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Weißbuch zur allgemeinen und beruflichen Bildung Lehren und Lernen *** Auf dem Weg zur kognitiven Gesellschaft

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Weißbuch zur allgemeinen und beruflichen Bildung

Lehren und Lernen

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Auf dem Weg zurkognitiven Gesellschaft

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„Il faut oser tout examiner, tout discuter, tout enseigner même“Condorcet

VORWORT

Ziel des vorliegenden Weißbuchs ist es, eine Situationsanalyse und gleichzeitigAktionsleitlinien für den Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildungvorzulegen. Es stellt eine Umsetzung des Weißbuchs "Wachstum, Wettbewerbs-fähigkeit, Beschäftigung" dar, in dem die Bedeutung der immateriellen Investition,insbesondere in die Bildung und die Forschung für Europa hervorgehoben wurde.Diese Investition in die Intelligenz spielt eine wesentliche Rolle für Beschäftigung,Wettbewerbsfähigkeit und Zusammenhalt unserer Gesellschaften. Mit Blick aufdie Tagung des Europäischen Rates in Madrid wurde in den Schlußfolgerungendes Europäischen Rates von Cannes an die Vorlage dieses Weißbuchs erinnert,wobei er unterstrich: "Die Politik in den Bereichen Ausbildung und Lehre alswesentlicher Faktor zur Verbesserung der Beschäftigungslage und der Wett-bewerbsfähigkeit muß verstärkt werden; dies gilt insbesondere für dieWeiterbildung. "

Es sei an Artikel 126 und 127 des Vertrages zur Gründung der EuropäischenGemeinschaft erinnert. Im erstgenannten Artikel wird ausgeführt, daß "dieGemeinschaft zur Entwicklung einer qualitativ hochstehenden Bildung dadurchbeiträgt, daß sie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten fördert undderen Tätigkeit erforderlichenfalls unterstützt und ergänzt", und im letztgenanntenArtikel heißt es, daß "die Gemeinschaft ... eine Politik der beruflichen Bildung[führt], welche die Maßnahmen der Mitgliedstaaten unterstützt und ergänzt".

Diese Artikel geben einen klaren Rahmen für die Debatte vor, die die Kommissionmit der Vorlage dieses Weißbuchs 1996 einleiten will, in dem Jahr also, das vonParlament und Rat zum Europäischen Jahr für lebenslanges Lernenausgerufen wurde.

Zunächst beschreibt das vorliegende Weißbuch die Bedeutung der allgemeinenund beruflichen Bildung und analysiert die zu beachtenden Entwicklungen. ImAnschluß daran unterstützt es unter Wahrung des Grundsatzes der SubsidiaritätAktionsfelder für die Mitgliedstaaten sowie flankierende Maßnahmen aufGemeinschaftsebene. Die wichtigsten Initiativen, die es gilt 1996 europaweit inGang zu setzen, zielen darauf ab:

- den Erwerb neuer Kenntnisse zu fördern;- Schulen und Unternehmen einander anzunähern;- die Ausgrenzung zu bekämpfen;- das Erlernen von drei europäischen Sprachen zu erreichen;- die Gleichbehandlung zwischen materiellen und bildungsspezifischen

Investitionen zu gewährleisten.

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INHALTSVERZEICHNIS

EINLEITUNG 5

TEIL I: HERAUSFORDERUNGEN 10

I. Die drei großen Umwälzungen 10

A. Die Informationsgesellschaft 11B. Die Globalisierung der Wirtschaft 12C. Die wissenschaftlich-technische Zivilisation 13

II. Eine erste Antwort für den Bereich der Allgemeinbildung 14

A. Die Bedeutung der Dinge erfassen 16B. Verstehensvermögen und Kreativität 17C. Urteils- und Entscheidungsvermögen 17

III. Eine zweite Antwort: Entwicklung der Eignung zur Erwerbstätigkeitund Beschäftigung 18

A. Welche Fähigkeiten sind gefordert? 18B. Wie kann der einzelne eine Eignung zur

Erwerbstätigkeit erlangen? 20

IV. Wege in die Zukunft 32

A. Das Ende der Grundsatzdebatten 32B. Die zentrale Frage: Wege zu einer größeren Flexibilität 33C. Lösungsansätze in den Mitgliedstaaten 34D. Neue Entwicklungen 36

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TEIL II: DER AUFBAU DER KOGNITIVEN GESELLSCHAFT 40

I. ALLGEMEINES ZIEL NR. 1“Die Aneignung neuer Kenntnisse ist zu fördern“ 45

A. Die Anerkennung der Kompetenzen 45B. Mobilität 46C. Multimedia-Bildungssoftware 47

II. ALLGEMEINES ZIEL NR. 2“Schule und Unternehmen sollen aneinander angenähert werden" 49

A. Die Lehrausbildung 51B. Die Berufsbildung 51

III. ALLGEMEINES ZIEL NR. 3“Die Ausgrenzung muß bekämpft werden“ 54

A. Die Schulen „der zweiten Chance“ 54B. Der freiwillige Dienst in Europa 56

IV. ALLGEMEINES ZIEL NR. 4“Jeder sollte drei Gemeinschaftssprachen beherrschen“ 59

V. ALLGEMEINES ZIEL NR. 5"Materielle und berufsbildungsspezifische Investitionen sollen gleichbehandelt werden" 62

Allgemeine Schlußfolgerungen 65

Anhang 1 Fakten und Zahlen 68

Anhang 2 Beispiele aus Gemeinschaftsprogrammen im Bereich derallgemeinen und der beruflichen Bildung 72

Anhang 3 Das Bildungskonzept von Alyat Hanoar 79

Anhang 4 Erfahrungen mit den “Intensivschulen“ (accelerated schools)in den Vereinigten Staaten 82

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EINLEITUNG

Seit mehreren Jahren wird in Europa vergeblich versucht, die Arbeitslosigkeitabzubauen. Die in Zeiten stärkerer Wachstumsperioden neugeschaffenenArbeitsplätze reichen nicht aus, um eine länger anhaltende Trendwende herbeizu-führen. Die Langzeitarbeitslosigkeit hält an, und die Ausgrenzung, insbesondereunter den Jugendlichen, entwickelt sich zu einem der größten Probleme unsererGesellschaft.

Allgemeine und berufliche Bildung gelten als wirksames Mittel zur Bewältigung desBeschäftigungsproblems. Vielleicht ist es erstaunlich, daß die allgemeineAufmerksamkeit sich ihnen erst so spät und erst unter dem Einfluß einerwirtschaftlichen Rezession zuwendet. Gleichwohl kann kaum erwartet werden,daß durch Bildungsmaßnahmen allein weit darüber hinausgehendegesellschaftliche Unzulänglichkeiten ausgeglichen werden können. Die allgemeineund berufliche Bildung können aber allein weder die Frage der Beschäftigungnoch das allgemeinere Problem der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und desDienstleistungssektors lösen. Auch wenn der Vertrag über die Europäische Unionder Gemeinschaft ein Tätigwerden in diesen Bereichen erlaubt, so ist dochausdrücklich vorgesehen, daß Europa nur in Unterstützung und Ergänzung derMaßnahmen der Mitgliedstaaten handeln darf.

Es steht aber auch fest, daß die europäischen Länder heute keine andere Wahlmehr haben. Um ihre Stellung zu behaupten, um weiterhin eine feste Größe in derWelt darzustellen, müssen sie die bei der wirtschaftlichen Integration erreichtenFortschritte durch umfassendere Investitionen in Kenntnisse, Fähigkeiten undFertigkeiten ergänzen.

Die Kommission hat den allgemeinen Rahmen ihrer Analyse in dem auf Initiativevon Jacques Delors ausgearbeiteten Weißbuch "Wachstum,Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung" abgesteckt. Sie hat deutlich gemacht,daß die Entwicklung der allgemeinen und beruflichen Bildung eine Voraussetzungfür die Herausbildung eines neuen Wachstumsmodells mit verstärkter Schaffungvon Arbeitsplätzen ist.

Der Europäische Rat bestätigte dies in seinen Schlußfolgerungen von Essen imDezember 1994 und bekräftigte diese nochmals im Juni 1995 in Cannes unterBezugnahme auf den Bericht der Beratenden Gruppe zur Wettbewerbsfähigkeit.

Wir stehen vor einer doppelten Herausforderung. Zunächst geht es darum,unmittelbar auf den aktuellen allgemeinen und beruflichen Bildungsbedarf zureagieren. Das weitere Ziel ist, die Zukunft vorzubereiten und eineGesamtperspektive zu entwerfen, in welche die Bemühungen der Mitgliedstaatenund der Europäischen Union entsprechend ihren jeweiligen Zuständigkeiten ein-fließen können.

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Seit den 60iger Jahren haben Gemeinschaftsaktionen im Bereich der allgemeinenund beruflichen Bildung bereits sehr beachtliche Ergebnisse hinsichtlich derZusammenarbeit, des Erfahrungsaustauschs, der Unterstützung zur Innovationund Erstellung von Materialien für die Berufsbildung verzeichnet. DieGemeinschaft hat ebenfalls entscheidende Impulse geliefert, um die Mobilität vonStudenten und Auszubildenden zu fördern. Schließlich hat sie zur Förderung desErlernens von Gemeinschaftssprachen und zur Kommunikation zwischeneuropäischen Bürgern beigetragen

Das vorliegende Weißbuch geht bewußt von der Situation des europäischenBürgers aus, ob jung oder erwachsen, der dem Problem der Anpassung an neueZugangs-bedingungen zur Beschäftigung und der Entwicklung der Arbeitgegenübersteht. Dieses Problem betrifft alle sozialen Gruppen und alle Berufe.

Die Internationalisierung des Wirtschaftsaustausches, die Globalisierung derTechnologien und insbesondere die Herausbildung der Informationsgesellschafthaben die Möglichkeiten des Zugriffs zur Information und zum Wissen für deneinzelnen verbessert. Gleichzeitig verlangen all diese Faktoren auch eineVeränderung der erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten und derArbeitssysteme. Diese Entwicklungen schaffen für alle stärkere Unsicherheitengeführt, und für manche führen sie zu unerträglichen Ausgrenzungssituationen.

Es liegt auf der Hand, daß die allen gebotenen neuen Möglichkeiten jedemeinzelnen ein Bemühen um Anpassung abverlangen. Es geht insbesonderedarum, die an unterschiedlichen Stellen erworbenen Grundkenntnisse durchselbstdefinierte Qualifikationen zu ergänzen. Die Gesellschaft der Zukunft wirdalso eine kognitive Gesellschaft sein . In diesem Zusammenhang habeneindeutig die Bildungssysteme eine zentrale Aufgabe. In erster Linie sind dieLehrkräfte aber auch alle Bildungsakteure gefordert, insbesondere dieSozialpartner im Rahmen ihrer Aufgaben, einschließlich derKollektivverhandlungen. Die aktive Teilnahme der Sozialpartner an dieserEntwicklung ist umso wichtiger als sie die Arbeitswelt immer stärker beeinflussenwird.

Die allgemeine und die berufliche Bildung werden noch mehr zum wichtigstenTräger von Identität, Zugehörigkeit, sozialem Aufstieg und persönlicherEntwicklung. Durch die im institutionellen Bildungssystem, im Unternehmen oderim informellen Rahmen erworbene allgemeine und berufliche Bildung gestaltet dereinzelne seine Zukunft und sichert sich seine Entfaltung.

Allgemeine und berufliche Bildung waren immer schon ausschlaggebendeFaktoren für die Chancengleichheit. Die Bildungssysteme haben bereits einewesentliche Rolle bei der Emanzipation und beim sozialen und beruflichenAufstieg der Frauen gespielt. Anstrengungen im Bereich der Bildung können undsollen weiterhin zur unentbehrlichen Gleichheit zwischen Männern und Frauenbeitragen.

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Investitionen in Immaterialgüter und volle Nutzung der Humanressourcen steigerndie allgemeine Wettbewerbsfähigkeit unserer europäischen Gesellschaften,entwickeln die Beschäftigung und tragen dazu bei, die sozialen Errungenschaftenzu bewahren. Die Stellung des einzelnen innerhalb der gesellschaftlichen Bezie-hungen wird zunehmend von seiner Fähigkeit zum Lernen und der Beherrschungvon Grundkenntnissen bestimmt.

Der Einstufung jedes einzelnen nach seinem Wissen und seiner Kompetenzwird daher künftig entscheidend sein. Diese relative Stellung, die man als"kognitive Beziehung" bezeichnen kann, wird die Struktur in unserenGesellschaften immer stärker prägen.

Wissensstand in der Forschung und die Vermittlung durch allgemeine undberufliche Bildung bestimmen die Fähigkeit zur Erneuerung und Innovation.Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang auch die Verbreitung mit den Mitteln derKommunikation.

Die Zukunft der Europäischen Union, ihre Wirkung ergeben sich weitgehend ausihrer Fähigkeit, die Entwicklung dieser kognitiven Gesellschaft zu begleiten. Dabeigeht es vor allem darum, sie zu einer gerechten, fortschrittlichen Gesellschaft zugestalten, die sich auf kulturellen Reichtum und kulturelle Vielfalt gründet. Es gilt,die Voraussetzungen zu schaffen, um ein ständiges, das Leben begleitendeStreben nach allgemeiner und beruflicher Bildung zu stimulieren. Ein permanenterund breiter Zugang zu verschiedenen Wissensformen muß möglich werden. Auchmuß der vom einzelnen erworbene Wissensstand zum Gradmesser für dieindividuelle Leistungsfähigkeit erhoben werden, dessen Definition undAnwendung möglichst eine Gleichbehandlung der Arbeitnehmer garantiert.

Im Berufsleben können sich nicht alle auf dieselbe Art und Weiseentwickeln. Unabhängig von der gesellschaftlichen Herkunft und von derGrundbildung muß jeder jegliche Gelegenheit wahrnehmen, seinen Platz inder Gesellschaft zu verbessern und die eigene Entfaltung zu fördern.Insbesondere gilt dies für die am stärksten benachteiligten Gruppen, die keinenfamiliären und sozialen Rahmen haben, der es ihnen erlauben würde, bestenNutzen aus der in der Schule vermittelten allgemeinen Bildung zu ziehen. Ihnenmüssen Möglichkeiten geboten werden, nicht nur ihren Rückstand aufzuholen,sondern neues Wissen zu erwerben, durch das ihnen sie im Anschluß ihreFähigkeiten besser erkennen können.

Angesichts der Verschiedenheit der nationalen Situationen und derUngeeignetheit globaler Lösungen auf diesem Gebiet kann es keinesfalls darumgehen, ein Modell vorzuschlagen. Ein solches Modell wäre auch wegen derzentralen Rolle, die das individuelle Vorgehen bei der Entwicklung der kognitivenGesellschaft spielt, und angesichts der sozialen und kulturellen Unterschiedezwischen den Mitgliedstaaten zum Scheitern verurteilt. Gegenstand desvorliegenden Weißbuchs ist es, den Weg zu dieser neuen Gesellschaftvorzuzeichnen, wobei die Aktionslinien herausgearbeitet werden sollen, die derEuropäischen Union im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung zurVerfügung stehen. Es handelt sich um Anregungen, Leitsätze und Zielsetzungenals Unterstützung und Ergänzung zu den Bildungspolitiken, die zuerst und vor

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allem in die Kompetenz der nationalen, regionalen und lokalen Behörden fallen.Es geht nicht darum, allgemeine Regeln durchzusetzen, sondern vielmehr darum,ausgehend von einer umfassenden Debatte Übereinstimmungen und auf dieaktuellen Herausforderungen zugeschnittene Instrumentarien herauszuarbeiten.

Trotz der Vielfalt der Bildungssysteme in den Ländern der Union gibt es durchausein europäisches Bildungskonzept, das sich auf gemeinsame historische Wurzelngründet und aus dem heraus sich zum Beispiel die erfolgreiche Zusammenarbeitzwischen Hochschuleinrichtungen erklärt, insbesondere im Rahmen desProgramms Erasmus , das 500 000 jungen Studenten Möglichkeiten zur Mobilitätgeboten hat.

Unter den neuen Bedingungen der Globalisierung der Wirtschaft, der Verbreitungder neuen Technologien und der Gefahren kultureller Gleichförmigkeit ist Europamehr denn je eine geeignete Konzeptions- und Handlungsebene. Die Folgen derFreizügigkeit von Personen und Ideen werden dies in Zukunft bestätigen und eineEinbeziehung der europäischen Dimension in die nationalen Bildungssystemeunverzichtbar machen.

Die allgemeine und die berufliche Bildung im Zusammenhang mit derBeschäftigungsfrage zu betrachten, bedeutet nicht, sie auf ein bloßes Quali-fikationsangebot zu reduzieren. Die allgemeine und berufliche Bildunghaben die wesentliche Funktion, die soziale Integration und die persönlicheEntwicklung der Europäer durch die Vermittlung von gemeinsamen Werten,die Weitergabe des kulturellen Erbes und den Erwerb der Fähigkeit zu selb-ständigem Denken zu gewährleisten .

Gegenwärtig jedoch ist diese grundlegende Funktion bedroht, wenn mit ihr nichteine Aussicht auf Beschäftigung verbunden ist. Jede Familie, jeder in derErstausbildung stehende Jugendliche, jeder Erwerbstätige ist sich inzwischen derin persönlicher wie sozialer Hinsicht zerstörerischen Wirkung der Arbeitslosigkeitbewußt. Mit dem Bemühen, eine überzeugende Antwort auf solche Befürchtungenzu geben, kann das Bildungssystem am sichersten seine Funktion der sozialenIntegration erfüllen. Eine europäische Gesellschaft, die ihre Kinder zu Staats-bürgern erziehen will, ohne daß die Ausbildung in eine Beschäftigungsperspektiveeinmündet, wäre in ihren Grundsätzen bedroht.

Angesichts der Arbeitslosigkeit und der technologischen Umwälzungen geht es beider beruflichen Bildung nicht mehr nur um den Bereich der Erstausbildung.Vielmehr geht es darum, die Berufstätigen zu befähigen, aufbauend auf einer soli-den Basis an Allgemeinbildung, ihre fachlichen und beruflichen Kenntnisse ständigzu aktualisieren.

Das vorliegende Weißbuch geht davon aus, daß in der modernen europäischenGesellschaft die Notwendigkeit der sozialen Eingliederung, der Herausbildung derEignung zur Erwerbstätigkeit sowie der Entfaltung der Persönlichkeit keineunvereinbaren Ziele sind, die im Widerspruch zueinander stehen, sondern imGegenteil eng miteinander verknüpft werden müssen. Der Reichtum Europas aufwissenschaftlichem Gebiet, die Vielfalt seiner Kultur, die Fähigkeit seinerUnternehmen und Institutionen müssen es diesem Kontinent möglich machen,

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seine Grundwerte zu vermitteln und zugleich auf das Erwerbsleben vorzubereiten.Das setzt voraus, daß die europäische Gesellschaft die wesentlichen Trends ihrereigenen Entwicklung richtig deutet.

Von dieser Feststellung ausgehend behandelt das Weißbuch in nachstehenderReihenfolge:

- die Herausforderungen der allgemeinen und beruflichen Bildung für Europaim Zusammenhang mit dem sich gegenwärtig vollziehenden technologischenund wirtschaftlichen Wandel;

- Aktionsleitlinien auf der Grundlage von Zielsetzugen zur Entwicklung einerqualitativ hochwertigen allgemeinen und beruflichen Bildung.

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TEIL I: HERAUSFORDERUNGEN

Zum Ende dieses Jahrhunderts gibtes zahlreiche Gründe für dengesellschaftlichen Wandel, die auchdementsprechend unsere Systemeder allgemeinen und beruflichenBildung beeinflussen. Durch diedemographische Entwicklung wurdedie Lebenserwartung erhöht undzugleich die Alterspyramidetiefgreifend verändert, wodurch sichauch die Nachfrage nach lebens-langer Bildung erhöhte. Diebeträchtlich gestiegene Zahl derberufstätigen Frauen hat in derKindererziehung die traditionelleStellung der Familie gegenüber derSchule verlagert. Die technologischenNeuerungen haben sich auf allenGebieten vervielfacht und neueAnforderungen an den Wissensstanddes einzelnen gestellt. DieKonsumgewohnheiten wie auch derLebensstil haben sichweiterentwickelt und ein starkesUmweltbewußtsein hat sich breitgemacht. All diese Faktoren habenunsere Systeme der allgemeinenund beruflichen Bildung und unsereIndustrieaktivitäten verändert.

Es treten jedoch auch drei großeUmwälzungen auf, die nochdurchgreifender wirken. Sieverändern die Bedingungen derWirtschaftstätigkeit und dasFunktionieren unserer Gesellschaftentiefgreifend und nachhaltig. Eshandelt sich hier um dieHerausbildung der Informations-gesellschaft und die wissenschaftlich-technische Zivilisation sowie um dieGlobalisierung der Wirtschaft. Diesedrei Umwälzungen tragen zurEntwicklung der kognitivenGesellschaft bei . Sie mögen zwarRisiken in sich bergen, aber sie

können ebenfalls Chancen bieten,die es wahrzunehmen gilt.

Die Entstehung dieser Gesellschafthängt von der Fähigkeit ab, denAuswirkungen dieser Umwälzungenzwei große Reaktionenentgegenzustellen: eine erste basiertauf der Allgemeinbildung , einezweite zielt auf die Entwicklung derEignung zur Beschäftigung undzur Erwerbstätigkeit ab.

Die Gestaltung dieser Gesellschafthängt auch davon ab, inwieweit dieAkteure und Institutionen derallgemeinen und der beruflichenBildung dieser Entwicklung, die sichbereits in den Mitgliedstaatenvollzieht, folgen können.

I. Die drei großenUmwälzungen

Europa sieht sich wie die übrige Weltden Auswirkungen der massenhaftenVerbreitung derInformationstechnologien, dem Druckdes Weltmarktes sowie einerbeschleunigten wissenschaftlichenund technischen Erneuerungausgesetzt. Daraus ergibt sich derWunsch nach einer offeneren Welt,wohl mit dem Risiko einer stärkerenwechselseitigen Abhängigkeit, dieaber gleichzeitig auch dieKontaktreudigkeit zwischen denMenschen fördert.

Die Konfrontation mit dertechnologischen und wirtschaftlichenAußenwelt geht in Europa aber miteiner höheren Arbeitslosigkeit alsanderswo einher. Ausgren-zungserscheinungen habenzugenommen. Diese Situation hat beieinigen zu der Auffassung geführt,daß die Technologie inzwischen ein

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echtes Hindernis für denArbeitsmarkt darstellt. Sie hatmanche zu der Meinung veranlaßt,daß durch das Niveau der sozialenSicherheit in den am meistenbetroffenen Ländern Kostenentstehen, die nicht mehr zurechtfertigen sind. Andere wiederumverschanzen sich hinternationalistischen Ideen - Ausdruckder Unfähigkeit zur Gestaltung undUmsetzung eines neuenGesellschaftsmodells.

Das vorliegende Weißbuch vertritt dieAuffassung, daß sich dieeuropäische Gesellschaft in einerÜbergangsphase zu einer neuenGesellschaftsform befindet,abgesehen vonKonjunkturaspekten der heutigenSituation.

A. DieInformationsgesellschaft

Im Bericht "Europa und die globaleInformationsgesellschaft",den eineGruppe hochrangigerPersönlichkeiten unter dem Vorsitzvon Martin Bangemann verfaßte (Mai1994), wird hervorgehoben: "DieInformations- undKommunikationstechnologien habenauf der ganzen Welt bereits eineneue industrielle Revolution einge-leitet, die in ihrer Bedeutung undReichweite den Revolutionen derVergangenheit nicht nachsteht."

Diese Revolution kann - wie dievorhergehenden auch - nicht ohneAuswirkungen auf den Arbeitsmarktund die Beschäftigung bleiben.

Es ist keinesfalls bewiesen, daßTechnologie von sich ausArbeitsplätze vernichtet. In Ländern

mit großem technologischenVorsprung ist es gelungen, in den mitder Informationstechnik verbundenenTätigkeitsfeldern eine Zahl vonArbeitsplätzen zu schaffen, die denStellenabbau auf anderen Gebietenauszugleichen vermag.

Andererseits steht aber auch fest,daß die Informationstechnologiendas Wesen der Arbeit und dieProduktionsorganisation veränderthaben. Diese Veränderungenbewirken gegenwärtig, einen tief-greifenden Wandel in dereuropäischen Gesellschaft .

Massenproduktion macht einerdifferenzierteren Produktion Platz.Der langfristige Trend zu einerdauerhaften Erwerbstätigkeit, d.h. zurunbefristeten Vollzeitbeschäftigung,scheint sich umzukehren. DieProduktionsverhältnisse und dieBeschäftigungsbedingungen ver-ändern sich. Die Unternehmensetzen in ihrer Arbeitsweise auf mehrFlexibilität und Dezentralisierung. DasBemühen um Anpassungsfähigkeit,die Herausbildung von Kooperationenin Netzwerken, der verstärkteRückgriff auf Zulieferfirmen, dieVerstärkung der Teamarbeit sind nureinige der möglichen Auswirkungendes Vordringens der Informa-tionstechnologien.

Bereits jetzt bewirkt dieInformationstechnologie einenWegfall Routinearbeiten, die sichüber Automaten kodieren und pro-grammieren lassen. Der Arbeitsinhaltwird in immer stärkeren Maße vonAufgaben geprägt , die Initiative undFlexibilität erfordern.

Durch Informationstechnologienkönnen Aufgaben besserdezentralisiert und koordiniertwerden, die sowohl zwischen

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Kontinenten wie zwischen Büros einund derselben Etage anfallen.Daraus ergibt sich einerseits einegrößere Eigenständigkeit deseinzelnen Arbeitnehmers in derGestaltung seiner Tätigkeit,andererseits aber auch einschlechterer Überblick über denGesamtrahmen dieser Tätigkeit.Auswirkungen der neuenTechnologien sind: Einerseits dieverstärkte Rolle des menschlichenFaktors im Produktionsprozeß,andererseits die Anfälligkeit derArbeitnehmer gegenüberVeränderungen der Arbeitsorgani-sation, da der einzelne einem kom-plexen Netzwerk gegenübersteht.

Die Informationstechnologiendurchdringen massiv sowohl die mitder Produktion wie auch die mit derallgemeinen und beruflichen Bildungzusammenhängenden Tätigkeitenund bewirken dadurch eineAnnäherung von "Lern-" und"Produktionsmethoden".

Dieser durch dieInformationstechnologienhervorgerufene Wandel hat weiter-reichende wirtschaftliche und sozialeWirkungen: Entwicklung derselbstständigen Erwerbstätigkeit, derDienstleistungstätigkeiten und neuer,sogenannter "quali-fikationsfördernder" Formen derArbeitsorganisation, Dezentralisationder Verwaltung, und flexibeArbeitszeit.

Die Informationsgesellschaft regtschließlich an darübernachzudenken, ob - über die von ihrgebotenen neuen Wissenstechnikenhinaus - ihr Bildungsinhalt für deneinzelnen eine kulturelleBereicherung oder im Gegenteil eineVerarmung darstellt. Bislangkonzentrierte sich die

Aufmerksamkeit auf dieMöglichkeiten der Datenautobahnen,der Revolution der Quasi-Unmittelbarkeit, die INTERNET inden Beziehungen zwischenUnternehmen, Forschern undUniversitäten verursacht. Genausogutkann man jedoch auch befürchten,daß die Qualität, insbesondere derBildungsprogramme, der Multimedia-Welt zu einer Kultur inEinfachausführung führt, in der dereinzelne alle historischen,geographischen und kulturellenBezugspunkte verliert.

Aus diesem Grund bestand dieKommission - vor allem auf dem G7-Treffen in Brüssel im März 1995 zumThema Informationsgesellschaft - sosehr darauf, daß die europäischeProduktion von Bildungssoftwaregefördert werden muß. DieInformationsgesellschaft wird dieUnterrichtsmethoden verändern,indem sie das eher zu passiveVerhältnis zwischen Lehrendem undLernendem durch ein a priorifruchtbares interaktives Verhältnisersetzt. Allerdings kann dieVeränderung der Unterrichtsformennicht gleichzeitig auch dieInhaltsfrage lösen.

B. Die Globalisierung derWirtschaft

Die Globalisierung der Wirtschaft,zweite mobilisierende Umwälzung,hat ihre Umsetzung in einem niedagewesenen freien Kapital-, Güter-und Dienstleistungsverkehrgefunden.

Künftig wird ein weltweiter, differen-zierter Arbeitsmarkt entstehen, undzwar schneller, als man allgemeinglaubt. Es ist zu beobachten, wieGroßfirmen, aber auch Kleinunter-

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nehmen, ja sogar Vertreter freierBerufe Teleports nutzen, um inLändern mit niedrigen LöhnenArbeiten im On-line-Betrieb aus-führen zu lassen.

In ihrem Weißbuch "Wachstum,Wettbewerbsfähigkeit,Beschäftigung" setzte die Kommis-sion eindeutig auf eine weltweiteÖffnung, unterstrich aber auch dieNotwendigkeit, dieser Entwicklungeine europäische Dimension zuverleihen. Sie hob insbesonderehervor, wie wichtig die Erhaltung deseuropäischen sozialen Modells ist.Die Globalisierung hebt dieEignung Europas alsInterventionsebene sogar nochhervor. In einer sich wandelnden undunsicheren Welt stellt Europa einenOrganisationsfaktor dar. Dies wurdein der Handelspolitik, in dertechnischen Harmonisierung desUmweltschutzes, in der Solidaritätzwischen den Regionen wie auch inkonkreten Schritten auf dem Gebietder allgemeinen und beruflichenBildung, so beispielsweise demProgramm ERASMUS, deutlich.Wichtig ist dabei vor allem jedoch,daß Europa die Bürger wissen undfühlen läßt, daß es nicht nur dazuda ist, Vorschriften zu produzieren,sondern sich auch mit ihren All-tagssorgen beschäftigt.

Die Entscheidung für die Öffnung, dieunsere Volkswirtschaften zu einerStärkung ihrer allgemeinenWettbewerbsfähigkeit zwingt, trägtdurch eine effizientere Ressour-cenallokation im Weltmaßstab zumehr allgemeinem Wohlstand bei.Die erfordert jedoch in allen Ländernumfassende Anpassungsprozesseund es besteht das Risiko einessozialen Bruchs, mit all seinennegativen, ja sogar dramatischenFolgen.

C. Die wissenschaftlich-technische Zivilisation

Die Entwicklung derwissenschaftlichen Erkenntnisse, dieProduktion und Verbreitung von

technischen Gütern verlaufen immerschneller.

Es bildet sich ein neues Modell derProduktion von Wissen und Know-how heraus, das höchsteSpezialisierung unddisziplinübergreifende Kreativitätmiteinander verbindet. Die Industriebedient sich immer häufiger der Wis-senschaft, um neue Erzeugnisse zuentwickeln (Speziallegierungen fürSportgeräte, biologische Verfahren inder Umweltindustrie usw.), und diewissenschaftliche Forschung verlangtnach technisch hochentwickeltenAusrüstungen (superschnelleRechner, Hochleistungs-kommunikationsnetze, menschlichesGenom usw.).

Am Ende unseres Jahrhundertsstellt sich eine immer größereVerunsicherung ein . Und parado-xerweise entwickelt sie sich in einerZeit, in der die Wissenschaftbeträchtliche Fortschritte zu verzeich-nen hat (Zurückdrängen des Hungersund zahlreicher Krankheiten,Verlängerung der Lebenserwartung,aber auch zunehmende Mobilitätusw.). Dem Fortschritt gegenübersteht die Angst , die in gewisserWeise an die Diskrepanz zwischenFortschritt und kollektivem Bewußt-sein erinnert, wie sie bereits an derSchwelle vom Mittelalter zur Renais-sance existierte. Die Medienverbreiten oft ein von Gewaltgeprägtes Bild, das zur Verstärkungdieser Angst beiträgt.

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Bessere Information allein reicht nichtmehr aus; durch die Vermittlung vonWissen wird sich dieses Klima derIrrationalität auflösen lassen. Indemman die Verbindung zwischenWissenschaft und menschlichemFortschritt aufzeigt und man sich ihrerGrenzen bewußt ist, wird diewissenschaftlich-technischeZivilisation akzeptiert und es kannsich eine Innovationskultur verbreiten.

In vielen europäischen Ländernbemüht man sich um die Lösungdieses Problems auf zwei Ebenen:kulturell und ethisch.

- Die staatlichen Stellen widmen derFörderung der wissenschaftlich-technischen Kultur große Aufmerk-samkeit. Die einzelstaatlichenAktivitäten zu diesem Thema werdenseit 1993 durch eine echteeuropäische Aktion erweitert undergänzt, die "Europäische Woche derWissenschaftskultur", die mitwachsendem Erfolg in allenMitgliedstaaten der Uniondurchgeführt wird. Die wichtigsteAufgabe aber hat die Schule zulösen. Je solider die in der Schuleerworbenen wissenschaftlichenGrundkenntnisse sind, desto leichterist es, wissenschaftlich-technischeInformationen zu nutzen.

- Die zweite Ebene ist ethischerNatur. Europa muß sich folgendenneuartigen Problemen stellen: DieEntwicklung der Biotechnologien, derUmgang mit intelligenten Maschinen,neue Fortpflanzungsmöglichkeiten,die Erkenntnisse über unser Zusam-menleben mit anderen Arten, derUmweltschutz. Dies trifft auch auf dieInformationsgesellschaft zu. Esbesteht die Gefahr, daß dieDatenautobahnen, zu denen dieJugendlichen und auch die Kinderimmer leichteren Zugang haben, mitzahlreichen, die Menschenwürdeverletzenden Informationen überflutetwerden. Damit stellt sich mit allerDeutlichkeit das Problem desJugendschutzes. Diese ethischeDimension muß sowohl in dieschulische Ausbildung als auch in dieAusbildung für Wissenschaftlermiteinbezogen werden.

Dieser drei Umwälzungen undihrer Konsequenzen für Industrieund Beschäftigung wird man sicheuropaweit, in allenMitgliedstaaten, immer deutlicherund stärker bewußt. Als ein Beispielaus einem Mitgliedsland sei hier der

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Bericht der deutschen Bundesregie-rung (Bundesministerium fürWirtschaft) über die"Zukunftssicherung des Wirtschafts-standorts Deutschland" vomSeptember 1993 genannt. Aufeuropäischer Ebene verdeutlichendas Weißbuch zu "Wachstum,Wettbewerbsfähigkeit,Beschäftigung" und die Schlußfolge-rungen des Europäischen Rates vonEssen, die in Cannes nochmalsbekräftigt wurden, diese Bewußt-werdung, indem sie die engeVerbindung zwischen Wettbe-werbsfähigkeit, Beschäftigung undallgemeiner und beruflicher Bildunghervorheben.

Die Reaktionen auf diese dreiUmwälzungen sind vielfältiger Art undsie erfordern tiefgreifendeAnpassungen an die europäischeGesellschaft.

Das Hauptziel der beruflichen Bildungist es, die Eigenständigkeit derPerson und ihre beruflichenFähigkeiten, das heißt dieAnpassung und Weiterentwicklung,zu fördern. Daher heißen die beidenwichtigsten Antworten diesesWeißbuchs, zum einen allenMenschen den Zugang zurAllgemeinbildung zu ermöglichen,und zum anderen, die Eignung zurBeschäftigung undErwerbstätigkeit zu verbessern.

II. Eine erste Antwort für denBereich der Allgemeinbildung

In Zukunft muß der einzelnezunehmend komplexe Situationen er-fassen, die sich in unvorhersehbarerWeise entwickeln, aber dank derFortschritte in der Wissenschaftbesser beherrschbar sein dürften.Jeder wird einer wachsenden Vielfalt

gegenständlicher Objekte,gesellschaftlicher Situationen,geographischer oder kultureller Zu-sammenhänge gegenüberstehen undmit fragmentarischen, unzusammen-hängenden Informationen überhäuft ,die zu einer Vielzahl vonTeilauswertungen und -analysenführen.

Es besteht also die Gefahr einerSpaltung der europäischenGesellschaft in diejenigen, die zurAuswertung fähig sind, indiejenigen, welche nur zurVerwendung in der Lage sind, undin diejenigen, die am Rande derGesellschaft von derenUnterstützung leben; mit anderenWorten in Wissende undUnwissende.

Die Herausforderung für diekognitive Gesellschaft besteht darin,den Abstand zwischen diesenGruppen zu verringern undgleichzeitig die Entwicklung undFörderung der gesamtenHumanressourcen zu ermöglichen.

Man kann die Welt verstehen, wennman ihren Sinn wahrnehmen, ihreFunktionen begreifen und seineneigenen Weg finden kann. Darin liegtdie wichtigste Funktion der Schule.Man könnte diese Erkenntnis ganzspeziell auf den Aufbau Europasanwenden. Indem die Schule denJugendlichen eine Allgemeinbildungvermittelt, mit der sie in die Lageversetzt werden, komplizierteErscheinungen zu erfassen undderen Zweckbestimmung undhistorische Dimension zu erörtern,schafft sie die Fundamente füreuropäisches Bewußtsein undUnionsbürgerschaft.

Ebenso ist die Entwicklung derAllgemeinbildung, d.h. der Fähigkeit

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zum Begreifen, zum Verstehen undzum Beurteilen der erste Faktor derAnpassung an die Entwicklung derWirtschaft und des Arbeitsmarktes.Im Bericht des Runden Tisches dereuropäischen Wirtschaft (Februar1995) wird auf die Notwendigkeiteiner polyvalenten beruflichenBildung hingewiesen, die sich auferweiterte Kenntnisse gründet, dieSelbständigkeit fördert und dieBereitschaft zum lebenslangenLernen weckt. “Die grundlegendeAufgabe der allgemeinen Bildung ist,jeden einzelnen in die Lage zuversetzen, sein ganzes Potential undeine vollständige Persönlichkeit zuentwickeln, nicht aber ein Werkzeugfür die Wirtschaft zu werden; derErwerb von Kenntnissen undFertigkeiten muß mit einer Schulungdes Charakters, einer kulturellenÖffnung und der Weckung der so-zialen Verantwortung einhergehen. “

Diese Forderung nach einem solidenund umfassenden Basiswissensowohl im literarisch-philosophischenals auch im wissenschaftlich-technischen und praktischen Bereichgilt nicht nur für die Erstausbildung.An unzähligen Beispielen wirddeutlich, daß die beruflicheUmschulung vonminderqualifizierten oder aufgrundder Taylorisierung der Arbeit sehrspezialisierten Beschäftigten dieAneignung eines solchen Basis-wissens als notwendige Brückezur Aneignung neuer technischerFertigkeiten einschließt . Die Berufs-bildungszentren sehen sich in zuneh-mendem Maße veranlaßt, bei derUmschulung von Arbeitnehmernzuerst deren Allgemeinbildungaufzufrischen, bevor sie sie auf einenneuen Beruf vorbereiten.

Geht es darum, das allgemeineUnterrichtswesen und die berufliche

Fachausbildung in Einklang zubringen, so läßt sich eine immerstärkere Annäherung zwischen denUnternehmen und denBildungsakteuren feststellen.

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Ganz allgemein gesagt, läßt sich einemachtvolle Rennaissance derAllgemeinbildung als Instrumentzum Verstehen der Welt außerhalbdes schulischen Rahmens feststellen.

A. Die Bedeutung der Dingeerfassen

In der kognitiven Gesellschaft ist einesoziale und kulturelle Identität ihremuniversellen Wesen nach nur mehrteilweise vermittelbar. Sie muß nichtnur von der Schule, deren Funktionunersetzbar bleibt, sondern vonjedem selbst entwickelt werden,indem er aus dem kollektivenGedächtnis schöpft und verschie-denste Informationen aus der ihnumgebenden Welt aufnimmt, durchdas Hineintauchen in verschiedeneberufliche, soziale und kulturelleMilieus.

Die Zukunft der europäischen Kulturhängt von der Fähigkeit ab, derJugend die Schlüssel in die Hand zugeben, alles in Frage zu stellen, ohnejedoch an die Persönlichkeitswerte zurühren. Genau das ist die Grundlagefür Bürgersinn in einer offenen,multikulturellen und demokratischeneuropäischen Gesellschaft.

Aus diesem Blickwinkel herausbetonen die größten Gelehrten, wiewichtig eine ausreichendewissenschaftliche Bildung - dienicht auf eine mathematische Bildungreduziert werden darf - für dierichtige Ausübung der Demokratieist . Unsere Demokratien arbeitennach dem Prinzip, Entscheidungenzu wichtigen Problemen,mehrheitlich zu fällen. Es handelt sichdabei insbesondere um Probleme derUmwelt oder der Ethik. Sie könnennur dann vernünftig gelöst werden,wenn wir die Jugend mit einer soliden

wissenschaftlichen Bildungausstatten. Heutzutage werdenEntscheidungen auf diesen Gebietenzumeist nach subjektiven undemotionalen Kriterien getroffen, ohnedaß die Mehrheit tatsächlich über dieerforderlichen Kenntnisse für einesachkundige Entscheidung verfügt.Natürlich soll nicht jeder Bürger zueinem wissenschaftlichen Expertenwerden, aber er soll eine objektiveWahl in Bezug auf sein Umfeldtreffen können und in die Lage ver-setzt werden, den allgemeinen Sinnund die sozialen Implikationen dervon den Experten geführten Debattenzu verstehen. Außerdem muß dereinzelne lernen, sein Wahlverhaltenals Verbraucher zu finden.

Er muß auch lernen, inSystemkategorien zu denken undsowohl individuell als auch alsAngehöriger einer Gruppe, als Nutzerwie als Staatsbürger, aufzutreten under muß in der Lage sein, sich diewerte der wissenschaftlichen Arbeitbesser zu eigen zu machen..

Die literarische undphilosophische Bildung spielt diegleiche Rolle gegenüber der vonden Massenmedien und bald vonden großen Informatiknetzen "imWildwuchs" vermittelten Bildung .Sie entwickelt das Urteilsvermögenund die Kritikfähigkeit auchgegenüber einer vorherrschendenMeinung, und sie kann vorManipulation schützen, indem sie esermöglicht, die bereitgestelltenInformationen zu entschlüsseln.

Trotzdem sollte man die Bildungsrolleder Massenmedien unterstreichen.Vollprogramme wie etwa BBC imVereinigten Königreich oderSpartenkanäle wie "La Cinq" inFrankreich bieten insbesondere inSendungen zu festen Uhrzeiten den

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Fernsehzuschauern regelrechteFortbildungsmenüs an.

Gemeinsam mit den Behördenverwirklichen die Massenmedienauch pädagogische Zielsetzungen,die man mit klassischen Mitteln nichterreichen könnte. So hat BBC

beispielsweise vor kurzem mitgroßem Erfolg eine gezielteKampagne ("Read and Write") zurBekämpfung des Analphabetismusgestartet. Sie zielte darauf ab, diePraxis des Lesens und Schreibens zufördern, und richtete sich anbenachteiligte Familien, an Eltern wiean Kinder.

Eine solide Basis anAllgemeinbildung gibt dem Bürger dieMöglichkeit, sich in der Informa-tionsgesellschaft zurechtzufinden,d.h. seinen Platz zu bestimmen unddie Bilder und Daten, die aus vielerleiQuellen auf ihn einstürmen, kritischeinzuordnen und zu verstehen.

B. Verstehungsvermögen undKreativität

Die Fähigkeit zu verstehen, bedeutetdas Vermögen, den Aufbau und denZerfall von Dingen zu analysieren unddas vorliegende Weißbuch will aufdie entscheidende Frage derInnovationspädagogik aufmerksammachen.

Die noch weitverbreitete Normierungdes Wissens geht in der Tat zu weit.Sie führt zu der Auffassung, daß derLernprozeß nach einer strenglogischen Ordnung abläuft und daßein deduktives System, in dem dieMathematik eine vorherrschendeRolle spielt, privilegiert wird. Einsolches System kann oftmalslähmend auf den Schüler wirken unddessen Phantasie töten.

Eigenschaften wie Beobachtungs-gabe, gesunder Menschenverstand,Neugier, Interesse für die unsumgebende materielle und sozialeWelt sowie die Neigung zumExperimentieren werdenvernachlässigt und wenig geschätzt.Eigenschaften. Aber gerade sieermöglichen es, kreative Menschenund nicht bloß Verwalter vonTechnologien auszubilden.

In der früheren Gesellschaft - ganzgleich, ob überwiegend ländlich odergewerblich, war der Unterrichtvorrangig auf die Vermittlungabstrakten Wissens als Ergänzung zupraktischen Kenntnissen, die mansich im täglichen Leben, außerhalbder Schule, aneignete, ausgerichtet.In einer verstädterten, auto-matisierten, medienbeeinflußtenGesellschaft verarmte und verändertesich diese praxisbezogene Bildung .Es ist unbedingt erforderlich siewieder als festen Bestandteil in dieAllgemeinbildung aufzunehmen, umden Menschen in die Lage zuversetzen, die technischen Hilfsmittelaktiv zu beherrschen.

Um diese Fähigkeiten zu entwickeln,muß man den Reichtum derErfindung, den Weg, der zu ihrgeführt hat, deutlich machen. Vondiesem Gesichtspunkt aus müssenalle gegenwärtig in denMitgliedstaaten entwickeltenMaßnahmen gefördert werden, diesich zum Ziel setzen, die Geschichtevon Wissenschaft und Technik in dieSchulausbildung einzubeziehen unddie Verbindung zwischen Forschungund Grundbildung zu stärken.

C. Urteils- undEntscheidungsvermögen

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Das Urteils- undEntscheidungsvermögen ist eineweitere unabdingbare Voraus-setzung, die Welt zu verstehen. Siesetzt Auswahlkriterien, die Erinnerungan die Vergangenheit und dieIntuition der Zukunft voraus.

Auswahlkriterien bilden sich ausgesellschaftlichen Werten, ausMethoden zum Verständnis derKomplexität der Welt, aus derpersönlichen Ethik jedes einzelnen.

Die Erinnerung und das Verständnisder Vergangenheit sind unerläßlich,um ein Urteil über Gegenwärtiges zufällen. Die historische undgeographische Bildung (wobei derBegriff 'historisch' die Geschichte derWissenschaft und der Technikeinschließt) dient der zeitlichen undder räumlichen Orientierung, die fürdie persönlichen Wurzeln, die Ent-wicklung des kollektiven Zugehörig-keitsgefühls zur Gemeinschaft unddas Verständnis für anderewesentlich ist. Im Gegensatz dazu seibemerkt, wie aufschlußreich es dochist, daß in allen autoritären und dik-tatorischen Gesellschaftsformen eineVerkümmerung und Verfälschungdes Geschichtsunterrichts zu ver-zeichnen ist. Der Verlust deshistorischen Erinnerungsvermö-gens muß mit dem Verlust vongemeinsamen Bezugsgrößen undAnhaltspunkten bezahlt werden . Esist nicht verwunderlich, daß inErmangelung vonGeschichtskenntnissen der europäi-schen Zivilisation so gängige Aus-drücken wie "durch die Wüsteziehen", "Kreuzweg", "Eureka", "einsalomonisches Urteil" oder "Turm zuBabel" in Vergessenheit geraten.

Schließlich muß man, um die Intuitionder Zukunft zu ermöglichen, die Weltnicht als fertiges Bauwerk, sondern

als Bauprojekt sehen.

Die Schule soll die Entwicklungder Kritikfähigkeit auf allenEbenen, bei den Jugendlichen wiebei den Lehrkräften, nicht nurzulassen, sondern auch aktivfördern . Ihre Offenheit, zu förderndeZusammenarbeit, die Vorbereitungauf das Berufsleben dürfen sie nichtvon der Erfüllung ihrer wichtigstenFunktion abhalten: junge Menschenin ihrer persönlichen und sozialenEntwicklung zu lenken. Das vor-liegende Weißbuch vertritt dieAuffassung, daß diese beidenForderungen in einer künftigenGesellschaft noch besser vereinbarsein werden als in der Vergangenheit.

III. Eine zweite Antwort:Entwicklung der Eignung zurBeschäftigung und zurErwerbstätigkeit

Eine der heute zentralen Fragen, aufdie das vorliegende Weißbuch eineAntwort zu geben versucht, bestehtdarin, wie man allgemeine undberufliche Bildung zur Schaffung vonArbeitsplätzen und wirtschaftlichenAktivitäten in den Ländern Europasnutzt, auch durch eine Globalisierungder Wirtschaft und durch Einsatzneuer Technologien.

Zwei Fragen lassen sich darausableiten: Welche Fähigkeiten sindgefordert? Wie kann man sieerwerben?

A. Welche Fähigkeiten sindgefordert?

In der modernen Welt kann Wissenim weiteren Sinn als eineKombination vonGrundkenntnissen sowie

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Fachkenntnissen und sozialenKompetenzen definiert werden. Eineausgewogene Kombination dieser imoffiziellen Bildungssystem, in derFamilie, im Unternehmen und überverschiedene Informationsnetzeerworbenen Kenntnisse. Mit anderenWorten, das übertragbareAllgemeinwissen , das für dasBerufsleben von größtem Nutzen ist.

Grundkenntnisse sind bilden dieBasis für die persönliche Eignungzur Erwerbstätigkeit. Sie fallen in deneigentlichen Bereich des in-stitutionellen Systems derallgemeinen und beruflichen Bildung.In der Grundschulausbildung solltedas richtige Maß zwischenWissenserwerb und methodischenFertigkeiten, die ein selbständigesLernen ermöglichen, gefundenwerden. Und gerade das muß heuteentwickelt werden.

Die europäischen Länder haben sichin den letzten Jahren dafürentschieden, den Grundstufenunter-richt auf das Erlernen des Lesens,Schreibens und Rechnens zukonzentrieren, um schulischeMißerfolge zu vermeiden bei dersozialen Ausgrenzung einewesentliche Rolle spielen.

Der Bildungsprozeß setzt immerhäufiger zu einem sehr frühenZeitpunkt, d.h. im Vorschulalter, ein.Es kann beobachtet werden, daßKinder, die einen Kindergartenbesuchten, ihre Schulzeiterfolgreicher absolvieren als andere,höhere Bildungsabschlüsse erreichenund sich offenbar leichter eingliedernlassen.

Gleichfalls gilt es, das Erlernen vonFremdsprachen zu unterstützen. Andieser Stelle seien die Erfahrungenvon Euroling, einem im Rahmen von

SOKRATES unterstützten Projekt,erwäht, das Unterrichtsmaterial indrei Sprachen (Italienisch, Spanischund Niederländisch) entwickelt hat.Das frühzeitige Erlernen vonFremdsprachen vom Kindergarten anmüßte Bestandteil derGrundkenntnisse sein. DieKommission ist der Ansicht,daßdem Erwerb von mindestens zweiFremdsprachen im Laufe derSchulzeit eine vorrangige Stellungeinzuräumen ist, wie dies imzweiten Teil des Weißbuchsvorgeschlagen wird.

Fachkenntnisse ermöglichen eineeindeutige Zuordnung zu einemBeruf. Sie können teils im Rahmender allgemeinen und beruflichenBildung, teils im Betrieb erworbenwerden. Sie haben sich mit denInformationstechnologien beträchtlichgewandelt, und ihr Bezug zum Berufist deshalb heutzutage nicht mehr soeindeutig. Zu diesen Kenntnissengehören auch die sogenannten"Schlüsselkompetenzen", derenumfassende Definition noch aussteht,die sich aber auf mehrere Berufebeziehen und somit eine zentraleRolle für einen Arbeitswechselspielen. In diesem Kontext ist eingenerelles Vertrautmachen mitInformationstechnologien zu einerNotwendigkeit geworden.

Allerdings darf man die Frage desErwerbs von Fachwissen nicht allein

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auf die Spitzensektoren oder neuenTätigkeitsbereiche reduzieren. In seitlangem bestehenden undhochleistungsfähigenWirtschaftszweigen besteht eineechte Tradition hochgradigerKompetenzen, häufig direkt übereine Gesellenzeit. Diese Traditionstellt eine noch immer brauchbareInspirationsquelle dar, dieArbeitnehmer hervorzubringenvermag, die das Know-how voll undganz beherrschen und weitergeben.

Die sozialen Kompetenzenbetreffen beziehungsorientierteFähigkeiten, das Verhalten zur Arbeitund eine Reihe von Kompetenzen,die dem erreichten Grad derVerantwortung entsprechen: dieFähigkeit zur Zusammenarbeit undzur Teamarbeit, die Kreativität unddas Streben nach Qualität. DieBeherrschung derartigerKompetenzen kann jedoch erst imErwerbsleben, also vorrangig imBetrieb erreicht werden.

Die Eignung eines Individuums zurErwerbstätigkeit, seineSelbständigkeit und sein Anpas-sungsvermögen hängen davon ab,wie es diese unterschiedlichenKenntnisse zu kombinieren und zuentwickeln vermag. Hier wird dereinzelne zum wichtigsten Akteur undGestalter seiner Qualifikation; er mußin der Lage sein, die von den offi-ziellen Bildungseinrichtungenübermittelten Kompetenzen mitden in seiner beruflichen Praxisund durch seine persönlichen Be-rufsbildungsinitiativen erworbenenKompetenzen zu kombinieren.

Notwendig sind folglich eine Ver-vielfachung der Bildungsangeboteund Querverbindungen zwischen denBildungswegen, umfassendereMöglichkeiten für Einblicke in dieBerufspraxis in der berufsvorberei-tenden Phase sowie die Schaffungaller Mobilitätsvoraussetzungen, umes jedem zu ermöglichen, seineEignung zur Erwerbstätigkeitherauszubilden und zu entwickelnund seinen Weg im Berufslebenbesser zu beherrschen.

B. Wie kann der einzelne eineEignung zur Erwerbstätigkeiterlangen?

1. Der traditionelle Weg: dasDiplom

Der einzelne strebt heutzutage häufigeine berufliche Ausbildung mit einemmöglichst attraktiven Abschluß anund setzt seine Schulbildungmöglichst lange fort. In gleicherWeise gibt er unter den sich ihmbietendenBerufsbildungsmöglichkeiten denenden Vorzug, die zu einemanerkannten Abschluß führen.

In allen Mitgliedstaaten beobachtetman eine Entwicklung zurVerlängerung der Ausbildungszeitenund einen starken sozialen Druck, um

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einen Zugang zu Hochschulstudienund somit eine Anhebung desBildungsniveaus für eine möglichstgroße Zahl von Jugendlichen zuerreichen. Diese Erscheinung be-obachtet man auch bei denJugendlichen, die sich für eineBerufsausbildung entschiedenhaben, und selbst bei denen, diebereits über erste beruflicheErfahrungen verfügen. Darausergeben sich Attraktivitätsproblemefür Berufsausbildungsgänge, die inzahlreichen Mitgliedstaaten lediglichals zweitrangige Möglichkeiten miteingeschränktenAufstiegsperspektiven angesehenwerden. Die Jugendlichen ziehen inder Regel allgemeine Ausbildungs-gänge vor, selbst auf die Gefahr hin,sich in ihrer Erwerbstätigkeit über-qualifiziert zu fühlen.

Dieses Verhalten der Jugend istheutzutage verständlich; denn einhohes Bildungsniveau und ein Ab-schlußdiplom sind immer noch mitAbstand die beste Garantie für eineArbeitsstelle. Vom sozialen Stand-punkt aus ist dies jedoch einproblematisches Verhalten. Jugend-liche mit einem geringeren Qualifika-tionsniveau werden auf Stellen mitniedrigerer Qualifikation als die, diesie glaubten beanspruchen zukönnen, abgedrängt. Dieser Warte-schlangeneffekt trifft schließlich dieArbeitnehmer mit dem am niedrigstenbewerteten Ausbildungsabschluß unddiejenigen, die gar keinen vorweisenkönnen, und wird zu einem wichtigenFaktor der sozialen Ausgrenzung. DieÜberqualifizierung der Stelleninhaberbehindert gleichzeitig auch densozialen Aufstieg im Unternehmen.

In den meisten europäischenSystemen dienen Diplome alsFilter auf der obersten Ebene derFührungselite von Behörden,Unternehmen, Forschern undLehrkräften. Sie gelten in manchenLändern sogar als quasi absoluteKompetenznachweise, was starkdazu motiviert, lange Studiengängezu absolvieren und sein Glück inBildungsgängen mit strengenAuswahlkriterien zu versuchen. Fastüberall wird die Einstufung einesErwerbstätigen an seinemArbeitsplatz nach der Wertigkeit desAbschlusses, den er vorweisen kann,vorgenommen. So logisch sie seinmag, diese Übereinstimmung vonAbschluß- und Stellenbewertungverstärkt die innere Starre desArbeitsmarktes.

Die Gesellschaft kann auf dieseWeise Talente "eliminieren", die zwarvom Durchschnittsprofil abweichen,aber innovatorische Fähigkeitenbesitzen. So erzeugt sie häufig eineElite, die für das geistige Potential derverfügbaren Humanressourcen wenigrepräsentativ ist. DieserGesichtspunkt wird in mehrerenkürzlich durchgeführtenUntersuchungen bestätigt, aus denenhervorgeht, daß die eliteträchtigstenAusbildungsgänge zumeist vondenen absolviert werden, die aus denoberen Schichten der Führungskaderund der Intelligenz stammen.

Natürlich soll hier nicht gegenderartige Abschlüsse argumentiertwerden. Es bleibt selbstverständlicherforderlich, die von denMitgliedstaaten zugestandenen und

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durch die Union unterstütztenumfassenden Bemühungen zurVerbesserung der Erstausbildung imRahmen der ProgrammeSOKRATES und LEONARDOfortzusetzen. Aber parallel dazu giltes, einen Weg einzuschlagen, aufdem die Qualifikationen unabhängigvon der Art ihres Erwerbs bewertetund die Möglichkeiten eines jedendurch eine bessere Berücksichtigungder Bedürfnisse der Menschen undUnternehmen erhöht werden. Einoffenerer und flexiblerer Ansatz isterforderlich: Förderung deslebenslangen Lernens und desständigen Erwerbs neuerKompetenzen.

2. Der moderne Weg: dieEingliederung in ein Netzwerkder Zusammenarbeit, derallgemeinen und beruflichenBildung und des Lernens

Damit jeder eine größereVerantwortung für den Aufbau seinerQualifikation übernehmen kann, mußer sich zunächst einmal einfacher indie institutionalisierten Systeme derberuflichen Bildung eingliedernlassen. Das setzt voraus, daß dereinzelne diese kennt, daß sie einerbreiteren Zielgruppe offenstehen unddaß sich die Mobilität zwischen deneinzelnen Zweigen verstärkt.

Zwei Lösungen kommen in Frage:entweder wird das Niveau desAbschlusses beibehalten und essteigt in diesem Fall die Zahl derJugendlichen ohne Berufsabschluß,oder die Zahl der Abschlüsse unddamit die der Jugendlichen, die diesewählen, wird stark erweitert, wobeidiese sich unausweichlich fragenmüssen, welche Qualität denn nun ihrAbschluß hat.

Sämtliche Mitgliedstaaten werden inregelmäßigen Abständen mit diesenFragen konfrontiert. Ebenfalls istüberall zu beobachten, daß einebeträchtliche Zahl von Jugendlichenohne Abschluß aus demBildungssystem ausscheidet, dies alspersönliches Versagen bewertet undohne anerkannte Kompetenz einegeschwächte Stellung auf demArbeitsmarkt hat.

Dieses Weißbuch regt dieErprobung einer dritten Lösung an,die es bereits in einigen

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Mitgliedstaaten gibt, ohne denWert der Abschlüsse in Frage zustellen, sondern im Gegenteil, ihreQualität zu sichern. Diese Lösungbesteht darin, Teilkompetenzen aufder Grundlage eines zuverlässigenSystems zu akkreditieren. Wernicht den Weg über das formaleBildungssystem einschlägt, der wirdauf diese Weise zurWeiterentwicklung seinerKompetenzen ermutigt. Hier geht esnicht mehr um eine Qualifizierung imweiten Sinne, sondern umKompetenzen in allgemeinen oderberuflichen Wissenszweigen(Fremdsprachen-kenntnisse,bestimmtes Niveau in Mathematik,Buchführung, Kenntnisse inTabellenkalkulation, Text-verarbeitung usw.). Dieses Strebennach Teilkompetenzen kann auch fürErwachsene in Frage kommen, diesich autodidaktisch oberflächlicheKenntnisse (etwa in Informatik)angeeignet haben und nun zu ihrerVertiefung ermutigt werden.Selbstverständlich würde einderartiges Akkredtitierungssystem esermöglichen, daß das im Betrieberworbene technische Wissen, dasvom Unternehmen meistens internbewertet wird, auf breiterer BasisAnerkennung findet.

Aber ganz gleich, ob Wissen undKompetenzen nun im Rahmen einesformalen Bildungssystems oder aufinformellerem Weg erworben werden,der einzelne muß in seinemVorhaben unterstützt werden. Dieleistungsstärksten Verfahren derallgemeinen und beruflichen Bildungsind diejenigen, die in Form einesNetzwerks funktionieren. Dabei kann

es sich um Netzwerke vonEinrichtungen (Einrichtungen derallgemeinen und beruflichen Bildung,die mit Familien und Unternehmenzusammenarbeiten) oder uminformelle kognitive Netzwerke(Volkshochschulen, kooperativeKollegien usw.) handeln, die sichheutzutage rasch weiterzuentwickelnscheinen.

a) Den Zugang zur allgemeinenund beruflichen Bildungfördern

Nachdem die wesentlichenGrundkenntnisse erworben sind,müssen zwei Grundbedingungenerfüllt sein, damit ein jeder in derLage ist, seiner Verantwortung für dieGestaltung seinesQualifikationsprofils gerecht zuwerden:

• ausreichende informationen undOrientierungshilfen;

• Zugang zur Bildung mit allenMobilitätsmöglichkeiten.

i) Information und Orientierungsind die erste Bedingung.

Der Jugendliche auf der Suchenach Orientierung und derErwachsene in der Berufsbildungoder Fortbildung sehen sich einemvielfältigen Angebot gegenüber,das von Bildungsträgern oder garBehörden ausgeht. In Europastehen heute bessere Informa-tionen für die Auswahl einesHotels oder Restaurants als für dieeiner Ausbildung zur Verfügung.

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Bessere Informationen zur Verfügungzu stellen, beinhaltet aber auch , daßzuvor Möglichkeiten zur Erfassungdes Bildungsangebotes geschaffenwerden. Ebendies unterstreicht derBericht der Beratenden Gruppe zuWettbewerbsfragen, die dieSchaffung von "Zentren fürWissensressourcen" vorschlägt, dieals Schnittstelle zwischen Angebotund Nachfrage nach Informationenüber die berufliche Bildung dienen.

Das bedingt auch, eine Bewertungder Bildungsangebote, dieunabhängig, d.h. außerhalb derBildungssysteme durchzuführen ist.Es soll sich hier um eine einfacheMethode handeln, die eindeutige Ein-stufungen und Vergleiche ermöglichtund die tatsächliche Auswirkung dereinzelnen Ausbildungsgänge auf dieEignung zur Erwerbstätigkeit deutlichmacht Es ist außerdem wichtig zubewerten, inwieweit dieBerufsbildung dazu beiträgt, dieAufspaltung des Arbeitsmarktes zuverringern und Frauen zu ermutigen,jene Berufe (hauptsächlich imBereich der Technologie) zuergreifen, die traditionsgemäß vonMännern ausgeübt werden . Mit einersolchen Bewertung wird es möglich,das erste Hindernis bereits bei derOrientierung aus dem Weg zuräumen.

Das zweite Hindernis bei derOrientierung besteht in derSchwierigkeit, die weitere Ent-wicklung der erforderlichen Berufeund Fähigkeiten vorauszusehen.Wenn diese Frage auf dereuropäischen Ebene erörtert würde,

ergäben sich umfassendereVergleichsmöglichkeiten, die zu ihrerKlärung beitragen könnten.

Das dritte Hindernis besteht in derMentalität selbst. WichtigeFortschritte wurden errungen;allerdings beeinträchtigt die sozialeHerkunft weiterhin die gewählteOrientierung jedes einzelnen undbeeinflußt sie sogar zum Nachteileines sozialen Aufstiegs.

ii) Ein umfassender, ungehinderterZugang unter Berücksichtigungder individuellen Eignungen undBedürfnisse ist die zweiteBedingung.

• Um diese Bedingung zuerfüllen, muß zunächst dieMobilität zwischen denBildungs- einrichtungengewährleistet sein. Sie hat sichin den Mitgliedstaaten deutlichentwickelt und; dieseEntwicklung muß gefördert.werden.

Auch auf europäischer Ebene hatsich Mobilität entwickelt,insbesondere durch dasGemeinschaftsprogrammERASMUS. Sie ist aber nach wie vorunbefriedigend.

Zwei wesentliche Hindernisse stellensich der beruflichen Mobilität derPersonen entgegen - ganz gleich, obes sich hierbei um Arbeitskräfte (ab-hängig Beschäftigte, Lehrkräfte, For-scher, aber auch Arbeitslose) oderum in der Ausbildung befindlichePersonen handelt, insbesondere

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Schüler und Studenten.

Da gibt es zunächst die großeSchwierigkeit, Anerkennung derKompetenzen innerhalb der Unionzu erreichen. Die gegenseitigeAnerkennung von Abschlüssen istfür reglementierte Berufszweigegarantiert und von dergemeinschaftlichenRechtsprechung bestätigt.Siestößt aber immer noch aufBeschränkungen bei den anderenBerufen. Die Anerkennung jenerElemente aus denen sich derQualifikationsabschlußzusammensetzt - die akademischeAnerkennung - wurde bisher nochnicht gewährleistet, außer wennsie im Rahmen der von derGemeinschaft gefördertenZusammenarbeit zwischenHochschuleinrichtungen erfolgt,also als Gegenleistung für eineGemeinschaftsfinanzierung... AlsBeispiel sei hier die Zusammenarbeitzwischen mehr als 40 europäischenAusbildungseinrichtungen fürÜbersetzer/Dolmetscher im NetzwerkTradutech genannt, das seit 1986 dieMobilität von Studenten undLehrpersonal sicherstellt, und zwarauf der Grundlage des EuropäischenSystems zur Anrechnung vonStudienleistungen (ECTS) imRahmen von ERASMUS.

Noch viel schwieriger ist es zwischenden Mitgliedstaaten die Validationvon beruflichen Erfahrungen durch-zusetzen, die nicht an einAbschlußdiplom gebunden sind.

Das zweite, aber ebenso großeHindernis liegt in den juristischen

und behördlichen Hemmnissen fürdie transnationale Mobilität. Jenach Situation und Mitgliedstaatergeben sich diese Hemmnisse ausBestimmungen zur sozialenSicherheit (insbesondere bezüglichder Systeme der zusätzlichen Alters-versorgung), zum Aufenthaltsrecht(speziell der legal in den Mitgliedstaa-ten ansässigen Staatsangehörigenvon Drittländern) oder auch zumSteuerrecht (zum Beispiel im Falleder Stipendien undForschungsbeihilfen). Einzusätzliches Hindernis für dieMobilität stellt die Tatsache dar, daßnationale Hochschulstipendien nichtvon einem Mitgliedstaat zum anderenübertragbar sind.

Der Weg hin zur kognitivenGesellschaft erfordert, daß dieseHindernisse, die die Mobilität derEuropäer behindern, beseitigtwerden, zumal die neuen Kom-munikationstechnologien bereits einevirtuelle Mobilität ermöglichen.

• Der Zugang zur Bildung mußlebenslang garantiert sein.

Die Schlußfolgerungen desEuropäischen Rates von Essen undvon Cannes unterstreichen dieNotwendigkeit der Förderung derWeiterbildung. In gleicher Weisewurde sie auch von allen zuständigenStellen in den Mitgliedstaaten sowieallen Sozialpartnern unterstrichen.

Es sieht jedoch nicht so aus, als ob inden letzten Jahren wesentlicheFortschritte auf diesem Gebieterreicht wurden. Ganz im Gegenteil.Die durch die Rezession bedingten

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finanziellen Zwänge sowie das Vor-handensein einer Arbeitskräftereser-ve auf dem Arbeitsmarkt und derEintritt überqualifizierter Jugendlicherin diesen Markt tragen nicht geradedazu bei, die Ausbildungsbemühun-gen der Unternehmen insbesonderein Richtung auf die älteren oderweniger qualifizierten Erwerbstätigenzu stimulieren. Trotz gewisserFortschritte stellt man immer wiederfest, daß es Ungleichheiten im Bil-dungszugang zwischen verschiede-nen Unternehmensarten und Katego-rien von Erwerbstätigen zum Nachteilder KMU und der Erwerbstätigen mitgeringer oder fehlender Qualifikationgibt. Das bezieht sich auch auf dieFrauen. Zum einen, weil man siekaum in leitenden Positionen oder instark technisch ausgerichtetenBerufszweigen findet, zum anderen,weil sie häufig besondereArbeitsbedingungen haben, wie zumBeispiel Teilzeitarbeit. So hat das imRahmen desGemeinschaftsprogramms"Telematikanwendungen"unterstützte Projekt IDEALS durchdie Zusammenarbeit zwischen KMUund technischenAusbildungseinrichtungen dieEntwicklung von Lehrgängen fürKMU ermöglicht (Datenbanken mitUnterrichtsmodulen, die an denBedarf der einzelnen KMU angepaßtsind); zugänglich sind dieseLehrgänge am Arbeitsplatz oder inörtlichen Bildungszentren.

Die Maßnahmen zur Weiterbildunginsgesamt sind zu dürftig. DasEntstehen derInformationsgesellschaft und die vonihr ausgehenden Veränderungen des

Arbeitsinhalts und derArbeitsorganisation machen Verbes-serungen der Bedingungen desZugangs der Erwerbstätigen zuberuflicher Bildung jedoch dringenderforderlich. Sie erfordern auch eineErweiterung der Ausbildungsinhalte,die sich nicht einfach auf eineAnpassung an den neuenArbeitsplatz beschränken dürfen.

• Es müssen sämtliche von derinformationsgesellschaftangebotenen Möglichkeitenwahrgenommen werden.

Herausforderungen stellen sich aufbildungspolitischer wie aufindustrieller Ebene. Gegenwärtig istfestzustellen, daß die Konkurrenz derUSA insbesondere imMultimediabereich und dabei vorallem im Bildungsbereich besondersstark ist. Die Schwäche Europasliegt nicht etwa an mangelnderKreativität, ganz im Gegenteil. Dieeuropäischen Akteure undUnternehmer sind mit dembeträchtlichen Nachteil der äußerststarken Zersplitterung des Marktesaufgrund der kulturellen undsprachlichen Vielfalt Europaskonfrontiert. Investitionen auförtlicher, regionaler oder nationalerEbene lohnen sich häufig nicht. Esist deshalb unbedingt notwendig dieProduktion von Waren zu fördern,die nicht nur in Europa, sondern aufder ganzen Welt vertrieben werdenkönnen.

Außerdem müssen die Lehrkräfte indie Lage versetzt werden, sich an dieneuen Technologien und die sichdaraus ergebenden pädagogischen

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Ansätze anzupassen. Das Tempo,mit dem sich die pädagogischenMultimediamaterialien in den Schulenverbreiten, ist noch zu langsam.Dafür gibt es zahlreiche Gründe. Soist der pädagogische Standard dergegenwärtig verfügbarenMultimediamaterialien noch nichtausreichend, um die Lehrkräfte zuihrer Verwendung anzuregen. Ausdiesem Grunde kommt derEntwicklung von Multimedia-Bildungssoftware, die dieEuropäische Kommission über dieEinsetzung der Task-ForceMultimedia-Bildungssoftwareunterstützt, besondere Bedeutungzu. Des weiteren sind die Lehrkräfteinsgesamt auch nicht ausreichendgeschult, um mitMultimediamateralien zu arbeiten.

In der Informationsgesellschaft stelltsich noch eine weitere Frage. Wieder Ausschuß der Regionen in seinerStellungnahme zum Thema„Allgemeine und berufliche Bildungvor technologischen, industriellen undsozialen Herausforderungen: ersteReflexionen“ (September 1995)unterstreicht, „sind spezielleMaßnahmen erforderlich, um dieChancengleichheit insbesonderezwischen Männern und Frauenbeim Zugang zu Bildung undBerufsbildung zu fördern und umsicherzustellen, daß benachteiligteBevölkerungsgruppen (wie z. B. dieBevölkerung in ländlichen Gebieten,die Älteren, ethnische Minderheitenund Einwanderer) nicht Bürgerzweiter Klasse werden hinsichtlichdes Zugangs zu neuen Technologien,und von Bildungs- undBerufsbildungsangeboten ausge-

schlossen werden.“

Die Kommission ist der Ansicht,daß noch zu viele ungleicheZugangsvoraussetzungen zurBerufsbildung und zumArbeitsmarkt bestehen, und daßdie durch dieInformationsgesellschaftangebotenen Möglichkeiten vollgenutzt werden müssen, um diesezu verändern.

Es ist festzustellen, daß dieInformationstechnologien einebeträchtliche Zunahme sämtlicherFormen des Fernunterrichtsermöglichen, wie das EuropäischeParlament in seiner, aufEigeninitiative beruhendenEntschließung vom Juli 1993 zumFernunterricht auf der Grundlage desBerichts von D. Pack ausführte.

In diesem Zusammenhang sei auf dieErfahrungen mit der Open Universityhingewiesen, die bereits seit vielenJahren die Entwicklung desFernunterrichts in großem Umfangermöglicht.

. Schließlich müssen spezielleZugangsmöglichkeiten entwickeltwerden, die es Randgruppen oderausgegrenzten Gruppen derBevölkerung ermöglichen,anschließend entweder einennormalen Ausbildungsgangfortzusetzen oder eine Beschäftigungzu finden. Das vorliegendeWeißbuch betont, daß dies inzwi-schen zu einer Priorität gewordenist . Von den Mitgliedstaaten wurdenzahlreiche Maßnahmen getroffen, umspezielle Bildungswege oder

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Möglichkeiten zur Aufholung vonBildungsrückständen durch sozialeAktionen zu schaffen. Betrachtetman die Ergebnisse undinsbesondere die Schwierigkeitender sozialen Wiedereingliederungbetroffener Jugendlicher undErwachsener, gelangt mannunmehr zu der Auffassung, daßes angebracht ist, Einrichtungender "zweiten Chance" zu fördern,wobei die Europäische Union zuderen Unterstützung beitragenkann, wie dies im zweiten Teildieses Weißbuchs vorgeschlagenwird .

b) Die Anerkennung dererworbenen Kompetenzen

In der kognitiven Gesellschaft mußder einzelne die Möglichkeit haben,grundlegende fachliche undberufliche Fähigkeiten anerkennen zulassen, unabhängig davon, ob er eineAusbildung mit Abschlußdiplomdurchläuft bzw. sich eine Praxisbeispielsweise in den BereichenFührerschein, Englisch (Toefl-Test)oder Mathematik (Känguruh-Test)aneignet. Jeder müßte auf Wunschüber einen persönlichenKompetenzenausweis verfügenkönnen, auf dem die so validiertenFachkenntnisse vermerkt wären.

Dies können auch bestimmteGrundkenntnisse sein, bei deneneine Zergliederung in einzelne Stufenleicht möglich ist (Sprachen,Mathematik, Elemente desManagements, der Informatik, desRechts, derWirtschaftswissenschaften usw.). Eskönnen auch Fachkenntnisse sein,

die innerhalb der Unternehmenbewertet werden (Buchführung,Finanz- und Exporttechnik usw.) odergar eher bereichsübergreifendeberufliche Fähigkeiten(Organisationstalent,Entscheidungsfähigkeit usw.). Ziel ist,daß sich beispielsweise jemand ohneBerufsabschluß bei einemArbeitgeber vorstellt und einenbeurkundeten Nachweis überschriftlichen Ausdruck,Sprachkenntnisse, Erfahrung mitTabellenkalkulation undTextverarbeitung vorlegen kann, umso ein Interesse für die Kombinationder beherrschtenTeilkompetenzen zuwecken, ohne über denqualifizierenden Nachweis einesAbschlusses im Sekretariatswesenzu verfügen. Als zusätzliche Beispielekönnten Kenntnisse im Bereich desManagements oder der Informatikangeführt werden.

Es könnten nach eingehenderPrüfung auf allgemeiner Basisspezielle bedarfsgerechte Systemefür die Bewertung und Beurkundungvon Qualifikationen geschaffenwerden, was zahlreiche europäischeUnternehmen bereits praktizieren.

Dieses freiwilligeAkkreditierungssystem, das aufbreiter Basis in Europa zur Verfügungstehen und Hochschulen,Handelskammern undBerufsverbände einbeziehen sollte,stellt wohlverstanden eine Ergänzungzum System der Berufsabschlüssedar und kann dieses keinesfallsersetzen.

Die Einrichtung neuer Formen der

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Validation der Kompetenzen, wiesie im zweiten Teil diesesWeißbuchs vorgeschlagen wird,dürfte gewisse Fortschritte aufdem Weg zur kognitivenGesellschaft ermöglichen.

c) Der einzelne als Teil einesKooperations- undUnterstützungsnetzwerks

Auch wenn sich der einzelne zurEntwicklung seinerBeschäftigungsfähigkeit immerweniger nur einer einzigen Institutionanvertrauen kann, darf er abergenausowenig dabei allein gelassenwerden. Die Erfahrung zeigt, daß diebesten Bildungsergebnisse durch dieEingliederung in einKooperationsnetz von Akteurenerzielt werden.

i) Die Zusammenarbeit zwischenden jeweiligen Institutionen undAkteuren

Heutzutage muß die Anpassung undVerbesserung der allgemeinen undberuflichen Systeme im Rahmen vonPartnerschaften verstärkt werden;keine Institution, und insbesondereweder die Schule noch dasUnternehmen kann für sich inAnspruch nehmen, allein dieerforderliche Kompetenz für dieEignung zur Erwerbstätigkeit zuentwickeln.

Im Kindesalter wird der Erwerb von

Grundkenntnissen am besten durchdie Zusammenarbeit zwischenSchule und Familie erreicht. Vondiesem Gesichtspunkt aus muß derRolle der Familie, vor allem in denbenachteiligten Be-völkerungsgruppen, besondereAufmerksamkeit zukommen. DieFamilien sollten an die Arbeit der„Schulen der zweiten Chance“herangeführt werden und in denGenuß von Förderprogrammenkommen.Später muß eine solcheZusammenarbeit zwischenBildungseinrichtungen und Unterneh-men stattfinden. In zahlreichenMitgliedstaaten entwickeln sich dualeAusbildungsformen, speziell in derLehrausbildung, die die wirksamsteForm dieser Kooperation darstellt.Die Lehrausbildung sollte aufeuropäischer Ebene gefördert unddie Absolvierung einer solchen Aus-bildung in mehreren Mitgliedstaatenermöglicht werden. Zu diesemZweck schlägt das Weißbuch inseinem zweiten Teil vor, dieLehrausbildung auf europäischemNiveau zu entwickeln.

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Generell ist es wünschenswert, daßsich Partnerschaften zwischenUnternehmen undBildungseinrichtungen bilden.

Eine derartige Zusammenarbeitentwickelt sich insbesondere durchUnterstützung der Gemeinschaft(COMETT). Als Beispiel sei ECATAerwähnt, ein länderübergreifendesProjekt zur Ausbildung inSpitzentechnologien der Flugzeug-industrie, in dem sich sieben Hoch-schulen und elf europäischeHersteller zur Ausbildung vonangehenden Ingenieurenzusammengeschlossen haben, undderen Ausbildungsabschluß durcheinen Befähigungsnachweis validiertwird. Das Netz Biomerit umfaßt 33Partner aus sieben europäischenLändern - insbesondereHochschulen, Unternehmen, KMU -im Bereich der Biotechnologie-Ausbildung.

Eine wirkliche Kooperation zwischenBildungseinrichtungen undUnternehmen setzt voraus, daßletztere als gleichberechtigte Partnerim Ausbildungsprozeß betrachtetwerden. Heute kann nicht mehrdavon ausgegangen werden, daß dieRolle des Unternehmens sichlediglich auf die Einstellung fertigausgebildeter Arbeitskräfte oder dieVermittlung einer Zusatzausbildungbeschränkt. Das Unternehmen istinzwischen ein wichtiger Produzentneuer Kenntnisse und Fertigkeiten.

Schließlich sei noch daraufhingewiesen, daß die Entwicklung derBildungsprozesse (insbesondere inden übergreifenden Bereichen wie

Umwelt, Gesundheit,Verbraucherverhalten) in immerstärkerem Maße im Rahmenumfassender Partnerschaftenbegleitet und unterstützt wird:Verbände, Gebietskörperschaften,Verbraucherorganisationen,Fachberatungsstellen(Fremdenverkehr, Energie, Umwelt).

ii) Ein Netzwerk mit einerlehrenden und einer lernendenFunktion

Wie Carnoy und Castells("Sustainable flexibility: A prospectivestudy on work, family and society inthe information age" - School ofEducation, University of Stanford,Berkeley University, April 1995)unterstrichen haben, handelt es sichsowohl um Kooperationsbeziehungeninnerhalb der Organisationen wieauch um Kooperationsnetze, die sichzwischen diesen oder aber auf loka-ler Ebene bilden.

• Interne Weiterbildungsnetze

Es ist inzwischen bekannt, daß dieKooperation innerhalb einesverantwortlichen Arbeitsteams imUnternehmen die Verbesserung derProduktionsqualität ermöglicht.Qualitätskreise,Aufgabenanreicherung, Beratungs-gremien unter Mitwirkung von Arbeit-nehmern sowie leitenden undkaufmännischen Angestellten sindFormen der Teamarbeit, in denenjeder an der Wissensvermittlung undam Lernprozeß mitwirkt, was jedemeinzelnen zugute kommt. Durch eine

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solche Zusammenarbeit wird esmöglich, auf der Grundlage derBerufserfahrung automatischeFertigkeiten in eine Befähigung zurSelbständigkeit, d.h. in echtesWissen umzuwandeln.

Sie entwickelt sich sogar außerhalbdes Rahmens der Qualitätskreise.Hier sei der Fall eines großeneuropäischen Automobilherstellersangeführt: dort wurde das Problemder Blasenbildung auf denAutodächern dadurch gelöst, daßden betroffenen Arbeitern diestatistische Beobachtung, dieÜberwachung und die Analyse direktüberlassen wurden (ProgrammFORCE).

Diese Formen derZusammenarbeit tragen dazu bei,die innerbetrieblichen Bil-dungsmaßnahmen, die imUnternehmen häufig im Rahmenvon Bildungsplänen stattfindenund an deren Erarbeitung dieArbeitnehmer und ihre Vertretermitwirken, wesentlich undtiefgreifend zu verändern. In denfortgeschrittensten undleistungsstärksten Unternehmen sinddiese Maßnahmen immer wenigerauf die Kompetenzaneignung für einespezielle Aufgabe oder einen genauabgegrenzten Arbeitsplatzausgerichtet. Dies ist im allgemeinennur noch der Fall, wenn es darumgeht, die Ausbildung jungerHochschulabsolventen, die ohneBerufserfahrung in das Unternehmenkommen, zu ergänzen.

Pädagogische Konzepte in denBildungseinrichtungen müßten sich

ebenfalls auf eine stärkereKooperation ausgerichtet werden.

Und doch sind auch im Bereich derallgemeinen Bildung Fortschritte zuverzeichnen. So umfaßt das Projekt"Europäische Schulen", das vomZentrum für Innovation in Technikund Zusammenarbeit der UniversitätAmsterdam durchgeführt wurde,inzwischen 400 Schulen. Esfunktioniert nach dem Prinzip derTele-Trips, einem Bildungsprojekt,das die Lehrer gemeinsam entwickelthaben und dasInformationsrecherchen,Ergebnisaustausch undProblemlösung umfaßt. Seit seinerGründung haben mehrere hundertTeletrips mit einer Beteiligung vonTausenden von Schülernstattgefunden.

• Externe Kooperationsnetze

Überall in Europa vollzieht sich einelokale und regionale Dynamik (inregionalen Technologiezentren,Wissenschafts- und Technologie-parks, städtischen dezentralenTechnologiezentren) auf der Grund-lage von Kooperationen im Rahmenvon Informationsaustausch undLernprozessen zwischenForschungseinrichtungen,Unternehmen und Lehranstalten.Diese lokalen Netze, die allebetroffenen Akteure, in erster Linieden Staat und die örtlichen Gebiets-körperschaften, aktiv einbeziehen,tragen auch zur Verbesserung derBeschäftigungsfähigkeit jedeseinzelnen bei.

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Überdies ergibt sich durch die Netze,die alle Akteure der örtlichenEntwicklung und allen voranVereinigungen und Verbändemobilisieren, häufig die Möglichkeit,Arbeitsplätze zu finden, die zwar vonniedrigem Mehrwert sind, dafür abereine Ausgrenzung vermeiden.Grundsätzlich wollen dieEingliederungsnetze denJugendlichen und Ausgegrenztennicht nur eine Tätigkeit vermitteln; siesollen dabei auch lernen, Kontakte zuknüpfen, sich nützlich zu machen,den Zugang in ein anderes Milieu zufinden. Die Netze arbeitenuneigennützig, meistens liegen ihrenBemühungen keinerleiberufsständische Erwägungenzugrunde, und doch tragen sie zumErwerb von Kompetenzen bei, die fürdie kognitive Gesellschaft von zentra-ler Bedeutung sind.

Die regionale und die lokale Ebeneerlangen somit eine priviligiertePosition beim Zustandekommenvon Kooperationsbeziehungen, diedie Entwicklung der Fähigkeit zurErwerbstätigkeit ermöglichen.Ebenso ermöglichen sie dieSchaffung von Arbeitsplätzen mithohem Mehrwert und dieErstellung politischer Maßnahmenzur besseren Eingliederungausgegrenzter Bevölkerungs-gruppen. Und schließlich wirkensie als entscheidendes Instrumentzur Verallgemeinerung derBerufsbildung und zur Stärkungdes Zusammenhalts der Europäi-schen Union.

Gleichermaßen ist in ganz Europa -

in Frankreich, Deutschland,Österreich, Belgien, Spanien und inder Schweiz - die Entwicklung lokalerNetzwerke für Wissensaustausch zubeobachten. Diese Netzwerkeermöglichen es, daß Personen ihreKompetenzen teilen und sichgegenseitig weiterbilden in einer Art"Wissens-Tandem", wobei jederabwechselnd einmal Lehrer, einmalSchüler ist. Der Austausch erfolgt invielen verschiedenen Bereichen, vonder Informatik über Schach bis zuSprachen. Festzustellen ist, daßdiese Netzwerke im allgemeinen indie Maßnahmen für Alphabetisierungund Nachhilfeunterricht einbezogensind. Diese Erfahrungen regten dieEntwicklung einer Methode desKompetenzmanagements an, diecomputergestützt funktioniert unddarauf abzielt, die Berufsbildunginnerhalb einer Gruppe, die vonmehreren Unternehmen probeweisegetragen wird, zu entwickeln.

IV. Wege in die Zukunft

In einer im ständigen Wandelbegriffenen Wirtschaft, treibt dasProblem der Beschäftigung dieWeiterentwicklung der beruflichenBildungssysteme voran.Grundanliegen muß eine beruflicheBildung sein, angepaßt an diePerspektiven des Arbeitsmarktes undder Beschäftigung .

Die Notwendigkeit einer solchenEntwicklung ist mittlerweile insBewußtsein gedrungen; besterBeweis dafür ist das Ende der großendoktrinären Diskussionen über dieBildungsziele.

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Zentrales Anliegen ist eine größereFlexibilität der allgemeinen undberuflichen Bildung, die die Diversitätder Zielgruppen und derenBedürfnisse berücksichtigt und indiese Richtung müssen die Debatteninnerhalb der Union in erster Liniegeführt werden.

Bereits heute zeichnen sich in denMitgliedstaaten Antworten auf dieseFragen im Rahmen der Diversität derBildungssysteme ab.

Diese Anpassungsbemühungenwerden insbesondere in dreiHauptrichtungen weitergeführt undverstärkt: Autonomie derBildungsakteure in der beruflichlichenBildung; Qualitätsbewertung derBildung; Priorität für benachteiligteBevölkerungsgruppen.

A. Das Ende derGrundsatzdebatten

Die Aufgabenstellung derallgemeinen und beruflichenBildungssysteme, ihre Organisation,ihre Inhalte - auch in pädagogischerHinsicht - sind Gegenstand oftkomplexer Debatten.

Größtenteils dürften diese Debattenheute als überholt angesehenwerden.

• Allgemeine Bildung undberufliche Bildung bilden keinenGegensatz mehr und sind nichtmehr voneinander zu trennen.Die Bedeutung des

Allgemeinwissens alsVoraussetzung für dieberuflichen Kenntnisse.

• Zwischen Schule und Betriebwurden Brücken geschlagen.Dies zeigt, daß die einstigenkulturellen und ideologischenBarrieren zwischen Schule undUnternehmen mehr und mehrverschwinden, wovon beide In-stitutionen gleichermaßenprofitieren. Je nach den Tra-ditionen in den einzelnenMitgliedstaaten erfolgt dieseAnnäherung bzw. dieseKooperation während derErstausbildung oder in derPhase der Weiterbildung.

• Das Prinzip derGleichberechtigung setzt sichauf dem Gebiet der Bildungimmer mehr durch, wobei dieChancengleichheit auch diepositive Diskriminierung zugun-

sten der am meisten be-nachteiligten Gruppeneinschließt, um sie vor demvorzeitigen Verlassen derSchule zu bewahren.

• Mit der Herausbildung derInformationsgesellschaft, die dieLehrer zunächst beunruhigte,entwickeln sich neueAnforderungen an die allgemei-ne und berufliche Bildung, ent-stehen völlig neue pädago-gische Ansätze und öffnen sichneue Möglichkeiten für Kontakteund Verbindungen zwischenLehrenden und Einrichtungeninsbesondere auf europäischer

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Ebene.

B. Das Grundanliegen: Wege zueiner größeren Flexibilität

Die aktuellen Strukturen derEinrichtungen für allgemeine undberufliche Bildung müssen sich andie Diversität der Zielgruppen undderen Anforderungen anpassen.

Beauftragt, dem Bürger bzw. demArbeitnehmer die entsprechendeAusbildung für eineDauerbeschäftigung zu vermitteln,sind diese Einrichtungen doch nochzu unflexibel, auch wenn einzelneSchulen und Lehrer Versuche einerErneuerung unternehmen, die jedochnoch meist isoliert voneinanderstattfinden.

Dennoch bleibt nur der Weg einerFlexibilisierung, um sich dem immergrößeren und immer stärkerdivergierenden Bedarf derGesellschaft anzupassen.

Wie können wir dies erreichen?Darüber muß dringend diskutiertwerden - ausgehend von denwichtigen Fragen, vor denen wirheute stehen:

• Wie können die Entwicklung derSchulausbildung und derZugang möglichst vielerAbsolventen zu denHochschulen mit demBemühen um Qualität imBildungswesen vereinbartwerden?

• Wie können die Aufgaben der

allgemeinen Bildung an dievielfältigen Anforderungenangepaßt werden, wo sich dieBildungseinrichtungen dochsehr zögerlich in derDifferenzierung der Zielgruppenverhalten?

• Wie lassen sich der Status derLehrer und Ausbilder bewahrenund verbessern, und ihnengleichzeitig Anreize schaffen,um die vielfältigen Bedürfnisseeiner kognitiven Gesellschaft zubefriedigen?

• Wie sollen Lehrer und Ausbilderauf die Weiterentwicklung desBildungsauftrags und auf dieVeränderung derpädagogischen Hilfsmittelvorbereitet werden?

• Wie können dieVoraussetzungen für einlebenslanges Lernen, d. h. denständigen Zugang zurAktualisierung der Kenntnisseund zum Erwerb neuerKenntnisse, geschaffenwerden?

C. Lösungsansätze in denMitgliedstaaten

Bedeutsame Entwicklungen zeigensich bereits in allen Ländern Europas.Die Bildungssysteme bemühen sichum Qualitätssteigerung, um dieWeiterentwicklung desBerufsbildungsangebots, umWeiterbildung und lebens-langesLernen, um eine bessere Verteilungder Finanzmittel.

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1. Das Bemühen um Qualität

Die Systeme derGrundschulausbildung konzentrierensich wieder stärker auf den Erwerbund die Beherrschung vonGrundkenntnissen, vor allem auf diedrei Hauptfächer Lesen, Schreibenund Rechnen. Das Erlernen vonFremdsprachen findet zunehmendeVerbreitung, ebenso wie dieAusbildung inInformationstechnologien.

Innerhalb oder außerhalb desinstitutionalisierten Bildungssystemewerden innovative pädagogischeVerfahren von Lehrern undAusbildern entwickelt. In der Schulehandelt es sich dabei beispielsweiseum die Methoden von Decroly inBelgien, Steiner in Deutschland,Montessori in Italien und Freinet inFrankreich. Auch für Erwachsenewerden innovative Maßnahmenausgearbeitet, etwa durch dieVolkshochschulen oder die "OutdoorEducation" in Großbritannien, dieÜbungen oder Praktiken anbietet, dieden traditionellen Fortbildungsinhaltumsetzen und eher auf dieAnpassung des Verhaltens als aufden Erwerb abstrakten Wissensabzielen.

Alle diese Versuche sind Beweisdafür, daß unter den Lehrern undAusbildern eine echte Kreativitätvorhanden ist, die es nur zuzulassenund zu fördern gilt. Die Bildungs- undAusbildungsakteure vor Ort sindallgemein den Bildungssystemenvoraus: unter ihnen sind dieWegbereiter der kognitivenGesellschaft zu finden.

Auf den oberen Bildungsebenen sinddie Tendenzen zu längerenStudienzeiten und die Ausweitungdes Zugangs zu weiterführendenStudien Beweis für die zunehmendeQualität des Humankapitals.Trotzdem stellt sich für alleweiterführenden Bildungssysteme dieFrage, wie der zu erwartendeZustrom unter Beibehaltung desNiveaus der Abschlüsse zubewältigen ist.

2. Die Suche nach einem neuenModus der Qualifizierung

Alle Mitgliedstaaten stimmen darinüberein, daß die Frage derVerbindungen zwischen allgemeinerund beruflicher Bildung von zentralerBedeutung ist. Einige Mitgliedstaatensind bemüht, die Vermittlung vonGrundkompetenzen bereits währendder allgemeinen Ausbildung imRahmen eines berufsbildendenKonzepts zu gewährleisten, dasvorrangig auf der Lehrausbildungbzw. auf einer engen Partnerschaftzwischen Schule und Unternehmenberuht. Dabei liegt das Hauptanliegendarin, die Auszubildenden mit der"Arbeitswelt" bekanntzumachen undgleichzeitig die Qualität derAusbildung zu sichern. AndereMitgliedstaaten ziehen es vor, diePhase der beruflichen Erstausbildungauf die Zeit nach der allgemeinenAusbildung zu verlagern.

Ganz eindeutig zeichnet sich dieTendenz ab, die Unternehmen unddie Sozialpartner in die Organisationder beruflichen Erstausbildung und

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den Prozeß des Übergangs derJugendlichen ins Berufslebeneinzubinden, vor allem in Form"alternierender" Ausbildungsgänge(einschließlich der sogenanntendualen Ausbildung).

Einige Mitgliedstaaten bemühen sichdarum, Maßnahmen undInstrumente für eine "zweiteChance" oder eine "Ausbildungs-garantie " zu entwickeln, deren Zieldarin besteht, den Jugendlichen, dieohne Qualifikation auf den Arbeits-markt kommen, die Gelegenheit zugeben, die unerläßlichenGrundkompetenzen und beruflichenFähigkeiten zu erwerben.

In mehreren Mitgliedstaaten ist dieFrage der Zertifizierung, derValidation und der Anerkennungder erworbenen Kompetenzen , vorallem von jenen, die bei derpraktischen Arbeit erworben wurden,Gegenstand komplexer Debatten, dadie herkömmlichen Verfahren oft alszu formal und starr angesehenwerden.

3. Die Entwicklung derWeiterbildung

In allen Ausbildungsgängen setzt sichder Begriff derSchlüsselkompetenzen immer mehrdurch. Die Berufe und Qualifikationenwerden zunehmend flexibler. AlleMitgliedstaaten sind der Auffassung,daß die Trennung zwischenallgemeiner und beruflicher Bildungmehr und mehr in Frage gestellt wird.

Des weiteren ist anzumerken, daß

die massive Zunahme von Aus-grenzungserscheinungen und diemittelfristigen demographischenPrognosen die meisten Mitglied-staaten veranlassen, dieErwachsenenbildung als einenSchwerpunkt für Initiativen undEntwicklungsprojekte insbesondereauf lokaler Ebene zu behandeln.

In mehreren Mitgliedstaatenentwickeln sich Ausbildungsformenauf der Grundlage paritätischerDiskussionen, Verhandlungen undsogar der Regelung vonAusbildungsproblemen durch dieSozialpartner. Da bestimmteProbleme bereichsübergreifendenCharakter aufweisen, entwickeln sichin mehreren Mitgliedstaatenkonventionnelle Ansätze auf ver-schiedenen Ebenen. Dies giltbeispielsweise für die dualenAusbildungsgänge oder dieArbeitszeitvereinbarungen mit derMöglichkeit der Einbeziehung derBildungskomponente.

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4. Neue Formen der Finanzierungund Bewertung

Bestimmte Mitgliedstaaten erprobenneue Formen für die Finanzierungder allgemeinen und beruflichenBildung . Diese reichen von"Bildungsgutscheinen" bis zu Formender Kofinanzierung der Weiterbildungdurch Übernahme eines Teils derKosten durch die Teilnehmer selbst(über Steuer- vergünstigungen,zinsgünstige Darlehen oder dassogenannte "Bildungssparen").

Die Suche nach neuen Formen fürdie Finanzierung der allgemeinen undberuflichen Bildung erfolgt in einemKontext, in dem die dafüraufgewendeten öffentlichen Ausga-ben zwar noch einen vorrangigenPlatz in den öffentlichen Haushalteneinnehmen, doch in den letzten Jah-ren eine rückläufige Entwicklungzu verzeichnen hatten .

Parallel zu dieser Debatte in denMitgliedstaaten über die Ressourcenund öffentlichen Mittel für die allge-meine und berufliche Bildung wirdverstärkt die Forderung nach einergrößeren Transparenz derSysteme und vor allem nach einerBewertung der Ergebnisse deröffentlichen Ausgaben erhoben.Eine solche Bewertung ist allerdingsschwierig, da man kaum über zuver-lässige Referenzkriterien sowie vorallem über Daten der privatenFinanzierung verfügt (durch dieHaushalte, Unternehmen usw.). Zueiner Zeit, da in allen Mitgliedstaatenzunehmend Debatten über Fi-nanztransfers geführt werden,erkennt man bei den Ver-

antwortlichen mehr und mehr dasBestreben nach einer besserenKosten(und Nutzen-)bewertung.

D. Neue Entwicklungen

Angesichts dieser Veränderungenund Erfahrungen zeichnen sich dreigroße Entwicklungsaspekte deutlichab.

Der erste ist das Konzept derAutonomie der Akteure in derallgemeinen und beruflichen Bildung.

Für eine optimale Anpassung derSysteme der allgemeinen undberuflichen Bildung, ist eine größereAutonomie der verantwortlichenAkteure, die sich ihrer Aufgaben klarbewußt sind, erforderlich.

Es geht also darum, denGrundeinrichtungen eine größereAutonomie zu gewähren. DieErfahrung zeigt, daß die Systeme mitweitgehender Dezentralisierung amflexibelsten sind, sich am schnellstenanpassen können und dieEntwicklung neuer Partner-schaftsformen mit sozialerAusrichtung ermöglichen.

Für die berufliche Weiterbildung mußdiese Autonomie in Verhandlungenzwischen den Sozialpartnern auf denverschiedenen Ebenen(Unternehmen, Branchenebene,Region, berufsübergreifende Ebene)geschaffen werden. Erstes Ziel mußdie Sorge sein, allen Arbeitnehmern,insbesondere in den KMU, Zugangzu Berufsbildungsmaßnahmen zuermöglichen.

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Der zweite Entwicklungsaspektbetrifft die Bewertung . Sie istnotwendig, um die unausweichlicheErhöhung der Finanzmittelrechtfertigen zu können.

Die Rolle der Bewertung wird auchdeutlich bei der Beurteilung derAngemessenheit der allgemeinenund beruflichen Bildung in bezug aufdie Bedürfnisse der betroffenenZielgruppen, sowie auf das Bemühenum Möglichkeiten, die schulischenErfolgsaussichten, die Eingliederungoder die berufliche Umschulung zuverbessern. Auch kann dieBewertung die Chance bieten, dieberufliche Erst- und Weiterbildung andie Situation auf dem Arbeitsmarktanzupassen, die gekennzeichnet istdurch hohe Arbeitslosigkeit und dengleichzeitigen Mangel anArbeitskräften in bestimmtenWirtschafts- und Berufszweigen.

Die Bewertung erlaubt es, dieInvestition zu bemessen, die dieWeiterbildung für die Unternehmen(und die Arbeitnehmer) darstellt.Auch stellen die Ausgaben fürberufliche Bildung, beispielsweisebei interner Umschulung oder inder Lehrlingsausbildung, einenAktivposten für das Unternehmendar, ähnlich wie andere Aktivitäten,beispielsweise imForschungsbereich. Sie solltendaher steuerlich in gleicher Weisegehandhabt werden, und diesohne die Freizügigkeit derArbeitnehmer zu beeinträchtigen.Dies will dieses Weißbuch inseinem zweiten Teil anregen.

Schließlich kann die Bewertungzur Vermittlung und Weitergabevon Erfahrungen und bewährtenPraktiken beitragen. In diesemSinne will das Weißbuch imzweiten Teil die Schaffung einerBeobachtungsstelle für innovativePraktiken im Bereich derberuflichen Bildung anregen.

Dritter Entwicklungsaspekt schließlichist die besondere Beachtungbenachteiligter Zielgruppen .

Es zeigt sich immer deutlicher, daßBevölkerungsgruppen, denen keineanderen Möglichkeiten derIntegration zur Verfügung stehen,besondere Bildungsanstrengungenim Sinne einer Vermittlung vonGrundkenntnissen und Grundwertenbenötigen. Die integrierende Rolleder Schule ist hier von grundlegenderBedeutung, wie das EuropäischeParlament im März 1993 in seiner aufEigeninitiative beruhendenEntschließung über die schulischeBildung der Kinder von Einwanderernauf der Grundlage des Berichts vonFrau Barbara Dührkop unterstrichenhat.

Positive Diskriminierungenzugunsten der sozial am meistenbenachteiligten Bevölkerungs-gruppen erweisen sich hier alsunerläßlich, vor allem in denVororten und vernachlässigtenStadtvierteln unserer großenStädte . Ohne solche Maßnahmenwürden sich die sozialen Brüche nurnoch verschärfen. Diese Stadtviertelbrauchen im Gegenteil größere öf-fentliche Hilfe. Die institutionellenMittel müssen auf politische

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Maßnahmen konzentriert werden, diesich auf die lokalen Behörden unddas soziale Gefüge stützen. Hiermüssen die qualifiziertestenLehrkräfte - nicht etwa Anfänger oderAushilfskräfte - und die neuestenInformationstechnologien eingesetztwerden. Gleichzeitig gilt es, dort inengem Kontakt mit den Familien, dieschulische Förderung zu verstärken.

** *

Die Herausforderungen auf dem Wegzur kognitiven Gesellschaft stellensich in zwei Bereichen.

Zunächst in der Wirtschaft. DieEuropäische Union, der weltweitgrößte Exporteur, hat sichlogischerweise für die Öffnung hin zurWeltwirtschaft entschieden: dahermuß sie ständig ihre wirtschaftlicheWettbewerbsfähigkeit steigern. Diesist das Mittel, mit dem sie ein"beständiges, nichtinflationäres undumweltverträgliches Wachstum" undein "hohes Beschäftigungsniveau"sowie "ein hohes Maß an sozialemSchutz" verwirklicht, wie in Artikel 2des Vertrags zur Gründung dereuropäischen Gemeinschaftausgeführt wird.

Auch im Weißbuch "Wachstum,Wettbewerbsfähigkeit,Beschäftigung" wird unterstrichen,daß der größte Trumpf der Union dieHumanressourcen sind. DieProblematik wurde klar

zusammengefaßt in der Mitteilungüber „Eine Politik der industriellenWettbewerbsfähigkeit für dieEuropäische Union“: „Der wichtigsteVorteil der Europäischen Union beider Verstärkung derWettbewerbsfähigkeit ihrer Industrienberuht auf der Fähigkeit, dank derhochqualifizierten ArbeitskräfteWissen zu schaffen und zu nutzen,sowie auf dem sozialen Konsens, aufdessen Grundlage dieses Potentialentfaltet werden kann.“

Europa muß in das allgemeineBildungswesen investieren, um dasNiveau der Berufsbildung und derQualifikation der Arbeitnehmer undsämtlicher Erwerbstätigen durch dieErstausbildung und die Förderungder lebenslangen Weiterbildunganzuheben. Diese Investitionen inImmaterialgüter müssen außerdemdie Reaktion auf die großen Trendsder Arbeitsmarkt-entwicklungermöglichen: mangelndeÜbereinstimmung zwischenQualifikationsangebot und -nachfrage, demographischeVerlagerungen, Ent-wicklung derDienstleistungstätigkeiten, Wandelvon Arbeitsorganisation undArbeitsinhalten.

Diesen wirtschaftlichen Zwängensteht das soziale Gebot derVermeidung sozialer Spaltunggegenüber. Im Laufe dervergangenen Jahre hat sich diesoziale Ausgrenzung in Europaausgeweitet. Auf die Folgen dieserSituation, die sich jeder leichtausmalen kann, brauchen wir nichtausführlich einzugehen.

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Die europäische Gesellschaft mußdas Problem in seinem ganzenAusmaß behandeln. Die sozialeAusgrenzung kann an zwei Frontenbekämpft werden: man muß sieeindämmen, indem dieAusgegrenzten wiedereingegliedertwerden, und man muß sieverhindern, indem die Bildung vonRisikogruppen verringert wird.

Es tritt jedoch deutlich hervor, daßman sich besonders um die amstärksten von der Ausgrenzungbedrohten Bevölkerungsgruppenbemühen muß, insbesondere in denStadtgebieten mit der höchstenArbeitslosigkeit. Diese Bemühungenbetreffen die Erstausbildung wie auchdie Weiterbildung: sie beinhaltenauch die Entwicklung vonMaßnahmen, die jugendlichenSchulabgängern ohne Abschluß oderQualifikation eine zweite Chancegeben wollen.

Angesetzt werden muß natürlichzuallererst in der Schule. Hier liegtdie Wurzel der kognitivenGesellschaft. Um die Rolle derSchule in dieser Entwicklungherauszustellen, betont diesesWeißbuch die Rolle des einzelnen alsHauptakteur dieser Gesellschaft derdank Selbständigkeit undWissensdurst seine Zukunft zumeistern versteht. Die Schule mußsich anpassen, aber sie bleibt dasunersetzbare Instrument zurpersönlichen Entfaltung und zursozialen Eingliederung des einzelnen.Von ihr wird viel gefordert, weil sieviel zu bieten hat.

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TEIL II: DER AUFBAU DER KOGNITIVEN GESELLSCHAFT

Aktionsleitlinien

Die kognitive Gesellschaft kann sich nicht von heute auf morgen entwickeln. Sieläßt sich nicht verordnen, sondern entsteht in einem kontinuierlichen Prozeß.Dieses Weißbuch hat nicht den Ehrgeiz, einen Maßnahmenkatalog vorzulegen.Die Kommission kennt weder ein Patentrezept, noch schlägt sie ein solches vor.Das Weißbuch soll lediglich zum Nachdenken anregen und Aktionsleitlinienvorzeichnen.

Das Ausmaß des sich derzeit vollziehenden Wandels erfordert allerdingsMobilisierungsbemühungen, wenn Europa will, daß das Gebot, mehr und besserin Wissen zu investieren, kein leeres Schlagwort bleiben soll.

Eine neue Sicht des Problems ist nunmehr erforderlich, und zwar aus dreiGründen:

– Der Vorrang der Qualität allgemeiner und beruflicher Bildung wird für dieWettbewerbsfähigkeit der Union und die Beibehaltung ihres Sozialmodellsimmer wichtiger: Gerade hier entscheidet sich die europäische Identität fürdas kommende Jahrtausend.

– Die Nachfrage nach allgemeiner und beruflicher Bildung steigt unaufhörlich.Auf der Angebotsseite findet eine Erneuerung durch die Entwicklung derInformationsgesellschaft statt.

– Die soziale Ausgrenzung nimmt heutzutage zum Teil Formen an, die nichtmehr zu tolerieren sind, und gebietet, das Gefälle zwischen Wissenden undNichtwissenden zu verringern.

In sämtlichen Mitgliedstaaten werden heutzutage große Anstrengungenunternommen, das allgemeine Qualifikationsniveau anzuheben. Dies findet sichzunächst in dem generellen Bemühen, der Schule wieder ihre zentrale Stellung inder Gesellschaft zurückzugeben, aber auch in dem Willen, die Rolle der Bildungbei der Verwirklichung der Chancengleichheit, insbesondere zwischen Frauen undMännern, zu stärken. Die Europäische Union bemüht sich ebenfalls hierum mitden ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, denen im übrigen sowohl auf rechtlicherals auch auf finanzieller Ebene Grenzen gesetzt sind. Niemand wird den Erfolgvon Programmen wie ERASMUS, COMETT und LINGUA abstreiten, dieHunderttausenden von Europäern zugute kamen und die zu einem tiefgreifendenWandel der Einstellungen beigetragen haben, insbesondere bei denJugendlichen, für die Europa greifbar geworden ist.

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Die Grundsätze, die den Start dieser Programme in den achtziger Jahreninspirierten, finden ihre Fortsetzung in den Programmen LEONARDO undSOKRATES. Zudem ermöglicht die Reform der Strukturfonds und insbesonderevon Ziel 4 die Entwicklung von Gemeinschaftsinitiativen in der Form vonSonderprogrammen wie EMPLOYMENT und ADAPT, die die Anstrengungen imBereich der allgemeinen und beruflichen Bildung noch verstärkt haben. Schließlichsieht auch das 4. Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung zum erstenMal die Finanzierung einschlägiger Forschungsvorhaben vor.

Heute geht es mitnichten darum, die lokalen, nationalen oder europäischenErrungenschaften in Frage zu stellen und noch weniger darum, eine Reform derBildungssysteme anzupreisen. Vielmehr gilt es, unter den Akteuren – Ausbilder,Unternehmen, Behörden – Übereinstimmung über neue Leitlinien zu erzielen, dierasch in konkrete Maßnahmen umgesetzt werden könnten.

Zu diesem Zweck will das vorliegende Weißbuch 1996 im "Europäischen Jahrdes lebenslangen Lernens" eine Diskussion anstoßen, die es bei der Verfolgunggemeinsamer Zielsetzungen ermöglichen dürfte, unter Wahrung des Grundsatzesder Subsidiarität klar zu unterscheiden zwischen:

– Maßnahmen auf lokaler und nationaler Ebene;

– Maßnahmen auf europäischer Ebene;

– Maßnahmen im Rahmen der Zusammenarbeit und der Unterstützungzwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten.

Die Kommission hat vor, aus diesen Debatten Schlußfolgerungen zu ziehen undLeitlinien für zukünftige Aktionen vorzuschlagen.

Auf der Ebene der Zuständigkeiten stellt die Wahrung des Grundsatzes derSubsidiarität ein wesentliches Element der Debatte dar, und zwar aus dreiGründen:

• Zum einen war den Verfassern des Vertrags daran gelegen, in den Artikeln126 und 127 klarzustellen, daß das Vorgehen der Gemeinschaft im Bereichder allgemeinen und beruflichen Bildung das Ziel hat, die Tätigkeit derMitgliedstaaten unter Beachtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten fürdie Lehrinhalte und die Gestaltung des Systems der allgemeinen und derberuflichen Bildung zu unterstützen und zu ergänzen.

• Zum anderen muß der Grundsatz der Subsidiarität, demzufolge eineEntscheidung auf der angemessenen Ebene zu treffen ist, in ganzbesonderem Maße sämtliche Aktionen im Bereich der allgemeinen undberuflichen Bildung prägen. Dies ist ein im Vertrag verankertes Prinzip.

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• Im weiteren Sinne handelt es sich um ein Prinzip der Vernunft nach dem diehöchste politische Organisationsebene, also die von der Basis am weitestenentfernte, lediglich für Aufgaben zuständig ist, die der einzelne, die Familieoder die zwischengeschalteten Institutionen nicht wahrnehmen können.Entsprechend der Analyse im ersten Teil dieses Weißbuchs geht es darum,sich auf dem Weg in die kognitive Gesellschaft auf den einzelnen zukonzentrieren – auch daher also die hervorragende Stellung desSubsidiaritätsprinzips. Die Kommission ist sich im übrigen voll und ganz derTatsache bewußt, daß die Handlungskompetenz in mehrerenMitgliedstaaten in der Zuständigkeit von Regionen oderGebietskörperschaften liegt.

Man muß sich jedoch auch der Schwierigkeit bewußt sein, die allzukünstliche Trennungen zwischen den Handlungsebenen verursachenkönnen. Die Förderung der europäischen Dimension in der allgemeinen undder beruflichen Bildung ist inzwischen in noch viel stärkerem Maße als inder Vergangenheit aus Effizienzgründen zu einer Notwendigkeit geworden.Dies ist auch eine Folge der Globalisierung und des Risikos einesIdentitätsverlustes unserer europäischen Gesellschaft. Damit Europa seineVielfalt und den Reichtum seiner Traditionen und seiner Strukturenbewahren kann, muß sich durch die Zusammenarbeit in diesen Bereichenzwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten eine relevanteInterventionsebene entwickeln, und zwar stärker noch als bisher und imRhythmus der künftigen Erweiterungen.

Was die Verfahren angeht, beabsichtigt die Kommission, 1996 adäquate Foren fürdie Erörterung der gesamten Problematik einzurichten. Dabei könnte es sichbeispielsweise um erweiterte Ministerratstreffen handeln, an denen nicht nur dieBildungsminister, sondern auch ihre Amtskollegen aus den Bereichen Sozialesund Wirtschaft teilnehmen.

Außerdem nimmt die Kommission mit Interesse zur Kenntnis, daß sich inmehreren Mitgliedstaaten die Regierungsstrukturen dahingehend entwickeln, daßdie Ministerien für Bildung, Forschung und Berufsbildung zusammengeschlossenwerden – eine Entwicklung, die auch im Gremium der Kommissionsmitgliedererfolgte.

Was die Finanzierung künftiger Maßnahmen angeht, ist offensichtlich, daß dieKommission sich nicht in interne Entscheidungen der Mitgliedstaaten einmischenwird. Sie hofft gleichwohl, daß die Priorität für die allgemeine und die beruflicheBildung im gewünschten Sinne gewährleistet bleibt.

Auf Gemeinschaftsebene ist sich die Kommission außerdem darüber im klaren,daß die Beachtung der Finanzperspektiven im Augenblick nicht die Freisetzung

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weiterer Mittel erlaubt. Außerdem macht sie darauf aufmerksam, daß dievorgeschlagenen Maßnahmen kaum kostenintensiv sind – was ihrem innovativenCharakter ganz und gar nicht entgegensteht – und im Zuge von Umschichtungeninnerhalb bestehender Programme finanziert werden können. Insbesondere imRahmen von SOKRATES und von LEONARDO wird 1996 ein Aktionsplanvorgelegt, der sich an die im zweiten Teil dieses Weißbuchs ausgeführten Zieleanlehnen wird.

In diesem Sinne legt der zweite Teil des Weißbuchs die Leitlinien dar, die dieZusammenarbeit zwischen allen Akteuren erleichtern und ihre Initiativen ergänzensollen, ohne daß die Wahrnehmung ihrer jeweiligen Verantwortung eingeschränktwird.

- Es obliegt uneingeschränkt den Mitgliedstaaten, die Entwicklung derStrukturen und die Organisation ihrer Systeme der allgemeinen undberuflichen Bildung wie auch die Gestaltung der von diesen vermitteltenLern- und Lehrinhalte zu bestimmen und zu steuern. Somit spielen sie beider Gestaltung der kognitiven Gesellschaft eine wesentliche Rolle.

- Die Einrichtungen der allgemeinen und beruflichen Bildung müssen gestärktwerden und aktiv am Aufbau von Kooperationsnetzen mit allen anderenAkteuren mitwirken.

- Den Unternehmen kommt im Bildungsbereich eine wachsende Rolle zu. Siehaben zur Verbreitung der aus ihren Erfahrungen gewonnenen neuenKompetenzen beizutragen.

- Der einzelne muß ebenfalls ständig Zugang zu einer Reihe von gezielt zuvermittelnden und eindeutig festgelegten Bildungsgütern im allgemeinen undberuflichen Bereich als Ergänzung seines Allgemeinwissens haben, die ersich durch eigene Initiative außerhalb des förmlichen Systems aneignenkann.

Zur Konkretisierung dieser Aktionslinien und zur Förderung praktischerMaßnahmen identifiziert die Kommission fünf allgemeine Ziele:

– Die Aneignung neuer Kenntnisse ist zu fördern.

– Schule und Unternehmen sollen aneinander angenähert werden.

– Die Ausgrenzung muß bekämpft werden.

– Jeder sollte drei Gemeinschaftssprachen beherrschen.

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– Materielle und berufsbildungsspezifische Investitionen sollen gleichbehandelt werden.

Für jedes dieser Ziele schlägt das vorliegende Weißbuch Leitlinien undAnregungen sowie flankierende Maßnahmen vor, die die Gemeinschaft zurUnterstützung und Ergänzung der nationalen Aktionen durchführen könnte.Als Beispiel wird in diesem Buch für jedes allgemeine Ziel in einem Kastenein signifikantes Projekt mit potentieller Antriebs- undDemonstrationswirkung beschrieben.

Dieses Projekt könnte zunächst im Rahmen der derzeitigen ProgrammeSOKRATES oder LEONARDO umgesetzt werden, während die volle Entwicklungim Rahmen der Strukturinitiativen, insbesondere EMPLOYMENT (Youthstart) undADAPT, erfolgen würde. Was die Aktionen zur flankierenden Unterstützung aufEU-Ebene betrifft, so wurden die Vorschläge nach Themen und nicht nachBereichen (allgemeine Bildung, berufliche Bildung) geordnet. Die jeweiligeRechtsgrundlage für die einzelnen Vorschläge wird erst dann festgelegt, wenn einVorschlag für ein geeignetes Instrument vorgelegt wird, und zwar vor demHintergrund der Reaktionen der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlamentsund der von diesem Weißbuch betroffenen Kreise.

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I. Allgemeines Ziel Nr. 1

"DIE ANEIGNUNGNEUER KENNTNISSE IST ZU

FÖRDERN"

Das Wissen, d. h. den allgemeinenWissensstand des einzelnen, zuerweitern, hat Vorrang. EineUmsetzung erfolgt über ein ganzesSpektrum von Maßnahmen, diezunächst den Mitgliedstaatenobliegen und im ersten Teil diesesWeißbuchs analysiert worden sind.

Es gilt hier ein von allen anerkannterGrundsatz: Die baldige Entwicklungzur kognitiven Gesellschaft bringt mitsich, daß die ständige Aneignungneuer Kenntnisse gefördert werdenmuß.

Daher empfiehlt es sich, alle Ansätzezu entwickeln, die die Lust amLernen wecken.

Die Verbesserung der Informationenüber bestehendeAusbildungsangebote könntedadurch erleichtert werden, daß manin den Ländern der Union – wie imCiampi-Bericht vorgeschlagen –"Zentren für Wissensressourcen"einrichtet.

Die optimale Nutzung des Wissens,das sich der einzelne im Laufe seinesLebens angeeignet hat, setzt dieEröffnung neuer Formen derAnerkennung von Kompetenzenvoraus, und zwar zusätzlich zumBerufsabschluß und zurErstausbildung und zuerst auf

nationaler und lokaler Ebene.

Die Unterstützung der Mobilitätfördert ebenfalls die Erweiterung desWissens. Die geographische Mobilitäterweitert den persönlichen Horizont,stimuliert die geistige Beweglichkeitund steigert die Allgemeinbildung. Siekann sich nur positiv auf dieLernfähigkeit auswirken, die esheutzutage so dringend zu entwickelngilt.

Schließlich muß man die neuenKommunikationstechnologien inden Dienst der allgemeinen undberuflichen Bildung stellen: alle ihreMöglichkeiten müssen genutztwerden. Zu diesem Zweck müssendie Schulklassen langfristigentsprechend ausgestattet werden,damit die Jugendlichen Zugang zurInformatik finden. Dies setztinsbesondere voraus, daß Europasich mit neuen, qualitativhochwertigen didaktischenInstrumenten ausrüstet, die an seineTraditionen in Bildung und Kulturanschließen.

Aus diesem Grund schlägt dasWeißbuch die folgendenflankierenden Maßnahmen aufeuropäischer Ebene vor.

A. Die Anerkennung derKompetenzen

In allen europäischen Ländernversucht man, die"Schlüsselkompetenzen" und diebesten Mittel, sie zu erwerben, zubewerten und zu zertifizieren zuermitteln. Es wird vorgeschlagen,

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einen europäischen Prozeß zumVergleich und zur Verbreitung dieserDefinitionen, Methoden und Praktikenzu schaffen. Worum geht es?

Die Ausgangsidee – auf dem Wegüber die Zusammenarbeit allereuropäischen Akteure – bestehtdarin,

– erstens eine Reihe klardefinierter Wissensbereicheallgemeiner oder eherberuflicher Art (Mathematik,Sprachen, Buchführung,Finanzen, Management usw) zudefinieren;

– zweitens Validationsverfahrenfür diese einzelnenWissensbereiche zu entwickeln;

– drittens neue, flexiblere Formender Anerkennung vonKompetenzen anzubieten.

In Ergänzung zu den förmlichenAusbildungssystemen würde einSystem dieser Art noch mehrpersönliche Selbständigkeit beimErwerb einer Qualifikation erbringen.Es weckt auch bei denjenigen denWunsch nach Berufsbildung, die sichnicht in ein herkömmlichesBildungssystem eingliedern wollenoder können.

Wenn es gelingt, auf europäischerEbene dieses System zurAkkreditierung von Kompetenzen –auf freiwilliger Basis natürlich –einzurichten, bedeutet dies einengroßen Schritt hin zur kognitivenGesellschaft.

Ein Projekt zur Entwicklungpersönlicher Kompetenzausweisewird durchgeführt werden: einderartiges Dokument muß jedemeinzelnen ermöglichen, seineKenntnisse und Fertigkeiten nachihrem Erwerb anerkennen zu lassen.Über Studien und Pilotprojekte sollermittelt werden, welche Angabenwichtig sind, und wie ein derartigerAusweis vom einzelnen genutztwerden kann. Zweck dieser Aktion istes nicht, in Europa eineneinheitlichen Ausweis einzuführen, esgeht vielmehr darum, zur Entwicklungderartiger Instrumente beizutragen,damit nach und nach gemeinsameAnforderungen, auchberufsübergreifender Art, festgelegtwerden können.

Es soll eine europäische Methode fürdie Akkreditierung fachlicher undberuflicher Kompetenzen (vgl.Kasten ) eingeführt werden, und zwarauf der Grundlage einerZusammenarbeit zwischenHochschuleinrichtungen,Berufszweigen, Unternehmen undHandelskammern. Auch dieSozialpartner werden hiereinbezogen.

Schließlich wird der Abschluß vonVereinbarungen jeglicher Art auf derEbene der Unternehmen, derBerufszweige, der Regionen usw.gefördert, in die das Prinzip derpersönlichen Kompetenzausweiseeingebunden ist.

B. Mobilität

Die Mobilität der Studenten wirdvereinfacht, und zwar im Sinne der

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einschlägigen Entschließung desEuropäischen Parlaments und derSchlußfolgerungen des Rates (1993),indem jeder Student, der in seinemHeimatland ein Stipendium bezieht,die Möglichkeit hat, sein Studium mitdiesem Stipendium in jederbeliebigen Hochschuleinrichtungeines anderen Mitgliedstaatesfortzusetzen, soweit er dort einenStudienplatz erhält. Hierzu wird dieKommission einen Vorschlagvorlegen.

Es werden neue "Master"-Studiengänge in Kooperationzwischen mehreren Hoch-schuleinrichtungen bei gemeinsamerNutzung personeller und materiellerRessourcen geschaffen. Sieschließen mit einem gegenseitiganerkannten Diplom ab undentsprechen dem Qualifika-tionsbedarf des europäischenMarktes.

Die gegenseitige Anerkennung vonHochschul- und Berufsabschlüssenwird auf dem Wege einerallgemeinen Einführung des ECTS-Systems (European Transfer CreditSystem – Europäisches System zurAnrechnung von Studienleistungen)und der Anwendung ähnlicherMethoden im Bereich der beruflichenBildung ausgebaut. Hier soll diesdurch die gegenseitige Anerkennungvon Ausbildungsmodulen geschehen,wobei das Schwergewicht auf Verein-barungen zwischen allgemeinen undberuflichen Bildungseinrichtungenund zwischen Berufszweigen liegensollte.

Hindernisse administrativer,

rechtlicher odersozialschutzspezifischer Art, die demAustausch von Studenten, Auszubil-denden, Lehrern und Wissen-schaftlern im Wege stehen, müssenbeseitigt werden: die Kommissionwird ausgehend von den Leitliniendes in ihrem Arbeitsprogramm 1995vorgesehenen Grünbuchs eingehen-de Vorschläge erarbeiten.

C. Multimedia-Bildungssoftware

Im Rahmen des "EuropäischenJahres für lebenslanges Lernen(1996)" und in Verbindung mit denArbeiten der Task Force Multimedia-Bildungssoftware wird dieEntwicklung europäischerBildungssoftware unterstützt durch:

– die Veröffentlichunggemeinsamer Ausschreibungender betreffendenGemeinschaftsprogramme(SOKRATES, LEONARDO,ESPRIT, TELEMATIK, MEDIAII, INFO 2000) und

– die Bereitstellung einesInstrumentariums zurVerwertung und Qualitätssiche-rung von Bildungssoftware undvon europäischen Produktender allgemeinen und beruflichenBildung, durch das dieVerbreitung dieser Erzeugnissegefördert werden soll.

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Beispiel Nr. 1

Einführung neuer Formen der Validation von Kompetenzen

Ziele

• Entwicklung der Nachfrage nach allgemeiner und beruflicher Bildungvon Jugendlichen und Erwachsenen, die an einem förmlichen System,in dem Abschlüsse erworben werden und eine berufliche Erstausbildungvermittelt wird, nicht teilnehmen können oder wollen

• Schaffung der Möglichkeit, eine Anerkennung von Teilkompetenzen ineinem flexiblen, permanenten (je nach Wunsch nutzbaren) System derValidation von Wissenseinheiten sicherzustellen

• Diese Wissenseinheiten ermitteln, bewerten und in Einklang bringen

• Schaffung von Anreizen für den einzelnen, seine Qualifizierung selbstaufzubauen, insbesondere durch Zusammenstellung solcherGrundwissenselemente

Methoden

• Unterstützung der europäischen Zusammenarbeit bei der Suche nacheiner möglichen Untergliederung der großen Wissensgebiete in Elemen-tareinheiten

• Einrichtung von europäischen Netzen aus Berufsbildungszentren, Unter-nehmen und Berufsbranchen zur Ermittlung der wichtigsten technischenund beruflichen Kenntnisse, des Inhalts der erforderlichen "Schlüssel-kompetenzen" sowie der Zugangswege dazu

• Festlegung der zweckmäßigsten Formen der Akkreditierung des Wis-sens (breitgestreute Bewertungssoftware, Evaluierer, Tests usw.)

• Vereinheitlichung der in diese Richtung unternommenen Experimente imGesamtrahmen einer europäischen Methode zur Akkreditierung derKompetenzen mit Erteilung eines europäischen Gütezeichens

• Entwicklung von Modellen persönlicher Kompetenzausweise

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II. Allgemeines Ziel Nr. 2

"SCHULE UND UNTERNEHMENSOLLEN ANEINANDER

ANGENÄHERT WERDEN"

Schule und Unternehmen sind sichgegenseitig ergänzende Stätten desWissenserwerbs, die es einanderanzunähern gilt. In verschiedeneneuropäischen Ländern hat dieseAnnäherung bereits stattgefunden. Inanderen vollzieht sie sich entwederverspätet und schrittweise oder dieTrennung zwischen der Welt derBildung und der der Produktionbesteht fort.

Die Übergänge zwischen Schule undUnternehmen zu erweitern und zuverstärken, kann für beide Seiten nurvon Nutzen sein und auch dieChancengleichheit auf demArbeitsmarkt sowie dieGleichbehandlung von Frauen undMännern am Arbeitsplatz verbessern.Für die Schule im weiten Sinn – vonder Primarstufe bis zur Hochschule –geht es darum, das vermittelteWissen an dieBeschäftigungsmöglichkeitenanzupassen. Für die Unternehmengeht es darum, auf Arbeitnehmerzählen zu können, die fachlichqualifiziert sind und gleichzeitig überein solides Allgemeinwissen sowieüber die Fähigkeit zum selbständigenHandeln und zur Weiterentwicklungverfügen. Für die Frauen und Männerin der Ausbildung erhöht einederartige Annäherung die Chancenfür den Zugang zur Beschäftigungund für die Anpassung an dieVeränderungen der Arbeitswelt.

Schule und Unternehmen einanderanzunähern, ist also eine prioritäreAufgabe, an deren Bewältigung sichdie Sozialpartner voll und ganzbeteiligen müssen. Hier sind dreiBedingungen zu erfüllen:

Die erste Bedingung ist dieÖffnung des Bildungswesens hinzur Arbeitswelt. Ohne damit dieZweckbestimmung der Bildung aufdie Beschäftigung zu reduzieren, sinddas Verständnis der Arbeitswelt, dieKenntnis der Unternehmen und dieWahrnehmung der Veränderungenim Produktionsbereich Elemente, dievon der Schule zu berücksichtigensind.

Die zweite Bedingung ist dieEinbeziehung des Unternehmensin die Berufsbildung, und zwarnicht nur in die der Arbeitnehmer,sondern auch in die derJugendlichen und Erwachsenen.Die Berufsbildung darf nicht allein alsMittel dafür betrachtet werden, denUnternehmen qualifizierteArbeitskräfte zur Verfügung zustellen. Diese tragen selbst einegewisse Verantwortung,insbesondere um denjenigen eineChance zu geben, die keinen Erfolgin den traditionellenBildungssystemen haben und häufigohne Arbeit sind. Die Unternehmenmüssen sich dieserZweckbestimmung in größeremMaße bewußt werden. Manchehaben sich sehr darum bemüht, ihrPersonal angesichts dertechnologischen Innovationenumzuschulen. Andere tun dies nichtund entlassen Arbeiter, obwohl siebereit sind, sich fortbilden zu lassen,

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auf die Straße.

Die dritte Bedingung ergänzt diebeiden ersten und heißt: Ausbauder Zusammenarbeit zwischenBildungseinrichtungen undUnternehmen .

Die Verstärkung der Beziehungenzwischen Bildungswesen undUnternehmenswelt erfolgt zunächstüber den Ausbau derLehrausbildung. Dies ist eineAusbildungsmethode, die sich fürsämtliche Qualifizierungsebeneneignet, nicht nur für die unterste. DieLehrausbildung beginnt sich imübrigen auch auf der Ebene derHochschule zu entwickeln, und zwarauf Initiative der Einrichtungen derHandels- und Ingenieurausbildung.So hat eine große französischeWirtschafts- und Handelshochschule,die ESSEC, nach Einführung derLehrausbildung in ihren Lehrplandieses Vorgehen auf europäischerEbene erweitert, und zwar inZusammenarbeit mit anderenHochschuleinrichtungen Europas,etwa der London Business School,der Università Bocconi in Mailandoder der Universität Mannheim.

Die Lehrausbildung bringt denJugendlichen die erforderlichenKenntnisse und gleichzeitig eineLebens- und Arbeitserfahrung imUnternehmen. Indem man ihneneinen ersten Kontakt mit derProduktion ermöglicht, wird ihnen einwesentlicher Trumpf für einenerfolgreichen Einstieg in denArbeitsmarkt an die Hand gegeben.Die Förderung der Lehrausbildung

auf europäischer Ebene stellt einenMehrwert für Jugendliche wieUnternehmen dar.

Die Annäherung von Bildung undProduktion muß außerdemermöglichen, die Berufsbildung –Erstausbildung und Weiterbildung –zu verstärken und zu erneuern. DieseAnnäherung betrifft die Gesamtheitder Arbeitnehmer. Dies mußnachdrücklich betont werden. WennEuropa seine Stellung als großeWirtschaftsmacht beibehalten will,braucht es qualifizierteProduktionsarbeiter – es muß seinegroße Tradition der Berufskulturaufrechterhalten, indem es sie an dieneuen Produktionsbedingungenanpaßt: Beherrschung der neuenTechnologien, Bedeutung derWartungsarbeiten, selbständigeAusführung der Arbeiten, Teamarbeit,Einbeziehung insQualitätsmanagement. Europabraucht generell eine Berufsbildung,die weder zerstückelt noch zersplittertist, und die es einem jedenermöglicht, seine Arbeit zu verstehenund somit zu bewältigen, ja sichsogar in seiner Arbeitweiterzuentwickeln. Hier geht esbeispielsweise darum:

– Technikern dieWeiterentwicklung zumIngenieur zu ermöglichen, indemihre Berufsausbildung durcheinen allgemeiner ausgelegtenUnterricht in Organisation,Verwaltung, Menschenführungusw. ergänzt wird;

– Ingenieuren wie im übrigenauch Arbeitern zu ermöglichen,

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den gesamten Prozeß zuverstehen, der von derProduktion über den Vertrieb biszur Endbenutzung desErzeugnisses (Installation,Wartung) geht.

Die Dienstleistungen, das Handwerkund die kleinen Unternehmen bietenheutzutage Arbeitsplatzperspektiven,wie dies in der Mitteilung derKommission "Das Handwerk und diekleinen Unternehmen – Schlüssel fürWachstum und Beschäftigung inEuropa" (KOM(95) 502 end.)ausgeführt wird. Daher erscheint esnotwendig, die Entstehung neueralternierender Ausbildungsformen zufördern, die den neuen Berufsprofilenim tertiären Sektor angepaßt sind.Gleichzeitig gilt es, Ausbildungen fürUnternehmensgründer zuunterstützen.

Außerdem gilt es, Innovation in derBerufsbildung zu stimulieren: Indemsie sich selbst erneuert, fördert dieBerufsbildung gleichzeitig dieInnovation.

Das vorliegende Weißbuch schlägtzwei Maßnahmen in diese Richtungvor:

A. Die Lehrausbildung

Die Lehrausbildung auf europäischerEbene (vgl. Kasten) wird auf derGrundlage des ERSAMUS-Modellsentwickelt. Die unterstützendeFinanzierung erfolgt über dieUmverteilung der Mittel bestehenderProgramme, insbesondere imRahmen von LEONARDO.

Es geht darum, den Jugendlichendadurch optimale Chancen zu bieten,daß in der gesamten Union für dieverschiedensten Berufe die Traditionder Gesellenzeit wiederbelebt wird,die in hohem Maße zur Qualitäteuropäischer Erzeugnissebeigetragen und bereits dieBedeutung der Mobilität zum Erwerbvon Wissen und Fertigkeiten unterBeweis gestellt hat.

Ganz besondere Anstrengungenmüssen erbracht werden, damit zumAusbau der Lehrausbildunggenügend Meister und Betreuer zurVerfügung stehen – eineunabdingbare, aber häufig schwer zuerfüllende Voraussetzung.

Schließlich muß ein europäischerLehrlingsstatus festgelegt werden inVerwirklichung der Vorgaben desGrünbuchs über Hindernisse bei dergrenzüberschreitenden MobilitätAuszubildender.

Parallel dazu werden dieZugangsmöglichkeiten zuUnternehmenspraktika durch eineuropäisches Übereinkommenerweitert, demUnternehmensverbände beitretenwürden.

B. Die Berufsbildung

Die Ausbildung in neuenDienstleistungsberufen wirdgefördert, indem der Schwerpunkt aufden multidisziplinären Charakterderartiger Ausbildungsgänge gelegtwird. So empfiehlt es sichbeispielsweise, die Ausbildung inBerufen der Bereiche

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Fremdenverkehr und Umwelt zufördern, die sich in voller Entwicklungbefinden.

Unterstützt wird außerdem dieAusbildung von Ingenieuren undTechnikern des Tertiärbereichs.Produktion, Installation,Instandhaltung, Wartung, Reparatur,Beratung der Benutzer:Dienstleistungen gibt es überall. DasErscheinen neuer Konsumgüter,insbesondere in der Informatik undden Kommunikationstechnologien,erhöht die Nachfrage nachDienstleistungen in beträchtlichemUmfang – eine Nachfrage, der dieKundendienstabteilungen derHersteller oder Händler nicht immergerecht werden können. In derartigenBereichen ist die Ausbildung zurDienstleistung nicht zu trennen vonder Produktion: daher ist diese Artvon Ausbildung so wichtig. Das Zielbesteht also darin, Ingenieure undTechniker auszubilden, die aufbesondere Weise auf dieDienstleistungstätigkeit und denVerbraucherbedarf vorbereitet sind,und zwar über interdisziplinäreAusbildungsgänge, die zum Teil imUnternehmen durchgeführt werdenund zu einem Abschluß oder demTitel "Ingenieur oder Techniker destertiären Sektors" führen.

Die Schulung in derUnternehmensgründung wirdgefördert. Gemeinsam mit denMitgliedstaaten und denSozialpartnern wird überprüft, welcheModalitäten die Gründung vonKleinstunternehmen, insbesonderedurch Jugendliche, begünstigen.Unter diesem Blickwinkel wird das

Grünbuch zum Thema Innovation imübrigen aufzeigen, daß noch viel zutun bleibt, will man die Formalitätenzur Gründung derartigerUnternehmen vereinfachen.

Ein Instrumentarium zur Beobachtunginnovativer Praktiken in dereuropäischen Berufsbildung wirdinnerhalb der Kommissioneingerichtet, damit der Austauschund die Verbreitung bewährterPraktiken und innovativerErfahrungen auf der Ebene derEuropäischen Union möglich wird.

Im selben Sinne werdenInstrumentarien entwickelt, die denBedarf an Kenntnissen undKompetenzen, an Qualifikationen undan neuen Berufen vorausschauenduntersuchen.

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Beispiel Nr. 2

Die Entwicklung der Lehrausbildung in Europa

Ziele:

• Entwicklung der Lehrausbildung in jeder Form (alternierende bzw. dualeAusbildung usw.) auf allen Ebenen in Europa durch Förderung der Mobi-lität zwischen den einzelnen europäischen Lehrausbildungsstätten fürrelevante Zeiträume

• Wiederbelebung der traditionellen Gesellenzeit, die die Möglichkeitbietet, während der Ausbildung in unterschiedlichen kulturellen Um-feldern und Unternehmen berufliche Erfahrungen und bildungsrelevan-tes Wissen zu erwerben

• Förderung neuer Formen der Mentorenbetreuung unter Berücksichti-gung der europäischen Dimension

Methoden:

• Aufbau und Stärkung von Netzen von Lehrausbildungsstätten zwischeneinzelnen europäischen Ländern

• Unterstützung der Lehrlingsmobilität vergleichbar mit dem Modell desERASMUS-Programms

• Einführung eines europäischen Lehrlingsstatuts in Verwirklichung derVorgaben des Grünbuchs über Hindernisse bei der grenzüberschreiten-den Mobilität Auszubildender

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III. Allgemeines Ziel Nr. 3

"DIE AUSGRENZUNG MUßBEKÄMPFT WERDEN"

Im Zuge der Entwicklung unsererVolkswirtschaften und infolge derZwänge der Wettbewerbsfähigkeitsind einige Bevölkerungsgruppen amWegesrand zurückgeblieben (soJugendliche ohne Abschluß, ältereArbeitnehmer, Langzeitarbeitslose,Berufsrückkehrerinnen). Die imersten Teil des Weißbuchsenthaltene Analyse zeigt, daß diesePersonengruppen in einer Situation,in der der Zugang zum Wissenzentrale Bedeutung für die sozialeStellung und dieBeschäftigungsfähigkeit einnimmt, innoch höherem Maße gefährdet sind.

Zur Bekämpfung dieser Prozesse dersozialen Gefährdung undMarginalisierung und somit derAusgrenzung haben dieMitgliedstaaten eine Reihe vonMaßnahmen ergriffen. Imwesentlichen basieren sie zum einenauf der Vervielfachung derAusbildungs- oderBerufsrückkehrpraktika und zumanderen auf – im übrigen variierten –Formeln zur Wiedereingliederung deram stärksten benachteiligtenPersonen über Maßnahmen lokalerEinrichtungen. Festzustellen ist hierdas Aufkommen vonEingliederungsunternehmen, von"Workshops" und anderen Arten vonWiedereingliederung durch diebetreute und qualifizierendeAusübung einer Berufstätigkeit. DieFinanzierung derartiger Maßnahmenbelastet die öffentliche Hand

erheblich; Einen wichtigen Beitraghierzu hat die Gemeinschaft über ihreStrukturfonds geleistet.

Ergänzend zu all diesen Maßnahmenwill dieses Weißbuch Nachdruck aufdie Notwendigkeit legen, aufbeispielhafte Weise zwei, bereits inverschiedenen Mitgliedstaatendurchgeführte Versuche zuunterstützen, die die Ausgrenzungbekämpfen und dasZugehörigkeitsgefühl stärken.

Es geht darum, Projekte für Schulen"der zweiten Chance" sowie denfreiwilligen Dienst von Jugendlichenvoranzubringen.

A. Die Schulen "der zweitenChance"

Die Idee ist simpel: denJugendlichen, die vomBildungssystem ausgeschlossenwurden oder zu werden drohen,werden eine optimale Ausbildung undBetreuung angeboten, um ihrSelbstvertrauen zu stärken.

Die Schule stellt sehr wohl für deneinzelnen eine "erste Chance" zurEingliederung in die Gesellschaft dar.Man kann jedoch feststellen, daßdies nicht mehr für die am stärkstenbenachteiligten Personengruppengilt, die häufig keinen geeignetenfamiliären und gesellschaftlichenRahmen haben, der sie Nutzen ausder in der Schule vermitteltenallgemeinen Bildung ziehen läßt. DieZahl der aus dem Schulsystemausgegrenzten Jugendlichen instädtischen Ballungsgebieten gehtbisweilen in die Zehntausende. Es

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besteht kaum Hoffung, daß sie ohneQualifikation eine Beschäftigungfinden und sich in die Gesellschafteingliedern.

Die Erfahrungen in denMitgliedstaaten zeigen ganz klar, daßder Nachholunterricht nicht in"Ghetto-Schulen" stattfinden darf.Mehr und mehr bieten die Schulenin städtischen Problemvierteln"eine zweite Chance" an, oderaber es werden neueBildungsstätten eingerichtet,denen zusätzliche, an ihrenStandort ausgerichtete Mittel zurVerfügung stehen.

Für diese Schulen gilt es, denZugang zum Wissen zuverbesseren, indem sie die bestenLehrer für sich in Anspruchnehmen können – notfalls mitbesserer Bezahlung als anderswo–, den Unterrichtsrhythmusanpassen, neuartigeMotivationsformen anwenden,Zugang zu Unternehmenspraktikaund zu Multimedia-Material habenund kleine Klassen einrichtenkönnen (vgl. Kasten).

Außerdem gilt es, vor demHintergrund dieser Problemviertelmit einem sich auflösendenfamiliären und gesellschaftlichenRahmen die Schule wieder zueinem Ort zu machen, an demman seine Freizeit gemeinsamverbringt, an dem auch außerhalbder Unterrichtszeiten Lehreranwesend sind.

Die Einrichtungen "der zweitenChance" sind für sämtliche

Schüler eines Problemviertelsbestimmt, ohne daß eine Auswahlzwischen denjenigen, die sich fürdie traditionelle Schule eignen,und denen, die nicht dazu fähigsind, getroffen würde, um jeglicheForm der Segregation zuvermeiden.

Es sei daran erinnert, daß es seitlangem zahlreiche Modelle gibt, dieMenschen eine zweite Chance gebensollen. In den Vereinigten Staatenwurden in verschiedenenStadtvierteln 500 Intensivschulen,sogenannte "accelerated schools",gegründet (vgl. Anhang), die denUnterricht in konsolidierter undintensiver Form erteilen. Auf dem G7-Treffen über dieInformationsgesellschaft im März1995 in Brüssel erläuterten dieamerikanischen Verantwortlichen,daß vom klassischen Schulsystemausgegrenzte Jugendliche wiederden Weg zur Schule gefundenhätten, als man ihnen Computer undbessere Ausbilder zur Verfügungstellte. Ihnen lag eher dieInteraktivität im Gegensatz zurPassivität, in die sie imherkömmlichen Unterricht verfielen.In diesen Schulen besteht imRahmen des Möglichen eineMischung ausgegrenzter und für denklassischen Unterricht geeigneterSchüler.

In Israel hat sich bereits vor derStaatsgründung ein eigenesBildungssystem im Rahmen von"Jugendgemeinschaften" in denDorfgemeinden entwickelt, das dieKinder elternloser Flüchtlinge ausEuropa aufnehmen und eingliedern

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konnte. Dieses Bildungsmodell vonAlyat Hanoar (vgl. Anhang) integriertheute mit großem Erfolg Jugendliche,die aus Marokko, Rußland, Äthiopienusw. stammen. Seit seiner Gründungkonnte das System insgesamt mehrals 300 000 Jugendliche bilden und indie israelische Gesellschafteingliedern, mit dem Ergebnis, daßder Prozentsatz der "drop outs" (dieaus dem Bildungssystemausscheiden) stark unter demnationalen Durchschnitt liegt.

Es ist nicht verwunderlich, daßsich die lokalenGebietskörperschaften in Europa –allerdings in einem völlg anderenKontext, jedoch auch als Reaktionauf eine Krisensituation – aufVereinigungen stützen und wiederan die ursprünglich aus Europa, inder Zeit zwischen den beidenWeltkriegen stammende Ideeanknüpfen, über die Schule, einezweite Chance anzubieten. In denProblemvierteln der Vorstädtewerden Ressourcen (personeller undinfrastruktureller Art) mobilisiert,damit Einrichtungen "der zweitenChance" entwickelt werden können,die sich von diesenVorläufermodellen derWiedereingliederung inspirierenlassen. Das ist der Fall in denNiederlanden, in Spanien und inFrankreich auf lokaler Ebene. Unteranderen sei hier auch ein aufeuropäischer Ebene im Rahmen vonCOMENIUS durchgeführtes Projekterwähnt: fünf europäischeGroßstädte (Antwerpen, Bologna,Bradford, Marseille und Turin) sindeine Bildungspartnerschafteingegangen, deren Ziel es ist, die

soziale Eingliederung der Kinder vonEinwanderern über deren Erfolg inder Schule zu erreichen.

Verschiedene Regierungen habennicht nur beträchtlicheHaushaltsmittel sondern auchMaßnahmen der positivenDiskriminierung zugunsten derEinrichtungen "der zweiten Chance"in Problemvierteln bewilligt, indem sieeine Art lokale "Freizone" schufen.

Die Kommission hat die Absicht,insbesondere im Rahmen derProgramme SOKRATES undLEONARDO derartige Einrichtungen"der zweiten Chance" durch Beihilfenfür eine gewisse Anzahl vonPilotprojekten, die Vernetzung derlaufenden Vorhaben und dieVerbreitung der pädagogischen unddidaktischen Methoden zuunterstützen (vgl. Kasten). Auf dieserBasis möchte sie eine Diskussion zuder Frage anstoßen, ob esangebracht ist, die Einrichtung vonSchulen "der zweiten Chance" ingroßem Umfang zu fördern.

B. Der freiwillige Dienst inEuropa

In mehreren Mitgliedstaaten gibt esdie Möglichkeit des freiwilligenDienstes. Junge Menschen können –allerdings nicht als Ersatz für denWehrdienst – Praktika absolvieren,die dem Gemeinwohl zugutekommen, und zwar entweder imHeimatland oder in einemEntwicklungsland.

Auch die Europäische Union hat überihr Programm JUGEND FÜR

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EUROPA bereits einenbescheidenen Beitrag geleistet,bislang allerdings erst aufexperimenteller Ebene. DasProgramm YOUTH START sieht imRahmen des Bereichs Berufsbildungdie Finanzierung von Maßnahmenzur Unterstützung derWiedereingliederungsaktionen fürJugendliche ohne Qualifikationen vor.

All diese Tätigkeiten – so interessantsie auch sein mögen – sind in ihremUmfang recht begrenzt. Zudemhaben sie bislang nicht zu einemtatsächlich multilateralen Vorgehengeführt. Da der Freiwilligenstatusnicht geregelt ist, stoßen sie sich anzahlreichen Hindernissen in denPunkten Freizügigkeit, Besteuerungund soziale Sicherheit.

In der letzten Zeit fordern dasEuropäische Parlament und nichtstaatliche Organisationen ausmehreren Mitgliedstaaten in immerpräziserer Form die Verabschiedungkonkreter Maßnahmen, die denfreiwilligen Dienst in Europa aufUnionsebene und ergänzend zu dennationalen Vorkehrungen – und somitunter Wahrung desSubsidiaritätsprinzips – fördernsollen.

All dies schließt sich direkt an denBericht des Ad-hoc-Ausschusses"Europa der Bürger" (Adonnino-Bericht, 1985) und an dieEntschließungen des EuropäischenParlaments vom 22. September undvom 5. Oktober 1995 an. Die Idee derEinrichtung eines humanitärenfreiwilligen Dienstes in Europa wurdeauch von der Studiengruppe zur

Regierungskonferenz aufgegriffen.

Zur Förderung des freiwilligenDienstes in Europa wird dieKommission:

– im Rahmen des bereitsbestehenden ProgrammesJUGEND FÜR EUROPA, dasbereits von Rat und Parlamentangenommen wurde, eineFörderaktion für einebeträchtliche Anzahl jungerFreiwillige für gemeinnützigeAufgaben außerhalb ihresHeimatlandes starten. Dieserfreiwillige Dienst soll innerhalbder Gemeinschaft, vor allem inbenachteiligten Stadtvierteln,sowie außerhalb derGemeinschaft in multinationalenTeams vor allem inEntwicklungsländern stattfinden;

– die Möglichkeit prüfen, auf derGrundlage der Artikel 126 und127 des Vertrags zur Einrichtungder Europäischen Gemeinschaftdie Schaffung eines rechtlichenund finanziellen Rahmens zurFörderung nationaler und ge-meinschaftlicherVersuchsprojekte für eineneuropäischen freiwilligen Dienst,insbesondere durch Beseitigungbestehender Hindernisse für dieFreizügigkeit von Freiwilligen,vorzuschlagen.

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Beispiel Nr. 3

Angebot einer zweiten Chance durch die Schule

Ziele:

• Wiedereingliederung von Jugendlichen ohne Schulabschluß ausvernachlässigten Stadtvierteln großer Ballungsgebiete in Einrichtungen, dieeine zweite Bildungschance bieten, über die Neuausrichtung von Schulen inderartigen Vierteln oder über die Schaffung neuer Bildungsstätten

• Bereitstellung oder Verstärkung einer umfassenden Betreuung durchbesonders qualifizierte Lehrer, die entsprechend den an renommiertenEinrichtungen geltenden Vergütungssätzen bezahlt werden

• Herausbildung von Motivation, Fähigkeit zum Lehren, Grundkenntnissen undsozialen Kompetenzen

• Einrichtung kleiner Klassen

Methoden:

• Erschließung zusätzlicher europäischer Finanzmittel durch Umschichtung zurErgänzung einzelstaatlicher oder regionaler Finanzierungen für die Schaffungvon Eingliederungswegen

• Durchführung von Maßnahmen in Zusammenarbeit und in Partnerschaft mitden Wirtschaftsakteuren zur Erhöhung der beruflichen Eingliederungschancennach Durchlaufen eines Eingliederungsweges

• Sofortige Einbeziehung eines lokalen Patenunternehmens (KMU) oder einesGroßunternehmens in diesen Eingliederungsweg, wenn möglich mit einerEinstellungszusage, unter der Voraussetzung, daß die Zertifizierung oder dieAnerkennung der Fähigkeiten und Fertigkeiten erreicht wird

• Anwendung eines pädagogischen und didaktischen Verfahrens mitangepaßtem Rhythmus sowie unter Einsatz der neuen Bildungstechnologien

• Vernetzung der Einrichtungen der "zweiten Chance" und Verbreitung derpädagogischen und didaktischen Methoden

• Enge Einbeziehung der Familien in die Arbeit und Funktionsweise der Schule• Intensive Nutzung von Informations- und Multimedia-Technologien (in

Zusammenarbeit mit Unternehmen)• Intensive sportliche und kulturelle Aktivitäten entwickeln

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IV. Allgemeines Ziel Nr. 4

"JEDER SOLLTE DREIGEMEINSCHAFTSSPRACHEN

BEHERRSCHEN"

Das Beherrschen mehrererGemeinschaftssprachen ist zu einerunabdingbaren Voraussetzung dafürgeworden, daß die Bürger der Uniondie beruflichen und persönlichenMöglichkeiten nutzen können, diesich ihnen mit der Vollendung desBinnenmarktes ohne Grenzen bieten.Diese Sprachkenntnisse müsseneinhergehen mit der Fähigkeit zurAnpassung an von unterschiedlichenKulturen geprägte Arbeits- undLebensverhältnisse.

Die Sprache ist außerdem einewichtige Brücke, über die man dieanderen kennenlernt. IhreBeherrschung trägt folglich zurStärkung des Gefühls derZugehörigkeit zu Europa mit seinerreichen kulturellen Vielfalt sowie zurVerständigung der europäischenBürger bei.

Das Erlernen von Sprachen hat eineandere Tragweite. Die Erfahrungzeigt, daß ein möglichst frühzeitigerBeginn ein nicht zuvernachlässigender Faktor für denErfolg in der Schule ist. Der Kontaktzu einer anderen Sprache ist mit derBeherrschung der Muttersprachenicht nur vereinbar, sondern fördertdiese sogar noch. Er bringt diegeistige Entwicklung und Regsamkeitzur vollen Entfaltung. Natürlicherweitert er auch den kulturellenHorizont. Die Mehrsprachigkeit ist einwesentliches Element sowohl der

europäischen Identität undZugehörigkeit als auch der kognitivenGesellschaft.

Die Europäische Union trägt bereitszum Ausbau desFremdsprachenerwerbs bei, undzwar im Rahmen von LINGUA – eineAktion, die nun in die ProgrammeSOKRATES und LEONARDOeingegliedert ist.

Die Beherrschung vonFremdsprachen darf nicht mehr einerElite oder Menschen, diegeographisch mobil sind, vorbehaltenbleiben. Im Zuge der Folgearbeitenzur Entschließung der im Ratvereinigten Bildungsminister vom 31.März 1995 wird es notwendig, daßjedem – unabhängig vom Bildungs-oder Ausbildungsweg – dieMöglichkeit gegeben wird, dieFähigkeit zur Kommunikation inmindestens zweiGemeinschaftssprachen nebenseiner Muttersprache zu erwerbenund zu erhalten. Die Kommissionbedauert, daß die Mitgliedstaaten dieTragweite dieser Verpflichtung durchdie Einfügung der Einschränkung"wenn möglich" abschwächenkönnen .

Will man nun die tatsächlicheBeherrschung von dreiGemeinschaftssprachen erreichen,wäre es wünschenswert, bereits imKindergarten mit dem Erlernen einerFremdsprache zu beginnen. Eserscheint unabdingbar, daß dieserUnterricht dann in der Primarstufesystematisch erfolgt und die zweiteFremdsprache in der Sekundarstufeangegangen wird. Es würde sich

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sogar anbieten, daß – wie dies in denEuropaschulen der Fall ist – diezuerst erlernte Fremdsprache in derSekundarstufe als Unterrichtssprachein verschiedenen Fächern benutztwürde. Nach Durchlaufen derErstausbildung muß dann jeder zweiFremdsprachen beherrschen.

Was nun die Berufsbildung –Erstausbildung und Weiterbildung –angeht, so muß auch hier demFremdsprachenerwerb ausreichendPlatz eingeräumt werden. Für dasArbeitsleben hat dies in zweierleiHinsicht Bedeutung, handelt es sichhier doch um ein wesentlichesElement der Allgemeinbildung undgleichzeitig um einen Trumpf, der denZugang zur Beschäftigung im Inlandoder die Mobilität innerhalb der Unionbegünstigt.

All dies setzt voraus, daß einqualitativ hochstehendesBildungsangebot zur Verfügung steht,und zwar mit modernen undzielgruppenspezifischen Materialienund Methoden.

Unter diesem Blickwinkel schlägt dasWeißbuch folgende flankierendeMaßnahmen auf europäischer Ebenevor:

Die Gemeinschaft unterstützt dieEinrichtung von Systemen sowohlzur Bewertung als auch zurGewährleistung der Qualität vonMethoden und Materialien für denErwerb der Gemeinschaftssprachen(einschließlich der Entwicklung vonQualitätsindikatoren).

Es soll ein Gütezeichen"Europäische Klassen" entworfenund den schulischen Einrichtungenverliehen werden die bestimmtenKriterien zur Förderung des Erlernensvon Gemeinschaftssprachenentsprechen (vgl. Kasten ).

Der Austausch vonzielgruppenspezifischem Material desFremdsprachenunterrichts(Erwachsene, Niedrigqualifizierte,Jugendliche, Kinder usw.) wirdunterstützt.

Das frühzeitige Erlernen derGemeinschaftssprachen wirdunterstützt, insbesondere durch denAustausch von pädagogischen unddidaktischen Materialien undErfahrungen.

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Beispiel Nr. 4

Ein Gütezeichen für europäische Klassen

Ziele:

• Unterricht in mindestens zwei Fremd(gemeinschafts)sprachen für alleJugendlichenFörderung innovativer Methoden des Fremdsprachenerwerbs

• Verbreitung der täglichen Benutzung der europäischen Fremdsprachen aufallen Ebenen der Schule

• Sensibilisierung für die Gemeinschaftssprachen und ihr frühzeitiges Erlernensowie für die Kultur der anderen Mitgliedstaaten

Methoden:

• Mobilisierung der Bildungseinrichtungen, damit das Erlernen von wenigstenseiner Gemeinschaftssprache von der Primarstufe an gewährleistet ist

• Festlegung eines Gütezeichens "Europäische Klassen", das nach folgendenKriterien vergeben würde:– tatsächliche Benutzung einer Gemeinschaftssprache durch die Schüler

auf der Ebene der Primarstufe, von zwei Gemeinschaftssprachen in derSekundarstufe

– Mitwirkung von Lehrkräften aus anderen Mitgliedstaaten der Union– Anwendung geeigneter pädagogischer Verfahren zum selbständigen

Erlernen von Sprachen– Einrichtung einer Organisation, die den Kontakt zwischen jungen

Menschen aus verschiedenen Mitgliedstaaten fördert (auch über denEinsatz der Informationstechnologien)

• Durch Förderung dieses Gütezeichens können auch weitere Finanzmittelseitens der Mitgliedstaaten (einschließlich der Gebietskörperschaften)freigestellt werden.

• Vernetzung der Einrichtungen mit diesem Gütezeichen• systematische Förderung der Mobilität von Lehrern, die ihre Muttersprache

unterrichten, in Bildungseinrichtungen anderer Länder, was auf der Grundlagedes Gemeinschaftsrechts und durch die entsprechende Anpassung derVorschriften für den öffentlichen Dienst möglich ist

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V. Allgemeines Ziel Nr. 5

"MATERIELLE UNDBERUFBILDUNGSSPEZIFISCHE

INVESTITIONEN SOLLEN GLEICHBEHANDELT WERDEN"

Das Weißbuch unterstreicht diBedeutung berufsspezifischerInvestitionen für dieWettbewerbsfähigkeit und Eignungzur Erwerbstätigkeit. Zur Umsetzungin die Praxis müssen zwei Bereicheanalysiert werden und Gegenstandentsprechender Vorschläge sein:

• Investitionen in dasHumankapital

• buchungstechnische undsteuerliche Behandlung vonBildungsausgaben

Zum ersten Aspekt ist zu sagen, daßdie Bildungs- undBerufsbildungsausgaben stark derEntwicklung der Konjunktur und denSchwankungen desBeschäftigungsniveaus unterliegen.Für Unternehmen ist dies besondersschwierig. Im Zuge der Rezessionstellte man fest, daß dort dieTendenz zu einer erheblichenKürzung der Ausgaben bestand. Wasdie öffentlichen Haushalte betrifft, soist im Zusammenhang mit derHaushaltsdisziplin und der Senkungder Staatsschulden eine verstärkteAufmerksamkeit dafür gefordert, daßdie von der Allgemeinheit in dieallgemeine und berufliche Bildunggetätigten Investitionenaufrechterhalten werden.

Nun zur steuerlichen undbuchungstechnischen Behandlung:Die Arbeit wird nicht als Bestandteildes Vermögens betrachtet. Sie stellteinen Betriebsaufwand dar, der in derGewinn- und Verlustrechnung desUnternehmens erscheint, und zwar inForm von Arbeitsentgelt und Steuern.Hier ist nun zu prüfen, ob das vonden Beschäftigten in Ausübung ihrerTätigkeit erlangte Wissen und Know-how dem Unternehmen einenMehrwert erbringt; so könnte ein Teilder Ausgaben für Berufsbildung undArbeitsentgelt während desAusbildungszeitraums alsabschreibungsfähige immaterielleAnlagewerte behandelt und auf dasBilanzkonto übertragen werden.

Heutzutage ist es von vorrangigerBedeutung, das von den Akteuren imBereich der allgemeinen undberuflichen Bildung gewährte Niveauder Finanzmittel – was voraussetzt,daß diese quantifiziert werden – zukonsolidieren, die Vorkehrungen fürdirekte oder indirekte Anreize zurFörderung der Investitionen in dieHumanressourcen auszubauen unddie Systeme für die Buchung undsonstige entsprechende Behandlungder Ausgaben zu verbessern.

Insbesondere wäre eswünschenswert, wenn – wie dieKommission dies bereits in ihrerMitteilung über eine „Politik derindustriellen Wettbewerbsfähigkeit fürdie Europäische Union“ (KOM(94)319 endg.) vorschlug – Vorkehrungenauf nationaler Ebene zugunsten derUnternehmen getroffen würden, diesich besonders um die berufliche

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Bildung bemüht haben, damit ein Teilder aufgewendeten Mittel alsimmaterielle Anlagewerte in derBilanz ausgewiesen werden kann.Parallel dazu müßten Formeln wiedas "Bildungssparen" für Personenentwickelt werden, die ihreKenntnisse auffrischen oder nacheiner Unterbrechung die Ausbildungwieder aufnehmen wollen.

Die Entwicklung derInformationsgesellschaft führt bereitszum Vertrieb eines steigendenAnteils neuer Güter undDienstleistungen, die zur Erweiterungdes Wissens immer wichtigerwerden. Zahlreiche Mitgliedstaatensehen in ihren Steuersystemenbereits partielleAusnahmemodalitäten vor, die esdem einzelnen ermöglichen,bestimmte bildungsspezifischeAusgaben von der Steuerabzusetzen. Man muß sich fragen, obdiese Systeme nicht überprüft undrasch ausgeweitet werden müssen,damit der technologischenEntwicklung Rechnung getragen undes den Bürgern ermöglicht werdenkann, so viel wie möglich in dieständige Verbesserung ihrerKenntnisse zu investieren.

Das Weißbuch schlägt die folgendenflankierenden Maßnahmen aufeuropäischer Ebene vor:

– Messung der Investitionen in dieallgemeine und beruflicheBildung zum einen;

– Förderung der Investitionen indie Humanressourcen zumanderen.

Es wird eine allgemeineÜbersichtstabelle (Tableau de bord)über die öffentlichen und privatenInvestitionen in die allgemeine undberufliche Bildung innerhalb derUnion erstellt.

Außerdem erfolgt eineBestandsaufnahme derInvestitionshilfen und -anreize imBereich der allgemeinen undberuflichen Bildung in Europa, damitInformationen über die derzeitbestehenden Vorkehrungenverbreitet werden können.

Ausgehend von einer Überprüfungder verschiedenen Modalitäten zursteuerlichen undbuchungstechnischen Behandlungder Ausgaben für berufliche Bildungdurch die Unternehmen und deneinzelnen wird eine Konzertierung mitden Mitgliedstaaten über dieFörderung von Investitionen in dieHumanressourcen alsAnlagevermögen eingeleitet (vgl.Kasten).

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Beispiel Nr. 5

Förderung der Investitionen in die Humanressourcen als Anlagewerte

Ziele:

• Förderung eines allgemeinen Konzepts, nach dem Ausgaben für dieberufliche Bildung als Investitionen, und nicht als laufende Ausgaben zubetrachten sind

• Anregung für den einzelnen, auf der Grundlage des Modells der Sparplänein seine berufliche Bildung zu investieren

• Förderung der Abstimmung zwischen den nationalen Systemen bezüglichder buchungstechnischen und steuerlichen Behandlung der Ausgaben für dieberufliche Bildung

• Annäherung der buchungstechnischen und steuerlichen Behandlung derimmateriellen Sachinvestitionen insbesondere auf der Ebene der Ausgabenfür Forschung und berufliche Bildung

Methoden:

• Ermittlung der vielfältigen Modalitäten zur steuerlichen undbuchungstechnischen Behandlung der Ausgaben für die berufliche Bildungdurch die Unternehmen und den einzelnen

• Bewertung der finanziellen Auswirkungen für Staat und Unternehmen

• Prüfung auf der Ebene der Gemeinschaft der verschiedenen Modalitäten,die für Unternehmen und einzelne eine Behandlung der Ausgaben fürberufliche Bildung als Investitionen ermöglichen

• Konzertierte Prüfung gemeinsam mit den Mitgliedstaaten und denSozialpartnern der rechtlichen und administrativen Bestimmungen, dieerforderlich sind, damit die Ausgaben für berufliche Bildung der Unternehmenals Investitionen betrachtet werden können

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ALLGEMEINE SCHLUßFOLGERUNGEN

Die Welt durchläuft eine Zeit des Übergangs und des tiefgreifenden Wandels.Alles weist darauf hin, daß die europäische Gesellschaft, wie auch alle anderenGesellschaften, in ein neues Zeitalter eintreten wird, das wahrscheinlichunbeständiger und unvorhersehbarer sein wird als die früheren.

Sicherlich, dieses neue Zeitalter – das der Globalisierung des Handels, derInformationsgesellschaft, der wissenschaftlichen und technischen Umwälzungen –wirft Fragen auf und weckt Ängste, zunächst einmal, weil sich seine Umrisse nurschemenhaft abzeichnen.

Diese Fragen und Befürchtungen sind in Europa wahrscheinlich stärkerausgeprägt als anderswo. Die europäische Zivilisation hat eine lange Tradition undist komplex. Sie ist heute hin und hergerissen zwischen einem starkenForschungsdrang und Wissensdurst – Erbe einer Vergangenheit, die Europa dieerste technologische und industrielle Revolution vollziehen sah und so die Weltveränderte, – und einem starken Verlangen nach Stabilität und kollektiverSicherheit. All dies ist verständlich in einem Kontinent, der so lange von Kriegenheimgesucht und von politischen und sozialen Konflikten zerrissen war: es kannaber auch so weit führen, daß sich konservative Reflexe gegen jeden Wandelsperren.

Und doch: diese Zeit das Wandels bietet Europa eine historische Chance ,denn die Zeiten der Veränderung, in denen aus einer Gesellschaft die nächstehervorgeht, sind die einzige Gelegenheit für tiefgreifende Reformen, die brutaleVerwerfungen vermeiden lassen. Die Zunahme des Welthandels, diewissenschaftlichen Entdeckungen, die neuen Technologien, all dies eröffnet neueEntwicklungs- und Fortschrittsperspektiven.

Bei einem großen europäischen Historiker, der diese Zeit des Wandels sehr gutmit ähnlichen Erscheinungen in der Vergangenheit – insbesondere mit demÜbergang vom Mittelalter zur Rennaissance – zu vergleichen versteht, lesen wir:

"Das Europa des Mittelalters und das der Moderne wurde mit der byzantinischenKultur, der arabischen Welt und dem türkischen Imperium konfrontiert. Heutehandelt es sich glücklicherweise um eine friedlichere Konfrontation, aber dieExistenz historischer Akteure, die wegen ihrer geographischen Ausdehnung oderihrer Wirtschaftsmacht – oder wegen beidem zusammen – von gewaltiger Statursind, zwingt Europa dazu, eine ihnen vergleichbare Größe anzunehmen, wenn esfortbestehen und seine Identität weiterentwickeln und bewahren will. GegenüberAmerika, gegenüber Japan, gegenüber dem China von morgen muß Europa übereine wirtschaftliche, demographische und politische Masse verfügen, die ihmseine Unabhängigkeit sichern kann.

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Glücklicherweise hat Europa die Kraft seiner Zivilisation und seines kulturellenErbes auf seiner Seite. Wir haben es erlebt: Im Verlauf von 25 Jahrhunderten wardie europäische Zivilisation immer wieder aufs neue schöpferisch. Und heute noch– so sagt ein Schlagwort – ist der Hauptrohstoff Europas das intellektuellePotential seiner Bürger."1

Europa hat genau die Dimension, innerhalb derer sich eine fortschrittlicheGesellschaft entwickeln kann, die dazu in der Lage ist, zur Veränderung der Dingeauf weltweiter Ebene und gleichzeitig zur Bewahrung eines gesundenSelbstbewußtseins beizutragen.

Dieses Weißbuch hat den Standpunkt vertreten, daß dieses Ziel verwirklichtwerden kann, indem so rasch wie möglich die kognitive Gesellschaft entwickeltwird. Dieses Voranschreiten bringt tiefgreifende Veränderungen mit sich.Tatsächlich wirken sich die Systeme der allgemeinen und beruflichenBildung allzu oft so aus, daß ein für allemal ein beruflicher Werdegangvorgegeben ist. Sie sind zu unflexibel, es gibt zu viele Barrieren zwischenden Systemen, es gibt keine ausreichenden Übergänge und Möglichkeiten,neue Arten des Unterrichts im Bereich des lebenslangen Lernenswahrzunehmen.

Allgemeine und berufliche Bildung vermitteln die für die Bestätigung einerjeglichen individuellen und kollektiven Identität erforderlichen Bezugspunkte. Sieermöglichen gleichzeitig wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt. DieSelbständigkeit, die sie dem einzelnen verleihen, stärkt – sofern sie allen zu eigenist – den Zusammenhalt und das Gefühl der Zugehörigkeit. Die kulturelle VielfaltEuropas, seine Tradition, die Mobilität zwischen verschiedenen Kulturen sindwichtige Trümpfe, wenn es darum geht, sich an die neue Welt, die sich amHorizont abzeichnet, anzupassen.

Europäer zu sein bedeutet, auf kulturelle Errungenschaften von unerreichterVielfalt und Prägekraft zurückgreifen zu können. Es muß auch bedeuten,sämtliche Möglichkeiten des Zugangs zu Kenntnissen und Fertigkeiten nutzen zukönnen. Dieses Weißbuch will erreichen, daß sich diese Möglichkeiten in nochgrößerem Maße auftun. Die in ihm enthaltenen Empfehlungen können aber dasProblem nicht erschöpfend behandeln.

Sie verfolgen ein bescheideneres Ziel, nämlich im Zusammenwirken mit der Politikder Mitgliedstaaten im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung dazubeizutragen, daß Europa den Weg zur kognitiven Gesellschaft einschlägt. Siezielen außerdem darauf ab, eine ausführlichere Diskussion für die kommendenJahre anzustoßen. Schließlich können sie auch zeigen, daß die Zukunft Europas

1 Jacques Le Goff, La vieille Europe et la nôtre, 1994, Paris, Editions du Seuil.

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und sein Platz in der Welt von der Fähigkeit abhängt, heute der persönlichenEntfaltung der Frauen und Männer einen genauso großen Raum zu geben wiewirtschaftlichen und monetären Fragen. Auf diese Weise wird Europa unterBeweis stellen, daß es nicht nur einfach eine Freihandelszone darstellt, sonderndaß es ein organisiertes politisches Ganzes ist und über die Mittel verfügt, dieGlobalisierung nicht etwa über sich ergehen zu lassen, sondern sie zu bewältigen.

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Anhang 1

Fakten und Zahlen

Anmerkung:

1. Die nachstehenden Fakten und Zahlen wurden einigen von derEuropäischen Kommission bzw. der OECD erstellten Dokumentenentnommen. Wie alle statistischen Angaben, insbesondere wenn sie ver-gleichenden Charakter tragen, sollten sie mit Vorsicht betrachtet werden,zumal sie sich zumeist auf das Jahr 1991/1992 beziehen.

2. Die Fakten und Zahlen zur beruflichen Bildung beziehen sich im wesentli-chen auf die Weiterbildung (da in mehreren Mitgliedstaaten - wie z.B.Frankreich - die Erstausbildung überwiegend in den Bereich des Bildungs-wesens fällt, vor allem unter der Bezeichnung berufsbildende Ausbildung). Imübrigen sind präzise und globale Angaben schwer zugänglich, da die Wei-terbildung vor allem Sache der Unternehmen (und der Branchen) ist.

ALLGEMEINE BILDUNG

→→→→ 1993 lebten in den 15 Mitgliedstaaten der Union annähernd 117Millionen Personen unter 25 Jahren, das sind 32 % der Bevölkerung . InIrland ist der relative Anteil der Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung amhöchsten (43 %), also 1,5mal höher als in Deutschland, wo der Anteil amniedrigsten ist. Seit 1973 ist der Anteil der unter 25jährigen an derBevölkerung in allen Mitgliedstaaten zurückgegangen . Am stärksten wardieser Rückgang in den Ländern mit dem höchsten prozentualen Anteil derunter 25jährigen (Spanien, Finnland, Niederlande, Portugal). Der Anteil derunter 25jährigen an der Bevölkerung ist sehr unterschiedlich verteilt. Er reichtvon mehr als 35 % beispielsweise in Südportugal, in Süditalien, in der Nord-hälfte Frankreichs oder in Irland bis zu weniger als 29 % in den Regionen imNorden Italiens und in den neuen deutschen Bundesländern.

→→→→ Im Schuljahr 1991/1992 gab es in der Europäischen Union 67 MillionenSchüler und Studenten - d.h. etwa ein Fünftel der Gesamtbevölkerung(bezogen auf das Europa der 12). Nahezu 60 % der Jugendlichen unter 25Jahren besuchten eine Bildungseinrichtung. Rechnet man die Kinder in denVorschuleinrichtungen hinzu, so besuchten im Jahre 1992 im Europa der 12etwa 77 Millionen Kinder und Jugendliche unter 25 Jahren Bildungs- und Vor-schuleinrichtungen, das sind ca. 70 % dieser Altersgruppe.

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•. 1991/1992 befanden sich in der Europäischen Union (12 Mitgliedstaa-ten) mehr als 22 Millionen Kinder in der Primarstufe , das sind mehr alsein Drittel aller Schüler und Studenten.

• 1991/1992 befanden sich in der Europäischen Union etwa 35 MillionenSchüler in der Sekundarstufe , das sind 52 % aller Schüler und Studenten.Die prozentualen Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern variierenzwischen 44 % in Portugal und ca. 60 % in Deutschland. In der Union insge-samt (vor allem in Deutschland, Italien, den Niederlanden, Österreich undSchweden) ist die Zahl der Schüler in der technischen Sekundarstufe höherals in den allgemeinbildenden Bildungsgängen (in Deutschland fast 79 %).

• 1991/92 besuchten mehr als 10 Millionen Jugendliche eineHochschuleinrichtung, das sind 14 % aller in der Ausbildung befindlichen.Am höchsten war dieser Prozentsatz in Dänemark und am geringsten in Por-tugal. Bemerkenswert ist, daß (stets bezogen auf 1991/1992) 5 % derStudenten Nicht-Inländer des betreffenden Staates waren (auch hier gibt esdeutliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten: 10,4 % in Belgien,1,4 % in Griechenland).

→→→→ Nicht alle Schüler erwerben am Ende ihrer Schulzeit zwangsläufigeinen Abschluß . In der Europäischen Union lag die Quote der erworbenenAbschlüsse im Verhältnis zur Zahl der 18jährigen in der Sekundarstufe bei0,81. Bezogen auf die 23jährigen lag sie im gleichen Jahr (1990/1991) bei0,23. In beiden Fällen gab es große Unterschiede zwischen den einzelnenMitgliedstaaten.

→→→→ 1991/1992 gab es in der Europäischen Union mehr als 4 MillionenLehrer (ohne Hochschulen).

→→→→ In der Europäischen Union insgesamt sind die meisten Bil-dungseinrichtungen staatlich , wobei mehr als 70 % der Einrichtungendirekt zum öffentlichen Sektor gehören. Der Prozentsatz der völligunabhängigen Privatschulen (d.h. Einrichtungen, die zu weniger als 50 %durch die öffentliche Hand finanziert werden) ist in Italien am höchsten.

→→→→ Im März 1995 waren mehr als 20 % der nicht in einer Ausbildungbefindlichen Jugendlichen unter 25 Jahren arbeitslos . Diese Quotevariiert zwischen 6,5 % in Luxemburg und mehr als 45 % in Spanien. In allenLändern der Union mit Ausnahme Deutschlands ist die Jugend-arbeitslosigkeit deutlich höher als die Arbeitslosigkeit insgesamt.

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→→→→ Im allgemeinen (mit Ausnahme von Griechenland und Italien) bestehtein direkter Zusammenhang zwischen Bildungsniveau undArbeitslosenquote. Je höher das Bildungsniveau ist, desto geringer istdie Arbeitslosenquote der betroffenen Jugendlichen . In Belgien,Dänemark, Deutschland, Spanien, Frankreich, Irland, Italien, Finnland,Schweden und im Vereinigten Königreich lag diese Quote bei oder über15 % bei Jugendlichen ohne Abschluß der Sekundarstufe I und unter 10 %bei Jugendlichen mit Hochschulabschluß.

→→→→ Die Ausgaben für das Bildungswesen stellen einen bedeutendenPosten der öffentlichen Haushalte dar . In Finnland ist der für dasBildungswesen aufgewandte prozentuale Anteil des BSP (im Jahre 1992) mitca. 8 % am höchsten. Bei den Ländern, für die Angaben verfügbar waren,lag die Quote zwischen 7,9 % und 5 % (Deutschland, Niederlande). Mit Aus-nahme der Niederlande, wo der für die privaten Einrichtungen aufgewandteTeil ziemlich hoch ist (3,3 % des BSP), fließen die Mittel aus dem Bildungs-etat fast ausschließlich in die staatlichen Einrichtungen. Es besteht nichtnotwendigerweise ein direkter Zusammenhang zwischen dem für Bil-dungszwecke aufgewandten Prozentsatz des BSP und den Ausgaben proSchüler bezogen auf das BSP pro Einwohner.

→→→→ Gegenwärtig gibt es in Europa mehr als 500 000 Fernstudenten, das sindetwa 7 % aller Hochschulstudenten.

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BERUFLICHE BILDUNG

→→→→ 1991-92 besuchten 60 % der Jugendlichen eine berufliche Schule derhöheren Sekundarstufe (63 % der männlichen und 58 % der weiblichenJugendlichen). Das Vereinigte Königreich ist das einzige Land, in dem derAnteil der weiblichen Jugendlichen, die berufsbildende Einrichtungenbesuchen, mit 59 % höher ist als der der männlichen Jugend (52 %).

→→→→ Die öffentlichen Ausgaben für Berufsbildungsprogramme beliefen sich1993 auf 0,5 % des BIP gegenüber 0,25 % im Jahre 1985 . Man gehtdavon aus, daß die Arbeitgeber etwa 1,5 % der Lohnsumme für dieberufliche Bildung ausgeben.

→→→→ Nach Schätzungen nehmen in der EU jährlich mindestens 20 % derErwerbsbevölkerung an einer beruflichen Aus- oder Wei-terbildungsmaßnahme verschiedener Art mit einer durchschnittlichenDauer von einer bis zwei Wochen teil . Nach einer Erhebung aus demJahre 1993 hatten in den 12 Mitgliedstaaten etwa 5 % der männlichen und6 % der weiblichen Beschäftigten über 25 Jahre in den letzten vier Wochenunmittelbar vor der Befragung an einer beruflichen Bildungsmaßnahmeteilgenommen.

→→→→ Die Rolle des Privatsektors als Bildungsträger hat deutlichzugenommen . Die Gesamtzahl der Bildungsträger in der EuropäischenUnion wird auf mehr als 60 000 geschätzt.

→→→→ Obwohl es in der Europäischen Union mehr als 3 000 Hoch-schuleinrichtungen gibt, spielen sie in der Weiterbildung nur einegeringe Rolle . Bezogen auf die Gesamtteilnehmerzahl liegt der Anteil derHochschuleinrichtungen in Frankreich bei 5 %, in Deutschland bei 2-3 %,während er in den skandinavischen Ländern und im Vereinigten Königreichmehr als 10 % beträgt.

→→→→ Die Teilnahme an der beruflichen Weiterbildung ist vom Bildungsniveauabhängig . Für die Mitgliedstaaten, aus denen Angaben vorliegen, besagendie Zahlen, daß Personen mit dem Abschluß der Sekundarstufe II imVerlaufe ihres Erwerbslebens in stärkerem Maße anWeiterbildungsmaßnahmen teilnehmen als Personen mit dem Abschluß derSekundarstufe I.

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Anhang 2

Beispiele aus Gemeinschaftsprogrammen im Bereichder allgemeinen und beruflichen Bildung

1. Beispiele zur Mobilität

ERASMUS (Studenten)

Beschluß des Rates: 1987Betroffene Personen: 1987-1988 3 000 Stipendiaten

1995-1996 170 000 Stipendiaten

COMETT II (Zusammenarbeit Hochschule-Wirtschaft und Studentenpraktikain der Industrie)

Beschluß des Rates: 1988

Betroffene Personen: 1990 4 400 Studenten in transnationalenPraktika

1994 8 700 Studenten in transnationalenPraktika

75% der an den COMETT-Vorhaben teilnehmenden Unternehmen waren KMU

PETRA II (Jugendliche in der beruflichen Erstausbildung und jungeArbeitnehmer)

Beschluß des Rates: 1991Betroffene Personen: 1992-1994 23 566 Jugendliche in der beruflichen

Erstausbildung13 053 junge Arbeitnehmer

FORCE (Berufliche Weiterbildung in Europa)

Beschluß des Rates: 1990

Betroffene Personen: 5 000 europäische Partnerschaften, hiervon etwa3 000 Unternehmen oderUnternehmenszusammenschlüsse (darunter70% KMU) und 900 europäischePartnerschaften für berufliche Bildung unterEinbeziehung der Sozialpartner im Rahmenvon 720 Projekte.

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2. Beispiele für Projekte im Rahmen des SOKRATES-Programms

� Higher European Diploma in Administration and Management (Hedam):Dieses Diplom entstand als Ergebnis einer akademischen Zusammenarbeit.Das Studium dauert drei Jahre; 20 % der Ausbildung sind für das Erlernen vonzwei Sprachen vorgesehen. Zur Zeit nehmen dreihundert Studenten an Hedamteil. Einbezogen sind 22 Partnereinrichtungen.

� Projekt für Fernunterricht, angeboten von der Fédération européened'associations pour l'éducation des enfants de travailleurs migrants(Efecot): In der Organisation sind vierzig nationale Vereinigungen undGruppierungen für die Ausbildung von Kindern zusammengeschlossen, derenEltern einen Wanderberuf ausüben (Binnenschiffer, Schausteller,Zirkusartisten). Das Projekt wendet sich auch an die Eltern.

� Euroling (Multimediales Unterrichtsmaterial für Italienisch, Spanisch undNiederländisch der Elementar- und der Zwischenstufe): Das Material kannselbständig oder in der Gruppe verwendet werden. Beteiligt sind achtHochschulen.

� Polyphonia (Europäisches Musiknetz - Erasmus): 12 europäischeMusikfakultäten und Konservatorien haben sich in diesem Netzzusammengeschlossen, um zur Verbesserung der Mobilität ihrer Studente undLehrkräfte zusammenzuarbeiten (gemeinsame Bildungsgänge undIntensivprogramme, gemeinsame Prüfungsausschüsse). Das Netz gründete einKammerorchester und ein Blechbläserensemble.

� Tradutech (Europäisches Netz von Übersetzer- und Dolmetscherschulen -Erasmus): Seit 1986 arbeiten über 40 europäische Übersetzer- bzw.Dolmetscherschulen zur Förderung der Mobilität ihrer Studenten und Lehrkräftezusammen. Ein Ergebnis dieser Kooperation ist die technischeÜbersetzungshilfe Tradutech. Alle Partner nutzen das ECTS-System zureuropaweiten Anrechnung sogenannter Ausbildungs-"Credits". Verstärkt wurdedas Erlernen weniger verbreiteter europäischer Sprachen. Ein in Europaeinmaliges Projekt zur Ausbildung von Dolmetschern in der Zeichensprachebefindet sich in der Entwicklungsphase.

� Diecec (Europäisches Städte-Kooperationsnetz im Bereich der interkulturellenBildung - Comenius): Es dient der Bekämpfung von Dequalifikation und Arbeits-losigkeit. Fünf europäische Großstädte (Marseille, Antwerpen, Bradford,Bologna und Turin) begannen eine Partnerschaft im Bildungsbereich, um dieEingliederung von Einwandererkindern durch verbesserte schulischeLeistungen zu fördern.

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� Adele (Erlernen der europäischen Dimension im Fremdsprachenunterricht -Lingua): Im Rahmen transnationaler Arbeitsgruppen, in denen 4 Länder (Frank-reich, Portugal, Spanien und Griechenland) vertreten sind, werden gemeinsammultimediale Ausbildungsmodule erarbeitet; auf diese Weise findet dieeuropäische Dimension Aufnahme in die Bildungsinhalte, die denFremdsprachenlehrern anhand von entsprechenden Unterrichtsanleitungenvermittelt werden.

� Meithal (Erstausbildung für Lehrer und europäische Dimension - Comenius):Seit 1990 führt das Meithal-Netz ("Meithal" bedeutet auf Gälischzusammenarbeiten) Lehrer und angehende Lehrer von 12 Lehranstalten aus 8Unionsländern zu einem einmonatigen Lehrgang über ein bestimmtes Thema(1994 "Kunst in Europa") zusammen, in dessen Mittelpunkt derErfahrungsaustausch und Überlegungen über die europäische Dimension beider Erstausbildung von Lehrern stehen.

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3. Beispiele für Projekte im Rahmen des LEONARDO-Programms

� Qualitäts-System (FORCE): Ein Konsortium aus spanischen, irischen undportugiesischen Unternehmen hat ein Ausbildungsprogramm, das speziell aufdie Bedürfnisse der europäischen KMU bei der Umsetzung vonQualitätsprogrammen zur Einbeziehung der Qualität in das strategischeUnternehmensmanagement abgestellt ist und als Personalmanagement-Instrument dient, entwickelt. Das Projekt leistet zugleich einen Beitrag zur Ver-breitung der Qualitätsnormen ISO 9000. Das fertige Produkt in vier Sprachen istauf CD-ROM erhältlich.

� Internationales Programm zur Vermittlung Jugendlicher in eine Erstausbil-dung in der Metallbranche (PETRA): In Dänemark wurde im Rahmen einerAktion unter Federführung des paritätischen Ausschusses der Metallindustrieein Erstausbildungsprogramm gestartet, das für alle Ausbildungsgänge einAuslandspraktikum vorschreibt. Ähnliche Maßnahmen wurden auf demVerordnungswege in den Niederlanden, in Italien und Spanien ergriffen.

� Euskal-Herria (COMETT): Diese Ausbildungspartnerschaft Hochschule-Wirtschaft (AUEF), an der 10 Unternehmen, 7 Hochschulen und 18Berufsorganisationen aus dem Baskenland und anderen europäischenRegionen mitwirken, hat Ausbildungs- und Umschulungsmaßnahmen fürArbeitnehmer, die eine andere Qualifikation benötigen und/oder arbeitslos sind,entwickelt, um deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen.

� Entwicklung und Nutzung eines neuen Werksberufsprofils "technischerExperte" (FORCE): Ergebnis dieses Projektes, das für Ausbilder vonhochqualifizierten Kräften entwickelt wurde und zu dessen Partnerneuropäische Automobilhersteller, Vertragshändler und Bildungsträger ausmehreren Ländern zählen, ist eine Software für zwei multimedialeAusbildungsprogramme zu den Themen Automobillärm und Airbag.

� Biomerit (Europäisches Netz im Bereich Biotechnologie-Ausbildung(COMETT): 33 Partner aus 7 Unionsländern haben im Rahmen von Biomerit imVerlaufe von 3 Jahren fast 15 Ausbildungsseminare mit rund 900 Teilnehmerndurchgeführt. Zu den großen Leistungen von Biomerit zählt, daß zum einenStudenten und Forscher mit der europäischen Netzwerkarbeit und zum anderengleichzeitig Unternehmen mit der Einführung von biotechnologischenNeuerungen in landwirtschaftliche Betriebe und in mittelständischeGewerbeunternehmen vertraut gemacht werden.

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� Gründung eines eigenen Unternehmens im Ausland (PETRA): Auf partner-schaftlicher Grundlage arbeiten Handelsschulen in Dänemark, Luxemburg,Portugal und in den Niederlanden im Rahmen eines Erstausbildungsnetzes ander Simulierung der Gründung transnationaler Firmen zusammen. Vorhabenzur Gründung von Unternehmen im Ausland werden in jedem einzelnenAusbildungszentrum entwickelt. Nach ihrer Fertigstellung werden diese Projektedurch lokale Prüfungsgremien (Handelskammern, Unternehmen) im Rahmeneiner "business fair" vorgestellt.

� Ecata (COMETT): Es handelt sich hierbei um ein transnationales Projekt zurAusbildung in fortgeschrittenen Luftfahrttechnologien. 7 Hochschulen ausmehreren Ländern und 11 europäische Hersteller beteiligen sich an dieserPartnerschaft für angehende Ingenieure. Zum Abschluß der Ausbildungerhalten die Teilnehmer ein Diplom. Seit 1990 wurden über 2000Ausbildungsstunden gegeben.

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4. Beispiele für Projekte im Rahmen des ProgrammsTelematikanwendungen

• Ausbildung durch Forschung und Untersuchungen : Zwei Konsortien ausUnternehmen und Lehranstalten haben zwei Ausbildungsprogramme erstellt,und zwar eines für Medizinstudenten und das andere für Schüler dertechnischen Sekundarstufe; beide bauen auf dem intensiven Einsatzpraktischer simulierter Arbeiten auf. Den Schülern und Studenten kommt eineintegrierte pädagogische Unterstützung durch Anleitung und Erklärung aufAnfrage zugute. Diese Vorgehensweise, bei dem der induktive Denkansatzhervorgehoben wird, sollte zu vertieften und leichter übertragbaren Kenntnissenführen (Projekte COAST und SERVIVE).

• Zusammenarbeit zwischen Universitäten zur Förderung neuerDienstleistungen im Bildungswesen : Hierbei reicht es nicht aus, einenZugang zu umfangreichen Wissensressourcen zu schaffen. Diese Ressourcenmüssen nach Maßgabe des Bedarfs der Zielgruppen strukturiert und für denLernenden attraktiv und motivierend sein. Dieses Konzept eines Wissenstanks,der durch ein Konsortium von Universitäten eingerichtet und gespeist wird(Projekt ARIADNE), wird zur Zeit in einer Gruppe von Unternehmen aufwirtschaftliche und soziale Relevanz überprüft. Ein zweites Konsortium vonUniversitäten erprobt die Verteilung der Dienstleistungen über die Hybridnetze,in denen Kabelfernsehen, die öffentlichen Telekommunikationsnetze und dieForschungsnetze kombiniert werden (Projekt ELECTRA).

• Weiterbildung für KMU : Ein Konsortium aus Einrichtungen für die technischeAusbildung und KMU trägt zur Entwicklung einer Datenbank für Kursmodulebei. Die Anbieter von Dienstleistungen im Bildungswesen passen dieStandardmodule an die spezifischen Bedürfnisse ihrer Kunden an. DieBenutzer haben entweder von ihrem Arbeitsplatz im Unternehmen oder voneinem lokalen Berufsbildungszentrum aus Zugang zu denWeiterbildungsressourcen (Projekt IDEALS).

• Selbststudien : Diese Art von Fernunterricht ist am weitesten verbreitet, wobeidie Fortschritte in der Telematik es ermöglichen, eine hochwertigepädagogische Unterstützung, eine bessere Interaktion zwischen Lehrkräftenund Studenten, sowie ein reichhaltiges Medienumfeld mit zahlreichen Medienanzubieten. Im Rahmen des Projekts DOMITEL wird die Benutzung desKabelfernsehens erprobt, während bei TOPILOT eine spezifische Lösung fürdie Wanderarbeitnehmer angewandt wird, die auf mobilenDatenkommunikationstechniken beruht.

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• Netze für Fachausbildungsgänge : Ein zunehmender Anteil der Ausbildungauf dem Gebiet der Spitzentechniken steht an den Universitäten nicht zurVerfügung, entweder weil auf lokaler Ebene die Nachfrage nicht ausreicht, umunter wirtschaftlichen Aspekten die Einrichtung eines fortgeschrittenen Kurseszu rechtfertigen, oder weil die Forschung vorwiegend von den Unternehmendurchgeführt wird. Europa ist die relevanteste Ebene für die Organisation vonsolcher Ausbildung. Zwei Konsortien evaluieren an diese neuen Bedürfnisseangepaßte neue Berufsbildungskonzepte. Das erste wird durch eineuropäisches Netz von Forschungslaboratorien für Mikroelektronik (MODEM)und das zweite durch ein Netz nationaler Meteorologieinstitute (EUROMET)umgesetzt.

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Anhang 3

Das Bildungskonzept von Alyat Hanoar

Alyat Hanoar ist eine Einrichtung in Israel, die sich auf die Erziehung vonHeranwachsenden spezialisiert hat, welche als Jugendliche besondersschwerwiegenden Problemen ausgesetzt sind und zwar aufgrund spezifischerSchwierigkeiten sowohl familiärer und sozialer als auch kultureller Art und die ihreFähigkeit beeinträchtigen, verantwortliche Erwachsene zu werden.

Ursprünglich entstand dieses Projekt im Jahre 1932 in Deutschland, um Kinderjüdischer Familien zu retten, die insbesondere bei der Beschäftigungdiskriminierenden Maßnahmen ausgesetzt waren. Im Rahmen dieses Vorhabenssollten diese Jugendlichen in Gruppen nach Palästina gebracht werden, wobeiihre Erziehung und Ausbildung im Rahmen autonomer „Jugendgemeinschaften“innerhalb bestimmter Kibbuzim übernommen wurde.

Beinahe 30 Jahre lang hat diese Einrichtung vor allem die Erziehung jugendlicherEinwanderer, insbesondere traumatisierter und den Konzentrationslagernentkommener Kinder und später aus dem Maghreb und dem Iran eingewanderterelternloser Heranwachsender übernommen. Ab Ende der sechziger Jahre betreutAlyat Hanoar in zunehmendem Maße die Heranwachsenden des „zweiten Israel“,jener großen und vor allem aus Marokko stammenden Bevölkerungsgruppe,deren Integration mißlungen war.Ab 1985 findet ein erneuter Kurswechsel statt, und die Einrichtung erhält dieAufgabe, die Anpassung, die Erziehung und die Integration aller Jugendlichen der50 000 äthiopischen Juden zu übernehmen, die unter besonderstraumatisierenden und schwierigen Bedingungen nach Israel gebracht wurden.

Die Grundlage dieses Erziehungssystems für eine sowohl psychologische alsauch kulturelle und soziale individuelle Wiedereingliederung bildet ein Dorf fürJugendliche, bzw. die Gemeinschaft dieser Jugenddörfer. Die Gemeinschaftbesteht nicht nur aus heranwachsenden Schülern (Jungen und Mädchenzwischen 14 und 18 Jahren), sondern auch aus Lehrkräften, Betreuungspersonal(„Mütter“ oder „Väter“ von Hausgemeinschaften, Erziehern, Ausbildern,psychologischen Beratern, Sozialarbeiterinnen usw.) sowie aus technischem undVerwaltungspersonal. Ein erheblicher Teil dieses gesamten Personals wohnt imübrigen, und häufig mit der Familie, auf dem Campus.

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Auf sozialer Ebene wird diese Gemeinschaft durch eine Gruppe von Einrichtungenverwaltet, bei denen die Schüler mitwirken (Schülerräte, verschiedeneAusschüsse, Hausgemeinschaften usw.). Die erwachsenen Personalmitgliederwerden regelmäßig vom Direktor des Dorfes zusammengerufen und angeleitet,damit sie den Heranwachsenden als Beispiel dienen und ihnen Identifikations-,Unterstützungs- und Interaktionsmöglichkeiten bieten.

Die Erziehung im Rahmen dieser Jugenddörfer ist auf drei Hauptzieleausgerichtet:

1. Förderung der Eigenständigkeit der Person, die Bestätigung und die Entfaltungseiner Persönlichkeit dank der Interaktion zwischen den Schülern sowiezwischen den Schülern und dem Personal.

2. Überschreiten der durch den Unterrichtsablauf bestimmten und durch dasnationale Bildungsministerium festgelegten Grenzen der allgemeinen Bildungdurch Eröffnung weitergehender Perspektiven und die Entwicklung aller Talentesportlicher, künstlerischer, musikalischer oder anderer Art durch Kurse,Workshops, Besuche und andere ergänzende Tätigkeiten.

3. Förderung der individuellen Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft undder Gesellschaft durch Zuweisung von Rollen, die jeder Schüler übernimmt(abwechselnder Dienst im Eßsaal, in der Bibliothek, auf dem Sport- undSpielgelände, Aufräumen der Zimmer usw.) oder durch spezifische Aufgaben(Erteilung von Nachhilfestunden, Begleitung eines Schülers in die Ambulanzoder ins Krankenhaus usw.).

Am bemerkenswertesten ist es sicherlich, daß dieses Erziehungssystem praktischohne Anwendung der üblichen Strafen von seiten der Lehrkräfte oder der Elternfunktioniert. In den Jugenddörfern übernimmt der soziale Druck diese Aufgabe,und zwar mit einer wesentlich größeren Effizienz.

Die im Rahmen dieses Modells erzielten Ergebnisse sind beeindruckend. Hier sindnicht nur zahlreiche hochrangige Persönlichkeiten nach diesem Bildungskonzepterzogen worden, sondern vor allem ist der Prozentsatz der „drop outs“, das heißtderjenigen, die diesen Bildungsrahmen verlassen, wesentlich geringer als imnationalen Durchschnitt (3% statt mehr als 10%), wobei viele dieserHeranwachsenden früher wiederholt ihre Ausbildung abgebrochen hatten. DieFlexibilität und die Fähigkeit dieses Modells, große kulturelle Unterschiede sowiegrundlegende Vorurteile zu überwinden, sind außerdem durch die erstaunlichenErgebnisse verdeutlicht worden, die in weniger als 10 Jahren bei derEingliederung junger, aus Äthiopien stammender Einwanderer erzielt wurden.

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Seit seiner Gründung hat von Alyat Hanoar die Erziehung von mehr als 300 000Jugendlichen übernommen. In den etwa 60 Dörfern, die die Einrichtung heutebetreut, ist sie für mehr als 17 000 Heranwachsende zuständig. Dies entsprichteinem Drittel der Jugendlichen, die in einem ähnlichen Rahmen unterrichtetwerden, das heißt zwischen 10 und 12% der entsprechenden Altersgruppe.

Die jährlichen Durchschnittskosten pro Schüler sind in diesen Jugenddörfernrelativ niedrig. Sie liegen einschließlich der Schulkosten zwischen etwa 10 000 und13 000 DM.

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Anhang 4

Erfahrungen mit den „Intensivschulen“ (accelerated schools)in den Vereinigten Staaten

Die erfolgreichen Erfahrungen in den Vereinigten Staaten mit den „acceleratedschools“ oder „Intensivschulen“, stellen eine der besten Problemlösungen dar, diedie Amerikaner für die Krise in ihrem Bildungssystem gefunden haben, in demetwa ein Drittel der Schüler in den Grund- und Sekundarschulen versagen.

Diese erfolglosen Schüler, die als „Risikoschüler“ bezeichnet werden, haben imallgemeinen in ihrer Schulzeit einen Rückstand von zwei Jahren. Mehr als dieHälfte dieser Schüler verlassen die Schulen ohne Abschlußzeugnis. Sie kommenin der Mehrzahl aus benachteiligten, armen Bevölkerungsgruppen, gehören zuethnischen Minderheiten, die kein Englisch sprechen. Viele leben außerdem inFamilien mit nur einem Elternteil.

Das Prinzip der Intensivschulen beruht auf der Überzeugung, daß alle Schülereiner gleichen Altersgruppe zum Abschluß ihrer Schulzeit das gleiche schulischeErfolgsniveau erreichen können. Dies bedeutet, daß die erfolglosen Schüler imVergleich zu den Schülern aus privilegierten Kreisen in einem beschleunigtenArbeitsrhythmus arbeiten müssen. Es handelt sich darum, den Problemschülernausgezeichnete Schulen anzubieten.

Das Konzept dieser Schulen beruht auf der Idee, daß der den „begabten“Schülern erteilte Unterricht auch für andere Kinder erteilt werden kann. Es setztvoraus, daß die Problemschüler nicht als langsame Schüler betrachtet werden, dieunfähig sind, innerhalb normaler Fristen zu lernen, sondern es müssen ihnen imGegenteil ehrgeizige Ziele gesteckt werden, die am Ende bindend festgelegterZeiträume zu erreichen sind.

Jeder Schüler, jeder Elternteil und jeder Lehrer muβ davon überzeugt sein, daßdas Scheitern nicht unabwendbar ist. Alle gemeinsam sind gefordert, mit demPersonal der Schule eine verantwortliche Gemeinschaft zu bilden, die alleBefugnisse übernimmt. Nachdem sie sich eine Vorstellung davon erarbeitet hat,wie die Schule beschaffen sein sollte, setzt sich diese Schulgemeinschaft für denAufbau einer Intensivschule ein, in der man lernt, nach und nach die auftretendenProbleme selbst zu lösen.

Diese Gemeinschaft muß sich auf die im allgemeinen zu wenig genutzten Talentejedes einzelnen stützen. Der Umwandlungsvorgang der Schule führt zu einerÄnderung der Verhaltensweisen und zur Schaffung einer neuen Kultur.

Zum Gelingen dieses Vorgangs sind etwa fünf Monate erforderlich. Hierbei sindStunden für Sitzungen sowie für eine Konzertierung zwischen dem Personal derEinrichtung, den Eltern und den Schülern notwendig.

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Die Schulen, die sich für diese Art von Erfahrung einsetzen, dürfen nicht alleinegelassen werden. Sie müssen sich innerhalb eines Netzes von Einrichtungenunterstützt fühlen, die sich den gleichen Entwicklungen verpflichtet haben. In denVereinigten Staaten konnten sie sich auf Gruppen von Hochschullehrern,insbesondere von der Universität Stanford, stützen.

Hunderte von Projekten dieser Art sind in den Vereinigten Staaten erfolgreichdurchgeführt worden und waren Gegenstand von Studien und Veröffentlichungen,die zur Weitergabe und Fortsetzung dieser Erfahrungen ermutigen.