Lehrstuhl für Theoretische Philosophie Dr. Holm Bräuer · 601 Praktisches Wissen besteht in einer...

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597 Philosophische Fakultät Institut für Philosophie Lehrstuhl für Theoretische Philosophie Dr. Holm Bräuer 3. Erkenntnistheorie

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Philosophische FakultätInstitut für Philosophie

Lehrstuhl für Theoretische PhilosophieDr. Holm Bräuer

3. Erkenntnistheorie

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Wissen

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600

Albert weiß, wie man Posaune spielt.

Hans und Maria wissen, wie man Fahrrad fährt.

Helena weiß, wie man Rührei macht.

Praktisches Wissen (Wissen, wie)

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Praktisches Wissen besteht in einer praktischen

Fertigkeit oder einem Können.

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602

Es besitzt keinen „Inhalt“, d.h. es ist kein Wissen, dass

sich etwas so-und-so verhält.

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Praktisches Wissen ist nicht Thema der

Erkenntnistheorie.

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Der Detektiv weiß, dass der Gärtner der Mörder ist.

Maria wusste gestern nicht, dass heute schönes

Wetter sein wird. Jetzt weiß sie es.

Ich weiß, dass ich zwei Hände habe.

Propositionales Wissen (Wissen, dass)

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S weiß, dass p.

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Theoretisches Wissen ist immer ein Wissen, das einen

Inhalt hat. Man weiß, dass sich etwas so-und-so

verhält.

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Der Gegenstand der Erkenntnistheorie ist das

propositionale Wissen.

Erkenntnis = propositionales Wissen

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Albert weiß, wie eine Kiwi schmeckt.

Johanna weiß, wie es ist, wenn man einen

Sonnenbrand hat.

Wissen, wie etwas ist

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Bei dieser Art von Wissen handelt es sich weder um

praktisches noch um propositionales Wissen.

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Auf die Frage „Wie ist es denn, eine Kiwi zu essen?“

gibt es keine befriedigende Antwort, die es Albert

erübrigen würde, eine Kiwi zu kosten, um das zu

wissen.

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Auch wenn man propositional von Kiwis alles weiß,

weiß man dennoch nicht, wie eine Kiwi schmeckt,

wenn man nie eine probiert hat.

Argument der Wissenslücke

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Das Wissen, wie etwas ist, ist Gegenstand der

Philosophie des Geistes:

Qualiadebatte

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Skeptizismus

Was ist Wissen?

Was ist Wahrheit?

Worin besteht Rechtfertigung?

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Skeptizismus

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616

Philosophische Skepsis vs.

Alltagsskepsis

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Philosophische Skeptiker bestreiten oder bezweifeln,

dass wir Wissen über die Welt haben oder haben

können.

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Sie haben Gründe für ihren Zweifel.

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Sie argumentieren für ihre Position und machen

dabei bewusst bestimmte Voraussetzungen.

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Sie erheben einen Allgemeinheitsanspruch.

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Der philosophische Skeptiker stellt die Möglichkeit

des Wissens über die Welt grundsätzlich in Frage.

Er argumentiert für diesen Zweifel, begründet diesen

und ist sich der Voraussetzungen, die er dabei

eingeht, durchaus bewusst.

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Sekundäre Qualitäten

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Was in der Idee von Süß, Blau oder Warm ist, ist nur

eine gewisse Größe, Gestalt und Bewegung der

sinnlich nicht wahrnehmbaren Teilchen in den

Körpern selbst, die wir so benennen.

John Locke

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Primäre QualitätenEigenschaften, die den Gegenständen als solchen

zukommen (Ausdehnung, Bewegung, Gestalt)

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Sekundäre QualitätenEigenschaften, die von unseren kognitiven und

Wahrnehmungsfähigkeiten abhängig sind (Farbe,

Geschmack, Temperatur)

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Fazit

Wir nehmen die Welt nicht so wahr, wie sie an sich

beschaffen ist!

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Descartes´ Traumargument

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René Descartes (1596 – 1650)

Descartes war Mathematiker und gilt als Gründer des

neuzeitlichen Rationalismus. Da er in einer Zeit lebte als

traditionelle Ideen hinterfragt wurden, suchte er nach

einer Methode, mit der man zu wahrer und gesicherter

Erkenntnis kommen konnte. Sein Problem und seine

Methode des systematischen Zweifels hatten einen

enormen Einfluss auf die nachfolgende Entwicklung der

Philosophie, was ihn zu dem „Vater der Philosophie der

Neuzeit“ machte.

Diskurs über die Methode (1637); Meditationen über die erste Philosophie (1641); Prinzipien der Philosophie (1644)

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Prämisse 1

Wenn ich weiß, dass ich jetzt eine Vorlesung halte,

dann weiß ich auch, dass ich jetzt nicht im Bett liege

und bloß träume, dass ich eine Vorlesung halte.

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Prämisse 2

Ich weiß jetzt nicht, ob ich jetzt träume oder nicht.

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Konklusion

Also weiß ich nicht, dass ich jetzt eine Vorlesung halte.

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Prämisse 2

Ich weiß jetzt nicht, ob ich jetzt träume oder nicht.

Aber ich weiß doch, ob ich träume oder wach bin!

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Prämisse 3

Um zu wissen, ob ich jetzt träume, müsste ich ein

Kriterium besitzen, das es mir erlaubt, Traum von

Wachheit zu unterscheiden.

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Prämisse 4

Ich kann kein solches Kriterium besitzen.

… denn immer wenn ich meine, ein brauchbares Kriterium

anzuwenden, könnte es sein, dass ich bloß träume, dass ich ein

brauchbares Kriterium anwende!

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Konklusion 2 - Prämisse 2

Ich weiß jetzt nicht, ob ich träume oder wach bin!

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Descartes` Außenweltskepsis

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I am plagued by doubts.

What if everything is an

illusion and nothing

exists? In that case, I

definitely overpaid for

my carpet.

Selections from the Allen Notebooks

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Prämisse 1

Wenn ich etwas über irgendeinen Gegenstand der

Außenwelt weiß, dann weiß ich auch, dass es eine

Außenwelt gibt.

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Prämisse 2

Ich kann nicht wissen, dass es eine Außenwelt gibt.

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Konklusion

Ich kann über keinen Gegenstand der Außenwelt

etwas wissen.

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Putnam´s Gehirne im Tank

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643SS 2013 Einführung in die Theoretische Philosophie

Hilary Putnam (*1926)

Putnam ist ein einflussreicher amerikanischer

Philosoph, der vor allem bekannt ist wegen seiner

Arbeiten auf den Gebieten der

Wissenschaftstheorie, der Philosophie des Geistes

und des Pragmatismus.

Philosophical Papers (1972-1983); „The Meaning of ‚Meaning‘“ (1975); Reason, Truth, and History(1981); Representation and Reality (1988); Realism with a Human Face (1990)

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Prämisse 1

Wenn ich irgendetwas über die Welt weiß, dann weiß

ich auch, dass ich kein Gehirn im Tank bin.

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Prämisse 2

Ich kann nicht wissen, ob ich ein Gehirn im Tank bin.

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Konklusion

Ich kann nichts über die Welt wissen.

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Unsere epistemische Situation

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Wir haben keinen Grund zu der Annahme, dass die

Welt um uns herum so beschaffen ist, wie wir sie

wahrnehmen.

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Es ist durchaus möglich, dass uns einige oder die

meisten Aspekte unserer epistemischen Umgebung

intransparent sind.

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Ein Träumer hat, während er träumt, nicht die

Möglichkeit festzustellen, ob er träumt oder wach ist.

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Wir haben keine (direkte) Möglichkeit festzustellen, ob

unseren Vorstellungen tatsächlich Gegenstände

entsprechen oder nicht, d.h. wir können die Existenz

der Außenwelt nur annehmen, nicht beweisen.

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Was ist Wissen?

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Gestern wusste ich nicht, wie die traditionelle

Definition des Wissens lautet. Heute weiß ich es.

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Wir können den Begriff des Wissens im Alltag

durchaus korrekt verwenden.

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Wozu also diese Frage?

Was ist das eigentlich für eine Frage?

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Begriffsanalyse*Notwendige und hinreichende Bedingungen

*auch: philosophische Analyse, reduktive Definition

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Ein Junggeselle ist (a) unverheiratet,

(b) männlich und

(c) die meisten Abende allein.

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Es gibt Junggesellen, die ihre Abende nur selten allein

verbringen (Partylöwen).

Die dritte Bedingung ist nicht notwendig!

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Notwendige Bedingungen… sind diejenigen Bedingungen, die für jedes

Exemplar des zu definierenden Begriffs erfüllt sind.

Von links nach rechts lesen!

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Ein Junggeselle ist (a) unverheiratet und

(b) männlich.

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Es gibt unverheiratete, männliche Wesen, die keine

Junggesellen sind (Knaben).

Die beiden angeführten Merkmale sind zusammen nicht hinreichend!

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Hinreichende Bedingungen… sind diejenigen Bedingungen, die gemeinsam

ausschließlich zu Exemplaren des zu definierenden

Begriffs führen.

Von rechts nach links lesen!

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Sind die Bedingungen einzeln notwendig und

zusammen hinreichend, um den zu definierenden

Begriff zu bestimmen?

Ein Junggeselle ist (a) unverheiratet,

(b) männlich und

(c) im heiratsfähigem Alter.

Falls ja, dann liegt eine korrekte Begriffsanalyse vor.

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Die traditionelle Analyse des

Wissensbegriffs

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Platon

(427 v. Chr. – 348 v. Chr.)

Platon stammte aus einer adligen Familie. Unter

dem Einfluss von Sokrates begann er sich, der

Philosophie zuzuwenden und gründete um 386

v.Chr. in Athen seine eigene Schule, die Akademie.

Alle von Platon veröffentlichten Schriften sind

überliefert. Mit Ausnahme der Apologie (Die

Verteidigung des Sokrates) und einer Anzahl Briefen

bestehen sie aus Dialogen.

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Wissen

=

wahre, gerechtfertigte Meinung

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Wissen

=

wahre, gerechtfertigte Meinung

1

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Wissen

=

wahre, gerechtfertigte Meinung

1 2

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Wissen

=

wahre, gerechtfertigte Meinung

1 2 3

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S weiß, dass p genau dann wenn:

(1) S glaubt, dass p;

(2) p ist wahr;

(3) S ist gerechtfertigt zu glauben, dass p.

Ignoranz

Irrtum

Zufall

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Hans weiß, dass Dresden südlich von Berlin liegt, aber

er glaubt es nicht.

Wissen ohne Überzeugung ist nicht möglich.

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Das Haben einer Überzeugung ist eine notwendige

Bedingung für Wissen!

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Hans weiß, dass Berlin südlich von Dresden liegt.

Falschheit und Wissen sind auch nicht miteinander vereinbar.

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Die Wahrheit einer Überzeugung ist eine notwendige

Bedingung für Wissen!

Wissen ist faktiv.

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Hans bekommt ein Säckchen mit Murmeln vorgesetzt.

Er soll nun sagen, wie viele Murmeln sich in dem

Säckchen befinden. Er rät und sagt „16“.

Jetzt wird das Säckchen geöffnet, wobei sich

herausstellt, dass es zufällig wirklich 16 Murmeln sind!

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Wusste Hans, wie viele Murmeln im Säckchen sind?

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Der Besitz einer wahren Überzeugung allein ist nicht

hinreichend für Wissen.

Zufällig wahre Überzeugungen stellen kein Wissen dar.

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Wodurch unterscheiden sich zufällig wahre

Überzeugungen von Wissen?

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[D]ie richtigen Vorstellungen sind eine schöne Sache, solange sie

bleiben, und bewirken alles Gute; lange Zeit aber pflegen sie

nicht zu bleiben, sondern gehen davon aus der Seele des

Menschen, so dass sie doch nicht viel wert sind, bis man sie

bindet durch Aufweisen ihrer Begründung. ... Nachdem sie aber

gebunden werden, werden sie zuerst Erkenntnisse und dann

auch bleibend. Und deshalb nun ist Erkenntnis höher zu

schätzen als die richtige Vorstellung, und es unterscheidet sich

eben durch das Gebundensein die Erkenntnis von der richtigen

Vorstellung.

Platon: Menon 97e-98a

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Hans weiß, dass es keine größte Primzahl gibt, kann

aber keinerlei Gründe vorbringen, die seine Ansicht

stützen.

Plausibel oder nicht?

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Maria weiß, ob die Bibliothek sonntags geöffnet ist,

wenn sie eine verlässliche Informationsquelle besitzt,

auf die sie sich stützen kann.

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Claudia weiß erst, ob sie schwanger ist, wenn sie

Evidenzen dafür hat.

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Ein Mathematiker weiß erst dann, dass ein

mathematischer Satz wahr ist, wenn er ihn beweisen

kann.

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Hans weiß nicht, wie viele Murmeln im Säckchen sind,

wenn er es nur rät.

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Edmund Gettiers Problem

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Edmund L. Gettier *1927

Amerikanischer Philosoph, der

bekannt und berühmt geworden ist

durch einen 3-seitigen Aufsatz:

“Is Justified True Belief Knowledge?”

(1963)

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Müller und Schmidt

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Schmidt und Müller bewerben sich auf dieselbe Stelle.

Schmidt hat aus glaubhafter Quelle erfahren, dass

sich die Firma für Müller entscheiden wird.

Außerdem hat er zufällig gesehen, dass Müller zehn

Münzen in seiner Hosentasche hat.

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Schmidt bildet die gerechtfertigte Überzeugung:

„Derjenige, der die Stelle bekommen wird, hat zehn

Münzen in der Hosentasche.“

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Nun ereignen sich für Schmidt zwei unerwartete

Zufälle. Er selbst hat auch genau zehn Münzen in

seiner Hosentasche und er selbst, nicht Müller,

bekommt die Stelle.

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Schmidt hat eine wahre Überzeugung.

„Derjenige, der die Stelle bekommen wird, hat zehn

Münzen in seiner Hosentasche.“

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Seine Überzeugung ist zudem gerechtfertigt.

Glaubhafte Quelle, eigene Wahrnehmung, logisches

Schließen

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694

Wusste Schmidt wirklich, was er glaubte?

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Scheunenattrappen

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Barney sieht bei einem Ausflug eine Scheune. Er hat

gute Augen und keinen Grund seiner Wahrnehmung

zu misstrauen. Weiterhin ist seine Wahrnehmung

korrekt: es handelt sich tatsächlich um eine Scheune.

Er kommt zu der Überzeugung, dass vor ihm eine

Scheune steht.

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Angenommen, in der Gegend, in der sich Barney

gerade aufhält, wird – ohne dass er das wüsste – ein

Film gedreht. Daher stehen sehr viele täuschend echt

aussehende Scheunenattrappen herum.

Die von Barney gesehene Scheune ist zufällig die

einzige echte Scheune in dieser Gegend.

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Weiß Barney, dass vor ihm eine Scheune steht?

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Reaktionen

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Internalistische Konzepte… halten Rechtfertigung für eine notwendige

Bedingung des Wissens. Sie versuchen, die Definition

des Wissens durch weitere Bedingungen zu ergänzen.

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Externalistische Konzepte… halten Rechtfertigung nicht für eine notwendige

Bedingung des Wissens. Sie versuchen das

Charakteristikum des „nicht zufällig Wahrseins“ anders

zu bestimmen.

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Die kausale Konzeption des

Wissens

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703

Alvin I. Goldman *1938

Einflussreicher amerikanischer Philosoph mit

einem breiten Spektrum an Arbeiten auf den

Gebieten der Erkenntnistheorie und der

Philosophie des Geistes.

A Causal View of Knowing (1967), A Theory of Human Action (1970), „What is Justified Belief?“ (1979), Epistemology and Cognition (1986), Knowledge in a Social World (1999), SimulatingMinds (2006)

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704

S weiß, dass p genau dann wenn:

(1) S glaubt, dass p;

(2) p ist wahr; und

(3) S´s Überzeugung wurde durch die Tatsache, dass

p, verursacht.

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705

Probleme

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706

Wenn ich einen Kessel auf die heiße Herdplatte stelle,

dann weiß ich, dass das Wasser kochen wird.

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707

ZukunftZukünftige Tatsachen können keine Ursachen für

gegenwärtige Überzeugungen sein.

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708

Luise bekommt am ganzen Körper kleine rote

Flecken. Dies verursacht in ihr die Überzeugung, dass

sie an Masern erkrankt ist.

Medizinisch gesehen handelt es sich bei den roten

Flecken um eine allergische Reaktion auf ihre

Masernerkrankung.

Weiß Luise, dass sie Masern hat?

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709

DevianzDie Verursachung der Überzeugung muss von der

„richtigen Art“ sein.

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710

Ich weiß, dass es in der Sahara keine Eisberge gibt.

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711

Negative Tatsachen?Gibt es „negative Tatsachen“ ( wie das

Nichtvorhandensein von Eisbergen in der Sahara), die

die Ursache für meine Überzeugung sein können,

dass es keine Eisberge in der Sahara gibt?

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712

Ich weiß, dass 7+5=12 ist.

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713

Mathematisches Wissen?Welche Tatsachen könnten Ursache für

mathematisches Wissen sein?

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714

Ich weiß, dass es vielleicht regnen wird.

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715

Modales Wissen?Es hat nicht geregnet. Dass es hätte regnen können,

kann also nicht Ursache meiner Überzeugung sein.

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716

Die reliabilistische Konzeption

des Wissens

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717

Frank P. Ramsey (1903-1930)

Einflussreicher britischer Ökonom, Philosoph

und Mathematiker, der in kurzer Zeit einige

grundlegende Werke veröffentlicht hatte.

Befreundet mit Wittgenstein, Keynes u.a.

Truth and Probability (1926), A Mathemtical Theory of Saving (1928), Knowledge (1929), On a Problem of Formal Logic (1930), The Foundations of Mathematics (1931),

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718

S weiß, dass p genau dann wenn:

(1) S glaubt, dass p,

(2) p wahr ist und

(3) S auf eine verlässliche Art und Weise zu seiner

Überzeugung p gelangt ist.

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719

Die dritte Bedingung verlangt, dass die Überzeugung

durch eine verlässliche Methode zustande gekommen

sein muss.

Welche Methode ist verlässlich?

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720

Wenn mir eine Wahrsagerin prophezeien würde, dass

ich den Hauptgewinn bei einer Tombola ziehe und

dies tatsächlich geschieht, dann kann man nicht

sagen, ich wusste, dass ich gewinnen werde.

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721

Wenn die Wahrscheinlichkeit, mit einer Methode zu

einer wahren Überzeugung zu kommen, hoch ist,

dann gilt diese als verlässlich.

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722

Anzahl der mit einer Methode

erworbenen wahren Meinungen

Anzahl der Anwendungen der

Methode

0 < < 1

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723

Verlässlichkeit ist graduell. Die Grenze zwischen

verlässlichen Methoden und unverlässlichen

Methoden ist daher willkürlich und vage.

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724

Die Verlässlichkeit einer Methode des

Meinungserwerbs ist relativ zu einem gegebenen

Zweck.

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725

Wahrnehmung ohne technische

Hilfsmittel… ist eine verlässliche Methode, wenn man an

Informationen über mittelgroße Gegenstände in der

näheren Umgebung interessiert ist (z.B. ob jetzt ein

Stück Kreide vor mir liegt).

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726

Wahrnehmung unter Zuhilfenahme

komplizierter Instrumente… ist eine verlässliche Methode, wenn es sich um

Gegenstände handelt, die nur durch den Gebrauch

eines technischen Instruments (Mikroskop, Teleskop)

wahrnehmbar sind.

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727

Methoden des

Meinungserwerbs

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728

WahrnehmungReliabel in Bezug auf Wissen von mittelgroßen

Gegenständen in unserer unmittelbaren

Handlungsumgebung

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729

Wahrsagereinicht reliabel

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730

Schlussfolgern aus wahren

Prämissenreliabel

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731

Schlussfolgern aus falschen

Prämissennicht reliabel

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732

Raten/Münze werfennicht reliabel

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733

Expertenwissenreliabel in Bezug auf das entsprechende Fachgebiet

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734

Alltagserfahrungreliabel in Bezug auf die entsprechenden

Alltagsthemen

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735

Träumennicht reliabel

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736

ZeugenbefragungReliabilität abhängig von Umständen (Glaubwürdigkeit

etc.)

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737

Unbestimmtheit der Methode

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738

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739

Anna sieht ein Flugzeug in weiter Ferne vorbei fliegen.

Weiß sie, dass ein Flugzeug vorbei fliegt?

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740

Welche Methode hat sie verwendet?

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Visuelle Wahrnehmung

Visuelle Wahrnehmung bei klarer Sicht

Visuelle Wahrnehmung mit Augentropfen bei klarer Sicht

Sehr aufmerksame visuelle Wahrnehmung

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Maximal Eingrenzung der MethodeSehr detaillierte Beschreibungen von Einzelfällen, die

keine probabilistischen Eigenschaften haben.

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Minimale Eingrenzung der MethodeEventuell falsche Zuschreibungen von Wissen bzw.

Nichtwissen.

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744

Kontextualismus

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745

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Erna ist Meteorologin. Sie sitzt am Freitag über ihren

meteorologischen Daten und wertet diese aus. Doch

dann schaut sie aus dem Fenster. Sie sieht die Form

der Wolken und kommt aufgrund dieser Beobachtung

zu der (wahren) Überzeugung, dass es am Samstag

regnen wird.

Weiß Erna, dass es am Samstag regnen wird?

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747

Erna weiß, dass es regnet, wenn wir Erna als Laien-

Meteorologin betrachten.

Erna vermutet nur, dass es regnet, wenn wir Erna als

professionelle Meteorologin betrachten.

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748

S weiß, dass p genau dann wenn:

(1) S glaubt, dass p,

(2) p ist wahr, und

(3) S die im gegebenen Kontext einschlägigen

Standards erfüllt.

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749

Wodurch wird bestimmt, was die einschlägigen

Standards sind?

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750

KonventionenStandards werden konventionell festgelegt. Es gibt

zum einen Konventionen, die die professionellen

Meteorologen untereinander teilen, zum anderen

Konventionen, die die meteorologischen Laien im

Alltag miteinander teilen.

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751

Wodurch wird bestimmt, in welchem Kontext man

sich befindet?

Denk an Erna …

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752

Wissen ist relativ zu einem Zuschreiber, d.h.

derjenigen Person, die beurteilen muss, in welchem

Kontext sich jemand befindet, wenn er eine

Überzeugung erwirbt.

Wissen ist betrachterrelativ.

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753

Die Relativität des

Wissensbegriffs

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754

Unter welchen Bedingungen gilt eine wahre

Überzeugung als Wissen?

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755

VerlässlichkeitDie Beurteilung der Verlässlichkeit des

Meinungserwerbs hängt davon ab, wie detailliert wir

die verwendeten Methoden beschreiben.

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StandardsDie Zuschreibung von Wissen ist abhängig von den

zugrundegelegten Standards. Welchen Standard wir

wählen, hängt davon ab, in welchem Kontext wir den

Wissenserwerb betrachten.

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757

KontextDie Wahl des Kontexts ist nicht objektiv, sondern

perspektivengebunden.

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758

Sollten wir den Versuch einer reduktiven Definition des

Wissensbegriffs ganz aufgeben?