Leitfaden Italien - BAMF

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KNr. 601 004 BAMF 08-04 Leitfaden Italien Aktualisierte Fassung von Oktober 2014 Referat 411

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KNr. 601 004 BAMF 08-04

Leitfaden Italien Aktualisierte Fassung von Oktober 2014

Referat 411

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Inhalt

I. Allgemeine Bewertung der Situation von Asylbewerbern in Italien ............................................. 4

II. Asylgewährung in Italien............................................................................................................... 5

1. Statistik ...................................................................................................................................... 5

2. Verfahren................................................................................................................................... 5

a) Vorschriften des Asyl- bzw. Schutzverfahrens, Zuständigkeiten, Zugang zum Asylverfahren

und formaler Asylantrag ............................................................................................................... 5

b) Entscheidung und Dauer des Asylverfahrens ......................................................................... 8

c) Instanzenweg............................................................................................................................ 9

3. Unterbringung und Versorgung ................................................................................................ 9

a) Recht auf Unterbringung, Versorgung und Verpflegung ......................................................... 9

b) Aufnahmesystem .................................................................................................................... 10

aa) Centri di Accoglienza per Richiedenti Asilo (CDA/CARA) – Aufnahmezentren für

Asylsuchende .......................................................................................................................... 10

bb) Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugati (SPRAR) – Schutzsystem für

Asylbewerber und Flüchtlinge................................................................................................. 12

cc) Zentren der Protezione Civile (Zivilschutz) in den Kommunen (sog. Notfallplan) ........... 13

dd) Verhältnisse in den staatlichen Aufnahmezentren und Unterkünften ............................. 14

ee) Nicht-staatliche Einrichtungen .......................................................................................... 14

ff) Fazit .................................................................................................................................... 15

c) Rechtliche Möglichkeiten bei Nichtgewährung ...................................................................... 15

4. Zugang zum Gesundheitssystem ........................................................................................... 15

5. „Categoria vulnerabile“ – besonders schutzbedürftige Personen.......................................... 16

a) Allgemeine Bewertung ........................................................................................................... 16

b) Versorgung Minderjähriger..................................................................................................... 16

aa) Allgemeine Bewertung zum Umgang mit unbegleiteten Minderjährigen in Italien .......... 16

bb) UNHCR zum Schutz von unbegleiteten Minderjährigen.................................................. 17

c) Kranke..................................................................................................................................... 18

6. Dublin-Rückkehrer .................................................................................................................. 18

a) Allgemeine Bewertung ........................................................................................................... 18

b) Überstellung von (unbegleiteten) Minderjährigen .................................................................. 19

c) Überstellung von Kranken ...................................................................................................... 19

d) Gefahr der weiteren Überstellung von Italien nach Griechenland......................................... 20

III. Nach einem abgeschlossenen Verfahren .................................................................................... 20

1. Anerkannte Flüchtlinge, (europarechtlich) subsidiär geschützte Personen und Personen mit

einem Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen ......................................................................... 20

a) Anerkannte Flüchtlinge........................................................................................................... 20

b) Subsidiär geschützte Personen ............................................................................................. 22

c) Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen............................................................................. 22

2. Abgelehnte Antragsteller ........................................................................................................ 22

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a) Ausreiseaufforderung ............................................................................................................. 22

aa) Vorgehen nach Ablehnung des Asylantrages .................................................................. 22

bb) Hilfe durch NGOs in Italien ............................................................................................... 23

b) Abschiebepraxis ..................................................................................................................... 23

aa) Quote der Abschiebungen................................................................................................ 23

bb) Herkunftsländer, in die nicht abgeschoben wird .............................................................. 23

cc) Abschiebehaft-Zentren...................................................................................................... 23

IV. Definition von „systemischen Mängeln“ und Bewertung der Situation in Italien aus Sicht des Bundesamtes unter Berücksichtigung (inter-)nationaler Rechtsprechung und aktueller Berichte... 24

1. Definition von „systemischen Mängeln“ und Prüfungsmaßstab............................................. 24

2. Keine systemischen Mängel in Italien - auch unter Berücksichtigung kritischer Berichte..... 26

3. Rechtsprechung des EGMR und der (Ober-)Verwaltungsgerichte in Bezug auf die Situation

der Asylbewerber in Italien............................................................................................................. 28

4. Rechtsprechung des EGMR und der Verwaltungsgerichte zur Situation in Bezug auf

anerkannte Flüchtlinge, subsidiär geschützte Personen und Personen mit sonstigem

humanitären Aufenthaltsstatus ...................................................................................................... 32

V. Vorgehen international .................................................................................................................. 35

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I. Allgemeine Bewertung der Situation von Asylbewerbern in

Italien

Italien erfüllt gegenüber Drittstaatsangehörigen, die dort einen Asylantrag stellen, die Mindeststan-

dards. Da es sich bei Italien um einen Mitgliedstaat der Europäischen Union und somit um einen

sicheren Drittstaat i.S. des Art. 16a Abs. 2 GG bzw. § 26a AsylVfG handelt, ist aufgrund des die-

sen Vorschriften zugrundeliegenden normativen Vergewisserungskonzepts davon auszugehen,

dass dort die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Konven-

tion zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sichergestellt ist. Zudem beruht

die Dublin-Verordnung wie jede auf Art. 63 Satz 1 Nr. 1 EG-Vertrag gestützte gemeinschaftsrecht-

liche Maßnahme auf der Prämisse, dass die zuverlässige Einhaltung der GFK sowie der EMRK in

allen Mitgliedstaaten gesichert ist.1 Es bestehen auch keine systemischen Mängel, die die Sicher-

heitsvermutung wiederlegen würden. Diese Auffassung wird aktuell sowohl vom EGMR als auch

von nationalen Oberverwaltungsgerichten und der überwiegenden Mehrheit der Verwaltungsge-

richte geteilt.2

In italienischen Aufnahmeeinrichtungen sind IOM, UNHCR, Caritas und andere humanitäre Orga-

nisationen vor Ort, um sicher zu stellen, dass Flüchtlinge angemessen untergebracht, medizinisch

versorgt und ihre Rechte gewahrt werden.

Auch wenn die Situation der Flüchtlinge in Italien von den Verwaltungsgerichten unterschiedlich

eingeschätzt wird, spricht gerade dieser Umstand gegen das Vorliegen eines offensichtlichen Aus-

nahmefalles vom Konzept der normativen Vergewisserung und für die Respektierung des in Art.

16a Abs. 2 Satz 3 GG, § 34a AsylVfG zum Ausdruck gekommenen Willen des (Verfassungs-) Ge-

setzgebers.3

1 vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C 411/10 und C-493 – N.S. und M. E., Rn. 80.

2 vgl. EGMR, Entscheidung vom 02.04.2013, Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u. a. gegen die Niederlande und Italien;

OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.06.2013 – OVG 7 S 33.13, VG 27 L 17.13 Berlin; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.10.2013 – OVG 3 S 40.13; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 02.10.2013 – 3 L 643/12; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14.11.2013 – 4 L 44/13, 1 A 167/12 MD; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 29.01.2014 – 4 LA 167/13; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 29.01.2014 – 9 LA 20/13; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 27.05.2014 – 2 LA 308/13; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21.02.2014 – 10 A 10656/13; Bay VGH, Urteil vom 28.02.2014 – 13 a B 13.30295; Hessischer VGH, Beschluss vom 28.02.2014 – 10 A 681/13.Z.A; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07.03.2014 – 1 A 21/12.A; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.08.2014 – 14 A 1613/13.A; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.04.2014 – A 11 S 1721/13; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.07.2014 – A 11 S 1330/14; VG Osnabrück, Urteil vom 20.01.2014 – 5 A 81/13; VG Stade, Beschluss vom 13.02.2014 – 3 B 110/14; VG Hamburg, Beschluss vom 21.02.2014 – 6 V 172/14; VG Stuttgart, Urteil vom 28.02.2014 – A 12 K 383/14; VG Bayreuth, Beschluss vom 03.04.2014 – B 3 S 14.50000; VG Bremen, Beschluss vom 30.04.2014 – 3 V 405/14; VG Minden, Urteil vom 24.06.2014 – 3 K 148/13.A; VG Trier, Urteil vom 30.06.2014 – 5 K 465/14.TR; VG Karlsruhe, Beschluss vom 30.06.2014 – A 9 K 1535/14; VG Meiningen, Urteil vom 31.07.2014 – 8 K 20154/11 Me; VG Wiesbaden, Gerichtsbescheid vom 31.07.2014 – 5 K 449/14.WI.A; VG Bayreuth, Urteil vom 04.08.2014/06.08.2014 – B 3 K 14.50017; VG Stade, Urteil vom 07.08.2014 – 6 A 1133/14; VG Frankfurt am Main, Beschluss vom 06.08.2014 – 1 L 1881/14.F.A; VG München, Beschluss vom 12.08.2014 – M 23 S 14.50297; VG Stade, Urteil vom 14.08.2014 – 4 A 737/14; VG Trier, Urteil vom 19.08.2014 – 5 K 814/14.TR; VG Meiningen, Beschluss vom 21.08.2014 – 8 E 20108/14 Me; VG Würzburg, Beschluss vom 25.08.2014 – W 3 S 14.50104; VG Schwerin, Beschluss vom 25.08.2014 – 5 B 686/14 As; VG Augsburg, Beschluss vom 26.08.2014 – Au 7 S 14.50207; VG Lüneburg, Beschluss vom 26.08.2014 – 1 B 135/14; VG Hannover, Beschluss vom 27.08.2014 – 6 B 11155/14; VG Dresden, Beschluss vom 28.08.2014 – A 7 L 208/14; VG Hamburg, Beschluss vom 28.08.2014 – 8 AE 3232/14; VG Berlin, Beschluss vom 28.08.2014 – VG 23 L 287.14 A; VG Düsseldorf, Beschluss vom 28.08.2014 – 1 L 1808/14.A; VG Stade, Gerichtsbescheid vom 29.08.2014 – 1 A 372/14; VG Magdeburg, Beschluss vom 29.08.2014 – 5 B 549/14 MD; VG Gera, Beschluss vom 01.09.2014 – 4 E 20468/14 Ge; VG Sigmaringen, Beschluss vom 01.09.2014 – A 8 K 2607/14; VG Osnabrück, Beschluss vom 01.09.2014 – 5 B 217/14; VG Chemnitz, Beschluss vom 01.09.2014 – A 4 L 444/14; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 03.09.2014 – 10 a K 2147/13.A; VG München, Beschluss vom 03.09.2014 – M 25 S 14.50505; VG Stuttgart, Beschluss vom 03.09.2014 – A 12 K 3476/14; VG Bayreuth, Beschluss vom 04.09.2014 – B 3 S 14.50065; VG Bremen, Beschluss vom 05.09.2014 – 6 V 648/14; VG Ansbach, Beschluss vom 08.09.2014 – AN 3 S 14.50146). 3 vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 02.05.2012 – 13 MC 22/12.

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II. Asylgewährung in Italien

1. Statistik

Im Jahr 2014 gab es bisher (Stand: 15.09.2014) 125.876 Personen, die per Boot/Schiff die italieni-

sche Küste erreicht haben.4 Davon waren 9.820 unbegleitete Minderjährige.5 Im Zeitraum von Ja-

nuar bis Anfang September 2014 wurden ca. 38.000 Asylanträge gestellt. 6

Laut Eurostat hatte Italien im Jahr 2013 keine generell unverhältnismäßig hohen Asylbewerberzah-

len.

Absolute Zahlen für 2013:

1. DEU: 126.990

2. FRA: 64.645

3. SWE: 54.365

4. SUI: 21.472

5. BEL: 21.225

8. ITA: 27.395

2. Verfahren

a) Vorschriften des Asyl- bzw. Schutzverfahrens, Zuständigkeiten, Zu-gang zum Asylverfahren und formaler Asylantrag

Italien gewährleistet entsprechend dem Grundrecht auf Asyl (Art. 10 Abs. 3 der italienischen Ver-

fassung, verschiedener Einwanderungs- und Asylverfahrensgesetze, insbes. Gesetz Nr. 25/2008

vom 28.01.2008) ein Schutzverfahren, das auch für Überstellungen nach der Dublin-II-VO greift.7

Ein Asylantrag kann bei einer Polizeidienststelle an der Grenze oder beim lokalen Polizeipräsidium

(„Questura“) gestellt werden, die für die Annahme des Asylantrags und die Unterbrin-

gung/Zuweisung der Unterkunft zuständig sind. Zuständig für das Asylverfahren sind die dem In-

nenministerium unterstehenden Kommissionen („Commisione territoriale per il riconoscimento

dello status di rifugiato“).8

Sobald ein Asylantrag gestellt wurde, wird dem Antragsteller Zugang zu Italien sowie zum Asylver-

fahren gewährt und es ist ihm gestattet, bis zur Entscheidung über den Asylantrag durch die Terri-

torialkommissionen für die Anerkennung des internationalen Schutzes in Italien zu bleiben. 9

Flüchtlinge, die im Zuge von Anlandungen festgestellt werden, werden der örtlich zuständigen

Questura überstellt bzw. können dort selbständig um Asyl nachsuchen. Flüchtlinge, die auf den

Pelagischen Inseln (Lampedusa, Pantelleria, Linosa) ankommen, werden dort registriert und über-

wiegend auf andere Zentren verteilt (z. B. Crotone, Bari) oder durch die territoriale Kommissionen

in Trapani oder in Siracusa (Sizilien) betreut.10 Migranten, die in den Territorialgewässern Italiens

4 vgl. Informationen der Liaisonbeamtin des Bundesamtes in Rom vom 18.09.2014

5 vgl. Informationen der Liaisonbeamtin des Bundesamtes in Rom vom 18.09.2014

6 vgl. Informationen der Liaisonbeamtin des Bundesamtes in Rom vom 18.09.2014

7 vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12.

8 vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12.

9 vgl. EGMR, Entscheidung vom 02.04.2013, Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u. a. gegen die Niederlande und Italien,

Rn. 33. 10

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12; Stellung-nahme der Liaisonbeamtin des Bundesamtes in Rom, 26.11.2013.

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angetroffen werden, sind in den nächstgelegenen Hafen zu begleiten und werden dort von der

zuständigen Questura bzw. Aufnahmeeinrichtung zur Asylantragstellung zugeführt. 11

Bei Antragstellern, die nicht im Besitz eines gültigen Einreisevisums sind, führt die Polizei ein er-

kennungsdienstliches Verfahren durch, falls erforderlich mit Unterstützung eines Dolmetschers. Zu

diesem Verfahren gehören die Aufnahme von Passfotos und die Abnahme von Fingerabdrücken.

Die Fingerabdrücke werden auf Treffer der EURODAC-Datenbank und der inländischen AFIS-

Datenbank (automatisiertes Fingerabdruck-Identifizierungssystem) überprüft. Am Ende dieses Ver-

fahrens erhält der Antragsteller eine Bescheinigung über die erste Registrierung (cedolino), auf der

künftige Termine vermerkt sind, insbesondere der Termin für die offizielle Registrierung des An-

trags.12 Diese Bescheinigung soll innerhalb von drei Tagen ausgestellt werden.13

Persönliches Erscheinen bei der Antragstellung ist zwingend. Minderjährige müssen durch einen

volljährigen Verwandten oder sonstigen Bevollmächtigten vertreten werden; unbegleiteten Minder-

jährigen wird ein Bevollmächtigter (Vormund) gestellt.14

Der offizielle Asylantrag wird schriftlich gestellt. Auf der Grundlage einer Befragung des Antragstel-

lers in einer ihm verständlichen Sprache füllt die Polizei das „Standardformular C/3 für die Zuer-

kennung des Flüchtlingsstatus gemäß der Genfer Konvention“ aus, das Fragen zu den persönli-

chen Daten des Antragstellers (Vorname, Familienname, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit,

Vornahme und Familienname der Eltern/Ehegatten/der Kinder und ihres Aufenthaltsortes) sowie

Einzelheiten zur Reise nach Italien und den Gründen für die Flucht aus dem Herkunftsland und die

Beantragung von Asyl in Italien enthält. Der Antragsteller wird aufgefordert, ein schriftliches Doku-

ment vorzulegen, das seinen Asylbericht enthält und in seiner Muttersprache verfasst ist; es wird

dem Formular beigefügt. Die Polizei behält das Originalformular und händigt dem Antragsteller

eine abgestempelte Kopie aus. Der Antragsteller wird sodann mit einer schriftlichen Mitteilung der

Polizei zu einer Anhörung vor der zuständigen Territorialkommission für die Anerkennung des in-

ternationalen Schutzes vorgeladen. Während dieser Anhörung wird der Antragsteller von einem

Dolmetscher unterstützt.15

Früher wurde das italienische Asylverfahren zentralisiert bearbeitet und alle Anhörungen in Rom

vorgenommen. Im Jahr 2008 wurden die Territorialkommissionen geschaffen, um das Verfahren

effizienter zu gestalten. Seitdem gibt es folgende 10 Territorialkommission, die dauerhaft für be-

stimmte Regionen oder Provinzen zuständig sind:

- GÖRZ: für die Regionen Friaul-Venezia Giulia, Veneto, Trentino Alto Adige;

- MAILAND: für die Region Lombardia;

- ROM: für die Regionen Lazio, Sardegna e Umbria;

- FOGGIA: für die Provinz di Foggia e Barletta-Andria-Trani;

- SIRACUSA: für die Provinz di Siracusa, Ragusa, Caltanissetta, Catania;

- CROTONE: für die Regionen Kalabria e Basilicata;

- TRAPANI: für die Provinz di Agrigento, Trapani, Palermo, Messina, Enna;

- BARI: für die Provinz di Bari, Brindisi, Lecce e Taranto ;

- CASERTA: für die Regionen Kampanien, Molise, Abruzzen e Markt;

- TURIN: für die Regionen Valle d'Aosta, Piemonte, Ligurien, Emilia Romagna, Toskana.

11

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12. 12

vgl. EGMR, Entscheidung vom 02.04.2013, Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u. a. gegen die Niederlande und Ital i-en, Rn. 34. 13

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12. 14

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12. 15

vgl. EGMR, Entscheidung vom 02.04.2013, Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u. a. gegen die Niederlande und Ital i-en, Rn. 35 f.

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Darüber hinaus gibt es noch weitere 10 Sektionen, die bis zum 31.12.2014 existieren werden:

- zwei in Rom

- vier in Siracusa

- eine in Turin

- eine in Trapani

- eine in Bari und

- eine in Crotone.

Die Kommissionen werden per Dekret durch den Innenminister eingesetzt und setzen sich grund-

sätzlich zusammen aus:

- einem Vertreter der Präfektur (als Präsidenten),

- einem Vertreter der Polizei,

- einem Vertreter der lokalen Behörden und

- einem Vertreter des UNHCR.16

Nach Informationen der Liaisonbeamtin des Bundesamtes wird die Anhörung durch mindestens

zwei Personen vorgenommen. Dabei handelt es sich meist um eine Person seitens der Kommissi-

on sowie einem Vertreter des UNHCR. Zudem ist ein Vertreter der Polizei, sowie der Kirche im

Hause, die ggf. dazu kommen können, sofern der Antragsteller dies wünscht.

Ein Dolmetscher wird immer eingesetzt, damit der Antragsteller sich in seine Muttersprache aus-

drücken kann. Auch kann der Antragsteller in besonderen Fällen von Personen begleitet werden,

die ihn unterstützen. Unbegleitete Minderjährige müssen von einem Rechtsbeistand begleitet wer-

den. Antragsteller können sich auch auf ihre Kosten von einem Anwalt begleiten lassen. Grund-

sätzlich muss die Anhörung spätestens 30 Tage nach der Antragstellung erfolgen. Befindet sich

der Asylbewerber in einem Abschiebezentrum, muss die Anhörung innerhalb von sieben Tagen

nach der Asylantragstellung erfolgen.17

Nach Ankunft in Italien erhalten Schutzsuchende u. a. eine Informationsbroschüre über ihre Rech-

te im Asylverfahren. Diese Informationsbroschüren existieren in unterschiedlichen sprachlichen

Fassungen, u. a. in persisch, arabisch, französisch, englisch, italienisch, somalisch, spanisch,

tigrinisch. In den Aufnahmeeinrichtungen befinden sich Betreuungsdienste, die den Antragstellern

zur Unterstützung zur Verfügung stehen. Diese Betreuungsdienste beschäftigen oftmals Mitarbei-

ter, die die Landessprache der Hauptherkunftsstaaten der Antragsteller beherrschen.18

Das Bundesamt bewertet die Aussagen des UNHCR vom Juli 201319 in Bezug auf den Zugang

zum Asylverfahren wie folgt: Auch wenn es laut einzelner Berichte in Einzelfällen Verzögerungen

und Schwierigkeiten beim Zugang zum Asylverfahren geben mag, haben Drittstaatsangehörige,

die sich in Italien aufhalten, grundsätzlich keine Probleme, einen Asylantrag zu stellen. Der

UNHCR stellt fest, dass es positive Entwicklungen in Bezug auf die schnelle Registrierung der

Asylanträge gibt (u. a. durch Einführung eines neuen Online-Systems und interner Anweisungen).

Auch wenn es immer noch einige Berichte geben mag, wonach die Registrierung der Anträge erst

einige Wochen nach der Äußerung des Asylgesuchs erfolgt, stellt dies eine erhebliche Verbesse-

16

vgl. Informationen der Liaisonbeamtin des Bundesamtes in Rom vom 13.08.2013, 02.09.2013 und 26.11.2013. 17

vgl. Informationen der Liaisonbeamtin des Bundesamtes in Rom vom 13.08.2013, 02.09.2013 und 26.11.2013. 18

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12. 19

vgl. UNHCR, Recommendations on Important Aspects of Refugee Protection in Italy, July 2013, S. 6 (http://www.refworld.org/docid/522f0efe4.html).

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rung im Vergleich zum vorherigen UNHCR-Bericht vom Juli 201220 dar, wonach es in der Vergan-

genheit einige Fälle gab, in denen einige der Questuras erst mehrere Monate nach dem Asylge-

such einen Termin für die formale Antragstellung angesetzt hatten.

b) Entscheidung und Dauer des Asylverfahrens

Die Kommission kann folgende Entscheidungen hinsichtlich des Asylgesuchs treffen:

- Asyl aufgrund einer Anerkennung als Flüchtling nach der GFK,

- Subsidiärer Schutz nach Art. 15 c) der Qualifikationsrichtlinie, die durch den Legislativ-

Erlass („decreto legge“) Nr. 251/2007 umgesetzt wurde,

- Aufenthaltsgenehmigung aufgrund von humanitären Gründen nach dem Legis lativ-Erlass

Nr. 286/1998 und 25/2008,

- Keinen Schutz gewähren – in diesem Fall erhält die Person die Aufforderung („foglio di

via“), Italien innerhalb von 15 Tagen zu verlassen.21

Laut Eurostat wurde im Jahr 2013 über 25.250 Asylanträge entschieden, wovon 3.110 nach der

Genfer Konvention anerkannt wurden (12,3 %), 5.550 subsidiären Schutz erhielten (22 %), 7.525

humanitären Schutz erhielten (29,8 %) und 9.065 abgelehnt wurden (35,9 %).22 Dementsprechend

lag die Schutzquote 2013 bei 64,1 %. Damit hatte Italien innerhalb der zehn zugangsstärksten eu-

ropäischen Staaten im Jahr 2013 die höchste Schutzquote.23

Das eigentliche materielle Prüfungsverfahren selbst ist effektiv, weist keine wesentlichen struktu-

rellen Mängel auf und führt zu einer durchaus zufriedenstellenden Schutzquote. In Italien ist

durchaus ein ausdifferenziertes Verfahren zur Aufnahme von Flüchtlingen und zur Durchführung

eines effektiven Prüfungs- und Anerkennungsverfahren installiert, das den auch unionsrechtlich zu

stellenden Anforderungen noch genügt und eine zweckentsprechende Behandlung der Flüchtlinge

ermöglicht.24

Grundsätzlich schreibt das geltende Gesetz in Italien vor, dass über einen Asylantrag innerhalb

von 30 Tagen nach dessen Eingabe zu entscheiden ist.25 Das Gesamtverfahren (einschließlich

gerichtlicher Widerspruchsmöglichkeit bei ablehnendem Bescheid) soll nicht länger als sechs Mo-

nate dauern. In der Praxis dauern die Verfahren oft länger, dann werden jedoch auch die Unter-

bringung und Versorgungsleistungen entsprechend verlängert. Die tatsächliche Dauer der Verwal-

tungsverfahren (Asylantragstellung bis zur behördlichen Entscheidung) kann von der formal vorge-

sehenen Dauer abweichen. Diese kann nicht generell benannt werden, da es insoweit keine natio-

nale Gesamtübersicht oder Statistik gibt. Nach den Aussagen von CIR und UNHCR können man-

che Verfahren in der Praxis bis zu einem Jahr dauern. Allgemein liege der Durchschnitt eher bei

vier bis sechs Monaten. Es gab durchaus Fälle, in denen das Verfahren einen deutlich längeren

Zeitraum benötigte, was jedoch nicht als Regel zugrunde gelegt werden kann. 26

20

vgl. UNHCR, Recommendations on Important Aspects of Refugee Protection in Italy, July 2012, S. 7 (http://www.unhcr.org/refworld/docid/5003da882.html). 21

vgl. EGMR, Entscheidung vom 02.04.2013, Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u. a. gegen die Niederlande und Ital i-en, Rn. 36. 22

vgl. Eurostat (Stand: 14.05.2014); Asylum Information Database, National Country Report Italy, May 2013. 23

vgl. Bundesamt in Zahlen 2013, S. 32. 24

vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.04.2014 – A 11 S 1721/13. 25

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12; Informati-onen der Liaisonbeamtin des Bundesamtes in Rom vom 13.08.2013. 26

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12.

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c) Instanzenweg

Eine Beschwerde gegen eine ablehnende Entscheidung der Territorialkommission kann innerhalb

von 30 Tagen ab Zustellung der Entscheidung bei dem zuständigen Zivilgericht eingelegt wer-

den.27 Weitere Beschwerden müssen beim Berufungsgericht und in letzter Instanz beim Kassati-

onsgericht eingelegt werden. Diese Beschwerden müssen von einem Rechtsanwalt eingelegt wer-

den. Der betreffende Antragsteller kann zu diesem Zweck Rechtsbeistand beantragen.28

3. Unterbringung und Versorgung

a) Recht auf Unterbringung, Versorgung und Verpflegung

Gemäß der Rechtsvorschrift Nr. 140/2005, mit der die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom

27.01.2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern (sog. Auf-

nahmerichtlinie) in den Mitgliedstaaten umgesetzt wird, haben Asylbewerber während des Asylver-

fahrens in Italien Anspruch auf Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung.29

Diese sieht vor, dass Asylsuchende, die Schutz in Italien beantragen, aber nicht über die Mittel

verfügen, die ihnen ein menschenwürdiges Dasein sichern könnten, in angemessenen Aufnahme-

einrichtungen untergebracht werden.30

Die Unterbringung von Flüchtlingen wird durch den Nationalen Verband italienischer Gemeinden

ANCI koordiniert. Dieser bezieht hierfür notwendige Mittel aus einem nationalen Fonds des Innen-

ministeriums.

Personen, die um Asyl ersuchen, müssen bis zum Abschluss ihres Verfahrens an einem Ort woh-

nen, der vom Präfekten bestimmt wird. Sie werden für die Dauer des Verfahrens in einem der u. g.

Aufnahmezentren untergebracht.31

Auch wenn es weiterhin regionale Unterschiede gibt, kann im Ergebnis davon ausgegangen wer-

den, dass für die Flüchtlinge in Italien landesweit ausreichende staatliche bzw. öffentliche karikati-

ve Unterkunftsmöglichkeiten (bei teilweiser lokaler Überbelegung) zur Verfügung stehen.32

Insbe-

sondere in Norditalien sind die Kapazitäten nicht ausgeschöpft.33

Während des Asylverfahrens haben die Asylbewerber auch einen Anspruch auf Verpflegung. Klei-

dung wird gestellt, ebenso Wäsche und Hygieneartikel zum persönlichen Gebrauch. 34

Der Erhalt von Unterstützungsleistungen (Nahrung, Unterkunft, Integrationsmaßnahmen, psycho-

logische Betreuung, Schule, etc.) ist an den Aufenthalt in einem Zentrum geknüpft. Problematisch

ist, dass einige Personen sich nicht an der zugewiesenen Adresse melden und sich nicht an die

Verteilung halten, sondern in die Großstädte wie z. B. Rom reisen, um dort unterzukommen. Für

27

vgl. EGMR, Entscheidung vom 02.04.2013, Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u. a. gegen die Niederlande und Ital i-en, Rn. 40; Informationen der Liaisonbeamtin des Bundesamtes in Rom vom 13.08.2013. 28

vgl. EGMR, Entscheidung vom 02.04.2013, Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u. a. gegen die Niederlande und Itali-en, Rn. 40. 29

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12; EGMR, Entscheidung vom 02.04.2013, Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u. a. gegen die Niederlande und Italien, Rn. 42. 30

vgl. Stellungnahme des UNHCR vom 24.04.2012 für das VG Braunschweig (Az. 7 A 57/11); vgl. UNHCR, Recommendations on Important Aspects of Refugee Protection in Italy, July 2012, S. 11 (http://www.unhcr.org/refworld/docid/5003da882.html). 31

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12. 32

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.08.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 76/12 u. a. 33

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12. 34

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12.

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Personen, die hier keinen Unterbringungsplatz erhalten, ist der Zugang zu den Unterstützungsleis-

tungen erschwert. Zudem ist die Unterbringungsdauer zeitlich begrenzt. Als Konsequenz hieraus

erhalten Asylsuchende nach Ablauf der Aufenthaltsdauer und nach Verlassen der Zentren auch

keine staatliche Unterstützung mehr.35 In der Praxis verbleiben die Flüchtlinge aber dennoch im

Allgemeinen in den Zentren und erhalten Unterstützung.36

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass eine ausreichende Versorgung vorhanden ist. Soweit

vorgetragen wird, dass Asylbewerber und Flüchtlinge ihren Lebensunterhalt regelmäßig durch Bet-

teln und Prostitution sichern müssen, handelt es sich lediglich um Einzelfälle. Diese Einzelfälle sind

allenfalls auf das in der aktuellen Wirtschaftskrise insbesondere in italienischen Großstädten zu-

nehmend auftretende Phänomen des Bettelns und den damit einhergehenden erhofften zusätzli-

chen Einkunftsmöglichkeiten zurückzuführen. Was die Prostitution angeht, so ist nicht völlig aus-

zuschließen, dass weibliche Asylbewerber oder Flüchtlinge in Einzelfällen durch Angehörige der

organisierten Kriminalität rekrutiert werden und dann tatsächlich der Prostitution nachgehen. Dies

ist aber nicht im kausalen Zusammenhang mit fehlenden Unterbringungskapazitäten oder gravie-

renden Defiziten im Asylverfahren zu sehen.

Im Regelfall oder gar überwiegend ist nicht davon auszugehen, dass Asylbewerber und Flüchtlinge

in Italien bzw. Rückkehrer nach der Dublin-VO nach Italien dort unter Verhältnissen leben müssen,

welche man gemeinhin als ein „Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums“ (Betteln, Le-

ben auf der Straße, etc.) bezeichnen kann. Hierbei handelt es sich eher um Einzelfälle. 37

b) Aufnahmesystem

Das Aufnahmesystem in Italien umfasst derzeit die folgenden Arten von Einrichtungen:

aa) Centri di Accoglienza per Richiedenti Asilo (CDA/CARA) – Aufnahmezentren für Asylsu-

chende

In den Aufnahmezentren für Asylsuchende (CDA/CARA) werden diejenigen Migranten aufgenom-

men, die ein Asylgesuch stellen und deren Identität festgestellt werden muss.

Laut Auskunft der Liaisonbeamtin des Bundesamtes stehen unter Bezugnahme der Daten des

italienischen Innenministeriums (Stand: 10.09.2014) folgende CDA/CARA-Einrichtungen mit fol-

genden Kapazitäten zur Verfügung: 38

Betreiber Theoretische

Kapazität

Tatsächliche

Kapazität

Tatsächliche

Anwesenheit

Agrigento-

Lampedusa-

CPSA

381 250 0

Ancona- CDA-

CARA

68 68 114

35

vgl. Erkenntnisse der Liaisonmitarbeiterin des Bundesamtes in Italien (Stand: 23.07.2012); Asylverfahren und Auf-nahmebedingungen in Italien, Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH, Schweiz, The law students’ legal aid office, Juss -Buss, Norwegen, http://www.ecoi.net/file_upload/6_1309862586_110524-bericht-italien-sfhjussbuss-deutsche-uebersetzung.pdf . 36

vgl. Erkenntnisse der Liaisonmitarbeiterin des Bundesamtes in Italien (Stand: 23.07.2012 und 26.11.2013). 37

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12. 38

vgl. Informationen der Liaisonbeamtin des Bundesamtes in Rom, 10.09.2014.

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Bari-CDA-CARA 744 1.216 1.614

Brindisi-CDA-

CARA

128 128 173

Cagliari- CPSA-

CARA

220 312 262

Caltanissetta-

CDA-CARA

456 456 491

Catania(Mineo)-

CDA-CARA

3.000 3.000 3.720

Crotone-CDA-

CARA

729 1.370 1.600

Foggia-CDA-

CARA

856 580 713

Gorizia-CDA-

CARA

138 138 204

Lecce-Otranto-

Centro di primissima

accoglienza

- 0 0

Ragusa CPSA

(Pozzallo)

180 180 0

Roma-CDA-CARA 650 650 848

Trapani-CDA-

CARA

260 260 249

TOTAL 7.810 8.608 9.988

De facto werden laut Auskunft der Liaisonbeamtin des Bundesamtes 9.988 Personen in den

CDA/CARA untergebracht. Dass tatsächlich mehr Personen als vorgesehen in den Einrichtungen

untergebracht werden, lässt sich dadurch erklären, dass teilweise statt einzelnen Betten Hochbet-

ten oder einfach mehr Betten in die Zimmer gestellt werden, so dass faktisch mehr Personen un-

tergebracht werden können. Aufgrund der mitunter sehr kurzen Verweildauer der Asylsuchenden

in den Unterkünften, sind die zur Verfügung stehenden Kapazitäten ausreichend.

In Anwendung der in Art. 20 der Verordnung Nr. 25/2008 aufgeführten Kriterien werden Asylsu-

chende, die in Italien ankommen, in der Regel zunächst an die CARAs weitergeleitet, hauptsäch-

lich zum Zwecke der Identitätsfeststellung. CARAs sind Unterbringungseinrichtungen, die von Or-

ganisationen betrieben werden, die im Rahmen von öffentlichen Ausschreibungsverfahren durch

die lokale Präfektur ausgewählt werden.39

Die Aufenthaltsdauer in einem CARA beträgt grundsätzlich maximal 35 Tage. Da die Verfahren

jedoch oftmals länger dauern, bleiben die Antragsteller entsprechend länger in diesen Zentren. Bei

39

vgl. Stellungnahme des UNHCR vom 24.04.2012 für das VG Braunschweig (Az. 7 A 57/11); UNHCR, Recommendations on Important Aspects of Refugee Protection in Italy, July 2012, S. 11 (http://www.unhcr.org/refworld/docid/5003da882.html).

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anerkannten Flüchtlingen kann es u. U. zu einer Verlängerung der Verweildauer kommen, bis ggf.

eine alternative Unterbringung mit Hilfe der Sozialorganisationen gefunden wurde. 40

Es ist davon auszugehen, dass diejenigen Personen, die in CARAs untergebracht sind, mit Nah-

rung und Unterkunft versorgt werden, aber auch Zugang insbesondere zu medizinischer Behand-

lung (einschließlich bei psychischen Erkrankungen, zu Bildungs- und Erholungsaktivitäten sowie

zu Rechtsberatung) haben. Ein Dekret des Innenministeriums vom 21. November 2008 bestimmt

Mindeststandards für die materiellen Unterbringungsbedingungen und die von den Betreibern zu

erbringenden Dienstleistungen in CARAs auf nationaler Ebene, die nun in allen Verträgen mit den

Betreibern dieser Einrichtungen enthalten sind.41

bb) Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugati (SPRAR) – Schutzsystem für

Asylbewerber und Flüchtlinge

Zusätzlich existiert das SPRAR Netzwerk von Aufnahme- und Integrationsprojekten, deren Mitglie-

der Gemeinden, Provinzen und gemeinnützige Organisationen umfassen und von einem Zentralen

Dienst koordiniert und derzeit von dem Nationalen Verband italienischer Gemeinden (ANCI) ver-

waltet wird. Die Finanzierung erfolgt über das Innenministerium nach Bestimmung des Trägers

aufgrund eines öffentlichen Ausschreibungsverfahrens. 42

Im Juni 2014 kündigte Innenstaatssekretär Giampiero Bocci an, dass man das System der dauer-

haften Aufnahmeplätze von 9.000 auf 19.000 erweitern werde. 43 Die Erhöhung der SPRAR-Plätze

auf 19.000 Plätze wurde von der Liaisonbeamtin des Bundesamtes im Juni 2014 im Rahmen einer

Delegationsreise des Petitionsausschusses des Bundestages bestätigt. Ab August/September

2014 sollen laut Liaisonbeamtin neue Projekte mit dem Ziel der Schaffung von zusätzlichen Unter-

bringungsplätzen starten. Laut Auskunft des italienischen Innenministeriums (Dr.ssa Martha Mat-

scher) verfügt derzeit das Aufnahmesystem SPRAR über 19.000 Plätze (Stand: September 2014).

Diese Bemühungen seitens der italienischen Behörden werden vom UNHCR sehr begrüßt und

zeigen die Bereitschaft Italiens, Verbesserungen am Aufnahmesystem herbeizuführen.44

SPRAR Projekte bringen sowohl Personen, denen internationaler Schutz oder nationaler humani-

tärer Schutz gewährt wurde, als auch Asylsuchende unter. Hinsichtlich Asylsuchender sind die

Plätze in dem SPRAR Netzwerk gewöhnlich für besonders schutzbedürftige Asylsuchende vorge-

sehen sowie für Personen, bei denen das Verfahren zur Identitätsfeststellung beendet ist oder die

bereits 35 Tage in einem CARA untergebracht waren.45

Grundsätzlich beträgt die Aufenthaltsdauer in einem SPRAR-Zentrum bis zu sechs Monate.46 Dies

sieht die Richtlinie für SPRARs vor. Diese sechs Monate beginnen ab der Entscheidung der Terr i-

40

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12; Stellung-nahme des Auswärtigen Amtes vom 11.09.2013 für das OVG NRW, Az.. 1 A 21/12.A. 41

vgl. Stellungnahme des UNHCR vom 24.04.2012 für das VG Braunschweig (Az. 7 A 57/11). 42

vgl. Stellungnahme des UNHCR vom 24.04.2012 für das VG Braunschweig (Az. 7 A 57/11); UNHCR, Recommendations on Important Aspects of Refugee Protection in Italy, July 2012, S. 11

(http://www.unhcr.org/refworld/docid/5003da882.html); vgl. Erkenntnisse der Liaisonmitarbeiterin des Bundesamtes in

Italien (Stand: 23.07.2012); vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 11.07.2012 für das VG Freiburg (Az. A 4 K 2202/11). 43

vgl. Artikel aus FAZ vom 21.08.2014, „Italien will Geld aus Europa für Flüchtlingsrettung“ . 44

vgl. http://www.asylumineurope.org/news/23-09-2013/italy-increases-reception-capacity-3000-16000-places-2014-2016. 45

vgl. Stellungnahme des UNHCR vom 24.04.2012 für das VG Braunschweig (Az. 7 A 57/11); UNHCR, Recommendations on Important Aspects of Refugee Protection in Italy, July 2012, S. 11 (http://www.unhcr.org/refworld/docid/5003da882.html). 46

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12.

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torialkommission. In Einzelfällen ist dieser Aufenthalt verlängerbar (z. B. bei Beendigung einer

Aus- oder Weiterbildung oder gesundheitliche Gründe). Minderjährige bleiben bis zur Vollendung

des 18. Lebensjahres und haben danach Anspruch auf weitere sechs Monate Unterbringung. Wei-

tere Verlängerungen können genehmigt werden, um ihnen eine bessere Integration in die Einrich-

tungen für Erwachsene zu ermöglichen.47

cc) Zentren der Protezione Civile (Zivilschutz) in den Kommunen (sog. Notfallplan)

Das Aufnahmesystem wurde um einen Notfallaufnahmeplan, verwaltet von der Abteilung für Zivil-

schutz (Dipartimento di Protezione Civile), ergänzt, der eingeführt wurde, um auf die Migrations-

bewegungen aus Nordafrika seit Januar 2011 zu reagieren. 48 Im Jahr 2011, nach Ankunft einer

erheblichen Zahl von Personen aus Nordafrika und der darauffolgenden Erklärung des „humanitä-

ren Notstands“, wurden die regionalen Regierungen gebeten, zusätzliche Aufnahmeeinrichtungen

zu bestimmen, da die bestehenden Aufnahmekapazitäten als unzureichend eingeschätzt wurden.

Zwischen den Regierungen und den örtlich zuständigen Behörden (Regionen, bestimmten Provin-

zen und Gemeinden) wurde eine Vereinbarung getroffen, in der Kriterien für eine Verteilung von

bis zu 50.000 Personen festgehalten wurden, mit regionalen Quoten basierend auf der jeweiligen

Bevölkerungsgröße.49

Zum 28.02.2013 lief das Gesetzesdekret zur sog. „Emergenza Nordafrica“ einschließlich der Ver-

längerung aus, durch welche die Finanzierung der temporären Flüchtlingsaufnahmeeinrichtungen,

insbes. des Zivilschutzes, garantiert wurden. Das italienische Innenministerium hatte nach Kritiken

sowohl seitens Menschenrechtsorganisationen als auch seitens der betroffenen Gemeinden mit

Rundschreiben vom 01.03.2013 Regelungen zur Handhabung der Situation an die Regionen ge-

sandt. Darin wurde festgehalten, dass einige Zielgruppen weiter in den Aufnahmeeinrichtungen

Aufnahme finden werden. Hierbei handelt es sich u. a. um unbegleitete Minderjährige, Personen

mit Behinderungen, alleinstehende Eltern, schwangere Personen, Folteropfer, Familien mit minder-

jährigen Kindern, Asylbewerber, die noch nicht angehört wurden oder Berufung gegen einen Nega-

tivbescheid eingelegt haben und Flüchtlinge, die auf die Ausstellung eines Permesso di Soggiorno

(Aufenthaltstitel) aus humanitären Gründen oder des Reisetitels warten. Für Personen, die freiwillig

die Aufnahmezentren verlassen haben, war eine Starthilfe in Höhe von 500 € vorgesehen. Laut

Angaben des italienischen Innenministeriums (mit Stand vom 01.03.2013) hätten sich nahezu

6.000 Ausländer entschlossen, auf dieser Grundlage Italien zu verlassen. Da diese Zahl jedoch auf

Rückmeldungen der Provinzen basiert und im Zeitpunkt der Abfrage erst 50 % der Provinzen die

Anfrage beantwortet hatten, kann laut Innenministerium von 10.000 bis 13.000 Flüchtlingen aus-

gegangen werden, die unter die Regelung fielen. 50

Nach Auskunft des Leiters des Amtes Aufnahmezentren und Betreuung vom 04.09.2013 gibt es

noch etwa 1.000 Personen („vulnerable cases“ und Asylbewerber, die einen Widerspruch eingelegt

47

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 11.09.2013 für das OVG NRW, Az.. 1 A 21/12.A. 48

vgl. Stellungnahme des UNHCR vom 24.04.2012 für das VG Braunschweig (Az. 7 A 57/11); UNHCR, Recommendations on Important Aspects of Refugee Protection in Italy, July 2012, S. 10 (http://www.unhcr.org/refworld/docid/5003da882.html); vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 11.07.2012 für das VG Freiburg (Az. A 4 K 2202/11); vgl. Erkenntnisse der Liaisonmitarbeiterin des Bundesamtes in Italien (Stand: 23.07.2012). 49

vgl. Stellungnahme des UNHCR vom 24.04.2012 für das VG Braunschweig (Az. 7 A 57/11); UNHCR, Recommendations on Important Aspects of Refugee Protection in Italy, July 2012, S. 11 f. (http://www.unhcr.org/refworld/docid/5003da882.html). 50

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.08.2013 für das für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 76/12 u. a.; Informationen der Liaisonbeamtin des Bundesamtes in Rom, 21.11.2013 unter Bezugnahme auf http://www.interno.gov.it/mininterno/export/sites/default/it/sezioni/sala_stampa/notizie/2099_500_ministro/2013_03_01_misure_immigrati_post_emergenza_Nord_Africa_intervista.html_218188314.html .

Page 14: Leitfaden Italien - BAMF

Seite 14 von 36

haben), die sich in den Zentren befinden. Offiziell sollten diese am 01.09.2013 schließen. Es werde

derzeit überlegt, wie die Versorgung dieser Personengruppe weiterhin gewährleistet werden kann.

Konkrete Auswirkungen auf Dublin-Rückkehrer hat das Auslaufen des Nordafrika-Programms

nicht, da von vornherein kein unmittelbarer Zusammenhang zum Programm bestand.51

dd) Verhältnisse in den staatlichen Aufnahmezentren und Unterkünften

Die hygienischen Verhältnisse in den staatlichen Aufnahmezentren und Unterkünften sind durch-

weg so beschaffen, dass kleinere Schlafräume in Wohnhäusern oder Containern vorhanden sind,

die auch zumeist mit Klimaanlage/Zentralheizung versehen sind. Toilettenräume sind in ausrei-

chender Zahl vorhanden und nach Geschlechtern getrennt. Gleiches gilt für Waschräume. Die

Verpflegung wird vielfach in einem gemeinsamen Speisesaal bereitgestellt. Vereinzelt bestehen

dort weitere Möglichkeiten einer besonderen Zubereitung von Mahlzeiten. Ebenso verfügen die

Einrichtungen über Sozialräume und getrennte Räumlichkeiten für die medizinischen Dienste so-

wie Sonderfälle. Zur Aufrechterhaltung der Sauberkeit werden entsprechende Reinigungsdienste

für die allgemeinen Räumlichkeiten beauftragt. Die hygienischen Verhältnisse in den staatlichen

Aufnahmezentren und Unterkünften sind somit nicht regelmäßig oder gar überwiegend dergestalt,

dass man ernstlich Gefahr läuft, zu erkranken. Sie sind nicht dergestalt, dass sie nicht einmal Min-

destanforderungen (Kochstelle, Toilette, Waschräume, fließendes Wasser und Elektrik) genügen.

Auch sind die Verhältnisse nicht dergestalt, dass die Bewohner in ständiger Angst leben müssen,

„angegriffen, ausgeraubt oder gar vergewaltigt“ zu werden. Zwar gibt es Berichte, wonach es zu

gewaltsamen Übergriffen von männlichen auf weibliche Bewohner gekommen sein soll. Dabei

handelt es sich aber um Einzelfälle; statistische Erhebungen zur Kriminalität speziell in diesen Ein-

richtungen sind nicht bekannt, ebenso wenig gewalttätige Übergriffe auf derartige Einrichtungen

von außen. Die Aufnahmeeinrichtungen sind durch die Polizei oder Carabinieri überwacht bzw.

geschützt und es findet eine Zugangskontrolle statt. In manchen Einrichtungen wurden aufgrund

von Spannungen innerhalb der Ethnien zusätzlich Polizeikräfte postiert.52

ee) Nicht-staatliche Einrichtungen

Neben den staatlichen Unterbringungszentren existieren zusätzlich kommunale und karitative Ein-

richtungen, z. B. CARITAS, Migrantes in Rom, die Schwestern des Ordens der Mutter Teresa

„Suore Missionarie della Carià“ und andere Hilfsorganisationen (Comunià di Sant’Egidio, Opere

Antoniane, Stranieri in Italia, Centro Astalli – Jesuiten-), die Antragsteller versorgen, ihnen

Unterkunftsplätze besorgen und Sprachkurse anbieten.53 Diese Organisationen stellen medizini-

schen, rechtlichen und psychologischen Beistand zur Verfügung. Daneben bereiten sie die

Schutzsuchenden auf den Arbeitsmarkt vor, indem sie bei der Vorbereitung von Bewerbungs-

schreiben helfen und Informationen über den Arbeitsmarkt erteilen. Hinzu kommen die oft gut or-

ganisierten Netzwerke von Landsleuten und die Unterstützung aus der jeweiligen Community vor

Ort: So gibt es z. B. im Rom eine große aktive eritreische Community, die sich auch regelmäßig als

Gemeinde in der Kirche trifft und sich gegenseitig unterstützt.54

51

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 11.09.2013 für das OVG NRW, Az. 1 A 21/12.A. 52

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12. 53 vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.08.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 76/12 u. a.; Stel-lungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12. 54

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12.

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ff) Fazit

Die zur Verfügung stehenden Kapazitäten sind – auch wenn die statistischen Zahlen einen ande-

ren Eindruck vermitteln – aufgrund der Mehrfachbelegung der Räumlichkeiten, sowie einer mitun-

ter sehr kurzen Verweildauer der Asylsuchenden in den Unterkünften, ausreichend.

c) Rechtliche Möglichkeiten bei Nichtgewährung

Zur gerichtlichen Durchsetzung einer Unterbringung und Mindestversorgung ist ein ordentliches

Gericht anzurufen. Hierzu sind der Botschaft Rom nach Rückfrage bei kundigen Stellen in Italien

bisher keine Fälle bekannt geworden. Auch liegen bislang keine Informationen dazu vor, dass Eil-

rechtsschutz von Asylbewerbern in Anspruch genommen wurde. Auch im Falle von Obdachlosig-

keit/fehlenden finanziellen Mitteln ist die Durchführung des Asylverfahrens und die Gewährung

effektiven Rechtsschutzes gewährleistet.55

Während des Asylverfahrens haben Asylbewerber einen Anspruch auf Rechtsberatung sowie

sprachliche und kulturelle Übersetzungsdienste. Art. 16 des italienischen Asylverfahrensgesetzes

Nr. 25 vom 28.01.2008 legt fest, dass der Asylbewerber entsprechend den Prozesskostenvor-

schriften Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand im Verfahren hat.56

4. Zugang zum Gesundheitssystem

Während des Asylverfahrens haben alle Asylbewerber Anspruch auf freie medizinische Versor-

gung. Die Gesundheitsfürsorge ist grundsätzlich für alle Ausländer, die im Besitz einer Aufent-

haltserlaubnis sind, gewährleistet. Flüchtlinge, Asylwerber und Personen, die unter humanitärem

Schutz stehen, sind in Fragen der Gesundheitsversorgung den italienischen Staatsbürgern gleich-

gestellt. Die kostenlose Anmeldung beim Servizio Sanitario Nazionale (Nationaler Gesundheits-

dienst) ist obligatorisch und ermöglicht die Ausstellung eines Gesundheitsausweises, der zur Be-

handlung bei einem praktischen Arzt, Kinderarzt, in Ambulanzen und bei Spezialisten oder zur

Aufnahme in ein Krankenhaus berechtigt. Diese Behandlungen stehen auch den anderen Fami-

lienmitgliedern zur Verfügung. Alle Ausländer sollten sich bei der Servizio Sanitario Nazionale mel-

den und registrieren lassen. Dafür benötigen sie ihren Aufenthaltstitel, ihren Codice Fiscale (Steu-

ernummer- die man bei der Agenzia delle Entrate/Einreise Agentur erhält) sowie eine feste Adres-

se, wobei die Selbstauskunft für eine Adresse ausreicht. Die CARITAS bietet Sammeladressen für

Personen an, die keinen festen Wohnsitz haben, diesen jedoch für alle bürokratischen und Verwal-

tungsangelegenheiten (Codice fiscale, Tessera Sanitaria) benötigen.

Eine aktuelle Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garan-

tiert die Not- und Grundversorgung auch von illegal aufhältigen Personen.

Mit dieser Registrierung haben alle Zugang zu einem Allgemeinarzt und kostenloser Behandlung.

Überweisungen an Spezialisten bzw. Fachärzte, werden kostenlos übernommen (alle andere Bür-

ger müssen Überweisungen bezahlen).

Eine ärztliche Versorgung ist im Allgemeinen auch gewährleistet, soweit es um die Behandlung

von psychischen bzw. traumatisierten Erkrankungen geht (sofern diese auch durch einen Arzt at-

testiert werden). Eine kostenfreie medizinische Versorgung steht auch Personen zu, die nicht in

55

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 11.07.2012 für das VG Freiburg (Az. A 4 K 2202/11). 56

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12.

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einer staatlichen Unterkunft untergebracht sind. Die Notambulanz ist für alle Personen in Italien

kostenfrei.57

5. „Categoria vulnerabile“ – besonders schutzbedürftige Personen

a) Allgemeine Bewertung

Gemäß Art. 8 des Dekrets Nr. 140/2005 sind Vorkehrungen für die Aufnahme aufgrund der beson-

deren Bedürfnisse von Asylbewerbern und ihrer Familien zu treffen, v. a. den Bedürfnissen beson-

ders schutzbedürftiger Personen, d. h. unbegleitete Minderjährige, behinderte Personen, schwan-

gere Frauen, alleinerziehende Eltern mit minderjährigen Kindern und Personen, die Folter, Verge-

waltigung oder anderen Formen schwerer psychischer, physischer oder sexueller Gewalt ausge-

setzt waren. Die nationalen Rechtsvorschriften sehen besondere Garantien für diese besonders

schutzbedürftigen Personen vor, darunter ein reserviertes Kontingent im Aufnahmesystem des

SPRAR.58

Für diese Personengruppe ist eine Betreuung vorgesehen, die auf die individuellen Bedürfnisse

der einzelnen Personen eingehen soll. Dafür gibt es speziell zusammengesetzte Teams bestehend

aus Sozialarbeitern, Erziehern, Psychologen, Psychotherapeuten usw. Die vorgesehenen Leistun-

gen reichen von behindertengerecht ausgestatteten Unterkünften über kostenfreien Zugang zum

Gesundheitssystem bis hin zur Zahlung einer Behindertenrente. 59

In Italien sind, neben den staatlichen Einrichtungen, zahlreiche Vereine, kirchliche Einrichtungen

und NGOs zur Betreuung von Asylwerbern und Frauen, die Opfer von Gewalt wurden, tätig. Es

gibt u.a. auch EU-KOM finanzierte Projekte, eigens für Asylwerberinnen, die Opfer von Gewalt

wurden.

b) Versorgung Minderjähriger

Zuständig für unbegleitete Minderjährige ist nach der Aufnahme das Ministerium für Arbeit und

Sozialpolitik. Die Minderjährigen werden in der Regel in staatlichen Aufnahmeeinrichtungen und

privaten Haushalten untergebracht. Die aufnehmenden Familien erhalten eine entsprechende fi-

nanzielle Entschädigung. Bis September 2012 waren in Italien 7.370 unbegleitete Minderjährige

registriert, von denen 1.757 abhängig waren. 3.959 waren im Alter von 17 Jahren. 6.320 befanden

sich in staatlichen Einrichtungen, 719 in privaten Haushalten und 331 in sonstigen Einrichtungen. 60

aa) Allgemeine Bewertung zum Umgang mit unbegleiteten Minderjährigen in Italien

Minderjährige werden direkt nach Ankunft in einer altersgerechten Unterkunft untergebracht und

haben Anspruch auf den Zugang zu schulischer Bildung, psychologischer Betreuung und auf die

Zuweisung eines Vormundes. Dies wurde von mehreren beteiligten Akteuren (UNHCR, CIR und

den SPRAR) gegenüber der Liaisonbeamtin des Bundesamtes bestätigt.

Zeitliche Probleme gibt es bei der Zuweisung von persönlichen Ansprechpartnern. Der Vormund

ist, per Gesetz, meist der Bürgermeister der Stadt, in der die Minderjährigen ankommen. Mit der

eigentlichen Betreuung wird jedoch ein Sozialarbeiter oder ein anderer Mitarbeiter der lokalen Be-

hörde betraut. Die hierbei entstehenden Verzögerungen können sich entsprechend auf das Asyl-

begehren auswirken. 57

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12; Informati-onen der Liaisonbeamtin des Bundesamtes vom 26.11.2013; www.immigrazione.biz/guide/salute.php 58

EGMR, Entscheidung vom 02.04.2013, Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u. a. gegen die Niederlande und Italien, Rn. 42. 59

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12. 60

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12.

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Die Minderjährigen, die im Rahmen von Dublin-Fällen überstellt werden, werden in Empfang ge-

nommen und betreut, sofern sie in Italien als Minderjährige gelten. Die Liaisonbeamtin des Bun-

desamtes konnte sowohl am Flughafen Rom-Fiumicino als auch in Mailand-Malpensa einige Über-

stellungen begleiten und feststellen, dass die Asylbewerber sehr intensiv betreut werden.

Leider sind viele Minderjährige in Italien als Erwachsene registriert. Hierfür gibt es im Wesentlichen

zwei Ursachen: Zum einen wollen viele einfach nur schnell eine Arbeit aufnehmen und Geld ver-

dienen, zum anderen wird auf Empfehlung des Schleusers bei ihrer Einreise nach Italien ein ande-

res – älteres - Geburtsdatum angegeben als in Deutschland. Dadurch wird versucht, eine sofortige

Inobhutnahme durch die Behörden zu vermeiden, die eine Weiterreise unmöglich machen würde.

Wer sich als Erwachsener meldet, darf in den Aufnahmezentren ein- und ausgehen. Aufgrund der

Weigerung der italienischen Behörden, ggfs. eine Altersüberprüfung vorzunehmen, gibt es Prob-

leme. Allerdings kann eine Korrektur durch Vorlage von Dokumenten als Nachweis erfolgen. Die

Betroffenen selbst haben meist kein Interesse daran, ihre Altersangabe zu revidieren und damit

von der Rücküberstellung ausgenommen zu werden. Sie kehren lieber eigeninitiativ nach Deutsch-

land zurück.

Der Liaisonbeamtin ist nichts darüber bekannt, dass unbegleitete Minderjährige aus Aufnahmezen-

tren entlassen werden, nachdem die eigentlich zeitlich begrenzte Aufenthaltsdauer von sechs Mo-

naten ausgelaufen ist. Auch ist nicht bekannt, dass Minderjährige, die aus Kapazitätsgründen kei-

nen Platz in SPRAR oder anderen Zentren bekommen können, „auf der Straße landen“, wie es

von einigen Flüchtlingsorganisationen behauptet wird. Es besteht vielmehr ein deutliches Bemü-

hen der italienischen Seite, sich diesen jungen Menschen anzunehmen.

Wer tatsächlich nicht in den Zentren unterkommen kann, wird in Waisenhäusern oder vergleichba-

ren Einrichtungen untergebracht.61

bb) UNHCR zum Schutz von unbegleiteten Minderjährigen

In seinem Papier vom Juli 2013 setzt sich der UNHCR unter Punkt 2. mit der Problematik der

unbegleiteten Minderjährigen in Italien auseinander.62

Aus Sicht des Bundesamtes lassen sich aus dem UNHCR-Papier folgende wichtige Ergebnisse

herleiten:

Nach wie vor stellen sehr viele der unbegleiteten Minderjährigen keinen Antrag auf interna-

tionalen Schutz in Italien (970 von insgesamt 7.575 im Jahr 2012). Die Nichtregistrierung

und Weiterreise von unbegleiteten Minderjährigen sind nicht auf vermeintliche Mängel des

Asylverfahrens oder gar der Aufnahmebedingungen, Unterbringungssituation oder

Gesundheitsversorgung, sondern vielmehr beispielsweise auf den Druck von Schleusern

und Familienangehörigen, das Vorhandensein von Familienangehörigen in anderen Mit-

gliedstaaten sowie auf Verzögerungen in Bezug auf den Zugang zum Asylverfahren und

auf Bedenken im Hinblick auf ihre Integrationsaussichten in Italien zurückzuführen.

Auch wenn es laut UNHCR einige Fälle gibt, in denen unbegleitete Minderjährige teilweise

unter prekären Bedingungen verbleiben bis sie in angemessene Einrichtungen verbracht

werden, ist dem Bericht nicht zu entnehmen, dass die Aufnahmebedingungen für unbeglei-

tete Minderjährige grundsätzlich nicht die Mindeststandards erfüllen.

61

vgl. Erkenntnisse der Liaisonmitarbeiterin des Bundesamtes in Italien (Stand: 23.07.2012). 62

vgl. UNHCR, Recommendations on Important Aspects of Refugee Protection in Italy, July 2013, S. 4 -5 (http://www.refworld.org/docid/522f0efe4.html).

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Insgesamt enthält der Bericht keine Aussagen darüber, dass das italienische Asylsystem

derartige „systemische Mängel“ aufweist, die eine Überstellung der unbegleiteten Minder-

jährigen nach Italien unzumutbar erscheinen lassen. Das Papier enthält lediglich Empfeh-

lungen und Vorschläge mit dem Ziel, konkrete Maßnahmen zur allgemeinen Verbesserung

der Situation der unbegleiteten Minderjährigen hinsichtlich des Asylverfahrens und der Auf-

nahmebedingungen vorzuschlagen.

c) Kranke

Da kranke und behinderte Personen unter die Gruppe der besonders Schutzbedürftigen (sog.

Categoria vulnerabile) fallen, ist eine besondere Betreuung für sie vorgesehen (vgl. Ziff. 5. a)). Wie

bereits unter 4. aufgeführt wurde, sind alle Flüchtlinge, Asylwerber und Personen, die unter huma-

nitärem Schutz stehen, in Fragen der Gesundheitsversorgung den italienischen Staatsbürgern

gleichgestellt. Zum Gesundheitssystem und der ärztlichen Versorgung in Italien wird auf den Be-

richt „Sozialpolitische Informationen Italien“ der Deutschen Botschaft Rom vom Januar 2012 ver-

wiesen.63

6. Dublin-Rückkehrer

In seinem aktuellen Beschluss vom 17.09.201464 hat das BVerfG die zu erfüllenden Erfordernisse

bei Rückführungen in sichere Drittstaaten klar definiert. Anders als bei der Rückführung ins Her-

kunftsland, können die hiervon betroffenen Ausländer „regelmäßig weder auf verwandtschaftliche

Hilfe noch auf ein soziales Netzwerk bei der Suche nach einer Unterkunft für die Zeit unmittelbar

nach ihrer Rückkehr zurückgreifen. Bestehen – wie gegenwärtig im Falle Italiens – aufgrund von

Berichten international anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen oder des Auswärtigen Amtes

belastbare Anhaltpunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rück-

geführter Ausländer im sicheren Drittstatt, hat die auf deutscher Seite für die Abschiebung zustän-

dige Behörde dem angemessen Rechnung zu tragen. Bei Vorliegen einer solchen Auskunftslage

hat das zuständige Bundesamt (...) jedenfalls bei der Abschiebung von Familien mit neugeborenen

und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats

sicherzustellen, dass die Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft erhält, um

erhebliche konkrete Gesundheitsgefahren in dem genannten Sinne für diese in besonderem Maße

auf ihre Eltern angewiesenen Kinder auszuschließen.“

a) Allgemeine Bewertung

Bei „Dublin-Rückkehrern“ ist dementsprechend gewährleistet, dass sie nach ihrer Rückkehr in Ita-

lien ihren bereits gestellten Asylantrag weiterverfolgen bzw. erstmals einen Asylantrag stellen kön-

nen. Italien gewährleistet entsprechend dem Grundrecht auf Asyl ein Schutzverfahren, das auch

für Überstellungen nach der Dublin-VO greift. Besonderheiten bestehen insoweit nicht.

Asylbewerber, die gemäß Dublin-Verfahren nach Italien zurückgeführt werden, treffen in der Regel

auf dem Luftweg auf den Flughäfen Fiumicino/Rom, Malpensa/Mailand, Bergamo, Venedig, Bari,

Brindisi oder Ancona ein. Dort werden sie von der Polizei in Empfang genommen und ihnen wird

eine Unterkunft in einer der Aufnahmeeinrichtungen zugeteilt, sofern ein Asylantrag gestellt/das

63

vgl. Deutsche Botschaft Rom, Sozialpolitische Informationen Italien, Januar 2012. 64

vgl. BVerfG – Beschluss vom 17.09.2014 – 2 BvR 939/14

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Asylverfahren noch weitergeführt wird.65 Auch finden Überstellungen nach Catania, Lamezia terme

oder Palermo statt.66

Die Ausländer können am Flughafen den Wunsch äußern, einen Asylantrag zu stellen und werden

zu der zuständigen Questura geschickt. Dort wird ihr Asylantrag formalisiert. Wenn die zuständige

Questura weiter entfernt ist (z. B. Dublin-Rückkehrer nach Rom, zuständige Questura in Catania),

bekommt die Person ein Zugticket, um dort hinzureisen. Wenn die Dublin-Rückkehrer von deut-

schen Beamten/Polizisten begleitet werden, gibt es insoweit keine Unterschiede.

Wird beispielsweise eine Person über den Flughafen Roma-Fiumicino überstellt, läuft das Verfah-

ren wie folgt ab: Dublin-Rückkehrer werden von der Polaria (Luftpolizei) empfangen. Sie werden

erneut erkennungsdienstlich behandelt und es erfolgt die Feststellung, welche Questura für die

Person zuständig ist und wie der Stand des Verfahrens ist. Dann werden die Ausländer von der

am Flughafen zuständigen Hilfsorganisation „Confederazione Nazionale delle Misericordie d’Italia“

betreut und über den weiteren Verfahrensablauf unterrichtet, der sich je nach konkreter Situation

unterschiedlich darstellen kann. Dabei sind Dolmetscher anwesend. Die Organisation sucht au-

ßerdem eine Unterkunft. Dies gestaltet sich wieder je nach Fallkonstellation unterschiedlich: Asyl-

bewerber werden in den CARA untergebracht, sog. „vulnerable cases“ in einem FER-Projekt (EU-

Flüchtlingsfonds). Bereits abgelehnte Personen erhalten eine provisorische Unterkunft für einige

Tage oder Wochen.

Sofern sich Dublin-Rückkehrer immer noch im Asylverfahren befinden, erhalten sie sofort eine Un-

terkunft in einem entsprechenden Aufnahmezentrum.67

In der Praxis stellen nach Auskunft des Auswärtigen Amtes jedoch viele Dublin-II-Rückkehrer kei-

nen Asyl- oder Schutzantrag, da sie häufig nicht in Italien bleiben wollen. Sie verzichten auf den

Antrag und das Asylverfahren. Damit stehen ihnen die staatlichen Aufnahmezentren u. a. Leistun-

gen nicht mehr offen.68

b) Überstellung von (unbegleiteten) Minderjährigen

Wenn eine Person, die in Deutschland als minderjährig registriert ist, nach Italien überstellt wird,

tritt das Bundesamt über die Liaisonbeamtin in Rom in jedem Einzelfall in Kontakt mit italienischen

Behörden, um sicherzustellen, dass eine angemessene Unterbringung gewährleistet wird.

Nach den dem Bundesamt vorliegenden Erkenntnissen werden Minderjährige, die nach Italien

überstellt werden, dort von einem Sozialarbeiter in Empfang genommen und in das nächste Zent-

rum für Minderjährige begleitet. Solche Zentren gibt es überall, da die minderjährigen Flüchtlinge

nicht nur mit Ausländern, sondern auch mit italienischen Jugendlichen untergebracht werden.

Voraussetzung für die Aufnahme als Minderjähriger und die nachfolgende Betreuung ist jedoch,

dass die Person in Italien als minderjährig registriert ist. Im Übrigen wird auf 5. b) verwiesen.

Angemerkt sei, dass es unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des EUGH69 in der

Praxis ohnehin nur noch in wenigen Einzelfällen zu Überstellungen in derart gelagerten Fällen

kommt.

65

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12; Stellung-nahme des Auswärtigen Amtes vom 21.08.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 76/12 u. a.; Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 11.09.2013 für das OVG NRW, Az. 1 A 21/12.A. 66

vgl. Informationen der Liaisonbeamtin des Bundesamtes vom 26.11.2013. 67

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 11.09.2013 für das OVG NRW, Az. 1 A 21/12.A. 68

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 11.07.2012 für das VG Freiburg, Az. A 4 K 2202/11. 69

vgl. EuGH, Urteil vom 6.6.2013, Az C-648/11.

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c) Überstellung von Kranken

Bei Überstellung von kranken bzw. traumatisierten Personen, deren Asylverfahren in Italien nega-

tiv abgeschlossen ist, besteht – wie bei jedem italienischen Staatsangehörigen – die Möglichkeit

der Behandlung. Voraussetzung ist jedoch ein gültiger bzw. erneuerter Aufenthaltstitel (ein Prob-

lem, dass sich bei im italienischen Asylverfahren befindlichen Personen nicht stellt). Ansonsten

gibt es für Dublin-Rückkehrer, die krank sind, keine Besonderheiten (vgl. 5. a) und c)).

d) Gefahr der weiteren Überstellung von Italien nach Griechenland

Da auch die italienischen Behörden an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs

(EuGH) sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gebunden sind und

die Entscheidungen der vorgenannten Gerichte zu berücksichtigen haben, wonach die Verpflich-

tung besteht, nicht zu überstellen, wenn systemische Mängel im zu überstellenden Mitgliedstaat

bestehen, haben die betreffenden Personen nicht zu befürchten, von Italien nach Griechenland

abgeschoben zu werden.70 Sowohl dem Bundesamt als auch dem UNHCR liegen keine Erkennt-

nisse zur Praxis der Weiterschiebung von im Rahmen des Dublin-Systems nach Italien überstellten

Personen vor.71

III. Nach einem abgeschlossenen Verfahren

1. Anerkannte Flüchtlinge, (europarechtlich) subsidiär geschützte Personen und Personen mit einem Aufenthaltstitel aus humanitä-ren Gründen

Vorab wird betont, dass die vom EGMR72 und vom EuGH73 aufgestellten Anforderungen

(=Einhaltung von Mindeststandards durch Gewährung von Unterkunft und gewisser materieller

Unterstützung) nur für Asylbewerber gelten. Anerkannte Flüchtlinge und Personen mit (europa-

rechtlichem/nationalem) subsidiären Schutzstatus werden den italienischen Staatsangehörigen

gleichgestellt. Der EGMR hat in seinem Urteil vom 21. Januar 2011 hervorgehoben, dass Art. 3

EMRK ausnahmsweise nur für die Gruppe der Asylbewerber anwendbar ist, weil sie eine beson-

ders schutzbedürftige Gruppe darstellt.74 Eine Erstreckung des besonderen Schutzes auf Perso-

nen, die anerkannt sind oder subsidiären Schutz beantragen bzw. haben, lässt sich dem Urteil

nicht entnehmen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 17.09.201475

hinsichtlich bereits in

einem Mitgliedstaat – hier Italien – subsidiär Geschützten festgelegt, dass sich ein Anspruch auf

Aussetzung der Abschiebung ergebe, wenn die konkrete Gefahr bestehe, dass sich der Gesund-

heitszustand des Ausländers durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich ver-

schlechtere. Auch sei zu bedenken, dass Ausländer bei Rückführungen in sichere Drittstaaten -

anders als bei der Rückführung in ihr Heimatland – regelmäßig nicht auf verwandtschaftliche Hilfe

oder ein soziales Netzwerk bei der Suche nach einer Unterkunft für die Zeit unmittelbar nach ihrer

Rückkehr zurückgreifen können. Weiter führt das BVerfG aus:

„Bestehen – wie gegenwärtig im Falle Italiens – aufgrund von Berichten international anerkannter

Flüchtlingsschutzorganisationen oder des Auswärtigen Amtes belastbare Anhaltspunkte für das

Bestehen von Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer im sicheren 70

vgl. VG Trier, Beschluss vom 03.02.2012, Az 5 L83/12.TR. 71

vgl. Stellungnahme des UNHCR vom 24.04.2012 für das VG Braunschweig, Az. 7 A 57/11. 72

vgl. EGMR, Urteil vom 21.01.2011 – 30696/09 – M.S.S. gegen Belgien und Griechenland. 73

vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011 – C-411/10 und C-493 – N.S. und M.E. 74

vgl. Thym, „Menschenrechtliche Feinjustierung des Dublin-Systems“, ZAR 11/12/2011, S. 370. 75

vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.09.2014 – 2 BvR 1795/14.

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Drittstaat, hat die auf deutscher Seite für die Abschiebung zuständige Behörde dem angemessen

Rechnung zu tragen. Insbesondere müsse bei der Abschiebung von Familien mit Neugeborenen

und Kleinkindern bis zum Alter von drei Jahren in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats

sichergestellt werden, dass die Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft er-

hält, um erhebliche konkrete Gesundheitsgefahren in dem genannten Sinne für diese in besonde-

rem auf ihre Eltern angewiesenen Kinder auszuschließen.“ Die Ausführungen des BVerfG zum

Personenkreis der subsidiär Geschützten decken sich mit den Ausführungen zu Überstellungen im

Rahmen der Dublin-Verordnung.

a) Anerkannte Flüchtlinge

Eine gemäß der Flüchtlingskonvention von 1951 als Flüchtling anerkannte Person erhält einen

verlängerbaren Aufenthaltstitel mit einer Gültigkeit von fünf Jahren („permesso di soggiorno“). Sie

hat ferner u. a. Anspruch auf ein Reisedokument für Ausländer („Titolo di viaggio per stranieri“),

darf eine Beschäftigung ausüben und hat Anspruch auf Familienzusammenführung sowie Leistun-

gen der allgemeinen Systeme für Sozialfürsorge, Gesundheitsversorgung, sozialen Wohnungsbau

und Bildung gemäß dem nationalen italienischen Recht.76

Anerkannte genießen in Italien dieselben Rechte wie italienische Staatsangehörige, d. h. es gilt

grundsätzlich das Prinzip der Eigenverantwortung. Dies bedeutet in der Praxis, dass sie sich selbst

um eine Unterkunft kümmern müssen und dass grundsätzlich keine staatlichen finanziellen Hilfe-

leistungen/Sozialleistungen existieren.77

In Italien gibt es für italienische Staatsangehörige – somit

auch für anerkannte Flüchtlinge, die Ihnen gleichgestellt sind – kein national garantiertes Recht auf

Fürsorgeleistungen zur Lebensunterhaltsicherung vor dem 65. Lebensjahr. Die Zuständigkeit für

die Festsetzung von Sozialhilfeleistungen liegt grundsätzlich im Kompetenzbereich der Regionen.

In bestimmten Regionen (z. B. Toskana, Emilia Romagna) wird die Höhe des Sozialgeldes durch

die Kommune festgesetzt. Öffentliche Fürsorgeleistungen weisen daher deutliche Unterschiede je

nach regionaler und kommunaler Finanzkraft auf. Sozialhilfe kann gewährt werden für Personen,

die nicht über Mindesteinkünfte zur Bestreitung grundlegender Bedürfnisse verfügen. 78

Anerkannte können von Hilfsorganisationen (z. B. Caritas, CIR – Consiglio Italiano per i Rifugiati)

Unterstützung bekommen. Grundsätzlich müssen sie aber in eigener Verantwortung einen Wohn-

ort sowie Arbeitsplatz suchen. Dafür besteht aber auch freier Zugang zum Arbeitsmarkt und kos-

tenfreier Zugang zu allen öffentlichen medizinischen Leistungen (Arzt, Zahnarzt, Krankenhaus),

wie für alle Italiener. Hierfür haben sich Anerkannte beim „Servizio Sanitario Nazionale“ (Nationaler

Gesundheitsdienst) zu melden und erhalten von dort eine „codice fiscale“ (Steuernummer) und

einen „Tessera Sanitaria“ (Gesundheitsausweis), mit dessen Hilfe Zugang zu allen ärztlichen Leis-

tungen erfolgt. Die Kosten der jeweiligen Behandlung werden vom italienischen Staat getragen. 79

Diese Regelung steht im Einklang mit der GFK.

Alle Personen, die in Italien einen Schutzstatus erhalten, haben das Recht zu arbeiten (Guida

Practica per i titolari die protezione internazionale).80 Die konkreten Chancen anerkannter und da-

mit dauerhaft in Italien lebender Personen auf dem Arbeitsmarkt hängen von unterschiedlichen

Umständen ab: der aktuellen Arbeitsmarktlage in der betreffenden Region, der Qualifikation, dem

Engagement und dem Integrationswillen der Person, der Unterstützung Dritter und der Community.

76

vgl. EGMR, Entscheidung vom 02.04.2013, Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u. a. gegen die Niederlande und Ita -lien, Rn. 37. 77

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12. 78

vgl. Deutsche Botschaft Rom, Sozialpolitische Informationen Ital ien, Januar 2012. 79

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12. 80

Zur Arbeitsmarktsituation in Italien: vgl. Deutsche Botschaft Rom, Sozialpolitische Informationen Italien, Januar 2012.

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Die Möglichkeit zur Aufnahme eines eigenen Gewerbes oder Handwerks besteht grundsätzlich

und wird nach Möglichkeit gefördert.81

b) Subsidiär geschützte Personen

Eine Person, der (europarechtlicher) subsidiärer Schutz gewährt wurde, erhält einen Aufenthaltsti-

tel mit einer Gültigkeit von drei Jahren, der von der Territorialkommission verlängert werden kann,

die ihn ausgestellt hat. Dieser Titel kann in einen Aufenthaltstitel zur Ausübung einer Beschäfti-

gung in Italien umgewandelt werden, sofern dies vor Ablauf der Gültigkeit des Aufenthaltstitels

beantragt wird und die betreffende Person ein Ausweisdokument besitzt. Ein zum Zwecke des

subsidiären Schutzes gewährter Aufenthaltstitel berechtigt die betreffende Person u. a. zu einem

Reisedokument für Ausländer, zur Ausübung einer Beschäftigung, zur Familienzusammenführung

und zu Leistungen der allgemeinen Systeme für Sozialfürsorge, Gesundheitsversorgung, sozialen

Wohnungsbau und Bildung gemäß dem nationalen italienischen Recht.82

c) Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen

Eine Person, der ein Aufenthaltstitel aus zwingend humanitären Gründen gewährt wurde, erhält

einen Aufenthaltstitel mit einer Gültigkeit von einem Jahr, der in einen Aufenthaltstitel zur Aus-

übung einer Beschäftigung in Italien umgewandelt werden kann, sofern die betreffende Person

einen Pass besitzt. Ein Aufenthaltstitel aus zwingenden humanitären Gründen berechtigt die be-

treffende Person zur Ausübung einer Beschäftigung, zur Gesundheitsversorgung und, falls sie

keinen Pass besitzt, zu einem Reisedokument für Ausländer. 83

2. Abgelehnte Antragsteller

a) Ausreiseaufforderung

aa) Vorgehen nach Ablehnung des Asylantrages

Abgelehnte Asylbewerber verlassen in vielen Fällen Italien nicht, Abschiebungen werden nur sel-

ten durchgeführt. Für sie bestehen dann keine der o. g. Ansprüche (mit Ausnahme der Notambu-

lanz, die für alle Personen kostenfrei ist, vgl. Ziff. II. 4). Schwangere und Minderjährige dürfen nicht

abgeschoben werden.

In den Fällen einer Abschiebung werden sie zunächst aufgefordert, selbständig das Land zu ver-

lassen. Geschieht dies nicht, werden sie (in der Regel nur bei Vorliegen weiterer Straftaten) in eine

der 13 in Italien vorhandenen Abschiebehaftanstalten verbracht. Vor der tatsächlichen Abschie-

bung muss ein Richter die Rechtmäßigkeit des Ausreisebescheides überprüfen. Es wird ein Ge-

spräch zwischen Richter und Häftling geführt. Dem Häftling wird bei diesem Gespräch ein Rechts-

anwalt und ein Dolmetscher zur Seite gestellt.

In der Abschiebehaft besteht die Möglichkeit, rechtliche Informationen einzuholen und an Sprach-

kursen teilzunehmen. Psychologischer sowie ärztlicher Beistand werden gewährleistet.

Falls zuvor kein Asylantrag gestellt wurde, kann dieser noch während der Abschiebehaft gestellt

werden. In diesem Fall wird die „Commissione territoriale per il riconoscimento dello status di

81

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 171/12. 82

vgl. EGMR, Entscheidung vom 02.04.2013, Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u. a. gegen die Niederlande und Ita -lien, Rn. 38. 83

vgl. EGMR, Entscheidung vom 02.04.2013, Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u. a. gegen die Niederlande und Ita-lien, Rn. 39.

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rifugiato“ angerufen und der Antrag schnellstmöglich bearbeitet. In der Praxis kommen Anträge auf

Asyl in der Abschiebehaftanstalt jedoch selten vor.84

Ein Aufenthaltstitel zur Arbeitsaufnahme berechtigt zum Verbleib in Italien bis zum Ende dieses

Titels. Der Verlust der Arbeit zieht eine Ausreiseaufforderung nach sich.

Da diese Aufforderung nur selten von begleitenden Maßnahmen unterstützt wird, verbleiben diese

Personen im Anschluss größtenteils illegal in Italien.

bb) Hilfe durch NGOs in Italien

Da viele NGOs und Hilfsorganisationen in Italien aktiv sind, kann den zur Ausreise aufgeforderten

Personen in den meisten Fällen eine Unterkunft zur Verfügung gestellt werden, oft sogar unter

Mithilfe lokaler Behörden.

b) Abschiebepraxis

aa) Quote der Abschiebungen

Die Quote der Abschiebungen befindet sich auf niedrigem Niveau bei abgelehnten Asylbewerbern,

da je nach Herkunftsland die Passersatzbeschaffung sehr schwierig ist. Von den im Jahre 2012

insgesamt zurückgewiesenen 18.592 Personen (nicht unbedingt abgelehnte Asylbewerber) wurde

etwa 6.750 Personen an der Grenze die Einreise verweigert, 2.527 wurden auf Anordnung der

Polizei- und Ordnungsbehörden abgeschoben, knapp 1.200 auf Anordnung des Gerichts und

3.360 wurden in die Herkunftsländer (nicht notwendigerweise Heimatland, das kann beispielsweise

auch ein anderer europäischer Staat sein, der die Verantwortung trägt) zurückgeführt. Außerdem

gab es 4.193 Rückführungen mit Begleitung an die Grenze, 162 Personen, die die Ausweisungsa-

nordnung des Questors befolgt haben und 398 Personen, die der Ausreiseaufforderung gefolgt

sind.85

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Asylbewerber direkt oder indirekt in sein Herkunftsland

abgeschoben wird, ohne dass die Gefahr, die dadurch für ihn entsteht, unter dem Gesichtspunkt

von Art. 3 EMRK ernsthaft geprüft werden würde86

oder ohne dass er in Italien – wie von ihm be-

absichtigt – einen Asylantrag stellen konnte87.

bb) Herkunftsländer, in die nicht abgeschoben wird

Aufgrund der jeweiligen politischen Situation führt Italien nicht in folgende Herkunftsländer zurück:

Afghanistan

Eritrea

Irak

Somalia

Sudan

Syrien

cc) Abschiebehaft-Zentren

Es gibt landesweit mehrere Abschiebehaft-Zentren. Sie unterstehen der „Zentralen Direktion für

Zivildienst, Immigration und Asyl“. Die Personen dort haben Anspruch auf Unterbringung, Klei-

84

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 11.07.2012 für das VG Freiburg (Az. A 4 K 2202/11). 85

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.08.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 76/12. 86

vgl. VG Hamburg, Urteil vom 13.09.2013 – 4 A 2439/13. 87

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.08.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 76/12.

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dung, Kost, Logis, medizinische Versorgung, psychologische Unterstützung und einen Dolmet-

scher.

IV. Definition von „systemischen Mängeln“ und Bewertung der

Situation in Italien aus Sicht des Bundesamtes unter Berück-sichtigung (inter-)nationaler Rechtsprechung und aktueller Be-

richte

1. Definition von „systemischen Mängeln“ und Prüfungsmaßstab

In seiner Entscheidung vom 21.01.2011 hat der EGMR88 die Verletzung von Art. 3 EMRK durch

den zurückschiebenden Staat im Hinblick auf die Lebensbedingungen, welche der Ausländer in

dem nach der Dublin-VO zuständigen Mitgliedstaat ausgesetzt ist, dann angenommen, wenn es

ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass dem Betroffenen im Aufnahmeland tatsächlich

Gefahr läuft, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung ausge-

setzt zu werden.

Nach der Entscheidung des EuGH vom 21.12.201189 obliegt einem Mitgliedstaat die Plicht, einen

Asylbewerber dann nicht an den nach der Dublin-VO zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen,

wenn dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein kann, dass in dem zuständigen Mit-

gliedstaat systemische Mängel des Asylverfahrens gegeben sind. Dies ist der Fall, wenn im Rah-

men der Beurteilung der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber ernsthafte und durch Tatsachen

bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, ei-

ner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu wer-

den.

Sofern den Mitgliedstaaten durch über einen längeren Zeitraum gleichlautende Berichte und ande-

re Dokumente (z. B. des UNHCR, der EU-Kommission, des Europäischen Menschenrechtsrats,

des Europäischen Flüchtlingsrats, internationaler Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty In-

ternational, Human Rights Watch) systemische Mängel des Asylverfahrens mit der ernsthaften

Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in Mitgliedstaaten nicht unbekannt

sein können, ist nach der Rechtsprechung des EuGH von einer Überstellung abzusehen. 90

Bei der Beurteilung, ob systemische Mängel vorliegen, sind die Gerichte der Mitgliedstaaten (somit

auch die deutschen Gerichte) nicht frei, sondern müssen sich an der Auslegung der Grundrechte

durch die hierfür berufenen Spruchkörper in Luxemburg und Straßburg ausrichten.91

In einer noch aktuellen Hauptsacheentscheidung des EGMR 92 vom 02.04.2013 befasst dieser sich

konkret mit der Zulässigkeit von Dublin-Überstellungen nach Italien und macht deutlich, dass an

eine Konventionsverletzung strenge Maßstäbe anzulegen sind. Durch diese Entscheidung wird

zugleich die frühere vorgenannte Rechtsprechung des EGMR konkretisiert, da das M. S. S.-Urteil

wegen der gravierenden Defizite in Griechenland nicht entscheiden musste, anhand welcher Krite-

88

vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 - M. S. S. gegen Belgien und Griechenland. 89

vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C 411/10 und C-493 – N.S. und M. E. 90

vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C 411/10 und C-493 – N.S. und M. E., Rn. 90 ff. 91

vgl. Thym, Zulässigkeit von Dublin-Überstellungen nach Italien in ZAR 9/2013, S. 331. 92

vgl. EGMR, Entscheidung vom 02.04.2013, Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u. a. gegen die Niederlande und Ita -lien.

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rien weniger schwerwiegende Mängel zu beurteilen sind. 93 Für diese Fälle errichtet der EGMR

nunmehr hohe Hürden, indem er klarstellt,

dass die bloße Rückführung in ein Land, in dem die wirtschaftliche Stellung der Person

schlechter als im ausweisenden Land ist, nicht ausreicht, um das in Art. 3 EMRK untersag-

te Mindestmaß an Misshandlung zu erreichen,

dass Art. 3 EMRK nicht als Verpflichtung der Hohen Vertragsparteien (Mitgliedstaaten)

ausgelegt werden kann, jeder Person innerhalb ihres Hoheitsgebiets eine Unterkunft zur

Verfügung zu stellen,

dass diese Bestimmung keine allgemeine Verpflichtung beinhaltet, Flüchtlingen finanzielle

Hilfe zu bieten, um es ihnen zu ermöglichen, einen gewissen Lebensstandard aufrecht zu

erhalten und,

dass auszuweisende Ausländer grundsätzlich nicht einen Anspruch auf Verbleib im Gebiet

einer Vertragspartei geltend machen können, um weiterhin medizinische, soziale oder an-

dere Formen der Unterstützung oder Dienstleistungen zu erhalten, die der ausweisende

Staat erbringt.94

Stattdessen stehen einzig außergewöhnliche schwerwiegende humanitäre Gründe einer Dublin-

Überstellung entgegen.95

Damit steht fest, dass das absolut geschützte Menschenrecht aus Art. 3 EMRK nicht vor einfachen

Rechtsverletzungen schützt, die politisch und moralisch gravierend sein mögen, aber eben keine

Gefahr einer unmenschlichen Behandlung begründen, die allein eine Aussetzung des Dublin-

Systems zu rechtfertigen vermag.96 Damit hat der EGMR endlich klare Vorgaben zur Reichweite

von Art. 3 EMRK gemacht.

Bereits zuvor hat das BVerwG im Urteil vom 31.01.201397 mit der Rechtsprechung des EGMR zu

Art. 3 EMRK (M. S. S.-Urteil) auseinandergesetzt. Hierbei stellt es insbesondere klar, dass nur in

ganz außergewöhnlichen Fällen auch schlechte humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen

können, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind. Denn die Konven-

tion zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Art. 3 EMRK

verpflichtet die Staaten nicht, Fortschritte in der Medizin sowie Unterschiede in sozialen wirtschaft-

lichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu

beseitigen.

Im Zusammenhang mit Ausführungen zu § 60 Abs. 7 S. 1 und 3 AufenthG macht es nach Auffas-

sung des BVerwG in der Sache einen erheblichen Unterschied, ob ein Mensch ohne jeden Aus-

weg in eine Situation gebracht wird, in der er so gut wie keine Überlebensmöglichkeit hat, oder ob

er bei allen – auch existenzbedrohenden – Schwierigkeiten nicht chancenlos ist, sondern die Mög-

lichkeit hat, Einfluss auf sein Schicksal zu nehmen.

93

vgl. Thym, Zulässigkeit von Dublin-Überstellungen nach Italien in ZAR 9/2013, S. 332. 94

vgl. EGMR, Entscheidung vom 02.04.2013, Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u. a. gegen die Niederlande und Ita -lien, Rn. 70 f. 95

vgl. EGMR, Entscheidung vom 02.04.2013, Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u. a. gegen die Niederlande und Ita -lien, Rn. 71. 96

vgl. Thym, Zulässigkeit von Dublin-Überstellungen nach Italien in ZAR 9/2013, S. 332. 97

vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 – BverwG 10 C 15.12, VGH A 11 S 3079/11, Rn. 23-25.

Page 26: Leitfaden Italien - BAMF

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In seinem Beschluss vom 19.03.201498 setzt sich das BVerwG mit der Behandlung von Asylbe-

werbern und der Definition von systemischen Mängeln auseinander. Wegen des Untersuchungs-

grundsatzes aus § 86 Abs. 1 VwGO muss der zuständige Richter zur Überzeugung gelangen,

dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedin-

gungen in dem eigentlich zuständigen MS mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit

einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird.99 Die Fokussierung der

Prognose auf systemische Mängel ist dabei Ausdruck der Vorhersehbarkeit solcher Defizite, weil

sie im Rechtssystem des zuständigen MS angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell

prägen. Solche Mängel treffen den Einzelnen im zuständigen MS nicht unvorhersehbar oder

schicksalhaft, sondern lassen sich wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich

prognostizieren. Demnach darf nur dann nicht nach der Dublin-Verordnung überstellt werden,

wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen MS

aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär ist bzw. sind, dass zu erwarten ist,

dass dem Asylbewerber auch im konkret zu entscheidenden Einzelfall dort mit beachtlicher Wahr-

scheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Dann scheidet eine

Überstellung in den zuständigen MS aus.100

Nach Auffassung des BMI und des BAMF sind „systemische Mängel“ dann zu bejahen, wenn da-

von auszugehen ist, dass im Rahmen des Asylverfahrens in dem betroffenen Mitgliedstaat eine

gewissenhafte Prüfung des Asylantrags in keiner Weise gewährleistet ist, ein nachhaltiger Verstoß

gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-GRCharta über Einzelfälle hinausgehend mehr als wahrschein-

lich ist, ein Nicht-Verstoß bzw. eine angemessene Prüfung rein zufällig erscheint und die Ursache

struktureller Störungen im Gesamtsystem liegt, die strukturellen Störungen demnach nicht durch

planmäßige oder absichtliche Handlungen bedingt sind.

2. Keine systemischen Mängel in Italien - auch unter Berücksichti-gung kritischer Berichte

Für Italien gilt diese Vermutung derzeit nicht. Nach den dem Bundesamt vorliegenden Erkenntnis-

sen, denen sowohl die Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen als auch die

Entscheidungen der nationalen und internationalen Rechtsprechung zugrunde liegen, liegen in

Italien keine „systemischen Mängel“ des Asylverfahrens- und der Aufnahmebedingungen im Sinne

der Rechtsprechung des EGMR und EuGH vor.

Auch aus den Empfehlungen des UNHCR zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien

vom Juli 2013101 ergibt sich kein Hinweis auf systemische Mängel in Italien. Der UNHCR spricht in

seinem Bericht zwar Mängel an, die schon seit Jahren (nicht nur) im italienischen Asylsystem vor-

handen sind. Trotz der Kritik zu einzelnen Punkten stellt der UNHCR klar, dass es in Italien in vie-

len Bereichen Fortschritte und Verbesserungen gibt, welche lobend hervorgehoben werden. Im

Ergebnis bestätigt der Bericht die Auffassung des Bundesamtes und des EGMR, dass die Situati-

on in Italien keinesfalls mit der in Griechenland vergleichbar ist.

Einer Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21. August 2013102 zur Situation in Italien kann

vielmehr entnommen werden, dass für die Flüchtlinge in Italien – bei teilweiser lokaler Überbele-

98

vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.03.2014 – BVerwG 10 B 6.14. 99

vgl. Urteil vom 27.04.2010 – BVerwG 10 C 5.09 – BVerwG 136, 377 Rn 22 m.w.N. 100

vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.03.2014 – BVerwG 10 B 6.14 Rn 9. 101

vgl. UNCHR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, July 2013. 102

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 21.08.2013 für das OVG Sachsen-Anhalt, Az. 3 L 76/12.

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Seite 27 von 36

gung - landesweit ausreichende staatliche bzw. öffentliche und karitative Unterkunftsmöglichkeiten

zur Verfügung stehen. Daher ist davon auszugehen, dass in Italien die einschlägigen Regelungen

des EG-Rechts eingehalten werden und Italien gegenüber Drittstaatsangehörigen, die dort einen

Asylantrag stellen, die Mindeststandards erfüllt.

In der Praxis stellen nach Auskunft des Auswärtigen Amtes viele Dublin-Rückkehrer keinen Asyl-

oder Schutzantrag in Italien, da sie häufig nicht in Italien bleiben wollen. Sie verzichten auf den

Antrag und das Asylverfahren in Italien. Damit stehen ihnen die staatlichen Aufnahmezentren und

Leistungen nicht mehr offen.103 Es kann dem italienischen Staat nicht zugerechnet werden, wenn

sich Flüchtlinge bewusst dafür entscheiden, kein Asyl zu beantragen und sich somit bewusst au-

ßerhalb des Systems aufhalten.

Zudem gibt es keine zuverlässigen Quellen, die stichhaltig und hinreichend sicher belegen, dass in

Italien systemische Mängel bestehen. Diese Auffassung wird aktuell auch sowohl vom EGMR als

auch von nationalen Oberverwaltungsgerichten und von der überwiegenden Mehrheit der Verwal-

tungsgerichte geteilt.104

Dies wird auch nicht durch kritische Berichterstattung, wie den aktuellen Berichten der Schweizeri-

schen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013 („Italien: Aufnahmebedingungen“) und vom 4. August

2014 („Bewegungsfreiheit in Italien für mittellose Personen mit Schutzstatus“) in Frage gestellt.

Genannter Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013 („Italien: Aufnahmebe-

dingungen, Aktuelle Situation“) ist auch nicht für die Situation in ganz Italien repräsentativ, da die

von Ende Mai bis Anfang Juni 2013 stattgefundene Recherche nur in zwei Städten (Rom und Mai-

land) stattfand und nach eigener Aussage der Flüchtlingshilfe „aufgrund großer Differenzen je nach

Gemeinde und Regionen kein Überblick über die Situation im ganzen Land gegeben werden kann“

(vgl. S. 1 des Berichts). Zudem ist der Bericht nicht aussagekräftig, da er nur partiell der Realität

entspricht und teilweise falsche Zahlen enthält, die sich nicht mit den aktuellen Statistiken des itali-

enischen Innenministeriums decken.105

Sowohl die schweizerische Flüchtlingshilfe als auch borderline-europe e. V. berichten in ihren o. g.

Stellungnahmen von vielfältigen Unzulänglichkeiten bei der Unterbringung von Asylsuchenden in

Italien. Aus den geschilderten zahlreichen Einzelfällen lässt sich aber nicht der Schluss ziehen,

dass hier systemische Schwächen vorliegen, welche mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine kon-

krete Gefährdung von Dublin-Rückkehrern zur Folge hätten. Aus diesen Berichten geht überein-

stimmend hervor, dass die größten Probleme nicht während des Asylverfahrens auftreten, sondern

bei denjenigen Personen, deren Asylverfahren mit oder ohne Zuerkennung eines Schutzstatus

geschlossen worden sind. Für diese Personen endet der Anspruch auf Gewährleistung der Grund-

bedürfnisse im Allgemeinen mit dem Abschluss des Asylverfahrens. Da es in Italien kein staatli-

ches Sozialhilfesystem gibt, seien diese Personen – ebenso wie italienische Staatsangehörige –

im Fall der Mittellosigkeit auf sich allein gestellt, wodurch in italienischen Großstädten vielfach Ar-

mutsviertel mit arbeits- und mittellosen Flüchtlingen entstanden seien. Berichte über diese allge-

meine soziale Problematik sind somit kein hinreichendes Indiz für systemische Mängel im Asylver-

fahren (vgl. Bay VGH, Urteil vom 28.02.2014 – 13a B 13.30295).

Der aktuelle Bericht der schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 4. August 2014 („Bewegungsfreiheit

in Italien für mittellose Personen mit Schutzstatus“) nimmt Bezug auf ein Einzelurteil des Bundes-

103

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 11.07.2012 für das VG Freiburg, Az. A 4 K 2202/11. 104

vgl. Fußnote 2 und Ziff. IV. 3. 105

vgl. dazu die ausführliche Stellungnahme der Liaisonbeamtin des Bundesamtes vom 21.11.2013.

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verwaltungsgerichts der Schweiz vom 14.11.2013 (D-4751/2013), in dem die Beschwerdeinstanz

zum Schluss kommt, dass in gewissen Teilen Italiens, namentlich in den Anlandungsregionen und

in Ballungszentren wie Mailand und Rom, strukturelle Defizite in Bezug auf die Unterbringung und

Unterstützungen von Asylsuchenden und Personen mit Schutzstatus vorliegt.

Die Beschwerdeinstanz kommt jedoch in anderen, unlängst ergangenen Einzelfallurteilen zu einer

gegenteiligen Einschätzung der Lage von Personen mit Schutzstatus in Italien (vgl. D-1361-2014;

D-2714/2014). Aufgrund ihrer Ausführungen ergeben sich keine konkreten Anhaltspunkte, dass sie

im Falle einer Rückkehr nach Italien in die ihnen zugeteilte Gemeinde wegen der dortigen Bedin-

gungen in eine existenzielle Notlage geraten würden.

Zudem genügt die Existenz eines „EASO Special Support Plans“ – der am 04.06.2013 vom italie-

nischen Innenministerium und EASO unterzeichnet wurde – nicht, um daraus zu schließen, dass

das Aufnahmesystem Italiens systemische Mängel aufweist. Vielmehr haben die neuen EU Richtli-

nien hinsichtlich des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) Italien veranlasst, eine

spezielle Unterstützung des EASO anzufordern, was deutlich macht, dass Italien bemüht ist, die

Situation in Italien mit Hilfe des EASO zu verbessern. Die technische und operative Hilfe vom EA-

SO für Italien ist bis Ende 2014 geplant. In den vereinbarten Bereichen wird EASO mit 42 unter-

stützenden Aktivitäten helfen, die u. a. Weiterbildung, Workshops und operative Hilfen vorsehen,

um die Umsetzung des GEAS zu fördern.106

Vor diesem Hintergrund finden grundsätzlich weiterhin Überstellungen von Deutschland nach Itali-

en statt.

3. Rechtsprechung des EGMR und der (Ober-)Verwaltungsgerichte in Bezug auf die Situation der Asylbewerber in Italien

Aktuelle gerichtliche Entscheidungen bestätigen die Zulässigkeit von Dublin-Überstellungen nach

Italien. Auch wenn es vereinzelt zu Problemen bei der Unterbringung von Schutzsuchenden in

Italien kommt, ist die Situation in Italien aus der Sicht des EGMR, der nationalen Oberverwaltungs-

und der meisten Verwaltungsgerichte keinesfalls mit der in Griechenland vergleichbar. In ihren

Entscheidungen verweisen die Verwaltungsgerichte überwiegend darauf, dass die vorhandenen

Defizite alleine keine Anhaltpunkte dafür ersehen lassen, dass Italien nicht mehr als sicherer Dritt-

staat i. S. d. §§ 27a und 34a AsylVfG angesehen werden könnte.107

Der EGMR hat mit seiner Entscheidung vom 02.04.2013108 bestätigt, dass bei der Behandlung von

Asylbewerbern in Italien weder hinsichtlich des Umfangs noch hinsichtlich der Intensität von Män-

geln eine Situation vorliegt, die mit der in Griechenland vergleichbar ist. In der Entscheidung hat

der EGMR eine gegen die Dublin-Überstellung von den Niederlanden nach Italien gerichtete Be-

schwerde einer somalischen alleinerziehenden Frau mit zwei kleinen Kindern als offensichtlich

unbegründet abgewiesen. Das Gericht hat sich dabei mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin

zum Asylverfahren und der Unterbringungssituation in Italien ausführlich auseinandergesetzt. Das

Gericht hat dabei auf die Berichte von UNHCR und des Menschenrechtskommissars verwiesen,

die sich darin einig sind, dass in Italien im Unterschied zu Griechenland eine Struktur von Aufnah-

meeinrichtungen für Asylbewerber besteht.

106

Näheres unter http://easo.europa.eu/wp-content/uploads/EASO-Italy-Special-Support-Plan-Press-Release.pdf 107

vgl. aktuelle Entscheidungen auf S. 4, Fußnote 2. 108

vgl. EGMR, Entscheidung vom 02.04.2013, Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u. a. gegen die Niederlande und Ita -lien, Rn. 78.

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Mit der Zurückweisung der Beschwerde als offensichtlich unbegründet macht der EGMR deutlich,

dass Dublin-Überstellungen nach Italien prinzipiell mit der Konvention übereinstimmen. Auch be-

sonders schutzbedürftige Personen dürfen überstellt werden.

Sein Ergebnis entwickelt der EGMR in seiner Entscheidung nicht nur anhand des konkreten Ein-

zelfalles. Vielmehr ist seine Position von einer abstrakt-generellen Betrachtung des italienischen

Asylsystems geleitet, die ihrerseits zahlreiche Berichte von (Nicht-)Regierungsorganisationen aus-

wertet, unter Einschluss der Stellungnahmen des Menschenrechtskommissars des Europarats und

des UNHCR. Der EGMR kommt zu dem Ergebnis, dass die tatsächlichen Defizite des italienischen

Asylsystems nicht das Ausmaß eines „systemischen Mangels“ erreichen, der allein eine Ausset-

zung der Dublin-Überstellung unter Berufung auf die Menschenrechte rechtfertigen kann.109

Zuvor hatte der EGMR in einem Einzelfall mit seiner Entscheidung vom 13.02.2013 beschlossen,

dass in dem betreffenden Einzelfall eine Überstellung bis zum 06.03.2013 aufgrund der Rule 39

vorläufig auszusetzen sei. Diese vorläufige Maßnahme wurde jedoch mit der Entscheidung des

EGMR am 07.03.2013110 nicht verlängert, so dass die Überstellung nach Italien in dem Einzelfall

stattfinden durfte. Eine Überstellung ist jedoch in dem Einzelfall aus anderen Gründen nicht erfolgt.

Anknüpfend an die Rechtsprechung des EGMR geht auch der Bay VGH in seinem Urteil vom

28.02.2014 – 13a B 13.30295 von Folgendem aus:

„Für das verwaltungsgerichtliche Verfahren hat das Kriterium der systemischen Mängel des Asy l-

verfahrens und Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat der Euro-

päischen Union Bedeutung für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 4 EU-GR-Charta bzw.

Art. 3 EMRK (s. neuerdings BVerwG, B. v. 19.03.2014 – 10 B 6.14 Rn. 9 – darauf abstellend, dass

sich solche Mängel wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren

lassen. (…) Gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichts für Menschenrechte (EGMR)

ist in Italien nicht von systemischen Mängeln auszugehen.“

Das OVG Rheinland-Pfalz nimmt in seinem Urteil vom 21.02.2014 – 10 A 10656/13 ausführlich wie

folgt Stellung:

„Der Senat kommt nach Auswertung der vorliegenden Gutachten, Auskünfte und Berichte und un-

ter Würdigung des Vortrags des Klägers zu dem Ergebnis, dass das italienische Asylsystem nicht

an systemischen Mängeln leidet (…). Italien verfügt über ein planvolles und ausdifferenziertes

Asylsystem (a). Dieses System leidet zwar an Mängeln (b), nicht aber an systemischen Mängeln

(c). (…) In der Praxis litt – und leidet – das italienische Aufnahmesystem an Mängeln (…). Diese

Mängel begründen aber keine systemischen Mängel im oben dargestellten Sinne. (…) Nach Aus-

wertung der vorliegenden Auskünfte kommt der Senat zu der Überzeugung, dass die systembe-

dingten Missstände von den italienischen Behörden angegangen werden und sich die Situation

deshalb verbessert hat und aller Voraussicht nach weiter verbessern wird. Außerdem ist festzustel-

len, dass die Zustände punktuell, aber nicht flächendeckend unzureichend sind, so dass nicht da-

von gesprochen werden kann, dass das Asyl- und Aufnahmesystem faktisch außer Kraft gesetzt

ist (…). Der Senat geht außerdem davon aus, dass die aufgezeigten Missstände in bestimmten

Städten und Regionen auftreten, die Funktionsfähigkeit des Asyl- und Aufnahmesystems aber

nicht insgesamt in Frage stellen.“

109

vgl. EGMR, Entscheidung vom 02.04.2013, Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u. a. gegen die Niederlande und Ita -lien, Rn. 78. 110

vgl. EGMR, Entscheidung vom 07.03.2013 , Nr. 81498/12, Isse und Abdala Mousa v. Germany.

Page 30: Leitfaden Italien - BAMF

Seite 30 von 36

Auch für den Hessischen VGH111 ist die Rechtslage eindeutig:

„Die hiernach im vorliegenden Zusammenhang allenfalls als grundsätzlich bedeutsam anzusehen-

de Frage, ob systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbe-

werber in Italien bekannt seien und ob solche Mängel ernsthaft und durch Tatsachen bestätigte

Gründe für die Annahme darstellten, dass Asylbewerber in Italien tatsächlich Gefahr liefen, einer

unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EUGrdRCh bzw. des Art. 3

EMRK ausgesetzt zu werden, hat die Beklagte nicht gestellt; sie würde sich zudem nicht (mehr)

stellen, weil sie durch den zwischenzeitlich vorliegenden Beschluss des EGMR vom 2. April 2013 –

27725/10 – als geklärt angesehen werden kann, also keiner grundsätzlichen Klärung in einem Be-

rufungsverfahren mehr bedürfte.“

Das OVG NRW führt in seinem Urteil vom 07.03.2014 – 1 A 21/12.A zur Situation in Italien zutref-

fend aus:

„Hiervon ausgehend kommt der Senat bei Würdigung des Erkenntnismaterials in einer Gesamt-

schau zu dem Ergebnis, dass Italien – mit Blick sowohl auf das dortige Rechtssystem als auch

insbesondere die Verwaltungspraxis – über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkon-

formes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches trotz ggf. vorliegender einzelner Mängel

nicht zur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der „vor Ort“ tatsächlich anzutreffenden

Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der

rücküberstellte Asylbewerber „im Normalfall“, also bei nach der Erkenntnislage vorhersehbarem

Verlauf der Dinge, nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen, nament-

lich nicht solchen i.S.d. Gewährleistung aus Art. 4 EUGRCh, rechnen muss.(…) Dieser Entschei-

dung [des EGMR vom 2. April 2013] lag durchaus jedenfalls auch eine Betrachtung der allgemei-

nen Situation und der Lebensbedingungen in Italien zugrunde; keineswegs erfolgte sie maßgeblich

(nur) vor dem Hintergrund etwaiger besonderer Umstände des zugrunde liegenden Falles wie na-

mentlich des Umstandes, dass die Klägerin in dem Verfahren grundlegend falsche Angaben zum

Sachverhalt gemacht hatte; ebenso wenig lässt sich ihr entnehmen, der Europäische Gerichtshof

für Menschenrechte habe eigentlich etwas anderes, nämlich in Richtung auf das Bestehen syste-

mischer Mängel, sagen wollen.

In diesem Sinne (zu Unrecht) VG Frankfurt, Urteil

Vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. -, juris Rn. 61 f.;

VG Gießen, Urteil vom 25. November 2013 – 1 K

844/11. Gl. A – , juris, Rn. 36.

(…) Wie ein zwischenzeitlich vor der Großen Kammer des EGMR anhängiges und im Februar

2014 verhandeltes (weiteres) Verfahren zu Italien, das der Kläger angesprochen hat, ausgehen

wird und inwiefern der EGMR in jenem Verfahren fallübergreifende Feststellungen zu den Verhält-

nissen in Italien treffen oder die konkreten Verhältnisse des zu entscheidenden Falles in den Vor-

dergrund stellen wird, ist ungewiss; die Entscheidung hierzu steht noch aus.“

Auch der VGH Baden-Württemberg führt in seinem Urteil vom 16.04.2014112 zutreffend aus:

„Dieses zugrunde gelegt ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass nach den verwerteten

Erkenntnismitteln keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Asylverfahren in

Italien jedenfalls heute unter systemischen Mängeln leidet, die den Kläger der konkreten Gefahr

aussetzen würden, im Fall einer Rücküberstellung nach Italien einer menschenunwürdigen Be-

111

vgl. Beschluss des Hessischen VGH vom 28.02.2014 - 10 A 681/13.Z.A. 112

vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.04.2014 - A 11 S 1721/13.

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handlung ausgesetzt zu sein. (…) Bei der inhaltlichen und qualitativen Bewertung des Asylsystems

darf zudem nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben, dass der italienische Staat in der jüngsten Ver-

gangenheit erhebliche Anstrengungen unternommen hat und auch weiter unternimmt, um die

durch stark angestiegene Flüchtlingszahlen verursachten Mängel zu beheben (…). Wenn jüngsten

Presseberichten (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 11.04.2014) zu entnehmen ist, dass in diesem

Frühjahr die Zahl der über das Mittelmeer ankommenden Flüchtlinge in Italien wieder erheblich

angestiegen ist, kann mit Rücksicht auf die in der Vergangenheit auch mit Hilfe der EU ins Werk

gesetzten Reform- und Ausbaumaßnahmen daraus nicht abgeleitet werden, das italienische Asyl-

system werde wieder, wie schon vor dem Jahre 2012 in einem solchen Maße überfordert sein,

dass die Bejahung systemischer Mängel ernsthaft in Betracht gezogen werden müsste.“

Auch das OVG Niedersachsen führt in seinem Beschluss vom 27.05.2014113 aus:

„Für die Beantwortung der von ihm allein aufgeworfenen Frage, ob das Asylverfahren und Auf-

nahmebedingungen in Italien systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder ernied-

rigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der

Grundrechtscharte implizieren, bedarf es keiner Durchführung eines Berufungsverfahrens (mehr).

Sie lässt sich auf der Grundlage der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des Europäi-

schen Gerichtshofs für Menschenrechte (…) und zahlreicher obergerichtlicher Entscheidungen (…)

auch nach der Rechtsauffassung des Senats ohne Weiteres im Zulassungsverfahren verneinen.“

Das OVG Sachsen-Anhalt führt in seinem aktuellen Beschluss vom 14.11.2013114 zu dem

Asyl(folge)verfahren und den Aufnahmebedingungen in Italien für abgelehnte Asylbewerber bzw.

Asylbewerber, die sich noch im Asylverfahren befinden, aus:

„Unabhängig davon, ob der Kläger nach seiner Rückkehr nach Italien dort als abgelehnter Asylbe-

werber oder, gegebenenfalls nach Stellung eines Asylfolgeantrages, als Asylbewerber behandelt

wird, liegt keine Reduzierung des in Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO enthaltenen Ermessensspiel-

raums vor. Denn es ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsfindung des Gerichts (vgl.

§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) nicht ernsthaft zu befürchten, dass das Asyl(folge)verfahren und die

Aufnahmebedingungen in Italien zumindest für nicht besonders schutzbedürftige Personen syste-

mische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von

Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union implizieren.“

Das VG Meiningen führt in seinem Urteil vom 26.06.2013115 zur Situation in Italien anhand des o.

g. Prüfungsmaßstabes zu Recht aus:

„Hiervon kann im Falle von Italien von vorherein keine Rede sein, da dieser Staat ein ausdifferen-

ziertes, auf gesetzlicher Grundlage beruhendes Asylrechtssystem besitzt (…). Nach diesen Maß-

stäben ist ein Verstoß gegen die genannten Grundrechte durch Italien im maßgeblichen Entschei-

dungszeitpunkt des Gerichts nicht gegeben. Aus der Auswertung der neueren Erkenntnisquellen

wird nicht evident ersichtlich, dass die mehr oder weniger als gravierend beschriebenen Missstän-

de bei der Gewährung von Unterkünften und bei der gesundheitlichen Versorgung als systemi-

sche, landesweite und dauerhafte Mängel anzusehen sind, die für jeden einzelnen oder eine weit

überwiegende Anzahl von Asylbewerbern den Zugang zum Asylverfahren verhindern oder eine

113

vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 27.05.2014 – 2 LA 308/13, 4 A 19/13. 114

vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14.11.2013 – 4 L 44/13, 1 A 167/12 MD. 115

vgl. VG Meiningen, Urteil vom 26.06.2013 – 5 K 20096/13.

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extreme Armut, insbesondere Obdachlosigkeit begründen, die von den italienischen Behörden

tatenlos hingenommen wird (…). Dabei ist zunächst festzuhalten, dass die Situation des Jahres

2011 nicht mehr besteht.“

Bislang hat das BVerfG Verfassungsbeschwerden, die Dublin-Überstellungen nach Italien betra-

fen, nicht zur Entscheidung angenommen.116 In seinem Beschluss vom 17.09.2014117 nimmt es zu

dieser Thematik erstmals Stellung. Die wesentlichen Aussagen hierzu wurden an entsprechender

Stelle im Leitfaden bereits ausgeführt.

Darüber hinaus hat der EGMR in seinem Beschluss vom 18.06.2013118 klargestellt, dass die Exis-

tenz eines Vertragsverletzungsverfahrens der Kommission gegen Italien, das seinerseits eine

Missachtung der Asylrichtlinien durch Italien rügt, alleine nicht genügt, um daraus zu schließen,

dass das Aufnahmesystem dieses Mitgliedstaats systemische Mängel aufweist.119

Der VGH Baden-Württemberg führt in seinem Beschluss vom 17.07.2014120 dazu aus:

„Wenn der Kläger unter dem Aspekt der grundsätzlichen Bedeutung eine erneute Befassung des

Berufungsgerichts mit der Tatsachenfrage, ob das Asylverfahren in Italien unter sog. systemischen

Mängeln leidet, mit dem Argument anstrebt, die Europäische Kommission habe gegen Italien ein

Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, weil Italien Asylbewerbern nicht in dem gebotenen Maße

die Möglichkeit einräume, einen Asylantrag zu stellen, genügt das Vorbringen nicht dem Darle-

gungserfordernis. Denn es fehlen nachvollziehbare Ausführungen dazu, dass das Verfahren da-

rauf beruhe, dass die Kommission Italien vorhalten würde, das dortige Asylverfahren leide unter

systemischen Mängeln. Denn nach der maßgeblichen Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom

21.12.2011 – C-411/10 u. a. – juris Rn. 82) genügen selbst Verletzungen eines Grundrechts durch

den Mitgliedstaat oder Verletzungen des sekundären Unionsrechts im Einzelfall nicht, um die Un-

zulässigkeit einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat zu begründen, weshalb für sich gesehen,

die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens nicht genügend aussagekräftig ist und auch

wegen Verstößen gegen das Unionsrecht allgemein einleitet worden sein kann.“

Auch das OVG Berlin-Brandenburg führt in seinem Beschluss vom 17.06.2013121 dazu aus:

„Die EU-Kommission hat allerdings unter dem 24. Oktober 2012 ein Aufforderungsschreiben zur

Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens im Hinblick auf die Gewährleistung des Asylverfah-

rens übersandt, dessen näherer Inhalt dem Senat mangels Veröffentlichung nicht bekannt ist. Das

bedeutet jedoch lediglich, dass die Mechanismen zur Einhaltung des europäischen Regelwerks in

Bezug auf Italien auch im Bereich der Asylbewährung Anwendung finden und auf eine Unterbin-

dung von Verstößen hingewirkt werden soll.“

4. Rechtsprechung des EGMR und der Verwaltungsgerichte zur Situ-ation in Bezug auf anerkannte Flüchtlinge, subsidiär geschützte

116

vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.05.2012 – 2 BvR 231/12; BVerfG, Beschluss vom 13.07.2012 – 2 BvR 1532/12; BVerfG, Beschluss vom 21.08.2012 – 2 BvR 1697/12. 117

vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.09.2014 – 2 BvR 1795/14. 118

vgl. EGMR, Beschluss vom 18.06.2013, Nr. 53852/11, Halimi gegen Österreich und Italien, Rn. 73. 119

vgl. Thym, Zulässigkeit von Dublin-Überstellungen nach Italien in ZAR 9/2013, S. 332. 120

vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.07.2014 – A 11 S 1330/14. 121

vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.06.2013 – OVG 7 S 33.13, VG 27 L 17.13 Berlin.

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Personen und Personen mit sonstigem humanitären Aufenthalts-status

Zwar ist die Dublin-VO auf anerkannte Flüchtlinge im Sinne der GFK bzw. auf Personen mit euro-

parechtlichem subsidiären Schutz nicht anwendbar; es kann deshalb auch kein anderer Staat für

die Durchführung des Asylverfahrens i.S.d. § 27a AsylVfG zuständig sein. Allerdings kann die Ab-

schiebung eines in Italien anerkannten Flüchtlings bzw. einer Person mit subsidiären Schutz ge-

mäß §§ 26a, 34a AsylVfG nach Italien angeordnet werden.

Ein anerkannter Flüchtling bzw. eine Person mit subsidiärem Schutz kann sich nicht darauf beru-

fen, dass eine Abschiebung nach Italien gemäß §§ 26a, 34a AsylVfG rechtswidrig sei, weil diesem

dort die Arbeits- und Obdachlosigkeit drohe und demnach „systemische Mängel“ vorhanden seien.

Dazu führt das VG Regensburg in seinem Beschluss vom 16.08.2012122 wie folgt aus:

„Zudem wird in der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom

21.01.2011 (Az. 30.696/09 betreffend Griechenland) zwar grundsätzlich bejaht, dass unzureichen-

de Lebensbedingungen im Drittstaat einen Verstoß gegen Art. 3 der Europäischen Menschen-

rechtskonvention darstellen können. Dabei wird aber die besondere Schutzbedürftigkeit aufgrund

des Asylbewerberstatus herausgestellt. Dies spricht dafür, dass ein Verstoß gegen die Menschen-

rechtskonvention nicht ohne weiteres auch dann zu bejahen ist, wenn das Asylverfahren mit einer

Anerkennung abgeschlossen ist. Es gibt in Italien auch für eigene Staatsangehörige kein national

garantiertes Recht auf Fürsorgeleistungen (vgl. „Sozialpolitische Information Italien“ der Deutschen

Botschaft, zu finden über www.rom.diplo.de, Kapitel Soziales). Beschrieben wird dort auch, dass in

Italien die Hauptquelle der Zuwanderung die Arbeitsmigration darstelle. Die Genfer Flüchtlingskon-

vention sieht eine privilegierte Behandlung von Flüchtlingen nicht vor. Vielmehr statuieren Art. 20

bis 24 der Konvention (nur) die Pflicht, Flüchtlinge im Sozial- und Arbeitsrecht ebenso zu behan-

deln wie eigene Staatsangehörige.“

Häufig unterscheiden die Verwaltungsgerichte in ihren stattgebenden Entscheidungen nicht recht-

lich sauber zwischen Asylbewerbern mit Rechten aus der Aufnahmerichtlinie und Statusinhabern

bzw. Personen, die bereits subsidiären Schutz erhalten haben. Schutzsuchende mit der Anerken-

nung in Italien genießen die gleichen Rechte wie italienische Staatsbürger. Dies bedeutet in der

Praxis, dass sie sich selbst um eine Unterkunft kümmern müssen und freien Zugang zum Arbeits-

markt und zu allen öffentlichen medizinischen Leistungen wie für alle Italiener haben; dies erfordert

von den Flüchtlingen aber entsprechende Eigeninitiative.123

Dies ergibt sich auch aus der Entscheidung des EGMR vom 02.04.2013124, mit der die Beschwer-

de einer somalischen alleinerziehende Mutter zweier kleiner Kinder, die in Italien zuvor einen Auf-

enthaltstitel zum subsidiären Schutz erhielt, als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Dem-

nach gab es in dem zu entscheidenden Einzelfall keinen Hinweis darauf, dass die Beschwerdefüh-

rerin, die im CARA-Aufnahmezentrum medizinische Versorgung und Unterstützung erhielt, als sie

mit ihrem Sohn (…) schwanger war, jemals um Unterstützung bei der Suche nach Arbeit und/oder

einer alternativen Unterbringung weder innerhalb noch außerhalb des Zuständigkeitsbereichs spe-

zieller öffentlicher oder privater Sozialfürsorgesysteme in Italien für besonders schutzbedürftige

122

vgl. VG Regensburg, Beschluss vom 16.08.2012, RN 7 S 12.30273. 123

vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes an VG Freiburg vom 11.07.2012 für das VG Freiburg, Az. A 4 K 2202/11. 124

vgl. EGMR, Entscheidung vom 02.04.2013, Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u. a. gegen die Niederlande und Italien, Rn. 74.

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Personen nachgesucht hat, um das Risiko der Mittellosigkeit und/oder der Obdachlosigkeit zu

vermeiden.

Dass die Defizite in Italien nicht das Ausmaß eines „systemischen Mangels“ erreichen, gilt nach

der Rechtsprechung des EGMR nicht nur für Asylbewerber, sondern in auch für Personen, die in

Italien als Flüchtlinge anerkannt wurden oder einen sonstigen humanitären Aufenthaltsstatus er-

hielten.125

In diesem Zusammenhang führt das OVG Sachsen-Anhalt in seinem Urteil vom 02.10.2013126 zu-

treffend aus:

„Ebenso lässt sich anhand des dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterials nicht feststellen, dass

im Hinblick auf die rechtliche und soziale Situation anerkannter Asylbewerber sowie der Flüchtlinge

mit einem Bleiberecht angesichts der in Italien anzutreffenden Lebens- und Versorgungssituation

sowie unter Berücksichtigung der insoweit staatlicherseits unternommenen Integrationsbemühun-

gen das Aufnahme- und Asylverfahren in Italien derartige Mängel aufweist, dass es den Anforde-

rungen des europäischen Asylsystems nicht mehr entspricht.(…) Schutzberechtigte, mithin aner-

kannte Asylbewerber (Asylberechtigte) und Personen mit subsidiärem Schutzstatus nach der Gen-

fer Flüchtlingskonvention erhalten mit ihrer Anerkennung ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht (…).

Danach genießen sie in Italien dieselben Rechte wie italienische Staatsangehörige (…). Dies be-

deutet in der Praxis, dass sie sich – ebenso wie italienische Staatsangehörige – grundsätzlich

selbst um eine Unterkunft kümmern und in eigener Verantwortung einen Arbeitsplatz suchen müs-

sen (…). Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass – ebenso wie italienische Staatsangehö-

rige in einer vergleichbaren Situation – auch anerkannte Asylbewerber und schutzberechtigte

Flüchtlinge von nichtstaatlichen Hilfsorganisationen (…) Unterstützung bekommen können (…).

Ein Anspruch auf Einhaltung bestimmter Mindeststandards im Hinblick auf die Gewährung von

Unterkunft sowie auf eine gewisse materielle Unterstützung besteht für sie auch nach dem Unions-

recht nicht; ein solcher Anspruch besteht nur für Asylbewerber (…), denn nach den Bestimmungen

der Richtline 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 steht Asylbewerbern und Schutzsuchen-

den zwar ein subjektives Recht auch auf eine angemessene Fürsorge zu. Nach Art. 3 Abs. 1 der

genannten Richtline haben Asylbewerber jedoch nur solange Anspruch auf die in Art. 5 ff. der

Richtline bezeichneten humanitären Leistungen, solange sie „als Asylbewerber im Hoheitsgebiet

verbleiben dürfen“. „Asylbewerber“ im Sinne der Richtlinie ist dabei ein Drittstaatsangehöriger oder

Staatenloser, der einen Asylantrag gestellt hat, über den noch nicht entschieden wurde.“

Auch das OVG Rheinland-Pfalz führt in seinem Urteil vom 21.02.2014127 dazu aus:

„Italien verfügt über ein planvolles und ausdifferenziertes Asylsystem (…). Das gilt auch für Perso-

nen mit Schutzstatus. (…) Mit Blick auf den hier vorliegenden Fall ist weiter festzuhalten, dass sich

aus der Auskunftslage auch keine systemischen Mängel für Personen ergeben, denen bereits ein

Schutzstatus zugesprochen wurde. Die mit der Anerkennung verbundene Erteilung eines Aufent-

haltsrechts (permession die soggiorno) bedeutet in der Praxis, dass sich die Personen mit Schutz-

status grundsätzlich selbst um eine Unterkunft und eine Arbeit kümmern müssen (…). Auch wenn

sich die Situation damit deutlich schlechter und unsicherer darstellt als in der Bundesrepublik

Deutschland, begründet dies für sich genommen keinen systemischen Mangel. Der europäische

125

vgl. EGMR, Entscheidung vom 02.04.2013, Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u. a. gegen die Niederlande und Italien, Rn. 76 f.; Thym, Zulässigkeit von Dublin-Überstellungen nach Italien in ZAR 9/2013, S. 333. 126

vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 02.10.2013, 3 L 643/12. 127

vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21.02.2014, 10 A 10656/13.

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Gerichtshof für Menschenrechte hat ausdrücklich festgehalten, dass Art. 3 EMRK die Vertragspar-

teien nicht verpflichte, jede Person innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs mit einem Ob-

dach zu versorgen. Die Norm enthalte auch keine allgemeine Pflicht, Flüchtlingen finanzielle Un-

terstützung zu bieten, um ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu bieten. (…) Keine system i-

schen Mängel bestehen schließlich auch im Hinblick auf den Zugang zum Gesundheitssystem.

Personen mit Schutzstatus sind in Fragen der Gesundheitsversorgung den italienischen Staats-

bürgern gleichgestellt.“

Diese Auffassung wird auch vom VGH Baden-Württemberg geteilt (vgl. Urteil vom 16.04.2014 – A

11 S 1721/13):

„Auch die Lage der Personen, die in Italien einen internationalen Schutzstatus zuerkannt bekom-

men haben, begründet noch keine systemischen Mängel. Die oben beschriebene rechtliche Situa-

tion dieses Personenkreises, die dadurch gekennzeichnet ist, dass dieser den italienischen

Staatsbürgern umfassend gleichgestellt ist, bedingt aber faktisch, dass die Betroffenen, was Un-

terkunft und Erzielung des Lebensunterhalts betrifft, ein Stück weit auf sich selbst gestellt sind. (…)

Dies gilt auch in Ansehung der Tatsache, dass Italien kein mit dem in der Bundesrepublik beste-

henden Sozialleistungssystem vergleichbares landesweites Recht auf Fürsorgeleistungen kennt

und hier nur im originären Kompetenzbereich der Regionen und Kommunen ein sehr unterschied-

liches und in weiten Teilen von der jeweiligen Finanzkraft abhängiges Leistungsniveau besteht.“

V. Vorgehen international

Auch andere Mitgliedstaaten wie Frankreich, Großbritannien, Schweden, Niederlande, Österreich,

Ungarn sowie die Schweiz führen nach den dem Bundesamt vorliegenden Informationen weiterhin

Überstellungen nach Italien durch. Erkenntnisse darüber, dass andere Mitgliedstaaten keine Über-

stellungen nach Italien durchführen, liegen dem Bundesamt nicht vor.

Insbesondere hat das High Court des Vereinigten Königreichs unter Berücksichtigung der Ausfüh-

rungen des EuGH im Urteil vom 21.12.2011128

am 02.07.2012 eine Klage eines Eritreers gegen

die Überstellung nach Italien abgewiesen. Nach Auffassung des Gerichts waren die von dem Klä-

ger vorgelegten Beweise nicht ausreichend, um die grundsätzliche Vermutung der Einhaltung der

Verpflichtungen aus EU-Recht durch Italien zu widerlegen, insbesondere bezog es sich auf die

Tatsache, dass der UNHCR und der Menschenrechtskommissar im Falle Italien keine Stellung-

nahmen abgegeben haben, die mit denen zu der Situation in Griechenland vergleichbar wären. 129

Darüber hinaus hat das High Court zuletzt am 11.06.2014 entschieden, dass Überstellungen nach

Italien keine Verletzung des Art. 3 EMRK zur Folge haben (vgl. High Court of Justice, Judgment of

11/06/2014, [2014] EWHC 1914 (Admin)).

Mit Urteil vom 09.12.2013 hat sich das höchste Verwaltungsgericht Schwedens (vgl.

Migrationsöverdomstolen, Az. UM 1412-13 und 1413-13) über die Lage der Flüchtlinge in Italien

geäußert. Das Gericht ist der Auffassung, dass Italien seine internationalen Verpflichtungen erfüllt

und bezieht sich vor allem auf die Entscheidung des EGMR vom 02.04.2013.

In den Niederlanden wird bei Entscheidungen u. a. auf Informationen des UNCHR zurückgegriffen.

Sofern ein Antragsteller eine Berufung gegen die erstinstanzliche Entscheidung einlegt, wird auf

zwei ablehnende Urteile des Raad van State (Staatsrat, höchstes Verwaltungsgericht) verwiesen 128

vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011, C-411/10 und C-493 – N.S. und M.E. 129

Vereinigtes Königreich, High Court of Justice, Judgment of 02/07/2012, Case No: CO/163/2009 .

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(vom 25.02.2011 und 14.07.2011). Der Niederländische Raad van State hatte sich in einer Ent-

scheidung vom 25.02.2011 mit der Überstellungsproblematik bezüglich Italien, insbesondere unter

Berücksichtigung der Entscheidung M.S.S. auseinander gesetzt, und festgestellt, dass hier eine

Vergleichbarkeit mit der Situation in Griechenland zu verneinen sei und keine Bedenken gegen

Überstellungen nach Italien bestehen.

Auch das Schweizerische Bundesamt für Migration (BMF) hat dem Bundesamt bestätigt, dass die

Schweiz weiterhin nach Italien überstellt. Das Bundesverwaltungsgericht in der Schweiz (das ein-

zige Gericht in der Schweiz, das über die Beschwerden gegen Asylentscheidungen des BMF ent-

scheidet) hat sich bis jetzt in praktisch allen Urteilen auf die Praxis des BMF gestützt, d. h. die

Überstellungen nach Italien als zulässig und zumutbar erachtet.