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Leben mit Deutsche Down-Syndrom-Wochen 2005 mit großer Posterkampagne Psychotherapeutische Gruppen Spielen und Belohnen als Mittel der Förderung – Erkenntnisse der Hirnforschung Fördern durch Musik Nr. 50 / Sept. 2005 ISSN 1430-0427 50. Ausgabe

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Leben mit

www.ds-infocenter.de

Deutsche Down-Syndrom-Wochen 2005mit großer Posterkampagne

Psychotherapeutische Gruppen

Spielen und Belohnen als Mittel der Förderung– Erkenntnisse der Hirnforschung

Fördern durch Musik

Nr. 50 / Sept. 2005ISSN 1430-0427

d e u t s c h e s

i n f o c e n t e rdown-syndrom

Ein Beispiel aus der Posterserie,die speziell für die Aktionswochen imOktober 2005 vom Deutschen Down-Syndrom InfoCenter entwickelt wurde.Prominente Künstler und Sportler werbenfür einen vorurteilsfreien Umgang mitMenschen mit Down-Syndrom.Hier die Schauspielerin Ulrike Folkertsmit Ella Zoch.

aedsEUROPEAN

DOWN SYNDROMEASSOCIATION

50.Ausgabe

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E D I T O R I A L

Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005 1

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

das Editorial zur fünfzigsten Ausgabe vonLeben mit Down-Syndrom zu schreiben, istetwas Besonderes und bietet die Gelegenheit,zurück und auch voraus zu schauen. Ich habedazu die Mitglieder unseres wissenschaftlichenBeirats um ihre Meinung zu der Situation vonMenschen mit Down-Syndrom in Deutschland

gebeten. So schildern sie – jeweils aus ihrer beruflichenPerspektive – was für Menschen mit Down-Syndrom in den letztenJahren besser geworden ist, welche Visionen sie für die Zukunfthaben, aber auch was ihnen Sorgen bereitet. Die Bedeutung derZeitschrift Leben mit Down-Syndrom bei diesen Entwicklungenwird von ihnen ebenfalls angesprochen.

Seit Monaten beschäftigen wir uns im InfoCenter mit der Poster-kampagne – ein enorm aufwändiges Projekt. Es hat uns viel Zeit,Energie und Geld gekostet. Aber nun sind wir alle sehr stolz aufdas Ergebnis. Prominente für eine Plakatkampagne zu gewinnenist nicht einfach, sie dann tatsächlich auch noch aufs Bild zubekommen, ist noch einmal um ein Vielfaches schwieriger. Leiderhat es aus terminlichen Gründen nicht bei allen geklappt. DieKontakte sind aber da und können vielleicht für eine nächsteAktion genutzt werden. Natürlich hat das alles auch viel Spaßgemacht. Das Projekt war für alle Beteiligten eine äußerst positiveund bereichernde Erfahrung.

Wir hoffen, dass die Kampagne etwas bewegt, dass sie Menschenzum Nachdenken anregt und dass es uns gelingt, mit Hilfe„unserer Promis“ Vorurteile und Ängste ein Stück weit abzubauen.

Weiter geht es in diesem Heft um Gruppenarbeit mit Kindern undJugendlichen, bei der die Frage nach der eigenen Identität imMittelpunkt steht. Was die raschen Fortschritte der genetischenDiagnostik für (werdende) Eltern von Kinder mit Behinderungbedeuten, zeigt uns eine Studie der Würzburger Universität: „DerJanuskopf der Diagnostik“. Und wie man Kinder gezielt überBrettspiele oder über Musik fördert, ist ebenfalls wissenswert.

Übrigens – da die Arbeit an Leben mit Down-Syndrom zu meinenliebsten Hobbys zählt, habe ich vorläufig noch nicht vor, sieaufzugeben, und freue mich, mit Ihnen als Leser, auf viele weitereAusgaben.

Herzlich Ihre

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I N H A L T

2 Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005

AktuellesNeue Auflage der Sonderausgabe ........................................................................4

PosterkampagneDeutsche Down-Syndrom-Wochen 2005 mit großer Posterkampagne..................5Dürfen „die appels“ auch auf das Bild? ................................................................7... und die rote Nase pudern wir einfach weg! ......................................................8Wo die großen Elefanten ....................................................................................11Da muss man ja auch noch den Affen machen! ................................................12Ein, zwei, drei ...Tor! ..........................................................................................14

Wissenschaftlicher BeiratProf. Dr. med. Wolfram Henn ............................................................................16Frau Ines Boban ................................................................................................17Prof. Dr. Etta Wilken ..........................................................................................19Dr. med. Wolfgang Storm ..................................................................................20

PsychologiePsychotherapeutische-Gruppen für Kinder und Jugendliche mit Down-Syndrom ........................................................................22Die Coole Hühnersisterbande ............................................................................27Der Januskopf der Diagnostik: Eltern von Kindern mit Behinderungin Spannungsfeld zwischen Unsicherheit und Ausgrenzung ..............................30

MedizinBrustkrebs ........................................................................................................38

FörderungSpielen und Belohnen als Mittel der Förderung – Erkenntnisse der Hirnforschung ............................................................................................40Entwicklung fördern – neue Publikation ............................................................47Gezielt fördern mit Musik ..................................................................................48Kann unser Kind mit Down-Syndrom zwei Sprachen lernen? ............................53

FamilieOrientierung für Familien – neue Publikation von EDSA ....................................54

AuslandChina: Pearl, unser Chinesenmädchen, ist tot ....................................................59England: Projekt 365 ........................................................................................60 Rumänien: Ein Spiel für Rumänien ....................................................................61

Titelbild: Sara van Kethel (15), nach

einem Styling für die niederländische

Zeitschrift „Strictly“. (Foto: Ed Lonnee)

Foto Rückseite: Posterkampagne 2005

(Foto: Darius Ramazani)

Beim dritten Deutschen Down-

Sportlerfestival in Frankfurt am

4. Juni 2005 ging es fröhlich zu:

Lachende Kinder, über 300 gut

gelaunte Sportler und rund

1500 begeisterte Zuschauer

sorgten für eine einzigartige

Atmosphäre.

Wer noch nie die Möglichkeit

hatte, dabei zu sein, sollte sich

am 24. September auf den Weg

nach Magdeburg machen. Da

findet das nächste Sportlerfest

statt!

(Mehr Informationen dazu auf

Seite 69)

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I N H A L T

Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005 3

RechtUnfallversicherung..............................................................................................63

PublikationenSexualität und Beziehungen bei Menschen mit einer geistigen Behinderung......64Menschen mit geistiger Behinderung – Ein Lehrbuch zur Erziehung und Bildung ......................................................................................................64Mundtherapie bei Morbus Down .......................................................................65

ErfahrungsberichtWillkommen in Holland ....................................................................................66

Veranstaltungen3. Deutsches Down-Sportlerfestival ....................................................................69Symposien, Seminare, Kongresse ......................................................................70

Bestellungen / Vorschau / Impressum ............................................................71

Fünfzig Mal Leben mit Down-Syndrom

Besonders schönMeine Lieblingsgeschichte stand in Leben

mit Down-Syndrom Nr. 29, Januar 1998

und war die über Klaus Wimmer, einen

Mann mit Down-Syndrom, der 1926 ge-

boren wurde. Klaus wurde gefördert, er

lernte lesen und schreiben, spielte Geige

und Klavier und lernte sogar Englisch. Er

war an seinem Wohnort völlig integriert.

Klaus Wimmer führte nicht nur ein Leben

ohne gesundheitliche Probleme, sein

Leben war auch reich an Kontakten und

Erlebnissen, reich an Arbeit und Kultur.

Bei einem Eisenbahnunfall 1975 kam er

ums Leben.

Seine langjährige Erzieherin Elfriede Göp-

fert hat Klaus’ Lebensgeschichte aufge-

schrieben, in ihrem Nachlass fanden sich

diese Blätter, die dann auf ungewöhnliche

Weise zu uns gelangten.

Besonders hilfreichGefreut haben mich die vielen Reaktionen

auf den Artikel „Down-Syndrom und autis-

tische Störungen“ im Heft 34, Mai 2000

(ein Bericht von George T. Capone). Bis

dahin wurde dieses Thema in der deutsch-

sprachigen Literatur nicht erwähnt. Vielen

Eltern wurde plötzlich klar: Das ist das

Problem meines Kindes! Es ist nicht ein

extrem langsames Kind mit

Down-Syndrom, es liegt auch nicht daran,

dass wir es nicht genug fördern, es hat

eine zusätzliche Behinderung! „Endlich

haben wir eine Diagnose und können nun

entsprechend handeln. Für so manche

Familien ein sehr hilfreicher Artikel.

Mittlerweile ist einiges über die Doppel-

diagnose Down-Syndrom und Autismus

geschrieben und gibt es dazu jetzt in der

Schweiz auch eine erste Studie.

Besonders ehrenvollEine besondere Ehre war es für mich, den

„Honour & Pride Award“ auf dem 8.

Welt-Down-Syndrom-Kongress (April

2004 in Singapur) in Empfang nehmen zu

dürfen.

Dieser Preis wurde dem Deutschen Down-

Syndrom InfoCenter für seine besonderen

Leistungen im Bereich der Elternarbeit ver-

liehen. Es wurden vor allem die guten In-

formationsbroschüren und speziell die

Zeitschrift Leben mit Down-Syndrom her-

vorgehoben.

Cora Halder

Fünfzig Mal Leben mit Down-Syn-drom – eine Fülle an Informationenfür die Leser, eine Fülle an Erlebnis-sen für mich, die ich all diese Num-mern zusammengestellt habe. Es gabviele schöne, lustige, interessante, po-sitive, wichtige und zukunftsweisendeArtikel. Manchmal musste ich aberauch traurige, negative und schwieri-ge Geschichten aufnehmen. Jederwird seine eigenen Favoriten haben.An die folgenden drei erinnere ichmich gerne, sie gehören für mich zuden „Highlights“ in Leben mit Down-Syndrom.

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A K T U E L L E S

4 Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005

Nachrichten aus demDeutschen Down-SyndromInfoCenter

d e u t s c h e s

i n f o c e n t e rdown-syndrom

Neue Auflage der Sonderausgabe

Im Juni ist die fünfte Ausgabe der Son-derausgabe Diagnose Down-Syndrom,

was nun? herausgekommen, seit vielenJahren eine unserer beliebtesten Publi-kationen.

Es fällt jedes Mal schwer, zu ent-scheiden, welche Artikel durch neue er-setzt werden sollen. Am liebsten wür-den wir einfach neue Themen hinzufü-gen, ohne dafür andere zu entfernen.Aber da macht die Druckerei nicht mit.Bei hundert Seiten muss Schluss sein,sonst kann das Heft nicht mehr geklam-mert werden.

Neu dazu gekommen sind einige Bei-spiele von Geburtsanzeigen sowie einArtikel zu Adipositas. Auch eine aktuel-le Studie über Geschwister von Kindernmit Down-Syndrom schien uns für neubetroffene Familien interessant.

In der Sonderausgabe können dieThemen nur kurz angesprochen wer-den, sie sollen erste Anhaltspunkte bie-ten. Mit Diagnose Down-Syndrom, wasnun? möchten wir allen, die am Anfangdes gemeinsamen Lebensweges mit ei-nem Kind mit Down-Syndrom stehen,Mut machen. Wir möchten zeigen, dasses viele Hilfen gibt und dass neu betrof-fene Familien nicht alleine dastehen.Weitere Unterstützung finden Elterndann bei ihren Ärzten und Therapeutensowie über Selbsthilfegruppen oder an-dere Eltern.

Natürlich enthält das Heft auch eini-ge Erfahrungsberichte. Manchmal ist es

interessant zu lesen, wie ein Kind, vondem die Zeitschrift schon früher berich-tete, sich weiter entwickelt hat. Deshalbverfolgen wir hier auch die sportlicheLaufbahn von Mike und sehen Andreaund David mal als Kleinkinder in ihrerFrühförderzeit, mal als junge Erwach-sene im Europäischen Parlament. Aberes ist auch die Rede von Frank, dessenGeschichte ganz anders verlief und unsdennoch so viel lehrt über Lebensfreudeund Lebenswert.

Insgesamt ist dies wieder ein Heftvoller aktueller Informationen, das je-der, der sich zum ersten Mal mit demThema Down-Syndrom auseinandersetzen muss, lesen sollte. Deshalb liegtein Exemplar der Sonderausgabe auchder Erstinformationsmappe bei.

Zweitausend Exemplare dieser Son-derausgabe haben wir innerhalb vondrei Jahren verschickt. Die meisten Hef-te gingen an Familien, in denen geradeein Kind mit Down-Syndrom geborenwurde. Das bedeutet, dass wir, ausge-hend von 1000 Babys mit Down-Syn-drom jährlich, immerhin 60 Prozentdieser neu betroffenen Familien errei-chen. Das ist erfreulich, aber es mussnoch besser werden. Alle Eltern sollengute, aktuelle Informationen möglichstschnell nach der Geburt ihres Babys be-kommen. Dies ist eine wichtige Voraus-setzung für einen guten Start in das Le-ben mit diesem besonderen Baby.

Neue PraktikantinWir freuen uns über unsere

neue Praktikantin Justine, die

im Deutschen Down-Syndrom

InfoCenter ein Berufsprakti-

kum macht.

Außer Büroarbeiten und Mit-

hilfe im Versand darf Justine

auch mal auf ein Baby aufpas-

sen. Hier zusammen mit Levin

Lunze, das Baby, das auf der

Titelseite der Sonderausgabe

zu sehen ist.

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P O S T E R K A M P A G N E

Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept 2005 5

Deutsche Down-Syndrom-Wochen 2005mit großer PosterkampagnePromis machen sich stark für Menschen mit Down-Syndrom!

Seit einem Jahr laufen die Vorberei-tungen zu unserer diesjährigen Kam-

pagne für die Deutschen Down-Syn-drom-Wochen. Leser dieser Zeitschriftwissen, dass wir schon im Herbst 2004Postkarten mit dem Motiv von Armaniund einem kleinen Mädchen mit Down-Syndrom gezielt an prominente Künst-ler und Sportler verschickten, mit derBitte, sich auf ähnliche Weise wie Ar-mani zu engagieren. Und einige dieserPromis sagten zu.

Danach suchten wir unter zehngroßen Agenturen nach einer, die unsbei diesem Projekt unterstützen und un-sere Promi/Posterkampagne als ProBo-no-Projekt betreuen wollte. Mit derAgentur bbdo in Düsseldorf wurden erste Gespräche geführt und ein Kon-zept entwickelt. Leider stagnierte dasProjekt und wir mussten uns im Aprilnach einem neuen Partner umschauen.Das war nicht einfach, vier Monate wa-ren bereits vorbei und wir standen nochimmer ganz am Anfang. Wir hatten vorallem Angst, dass unsere Promis ab-springen würden.

Die Agentur und das Konzept

Die Münchner Agentur Heye & Partner(u.a. bekannt durch die Werbung fürMcDonald’s) war bereit, uns zu helfen.Ein Superteam nahm sich unseres An-liegens an, entwickelte ein tolles Kon-zept für eine Print-Kampagne, die sichan die breite Masse richten und sich mitden allgemein herrschenden Vorurtei-len auseinander setzen soll. Mit viel Hu-mor und sehr spielerisch sollte die Ideeumgesetzt werden. Die Grundhaltungder Kampagne ist selbstbewusst. Siezeigt keine Spur von Rechtfertigung undsoll zum Nachdenken anregen.

Fotoshooting

Als der komplizierteste Teil der Kampa-gne stellte sich das Finden von passen-den Terminen für das Fotoshooting her-aus. Unzählige Male wurden die Termi-ne verschoben, weil entweder der Pro-mi oder der Fotograf keine Zeit hatte.

Genau dies hat uns viele schlafloseNächte gekostet und wir zweifeltenmanchmal daran, ob überhaupt je et-was zustande kommen würde. Auchkonnten die Promis (außer Ulrike Fol-kerts) nicht nach Berlin ins Fotostudiovon Darius Ramazani, unserem Foto-grafen, kommen, was bedeutete, dasser reisen musste. Der Zeitaufwand fürihn war enorm. Außerdem musstendann an den verschiedensten Orten„Locations“ gesucht werden, mal warendas angemietete Fotostudios, aber einMal landeten wir sogar in einem verfal-lenen Munitionslager auf einem Militär-gelände irgendwo an der polnischenGrenze.

Die Printkampagne

Gedruckt werden Plakate im Format A1,A2 und A3, vierfarbig (geplant war ur-sprünglich schwarzweiß). Alle Plakatewurden sowohl im Hoch- wie im Quer-format angelegt, das war notwendig,weil in manchen Bussen oder Straßen-bahnen nur die querformatigen Plakateangebracht werden konnten. Undnatürlich gibt es auch Postkarten. Spe-zielle Anfertigungen gibt es für Ham-burg (A4) und die Memminger Gruppeschaffte es sogar, einige Großplakate ge-sponsert zu bekommen, die von einerDruckerei vor Ort speziell für sie ge-druckt werden (wir sind ganz neidisch!)

Für die Druckkosten der ganzenKampagne kommt das Deutsche Down-Syndrom InfoCenter auf.

Verbreitung

Plakate nützen nur etwas, wenn sie ge-sehen werden, von möglichst vielenMenschen. Deshalb fingen wir schon imApril an, Werbeflächen für den MonatOktober anzumieten. Das war zu einemZeitpunkt, als wir noch keine Ahnunghatten, wie das Ganze eigentlich ausse-hen würde, ja ob es überhaupt mal Pla-kate geben würde! „Think positiv“ wur-de unser Motto.

Wir buchten Werbeflächen in ver-schiedenen ICE- und IC-Zügen und

-Bahnhöfen, auf den U-Bahnhöfen inBerlin, Köln, Frankfurt, Essen, Mün-chen und Ulm und weitere 435 Werbe-flächen auf S-Bahnhöfen bundesweit.

Außerdem bestücken wir das S-Bahnnetz und die U-Bahnen in Nürn-berg und Umgebung, plus die dazu-gehörigen Bahnhöfe. In Lauf konntenwir noch drei Großflächen anmieten,auf denen jeweils neun A1-Poster imSchachbrettmuster angebracht werden.

Die Agentur bemühte sich um Frei-anzeigen in den verschiedensten Zeit-schriften. Sie bekam auch eine ReiheZusagen. Wir sind gespannt, wotatsächlich die Motive als Anzeige auf-tauchen. Eine Zusage in so einem Fall istkeine Garantie, dass das Motiv tatsäch-lich abgedruckt wird, sondern es dientlediglich als Lückenbüßer!

Mit 10 Euro sindSie dabei!

Jeder kann Poster in seinem eige-nen Wohnort verbreiten (Rat-

haus, Bank, Supermarkt, Apotheke,Bibliothek, Krankenhaus, Arztpra-xen, Schulen etc.)

Wenn alle unsere 5000 Leser nureine einzige Serie bestellen und die-se Poster irgendwo aufhängen wür-den, dann wären das schon 30.000Plakate!

Vorurteile über das Down-Syn-drom in den Köpfen der Menschenabzubauen – ist doch unser aller An-liegen und kommt allen unserenKindern zugute!

Wir haben reichlich gedruckt,bestellen Sie mit beiliegendem For-mular, telefonisch, per Fax oder on-line (www.ds-infocenter.de). Die Poster werden Ihnen umgehend zu-geschickt.

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6 Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005 7

Dürfen „die appels“ auch auf das Bild?Fotoshooting mit Felicitas und Tassilo Woll

Endlich das erste Fotoshooting! Fasthatten wir den Mut schon aufgege-

ben, entweder waren die Promis nichtgreifbar oder konnte der Fotograf nicht.Aber Mitte Juni gab es gleich zwei Foto-termine innerhalb einer Woche.

Das erste Fotoshooting für unsereKampagne war das mit Felicitas undTassilo Woll. Wir hatten uns sehr ge-freut, als sich Felicitas meldete undspontan erklärte, sie würde gern bei un-serer Posteraktion mitmachen – natür-lich am liebsten zusammen mit ihremkleinen Bruder Tassilo. Perfekt, fandenwir.

Irgendwo außerhalb Kassel, wo dieFamilie Woll ziemlich abgelegen aufdem Land wohnt, trafen wir uns, der Fo-tograf Darius Ramazani und seine Assis-tentin, eine Visagistin und eine Stylistin.Auch Olivier Diehr, einer unserer Krea-tiven von Heye, war bei diesem erstenShooting mit dabei, gab es doch wichti-ge Dinge mit dem Fotografen zu bespre-chen. Und weil wir alle schon am Vor-abend dort waren, konnten wir unsauch über Down-Syndrom unterhalten.Ich freute mich über das Interesse deranderen. Auch die Tatsache, dass sie al-le diesen Job kostenlos machten, zeigte,dass ihnen am Thema etwas lag.

Bevor am nächsten Morgen mit demeigentlichen Shooting angefangen wer-den konnte, musste eine Reihe Vorbe-reitungen getroffen werden. Eine Wandaus weißem Papier wurde aufgebaut,Lampen hingestellt und aufgehängt, dieVisagistin baute ihren Schminktisch auf,die Stylistin brauchte ein ganzes Zim-mer für die Klamotten und stellte immerneue Kleiderkombinationen zusammen.Felicitas musste mal dies, mal das an-ziehen, wurde geschminkt und frisiertund das alles bei der Hitze – fast 30 Gradwar es an dem Tag heiß. Graciella, eineSchwester von Felicitas und Tassilo, ver-sorgte uns alle mit Essen und Trinken.

Ja, und dann war da Tassilo, derwährend dieser ganzen Zeit bei Launegehalten werden musste, z.B. mit Hilfeseiner beiden Lieblingskasperles, die erliebevoll „appels“ nennt, oder mit einer

Mundharmonika oder mit einer ganzspeziellen Musikkassette ...

Alle diese Utensilien brauchte erauch beim Fotoshooting, denn ihmkonnte man natürlich nicht sagen:„Setzt dich mal hin, kuck mal in die Ka-mera, bisschen links, rechts ...“ Dasfunktionierte so nicht. Felicitas musstesich allerlei Tricks einfallen lassen, umTassilo bei der Stange zu halten. UndDarius musste sehr geduldig sein undflexibel mit seiner Kamera. Da musstenPausen eingelegt werden, gerade alsman dachte, jetzt, jetzt haben wir esgleich. Denn dann fiel Tassilo ein, erkönne doch mal aus dem Raum gehen,die Tür hinter sich zumachen, dann wie-der anklopfen, auf ein „Herein“ wartenund wieder hineinkommen, nicht alsTassilo, sondern als Opa, „ich Opa!“. Esdauerte dann eine Weile, bis sich derOpa davon überzeugen ließ, dass er jetztwieder Tassilo sei.

Als ihm aufgefallen war, wie mansich in die Papierwand hineinfallen las-sen konnte, mit der Folge, dass dieWand dann ein schönes Loch hatte, warer kaum mehr zu halten ...

Aber am Schluss war es geschafftund alle waren zufrieden. Und wennman jetzt das schöne Poster sieht, weißich, das stimmt so: Ein kleiner Brudermit Down-Syndrom ist manchmal echtdie Hölle, aber ... meistens ist er zumKnuddeln!

Ich hatte viel Zeit, mich mit den El-tern von Felicitas und Tassilo zu unter-halten, waren wir beim Shooting eherStörfaktoren und durften uns nicht ein-mischen.

Der Familie Woll danke ich für ihreGastfreundlichkeit und ihre unkompli-zierte, selbstverständliche Art, uns beider Posteraktion zu unterstützen.

Vor allem natürlich Dank an Felici-tas und Tassilo. Ihr wart Spitze!

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8 Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005

Als nach vielem Hin und Her, diver-sen Vorschlägen und Absagen die-

ser Termin endlich feststeht, be-schließen Albin und ich, schon am Vor-tag von Ingolstadt aufzubrechen. Mit ei-ner Übernachtung im Sauerland wollenwir die Anreise aufteilen. Am nächstenMorgen fahren wir von Meschede nachKöln, unterwegs erkläre ich Albin dieFachwerkhäuser, die zahlreich unserenWeg säumen. Es wird ein heißer Tag,aber die Klimaanlage sorgt für eine an-genehme Temperatur im Innenraum,allerdings ist Albins Nase wohl dagegen.Bis ich es so richtig merke, ist seine Na-se schon rot und seine Augen vom vie-len Dranrumreiben auch. Oh Gott, wassoll bloß aus den Fotos werden mit sol-chen Meerschweinchenaugen? Es fol-gen die üblichen Ermahnungen: Bittelass deine Augen in Ruhe. Bitte lass dei-ne Brille in Ruhe. Bitte lass deine Nasein Ruhe. Bis hin zu: Wehe wenn du dirnoch ein Mal die Augen reibst!

Kurz vor 12 Uhr finden wir das Stu-dio in einem Einbahnstraßengewirr imStadtteil Nippes in Köln.

Hier ist es dunkel und erfrischendkühl. In einem Nebenraum gibt es Ge-tränke und Obst und belegte Brote. Unddie rote Nase von Albin ist doch gar keinProblem: Die pudern wir einfach weg!

Dann wird Garderobe anprobiertund werden Szenen ausprobiert undKameras und Einstellungen, und neueGarderobe und neue Szenen …

Vier Stunden hoch konzentrierte Ar-beit, mit netten Menschen und in einersehr herzlichen Atmosphäre.

Ich war da wirklich nur ein Hiwi:Barbara, wir brauchen noch ein Mal denBall!

Zirka 300 Fotos sind danach im „Kasten“, Joachim Luger und Irene Fi-scher bedanken sich bei Albin mit: „Daswar Klasse mit dir.“ Der Fotograf Dari-us Ramazani kann sich noch weitereProjekte vorstellen und wir bedankenuns für die Bereitschaft, an unserer Pos-teraktion mitzuarbeiten. Albin saßkaum im Auto, da fielen ihm schon dieAugen zu. Aber vorher kam noch: „Daswar toll, wann machen wir die nächstenFotos?“

Barbara Lange-Hofmayer

„... die rote Nase pudernwir einfach weg!“Fotoshooting in Köln mit Irene Fischer,Joachim Luger und Albin Jonathan

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005 9

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10 Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005 11

Der dritte Fototermin war mit FrauUlrike Folkerts und fand in Berlin

statt. Dieses Mal konnte der FotografDarius Ramazani die Aufnahmen im ei-genen Studio machen, einfacher undzeitsparender.

Aber wie würde die kleine Ella rea-gieren? Sie war für das Fotoshooting zu-sammen mit ihrem Vater extra nachBerlin geflogen. Erklären, was da vonihr erwartet wurde, ging natürlich nicht.Ella, die mit ihren 20 Monaten zu kleinist, um das zu verstehen, war das auchziemlich egal. Hauptsache, alle warennett, beschäftigten sich mit ihr, zwi-schendurch gab es leckere Erdbeerenund ja, die neuen Schuhe, die die Stylis-tin für das Shooting besorgt hatte, fandsie ganz schick, stolz lief sie damit her-um!

Ulrike Folkerts, die Ella schon seitihrer Geburt kennt, verstand es jedesMal wieder, Ellas Neugier und Interessezu wecken. Erstaunlich, wie das kleineMädchen durchhielt. Abgesehen von ei-ner kurzen Wickelpause war sie überzwei Stunden bei bester Laune dabei.

Stimmt, wäre der Papa nicht da ge-wesen, hätte Ella nicht so oft strahlendgelacht. Er wusste nämlich genau, wieer seine kleine Tochter zum Lachenbringt. Aber wir alle waren lernfähigund zum Schluss sangen wir im Chor El-las Lieblingslied – das mit den Elefanten– und Ella, auf den Schultern von FrauFolkerts, gebärdete heftig mit undstrahlte über das ganze Gesicht.

Frau Folkerts hatte sich sofort bereiterklärt, bei unserer Aktion mitzuma-chen. „Weshalb?“, fragte ich sie. Dasmacht der persönliche Bezug, sie kann-te Ellas Eltern und hat nach Ellas Geburtmiterlebt, wie schwierig die Anfangssi-tuation für neu betroffene Eltern ist.Auch wie uninformiert das Umfeld war.Außerdem kenne sie Bobby Brederlowund hat über die Arbeit mit ihm gese-hen, was durch Förderung und durchIntegration möglich ist. Sie möchte, dassElla und alle anderen Kinder mit Down-Syndrom alle Chancen bekommen, sichmöglichst gut zu entwickeln.“

Wo die großen Elefanten ...Ulrike Folkerts und Ella Zoch im Berliner Studio von Darius Ramazani

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12 Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005

Da muss man auch noch den Affen machen!Fototermin mit Christoph Schlingensiefund Jenny Lau

Wie wir wissen, ist Leben nichtplanbar, auch keine Fototermine

mit drei Persönlichkeiten, wie FotografDarius Ramazani, Regisseur und Künst-ler Christoph Schlingensief und Servie-rerin und Schauspielerin Jenny Lau. Al-le mit vollem Terminkalender.

Nachdem die erste Verabredungplatzte, saßen wir dann am 7. August zuneunt im Kleinbus und fuhren von Ber-lin nach Neuhardenberg. ChristophSchlingensief installiert dort auf dem in-zwischen verwilderten kleinen Flug-platz mit ehemaligen Panzerunterstän-den und wild wucherndem Wald undWiesenacker ein Kunstwerk, „Der Ani-matograph – Odins Parsipark“. Dortsollten wir ihn treffen und Aufnahmenmachen. Gut gelaunt packten wir unse-ren Kleider- und Kostümkoffer aus. Diejunge Stylistin hatte sich auch vorberei-tet und Kleidervorschläge mitgebracht.Als Erstes eine weiße, weite Sommer-hose. Die sollte Jenny anziehen. Ich fielaus allen Wolken. Spontan sagte ich:„Die Hose zieht Jenny auf gar keinenFall an. Sie ist kein Hosentyp!“ Jennypflichtete mir bei. Die ganze Crew holtetief Luft und war ratlos.

Nachdem ich mich von dem Schockerholt hatte, wollte ich kooperativer seinund Jenny wenigstens vorführen lassen,was wir meinen. Jenny zog die Hoseund ein türkises Hemd an. Alle warenbegeistert. Ich nicht, dachte aber, dassein geschickt aufgenommenes Bild viel-leicht doch gut aussehen kann.

Christoph Schlingensief unterbrachseine Arbeit und kam dazu, gut gelaunt,in Jeans und Hemd. Die beiden „Mo-dels“ waren sich schnell einig und pro-bierten, wie sie wohl am besten ausse-hen könnten.

Nach einigen Aufnahmen kam HerrSchlingensief auf die Idee, im Gorillaan-zug aufzutreten. Jenny auf den Armnehmend, fallend und rumalbernd. Da-bei sollte es nicht bleiben, Jenny bekamnoch ein Hasenkostüm verpasst. Jetztwaren beide theaterreif.

Jenny und ich sind auf die Fotos ge-spannt, auch ob sie plakattauglich sind.Jenny wiederholte auf der Rückreisemehrmals, dass es ihr so gut gefallenhat, und amüsierte sich immer noch.„Der Christoph ist so lustig und nett.“Ein Stoffhase, von Christoph im Waldgefangen, wird jetzt lange Jennys Mas-kottchen sein.

Gisela Lau

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P O S T E R K A M P A G N E

Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005 13

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P O S T E R K A M P A G N E

14 Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005

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P O S T E R K A M P A G N E

Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005 15

Ein, zwei, drei ... Tor!Marco Huber mit zwei Fußballweltmeisterinnen: Silke Rottenberg und Pia Wunderlich

Fußball ist zwar das Thema Nummer 1von Marco ... jedoch nur im Zusam-

menhang mit seinem Lieblingsverein,und das sind nun mal „die Bayern“.Aber sich fotografieren lassen mit Frau-en, auch wenn sie Weltmeister in Da-menfußball sind ...? Da war ich zunächstetwas skeptisch und hatte keine Ah-nung, wie Marco reagieren würde.

Es war dann einfacher, als ich dach-te. Bei Marco muss die Leidenschaftzum Fußball wohl in den Genen liegen... und dieses Mal nicht in den Chromo-somen. Sein 82-jähriger Opa (mein Va-ter) ist früher einmal ein sehr guter Tor-mann gewesen. Er ist heute noch fürMarco der beste Ansprechpartner in Sa-chen Fußball. Für Marco ist das sehrwichtig! Er sagt dann oft zu anderen:„Das habe ich von Opa geerbt!“, ... dieFußballleidenschaft!

Und die Frage, ein Fotoshooting mitso berühmten Fußballfrauen haben zukönnen, wurde von ihm mit einem indi-rekten zustimmenden Schmunzeln be-antwortet.

Im Studio in Frankfurt angekom-men, war die Kleiderfrage schnell ge-klärt. Der Fotograf Darius Ramazanifragte Marco einfach: „Was ist denndein Lieblingstrikot?“ Da kann man sichdenken, welches ...! Zum Glück hattenwir auch an seine Fußballschuhe ge-dacht. Silke Rottenberg und Pia Wun-derlich waren schon anwesend und inihrem Fußballdress. Dass sie Fußball-schuhe anhatten, war unüberhörbar auf

dem Holzfußboden des Studios. Marcoschien mir deswegen schon sehr beein-druckt. Das merkte ich an seinem re-spektvollen Gruß.

Die Sache wurde ernst. Das mit derMaske ging auch einfacher als gedacht.„Ich lasse mich nicht maskieren!“, ... flüsterte er mir zu. Es gab dann dochkeine Probleme.

Marco erzählte mir später auf derHeimfahrt, dass er die Frau erkannt hat,die eine Torhüterin ist.

Obwohl meine eigene Fotografiere-rei Marco manchmal auf die Nervengeht, hat er sich an diesem Mittag sehrprofessionell verhalten. Es wurden überzwei Stunden lang imaginäre Tore ge-schossen und bejubelt, Luftsprünge ge-macht und dergleichen ...

Marco ging sogar einmal mit einemFußball „schwanger“, was ihm zu mei-nem Erstaunen gar nichts ausmachte.Irgendwie hat alles gestimmt.

Dorothee von der Lebenshilfe, dieuns zum Studio gefahren hatte, und ichtraten ein in eine andere Welt, in einenTeil von Marcos Welt, in die Welt desFußballs.

Die Stimmung war bestens und Mar-co beschrieb später die zwei Frauen als„wunderbar“! Beeindruckt hat mich das„gute Zusammenspiel“ aller Beteiligtenbeim Fotoshooting.

Ein tolles Erlebnis, nicht nur fürMarco.

Ingeborg Huber

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W I S S E N S C H A F T L I C H E R B E I R A T

16 Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005

Wissenschaftlicher BeiratSeit vielen Jahren hat Leben mit Down-Syndromeinen wissenschaftlichen Beirat, dessen Aufgabe esunter anderem ist, ab und zu einen Fachartikel fürdie Zeitschrift zu schreiben oder bei fachspezifischenFragen die Redaktion zu unterstützen.

Frau Ines Boban und Frau Prof. Etta Wilken sowieHerr Dr. Wolfgang Storm und Prof. Werner Dittmannwaren von Anfang an in unserem Beirat vertreten.Leider ist Herr Dittmann 2003 verstorben und seinPlatz im Beirat war bis jetzt leer.

Prof. Wolfram Henn hat sich bereit erklärt, in diesemKreis mitzuwirken, worüber wir uns sehr freuen. EinKurzporträt von unserem neuen Berater finden Sieauf dieser Seite. Und bei der Gelegenheit stellen wirauch noch einmal die anderen Beiräte vor, die unsereArbeit schon seit vielen Jahren begleiten.

In Zusammenhang mit der fünfzigsten Ausgabe vonLeben mit Down-Syndrom haben wir alle Beiräte gebeten, jeweils aus ihrer Sicht etwas zu der Situati-on von Menschen mit Down-Syndrom in Deutschlandzu schreiben, außerdem wollten wir gern ihre Meinungzu der Zeitschrift haben. Im Einzelnen wurden folgen-de Fragen gestellt:– Was ist aus Ihrer Sicht auf Ihrem Fachgebiet in denletzten Jahren für Menschen mit Down-Syndrom besser geworden? Welche Fortschritte sehen Sie? – Wie sieht die Zukunft aus, welche Chancen undMöglichkeiten gibt es? Aber auch welche Sorgen gibtes? Und was soll Schwerpunkt der Arbeit sein?– Welche Rolle hat die Zeitschrift Leben mit Down-Syndrom bei den Entwicklungen gespielt und wiekann sie in Zukunft weiterwirken?

Prof. Dr. med. Wolfram Henn

Geboren 1961 in Saarbrücken

Facharzt für Humangenetik; Habilita-tion für Humangenetik 1996 und fürEthik in der Medizin 2002

Leiter der Genetischen Beratungsstel-le am Institut für Humangenetik derUniversität des Saarlandes

Vorsitzender der Kommission fürGrundpositionen und ethische Fragender Deutschen Gesellschaft für Human-genetik

Koordinator der Arbeitsgruppe „Re-produktionsmedizin und Embryonen-schutz“ in der Akademie für Ethik in derMedizin

Mitglied des Kuratoriums der Evange-lischen Akademie der Pfalz

Forschungsschwerpunkte:Ethische Probleme humangenetischerDiagnostik; psychosoziale Aspekte ge-netischer Beratung

Aktuelle Publikationen:„Warum Frauen nicht schwach,Schwarze nicht dumm und Behindertenicht arm dran sind“ (Herder, 2004)„Der Zugriff auf den Embryo“ (mit F.Oduncu und K. Platzer; Vandenhoeck &Ruprecht, 2005)

Wolfram Henn

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W I S S E N S C H A F T L I C H E R B E I R A T

Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005 17

1. Was ist aus Ihrer Sicht, auf IhremFachgebiet, in den letzten Jahren fürMenschen mit Down-Syndrom bes-ser geworden? Welche Fortschritte?

Aus der Perspektive der medizinischenGenetik ist das Down-Syndrom schonseit vielen Jahren einfach und klar zudiagnostizieren, da gibt es wenig Neues.Wissenschaftlich sehr spannend, abersicherlich nicht schon auf die nächstenJahre hin schnelle Erfolge verheißendsind Grundlagenforschungen über Tier-modelle zur Trisomie 21. Hier hoffe ich,dass man auf lange Sicht mehr über dieEntstehung von Gesundheitsproblemenlernen wird, die Menschen mit Down-Syndrom häufiger treffen als andere,beispielsweise die Alzheimer-Krank-heit. Ob sich daraus irgendwann besse-re Möglichkeiten für die medizinischeBetreuung entwickeln werden, bleibtabzuwarten.

Vor allem aber: Die Zeiten, in denenMenschen mit Down-Syndrom notwen-dige medizinische Behandlungen (bei-spielsweise Herzoperationen) und För-dermaßnahmen vorenthalten wordensind, gehören endgültig der Vergangen-heit an. Noch nie hatte ein neugebore-nes Kind mit Down-Syndrom so gute Le-benschancen, kann so viel erreichen wieheute.

2. Wie sehen Sie die Zukunft, welche Chancen und Möglichkeiten?Aber auch, was macht Ihnen Sorgen,wo gibt es Ihrer Meinung nachHandlungsbedarf? Was soll Schwer-punkt der Arbeit sein?

Ich sehe eine geradezu paradoxe Ent-wicklung darin, dass medizinische Be-treuung und pädagogische Förderungimmer bessere Perspektiven für Men-schen mit Down-Syndrom ermöglichen,vor der Geburt aber das Down-Syndrombis ins Bewusstsein der Öffentlichkeithinein zum Musterbeispiel einer mit al-len Mitteln zu verhindernden Behinde-rung geworden zu sein scheint.

Am deutlichsten wird dies für michan den erschreckenden Defiziten in derBeratung schwangerer Frauen vorFruchtwasseruntersuchungen, die dazuführen, dass nach der vorgeburtlichenDiagnose „Down-Syndrom“ die beste-henden Beratungsangebote kaum in An-spruch genommen werden. Auf dieseMissstände ist nun endlich auch der Ge-setzgeber aufmerksam geworden undhat den Entwurf eines Gendiagnostik-

Gesetzes vorgelegt, in dem wenigstensqualifizierte Beratungen vor jeder Prä-nataldiagnostik gefordert werden.

Gesellschaftliche Toleranz lässt sichaber mit Gesetzen alleine nicht erzwin-gen und es wird eine große Aufgabe füruns alle sein, den in Zeiten nachlassen-den Wohlstandes drohenden Tendenzenentgegenzuwirken, an den Schwächstenzu sparen.

3. Welche Rolle hat die Zeitschrift„Leben mit Down-Syndrom“ bei denEntwicklungen gespielt und wiekann sie in Zukunft weiterwirken?

Leben mit Down-Syndrom hat in denletzten Jahren in Deutschland die enormwichtige Funktion übernommen, dieLücke zwischen Vereinsmitteilungenvon Selbsthilfeorganisationen auf der ei-nen und rein wissenschaftlich orientier-ten Fachzeitschriften auf der anderenSeite zu schließen.

Leben mit Down-Syndrom ist als ge-meinsames Forum für alle, die sich ausverschiedenen Perspektiven mit demDown-Syndrom befassen, unverzicht-bar geworden. Dabei ist es keineswegseinfach, gleichermaßen anspruchsvollund lesbar, wissenschaftlich seriös undunterhaltsam zu sein. Aber ich bin dazuversichtlich: Es wird bestimmt auchweiterhin gelingen, dass niemand dieZeitschrift aus der Hand legt, ohne eineandere Sichtweise eingenommen unddaraus etwas gelernt zu haben. Dafürbürgt schon die Herausgeberin.

Ines Boban

Ines Boban

Nach dem sonderpädagogischen Leh-rerstudium elf Jahre Lehrerin in Inte-grationsklassen an einer HamburgerGesamtschule

Mitbegründerin des Stadthaus-HotelsHamburg

seit 2002 wissenschaftliche Mitarbei-terin für den berufsbegleitenden Studi-engang Integrationspädagogik an derMartin-Luther-Universität Halle-Witten-berg

Schwerpunkte der Arbeit: PersönlicheZukunftsplanung in Unterstützerkrei-sen, Integration und Inklusion, interna-tionale inclusive education

hierzu viele Publikationen, oft undgern gemeinsam mit Andreas Hinz;jüngst z.B. Gemeinsamer Unterricht imDialog (Beltz 2004)

Liebes „Leben mit Down-Syndrom“!

Wenn heute Eltern – hoffentlich inangemessenerer Form als vor ei-

nigen Jahren – für ihr Kind die Diagno-se „Down-Syndrom“ erhalten, werdenviele von ihnen nicht mehr vorrangig inmedizinische Lehrbücher gucken, son-dern im Internet nach Informationen su-chen. Dort treffen sie auf zahlreiche Sei-ten von Selbsthilfegruppen, deren Bildersofort andere Perspektiven auslösen alseben diese (k)alten Fachbücher. Und sietreffen auf das Deutsche Down-SyndromInfoCenter mit all seinen hilfreichenBroschüren und eben dem Leben mitDown-Syndrom. Allein dadurch schondürfte sich der Lebensstart der Neu-ankömmlinge in ihren Familien positiv

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18 Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005

unterscheiden von dem, was früher üb-lich war. Denn nun halten Mütter, Väter,Großeltern, Tanten, Onkel und Freundeder Familie – und später z.B. die Leh-rer/-innen – des Kindes einen Fundus inden Händen, der vermittelt,

dass und wie es möglich ist, dass ihrKind in eben den Kindergarten gehenwird, in den es auch ginge, wenn das 21.Chromosom nur zweimal vorhandenwäre,

dass es immer selbstverständlicherwird, dass die Schule in der Nachbar-schaft lernen kann, dieses Kind will-kommen zu heißen und es mit den Kin-dern seines Stadtteils gemeinsam auf-wachsen zu lassen,

und dass es Menschen mit Down-Syn-drom – auch in Deutschland – gibt, dienach der Sekundarstufe in einer allge-meinen Schule mit Unterstützung durcheinen Integrationsfachdienst einen tarif-entlohnten Arbeitsplatz haben und nunals Steuerzahler und Mieter einer eige-nen Wohnung als gleichberechtigte Bür-ger in ihrer Kommune leben.

Damit ist der lange einzig mögliche undfest vorgezeichnet erschienene Wegdurch Sonderkindergarten, Sonderschu-le für praktisch Bildbare/geistig Behin-derte (oder Schule mit dem Förder-schwerpunkt Geistige Entwicklung oderwie auch immer die unterste Stufe un-seres gestuft segregierenden Schulsys-tems benannt wird) und in die Werkstattfür behinderte Menschen oder allenfallsin integrative Zweckbetriebe wohltuenderweitert. Ja, durch die neuen Lebens-wege von Menschen mit Down-Syndromwird der lange wirksame Automatis-mus, das Down-Syndrom mit geistigerBehinderung gleichzusetzen, nachhaltigin Frage gestellt: Der Begriff erweist sichals unbeschreiblich fehlbeschreibend!

Ein zentrales Forum

Leben mit Down-Syndrom ist ein zen-trales Forum geworden, in dem sich dieEntwicklungstendenzen im Lande undweltweit quasi ablesen lassen, hier wer-den in einer gelungenen Mischung vonEltern und Fachleuten und immer häu-figer jungen Menschen mit und ohne Be-hinderungen Erfahrungen und Erkennt-nisse gebündelt. Und sie werden kom-petenzorientiert dargestellt, ohne Pro-bleme zu tabuisieren. Von unschätzba-rem Wert sind für mich persönlich dieBlicke über den Tellerrand, wenn z.B.:

eine schweizerische Mutter, die mit ih-rer Familie in Shanghai lebt, von der in-ternationalen Schule ihrer Tochter un-ter kanadischer Leitung und mit austra-lischem Klassenlehrer berichtet, wie ihreTochter gebeten wird, den Erstklässlerndas Abc beizubringen, wenn es ihr in derzweiten Klasse mal zu schwierig wird(keine „pull-out“-Pädagogik, sondern eingelungener „Lernen-durch-Lehren“-An-satz);

vom „Up-Club“ von Teenagern in Aus-tralien berichtet wird („Because wedon’t feel down“), in dem sie jüngerenSchülern/-innen mit Down-SyndromNachhilfeunterricht im Lesen geben (dasie am besten wissen, was bei diesemschwierigen Geschäft wirklich hilft);

die beeindruckend klärenden Ergeb-nisse der Untersuchung von Bird &Buckley in England über die unter-schiedlichen Entwicklungen der Fertig-keiten von Jugendlichen in Sonderein-richtungen und in integrativen Settingsvon Cora Halder übersetzt und wieder-gegeben werden (allein aufgrund dieserBefunde erstaunt mich, dass nicht mehrSondereinrichtungen zu radikalerenVeränderungen ihrer Praxis tendierenund integrative Entwicklungen in Regel-einrichtungen noch eher zögerlich sind);

ein Bericht in der letzten Ausgabe„Streberprogramme“ (‚Strivers pro-grams’) an amerikanischen Unis vor-stellt; wenn also auch elitäre – da aus-wählende – Orte wie Universitäten For-men finden, wie und Gründe warum esihr soziales und kulturelles Kapital be-reichert, wenn Menschen mit Down-Syndrom an ihrem Gemeinschaftslebenteilhaben, dann macht mich das optimis-tisch für weitere Entwicklungen.

Da Eltern von Kindern mit Down-Syndrom in der Regel sehr früh im Le-ben des Kindes von dessen besondererLebensbedingung mit dem einen Chro-mosom mehr wissen, wurden viele vonihnen – vielleicht weil sie also etwasmehr Zeit als andere hatten und weil sieeben schneller sich ein Bild von der Le-benssituation mit Down-Syndrom inDeutschland machen konnten – zu Mo-toren für die wohl nachhaltigste Reformder letzten Zeit: Sie bewegten Institutio-nen im Bildungsbereich und im erstenArbeitsmarkt, sich integrativ zu ent-wickeln. Auf eine Zeit der Exklusion undder Segregation folgte – als zarte undnicht überall in Deutschland gleich gutgedeihende Pflanze – die der Integration.

Zeit für Inklusion

Verfolgt man die internationalen Ten-denzen, ist jetzt die Zeit gekommen,Weiterentwicklungen anzuregen hin zurInklusion: einer willkommen heißendenGesellschaft mit Institutionen, die sichbewusst sind, wie Barrieren für das Ler-nen und die Teilhabe von Menschen ver-ringert werden können. Die Frage nachden zu verringernden Barrieren wird inZukunft den Begriff „sonderpädagogi-scher Förderbedarf“ ersetzen.

Andere Themen und Herausforde-rungen der vor uns und dem Leben mitDown-Syndrom liegenden nächsten Zeitsind aus meiner Sicht:

persönliche Zukunftsplanungen in Un-terstützerkreisen vom Zeitpunkt derDiagnosestellung an – das wird einigeerwünschte Veränderungen in den Bio-graphien ermöglichen;

die Ermunterung von Schulen, mittelsdes Index für Inklusion, ein willkommenheißendes Klima und ihre Ressourcenfür eine Pädagogik der Vielfalt zu ent-falten – auf dass wir eine gute (tatsäch-lich allgemeine) Pädagogik gewinnen;

Erwachsenenbildung mit einer Portionpolitischer Aufklärung und Bildung, dievermittelt, dass es sich bei den anste-henden Fragen der unbeschränktenPartizipation in Kindergärten, Schulen,Arbeitsplätzen, Wohnmöglichkeiten, ge-gebenenfalls Elternschaft und Freizeitin oder Engagement für die Gemeindeum Bürgerrechte, um Gleichberechti-gung handelt.

Eine wirklich gute Idee ...

Ich habe den Traum, dass in der näch-sten Dekade von Leben mit Down-Syn-drom eine Bundestagsdebatte mit Dele-gierten stattfindet, die selbst dieses Ex-tra-Chromosom haben, über die nichtnur in diesem Journal, sondern auch inden Tagesthemen berichtet wird – vor-gelesen von einer Sprecherin oder ei-nem Sprecher mit Down-Syndrom. Dawir uns mit dem jetzigen Jubiläum zu-gleich im Schiller- und im Einsteinjahr(ein Zufall wäre relativ unwahrschein-lich!) befinden, hole ich mir diese Ver-stärkung: „Eine wirklich gute Idee er-kennt man daran, dass ihre Verwirkli-chung von vorneherein ausgeschlossenerschien.“ (Albert Einstein)

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1. Was ist aus Ihrer Sicht, auf IhremFachgebiet, in den letzten Jahren fürMenschen mit Down-Syndrom bes-ser geworden? Welche Fortschritte?

1. Was ist denn ein Down-Syndrom?

Es war 1971 in einer deutschen Univer-sitätsstadt. Ein kleiner Junge war gebo-ren und der Vater erhielt die Diagnose,sein Sohn leide an Mongolismus, einerschweren, unheilbaren geistigen Behin-derung. Bevor der Vater seiner Frau dieDiagnose mitteilte, wollte er sich selbstgenauer informieren. Deshalb ging er ineine große Universitätsbuchhandlungund fragte nach Literatur zum „Mongo-lismus“. Als Antwort erhielt er: „GehenSie bitte in die erste Etage, dort ist dieAbteilung für Asiatika.“

Noch in den siebziger Jahren war inDeutschland die Bezeichnung Mongolis-mus auch in der wissenschaftlichenFachliteratur üblich (z.B. C. Wunderlich:Das mongoloide Kind, 2. Auflage 1977).Als die erste Auflage meines Buches„Sprachförderung bei Kindern mit Down-Syndrom“ 1973 erschien, mussteich noch ausführlich begründen, warumich die bis dahin übliche und allgemeinverständliche Bezeichnung Mongolis-mus ablehnte (vgl. Wilken, 1973, S. 7 ff.).Heute dagegen hat sich der Begriff „Down-Syndrom“ durchgesetzt – undmit ihm hat sich auch das alte negativeund stereotype Bild von Menschen mitdieser genetischen Besonderheit günstigverändert.

Die Information neu betroffener El-tern ist heutzutage recht gut, auch wenndas leider nicht immer zutrifft – hier

W I S S E N S C H A F T L I C H E R B E I R A T

Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005 19

Prof. Dr. Etta Wilken

1968 Schulleiterin einer Sonderschulefür körperbehinderte und für geistig be-hinderte Kinder in Göttingen. Da erfolg-ten erste Kontakte mit Schülerinnen undSchülern mit Down-Syndrom sowie mitderen Eltern. (In dieser Zeit habe ichauch angefangen, mich mit Gebärdenzu beschäftigen und einen nicht spre-chenden Schüler damit zu fördern.)

1971 erster kleiner Gesprächskreis mitEltern, die ein Baby oder ein Vorschul-kind mit Down-Syndrom hatten

1972 Hochschullehrerin an der Uni-versität Hannover im Lehrgebiet Allge-meine und integrative Behinderten-pädagogik

1973 erfolgte die 1. Auflage des Bu-ches „Sprachförderung bei Kindern mit Down-Syndrom“ (mittlerweile in 9. Auf-lage)

1975 erstes Sonnenberg-Seminar fürEltern mit ihren behinderten Kindern,dann jedes Jahr über Pfingsten Semina-re für Eltern von Kindern mit Down-Syndrom

Seit 1989 jährlich drei Elternseminarein der Bundesvereinigung der Lebens-hilfe in Marburg für Eltern von Kindernmit Down-Syndrom (In den ersten Jah-ren; Nach den ersten Jahren; In denspäteren Jahren)

Forschungsschwerpunkte: Förderung von Kindern mit Down-Syn-

drom; integrativer Unterricht für Kin-der mit Behinderung; Frühförderung;Unterstützte Kommunikation

Seit 1990 intensive Beschäftigung mitder Gebärden-unterstützten Kommuni-kation – GuK ist heute ein sehr verbrei-tetes Verfahren, besonders in der Früh-förderung von Kindern mit Down-Syn-drom

Publikationen:Verschiedene Bücher und viele Artikelin Fachzeitschriften und Beiträge fürBücher, u.a. zu folgenden Themen: Down-Syndrom, Frühförderung, Unter-stützte Kommunikation, Waldorfpä-dagogik und Integration

sind noch weitere Anstrengungen nötig!Aber verglichen mit früher konnten er-hebliche Verbesserungen erzielt wer-den: Es gibt verschiedene Hefte zur Erstinformation, Videos und auch Ge-sprächsangebote regionaler Selbsthilfe-gruppen. Das Deutsche Down-SyndromInfoCenter bietet kompetente Beratungund Unterstützung zumal bei speziellenFragen und Problemen und es hat her-vorragendes Informationsmaterial pu-bliziert und im deutschen Sprachraumverbreitet.

Die begleitende gesundheitliche Be-treuung von Kindern mit Down-Syn-drom konnte durch vielfältiges Infoma-terial sowie durch vorliegende Fachlite-ratur erheblich verbessert werden (vgl.Storm: Das Down-Syndrom, 1995). FürErwachsene und ältere Menschen mitDown-Syndrom müssen jedoch entspre-chende Konzepte und therapeutischeMaßnahmen noch differenzierter ent-wickelt und angeboten werden.

2. Wie sehen Sie die Zukunft, wel-che Chancen und Möglichkeiten?Aber auch, was macht Ihnen Sorgen,wo gibt es Ihrer Meinung nachHandlungsbedarf? Was soll Schwer-punkt der Arbeit sein?

2. Ich akzeptiere mein Kind so, wie es ist!

Es war vor einiger Zeit während einesSeminars mit Eltern von Kindern mitDown-Syndrom im Kindergarten- undVorschulalter. Die Eltern diskutierten,welche Therapien sie durchführen undwelche weiteren Angebote sie ihremKind machen, als eine Mutter fast ag-gressiv feststellte, dass sie diesenganzen Förderstress nicht mehr mitma-chen wolle. Sie akzeptiere ihr Kind so,wie es ist.

Doch wie ist ein Kind mit Down-Syn-drom wirklich? Welche Unterstützungbenötigt es, um sein individuelles Po-tenzial günstig entfalten zu können?

Wir wissen heute mehr über die Ent-wicklung von Kindern mit Down-Syn-drom und über ihren speziellen Förder-bedarf. Das ermöglicht uns besser, indi-viduelle und syndromtypische Aspektebei der Förderung zu berücksichtigen.Darin liegen wesentliche Chancen!

Ein großes Problem ist jedoch derboomende Therapiemarkt: Da werdenspektakuläre therapeutische Erfolge be-

Etta Wilken

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20 Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005

Dr. Wolfgang Storm

Geboren 1945

Medizinstudium in Göttingen und Düs-seldorf, Facharztausbildung zum Kin-derarzt in Miami (Florida) und in Düs-seldorf

Seit 1982 in Paderborn, zunächst zweiJahre als Oberarzt, danach bis heute alsLeitender Arzt der St.-Vincenz-Kinder-klinik

Seit 20 Jahren Leiter der Vorsorgeam-bulanz für Kinder mit Down-Syndroman der St.-Vincenz-Kinderklinik

Besondere medizinische Interessen:Homöopathie, Neonatologie, Down-Syn-drom

Publikationen:Zahlreiche Veröffentlichungen in natio-nalen und internationalen Zeitschriftenund zwei Fachbücher:Das Down-Syndrom – Medizinische Be-treuung vom Kindes- bis zum Erwach-senenalterHomöopathische Behandlung von be-hinderten Kindern am Beispiel des Do-wn-Syndroms

Vorträge im In- und AuslandVerheiratet, drei Kinder, davon Mar-

kus mit Down-Syndrom (22 Jahre alt)

hauptet, sind aber nicht bewiesen undnur schwer nachprüfbar – aber die Be-richte darüber führen oft zu einergroßen Verunsicherung der Eltern (vgl.Lebenshilfe: „Das Gras wächst nichtschneller, wen man daran zieht“, 2004).

Stattdessen wissen wir, worauf esankommt: Die gesamte Familie ist zustärken, die Entwicklung des Kindes istdurch geeignete Angebote zu fördern,seine Kompetenzen sind zu erkennen,ein angemessenes soziales Verhalten istzu unterstützen und die soziale Integra-tion ist zu fördern. Singuläre spekta-kuläre Maßnahmen dagegen mit unrea-listischen Heilsversprechen könnendem gegenüber die Entwicklung ehergefährden.

In der geeigneten Unterstützung derFamilien, in der angemessenen indivi-duellen Förderung der Kinder und inder Weiterentwicklung integrativer Maß-nahmen sehe ich deshalb die wesentli-chen Herausforderungen auch für dienächsten Jahre.

3. Welche Rolle hat die Zeitschrift„Leben mit Down-Syndrom“ bei denEntwicklungen gespielt und wiekann sie in Zukunft weiterwirken?

3. Das stand doch in „Leben mit Down-Syndrom“!

Es war während eines Workshops fürEltern und Therapeuten in der Schweiz.Wir diskutierten die Vorteile der Gebär-den für die frühe Sprachförderung imVergleich mit den speziellen Problemendes Frühlesens unter den besonderenBedingungen des Schweizerdeutsch. In-teressant war, dass bei dieser Diskussi-on nicht nur auf einzelne Autoren ver-wiesen wurde, sondern oft auch dieFeststellung erfolgte: Das habe ich in Leben mit Down-Syndrom gelesen!

Diese Erfahrung zeigt, dass sich dieZeitschrift Leben mit Down-Syndrom zueiner besonders wichtigen Informati-onsquelle sowohl für Eltern als auch fürFachleute entwickelt hat. Stets werdenin den einzelnen Heften aktuelle The-men aufgenommen und differenziertentfaltet. Die Darstellung unterschiedli-cher Erfahrungen aus verschiedenenLändern zeigt dabei neue Perspektivenauf und gibt Anregungen für möglicheweitere Entwicklungen.

Aber die Zeitschrift Leben mit Down-Syndrom ist nicht losgelöst zu sehen vonden weiteren zahlreichen Publikationen

des Deutschen Down-Syndrom InfoCen-ters: Erstinformation für betroffene El-tern, Basisinformationen über das Down-Syndrom, medizinische Aspekteund ein spezielles Heft über Herzfehler,Infohefte zur Förderung von Kindernmit Down-Syndrom im Kindergartenund in der Schule, ein Buch für Ge-schwister sowie ein Film über Kinderund Jugendliche mit Down-Syndrom.Nicht zu vergessen das umfangreicheFördermaterial „Kleine Schritte“ unddas Arbeitsmaterial zur „Gebärden-un-terstützten Kommunikation (GuK)“.

Und immer wieder neue Ideen zurÖffentlichkeitsarbeit: Die Deutschen Down-Syndrom-Wochen jedes Jahr imOktober, die jährlichen Plakataktionenund die mit überraschenden Botschaf-ten versehenen oder nachdenklich stim-menden Bild-Postkarten!

Leben mit Down-Syndrom hat vielbewirkt! Das ist besonders der Heraus-geberin Cora Halder zu verdanken. Siehat nicht nur viele Ideen erfolgreich um-gesetzt, sondern immer wieder eigeneArtikel verfasst oder neue Erkenntnissevon Kongressen mitgebracht und ver-breitet.

Für viele Jahre guter Zusammenar-beit möchte ich ihr herzlich danken.

Der Zeitschrift wünsche ich für diekommenden Jahre weiterhin eine erfolg-reiche Wirkung und Cora Halder, dasssie auch künftig mit vielen Ideen undmit Energie das „Heft in der Hand“ hält!

Wolfgang Storm

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ve Etikettierung durch die Gesellschaftals auch die bei der Geburt den Elternoft vermittelte „inadäquate Aufklärung“über die Behinderung ihres Kindes bei.

Medizinische Betreuung muss des-wegen lebenslang in das von der Gesell-schaft zu leistende und als psychosozia-le Zuwendung bezeichnete Verhalten alsGrundlage psychischer und körperli-cher Gesundheit eingebettet sein. Nurso ist es möglich, dass Menschen mitDown-Syndrom in größerem Umfang zumehr Lebensqualität und zur vollenAusschöpfung ihrer Entwicklungsmög-lichkeiten gelangen.

3. Welche Rolle hat die Zeitschrift„Leben mit Down-Syndrom“ bei denEntwicklungen gespielt und wiekann sie in Zukunft weiterwirken?

Zu all dem Erwähnten hat die ZeitschriftLeben mit Down-Syndrom schon in derVergangenheit wesentlich beigetragenund kann auch in Zukunft dabei eineführende Rolle übernehmen. Es gibt imdeutschsprachigen Raum meines Wis-sens keine vergleichbare Veröffentli-chung, die alle Aspekte des Lebens mitDown-Syndrom in leicht verständlicherSprache, ausführlich, aktuell und dazunoch preiswert darstellt. Dass die Re-daktion damit „richtig“ liegt, ist u.a. dar-an zu erkennen, dass hiermit die 50.Ausgabe erscheinen kann.

In den vergangenen 20 Jahren habeich erleben können, dass drei (!) ameri-kanische Zeitschriften speziell über Down-Syndrom nach schon einer Aus-gabe bzw. nach Monaten oder wenigenJahren ihr Erscheinen eingestellt ha-ben.

Sie sind auf dem richtigen Weg. Al-les Gute für die Zukunft!

W I S S E N S C H A F T L I C H E R B E I R A T

Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005 21

1. Was ist aus Ihrer Sicht, auf IhremFachgebiet, in den letzten Jahren fürMenschen mit Down-Syndrom bes-ser geworden? Welche Fortschritte?

Aus der Perspektive der ärztlichen Be-treuung von Kindern mit Down-Syn-drom meine ich schon, in den vergan-genen zehn bis 15 Jahren deutlicheFortschritte erkennen zu können. DieAbkehr von einer Stereotypisierung mitvermeintlich charakteristischen Eigen-schaften, Symptomen oder Befundenauch aus medizinischer Sicht hat zumehr Variabilität und Individualität inder Beurteilung auffälliger Probleme ge-führt.

So war als Beispiel noch vor einigenJahren die Anschauung weit verbreitet,dass das Symptom „Verstopfung“ alsunausweichlich hingenommen werdenmusste, da ja eine muskuläre Hypotonie(= fehlende Bauchpresse) als Erklärungausreichte. Mittlerweile hat sich aberdie Erkenntnis verbreitet, dass – wie beianderen Kindern – auch andere Ursa-chen für eine Verstopfung durchaus ver-antwortlich sein und einer spezifischenBehandlung zugeführt werden können(z.B. Unterfunktion der Schilddrüse,Hirschsprung’sche Erkrankung).

Auch in der Art und Weise der Diag-nosemitteilung nach der Geburt einesKindes mit Down-Syndrom sind meinesErachtens Verbesserungen erkennbargeworden, sodass frühere Horrorszena-rien zwar nicht verschwunden sind,aber dennoch seltener vernommen wer-den.

2. Wie sehen Sie die Zukunft, wel-che Chancen und Möglichkeiten?Aber auch, was macht Ihnen Sorgen,wo gibt es Ihrer Meinung nachHandlungsbedarf? Was soll Schwer-punkt der Arbeit sein?

Für die Zukunft habe ich die Sorge, dassim Rahmen vor allem gentechnologi-scher Diskussionen der Wunsch nach ei-nem perfekten Kind immer mehr Be-deutung gewinnen kann und dann beider pränatalen Diagnose Down-Syn-drom der zurzeit schon gebahnte Wegdes Schwangerschaftsabbruchs zielstre-big gegen 100 Prozent geführt wird.Pränatale Aufklärung ist hier zuneh-mend mehr gefragt.

Die erwähnten Fortschritte der me-dizinischen Betreuung von Kindernmüssen stärker auch auf Erwachseneausgeweitet werden. Gesundheit und

Lebensqualität sind auch und gerade imErwachsenenalter von einer optimalenärztlichen Begleitung abhängig. Hier istmehr medizinisches Wissen über Pro-bleme in dieser Lebensphase gefragt.

Auch bei Humangenetikern setztsich die Anschauung durch, dass alleinGene menschliches Verhalten mit allseinen Facetten nicht determinieren.Das menschliche Genom ist alles ande-re als starr. Es ist in seiner Entwicklungoffen und durch Prozesse der Selbstor-ganisation geprägt. Es wird mehr undmehr deutlich, dass Gene nicht mono-kausal Krankheiten verursachen, son-dern dass sie je nach Ausprägung undZusammenspiel mit der Umwelt dieVulnerabilität für einzelne Krankheitenerhöhen oder vermindern.

Abgesehen von einigen angeborenenKomplikationen (z.B. Herzfehler, Duo-denalatresie), die sicherlich genetische(Mit-)Ursachen haben, wird das Lebender meisten Kinder und Erwachsenenmit Down-Syndrom von zahlreichen er-worbenen Organerkrankungen be-stimmt.

Für die Entstehung von „Krankheit“ist vor allem der psychosoziale und le-bensgeschichtliche Gesamtzusammen-hang menschlicher Existenz von Bedeu-tung.

„Es ist der Geist, der sich den Körperbaut“, hat schon Friedrich Schiller inseinem „Wallenstein“ hervorgehoben.Geist bzw. Seele eines jeden Menschenwerden schon beginnend mit derSchwangerschaft und dann im weiterenSäuglings- und Kleinkindalter geprägt.Schon hier kann die oben angegebeneVulnerabilität für Krankheiten entste-hen.

Als psychosoziale Deprivation gilt„ein Zustand des Organismus, der alsFolge solcher Lebenssituationen ent-steht, in denen dem Subjekt nicht in aus-reichendem Maße und für genügendlange Zeit die Möglichkeit zur Befriedi-gung seiner grundlegenden psychischenBedürfnisse gegeben ist“.

Psychosoziale Deprivation beinhal-tet objektiv schlechte Lebensbedingun-gen, subjektiv schlechtes Wohlbefinden.Besondere Anfälligkeit für pathologi-sche Reaktionen nach psychosozialerDeprivation ist für „Behinderte“ bzw.durch konstitutionelle Ausstattung vonGeburt an auffällige Kindern dokumen-tiert. Bei Kindern mit Down-Syndromtragen hierzu sowohl schon die negati-

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Das SSEE arbeitet seit ca. zehn Jah-ren mit Psychotherapie-Gruppen

für Kinder und Jugendliche mit Down-Syndrom. Diese Arbeit ist entstandenaus einer neuen Auffassung, die manheute von Menschen mit psychischerBehinderung hat und die von folgendemGedanken getragen wird: Die Personmit Behinderung handelt und denkt alsaktives Subjekt. Sie hat die Fähigkeit zubegreifen, sich selbst zu verstehen, undkann über das, was in ihrem unmittel-baren Leben geschieht, nachdenkenund sprechen. Trotzdem ist die Kennt-nis von sich selbst erst im Aufbau be-griffen, ist intuitiv und oft unklar. Nurmit Hilfe von Worten kann sie verdeut-licht werden. Deswegen muss an die-sem Selbstbild gearbeitet werden. Bisvor kurzem wurde dieser Aspekt in derErziehung und im Entwicklungsprozessvon Menschen mit Behinderung voll-kommen ausgeklammert.

Diese Menschen wussten wenig übersich selbst (wer sie sind, was sie ma-chen, wohin sie gehen), während dieUmgebung sich zurückhielt. Man er-wartete von ihnen, dass sie reif wurden

und Zugang zur Welt der Erwachsenenfanden, enthielt ihnen aber gewisseTeilbereiche vor.

Aus diesem Blickwinkel heraus greiftdas SSEE ein, um den Aufbauprozessdes Selbstkonzeptes zu begünstigen.

Der Begriff „Behinderung“ im Laufeder GeschichteNach C. Lepri hat sich der Begriff „Be-hinderung“ im Laufe der Geschichteverändert. Das Bild eines Menschen mitBehinderung war zur Zeit der Römerdas eines Monsters der Natur. Im Mit-telalter glaubte man überwiegend, dassBehinderung eine Folge von Sünde sei.Um 1600 n. Chr. verliert die Religion anBedeutung und man beginnt einen Men-schen zu sehen, für den man sich inter-essiert und den man umsorgt. Sein Bildin der Gesellschaft ist das eines Wilden,den es zu erziehen und zu normalisierengilt. Mit der Industrialisierung tauchtder Gedanke des gefährlichen Krankenauf, und die Behinderung wird mit einerBewusstseinsstörung oder mit einerNeigung zu Straftaten verwechselt. Le-pri ist der Meinung, dass das Bild eines

Psychotherapie-Gruppen für Kinder undJugendliche mit Down-Syndrom (1)

Rosa Borbonés

Übersetzung aus dem Spanischen: Carlota Schatz

Das SSEE (ein Team des spanischen Down-Syndrom-Vereins in Barcelona – La Fun-dació Catalana Síndrome de Down – das die Entwicklung von Kindern im Schulalterbegleitet), organisiert Psychotherapie-Gruppen für Kinder und Jugendliche mit Down-Syndrom, um sie bei der Entwicklung ihres Selbstbildes zu unterstützen. Die Psychotherapie-Gruppe bietet eine gute Möglichkeit, Aspekte eines Selbstkon-zeptes zu erarbeiten. Anhand von praktischen Beispielen zeigt der Artikel auf, in welcher Weise interve-niert wird, wie der psychotherapeutische Ansatz ist und welchen Beitrag die Kinderund Jugendlichen selbst leisten. Es werden Schlüsselelemente beschrieben, die fürdie Identitätsbildung wichtig sind.

Die Arbeit in den Psychotherapie-Gruppen wurde bei der VIII. Inter-nationalen Down-Syndrom-Tagungin Barcelona am 15. und 16. Mai2003 von Rosa Borbonés vorge-stellt.

Anschließend erschienen in denAusgaben von November 2003 undMärz 2004 der Zeitschrift „RevistaMédica Internacional sobre el Sín-drome de Down“, herausgegebenvon der Fundació Catalana Síndro-me de Down, zwei Beiträge zu die-sem Thema.

Schlüsselworte: Selbstkonzept. Psychotherapie-Gruppen. Identität. Down-Syndrom.Bild in der Gesellschaft.

Wir danken der Fundació CatalanaSíndrome de Down für die freundli-che Genehmigung, diese Artikel inLeben mit Down-Syndrom veröf-fentlichen zu dürfen.

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005 23

Menschen mit Behinderung in der ge-genwärtigen Gesellschaft stark mit demeines kleinen Kindes in Verbindung ge-bracht wird.

Was für ein Selbstbild haben Menschen mit Behinderung?Und welche Vorstellungen haben dieKinder und die Jugendlichen selbst?Was denken sie über sich selbst undüber ihre Altersgenossen? Was für einSelbstbild haben sie? Wie begreifen siedas Down-Syndrom? Man glaubt, dasssich in den Gedanken der Kinder selbst(oder in ihrem Verhalten) das Gleicheabspielt wie in der geschichtlichen Ent-wicklung.

Austausch in der Gruppe:Ähnlichkeiten und ...Das SSEE gibt Kindern und Jugendli-chen mit Down-Syndrom zwischen fünfund 16 Jahren Gelegenheit zum Aus-tausch. Die Gruppe bietet für Kinder undJugendliche, die innerhalb der Gesell-schaft in der gleichen Lage sind, einengeeigneten therapeutischen Rahmen,um gemeinsam mit anderen ihreSelbst(er)kenntnis erarbeiten zu kön-nen.

Analyse und Feststellung der Ähn-lichkeiten bringen das Erkennen undAnnehmen der Behinderung mit sich.Mittels unterschiedlicher Aktivitäten inden Gruppen und mit therapeutischerUnterstützung stellen die jungen Leutefest, dass sie nicht die einzigen mit Down-Syndrom sind, sondern dass esandere Jungen und Mädchen gibt, de-nen es im Zusammenhang mit ihrer Be-hinderung möglicherweise genauso er-geht. Sie merken, dass es behinde-rungsbedingte Ähnlichkeiten gibt, wiedie Augenstellung oder Lernschwierig-keiten, und dass es aber auch andereÄhnlichkeiten gibt, die nichts mit demDown-Syndrom zu tun haben: sympa-thisch sein oder nicht, ruhig oder zap-pelig sein, liebevoll oder widerborstig.

... und Unterschiede

Ein weiterer wichtiger Aspekt kommtebenfalls durch die Psychotherapie-Gruppe hinzu: die Feststellung der viel-fältigen Unterschiede, die innerhalb desKollektivs von Personen mit Down-Syn-drom existieren. Dass jeder seinen eige-nen Stil hat und die Schwierigkeiten undKompetenzen ganz unterschiedlich sind(einer kann sich gut ausdrücken, ein an-

derer wiederum nicht) – diese Feststel-lung ermöglicht es dem Einzelnen, sichselbst und die anderen nach und nachzu entdecken.

GruppenstrukturDie Gruppen werden nach verschiede-nen Kriterien eingeteilt, im Wesentli-chen nach dem chronologischen Alterder Mitglieder:

Paarweise, zwei Kinder zwischen fünfund sieben Jahren

Gruppen für symbolische Spiele, fürKinder zwischen sieben und neun Jah-ren

Kommunikationsgruppen für Zehn-bis 13-Jährige

Gruppen für Jugendliche zwischen 13und 16 Jahren

Die Gruppen treffen sich wöchent-lich einmal für 50 Minuten bis zu 3,5Stunden. Jeder Therapeut setzt nach ei-genem Ermessen und angepasst an diejeweilige Gruppe bzw. an deren Mitglie-der unterschiedliche Arbeitsmethodenein wie Gespräche, Spiele, Malen undSchreiben, Puppenspiele, Geschichtenund deren Darstellung.

In allen Gruppen (die Paare ausge-nommen) beginnt die Sitzung mit einemGespräch. Die Sieben- bis Neunjährigensetzen sich in einen Stuhlkreis, die Älte-ren um einen Tisch; das ist der besteMoment für den mündlichen Austausch.Nach dem Ankommen erhält jeder Zeit,über seine Erlebnisse und Erfahrungender vorangegangenen Woche zu berich-ten sowie über das, was ihn oder sie be-unruhigt. Die Therapeutin erklärt, dassjetzt Zeit ist, um über die eigenen Vor-lieben, aber auch über Sorgen und Pro-bleme zu sprechen; Zeit, um das Er-wachsensein zu erlernen (was für Kin-der mit Down-Syndrom so schwierigist). Als ein wichtiges Ziel der Gruppen-arbeit soll den Kindern vermittelt wer-den, dass sie ihrem chronologischen Al-ter entsprechend eingeteilt und behan-delt werden.

Gespräche müssen angekurbelt werden

Auch wenn jede Gruppe anders ist undihre Eigendynamik hat, so überwiegendoch zu Beginn des Gesprächs einsilbi-ge Aussagen und Pausen – damit diesenicht zu lang werden, lässt die Thera-peutin Worte einfließen, um so wenigs-tens einen minimalen Gedankenganganzuregen. Oft fehlen die Zusammen-

hänge und der Gesprächsinhalt ist eherbeschreibend (Angaben zu Namen,Schulklasse, Familienmitgliedern, häus-lichen und schulischen Aktivitäten). DieTherapeutin ist der Mittelpunkt, die Un-terhaltung läuft vorwiegend sternförmigab (die Therapeutin fragt und das je-weilige Kind antwortet), sodass kaumein Austausch der Gruppenmitgliederuntereinander stattfindet.

Nach E. Torras de Beà kommt eineGruppe so nicht leicht in Gang. DieGruppenmitglieder „bringen ihre re-gressive Abhängigkeit zum Ausdruck;diese lässt sie glauben, die Hilfe bestehedarin, dass jemand sie mitzieht, für siedenkt und Lösungen bereithält, sowieRegeln und Vorschriften durchsetztoder gar die Probleme verschwindenlässt“. Hinzu kämen die durch den geis-tigen Rückstand bedingten Schwierig-keiten.

Die Gruppe muss lernen, selbst-ständig zu agieren

Die Autorin fährt fort: „Es wäre ein Feh-ler, die Gruppe übermäßig mitzuziehen,um ihr den Anfang zu erleichtern, dahierdurch die regressiven Verhaltens-weisen verstärkt würden und am Endedie Gruppe auf der Therapeutin lastete.“Man versucht, ein Gleichgewicht zu fin-den, das heißt den Punkt, an dem sichdie Gruppe gezwungen sieht, ihreFähigkeiten zu entwickeln, um ihre Ar-beit selbst in die Hand zu nehmen. Unddas ist nicht immer leicht.

Nach und nach – ohne Eile – inte-grieren sich die Kinder und Jugendli-chen in die Gruppe und beteiligen sichzunehmend trotz der zwischen ihnenbestehenden Unterschiede. SpontaneBeiträge werden häufiger, die Gruppen-mitglieder haben manchmal denWunsch, der Gruppe oder auch einerbestimmten Person – nicht unbedingtder Therapeutin – etwas Wichtiges zuerklären, und jeder kann zu Wort kom-men.

Die Hauptaufgabe der Therapeutinist es zuzuhören, zu beobachten sowiedie Kommunikation unter den Teilneh-mern zu fördern und zu koordinieren,was nicht immer leicht ist. Es kann z.B.vorkommen, dass ein Mädchen etwasWichtiges sagt, aber niemand es wahr-nimmt, weil es entweder zu leise sprichtoder weil es wegen Sprachschwierigkei-ten schlecht zu verstehen ist. In so ei-nem Fall wäre es z.B. Aufgabe der The-

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rapeutin, das Gesagte aufzugreifen undin der Gruppe darauf einzugehen.

Die Beiträge der Kinder und Jugend-lichen sind vielfältig. Die Tatsache, zueiner Gruppe zu gehören, in der alle dasDown-Syndrom haben, wird von ihnenanfangs sehr ambivalent aufgenommen.Obwohl die Begeisterung für die Gruppe(meist) groß ist und man sich in ihr wohlfühlt, würden der eine oder andere, viel-leicht sogar alle, lieber in ihrem ge-wöhnlichen Klassenzimmer bleiben, an-statt beim SSEE aufkreuzen zu müssen..., was andererseits gut verständlich ist.

Kommentare wie: „Er/sie ist häss-lich, dumm“, kommen häufig vor, eben-so wie die Geste für: „Er/sie ist ver-rückt.“ Ein bloßes „Ich weiß nicht“ etwaoder ein ratloses Gesicht, das auszu-drücken scheint: „Ich habe dazu nichtszu sagen“, deuten darauf hin, was dieKinder und Jugendlichen dabei fühlenmögen.

Die Therapeutin versucht in Wortezu fassen, was ihrer Meinung nach inder Gruppe geschieht bzw. was derenMitglieder denken. Es muss erklärt wer-den, dass nicht dumme oder hässlicheKinder in die Gruppe kommen, sondernKinder mit Down-Syndrom (vielleichthaben ihnen ihre Eltern schon erklärt,dass sie das Down-Syndrom haben). Eswird darüber gesprochen, dass sie mög-licherweise selbst denken, sie seien hässlich oder dumm, dass sie verwirrtsind und das Down-Syndrom nicht mö-gen, und dass das normal ist. Dies allesermöglicht ihnen die Erfahrung, bishertief Verborgenes aus sich zum Vor-schein kommen zu lassen.

Mit Unterstützung der Therapeutinschlagen die Kinder nach und nach The-men vor, z.B.:

Fortschritte im Bereich der Selbst-ständigkeit: Diese sind vielleicht die amhäufigsten auftauchenden Themen, bei-spielsweise der Gruppe zu erzählen,dass man die Brille jetzt ohne Gummi-halterung trägt oder dass man alleineduscht.

Themen, die dem chronologischen Al-ter entsprechen.

Konflikte aus dem eigenen Leben: zuHause, wenn es wütend macht, von denGeschwistern übergangen zu werden,oder wenn einen die Eltern wie ein klei-nes Kind behandeln; in der Schule,wenn man durch Mitschüler oder Leh-rer bemuttert oder abgelehnt wird.

Lernen, mit der Behinderung zu leben!

M. Estela Valle sagt über die Kommuni-kation mit Kindern, Jugendlichen undErwachsenen mit Behinderung: „Es wä-re eine heilsame Entlastung, wenn maneinen Großteil von dem, was im Unter-bewusstsein verborgen ist, an die Ober-fläche bringen kann ... nämlich dasRecht des Einzelnen, ohne Schuldgefüh-le und ohne Scham seine aggressivenund lüsternen Impulse zu erkunden,selbst dann, wenn er nicht handelnkann.“

Des Weiteren bemerkt sie: „Das Zielist nicht die Beseitigung von Problemen

oder die Beseitigung des Konflikts, son-dern die Befähigung des Kindes, ganzbewusst mit seinen Schwierigkeiten zuleben, sie anzunehmen und sich selbstanzunehmen, zu vertrauen und sichselbst zu vertrauen.“

Durch die Weiterentwicklung derGruppe wächst deutlich der Wunsch,mit dem anderen zu sprechen, währenddie Abhängigkeit vom Erwachsenen ab-nimmt.

Ausgehend von einem Beziehungs-modell, das auf Selbstständigkeit grün-det, wird die Gruppe über das „Ich bin,wie ich bin“ zur Selbstfindung geführt.

Das Identitätskonzept der Psycho-analytiker L. und R. Grinberg war

für uns sehr hilfreich, um zu verstehen,wie Kinder und Jugendliche mit Down-Syndrom ihre Identität bilden. Diese Au-toren beschreiben den Erwerb des Iden-titätsgefühls als einen kontinuierlichenBeziehungsprozess zwischen drei Ebe-nen der Verarbeitung („Integration“),nämlich der räumlichen, der zeitlichenund der sozialen Verarbeitung.

Die räumliche Verarbeitung

Die räumliche Verarbeitung betrifft dieverschiedenen Teile des „Selbst“ ein-schließlich des körperlichen „Selbst“.

Die Teile werden zu einer Einheit zu-sammengefügt, mit den Objekten derUmgebung verglichen und von ihnenabgegrenzt. Dadurch kann bei der Bil-dung der Individuation das „Selbst“ vom„Nicht-Selbst“ unterschieden werden.

Das Identitätsgefühl hängt eng mitder psychosexuellen Entwicklung zu-sammen. Den Körper zu kennen, ist we-sentlich für die Festigung der Identität.Jeder erforscht sich selbst in Verbin-dung mit seinem Körper. Das Gesicht(Augen), die Hände und die Genitaliensind für die Körperwahrnehmung amwichtigsten, sowohl für den eigenenKörper als auch für den eines anderen.

Psychotherapie-Gruppen für Kinder undJugendliche mit Down-Syndrom (2)

Welche sind die Schlüsselelemente der Identitätsbildungbei Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom? Von großem Nutzen war für uns das Konzept der Psycho-analytiker L. und R. Grinberg, das Identität als Ergebnis eines kontinuierlichen Beziehungsprozesses zwischen räumlicher, zeitlicher und sozialer Verarbeitungversteht. Aus dieser Perspektive werden die in den Psychotherapie-Gruppen zum Ausdruck kommendenGedanken der Kinder und Jugendlichen mit Down-Syn-drom bezüglich ihrer Identität analysiert.

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005 25

Die gedankliche Vorstellung des Kör-pers (zu der beispielsweise auch die Klei-dung gehören kann) ist Teil des Körper-schemas.

Bei Kindern und Jugendlichen mitDown-Syndrom ist besonders das Bildder Augen (und gegebenenfalls der Bril-le) von Bedeutung. Um jemanden zu er-kennen, schauen wir mit den Augen aufseine Augen. Die Kinder und Jugendli-chen können am Gesicht, genauer ge-sagt an den Augen (an der Brille), er-kennen, ob jemand das Down-Syndromhat oder nicht, oder es fällt ihnen zu-mindest etwas auf, auch wenn sie diesnicht genau präzisieren können. Hiereinige Beispiele:

Wenige Tage, nachdem Manuel zumersten Mal an einer Psychotherapie-Gruppe teilgenommen hatte, sagte er:„Ah! Alle tragen eine Brille.“ Er hatte al-le Jungen und Mädchen der Gruppe alsBrillenträger identifiziert (und so war esauch, selbst wenn dies nicht unbedingtzum Down-Syndrom gehört).

Als Imma ihrerseits auf der Straßeeine Frau mit Brille sah, sagte sie zu ih-rer Mutter: „Schau, Mama, wie ich, siehat Down-Syndrom.“ „Was meinst du,Imma?“, antwortete die Mutter. „Doch,Mama, sie trägt eine Brille“, beharrtedas Mädchen auf seiner Beobachtung,woraufhin die Mutter erklärte: „Imma,die Frau trägt zwar eine Brille, aber siehat kein Down-Syndrom.“ Offensichtlichdachte Imma, dass jeder Brillenträgerdas Down-Syndrom hat.

Auch wenn die geschilderten Episo-den nur Einzelfälle sein mögen, so kön-nen sie doch zum Verständnis vieler Be-hauptungen und Verhaltensweisen die-ser Kinder und Jugendlichen beitragen.So versteckten Imma oder Marta überlange Zeit hinweg immer wieder ihreBrille in allen möglichen Winkeln zuHause oder in der Schule, ohne es je-mandem zu verraten. Und sie weigertensich, sie aufzusetzen. Diese Ablehnungscheint andere Gründe zu haben als diebloße Unannehmlichkeit, eine Brille tra-gen zu müssen. Die Gruppe bietet Gele-genheit, über vieles zu sprechen: überAugen und Brillen, über die Form derAugen und darüber, ob „Down-Syn-drom haben“ und „Brille tragen“ dasGleiche ist.

Es wird wesentlich an der Wahrneh-mung von Gemeinsamkeiten gearbeitetsowie von Verschiedenheiten zwischenden einzelnen Jungen und Mädchen mit

Down-Syndrom, um ihnen immer wei-ter dabei zu helfen, sich selbst anzu-nehmen.

Auch die Zunge spielt anscheinendeine Rolle. In einem der Räume desSSEE hängt ein großes Poster, auf demzwei Kinder zu sehen sind: ein Jungeohne Behinderung und ein Mädchen mitDown-Syndrom. Manchmal verwendenwir dieses Bild, um an der Identität zuarbeiten: Wem sehen sie ähnlich? Wervon beiden hat ein Down-Syndrom? Wiesehen sie aus?, ...

In einer der Gruppen zeigte uns Joan(ganz richtig), dass das Mädchen dasDown-Syndrom hat. Als wir fragten,warum, überraschte er uns mit der Ant-wort: „Schau, weil sie die Zunge her-ausstreckt.“ Auf dem Poster streckt dasMädchen die Zunge nicht heraus. Mankönnte meinen, es handelte sich hier umschlichte Verwechslungen. Es geht je-doch um das Selbstbild der Kinder undJugendlichen mit Down-Syndrom, umdie Art, wie sie sich wahrnehmen. Hiermuss eingegriffen werden.

Schließlich gibt es noch einen rechtcharakteristischen Aspekt, nämlich,sich hübsch oder, besser gesagt, sichhässlich vorzukommen. Wir sprechennicht davon, ob jemand tatsächlich hübsch oder hässlich ist, sondern da-von, wie er sich selbst wahrnimmt. Dieshängt nicht nur mit dem physischenAussehen zusammen, sondern auch mitder Art, in der die Teile des eigenen Kör-pers ins Selbstbild eingefügt werden.

Es ist klar, dass die Kinder und Ju-gendlichen sich nicht für die Hübsches-ten der Welt halten. Und es ist auch klar,dass sie darüber nicht reden können.Die unangenehmen Eigenschaften ansich selbst anzunehmen, schafft erst dasnotwendige Gleichgewicht, um sich mitanderen über diese Gefühle austau-schen zu können. Das bringt Erleichte-rung, ein besseres Verständnis fürein-ander und das Gefühl, nicht alleine zusein.

Die zeitliche Verarbeitung Die zeitliche Verarbeitung bezieht sichnach L. und R. Grinberg auf den Zu-sammenhang zwischen den unter-schiedlichen Selbstbildern im Laufe derZeit. Ihre Kontinuität bietet die Grund-lage der Selbstheit, d.h. man selbst zusein. Wir sprechen vom Erkennen dereigenen Identität im Lauf der Zeit undvon der Fähigkeit, sich an sich selbst in

der Vergangenheit zu erinnern und sichin der Zukunft vorzustellen. Es geht dar-um, die aus verschiedenen Momentender Erfahrung stammenden Bilder zueinem Ganzen zu vereinen.

Der Autor behauptet, dass zu denKrisen der Entwicklung – Entwöhnung,Ödipus-Situation, Adoleszenz – die ganzpersönlichen Lebenskrisen eines Indivi-duums hinzukommen, bedingt durchseine eigene, einzigartige Lebensge-schichte. Was geschieht bei Kindernund Jugendlichen mit Down-Syndrom?

Es werden zwei Gegebenheiten be-obachtet. Einerseits stellen wir fest, dassdas Selbstbild sehr einseitig bleibt. Zuder Schwierigkeit, unterschiedliche Er-fahrungen zu einer Einheit zusammen-zufügen, kommen die kognitiven Schwie-rigkeiten hinzu. In bestimmten Momen-ten kommt es zu dem, was man eineKonzentration auf die negativen Aspek-te der Behinderung nennen könnte: „Ichweiß nicht, ich habe es vergessen, ichbin dumm.“ Die – häufigen – Äußerun-gen dieser Art können Auswirkungenhaben wie z.B. die Hemmung gegenüberPapier und Bleistift (das Kind vermeidetetwas zu tun, weil es nur denkt, es habeSchwierigkeiten). Es überwiegt in sol-chen Momenten der Glaube an das, wases nicht tun kann.

Zum anderen passiert es, dassWachstum verleugnet wird. Zu einerlangsamen Entwicklung, bei der esselbst für Fachleute manchmal schwie-rig ist, Fortschritte zu erkennen, kommtdie bereits erwähnte Vorstellung desewigen Kindes. Die Kinder und Jugend-lichen haben echte Schwierigkeiten, ih-re eigene Entwicklung einzuschätzen(was sie früher taten bzw. gegenwärtigtun, worin sie Fortschritte erzielt haben,was ihnen schwer fällt). Auch könnensie sich schlecht in die Zukunft hinein-projizieren, sie fühlen sich klein.

Durch Austausch und Kommunikati-on vermittelt die Gruppe in diesem Sin-ne den Kindern:

Was man doch weiß, wozu man dochimstande ist.

Als Elena sich weigerte zu schrei-ben, sagte Pilar zu ihr: „Versuche es, dubist nicht dumm“, während sie ihr zeig-te, wie sie es selber tat („Schau!“).Manchmal sind Worte überflüssig. DieKinder beobachten und vergleichensich. Das Tun der anderen ist Anreiz,das zu probieren, was sie selbst nicht

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können. Sie wollen sich bessern undentfernen sich somit vom „Ich weißnicht, ich kann nicht“.

Den Bezug zum chronologischen Alter.Wer Down-Syndrom hat, bleibt nicht fürimmer ein kleines Kind. An diesem The-ma wird gearbeitet, wobei die Gruppen-teilnehmer z.B. über das eigene Alternachdenken oder darüber, was Kinderin einem bestimmten Alter tun. In vielenFällen äußern die Jugendlichen ihreMeinung und manchmal beschweren siesich auch, beispielsweise darüber, dassdie Mutter ins Badezimmer kommt,während sie sich duschen, um ihnen dieHaare zu waschen, oder dass sie immernoch bis zum Schuleingang begleitetwerden.

Die Fähigkeit, sich Veränderungen zustellen.Es werden Situationen aus der Vergan-genheit untersucht. Die Gruppenmit-glieder prüfen, wie sie sich damals ver-halten haben, und überlegen, wie sie esheute in der gleichen Situation tun wür-den. Wenn angesichts eines neuen Kon-fliktes Kräfte („Ich-Stärke“) wieder ge-wonnen werden, die sich zu anderer Ge-legenheit bereits bewährt haben, kanndie Person der Zukunft gestärkt entge-gentreten. Die Gewissheit, dass dies an-deren auch so ergangen ist, ist zudemein Zeichen von Normalität.

Die soziale Verarbeitung

Die soziale Verarbeitung bezieht sichschließlich auf die soziale Konnotationder Identität auf der Grundlage der Ob-jektbeziehungen und der Identifikati-onsmechanismen, die hier eine Rollespielen. Nach L. und R. Grinberg gibt esgrundsätzlich zwei Arten von Identifika-tion:

die Projektions-Identifikation. Eine primitive Form von Identifikation,massiv und ganzheitlich, ohne Differen-zierung:

die Introjektions-Identifikation.Eine gereiftere Form von Identifikation,bei der durch Differenzierung eine Aus-lese derjenigen Faktoren stattfindet, diedas „Selbst“ bereichern können:

Zwischen den Gruppenmitgliederntreten Identifikationen auf, die sichdurch die Wechselwirkung weiterent-wickeln. Es wird der Hang zur Nachah-mung beobachtet: Man tut das, was derandere auch tut, oder man erzählt, man

sei genau dort hingegangen, wo der an-dere auch war. Trotzdem stellen wirnach und nach fest, dass ein stark nach-ahmendes und von den anderen abhän-giges Kind sich in manchen Fällen dochanders verhält als die anderen, dass esvon selbst etwas sagt und versucht, sei-ne Meinung zu rechtfertigen. Es diffe-renziert sich vom Rest der Gruppe, an-erkennt aber gleichzeitig die Gemein-samkeiten.

Der Relativierungsprozess von Ähn-lichkeiten und Verschiedenheiten istnicht einfach, genauso wenig wie derGedanke, man sei zur selben Zeit gleichund verschieden. Joana stellte sich z.B.einmal vor Carme, um beider Körper-größe miteinander zu vergleichen, undstellte fest: „Verschieden.“ Wir erklär-ten: „Ja, du bist größer, du bist blond,und sie ist dunkel ...“ Ein anderes Malschaute sie Carmes Brille an (Joanaträgt auch eine) und sagte: „Gleich.“Während sie diese Vergleiche zog, ent-wickelte sie ihr Selbstkonzept, ihreIdentität.

Die Projektions-Identifikation nimmtin der Gruppe eine neue Form an. DieKinder und Jugendlichen projizierenunangenehme Eigenschaften von sichselbst auf die anderen. Kürzlich sagteMercè zu den Teilnehmern der Gruppe:„Schmutziges Gesicht.“ „Wer hat einschmutziges Gesicht?“, fragten wir sie.„Die Gruppe“, war die Antwort, und siezählte die Namen aller Gruppenmitglie-der auf und die der Therapeuten.

Ein weiteres Beispiel hierzu ist dasvon Mireia: Während sie ein anderesMädchen anschaute, sagte sie: „Sie be-schimpft mich.“ (Dies war nicht so.) Alswir zu ihr sagten: „Mireia, Joana be-schimpft dich nicht. Glaubst du, dass siedich beschimpft?“, antwortete sie mit:„Ja.“ Sie erlebte ihren eigenen Ärgerteilweise, indem sie ihn auf das andereMädchen projizierte, also als Aggressiongegen sich selbst.

Mit diesen beiden Artikeln ist ver-sucht worden, darzulegen, wie die In-tervention in den Psychotherapie-Grup-pen des SSEE geschieht. Es wurden ei-nige Schlüsselelemente beschrieben, diefür die Identitätsbildung bei Kindernund Jugendlichen mit Down-Syndromwichtig sind. Die Psychotherapie-Grup-pe bietet einen geeigneten Raum, umverschiedene Aspekte eines Selbstkon-zeptes zu erarbeiten.

Literatur

Lepri, C. „Hacia el descubrimiento de unmundo nuevo: entre lo immaginario y la

representación” en: VI JornadasInternacionales sobre el síndrome de Down,

1995. p. 61- 78.

Torras de Beà, E. Grupos de hijos, grupos depadres en psiquiatría infantil psicoanalítica.

Barcelona : Ed. Paidós, 1996. p.28- 9.

Valle, M. E. Del, La discapacidad sin miedos.Buenos Aires: Espacio (Colección Guías de

vida), 1994. p. 23- 4.

Grinberg L., Grinberg R. Identidad y cambio.Barcelona: Paidós, 1993.

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005 27

Sind Sie schon einmal einer Einla-dung in feiner Garderobe gefolgt und

haben dann feststellen müssen, dass eseine Gartenparty ist, auf der alle ande-ren mit Jeans und T-Shirt erschienensind? Wie peinlich! Das Gefühl, fehl amPlatz zu sein und nicht dazu zu gehören,beschleicht einen in diesem Moment.

Behinderte, integriert lebende Ju-gendliche und junge Erwachsene stehenin einer ähnlichen Situation jeden Tag,jede Minute, ohne ihr entrinnen zu kön-nen.

So lange Integration bedeutet, dassbehinderten Menschen die Teilhabe anunserer Gesellschaft nicht mehr verwei-gert wird, aber ihre Akzeptanz lediglichdurch die Anpassung an bestehendeNormen bejaht wird, werden sich Be-hinderte Nischen schaffen müssen, indenen sie sich frei und ohne Druck be-wegen können. Freiräume, in denen siesich, ihrem eigenen Lern- und Lebens-tempo entsprechend, den Themen undInteressen widmen können, die ihnenwichtig sind. Freiräume, in denenÄußerlichkeiten Nebensache und dasAnderssein normal ist.

Eine Gruppe für junge Frauen mitDown-Syndrom

Daher wurde vom Deutschen Down-Syndrom InfoCenter mit der „CoolenHühnersisterbande“ für junge Frauenmit Down-Syndrom einer dieser Frei-räume geschaffen. Denn durch die wei-te räumliche Distanz der Wohnorte, denintegrierten Lebensstil der meisten undihre berufliche Eingliederung fand einnatürliches Zusammentreffen mit Frau-en, die sich mit der selben Problematikauseinander setzen müssen, wenigstatt. Bei den monatlichen Treffen be-finden sich die sieben jungen Frauen ineiner Gruppe, die als gemeinsamesMerkmal die Altersgruppe (16 bis 27Jahre) und die Behinderung hat.

An erster Stelle steht für sie die Mög-

lichkeit, sich mit jungen Erwachsenen,die sich in einer ähnlichen Situation be-finden, auszutauschen. Wichtig hierfürist die entspannte Atmosphäre, in dersie sich wohl fühlen können, um einenRaum für sich und ihre Themen zu fin-den.

Es handelt sich um Themen rund umdas Erwachsenwerden, die sie auf ihreeigene Weise besprechen. Zugleich kön-nen sie so in einem Tempo lernen undNeues erfahren, das ihnen entspricht.Dabei geht es um das Selbständigwer-den, es geht um ihre Lebenssituationmit dem alltäglichen Freud und Leid,um ihre Beziehungen zu Freundinnenund Freunden, aber es geht auch um ih-re Stellung in der Gesellschaft, ihren Ar-beitsplatz und ihre zukünftige Lebens-planung.

Ein Selbstbild entwickeln: Wie binich eigentlich?

Das Selbstbild einer jeden Einzelnen istein grundlegendes Thema, das den Aus-gangspunkt für die Gruppenarbeit bil-det. Es ist die Grundlage für eine diffe-renziertere Körperwahrnehmung, mitder den jungen Frauen eine Möglichkeitan die Hand gegeben wird, aus ihren ei-genen Empfindungen heraus Entschei-dungen zu treffen und zu vertreten.

Beginnend mit einer Betrachtungder Äußerlichkeiten wie etwa Kleidungund Frisur, wird das Selbstbild näherergründet. Dann wird das Augenmerkauf die unterschiedlichen Charakterei-genschaften und Interessen der Einzel-nen gelenkt. Es zeigen sich Gemeinsam-keiten ebenso wie Unterschiede, wasden Frauen das Gefühl gibt, dazu zugehören und doch individuell zu sein.Daraus kann innerhalb der Gruppe eineReflexion über sich selbst stattfinden,die von einem liebevollen und mit-fühlenden Feedback der anderen Grup-penmitglieder begleitet wird.

Bei der Vorstellung, wie sie sich

selbst in ihrer Familie, ihrem berufli-chen Umfeld und mit ihren Freundensehen, wird sichtbar, in welchem Span-nungsfeld manche von ihnen leben. Ei-nerseits streben sie nach Normalitätund messen sich an den vorgelebtenWertvorstellungen, andererseits wirdihnen ihre Besonderheit immer und im-mer wieder unangenehm vor Augen ge-führt.

Das Anderssein an sich stört nicht ...

Am Beispiel einer sehr kontrovers ge-führten Diskussion, in der es darumging, ob sie nun behindert sind odernicht, wurde nicht nur ihr Selbstbilddeutlich, sondern auch ein Teil der Inte-grationsproblematik. Ein paar der jun-gen Frauen zeigten sich dem Thema ge-genüber eher gleichgültig, was damitzusammenhängen könnte, dass ihnendie Betrachtung ihrer selbst aus einerübergeordneten Perspektive noch nichtmöglich war oder sie schlichtweg mitdiesen Gedanken noch nicht konfron-tiert wurden.

Andere hingegen verneinten vehe-ment, zu den Behinderten gerechnet zuwerden. Sie störten sich sehr an demBegriff „behindert“, den sie als negativeBeschreibung empfanden, obwohl sieerkannten, dass sie alle die gemeinsameBesonderheit Down-Syndrom mitbrin-gen und dadurch anders sind als ande-re junge Frauen. Im weiteren Gesprächwurde deutlich, dass einige durchaus ei-ne realistische Vorstellung hatten, wodiese Unterschiede liegen. Es war beru-higend zu erleben, dass sie das Anders-sein an sich nicht störte, solange sie inihrem Umfeld nicht mit Widerständenund negativen Äußerungen konfrontiertwerden. Berichteten sie jedoch von ne-gativen Rückmeldungen bezüglich ihresAussehens, ihres Lern- und Lebenstem-pos, empfanden sie das Anderssein alsnegativ, denn dann fühlten sie sich ab-gelehnt und ausgegrenzt – eben behin-dert.

Nähe und Distanz

Darüber hinaus geht es auch darum,herauszufinden, was der eigene Ge-schmack, die eigene Meinung und derpersönliche Wille ist. Eine schwierigeAufgabe, denn dazu gehört eine diffe-renzierte Wahrnehmung seiner selbst,unter anderem eine differenzierte Kör-perwahrnehmung. Diese zu schulen istein fester Bestandteil der Treffen. Es

Die Coole HühnersisterbandeEine Gesprächsgruppe für junge Frauenmit Down-SyndromMarit Hamer

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28 Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005

geht darum, den eigenen Körper be-wusst wahrzunehmen, die Signale, dieer sendet, richtig zu deuten, nachspürenzu lernen, was sich gut und was sichschlecht anfühlt. In einem weiterenSchritt muss schließlich noch erlerntwerden, diese Wünsche nach außendeutlich zu signalisieren. Eine zentraleÜbung dazu ist das Spüren von Näheund Distanz. Die Teilnehmerinnen ver-suchen darin herauszufinden, wie nahsich das Gegenüber aufhalten darf. Abwann der Abstand zu gering wird, wosich dann das ungute Gefühl im Körpermeldet, was passiert, wenn das Ge-genüber wieder einen Schritt zurück-tritt und der Abstand wieder vergrößertwird.

So kann es beim Partnerwechsel imRollenspiel zu völlig anderen Abständenkommen, wenn sie sich einmal vorstel-len, es sei der Arbeitgeber und ein an-deres Mal die Freundin, die ihnen ge-genübersteht. Ganz wichtig scheint beidiesen Übungen zu sein, dass ihnen ge-nug Zeit und Wiederholungsmöglichkeitgegeben wird, um die erfahrenen Ein-drücke wirken zu lassen. Anfangs wares den Frauen kaum möglich, ihre eige-ne Empfindung wahrzunehmen, jedochkonnte, mit vielen Wiederholungen derÜbung und mit viel Geduld beim Nach-spüren, jede ihre Sinne schärfen undmit der Zeit recht zügig feststellen, wiesich zum aktuellen Zeitpunkt ihr

Wunsch nach Nähe und Distanz zumanderen verhält.

Ja und nein sagen können

In einem weiteren Schritt ging es umdas Signalisieren der eigenen Wünsche.Ganz grundlegende Übungen mit deneinfachen Wörtern „Ja“ und „Nein“ ga-ben die Möglichkeit, sich auszuprobie-ren und durch die Rückmeldungen Neu-es zu erlernen. Ein leise und zögerlichausgesprochenes „Nein?“ wirkt völliganders als ein „Nein!“, das mit erhobe-nem Haupt und fester Stimme gespro-chen wird. Ja-und-Nein-sage-Spiele undSpiele zu nonverbaler Kommunikationführten schließlich bei einigen zu einerveränderten Haltung und deutlicherenSignalen in ihrer Kommunikation.

Soziale Regeln lernen

Darüber hinaus stehen Themen wie so-ziale Regeln von Jugendlichen und jun-gen Erwachsenen, der Umgang mit demElternhaus sowie die Strukturen vonFreundschaften und Beziehungen imMittelpunkt. In kleinen Rollenspielenkönnen die jungen Frauen ausprobie-ren, welches Verhalten für sie in be-stimmten Situationen geeignet er-scheint, und gegebenenfalls neue Ver-haltensweisen üben.

An folgendem Beispiel ist schön zusehen, wie eine scheinbare Kleinigkeitdes Alltags zu einem wichtigen Thema

einer Gruppenstunde wurde und dieGruppe in weiteren Treffen begleitete.Es ging um die angemessene Form derBegrüßung. Gemeinsam wurde das The-ma erarbeitet, selbst erfahren undgeübt. Auslöser war die Beobachtung,dass die jungen Frauen sehr häufig dieinnige Umarmung als Ritual wählten,was nicht immer als angemessen er-schien. Zunächst wurden die möglichenBegrüßungsrituale (Handschlag, Umar-mung, Zuwinken) spielerisch auspro-biert und anschließend besprochen,welche Form zu welcher Personengrup-pe passen könnte. Fremde Personen, El-tern, Freunde und Bekannte bedürfenunterschiedlicher Begrüßungsformen,aber auch die eigene Laune kann eineRolle dabei spielen, war das Ergebnis imGespräch. In kleinen Rollenspielen pro-bierten die jungen Frauen aus, was vor-her besprochen worden war.

Ganz besonders wichtig war es, dieSituation mit Bekannten und Freundenzu beleuchten, weil es da keine eindeu-tige Regel für die Form der Begrüßunggibt. Wie fühlt es sich an, einer nichtganz fremden Person die Hand zu ge-ben, oder möchte ich ihr nur zuwinken,warum möchte ich sie vielleicht umar-men und wie fühlt sich dabei das Ge-genüber? Ganz entscheidend warenauch die Rückmeldungen von den Zu-schauerinnen des Spiels an die Spiele-rinnen: „Hast du nicht gemerkt, dass siesich nicht umarmen lassen wollte?“,oder: „Es war komisch, wie das aus-sah.“ Hierbei war es sowohl für die Zu-schauer als auch für die Beteiligten hilf-reich, immer wieder Gelegenheit zumNachspüren zu geben, ob es sich gutoder schlecht anfühlte und was in dieserSituation passierte. In mehreren Stun-den danach wurden die Situationen wie-derholt geübt und so konnten die jungenFrauen schneller und sicherer eine an-gemessene Form der Begrüßungwählen.

Wichtiges Gesprächsthema: Beziehungen

Ganz wichtig für die jungen Frauen istnatürlich auch das Thema Beziehung.Zum einen haben sie zusammen mit denanderen in der Gruppe die Gelegenheit,ihren, teilweise sehr unrealistischen,Schwärmereien nachzuhängen, ohnebelächelt zu werden. Zum anderen gibtihnen die Gruppensituation die Mög-lichkeit, realistische Vergleiche zu zie-

In Spanien gibt es schon

viele Gesprächsgruppen

für Menschen mit Down-

Syndrom. Wir halten zu-

sammen, meinten diese

beiden jungen Damen in

Palma de Mallorca.

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005 29

hen. In der Gruppe müssen sie ihre Le-benspläne nicht mit den Lebensplänennicht behinderter Jugendlicher verglei-chen, sondern beschäftigen sich mitEntwürfen und Vorstellungen, die ihnenentsprechen.

Welche junge Frau mit Down-Syn-drom hat schon die Möglichkeit, sich sowie andere Jugendliche im selben Alter,fernab von ihren Eltern, auszuprobie-ren.

Auch wenn man ihnen nicht densel-ben Freiraum einräumen kann wie ihrenAltersgenossen, dennoch ist es ein Un-terschied, ob die Eltern sie begleitenoder die Verantwortung durch anderePersonen getragen wird. Diese Gelegen-heit hatte die „Coole Hühnersisterban-de“ in Form einer Wochenendfreizeit,bei der das Thema Freundschaft näherbeleuchtet wurde. Das Zusammenseinüber drei Tage hinweg war nicht nur einaufregendes Abenteuer für die jungenFrauen, sondern gab der Gruppe außer-dem einen engeren Zusammenhalt undviele neue Anstöße, die in den folgendenGruppenstunden vertieft wurden.

Seitdem konnte ein verstärktes In-teresse aneinander beobachtet werden.Miteinander erlebte Fröhlichkeit undkleinere Krisen verbinden sie immernoch stark und für die eine oder anderewar das Gefühl, dass nicht nur das El-ternhaus ein Zuhause sein kann, son-dern auch die Gruppe oder eine Freund-schaft ein Platz ist, wo sie angenommenist, eine neue und gute Erfahrung.

Theorie in Alltagssituationen üben

Scheinbar nebenbei werden bei jedemTreffen Alltagssituationen trainiert. Ei-ne kleine, gemeinsame Mahlzeit wirdhergestellt, die sie zum Teil selbst ein-kaufen bzw. selbst zubereiten. Ein ganzwichtiges Thema dabei ist die schlankeLinie. Also wird schon vorher bespro-chen, was gut für die Figur ist, was ge-sund und nahrhaft ist. Außerdem wer-den die Portionen schon vor Beginn derMahlzeit abgesprochen und nicht über-schritten. Manchmal bedarf es einer Er-innerung durch die Tischnachbarin,dass es nur eine Brezel für jeden gibtund der Apfel doch eine gute Alternati-ve wäre, aber in der Regel funktionierendie selbst gewählten Auflagen.

Vor den Ausflügen in die Stadt zumEinkaufsbummel, ins Museum oder insKino wird in der Gruppenstunde davorbesprochen, welche Verhaltensweisenwichtig sein könnten und worauf dies-mal speziell geachtet werden soll. Ganzelementare Dinge wie: „Was mache ich,wenn ich die Gruppe verliere?“, oder:„Wer möchte in welches Geschäft unddarf/kann sich dort etwas kaufen?“ Da-bei werden unrealistische Ideen, wie ei-ne allzu lange Einkaufsliste, schon vor-her besprochen und der Situation oderdem Geldbeutel angepasst.

In der Gruppenstunde nach den Aus-flügen werden meist noch einmal einigeSituationen aufgegriffen und ganz diffe-renziert zur Sprache gebracht, wie bei-spielsweise: „Wie kann ich angemessen

Konzentriert bei der Arbeit

mit einem gut aussehenden, jungenMann vom Nebentisch flirten?“ DieseFragen können dann im Rollenspiel aus-probiert und geübt werden. Wobei diejungen Frauen, durch die Wahrneh-mung der Gruppe, den Rollenwechselund das wiederholte Üben, bei dem siebewusst nachspüren können, schließ-lich selbst zu einem guten Ergebniskommen, das ihnen unter Umständenschon beim nächsten Ausflug weiterhel-fen kann.

Abgesehen vom Spaß und der Fröh-lichkeit, die die jungen Frauen in derGruppe erleben, wird es in Zukunft nochendlos viele Themen geben, die sie be-schäftigen. Sei es, dass sie den neuenArbeitsvertrag mit den anderen Teil-nehmerinnen feiern möchten, sich ki-chernd über ihre Sängeridole austau-schen wollen oder ein paar Aspekte aufdem Weg zum Erwachsenwerden ge-meinsam beleuchten.

Zurück zur Gartenparty. Wie er-leichtert fühlt man sich, entdeckt maneinen weiteren Partygast, der offen-sichtlich ebenso unpassend gekleidet istwie man selbst. Schnell gesellt man sichzueinander, fühlt sich nicht mehr so de-platziert, und der Abend ist gerettet.

Das Gefühl der selbstverständlichenZugehörigkeit verbindet und stärkt diejungen Frauen der „Coolen Hühner-sisterbande“. Doch zugleich gibt dieGruppe ihnen die Chance, Neues zu ler-nen und ihren Horizont zu erweitern.

Und wie schön wäre es, wenn sichdie jungen Frauen auch außerhalb ihresengsten Umfeldes mit dem Gefühl be-wegen könnten, ganz selbstverständlichdazu zu gehören. Zum Beispiel auf einerGartenparty, auf der sie Menschen inJeans und Abendkleidern treffen

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30 Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005

Der Januskopf der Diagnostik: Eltern von Kindern mit Behinderung imSpannungsfeld zwischen Unsicherheitund Ausgrenzung

W. Lenhard, H. Ebert, H.J. Schindelhauer-Deutscher, W. Henn, E. Breitenbach

Die raschen Fortschritte der medizinischen, insbesondereder genetischen Diagnostik sind für Eltern von Kindernmit Behinderung Fluch und Segen zugleich: Einerseitsstellt Unsicherheit hinsichtlich der Ursache der Behin-derung für Eltern eine massive Belastung dar, die denCoping-Prozess wesentlich erschwert. Die Ausschöpfungder diagnostischen Möglichkeiten und das dann mög-liche Auffinden des Grundes der Behinderung könnendann den effektiven Einsatz von Bewältigungsstrategien wesentlich erleichtern. Vorgeburtlich dagegen führt ein mit denselben Diagnose-methoden erhobener auffälliger Befund aufgrund desMangels an therapeutischen Möglichkeiten sehr häufigzum Abbruch der Schwangerschaft. Mittels einer Fragebogenstudie an 925 Eltern von Kin-dern mit Down-Syndrom, Eltern von Kindern mit einemKind mit geistiger Behinderung unklarer Ursache undEltern nicht behinderter Kinder wurde untersucht, obdiese Entwicklung zur Herausbildung eines neo-eugeni-schen Automatismus von pränataler Diagnose undSchwangerschaftsabbruch führt, als dessen Folge Menschen mit angeborener Behinderung als „vermeidbareLast“ erscheinen und Eltern von Kindern mit angebore-nen Behinderungen gesellschaftlich ausgegrenzt werden.

Mit der Unsicherheit leben: Die Bedeutung einer konkreten Diagnose für Eltern von Kindern mit Behinderung

Umfangreiche Forschungsarbeiten do-kumentieren die dramatischen Auswir-kungen diagnostischer Unsicherheit aufPatienten, die an akuten oder chroni-schen Krankheiten leiden, oder auf Men-schen, die von Behinderungen betroffensind. Die Befürchtung eines progredien-ten Krankheitsverlaufs und der fortlau-fenden Verschlimmerung von Sympto-men verursacht emotionalen Druck undhemmt den Gebrauch wirkungsvollerBewältigungsstrategien. Koocher (1984,S. 573) bezeichnet Ungewissheit als ver-mutlich größten einzelnen psychologi-schen Stressor, dem Patienten mit le-bensbedrohenden Krankheiten gegen-überstehen. Lynch, Kroenke und Den-ney (2001) wiesen nach, dass Behinde-rung, Ungewissheit, Hoffnung und emo-tionsfokussierte Coping-Strategien beiPatienten mit Multipler Sklerose zusam-mengenommen 40 % der Varianz selbst-berichteter Depression erklären. Diesgilt jedoch nicht nur für die betroffenenPersonen selbst, sondern auch für naheVerwandte, insbesondere Eltern. Clarke-Steffen (1993) berichtete, dass die vonpermanenter Sorge gekennzeichneteZeit des Wartens auf die Diagnose fürEltern eines krebskranken Kindes denschlimmsten Aspekt der Diagnosestel-lung darstellte.

Während die meisten Untersuchun-gen die Erfahrungen von Eltern mit le-bensbedrohlichen oder chronischen Er-krankungen wie Krebs thematisieren(z.B. Boman et al., 2003; Grootenhuis &Last, 1997; Clarke-Steffen, 1993; Ster-ken, 1996; Ablon, 2000), wird die Aus-wirkung unaufgelöster chronischer Un-sicherheit wie im Falle von Eltern mit ei-nem Kind mit einer Behinderung unbe-kannter Ursache kaum beleuchtet.Dabei bleibt bei 50 bis 80 % der Men-schen mit geistiger Behinderung die zu-grunde liegende Störung, ob genetischoder nicht, unklar (Devriendt, 2004;Hintze, 1993, S. 17). Die Vermutung derEltern, dass „etwas mit dem Kind nichtstimmt“, stellt sich häufig erst langsamim Laufe des ersten Lebensjahrs odergar noch später ein, und zahlreiche, oftunkoordinierte Untersuchungen undTherapien werden in Anspruch genom-men – oftmals mit geringem Erfolg

Schlüsselwörter:

diagnostische Sicherheit und Unsicherheit,

geistige Behinderung, unklare Diagnose,

Down-Syndrom, Coping, Angst, Schuld-

gefühle, Pränataldiagnostik, Neo-Eugenik

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005 31

(Hintze, 1993, S. 90). Gerade Kinder mitunspezifischen Entwicklungsverzöge-rungen stellen Eltern, Mediziner undTherapeuten gleichermaßen vor die Fra-ge nach den Ursachen dieser Verzöge-rung, weil von deren Klärung sowohl dieEntwicklungsprognose als auch wesent-liche Überlegungen zur Therapiepla-nung und zum möglichen weiteren Kin-derwunsch der Eltern abhängen.

Obwohl eine frühe und endgültigeDiagnose wie z.B. Trisomie 21 von denmeisten Eltern zunächst als Schockwahrgenommen wird (Gath & Gumley,1984; Damrosch & Perry, 1989), könnendie betroffenen Eltern langfristig oft-mals besser mit der Situation umgehenals Eltern, die keine eindeutige Klärungfür die Behinderung ihres Kindes erhal-ten. Dies betrifft nicht nur medizinischeAspekte der Behinderung des Kindes,sondern gilt vor allem auch für die emo-tionalen Aspekte des Copings mit derBehinderung.

Rosenthal et al. (2001) identifiziertenThemenschwerpunkte, die Eltern vonKindern mit einer Behinderung unkla-rer Ursache besonders beschäftigten:Zunächst einmal suchten Eltern für sichselbst nach einer Erklärung, insbeson-dere auch in Hinblick auf die Zuweisungvon Schuld. Wenn eine biologische Ur-sache entdeckt wird, so ist damit eige-nes Fehlverhalten als Ursache weitge-hend ausgeschlossen (Niedecken, 1993,S. 32). Weiterhin belastete Eltern diefehlende Möglichkeit, die Wiederauftre-tenswahrscheinlichkeit der Behinderungin eigenen Folgeschwangerschaften oderSchwangerschaften anderer Familien-mitglieder (z.B. Geschwister des behin-derten Kindes) einzuschätzen. Auch lässt sich ohne Diagnose anders als beieinem klar umrissenen Syndrom wieder Trisomie 21 nur schwer eine Pro-gnose über die Entwicklungs- und Le-bensperspektiven des Kindes abschät-zen. Darüber hinaus knüpften viele El-tern an eine klare Diagnose die Hoff-nung, dass hierdurch eine effektivereTherapie möglich sei.

Die Eltern gaben weiterhin an, dassdas Fehlen eines Befundes das Akzep-tieren der Dauerhaftigkeit der Behinde-rung sehr erschwert hat. Viele Elterngaben sich der Hoffnung hin, dass sichdie Probleme noch „auswachsen“ undvon alleine wieder verschwinden wür-den. Schließlich betrachteten viele die-ser Eltern ihre Situation als einzigartig

und glaubten nicht, dass es auch ande-re Eltern gäbe, die mit der gleichen Pro-blematik zu tun hätten. Sogar jene, diesich der hohen Anzahl von Behinderun-gen ohne klare Ursachenzuschreibun-gen bewusst waren, fühlten sich sehrfrustriert und isoliert und hatten großeProbleme beim Finden einer zu ihnenpassenden Selbsthilfegruppe. Eine Mut-ter eines Kindes mit einer geistigen Be-hinderung unklarer Ursache beschriebbeispielsweise ihre Verwunderung, dassschätzungsweise bei 50 % der Kindermit einer geistigen Behinderung keineDiagnose vorläge, sie selbst aber prak-tisch kein Kind kenne (Rosenthal et al.,2001).

Potenzielle Risiken der Diagnostik

Während die Diagnosestellung und einklarer Befund für Eltern von enormerBedeutung sein können, birgt insbeson-dere die Pränataldiagnostik auch poten-zielle Gefahren. Auf diesem Gebiet gabes innerhalb der letzten 30 Jahre einerasante Zunahme der diagnostischenMöglichkeiten und auch der Anwen-dung der Untersuchungsverfahren. Mitder laufenden Entwicklung neuer non-invasiver Verfahren (sog. Aneuploidie-Test, bei dem fötale Zellen aus dem müt-terlichen Blut extrahiert und einer Ge-nomanalyse unterzogen werden sollen,siehe z.B. Holzgreve et al., 1993) sowieder in Deutschland verbotenen Präim-plantationsdiagnostik (PID) sowie derPolkörperdiagnostik zeichnen sich zu-künftige Entwicklungen bereits deutlichab. Der besagte Aneuploidie-Test befin-det sich auch nach zehn Jahren immernoch im Stadium klinischer Forschung(Gänshirt, 2000), sodass dessen Einsatzin der Praxis nach wie vor unklar ist.Sollte der Test bis zur Anwendungsreifegelangen, dann hätte dies sehr weit rei-chende Auswirkungen. Es wäre dannmöglich, bereits zu einem sehr frühenStadium der Schwangerschaft über ei-nen einfachen, non-invasiven Test weitreichende Informationen über den chro-mosomalen Status des Fötus zu erhal-ten.

Da die therapeutischen Möglichkei-ten während der Schwangerschaft abernach wie vor sehr begrenzt sind und dieüberwiegende Mehrheit der Schwange-ren sich bei einem auffälligen Chromo-somenbefund, wie beispielsweise Triso-mie 21, ebenso wie bei per Ultraschallerkennbaren Fehlbildungen wie Spina

bifida, Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte undExtremitätendefekten bereits jetzt zu ei-nem selektiven Abort entscheidet (Len-hard, 2003), würde sich die Anwen-dungsproblematik pränataler Untersu-chungen deutlich verschärfen. In die-sem Fall könnten sich Eltern auch beiweniger gravierenden Behinderungen,wie beispielsweise bei einer genetischbedingten Neigung zu Übergewicht, ge-gen die Geburt ihres Kindes entschei-den.

Diese Entwicklung leistete der Be-fürchtung Vorschub, es könne sich einAutomatismus aus Diagnostik und an-schließendem Schwangerschaftsabbruchherausbilden, in dessen Licht Menschenmit angeborener Behinderung als „ver-meidbare Last“ erschienen. Eine solcheEntwicklung könne zu einer Verstär-kung eugenischer Tendenzen in der Ge-sellschaft beitragen und zu verstärkterAusgrenzung der betroffenen Menschenund ihrer Familien führen.

Aus diesem Grund nahmen zahlrei-che Vertreter von Kirchen und Behin-dertenverbänden gegen die Anwendungbestehender und die Entwicklung neuerpränataldiagnostischer Untersuchungs-methoden Stellung bzw. lehnen diesegrundlegend ab (vgl. Lebenshilfe, 2003;Deutsche Bischofskonferenz, 2003). Auchdie Deutsche Gesellschaft für Humange-netik e.V. (1993) wies in einem Memo-randum auf die Notwendigkeit hin,durch verstärkte Öffentlichkeitsarbeitsowie Fortbildung der beteiligten Be-rufsgruppen die Entscheidungsautono-mie der Schwangeren und die Nicht-Diskriminierung von Nicht-Inanspruch-nehmerinnen zu gewährleisten und ei-ner Diskriminierung von Menschen mitBehinderung und deren Familien vor-zubeugen.

Herleitung der Fragestellung

In dieser Studie wurde erwartet, dassbei Eltern von Kindern mit unterschied-lichen Formen von Behinderung derGrad an Sicherheit der Diagnose das Ge-fühl emotionaler Belastung sowie Ge-fühle von Schuld und Angst im Vergleichzu Eltern von nicht behinderten Kindernbeeinflusst. Es wurde vermutet, dassMütter mit einem behinderten Kind, daseine frühe und endgültige Diagnose wiez.B. Down-Syndrom erhielt, auf unter-schiedlichen Stress- und Angst-Indikato-ren niedriger abschneiden als Müttermit einem Kind mit geistiger Behinde-

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32 Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005

rung unklarer Ursache. Gleichzeitig wardie Annahme zu überprüfen, dass gera-de Eltern mit einem Kind mit einer Be-hinderung unklarer Ursache ein beson-deres Interesse an der Entwicklung neu-er diagnostischer Möglichkeiten haben.

In einem zweiten Untersuchungsteilwurde deshalb die Akzeptanz der Neu-entwicklung und Anwendung pränatal-diagnostischer Untersuchungsinstrumen-te in verschiedenen Elterngruppen er-mittelt. Abschließend stellt sich die Fra-ge nach den gesellschaftlichen Effektenpränataldiagnostischer Untersuchungen:Führt die Verfügbarkeit pränataldia-gnostischer Untersuchungen zu sozia-lem Druck, im Falle einer positiven Dia-gnose die Schwangerschaft zu beenden?Falls diese Befürchtung zutrifft, müsstenEltern von Kindern mit Down-Syndrom,die sich bewusst für das Kind entschie-den haben, sich verstärkt mit Schuld-vorwürfen konfrontiert sehen.

Beschreibung der Untersuchung

Die Daten wurden über Fragebögen er-mittelt, die im Laufe des Jahres 2003 anGrund- und Förderschulen im süd- undwestdeutschen Raum geschickt wurden.Die Fragebögen wurden in den Schulenden Kindern mit nach Hause gegeben.Die Fragebogensets bestanden jeweilsaus einem Fragebogen für die Mutterund den Vater sowie einem Blatt mit In-struktionen zur Beantwortung des Bo-gens. Das Informationsblatt schloss dieZusicherung der Anonymität und Frei-willigkeit der Teilnahme ein. Teilneh-mende Eltern schickten die Fragebögenmit einem Rückumschlag zurück. Nachzwei Wochen wurde ein Erinnerungs-schreiben durch die Schulen ausgeteilt.Vor der Durchführung der Untersu-chung wurden die Fragebögen durch ei-ne Ethikkommission der UniversitätWürzburg, Elternvereinigungen undSchulaufsichtsbehörden begutachtet.

Insgesamt wurden 717 Fragebogen-sets zurückgesandt. Die Fragebögen be-inhalteten 199 Fragen zu demographi-schen Variablen, der Ursache für dieBehinderung des Kindes, der subjekti-ven Bewertung der Schwere der kör-perlichen und geistigen Behinderungund des Gesundheitszustands des Kin-des, Unterstützung durch das sozialeUmfeld und den Partner, emotionale Be-lastung, Gefühle von Schuld, Einstellunggegenüber Fragen der Erziehung (s. Ta-belle 1), die deutschen Versionen des

State-Trait-Anxiety-Inventory (Laux etal. 1981) und des Balanced Inventory ofDesirable Responding (BIDR) (Musch etal. 2002), einem Fragebogen zur Erfas-sung sozialer Erwünschtheit.

der Eltern von Kindern mit einer geisti-gen Behinderung unklarer Ursache,während es keinen Unterschied zwi-schen den Eltern der Kinder mit Down-Syndrom und den Eltern der Kinder oh-ne Behinderung gab. Insgesamt warnach Auskunft der Eltern der Gesund-heitszustand der Kinder mit Down-Syn-drom im Vergleich zu Kindern mit einerBehinderung unbekannter Ursachedurchschnittlich schlechter: Sie hattenerwartungsgemäß gehäuft Fehlbildun-gen am Herzen, mehr Operationen undlängere Krankenhausaufenthalte. Außer-dem wurde von den Eltern der körperli-che Entwicklungsstand als schlechterbeurteilt, wohingegen es keine Unter-schiede hinsichtlich der Bewertung desgeistigen Entwicklungsstands gab. Deut-lich stärker ausgeprägt war unter Elternvon Kindern mit Down-Syndrom dage-gen der Organisationsgrad in Selbsthil-fegruppen. Während 28,8 % der Elternvon Kindern mit Down-Syndrom in ei-ner Selbsthilfegruppe Mitglied waren,betrug dieser Anteil unter Eltern vonKindern mit einer Behinderung unbe-kannter Ursache lediglich 9,5 %.

Nur die Daten der biologischen Elternvon Kindern mit Trisomie 21, Kindernmit einer geistigen Behinderung unkla-rer Ursache sowie, als Vergleichskollek-tiv, von nicht behinderten Kindern wur-den in die Analyse einbezogen. Einezunächst geplante weitere Untersu-chungsgruppe von Eltern von Kindernmit einer frühkindlichen exogenenHirnschädigung kam aufgrund niedri-ger Fallzahlen nicht zustande. Alle El-tern, die in einer oder in beiden Skalendes BIDR einen sehr hohen Wert sozia-ler Erwünschtheit aufwiesen (PR > 97)wurden aus der Analyse ausgeschlos-sen.

925 Fragebögen gingen in die weite-re Analyse ein. Die drei unterschiedli-chen Untergruppen unterschieden sichnicht signifikant in Bezug auf das Ge-schlecht des Kindes, die Berufstätigkeitund den Familienstand. Das Alter desKindes, die Zahl der Kinder pro Familieund das Alter der Eltern zum Zeitpunktder Geburt unterschieden sich jedochund wurden deshalb in den folgendenAnalysen als Kovariaten aufgenommen.Der Altersunterschied bei der Geburtwar bedingt durch ein niedrigeres Alter

Sozialer Bereich passive Segregation (Ausgrenzung durch das Umfeld)

aktive Segregation (Rückzug)

Mitnehmen des Kindes in die Öffentlichkeit

Hilfsbereitschaft der anderen

Emotionale Belastung emotionale Anspannung

Wunsch, dass das Kind nicht leben würde

Bedauern, mehr Probleme als andere Eltern zu haben

Schuldgefühle Gefühl der persönlichen Inkompetenz

Angst, dem Kind zu wenig Zuwendung gegeben zu haben

Sorge, zu wenig konsequent gewesen zu sein

Befürchtung, medizinische und entwicklungspsychologischeAspekte vernachlässigt zu haben

Tab. 1: Subfaktoren der Themenbereiche „Sozialer Bereich“, „Emotionale Belastung“ und„Schuldgefühle“

Themenkomplex Subfaktoren

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005 33

Auswertung

Wir analysierten die Daten mit SPSS11.5. Zuerst wurde zur Testung mögli-cher Einflüsse des Alters des Kindes ei-ne multivariate Kovarianzanalyse durch-geführt. Die unterschiedlichen Maße dersozialen Integration, der emotionalenBelastung, Schuldgefühle und die Trait-Skala des STAI dienten als abhängigeVariablen. Die Art der Diagnose ging indie Analyse als unabhängiger Faktorein. Die Kovariaten hatten lediglich ei-nen schwachen Einfluss auf die unter-schiedlichen abhängigen Variablen.Deshalb wurden sie nicht weiter berück-sichtigt. Für alle statistischen Tests wur-de ein Alphaniveau von .05 zugrundegelegt. Post-hoc-Tests wurden nachBonferroni-Holm korrigiert.

In einem weiteren Auswertungs-schritt wurde ermittelt, ob die integrati-ve Beschulung des Kindes sich positivauf die Eltern auswirkt. Hierzu wurdenEltern von Kindern mit Down-Syndromin zwei Gruppen aufgeteilt. Die Kinderder einen Gruppe wurden integriert be-schult, die Kinder der anderen Gruppebesuchten eine Förderschule. Diese bei-den Gruppen wurden hinsichtlich derverschiedenen Belastungsmaße vergli-chen. Der Bildungsabschluss der Elternund das Alter des Kindes wurden dabeikontrolliert. Abschließend wurden dieGruppen hinsichtlich ihrer Einstellungzu pränataldiagnostischen Untersu-chungen verglichen und ermittelt, ob El-tern verstärkt mit Schuldvorwürfenkonfrontiert werden, wenn sie vor derGeburt von der Behinderung des Kindeswussten.

Ergebnisse Vergleich der Eltern hinsichtlich derverschiedenen Belastungsmaße

Es wurde ein hochsignifikanter Haupt-effekt der Gruppe gefunden, F(24, N =808) = 13.94, p = .000. Die verschiede-nen Elterngruppen unterschieden sichauf allen verschiedenen Skalen mit Aus-nahme von „Gefühl der persönlichen In-kompetenz“, „Angst, dem Kind zuwenigZuwendung gegeben zu haben“ und„Sorge, zu wenig konsequent gewesenzu sein“.

Post-hoc-Tests zeigten, dass Elternvon nicht behinderten Kindern und El-tern von Kindern mit Down-Syndromsich nicht auf den Skalen STAI (Trait),emotionale Belastung und „Befürch-tung, medizinische und entwicklungs-

psychologische Aspekte vernachlässigtzu haben“ unterschieden. Eltern vonKindern mit Down-Syndrom hatten je-doch höhere Werte auf den Skalen„Wunsch, dass das Kind nicht lebenwürde“ und „Bedauern, mehr Probleme

als andere Eltern zu haben“ sowie allenMaßen zur sozialen Integration (Abbil-dungen 1, 2 und 3). Gleichzeitig berich-teten sie aber auch über besondereHilfsbereitschaft und Anerkennungdurch andere.

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nicht behindert unklarer BefundDown-Syndrom

42

Eltern

Abb. 1:Durchschnittliche Werte der verschiedenen Elterngruppen in Bezug auf den Trait-Teil der State-Trait-Anxiety-Inventory (STAI). Während Eltern von Kindern mit Down-Syndrom und Eltern vonKindern ohne Behinderung vergleichbare Werte hatten, war der Wert der Eltern eines Kindes miteiner geistigen Behinderung unklarer Ursache signifikant erhöht.

40

38

30

Mitt

elw

ert

nicht behindert unklarer Befund0,1

Down-Syndrom

0,3

0,5

Eltern

emotionaleAnspannung

Wunsch, dass dasKind nicht lebenwürde

Bedauern, mehrProbleme zu haben

Angst, medizinischeund psychologischeAspekte vernach-lässigt zu haben

Abb. 2:Durchschnittliche Werte der verschiedenen Elterngruppen in den verschiedenen Skalen zur emotionalenBelastung und den Schuldgefühlen. Eltern von Kindern mit Down-Syndrom hatten erhöhte Wertein „Bedauern, mehr Probleme als andere Eltern zu haben“ und tendierten zu höheren Werten in„Wunsch, dass das Kind nicht leben würde“. Mütter von Kindern mit einer geistigen Behinderungunklarer Ursache hatten auf allen Skalen die höchsten Werte.

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34 Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005

Eltern von Kindern mit einer geistigenBehinderung unklarer Ursache hattendie höchsten Werte auf allen Belas-tungsfaktoren (Abbildung 1 und 2). Siehatten verglichen mit den beiden ande-ren Gruppen signifikant erhöhte Werteauf dem STAI (Trait), „Bedauern, mehrProbleme als andere Eltern zu haben“,und „Emotionale Belastung“. Im Ver-gleich zu Eltern von Kindern mit Down-Syndrom zeigte sich ein Trend auf derSkala „Wunsch, dass das Kind nicht le-ben würde“ und ein hochsignifikanterUnterschied bei der Variablen „Be-fürchtung, medizinische und entwick-lungspsychologische Aspekte vernach-lässigt zu haben“.

Darüber hinaus wurde ermittelt, obder Wert im STAI signifikant erhöhtwar. In der Elterngruppe mit nicht be-hinderten Kindern hatten 31,8 % einensignifikant erhöhten Wert. Dies ent-spricht dem Anteil, der basierend aufden Normen des STAI zu erwarten war.Innerhalb der Eltern von Kindern mitDown-Syndrom entsprach dieser Anteil39,7 %, wohingegen unter Eltern vonKindern mit einer Behinderung unkla-rer Ursache 51,9 % einen signifikant er-höhten und damit klinisch relevantenAngst-Wert aufwiesen. Während sich

Eltern nicht behinderter Kinder und El-tern von Kindern von Down-Syndromstatistisch nicht signifikant unterschie-den, war der Unterschied zwischen El-tern von Kindern mit Down-Syndromund Eltern von Kindern mit einer Be-hinderung unklarer Ursache statistischbedeutsam.

Hinsichtlich der sozialen Integrationberichteten Eltern von Kindern mit Be-hinderung über eine verstärkte Aus-grenzung im Vergleich zu Eltern nichtbehinderter Kinder. Eltern von Kindernmit Down-Syndrom und Eltern einesKindes mit einer Behinderung unklarerUrsache unterschieden sich hingegennicht voneinander. Von allen untersuch-ten Variablen war der Unterschied zwi-schen den verschiedenen Gruppen indiesem Subfaktor am stärksten ausge-prägt. In Bezug auf aktive Segregation,also den bewussten Rückzug aus demsozialen Umfeld, unterschied sich jedeGruppe hochsignifikant von jeder ande-ren. Diese Tendenz war bei Eltern nichtbehinderter Kinder am geringsten undbei Eltern eines Kindes mit einer Behin-derung unklarer Ursache am höchstenausgeprägt.

Die Mitnahme des Kindes in die Öf-fentlichkeit, also der Versuch der Kom-

pensation sozialer Ausgrenzung, warähnlich wie bei der passiven Segregati-on bei Eltern von Kindern mit Behinde-rung stärker ausgeprägt als bei Elternnicht behinderter Kinder, wobei Elternvon Kindern mit Down-Syndrom ten-denziell höhere Werte erreichten als El-tern von Kindern mit einer Behinderungunklarer Ursache. Besondere Hilfsbe-reitschaft und Respekt durch andereMenschen, insbesondere auch durchFremde, erfuhren Eltern von Kindernmit Down-Syndrom wesentlich stärkerals die anderen beiden Elterngruppen,die sich ihrerseits nicht unterschieden.

Schulische Integration als Mittel zurIntegration der Familie? Zur Untersuchung der Fragestellung desZusammenhangs zwischen der Formder Beschulung des Kindes mit Down-Syndrom (integriert versus nicht inte-griert) und der Befindlichkeit der Elternwurden anschließend die Eltern vonKindern mit Down-Syndrom in zweiGruppen aufgeteilt.

Alle Eltern, deren Kind eine schul-vorbereitende Einrichtung oder eineFörderschule besuchten, bildeten dieGruppe „nicht integriert“; alle Eltern,deren Kind einen Regelkindergarten, ei-ne integrative Kindergartengruppe, einKooperationsprojekt, eine integrativeRegelschulklasse oder eine Grund- odereine Hauptschule besuchte, erhieltenden Status „integriert“. Insgesamt be-fanden sich in der Stichprobe 390 nichtintegriert und 33 integriert beschulteKinder mit Down-Syndrom. Der Gesamt-zusammenhang zwischen den beidenGruppen war signifikant, F(20, N = 532)= 2.02, p = .006.

Die Eltern integriert beschulter Kin-der fühlten sich weniger ausgegrenztund nahmen ihre Kinder stärker in dieÖffentlichkeit mit. Das Gefühl persönli-cher Inkompetenz war geringer ausge-prägt. Gleiches galt für die Angst, demKind zu wenig Zuwendung gegeben zuhaben. Die Befürchtung, medizinischeund entwicklungspsychologische Zu-sammenhänge vernachlässigt zu haben,war bei Eltern integriert beschulter Kin-der tendenziell niedriger. Zwar war derGruppenunterschied bei vielen Subfak-toren nicht statistisch bedeutsam. Reindeskriptiv wirkte sich die Integrationdes Kindes bei jeder Skala günstig aufdie Familie aus. Insbesondere in Hin-blick auf die Subfaktoren zum Fakto-

Mitt

elw

ert

nicht behindert unklarer Befund0,2

Down-Syndrom

0,4

0,6

0,8

Eltern

passive Segregation

aktive Segregation

Mitnehmen desKindes

besondere Hilfs-bereitschaft

Abb. 3:Durchschnittliche Werte der verschiedenen Elterngruppen in den verschiedenen Skalen zur sozialenIntegration. und den Schuldgefühlen. Eltern von Kindern mit Behinderung fühlen sich insgesamtschlechter integriert als Eltern von nicht behinderten Kindern, wobei Eltern von Kindern mit Down-Syndrom auch von besonderer Hilfsbereitschaft durch andere berichten.

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005 35

Die allermeisten Eltern von Kindern mitDown-Syndrom (94,6 %) hatten von derDiagnose vor der Geburt keine Kennt-nis. Von jenen wenigen Eltern, die sichbewusst für ihr Kind mit Down-Syn-drom entschieden, berichten sogar 40,5% von Schuldvorwürfen (vgl. Tab. 3).

Neben diesen offenen Schuldvor-würfen berichten manche Eltern auchdavon, wie belastend das Wissen seinkann, dass fast alle Kinder mit Down-Syndrom abgetrieben werden. Auch kannbereits die Frage, ob Diagnostik durch-geführt wurde, als Schuldvorwurf auf-gefasst werden.

Ein Vater berichtete eindringlich da-von, welche Gefühle ein Mailkontakt beiihm hinterließ: „Ich hatte ... einen Mail-kontakt mit einem Besucher meinerWebseite ... Seine Frau war in der 24.Woche schwanger und man hatte fest-gestellt, dass das Kind einen Herzfehlerhat ... Es wurde ein Down-Syndrom ver-mutet. Er hat daraufhin unsere Websei-te besucht, um sich über das Down-Syn-drom zu informieren ... Vor einigen Ta-gen erhielt ich dann überraschend eineMail von ihm mit dem Wortlaut: ‚Wirhaben uns schweren Herzens dazu ent-schlossen, das Kind abtreiben zu lassen.In der 25. SW ist das gar nicht so ein-fach. Das Kind war dann aber schnell totund kam mit einem Lächeln zur Welt.Wir werden es nie vergessen und sindfroh, es einmal gesehen zu haben. Es

sah gar nicht so behindert aus, wie wirdachten.’

Diese Mail hat mich richtig umge-hauen. Ich habe meiner Frau nichts da-von erzählt, da sie dies wohl nicht ver-kraftet hätte. Und jetzt, wo ich das nie-derschreibe, kocht in mir wieder dieWut über diesen Menschen hoch. Weißer nicht, was er uns damit antut, wenner sagt, dass er sein Kind ermordet hat?(Vater eines zwölf Monate altenMädchens mit Down-Syndrom)

Befragt man die Eltern, ob sie sichfür einen Schwangerschaftsabbruch ent-scheiden würden, wenn sie wüssten,dass sie ein Kind mit einer geistigen Be-hinderung erwarten, so gibt die Mehr-heit der Eltern von Kindern mit Down-Syndrom (68,5 %) an, dass sie keinenAbbruch vornehmen ließen bzw. ihrerPartnerin nicht zu einem Abbruch ratenwürden. Dabei spielt es keine Rolle, obsich die Eltern bewusst für ihr Kind mitDown-Syndrom entschieden hatten oderob sie erst bei der Geburt davon erfuh-ren. Interessanterweise übersteigt dieAblehnung eines Abbruchs unter Elternvon Kindern mit Down-Syndrom die vonEltern von Kindern mit einer Behinde-rung unklarer Ursache, bei denen sichlediglich 60,3 % gegen einen Abbruchaussprechen. Dabei handelt es sich ge-rade beim Down-Syndrom um eine prä-natal zuverlässig diagnostizierbare an-

Tab. 2: „Mir ist schon vorgeworfen worden, dass man die Geburt meines Kindes hätte verhindern können.“

nicht behindert Down-Syndrom unklarer Befund

nein 97,4 % 74,0 % 87,0 %

ja 2,5 % 26,0 % 13,0 %

Gesamt 100 % 100 % 100 %(N = 117) (N = 688) (N = 108)

Tab. 3: „Die Diagnose ‚Behinderung‘ war mir vor der Geburt bekannt“ versus „Mir ist bereits vor-geworfen worden, dass die Geburt des Kindes hätte verhindert werden können.“

nein ja

nein 74,9 % 59,4 %

ja 25,1 % 40,6 %

100 % 100 %(N = 645) (N = 37)

Diese Tabelle enthält ausschließlich Antworten von Eltern von Kindern mit Down-Syndrom.

Mir ist bereits vorgeworfen worden, dass die Ge-burt des Kindes hätte verhindert werden können

Gesamt

Die Diagnose „Behinderung“ war mir vor der Geburt bekannt

renkomplex des sozialen Bereichs undder Schuldgefühle zeigten sich deutlicheUnterschiede. Diese bessere Stellungvon Eltern integriert beschulter Kinderist nicht auf die Schwere der Behinde-rung zurückzuführen und auch sonstwaren beide Elterngruppen aufgrundder Kontrolle signifikanter demographi-scher Unterschiede vergleichbar.

Schuldvorwürfe aufgrund der Geburt des Kindes

In einer Elternbefragung von Lumke-mann (2001), die das Ziel hatte, die Er-fahrungen von Eltern von Kindern mitDown-Syndrom in Hinblick auf Diagno-semitteilung und genetische Beratungzu erfassen, sahen sich 28,3 % der Müt-ter Vorwürfen von Verwandten, Freun-den/Bekannten und ihren eigenen El-tern ausgesetzt:

Der Hauptvorwurf lautete bei 72 %dieser Mütter und allen sich dazuäußernden Vätern: „Warum fand keinepränatale Diagnostik statt?“ (Lumke-mann, 2001). In diesem Kontext drehtsich eine solche Frage natürlich nichtnur um Diagnostik. Schließlich gibt eskeine Therapie, die eine Trisomie 21heilt. Zwangsläufig beinhaltet eine sol-che Äußerung den Vorwurf, nicht abge-trieben zu haben.

In der vorliegenden Elternbefragungwurde etwas schärfer formuliert undkonkret gefragt, ob Eltern bereits mitdem Vorwurf konfrontiert worden wa-ren, dass die Geburt des Kindes hätteverhindert werden können. Ähnlich wiein der Untersuchung von Lumkemann(2001) berichteten 26,0 % der Elternvon Kindern mit Down-Syndrom vondiesem Vorwurf. Dies ist die höchste Ra-te unserer Untersuchung und übersteigtdeutlich die Anzahl der Vorwürfe ge-genüber Eltern mit einem Kind mit einerBehinderung unklarer Ursache (13,0 %)und Eltern eines nicht behinderten Kin-des (2,5 %, vgl. Tab. 2). Dieser Unter-schied war hochsignifikant.

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36 Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005

geborene Behinderung, mit der dafür inder Gesellschaft weithin bekannten Op-tion eines Schwangerschaftsabbruchs.Im Falle des völligen Fehlens einer Dia-gnose hatten/haben Eltern diese Mög-lichkeit nicht. Dennoch würden sie nacheigenem Bekunden eher einen Abbruchin Anspruch nehmen als Eltern von Kin-dern mit Down-Syndrom bzw. würdensie ihrer Partnerin hierzu raten.

Die klare Diagnose scheint in diesemFall also für eine höhere Akzeptanz desKindes mit Behinderung bei seinen El-tern förderlich zu sein.

Einstellung zur Entwicklung und An-wendung pränataldiagnostischer Un-tersuchungen

Insgesamt lehnten 52,6 % aller befrag-ten Eltern grundsätzlich die Förderungvon Forschung ab, die darauf abzielt,die Anzahl an lebend geborenen Kin-dern mit Behinderung zu verringern.34,8 % der Befragten plädierten sogardafür, diese Art von Forschung zu ver-bieten. Die Mehrheit (62,8 %) war derMeinung, dass stattdessen die Forschungüber Therapien bestehender Behinde-rungen verstärkt gefördert werden soll-te.

Andererseits würde die Mehrheit derEltern neue, nicht-invasive Untersu-chungen in der Schwangerschaft selbstin Anspruch nehmen bzw. ihrer Partne-rin zu solchen Untersuchungen raten.76,9 % gaben an, einen Aneuploidie-Bluttest, falls er verfügbar wäre, in An-spruch nehmen zu wollen. Für die „Rou-tine“-PID waren es 60,4 %. Die Mehrheitder Eltern (50,8 %) war dafür, denAneuploidie-Bluttest als eine Standard-untersuchung der Schwangerschafts-vorsorge zu implementieren, und einüberraschend hoher Anteil von 39,1 %sprach sich ebenfalls für die routine-mäßige Durchführung von PID aus. Ob-wohl die Zustimmung der Eltern vonKindern mit Down-Syndrom zu den ge-nannten neuen Untersuchungsformenebenfalls stark ausgeprägt war, nahmensie im Gegensatz zu den anderen beidenElterngruppen eine skeptischere Hal-tung ein. Ihre Zustimmung lag generelletwa 10 % niedriger, verglichen mit El-tern von Kindern ohne Behinderung.Nichtsdestotrotz stimmten auch unterihnen 89,9 % dafür, dass der nicht inva-sive Bluttest allen Schwangeren aufWunsch zur Verfügung stehen sollte. 69 % würden selbst eine solche Unter-

suchung in Anspruch nehmen, vergli-chen mit 87 % unter den Eltern nicht be-hinderter Kinder.

Gleichermaßen war die Angst vormöglichen negativen sozialen Nebenef-fekten neuer pränatal diagnostischer Un-tersuchungen unter den Eltern von Kin-dern mit Down-Syndrom am stärkstenausgeprägt. Während weniger als 20 %der Eltern nicht behinderter Kinder dieEntwicklung dieser Untersuchungsins-trumente als Angriff auf das Lebens-recht von Menschen mit Behinderungempfanden, betrug dieser Anteil unterden Eltern von Kindern mit Down-Syn-drom 38,0 % (Bluttest) bzw. 45,3 %(PID). Eine Verschlechterung der gesell-schaftlichen Stellung behinderter Men-schen aufgrund der Pränataldiagnostikbefürchteten 47,7 % (Aneuploidie-Blut-test) bzw. 50,5 % (PID) der Eltern vonKindern mit Down-Syndrom. Unter El-tern nicht behinderter Kinder liegen die-se Anteile mit 23,0 % (Aneuploidie-Blut-test) bzw. 26,5 % (PID) etwa halb sohoch. Eltern von Kindern mit einer geis-tigen Behinderung unklarer Ursachenahmen eine Zwischenposition ein. Ei-nerseits entsprach ihre Zustimmung zurPränataldiagnostik in etwa derjenigenvon Eltern von Kindern ohne Behinde-rung. Andererseits teilten sie die Be-fürchtung der Eltern von Kindern mitDown-Syndrom bezüglich möglicher ne-gativer Nebeneffekte.

Diskussion

Psycho-emotionale Nachteile für Mütter mit einem Kind mit einergeistigen Behinderung unklarer Ursache

Die Resultate zeigen ausgedehnte psy-cho-emotionale Nachteile für Mütter miteinem Kind mit einer geistigen Behin-derung unklarer Ursache verglichen mitMüttern von Kindern mit Down-Syn-drom mit einem vergleichbaren Schwe-regrad der geistigen Behinderung undeinem insgesamt schlechteren Gesund-heitszustand.

Eltern von Kindern mit Down-Syn-drom unterscheiden sich hingegen kaumvon Eltern nicht behinderter Kinder. Esgab nur ein Maß („Bedauern, mehr Pro-bleme zu haben als andere Eltern“), beidem Eltern von Kindern mit Down-Syn-

drom erheblich höhere Werte hatten alsEltern von Kindern ohne Behinderung.Aus diesem Grund gehen wir davon aus,dass die Spezifität der Diagnose einewichtige Determinante für die langfristi-ge emotionale Belastung bei Eltern vonKindern mit Behinderung darstellt.

Andererseits ermöglicht die konkre-te Diagnose einer zumeist sporadischauftretenden genetischen Anomalie –wie dem Down-Syndrom – mit einernormalerweise guten Prognose und ei-nem intakten und gut ausgebauten Sys-tem von Selbsthilfegruppen den Eltern,ein Leben zu führen, das sich in emotio-naler Hinsicht nicht wesentlich von El-tern von nicht behinderten Kindern un-terscheidet.

Schulische Integration hat einen positiven Effekt auf die gesamte Familie

Die integrierte Beschulung des Kindesstellte eine wirksame Maßnahme zurVerbesserung der psychosozialen Situa-tion von Eltern mit Kindern mit Behin-derung dar. Die Ausgestaltung des Schul-systems und die Gesetzgebung im Bil-dungsbereich sollten deshalb nicht nurdie Vor- und Nachteile einer integrier-ten Beschulung von Kindern mit einergeistigen Behinderung im Blick behal-ten, sondern darüber hinaus auch dieAuswirkungen auf die Gesamtsituationder betroffenen Familien berücksichti-gen. Die positiven Effekte einer inte-grierten Beschulung auf die gesamte Fa-milie sprechen für eine Ausweitung in-tegrativer schulischer Maßnahmen fürKinder mit Down-Syndrom und vermut-lich auch für Kinder mit einer geistigenBehinderung anderer Ursache.

Ist eine Arbeitsdiagnose hilfreich?

Angesichts der positiven psychosozialenEffekte diagnostischer Sicherheit sollteverstärkt darüber nachgedacht werden,ob in Ermangelung einer definitiven Dia-gnose die Vermittlung einer plausiblenund angemessenen, wenn auch unsi-cheren „Arbeitsdiagnose“ emotionalhilfreich sein könnte. Mit einer solchenArbeitsdiagnose könnten Eltern unterUmständen besser leben als mit gar kei-ner Ursachenzuschreibung für die Be-hinderung des Kindes. Es muss aller-dings auch bedacht werden, dass dieszu einer Fehleinschätzung der Behinde-rung und der Inanspruchnahme unge-eigneter Therapien führen könnte und

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005 37

eine einmal gegebene Diagnose nur re-lativ schwer wieder zurückgezogen wer-den kann.

Konkrete Diagnose erleichtert Kontakte zu anderen Eltern und begünstigt Coping-Strategien

Eine weitere Hauptimplikation betrifftdie Rolle von Selbsthilfegruppen. Unge-achtet des enormen Unterschieds imSchweregrad der Behinderung fällt esEltern mit einer spezifischen Diagnoseungleich leichter, Interessengruppen zubilden. Es ist nicht verwunderlich, dassein wesentlich größerer Anteil an Elternvon Kindern mit Down-Syndrom Mit-glied einer Selbsthilfegruppe ist, als diesbei den anderen Elterngruppen der Fallist.

Zusätzlich zum medizinischen undpsychischen Aspekt begünstigt einekonkrete Diagnose die Verwendung pro-blemfokussierter Coping-Strategien, in-dem Eltern die Hilfe anderer Eltern su-chen, deren Kind gleichermaßen betrof-fen ist. Es ist nicht verwunderlich, dasseine Reihe an Netzwerken für Eltern vonKindern mit Down-Syndrom, Rett-Syn-drom, Neuralrohrdefekten etc. existie-ren.

Für Eltern ohne exakte Diagnose istes viel schwerer, sich in Selbsthilfe-gruppen zu engagieren, da sie oftmalseinfach nicht wissen, an wen sie sichwenden können. Es dauert häufig einelange Zeit, bevor es überhaupt feststeht,dass es sich bei einer Entwicklungsver-zögerung nicht nur um ein vorüberge-hendes Problem handelt. Der bzw. dieBeratende sollte die Eltern deshalb ge-zielt auf Selbsthilfegruppen hinweisen,sobald es Anzeichen einer Behinderunggibt, selbst wenn es sich zu diesem Zeit-punkt nur um eine Arbeitsdiagnose han-delt.

„Das hätte nicht sein müssen!“ Viele Elten werden mit Vorwürfenkonfrontiert

Die Daten zur Thematik „Schuldvor-würfe bei einer Entscheidung für dasKind“ belegen deutliche Ausgrenzungs-tendenzen der Gesellschaft. Auch wenndie Mehrheit der Eltern von Kindern mitDown-Syndrom nicht mit Vorwürfenkonfrontiert wurde, so ist ein Anteil von26,0 % inakzeptabel hoch. Im Falle ei-ner bewussten Entscheidung für dasKind bei vorgeburtlich bekanntem Down-Syndrom sind deutlich mehr El-

tern betroffen. Zahlreiche Eltern stoßenin diesem Fall offensichtlich auf Unver-ständnis, weswegen in der gesellschaft-lichen Realität von einer unbeeinfluss-ten Entscheidungsmöglichkeit für odergegen ein Kind mit Down-Syndromnicht ausgegangen werden kann.

Breite gesellschaftliche Akzeptanzfür pränataldiagnostische Untersu-chungen

Die Ergebnisse bezüglich Präimplantati-ons- und Pränataldiagnostik zeigen,dass das Wissen über diese Art von Un-tersuchungen in der Gesellschaft bes-tenfalls fragmentarisch ist. Anders lässtes sich nicht erklären, dass die Mehrheitder Eltern selbst eine PID ohne famili-enspezifische Fragestellung in Anspruchnehmen würde, obwohl schon die miteiner künstlichen Befruchtung verbun-denen körperlichen Belastungen undauch die Kosten immens hoch sind. An-dererseits machen die Ergebnisse diebreite gesellschaftliche Akzeptanz präna-taldiagnostischer Untersuchungen deut-lich.

Zwar bewerten Eltern von Kindernmit Down-Syndrom solche potenziellenneuen Verfahren insgesamt skeptischerund sehen in stärkerem Ausmaß Risikenfür Menschen mit Behinderung, jedochfindet sich auch in dieser Gruppe einedeutliche Mehrheit für den Einsatz neu-er, nicht invasiver Schwangerschaftsun-tersuchungen. Die verschiedentlich pos-tulierte geschlossene Ablehnungsfrontder Familien von Menschen mit Behin-derungen gegen Pränataldiagnostik be-steht jedenfalls eindeutig nicht.

Das Meinungsbild ist allerdings nichtkohärent, da ein nicht unerheblicherAnteil der Befragten selbst einen Aneu-ploidie-Bluttest in Anspruch nähme,gleichzeitig aber für das Verbot ent-sprechender Forschung plädiert. Diemeisten Personen dieser Subgruppe(67,5 %) waren der Meinung, dass mansich mit Hilfe pränataldiagnostischerUntersuchungen besser auf die Geburtdes Kindes mit Behinderung vorberei-ten könne. 70,5 % dieser Eltern gabenan, vorgeburtliche Untersuchungen trü-gen dazu bei, dass Frauen während derSchwangerschaft viel unbesorgter seinkönnten. Sie fokussierten folglich aufden potenziellen, persönlichen Sicher-heitsgewinn und den erhofften thera-peutischen Nutzen diagnostischer Infor-mationen.

Die Autoren Lenhard, Ebert und Brei-tenbach sind am Institut für Sonder-pädagogik der Universität Würzburg,Henn und Schindelhauer-Deutscherbeim Institut für Humangenetik, Uni-versität des Saarlandes, Homburg/Saar tätig.

Korrespondenzadresse Wolfgang Lenhard Institut für Sonderpädagogik Universität Würzburg 97074 Würzburg Tel.: 0049 / 931 888 4865 Fax: 0049 / 931 888 4891 E-Mail: [email protected] Projekthomepage mit weiteren Infor-mationen:www.uniwuerzburg.de/sopaed1/pra-enatal/

Blindes Vertrauen in medizinischeUntersuchungen

Ein großer Anteil der befragten Elternscheint medizinischen Untersuchungenin der Schwangerschaft ein geradezublindes Vertrauen entgegenzubringen,ohne sich darüber im Klaren zu sein,welche Handlungsoptionen ein eventu-eller auffälliger Befund nach sich zieht.Zu Indikationen, Durchführung undAussagemöglichkeiten von PID herr-schen offensichtlich nur völlig diffuseVorstellungen.

Angesichts dieses geringen Wissensüber die Möglichkeiten und Grenzenpränataldiagnostischer Untersuchungenund der gleichzeitig gegebenen Gefahrder Ausgrenzung von Eltern von Kin-dern mit Behinderung ist zu folgern,dass eine sinnvolle Implementierungneuer pränataldiagnostischer Optionennur im Zusammenhang mit einer siebegleitenden Öffentlichkeitsaufklärungerfolgen kann. Auch ist vor einer even-tuellen Inanspruchnahme solcher Un-tersuchungen individuelle genetischeBeratung unabdingbar, um eine kom-petente Entscheidungsfindung der El-tern zu ermöglichen (HENN et al. 2001).Gleichzeitig muss die Entscheidungs-autonomie der Eltern – auch im Falleder Entscheidung für das Kind – in je-dem Fall respektiert werden.

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38 Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005

Brustkrebs bei Frauenmit Down-SyndromSiegfried Scherneck und Burkhard Jandrig

Das Tumorspektrum bei Menschen mit Down-Syndromerscheint äußerst spezifisch. Unter anderem ist es gekennzeichnet durch ein erhöhtes Risiko, vor allem im Kindesalter, an Leukämien zu erkranken. Dagegen ist das Risiko für das Auftreten von soliden Tumoren (Karzinomen) im Erwachsenenalter stark verringert.In diesem Artikel geht es um die Tatsache, dass Frauenmit Down-Syndrom ein im Vergleich zur Allgemein-bevölkerung vielfach geringeres Risiko (~ zehnfach) haben, an Brustkrebs zu erkranken.

In Deutschland erkranken laut Dach-dokumentation Krebs des Robert-

Koch-Instituts jährlich schätzungsweise47500 Frauen an Brustkrebs. Es han-delt sich damit um die häufigsteKrebserkrankung der Frau in der Bun-desrepublik Deutschland. Das Erkran-kungsrisiko steigt ab dem 40. Lebens-jahr stetig an, und im Laufe ihres Le-bens wird bei fast jeder zehnten FrauBrustkrebs diagnostiziert. ÄhnlicheZahlen werden auch von anderen Indus-trieländern berichtet.

Wie entsteht Brustkrebs?

Für die überwiegende Zahl der Brust-krebserkrankungen lässt sich keine al-leinige Ursache für die Entstehung ver-antwortlich machen. Vielmehr wird da-von ausgegangen, dass unterschiedlicheFaktoren die Umwandlung einer nor-malen Zelle in eine Tumorzelle begüns-tigen können. Zu diesen so genanntenRisikofaktoren zählen u.a. höheres Le-bensalter, Hormoneinfluss sowie Um-welt- und Ernährungsfaktoren.

Obwohl über die genauen Ursachender Entstehung von Brustkrebs nochwenig bekannt ist, gibt es kaum nochZweifel daran, dass Brustkrebs im

Grunde eine genetische Erkrankungdarstellt. Etwa fünf bis zehn Prozent derBrustkrebsneuerkrankungen sind erb-lich und lassen sich auf Mutationen inden bisher bekannten BrustkrebsgenenBRCA1 und BRCA2 zurückführen. DasLebenszeitrisiko für BRCA1-Mutati-onsträger, an Brustkrebs zu erkranken,ist gravierend höher und beträgt nachgegenwärtigen Berechnungen 65 Pro-zent (BRCA1) bzw. 45 Prozent (BRCA2).Frauen, die aufgrund familiärer Häu-fung und Mutationen in diesen Genenein erhöhtes Brustkrebsrisiko haben,wird ein engmaschiges Früherken-nungsprogramm in speziellen und kom-petenten Zentren angeboten.

Brustkrebs bei Frauen mit Down-Syndrom ist selten

Das Tumorspektrum bei Menschen mitDown-Syndrom erscheint äußerst spe-zifisch. Unter anderem ist es gekenn-zeichnet durch ein gegenüber der Allge-meinbevölkerung um zehn- bis 20-facherhöhtes Risiko, vor allem im Kindesal-ter, an Leukämien zu erkranken.

Dagegen ist das Risiko für das Auf-treten von soliden Tumoren (Karzino-men) im Erwachsenenalter stark ver-

ringert (vgl. auch den Beitrag Leben mitDown-Syndrom, Nr. 49, Mai 2005, S.20-21). Besonders auffällig ist, dassFrauen mit Down-Syndrom ein im Ver-gleich zur Allgemeinbevölkerung viel-fach geringeres Risiko (~ zehnfach) ha-ben, an Brustkrebs zu erkranken. Sowar keine von 1278 untersuchten däni-schen Down-Syndrom-Patientinnen anBrustkrebs erkrankt, obwohl statistischsieben erwartet wurden. Ebenfalls er-krankte keine von 1012 Down-Syn-drom-Patientinnen in Finnland (von er-warteten vier). In einer Studie in denUSA erkrankte eine Down-Syndrom-Pa-tientin an Brustkrebs bei erwartetenzwölf.

Unter Ärzten und Experten wird die-se Beobachtung sehr vielschichtig dis-kutiert. So wird u.a. darauf hingewie-sen, dass Menschen mit Down-Syndromsowohl beruflich als auch privat weitausweniger mit Krebs auslösenden Sub-stanzen in Berührung kommen als an-dere Menschen. Es bleibt schwierig, mitdiesem Argument speziell das reduzier-te Brustkrebs-Risiko zu begründen.

Auch der Hinweis auf eine kürzereLebenserwartung von Personen mit Down-Syndrom erscheint nicht schwer-wiegend genug. Aktuelle Analysen ha-ben gezeigt, dass die Lebenserwartungvon Europäern mit Down-Syndrom vondurchschnittlich neun Jahren (1929) auf60 Jahre (2004) gestiegen ist. Damitsteigt auch das Risiko für Brustkrebs.

Eine weitere Ursache wird in einerveränderten hormonellen Konstitutionder Frauen mit Down-Syndrom gese-hen. Sie werden in der Regel seltenschwanger, was nach Analysen vonFrauen ohne Down-Syndrom das Brust-krebs-Risiko erhöht. Sie erreichen aberauch früher die Menopause, was wie-derum einhergeht mit einem geringerenBrustkrebs-Risiko.

Insgesamt erklären diese Argumen-te nur unzureichend das stark reduzier-te Brustkrebs-Risiko bei Frauen mit Down-Syndrom. Deshalb wird gegen-wärtig davon ausgegangen, dass dafürgenetische Faktoren, wie eingangsschon für Frauen ohne Syndrom be-schrieben, eine primäre Rolle spielen.

Tumorsuppressor-Gene im Chromosom 21 identifiziert

Wie allgemein bekannt ist, handelt essich beim Down-Syndrom um eine Ge-nommutation, der eine Trisomie des

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005 39

kompletten oder Teilen des Chromo-soms 21 zugrunde liegt. Das variable Er-scheinungsbild des Syndroms wird vorallem auf die unterschiedliche, in derRegel höhere, Gendosis und damit Aus-prägung der auf Chromosom 21 lokali-sierten Gene in Zellen von Personen mitDown-Syndrom zurückgeführt. Es wirdvermutet, dass davon auch das Down-Syndrom-spezifische Tumorspektrumbeeinflusst wird. Interessanterweisewurden in verschiedenen Karzinomen,einschließlich Brustkrebs, noch keinefreien Trisomien 21 nachgewiesen, wasderen Bedeutung für die Unterdrückungvon Tumoren noch unterstreicht. Trotz-dem treten hin und wieder Brust-krebserkrankungen auch bei Frauenmit Down-Syndrom auf. Hier wird ver-mutet, dass Teile des Chromosoms 21 inden Tumorzellen verloren gegangensind.

Das menschliche Chromosom 21wurde in den letzten Jahren vollständiganalysiert und mehrere hundert Geneidentifiziert. Darunter befinden sichauch solche Gene, bei denen Eigen-schaften nachgewiesen wurden, die zurUnterdrückung von Tumoren führen(Tumorsuppressor-Gene). Allerdingsstehen wir erst am Anfang, die Funkti-on von spezifischen (Chromosom 21)Genen zu erkennen, ihre Einbindung inGen-Netzwerke zu verfolgen und letzt-lich ihre Rolle bei der Unterdrückungvon Tumoren bei Menschen mit Down-Syndrom aufzuklären. Die methodisch-technischen Voraussetzungen für der-artige Untersuchungen sind vorhanden.

In der Arbeitsgruppe Tumorgenetikdes Max-Delbrück-Centrums für Mole-kulare Medizin (MDC) in Berlin arbeiten

wir seit Jahren daran, die genetischenGrundlagen von Brustkrebs besser ver-stehen zu lernen. Im Verlaufe unsererForschungen haben wir eine Reihe vonKandidatengenen identifiziert, derenRolle bei der Entstehung von Brustkrebsumfassend geprüft wird. Als methodi-sche Grundlage für das Auffinden sol-cher Gene diente uns u.a. die Ein-führung von zusätzlichen menschlichenChromosomen in Brustkrebszellen, diedanach viele Eigenschaften einer nor-malen Zelle zurückgewinnen. Aus die-ser Situation heraus sind wir sehr dar-an interessiert, mehr über die Unter-drückung von Brustkrebs bei Frauenmit Down-Syndrom zu erfahren.

Wir erhoffen uns von der Aufklärungder molekularen Grundlagen des Auf-tretens von Brustkrebs bei Down-Syn-

Karyogramm von Trisomie 21

(Foto von Simone Heide-

mann, Christian-Albrechts-

Universität Kiel)

Die beiden Autoren, Prof. Dr. Sieg-fried Scherneck und Dr. BurkhardJandrig, interessieren sich vor allem– da es diese Angaben für Deutsch-land noch nicht gibt –, wo Brustkrebsbei Frauen mit Down-Syndrom fest-gestellt wurde. Sie möchten die be-treffenden Personen, Betreuer oderFamilienangehörige bitten, diesbe-zügliche Angaben an die folgende

drom-Patientinnen ein tieferes Ver-ständnis der zellulären Vorgänge in ei-nem Tumor. Hier muss der einzigartigeSchutzmechanismus, der sonst die Ent-stehung von Brustkrebs verhindert, ver-loren gegangen sein. Natürlich könntendiese Erkenntnisse aber auch Aus-gangspunkt sein z.B. für die Entwick-lung von therapeutischen Strategien fürsowohl Patienten mit Down-Syndrom(insbesondere bei erhöhter Lebenser-wartung) als auch für Patienten ohneSyndrom.

Prof. Dr. Siegfried ScherneckDr. Burkhard Jandrig

PS: Beim Lesen von Abhandlungen zumDown-Syndrom fiel uns folgender Satzvon Thomas J. Weihs (1914–1983) indie Hände, der in unsere Problematikhineinreicht:

Zitat: „Hat vielleicht der mongoloideMensch (Original – anders vielleichtMensch mit Down-Syndrom) auf ge-heimnisvolle Weise die Aufgabe über-nommen, weniger eine Krankheit alsein Heilmittel unserer Zeit zu sein.“

Studie: Brustkrebs bei Frauen mitDown-Syndrom

Adresse zu senden:

Prof. Dr. Siegfried ScherneckMax-Delbrück-Centrum für Moleku-lare Medizin (MDC) Berlin-BuchArbeitsgruppe TumorgenetikRobert-Rössle-Straße 1013125 Berlin

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F Ö R D E R U N G

Spielen und Belohnen als Mittel der Förderung– Erkenntnisse der HirnforschungAnwendungsmöglichkeiten von Tisch- und Brettspielen in der täglichen Erziehung

Monique Randel-Timperman

Spiele sind eine hervorragende Möglichkeit, wertvolle Zeit miteinander zu verbringen,Spaß zu haben, sich näher zu kommen, soziale Fertigkeiten zu üben und Herausfor-derungen anzunehmen. Außerdem werden über das Spiel die grauen Zellen in derHirnrinde angeregt, viele Netzwerke zu knüpfen, die immer komplexere Funktionenermöglichen.

Als Eltern und Erzieher sind wir im-mer bemüht, über unsere Erzie-

hungsmethoden nachzudenken, um un-sere Kinder zu gut wie möglich zu för-dern, insbesondere wenn sie größereLernprobleme haben. Denn instinktivspüren wir, dass nicht nur das Kind mitseinen Stärken und Schwächen den Lern-erfolg bestimmt, sondern dass es imEntwicklungsprozess mehrere Parteiengibt: Auch der Erzieher mit seinenFähigkeiten, seiner Persönlichkeit undseinem Erziehungsstil spielt eine ent-scheidende Rolle.

Lernerfahrungen, Erfolg und Kompetenzgefühl

Wenn wir unser Kind fördern möchten,müssen wir deshalb auch immer überunsere eigene Haltung nachdenken.

Ich möchte Sie deshalb einladen, be-vor ich verschiedene Fertigkeiten eineserfolgreichen Lehrers bespreche, einigeAugenblicke über Ihre eigenen Lerner-fahrungen nachzudenken.

Stellen Sie sich etwas vor, was Siebesonders gut können: vielleicht Mathe-matik, ein Musikinstrument spielen, Skilaufen, backen oder auch zuhören.

Erinnern Sie sich, wie Sie das ge-lernt haben? Wie waren die Umstände?Hat Ihnen jemand den Weg gewiesen?Wurden Sie ermutigt oder gelobt? HatSie das beflügelt?

Denken Sie auch einmal an Dinge,die Ihnen nicht so gut gelingen, oder aneine Situation, in der Sie sich entmutigt

fühlten, falsch verstanden oder unfairbehandelt wurden.

Denken Sie dann einmal darübernach, was Sie von Ihrem Kind mit Down-Syndrom erwarten und was Siesich für seine Zukunft wünschen:

Wie vermitteln Sie Ihrem Kind IhreWerte und Ziele?

Sind diese Ziele auch für Ihr Kindwichtig?

Kann es dabei Erfolg erleben?Kann es diese Ziele überhaupt er-

reichen?Wie helfen Sie ihm, diese zu errei-

chen?

Erfolgreich unterrichten oder erzie-hen bedeutet nicht nur, sein Kind zukennen, sondern auch genau zu analy-sieren, was Sie ihm beibringen wollen,wie Sie das machen wollen und welcherAugenblick dafür günstig ist. Meistensaber begnügen wir uns damit, Erzie-hungsmethoden aus unserer eigenenKindheit zu wiederholen, und wir über-legen nicht, ob diese uns damals genutzthaben. Noch weniger sind wir uns dar-über im Klaren, wie negative und ent-mutigende Erfahrungen unser Kind mitDown-Syndrom beeinflussen werden.

Das Gehirn lernt immer und passtsich ständig an

Welche Erkenntnisse der Hirnforschungkönnen wir für die Erziehung und denLernerfolg unserer Kinder nutzen? Wassagen sie über die Eigenschaften des

kindlichen Gehirns und was bedeutensie für unser Verhalten als Erzieher?

Ein Kind mit oder ohne Behinderungist ein geborener Entdeckungsreisen-der. Infolge der Erfahrungen, die es da-bei macht, entwickelt sich sein Gehirnfortlaufend. Ständig knüpft es neue Ner-venverbindungen, in denen Erfahrun-gen integriert werden, die es auf künfti-ge Ereignisse vorbereiten sollen. Ei-gentlich ist das Gehirn eines Kindes vomLernen „besessen“, aber entmutigendeErfahrungen rauben ihm diesen Elan.

Für die kindliche Entwicklung be-deuten Erziehen und Lernen:

Wachstum und Entwicklung ent-sprechend bestimmter Stadien, wiesie etwa von Piaget beschriebenwurden

eine Umgebung, die sinnvolle Er-fahrungen ermöglicht und vermit-telt, wobei jeder Schritt zur richti-gen Zeit eingeführt wird, wie Wy-gotski festgestellt hat

die erforderliche geistige Wachheitzu besitzen und seine Aufmerksam-keit richten zu können

einen persönlichen Sinn in derLernerfahrung zu entdecken undemotionale Zufriedenheit aus derErfahrung zu schöpfen (Feuerstein)

ein Ziel ermitteln zu können undes erfolgreich zu bewältigen (Feuer-stein)

einen geschickten Vermittler oderMediator zu haben, der richtig do-sierte Impulse gibt (Feuerstein)

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erziehen und lernen erfordert vorallem eine warme, zuverlässige Be-ziehung des Erziehers zum Kind,die auf gegenseitiger Offenheit undAchtung beruht.

Und weil Neugier, Aufmerksamkeit, ge-genseitige Akzeptanz und positive Ge-fühle vom Kind am ehesten im Spiel er-fahren werden, möchte ich Ihnen nacheiner kurzen theoretischen Einführungin einige Eigenschaften unseres Ge-hirns, jenes Organs, das unser Tun undEmpfinden steuert, anhand einiger Bei-spiele erklären, wie Spielsituationen oh-ne Aufwand in erfolgreiche Lernerfah-rungen umgesetzt werden können.

Hirnfunktionen und Lernmechanis-men aus evolutionärer Sicht

Aus evolutionärer Sicht müssen alle Le-bewesen lernen, damit sie überlebenund in ihrer jeweiligen Umgebung zu-rechtkommen können. Der Mensch gehtals einziger einen Schritt weiter, er lerntdarüber hinaus, sich die beste Umweltauszusuchen oder die Umwelt seinenBedürfnissen anzupassen. Dies allesnicht ausreichend zu können, heißt be-hindert sein.

Während der Evolution entstand auseinem ursprünglich sehr primitivenNervensystem ein immer komplexeresGebilde, das die Lebewesen angesichtssteigender Anforderungen der Umweltzu immer komplexerem Verhalten be-fähigte. Am Ende dieses Prozesses ent-stand das menschliche Hirn. Was wirauch erleben oder lernen, immer sinddie älteren Lernmotive (überleben, derStärkere sein, belohnt werden, sichwohl fühlen) zunächst bestimmend. Siesind fast immer entscheidend für Moti-vation, Antrieb, Aktivitätsniveau undentscheiden deshalb mit über den Lern-erfolg.

Unser Lernangebot muss deshalbdiese Urmechanismen ansprechen,wenn wir einen Lernerfolg erzielen wol-len.

Das zentrale Nervensystem

Das zentrale Nervensystem besteht,stark vereinfacht, aus dem Hirnstamm,dem Zwischenhirn und der Großhirn-rinde (unsere „grauen Zellen“).

Der Hirnstamm ist für Überleben undreflexartige Reaktionen zuständig. Erreagiert wie eine Art von Frühwarnsys-

tem und kann dabei so dominieren, dassunser „freier Wille“ nicht mehr vorhan-den scheint. Verhaltensweisen, die ausdem Hirnstamm gesteuert werden, sindangeboren.

Das Zwischenhirn wacht darüber, obEreignisse unser Wohlbefinden fördern,und versucht ein Gleichgewicht zwi-schen unserer inneren Befindlichkeitund der Welt draußen herzustellen.

In der populärwissenschaftlichen Li-teratur werden Zentren des Zwi-schenhirns heute auch gern als „emo-tionales Hirn“ bezeichnet. Viele Funk-tionen, die dem Zwischenhirn zuge-schrieben werden, sind zwar angebo-ren, der Auslöser muss jedoch gelerntwerden. So zum Beispiel, wann wir la-chen oder weinen.

Das Zwischenhirn spielt eine ent-scheidende Rolle bei der Festigung desLangzeitgedächtnisses. Lernen erfolgtauf dieser Ebene nach dem Prinzip Be-lohnung oder Strafe. Erscheint mir et-was attraktiv genug, so werde ich es ger-ne lernen. Mein Organismus bekommtdazu die nötige Aktivierung. Hier liegtdeshalb auch die Basis für Motivationund Aufmerksamkeit.

Die Hirnrinde kontrolliert die Verar-beitung der Wahrnehmung (sehen,hören, riechen, fühlen, Zeit- und Raum-orientierung usw.) ebenso wie höhereFähigkeiten wie Planen, Schlussfolgern,Gedächtnis, Entscheiden, Handeln usw.

Lohnt es überhaupt, mitzumachen?Mehr Motivation, wenn das Lernen„Spiel“ ist

Die Vorgänge innerhalb der alten Hirn-anteile erfolgen automatisch und sinduns nicht bewusst. Bevor wir in der La-ge sind, Zusammenhänge zu erkennenund bewusst eine Entscheidung zu fäl-len, haben die unteren Hirnebenenmeist längst entschieden, ob es sichlohnt, sich der Situation zu stellen.

Erwachsene und ältere Kinder kön-nen dann ihre Hirnrinde, das Frontal-hirn, einschalten und sich selbst über-zeugen, dass die Lernaufgabe Sinnmacht. Kleine Kinder und Kinder mitDown-Syndrom, deren Gehirn sichlangsamer entwickelt, können sich nurschwer selbst motivieren, wenn „die Be-lohnung“ für sie nicht offensichtlich ist.Deshalb müssen unsere Erziehungs-bemühungen den verschiedenen Verar-beitungsebenen im Gehirn Rechnungtragen. Und deshalb ist auch das Spiel

Lernen: Voraussetzungen und Fertigkeiten

Auf Seiten des Lernenden:

Persönliche WichtigkeitKompetenzgefühlEmotionaler BezugBelohnungSich angenommen fühlenGegenseitige PassungWahrnehmungErregung und AktivierungAufmerksamkeitEmotionale KontrolleSoziales Bewusstsein

Auf Seiten des Lehrers/Erziehers:

Achtung und AkzeptanzZuneigungsfähigkeitGegenseitige PassungSich selbst in Frage stellenAuswahl der LerneinheitÜbungsdurchführung undÜberprüfung(fachliche Kompetenz)

Periphere (zur Informations-

aufnahme) und zentrale (zur

Informationsverarbeitung)

Schwierigkeiten beeinträchti-

gen insbesondere die Fähigkei-

ten der Menschen mit Down-

Syndrom, sich angemessen

mit ihrer Umwelt auseinander

zu setzen.

Dies gilt sowohl auf der Wahr-

nehmungs- als auch auf der

Verhaltensebene.

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so wichtig: Es verspricht kurzfristig dasnotwendige angenehme Gefühl oder ei-ne Belohnung, die zu Motivation undAntrieb führen.

Unsere Aufgabe besteht also darin,dem Kind die richtigen Anreize zu bie-ten, die seinen Organismus in Lernbe-reitschaft versetzen.

Einschränkungen des Kindes mitDown-Syndrom

Das Nervensystem des Kindes mit Down-Syndrom ist insgesamt unreif; esentwickelt sich langsamer und zeigt viel-fältige strukturelle und funktionelle Ab-weichungen.

Wenn wir möchten, dass das Kinddie von uns gesetzten Erwartungen undZiele erreicht, müssen wir seine Proble-me erkennen und Mittel finden, dieseauszugleichen. Wir wissen alle, dassKinder mit Down-Syndrom häufig hy-poaktiv, manchmal aber auch hyperak-tiv sind.

Kinder mit Down-Syndrom habenhäufig Probleme, das richtige Aktivierungsniveau für eine geistigeTätigkeit oder körperliche Handlungzu erzeugen.

Gestörte Aktivierung führt zur gestörtenAufmerksamkeit und somit zu einem ge-störten Lernvermögen. Neben Abwei-chungen im Hirnstamm und Zwischen-hirn kann hier auch die höhere Verhal-tenskontrolle im vorderen Hirnbereich –er gelangt meist nicht zur vollen Ent-wicklung – versagen.

Die Aktivität im Frontalhirn nimmtab, wenn wir unsere Aufmerksamkeitteilen müssen, weil verschiedene Anfor-derungen gleichzeitig gestellt werden (z.B. zuhören und sich gleichzeitig mer-ken, was bereits gesagt wurde).

Es wundert daher nicht, dass Kindermit Down-Syndrom Schwierigkeiten ha-ben, sich verschiedenen Aufgaben hin-zuwenden („Wasche deine Hände, aberbring vorher noch deine Jacke in deinZimmer und ruf deinen Bruder zum Es-sen.“).

Kinder mit Down-Syndrom brau-chen deshalb Situationen und Aufga-benstellungen, die einfach, klar und vor-hersehbar sind. Wenn ihnen die Regelnbekannt sind, wenn sie die Anforderun-gen überschauen können oder genü-gend Zeit erhalten, die einzelnen Infor-mationen zu verarbeiten und zueinan-der in Beziehung zu setzen, werden sie

sich in aller Regel so verhalten, wie esvon ihnen erwartet wird. Ihrer so ge-nannten Verweigerung und „Sturheit“kann so häufig vorgebeugt werden.

Gerade vertraute Spiele und Brett-spiele können das Einüben und Einhal-ten von Regeln erleichtern und so dieAufmerksamkeit unterstützen.

Verschiedene weitere Faktoren kön-nen unser Vermögen, aufmerksam zusein, beeinträchtigen, so zum Beispielunsere körperliche Verfassung, eine De-pression oder Angst und unsere Fähig-keiten, soziale Signale zu deuten.

Auch Probleme im sozialen Bereich!

Kinder mit Down-Syndrom haben, imGegensatz zu einem häufigen pauscha-len Vorurteil, vielfältige Probleme im so-zialen Bereich: Es fällt ihnen nicht im-mer leicht, die Absichten und Gedankenihres Gegenübers einzuschätzen. Siekönnen auch nicht immer vorausahnen,was ihr eigenes Verhalten bei ihrenPartnern bewirken wird. Sie habenaußerdem größere Probleme, ihre eige-nen Emotionen einzuschätzen und zusteuern. All dies sind soziale Funktio-nen, die von vorderen Hirnbereichengesteuert werden.

Dies sind gleichzeitig aber Fertigkei-ten, die wesentlich zum Lernerfolg bei-tragen und deshalb den Kindern sorg-fältig beigebracht werden müssen. DerPausenhof wird meines Erachtens vonErziehern und Lehrern zu wenig genutzt,um soziale Kontakte zu unterstützen.

Erzieher haben eine wichtige Vermittlerrolle

Spielsituationen bieten eine entspannteAtmosphäre, in der Selbstregulierungund soziale Fertigkeiten geübt werdenkönnen.

Wie entscheidend die vermittelndeRolle des Erziehers bei sozialen Anfor-derungen ist, zeigen misslungene Inte-grationssituationen.

Dabei fällt mir das Beispiel einerjungen Mutter ein, die mit tränener-stickter Stimme von ihrer vierjährigenTochter Silvia mit Down-Syndrom er-zählte. Silvia besuchte den normalenKindergarten in ihrer Nähe. Sehrschnell aber zeigte sie ein sehr unange-passtes Verhalten mit aggressiven Zü-gen, die sich mit Desinteresse und Rück-zug in einen Winkel der Gruppe ab-wechselten. Die Mutter erklärte, sie seida einer Meinung mit den Erzieherin-nen, man könne dieses Verhalten nichtdurchgehen lassen und sie werde auchzu Hause für entsprechende Konse-quenzen sorgen. Ich fragte die Mutter,ob sie den Eindruck habe, dass ihreTochter von sich aus immer schon ag-gressiv gewesen sei oder ob sich die un-angenehmen Verhaltensweisen viel-leicht erst im Kindergarten gezeigt hät-ten. Natürlich war Letzteres der Fall.

Wenn wir noch einmal an die ver-schiedenen Aspekte, die unsere Reak-tionen bestimmen, zurückdenken, wirdklar, dass nur eine genaue Analyse derGesamtsituation Silvia weiterhelfen

Frontalhirn: Zuweisung der Aufmerksamkeitund der Ressourcen entsprechendden Anforderungen

– Das Frontalhirn gelangt als Letzteszur vollen Entwicklungsreife.

– Bei Menschen mit Down-Syndromverläuft die Entwicklung des Fron-talhirns langsam und bleibt unterdem durchschnittlichen Erwach-senenniveau.

– Die Aktivität im Frontalhirn nimmtab, wenn die Aufmerksamkeit ge-teilt werden muss.

– Funktionen des Frontalhirns wer-den durch emotionalen und kör-perlichen Stress beeinträchtigt.

Faktoren, die Aufmerksamkeit sowie Lern- und Leistungsfähigkeitbeeinflussen

– Körperliches Befinden (Krankheit,Erschöpfung usw.)

– Psychische Verfassung, Stimmung– Soziale Beziehungen (Einfluss auf

Physiologie und Verhalten)– Fähigkeit, die eigenen emotionalen

Zustände zu kontrollieren (z.B. Kon-flikte bewältigen)

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könnte. Dann würden nicht nur die ver-schiedenen Faktoren, die sie im Kinder-garten „behindern“, deutlich, sondernauch, welche Änderungen seitens derErzieherinnen eingeführt werden müss-ten, damit Silvia die Kindergartensitua-tion bewältigen kann.

Gleichzeitig würde auch deutlich,dass die Forderung nach vermeintlicherKonsequenz seitens der Erzieherinneneher von uralten Mechanismen der Un-macht als von pädagogischer Einsichtzeugen. Dabei geht es wirklich nichtdarum, die Unarten eines verwöhntenMädchens zu dulden oder gar zu ver-stärken, sondern das Ziel der Anpas-sung und Konsequenz im Auge zu be-halten, lediglich den Weg dorthin so zugestalten, dass das Ziel auch erreichbarwird.

Wichtige Merkmale eines positivenErziehungs- und Unterrichtsstils

„Zuneigung“, so meint der ukrainisch-französische Psychiater Boris Cyrulnik,„ist der Motor seiner Existenz. Ohne Zu-neigung erlischt das Leben eines Kin-des.“

Aber wie oft wird gerade einem„schwierigen“ Kind mit Down-Syndromdie Zuneigung versagt?

Ein Kind mit Problemverhalten istzunächst ein Kind mit Schwierigkeitenund Fragen an seine Umgebung, so sagtein weiterer pädagogischer Grundsatz,der von der Hirnforschung bestätigtwird. Fehlte bei einem Kind wie Silviadas Vermögen, ihr trotz allem Zunei-gung zu zeigen („Wen wundert das, beidem Verhalten“)? Oder fehlte etwa dieOffenheit, ihre Schwierigkeiten, ihreFragen zu entdecken?

Zuneigung und Interesse zeigen

Wenn Sie bei dem Kind eine angemes-sene Reaktion bewirken wollen, müssenSie eine positive Atmosphäre erzeugen,indem Sie ihm Ihr Interesse zeigen. Diesfördert bei jedem Menschen die Motiva-tion.

Denken Sie im Gegensatz dazu anden Vater, der sauer wird, wenn seinSohn nicht mit ihm spazieren gehen will(„Kinder mit Down-Syndrom sind geh-faul“), aber nie auf die Idee kommt, ihnzu fragen: „Welche Musik hörst du ge-rade? Ja, das ist ein toller Sänger. Weißtdu, als ich ein Jugendlicher war, da ha-be ich immer XY gehört. Willst du sieauch einmal hören?“

Responsivität und Gegenseitigkeit

Dieses Interesse schafft Vertrauen, eszeigt dem Kind, dass es ernst genom-men wird, es stärkt sein Selbstwertge-fühl, weil es vom Erwachsenen in des-sen Welt einbezogen wird.

Spazieren gehen ist für viele Kinderäußerst langweilig. Nur die Aussicht,dass auf dem Spaziergang etwas „Auf-regendes“ geschehen kann, weil nichtnur die Wünsche des Erwachsenenberücksichtigt werden, kann den Jun-gen motivieren mitzulaufen.

Wenn Sie Lernerfolg erwarten, müs-sen Sie die Aufmerksamkeit des Kindeswecken und festhalten, indem Sie mitdem Lernanreiz eine besondere emotio-nale Bedeutung verknüpfen.

Als mein Sohn zur Musiktherapieging, führte dies gelegentlich zu einergehörigen Portion Stress. Die Therapeu-tin bereitete den Raum und die Stundegenau vor. Nur hatte mein Sohn schoneinmal andere Vorstellungen vom Ab-lauf. Vielleicht erinnerte er sich an dieletzte Stunde, die ihm so gut gefallenhatte, und wollte das gerne noch einmalmachen oder er wurde durch das eineoder andere Instrument angeregt undwar für nichts anderes mehr offen. ImAlter von vielleicht sieben, acht Jahrenwar er noch nicht in der Lage, dies derTherapeutin mitzuteilen. Das wäre erwahrscheinlich auch zehn Jahre späternoch nicht, wobei dies kein sprachli-ches, sondern ein emotional-kommuni-katives Problem ist. Jedenfalls zeigte ernicht die Flexibilität, die erforderlich ge-wesen wäre, eine für ihn unerwarteteoder unerwünschte Situation anzuneh-men (im Übrigen ein Entwicklungspro-blem, das mit der Zeit sehr viel besserwurde).

Wenn Nico sich nun aber nicht aufihr Angebot einließ, zog sie es vor, ihnin der Ecke schmoren zu lassen, odergab ihm Gelegenheit, seine schlechtenSeiten zu demonstrieren. Das führtenatürlich dazu, dass sie sich ärgerte,was die Situation bzw. die Flexibilitätmeines Sohnes in keiner Weise verbes-serte. Meine Vorschläge, vielleicht zu-nächst auf ihn einzugehen, um ihn dannunbemerkt dorthin zu locken, wo sie ihnhaben wollte, lehnte sie ab. Schließlichwar das eine Frage der Konsequenz.

Dieses Beharren auf Konsequenz ge-koppelt mit einer Forderung nach unbe-dingtem Gehorsam, wie das ja auch beiSilvia der Fall war, habe ich in Bezug auf

Kinder mit Down-Syndrom schon so oftgehört. Sicher spricht einiges dafür,aber was nutzt eine verlorene Stunde, inder negative Verhaltensweisen gerade-zu gefestigt werden?

Der Therapeutin war nicht klar, dassjeder Lerner nur motiviert ist und Auf-merksamkeit zeigen kann, wenn ihn dasThema interessiert, wenn es seinen Be-dürfnissen und eigenen Zielen ent-spricht. Die Fähigkeit, flexibel auch we-niger attraktive Lernangebote anzuneh-men, entwickelt sich erst im Laufe derKindheit. Bei Kindern mit Down-Syn-drom oder mit Aufmerksamkeitsstörun-gen kann diese Entwicklung schon ein-mal auf sich warten lassen.

Die Therapeutin hätte stattdessendie Blickrichtung meines Sohnes auf-nehmen und Interesse zeigen können(matching), um dann mit einer span-nenden Geschichte, einem Hinweis aufBezugspunkte aus seinem Leben (per-sönliche Bedeutsamkeit) oder was ihrihr erzieherisches Geschick sonst nocheingab, seine Blickrichtung zu ändern.Das hätte sicher zu einer erfolgreichenTherapiestunde geführt.

Pnina Klein, eine Mitarbeiterin vonFeuerstein, spricht in diesem Zusam-menhang von matching und reciprocity(Gegenseitigkeit). Dem Kind müsse manvermitteln, dass man es mag, seine Neu-gier teilt und ihm auf seine Fragen Ant-worten gibt. Über diesen Weg ließe sichauch die zur späteren Autonomie erfor-derliche Selbstregulierung vermitteln(Ich muss mich zurückhalten, meineWünsche zurückstellen und das tun,was jetzt von mir erwartet wird.).

Emotionale Bedeutsamkeit

fördert das Lernen. Das Maß

der emotionalen Response

auf eine Information oder

Erfahrung sagt voraus, ob

ein Ereignis im deklarativen

Gedächtnis (dies speichert

Fakten und Ereignisse)

gespeichert wird.

Quelle: OECD Studie

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Geeignete Anreize im richtigen Au-genblick (entwicklungsnahe Zone)anbieten

Ein Problem fertiger Förderprogrammebesteht manchmal darin, dass die El-tern (oder Lehrer) nicht abschätzen kön-nen, ob das Kind einen bestimmtenSchritt verarbeiten kann.

Erwarten Sie nicht, dass ein Kindlernen kann, wie viel 2 mal 5 sind, wennes noch nicht bis 20 zählen kann odersich unter der Menge 5 nichts vorstellenkann. Ebenso ist es sinnlos und kontra-produktiv, einem Kind beibringen zuwollen, seine Schuhe zu binden, wennes größere Probleme hat, die Jacke zu-zuknöpfen.

Gelingt es Ihnen jedoch, Ihre Zieleauf die Fähigkeiten und Bedürfnisse desKindes abzustimmen, und dabei inner-halb jener entwicklungsnahen Zone zubleiben, die das nötige Maß an Vertrau-tem mit einem geringen Maß an Neuemverbindet, entsteht eine gewisse Span-nung, die die Aufmerksamkeit des Kin-des aufrechterhält. Es wird Erfolg erle-ben und dennoch die Herausforderungspüren, die Langeweile und Desinteres-se vorbeugt.

Häufige sorgfältig gewählte Wieder-holungen und Übungseinheiten anbieten

Ein letztes wichtiges Erziehungsmittel,das ich hier hervorheben möchte, sindhäufige, sorgfältig ausgewählte Wieder-holungen. Wie die Körpermuskelndurch Gymnastikübungen muss auchdas Gehirn trainiert werden. Nicht lan-ge und erschöpfende Übungen, die le-diglich einen Muskelkater verursachenund/oder die geistigen Fähigkeiten er-schöpfen, führen zum Ziel, sondern klei-ne, regelmäßige Übungseinheiten.

Häufige Wiederholungen einzelnerLernschritte unterstützen unser Ge-wohnheitsgedächtnis (prozedurales Ge-dächtnis). Bald braucht das Kind keinenAnreiz seitens des Erziehers mehr, umdas erwünschte Verhalten zu zeigen.Regelmäßige Übung führt zur Automa-tisierung und laut Feuerstein entstehtdaraus bald ein Bedürfnis. Dies kannman z.B. beim Zimmeraufräumen oderZähneputzen beobachten. Wem wardies als Kind nicht ein Gräuel? Dennochentwickelt jeder Mensch so feste Ge-wohnheiten, auch wenn er einer Sacheanfänglich wenig zugänglich war.

Gleiches kann sich auch für Lernge-

wohnheiten einstellen. Nehmen Sie sichaber für die Übungseinheiten (viel) Zeitund erwarten Sie nicht, dass Ihr Kind ei-ne Aufgabe meistern kann, wenn Sie dieSchritte und Inhalte nicht sorgfältigüberlegt haben. Beim Zimmer-Aufräu-men (sofern Ihnen dies natürlich wich-tig erscheint und der Autonomie IhresKindes dient) könnten Sie z.B. täglichmit dem Wegräumen der abgelegtenWäsche anfangen – oder mit einer an-deren Teilaufgabe, die Ihr Kind schaffenkann (Janssens). Nehmen Sie sich jedenAbend die Zeit, Ihrem Kind dabei zu hel-fen, bis es dies alleine kann, ohne Un-terstützung. Überwachen Sie es täglichweiter – und wenn es Monate oder Jah-re dauert –, bis es zur Routine gewordenist.

Routine hilft besonders dem Kindmit Einschränkungen, selbständiger zuwerden, Situationen richtig zu beurtei-len und richtig zu reagieren. In stressi-gen Situationen, wenn das Kind unterDruck gerät oder Angst hat, wird das

Gewohnheitsgedächtnis die Kontrolleübernehmen.

Feuerstein beschreibt in diesem Zu-sammenhang, wie das Erleben regel-mäßiger kleiner Erfolge in einem be-stimmten Bereich das gesamte Lernver-halten des Kindes verändern kann, ge-rade auch im kognitiven Bereich. Auchwenn Lernstrukturen zunächst kaumvorhanden scheinen, können systemati-sche, kleinschrittige Wiederholungensehr weit führen.

Dazu möchte ich das folgende Bei-spiel erzählen:

Als mein Sohn sich für eine Freizeitanmelden wollte, wurde mir bewusst,dass er unsere Adresse nur teilweisekannte (wir haben einen langen, kom-plizierten Straßennamen und auch derOrtsteil ist etwas länger). Wir sprachendeshalb darüber, wie wichtig es ist, dassBriefe ankommen, und wie schön es ist,auch dem Bruder schreiben zu können.Ich fragte ihn dann, ob er wüsste, wo erunsere Adresse finden konnte, undschon brachte er mir die Tagespost. Wirvereinbarten, dass er nun täglich seineAdresse einmal abschreiben würde, biser es ganz auswendig schaffte.

Solche klaren Vereinbarungen sindfür ihn sehr hilfreich. Dann gibt es nieProbleme oder „Diskussionen“ undschon gar keine „Verweigerung“. Übri-gens stellt man bei vielen Kindern mitDown-Syndrom fest, dass sie Routine-aufgaben lieben, während sie anderenKindern bald langweilig werden.

Erziehungserfolg ergibt sich

aus der Passung zwischen

Interventionsstil des Erzie-

hers und den Fähigkeiten des

Kindes.

Schach mit Harry

Potter: Es lohnt

sich, auf einen kurz-

fristigen Erfolg (eine

gegnerische Figur

hinauszuwerfen) zu

verzichten, und den

Endsieg zu planen.

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F Ö R D E R U N G

Zu seiner Aufgabe gehörte es auch,selbst zu prüfen, ob er alles richtig ge-schrieben hatte. Diese Selbstprüfungenthält für ihn eine gewisse Spannungund eine ungeheure Zufriedenheit,wenn es keine Fehler gibt. Fehler bietenallerdings die Möglichkeit, das eine oderandere Element hervorzuheben und inden nächsten Tagen zu festigen, und esist ein Anlass, darauf hinzuweisen, wieviel doch schon richtig war. Dieses Lobtut gut.

Die Adresse fehlerfrei schreiben zulernen war das offensichtliche Ziel, aberer übte gleichzeitig auch einige andereFertigkeiten, z.B. Konzentration undGedächtnis, aber auch Selbstregulie-rung durch die Analyse, Sequenzierung(einzelne Elemente in die richtige Rei-henfolge bringen – eine wichtige Vor-aussetzung für Grammatik oder schluss-folgerndes Denken) und Korrektur. Einwenig hat sich auch die Handschrift, ofteine kaum leserliche Klaue, verbessert.

Hätte ich mit dieser Übung einigeJahre früher angefangen, hätte dies viel-leicht nur zu Frust geführt, weil das Zielfür meinen Sohn noch unattraktiv oderunerreichbar war.

Gezielt fördernüber Spiel

Wie lassen sich Spiel und gezielteFörderung vereinbaren?

Wie lassen sich jetzt Spiel und derart ge-zieltes Fördern vereinbaren? Spielenentspringt der natürlichen Neugier ei-nes jeden Kindes. Es entsteht aus demDrang, die Umwelt kennen zu lernen,Gefahren abzuwenden, sich stärker zubehaupten und letztlich seine Umweltauch zumindest teilweise beherrschenzu lernen. Für das Gehirn des Kindes istSpiel ein ernstes Stück Arbeit. Währendder Drang zu lernen noch dem älterenHirn entstammt, werden dabei aberFertigkeiten erworben, die den grauenZellen in der Hirnrinde helfen, unendlichviele Netzwerke zu knüpfen, die immerkomplexere Funktionen ermöglichen.

Spielen ist ein attraktives, emotiona-les Ereignis für jedes Kind, und wenn esmit etwas verdeckter Hilfe hin und wie-der gewinnen kann, steigert dies seinGefühl der Kompetenz und seine Moti-

vation. Spiele bieten alle wichtigen Be-standteile, Lernen effektiv zu gestalten.

Das Spiel sollte aber immer Spaßmachen, sonst ist es verschwendeteZeit. Es muss deshalb den Fähigkeitendes Kindes angepasst sein. Fast jedesSpiel kann mit ein wenig Fantasie so ab-gewandelt werden, dass auch ein geistigweniger entwickeltes Kind als vollwerti-ger Spieler teilnehmen kann.

Wenn Sie ein Spiel aussuchen, mussdies deshalb auch sorgfältig vorbereitetwerden, damit Sie das Element, das SieIhrem Kind zurzeit näher bringen wol-len, auch besonders hervorheben kön-nen.

Wenn Sie es zum Beispiel wichtigfinden, dass Ihr Kind lernt, abzuwarten,bis es an der Reihe ist, können Sie diesmit einem Würfel- oder Brettspiel üben.Dies können Sie auch sprachlich odermit Gebärden begleiten („Jetzt bin ichdran“ – „Jetzt bist du an der Reihe“).

Zunächst müssen Sie die Aufmerk-samkeit des Kindes auf den Rollen-wechsel lenken. Später können Sie aucherklären, wo es Sinn macht abzuwarten,wann man an der Reihe ist, z.B. wennMama spricht oder beim Metzger usw.Spielen Sie das Spiel regelmäßig. Ir-gendwann kann es durch andere, ähnli-che Spiele ergänzt werden. Auch die

Komplexität des Spiels kann nach undnach gesteigert werden.

Kann sich das Kind nicht oder nichtmehr auf das Spiel konzentrieren, ist esmöglicherweise durch die Schwierigkeitdes Spiels oder durch die Situation über-fordert. Es macht dann wenig Sinn, dasSpiel fortzusetzen. Wenn es Ihnen nichtgelingt, das Kind wieder in das Spiel ein-zubeziehen, sollten Sie vielleicht auf dasSpielende hinsteuern, ohne dass dasKind das Gefühl hat, einfach aufhörenzu können oder „schuld“ zu sein.

Jedes Spiel bietet die Möglich-keit, soziale und kognitive Fähig-keiten zu üben:

RollenwechselSelbstregulierungSich in den Mitspieler hinein-versetzenSich auf den Mitspieler einstellenBelohnungen aufschieben SpracheGedächtnisAufmerksamkeit und Konzentra-tionStrategien entwickelnPlanen

Abalone ist ein pfiffiges Glücks- und Strategiespiel.

Dabei lernt man, Schritte vorauszuplanen und

Ergebnisse vorwegzunehmen. Eine besondere

Herausforderung für Kinder mit Down-Syndrom.

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F Ö R D E R U N G

Mensch ärgere dich nicht

Dies ist ein weltweit beliebtes Spiel. Esist preiswert, kann überall und auf sehrunterschiedlichen Niveaus mit zweioder mehr Teilnehmern gespielt wer-den. Die Regeln können angepasst wer-den, aber die wichtigsten, „Als Ersterankommen und den Gegner rauswer-fen“, können auch sehr kleine Kinderschon nachvollziehen.

Neben dem Üben von sozialen Re-geln können Sie mit diesem Spiel zumBeispiel auch das Rechnen in Angriffnehmen:– Wann muss ich meine Spielfigur ein-setzen?– Die Augen des Würfels zählen oderdie Augen mehrerer Würfel addieren.– Den Abstand zur nächsten Positionentsprechend der Anzahl der Augen ab-schätzen.– Einschätzen, welche Zahl man werfenmuss, um den Gegner rauszuwerfenoder einzuholen und umgekehrt.

Auch die Sprache (Lautsprache oderGebärde) kann gefördert werden:– einzelne Worte wie Rot, Würfel, Auge,Spielfigur, Spielbrett usw.– kurze Sätze: „Ich bin dran/an der Rei-he“, „Wie viel hast du gewürfelt?“)– komplexere Sätze: Die Spielregeln er-klären lassen

Set

Hierbei handelt es sich um ein Karten-spiel, das zurzeit wieder an Beliebtheitgewinnt.

Set besteht aus 81 Karten, die sich inBezug auf Menge, Farbe, Muster undFüllung des Musters unterscheiden. EinSet besteht aus drei Karten, die sich ent-weder in jedem Merkmal gleichen oderaber unterscheiden. So muss z.B. dieMenge auf jeder Karte gleich oder völligverschieden sein. Da jedes Merkmal ein-zeln betrachtet wird, d.h. jedes Merkmalkann für sich genommen gleich oderverschieden sein, ergibt sich eine Füllevon möglichen Kombinationen.

Hier werden neben den bereits obenerwähnten folgende Fertigkeiten beson-ders geschult:– die Aufmerksamkeit: Was ist gleich?Was ist verschieden?– das Arbeitsgedächtnis: Welche Kartenhabe ich bereits ausgewählt? Was wa-ren die Merkmale?– das strategische Denken: Mit welchemMerkmal fange ich an? Was muss ichbei den nächsten Karten beachten, um

ein Set zu bekommen?Set kann zunächst mit wenigen Kar-

ten als einfaches Memory gespielt wer-den. Die Zahl der Karten, der Merkma-le oder der Kriterien kann begrenzt wer-den.

Auch hier macht es Freude, die Kri-terien schrittweise zu verändern und dieSchwierigkeit zu erhöhen und daran dieFortschritte des Kindes festzumachen.

Mikado

Ebenfalls ein altbekanntes Spiel, das ei-ne Fülle von Lernimpulsen bietet.

Neben der Geschicklichkeit und derFeinmotorik – die Anforderungen kön-nen durch Größe und Querschnitt derStäbe variiert werden – können hier be-sonders Selbstkritik und Ehrlichkeit un-ter Beweis gestellt werden. Mehr nochals bei vielen anderen Spielen bestehtbei Mikado die Neigung zu mogeln oderaber zu lernen, wie man darin ge-schickter wird bzw. doch lieber ehrlichspielt.

Nützlich sind bei Mikado auch dievielfältigen Möglichkeiten, Rechenope-rationen zu üben, vom einfachen Zählenbis hin zur komplexen Verbindung vonAddition und Multiplikation. Die Lust zurechnen erwächst aus der Neugier: „Binich Sieger geworden?“

Vielfalt der Spieleangebote nützen

Wenn das Kind die grundlegenden so-zialen und kognitiven Fertigkeiten ersteinmal beherrscht, bietet der Spiel-markt viele Möglichkeiten, Wissen zuvermitteln: nicht nur Rechen- oderSprachspiele (Fremdsprachenspiel),auch Geographisches und Geschichtli-ches kann angesprochen oder vertieftwerden. Dies sind ebenso viele Anlässe,mit einem eher wortkargen Kind überInhalte zu sprechen, die sonst nie zurSprache kämen, weil sie in der Schulenicht oder nur unzureichend angebotenwerden.

Zusammenfassung

Eltern und Erzieher machen vieles in-stinktiv richtig. Auch ihre Erfahrunglehrt, wie sie ein Kind am besten för-dern, deshalb sind (neue) Erziehungs-theorien häufig nur verwirrend, wenigalltagstauglich oder erhöhen ihre Unsi-cherheit. Was die Gehirnforschung überunser Denken und Erleben herausfin-det, bleibt dennoch ungeheuer span-nend: Daraus ergibt sich, ob alte Ver-

haltensrezepte und Erziehungskonzeptebestätigt werden oder aber neue Hand-lungsweisen empfohlen werden sollten.

Vielleicht sind Sie der Meinung, dassspielerisch und positiv erziehen sich ge-rade nicht im Alltag der Schule oder zuHause realisieren lässt, weil dann ganzandere Zwänge im Vordergrund stehen.In diesem Fall kann ich nur empfehlen,fangen Sie mit einem kleinen Schritt an.Wahrscheinlich werden Sie feststellen,dass bereits eine kleine bewusste Ände-rung der eigenen Haltung oder unsererüblichen Interaktions- oder Erziehungs-muster zu wirklichen Veränderungenbeim Kind führt.

Fangen Sie vielleicht damit an, IhrKind öfter zu loben, auch für Dinge, dieIhnen selbstverständlich erscheinen,und ihm zu zeigen, was es schon alleskann (Janssens). Erzählen Sie IhremKind, warum Sie es loben („Du hast dei-ne Kleider wirklich schön gefaltet“ oder„Du hast den Tisch toll gedeckt, genauvier Teller hast du hingestellt“, „Die grü-ne Farbe am Baum ist dir toll gelungen,du hast nur einmal über den Strich ge-malt“, „Du kannst ja schon bis zehnzählen oder deinen eigenen Namenschreiben“ usw.).

Zeigen Sie Interesse für seine Le-benswelt: „Das ist aber ein schickerFußball, eine feine Kette ...“ Oderberühren Sie es kurz, wenn das Kind miteiner schwierigen Auf(An)forderungkämpft.

Die Forschung im Bereich des hirn-gerechten Lernens steckt erst in den An-fängen. Es Bedarf noch vieler Studien,um neurowissenschaftliche Befunde inpassende Erziehungskonzepte umzuset-zen. Dennoch braucht nicht alles neu er-funden zu werden, denn bereits vor lan-ger Zeit wurden viele Basiskonzepte derLerner-/Lehrer-Interaktion erkannt undangewandt. Ich möchte deshalb mit ei-ner Empfehlung schließen, die Benja-min Franklin zugeschrieben wird:„Sag es mir, und ich vergesse.Lehre es mir, und ich behalte.Beteilige mich, und ich lerne.“

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F Ö R D E R U N G

Feuerstein und das Buch „Entwicklung fördern“

In den 60-er bis 70-er Jahren wurdePiaget von der Pädagogik entdeckt. Seit-dem gehören Förderprogramme, diesich auf die von ihm ermittelten Ent-wicklungsstufen beziehen, zum Alltagdes Therapeuten, des Sonderpädagogenund auch der Eltern von Kindern mitEntwicklungsstörungen. Wie so oft rück-te man auch hier bald von einer eng ge-fassten Theorie ab, so dass heute weni-ger die Abfolgen der verschiedenen Ent-wicklungsschritte im Vordergrund ste-hen. Vielmehr steht nun das individuelleKind mit seinen Möglichkeiten, seinemLernwillen und den Möglichkeiten sei-ner Erzieher im Zentrum der Aufmerk-samkeit.

Zu den großen Entwicklungspsycho-logen der Post-Piaget-Ära muss sicher-lich Reuven Feuerstein gerechnet wer-den. Er stützte seine Sicht der Förde-rung auf drei Säulen: das Kind und sei-ne Potenziale, den Mediator oderVermittler und seine Fähigkeiten undein zwölfteiliges Übungsprogramm, dasallgemeine Lernfertigkeiten fördern soll.

Für Eltern mit Kindern mit Down-Syndrom ist Feuerstein längst kein Un-bekannter. Jedoch schienen bislang inDeutschland die Möglichkeiten, seineFördertheorie und seine Programmekennen zu lernen, begrenzt.

Feuerstein lernte ich zum ersten Mal1990 auf einer internationalen Tagungkennen. Er galt damals als äußerst um-stritten: Seine Gedanken seien zu an-spruchsvoll, überforderten Eltern und(behinderte) Kinder gleichermaßen unddie von ihm angebotenen Workshopsund Programme seien zu teuer. Sokonnte er nicht während des offiziellenTagungsprogramms sprechen, sondernmusste mit der verbliebenen Zeit in derMittagspause vorlieb nehmen.

Das große Auditorium war gerammeltvoll. Feuerstein sprach über zwei Stun-den, länger als die zugemessene Zeit,und beeindruckte alle mit seiner impo-santen Statur, aber vor allem mit dem,was er engagiert zu erzählen hatte.

Leider mochte er – aus vielleichtnachvollziehbaren Gründen – meinerEinladung, in Deutschland auf der ers-ten Deutschen Down-Syndrom-Tagungin München zu sprechen, nicht folgen.

Die Förderung nach Feuerstein fass-te hier zu Lande allmählich, wenn aucheher mühsam, Fuß.

Ganz anders sind die Verhältnisse inmanchen anderen europäischen Län-dern. So konnte ich immer wieder fest-stellen, dass es im niederländischenSprachraum eine Vielzahl von Büchernund Kursen zur „Feuerstein-Methode“gibt und dass in vielen Schulen, Schul-büchern und auch im Unterricht nachFeuerstein gearbeitet wird. Vielleichtauch ein Grund, weshalb Flandern lautOECD in der Pisa-Studie Sieger der Re-gionen war. Dieses Beispiel zeigt, dassdie Verwirklichung der Feuerstein-prinzipien in der Erziehung und Bildungallen zu Gute kommt: den Eltern undden Lehrern, den Schülern mit und oh-ne Behinderung.

Es hat mir deshalb große Freude ge-macht, das Buch „Entwicklung fördern“von Albert Janssens, das uns Feuer-stein, Pnina Klein (eine Mitarbeiterin)und einige weitere Autoren, die Feuer-steins Gedankengut weiterentwickelthaben, näher bringt, zu übersetzen.

Wer fertige Übungen und schnelleUnterrichtslösungen sucht, wird hier al-lerdings auf den ersten Blick wenig fin-den. Das Buch von Janssens lehrt unsvielmehr, die innere Haltung zu erwer-ben, die jedem Menschen, auch unsselbst, zu besseren geistigen und sozia-len Leistungen verhelfen kann. Manmuss es immer wieder zur Hand neh-men und, wie Janssens es formuliert,erst in den Spiegel schauen, um dannden Weg zur besseren Förderung dieseseinen Kindes zu finden.

Entwicklung fördernEin Arbeitsbuch für Eltern und Erzieher

Autor: Albert JanssensVerlag Modernes Leben, 2005ISBN 3-938187-04-2Preis: 15,30

Der Autor Albert Janssens ist Dozent ander Universität Leuven in Belgien undlehrt dort die Prinzipien der Entwick-lungsförderung, wie sie in diesem Buchvorgestellt werden.

Dr. Dieter Krowatschek in seinemVorwort: „Selten haben ich ein Fach-buch in den Händen gehabt, das sich sogut liest. Es ist kein abstraktes Buch: un-terhaltsam, humorvoll und anschaulich,verständlich geschrieben, ohne dabeigrob zu vereinfachen – ein Text fürPraktiker. Immer wieder erkennt manden eigenen Berufsalltag und mituntersich selbst ... Mir hat an diesem Buchbesonders gut gefallen, dass es so vieleBeispiele aus der Praxis und konkreteÜbungen enthält. Es ist kein Rundum-schlag durch die Pädagogische Psycho-logie, referiert wenig Theoretisches undverunsichert auch nicht den Leser durchständigen Gebrauch von Fachtermini.“

Neue Publikation: Entwicklung fördern

Monique Randel-Timperman, dieAutorin des vorangegangenen Arti-kels, hat das Buch „Entwicklung för-dern“ ins Deutsche übersetzt. Hiereinige ihrer Gedanken zu diesemBuch.

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vier Speichereinheiten.Die Folgen dieser verminderten

Speicherkapazität sind:Schwierigkeiten beim Erlernen der

Muttersprache alleine über das Zuhören,Schwierigkeiten, mehrteilige Anwei-

sungen zu befolgen (weil der Anfangvergessen ist, wenn der zweite oder drit-te Teil der Anweisung kommt),

Schwierigkeiten beim Verfolgen vonGeschichten,

Schwierigkeiten beim Verstehen neu-er Themen,

Schwierigkeiten beim „Sich-Merken“von neuen Wörtern, Wortlisten, Erleb-tem und Gehörtem.

2. Möglichkeiten zur Kompensationdes verminderten auditiven Kurz-zeitgedächtnisses

2.1. Nutzung des visuellen Gedächt-nisses

Die inzwischen anerkannteste Methodezur Kompensation des vermindertenphonologischen Arbeitsspeichers liegtin der Nutzung des visuellen Gedächt-nisses. Dieses ist bei Kindern mit Down-Syndrom weitaus besser als ihr akusti-sches Gedächtnis.

Es gibt hier zwei Richtungen: zum ei-nen die Methode der Gebärden-unter-stützten Kommunikation (GuK) nach Et-ta Wilken, zum anderen das Frühe Le-senlernen, bei dem bereits im Alter vonzwei Jahren Wörter als „Ganzes“ erle-sen werden.

Sue Buckley hat in ihren Untersu-chungen nachweisen können, dass sichdas frühe Lesen sehr günstig auf dieSprachentwicklung bei Kindern mit Down-Syndrom auswirkt. Kinder mitguter Lesekompetenz können deutlich

längere Sätze grammatikalisch richtigsprechen.

Die GuK-Methode eignet sich meinerMeinung nach vor allem für die früheKindheit des Kindes mit Down-Syndromoder für stärker sprachverzögerte Kin-der (kaum Sprache nach dem siebtenLebensjahr).

2.2. Förderung der akustischenMerkfähigkeit

Um es klar zu sagen: Dieser Bereich derFörderung liegt weitgehend brach, daallgemein noch davon ausgegangenwird, dass dieser Bereich kaum zu för-dern sei. Folgende Argumentation wirddabei verwendet:

Die Leistung des auditiven Kurzzeit-gedächtnisses nimmt bei regelent-wickelten Kindern im Alter von siebenJahren zu, weil es ihnen gelingt, zweiStrategien einzusetzen: Organisationund Auffrischung.

„Auffrischung“ meint die Wiederho-lung von Information durch innere Re-de. „Organisation“ meint Einteilen vonInformationen durch Kategorienbil-dung. Da Kinder mit Down-Syndromdieses Entwicklungsalter aber oft nichterreichen, wird bislang davon ausge-gangen, dass ihr auditives Kurzzeitge-dächtnis eben schlecht bleibt. Es gibt al-lerdings bislang kaum Studien zu dieserProblematik.

Aufgrund meiner langjährigen Er-fahrungen mit Menschen mit Down-Syndrom und Musik bin ich allerdingsdavon überzeugt, dass das akustischeGedächtnis ebenfalls „förderbar“ ist –und zwar durch den gezielten Einsatzvon Liedern, Sprechversen, Rhythmenund rhythmischen Übungen. Diese hiervorgestellten Methoden können die Wir-kung des frühen Lesens oder der Ge-bärden-unterstützten Kommunikationimmens unterstützen.

3. Gezielte musikalische Förderung

Zunächst möchte ich vorausschicken,dass „gezielt“ nicht bedeutet, sich jedenTag zur selben Zeit an einen Tisch zusetzen und Musik zu „üben“.

Musik bedeutet für das Kind Spaß zuvielen Gelegenheiten: bei langen Auto-fahrten, am Abendbrottisch, im Warte-zimmer und und und ...

„Gezielt“ muss allerdings immer dassein, was im Kopf des Anleitenden vor-

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Gezielt fördern mit MusikEin Ansatz zur Verbesserung des auditiven Kurzzeitgedächtnisses beiKindern mit Down-SyndromMartina Zilske

1. Verzögerte Sprachentwicklungund deren Ursachen

Wenn eines bei Kindern mit Down-Syn-drom extrem auffällt, so ist es ihre ver-zögerte Sprachentwicklung. So ist ihreSprache nicht nur im Vergleich zu re-gelentwickelten Kindern beeinträchtigt,sondern auch im Vergleich mit Kindern,deren geistige Entwicklung ähnlich verzö-gert ist. Gleichzeitig fällt ein recht gutessituatives Sprachverständnis auf.

Die immer mit dem Down-Syndromassoziierte Muskelhypotonie ist an die-ser Sprachentwicklungsverzögerung al-lerdings nur mäßig beteiligt: Sie beein-trächtigt lediglich die Fähigkeit zum ge-nauen Artikulieren von Wörtern.

Bei Kindern mit Down-Syndromsind allerdings immer auch Dysgram-matismus (Da ist die Baby / Ich habe ge-lauft), Telegrammstil („Brot“ statt: da istBrot/ich möchte Brot essen) und Silben-verdrehung (Heso statt Hose) zu beob-achten.

Inzwischen haben Untersuchungen(z.B. Hulme und Mackenzie 1992) erge-ben, dass das auditive Kurzzeitgedächt-nis bei Menschen mit Down-Syndromerheblich verkürzt ist. Wir nutzen die-sen Speicher, um uns Wörter zu mer-ken, zu verarbeiten, zu verstehen unddann adäquat zu reagieren. Wir nennenihn auch „phonologisches Arbeitsge-dächtnis“.

Normalerweise nimmt die Kapazitätdes auditiven Kurzzeitgedächtnisses mitder Entwicklung des Kindes zu. Bei re-gelentwickelten Vierjährigen beträgt siezwei bis drei Einheiten, bei Vierzehn-jährigen dann durchschnittlich siebenEinheiten. In diesem Alter ist dieserSpeicher dann auch ausgereift.

Teenager mit Down-Syndrom errei-chen aber durchschnittlich nur drei bis

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geht. Denn „irgendwie“ ein bisschenSingen und Klatschen wird in der Regelnicht so viele positive Auswirkungen aufakustisches Gedächtnis und die Sprach-entwicklung haben, wie das mit plan-vollem Vorgehen möglich wäre.

Um einen „Plan“ zu bekommen, wasgenau man als Elternteil wann machenkann, gebe ich hier einen Überblick aufdie einzelnen Elemente musikalischerFörderung in Hinblick auf die Entwick-lung beim Kind mit Down-Syndrom.

3.1. Neurobiologische Grundlagenfür effektives musikalisches Lernen

Durch bildgebende Verfahren, die dieAktivität im Gehirn sichtbar machenkönnen (MRT), und durch interessanteVersuche in der frühen Kindheit kannman heute mit Sicherheit sagen, dassKinder umso effektiver lernen, je mehrSinneskanäle jeweils gleichzeitig ange-sprochen werden. So lernen Kleinkindereinen Rhythmus deutlich schneller,wenn sie die Hand, die ihn schlägt, sichbewegen sehen (vgl. Spitzer, 2004) oderwenn sie sich selbst zu diesem Rhyth-mus bewegen können.

Diese Erkenntnisse können wir unsin der musikalischen Förderung vonKindern mit Down-Syndrom zunutzemachen. Auf diesem Denkansatz basiertauch die hier vorgestellte Einteilung derFörderbereiche in Hinblick auf diesprachlichen Entwicklungsphasen beimDown-Syndrom.

3.2. Musikalische Förderbereicheund sprachliche Entwicklungsphasen

Die Bereiche der musikalischen Förde-rung werden hier mit Großbuchstabenversehen, die Bereiche der sprachlichenEntwicklung mit Zahlen:

A Lieder B Sprechverse und Kniereiter C Rhythmen D rhythmische Übungen E Hörübungen

1. vorsprachliche Phase2. Einwort-Satz-Phase 3. Zwei- bis Dreiwortsatz-Phase 4. Mehrwort-Satz-Phase

A1 meint, welche Lieder in der vor-sprachlichen Phase eingesetzt werdenkönnen.E4 beschreibt Hörübungen für dieMehrwort-Satz-Phase

A. Lieder

Lieder verbinden eine immer über-schaubare und gleich bleibende Mengean Wörtern mit einer charakteristischenTonfolge (= Melodie). Damit unterschei-den sie sich erheblich von spontan ge-sprochener Sprache, die vielfältiger undunüberschaubarer ist. Gerade für Kin-der mit reduziertem akustischem Ge-dächtnis sind Lieder somit ein einfacherWeg zur Sprache. Hinzu kommt, dass esLieder auf ganz unterschiedlichenSprachniveaus gibt und natürlich auchLieder, die ganz gezielt sprachliche Phä-nomene angehen.

Extrem wichtig ist in jeder Phase desSingens, dass hoch gesungen wird. DieKinderstimme ist in der Regel bei F-Durangesiedelt. Es ist leider Tradition ge-worden, mit Kindern zu tief zu singen.Gerade bei Kindern mit Down-Syndromist das fatal, da sie oft dazu neigen,selbst tief zu sprechen. Die Ursachehierfür ist nach wie vor unklar (Etta Wil-ken, Sprachförderung).

A1 Lieder für die vorsprachlichePhase

... sind Lieder, deren Strophen immergleich sind und nur bei einem Wort va-riieren. Gleichzeitig sollten diese Liederimmer Gebärden enthalten, so dass dasKind auch ohne zu sprechen beim Liedaktiv sein kann. Gleichzeitig wird damiterreicht, dass wieder mehrere Sinnes-kanäle genutzt werden können. Darü-ber hinaus haben viele Musikpädagogenbeobachten können, dass Kinder, dienoch nicht sprechen können, sich selbstLieder „vorsingen“, indem sie bestimm-te Gebärden ausführen (innere Rede!).Als Möglichkeit zur Verbesserung derakustischen Merkfähigkeit.Beispiele:

Komm mit mir ins KlatschelandWir singen „Guten Tag“Wir spielen Die Räder am BusEine lange Schlange

A2 Lieder für die Ein-Wort-Satz-Phase

... unterscheiden sich nur insofern vonA1, als dass sie mehr Eigeninitiativevom Kind erwarten. In dieser Phase eig-nen sich besonders gut Lieder, in dieTierstimmen eingefügt werden können. Beispiele:

Frösche in der NachtDas KrokodilDas SchüttelliedKlatsch mit mirEin kleines graues Eselchen

A3 Lieder für die Zwei- bis Drei-Wort-Satz-Phase

Je mehr die Kinder in der Lage sind,selbst zu sprechen, umso mehr könnensie aktiv mitsingen. Gebärden sind nachwie vor günstig, um mehr Sinnesmoda-litäten anzusprechen.

Für diese Phase eignen sich hervor-ragend gängige Kanons, da diese in derRegel nur aus acht Takten bestehen undnur eine „Strophe“ haben.

Besonders gut eignet sich Bruder Ja-kob, und zwar aufgrund der Textdopp-lung.

In dieser Phase sind Kinder mit Down-Syndrom in der Regel in der La-ge, sich selbst auf klingenden Stäben zubegleiten. Diese Stäbe in Tenorlage er-hält man bei SONOR. Sie kosten pro Stabca. 25 Euro und man benötigt F und c“,um sich gut zu begleiten. Wieder folgtdiese erneute Erweiterung dem Prinzip

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Rhythmus bedeutet in der Musik, dassdieses Metrum gegliedert wird in langeund kurze Einheiten (Ta Ta Titi ta).

Im Zentrum dieser frühen Förder-phase, in der das Kind oft auch nochnicht läuft, stehen die Kniereiter – „Hoppe hoppe Reiter“ ist wohl einer derbekanntesten.

Wenn das Kind bereits angefangenhat zu gebärden, eignen sich natürlichSprechverse mit Gebärdenunterstüt-zung und Fingerspiele (z.B. zehn kleineZappelfinger).Beispiele:

Da kommt die MausSo fahren die DamenUnter der Brücke

B2 Sprechverse und Kniereiter inder Einwort-Satz-Phase

Es ist methodisch geschickt, nicht sofortein ganz neues Repertoire an Sprech-versen einzuführen, wenn das Kind dieersten Worte zu sprechen beginnt. Ge-schickter ist es, bekannte Verse durchAuslassungen dazu zu benutzen, demKind Eigeninitiative zu ermöglichen unddas jeweilige Wort selbst zu sprechen. Beispiele:

Himpelchen und PimpelchenZehn kleine ZappelmännerSteigt ein Büblein

B3 Sprechverse und Kniereiter inder Zwei- bis Dreiwort-Satz-Phase

Sobald sich die Sprache des Kindes er-weitert, verändert sich bei den Sprech-versen die Zielrichtung. Ging es bisherdarum, Sprachgefühl zu vermitteln, sorichtet sich der Focus jetzt auf die Eigen-initiative. Für ein Kind mit noch mäßig

entwickelter Sprache bedeutet das, dieSprechverse jetzt extrem kurz zu halten,damit es dem Kind gelingen kann, siemöglichst als Ganzes mitzusprechen.

B4 Sprechverse in der Mehrwort-SatzPhaseWenn Kinder mit Down-Syndrom ver-lässlich in Mehrwortsätzen sprechen,sind sie eindeutig über das Stadium derKniereiter hinausgewachsen. Diese wer-den nun als albern erlebt. Nun kannman beginnen, wieder neue Sinnesmo-dalitäten einzuführen: Die Hände kom-men koordiniert dazu in Form vonKlatschspielsprechversen (als bekann-testes Beispiel darf hier wohl gelten:„Bei Müllers hat’s gebrannt“). Bei diesenKlatschspielen gibt es unterschiedlichs-te Schwierigkeitsstufen. Es empfiehltsich, beide Ebenen (klatschen und spre-chen) immer wieder auch mal zu tren-nen, da diese Phase zu Beginn vomKind eine hohe Konzentrations- und Ko-ordinationsfähigkeit erfordert.Beispiele für B3 und B4:

Ene mene misteEine kleine Mickey MausIch und duEins zwei drei vier fünf sechs sieben

Sätze zur phonologischen Bewusstheit:Alle alten Affen arbeitenMeine Mama macht mir müdeTausend tolle Tänzer tanzen Tango

C Rhythmen

Rhythmus ist im Gegensatz zu Metrumimmer gegliedert. Rhythmen können ge-klatscht, gepatscht und auf Instrumen-ten gespielt werden.

Hier in unserem Zusammenhang (Sprache) geht es immer auch um dasRhythmische in der Sprache, sowohl in-tuitiv als auch bewusst.

Um Spiele (Übungen) zum ThemaRhythmus machen zu können, brauchtman eine Trommel und dazugehörigeSchlägel. Je weicher ein Schlägel ist,umso leiser erklingt der getrommelteTon. Gute Trommeln haben möglichstSchrauben, damit sie stimmbar sindund bei Bedarf das Fell gewechselt wer-den kann. Zu Beginn der kindlichen Mu-sikentwicklung sollte das Kind nie allei-ne mit der Trommel spielen dürfen. Esist nämlich noch nicht in der Lage, dieTrommel differenziert zu benutzen. Da-mit verkommt das Instrument zum„Krach- und Hauspielzeug“ und verliertsehr schnell seinen Reiz. Um das Kind

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verschiedener Sinnesmodalitäten.Beispiele:

A ram sam samBrüderchen, komm tanz mit mirDer Hahn ist totBruder JakobHeja, spann den Wagen an

A4 Lieder für die Mehrwort-Satz-Phase

Wenn Kinder mit Down-Syndrom übereine so differenzierte Sprache verfügen,dass sie in ganzen Sätzen sprechen, sindsie in der Regel schon im schulpflichti-gen Alter. Jetzt können Lieder gezielt da-zu verwendet werden, Sprachbewusst-sein zu entwickeln. Lieder, die mit Sil-ben spielen, Lieder, die Silben verdop-peln, und Lieder, zu denen Klatschspie-le gemacht werden können, sind jetztgenau richtig, um den Schriftspracher-werb zu unterstützen.

Erwähnt sei hier schon einmal, dassalle anderen Förderbereiche der Musikin die gleiche Richtung weisen.

Beispiele:M M macht der kleine FroschAlle Kinder lernen lesenMorgens früh um sechs

B Sprechverse und Kniereiter

Sprechverse charakterisieren sich durchSprache in rhythmisch-metrisch gebun-dener Form ohne Melodie. Je nachdem,welche Körperebene noch gezieltwährend des Sprechens angesprochenwird, unterscheidet man Kniereiter, Ab-zählreime und Fingerspiele. Interessantist, dass wir instinktiv wieder mehrereEbenen der Wahrnehmung ansprechen.Etta Wilken weist in ihrem Standard-werk „Sprachförderung bei Kindern mitDown-Syndrom“ darauf hin, dass Kin-der, die zusätzlich zur gesprochenenSprache sinnvolle handmotorischeÜbungen machen, deutlich schneller Er-folge erzielten als die Vergleichsgruppe,die nur Sprachübungen machte.

B1 Sprechverse und Kniereiter inder vorsprachlichen Phase

Dort, wo noch keine aktive Sprache vor-handen ist, ist es Ziel der Sprechverse,dem Kind ein Gefühl für Metrum undRhythmus der Sprache zu vermitteln.Metrum bedeutet in der Musik dasgleichmäßige Pulsen ohne Gliederung,so wie es beim Schaukeln und Wippenauf den Knien, beim gleichmäßigen Ge-hen und Klatschen vorkommt.

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zu einem wirklich differenzierten Um-gang mit der Trommel zu erziehen,braucht man in der Tat Geduld und Zeit.Somit ist dieser Teil der musikalischenFörderung (gemeinsam mit D) auch der„akademischste“ Teil, bei dem man sichtatsächlich gezielt hinsetzen und „üben“muss.

Zusätzlich erfordern diese Förder-bereiche auch Grundfertigkeiten vonSeiten des Erwachsenen.

C1 Rhythmen in der vorsprachlichenPhase

Schon beim Säugling können erste Er-fahrungen mit Rhythmen über dasFühlen ermöglicht werden. Währenddes Wickelns kann man gezielt Liedermit deutlichen Pausen singen und in die-sen Pausen dem Baby leicht auf denBauch, den Po oder die Füße klopfen.Meine erste Tochter hatte Sichelfüße,deren Behandlung ich einfach rhyth-misch gestaltete.

Auch ist es möglich, durch Klatschenin die Hand des Babys eine Art echtesKlatschen nachzuahmen.

Sobald das Kind sich selbst hinsetztund stabil sitzen kann, sind erste Spielemit der Trommel möglich. Zu Beginngeht es lediglich um das „Aufhören“ aufein Signalwort hin (ich verwende per-sönlich das Wort „STOP“, weil es kurzund prägnant ist – einigen Menschen istdies aber vielleicht zu diktatorisch). Umdem Kind ohne Vorerfahrung klar zumachen, was genau man will, wird mandas Aufhören zunächst „bahnen“ müs-sen, indem man die Hand des Kindessanft zurückhält und nochmals „Stop“sagt. Nach und nach ist dem Kind dannklar, was genau erwartet wir. Dann

Kodaly Rhythmussprachekann auch mit dem Abwechseln begon-nen werden: „Erst“ ich, dann du.

C2 Rhythmen in der Einwort-Satz-Phase

Sobald das Kind seine ersten Wortespricht, wird die Trommel gezielt einge-setzt, um die Sprachentwicklung voran-zutreiben. Alle Wörter, die das Kind zusprechen vermag, werden nun getrom-melt. Dabei ist extrem wichtig, die Wor-te richtig zu trommeln, also bei Ma-Maauch zweimal zu schlagen.

Ziel in dieser Phase ist es, die Anzahlder Wörter pro Satz zu erhöhen, alsodas Kind von Phase zwei in Phase dreizu trommeln.

Darüber hinaus soll hier die Fähig-keit, gezielt zu trommeln, weiter ausge-baut werden. Lieder mit Pausen liegennun „voll im Trend“ und gelernt werdensoll, genau in die Pause zu trommeln. Indieser Phase beginnen wir also, die Auf-merksamkeit des Kindes gezielt auf ei-nen antizipierbaren Punkt zu richten.Dieses konzentrierte „Zur Sache kom-men“ fällt Kindern mit Down-Syndromoft unwahrscheinlich schwer. Es kannaber erstaunlich gut geübt werden.

C3 Rhythmen in der Zwei- bis Drei-wort-Satz-Phase

Neben dem Weiterführen der Wörterund des Pausentrommelns kommt einezentrale Übung für das akustische Ge-dächtnis dazu: das Trommeln echtervierschlägiger Rhythmen.

Dazu bediene ich mich der KodalyRhythmussprache.

Die Verbindung von Silbe und Schlagermöglicht wieder ein effektiveres Er-lernen der Rhythmen.

Liedbeispiel: If you’re happy and you know it

C4 Rhythmen in der Mehrwort-Satz-Phase

Im Prinzip ändert sich von C3 zu C4 nurquantitativ etwas. In dieser Phase ver-suche ich, je nach Fähigkeiten der ein-zelnen Kinder, die Rhythmen zu verlän-gern – und damit eben auch die Merk-fähigkeit zu verbessern.

D Rhythmische Übungen

Die traditionelle Rhythmik wurde vondem Schweizer Jacque Dalcroze für sei-ne Musikstudenten entwickelt. Sie rhythmisierten ihre mehrstimmigenVorspielstücke in verschiedenen Kör-perteilen (Arme, Beine, Hände), um sieso besser zu durchschauen. Später wur-de diese Richtung der Musikerziehungauch für Kinder nutzbar gemacht (MimiScheiblauer). Rhythmik spielt heute inder Heilpädagogik und in der elementa-ren Musikschularbeit eine entscheiden-de Rolle. Hier geht es neben der Arbeitmit bestimmten rhythmischen Geräten(Reifen, Bänder, Bälle Keulen, Tücher)auch um die großkörperliche Umset-zung von Musik.

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E Hörübungen

Hörübungen zielen vor allem auf eineder Basisfähigkeiten des Lernens, dasbewusste Zuhören. Es wird vom Kindein willentlicher Akt der gerichtetenAufmerksamkeit erwartet, bei dem alleStörungen von außen ausgeblendet wer-den müssen.

E1 Hörübungen in der vorsprach-lichen Phase

Schon beim Säugling mit Down-Syn-drom können Hörübungen angebotenwerden.

Das Klingeln eines Glöckchensaußerhalb des Gesichtsfeldes des Kin-des ist eine der ersten Hörübungen (Ab-stand von den Ohren ca. 50 cm). Es wirdvom Kind erwartet, den Kopf zurGeräuschquelle zu drehen.

Die Geräuschquelle kann mit zuneh-menden Fähigkeiten immer weiter vonden Ohren entfernt werden. Je älter dasKind wird, umso vielfältiger können dieGeräusche werden.

Eine weitere „Hörübung“ beim sehrjungen Kind ist das Aufmerksam-Ma-chen auf Geräusche des Alltags.

E2 Hörübungen in der Einwort-Satz-Phase

Ab ca. zwei Jahren kann man bei vielenKindern mit den „Listening skills“ vonColor cards beginnen. Sie sind zu bezie-hen bei Winslow Press Ltd, Telford road,Bicester Oxon OX 26 4LQ United King-

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D1 Rhythmische Übungen in dervorsprachlichen Phase

Das ganz junge Kind muss zunächst dasGrundprinzip der Umsetzung von Musikin Bewegung kennen lernen:Musik = BewegungMusikstopp = Stehen bleiben, innehal-ten.

Der Anleitende kann „Musik“ ameinfachsten mit der Trommel anleiten.Wenn der Anleitende trommelt, läuftdas Kind. Wenn er stoppt, bleibt dasKind stehen.

Ab D2

Nun geht es darum, dieses Prinzip im-mer weiter zu differenzieren.

Zunächst werden die unterschiedli-chen Bewegungsmöglichkeiten einge-führt:Gehen = Viertelschläge (etwas schnellerim Gehtempo des Kindes)Rennen = AchtelschlägeGalopp = punktierte SchlägeSchleichen = halbe Schläge

Um rhythmische Übungen anleitenzu können, muss man tatsächlich etwasüben. Die Genauigkeit und die Eindeu-tigkeit des Anleitenden ermöglichen erstein adäquates Reagieren des Kindes.

Diese Übungen sind deshalb so ef-fektiv für die kognitive Entwicklung desKindes, da sie Konzentration und Auf-merksamkeit schulen, zwei Fähigkeiten,die Lernen erst ermöglichen (vergleicheSpitzer: Lernen).

Wenn dieses Prinzip vom Kind um-gesetzt werden kann, bieten sich fastunzählige Möglichkeiten, in den Musik-stopps Lernaufgaben spielerisch umzu-setzen. Zum Beispiel können die Kin-der, wenn die Musik stoppt, bis ...zählen, sich alle auf den Boden legen, ei-nen Vers aufsagen, einen Buchstaben indie Luft malen und und und.

Einen weiteren Qualitätssprung er-reichen rhythmische Übungen, wennzwei Körperebenen kombiniert werden,und zwar Hände und Füße.

Das kann z.B. mit einem Klavieroder zwei in der Tonhöhe ganz unter-schiedlichen Trommeln erreicht wer-den. Der Rhythmus der tiefen Töne wirddann in den Füßen umgesetzt, der Rhythmus der hohen Töne in den Hän-den.

Neben den klassischen rhythmi-schen Übungen deckt dieser Bereichaber auch Lieder ab, die im Raum ge-staltet oder getanzt werden.

dom, sowie bei einigen pädagogischenVerlagen. Hier werden Geräusche Bild-karten zugeordnet. Auch Tierstimmen-CDs oder die Lehrer-CD 1 des HohnerMusikgartens liefern ordentliche Hör-beispiele.

Als ideales Spiel ist Papperlapapp zunennen, das bei Haba zu beziehen ist.

E3 und 4 Erweiterung

Um das akustische Gedächtnis weiter zufordern, können jetzt Merkspiele fürGeräusche eingeführt werden. Zunächstbeschränkt sich die Merkfähigkeit aufzwei Geräusche. Erweiterungen solltenimmer wieder angeboten werden, umzu schauen, ob sich „etwas tut“.

Im Bereich „Gesteuerte Aufmerk-samkeit“ bietet sich jetzt das Spiel „RatzFatz“ von Haba an. Hier werden Ge-schichten mit Schlüsselwörtern vorgele-sen. Sobald ein Schlüsselwort in der Ge-schichte auftaucht, muss das Kind dendazu gehörenden Gegenstand aus derMitte „weggrapschen“.

4. Musik „geht fremd“: Mathe lernen mit Musik

Musik und Mathematik sind nicht sehrweit voneinander entfernt (siehe z.B.der Quintenzirkel). Gerade im basalenBereich des ersten Zählens leistet die Rhythmik gute Dienste.

Kinder im Alter von ca. sechs Jahrenkönnen mit den Füßen stampfen und je-weils 4, 3 oder 2 Schläge klatschen.Oder sie klatschen immer auf die 1,zählen aber mal bis 3, bis 2, bis 4.(Natürlich kann das Prinzip erweitertwerden.)

Frühe Rechenspiele können mitTrommelübungen verknüpft werden:indem z.B. Zahlen auf Kärtchen gelesenwerden und anschließend die geleseneZahl als Trommelschläge erklingt.

5. Handling im Alltag

Weiter oben habe ich bereits erwähnt,dass es zum Singen und Klatschen zahl-reiche Gelegenheiten „einfach zwi-schendurch“ gibt.

Für Rhythmusspiele, Trommelübun-gen und Mathespiele gilt das jedochnicht. Dazu muss man sich zusammenhinsetzen und gemeinsam planvoll spie-len. Aufgrund meiner Erfahrung klapptdas als „Ritual“ am besten.

Ein nettes Begrüßungslied zu Be-ginn, das möglichst phasengerecht ist,

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005 53

F Ö R D E R U N G

Im Juni fand bei der Lebenshilfe inMarburg wieder ein Seminar für El-

tern statt, die ein Baby oder Kleinkindmit Down-Syndrom haben.

Ein Thema war auch die Zweispra-chigkeit. Für diesen speziellen Themen-block hatte ich die anwesenden Elterngebeten, mir die zwei Sprachen zu nen-nen, die in der Familie gesprochen wer-den. Über die Vielfalt, die sich zeigte,war ich sehr überrascht: Finnisch, Pol-nisch, Ungarisch, Arabisch, Spanisch,Französisch, Englisch und Italienisch!Und viele Eltern berichteten wieder,dass man ihnen in der Frühförderunggeraten hätte, ihrem Kind mit Down-Syndrom nur eine Sprache zuzumuten.Es wäre mit zwei Sprachen sicherlichüberfordert, weil viele Kinder schongroße Probleme mit dem Erlernen einerSprache hätten.

Da jedoch in zweisprachigen Famili-en beide Sprachen für die Kinder Be-deutung haben, halte ich es für wichtig,nicht die Zweisprachigkeit bei Kindernmit Down-Syndrom von vornherein ab-

Kann unser Kind mit Down-Syndromzwei Sprachen lernen?

zulehnen, sondern dafür Sorge zu tra-gen, dass günstige Bedingungen für dasLernen beider Sprachen gestaltet wer-den!

Auch bei Kindern ohne Behinderungsollte man nicht naiv davon ausgehen,dass die Zweisprachigkeit schon irgend-wie gelernt wird, sondern förderlicheBedingungen schaffen.

Deshalb ist vom Staatsinstitut fürFrühpädagogik in München ein Eltern-brief entwickelt worden, der in 15 Spra-chen vorliegt! Die dort gegebenen Infor-mationen vermitteln Grundlagen undkönnen auch für Eltern von Kindern mitDown-Syndrom Anregung und Hilfe bie-ten.

Der dreiseitige Brief kann direkt ausdem Internet kopiert werden:Elternbrief „Wie lernt mein Kind zweiSprachen – Deutsch und die Familien-sprache?“ http://www.ifp-bayern.de/cmain/a_IN-DEX/s_265

Etta Wilken

stimmt die Kinder aufs Singen ein.Wenn die Konzentration noch ganzfrisch ist, sind Rhythmen zum Sich-Mer-ken oder Hörübungen am sinnvollsten.Um den Kindern danach eine Bewe-gungseinheit zu ermöglichen, eignensich rhythmische Übungen im Raum.Danach kann eventuell etwas Neues ein-geführt werden. Zum Abschluss hat sichdie „Wunschstunde“ bewährt, bei derdas Kind vorgibt, was es singen oderspielen möchte. Eine „Musikeinheit“dauert in der Regel so lange, wie alleSpaß und Konzentration mitbringen.Das ist natürlich beim sehr jungen Kindrecht begrenzt. Hier reicht auch eineganz gezielte Übung, z.B. zum ThemaTrommelstopp, wenn Konzentrationdas wesentliche Thema ist.

Abschließend kann ich sagen, dass„gezielte“ Förderung mit Musik da statt-findet, wo ich als Anleitender genau be-obachtet habe, welchen Schritt meinKind als Nächstes gehen muss, um sichweiterzuentwickeln. Dann kann ich ausder Vielfalt des musikalischen Materialsgenau das aussuchen, was dazu passt.

Literatur:Manfred Spitzer: Lernen – Gehirnforschung

und die Schule des LebensSpektrum Akademischer Verlag Heidelberg,

Berlin

Etta Wilken: Sprachförderung bei Kindern mitDown-Syndrom, 8. Auflage 2000

Edition Marhold ISBN 3-89166-991-7

Und unzählige Liederbücher,Früherziehungskonzepte und Artikel zum

Thema Down-Syndrom.

Empfehlenswert

Folgende CDs bilden eine guteGrundlage und werden von FrauZilske empfohlen:1. Aus der Musikgarten-Reihe: „Zu Hause“, MH 809 94 58 „Beim Spiel“, MH 809 94 59„Tierwelt“, MH 809 94 602. Ich und du „Kinderreime“ ISBN 3-491-88780-13. Fingerbewegungen nach Musik ISBN 3-980-4316-3-0

Und als weiteres Material:1. Kid’s floor tom von Reno2. Klingende Stäbe von Sonor in Me-tall-Tenorlage

Die Kinderbodentrommel ist extremrobust. Kleine Kinder können auchruhig einmal darauf stehen, ohnedass die Trommel dabei kaputt geht.Die Trommel hat einen Durchmesservon 25,5 Zentimetern.

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54 Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005

Eine neue Publikation der EDSA:

Orientierung für FamilienÜbersetzung: Ingrid Fröhlich (Down-Syndrom Österreich)

Familien spielen bei der Erziehung aller Kinder eineSchlüsselrolle, besonders aber bei Kindern mit Down-Syndrom.Dieses Dokument, das von der EDSA (Europäische Down-Syndrom-Vereinigung) veröffentlicht wurde, will Orien-tierung und Hilfe bieten für Eltern und Familien, die miteinem Kind mit Down-Syndrom leben.Es wurde von Eltern und Spezialisten aus verschiedenenLändern, die eine Fülle an Erfahrungen in der Erziehung von und im Umgang mit Menschen mit Down-Syndrom haben, besprochen und entworfen. Es möchteeinen Weg vorschlagen, der sich als wirksam erwiesenhat: das totale Engagement der Familien für die Erzie-hung des Kindes, die sich auf moralische Werte stützensollte, auf persönliche Selbstbestimmung und darauf,das Beste aus den Qualitäten jedes Individuums zu machen.

Prof. J. Perera EDSA-Präsident

Einführung

Menschen mit Down-Syndrom sind anerster Stelle Menschen wie alle ande-ren. Aber wenn wir ein neugeborenesBaby mit Down-Syndrom in unseren Ar-men halten, ist es vielleicht unser Blick,voller Angst und Zweifel, der es zum ers-ten Mal spüren lässt, dass es anders ist.

Ein Kind mit Down-Syndrom zu be-kommen bedeutet anfangs, dass die El-tern sich in einer Welt der Angst undFragen ohne Antworten wieder finden.

Die Absicht dieser Zeilen ist es, dazubeizutragen, dass Familien eine Personmit Down-Syndrom – ihren Sohn oderihre Tochter – einfach als ein weiteresFamilienmitglied betrachten, mit dengleichen Möglichkeiten und den glei-chen Rechten, das alle notwendige Un-terstützung bekommt, sein Potenzial zuentwickeln.

1. Der Mensch imMittelpunktSchon ganz früh sollte die Person mitDown-Syndrom Unterstützung erhalten,die auf ihre Bedürfnisse abgestimmt ist,in einem Kontext der Chancengleichheitund einer klaren Betonung der persön-lichen Selbstbestimmung. Das bedeutet:

Normale Behandlung, ähnlich wie wirunsere anderen Kinder behandeln, we-der diskriminierend noch überbeschüt-zend.

Unterstützung, abgestimmt auf ihreBedürfnisse, besonders in Bezug auf Ge-sundheit und Entwicklung, wobei mannach Möglichkeit spezialisierte Frühför-derdienste in Anspruch nehmen sollte.

Eine angepasste und integrierte För-derung, die die Person mit Down-Syn-

drom in jenen Bereichen, wo am meis-ten Bedarf besteht, unterstützt, ohnedass dabei das Kind von anderen Kin-dern seines Alters getrennt wird.

Die Möglichkeit, ein normales Sozial-leben in der Umgebung der Familie, derNachbarschaft, der Gemeinde und derSchule zu führen. Wir werden unserenKindern nicht helfen, wenn wir ihnenein Leben bieten, das anders ist, zu-sammen mit anderen Personen mit Down-Syndrom und getrennt vom Restder Menschen.

Einstellungen, die ihre Selbstständig-keit begünstigen. Unsere Ängste sindgrößer als jene unseres Sohnes/unsererTochter. Wir müssen es zulassen, dasser/sie mit seinen/ihren eigenen Ängs-ten konfrontiert wird und seine/ihre ei-genen Fehler macht; wenn wir das nichttun, behindern wir sie dabei, unabhän-gig zu werden.

Eine Zukunft mit Lebensqualität, vol-ler Ziele und Träume. In anderen Wor-ten: ein Projekt für die Zukunft, das diePerson mit Down-Syndrom selbst kon-trolliert und dessen Mittelpunkt sie ist.

Menschen mit Down-Syndrom werdengrößere Chancen für ein glückliches Le-ben haben, je besser wir die Unterstüt-zung an ihre Bedürfnisse anpassen; da-durch lernen sie, selbstständiger zusein, ihre eigenen Erfahrungen zu ma-chen und die Kontrolle über ihr eigenesLeben zu übernehmen.

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005 55

Die beste Einstellung, die Eltern mit ei-nem Kind mit Down-Syndrom ent-wickeln können, bedeutet nicht, die Si-tuation herunterzuspielen oder sich vorder Welt zu verstecken oder sich eineSchuld zuzuschieben oder sich vor einerungewissen Zukunft zu fürchten. Die bes-te Einstellung bedeutet, sich der Situati-on mit Gelassenheit und Normalität zustellen, gestützt auf die Gewissheit, dassviele Menschen mit Down-Syndrom undihre Familien ein Leben genießen, dasgenauso glücklich oder glücklicher istals jenes der anderen Menschen.

2. Das Leben zuHause

Die Familie ist der erste und wichtigsteBezugspunkt des Menschen mit Down-Syndrom während seiner frühen Kind-heit und eines großen Teils seiner Zu-kunft.

Das bedeutet unter anderem, dassdie Haltung der Familie, die Qualität desZusammenlebens und die Art des Um-gangs mit der Person mit Down-Syn-drom ihre Autonomie und Selbstbestim-mung im Erwachsenenleben fördertoder eben nicht.

Es ist logisch, dass wir zuerst den-ken, dass die Person mit Down-Syn-drom besondere Bedürfnisse hat unddeshalb mehr Schutz braucht. Mit die-ser Einstellung beschränken wir jedochdie Gelegenheiten, die das Kind mit Down-Syndrom haben wird, um für sichselbst zu lernen, Fehler zu machen, Ent-scheidungen zu treffen. Ist ein Leben oh-ne Irrtümer, ohne Entscheidungen zutreffen oder ohne Risiken vorstellbar?Unsere Interessen als Eltern bringenuns oft in Konflikt mit den Interessenunseres Sohnes oder unserer Tochtermit Down-Syndrom und wenn immermöglich müssen wir sicherstellen, dasser oder sie mit denselben Möglichkeitenlebt wie die Geschwister und die ande-ren Kinder und Jugendlichen ihres Al-ters.

Das heißt aber nicht, dass man dieBedürfnisse der Person vernachlässigt,sondern dass man ihnen Unterstützunggibt, damit sie in ihrem zukünftigen Le-ben so autonom wie möglich werden.

Die Förderung der Autonomie undSelbstbestimmung der Person mit Down-Syndrom verhilft nicht nur zu einer bes-

seren Lebensqualität für die Person mitDown-Syndrom, sondern auch für dieFamilie (größere Unabhängigkeit für dieEltern, besseres Klima für Beziehungenund bessere Vorbereitung für die Zu-kunft).

In diesem Sinne müssen wir die Artdes Umgangs mit unserem Kind mit Down-Syndrom im Vergleich zu seinenGeschwistern genau abwägen, undzwar ist für beide Teile wichtig, dass esso ähnlich wie möglich sein sollte. Wenndas Kind mit Down-Syndrom zu sehrüberbehütet wird, so kann das leicht einGefühl von Ungerechtigkeit bei den Ge-schwistern hervorrufen (besonderswenn sie noch jung sind), was für sie wieauch für die Familien schädlich seinkann.

Wenn es gewünscht wird, könnensowohl Organisationen für Menschenmit Down-Syndrom und ihre Familienwie auch Zentren für Orientierung undFamilientherapie den Eltern Orientie-rung bieten und ihnen eine Einschät-zung geben über die Art, wie sie ihreEinstellungen, die Erziehung und dieBehandlung der Person mit Down-Syn-drom und deren Geschwister regeln, undwie sie sich außerdem Konflikten zuHause stellen und sie lösen.

Schließlich sind hier einige Schlüs-selaspekte für die Erziehung von Men-schen mit Down-Syndrom, die zu Hau-se leben:Körperpflege, Hygiene, Anziehen etc.

lehrenTeilnahme an wesentlichen häuslichen

Pflichten (das Zimmer putzen, das Bettmachen, aufräumen, die Garderobe auf-räumen, Kleider zusammenlegen, einfa-che Mahlzeiten machen, etc.)Sexuelle und affektive Erziehung (Um-

gang mit Gefühlen, Beratung und Orien-tierungshilfe für angemessenes sexuel-les Verhalten, etc.)Stimulierung von Berufs- und Arbeits-

interessenFörderung des Interesses für Freizeit-

aktivitäten und HobbysGelegenheiten für soziale Interaktion

mit anderen Personen innerhalb undaußerhalb der Familieneinheit ermögli-chenFähigkeiten zur Problemlösung lehren

(Situationen beschreiben, Alternativenentwickeln, Konsequenzen beurteilenund Entscheidungen treffen)Moralische Werte lehren (Ehrlichkeit,

Verantwortung, etc.)

Was ist EDSA?

EDSA ist eine gemeinnützige inter-nationale Organisation, die folgendeZiele hat:

Die Unterstützung aller Aktionenund Bemühungen, die zum Wohleder Menschen mit Down-Syndrombeitragen, gemäß jener Rechte, dieihnen durch ihre jeweilige Verfas-sung, durch die Menschenrechtser-klärung und die Rechte für Men-schen mit Behinderung der Verein-ten Nationen verliehen wurden,ebenso durch das Europäische Ab-kommen, das sich auf den Schutzvon grundlegenden Rechten undFreiheiten bezieht.

Die Förderung des Wohlerge-hens von Menschen mit Down-Syn-drom auf jede mögliche Art undWeise und in jedem Bereich und injedem Aspekt des Lebens: Gesund-heit, Bildung, Persönlichkeit, Auto-nomie und Integration in die Gesell-schaft, entsprechend den Vorstellun-gen und Fähigkeiten des Einzelnen.

Die Ermutigung aller wissen-schaftlichen Bemühungen in Rich-tung Weiterentwicklung und Ver-besserung der medizinischen Ver-sorgung, Bildung, Rehabilitation,Berufsausbildung, Arbeitsplatz,Freizeit und unabhängiges Wohnen.

Die Förderung der Interessenvon Personen mit Down-Syndromdurch das Sicherstellen aller notwen-digen Ressourcen, Unterstützungenund Dienste, die diesem Ziel dienen.

Die Schaffung einer Verbindungzwischen allen Menschen mit Down-Syndrom, ihren Familien, Freundenund Organisationen bzw. Vereinen.

Artikel 3/ EDSA-Satzung

Website: www.edsa.down-syndrome.org E-Mail des Generalsekretärs:[email protected]

aedsEUROPEAN

DOWN SYNDROMEASSOCIATION

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56 Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005

In jedem der erwähnten Aspekte kanndie Person eine höhere Ebene derSelbstständigkeit erreichen, wenn ihmGelegenheiten zum Lernen und die not-wendige Unterstützung geboten wer-den; diese positiven Entwicklungen fin-det man sogar bei Menschen mit einerstärkeren Beeinträchtigung.

3. GesundheitDie Sorge um die Gesundheit der Personmit Down-Syndrom sollte ein Lebenlang eine Selbstverständlichkeit seinund nicht nur während einer bestimm-ten Periode oder eines Moments.

Es ist bekannt, dass sich währendder letzten Jahrzehnte die Gesundheitund die Lebenserwartung von Men-schen mit Down-Syndrom beträchtlichverbessert haben. Das bedeutet nicht,dass wir aufhören sollten, ihnen jeneAufmerksamkeit zu geben, die sie brau-chen. Tatsache ist, dass mit dem Down-Syndrom eine ganze Reihe von Faktorenin Verbindung gebracht werden, die ei-ne spezielle Wachsamkeit und Auf-merksamkeit schon von Geburt an ver-langen.

Derzeit sind vorbeugende Gesund-heitsprogramme für Personen mit Down-Syndrom die beste Strategie, um ein an-gemessenes gesundheitliches Niveaubzw. physisches Wohlbefinden für diePerson sicherzustellen und damit ihreLebensqualität an den Rest der Bevölke-

rung anzugleichen.Für die Familie ist es am ratsamsten,

schon ganz von Anfang an spezialisier-te Gesundheitsdienste in Anspruch zunehmen. Diese werden den Eltern an-gemessene Richtlinien in Bezug auf dieWachsamkeit und Sorge für die Ge-sundheit des Kindes mit Down-Syndromanbieten.

Zusätzlich zu den spezialisiertenDiensten ist es wünschenswert, dass diePerson mit Down-Syndrom auch die Ge-sundheitsdienste der Gemeinde in An-spruch nimmt, um den höchstmöglichenGrad an Normalisierung zu erreichen.

4. Die ersten JahreIm Allgemeinen sind die Bedürfnissedes Babys mit Down-Syndrom genausounterschiedlich wie bei jedem anderenKind. Aber einige Faktoren, die mit demDown-Syndrom in Verbindung gebrachtwerden (intellektuelle Beeinträchtigungund andere mit dem Down-Syndromverbundene Probleme) verlangen eineBehandlung der Person durch Spezialis-ten und Experten, die die angemesseneUnterstützung sowohl für die Gesund-heit wie auch für die Entwicklung bie-ten.

Das bedeutet, dass die Familie sobald wie möglich ihre wichtigste medi-zinische Anlaufstelle oder die Sozial-dienste um Orientierung über die vor-handenen Angebote und Dienste befra-

gen sollte: Gesundheitsprogramme,Frühförderdienste, Selbsthilfegruppenbzw. Vereine für betroffene Familien,spezielle Zentren etc.

Der Kontakt zu einer Organisationfür Personen mit Down-Syndrom undihre Familien bedeutet nicht nur, dassman eine ausgezeichnete Einführungüber die vorhandenen Ressourcen be-kommt, sondern auch Unterstützung,Verständnis, jemanden zum Zuhörenund die Erfahrung anderer Familien so-wie jener Spezialisten, die sich der Ver-besserung der Lebensqualität von Men-schen mit Down-Syndrom widmen(heute gibt es zahlreiche gemeinnützigeInstitutionen oder Vereinigungen in derMehrzahl der europäischen Länder[NGO], die sich mit dem Down-Syndrombefassen).

Frühförderdienste sind für Kindermit Down-Syndrom in ihren ersten Jah-ren am besten geeignet (0–3 Jahre). Die-ses frühe Stadium ist entscheidend fürdie psychomotorische Entwicklung,emotionale Erfahrung, Verständnis fürdie Umwelt, Sprache und soziale Bezie-hungen. Während dieser Periode wirddie Frühförderung dem Kind mit Down-Syndrom eine spezielle Unterstützungbieten, die die Entwicklung währendder Zeit der größeren Gehirnplastizitätpositiv unterstützt und folglich eingrößeres Lernpotenzial begünstigt.

Außerdem ist es in dieser Anfangs-phase von größter Bedeutung, dass El-tern, Geschwister und andere Familien-mitglieder des Babys mit Down-Syn-drom miteinander lernen, wie jede an-dere Familie zu leben, mit einemgesunden Beziehungsstil, so stressfreiwie möglich und mit vielen Möglichkei-ten für eine angenehme Umgebung, mitZuneigung und offen für Erfahrungen inder Gemeinde (Spaziergänge, Ausflüge,Restaurantbesuche, Kinos etc.). Allge-mein gilt, je mehr wir wie jede andereFamilie leben, desto besser ist es für diePerson mit Down-Syndrom, für das Fa-milienleben und die eheliche Gemein-schaft.

5. Familie undSchule

Wenn das Kind mit Down-Syndrom dieSchule anfängt, ist die Familie oft mitder folgenden Entscheidung konfron-

Die Familie ist der

erste und wichtigste

Bezugspunkt des

Menschen mit Down-

Syndrom während

seiner frühen Kind-

heit.

Annika Schulze ist

gut aufgehoben in

ihrer Familie.

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005 57

tiert: Integration oder Sonderschule?Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass

– trotz beschränkter Möglichkeiten,Fehlern, Mangel an Ressourcen, etc. –die Bildung an einer Integrationsschule(mit anderen Schülern ohne Down-Syn-drom) die beste und wünschenswertesteWahl ist, obwohl dies noch nicht in al-len europäischen Ländern möglich ist.

Die Prinzipien der Nicht-Diskrimi-nierung, der Normalisierung und dergleichen Chancen müssen in der Schuleangewendet werden, und falls nötig,muss die Schule umgestaltet werden,um den Bedürfnissen aller Schüler ge-recht zu werden, ob sie nun behindertsind oder nicht. Es ist eine Frage derZeit und der klaren Ideen.

Für Eltern ist es am besten, Orien-tierung bei den Schuldiensten und denlokalen Down-Syndrom-Vereinen zu su-chen, sich zu informieren, welches diebeste Schule, in jedem einzelnen Fall,für ihr Kind ist, und dabei die Bedürf-nisse des Kindes und die lokalen Res-sourcen zu berücksichtigen.

Integrierte Bildung kann positiv odernegativ sein, abhängig vom Grad derAnpassung des Schülers an seine/ihreSchulumgebung. Im Gegensatz dazukann der Schulbesuch an einer Sonder-schule dank der vorhandenen Spezi-alressourcen zu einem pädagogischenErfolg beitragen, kann aber auch dieChancen einschränken, sich in einernormalisierenden Umgebung und unteranderen Menschen ohne Down-Syn-drom zu bewegen.

Auf der anderen Seite finden sich ineinigen Gegenden gemischte Systeme,die die Vorteile beider Systeme kombi-nieren und in der Regel beiden Syste-

men in Reinform vorzuziehen sind. DreiBeispiele solcher Mischformen sind:

1. Schulbesuch an zwei Schulen: DerSchüler mit Down-Syndrom besucht dieIntegrationsschule für eine bestimmteAnzahl von Stunden oder Tagen und ananderen Tagen geht er zu einer Sonder-schule, wo spezieller Förderunterrichtangeboten wird (Sprache, psychomoto-rische Entwicklung, Sozialisation etc.)

2. Integrativer Schulunterricht plusUnterstützung durch mobile Integrati-onsunterstützungs-Einheiten. Der Schü-ler mit Down-Syndrom erhält in der In-tegrationsschule die Unterstützung ei-nes spezialisierten Teams für Schülermit Down-Syndrom, in Absprache mitdem Lehrkörper der Schule.

3. Spezielle Klassenräume in Inte-grationsschulen. Das sind spezielle Son-derschulklassen in Regelschulen, die ei-nerseits einen Unterricht, der an die Be-dürfnisse des Schülers angepasst ist,

bieten und zusätzlich sicherstellen, dasszu bestimmten Zeiten die Kinder mitDown-Syndrom Situationen gemeinsammit anderen Kindern ohne Behinderungteilen, und dadurch die soziale Integra-tion erleichtern (z.B. Spielzeit, Mittags-tisch, Turnen etc.)

Wenn einmal der Schultyp für dasKind mit Down-Syndrom festgelegt wor-den ist, dann muss für die Eltern und diegesamte Familie ein Maximum an Zu-sammenarbeit mit der Schule selbstver-ständlich sein. Das bedeutet, dass ihreEinstellung sich auf eine respektvolleHaltung gegenüber dem Lehrerberufstützt, aber auch auf die Verantwortung,die eine dauernde Aufmerksamkeit ge-genüber der Entwicklung und demWohlergehen des Kindes impliziert.

Wo immer es möglich ist, soll sichdie Mitarbeit der Eltern an der Schuleauf alle Ebenen der Schulgemeinschaftausdehnen (Lehrer, Nachhilfelehrer,Stützlehrer, Sprachförderer, Teilnahmean Veranstaltungen und Treffen, etc.).Das wird sich positiv auswirken:

bei der Teilnahme des Kindes mit Down-Syndrom am Schulleben, seinersozialen Integration, etc.

bei der Erziehung zur Selbstständig-keit, indem zu Hause angewendet wird,was in der Schule gelernt wurde

bei der Beziehung zu anderen Elternund Kindern

beim Feststellen und Weitervermittelnvon Bedürfnissen, die auftauchen, so-wohl in der Schule als auch zu Hausedurch eine bessere Koordination auf al-len Handlungsebenen der Schule

Geschwister gehören

auch zur Familie. Es ist

schon ganz praktisch,

wenn man – wie Tobias –

gleich zwei Schwestern

und einen Bruder hat.

Auch von einem

Großvater kann

man einiges lernen,

zum Beispiel angeln.

Hier Margot Lisa

Brutschin mit ihrem

Opa.

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58 Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005

6. Der Übergangins Erwachsenen-lebenWährend der letzten Phase des Schul-besuchs einer Person mit Down-Syn-drom (16 – 20 Jahre) sollten wir unsereBemühungen in all jenen Bereichen in-tensivieren, die eine größtmöglicheSelbstständigkeit begünstigen.

Wenn die Schullaufbahn beendet ist,wird der Mensch mit Down-Syndrom,abhängig vom Ausmaß seiner Bedürf-nisse, etwa eine Tagesbetreuung brau-chen (therapeutisch und funktionell)oder entsprechende Dienste, die Orien-tierung, Schulungen und Unterstützungbeim Eintritt ins Arbeitsleben bieten(Arbeitsdienste, Berufsausbildung, alsSelbstständiger arbeiten, unterstützteArbeitsverhältnisse, etc.)

Was wir in jedem Fall vermeidensollten, ist, dass die Person mit Down-Syndrom nach dem Schulbesuch zuHause bei der Familie bleibt und keineSozial- und Arbeitsdienstservicestellenin Anspruch nimmt. Wir würden ihn/siedadurch auf seinem/ihrem Weg zumEintritt in das Arbeitsleben unterbre-chen und den Übergang ins Erwachse-nenleben und die soziale Integration er-schweren. Es ist in diesem Stadium vongrößter Wichtigkeit, die Erziehung zurSelbstständigkeit der Person mit Down-Syndrom zu intensivieren (Gewohnhei-ten zu Hause, häusliche Pflichten, Ge-wohnheiten bei der Körperpflege, dieBenützung von öffentlichen Verkehrs-mitteln, die Benützung von Gemeinde-einrichtungen, etc.). Je mehr dieses Ler-nen ermöglicht wird, desto mehr helfenwir der Person, sich darauf vorzuberei-ten, eine Wohnung oder einen Platz ineinem Wohnheim zu erwerben.

Schließlich muss man noch betonen,dass in der Jugend soziale Beziehungenund die Eingliederung in das Gesell-schaftsleben die allergrößte Bedeutunghaben. In Vereine oder Freizeitzentrengehen, mit Freunden in den Urlaub fah-ren, etc. kann für die junge Person einegute Gelegenheit darstellen, ein Sozial-leben außerhalb des Familienlebens zustärken. Soziale Beziehungen außerhalbder Familie sind positiv und notwendig,um die soziale Integration, die Entwick-lung und das emotionale Wohlbefindensicherzustellen.

7. Die Familie unddie erwachsenePersonWie bereits erwähnt, sind die Haltungund die Handlungen der Familie be-stimmende Faktoren für Personen mitDown-Syndrom, wenn sie das Erwach-senenalter erreichen.

Entscheidungen, die in dieser Phasegetroffen werden müssen, betreffen un-ter anderem den Zugang zum Arbeits-marktservice (geschützt, mit Unterstüt-zung), Arbeitsdienste, Tages- oder the-rapeutische Betreuungseinrichtungen,Wohnung, Wohnheim, etc.

Wenn wir der erwachsenen Personmit Down-Syndrom eine Lebensqualitätbieten wollen ähnlich der anderer Bür-ger, müssen wir unsere Unterstützungan seine/ihre Bedürfnisse anpassen unduns von folgenden Prinzipien, die dabeieine Schlüsselrolle spielen, leiten lassen:

Ein Leben mit der größtmöglichenUnabhängigkeit

Das impliziert, dass, wenn die Personsich selbst durch Arbeit erhalten kann,er/sie es auch tun sollte. Wenn er/sieein eigenes Heim haben kann, dann soll-te er/sie es bekommen. Wenn er/sie eineigenes Familienleben führen kann,dann sollte er/sie es tun. All dies kann soeinfach von den anderen Mitbürgernabgeleitet und mit Grundrechten in Ver-bindung gebracht werden (arbeiten, einHeim haben, eine Familie haben, etc.).All dies kann aber oft nicht leicht von ei-ner Familie mit einer Person mit Behin-derung angenommen werden. Zu-kunftsängste, Risiken, der Mangel anSchutz sind Hindernisse, die den Men-schen mit Down-Syndrom mehr behin-dern können als seine/ihre persönlichenGrenzen.

Den Menschen mit Down-Syndromals erwachsene Person betrachten

Es ist wichtig, den Menschen mit Down-Syndrom als eine erwachsene Person zubehandeln, die die eigenen Kleiderwählt, sein/ihr Geld benützt und ver-waltet, eine Beziehung zu Freunden auf-baut und immer öfter bei immer mehrwichtigen Aspekten des gegenwärtigenund zukünftigen Lebens selbst entschei-det, damit er/sie ein eigenes Leben auf-bauen kann.

Unterstützung bieten bei der Arbeitssuche

In einigen Ländern sind Wohlfahrtssys-teme mit einem eigenen Gehalt unver-einbar und das macht es für Personenmit Down-Syndrom noch schwieriger,auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.Wenn sich eine Person in einer Einrich-tung, die eine Arbeitsvorbereitung an-bietet, beruflich weiterentwickeln kannoder an einem Zentrum für Arbeitsver-mittlung oder bei einer normalen Firma,sollten wir uns dafür einsetzen, dasser/sie es auch tut, denn dadurch helfenwir ihm/ihr, in die Rolle eines Erwach-senen hineinzuwachsen, bei der Teil-nahme am sozialen Leben, bei seiner/ihrer Unabhängigkeit.

Helfen, ein Heim zu schaffen

Ein eigenes Heim zu haben, auch ge-meinsam mit anderen Personen mit Be-hinderung, ist grundsätzlich etwasWünschenswertes für die Person mitDown-Syndrom, da sie dies genauso ge-nießen wie jede andere Person auch. El-tern widersetzen sich dem oft so lange,bis sie durch die Umstände gezwungenwerden, eine Lösung zu finden. Es wä-re viel besser, diese Möglichkeit der Per-son dann anzubieten, wenn er/sie eswill, wenn er/sie sich gerade in einemLernprozess befindet, der zu einem Le-ben mit größerer Selbstständigkeit ver-hilft. Nur so können Eltern vorsorgen,dass sie ruhig alt werden können, weilsie wissen, dass ihr Kind mit Down-Syn-drom ohne ihre ständige Unterstützungleben kann.

Familienbande aufrechterhalten

Die Unabhängigkeit zu unterstützen be-deutet nicht, dass man Verbindungenabbricht. Der Mensch mit Down-Syn-drom, der eine Tageswerkstätte besuchtoder eine Arbeitsstelle hat oder in einereigenen Wohnung wohnt, braucht auchweiterhin seine/ihre Familie, genausowie auch er/sie selbst gebraucht wird,und das bedeutet, den Kontakt mit jenerHäufigkeit aufrechtzuerhalten, die ge-genseitig gewünscht wird (Besuche, Mit-tag- oder Abendessen, Ausgehen, Rei-sen, etc.)

Vorsorgen für die Zukunft

Die erhöhte Lebenserwartung von Men-schen mit Down-Syndrom bedeutet,dass es bereits häufig vorkommt, dassdie Kinder ihre Eltern überleben. Das

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005 59

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Pearl, „unser Chinesen-mädchen“, ist tot

Nach langer Zeit bekamen wir An-fang Mai wieder eine E-Mail aus

China von Phoenix Zheng, dem Vatervon Pearl (wir berichteten über Pearlschon in Leben mit Down-Syndrom, Nr. 43).

Er schrieb, dass Pearl gerade anihrem komplexen Herzfehler operiertworden war – ohne Operation hätte, lautAuskunft der Ärzte, Pearl nur noch einJahr leben können. Aber die OP wäremit vielen Risiken verbunden und wärein China noch nie mit Erfolg durchge-führt worden, sogar in den besten inter-nationalen Herzkliniken würden nur 40Prozent der Patienten diese spezielle OPerfolgreich überstehen.

Wie groß war die Freude, als es nachder Operation so aussah, als ob Pearldas Ganze gut überstanden hat. Daschickte Phoenix uns ganz glücklich ei-nige Fotos von Pearl.

Aber nach zwei weiteren Tagen kamdann die traurige Nachricht: Pearl seiplötzlich gestorben.

Uns hat diese Nachricht sehr betrof-fen gemacht. Die Eltern von Pearl hattensich von Anfang an für ihr Kind ent-schieden. Sie hatten Pearl nicht, wie dasbei Babys mit Down-Syndrom in Chinanoch immer üblich ist, in der Klinik ge-lassen und sie in die Obhut des Staatesgegeben, sondern sie nahmen Pearl mitnach Hause. Sie setzen sich durch gegendie Empfehlungen der Ärzte und auchgegen den Willen der eigenen Verwand-ten, bei denen sie anfangs auf viel Un-

verständnis stießen.Der Vater informierte sich im Inter-

net über Down-Syndrom und suchtemoralische Unterstützung bei uns. Auchwar es uns möglich, ihm Informationenauf Chinesisch zukommen zu lassen. DieEltern versuchten, Pearl so gut wie mög-lich zu fördern.

Als sich herausstellte, dass Pearl ei-nen Herzfehler hatte, gaben die Elternnicht auf, bis sie eine Klinik fanden, diedie Operation durchführen würde. Nichteinfach in einem Land wie China, wo dieLebensrechte von Menschen mit Down-Syndrom kaum zählen. Und ist es umsotrauriger, dass Pearl nicht weiterlebenkonnte.

Trotzdem hat die Familie PhoenixZheng ein Zeichen gesetzt. Innerhalbder Verwandtschaft, bei den Freundenund Bekannten im Dorf hat es ein Um-denken gegeben, Pearl wurde akzeptiertund man nahm Anteil an ihrem Leben.Auch das Personal im Krankenhausging liebevoll mit Pearl um. Vielleichthat Pearl so in ihrem kurzen Leben ei-niges bewirken können.

Pearl nach der

Herzoperation,

zusammen mit

ihrer Familie,

dem Arzt und

einer Kranken-

schwester

sollte uns dazu anspornen, dass wir, mitseiner/ihrer Teilnahme – so weit mög-lich – die Vormundschaft unseres Kin-des beschließen für die Zeit, wenn dieEltern nicht mehr leben. Ein Geschwis-ter oder ein anderes Familienmitgliedwäre die wünschenswerteste Option,aber wenn das nicht möglich ist, könnenwir uns an soziale Einrichtungen wen-den, die es unter verschiedenen Namenin jedem Land gibt.

Zusammenfassend lässt sich sagen,dass es für Familien, die ihrem Sohnoder ihrer Tochter ein Leben voller Qua-lität garantieren wollen, in jedem Falldie beste Strategie ist:

ihm/ihr zu helfen, jeden Tag etwasselbstständiger zu werden,

ihm/ihr die Gelegenheit zu geben, im-mer öfter Entscheidungen zu treffen,

ihn/sie in allem zu unterstützen, wasdarauf abzielt, das eigene „Lebenspro-jekt“ zu gestalten und zu entwickeln.

Die EDSA-Broschüre wurde in Zusam-menarbeit mit ASNIMO, der Baleari-schen Down-Syndrom-Vereinigung, her-ausgegeben.

Arbeitsteam: Ingrid Fröhlich (Österreich), RichardBonjean und Jean A. Rondal (Belgien),Jean P. Champeaux (Frankreich), Moni-que Randel und Cora Halder (Deutsch-land), Erik de Graaf und Cees Zuithoff(Niederlande), Pat Clarke (Irland), Anna Contardi (Italien), Mireille Hinkel(Luxemburg), John Peel (Malta), EwaDanielewska (Polen), Maria Sustrova(Slowakische Republik), Caty Trias undJuan Perera (Spanien), Sue Buckley(GB), Maria Vislan (Rumänien), NataliaRigina (Russland).

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60 Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005

A U S L A N D

Billie-Jo wurde 1999 geboren, sie hatDown-Syndrom und ist die Tochter

von Fiona und Richard Bayley. Eine derersten Informationen, die die Bayleysbekamen, war, dass Down-Syndrom re-lativ häufig vorkommt – schon allein inEngland kommen jeden Tag ein bis zweiKinder mit Down-Syndrom zur Welt. Dakam bei Richard die Idee auf, diese Tat-sache durch ein Fotoprojekt wiederzu-

geben. Mit sechs anderen Fotografen,die ebenfalls Kinder mit Down-Syndromhatten, plante und verwirklichte er eineFotowand für die Ausstellung „ShiftingPerspectives“.

In der englischen DSA-Zeitschrift be-schrieb Richard sein Projekt und bekamvon überall begeisterte Unterstützungzugesagt. Fiona organisierte die Termi-ne und die Locations und informiertedie Menschen, in welchen Städten dieFotografen wann unterwegs sein wür-den. So reisten Richard und seine Kolle-gen in November 2003 einen ganzenMonat lang im ganzen Land herum undmachten 200 Porträts. Im Sommer 2004reiste er noch einmal herum und foto-grafierte weitere 165 Kinder.

Ich baute mein „Fotostudio“ auf in Rat-häusern, in Schulen, in Dorffestsälenoder bei den Leuten im Wohnzimmer.Insgesamt benötigten wir ein Jahr, umalle Kinder zu fotografieren, schreibtRichard über sein Projekt.

Die Kinder sind alle zwischen fünfund zehn Jahre alt. Alle tragen das glei-che schwarze T-Shirt und wurden voreiner weißen Wand fotografiert. Dieseäußere Uniformität lässt die Individua-lität jedes Einzelnen besser zur Geltungkommen. Der Betrachter soll nichtdurch die Kleidung abgelenkt werden,sondern sich auf die Gesichter konzen-trieren.

Wir wollen zeigen, dass die Kinderalle unterschiedlich sind, einige lächeln,

England: Projekt 365Jeden Tag wird in England ein Kind mit Down-Syndromgeboren. Der Fotograf Richard Bayley hat diese Tatsachemit dem Projekt 365 im Rahmen einer Fotoausstellungbildlich festgehalten.

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andere sind eher nachdenklich. Sie sindnicht immer alle fröhlich und glücklich,wie viele Menschen häufig glauben. Dasist ein Klischee! Sie sind wie andere Kin-der auch, mal lustig und fröhlich, maltraurig oder wütend.

Die Fotowand ist Teil einer Ausstel-lung, die erstmals im Herbst 2004 in derLondoner Metropolitan Universität ge-zeigt wurde. Fünf weitere Kinder sindausführlich porträtiert, die Bilder kom-mentiert. Ergänzt wird die Ausstellungmit Fotografien von Menschen mit Down-Syndrom aus der ersten Hälftedes vorigen Jahrhunderts. Der Ver-gleich mit diesen Bildern unterstreichtnoch einmal ganz deutlich das Motto derAusstellung „shifting perspectives“ –Perspektivenwechsel.

Dies ist keine gefällige Ausstellung –manchen Menschen fällt es schwer, dievielen Bilder zu sehen, einige sind tiefbewegt, zu Tränen gerührt. Aber vieleMenschen haben uns gesagt, dass es ihrBild von Down-Syndrom verändert hat.Das ist wichtig, denn genau das wolltenwir erreichen: alte Vorstellungen unddie häufig damit verbundenen Vorurtei-le sollen verschwinden. Ein zeitgemäßesBild von Menschen mit Down-Syndromentstehen.

Mit den Bildern wurde 2005 auch einKalender gestaltet. Durch den Verkaufdes Kalenders wurden bis jetzt zirka15.000 Euro eingenommen. Der Erlösgeht an die DSA.

Ein Spiel für RumänienCora Halder

Dass effektive Hilfe nicht immer finanzieller Art seinmuss, beweist die Aktion „Ein Spiel für Rumänien“ desDeutschen Down-Syndrom InfoCenters. Mitglieder desVereins stellten aus ihren privaten Beständen jeweilsein gut erhaltenes Lernspiel zur Verfügung. Die Spielewaren bestimmt für das Teodora Educational Center imsüdrumänischen Bailesti.

Wohin mit all den Puzzles, Lottosund Memoryspielen?

Die Idee kam mir, als ich irgendwannmit meinen beiden Töchtern wieder ein-mal darüber diskutierte, was wohl mitall den schönen Spielsachen, die in un-zähligen Kartons im Keller ein nutzlosesDasein fristen, passieren sollte. DiesesSpiellernmaterial hatten wir damalssorgfältig ausgewählt, um die Mädchenso gut wie möglich zu fördern. Geradeauch weil Andrea, die das Down-Syn-drom hat, vielfältige Anregungen be-kommen sollte. Auch Freunde und Ver-wandte wählten ihre Geschenke immer

in Absprache mit uns aus, damit dieSpiele genau die richtigen waren. Undso sammelte sich qualitativ hochwerti-ges Material an.

Aber das ist alles viele Jahre her. All-mählich verschwand alles in Schach-teln. Und nun stehen die Kartons seitJahren im Keller. Kartons voller schönerPuzzles, Lottos und Memorys, mit Spie-len, um die Wahrnehmung zu trainie-ren, oder mit denen man Farben, Wör-ter und Zahlen lernen kann, Spielmate-rial zum Üben der Feinmotorik, der Ge-schicklichkeit, des Reaktionsvermögens– genug, um eine ganze Kindergarten-

gruppe auszustaffieren.„Dass du das ja nicht wegwirfst und

auch nicht irgendwohin verschenkst“,war die Reaktion meiner beiden Damen,die jetzt mit 21 und 19 Jahren nie mehreinen Blick auf diese Spiele werfen! „Wirwollen alles behalten. Alles!“

Ich überlegte mir, dass auch vieleandere Familien, die ein Kind mit Down-Syndrom haben, wohl ähnlicheSpielzeuglager in ihren Kellern oder un-ter dem Dach haben müssten, und dakam mir plötzlich eine Idee.

Vielleicht können wir das TeodoraEducational Center unterstützen?

Seit einigen Jahren, eigentlich vom Mo-ment an, als in Rumänien der Down-Syndrom-Verein gegründet wurde, hat-te ich Kontakt mit der Vorsitzenden Li-ana Vizlan. Ich war schon einige Maledort auf Besuch gewesen, hatte mehre-re Familien kennen gelernt und warauch dabei, als der erste Down-Syn-drom-Kongress mit Unterstützung vonEDSA 2003 dort stattfand.

Liana besuchte uns in Deutschland,schaute sich hier Schulen, Frühförder-stellen und Kindergärten an und mach-te sich mit einer enormen Energie dar-an, in Rumänien bessere Möglichkeitenfür Kinder mit Down-Syndrom zu schaf-fen. So entstanden mit finanzieller Un-terstützung von u.a. Unicef und World

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Visions eine Frühförderstelle und eineerste Schule, das Teodora EducationalCenter, die Kinder mit Down-Syndromaufnahm. Auch die Schulung des Perso-nals wurde teilweise durch diese Orga-nisationen übernommen. Nach einer ge-wissen Zeit aber zogen sich diese Orga-nisationen zurück und die weitere Fi-nanzierung muss nun von Rumänienselbst übernommen werden. Das istnicht einfach. Das Geld reicht nur knappund als ich Fotos von den Klassenzim-mern im Teodora Center sah, fiel mirauf, wie leer die Regale waren.

Da unsere eigene Organisation garkeine staatliche Förderung bekommtund hauptsächlich auf Spenden ange-wiesen ist, konnten wir keine finanziel-le Hilfe leisten. Aber vielleicht konntenwir mit Material helfen, mit Spielen et-wa? Wenn jedes unserer Vereinsmit-glieder nur ein einzelnes schönes, guterhaltenes Spiel abgeben könnte, einedukatives Spielzeug, das sich bei derFörderung des eigenen Kindes bewährthat, dann könnte doch eine Menge zu-sammenkommen ...

Sammeln

Und so fingen wir an, edukatives Spiel-/Lernmaterial für das Teodora-Zentrumin Rumänien zu sammeln. In einemBrief an unsere Mitglieder informiertenwir über unsere Aktion. Und in den fol-genden sechs Monaten verwandeltensich unsere Büroräume im ersten Stockin ein Spielzeuglager. Nicht alle Mitglie-der schickten etwas (zum Glück, wirhätten dann ein Platzproblem bekom-men), aber viele brachten Kartons vol-ler schöner Sachen vorbei.

Unsere Mitarbeiterin Christa prüftedie Brauchbarkeit des Materials, kon-trollierte z.B. Puzzles und Lottos aufVollständigkeit, und musste auch eini-ges aussortieren. So konnten wir be-nutzte Stofftiere nicht verschicken, weildie nach den Zollbestimmungen nichtüber die Grenze gebracht werden dür-fen. Auch Spiele zum Sprachtraining indeutscher Sprache wurden aussortiert,diese waren für die rumänischen Kindernutzlos. Schließlich wurde alles ver-packt und beschriftet.

Und wie kommen die Spiele nachRumänien?

Schon bevor wir mit der Aktion anfin-gen, hatten wir uns um die Transport-frage kümmern müssen. Wie bekommen

wir die Sachen über die Grenze? Das istnicht so einfach, denn Privatpersonenkönnen nicht so leicht mit Kartons vol-ler Waren nach Rumänien einreisen.Wir hatten Glück. Am Ort gibt es einenJohanniterverein, der regelmäßig mitLastern nach Rumänien fährt. Der Lei-ter erklärte sich sofort bereit, unsereKartons mitzunehmen. Einfach so, ohnegroße Bürokratie.

Als alles eingepackt war, riefen wirdie Johanniter an, die die Schachtelnabholten. Bei der nächsten Fahrt ver-stauten sie alles zwischen medizini-schen Geräten und Krankenhausaus-rüstung und fuhren los. An der Grenzegab es keinerlei Schwierigkeiten und sielieferten alles bei einer Kontaktadressein Brasov (Kronberg) ab, das noch etwa300 Kilometer von Bailesti entfernt ist,dem eigentlichen Bestimmungsort.

Natürlich konnten wir nicht erwar-ten, dass die Johaniter selbst bis nachBailesti fuhren, dies liegt abseits ihrereigenen Strecke. Mit Liana war verein-bart, dass Eltern der Down-Syndrom-Gruppe aus Bailesti die Kartons in Kron-berg selbst abholen sollten.

Rechtzeitig zur Weihnachtsfeier

Ein Zufall war, dass genau an dem Tag,als die Pakete in Bailesti ankamen, dieWeihnachtsfeier des Down-Syndrom-Vereins stattfand. Und so wurden diePakete gleich dort abgeladen und begeis-tert empfangen.

Eine Lehrerin schrieb später: „Ichhabe mich so gefreut, als ich all diesesMaterial sah. Jetzt habe ich mehr Mög-lichkeiten, mit den Kindern zu üben, so-dass wir unsere Ziele schneller errei-chen. Mit diesem Material können wirdie Kinder testen und fördern. Die Viel-falt der Spiele ist eine große Hilfe beimUnterrichten, denn die Kinder lernennun einmal besser über Spiele.“

Wir bleiben in Kontakt mit dem TeodoraEducational Center und hoffen, dass wirauch in Zukunft das Projekt unterstüt-zen können.

Sowohl der rumänische Verein AL-DO-CET wie das Deutsche Down-Syn-drom InfoCenter sind Mitglied bei EDSA. Ich sehe es u.a. als Aufgabe derEDSA-Mitglieder, sich gegenseitig anzu-regen und zu helfen. Diese Hilfe kannein Wissens- und Erfahrungsaustauchsein, aber eben auch in Form von mate-rieller Unterstützung passieren. So pro-fitieren alle von diesem Netzwerk.

In Bailesti beim

Auspacken der

Pakete

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005 63

R E C H T

Einleitung

Marius, unser Ältester von drei Kindern,wurde am 21. Juni 1997 in Tübingen ge-boren. Er hat das Down-Syndrom. Alser auf die Welt kam, standen andereFragen im Vordergrund als jene, um diees in folgendem Text geht. Und dennochwäre ich froh gewesen, wenn uns da-mals jemand auch in Versicherungsfra-gen gut beraten hätte.

Meine Frau ist Lehrerin und privatkrankenversichert bei einer der großenVersicherungsgesellschaften. Ich war1997 in der IT-Branche tätig und selbst-verständlich wollten wir noch weitereKinder. Aus praktischen und finanziel-len Gründen haben wir Marius und dieanderen Kinder bei der gesetzlichenKrankenkasse versichert.

Heute sehe ich das ganz anders. Ichdenke, es wäre die Pflicht des Beratersmeiner Frau gewesen, uns nachdrückli-cher darauf hinzuweisen, dass es den sogenannten „Kontrahierungszwang“ inder privaten Krankenversicherung gibtund welche Vorteile eine private Kran-kenversicherung für ein behindertesKind hat.

„Kontrahierungszwang“ bedeutet,dass im Allgemeinen eine zweimonatigeFrist besteht, in der die private Kran-kenversicherung der Eltern oder einesElternteiles das Kind auf jeden Fall oh-ne Beitragserhöhung aufnehmen muss.Diese Information wurde nicht richtigvermittelt. Erst später wurden uns dieKonsequenzen klar, aber da war esdann zu spät.

Nun sind Jahre vergangen, ich habebei einem Finanzunternehmen einesehr gute Ausbildung erhalten und binheute selbstständiger, freier Finanzbe-rater. Die oben genannte Erfahrung undmeine Ausbildung veranlassen mich,aufzuzeigen, wie wichtig gute Informa-tionen in diesem Bereich sind.

Die Unfallversicherung

In einzelnen Beiträgen möchte ich aufdrei Versicherungsbereiche eingehen,die für unsere Kinder eine Rolle spielen:

die Unfallversicherung, die Kranken-, Lebens- und Rentenver-

sicherung und Sachversicherungen (Rechtschutz, pri-

vate Haftpflicht und Hausrat).Der erste Beitrag handelt von der

Unfallversicherung, einer so genanntenRisikoversicherung, die es heute aufdem Markt in unterschiedlichen Versio-nen gibt.

Was deckt die Unfallversicherung ab?

Die gesetzliche Unfallversicherung leis-tet nur bei Unfällen im Kindergarten, inder Schule und auf dem Weg dorthinund zurück. Zusätzlicher Schutz ist des-halb sinnvoll.

In Deutschland sind mehr als700.000 Kinder jedes Jahr von einemUnfall betroffen. Ein Großteil passiert inder Freizeit oder im Straßenverkehr.

Bei den Unfallversicherungen gibt esgroße Unterschiede. Diese sind in densogenannten AUB (Allgemeinen Unfall-Bedingungen) geregelt. Sie variierenvon Anbieter zu Anbieter und ein Ver-gleich zeigt schnell, was mit der Versi-cherung abgedeckt ist und was nicht(z.B. Bergungskosten, Kurkostenbeihilfeoder Lebensmittelvergiftungen).

Neben den AUBs gibt es noch die so-genannte (Körper-)Gliedertaxe und dieProgression. Dies bedeutet, dass je nach-dem, welcher Teil des Körpers vom Un-fall betroffen ist, nach einem gewissen„Schema“ und mit Hilfe von Tabellen dieAuszahlungssumme im Leistungsfallausgerechnet werden kann.

Wenn ein Leistungsfall eintritt, stelltder Arzt fest, wie viel Prozent Invaliditätbesteht (und in einem Jahr noch weiterbesteht). Dann wird die Gliedertaxe zuGrunde gelegt und prozentual zur Ver-sicherungssumme ausgezahlt.

Ein Beispiel:Versicherungssumme 100.000 EuroProgression 400 %Leistungsfall: Verlust eines Ohres (30 %)Gliedertaxe Beispiel: 30 %Auszahlung: 30 % von 100.000 Eurosind 30.000 Euro mal 4 (400er Progres-sion) sind 120.000 Euro.

Gerade bei Kindern mit Down-Syndromhilft möglicherweise eine „neue“ Art vonUnfallversicherung, die mehr abdecktals nur den „klassischen“ Unfall. So kön-nen Policen bei seriösen Versicherungs-gesellschaften abgeschlossen werden,die auch unter folgenden Bedingungenzahlen:

klassischer UnfallschutzUnfall durch ärztlich verordnete Medi-

kamenteBandscheibenschäden durch UnfallInfektionen mit Tollwut, Wundstarr-

krampf und FSMEZeckenbisseImpfschäden

Unfallversicherung + Sparbaustein

Darüber hinaus können die Unfallversi-cherungen mit einem Sparbaustein ver-bunden werden, der es einem ermög-licht, Geld in eine Versicherung einzu-zahlen, und wenn dann kein Unfall pas-siert, bekommt man einen Teil, manch-mal sogar noch mehr als einbezahlt,nach einer gewissen Laufzeit von derGesellschaft zurück. Selbst bei einemUnfall ist das investierte Geld nicht ver-loren, sondern wird nicht angegriffen.Dieses Investment macht Sinn. Zum ei-nen hat das Kind eine Unfallversiche-rung, zum anderen bekommt es mit 25Jahren die angelegten Gelder der Un-fallversicherung zurück.

Gesundheitsprüfungen

Ein wichtiger Punkt beim Abschluss ei-ner Risikoversicherung ist die Thematik„Gesundheitsprüfungen“.

Bei allen Risikoversicherungen (Risi-kolebensversicherungen,Berufsunfähig-keits- und Unfallversicherungen) wirdvon Versicherungsgesellschaften die Be-antwortung von Gesundheitsfragen ver-langt. Dies dient dazu, nur „Risiken“ zuversichern, die nicht von vornherein(weil schon ein Gebrechen vorliegt) kei-nen Versicherungsschutz bekämen.

Kinder mit Down-Syndrom bekom-men nach Beantwortung der Gesund-

Versicherungsfragen – Worauf ist beiKindern mit Down-Syndrom zu achten?

Unfallversicherung

Martin Vitt-Reber

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heitsfragen keine Lebensversicherun-gen, keine Risikolebensversicherungenund keine privaten Krankenversiche-rungen (manche Ausnahmen sind durch-setzbar).

Dies gilt nicht für die Unfallversiche-rung! Die Gesundheitsfragen der Unfall-versicherungen haben Down-Syndromnicht aufgeführt. Es handelt sich um ei-ne beispielhafte Auflistung und dieChance ist sehr groß, bei den meistenGesellschaften einen Versicherungs-schutz zu bekommen, da nicht explizitnach Down-Syndrom gefragt wird.

Trotzdem (damit es nicht zu Mei-nungsverschiedenheiten im Leistungs-fall kommt) habe ich beim Antrag extradas Down-Syndrom erwähnt und dieVersicherung für Marius bekommen.Hier wird das Down-Syndrom richtiger-weise nicht als Krankheit gesehen. Eswäre insofern vielleicht lohnend nach-zuhaken, ob dies den Gesellschaftenhinsichtlich der vorne genannten Ab-lehnungen (z.B. bei den Lebensversi-cherungen) klar gemacht werden kann.

Hartnäckigkeit lohnt sich

Ein von mir betreutes Elternpaar be-richtete mir, dass es bei ihrem Versuch,ihr Kind mit Down-Syndrom zu versi-chern, Schwierigkeiten gab. Dann ist esmöglich, mit den Gesellschaften Kontaktaufzunehmen und über Vergleiche(warum hier möglich und hier nicht),doch noch zum Versicherungsschutz zugelangen. Hartnäckigkeit lohnt sich hierausdrücklich. Außerdem gewähren man-che Anbieter sogar dabei Rabatte für Fa-milien mit Kindern.

Martin Vitt-Reber ist Inhaber der Firmacomvita in Tübingen. Er ist freier Finanz-makler und Dozent für Persönlichkeits-entwicklung. Schwerpunkte seiner Arbeitsind familiengerechte Vermögenspla-nung und Finanzierungen.

Sexualität und Beziehungen bei Menschen mit einer geistigenBehinderung

Autor: Erik BoschVerlag: dgvt Verlag, 2005ISBN 3-87159-031-2Preis: 14,80

Aus dem Klappentext:Ohne falsche Scham entfaltet diesesHandbuch alle Facetten von Sexualitätund Beziehungen bei Menschen mit ei-ner geistigen Behinderung. Dieses The-ma, das in der Praxis regelmäßig Ohn-macht und Hilflosigkeit hervorruft, wirdhier aus emanzipatorischer Sicht be-handelt: Menschen mit einer geistigenBehinderung können und sollen sichihren eigenen Möglichkeiten entspre-chend sexuell entfalten. Anhand vonBeispielen aus der Praxis werden so-wohl die Schwierigkeiten und Hinder-nisse wie auch die Chancen und Mög-lichkeiten ausführlich und klar darge-stellt sowie die Konsequenzen für dieBetreuung erläutert.

Dieses Buch richtet sich an alle, diemit Menschen mit einer geistigen Be-hinderung zu tun haben, insbesonderean die in diesem Bereich professionellTätigen. Studierende der entsprechen-den Fachrichtungen finden hier die Dis-kussionsgrundlage zum Thema, dieauch Grundeinstellungen und Um-gangsmodalitäten in Einrichtungen undOrganisationen kritisch unter die Lupenimmt.

Ein gut lesbares Buch auch für Eltern!

Menschen mit geistiger BehinderungEin Lehrbuch zur Erziehung und Bildung

Autor: Otto SpeckVerlag: Reinhardt, 2005ISBN 3-497-01739-6Preis: 29,90 Euro

Aus dem Klappentext:Das Standardwerk der Heilpädagogikfür den Bereich der geistigen Behinde-rung ist jetzt in der 10. überarbeitetenAuflage erschienen. Es bietet ein Kom-pendium grundlegender und umfassen-der Erkenntnisse und Erfahrungen. Die-se beziehen sich nicht nur auf unmittel-bar Pädagogisches, sondern auch aufpsychologische, medizinische, anthro-pologische und ethische Implikationen,die für pädagogische Einstellungen undHandlungsansätze wichtig sind.

Das Lehrbuch stellt eine richtungs-weisende und zugleich praktisch dienli-che Hilfe für alle Berufsgruppen dar, diein den verschiedensten pädagogischenund sozialen Einrichtungen für Men-schen mit geistiger Behinderung arbei-ten.

Aus Kindheit und Entwicklung:„Das Speck’sche Lehrbuch ist längst

ein Standardwerk für Heil- und Sonder-pädagogen, das keiner Empfehlung be-darf: Es spricht alle Fachleute an, diesich um Menschen mit geistiger Behin-derung bemühen. Mit jeder Neubear-beitung hat es an Klarheit, Aussage- undÜberzeugungskraft gewonnen.“

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Mundtherapie bei Morbus Down

Ein Ratgeber für Eltern von Kleinkindern

Autor: Alexandra Benardis-Schnek: Verlag: Schulz-Kirchner, Idstein 2005ISBN 3-8248-0380-1Preis: 7,80 Euro64 Seiten, kartoniert

Morbus Down? Es wundert schon,wenn eine Broschüre, die 2005

erscheint, im Titel die Bezeichnung„Krankheit“ (Morbus) führt. Seit vielenJahren versuchen wir immer wiederdeutlich zu machen, dass das Down-Syndrom eine genetische Besonderheitdarstellt, aber keine Krankheit. Kindermit Down-Syndrom können zusätzlicheBeeinträchtigungen haben, die erkanntund behandelt werden müssen, und sieerkranken auch häufiger aufgrund vonSyndrom-spezifischen Schwächen; aberdie Trisomie selbst ist keine Krankheit!

Vielleicht ist diese an Krankheit ori-entierte Sicht auch der Grund, dassüberwiegend sehr rigide Behandlungs-maßnahmen beschrieben werden, dienach einem zeitlich genau vorgegebe-nen Tagesplan (S. 20) durchgeführt wer-den sollen. Eine solche stark struktu-rierte Arbeitsform wird in der Frühför-derung seit über 20 Jahren als ungüns-tig angesehen.

Nicht angemessen ist auch die Emp-fehlung, das Kind von Geburt an nacheinem festen Zeitplan zu füttern (S. 44)und die „Häufigkeit des Schreiens nachverhaltenstherapeutischen Prinzipien“

zu verstärken, um „das Kind allmählichan ein längeres Schreien hin(zu)führen“(S. 45).

Bedenklicher aber finde ich dieüberwiegend technischen Hilfen, die an-geboten werden. So wird zum Erlernendes Saugens auf verschiedene „Finger-feeder“ verwiesen und nur auf die An-bahnung des Fläschchentrinkens. Heu-te werden aber fast alle Kinder mit Down-Syndrom erfolgreich gestillt undfalls es dabei am Anfang Schwierigkei-ten gibt, sind verschiedene Hilfen mög-lich. (Dazu gibt es spezielle Ratgeberund auch Hinweise in entsprechenderFachliteratur!)

Besonders ausführlich wird in derBroschüre auf die Behandlung mit Gau-menplatten eingegangen. Dabei werdenfür den Einsatz einer Platte keine Krite-rien genannt, geschweige denn diewichtigen Kontraindikationen, auf dieCastillo-Morales ausdrücklich hinweist!In der Broschüre wird lediglich die Fra-ge gestellt: „Welche Platte braucht meinKind?“ Ein detaillierter Zeitplan mit ge-nauen Angaben zum Tragen einer Ta-gesplatte und einer ergänzenden Nacht-platte (!) wird beschrieben (S. 52). Aus-führlich wird sogar auf Platten mit Dorneingegangen (die unter endoskopischerÜberwachung eingesetzt werden müs-sen), um dann abschließend festzustel-len, dass Kinder mit Down-Syndromdiese Platten nicht nötig haben!

Auf die wichtigen mittlerweile fast20 Jahre alten Erfahrungen mit Gau-menplatten wird jedoch nicht eingegan-gen. Wir kennen heute nicht nur kurz-zeitige Ergebnisse, sondern könnenauch vergleichen, ob und welche lang-fristigen Unterschiede sich ergeben zwi-schen Kindern, die eine Platte getragenhaben, und solchen, die keine Platte hat-ten. Diese Erfahrungen sprechen nichtfür eine Gaumenplatte und haben des-halb dazu geführt, dass heute nur nochselten eine Platte verordnet wird! (Über-legen sollte man auch, warum Gaumen-platten in anderen Ländern keine Rollespielen.)

Eine Anmerkung noch zum Trink-und Esstraining: Ab dem siebten bisachten Monat sollte danach für die An-bahnung von Kaubewegungen mit ei-nem speziellen Übungsprogramm be-gonnen werden. Auch hier fehlt mir derAlltagsbezug! Altersgerechte Angebotezum Erlernen des Kauens halte ich fürwichtig, möchte aber doch betonen,

dass Kinder mit Down-Syndrom weni-ger spezielle Maßnahmen benötigen,sondern im Alter von etwa neun biszehn Monaten durchaus lernen können,wie andere Kleinkinder auch an Zwie-back oder Dinkelstange zu lutschen undzu kauen. Nach dem Füttern mit demLöffelfüttern wird ohne übliche Zwi-schenschritte das selbstständige Essenmit dem Löffel beschrieben. Aber vordiesem Essen mit dem Löffel kommt dasEssen mit den Fingern. Dazu brauchtdas Kind angemessene Angebote (z.B.Brot-, Apfel-, Melonenstückchen), umdies zu lernen – und eventuell auch ei-nige besondere Hilfen, jedoch sollte dieOrientierung zuerst daran erfolgen, wel-che normale alltagsintegrierte Unter-stützung möglich ist.

Orofaciale Hilfen für Kinder mit Down-Syndrom sind wichtig. Schade istdeshalb, dass in der Broschüre ein ver-engter und veralteter Ansatz vertretenwird.

Etta Wilken

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Willkommen in Holland! Der Titeldieser sehr schönen Geschichte

hat für unsere Familie eine ganz wun-derbare, ganz persönliche Bedeutungbekommen. Und das auf dem Wege derMusik. Die hat in unserer Familie schonimmer eine große Rolle gespielt und istein wichtiger Bestandteil unseres Le-bens. Nun sind mein Mann und ich eherLiebhaber der „etwas härteren“ Musik-richtung und das scheinen wir unseremSohn auch weitervererbt zu haben,denn er bevorzugt die gleichen Bandswie wir.

Metal mit Herz

Etwa Ende 2002 entdeckten wir danneine Band, deren Musik uns direkt insHerz getroffen und unsere Seelenberührt hat. Within Temptation! Diesein den Niederlanden beheimatete Bandist nur schwer zu beschreiben, aber diemeisten sprechen bei dieser Musikrich-tung von „Gothic-Metal“, wobei ich eseher für eine Art ätherisch/epischen Me-tal halte ... Hm, am besten passt viel-leicht noch die Bezeichnung Metal mitHerz. Aber da ich Schubladen-Denkensowieso nicht mag, werde ich auch dieBand in keine stecken. Wer neugieriggeworden ist, muss eben selber malreinhören.

Jedenfalls habe ich mich sofort indiese Stimme verliebt und binnen kür-zester Zeit meine zwei Männer damitangesteckt. Steven verpasste der Sänge-rin Sharon den Adel dann auch sofortden Beinamen „Engel“ (sie singt nichtnur wie einer, nein, sie sieht auch soaus, und als wir sie persönlich kennengelernt hatten, stellten wir dann fest,dass sie auch einer ist!). Bei uns laufenseitdem täglich alle CDs dieser Band aufund ab und Steven forderte dann auchganz schnell seine „eigenen“, die er inseinem Zimmer behalten durfte.

Eintrittskarten gewonnen!

Dann wurden beim deutschen FanclubEintrittskarten für ein einzigartigesOpen-Air-Konzert in den Niederlandenverlost; man musste lediglich eine E-Mail schreiben, warum ausgerechnetwir diese Karten gewinnen wollen. Ichschrieb, dass mein Sohn mit Down-Syn-drom vermutlich der jüngste Fan (zu derZeit war er gerade neun Jahre alt) derBand ist und so gerne die Band zu unsnach Hause einladen möchte; und dadas ja nicht geht, er Sharon gerne einesseiner Plüschtiere schenken möchte unddies ja bei diesem Auftritt tun könnte …Prompt haben wir gewonnen, undprompt bekam ich kalte Füße, machtemir Gedanken, wie wird Steven mit sovielen Leuten auf einmal, mit der Laut-stärke usw. zurechtkommen? Ich habedann mit ihm zusammen eine Live-DVDder Band angeschaut und ihm gezeigt,guck, so viele Leute werden da sein, undes wird sehr sehr laut sein! Aber Stevenwar einfach nur begeistert und vollerVorfreude, glücklich schauten wir unswieder und wieder die DVD an und erfreute sich einfach nur: „Wir fahren aufein Konzert zu Within Temptation“ (malganz nebenbei bemerkt, das kann erperfekt aussprechen, genau so wie denTitel eines seiner Lieblingssongs „Mo-ther Earth“).

Zu viele Leute? Zu laut? Hält Stevendas aus?

Der große Tag kam, Tasche packen,Plüschkatze nicht vergessen, und abnach Hestwijk in Holland. (Im Hinter-kopf noch den Sicherheitsgedanken:„Wenn es Steven zu laut und/oder zuheftig wird mit den vielen Leuten – ca.1.200 –, können wir ja weiter nach hin-ten oder auch raus gehen, ist ja Open-Air.“) Dort angekommen bezogen wirunser Hotelzimmer, ruhten uns noch ein

wenig aus und machten uns dann aufden Weg zum Kersouwe-Theater. Abdiesem Moment trug Steven die Plüsch-katze für Sharon im Arm. Geduldig war-tete er mit uns, bis die Tore sich endlichöffneten; die Vorgruppe fand er dann al-lerdings ziemlich uninteressant, was erschon nach drei Liedern kommentierte:„Die können jetzt gehen, ich will WithinTemptation hören!“ Während der Um-baupause suchte ich mir mit Steven einschönes Plätzchen ziemlich vorne, da-mit er gut sehen kann, stöpselte seineOhren mit Silikon-Hörschutz zu, breite-te eine Rettungsdecke aus und setztemich mit ihm darauf, sein Papa ging wei-ter nach rechts und wollte lieber stehen.

Dann fing es endlich an, die lang er-sehnten ersten Töne von Within Temp-tation erklangen … und Steven, der zumersten Mal in seinem Leben den Bass imgesamten Körper spürte, bekam einenRiesenschreck! „Ich brauch sofort mei-nen Papa!“ Ich packte die Decke wiederein, den Steven auf meinen Rücken undmachte mich auf die Suche nach mei-nem Mann, den fand ich zwei Liederspäter, und Steven fühlte sich inzwi-schen auf meinem Rücken sauwohl, hat-te überhaupt keine Angst mehr undrockte kräftig mit! Und so ging es imPrinzip während des gesamten Konzer-tes. Ermüdungserscheinungen? Na, beiSteven jedenfalls nicht, im Gegensatz zuseinen Eltern, die ihn abwechselnd aufdem Rücken trugen. Er hatte jedenfallsdurchgehend seinen Spaß! Leider istauch das beste Konzert irgendwann zuEnde, die letzte Zugabe gespielt, und dieBand verlässt die Bühne.

Jetzt geh ich Sharon die Katzeschenken!

Leider haben wir die Verantwortlichevom Fanclub nicht mehr wieder gefun-den, die eigentlich mit unserem Sohn inden Backstage-Bereich gehen wollte,damit er seine Plüschkatze überreichenkann. Sollten wir ihm jetzt wirklich sa-gen, dass das nicht geht? Nachdem ersich wochenlang darauf gefreut hat?Nachdem er den halben Tag und dieganze Nacht diese Katze festgehaltenhat? Nein, da waren wir uns einig, dasgeht nicht! Also sind wir auf eigeneFaust los Richtung Backstage und habenes auch direkt gefunden. Aber an derEingangstür stand eine resolute Dame,die uns ohne Backstage-Ausweis nichtreinlassen wollte.

Willkommen in Holland …Angelika Fischer

Wer kennt nicht die berühmte Geschichte „Welcome toHolland“ von Emily Perl Kingsley? Für die Familie Fischer aus Frankfurt hat diese Geschichte eine ganzwunderbare, ganz persönliche Bedeutung bekommen.

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Ich erzählte ihr, dass hier der jüngsteFan der Band ein Geschenk für Sharonhat und er nun inzwischen sehr müdeist und nicht mehr so lange wartenkann, bis die Band da rauskommt zurAfter-Show-Party. Und gerade als siesagte, sie wolle jemand reinschicken,der Sharon fragen geht, ob das in Ord-nung ist, kam Ruud (einer der Gitarris-ten der Band), und fragte mich freund-lich, was los sei; ich erzählte ihm dasGanze noch einmal, er ging kurz rein,kam keine Minute später mit einem derTour-Manager wieder und die beidenbrachten uns dann hinein. Steven fasstevertrauensvoll die Hand des Tour-Ma-nagers, der grinste kurz und ging Handin Hand mit unserem Sohn voraus.

Wie alte Freunde ...

So stand dann also unser Sohn andäch-tig vor Sharon, war tatsächlich sogar et-was schüchtern und überreichte ihr dieKatze. Und was macht Sharon? Sie küsst (!) ihn links und rechts auf dieWange! Ich kann nicht beschreiben, wiesehr er sich gefreut hat. Sie hat sich kurzmit ihm unterhalten und das sogar aufDeutsch! (Auf ihre Frage nach dem Na-men der Katze antwortete er: „Schmu-sekatze natürlich!“) Sie hat seine kleineKinderseele sehr, sehr glücklich ge-macht! (Von mir möchte ich jetzt garnicht erst reden, mir steht beim Schrei-ben das Wasser in den Augen.) Aber dasist ja noch nicht alles! Denn wir drehenuns um und stehen vor Robert, Ruud,Martijn und Jeroen (fast die gesamteBand, nur Drummer Stephen hat ge-fehlt). Mein Sohn hat dann mal gleichRobert umarmt (für Steven war das jawie alte Freunde treffen, kannte er sie

doch durch diverse Videos in- und aus-wendig, inklusive des dazugehörigen In-struments) und auch dieser war sehrlieb zu unserem Sohn, das lässt sich nurschwer in Worte fassen. Die ganzeBand, es sind alles sehr freundliche,sympathische und natürliche Menschenund sie waren wirklich sehr nett zu uns.

Leider waren wir von dem Kuss-Mo-ment mit Sharon so ergriffen, dass wirglatt vergessen haben, davon ein Fotozu machen, aber dafür gibt es ja einganz tolles Foto von Ruud und Robert,die sich für dieses Foto mit unseremSohn sogar hingekniet (!) haben.

Es war rundum ein fantastischerAbend, für Steven war es das erste Kon-zert überhaupt und er fand es supertoll!Die Band persönlich kennen lernen zudürfen, hat ihn unglaublich stolz ge-macht. (Und er erzählt heute noch je-dem: „Sharon hat mich geküsst, guckhier und hier“, und er zeigt dabei aufseine Wangen.)

Wann fahren wir wieder zu WithinTemptation?

Bis wir wieder in unserem Hotelzimmerwaren, war es mittlerweile halb zwei,Steven ist buchstäblich ins Bett gefallenund weg war er. Es war schon irre an-strengend für ihn, aber eine schöne An-strengung. Und am nächsten Morgenbeim Frühstück hat er direkt gefragt:„Wann fahren wir wieder zu WithinTemptation?“ Alle Gedanken, die ichmir im Vorfeld gemacht hatte, warenvöllig unnötig! Wir hatten alle drei einenwunderschönen Abend, ein tolles Kon-zert und dann noch die Band persönlichkennen gelernt, was will man mehr?Und dabei sind wir normalerweise nichtdie Typen, die den Stars „nachrennen“bloß für ein Foto oder ein Autogramm,dennoch haben wir es sehr genossen,denn für unseren Sohn war es das ab-solute Highlight, und so dann auch füruns Eltern!

Einige Monate später waren wir El-tern wieder auf einem Konzert in denNiederlanden, diesmal in Zwolle, unddiesmal ohne unseren Sohn. Aber wirhatten zwei Vergrößerungen von demschönen Foto mit den beiden Gitarristenanfertigen lassen und auf einem davonunseren Sohn „Danke, Euer Steven“draufschreiben lassen, das haben wirder Band geschenkt, die sich tatsächlichan uns erinnerten und fast ein wenigenttäuscht waren, dass Steven diesmalnicht mit dabei war. Und sie haben aufder zweiten Vergrößerung mit einerpersönlichen Widmung für Steven alleunterschrieben. Ruud schenkte uns so-gar noch ein original WT-Gitarrenplek-tron für ihn. Steven hat sich wie ver-rückt darüber gefreut (nicht ohne auch

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darüber gekichert zu haben, dassRobert auf seine Glatze und Sharon aufStevens Bauch geschrieben hat …). Je-denfalls musste das Bild in einen schö-nen Rahmen und hängt jetzt über sei-nem Bett am Kopfende, und schon mehrals einmal hat er die Band in sein Nacht-gebet mit eingeschlossen!

Und dann entdeckte ich auf der Kon-zertliste, dass WT an meinem Geburts-tag in einem kleinen Club (für ca. 350 bis400 Personen) in Leeuwarden auftreten,und dachte, wie schön das doch wäre,meinen Geburtstag mit meiner Familiedort zu feiern … und so kam es dannauch, im April waren wir wieder aufdem Weg in die Niederlande, zu einemtollen Konzert, mit einem überglückli-chen Steven, der sich sehr darauf freu-te!

Die Vorgruppe gefiel ihm wieder nicht,er fand sie zu laut (obwohl WT nachherviel lauter waren und seine Ohren ja oh-nehin wieder mit Silikonstöpseln ge-schützt waren) und konnte kaum ab-warten, dass seine (unsere) Lieblingeendlich anfangen! Und als es endlich so-weit war, standen wir wieder fast ganzvorne, Steven auf unserem Rücken, undhatten wieder alle viel Freude (auch mitden umstehenden Fans).

Das Allerschönste aber war wohl,dass Ruud, Robert und Sharon uns vonder Bühne aus erkannt und gegrüßt ha-ben! Auch nach diesem Konzert ergabsich wieder die Gelegenheit, mit deneinzelnen Bandmitgliedern zu spre-chen. Steven hat Ruud zur Begrüßunggleich mal wieder kräftig umarmt undihm ein fröhliches „Rudi Rudi Ralala“gesungen (wir haben sehr gelacht), auchvon allen anderen Bandmitgliedernwurde Steven sehr herzlich (und allewussten seinen Namen noch!) begrüßt,und er fühlte sich natürlich ganz beson-ders wohl und es sind einige sehr schö-ne Fotos entstanden. Zur großen Freu-de seiner Mutter bekam er dann auchnoch von der Crew eine Setliste (das sinddie Zettel, die sich die Bands mit dem ge-planten Ablauf auf die Bühne legen) ge-schenkt. Bei Fans sind diese Setlistenheiß begehrt, und unser Sohn bekommteinfach eine geschenkt und diese dannauch wieder mit einer persönlichenWidmung von Ruud (und natürlich auchwieder mit allen Unterschriften) verse-hen. Wow!

Zu diesem Zeitpunkt war mir längstklar, dass ich auf jeden Fall einen Be-richt für „Leben mit Down-Syndrom“darüber schreiben werde. Und so er-zählte ich Ruud davon und fragte ihn, obes denn erlaubt sei, für diesen Zweck ei-nige unserer Fotos mit der Band zu ver-öffentlichen. Er fand, dass das eine ganztolle Idee sei, und war sehr begeistertdarüber, dass es so etwas wie das Deut-sche Down-Syndrom InfoCenter und dieZeitschrift „Leben mit Down-Syndrom“gibt! Sein Einverständnis, die Fotos fürdiesen Zweck zu veröffentlichen, hätteich auf jeden Fall, aber ich müsste mirnoch das O.K. des Managements dazuholen, was ich natürlich gemacht habe.Und weil auch das Management damiteinverstanden war, ist dieser Berichtmit tollen Fotos bereichert, auf denenman sehen kann, wie glücklich und wiestolz Steven auf „seine“ Band ist!

Stevens Charme öffnet Türe, an diewir nicht einmal gewagt hätten an-zuklopfen!

Das Konzert und die erneute persönli-che Begegnung mit den Musikern warwieder ein tolles Erlebnis für uns drei.(Und für mich persönlich einer meinerschönsten Geburtstage.) Es war malwieder interessant zu erleben, wie esunser Sohn, mit seinem unvergleichli-chen Charme und seiner direkten Art,geschafft hat, eine Tür zu öffnen, an diewir im Normalfall noch nicht einmal ge-wagt hätten anzuklopfen!

Durch Steven haben wir entdeckt,wie schön es in den Niederlanden wirk-lich ist, und wir werden sicher nochganz oft hinfahren (und ganz sicherauch wieder das eine oder andere Kon-zert besuchen), weil wir uns dort wirk-lich sehr willkommen fühlen! Und dasnicht zuletzt wegen der wunderbarenBand Within Temptation.

Traut euch mit euren Kindern, auchungewöhnliche Dinge zu machen!

Abschließend möchte ich allen Elterndringend raten, traut euch mit eurenKindern, auch mal ungewöhnliche Din-ge zu machen, es lohnt sich in jedemFall! Wenn es etwas gibt, was Sie oderIhr Kind gerne mal tun würden, und Siees bisher nicht gewagt haben, wahr zumachen; nur zu, auch wenn es vielleichtnoch so verrückt sein mag! Ich weiß,dass es in unserer Gesellschaft NICHT„normal“ ist, mit einem Neunjährigen(noch dazu einem mit Down-Syndrom)ein Metal-Konzert zu besuchen. Aberwas ist denn schon „normal“? Wichtigist doch, dass aus so einer „kleinen Ver-rücktheit“ etwas sehr Schönes entste-hen kann, so wie jetzt bei uns.

Wir haben jetzt wieder gelernt, dasswir mit unserem außergewöhnlichenSohn nicht nur ganz normal ins Restau-rant zum Essen gehen können (wie wirdas seit Jahren schon tun), sonderneben auch ganz normal außergewöhnli-che Konzerte besuchen und dabei alleunseren Spaß haben können!

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Ein Tag wie Weihnachten – und dasim Juni

„Für meine Tochter ist das Down-Sport-lerfestival wie Weihnachten: Sie redetdas ganze Jahr darüber und wartetebenso aufgeregt darauf wie auf dasChristkind.“ Mit diesen Worten be-schrieb ein Vater die Bedeutung desDeutschen Down-Sportlerfestivals fürsein Kind.

Kein Wunder, denn bei diesem Fa-milienfest am 4. Juni in Frankfurt amMain ging es so fröhlich zu: LachendeKinder, über 300 gut gelaunte Sportlerund rund 1500 begeisterte Zuschauersorgten für eine einzigartige Atmosphä-re beim Deutschen Down-Sportlerfesti-val, das in diesem Jahr bereits zum drit-ten Mal stattfand.

Ein neuer Rekord für das von der ge-meinnützigen HEXAL Foundation ge-sponserte Sportfest, das auch AnneSchardey, die Leiterin der Unterneh-menskommunikation, beeindruckte:

„Ich bin sprachlos über das enorme In-teresse, das dieses Festival hervorruft.Ich hoffe, dass alle einen wunderbarenTag erleben und viele positive Erlebnis-se mit nach Hause nehmen.“

Eine Hoffnung, die sich erfüllte, daszeigten die fröhlichen Gesichter allerTeilnehmer. Schließlich ging es bei die-sem Festival wie immer ums Dabeisein– sie alle waren Sieger, die am Ende ei-nes Tages, an dem sie sich im Laufen,Werfen, Springen und Tischtennis be-weisen konnten, Medaillen und Urkun-den bekamen.

Überreicht wurden diese von denprominenten Paten des Festivals, denSchauspielern Henning Baum, bekanntaus der Serie „Mit Herz und Handschel-len“, und Bobby Brederlow, der alsSchauspieler mit Down-Syndrom dasFestival seit Jahren als Schirmherr un-terstützt und aktiv bei den Sportwettbe-werben mitmacht.

Henning Baum war das erste Mal

3. Deutsches Down-Sportlerfestival

Unter dem Motto „Down-Syndrom – wir gehören dazu!“ engagiert sich die HEXAL Foundation für mehr Integrationund soziale Gleichstellung von Menschen mit Down-Syn-drom. Dem 1. Deutschen Down-Sportlerfestival waren zweiAufklärungskampagnen in den Jahren 2001 und 2002 vor-ausgegangen. Schon das erste Festival war sehr erfolgreichund sorgte bundesweit für Aufsehen. So ist es kein Wunder,dass aus der ursprünglichen Veranstaltung mittlerweile einrichtiges Großevent geworden ist.

dabei und kickte gleich beim beliebtenElfmeterschießen mit den Kindern umdie Wette.

„Ich hatte bisher wenig Kontakt zuMenschen mit Down-Syndrom und binjetzt ganz begeistert von der großen Hei-terkeit und Lebendigkeit, die hier herrscht“, sagte Henning Baum.

Den Hintergrund der Veranstaltungfasste Hans-Dieter Bürger, Stadtrat derStadt Frankfurt, die dieses Festival or-ganisatorisch unterstützt, am Abend zu-sammen: „Es ist ein herausragendes Er-eignis für Menschen, die wir nicht ausder Gesellschaft ausschließen dürfen“,so Bürger.

Für Kinder und Jugendliche mit Down-Syndrom ist es nämlich nicht ge-rade alltäglich, dass sie einmal im Mit-telpunkt stehen und sich alles um siedreht. Noch immer erleben viele von ih-nen Situationen, in denen sie ausge-grenzt und benachteiligt werden.

Deshalb engagiert sich die HEXALFoundation besonders für diese Kinder.

Fertig los, nach Magdeburg!

Und ganz genau wie Weihnachtenkommt auch das Deutsche Down-Sport-lerfestival wieder – genau drei Monatevor dem tatsächlichen Fest, am 24. Sep-tember in Magdeburg ab ca. 10.00 Uhrin der Hermann-Gieseler-Halle.

Weitere Informationen erhalten Siebei: Katrin Heienbrockmedandmore communication GmbHTel.: 06172/966 122oder unter www.down-info.de.

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70 Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005

V E R A N S T A L T U N G E N

Down-Syndrom-Fachtagung 2005in Augsburg

Termin

Freitag, 7. Oktober bis Sonntag, 9. Ok-tober 2005

Veranstaltungsort

Universität Augsburg, HörsaalzentrumUniversitätsstraße 10, 86159 Augsburg

Veranstalter/Organisation

Down-Syndrom-Netzwerk Deutschlande.V. und die Universität Augsburg

AnmeIdebüro

Down-Syndrom-Netzwerk Deutschland Fachtagung Augsburg Postfach 31 31 97041 Würzburg Tel. und Fax: 0721 / 151 20 50 77 E-Mail: [email protected] http://www.Tagung.Down-Syndrom-Netzwerk.de

„Ich bin doch auch noch da.“Beratungsstelle Geschwisterkinder

Die Lebenshilfe Bremen hat die Bera-tungsstelle Geschwisterkinder einge-richtet. An die Beratungsstelle könnensich nicht behinderte wie behinderteKinder, Jugendliche und erwachseneGeschwister sowie Eltern und Mitarbei-ter/-innen in Institutionen wenden.

Leiterin der Beratungsstelle ist MarliesWinkelheide, die schon über 25 JahreAngebote für Geschwister von Kindernmit Behinderungen entwickelt und be-gleitet hat. Sie ist u.a. Autorin verschie-dener Publikationen zum Thema „Ge-schwister von Kindern mit Behinderun-gen“.Kontakt:Beratungsstelle GeschwisterkinderWaller Heerstraße 5528217 BremenTel.: 04 21 / 387 77 0 (dienstags unddonnerstags von 9 bis 13 Uhr)Fax: 04 21 / 387 77 [email protected]

Weltkongress Down-Syndrom

Der Termin für den 9. Weltkongress Down-Syndrom rückt näher. Viele be-kannte Wissenschaftler aus der welt-weiten Down-Syndrom-Szene haben ih-re Teilnahme an dieser wichtigen Ver-anstaltung schon zugesagt. Dabei sindu.a.:Siegfried Pueschel Alan BaddeleyBob HodappJennifer Wishart und viele andere.Auch Andrea Friedmann, eine jungeFrau mit Down-Syndrom, in Deutsch-land bekannt als Freundin von Corky inder Serie „Life goes on“, wird in Van-couver sprechen.

Selbstverständlich gibt es eine ReiheAktivitäten für Kinder zwischen dreiund zwölf Jahren, ein Extra-Programmfür Teenager und Erwachsene mit Down-Syndrom sowie für Geschwister-kinder.

Unter www.wdsc2006.com finden Siedie aktuellen Informationen zum Pro-gramm. Außerdem kann man sichschon online für den Kongress anmel-den. Interessierte, die sich vor dem 10.April anmelden, bezahlen weniger.

Ein interessantes Sightseeing-Pro-gramm zu günstigen Preisen bieten dieKanadier ebenfalls an. So können z.B.anschließend an den Kongress eine sie-bentägige Alaska Cruise auf der MSZaandam (wobei Familien mit Kindernein Extra-Rabatt eingeräumt wird) odereine zweitägige Bahnfahrt mit der RockyMountaineer gebucht werden.

So lässt sich vielleicht dieser Down-Syndrom-Super-Event mit einer schonlang geplanten Kanadareise kombinie-ren!

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005 71

Folgende Informationsmaterialien sind beim DeutschenDown-Syndrom InfoCenter erhältlich:

Euro

Broschüre „Down-Syndrom. Was bedeutet das?“ 7,--

Neue Perspektiven für Menschen mit Down-Syndrom 20,--

Videofilm „So wie Du bist“, 35 Min. 20,--

Albin Jonathan – unser Bruder mit Down-Syndrom 17,--

Medizinische Aspekte bei Down-Syndrom 5,--

Das Baby mit Down-Syndrom 5,--

Das Kind mit Down-Syndrom im Regelkindergarten 3,--

Das Kind mit Down-Syndrom in der Regelschule 5,--

Total normal! – es ist normal, verschieden zu sein 5,--

Herzfehler bei Kindern mit Down-Syndrom 5,--

Das Stillen eines Babys mit Down-Syndrom 3,50

Sonderheft „Diagnose Down-Syndrom, was nun?“ 12,--

Erstinformationsmappe 28,--

GuK – Gebärdenkartensammlung (incl. Porto) 46,--

GuK 2 – Gebärdenkartensammlung (incl. Porto) 50,--

Kleine Schritte Frühförderprogramm (incl. Porto) 59,--

Poster „Down-Syndrom hat viele Gesichter“ A3 2,--

10 Postkarten „Glück gehabt“ 5,--

10 Postkarten „Tumur und Stephan“ 5,--

Posterserie „Down-Syndrom – Na und?“ Format A1, A2, A3 12,-- 7,-- 5,--

Down-Syndrom, Fragen und Antworten pro 10 Stück 0,50

Zeitschrift Leben mit Down-Syndrom, ältere Ausgaben 5,--

+ Porto nach Gewicht und Bestimmungsland

Bestellungen bitte schriftlich an:Deutsches Down-Syndrom InfoCenterHammerhöhe 391207 Lauf / PegnitzTel. 0 91 23 / 98 21 21Fax 0 91 23 / 98 21 22

Sie können noch eine Reihe weiterer Informationsmaterialien und Fach-bücher beim Deutschen Down-Syndrom InfoCenter bestellen. Bitte fordernSie unsere Bestellliste an.

Wer Artikel zu wichtigen und interessanten

Themen beitragen kann, wird von der Redaktion

dazu ermutigt, diese einzuschicken. Garantie zur

Veröffentlichung kann nicht gegeben werden.

Einsendeschluss für die nächste Ausgabe von

Leben mit Down-Syndrom: 30. Okt. 2005.

Impressum

Herausgeber:Selbsthilfegruppe für Menschen mit Down-Syndrom und ihre Freunde e.V.

Redaktion:Deutsches Down-Syndrom InfoCenterHammerhöhe 391207 Lauf / PegnitzTel.: 0 91 23 / 98 21 21Fax: 0 91 23 / 98 21 22E-Mail: [email protected]

Wissenschaftlicher Redaktionsrat:Ines Boban, Prof. Wolfram Henn,Dr. Wolfgang Storm, Prof. Etta Wilken

Repros und Druck:Fahner GmbHHans-Bunte-Straße 4390431 Nürnberg

Erscheinungsweise:Dreimal jährlich, zum 30. Januar, 30. Mai und 30. SeptemberDie Zeitschrift ist gegen eine Spende beider Selbsthilfegruppe erhältlich.

Bestelladresse:Deutsches Down-Syndrom InfoCenterTel.: 0 91 23 / 98 21 21 Fax: 0 91 23 / 98 21 22

Die Beiträge sind urheberrechtlich ge-schützt. Alle Rechte vorbehalten. Nach-druck oder Übernahme von Texten für Internetseiten nur nach Einholung schrift-licher Genehmigung der Redaktion. Mei-nungen, die in Artikeln und Zuschriftengeäußert werden, stimmen nicht immermit der Meinung der Redaktion überein.

Die Redaktion behält sich vor, Leser-briefe gekürzt zu veröffentlichen undManuskripte redaktionell zu bearbeiten.

ISSN 1430 - 0427

VorschauFür die nächste Ausgabe (Jan. 2006) von Leben mit Down-Syndrom sind geplant:

… Rechnen mit Numicon

… Leben als Erwachsene mit Down-Syndrom

… DS-Wochen und Posteraktion – ein Rückblick

… „Job-Coaching“ – Wie funktioniert das?

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72 Leben mit Down-Syndrom Nr. 50, Sept. 2005

Ja, ich möchte Ihre Arbeit mit einer Spende von .......... Euro unterstützen:

Name (Blockschrift) ……………………………………………………………………………………………….....................…………Unser Kind mit DS ist am ...............………...........…….. geboren und heißt ……………………………..…….........……….Straße ………………………………………………………………………………………………………………............................... PLZ/Ort/(Staat) ………………………………………………………………… Tel./Fax ……………………............….................

‘ Bei einer Spende ab Euro 25,– erhalten Sie regelmäßig unsere Zeitschrift

InlandIch bin damit einverstanden, dass meine Spende jährlich von meinem Konto abgebucht wird.

(Diese Abbuchungsermächtigung können Sie jederzeit schriftlich widerrufen.)

Konto Nr. ……………………………………………….. BLZ ……………………………………..............………...........Bankverbindung ………………………………………………Konto-Inhaber ………………………………............................

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bei der Sparkasse Erlangen. Unter Verwendungszweck „Spende” Ihren Namen und Ihre Anschrift eintragen.

Ausland (Spende ab Euro 30,–)Postanweisung oder Überweisung auf das Konto der Selbsthilfegruppe Nr. 50-006 425, BLZ 763 500 00

bei der Sparkasse Erlangen. Unter Verwendungszweck „Spende” Ihren Namen und Ihre Anschrift eintragen

Datum ……………………………… Unterschrift ……………………………………………………..................................…....

Ihre Spende ist selbstverständlich abzugsfähig. Die Selbsthilfegruppe ist als steuerbefreite Körperschaft nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschafts-

steuergesetzes beim FA Nürnberg anerkannt. Bei Spenden über Euro 50,– erhalten Sie automatisch eine Spendenbescheinigung.

Bitte ausgefülltes Formular auch bei Überweisung/Scheck unbedingt zurückschicken an: Deutsches Down-Syndrom InfoCenter, Hammerhöhe 3, 91207 Lauf (Tel. 09123/98 21 21, Fax 09123/98 21 22)

Dreimal jährlich erscheint die Zeitschrift Leben mit Down-Syndrom,in der auf ca. 70 Seiten Informationen über das Down-Syndromweitergegeben werden.

Die Themen umfassen Förderungsmöglichkeiten, Sprachentwick-lung, medizinische Probleme, Integration, Ethik u.a. Wir geben die neuesten Erkenntnisse aus der Down-Syndrom-Forschung aus dem In- und Ausland wieder. Außerdem werden neue Büchervorgestellt, gute Spielsachen oder Kinderbücher besprochen sowie über Kongresse und Tagungen informiert. Vervollständigt wirddiese informative Zeitschrift durch Erfahrungsberichte von Eltern.

Ihre Spende ist selbstverständlich abzugsfähig. Die Selbsthilfe-gruppe ist als steuerbefreite Körperschaft nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftssteuergesetzes beim FA Nürnberg anerkannt.

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Leben mit

www.ds-infocenter.de

Deutsche Down-Syndrom-Wochen 2005mit großer Posterkampagne

Psychotherapeutische Gruppen

Spielen und Belohnen als Mittel der Förderung– Erkenntnisse der Hirnforschung

Fördern durch Musik

Nr. 50 / Sept. 2005ISSN 1430-0427

d e u t s c h e s

i n f o c e n t e rdown-syndrom

Ein Beispiel aus der Posterserie,die speziell für die Aktionswochen imOktober 2005 vom Deutschen Down-Syndrom InfoCenter entwickelt wurde.Prominente Künstler und Sportler werbenfür einen vorurteilsfreien Umgang mitMenschen mit Down-Syndrom.Hier die Schauspielerin Ulrike Folkertsmit Ella Zoch.

aedsEUROPEAN

DOWN SYNDROMEASSOCIATION

50.Ausgabe