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LEBENSLÄUFE ANONYMISIEREN Stolperstein Foto? 41 9 I 2012 der arbeitsmarkt Text Petra Zillig Fotos Simone Gloor U rs F. ist 48-jährig, Rohstoffhändler, mehrsprachig, gut ausgebildet und seit einem Jahr stellenlos. Die Jobsuche erlebt er als schwierig. Häufig scheitert er bereits an der ersten Hürde: der Einladung zum Vorstellungsgespräch. Gründe dafür sieht er unter anderem beim gängigen Lebenslauf, der den Nachteil des Alters schonungslos offenlege. «Ich bewerbe mich in der bei uns üblichen Form mit Name und Angaben zu Alter, Herkunft, Zivilstand, Geschlecht und Anzahl Kinder. Ein Foto gehört mit auf den Lebenslauf, das ist ein ungeschriebenes Gesetz.» So habe er es im RAV-Bewerbungskurs gelernt. Er wünsche sich dagegen ein Vorselektionsverfahren nach amerikani- schem Vorbild, ohne Foto und ohne persönliche Angaben. «Ich bin überzeugt, dass sich meine Chancen auf dem Arbeits- markt verbessern würden.» Denn dann würden Personal- verantwortliche nicht als Erstes sein Alter, sondern seine Kompetenzen und Erfahrungen wahrnehmen. Anonymisierte Lebensläufe in Genf «Wir überlassen es den Bewerbern, wie sie sich präsentieren möchten.» Silvia Dobry, Mediensprecherin, Roche Silvia Dobry, Mediensprecherin, Roche Zweiter Arbeitsmarkt Manch ein älterer Stellensuchender, eine Arbeitslose mit ausländischem Namen würden gerne darauf verzichten. Noch ist es in der Schweiz jedoch üblich, im Lebenslauf persönliche Angaben zu machen. Nötig sind sie aus Sicht vieler Unternehmer nicht. Das sieht der Bewerbungscoach anders. Mit seinem Wunsch nach anonymisierten Stellenbewer- bungen in der Schweiz ist Urs F. nicht allein, das Anliegen nicht neu. «Denn Studien belegen, dass es durchaus möglich ist, aufgrund von Geschlecht, Herkunft oder eben Alter und Aussehen diskriminiert zu werden. Wir haben alle unsere Stereotypen», sagt Steve Binggeli, Experte für Vielfalt in Unternehmen und Dozent an der Universität Lausanne für den Bereich Personalbeschaffung. Im Jahr 2006 führte der Kanton Genf während dreier Monate ein Pilotprojekt mit anonymisierten Bewerbungen durch, an dem sich die Migros, eine Gemeinde und die Indus- triellen Werke beteiligten. Entsprach ein Stelleninteressent den Anforderungen des Inserats, musste er eingeladen wer- den. Von den insgesamt zweiundzwanzig ausgeschriebenen Stellen wurden vier mit Bewerbern besetzt, die über ein klassisches Selektionsverfahren wohl nicht berücksichtigt worden wären; zum Beispiel erhielten zwei Frauen eine technische Stelle. Trotz positiver Bilanz führten die drei beteiligten Arbeitgeber das Verfahren nicht ein. Dagegen sprach für sie der administrative Aufwand, das Anonymisie- ren der Lebensläufe. Schade, findet Steve Binggeli. «Das Sys- tem der anonymen Bewerbung hätte mehr zu bieten als grös- sere Chancengleichheit für die Bewerber. Firmen könnten auf diese Weise auf spannende Profile stossen, die durch die traditionelle Verfahrensweise unentdeckt bleiben.» Romandie: kein Foto Seit dem Genfer Pilotprojekt vor sechs Jahren hat sich nicht viel verändert in der Bewerbungspraxis. Die ange- fragten Firmen Swisscom, Roche, ein KMU sowie die Bundes- verwaltung stimmen überein: Die Mehrheit der Schweizer Bewerberinnen und Bewerber senden einen Lebenslauf mit den gängigen persönlichen Angaben inklusive Foto und Hobbys. Michaela Trelle, Leiterin des Recruiting Centers der Swisscom, findet bei jüngeren Bewerbern sogar Angaben zum Beruf der Eltern. Unterschiede zwischen der deutschen und der französi- schen Schweiz stellt hingegen André Zeder, Leiter Rekrutie- rung bei der UBS Schweiz, fest. Er schätzt, dass rund zwei Drittel aller Deutschschweizer sich mit Foto bewerben. «Die französische Schweiz lässt dagegen Foto und auch persön- liche Angaben eher weg.» Überflüssige Daten? Auf die Frage, welche Rolle für sie Aussagen zu Alter, Geschlecht oder Anzahl Kinder haben, sind sich die meisten Firmen ebenfalls einig – und ihre Antworten überraschen.

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L e b e n s L ä u f e a n o n y m i s i e r e n

Stolperstein Foto?

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9 I 2012derarbeitsmarkt

Text Petra Zillig Fotos Simone Gloor

U rs F. ist 48-jährig, Rohstoffhändler, mehrsprachig, gut ausgebildet und seit einem Jahr stellenlos. Die Jobsuche erlebt er als schwierig. Häufig scheitert er bereits an der ersten Hürde: der Einladung zum

Vorstellungsgespräch. Gründe dafür sieht er unter anderem beim gängigen Lebenslauf, der den Nachteil des Alters schonungslos offenlege. «Ich bewerbe mich in der bei uns üblichen Form mit Name und Angaben zu Alter, Herkunft, Zivilstand, Geschlecht und Anzahl Kinder. Ein Foto gehört mit auf den Lebenslauf, das ist ein ungeschriebenes Gesetz.» So habe er es im RAV-Bewerbungskurs gelernt. Er wünsche sich dagegen ein Vorselektionsverfahren nach amerikani-schem Vorbild, ohne Foto und ohne persönliche Angaben. «Ich bin überzeugt, dass sich meine Chancen auf dem Arbeits-markt verbessern würden.» Denn dann würden Personal-verantwortliche nicht als Erstes sein Alter, sondern seine Kompetenzen und Erfahrungen wahrnehmen.

Anonymisierte Lebensläufe in Genf

«Wir überlassen es den Bewerbern, wie sie sich präsentieren möchten.»Silvia Dobry, Mediensprecherin, RocheSilvia Dobry, Mediensprecherin, Roche

Zwei ter Arbe i tsmarkt

Manch ein älterer Stellensuchender, eine Arbeitslose mit ausländischem Namen würden gerne darauf verzichten. Noch ist es in der Schweiz jedoch üblich, im Lebenslauf persönliche Angaben zu machen. Nötig sind sie aus Sicht vieler Unternehmer nicht. Das sieht der Bewerbungscoach anders.

Mit seinem Wunsch nach anonymisierten Stellenbewer-bungen in der Schweiz ist Urs F. nicht allein, das Anliegen nicht neu. «Denn Studien belegen, dass es durchaus möglich ist, aufgrund von Geschlecht, Herkunft oder eben Alter und Aussehen diskriminiert zu werden. Wir haben alle unsere Stereotypen», sagt Steve Binggeli, Experte für Vielfalt in Unternehmen und Dozent an der Universität Lausanne für den Bereich Personalbeschaffung.

Im Jahr 2006 führte der Kanton Genf während dreier Monate ein Pilotprojekt mit anonymisierten Bewerbungen durch, an dem sich die Migros, eine Gemeinde und die Indus-triellen Werke beteiligten. Entsprach ein Stelleninteressent den Anforderungen des Inserats, musste er eingeladen wer-den. Von den insgesamt zweiundzwanzig ausgeschriebenen Stellen wurden vier mit Bewerbern besetzt, die über ein klassisches Selektionsverfahren wohl nicht berücksichtigt worden wären; zum Beispiel erhielten zwei Frauen eine

technische Stelle. Trotz positiver Bilanz führten die drei beteiligten Arbeitgeber das Verfahren nicht ein. Dagegen sprach für sie der administrative Aufwand, das Anonymisie-ren der Lebensläufe. Schade, findet Steve Binggeli. «Das Sys-tem der anonymen Bewerbung hätte mehr zu bieten als grös-sere Chancengleichheit für die Bewerber. Firmen könnten auf diese Weise auf spannende Profile stossen, die durch die traditionelle Verfahrensweise unentdeckt bleiben.»

Romandie: kein FotoSeit dem Genfer Pilotprojekt vor sechs Jahren hat sich

nicht viel verändert in der Bewerbungspraxis. Die ange-fragten Firmen Swisscom, Roche, ein KMU sowie die Bundes-verwaltung stimmen überein: Die Mehrheit der Schweizer Bewerberinnen und Bewerber senden einen Lebenslauf mit den gängigen persönlichen Angaben inklusive Foto und Hobbys. Michaela Trelle, Leiterin des Recruiting Centers der Swisscom, findet bei jüngeren Bewerbern sogar Angaben zum Beruf der Eltern.

Unterschiede zwischen der deutschen und der französi-schen Schweiz stellt hingegen André Zeder, Leiter Rekrutie-rung bei der UBS Schweiz, fest. Er schätzt, dass rund zwei Drittel aller Deutschschweizer sich mit Foto bewerben. «Die französische Schweiz lässt dagegen Foto und auch persön-liche Angaben eher weg.»

Überflüssige Daten?Auf die Frage, welche Rolle für sie Aussagen zu Alter,

Geschlecht oder Anzahl Kinder haben, sind sich die meisten Firmen ebenfalls einig – und ihre Antworten überraschen.

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Zwei ter Arbe i tsmarkt

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9 I 2012derarbeitsmarkt

i n t e r n a t i o n a L e r v e r g L e i c hi n t e r n a t i o n a L e r v e r g L e i c h

E u R o P AE u R o P A In Frankreich müsse eine

Firma ab 50 Personen das anonymi­

sierte Bewerbungsverfahren anwen­

den, sagt Steve Binggeli, Experte für

Vielfalt in Unternehmen. In England

sei ein entsprechendes Gesetz in

Bearbeitung, und in Belgien werde

es für Staatsstellen angewendet und

Firmen nahegelegt. In Österreich steht

gemäss Arbeitsmarktservice Österreich

ein anonymisiertes Bewerbungsver­

fahren nicht zur Debatte. Im positiven

Sinne darf in Österreich diskriminiert

werden. Zum Beispiel kann per Stellen­

inserat nach einem älteren Bewerber

gesucht werden. Bei einem Pilotpro­

jekt in Deutschland habe sich gezeigt,

dass sich mehr Menschen bewarben

und mehr Frauen angestellt wurden,

sagt Aneta Schikora von der Arbeits­

agentur Nordrhein­Westfalen. Getestet

wurde das anonymisierte Verfahren

auch in Holland und Schweden.

uSAuSA In den USA sind anonyme Lebens­

läufe gesetzlich verankert. Kleine

Unterschiede wie Adresse angeben

oder weglassen gibt es allerdings auch

in den Staaten.

So bewirbt sich das Ausland

«Für uns zählen nur die Kompetenzen.»Sabina Marra, Stellvertretende Leiterin Personalmarketing und Diversity Sabina Marra, Stellvertretende Leiterin Personalmarketing und Diversity

Management bei der Bundesverwaltung Management bei der Bundesverwaltung

«Wir überlassen es den Bewerbern, wie sie sich präsentieren möchten. Informationen zu Alter, Zivilstand, Anzahl Kinder oder ein Foto müssen nicht mit den Bewerbungsunterlagen eingereicht werden», sagt Silvia Dobry, Mediensprecherin von Roche. «Solche persönlichen Informationen sind für die Bewerbung nicht relevant.» Ähnlich tönt es bei Michaela Trelle von der Swisscom: «Uns interessieren in der Vorselek-tion primär die beruflichen Erfahrungen und Ausbildungen. Im Interview steht nebst den Qualifikationen vor allem im Vordergrund, ob der Bewerber zur Swisscom-Kultur passt. Es ist oftmals schwierig, genug Bewerber zu finden, die alle Anforderungen erfüllen, sodass persönliche Daten keine Rolle spielen.» Auch die UBS fragt nicht nach: «Wir legen ausschliesslich Wert auf die mitgebrachten Fähigkeiten.

Beim Vorstellungsgespräch schauen wir, ob der Stelleninte-ressent ins Team passt», versichert André Zeder.

Wer sich bei der US-amerikanischen Firma Google in der Schweiz über das Jobportal in englischer Sprache bewirbt – das Technologieunternehmen bevorzugt Onlinebewer-bungen –, wird aufgefordert, Geschlecht und ethnische Zuge-hörigkeit («ethnic group») anzugeben. Die Angaben seien freiwillig und würden von der Bewerbung getrennt gehalten, ist dort zu lesen. «Foto und Informationen zu Alter, Ge-schlecht und Status haben keinen Einfluss auf das Verfah-ren», sagt Mediensprecherin Lena Wagner.

Nicht nur bei Google Schweiz bewerben sich viele Auslän-der, die hierherkommen wollen oder bereits in der Schweiz arbeiten. Viele bewerben sich nach den Gepflogenheiten ihres Herkunftslandes. Interessenten aus dem angelsäch - si schen Raum oder den USA verzichten meistens auf persön-liche Angaben und Foto, sagen die HR-Fachleute. Die Unter-nehmen fragen auch in diesen Fällen nicht nach. «Haben wir diesbezüglich Fragen, stellen wir sie beim Vorstellungs-gespräch», sagt etwa Sabina Marra, Stellvertretende Leite- rin Personalmarketing und Diversity Management bei der Bundesverwaltung.

Wenig hält die HR-Fachfrau von den standardisierten euro-päischen Lebensläufen, die sie vor allem aus Italien bekommt. Diese enthielten zu viele, nicht klar strukturierte Informa-tionen, die es erschwerten, die gesuchten Angaben zu finden. Der so genannte Europass wurde 2002 mit dem Ziel ein-geführt, jene zu unterstützen, die im Ausland eine Stelle suchen. Die Lebenslaufvorlage, die in 32 Ländern verwendet wird, empfiehlt, sich nur dann mit Foto zu bewerben, wenn es der Arbeitgeber ausdrücklich verlangt.

Anonymisierung chancenlosWenn die Firmen keine persönlichen Angaben brauchen

– was spricht für sie gegen ein anonymisiertes Bewerbungs-verfahren? Michaela Trelle von der Swisscom zeigt sich als Einzige sehr offen dafür: «Ich fände einen solchen Versuch spannend, auch wenn es derzeit nicht zur Debatte steht und ich nicht denke, dass anonymisieren nötig ist. Bei uns arbei-ten Menschen aus achtzig Nationen.» Sabina Marra von der

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Ein Foto im Lebenslauf befürwortet Sabina Marra von der Bundesverwaltung aus einem ähnlichen Grund. «Ein Bild macht es für mich einfacher, mich an eine Bewerbung zu erinnern. Pro Bewerbung habe ich nur wenig Zeit für eine erste grobe Sichtung.» Keiner der befragten national und international tätigen Konzerne fragt in seinen Stellenaus-schreibungen nach einem Foto. Anders sieht es bei den KMU aus. Per Inserat sucht etwa die Firma Trade Management Trust in Zug eine Sekretärin. Bewerben sollen die Interessen-tinnen sich mit Bild. «Ein Foto sowie das Alter im Lebenslauf sind für uns unabdingbar», sagt der Personalverantwortliche Wolfgang Gersch. «Ein Bild lässt auf den Charakter schliessen. Natürlich sind Angaben wie die Anzahl Kinder wichtig. Der Bewerber muss ja Zeit zum Arbeiten haben.»

So machen es PersonalchefsWie würden sich die Personalchefs selber für eine neue

Stelle bewerben? André Zeder von der UBS macht es von der angestrebten Stellung abhängig. Bei einer ähnlichen Position zum Beispiel in einem Konzern wie Novartis ohne Foto und ohne persönliche Angaben. Anders bei einer kleinen Schreine-rei. Hier legte er ein Bild bei und gäbe die gängigen Infor-mationen zu sich an. Michaela Trelle von der Swisscom würde sich den länderspezifischen Gegebenheiten anpassen. Sabina Marra von der Bundesverwaltung wird konkret: «Ich liesse ein professionelles Foto machen, mit einem schönen Lächeln und im Business Dress. Mein Lebenslauf enthielte Namen, Adresse, Geburtsdatum und eventuell den Zivilstand.»

Real bewirbt sich zurzeit Urs F. mit seinen 48 Lenzen. «Als Stellensuchender ist es schon hart genug», sagt er. Welche Art Lebenslauf er welcher Firma schicken solle, bleibe für ihn ein Rätsel. «Und wer soll beurteilen, ob das Foto gut ist, das Alter von Vorteil oder die Herkunft ein Problem sein könnte? In welchen Stereotypen der Personalverantwortliche denkt, weiss von vornherein niemand.» n

Bundesverwaltung begründet ähnlich: «Wir schauen auf die Kompetenzen unserer Bewerber, alles andere ist zweitrangig. Deshalb brauchen wir kein anonymisiertes Verfahren.» Die UBS lehnt es zwar nicht kategorisch ab, hält es aber für eine Verlagerung des Problems. Spätestens am Vorstellungsge-spräch werde die Identität bekannt. Das befragte KMU, Trade Management, sieht sich für ein solches Verfahren als zu klein. Für den Bewerbungscoach Koni Habegger, der Stellensuchen-de für den Arbeitsmarkt fit trimmt, fehlt den HR-Verantwort-lichen zur anonymen Bewerbung der Mut bis zur letzten Konsequenz – die Anstellung einer nicht ins Schema pas-senden Person. «Wie viele Unternehmen kennen Sie, die zum Beispiel eine Kassiererin mit Kopftuch angestellt haben?»

Die Grenzen eines anonymen Bewerbungsverfahrens sind auch für Steve Binggeli, Experte für Vielfalt in Unternehmen, klar gegeben. «Ein solches Verfahren alleine reicht nicht aus. Will eine Firma zum Beispiel keine Ausländer einstellen, ändert die Anonymisierung nichts daran.» Das Umdenken müsse bei den Personalverantwortlichen stattfinden. Helfen könne die Gesetzgebung. So muss in den USA die Firma bewei - sen, dass sie nicht diskriminiert. In Europa sei es umgekehrt.

Professionellere BewerbungenWarum aber liefern Deutschschweizer ungefragt persön-

liche Daten mit, obwohl sie für viele Unternehmen unwichtig sind? André Zeder von der UBS nimmt die Bewerber in die Pflicht: «Die Stellensuchenden sollten umdenken und nicht alles über sich preisgeben.» Dies entspricht jedoch nicht dem, wozu hiesige Bewerbungscoachs den Arbeitsuchenden raten. «Ich empfehle ihnen, ein Foto beizulegen», sagt etwa Koni Habegger. «Es muss aber ein gutes sein. Fehlt die positive Aus-strahlung, sollte man es lassen – auch Personalverantwort-liche werden von Äusserlichkeiten beeinflusst.»

Habegger rät auch zu persönlichen Angaben. «Eine HR-Verantwortliche erhält zehn gute Dossiers mit ähnlichen Qualifikationen, und fünf davon enthalten ein sympathi-sches Foto und die passenden persönlichen Angaben. Was denken Sie, wen lädt sie zum Vorstellungsgespräch ein?», fragt er rhetorisch. So sei auch das Alter nicht unbedingt ein Nachteil. Ältere Bewerber hätten Chancen auf dem Arbeits-markt, ist er überzeugt. «Sie müssen sich aber selbstbewusster verkaufen und ihre langjährigen Erfahrungen – sofern diese der Firma nützen – als Vorteil darstellen. Ein Lebenslauf ist wie ein Verkaufsprospekt.»

Sich gut zu verkaufen und von den Mitbewerbern abzu-heben, sei heute wichtig, sagt der Coach. Vor zwanzig Jahren reichten einige wenige Angaben im Lebenslauf, wie Aus bil-dung, die wichtigen Berufsstationen und ein paar Zeilen Be-gleitbrief. Das habe sich grundlegend verändert. Die Bewerber professionalisieren ihre Lebensläufe laufend. Sie beschäftigen sich mit dem grafischen Erscheinungsbild und feilen am Moti- vationsschreiben. Denn auf eine Stellenausschreibung als Sach- bearbeiter gebe es bis zu tausend Bewerbungen; der Schnitt liege bei hundertfünfzig Dossiers. Zwar sortierten die Personal - verantwortlichen zwei Drittel der Bewerbungen umgehend aus, weil sie nicht dem Stellenprofil entsprächen. Blieben immer noch rund 30 Prozent. «Da wird es für die Bewerber schwer, sich von den Konkurrenten abzuheben. Spätestens hier kommen persönliche Angaben und ein Bild zum Tragen.»

Wie können wir sicherstellen, dass Stellensuchende in der Schweiz gleiche

Chancen auf ein Vorstellungsgespräch haben und nicht gleich aussortiert

werden wegen einer schiefen Nase auf dem Foto, des ausländischen Namens

oder der «fünfzig plus»? Es gibt meiner Meinung nach nur eine Lösung: wie

in den USA dank gesetzlich verankerten, anonymisierten Lebensläufen

Gleichheit zu schaffen. Die Schweiz, besser noch: Europa, sollte zu einem

diskriminierungsfreien Lebenslauf finden. Natürlich würde dies nicht alle

möglichen Benachteiligungen aufheben. Aber es ist einfacher, in einem

Vorstellungsgespräch Vorurteile abzubauen als auf dem Papier.

Noch liegt eine solche Änderung in weiter Ferne. In der jetzigen Situation

brauchen Stellensuchende weniger Hilfe bei der Vorbereitung auf das Vor­

stellungsgespräch. Es geht darum, sich überhaupt eins zu erkämpfen. Ein

RAV­Kurs, bei dem sie lernen, ihren Lebenslauf optisch und inhaltlich auf

Hochglanz zu bringen, etwa unter dem Motto «Der perfekte Verkaufsprospekt

– Verpackung ist alles», würde ihnen mehr nützen. Denn nicht jeder besitzt

die Fähigkeit, sich auf dem Papier ins richtige Licht oder Layout zu rücken.

Vorurteile im Gespräch statt auf Papier abbauen

K o m m e n t a r P e t r a Z i L L i gP e t r a Z i L L i g

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