Fra-gen nicht extra abschreiben.

Bitte richten Sie Ihre Antworten bisspätestens zum 20. Dezember 2004 un-ter dem Betreff „Malen“ an die E-Mail-Adresse:[email protected] oder an meine Postadresse:Sabine Maurer, Schröderweg 58, 42477 Radevormwald

Im Voraus bedanke ich mich für IhreMithilfe und die aufgewandte Zeit undgrüße Sie recht herzlich!

Sabine Maurer

66 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

V E R A N S T A L T U N G E N

Europäische DS-Kongresse

In den kommenden Monaten findenwieder einige interessante Down-Syn-drom-Kongresse in Europa statt. Wirgeben hier schon mal die Terminedurch. Weitere Informationen zu An-meldung und Programm waren zur Zeitdes Drucktermins der Zeitschrift nochnicht bekannt. Interessenten könnensich ab Mitte Oktober im InfoCenter da-nach erkundigen.

4. European EDSA CongressGenua, Italien2. – 3. Dezember 2004Organisator: CEPIM – Centro PersoneDown

6. International Symposium onDown-Syndrome SpecificityPalma de Mallorca 25. – 27. Februar 2005Organisator: EDSA und ASNIMO (DS-Verein der Balearen). Dieser Kongressfindet statt in der Universität der Balea-rischen Inseln (UIB) und wird u.a. fi-nanziell unterstützt durch das spanischeGesundheitsministerium und das Mini-sterium für Bildung und Kultur. Die Lei-tung hat Prof. Juan Perera.

Auf dem Programm steht eine Reihehoch qualifizierter Down-Syndrom-Spe-zialisten aus den USA sowie aus Europa,wie u.a. Lynn Nadel, Robert Hodapp,David Patterson, Donna Spiker, Krysty-

GuK-Seminar

Referentin: Prof. Etta WilkenTermin: 9. Okt. 2004, 9.00 bis 16.00 UhrOrt: Blindeninstitutsstiftung,

Rückersdorf (bei Nürnberg)Zielgruppe: Eltern und Fachleute

(Logopäden, Personal von Frühförder-stellen, Kindergärten und Schulen)

Seit vier Jahren ist das GuK-Material aufdem Markt. Inzwischen wird die Metho-de – über Gebärden zum gesprochenenWort zu kommen – von einigen tausendFamilien und Fachleuten in Deutsch-land, Österreich und der Schweiz sehrerfolgreich eingesetzt.

Und nicht nur Kinder mit Down-Syn-drom lernen heute Gebärden mit denGuK-Karten. Bei vielen anderen Kin-dern, die aus welchem Grund auch im-mer Schwierigkeiten beim Spracher-werb haben, kann diese Methode einge-setzt werden.

Die Fortbildung besteht aus einertheoretischen Einführung in die Gebär-den-unterstützte Kommunikation undaus praktischen Übungen und Anregun-gen im Umgang mit GuK. Frau Wilkenkonnte in den letzten Jahren viele Er-fahrungen über den Einsatz von GuKsammeln und würde diese gerne wei-tergeben. Es besteht genug Gelegenheit,Fragen zu stellen.

Da die Plätze begrenzt sind und er-fahrungsgemäß die GuK-Fortbildungenimmer auf sehr viel Interesse stoßen, istes ratsam, sich so schnell wie möglichanzumelden.

Anmeldung nur telefonischWir bitten um telefonische Anmeldungbeim Deutschen Down-Syndrom Info-Center in Lauf, Tel.: 09123/98 21 21.

Sie hören dann, ob noch Plätze frei sind.Bei einer Zusage muss die Kursgebührsofort auf das Konto des DS-InfoCentersüberwiesen werden.Die Kursgebühr beträgt Euro 25,– Bankverbindung: Sparkasse Erlangen Begünstigter: SHG Down-Syndrom BLZ 763 500 00Kontonummer 50 006 425Verwendungszweck: GuK-Seminar

Hinweis!

Für alle, die gerne

mal einen DS-

Weltkongress

erleben und das

vielleicht mit einer

Kanadareise kom-

binieren möchten:

Im Sommer 2006

findet der 9. Welt-

kongress in Van-

couver statt!

na Wisniewski, Alberto Rasore-Quartinound Jean Rondal. Nach dem Kongresswird bei Colin Whurr in London einFachbuch mit allen Beiträgen erschei-nen.

Happy Dancers im Fernsehen!

Nicht vergessen: Am 17. Dezember2004 wird in der Sternstunden- Galashow nicht nur das ProjektHappy Dancers vorgestellt, sondernsind unsere tollen Tänzer und Tän-zerinnen auch live mit einem Tanzaus der Musical „Grease“ dabei.

Vorankündigung:Deutsche DS-Fachtagung 2005Das Down-Syndrom-Netzwerk Deutsch-land e.V. organisiert im nächsten Jahrwieder die Down-Syndrom-Fachtagung,wie schon in den Jahren zuvor (Bochum1999 und Potsdam 2002). Mitveranstal-ter ist die Universität Augsburg.

Termin: 7. – 9. Oktober 2005Ort: Augsburg

Mehr Informationen in den nächstenAusgaben von Leben mit Down-Syn-drom oder direkt über das DS-Netz-werk.

A K T U E L L E S

Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004 67

Folgende Informationsmaterialien sind beim DeutschenDown-Syndrom InfoCenter erhältlich:

Euro

Broschüre „Down-Syndrom. Was bedeutet das?“ 7,--

Neue Perspektiven für Menschen mit Down-Syndrom 20,--

Videofilm „So wie Du bist“, 35 Min. 20,--

Albin Jonathan – unser Bruder mit Down-Syndrom 17,--

Medizinische Aspekte bei Down-Syndrom 3,--

Das Baby mit Down-Syndrom 5,--

Das Kind mit Down-Syndrom im Regelkindergarten 3,--

Das Kind mit Down-Syndrom in der Regelschule 5,--

Total normal! – es ist normal, verschieden zu sein 5,--

Herzfehler bei Kindern mit Down-Syndrom 5,--

Das Stillen eines Babys mit Down-Syndrom 3,50

Sonderheft „Diagnose Down-Syndrom, was nun?“ 12,--

Erstinformationsmappe 25,--

GuK – Gebärdenkartensammlung (incl. Porto) 43,--

GuK 2 – Gebärdenkartensammlung (incl. Porto) 47,--

Kleine Schritte Frühförderprogramm (incl. Porto) 59,--

Poster „Down-Syndrom hat viele Gesichter“ A3 2,--

10 Postkarten „Glück gehabt“ 5,--

10 Postkarten „Tumur und Stephan“ 5,--

Posterserie „Down-Syndrom – Na und?“ Format A1, A2, A3 12,-- 7,-- 5,--

Down-Syndrom, Fragen und Antworten pro 10 Stück 0,50

Zeitschrift Leben mit Down-Syndrom, ältere Ausgaben 5,--

+ Porto nach Gewicht und Bestimmungsland

Bestellungen bitte schriftlich an:Deutsches Down-Syndrom InfoCenterHammerhöhe 391207 Lauf / PegnitzTel. 0 91 23 / 98 21 21Fax 0 91 23 / 98 21 22

Sie können noch eine Reihe weiterer Informationsmaterialien und Fach-bücher beim Deutschen Down-Syndrom InfoCenter bestellen. Bitte fordernSie unsere Bestellliste an.

Wer Artikel zu wichtigen und interessanten Themen beitragen kann, wird von der

Redaktion dazu ermutigt, diese einzuschicken.

Garantie zur Veröffentlichung kann nicht gegeben werden. Einsendeschluss für die

nächsten Ausgaben von Leben mit Down-Syndrom: 30. Oktober 2004, 29. Februar 2005.

Impressum

Herausgeber:Selbsthilfegruppe für Menschen mit Down-Syndrom und ihre Freunde e.V.Erlangen

Redaktion:Deutsches Down-Syndrom InfoCenterHammerhöhe 391207 Lauf / PegnitzTel.: 0 91 23 / 98 21 21Fax: 0 91 23 / 98 21 22E-Mail: [email protected]

Wissenschaftlicher Redaktionsrat:Ines Boban, Dr. Wolfgang Storm, Prof. Etta Wilken

Repros und Druck:Fahner Druck GmbHNürnberger Straße 1991207 Lauf an der Pegnitz

Erscheinungsweise:Dreimal jährlich, zum 30. Januar, 30. Mai und 30. SeptemberDie Zeitschrift ist gegen eine Spende beider Selbsthilfegruppe erhältlich.

Bestelladresse:Deutsches Down-Syndrom InfoCenterTel.: 0 91 23 / 98 21 21 Fax: 0 91 23 / 98 21 22

Die Beiträge sind urheberrechtlich ge-schützt. Alle Rechte vorbehalten. Nach-druck oder Übernahme von Texten für Internetseiten nur nach Einholung schrift-licher Genehmigung der Redaktion. Mei-nungen, die in Artikeln und Zuschriftengeäußert werden, stimmen nicht immermit der Meinung der Redaktion überein.

Die Redaktion behält sich vor, Leser-briefe gekürzt zu veröffentlichen undManuskripte redaktionell zu bearbeiten.

ISSN 1430 - 0427

VorschauFür die nächste Ausgabe (Januar 2005) von Leben mit Down-Syndrom sind geplant:

… Berichte vom 8. Down-Syndrom-Weltkongress in Singapur

… Psychotherapeutische Gruppen für Kinder und Jugendliche

… Alternative Medizin

… „Job-Coaching“ – Wie funktioniert das?

68 Leben mit Down-Syndrom Nr. 47, Sept. 2004

Ja, ich möchte Ihre Arbeit mit einer Spende von .......... Euro unterstützen:

Name (Blockschrift) ……………………………………………………………………………………………….....................…………Unser Kind mit DS ist am ...............………...........…….. geboren und heißt ……………………………..…….........……….Straße ………………………………………………………………………………………………………………............................... PLZ/Ort/(Staat) ………………………………………………………………… Tel./Fax ……………………............….................

‘ Bei einer Spende ab EURO 25,– erhalten Sie regelmäßig unsere Zeitschrift

InlandIch bin damit einverstanden, dass meine Spende jährlich von meinem Konto abgebucht wird.

(Diese Abbuchungsermächtigung können Sie jederzeit schriftlich widerrufen.)

Konto Nr. ……………………………………………….. BLZ ……………………………………..............………...........Bankverbindung ………………………………………………Konto-Inhaber ………………………………............................

Meine Spende überweise ich jährlich selbst: Konto der Selbsthilfegruppe Nr. 50-006 425, BLZ 763 500 00

bei der Sparkasse Erlangen. Unter Verwendungszweck „Spende” Ihren Namen und Ihre Anschrift eintragen.

Ausland (Spende ab Euro 30,–)Postanweisung oder Überweisung auf das Konto der Selbsthilfegruppe Nr. 50-006 425, BLZ 763 500 00

bei der Sparkasse Erlangen. Unter Verwendungszweck „Spende” Ihren Namen und Ihre Anschrift eintragen

Datum ……………………………… Unterschrift ……………………………………………………..................................…....

Ihre Spende ist selbstverständlich abzugsfähig. Die Selbsthilfegruppe ist als steuerbefreite Körperschaft nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschafts-

steuergesetzes beim FA Nürnberg anerkannt. Bei Spenden über Euro 50,– erhalten Sie automatisch eine Spendenbescheinigung.

Bitte ausgefülltes Formular auch bei Überweisung/Scheck unbedingt zurückschicken an: Deutsches Down-Syndrom InfoCenter, Hammerhöhe 3, 91207 Lauf (Tel. 09123/98 21 21, Fax 09123/98 21 22)

Dreimal jährlich erscheint die Zeitschrift Leben mit Down-Syndrom,in der auf ca. 70 Seiten Informationen über das Down-Syndromweitergegeben werden.

Die Themen umfassen Förderungsmöglichkeiten, Sprachentwick-lung, medizinische Probleme, Integration, Ethik u.a. Wir geben die neuesten Erkenntnisse aus der Down-Syndrom-Forschung aus dem In- und Ausland wieder. Außerdem werden neue Büchervorgestellt, gute Spielsachen oder Kinderbücher besprochen sowie über Kongresse und Tagungen informiert. Vervollständigt wirddiese informative Zeitschrift durch Erfahrungsberichte von Eltern.

Ihre Spende ist selbstverständlich abzugsfähig. Die Selbsthilfe-gruppe ist als steuerbefreite Körperschaft nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftssteuergesetzes beim FA Nürnberg anerkannt.

www.ds-infocenter.ded e u t s c h e s

i n f o c e n t e rdown-syndrom

Die Happy Dancers begeistern ihr Publikum mit einemneuen Stück: Das Tanzmärchen „Die Schmetterlingswerkstatt“hatte im Juli 2004 Premiere.

aedsEUROPEAN

DOWN SYNDROMEASSOCIATION