Lehnverbtypologie Jan W OHLGEMUTH MPI für evolutionäre Anthropologie, Abt. Linguistik.

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Lehnverbtypologie

Jan WOHLGEMUTH

MPI für evolutionäre Anthropologie, Abt. Linguistik

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Lehnverbtypologie

Ausgangsfragen und -probleme: Suche nach formalen bzw. wortinhärenten

Diagnosekriterien zur Identifikation von Lehnwörtern, insbes. entlehnten Verben

Hypothese, Verben seien schwieriger zu entlehnen bzw. würden nur nach intensiverem Sprachkontakt entlehnt

Hypothese, Verben könnten nicht direkt als Verben (sondern nur als Nomen) entlehnt werden und müssten erst durch denominale Verbalisierung wieder der Wortart Verb zugewiesen werden

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Lehnverbtypologie

Zielsetzung: Eine Typologie der morphosyntaktischen

Anpassungsmechanismen für entlehnte Verben Untersuchung typologischer, arealer und

genealogischer Verteilungsmuster dieser Mechanismen(typen)

Exploration der grammatischen, lexikalischen und sozialen Faktoren, die die Entlehnbarkeit von Verben beeinflussen

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Lehnverbtypologie

Die Datensammlung:– FileMaker™ Pro 8 Datenbank– 794 Datensätze, 588 distinkte Lehnverb-Beispiele

140 Gebersprachen / 352 Empfängersprachen, in 553 Sprachenpaaren

328 Muster aus 22 Typen; 4 Hauptstrategien

– Einbeziehung typologischer, genealogischer und geographischer Metainformation via WALS

– Daten über: Alter des Lehnwortes, semantische Domäne, Kontext / Sprachkontaktsituation etc.

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Lehnverbtypologie

Definition : Lehnverb

Ein Lehnverb ist eine etablierte, entlehnte lexikalische Einheit (d.h. keine ad hoc-Bildung) die als Verb (oder überwiegend verbhaft, d.h. eine Aktionsbezeichnung die prototypisch Kopf einer Prädikatsphrase ist) anzusehen ist, und zwar sowohl in der Empfänger- als auch in der Gebersprache.

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Lehnverbtypologie

Definition : Einbettungsmuster

Ein Einbettungsmuster ist eine Konstruktion, die auf ein entlehntes Verb in der Empfängersprache produktiv (d.h. nicht nur einmalig) angewandt wird oder wurde. Das Muster bestimmt mindestens die morphosyntaktische Form und Eigenschaften des resultierenden Lehnverbs (in der Empfängersprache) und legt in manchen Fällen darüber hinaus die als Entlehnungsmuster dienende Verbform aus der Gebersprache fest.

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Lehnverbtypologie

Die vier Hauptstrategien1. Direct Insertion (direkte Einfügung ohne

morphosyntaktische Anpassung)

2. Indirect Insertion (Einfügung vermittels (verbalisierender) Derivationsmorphologie)

3. Light Verb Strategy (Einfügung als nichtflektierender Teil in ein komplexes Prädikat)

4. Paradigm Insertion (Entlehnung von Verb mitsamt seinem Flexionsparadigma)

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Lehnverbtypologie

Direct InsertionKetisch < Russisch

dasitaruɣavɛtda-sitat-u-k-a-bet

3SG.F.S-read-3.N.O-ABL-DUR-ACT

‘sie liest es’

< читать (čitat’) ‘lesen’

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Lehnverbtypologie

Indirect InsertionMeyah < Bahasa Indonesia

diebebelajardi-ebe-belajar

1SG-LVM-learn

‘ich lerne’

< belajar ‘lernen’

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Lehnverbtypologie

Light Verb Strategy Neugriechisch < Englisch

κάνει κλικkani klik

do.3SG click

‘er/sie klickt (m. e. Computermaus)’

< (to) click

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Lehnverbtypologie

Paradigm Insertion Romani (Agia Varvara) < Türkisch

and o sxoljo ka siklos te okursun ta te jazarsunand o sxoljo ka sikl-os te okur-sun ta te jazar-

sunin ART school FUT learn-2 COMP read-2 and COMP write-2

‘In der Schule wirst du lesen und schreiben lernen.’

< okumak ‘lesen’

< yazmak ‘schreiben’

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Verteilung der Strategien

Strategie E.-Spr. Gen. Fam. Bsp. %

Direct Ins. 207 91 49 309 52,5

Indir. Ins. 86 42 22 121 20,6

Light Verb 104 60 35 140 23,8

Parad. Ins. 3 2 2 3 0,5andere 3 3 2

15 2,6semant. 18 15 12

unid. 6 6 6

no loan vb. 3 3 3

Gesamt 352 142 68 588 100

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Globale Distribution

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Strategie 1 : Direct Insertion

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Strategie 2 : Indirect Insertion

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Strategie 3 : Light Verb Strategy

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Strategie 4 : Paradigm Insertion

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Genealogische Verteilung

Für viele Familien/Genera zu wenige Sprachen Generelle Tendenzen:

– Manche Familien zeigen klare Präferenzen, z.B. Altaisch Indirect Insertion oder Austronesisch Direct Insertion

– Familieninterne Verteilung bei Indo-Europäisch kommt der globalen Verteilung nahe; interne Differenzierung ist also nicht zu unterschätzen

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Typologische Verteilung

Test auf Korrelationen zwischen Strategien und typologischen Faktoren

Daten aus dem World Atlas of Language Structures (WALS)

Schnittmenge: 280 Sprachen 123 der 141 WALS-Features (keine

Doubletten, keine „Sonstige“)

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Typologische Verteilung

WALS Features mit relevanten Korrelationen (Empfängersprachen)83: Order of Object and Verb 81: Order of Subject, Object and Verb 86: Order of Genitive and Noun26: Prexing vs. Suxing in Inectional Morphology90: Order of Relative Clause and Noun 85: Order of Adposition and Noun Phrase82: Order of Subject and Verb94: Order of Adverbial Subordinator and Clause93: Position of Interrogative Phrases in Content Questions 54: Distributive Numerals116: Polar Questions92: Position of Polar Question Particles69: Position of Tense-Aspect Axes7: Glottalized Consonants112: Negative Morphemes

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Typologische Verteilung

Statistisch signifikante Korrelationen weniger bei „verbtypischen“ Parametern als vielmehr bei Parametern der Wortstellungstypologie in den Empfängersprachen. Dort sind zwei universelle Tendenzen erkennbar:

VO-Typ Direct Insertion

OV-Typ Light Verb Strategy Eine – nicht überraschende – Korrelation besteht

zwischen Grad der Affigierung und Strategie (isolierende Sprachen Direct Insertion)

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Typologische Verteilung

Keine statistisch signifikanten Korrelationen zwischen Wahl der Strategie (in der Empfängersprache) und typologischen Parametern der Quellsprache

Fazit: Strategieauswahl ist nicht quellsprachabhängig „Typologische (strukturelle) Inkompatibilität“ ist

nicht nachweisbar.

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Verwendung mehrerer Einbettungsmuster

(mind.) 94 der 352 Empfängersprachen verwenden mehr als ein Einbettungsmuster; oft gehören diese Muster zu unterschiedlichen Strategien

für (mind.) 78 der 553 Sprachenpaare sind mehr als ein Einbettungsmuster belegt

die verschiedenen Muster können gleichzeitig verwendet werden oder oder zu unterschiedlichen Phasen der Sprach(kontakt)geschichte dominieren

Muster- und Strategieauswahl ist nicht direkt abhängig von Sprachpaar oder Zeitpunkt der Entlehnung

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Verwendung mehrerer Einbettungsmuster

Fallbeispiel: FinnischDie „klassischen“ Muster:

Finnisch < Schwedisch

frank-eera-tastamp-LVM-INF

‘frankieren'

< frankera ‘frankieren'

Finnish < unid. Indo-Europ.

maxim-oidamaximize-VBLZ

'maximieren'

< swed. maxim-era

< engl. maxim-ize

< frz. maxim-is-er

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Verwendung mehrerer Einbettungsmuster

Fallbeispiel: FinnischEin modernes Muster…

Finnisch < Englisch

chätä-tä

chat-INF

'chatten (via Internet)'

< (to) chat

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Verwendung mehrerer Einbettungsmuster

Fallbeispiel: Finnisch… und zwei historische Belege

Frühurfinnisch < Germanisch

*pej-ttäcover-CAUS

‘bedecken'

< *bēja-/bēje- ‘bähen‘(durch Bedecken wärmen)

Frühurfinnisch < Germanisch

*nit-tä-cut-VM-

‘schneiden, mähen'

< snīðan ‘schneiden'

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Verwendung mehrerer Einbettungsmuster

Fazit: Eine Tendenz zur strukturellen Vereinfachung ist

zwar erkennbar, aber „einfachere“ Konstruktionen bestanden bereits im Frühurfinnischen. Keine eindeutige Abfolge von Strategien, z.B. von LVS über Indir. Ins. zu Dir. Ins.

Die alten Lehnverben sind zudem Beleg dafür, dass Verben nicht erst in späteren Phasen (intensiven) Sprachkontaktes entlehnt werden (können).

Lehnverbeinbettung(stypen) kein Diagnosekriterium

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Entlehnung und Grammatikalisierung von Einbettungsmustern

Meyah < Bahasa Indonesia

ebe-pikirLVM-think

‘denken'

< pikir ‘denken‘

Funktion von {ebe-}: Einbettung von Lehnverben aus dem Indonesischen. Ähnliche Präfixe gibt es in den Nachbarsprechen Mpur und Abun

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Entlehnung und Grammatikalisierung von Einbettungsmustern

Biak < Bahasa Indonesia

Indya yavemulai farfyár anya.

indya ya-ve-mulai <RED>fár an-yaso 1SG-VBLZ-begin <RED>tell GIV-3SG.SPC

‘Also fange ich an, die Geschichte zu erzählen'

< mulai ‘anfangen‘

Funktion von {ve-}: Relativierer, Hilfsverb, Kausativ, Verbalisierer

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Entlehnung und Grammatikalisierung von Einbettungsmustern

Mansim < Bahasa Indonesia

Wo-tutup war deVBLZ-close water 3SG.POSS

‘er/sie bedeckt das [Glas] Wasser'

< tutup ‘(ver)schließen‘

Funktion von {wa-/we-/wo-}: Verbalisierer / Verbmarkierung

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Entlehnung und Grammatikalisierung von Einbettungsmustern

Ein vergleichbares Szenario liegt der Entwicklung des mhd. LVM und Verbalisierer {-ieren} zugrunde, der aus frz. {-ier} (INF) stammt und letztlich auf lat. {-āre} (INF) zurück geht.

Entlehnungs- und Grammatikalisierungspfad für LVM:

Infinitiv > Flexionsklassenzeichen > Verbalisierer/Kausativ > Lehnverbmarkierung

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Ergebnisüberblick Nachweis, dass es keine generelle „Inkompatibilität“

von Quell- und Empfängersprachen gibt

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Ergebnisüberblick Nachweis, dass es keine generelle „Inkompatibilität“

von Quell- und Empfängersprachen gibt Verben werden nicht grundsätzlich als Nomen bzw.

Nichtverben entlehnt und „re-verbalisiert“.

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Ergebnisüberblick Nachweis, dass es keine generelle „Inkompatibilität“

von Quell- und Empfängersprachen gibt Verben werden nicht grundsätzlich als Nomen bzw.

Nichtverben entlehnt und „re-verbalisiert“. Verben sind nicht generell aufgrund inhärenter

Eigenschaften „schwieriger“ zu entlehnen als andere Wortarten

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Ergebnisüberblick Nachweis, dass es keine generelle „Inkompatibilität“

von Quell- und Empfängersprachen gibt Verben werden nicht grundsätzlich als Nomen bzw.

Nichtverben entlehnt und „re-verbalisiert“. Verben sind nicht generell aufgrund inhärenter

Eigenschaften „schwieriger“ zu entlehnen als andere Wortarten

Einbettungs-Strategien korrelieren zum Teil mit typologischen Faktoren der Empfängersprachen

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Ergebnisüberblick Nachweis, dass es keine generelle „Inkompatibilität“

von Quell- und Empfängersprachen gibt Verben werden nicht grundsätzlich als Nomen bzw.

Nichtverben entlehnt und „re-verbalisiert“. Verben sind nicht generell aufgrund inhärenter

Eigenschaften „schwieriger“ zu entlehnen als andere Wortarten

Einbettungs-Strategien korrelieren zum Teil mit typologischen Faktoren der Empfängersprachen

Wahl der Einbettungsmuster kann nachhaltig von außersprachlichen Faktoren (z.B. Purismus) abhängen.

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Keep on verbing…

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