Lenin - Werke 16

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PROLE TAR IER AL LE R LÄNDER, VEREINIGT EUCH! L E N I N 1 6

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PROLETARIER ALLER LÄNDER, VEREINIGT EUCH!

LE N I NWERKE

16

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HERAUSGEGEBEN AUF BESCHLUSS

DES IX. PARTEITAGES DER KPR(B) UND DES

II. SOWJETKONGRESSES DER UdSSRDIE DEUTSCHE AUSGABE ERSCHEINT

AUF BESCHLUSS DES ZENTRALKOMITEES

DF.R SOZ IALISTISC HEN EINHEITSPARTEI

DEUTSCHLANDS

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I N S T I T U T F Ü R M A R X I S M U S - L E N I N I S M U S B E I M Z K D E R K P d S U

WI.LENINWERKE

INS DEUTSCHE ÜBERTRAGENNACH DER VIERTEN RUSSISCHEN AUSGABE

DIE DEUTSCHE AUSGABEWIRD VOM INSTITUT FÜR MARXISMUS-LENINISMUS

BEIM ZENTRALKOMITEE DER SED BESORGT

( f fD IETZ V ERLA G BERLIN

1962

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W I . LEN INBA N D 16

SEPTEM BER 1909 - DEZEM BER 1910

DIETZ VERLAG BERLIN

1962

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Russischer Originaltitcl:

B . U . - 1 E H H H • C O H E H E H l i a

Diet z Verlag Gm bH , Berlin • 1. Auflage 1962Printed in the German Democratic Republic • Alle Rechte vorbehalten

Gestaltung und Typographie: Oietz Entwurf • Lizenznummer 1Cesamtherstellung: Karl-Marx-Werk Pößneck V 15/30

ES 1 C

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V O R W O R T

Die in Band 16 enthaltenen Arbeiten sdirieb W. I . Lenin von Septem-ber 1909 bis Dezember 1910.

Den Hauptteil des Bandes bilden Artikel und Dokumente, die demKampf um die Partei, für ihre revolutionären Prinzipien, dem Kampfgegen die zwei Richtungen des Opportunismus in der Partei gewidmetsind: gegen die Liquidatoren, die „direkten Feinde der Partei", und gegendie Otsowisten, die „versteckten Feinde der Partei", aber auch gegendie Versöhnler, die sowohl die einen als auch die anderen Opportunistendeckten.

Den Kampf gegen das Liquidatorentum als Ausdrucksform des bür-gerlichen Einflusses in der Arbeiterklasse behandeln folgende Arbeiten:„Entlarvte Liquidatoren", „Die Methoden der Liquidatoren und dieParteiaufgaben der Bolschewiki", „Der ,Golos Sozial-Demokrata' undTscherewanin", „Der ,Golos' der Liquidatoren gegen die Partei".

Die Artikel „Über die Fraktion der Anhänger des Otsowismus und desGottbildnertums", „Gespräch mit den Petersburger Bolschewiki", „Einschmähliches Fiasko", „über die Fraktion der ,Wperjod'-Leute" sindgegen den Otsowismus und den Ultimatismus gerichtet.

In der Arbeit „Notizen eines Publizisten" werden die Beschlüsse desJanuarplenums des ZK der SDAPR von 1910 eingeschätzt und der Kampfgegen die Liquidatoren, Trotzkisten und Versöhnler auf dem Plenumcharakterisiert.

Die Artikel „Die elfte Sitzung des Internationalen SozialistischenBüros", „Die Frage der Genossenschaften auf dem Internationalen Sozia-listenkongreß in Kopenhagen", „Zwei Welten", „Die Differenzen in der

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v n I Vorwort

europäischen Arbeiterbewegung" sind gegen den Opportunismus in der

europäischen Arbeiterbewegung und gegen die verräterische Politik derFührer der II. Internationale gerichtet.

In den Artikeln „Der historische Sinn des innerparteilichen Kampfes inRußland", „über die Statistik der Streiks in Rußland" werden die Er-fahrungen aus der Revolution von 1905-1907 untersucht.

Band 16 enthält adit Dokumente, die in den Werken W. I. Leninszum erstenmal erscheinen: „Brief an die Hörer der Schule auf Capri", derdie parteifeindliche Tätigkeit der Schule auf Capri aufdeckt; „über denideologischen Zerfall und die ideologische Zersetzung in der Sozialdemo-

krat ie Rußlands"; „über d ie Gruppe ,Wper jod '" ; „Ankündigung derHerausgabe der ,Rabötschaja Gaseta'"; „Offener Brief an alle partei-treuen Sozialdemokraten", in dem die Lage in der Partei nach demJanuarplenum des ZK der SDAPR von 1910 geschildert wird; zwei Er-klärungen an das Zentralkomitee der SDAPR. Diese Dokumente sind,wie auch die meisten Schriften in Band 16, dem Kampf um die Partei,dem Kampf an zwei Fronten gewidmet.

Zu den neuaufgenommenen Artikeln gehört Lenins große Arbeit „Daskapitalistische System der modernen Landwirtschaft", die er Ende 1910

schrieb. Das vollständige Manuskript dieser Arbeit ist bis heute nichtaufgefunden worden. Der Schluß der Arbeit mit der UnterschriftIV. Jljin sowie der Schluß des I. Kapitels und der Anfang des II. Kapitels,die bei der Veröffentlichung der Arbeit im Jahre 1932 fehlten, sind jetztgefunden worden. Daher können die Kapitel I , II und VII zum erstenmalvollständig veröffentlicht werden.

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W I. LENIN

1910

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E N T L A R V T E L I Q U I D A T O R E N

Den Lesern ist natürlich bekannt, daß sidi unsere Partei das letzte Jahrüber mit der sogenannten liquidatorischen Strömung in der Sozialdemo-kratie auseinandersetzen mußte. Die Liquidatoren, das sind die ganzunverhohlenen Opportunisten, die da zu predigen anfingen, die illegalesozialdemokratische Partei, die SDAPR, sei im heutigen Rußland über-flüssig. Die Leser wissen auch, daß der Kampf gegen diese Liquidatoren-strömung vom Bolschewismus aufgenommen und geführt wurde, jeden-falls mit dem Erfolg, daß auf der Gesamtrussischen Parteikonferenz imDezember 19081 das Liquidatorentum gegen die Stimmen der Mensche-wiki und eines Teils der Bundisten (der andere Teil der Bundisten wandtesich gegen das Liquidatorentum) auf das entschiedenste und unwider-ruflich verurteilt worden ist.

Das offizielle Organ der menschewistischen Fraktion jedoch, der „GolosSozial-Demokrata"2, hat nicht nur abgestritten, daß er liquidatorisch ge-sinnt sei, sondern im Gegenteil, er trat ständig besonders „stolz underhaben" auf und leugnete jegliche Beziehung zum Liquidatorentum. DieTatsachen lagen auf de r Hand. Doch der „Golos Sozial-Demokrata" igno-rierte hoheitsvoll die Tatsachen. Die vor kurzem erschienene Nr. 9 desPlechanowschen „Dnewnik Sozialdemokrata"3 (August 1909) ist in die-

ser Beziehung außerordentlich aufschlußreich, da hier einer der Führerdes Menschewismus das Liquidatorentum endgültig entlarvt. Damit istdie Bedeutung des „Dnewnik" nicht erschöpft, aber auf diese Seite mußman vor allem eingehen.

In Nr. 45 des „Proletari"4 wurde ein Brief von Menschewiki des Wi-borger Bezirks (in St. Petersburg) veröffentlicht, die gegen die mensche-wistischen Liquidatoren Protest erheben. In Nr. 14 des „Golos" (Mai

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W. 1. Lenin

1909) wurde dieser Brief nachgedruckt, und die Redaktion bemerkt dazu:

„Die Redaktion des ,Proletari' tut so, als erblicke sie in dem Brief derWiborger Genossen ein Abrüdken vom ,Golos Sozial-Demokrata'..."

Nun kommt der „Dnewnik" Plechanows heraus. Sein Verfasser legtdar, daß der Ideengehalt eines Artikels, der ohne jeglichen Vorbehalt derRedaktion in Nr. 15 des „Golos" veröffentlicht wurde (obendrein einesArtikels, der ganz und gar die gleichen Auffassungen wie die derRedaktion zum Ausdruck bringt), in seiner Qesamtheit liquidatorisch ist.Plechanow führt dabei den Brief der Wiborger an und schreibt: „DieserBrief zeigt uns, welche Art Einfluß auf große Arbeiterorganisationen zu-

weilen Leute ausüben, die unserer Partei unter dem Vorwand ,neuer'Arbeit den Rücken gekehrt haben." (S. 10 des „Dnewnik".) Das ist genaujener „Vorwand", der immer vom „Golos" vorgebracht wurde! „Einsolcher Einfluß", fährt Plechanow fort, „ist keineswegs sozialdemo-kratischer Einfluß; er ist vielmehr seinem Geist nach der Sozialdemokratieprinzipiell feindlich." (S. 11.)

Also, Plechanow führt den Brief der Wiborger gegen die Nr. 15 des„Golos Sozial-Demokrata" an. Wir fragen den Leser, wer denn inWirklidokeit „so tut "? H at der „Proletari" „so getan", als er den „Golos"

des Liquidatorentums bezichtigte, oder hat der „Golos" so getan, als erjeglidie Verbindung von seiner Seite zum Liquidatorentum abstritt?Die Redaktion des „Golos" ist der literarischen Ilnehdichkeit über-

führt, überführt von ihrem früheren Mitglied Plechanow.Aber das ist noch längst nidit alles.In Nr. 15 des „Golos7' (Juni 1909) finden wir in einem Artikel mit der

Unterschrift 7b. Dans die Bemerkung, daß der Ruf, außerhalb der Frak-tionen zu stehen, die „Prawda"5 „vor den unsinnigen und bewußt un-lauteren Beschuldigungen des Liquidatorentums" schütze (S. 12). Dickerläßt sich das nidit auftragen. Eine nodi erhabenere, nodi edlere Ent-rüstung auf seiner Physiognomie widerzuspiegeln, wenn der „Golos" desLiquidatorentums besdiuldigt wird, ist wohl sdiwer möglich.

Da erscheint der „Dnewnik" Plechanows. Der Verfasser legt dar, daßder Ideengehalt eines Artikels in N r. 15 des „Golos" in seiner Qesamtheitliquidatorisch ist, und erklärt an die Adresse der Menschewiki, die dieseIdeen vertreten: „Weshalb den Vorwurf des Liquidatorentums übel-nehmen, wenn man in Wirklidikeit diese Sünde in starkem Maße

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Entlarvte Liquidatoren

begeht?" (S. 5.) „Den Genossen S.6" (den Verfasser des von Pledianow

behandelten Artikels aus Nr. 15 des „Golos") „kann man nidit nur, son-dern muß man sogar des Liquidatorentums besdiuldigen, weil der vonihm in seinem Brief dargelegte und verfoditene Plan in Wirklidikeit niditsanderes ist als ein Plan zur Liquidierung unserer Partei." („Dnewnik",S. 6.) Und dieser Gen. S. spridit in seinem Artikel unverhüllt von seinerSolidarität mit der „kaukasischen Delegation" , d. b. mit der Redaktiondes „ Qolos", die bekanntlidi zwei von drei Mandaten in dieser Delegationbesaß.

Pledianow fährt fort:

„Hier muß man wählen: entweder Liquidatorentum oder Kampf gegendas Liquidatorentum. Eine dritte Möglidikeit gibt es nicht. Wenn idi diessage, so meine idi selbstverständlidi die Genossen, die sidi nidit vonihren persönlidien Interessen leiten lassen, sondern von den Interessenunserer gemeinsamen Sadie. Für jene, die sidi von ihren persönlichenInteressen leiten lassen, für jene, die lediglidi auf ihre revolutionäre Kar-riere - es gibt ja auch eine solche Karriere! - bedacht sind, gibt es natür-lich einen dritten Ausweg. Die großen und kleinen Leute dieses Kaliberskönnen und müssen sogar in der heutigen Zeit zwischen der liquidatori-

schen und der antiliquidatorischen Strömung lavieren,- sie müssen sidiunter den gegenwärtigen Bedingungen mit allen Mitteln um eine direkteAntwort auf die Frage, ob gegen das Liquidatorentum gekämpft werdenmuß, herumdrücken; sie müssen mit ,leeren Allegorien und Hypothesen'einer solchen Antwort ausweichen, weil ja dodi noch nidit ersiditlidi ist,weldie Strömung die Oberhand gewinnen wird, die liquidatorisdie oderdie antiliquidatorisdie, und diese weisen Diplomaten möditen in jedemFall mit von der Partie sein: sie wollen um jeden Preis auf der Seite derSieger stehen. Ich wiederhole, für solche Leute gibt es noch einen drittenAusweg. Aber Gen. S. wird mir wahrscheinlich beipflichten, wenn ichsage, da ß dies keine wirklichen Persönlichkeiten, sondern bloße ,Hampel-männer' sind. Sich über sie auszulassen lohnt nidit: sie sind eingefleisditeOpportunisten, ihre Devise ist: ,Was beliebt?'" (S. 7/8 des „Dnewnik".)

Das nennt m an: . . . ein W ink m it dem Zaunpfahl. Fünfter undletzter Akt, 1. Auftritt. Auf der Bühne alle Redakteure des „Golos", bisauf einen. Redakteur Soundso wendet sidi mit einer besonders edlenGeste an das Publikum: „Die gegen uns erhobenen Besdiuldigungen des

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W. 1. Lenin

Liquidatorentunis sind nicht nur unsinnig, sondern auch bewußt un-

lauter."2 . Auftritt . Dieselben und „er", ein Redakteur des „Golos", der eben

erst glücklich aus der Redaktion ausgeschieden ist7 (tut so, als ob er kei-nen der Redakteure bemerke, und sagt, sich an den mit der Redaktionsolidarischen Mitarbeiter S. wendend): „Entweder Liquidatorentum oderKampf gegen das Liquidatorentum. Einen dritten Ausweg gibt es ledig-lich für revolutionäre Karrieristen, die lavieren, die sich um eine direkteAntwort herumdrücken, die abwarten, wer die Oberhand gewinnt . Gen.S. wird mir wahrscheinlich beipflichten, daß dies keine wirklichen Persön-

lichkeiten, sondern nur Hampelmänner sind. Sich über sie auszulassenlohnt nicht; sie sind eingefleischte Opportunisten; ihre Devise ist ,Wasbeliebt?' ."

Warten wir ab, wir werden ja sehen, ob „Gen. S.", der kollektive men-schewistische Gen. S., Plechanow wirklich beipflichten oder aber es vor-ziehen wird, einige Hampelmänner und eingefleischte Opportunisten alsFührer zu behalten. Eins können wir schon jetzt ohne weiteres erklären:unter den menschewistischen Arbeitern werden sich — wenn Plechanow,Potressow (der Einschätzung Plechanows nach ein „überzeugter Liqui-

dator", S. 19 des „Dnewnik") und die „Hampelmänner" mit der Devise„W as belieb t?" ihnen ihre Auffassungen klipp und klar darlegen - sichervon hundert insgesamt keine zehn finden, die für Potressow und für die„Was beliebt" sind. Dafür kann man garantieren. Das Auftreten Plecha-nows genügt, um die menschewistischen Arbeiter von Potressow wie vonden „Was beliebt" abzustoßen. Unsere Aufgabe besteht darin, dafürzu sorgen, daß die menschewistischen Arbeiter, besonders jene; die sichdurch eine von den Bolschewiki ausgehende Propaganda nur schwer be-einflussen lassen, Nr. 9 des „Dnewnik" Plechanows vollinhaltlich kennen-

lernen. Unsere Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen, daß die mensche-wistischen Arbeiter jetzt ernstlich darangehen, die ideologischen Qrund-

lagen der Meinungsverschiedenheiten zwischen Plechanow einerseits undPotressow samt den „Was beliebt" anderseits zu verstehen.

Z u dieser besonde rs wichtigen Frage liefert P lechanow in N r. 9des „Dnewnik" ebenfalls höchst wertvolles, doch bei weitem nichthinreichendes Material. „Es lebe die ,generelle Abgrenzung'!" ruft Ple-chanow aus und begrüßt die Abgrenzung der Bolschewiki von den An-

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Entlarvte Liquidatoren

archo-Syndikalisten (so nennt er unsere Otsowisten, Ultimatisten und

Gottbildner); dabei erklärt er: „Wir Menschewiki müssen uns von denLiquidatoren abgrenzen." (Seite 18 des „Dnewnik".) Es versteht sich,daß wir Bolschewiki, die wir bei uns bereits eine generelle Qrenze ge-zogen haben, uns dieser Forderung nach einer generellen Abgrenzunginnerhalb der menschewistischen Fraktion von ganzem Herzen anschlie-ßen. Wir erwarten diese generelle Abgrenzung bei den Menschewiki mitUngeduld. Wir werden darauf achten, wo bei ihnen die generelle Grenzeverläuft. Wir werden darauf achten, ob dies wirklich eine generelleGrenze sein wird.

Plechanow stellt die wegen des Liquidatorentums erfolgte Spaltunginnerhalb der Menschewiki als Spaltung wegen der Organisationsfragehin. Zugleich jedoch bringt er Material, welches erkennen läßt, daßsich das Problem bei weitem nicht nur auf die Organisatiönsfrage be-schränkt. Plechanow zieht vorläufig zwei Grenzen, von denen aber nochkeine die Bezeichnung generelle Grenze verdient. Die erste trennt Ple-chanow entschieden von Potressow, die zweite trennt ihn wenig ent-schieden von den „Fraktionsdiplomaten", von den Hampelmännern undeingefleischten Opportunisten. Von Potressow sagt Plechanow, daß dieserbereits im Herbst 1907 „wie ein überzeugter Liquidator gesprochen ha t".

Das ist jedoch nicht alles. Außer auf diese mündliche Erklärung Potres-sows zur Organisationsfrage beruft sich Plechanow auf die bekanntemenschewistische Kollektivarbeit „Die gesellschaftliche Bewegung in Ruß-land zu Beginn des 20. Jahrhunderts" und sagt, daß er, Plechanow, ausder Redaktion dieses Sammelbandes ausgeschieden ist, weil der Beitragvon Potressow (selbst nach Korrekturen und einer Überarbeitung, dievon Plechanow gefordert und unter Vermittlung von Dan und Martowvorgenommen worden waren) für Plechanow unannehmbar gewesen sei.„Ich habe mich restlos davon überzeugt, daß der Beitrag von Potressow

nicht zu verbessern ist." (S. 20.) „Ich habe erkannt", schreibt er im„Dnewnik", „daß der von Potressow in Mannheim geäußerte liquidato-rische Gedanke sich in seinem Hirn fest eingewurzelt und daß er dieFähigkeit ganz und gar verloren hat, das gesellschaftliche Leben inGegenwart und Vergangenheit mit den Augen eines Revolutionärs zubetrachten." (S. 19/20.) „Potressow ist für mich kein Genosse... fürmich und Potressow gibt es keinen gemeinsamen Weg." (S. 20.)

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IV . 7. Lenin

Hier geht es keineswegs mehr um Organisationsfragen der Gegen-

wart, auf die Potressow in seinem Beitrag nicht eingegangen ist und auchnicht eingehen konnte. Es geht um die grundsätzlichen programmatischen

und taktischen Ideen der Sozialdemokratie, die durch die menschewistischeXonektii7„arbeit", veröffentlicht unter der kollektiven menschewistischenRedaktion von !Martow, TAaslow und Potressow, „l iquidiert werden".

U m hier eine wirklich generelle Grenze zu ziehen, genügt es nidit ,mit Potressow zu brechen und eine „feine" Anspielung auf die Heldendes „Was bel iebt" zu machen. Dazu muß man umfassend klarlegen, in -wiefern, wann, warum und wie „Potressow die Fähigkeit verloren

hat, das gesellschaftliche Leben mit den Augen eines Revolutionärs zubetrachten". Das Liquidatorentum, sagt Plechanow, führt in den „Sumpfdes schändlichsten O ppo rtunism us" (S. 12). „Der junge W ein w ird beiihnen (den Liquidatoren) zu einem sauren Zeug, das gerade noch zurZubereitung kleinbürgerlichen Essigs taugt." (S. 12.) Das Liquidatoren-tum „erleichtert das Eindringen kleinbürgerlicher Tendenzen in die pro-letarischen Schichten" (S. 14). „Ich habe des öfteren den Versuch unter-nommen, einflußreichen Genossen Menschewiki zu beweisen, daß sieeinen großen Fehler begehen, wenn sie zuweilen bereit sind, mit Herren,die mehr oder weniger stark nach Opportunismus riechen, gemeinsameSache zu machen." (S. 15.) „Das Liquidatorentum führt geradewegs inden unpassierbaren Sumpf des Opportunismus und der Sozialdemokratiefeindlicher kleinbürgerlicher Bestrebungen." (S. 16.) Vergleichen Sie allediese Äußerungen Plechanows mit seiner Einschätzung Potressows alsüberzeugten Liquidator. Es ist ganz offensichtlich, daß Plechanow Po-tressow als kleinbürgerlich-demokratischen Opportunisten kennzeichnet(oder präziser, jetzt einschätzt). Es ist ganz offensichtlich, daß Plechanowjetzt den Mensdiewismus als kleinbürgerlidoe opportunistische Strömungeinschätzt, insofern dieser, vertreten von allen einflußreichen Publizisten

der Fraktion (außer Plechanow selbst), an dieser Potressowiade (in der„Gesellschaftlichen Bewegung") mitwirkt. Insofern der Mensdiewismusals Fraktion Potressow freien Lauf läßt und ihn deckt, schätzt ihn Plecha-now jetzt als kleinbürgerliche opportunistische 7räktion ein.

Die Schlußfolgerung ist klar: Wenn Plechanow allein bleibt, wenner nicht die Masse oder audi nur einen bedeutenden Teil der Mensche-wiki um sich schart, wenn er nicht vor allen menschewistischen Arbeitern

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Entlarvte Liquidatoren

alle Wurzeln und Erscheinungsformen dieses kleinbürgerlichen Oppor-

tunismus enthüllt , dann ist unser Urteil über den Menschewismus vondem Menschewik bestätigt worden, der ein überragender Theoretikerist und die Menschewiki in der Taktik von 1906 bis 1907 am weitestenführte.

Warten wir ab, wir werden ja sehen, ob der von Plechanow prokla-mierte „revolutionäre Menschewismus" es vermögen wird, den Kampfgegen den ganzen Komplex von Ideen zu führen, die einen Potressow unddas Liquidatorentum hervorgebracht haben.

Wenn Plechanow von genereller Abgrenzung bei den Bolschewikispricht, vergleicht er die bolschewistischen Marxisten, die Sozialdemo-kraten, mit dem Gogolschen Ossip, der jeglichen Plunder, jedes Schnür-chen aufhob (bis zum Empiriokritizismus und Gottbildnertum). Jetzthabe der bolschewistische Ossip begonnen, scherzt Plechanow, „sich Raumzu schaffen", die Antimarxisten hinauszuwerfen und die „Schnürchen"sowie den sonstigen Plunder fortzuwerfen.

Der Scherz von Plechanow berührt keine Scherzfrage, sondern einesehr ernste, eine Grundfrage der russischen Sozialdemokratie: welcheRichtung innerhalb der Sozialdemokratie diente mehr dem Plunder, den„Schnürchen", d. h. den bürgerlich-demokratischen Einflüssen in denproletarischen Schichten. All die „Feinheiten" der fraktionellen Ausein-andersetzungen, all die ewigen Peripetien des Kampfes um die verschie-denen R esolutionen, Losungen usw. - dieses ganze „Fraktionswe sen"(das heute so oft mit leeren Phrasen gegen das „Fraktionswesen" ver-urteilt wird, die mehr als alles andere die Prinzipienlosigkeit fördern) - ,dieses ganze „Fraktionswesen" dreht sich heute um die sehr ernste undgrundlegende Frage der russischen Sozialdemokratie: welche Richtunginnerhalb der Sozialdemokratie den bürgerlich-demokratischen Einflüs-sen (die in dem einen oder anderen Maße, für diese oder jene Zeit in

de r bürgerlichen Revolution in Ru ßland nicht zu vermeiden sind, wie dieseEinflüsse in keinem kapitalistischen Land zu vermeiden sind) am meistenzugänglich war. Jeder Richtung innerhalb der Sozialdemokratie schließtsich unvermeidlich eine größere oder geringere Anzahl nicht rein prole-tarischer, sondern halb proletarischer, halb kleinbürgerlicher Elemente an.Die Frage besteht darin, weldoe Richtung sich ihnen in geringerem Maßeunterwirft, welche sich von ihnen schneller befreit und sie erfolgreicher

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IV . 1. Lenin

bekämpft. Eben das ist die Frage nach dem sozialistischen, proletarischen,

marxistischen „Ossip", bezogen auf das liberale oder anarchistische, klein-bürgerliche, antimarxistische „Schnürchen".

Der bolschewistische Marxismus, sagt Plechanow, ist ein „ziemlich engund grob aufgefaßter Marxismus". Der menschewistische ist offenbar„ziemlich weit und fein". Man betrachte die Ergebnisse der Revo-lution, die Ergebnisse von sedis Jahren Geschichte der sozialdemokra-tischen Bewegung (1903-1909), was waren das für sechs Jahre! Diebolschewistischen „Ossips" haben die „generelle Grenze" bereits gezogenund dem kleinbürgerlichen bolschewistischen „Schnürchen" die „Tür ge-

wiesen", und es plärrt nun, daß man es „hinausgeworfen", es „entfernt"hat .

Der menschewistische „Ossip" ist allein geblieben, ausgeschieden ausder offiziellen menschewistischen Redaktion wie aus dem Redaktions-kollektiv des wichtigsten menschewistischen Werkes; allein erhebt erProtest gegen den „kleinbürgerlichen Opportunismus" und das Liquida-torentum, das sowohl in der einen als auch in der anderen Redaktionherrscht. Es erwies sich, daß der menschewistische „Ossip" mit demmenschewistischen „Schnürchen" gefesselt ist. Nicht er hat das Schnür-chen aufgelesen, sondern es hat ihn aufgelesen. Nicht er ist mit ihm fertiggeworden, sondern das Schnürchen mit ihm.

Sagen Sie, lieber Leser, würden Sie es vorziehen, in die Lage desbolschewistischen oder in die des menschewistischen „Ossip" zu geraten?Sagen Sie, erweist sich in der Geschichte der Arbeiterbewegung etwader Marxismus als „eng und grob", der mit den proletarischen Organi-sationen fester verbunden ist und mit dem kleinbürgerlichen „Schnür-chen" besser fertig wird?

„Trokiari" 75T. 47/48, TJaöb dem 7ext des „Troletari".5. ( l S j September 1909.

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Z U D E M O F F E N E N B R I E F

D E R E X E K U T I V K O M M I S S I O N

D E S M O S K A U E R B E Z I R K S K O M I T E E S 8

Aus Anlaß dieser Resolution über die ominöse „Schule" müssen wir

feststellen, daß wir die Arbeiter, die mit Freude die Möglichkeit wahr-nehmen, ins Ausland zu fahren, um zu lernen, in keiner Weise beschul-digen. Diese Arbeiter „setzten sich in Verbindung" sowohl mit uns alsauch mit dem ZK (in einem Brief, den wir soeben erhielten, erklärt auchdie Exekutivkommission des Moskauer Bezirkskomitees, daß einer derSchüler auch an sie bereits einen Bericht gesandt habe), und wir habenihnen die Bedeutung der sogenannten Schule klargelegt. Apropos, hiereinige Zitate aus dem hektographierten „Bericht" dieser Schule, den wirbekommen haben. „Es wurde der Beschluß gefaßt, den Unterricht mit der

vorhandenen Anzahl von Hörem (9 Genossen) und Lektoren (6 Genos-sen) aufzunehmen." Von diesen 6 Lektoren sind der Partei gut bekannt:Maximow, Lunatscharski, Ljadow, Alexinski. Gen. Alexinski „bemerkte"(bei der Eröffnung der Schule): „Für die Schule wurde ein bestimmterOrt gewählt, weil sich dort viele Lektoren befinden." Gen. Alexinski hatsich überaus bescheiden ausgedrückt: „dort" befinden sich nicht „viele",sondern alle Lektoren (einige sagen sogar: alle Initiatoren, Organisatorenwie Agitatoren, alle aktiven Elemente) einer neuen T raktion. Schließlich:„Gen. Alexinski begann den praktischen Unterricht in der Organisations-

frage." Wir wagen zu hoffen, daß in diesem „praktischen" Unterrichtdie Bedeutung der im „Bericht" Maximows gemachten Andeutungen aus-führlich erklärt wird, die die Bestrebungen der Redaktion des „Proletari"betreffen, sich des Vermögens der gesamten Fraktion zu bemächtigen ...

„Proletari" 5Vr. 47/48, TJadh dem 7ext des „Vroletari".5 . (i8.) September 1909.

2 Lenin, We rke, Bd. 16

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Z U D E N W A H L E N I N P E T E R S B U R G 9

(Bemerkungen)

Zum 21. September sind in St. Petersburg Wahlen angesetzt. DieArbeiterpartei muß diese Wahlen unter überaus schwierigen Bedingungendurchführen. Ihnen kommt jedoch größte Bedeutung zu, und alle Sozial-demokraten müssen ihre ganze Kraft in der bevorstehenden - teilweiseschon beginnenden - Wahlkampagne einsetzen.

Die Wahlen gehen bei entfesselter Reaktion vor sich, unter dem hem-mungslosen Wüten der konterrevolutionären zaristischen Bande, die unsregiert - desto wichtiger ist es, dieser Reaktion einen Kandidaten ent-gegenzustellen, der von der sozialdemokratischen Partei aufgestellt ist,von der einzigen Partei, die es verstand, auch von der Tribüne der stock-reaktionären III. Duma ihre Stimme zu erheben, ihrer unbeugsamensozialistischen Überzeugung Ausdruck zu geben, die Losungen desruhmreichen revolutionären Kampfes zu wiederholen, das republikanischeBanner angesichts der erzreaktionären oktobristischen Helden der Konter-revolution und der liberalen (kadettischen) Ideologen und Verfechterder Konterrevolution zu entfalten.

Die Wahlen werden unter Bedingungen durchgeführt, die eine Teil-nahme der großen Masse der Arbeiterklasse völlig unmöglich machen:die Arbeiter sind weitgehend aus der Zahl der Wahlberechtigten aus-geschlossen; die Reihen der Wähler wurden von der triumphierenden

Adelsbande, die den Staatsstreich vom 3. Juni 1907 durchführte, ge-lichtet - desto wichtiger ist es, daß vor diesem Auditorium, das am wenig-sten vermag, den Ideen der Sozialdemokratie überhaupt Sympathien ent-gegenzubringen, die Partei auftritt, die den Kampf für den Sozialismusmit dem Kampf um eine konsequente und entschiedene demokratischeRevolution in einem bürgerlichen Land miteinander verknüpft. Wie be-engt und eingeschränkt die Arbeit der sozialdemokratischen Partei unter

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Zu den "Wahlen in Petersburg 11

den Arbeitennassen in der letzten Zeit auch gewesen sein mag, sie wurdeund wird trotzdem ununterbrochen fortgesetzt. Hunderte von Arbeiter-gruppen und -zirkeln bewahren die Traditionen der sozialdemokratischenPartei, führen ihre Sache fort, erziehen neue proletarische Kämpfer. Diesozialdemokratischen Arbeiter werden jetzt durch ihre Abgeordneten,ihre Agitatoren, ihre Bevollmächtigten vor den kleinbürgerlichen Wähler-massen auftreten und ihnen jene Aufgaben des wahrhaften Demokratis-mus ins Gedächtnis rufen, die die Parteien und Grüppdien der bürger-lichen Demokratie in Vergessenheit geraten ließen.

Die Wahlen werden unter Bedingungen durchgeführt, da die sozial-demokratische Partei und jegliche anderen Organisationen der Arbeiter-

klasse aus dem Bereich der Legalität absolut verbannt sind, da es völligunmöglich ist, Arbeiterversammlungen durchzuführen, da die Arbeiter-presse vollständig verboten ist und da das Monopol der „Opposition"(durch Maßnahmen der Polizei) der Kadettenpartei gewährleistet ist,die durch verschiedene unglaublich lakaienhafte Auftritte in der Schwarz-hunderterduma sich prostituiert und der Selbstherrschaft geholfen hat,in Europa Gelder für Gefängnisse und Galgen zu sammeln, die dazubeigetragen hat, den europäischen Kapitalisten die Komödie einer kon-stitutionellen Selbstherrschaft vorzugaukeln. Desto wichtiger ist es, daß

dieses Monopol der Kadetten, das durch einen Wald von Galgen ge-schützt ist und das sie sich durch maßlose liberale Kriecherei vor demZarismus „verdient" haben, gebrochen wird, gebrochen um jeden Preis,gebrochen vor den breiten Massen, die die Wahlen sehen, von ihnenhören, das Schicksal der Kandidaten und die Ergebnisse der Wahlen ver-folgen. Während den bürgerlichen Politikastern aller Länder, von denrussischen Kadetten bis zu den „Freisinnigen" in Deutschland oder den„Radikalen" der bürgerlichen Demokratie in Frankreich, vor allem derunmittelbare Erfolg wichtig ist, während sie vor allem danach trachten,

ein Abgeordnetenplätzchen zu ergattern, geht der sozialistischen Parteivor allem die Propaganda und Agitation unter den Massen, vor allem diePopularisierung der Ideen des Sozialismus und des konsequenten uner-bittlichen Kampfes für uneingeschränkte Demokratie über alles. Und diesePropaganda wird bei weitem nicht allein an der Zahl der Stimmen ge-messen, die nach dem von den Herren des Adels aufgezwungenen Ge-setz vom 3. Juni zusammengeschoben werd en.

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12 IV . 1. Lenin

Man betrachte unsere Kadettenpresse: mit welch erstaunlicher Unver-frorenheit nu tzt sie ihr durch Miljukowsche U nterwürfigkeit erkauftesund von Stolypin geschütztes Monopol. „An dem Ausgang der St.-Peters-burger Wahlen", schreibt die „Jletsdj"10 im Leitartikel vom 1. August,„zweifelt niemand... Wenn die Kandidatur von Kurier, einem der Ab-geordneten mit der größten Autorität aus der II. Duma, perfekt gemachtwird, so wird der Wahlsieg noch weit imposanter werden." Wie könntees anders sein! Was könnte „imposanter" sein als ein Sieg über die„Linken", die der Staatsstreich der Schwarzhunderter „beseitigt" hat?Was kann imposanter sein als ein Sieg über den Sozialismus, der seinealten Ideale in einer illegalen Presse und in illegalen Arbeiterorgani-

sationen propagieren muß, als ein Sieg von „Demokraten", deren Demo-kratismus ohne weiteres in den Rahmen der Stolypinschen Verfassungpaßt? Was könnte in den Augen eines Kleinbürgers, in den Augen einesPhilisters, in den Augen eines eingeschüchterten russischen Menschengrößere „Autorität" haben als der ehemalige Minister Herr Kutler? Fürdie Partei der „Volksfreiheit" wird die Autorität eines Dumaabgeordnetendaran gemessen, welches Ansehen er in den Augen von Romanow, Stoly-pin und Co. genießt.

„Es ist anzunehmen", fährt die „JLetsdh" erhaben fort, „daß diesmal

auch keine zwecklose Zersplitterung der Stimmen zwischen den progres-siven Kandidaten zugelassen wird. Eben in diesem Sinne äußerte sicheiner der Vertreter des ,linken Blocks', W . W . Wodowosow."

Wie die Sonne in einem kleinen Wassertropfen, so spiegelt sich indieser kleinen Tirade das ganze Wesen unserer Kadetten. Die Stimmenzu zersplittern sei „zwecklos" (die Kadetten sagen nicht mehr: gefährlichangesichts der Schwarzhunderter, denn das dumme liberale Märchen vonder Schwarzhundertergefahr haben die revolutionären Sozialdemokratenund die Ereignisse selbst allzu sinnfällig widerlegt) - warum denn „zweck-

los", meine Herren ? W eil man dann nidht durchkomme - das ist das ersteund letzte Argument der Kadetten. Aber das ist doch ein oktobristisdiesArgument, verehrteste Streiter wider den Oktobrismus; dies ist ein A rgu-ment der "Unterordnung unter das Gesetz vom 3. Juni, jener liebevollenUnterordnung und jenes freudigen Gehorsams, den Sie den Oktobristenvorwerfen! Das Wesen Ihrer Natur besteht doch gerade darin, daß Sievor den Wahlen, vor den Wählern, vor den Massen die Oktobristen als

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Xu den Wah len in Petersburg 13

unfähig brandmarken, eine prinzipielle Linie zu beziehen, daß Sie ihre

Phrase n übe r „Zwecklosigkeit" als opportunistisch entlarven, aber bei denW a hle n , vo r der Obrigkeit , vor dem Zaren und vor Stolypin dieselbeoktobristische Politik betreiben. Es ist „zwecklos", gegen das Budget zustimmen - stimmen wir also für das Budget. Es ist „zwecklos", die Idealeder Revolution und der Freiheit zu verfechten - schmähen wir sie also,schreiben w ir die „W echi" 11 , gießen wir Schmutzkübel über die Revolutionaus, w erb en wir noch m eh r Renegaten an - solche Isgojew, Galitsch, Struv eusw., um unsere Lossage von der Revolution zu demonstrieren. Es ist„zwecklos", gegen die Unterstützung der Selbstherrschaft durch das aus-

ländische Kapital zu kämpfen - helfen wir also der Selbstherrschaft, An-leihen aufzunehmen, entsenden wir Miljukow als herrschaftlichen Dienerauf dem Lakaientritt der Kalesche Nikolaus' des Blutigen.

Aber wenn die Phrase von der „Zwecklosigkeit" des ideologischenKampfes bei den Wahlen das „ideologische" Wesen der Kadetten getreuwiedergibt, so ist die folgende Phrase ein Beispiel direkten Wahlschwin-dels. U nte r Au snutzu ng ihres Mon opols als „Op position Seiner Majestät"12

verleumdet die „Retsdb" erstens die Sozialdemokraten, die sich niemalsund nirgends gegen eine Zersplit terung der Stimmen ausgesprochen ha-ben (und die - das ist sehr wichtig - zu r Zeit des ber üh m ten linken Blocksdie Trudowiki mit sich führten, weil sie fest entschlossen waren, koste es,was es wolle, einen sozialdemokratischen Kandidaten aufzustellen), undzweitens verleumdet die „Retsch" auch den Trudowik Wodowosow.

A uß er dem Leitartikel bringt die Nu m m er vom 1. Au gust noch eineBemerkung, in der Wodowosow Äußerungen unterschoben werden, dieWähler hätten sich bereits für die Kadetten ausgesprochen, und die Tru-dowiki sollten entweder für die Kadetten stimmen oder sich der Stimmeenthalten. Erst in der N um m er vom 6. Au gust veröffentlicht das O rgander Partei der „Volksfreiheit" in den letzten Spalten (nach der Rubrik

„Das Leben in der Sommerfrische") einen Brief des Herrn Wodowosow,in dem dieser erklärt , er habe die ihm in den Mund gelegten Worte „nie-mals gesagt". D ie „Retsöh" ist darob aber nicht ein bißchen verlegen, son-dern fängt noch an, gegen Wodowosow zu polemisieren. Was bezwecktwar, wurde erreicht, der Leser ist betrogen, die Monopolstellung der vonden Herren Stolypin genehmigten Presse wurde ausgenutzt, und allesübrige ist völlig gleichgültig. Schließlich erscheinen in der Nummer vom

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14 "W. 3. £,enin

9. August einige Zeilen über den sozialdemokratischen Kandidaten Soko-

low und darüber, daß viele Trudowiki beabsichtigen, ihm ihre Stimmenzu g eben. Alles, was d er Leitartikel vom 1. Au gust bezüglich d er Linkenmitteilt, stellt sich also als reine Zeitun gsen te hera us . . .

Die Schwierigkeiten der Aufgabe, die vor den Petersburger Arbeiternsteht, machen sie nicht bange, sondern veranlassen sie, ihre Anstrengun-gen zu verzehnfachen. Nicht nu r alle Parteiorganisationen, jeder Arb eiter-zirkel, jede mit den Sozialdemokraten sympathisierende Gruppe, in wel-cher Gesellschaftsschicht es auch sei - möge diese Gruppe auch nur auszwei, drei Personen bestehen oder von der direkten polit ischen Arbeit

abgeschnitten sein, wie eben ein russischer Bürger in der Epoche der Stoly-pinschen Verfassung von der Politik abgeschnitten sein kann -, all undjeder kann und muß an der sozialdemokratischen Wahlkampagne teil-nehmen. Die einen verfassen und verbreiten Wahlaufrufe der Sozial-demokraten; andere helfen der Sache durch Verbreitung der Dumaredender Sozialdemokraten; die drit ten organisieren Besuche bei den Wählern,um dort die sozialdemokratischen Ideen zu propagieren und die Aufgabender sozialdemokratischen Wahlkampagne zu erläutern; die vierten spre-chen auf Wählerversammlungen oder in kleinem Kreise; die fünften stel-

len aus der Literatur und den Reden der Kadetten einen Strauß derschönsten Blüten zusammen, der jedem einigermaßen ehrlichen Demo-kraten die Lust, für die Kadetten zu stimmen, vergehen läßt; die sech-sten . . . aber es kom mt un s nicht zu, in einer im Ausland erscheinendenZeitung Wege und Methoden der Agita t ion aufzuzeigen, die an Ort undStelle, in Petersburg, hundertmal reicher, lebendiger und mannigfaltigerausfindig gemacht werden. Die Mitglieder der sozialdemokratischenDumafrakt ion können dank ihrer Ste l lung der Wahlkampagne in St .Petersb urg beson ders wertvolle Dienste leisten; den sozialdemokratischenAbgeordneten fä l l t hier e ine besonders nutzbringende und besondersdankenswerte Funktion zu. Keinerlei administrative Verbote, keinerleiPolizeischikanen, keinerlei Beschlagnahmen sozialdemokratischer Litera-tur, keinerlei Verhaftungen sozialdemokratischer Agitatoren hindern dieArbeiterpartei, ihre Pflicht zu erfüllen: nämlich die Wahlkampagne all-seitig und bis zu Ende auszunutzen, um das ganze, ungekürzte Programmdes sozialistischen Proletariats, des führenden Kämpfers in der russischendemokratischen Revolution, unter den Massen zu propagieren.

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Zu den'Wahlen in Petersburg 15

PS. Unsere Bemerkungen waren bereits in Druck gegeben, als wir inder „Retsdh" vom 13 . Au gust folgende höchst wichtige M itteilung lasen :„Am 11. August fand die erste Versamm lung der Trudow iki statt, die denW ahlen zur Reichsduma gewidmet w a r . . . Es wurde einstimmig be-schlossen, die Kandid atur des Sozialdemokraten Sokolow zu unterstütze n,wobei man festlegte, diese "Unterstützung an keinerlei politisdhe Ver-pflichtungen zu knüpfen." Es bedarf keines Kommentars, daß die Sozial-demokratie zu anderen Bedingungen diese Unterstützung auch nicht an-nehmen könnte .

.Vroletari" 9Jr. 47/48, TSadb dem Jext des „Troletari".

5. (18.) September 1909.

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Ü B E R D I E F R A K T I O N

D ER A N H Ä N G E R DE S O T S O W I S M U S

U N D D E S G O T T B I L D N E R T U M S

Die Genossen Maximow und Nikolajew haben eine Flugschrift unterdem Titel „Bericht der aus der erweiterten Redaktion des ,Proletari' ent-fernten Mitglieder an die Genossen Bolschewiki" herausgegeben. Bitter-böse beklagen sich unsere „Entfernten" beim Publikum darüber, welcheKränkungen ihnen die Redaktion zugefügt und wie diese sie entfernt hat.

Um der Partei der Arbeiterklasse zu zeigen, von welcher Sorte dieseGesellschaft der sich so bitterlich beklagenden „Entfernten" ist, wollen wirvor allem den prinzipiellen Inhalt dieser Flugschrift untersudien. Aus derNr. 46 des „Proletari" und aus der Beilage zu dieser Nummer wissen dieLeser, daß die Beratung der erweiterten Redaktion des „Proletari" denGen. Maximow als einen der Organisatoren der neuen Fraktion in unse-rer Partei einschätzte — einer Fraktion, mit der der Bolschewismus nichtsgemein hat, und daß sie „jegliche Verantwortung für alle politischenSchritte des Gen. Maximow"13 abgelehnt hat. Aus den Resolutionen derBeratung ist ersichtlich, daß die Grundlage der Meinungsverschiedenheitmit der neuen Fraktion, die sich von den Bolschewiki abgespalten hat(oder richtiger: mit Maximow, der sich abgespalten hat, und mit seinenGesinnungsfreunden), erstens der Otsowismus und Ultimatismus undzweitens das Gottbildnertum ist. In drei ausführlichen Resolutionen istdie Auffassung der bolsdiewistisdien Fraktion von der einen wie von der

anderen Strömung dargelegt.Was aber antworten die sich so bitterlich beklagenden „Entfernten" ?

Beginnen wir mit dem Otsowismus. Die „Entfernten" ziehen das Fazitaus den Erfahrungen der parlamentarischen oder der Dumaarbeit in den

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Tiber die Fraktion der Anhä nger des Otsowism us und des Q ottbüdnertums 17

vergangenen Jahren, sie rechtfertigen den Boykott der Bulyginschen und

der W itteschen Du ma sowie die Tei lnahme an der II . Du ma u nd fahrendann fort :

„Bei der wütenden und immer stärker werdenden Reaktion verändert sichall dies wiederum. Die Partei kann dann keine großangelegte und effektvolleWahlkampagne unternehmen, kann dann keine ihrer würdige parlamen-tarische Vertretung erhalten. . ."

Das ist der erste Satz einer selbständigen, nidit aus früheren bolsche-wistischen Veröffentlichungen abgeschriebenen Betrachtung, und uns er-öffnet sich die ganze bodenlose Tiefe des otsowistischen politischen Un-

verständnisses. Überlegt doch mal, Verehrteste, kann die Partei bei derwütenden und immer stärker werdenden Reaktion ein „großangelegtes undeffektvolles" Gefüge von „Instrukteurgruppen und -schulen" für die An-gehörigen der Kampfgruppen errichten, wovon ihr auf derselben Seite,in derselben Spalte eurer Publikation sprecht? überlegt mal, Verehrteste,kann die Partei „eine ihrer würdige Vertretung" in diesen Schulen er-halten? Wenn ihr denken könntet und wenigstens einigermaßen fähigw äret, politisch zu urteilen, oh, ihr ganz zu U nrech t Entfernten, so wü rdetihr bemerken, daß bei euch der größte Blödsinn herauskommt. Statt poli-tisch zu denken, klammert ihr euch an ein „effektvolles" Aushängeschildund ko mm t dadurch in die Lage des dumm en H ans in der Partei. Ihr faseltvon „Instrukteurschulen" und von einer „Intensivierung (!) der Propa-gandatätigkeit in der Armee" (ebenda), weil ihr wie alle anderen poli-tisch Minderjährigen aus dem Lager der Otsowisten und Ultimatistendiese Art der Tätigkeit für besonders „effektvoll" anseht; aber über dieBedingungen wirklicher Anwendung (nicht nur in Worten) dieser Tätig-keitsformen könnt ihr nicht nachdenken. Ihr habt einiges aus bolsche-wistischen Aussprüchen und Losungen auswendig gelernt, aber sie zubegreifen, seid ihr ganz und gar außerstande. „Bei der wütenden und

immer stärker werdenden Reaktion" ist für die Partei jede Arbeit sdhwie-rig; aber wie groß die Schwierigkeiten auch sein mögen, eine würdigeparlamentarische Vertretung zu erlangen ist trotzdem möglido. Dies be-weisen zum Beispiel auch die Erfahrungen der deutschen Sozialdemo-kratie zu Zeiten einer „wütenden und immer stärker werdenden Reak-tion", so unter dem Sozialistengesetz 14 . Wenn Maximow und Co. dieseMöglichkeit abstreiten, offenbaren sie damit lediglich ihre völlige politische

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18 TV.!. Centn

Ignoranz. ^Instrukteurschulen" und „Intensivierung der Propagandatätig-

keit in der Armee" „bei der wütenden und immer stärker werdendenReaktion" empfehlen und zugleich die MögHdbkeü für die Partei leugnen,eine würdige parlamentarische Vertretung zu erlangen, das heißt offen-kundige Widersinnigkeiten verzapfen, die würdig sind, in einen Sam-melband logischer Unsinnigkeiten für Gymnasiasten der unteren Klassenaufgenommen zu werden. Instrukteurschulen wie Intensivierung der Pro-pagandatätigkeit in der Armee bedingen zwangsläufig einen Verstoß gegendie alten Gesetze, den Bruch dieser Gesetze, während die parlamentarischeTätigkeit ganz und gar nidit zwangsläufig und jedenfalls unvergleichlich

seltener den Bruch der alten Gesetze durch die neue gesellschaftliche Kraftbedingt. Nun überlegt, Werteste, wann es leichter ist, die alten Gesetze zudurchbrechen: bei der wütenden und immer stärker werdenden Reaktionoder bei einem Aufschwung der Bewegung? Überlegt, oh, ihr ganz zu Un-recht Entfernten, und schämt euch des Unsinns, den ihr daherredet, wennihr die Otsowisten, die ihr in euer Herz geschlossen habt, verteidigt.

Weiter. Welche Art von Tätigkeit setzt ein größeres Ausmaß an Ener-gie der Massen, einen größeren Einfluß der Massen auf das unmittelbarepolitische Leben voraus - die parlamentarische Tätigkeit nach dem vonder alten Macht geschaffenen Gesetz oder die militärische Propaganda, diedie Instrumente der materiellen Gewalt dieser Macht sogleich und un-mittelbar schädigt? Überlegt, Werteste , und ihr werdet erkennen, daß dieparlamentarische Tätigkeit in dieser Beziehung an zweiter Stelle steht.Und was folgt daraus? Daraus folgt doch, je stärker die unmittelbareBewegung der Massen, je größer das Ausmaß ihrer Energie ist, mitanderen Worten: je mehr man von einem „wütenden und immer stärkerwerdenden" revolutionären Druck des Volkes sprechen kann und nichtvon einer „wütenden und immer stärker werdenden Reaktion", um so ehermöglich, ja unvermeidlich und erfolgreich werden sowohl die Propaganda-

tätigkeit in der Armee wie auch die Kampfaktionen sein, die wirklich mitder Massenbewegung verbunden sind und nicht auf das Abenteurertumungezügelter Terroristen hinauslaufen. Eben deshalb, oh, ihr ganz zuUnrecht Entfernten, vermochte der Bolschewismus die Kampftätigkeit wiedie Propaganda in der Armee besonders stark in der Periode des „wüten-den und immer stärker werdenden" revolutionären Aufschwungs in denVordergrund zu rücken, und eben deshalb vermochte er auch seine Frak-

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Tiber die Traktion der Anbänger des Otsowismus und des QottbiUnertums 19

tian von jenem Revoluzzertum a bzugrenz en (ab 1907), das „bei der w üten-

den und immer stärker werdenden Reaktion" auf Abenteurertum hinaus-lief, unweigerlich darauf hinauslief, und er vermochte diese Abgrenzungbis zum Jahre 1909 endgültig zu machen.

Bei unseren Helden, die Bruchstücke bolschewistischer Thesen auswen-dig gelernt haben, kommt alles verdreht heraus: die höheren Kampf-

formen, die nirgends und niemals in der Welt ohne unmittelbaren Druckder Massen Erfolg haben können, werden zu einer Zeit wütender Reak-tion als „mögliche" Formen an erster Stelle empfohlen, die niederenKampfformen dagegen, die weniger einen unmittelbaren Bruch der Ge-

setze durch den Kampf der Massen als vielmehr eine Ausnutzung de rGesetze für eine Propaganda und Agitation bedingen, die das "Bewußtseinder Massen auf den Kampf vorbereiten, werden als „nicht mögliche" For-men hingestellt!!

Die Otsowisten und ihre „entfernten" Nachbeter haben gehört und sicheingeprägt, daß der Bolschewismus den unmittelbaren Kampf der Massen,de r sogar die A rm ee (d. h. den sta rrsten, am wenigsten beweglichen Teilder Bevölkerung, der vor unserer Propaganda am meisten behütet wirdusw.) in die Bewegung einbezieht und die Kampfaktionen zum wirklichenBeginn des Aufstands macht, als höhere Form der Bewegung, die parla-mentarische Tätigkeit ohne unmittelbare Bewegung der Massen hingegenals niedere Form der Bewegung ansieht; Die Otsowisten und ihre Nach-beter vom Schlage Maximows haben dies gehört und es sich eingeprägt,es aber nicht begriffen und sich deshalb blamiert. Das Höhere - das be-deute das „Effektvolle", meinen der Otsow ist und Gen. M axim ow - nun ,dann will ich eben recht laut, „effektvoll" schreien: dann wird es sicherrevolutionärer als bei allen anderen herauskommen., aber sich zurechtfin-den, wozu und weshalb, das ist vom Übel!

Man höre weiter die Betrachtung Maximows (wir setzen das Zitat ander unterbrochenen Stelle fort):

„Die mechanische Kraft der Reaktion sprengt die Verbindung der bereitsgeschaffenen Parteifraktion mit den Massen und erschwert in erschreckendemMaße den Einfluß der Partei auf die Fraktion; dies aber führt dazu, daß einesolche Vertretung unfähig ist, hinreichend breit und tiefgreifend organisato-rische und propagandistische Arbeit im Interesse der Par tei zu leisten. Bei einerSchwächung der Partei aber ist sogar die Gefahr einer Entartung der Frak-

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20 W. 3. Lenin

tion, ihres Abweichens vom Hauptweg der Sozialdemokratie nidit ausgeschlos-

sen . . . "Ist das nicht außerordentlich reizend? Ist von niederen, im Rahmen des

Gesetzes bleibenden Kampfformen die Rede, dann beginnt man uns so-gleich zu schrecken: „mechanische Kraft der Reaktion", „Unfähigkeit,eine hinreichend breite Arbeit zu leisten", „Gefahr einer Entartung". Istaber von den höheren, die alten Gesetze durchbrechenden Formen desKlassenkampfes die Rede, so verschwindet die „mechanische Kraft derReaktion", es gibt keinerlei „Unfähigkeit", eine „hinreichend breite" Ar-beit in der Armee zu leisten, von der „Gefahr einer Entartung" der In-

strukteurgruppen und -schulen kann, sehen Sie, nicht im mindesten dieRede sein!

Hier haben wir die beste Rechtfertigung für die Redaktion des „Prole-tari", weshalb sie politische Funktionäre, die soldbe Ideen unter den Mas-sen verbreiten, entfernen mu ß te .

Schreibt euch das hinter die O hre n, oh, ihr ganz zu Unrech t Entfe rnten:Wenn tatsächlich eine wütende und immer stärker werdende Reaktionvorhanden ist, wenn die mechanische Kraft dieser Reaktion wirklich dieVerbindung mit den Massen sprengt, eine hinreichend breite Arbeit er-

schwert und die Partei schwächt, so besteht gerade dann die spezifischeAufgabe der Partei darin, die parlamentarische Waffe des Kampfes be-herrschen zu lernen; und dies nicht deshalb, oh, ihr ganz zu Unrecht Ent-fernten, weil der parlamentarische Kampf eine höhere Stufe darstellt alsandere Kampfformen; nein, sondern eben deshalb, weil er gegenüber die-sen eine niedere Form bildet, eine niedrigere beispielsweise als ein Kampf,

d er sogar die Armee in die Massenbewegung einbezieht, der Massen-streiks, Aufstände usw. hervorbringt. Auf welche Weise kann die Meiste-rung einer niederen Kampffonn zur spezifischen (d. h. zu einer die gege-

bene Periode von anderen Perioden unterscheidenden) Aufgabe der Parteiw erde n? A uf solche W eise eb en, daß es, je stärker die mechanische Kraftder Reaktion und je lockerer die Verbindung mit den Massen ist, immerdringender wird, das Bewußtsein der Massen vorzubereiten (nicht aber,unmittelbar zu handeln) und die von der alten TAaänt gesdhaftenen W e g eder Propaganda und Agitat ion auszunutzen (nicht aber unmittelbarerAnsturm der Massen gegen diese alte Macht selbst) .

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Tiber die Fraktion der Anhän ger des Otsowismus und des Qottbildnertums 21

Für jeden Marxisten, der sich auch nur einigermaßen mit der Weltan-schauung von Marx und Engels beschäftigt hat, für jeden Sozialdemo-kraten, der auch nur einigermaßen die Geschichte der internationalensozialistischen Bewegung kennt, stellt diese Umwandlung einer der niedri-gen Formen des Kampfes in ein spezifisches Kampfmittel einer besonde-ren historischen Periode überhaupt nichts Verwunderliches dar. Die Anar-chisten waren absolut nicht in der Lage, diese einfache Sache jemals zuverstehen. Jetzt suchen unsere Otsowisten und ihre „entfernten" Nach-beter die Denkmethoden des Anarchismus in die Reihen der russischen

Sozialdemokratie hineinzutragen und schreien (wie Maximow und Co.),daß beim „Proletari" die Theorie des „Parlamentarismus um jeden Preis"herrsche.

Um zu erklären, bis zu welchem Grade dieses Geschrei von Maximowund Co. unvernünftig und unsozialdemokratisch ist, muß man wieder ein-mal von vorn anfangen, üb erleg t mal, oh, ihr ganz zu Unrecht Entfernten,worin besteht der spezifische Unterschied in der Politik und Taktik derdeutschen Sozialdemokratie gegenüber den sozialistischen Arbeiterpar-teien der anderen Länder? Ausnutzung des Parlamentarismus, Umwand-

lung des bürgerlich-junkerlichen Parlamentarismus (auf russisch e twa: desParlamentarismus der Oktobristen und Schwarzhunderter) in ein Instru-ment zur sozialistischen Erziehung und Organisierung der Arbeiter-massen. Bedeutet das, daß der Parlamentarismus die höchste Kampfformdes sozialistischen Proletariats ist? Die Anarchisten der ganzen Welt mei-nen, daß es das bedeute. Bedeutet das, daß die deutschen Sozialdemokra-ten auf dem Standpunkt des Parlamentarismus um jeden Preis stehen?Die Anarchisten der ganzen W elt meinen, daß es das bedeute, und darumhaben sie keinen verhaßteren Feind als die deutsche Sozialdemokratie,

darum haben sie keine beliebtere Zielscheibe als die deutschen Sozial-demokraten. Und in Rußland versuchen unsere Sozialrevolutionäre, wennsie beginnen, mit den Anarchisten zu liebäugeln und ihren „revolutionärenGeist" zu preisen, unbedingt diese oder jene wirklichen oder vermeint-lichen Fehltritte der deutschen Sozialdemokraten hervorzuziehen und dar-aus Schlußfolgerungen gegen die Sozialdemokratie abzuleiten.

Gehen wir nun weiter. Worin liegt der Fehler in der Überlegung der

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22 W . 3. Lenin

Anarchisten? Darin, daß sie es nicht verstehen - infolge grundfalscherVorstellungen vom Verlauf der gesellschaftlichen Entwicklung -, die Be-sonderheiten der konkreten politischen (und ökonomischen) Lage in denverschiedenen Ländern zu berücksichtigen. Das aber ist die Voraussetzungdafür, ob dieses oder jenes Kampfmittel in einem bestimm ten Zeitab-

schnitt eine spezifische B edeutung erhält. In Wirklichke it steh t die deutscheSozialdemokratie nicht nur keineswegs auf dem Standpunkt des Parla-mentarismus um jeden Preis, ordnet sie nicht nur keineswegs alles undjedes dem Parlamentarismus unter, sondern umgekehrt: gerade sie hatam besten in der internationalen Armee des Proletariats solche außer-parlamentarischen Kampfmittel entwickelt wie die sozialistische Presse,die Gewerkschaften, die systematische Ausnutzung der Volksversamm-lungen, die Erziehung der Jugend im sozialistischen Geist usw. usf.

Worin besteht denn hier das Wesen der Sache? Darin, daß die Gesamt-heit einer ganzen Reihe historischer Bedingungen den Parlamentarismusfür Deutschland in einer bestimmten Periode zu einem spezifischen Kampf-

mittel gemacht hat, nicht zum hauptsächlichen, höchsten, bedeutendenund im Vergleich zu den anderen wesentlichen, sondern eben zu einemspezifischen und im Vergleich zu anderen Ländern höchst charakteristi-schen. Die Fähigkeit, den Parlamentarismus auszunutzen, erwies sich

deshalb als Symptom (nicht als Bedingung, sondern als Symptom) einervorbildlichen Organisation der gesamten Sache des Sozialismus in allihren von uns oben aufgezählten Verzweigungen.

Gehen wir nun von Deutschland zu Rußland über. Diejenigen, die aufden Geda nken kä men, die Bedingungen des einen und des anderen L andesvollkommen gleichzusetzen, würden eine ganze Reihe schwerwiegenderFehler begehen. Aber versucht einmal die Frage so zu stellen, wie sie einMarxist stellen muß: Worin besteht die spezifische Besonderheit der Poli-tik und Taktik der russischen Sozialdemokraten in der gegenwärtigen

Periode? Wir müssen die illegale Partei erhalten und festigen, wie es vorder Revolution gewesen ist. Wir müssen die Massen ständig auf eine neuerevolutionäre Krise vorbereiten, wie in den Jahren 1897-1903. Wir müs-sen die Verbindung der Partei mit der Masse auf jede Art und Weisefestigen, für die Ziele des Sozialismus alle nur möglichen Arbeiterorgani-sationen fördern und ausnutzen, wie das ständig und überall alle sozial-demokratischen Parteien tun müssen. Die spezifische Besonderheit der

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Tiber die Fraktion der Anhänger des Otsowismus und des Q ottbildnertutns 23

gegenwärtigen Periode ist gerade der Versuch (und ein erfolgloser Ver-such) der alten Selbstherrschaft, die neuen historischen Aufgaben mitHilfe der Duma der Oktobristen und Schwarzhunderter zu lösen. Daherist auch für die Sozialdemokraten die Ausnutzung dieser Duma für ihreeigenen Zwecke, für die Verbreitung der Ideen der Revolution und derIdeen des Sozialismus, die spezifische Aufgabe der Taktik. Das Wesent-liche besteht nicht darin, daß diese spezifische Aufgabe eine besondershoh e ist, daß sie weite P erspektiven eröffnet, da ß sie ihrer Bedeutung nachjenen Aufgaben gleichkommt oder wenigstens nahekommt, vor denen dasProletariat zum Beispiel in den Jahren 1905/1906 stand. Nein. DasWesentliche besteht darin, daß das eine Besonderheit der Taktik der ge-

genwärtigen Periode ist, daß diese Taktik sich von der vergangenen undder kommenden Periode unterscheidet (denn diese kommende Periodewird uns sicher spezifische Aufgaben bringen, die komplizierter, höherund interessanter sind als die Aufgabe, die III . Du ma auszu nutzen ). Ma nkann die Gegenwart nicht meistern und jene Aufgaben in ihrer Gesamt-heit nicht lösen, die die Gegenwart der sozialdemokratischen Partei stellt,ohne diese spezifische Aufgabe der Gegenwart gelöst zu haben, ohne dieDuma der Schwarzhunderter und Oktobristen in ein Instrument der so-zialdemokratischen Agitation verwandelt zu haben.

Die otsowistischen Schwätzer plappern zum Beispiel den Bolschewikinach, daß Schlußfolgerungen aus den Erfahrungen der Revolution gezo-gen werden müssen. Aber sie verstehen nicht, was sie reden. Sie verstehennicht, daß zu den Schlußfolgerungen aus den Erfahrungen der Revolu-tion auch die Verfechtung der Ideale sowie der Aufgaben und Methodender Revolution von der Duma aus gehört. Es nicht verstehen, von derDuma aus durch unsere Parteiarbeiter, die in diese Duma gelangen kön-nen und die schon in ihr sind, diese Ideale, Aufgaben und Methoden zuverfedbten - heißt nicht verstehen, den ersten Schritt zu politischen Schluß-

folgerungen aus den Erfahrungen der Revolution zu tun (denn es handeltsich hier selbstverständlich nicht um theoretische Schlußfolgerungen, umSchlußfolgerungen in Büchern und Forschungsarbeiten). Mit diesem erstenSchritt ist unsere Aufgabe keineswegs und keinesfalls erschöpft. Unver-gleichlich wichtiger als der erste Schritt werden der zweite und dritteSchritt sein, d. h. die U mw andlun g der schon von den Massen angeeig-neten Erfahrungen in geistiges Rüstzeug für neues historisches Handeln.

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24 W . 1. Lenin

Wenn aber diese otsowistischen Schwätzer selber von einer Periode „zwi-

schen zwei Revolutionen" sprechen, so müßten sie verstehen (wenn siedenken könnten, auf sozialdemokratische Art urteilen könnten), daß„zwischen zwei Revolutionen" eben bedeutet, daß elementare, prälimi-

näre Aufgäben auf der Tagesordnung stehen. „Zwischen zwei Revolutio-nen" ist die Charakterisierung für eine unbeständige, unbestimmte Situa-tion, in der die alte Macht, nachdem sie sich von der Unmöglichkeitüberzeugt hat, allein mit Hilfe der alten Mittel zu regieren, versucht, einneues Mittel im allgemeinen Rahmen der alten Ordnung zu gebrauchen.Das ist ein innerlich widersprüchlicher, untauglicher Versuch, der dieSelbstherrschaft erneut und unvermeidlich zum Fiasko führt, der uns zurWiederholung der ruhmreichen Epoche und der ruhmreichen Schlachtendes Jahres 1905 führt. Aber das verläuft nidht so wie in den Jahren von1897 bis 1903, führt das Volk nidht so zur Revolution wie vor 1905.Ge rade dieses „nidit so" m uß man verstehen kön nen; man m uß verstehen,seine Taktik abzuändern und allen grundlegenden, allgemeinen, vor-dringlichen und sehr wichtigen Aufgaben der revolutionären Sozialdemo-kratie noch eine, nicht sehr große, doch spezifische Aufgabe der gegen-wärtigen Zeit, einer neuen Zeit hinzuzufügen: die Aufgabe der revolutio-när-sozialdemokratischen Ausnutzung der Schwarzhunderterduma.

Wie jede neue Aufgabe, scheint diese schwerer zu sein als die anderen,denn sie verlangt von den Menschen keine einfache Wiederholung aus-wendig gelernter Losungen (bei den Otsowisten und Maximow reicht derGeist nicht weiter als bis zu dieser Wiederholung), sondern eine gewisseInitiative, Beweglichkeit des Verstandes, Findigkeit, selbständige Arbeitan einer neu entstandenen historischen Aufgabe. Aber in Wirklichkeitkann diese Aufgabe nur denjenigen besonders schwierig erscheinen, dienicht selbständig zu denken und selbständig zu arbeiten vermögen: inWirklichkeit ist diese Aufgabe, wie jede spezifische Aufgabe eines Zeit-abschnitts, leichter als die anderen, denn ihre Lösbarkeit ist eben in denBedingungen des gegebenen Zeitabschnitts beschlossen. In der Periodeder „wütenden und immer s tärker werdenden Reaktion" kann man dieAufgabe der wirklich ernsthaften Organisation von „Instrukteurschulenund -gruppen", d. h. einer solchen Organisation, bei der sie wirklich mitder Massenbewegung verbunden und ihr wirklich untergeordnet wären,ganz und gar nidnt lösen, denn die Aufgabe ist töricht gestellt und von

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Tibet die Fraktion der Anhänger des Otsowismus und des Q ottbildnertums 25

Leuten gestellt, die die Formulierung dieser Aufgabe von einer guten

Broschüre abgeschrieben h aben, die aber von den Bedingungen einer ande-re n Periode ausgegangen ist. Aber die Aufgabe der Unterordnung derReden, der Aktionen und der Politik der Sozialdemokraten in der III.Duma unter die Massenpartei und die Interessen der Massen kann manlösen. Sie ist nicht leicht, wenn man als „leicht" die Wiederholung vonauswendig Gelerntem ansieht, aber sie ist durdofübrbar. Wie sehr wirjetzt auch alle Kräfte der Partei anspannen mögen, wir könnten die Auf-gabe der sozialdemokratischen (und nicht anarchistischen) Organisierungvon „Instrukteurschulen" in der gegenwärtigen Periode „zwischen zweiRevolutionen" nicht lösen, denn zur Lösung dieser Aufgabe sind ganz

andere historische Bedingungen erforderlich. Umgekehrt, wenn wir alleKräfte anspannen, werden wir die Aufgabe der revolutionär-sozialdemo-kratischen Ausnutzung der III . Duma lösen (und wir beginnen schon, siezu löse n), wir werd en sie nicht dazu lösen, oh, ihr durch die „Entfern ung"beleidigten und von Gott gekränkten Otsowisten und Ultimatisten! - umden Parlamentarismus auf irgendein hohes Postament zu heben, um „denParlamentarismus um jeden Preis" zu verkünden, sondern um nach derLösung der „zwischenrevolutionären" Aufgabe, die der gegenwärtigenPeriode „zwischen zwei Revolutionen" entspricht, zur Lösung höherer

revolutionärer Aufgaben überzugehen, die der morgigen, höheren, d. h.revolutionäreren Periode entsprechen.

III

Besonders kurios ist dieses alberne Geschrei von Maximow und Co.über den „Parlamentarismus um jeden Preis" bei den Bolschewiki, wennman es vom Standpunkt der wirklichen Geschichte des Otsowismus ausbetrachtet. Kurios ist, daß von einer Ub ersd iätzu ng des P arlamentarismus

gerade jene Leute schreien, die ausschließlich auf Grund ihrer Stellungzum Parlamentarismus eine besondere Richtung geschaffen haben undnoch schaffen! Wie nennt ihr euch denn selbst, verehrteste Maximow undCo.? Ihr nennt euch selbst „Otsowisten", „Ultimatisten", „Boykottisten".Maximow ist bis heute noch ganz entzückt von sich, weil er für den Boy-kott der III. Duma gewesen ist, und seine seltenen Stellungnahmen in derPartei tragen unbedingt die Unterschrift „Spredier der Boykottisten auf

3 Lenin, W erke , Bd. 16

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26 rW. 1 Lenin

der Julikonferenz 1907"15 . Anno dazumal unterzeichnete ein Schriftsteller:

„Wirklicher Staatsrat und Kavalier". Maximow unterzeichnet: „Sprecherder Boykottisten" - auch ein Kavalier!

In jener politischen Situation im Juni 1907, als Maximow für den Boy-kott eintrat, war der Fehler noch ganz, ganz winzig. Aber wenn Maxi-mow im Juli 1909, in einer Art Manifest, weiterhin von seinem „Boykottis-m us" gegenüber der III. D um a entzückt ist , dann ist das schon eine aus-gemachte Du mm heit. Boykottismus wie Otsow ismus, wie Ultimatismus -allein schon diese Bezeichnungen bedeuten die Schaffung einer Ridlrtungauf Grund der Stellung zum Parlamentarismus und nur auf Gr und die-

ser Stellung. Aber sich in dieser Frage abzusondern, sich nach wie vor ab-zusondern (zwei Jahre, nachdem die Partei die Angelegenheit im Prinzipentschieden hat!), das ist ein Zeichen maßloser Engstirnigkeit . Geradejene, die so handeln, d.h. die „Boykottisten" (von 1909) wie die Otso-wisten und die Ultimatisten, beweisen damit, daß sie nicht sozialdemo-kratisch urteilen, daß sie den Parlamentarismus auf ein besonderes Posta-ment heben, daß sie ganz analog den Anarchisten aus einzelnen Rezepteneine Richtung schaffen: jene Duma boykottieren, aus dieser Duma abbe-rufen, jener Dumafraktion ein Ultimatum stellen. So handeln heißt eben,die Karikatur auf einen Bolschewiken zu sein. Bei den Bolschewiki wirddie Richtung durch ihre allgemeine Auffassung von der russischen Revo-lution bestimmt, und tausendmal haben die Bolschewiki hervorgehoben(die politisch Unreifen gleichsam von vornherein warnend), daß es eineunsinnige Verfälschung und Verflachung der Anschauungen der revolutio-nären Sozialdemokratie bedeutet, den Bolschewismus mit Boykottismusoder Revoluzzertum zu identifizieren. Unsere Auffassung, daß die Teil-nahm e der Sozialdemokraten an de r III. D um a no twend ig ist , ergibt sichbeispielsweise unumgänglich aus unserer Auffassung von der gegenwärti-gen Lage, von den Versuchen der Selbstherrschaft, einen Schritt vorwärts

zu tan auf dem Wege zur Errichtung einer bürgerlichen Monarchie, vonder Bedeutung der Duma als Organisation der konterrevolutionären Klas-sen in einer Vertretungskörperschaft in gesamtnationalem Maßstab. Sowie die Anarchisten einen parlamentarischen Kretinismus mit umgekehr-tem Vorzeichen an den Tag legen, wenn sie die Frage des Parlaments ausdem zusammengehörenden Fragenkomplex der bürgerlichen Gesellschaftüberhaupt aussondern und aus dem Geschrei gegen den bürgerlichen Par-

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Tiber die Fraktion der Anbänger des Otsowismus und des Qottbildnertums 27

lamentarismus eine Richtung zu machen suchen (obgleich die Kritik am

bürgerlichen Parlamentarismus im Prinzip der Kritik an der bürgerlichenPresse, an der bürgerlichen Gewerkschaftsbewegung usw. gleichgeartetist), legen unsere Otsowisten-Ultimatisten-Boykottisten einen ebensolchenMenschewismus mit umgekehrtem Vorzeichen an den Tag, wenn sie sichin der Frage der Stellung zur Duma, in der Frage der Mittel des Kampfesgegen die Abweichungen der sozialdemokratischen Dumafraktion (undnicht gegen die Abweichungen bürgerlicher Publizisten, die der Sozial-demokratie im Vorübergehen eine Stippvisite abstatten, usw.) zu einerRichtung formieren.

Ins Unermeßliche wuchs sich dieser parlamentarische Kretinismus mitumgekehrtem Vorzeichen in der bekannten Äußerung des Führers derMoskauer Otsowisten aus, der von Maximow gedeckt wird: die Abberu-fung der Fraktion solle hervorheben, daß die Revolution nicht zu Grabegetragen sei! Und Maximow geniert sich nicht, erhobenen Hauptes öffent-lich zu erklären: „Die Otsowisten haben sich niemals (oh, natürlich,niemals!) im Sinne eines Antiparlamentarismus schlechthin ausge-sprochen."

Diese Deckung der Otsowisten durch Maximow und Co. bildet einen

der charakteristischsten Züge, die das Antlitz der neuen Fraktion bestim-men, und wir müssen auf diesen Zug deshalb ausführlicher eingehen, weilnichtinformierte Leute den sich bitterlich beklagenden „Entfernten" be-sonders oft auf den Leim gehen. Die Deckung besteht erstens darin, daßMaximow und Co., sich an die Brust schlagend, beständig erklären: Wirsind keine Otsowisten, wir teilen ganz und gar nicht die Auffassungen derOtsowisten! Zweitens beschuldigen Maximow und Co. die Bolschewild,daß sie den Kampf gegen die Otsowisten übertrieben. Es wiederholt sichhaargenau die Geschichte mit der Einstellung der Leute vom „RabotschejeDe lo" [Arbeitersache] zu den Leuten der „Rabotschaja Mysl" [Arbeiter-gedanke] (1897-1901). Wir sind keine Ökonomisten - r iefen, sich an dieBrust schlagend, die Leute vom „Rabotscheje Delo" -, wir teilen nicht dieAnschauungen der „Rabotsdbaja Mysl", wir streiten m it ihr (ebenso wieMaximow mit den Otsowisten „stritt"!) - das haben uns nur die bösenIskristen angedichtet, sie haben uns verleumdet, haben den Ökonomismus„aufgebauscht" usw. usw. usf. Deshalb befanden sich unter den Leutender „Rabotschaja Mysl" - offenen und ehrlichen Ökonomisten - nicht

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28 IV . 1. Lenir.

wenige, die an ihre irrtümliche Meinung aufrichtig glaubten und sich nicht

scheuten, ihre Meinung zu verfechten, und denen man die Achtung nichtversagen konnte, während bei der Clique des „Rabotscheje Delo" imAusland ein ganz spezifisches Intrigantentum dominierte, ein Verwischender Spuren, ein Versteckspielen, ein Irreführen der Öffentlichkeit. Ganzgenauso ist das Verhältnis der konsequenten und offenen Otsowisten (wieder in Parteikreisen bekannten Wsew.1 6 und Stan.17 ) und der GruppeMaximows im Ausland zueinander.

Wir sind keine Otsowisten, schreit diese Kumpanei. Aber man lassejeden beliebigen von ihnen ein paar Worte über die gegenwärtige politische

Lage und die Aufgaben der Partei sagen, und man wird ganz genau alleotsowistischen Ansichten zu hören bekommen, etwas verwässert (wie wirbei Maximow gesehen haben) mit jesuitischen Vorbehalten, mit Hinzu-fügungen und Abstreichungen, mit Abschwächungen und Konfusionenu. dgl. m. D ieses jesuitische Ge hab e aber be w ahr t euch, oh, ihr gan z z uUnrecht Entfernten, nicht davor, des otsowistischen Unverständnisses be-schuldigt zu werden, sondern verzehnfacht eure Schuld; denn der ver-schleierte ideologische Wirrwarr demoralisiert das Proletariat hundertmalmehr, schadet der Partei hundertmal mehr.*

Wir sind keine Otsowisten, schreien Maximow und Co. Dabei aberbildete M aximo w im Juni 1908, als er aus der engeren Redaktion des „Pro -letari" ausgeschieden war, eine offizielle Opposition innerhalb des Kolle-giums, forderte und erhielt Diskussionsfreiheit für diese Opposition, for-derte und erhielt eine besondere Vertretung für die Opposition in denwichtigsten Exekutivorganen der Organisation, die mit der Verbreitungder Zeitung zu tun hatten. Es versteht sich von selbst, daß alle Otsowisteneben von diesem Z eitp unk t an , d. h. länger als ein Jahr , ständig dieserOpposition angehörten, die gemeinsam eine russische Agentur organi-

* Ein kleines Beispiel, das, nebenbei bemerkt, die Behauptungen M aximowsillustriert, als ob allein der „Proletari" aus Bosheit die Ultimatisten verleumde.Im Herbst 1908 wohnte Alexinski dem Parteitag der polnischen Sozialdemo-kraten bei und schlug dort eine ultimatistisdhe Resolution vor. Dies geschah,bevor im „Proletari" die scharfe Kampagne gegen die neue Fraktion eingeleitetwurde. Und was ergab sich? Die polnischen Sozialdemokraten machten sichüber Alexinski und seine Resolution lustig und sagten ihm: „Sie sind einfachein feiger Otsowist und weiter nichts."

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Vlber die Fraktion der Anhäng er des Otsowismus und des Q ottbildnertums 29

sierte, gemeinsam für die Ziele dieser Agentur eine Schule im Ausland

(über sie später) einriditete usw. usf.Wir sind keine Otsowisten, schreien Maximow und Co. Dabei aber ge-schah es auf der Gesamtrussischen Parteikonferenz im Dezember 1908,als die ehrlicheren Otsowisten aus dieser Opposition sich vor der ganzenPartei zu einer besonderen Gruppe, zu einer besonderen ideologischenStrömung formierten und als solche das Recht erhielten, einen eigenenSprecher zu nominieren (auf der Konferenz wurde beschlossen, daßwegen der Kürze der Zeit lediglich besondere ideologisdie Strömungenoder besondere Organisationen einen besonderen Sprecher nominierendurften), daß als Sprecher der otsowistischen Fraktion - aus rein zufälli-gen Gründen! aus absolut zufälligen Gründen! — Qen. Maximow fun-g ier te . . .

Die Auslandsgruppe Maximows betrügt die Partei systematisch, indemsie den Otsowismus verbirgt. Im Mai 1908 erlitt der Otsowismus im offe-nen Kampf eine Niederlage: die Stadtkonferenz in Moskau (in diesemBezirk waren im Juli 1907 fast ausnahmslos alle Sozialdemokraten Boy-kottisten, die allerdings zum Unterschied von Maximow bereits bisJuni 1908 begriffen hatten, daß ein Beharren auf dem „Boykott" der III.Duma eine unverzeihliche Dummheit wäre) brachte ihn mit 18 gegen 14Stimmen zu Fall. T)anado organisiert Gen. Maximow im Ausland in allerForm eine Opposition gegen den „Proletari" und beginnt eine bis dahinnoch nicht praktizierte Diskussion in den Spalten des bolschewistischenPresseorgans. Und siehe, als sidi im Herbst 1908 bei den Wahlen zurGesamtrussischen Konferenz die gesamte Petersburger Organisation inOtsowisten und Nichtsowisten (nach einem Ausdruck der Arbeiter)spaltet, als in allen Bezirken und Unterbezirken von Petersburg Diskus-sionen über die Plattform nicht etwa der Bolsdiewiki und Mensdiewiki,sondern der Otsowisten und Niditsowisten geführt werden, da versteckt

man die Plattform der Otsowisten vor den Blicken der Öffentlichkeit.Dem „Proletari" wird sie nidit mitgeteilt. In Druck wird sie nicht gegeben.Auf der Gesamtrussischen Konferenz im Dezember 1908 gibt man sie derPartei nicht bekannt. Lediglidj nach der Konferenz, auf Grund nach-drücklidier Forderungen der Redaktion, wurde uns diese Plattform zu-gestellt und von uns in Nr. 44 des „Proletari" abgedruckt („Resolution derPetersburger Otsowisten") .

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30 "W. 1. Lenin

Im Moskauer Gebiet „redigierte" der allen bekannte Führer der Otsowi-

sten den in Nr. 5 des „Rabotscheje Snamja"18

veröffentlichten Artikel einesotsowistischen Arbeiters; doch die eigene Plattform dieses Führers habenwir bislang noch nicht erhalten. Uns ist wohlbekannt, daß man bereits imFrühjahr 1909, als die Gebietskonferenz des Zentralen Industriebezirksvorbereitet wurde, die Plattform des Führers der Otsowisten las und daßsie von Hand zu Hand ging. Uns ist aus Mitteilungen von Bolschewiki be-kannt, daß diese Plattform unvergleichlich mehr Perlen nichtsozialdemo-kratischen Denkens enthält als die Petersburger. Den 7ext der Plattform

hat man uns allerdings nidht zugestellt, wahrscheinlich auch aus ebensolch

zufälligen, ganz zufälligen Gründen, aus denen Maximow auf der Kon-ferenz als Bevollmächtigter der Fraktion der Otsowisten gesprochen hat.

Die Frage der Ausnutzung der legalen Möglichkeiten haben Maximowund Co. ebenfalls mit der „glatten" Phrase verschleiert, daß sich das ja„von selbst versteht". Interessant wäre zu erfahren, „versteht sich dasvon selbst" jetzt auch für die Qen. Ljadow und Stanislaw, praktisch dieFührer der Maximowschen Fraktion, die nodh vor drei Monaten in demsich damals in ihren Hä nd en befindlichen Geb ietsbüro des Ze ntrale n In-dustriegebiets (das Gebietsbüro h atte die gleiche Zusam men setzung, in der

es die ominöse „Schule" bestätigte, seine Zusammensetzung hat sichinzwischen verändert) eine Resolution gegen die Beteiligung der So-

zialdemokraten am Kongreß der Betriebsärzte19 durchsetzten. Bekanntlichw ar dies der erste Kongreß, auf dem die revolutionären Sozialdemokratenin der Mehrheit waren. Und gegen die Beteiligung an diesem Kongreßagitierten alle führenden Otsowisten un d U ltimatisten und stellten die Be-teiligung an ihm als einen „Verrat an der Sache des Proletariats" hin.M ax im ow jedoch verwischt die Spuren - „das versteht sich von se lbst".„Es versteht sich von selbst", daß die unverhohlenen Otsowisten und Ul-timatisten die praktische Arbeit in Rußland offen untergraben, Maximowund Co. jedoch, denen die Lorbeeren Kritschewskis und Martynows keineRuhe lassen, vertuschen das Wesen .der Sache: es bestünden keinerleiMeinungsverschiedenheiten, es gebe keinerlei Gegner der Ausnutzung derlegalen Möglichkeiten.

Die Wiederherstellung der Parteiorgane im Ausland, der Auslands-gruppen zur Organisierung der Verbindungen usw. führt unweigerlichauch zur Wiederholung der alten Mißbräuche, gegen die ganz schonungs-

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Tiber die Fraktion der Anhänger des Otsowismus und des Q ottbildnertums 31

los gekämpft werden muß. Es wiederholt sich bis aufs I-Tüpfelchen dieGeschichte mit den „Ökonomisten", die in Rußland gegen den politischenKampf agitierten und sich im Ausland hinter dem „Rabotscheje Delo"versteckten. Es wiederholt sich bis aufs I-Tüpfelchen die Geschichte mitdem bürgerlich-demokratischen „Cre do " (Credo = Glaub ensbeken ntnis),das in Rußland von Prokopowitsch und Co. propagiert und gegen denWillen der Verfasser von den revolutionären Sozialdemokraten in derPresse veröffentlicht wurde. Nichts vermag die Partei mehr zu demo-ralisieren als dieses Versteckspiel, als diese Ausnutzung der schwierigenBedingungen der illegalen Arbeit gegen die Parteiöffentlichkeit, als dieserJesui tismus, wenn M aximow und Co. , ganz und gar und in allem Hand in

Hand mit den Otsowisten handelnd, sich in der Presse an die Brust schla-gen und glauben machen wollen, daß dieser ganze Otsowismus absichtlichvom „Proletari" aufgebauscht wird.

Wir sind keine Rechtsverdreher, kerne Formalisten, sondern Menschender revolutionären Arbeit . Uns kommt es nicht auf Unterschiede in Wor-ten an, die man zwischen dem O tsowism us, Ultimatismus un d „Boykottis-mus" (der III. Duma) feststellen könnte. Uns kommt es auf den tatsäch-lichen Inhalt der sozialdemokratischen Propaganda und Agitation an.Und wenn in den il legalen russischen Zirkeln unter dem Aushängeschild

des Bolschewismus Ansichten verbreitet werden, die weder mit demBolschewismus noch mit dem Sozialdemokratismus übe rhau pt etwas gemeinhaben, so handeln die Leute, die eine völlige Entlarvung dieser Ansich-ten, eine völlige Aufdeckung deren Fehlerhaftigkeit vor der ganzen Parteiverhindern, so handeln solche Leute wie Feinde des Proletariats.

IV

In der Frage des Gottbildnertums haben diese Leute ebenfalls ihr

wahres Gesicht gezeigt. Die erweiterte Redaktion des „Proletari" hatzwei Resolutionen zu dieser Frage gefaßt und veröffentlicht: eine zumWesen der Sache, die andere speziell anläßlich des Protestes von Maxi-mo w. Fragt sich, was sagt denn dieser Maxim ow n un in seinem „Bericht"?Er schreibt den „Bericht", um die Spuren zu verwischen, ganz im Geistejenes Diplomaten, der erklärte, die Sprache sei dem Menschen gegeben,um seine Gedanken zu verbergen20 . Man verbreitet irgendwelche „falschen

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32 19.7. Lenin

Angaben" über die „angeblich gottbildnerische" Richtung der Maximow-

schen Kumpanei, das ist auch schon alles.„Falsche Angaben", sagen Sie? O nein, Verehrtester, Sie haben dochdeshalb hier die Spuren verwischt, weil Sie ausgezeichnet um die völligeRichtigkeit der „Angaben" hinsichtlich des Gottbildnertums wissen, überdie der „Proletari" verfügt. Sie wissen ausgezeichnet, daß diese „An-gaben", wie dies auch in der veröffentlichten Resolution dargelegt ist,sidi vor allem auf die literarischen Werke beziehen, die von Jbrer Litera-tenkumpanei stammen. Diese literarischen Werke sind mit absoluterGenauigkeit in unserer Resolution angeführt; nicht hinzugefügt ist ledig-

lich - und das konnte in der Resolution nicht hinzugefügt werden -,daß seit etwa anderthalb Jahren in den führenden Kreisen der Bolsche-wiki heftigste Unzufriedenheit über das „Gottbildnertum" Ihrer Mit-arbeiter geäußert wird und daß die neue Fraktion der Karikaturen auf dieBolschewiki uns gerade auf diesem Boden (außer dem oben aufgezeigten)mit Winkelzügen, Tricks, Schikanen, Forderungen und Schlichen jedeMöglichkeit einer Arbeit vergällt hat. Einer der bemerkenswertestenSchliche ist Maximow besonders gut bekannt, denn das ist der an dieRedaktion des „Proletari" geschriebene und in aller Form an sie ein-gereichte Protest gegen die Veröffentlichung des Artikels „Keine Ge-meinsamkeit" (Nr. 42 des „Proletari"). Vielleicht sind das auch „falscheAngaben", oh, ganz zu Unrecht Entfernter? Vielleicht war das auch ein„angeblicher Protest"?

Nein, wissen Sie, eine Politik der Verwischung der Spuren glückt nichtimmer, und in unserer Partei wird sie Ihnen niemals glücken. Es hatkeinen Sinn, Versteck zu spielen und zu versuchen, affektiert ein Ge-heimnis aus dem zu machen, was jedem bekannt ist, der sich für dierussische Literatur und die russische Sozialdemokratie interessiert. Es gibteine Kumpanei von Literaten, die mit Hilfe einiger bürgerlicher Verlageunsere legale Literatur mit einer systematischen Propaganda des Gott-bildnertums überflutet. Zu dieser Kumpanei gehört auch Maximow. DiesePropaganda wurde gerade während der le tzten anderthalb Jahre syste-matisch betrieben, als es für die russische Bourgeoisie bei der Verfolgungihrer konterrevolutionären Ziele nötig wurde, die Religion zu beleben,die Nachfrage nach Religion zu heben, Religion zu erfinden, dem Volkedie Religion einzuimpfen oder sie auf neue Art im Volke zu festigen.

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Vber die Fraktion der Anhänger des Otsowismus und des Qottbildnertums 33

Die Propaganda des Gottbildnertums nahm deshalb gesellschaftlichen,politischen Charakter an. So wie die bürgerliche Presse in der Periodeder Revolution die eifrigsten Menschewiki für ihre Kadettenliebe umarmtund geküßt hat, so umarmt und küßt die bürgerlidie Presse in der Periodeder Konterrevolution die Gottbildner aus den Reihen - ein dicker Brok-ken! - aus den Reihen der Marxisten und sogar aus den Reihen der„Auch-Bolschewiki". Und als das offizielle Organ des Bolsdiewismus ineinem redaktionellen Artikel erklärte, daß es zwisdien dem Bolsdiewismusund derart iger Propaganda keine Gemeinsamkeit gibt (diese Erklärungwurde in der Presse gegeben, nachdem ungezählte Versuche, durchBriefe und persönlidie Gespräche die Einstellung der schändlidien Pro-paganda zu veranlassen, mißglückt waren) - da legte Gen. Maximowin aller Form einen schriftlichen Protest bei der Redaktion des „Proletari"ein. Er, Maximow, sei vom Londoner Parteitag gewählt worden, und des-halb sei sein „erworbenes Redit" von denen verletzt worden, die eswagten, sich offiziell von der sdiändlichen Propaganda des Gottbildner-tums zu distanzieren. „Ja, befindet sidi denn unsere Fraktion in derHörigkeit der gottbildnerischen Literaten!" Diese Bemerkung entschlüpftebei einem heftigen Auftritt in der Redaktion dem Qen. !Marat2i - ja, ja,demselben Gen. Marat, der so bescheiden, wohlwollend, versöhnlich, so

gutherzig ist, daß er bis heute noch nidit ordentlich entscheiden kann,ob er mit den Bolsdiewiki oder mit den „göttlichen" Otsowisten gehensoll.

Oder sind das vielleicht auch alles „falsche Angaben", oh, ganz zu Un-recht entfernter Maximow? Es gibt gar keine Kumpanei gottbildnerischerLiteraten, Sie haben diese niemals in Schutz genommen, Ihren Protestgegen den Artikel „Keine Gemeinsamkeit" hat es gar nicht gegeben?O d e r ?

Von „falsdien Angaben" hinsichtlich der gottbildnerisdien Richtung

spricht Gen. Maximow in seinem „Bericht" über die Auslandssdhule , dievon dec neuen F raktion eingeriditet wird. Gen . M axim ow h ebt diese „Ein-r iditung der ersten (hervorgehoben von Maximow) Parteischule im Aus-land" so beharrlich hervor, führt die öffentlidikeit in dieser Frage so be-harrlidi an der Nase herum, daß über die ominöse „Sdiule" ausführlidierberichtet werden muß.

Gen. Maximow beklagt sich bitter:

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34 W . 3. Lenin

„Es wurde von Seiten der Redaktion (des ,Proletari') kein einziger Versuch

unternommen, die Schule zu unterstützen oder zumindest die Kontrolle über dieSchule in die eigenen Hände zu nehmen; die Redaktion verbreitete lügnerischeAngaben aus unbekannter Quelle über die Schule, ohne an die Organisatorender Schule auch nur eine einzige Anfrage zur Nachprüfung dieser Angaben zurichten. So war das Verhalten der Redaktion zu dieser ganzen Angelegenheit."

Soso. „Kein einziger Versuch, zumindest die Kontrolle über die Schulein die eigenen Hände zu nehmen. . ." Der Jesuit ismus Maximows gehtin diesem Satz so weit, daß er sich selbst entlarvt.

Der Leser wird sidi der Jeroginschen Pension in der Periode der erstenDuma erinnern. Ein pensionierter Landeshauptmann (oder irgendein be-amteter Edelmann dieser Art ) Jerogin organisierte in Petersburg eine Pen-sion für anreisende Bauernabgeordnete, um die „Absichten der Regie-rung" zu unters tützen. Die unerfahrenen Dorfbewohner, in die Haupt-stadt geraten, wurden von den Leuten Jerogins abgefangen und in dieJeroginsche Pension gebracht, wo sie freilich eine Schule vorfanden, inder die Irrlehren der „Linken" w iderlegt, die Trudo wiki usw . mit Schmutzbeworfen wurden und den Neulingen unter den Dumamitgliedern die„echt russische" Staatsweisheit beigebracht wurde. Glücklicherweise be-fand sich die Reichsduma in Petersburg, und Jerogin mußte daher auchseine Pension in Petersburg einrichten, und da Petersburg ein ziemlichgroßes und freies Zentrum des geistigen und politischen Lebens ist, sobegannen natürlich die Jeroginschen Abgeordneten sehr bald die Jero-ginsche Pension zu verlassen und in das Lager der Trudowiki oder zuden selbständigen Abgeordneten überzusiedeln. Das Unternehmen Jero-gins brachte ihm wie der Regierung nur Blamage ein.

Nun stelle sich der Leser vor, daß eine solche Jeroginsche Pensionnicht in irgendeinem ausländischen Petersburg, sondern in irgendeinemausländischen Zarewokokschaisk* eingerichtet wurde. Wenn man sich

das vorstellt, so wird man zustimmen müssen, daß die otsowistisch-gott-bildnerischen Jerogins ihre Kenntnis von Europa dazu ausgenutzt haben,schlauer als der echt russische Jerogin zu sein. Leute, die sich Bolschewikinennen, sammelten Geld für ihre Kasse — getrennt von jener, soweit unsbekannt, einzigen gesamtbolschewistischen Kasse, aus der die Ausgaben

* Kleinstadt im Gouvernement Kasan, hier Synonym für K rähwinkel,Der Tibers.

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Tiber die Traktion der Anhänger des Otsowism us und des Qottbildnertums 35

für die Herausgabe und Verbreitung des „Proletari" bestritten werden -,organisierten ihre Agentur, brachten einige „ihrer" Agitatoren in diesesZarewokokschaisk, brachten dorthin einige Arbeiter, Mitglieder dersozialdemokratischen Partei und proklamierten diese (vor der Partei inZarewokokschaisk verborgene) Jeroginsche Pension als „erste Partei-schule im Au sland " (Partei- deshalb, weil vor der P artei verborg en).

Erklären wir gleich von vornherein - angesichts dessen, daß der „ent-fernte " G en. M axim ow m it besonderem Nachdruck die Frage aufgeworfenhat, ob seine Entfernung rechtmäßig oder unrechtmäßig ist (davon weiterunten) - , erklären wir gleich von vornherein, daß in der Handlungsweiseder otsowistisch-gottbildnerischen Jeroginleute überhaupt nichts „Un-

rechtmäßiges" zu finden ist. Absolut nichts. Alles ist hier völlig recht-mäßig. Rechtmäßig ist, daß die Gleichgesinnten in der Partei sich ge-meinsam gruppieren. Rechtmäßig ist, daß die Gleichgesinnten Geldersammeln und ein gemeinsames propagandistisch-agitatorisches Unter-nehmen organisieren. Rechtmäßig ist, daß sie im gegebenen Augenblickals Form dieses Unternehmens, sagen wir zum Beispiel, keine Zeitung,sondern eine „Schule" wählen wollen. Rechtmäßig ist, daß sie diese alsoffizielle Parteischule ansehen, da Parteimitglieder diese einrichten undda wenigstens eine, ganz gleich welche, Organisation der Partei da ist, die

die politische und ideologische Verantwortung für das Unternehmen aufsich nimmt. All das ist völlig rechtmäßig, und alles wäre sehr schön,wenn . . . ja, wenn da kein Jesuitismus wäre, wenn es da keine Heucheleigäbe, wenn es da keinen Betrug an der eigenen Partei gäbe.

Ist das etwa kein Betrug an der Partei, wenn man öffentlich denParte icha rakte r d er Schule herv orhe bt, d. h. sich auf die Frage ihre rformellen Rechtmäßigkeit beschränkt und nicht die Namen der Initia-toren und Organisatoren der Schule nennt, d. h. sich über die politisch-ideologische Richtung der Schule als eines Unternehmens der neuen Frak-

tion in unserer Partei ausschweigt? In der Redaktion des „Proletari"lagen zwei „Schriftstücke" über diese Schule vor (die Beziehungen zwi-schen der Redaktion und Maximow werden schon länger als ein Jahrnicht anders als in Form von „Schriftstücken" und diplomatischen Notenaufrechterhalten). Das erste Schriftstück war überhaupt nicht unterschrie-ben, absolut von niemandem unterschrieben - es waren einfach Auslas-sungen über den Nutzen der Bildung und über die Bedeutung von Ein-

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36 W. 1 Lenin

richtungen, Schulen genannt, für die Bildung. Das zweite Schriftstück

war von vorgeschobenen Personen unterzeichnet. Jetzt, wo er öffentlichin der Presse eine Lobeshymne auf die „erste Parteischule im Ausland"anstimmt, verschweigt Gen. Maximow wie früher den fraktionellen Cha-rakter der Schule.

Diese Politik des Jesuitismus schadet der Partei. Diese „Politik" ent-larven wir. Initiatoren und Organisatoren der Schule sind in Wirklido-

keit die Genossen „Jer" 2 2 (nennen wir so den in der Partei allen bekann-ten Führer der Moskauer Otsowisten, der Referate über die Schulegehalten, eine Schule organisiert hat und von einigen Arbeiterzirkeln als

Lektor gewählt worden ist), Maximow, Lunatscharski, Ljadow, Alexinskiu. a. Wir wissen nicht und wollen es auch nicht wissen, welche Rolle imeinzelnen der eine oder andere dieser Genossen gespielt hat, wie sieauf die verschiedenen offiziellen Einrichtungen der Schule verteilt sind,auf deren „Rat", deren „Exekutivkommission", deren Lektorenkollegiumu. dgl. m . W ir wissen nicht, welche „nichtfraktione llen" Gen ossen indiesem oder jenem einzelnen Fall diese Kumpanei vervollständigen. Dasalles ist völlig unwichtig. Wir behaupten, daß die wirkliebe politisch-ideologische Richtung dieser Schule als eines neu en fraktionellen Ze ntru m sg e r a d e durch die angeführten Namen bestimmt wird und daß Maximow,indem er dies vor der Partei verheimlicht, eine Politik des Jesuitismusbetreibt. Nicht das ist schlecht, daß sich in der Partei ein neues fraktio-nelles Zentrum herausgebildet hat - wir gehören durchaus nicht zu denLeuten, die dazu neigen, aus billigen, abgedroschenen Phrasen gegen dasFraktionswesen für sich politisches Kapital herauszuschlagen -, im Gegen-teil, es ist gut, daß eine besondere Schattierung, wenn es diese einmalgibt, die Möglichkeit einer besonderen Form der Äußerung innerhalb derPartei erhalten ha t. Schlecht ist, da ß m an die Pa rtei und auch die A rbeiterhinters Licht führt, die - das versteht sich von selbst - mit jeder S&ule

wie mit jeder Bildungsstätte sympa thisieren.

Ist das etwa keine Heuchelei, wenn Gen. Maximow sich öffentlich be-klagt, da ß die Redaktion des „P roletari" nicht gewünscht hat, „zum indest"[„zumindest"!) „die Kontrolle über die Schule in die eigenen Hände zunehmen"? Man über lege nur : im Juni i908 ist Gen. Maximow aus derengeren Redaktion des „Proletari" ausgeschieden, und seit dieser Zeitwird fast ununterbrochen in tausenderlei Formen ein innerer Kampf in der

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bolschewistischen Fraktion geführt; Alexinski im Ausland, „Jer" und Co.

im Ausland und in Rußland plappern Maximow in tausenderlei Tonartenalle otsowistisch-gottbildnerischen Albernheiten gegen den „Proletari"nach. Maximow reicht schriftlich und in aller Form Proteste gegen denArtikel „Keine Gem einsamkeit" ein; von einer kom mend en, unver-meidlichen Spaltung bei den Bolschewiki sprechen alle, die die Partei-probleme auch nur vom Hörensagen kennen (es genügt, darauf hinzu-weisen, daß der !Mensdbewik Dan auf der Gesamtrussischen Konferenzim Dezember 1908 in einer öffentlichen Sitzung vor allen erklärte: „Werweiß denn nicht, daß Lenin jetzt von den Bolschewiki des Verrats am

Bolschewismus bezichtigt wird"!) — und Gen. Maximow, die Rolle desunschuldigen, des völlig unschuldigen Säuglings markierend, befragt diehochverehrte Leserschaft: Warum wohl hat die Redaktion des „Proletari"nicht gewünscht, „zumindest" die Kontrolle über die Parteischule imgottbildnerischen Zarewokokschaisk in die eigenen Hände zu nehmen?„Ko ntrolle" übe r die Schule! Die A nhän ger des „P roleta ri" als „Inspek-

toren", die bei Lektionen von Maximow, Lunatscharski, Alexinski undCo. anwesend sind!! N un , wo zu diese unwürdige un d schändliche Kom ödiespielen? Wozu? Wozu den Leuten durch Versenden von nichtssagenden„Programmen" und „Berichten" der „Schule" ein X für ein U vormachen,anstatt offen und ehrlich zuzugeben, wer die geistigen Führer und Inspi-ratoren des neuen fraktionellen Zentrums sind!

Wozu? - wir werden sogleich Antwort auf diese Frage geben, zunächstaber schließen wir die Frage der Schule ab: Zarewokokschaisk kann inPetersburg Platz finden und nach Petersburg verlegt werden (zumindestin seiner überwiegenden Mehrheit) , Petersburg aber kann weder inZarewokokschaisk Platz finden noch nach Zarewokokschaisk verlegt wer-den. Diejenigen Schüler der neuen Parteischule, die energischer und selb-ständiger sind, we rden im stande sein, den W eg von der engen neuen Frak-tion zur breiten Partei, von der „Wissenschaft" der Otsowisten und Gott-bildner zur Wissenschaft des Sozialdemokratismus überhaupt und desBolschewismus im besonderen zu finden. Aber wer sich mit der Jerogin-schen Bildung begnügen will, dem ist nicht zu helfen. Die Redaktion des„Proletari" ist bereit, allen Arbeitern, welcher Auffassung sie auch immersein mögen, jegiidbe Hilfe zu erweisen und wird diese Hilfe erweisen,wenn sie aus dem ausländischen Zarewokokschaisk in das ausländische

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38 TV. 7. Lenin

Petersburg übersiedeln (oder hinreisen) und sich mit den Ansichten des

Bolschewismus vertraut machen wollen. Die heuchlerische Politik derOrganisatoren und Initiatoren der „ersten Parteischule im Ausland" aberwerden wir vor der ganzen Partei entlarven.

V

Wozu diese ganze Heuchelei Maximows, fragten wir und stellten dieBeantwortung dieser Frage bis zum Abschluß der Auseinandersetzungüber die Schule zurück. Strenggenommen bedarf jedoch hier nicht die

Frage „wozu?", sondern die Frage „warum?" der Erklärung. Es wäre einFehler zu glauben, daß von allen Mitgliedern der neuen Fraktion dieheuchlerische Politik um eines bestimmten Zieles willen bewußt betriebenwird. Nein. Die Sache liegt so, daß in der Lage dieser Fraktion selbst,in den Bedingungen ihres Auftretens und ihrer Tätigkeit die Ursachenliegen (viele Otsowisten und Gottbildner erkennen das gar nicht), diedie heuchlerische Politik hervorrufen.

Es ist altbekannt, daß die Heuchelei ein Tribut ist, den das Laster derTugend zollt. Aber dieser Ausspruch gehört in den Bereich der persön-

lichen Moral. In bezug auf politisch-ideologische Richtungen muß gesagtwerden, daß die Heuchelei ein Deckmantel ist, an den sich Gruppen klam-mern, die innerlich nicht homogen, die aus gemischten, zufällig zuein-andergekommenen Elementen zusammengewürfelt sind, aus Elementen,die sich für ein offenes, direktes Auftreten zu schwach fühlen.

Die Zusammensetzung der neuen Fraktion bewirkt es, daß sie sich andiesen Deckmantel klammert. Den Stab der Fraktion der „göttlichen" Ot-sowisten bilden verkannte Philosophen, verlachte Gottbildner, des anar-chistischen Unverständnisses und des verantwortungslosen revolutionären

Geschwätzes überführte Otsowisten, wirre Ultimatisten und schließlichjene (glücklicherweise in der bolschewistischen Fraktion wenigen) Revo-luzzer, die es für un ter ihrer W ür de ha lten, zur unscheinbaren, bescheide-nen revolutionären sozialdemokratischen Arbe it ohne äußeren „effekt-vollen" Glan z, die den Bedingungen und Aufgaben der Pe riode „zwischenzwei Revolutionen" Rechnung trägt, überzugehen, und die Maximowmit der „effektvollen" Phrase über Instrukteurschulen und -gruppen. . . im Jahre 1909 zufriedenstellt. D as einzige, was gegenwärtig diese

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Tiber die J-raktion der Anbänger des Otsowismus und des Qottbildnertums 39

verschiedenartigen Elemente fest zusammenschließt, das ist der lodernde

Haß gegen den „Proletari", ein von diesem völlig verdienter Haß, einHaß dafür , daß jedem einzelnen Versuch dieser Elemente, im „Proletari"ihren Ausdruck zu finden oder auch nur ihre indirekte Anerkennung oderdie geringfügigste Verteidigung und Deckung zu erhalten, stets eine äu-ßerst entschiedene Abfuhr erteilt wurde.

„Laßt alle Hoffnung fahren" - das sagte der „Proletari" diesen Elemen-ten mit jeder seiner Nummern, mit jeder Redaktionssitzung, mit jederStellungnahme zu den aktuellen Fragen des Parteilebens, welche es auchimmer sein mochten.

Und siehe, als auf dem Gebiet der Literatur das Gottbildnertum unddie theoretischen Grundlagen des Marxismus und auf dem Gebiet derpolitischen Arbeit die Ausnutzung der III . Duma und ihrer Tribüne durchdie Sozialdemokratie zu aktuellen Fragen wurden (kraft der objektivenBedingungen der Entwicklung unserer Revolution und unserer Konter-revolution), da schlössen sich diese Elemente zusammen, und es kam zueinem gesetzmäßigen und unvermeidlichen Ausbruch.

Wie jeder Ausbruch, erfolgte er plötzlich, nicht in dem Sinne, daß sichdie Tendenzen nicht schon früher abgezeichnet hätten, daß es keine ein-zelnen Ausdrucksformen dieser Tendenz en gegeben hät te, sondern in demSinne, daß der politische Zusammenschluß der verschiedenartigen Tenden-zen, darunter auch von Politik weit entfernter Tendenzen, fast schlag-artig erfolgte. Das breite Publikum ist daher, wie stets, geneigt, vor allemeiner philisterhaften Erklärung der neuen Spaltung Glauben zu schenken,sie mit irgendwelchen schlechten Eigenschaften dieses oder jenes Führers,mit de m Einfluß d es Auslands un d des Zirkelwes ens usw. u. dgl. m. zuerklären. Es unterliegt keinem Zweifel, daß das Ausland, das auf Grundder objektiven Bedingungen unvermeidlich zum Ort der Operationsbasisaller zentralen revolutionären Organisationen geworden ist, der Jorm

der Spaltung seinen Stempel aufgedrückt hat. Es unterliegt keinem Zwei-fel, daß sich auf diese Jorm auch die Besonderheiten jenes Literaten-zirkels ausgewirkt haben, der mit einer Seite der Sozialdemokratie an-gehörte. Als philisterhafte Erklärung bezeichnen wir nicht die Berück-sichtigung dieser Umstände, die nichts als die Form, die Anlässe, die„äußere Geschichte" der Spaltung erklären können, sondern als solche be-zeichnen wir die Unlust oder die Unfähigkeit, die poUtisdo-ideologisdhen

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40 "W. 7. Lenin

Grundlagen, Ursachen und Wurzeln der Meinungsverschiedenheit zu er-

kennen.Das Nichterkennen dieser Grundlagen der neuen Fraktion ist auch die

Ursache dafür, daß sie sich an den alten Deckmantel geklammert hat, daßsie die Spuren verwischt, die untrennbare Verbindung mit dem Otsowis-mus ableugnet usw. Das Nichterkennen dieser Grundlagen ruft seitens derneuen Fraktion ein Spekulieren auf eine philisterhafte Erklärung der Spal-

tung und auf philisterhaftes Mitgefühl hervor.

In der Tat, ist das etwa kein Spekulieren auf philisterhaftes Mitgefühl,wenn Maximow und Co. aus Anlaß ihres „Hinauswurfs", ihrer „Ent-

fernung", jetzt öffentlich Tränen vergießen? Schenkt um Christi willenden unschuldig Hinausgeworfenen, den ganz zu Unrecht Entfernten dasAlmosen des Mitgefühls . . . D aß diese M ethod e unfehlbar richtig auf einphilisterhaftes Mitgefühl abzielt, das beweist die originelle Tatsache, daßsogar Ge n. Plechanow , ein Feind jeglichen G ottbild nertu ms , jeglicher„neuen" Philosophie, jeglichen Otsowismus und Ultimatismus usw., daßsogar Ge n. Plechanow um Christi willen ein Almo sen reichte, indem erdas Gejammer Maximows zum Anlaß genommen hat und die Bolschewikideswegen wieder einmal „Halsstarrige" nannte (siehe den „Dnewnik So-zialdemokrata" Plechanows, August 1909) . W en n M aximow ein Almosendes Mitgefühls sogar bei Plechanow erflehen konnte, dann kann sidi derLeser vorstellen, wieviel Tränen des Mitgefühls für Maximow vergossenwerden von den philisterhaften Elementen innerhalb der Sozialdemokratieund an ihrer Peripherie anläßlich des „Hinauswurfs" und der „Entfer-nung" der guten, wohlgesinnten und bescheidenen Otsowisten und Gott-bildner.

Die Frage des „Hinauswurfs" und der „Entfernung" wird von Gen.Maximow sowohl in Hinsidit auf die formale Seite als auch dem Wesender Sache nach näher untersudit. Betrachten wir diese Untersuchung.

Von der formalen Seite her ist die Entfernung Maximows „unrecht-mä ßig" - sagen uns die Entfernten - , un d „wir erkennen diese En tfernungnicht an", denn Maximow „ist vom bolschewistischen Parteitag, d. h. vombolschewistischen Teil des Parteitags gewählt worden". Lesen die Leutedie Flugschrift von M axim ow und N ikolajew, so stoßen sie auf die schwereBeschuldigung („unrechtmäßige Entfernung"), erhalten aber weder einegenaue Formulierung dieser Beschuldigung noch Material zur Beurteilung

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Tiber die Fraktion der Anhänger des Otsowismus und des Qotibildnertums 41

dieser Angelegenheit. Aber gerade das ist ja die von gewisser Seite stetsangewandte Methode bei Spaltungen im Ausland: die prinzipielle Mei-nungsverschiedenheit verschleiern, sie bemänteln, die ideologischen Aus-einandersetzungen verschweigen, seine ideologischen Freunde verheimli-chen und um so mehr von organisatorischen Konflikten lärmen, die dieÖffentlichkeit nicht genau zu untersuchen vermag und nicht berechtigt ist,im einzelnen zu untersuchen. So handelten die Leute vom „RabotschejeDe lo" im Jahre 1899, als sie ein Geschrei erhoben, daß es keinerlei „Öko-nom ism us" gebe, Plechanow abe r die Druck erei gestohlen hät te . So handel-ten die Menschewiki im Jahre 1903, als sie ein Geschrei erhoben, daß es

bei ihnen keinerlei Wendung zur Richtung des „Rabotscheje Delo" gebe,Lenin aber Po tressow , Ax elrod , Sassulitsch u. a. „hinausgew orfen" oder„entfernt" hätte. So handeln Leute, die auf die im Ausland befindlichenLiebhaber eines Skandals, einer Sensation spekulieren. Sie sagen: Es gibtweder Otsowismus noch Gottbildnertum, aber es gibt eine „unrechtmäßigeEntfernung" Maximows durch die „Mehrheit der Redaktion", d ie „dasVermögen der gesamten Traktion" „zu ihrer voUen Verfügung bebalten"

möchte - hereinspaziert in unsere Bude, meine H erren , wir werden Ihnendarüb er die allerpikantesten Sachen mitteilen . . .

Eine alte Methode, werte Genossen Maximow und Nikolajew! Es wirdnidbt ausbleiben, daß sich die zu einer solchen Methode greifenden Poli-tiker selbst das Genick brechen.

Von einer „Unrechtmäßigkeit" sprechen unsere „Entfernten" deshalb;weil sie die Redaktion des „Proletari" für nicht berechtigt halten, über dasSchicksal der bolschewistischen Fraktion und über deren Spaltung zuentscheiden. Sehr gut, meine Her ren . We nn die Redaktion des „Prole tari"und die auf dem Londoner Parteitag gewählten 15 bolschewistischen Mit-glieder des ZK und Kandidaten des ZK nicht berechtigt sind, die bol-

schewistische Fraktion zu vertre ten, so hab t ihr die volle Möglichkeit, diesöffentlich zu erklären und eine Kampagne für den Sturz oder die Neuwahldieser untauglichen Vertretung zu entfalten. Ja, ihr habt diese Kampagnesogar geführt, und nur, als ihr einigemal einige Mißerfolge hinnehmenmußtet, zogt ihr es vor, euch zu beklagen und zu jammern. Wenn ihrschon die Frage eines Parteitags oder einer Konferenz der Bolschewiki auf-geworfen habt, werte Genossen Maximow und Nikolajew, warum habt ihrdann nidit der Öffentlichkeit erzählt, daß Gen. „Jer" bereits vor einigen

4 Lenin, W erke, Ed. 16

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42 W. 1 Centn

Monaten im Moskauer Komitee einen Resolutionsentwurf eingebrachthat, der ein Mißtrauensvotum gegen den „Proletari" und eine Konferenzder Bolschewiki für die Wahl eines neuen ideologischen Zentrums derBolschewiki zum Gegenstand hatte?

Warum habt ihr das verschwiegen, oh, ihr ganz zu Unrecht Ent-fernten?

Warum habt ihr verschwiegen, daß die Resolution von „Jer" mit allenStimmen gegen seine eigene abgelehnt wurde?

Warum habt ihr verschwiegen, daß im Herbst 1908 in der gesamten

Petersburger Organisation, von oben bis unten, der Kampf um die Platt-formen der beiden Strömungen im Bolschewismus, der Otsowisten undder Gegner des Otsowismus, entbrannte, wobei die Otsowisten eine Nie-derlage erlitten?

Maximow und Nikolajew wollen den Leuten etwas vorjammern, weilsie in Rußland wiederholt Niederlagen erlitten haben. „Jer" wie auch diePetersburger Otsowisten hätten das Recht gehabt, ohne eine Konferenzabzuwarten und ohne ihre Plattformen vor der ganzen Partei zu ver-

öffentlichen, den Kampf gegen den Bolschewismus von oben bis unten zu

führen.Aber die Redaktion des „Proletari", die im Juni 1908 dem Otsowismusden offenen Krieg erklärte, hätte nach einem Jahr des Kampfes, der Dis-kussionen, der Spannungen, Konflikte usw., nach Einladung von dreiGebietsdelegierten aus Rußland und einigen russischen Mitgliedern dererweiterten Redaktion, die an keinem im Ausland stattgefundenen Zu -sammenstoß beteiligt Waren, nicht das Recht, zu erklären, was ist, zuerklären, daß sidh Maximow von ihr abgespalten hat, zu erklären, daß derBolschewismus mit dem Otsowismus, dem Ultimatismus und dem Gott-bildnertum nichts gemein hat?

Unterlaßt die Heuchelei, meine Herren! Ihr habt dort gekämpft, wo ihreuch für besonders stark hieltet, und habt eine Niederlage erlitten. Ihrhabt entgegen dem Beschluß des offiziellen Zentrums der Bolschewiki undohne eine besondere Konferenz abzuwarten den Otsowismus unter dieMassen getragen. Und jetzt beginnt ihr, zu jammern und euch zu be-klagen, weil sich herausstellte, daß ihr in der erweiterten Redaktion, aufder Beratung unter Teilnahme von Delegierten der Gebiete in einerlächerlichen, verschwindenden Minderheit wart!

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Über die Fraktion der Anbänger des Otsowismus und des Qottbildnertums 43

W ir haben es hier wiederum m it einer reinen „Rabotscheje-Delo"-Me-thode der im Ausland Lebenden zu tun: in „Demokratie" machen, wenndie Bedingungen für die volle Demokratie nicht gegeben sind, auf die Ent-fachung jeder Art von Unzufriedenheit mit dem „Ausland" spekulierenund gleichzeitig vom gleichen Ausland aus seine otsowistisch-gottbildne-rische Propaganda (vermittels der „Schule") führen, die Spaltung unterden Bolschewiki anzetteln und dann die Spaltung beweinen, seine Frak-tion organisieren (unter dem Deckmantel der „Schule") und über die„spalterische" Politik des „Proletari" heuchlerisch Tränen vergießen.

Nein, genug nun dieser Intrigen! Eine Fraktion ist eine freie Vereini-gung Qleidbgesinnter innerhalb der Partei, und nach dem länger als einJahr währenden Kampf, dem Kampf sowohl in Rußland als auch im Aus-land, hatten wir das volle Recht, waren wir verpflichtet, eine entschiedeneSchlußfolgerung zu ziehen. Und wir haben sie gezogen. Ihr habt das volleRecht, dagegen zu kämpfen, eure eigene Plattform aufzustellen, für siedie Mehrheit zu erringen. Wenn ihr das nicht tut, wenn ihr statt einesoffenen Bündnisses mit den Otsowisten und der Aufstellung einer gemein-samen Plattform weiterhin Versteck spielt und mit einem billigen aus-

ländischen „Demokratismus" spekuliert, dann erhaltet ihr als Antwort nurdie euch gebührende Verachtung.Ihr spielt ein doppeltes Spiel. Einerseits erklärt ihr, daß der „Proletari"

bereits ein ganzes Jahr lang „durchweg" eine nichtbolschewistische Linievertr i t t (und eure Anhänger in Rußland haben nidbt nur einmal versucht,diese Ansichten in den Resolutionen des Petersburger und des MoskauerKomitees durchzubringen). Anderseits beweint ihr die Spaltung und lehntes ab, das „Entfernen" anzuerkennen. Einerseits geht ihr in der 7at inallem Hand in Hand mit den Otsowisten und Gottbildnern, anderseitssagt ihr euch von ihnen los und spielt die Versöhnler, die die Bolschewikimit den Otsowisten und Gottbildnern aussöhnen möchten.

„Laßt alle Hoffnung fahren"! Ihr könnt die Mehrheit erringen. Ihrkönnt unter dem unreifen Teil der Bolschewiki beliebige Siege erringen.Wir gehen auf keine Versöhnung ein. Organisiert eure Fraktion, richtiger:fahrt fort, sie zu organisieren, wie ihr dies bereits begonnen habt, aberbetrü gt nicht die Partei, betrü gt nicht die Bolschewiki! Keinerlei Kon feren-zen, keinerlei Parteitage in der Welt werden jetzt die Bolschewiki mit denOtsowisten, Ultimatisten und Gottbildnern aussöhnen. Wir haben gesagt,

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44 W . 7. Lenin

und wir wiederholen es noch einmal: Jeder bolschewistische Sozialdemo-krat und jeder klassenbewußte Arbeiter muß eine entschiedene und end-gültige Wahl treffen.

VI

Die neue Fraktion, die ihre ideologische Verwandtschaft bemäntelnwill und sich scheut, ihre wirkliche Plattform zu entwickeln, bemüht sich,den Mangel in ihrem ideologischen Gepäck durch die Entlehnung vonWorten aus dem Gepäck der alten Spaltungen zu ergänzen. Der „neue

,Proletar i '" , die „Linie des neuen ,Proletar i '" , zetern Maximow und Ni-kolajew, den alten Kampf gegen die neue „Iskra" nachahmend.

Eine Methode, geeignet, manch einen politischen Säugling zu betören.A be r selbst die alten Wo rte k önn t ihr ja nicht richtig wiederholen, meine

Herren. Das „Salz" der Losung „gegen die neue , Iskra '" bestand darin,daß die Menschewiki, nachdem die „Iskra" in ihre Hände geraten war,selbst eine neue Linie einschlagen mußten, während der Partei tag (II .Parteitag der SDAPR im Jahre 1903) gerade die Linie der alten „Iskra"gebilligt hatte. Das „Salz" bestand darin, daß die Menschewiki (durch

den Mund Trotzkis 1903/1904) verkünden mußten: zwischen der al tenund der neuen „Iskra" liegt ein Abgrund. Und bis heute bemühen sichPotressow und Co., die „Spuren" jener Epoche von sich abzustreifen, alsdie alte „Iskra" sie führte.

Der „Proletari" erscheint jetzt mit seiner 47. Nummer. Genau vor dreiJahren, im August 1906, erschien die erste Nummer. In dieser ersten

Nu m m er des „P roleta ri", datiert vom 2 1 . Augu st 1 906, finden wir denredaktionellen Artikel „Tiber den Boykott", un d in diesem Artike l lesenwir schwarz auf weiß: „Eben jetzt ist eine Zeit gekommen, wo die revo-

lutionären Sozialdemo kraten aufhören m üssen, TSoykottisten zu sein."*Seit dieser Zeit ist keine einzige Nummer des „Proletari" erschienen, inder audb nur eine Zeile zugunsten des „Boykottismus" (nach 1906), desOtsowismus und des Ultimatismus geschrieben worden wäre, keine ein-zige Nummer, in der diese Karikatur auf den Bolschewismus nicht wider-legt worden wäre. Und jetzt steigen die Karikaturen auf die Bolschewikiauf Stelzen und sind bemüht, sich mit den Leuten zu vergleichen, diezuerst die dreijährige Kampagne der alten „Iskra" führten und deren

* Siehe Werke, Bd. 11, S. 131. VieRed.

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über die Traktion der Anbänger de s Otsowism us und des Q ottbildnertutns 45

Linie mit dem II. Parteitag festigten, danado aber zeigten, daß die neue„Iskra" eine Kehrtwendung vollführte!

„Ehemaliger Redakteur der populären A rbeiterzeitung , W perjod'" -unterzeichnet jetzt Gen. Maximow, der den Leser daran erinnern möchte,daß ja die „Gänse Rom gerettet haben". Ihr Verhältnis zur Linie des„Wperjod"23 - antworten wir Maximow auf diese Erinnerung - ist völligdas gleiche wie das Verhältnis Potressows zur alten „Iskra". Potressowwar deren Redakteur, aber nicht er führte die alte „Iskra", sondern diealte „Iskra" führte ihn. Sowie er die Linie ändern wollte, wandten sichdie Anhänger der alten „Iskra" von ihm ab. Und jetzt bemüht sich sogarPotressow selbst aus Leibeskräften, um sich von der „Jugendsünde", vonder Teilnahme an der Redaktion der alten „Iskra", reinzuwaschen.

Nicht Maximow führte den „Wperjod", sondern der „Wperjod" führteMaximow. Beweis: die Boykottbewegung gegen die III. Duma, zu derenGunsten der „Wperjod" kein einziges Wort geäußert hat und auch nichtäußern konnte. Maximow handelte sehr klug und richtig, als er sichvom „Wperjod" führen ließ. Jetzt hat Maximow begonnen, eine solcheCinie auszuklügeln (oder, das bleibt sich gleich, den Otsowisten zu helfen,diese auszuklügeln), die ihn unweigerlich, wie auch Potressow, in denSumpf führt.

Merken Sie sich das, Gen. Maximow: als Vergleichsgrundlage muß dieGesamtheit einer politisch-ideologischen Richtung genommen werden,nicht aber „W orte", „Losungen", die irgendwer einpaukt, ohne ihren Sinnzu erfassen. Der Bolschewismus bestimmte im Laufe von drei Jahren,1900-1903, die Linie der alten „Iskra" und nahm als in sich geschlosseneRichtung den Kampf gegen den Menschewismus auf. Die Menschewikihaben lange ein für sie neues Bündnis gepflegt, das Bündnis mit den Geg-nern der „Iskra", mit den Leuten vom „Rabotscheje Delo", bevor sie Po-tressow an Prokopowitsch abgaben (ja, und etwa Potressow allein?). DerBolschewismus bestimmte die Linie des alten „Proletari" (1906-1909)

im Geiste des entschiedenen Kampfes gegen den „Boykottismus" usw. undnahm als in sich geschlossene Richtung den Kampf gegen die Leute auf,die jetzt den „Otsowismus", den „Ultimatismus", das „Gottbildnerrum"u. dgl. m. ausklügeln. Die Menschewiki wollten die alte „Iskra" im SinneMartynows und der Ökonomisten korrigieren und haben sich daran dasGenick gebrochen. Sie wollen den alten „Proletari" im Sinne von „Jer",

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im Sinne der Otsowisten und Gottbildner korrigieren - auch Sie werdensich daran das Genick brechen.

Und die „Wende zu Plechanow"? - triumphiert Maximow. Und dieBildung der „neuen Fraktion des Zentrums"? Unser „Audi-Bolschewik"erklärt für „Diplomatie", wenn „verneint" wird, daß angeblich eine „Ver-wirklichung der Idee des ,Zentrums' beabsichtigt ist"!

Dieses Gezeter Maximows gegen die „Diplomatie" und gegen die „Ver-einigung mit Plechanow" ist nur wert, daß man darüber lacht. Die Kari-katuren auf die Bolschewiki bleiben sich auch hier treu: sie haben sichfest eingeprägt, daß Plechanow in den Jahren 1906/1907 eine erzopportu-nistische Politik verfolgte. Und sie glauben, wenn sie dies des öfteren

wiederkäuen, ohne die sich vollziehenden Veränderungen zu beachten, dassei im Höchstmaß „revolutionär".In Wirklichkeit haben die „Diplomaten" des „Proletari" seit dem Lon-

doner Parteitag jederzeit offen eine Politik des Parteiprinzips gegen diekarikierten Übertreibungen des Fraktionswesens, eine Politik der Ver-teidigung des Marxismus gegen die Kritik an ihm betrieben und durch-gesetzt. Und die jetzige Ursache des Gezeters Maximows ist doppelterArt: einerseits gab es seit dem Londoner Parteitag immer einzelne Bol-schewiki (Beispiel: Alexinski), die hartnäckig behaupteten, daß die Liniedes Bolschewismus durdi die Linie des „Versöhnlertums", durch eine„polnisch-lettische" Linie u. a. m. ersetzt worden sei. Selten nahmen dieBolsdiewiki diese völlig lächerlidien Reden ernst, die lediglich von derStarrheit des Denkens zeugen. Anderseits sah jene Literatenkumpanei, zuder Maximow gehört und die immer nur mit einer Seite zur Sozialdemo-kratie paßte, lange Zeit hindurch in Plechanow den Hauptfeind ihrer gott-bildnerisdien und anderen Tendenzen. Nidits ist für diese Gruppesdirecklicher als Pledianow. Nidits zerstörte ihre Hoffnungen, der Arbei-terpartei ihre Ideen aufzupfropfen, in größerem Maße, als die „Vereini-gung mit Pledianow".

Nun also diese zweierlei Elemente: das starre Fraktionswesen, das dieAufgaben der bolsdiewistisdien Fraktion bei der SdiarTung der Partei niditbegreift, und die Literatenzirkelelemente der Gottbildner sowie derer, diedas Gottbildnertum dedcen - sie haben sich jetzt zusammengeschlossen aufder „Plattform": gegen die „Vereinigung mit Plechanow", gegen die „ver-söhnlerisdie", „polnisdi-lettische" Linie des „Proletari" u. dgl. m.

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Tiber die Traktion der Anhänger des O tsowismus und des Q ottbildnertums 47

Die jetzt erschienene Nr. 9 des „Dnewnik" Plechanows entbindet unsder Notwendigkeit, dem Leser besonders eingehend den ganzen karikatur-

haften Charakter dieser „Plattform" der Karikaturen auf die Bolschewikizu erläutern. Plechanow hat das Liquidatorentum im „Golos Sozial-Demo-krata" und die Diplomatie seiner Redakteure entlarvt und erklärt, daß esfür ihn „keine Gemeinsamkeit" mit Potressow gibt, der aufgehört hat, einRevolutionär zu sein. Jedem Sozialdemokraten ist es nunmehr klar, daßdie menschewistischen Arbeiter mit Plechanow gegen Potressow gehenwerden. Jedem ist klar, daß die Spaltung innerhalb der Menschewiki dieLinie der Bolschewiki bestätigt. Jedem ist klar, daß Plechanows Prokla-mierung der Parfeilinie gegen das Spaltertum der Liquidatoren einen

gewältigen Sieg des Bolschewismus bedeutet, der jetzt die führende Rollein der Partei innehat.Diesen gewaltigen Sieg hat der Bolschewismus deshalb errungen, weil

er seine Parteipolitik ungeadhtet des Gezeters der „linken" Minderjähri-gen und der gottbildnerischen Literaten verfolgte. Nur diese Leute sindimstande, eine Annäherung an jenen Plechanow zu fürchten, der die Po-tressowleute entlarvt und aus der Arbeiterpartei verjagt. Nur im faulenSumpf eines gottbildnerischen Zirkels oder der Helden eingelernterPhrasen kann die „Plattform" Erfolg haben: „Gegen die Vereinigung mitPlechanow", das heißt gegen die Annäherung an die parteitreuen Men-schewiki zum Kampf gegen das Liquidatorentum, gegen die Annäherungan die orthodoxen Marxisten (das ist für die Jeroginsche Literatenkum-panei nicht vorteilhaft); gegen eine weitere Gewinnung der Partei füreine revolutionäre, sozialdemokratische Politik und Taktik.

Wir Bolschewiki können auf große Erfolge hinsichtlich einer solchen Ge-winnung verweisen. Rosa Luxemburg und Karl Kautsky - Sozialdemo-kraten, die des Öfteren für die Russen schrieben und insofern Einblick inunsere Partei hatten - wurden von uns ideologisch gewonnen, obwohl zuBeginn der Spaltung (1903) alle ihre Sympathien auf Seiten der Mensche-

wiki waren. Sie wurden gewonnen, weil die Bolschewiki unnachsichtiggegen eine „Kritik" am Marxismus auftraten, weil die Bolschewiki nichtden Buchstaben ihrer, unbedingt ihrer fraktionellen Theorie verfochten,sondern den allgemeinen Geist und Sinn der revolutionär-sozialdemokrati-schen Taktik. Wir werden auch in Zukunft den gleichen Weg gehen,einen noch unversöhnlicheren Kampf führen gegen den haarspalterischen

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48 IV . 1. Lenin

Unsinn und das verantwortungslose Spiel mit eingelernten Phrasen,gegen den theoretischen Revisionismus des gottbildnerischen Literaten-

zirkels.Bei den russischen Sozialdemokraten haben sich jetzt völlig klar zwei

liquidatorische Strömungen abgezeichnet: die Potressowsche und die Maxi-mowsche. Potressow muß die sozialdemokratische Partei fürchten, denneine Durchsetzung seiner Linie in der Partei ist von nun an aussichtslos.Maximow muß die sozialdemokratische Partei fürchten, denn eine Durch-setzung seiner Linie in der Partei ist jetzt aussichtslos. Der eine wie derandere wird auf jede Art und Weise die Machenschaften der besonderenLiteratenzirkel mit ihren spezifischen Formen des Revisionismus im

Marxismus unterstützen und bemänteln. Der eine wie der andere wirdsich, wie an einen letzten Hoffnungsschimmer, an die Bewahrung des Gei-stes des Zirkelwesens gegen die Parteiprinzipien klammern, denn Potres-sow kann noch hin und wieder in der auserlesenen Gesellschaft verknö-cherter Menschewiki siegen, Maximow können noch hin und wiederauserlesen verknöcherte Zirkel von Bolschewiki mit Lorbeeren krönen;aber weder der eine noch der andere wird jemals einen festen Platz unterden Marxisten oder in einer wirklich sozialdemokratischen Arbeiterparteieinnehmen. Beide verkörpern zwei entgegengesetzte, sich jedoch gegen-seitig ergänzende, gleichermaßen beschränkte, kleinbürgerliche Tendenzenin der Sozialdemokratie.

VII

Wir haben gezeigt, wie der Stab der neuen Fraktion aussieht. Worauskann sich ihre Armee rekrutieren? Aus bürgerlich-demokratischen Ele-menten, die in der Zeit der Revolution zur Arbeiterpartei stießen. DasProletariat rekrutiert sich immer und überall aus dem Kleinbürgertum,ist immer und überall mit ihm durch Tausende von Übergangsstufen,Berührungsflächen und Nuancen verbunden. Wenn die Arbeiterparteibesonders schnell wächst (wie dies bei uns in den Jahren 1905/1906 derFall war), ist es unvermeidlich, daß zahlreiche, von kleinbürgerlichemGeist durchdrungene Elemente in die Partei eindringen. Und daran istnichts Schlimmes. Die historische Aufgabe des Proletariats besteht darin,alle Elemente der alten Gesellschaft, die diese in Gestalt der aus dem

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Tiber die Iraktion der Anhänger des Otsowismus und des Qottbildnertums 49

Kleinbürgertum stammenden Menschen dem Proletariat hinterläßt, zuverdauen, umzumodeln und umzuerziehen. Dazu ist jedoch erforderlich,

daß das Proletariat diese Menschen umerzieht, daß das Proletariat auf sieEinfluß bekommt, nicht aber sie auf das Proletariat. Sehr viele „Sozial-demokraten aus den Tagen der Freiheit", die in den Tagen der Begeiste-rung, des Feierns, in den Tagen der effektvollen Losungen, in den Tagender Siege des Proletariats, die selbst die rein bürgerliche Intelligenzberauschten, zu Sozialdemokraten wurden, begannen dann ernsthaft

zu lernen, den Marxismus zu studieren, die konsequente proletarischeArbeit zu erlernen - sie werden immer Sozialdemokraten und Marxistenbleiben. Andere haben es nicht geschafft oder nicht verstanden, von der

proletarischen Partei etwas zu übernehmen, außer einigen eingelerntenWorten, eingepaukten „effektvollen" Losungen, einigen Phrasen über„Boy kottismus", „Kam pfaktionen" u. a. m . Als diese Elemente auf denGedan ken k amen, ihre „The orien", ihre Weltanschauung, d. h. ihre Be-schränktheit der Arbeiterpartei aufzuzwingen, wurde der Bruch mit ihnenunvermeidlich.

Das Schicksal der Anhänger des Boykotts der III. Duma zeigt an einemanschaulichen Beispiel ausgezeichnet den Unterschied zwischen den einenund den anderen Elementen.

Die Mehrheit der Bolschewiki, die ehrlich von dem Willen zum un-mittelbaren u nd unverzüglichen Kampf gegen die Helden des 3. Juni hin-gerissen w ar, neigte zum Boykott de r III. Du m a, vermochte jedoch sehrschnell mit der neuen Lage fertig zu werden. Sie plapperten nicht ein-gelernte Worte nach, sondern studierten aufmerksam die neuen histori-schen Bedingungen, überlegten, warum das Leben so und nicht andersverläuft, arbeiteten mit dem Kopf und nicht nur mit der Zunge, sie leiste-ten eine ernsthafte und konsequente proletarische Arbeit, und sie be-griffen sehr schnell die ganze Dummheit, die ganze Armseligkeit des„Otsowismus". Die anderen klammerten sich ans Wort, begannen ausunverdauten Worten „ihre Linie" zusammenzubauen, schrien: „Boy-kottismus, Otsowismus, Ultimatismus". Sie begannen durch dieses Ge-zeter die proletarisch-revolutionäre Arbeit zu ersetzen, die von den ge-gebenen historischen Bedingungen vorgezeichnet ist, begannen eine neueFraktion aus allen möglichen unreifen Elementen des Bolschewismus zuformieren. Viel Glück auf den Weg, Verehrteste! Wir haben alles getan,

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50 W. 3. Lenin

was wir konnten, um euch den Marxismus und die sozialdemokratischeArbeit zu lehren. Wir erklären jetzt den Liquidatoren von rechts wie den

Liquidatoren von links, die die Arbeiterpartei durch theoretischen Revi-sionismus und kleinbürgerliche Methoden der Politik und Taktik demo-ralisieren, den ganz entschiedenen und unversöhnlichen Krieg.

Beilage zu Tit. 47/48 'Nach dem Cfext de r Beilagedes „Pro letari", zum „Troletari".11. (24.) September 1909.

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NOCH EINMAL ÜBER PARTEILICHKEITU N D P A R T E I L O S I G K E I T

Die Frage der parteilichen und parteilosen, der notwendigen und „un-

nötigen" Kandidaturen ist zweifellos bei den gegenwärtigen Wahlen zurDuma eine der wichtigsten Fragen — wenn nicht die wichtigste. Vor allemund überhaupt müssen sich die Wähler und die breiten Massen, die dieWahlen verfolgen, darüber im klaren sein, weshalb die Wahlen notwen-dig sind, welche Aufgabe vor dem Dumaabgeordneten steht , welches dieTaktik des Petersburger Abgeordneten in der III . Du ma sein mu ß. A bereine wirklich vollständige und genaue Antwort auf all diese Fragen kannman sidi nur unter dem Aspekt der Parteilichkeit der gesamten Wahl-kampagne geben.

Für diejenigen, die in den Wahlen die Interessen der wirklich breitenund breitesten Massen der Bevölkerung vertreten wollen, tri t t an ersteStelle die Aufgabe, das politische Bewußtsein der Massen zu entwickeln.In untrennbarem Zusammenhang mit der Entwicklung dieses Bewußtseinsbildet sich klarer die Gruppierung der Massen heraus, die den tatsäch-lichen Interessen dieser oder jener Bevölkerungsklassen entspricht. JedeParteilosigkeit bedeutet immer, selbst in ausgesprochen erfolgreichenFällen, Unklarheit und Unentwickeltheit des polit ischen Bewußtseins desKandidaten wie der diesen unterstützenden Gruppe oder der diesen unter-

stützenden Parteien und der an seiner Wahl beteiligten Masse.Für alle Parteien ohne strengen Aufbau, die in den W ahle n die A ufgabe

verfolgen, die Interessen dieser oder jener kleinen Gruppen der besitzen-den Bevölkerungsschichten zu befriedigen, rückt die Entwicklung des poli-tischen Bewußtseins der Massen immer in den Hintergrund, und die Klar-heit der klassenmäßigen Gruppierung der Massen wird fast immer als

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52 IV . 1. Lenin

unerwünscht und gefährlich angesehen. Für diejenigen, die die bürger-lichen Parteien nicht verteidigen wollen, steht die Klarheit des politischenBewußtseins und die Klarheit der klassenmäßigen Gruppierung höher alsalles andere. Dies schließt natürlich ein zeitweiliges gemeinsames Handelnder verschiedenartigen Parteien unter gewissen besonderen Bedingungennidit aus, aber dies schließt natürlich jeglidie Parteilosigkeit und jeglidieAbsdiwächung oder Vertuschung der Parteilichkeit aus.

Doch gerade deshalb, weil wir die Parteilichkeit prinzipiell im Interesseder breiten Massen verfechten, im Interesse ihrer Befreiung von jeglidienbürgerlichen Einflüssen, im Interesse der vollen und vollsten Klarheit derklassenmäßigen Gruppierungen, gerade deshalb müssen wir alle unsereKräfte einsetzen und strengstens darauf achten, daß die Parteilichkeitnidit nur ein Wort, sondern Tat ist.

Der parteilose Kandidat Kusmin-Karawajew, der bereits den Spitz-namen „unnötiger" Kandidat erhielt, legt dar, daß es bei den Wahlen inPetersburg keine Parteikandidaten im strengen Sinne des Wortes gibt.Diese Ansicht ist so falsch, daß es sich nicht lohnt, bei ihrer Widerlegungzu verweilen. Daran zu zweifeln, daß die Kandidaturen von Kutler undN . D . Sokolow Parteikan didaturen sind, ist unmöglich. Kusm in-Karawa-jew hat zum Teil der Umstand verwirrt, daß es bei den zwei Parteien, diedie eine und die andere Kandidatur aufgestellt haben, kein völlig offenesParteileben gibt. Dieser Umstand erschwert zwar eine parteimäßige Füh-rung der Wahlen, hebt aber nicht die Notwendigkeit dieser Führung auf.Solchen Schwierigkeiten nachzugeben, vor ihnen zu kapitulieren, ist ge-nau das gleiche, wie dem Wunsch des Herrn Stolypin zu willfahren, ausdem Munde der „Opposition" (Scheinopposition) die Bestätigung seiner„Verfassungsmäßigkeit" zu hören.

Für die an den Petersburger Wahlen teilnehmende Masse ist es jetztbesonders widitig zu prüfen, weldbe Parteien vor diesen Schwierigkeitenkapituliert und welche ihr Programm wie ihre Losungen uneingeschränktaufrechterhalten haben; welche Parteien versuchten, sich dem reaktionä-ren Regime in dem Sinne „anzupassen", daß sie ihre Tätigkeit in derDuma, ihre Presse und ihre Organisation auf den Rahmen dieses Regimeszuschnitten, beschränkten, und welche sich in dem Sinne ange paßt haben ,daß sie einige Formen ihrer Tätigkeit veränderten, keineswegs aber indem Sinne, daß sie ihre Losungen in der Duma beschnitten, keineswegs in

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9Vorf> einmal über Parteilichkeit und Parteilosigkeit 53

dem Sinne, daß sie ihre Presse, ihre Organisationen usw. auf den Rah-men dieses Regimes beschränkten. Eine solche allseitige, auf der Geschichteder Parteien, auf den Fakten ihrer Tätigkeit in und außerhalb der Dumafußende Prüfung bildet den Hauptinhalt der Wahlkampagne. Die Massenmüssen sich in der neuen, für die Demokratie schwierigeren Situation nocheinmal mit den Parteien bekannt machen, die Anspruch darauf erheben,als demokratisch bezeichnet zu werden. Die Massen müssen sich immerund immer wieder bekannt machen mit den Unterschieden zwischen derbürgerlichen Demokratie und derjenigen, von der diesmal N. D. Sokolow

aufgestellt wurde, mit den Unterschieden in den Weltanschauungen derParteien, ihren Endzielen, ihrer Stellung zu der Aufgabe der großen inter-nationalen Befreiungsbewegung, ihrer Fähigkeit, die Ideale und Wege derBefreiungsbewegung in Rußland zu verfechten. Die Massen müssen ausdieser Wahlkampagne enger mit der Partei verbunden hervorgehen, kla-rer die Interessen, Aufgaben, Losungen, Standpunkte und Handlungs-weisen der verschiedenen Klassen erkennen - das ist das unzerstörbareResultat, das die von N. D. Sokolow vertretene politische Richtung höherals alles and ere schätzt un d das sie in ganz beh arrlicher, standh after, diszi-plinierter und allseitiger Arbeit erreichen wird.

.TSotcy Den" Wr. 9, TJadj dem 3ext desii. f27 j September 1909. „9Jowy Ben".

-Unterschrift:Wl Jljin.

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G E S P R Ä C H

M I T D E N P E T E R S B U R G E R B O L S C H E W I K I

Wenn die vorliegende Nummer des „Proletari" in Rußland ankommt,wird die Wahlkampagne in Sankt Petersburg bereits abgeschlossen sein.Jetzt ist es daher ganz angebracht, mit den Petersburger Bolschewiki -sowie mit allen russischen Sozialdemokraten - über den Kampf gegen dieUltimatisten zu sprechen, der während der Wahlen in St. Petersburg bei-nahe bis zur völligen Spaltung führte und dem gewaltige Bedeutung fürdie gesamte sozialdemokratische Arbeiterpartei in Rußland zukommt.

Vor allem sollen vier Etappen dieses Kampfes klar herausgearbeitetwerden, und dann gehen wir ausführlich auf die Bedeutung des Kampfes

sowie auf bestimmte Meinungsverschiedenheiten zwischen uns und einemTeil der Petersburger Bolschewiki ein. Diese vier Etappen sind folgende:1. Auf der im Ausland abgehaltenen Beratung der erweiterten Redaktiondes „Proletari" wurde die Stellung der Bolschewiki zum Otsowismus undUltimatismus endgültig bestimmt sowie die Abspaltung des Gen. Maxi-mow konstatiert (Nr. 46 des „Proletari" und Beilage*). 2. In einer Flug-schrift, die ebenfalls im Ausland unter dem Titel „Bericht der aus der er-weiterten Redaktion des ,Proletari' entfernten Mitglieder an d ie GenossenBolschewiki" gedruckt und verbreitet wurde, legen die Genossen Maxi-mow und Nikolajew (bedingt und teilweise unterstützt von den Genossen

Marat und Domowoi) ihre Auffassungen von der Linie des „Proletari"als einer „menschewistischen" Linie usw. dar und verteidigen ihren Ulti-matismus. Eine Analyse dieser Flugschrift wurde in der Sonderbeilage zuNr. 47/48 des „Proletari"** gegeben. 3. Gleich zu Beginn der Wahl-kampagne in St. Petersburg nahm die Exekutivkommission des Peters-burger Komitees unserer Partei eine ultimatistische Resolution zu den

* Siehe Werke, Bd. 15, S. 429-438; 445-463. Die Red.** Siehe den vorliegenden Band, S. 16-50. Die Red.

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Qesprädlo mit den Petersburger Bohdbewiki 55

Wahlen an. Der Wortlaut dieser Resolution wird weiter unten angeführt.4 . Die Annahme dieser Resolution ruft in den Parteikreisen der Peters-burger Bolschewiki einen wahren Sturm hervor. Der Sturm kommt, wennman es so ausdrücken darf, sowohl von oben als auch von unten. „Vonoben" sind es Entrüstung und Proteste von den Vertretern des Zentral-komitees und von den Mitgliedern der erweiterten Redaktion des „Prole-tari". „Von unten" ist es die Einberufung einer inoffiziellen Beratungsozialdemokratischer Arbeiter und Funktionäre von Petersburger Bezir-ken. Die Beratung nahm eine Resolution an (W ortlau t weiter un ten), w or-

in sie sich mit der Redaktion des „Proletari" solidarisch erklärt, verur-teilt jedoch scharf die „spalterischen Schritte" sowohl dieser Redaktionals auch der Otsowisten-Ultimatisten. Dann wurde eine neue Versamm-lung des St.-Petersburger Komitees sowie der Exekutivkommission ein-berufen und die ultimatistische Resolution aufgehoben. Angenommenwurde eine neue Resolution im Geiste der Linie des „Proletari". DerWortlaut dieser Resolution ist vollständig in der Chronikrubrik der vor-l iegenden Nummer angeführt .

Das ist im wesentlichen der Verlauf der Ereignisse. Die Bedeutung desominösen „Ultimatismus." in unserer Partei ist nunmehr mit aller Deut-lichkeit in der Praxis beleuchtet worden, und alle russischen Sozialdemo-kraten müssen aufmerksam die strit t igen Fragen studieren. Weiter, dieVerurteilung unserer „spalterischen" Linie durch einen Teil unserer Ge-sinnungsgenossen in Petersburg gibt uns willkommenen Anlaß, uns mitallen Bolschewiki audi in dieser wichtigen Frage bis zu Ende auseinander-zusetzen. Sich jetzt bis zu Ende „auseinanderzusetzen" ist besser, als beijedem Schritt in der praktischen Arbeit neue Meinungsverschiedenheitenund „Mißverständnisse" hervorzurufen.

Rekonstruieren wir vor allem genau, welche Stellung wir in der Frage

der Spaltung unmittelbar nach der Beratung der erweiterten Redaktiondes „Proletari" eingenommen haben. In der „Mitteilung" über diese Be-ratung (Beilage zu Nr. 46 des „Proletari"*) wird von Anfang an gesagt,daß der Ultimatismus als Richtung, die der sozialdemokratischen Duma-fraktion ein Ultimatum zu stellen vorschlägt, zwischen dem Otsowismusund dem Bolschewismus schwankt. Einer unserer Ultimatisten im Aus-land — so wird in der Mitteilung gesagt — „gebe zu, daß sich in der letzten~* ~S ieh e Werke, Bd. 15, S. 429-438. Die Red.

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56 IV. 1 Lenin

Zeit die Arbeit der sozialdemokratischen Dumafraktion bedeutend ver-bessert habe und daß er nicht daran denke, ihr jetzt, unverzüglich, einUltimatum zu stellen".

„Mi t solchen Ultimatisten", fährt die „Mitteilung" wörtlich fort , „läßtsich natürlich inn erha lb einer Fraktion zusam men leben . . . Hinsichtlichsoldoer ultimatistisch gesinnten Bolschewiki kann also von Spaltung keineRede sein." Es wäre lächerlich, davon auch nur zu sprechen.

Weiter, auf der zweiten Seite der „Mitteilung" lesen wir:

„Jene örtlichen Funktionäre, die die Resolutionen der Beratung als Aufruf

auffassen würden, alle otsowistisch gesinnten Arbeiter aus den Organisationenzu verjagen oder darüber hinaus die Organisationen dort, wo es otsowistischeElemente gibt, unverzüglich zu spalten, würden einen schweren Fehler begehen.Wir warnen alle örtlichen Funktionäre vor solchen Schritten ganz entschieden."

Man sollte meinen, deutlicher geht es nicht. Die Abspaltung des Gen.Ma x imow, der sidb weigert, sich den Resolutionen der Beratung unter-zuordnen, ist unvermeidlich. Den Bruch mit den schwankenden, noch un-schlüssigen otsowistisch-ultimatistischen Elementen haben wir nicht nurnicht propagiert, sondern wir haben entschieden vor einem solchen Bruch

gewarnt .Betrachten wir nun die zweite Etappe des Kampfes. Die GenossenMaximow und Co. veröffentlichen im Ausland eine Flugschrift, in derman uns einerseits der Spaltung bezichtigt, anderseits aber die Linie desneuen „Proletari" (der angeblich am alten „Proletari", am alten Bolsche-wismus Verrat geübt hat) als menschewistisch, „dumafreundlich" usw.erklärt. Ist es nicht lächerlich, sich über die Spaltung der Fraktion,d. h. einer Vereinigung von Qleidogesinnten innerhalb der Partei, zu be-klagen, wenn man selbst das Fehlen der Gesinnungsgleichheit zugibt?Ihren Ultimatismus verfechtend, schrieben die Genossen Maximow undC o. in ihrer Flugschrift, da ß „die Partei d an n" (d. h. un ter den Bedin-gungen der wütenden und immmer stärker werdenden Reakt ion, die fürdie gegenwärtige Periode kennzeichnend sind) „keine großangelegte undeffektvolle Wahlkampagne unternehmen, dann keine ihrer würdige par-lamentarische Vertretung erhalten kann" - daß „dann die Nützlichkeiteiner Teilnahme an einer pseudoparlamentarischen Institution zweifel-haft und umstrit ten sein wird" -, daß der „Proletari" „dem Wesen"der Sache nach „auf den menschewistischen Standpunkt des Parlamenta-

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Qespräch mit den Petersburger Volscbewiki 5 7

rismus um jeden Preis übergeht". Diese Phrasen werden von einer ver-

schwommenen Verteidigung des Otsowismus („die Otsowisten haben sichniemals [!!!] im Sinne des Antiparlamentarismus überhaupt ausgespro-chen") und von einer verschwommenen Absage an ihn begleitet (wir sinddoch keine Otsowisten; die Partei soll jetzt nicht die sozialdemokratischeDumafraktion auflösen; „die Partei soll" „entscheiden, ob nicht letztenEndes dieses ganze Un terneh m en - die Teilnahme an der III. Du m a - fürsie unvorteilhaft w ar ", als ob die Partei diese Frage noch nicht entschiedenhätte!). • • • • . .

Diese Verschwommenheit von Maximow und Co. hat viele getäuschtund täuscht sie noch; man sagt: nun, welchen Schaden können denn derPartei oder auch der Fraktion Leute zufügen, die sich nicht im geringstenweigern, die Parteibeschlüsse durchzuführen, und die nur vorsichtig ihreetwas andere Einschätzung der Taktik verfechten?

Eine derartige Auffassimg von der Propaganda Maximows und Co.ist unter den vertrauensseligen Menschen stark verbreitet , die Worte fü rbare Münze nehmen und d ie konkrete politische Bedeutung der ver-schwommenen, vorsichtigen, diplomatischen Phrasen unter den Bedin-gungen der gegenwärtigen Lage der Partei nicht berücksichtigen. DieseLeute hab en jetzt eine vortreffliche Lehre erteilt beko mm en. •

Die Flugschrift M axim ow s un d C o. ist vom 3./16. Juli 1909 datiert .3m August nahm die Exekutivkommission des St.-Petersburger Komiteesm it drei ultimatistischen Stimmen gegen zwei Stimmen folgende.Resolu-tion zu der bevorstehenden (nunmehr bereits abgeschlossenen) Wahl-kampagne in Petersburg an:

„Die Exekutivkommission hat zur Frage der Wahlen beschlossen: Ohne derReichsduma and unserer Dumafraktion besonders große Bedeutung beizumes-sen, lassen wir uns jedoch von den allgemeinen Parteibeschlüssen leiten undwerden die W ahle n durchführen, wobei nicht alle vorhandenen K räfte auf-

gewandt, sondern lediglich eigene Kandidaten zum Auffangen der sozialdemo-kratischen Stimmen aufgestellt werden. Es wird eine Wahlkommission gebildet,die durch, einen Vertreter der Exekutivkommission des Petersburger Komiteesunters tellt wird ." • • . •

M ög e der Leser diese Resolution mit der im Au sland veröffentlichtenFlugschrift Maximows vergleichen. Der Vergleich dieser beiden Doku-mente ist das beste und wirksamste Mittel , um der Öffentlichkeit die

5 Lenin, W erk e, Bd. 16

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58 19.1. Cenin

Augen über die wahre Bedeutung der Auslandsgruppe Maximows zu

öffnen. Diese Resolution spricht genau wie die Flugschrift Maximows vonder Unterordnung unter die Partei und verficht genau wie Maximowprinzipiell den Ultimatismus. Wir wollen keineswegs sagen, daß diePetersburger Ultimatisten sich direkt von der Flugschrift Maximows lei-ten ließen, dafür haben wir keinerlei Angaben. Doch das ist auch nichtwichtig. Wir behaupten, daß die ideologische Identität der politischen Posi-tion hier auf der Hand liegt. Wir behaupten, daß sich an dem betreffen-den Beispiel besonders anschaulich die Anwendung des „vorsichtigen",„diplomatischen", taktischen, verschwomm enen - nen nt es, wie ihr wollt -

Ultimatismus in der Tat gezeigt hat, eine Anwendung, die jedem derParteiarbeit nahestehenden Menschen aus Hunderten von analogen, weni-ger „effektvollen" und nicht in offiziellen Dokumenten fixierten Fällenbekannt ist , die Dinge betreffen, wovon ein Sozialdemokrat aus konspi-rativen G ründ en u . a. m . der Öffentlichkeit nicht berichten k ann. N atü r-lich ist die Petersburger Resolution in literarisch-stilistischer Hinsichtweniger geschickt als die Flugschrift Maximows. Aber in der Praxis wer-den doch in den örtlichen Organisationen die Ansichten Maximows stets(oder in 999 von 1000 Fällen) nicht von Maximow selbst, sondern vonseinen weniger „geschickten" Anhängern angewandt. Für die Partei istnicht von Interesse, wer „geschickter" die Spuren verwischt, sondernwelches der tatsächliche Inhalt der Parteiarbeit, welches die tatsächlicheRichtung ist , die der A rbeit durch diese oder jene Füh rer gegeben w ird.

Und wir fragen einen beliebigen unvoreingenommenen Menschen,können die Anhänger des „Proletari" und die Verfasser derartiger Reso-lutionen in einer Fraktion, d. h. in einer Vereinigung gleichgesinnter Par-teimitglieder zusammenarbeiten? Kann man ernsthaft davon sprechen,daß der Parte ibeschluß über die Ausnutzung der Duma und der Duma-tribüne verwirklicht wird, wenn solche Resolutionen leitender Organe der

örtlichen Komitees existieren?

Daß die Resolution der Exekutivkommission in der lat Knüppel in denMechanismus der beginnenden Wahlkampagne wirft , daß diese Resolu-t ion in der Tat die Wahlkampagne hintertreibt — das haben alle (außerihre Verfasser und die Ultimatisten, die von der „Kunst" Maximows, dieSpuren zu verwischen, begeistert sind) sofort begriffen. Darüber, wie dieBolschewiki in St. Pete rsbu rg auf diese Resolution reagie rten, hab en w ir

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Qesprädh mit den Petersburger Holsdhewiki 59

sdion gesprochen und werden später noch davon sprechen. Was uns an-belangt, so haben wir unverzüglich den Artikel „Otsowistisch-ultimatisti-sche Streikbrecher"24 geschrieben - Streikbrecher deshalb, weil die Ulti-matisten mit ihrer Haltung offenkundig die sozialdemokratische Wahl-kampagne zugunsten der Kadetten verrieten. In diesem Artikel haben wirdie ganze Schändlichkeit einer solchen Resolution für die Sozialdemokra-ten aufgezeigt und die Exekutivkommission, die diese Resolution ange-nommen hat, aufgefordert, beim „Proletari" unverzüglich die Bezeich-nung „Organ des St.-Petersburger Komitees" streichen zu lassen, fallsdiese Exekutivkommission Anspruch darauf erhebt, die Ansichten derPetersburger Sozialdemokraten zum Ausdruck zu bringen: Wir wollen

nicht heucheln, wurde in diesem Artikel gesagt, das Organ derartiger...Auch-Bolschewiki waren wir nicht und werden es auch nicht sein.

De r Artikel w ar bereits gesetzt und sogar umb rochen, als wir aus Peters-burg einen Brief mit der Nachricht erhielten, daß die ominöse Resolutionannulliert sei. Die Fertigstellung der Nummer mußte verschoben werden(N r. 47 /48 erschien aus diesem G runde einige Ta ge später als vorgesehen),über die Resolution der Ultimatisten muß man jetzt zum Glück nidit imZusammenhang mit der laufenden Wahlkampagne sprechen, sondern umzu zeigen, was gewesen ist. . . und was am besten gänzlich der „Ver-

gessenheit anheimfiele".Hier der Wortlaut der Resolution, die von Petersburger Bolschewiki

auf einer nach Annahme der ominösen Resolution einberufenen inoffiziel-len Versammlung angenommen wurde:

„Die inoffizielle Beratung von sozialdemokratischen Arbeitern und Funk-tionären verschiedener Bezirke erklärt, nachdem sie die Resolutionen der erwei-terten Redaktion des ,Proletari' erörtert hat, ihr volles Einverständnis mit derpolitischen Linie in den Resolutionen ,Uber die Aufgaben der Bolschewiki inder Partei', ,über das Verhältnis zur Dumatätigkeit usw.' und ,Uber Ultimatis-

mus und Otsowismus'.Gleichzeitig jedoch ist die Beratung mit den Methoden des Kampfes gegendie Genossen Ultimatisten, wie sie von der Redaktion in diesen Resolutionenangewandt werden, absolut nicht einverstanden, weil sie solche Methoden alsein Hindernis für die Verwirklichung der von der Redaktion des ,Proletari'aufgezeigten Hauptaufgabe - der Wiederherstellung der Partei - betrachtet.

Gleichermaßen protestiert die Beratung gegen die spalterischen Schritte vonSeiten der Genossen Ultimatisten und Otsowisten."

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60 1/9.1 Lenin

Nach Annahme dieser Resolution wurde eine neue Sitzung des Peters-burger Komitees einberufen, die die ultimatistische Resolution annullierteund eine neue annahm (siehe Chronikrubrik). Diese neue Resolutionschließt: „Das Petersburger Komitee hält die Ausnutzung der bevorste-henden Wählkampagne für außerordentlich wichtig und notwendig undbeschließt, aktiv an • ihr teilzunehmen."

Bevor wir den mit unserer angeblich spalterischen Politik nicht einver-standenen Genossen antworten, führen wir einige Auszüge aus dem Briefeines dieser Genossen an:

„Wenn man jedoch unter den Teilnehmern der Beratung (der inoffiziellen

Beratung verschiedener Bezirke), die sich zu % aus Arbeitern zusammensetzte,eine einheitliche Auffassung in der Einschätzung der Lage und unserer darausresultierenden taktischen Schritte beobachten konnte, so war die Beratung nichtminder einstimmig gegen die von der Redaktion des ,Proletari' vorgeschlagenenMethoden des Kampfes gegen die ultimatistischen Gegner unserer Taktik. Sieerklärte sich nicht einverstanden, daß in den Resolutionen des ,Proletari' ge-zeigt wird, es sei notwendig, sich fraktionell von diesen Genossen abzug renzen,da sie in dieser Abgrenzung einen die Existenz der Partei selbst gefährdendenSchritt sieht... Ich bin überzeugt, daß ich die Meinung und Stimmung derBeratung richtig wiedergebe, wenn ich sage: wir lassen keine Spaltung zu.

Genossen! Ihr dort im Ausland habt euch einen schreckenerregenden ulti-matistischen Teufel ausgemalt, den es in Wirklichkeit bei uns nicht gibt. Einezufällige Zusammensetzung des Petersburger Komitees und der Exekutiv-kommissiori brachte den Ultimatisten die Mehrheit, und im Ergebnis dessenwurde eine unsinnige, fehlerhafte Resolution angenommen, die diesen Ultima-tisten einen solchen moralischen Schlag versetzte, von dem sie sich wohl kaumerholen werden... In der Sitzung des Petersburger Komitees, das diese Reso-lution annahm, fehlten die Vertreter von drei Bezirken und, wie sich jetzt her-ausstellte, besaß der Vertreter eines vierten Bezirks keine beschließendeStimme. Das heißt also, es fehlten Vertreter von vier Bezirken, und die eine

Stimme, die den U ltimatisten die Meh rheit b rachte, erweist sich als „aufgeklärt'.Es ergibt sich, daß auch diese nicht vollzählige Sitzung des Petersburger Komi-tees den Ultimatisten nicht die Mehrheit brachte ... In bezug auf die Reso-lution des Petersburger Komitees zu den Wahlen hat die Beratung beschlossen,eine Revidierung der Resolution zu erreichen, und es wird zweifellos schon aufder nächsten Sitzung des Petersburger Komitees, wo wir, wie sich jetzt heraus-gestellt hat, die Mehrheit haben werden, eine andere Resolution angenommenwerden. U nd die Ultimatisten selbst, die sich ihrer Resolution schämen, sind m it

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Qespräch mit den Petersburger TSolsdhewiki 6i

deren Revidierung einverstanden. A lle - wie es scheint, auch ihr Verfasser nicht

ausgenommen - stimmen darin überein, daß sie in jeder Hinsicht unsinnig ist;sie ist jedoch - und dies unterstreiche ich - kein Verbrechen. Die GenossenUltimatisten, die für diese Resolution stimmten, brachten zum Ausdruck, daßsie mit dem V erfasser der Resolution nicht einverstanden sind, der sich tatsäch-lich an das Sprichwort gehalten h at, das empfiehlt: , Vermögen erwerben, dochdie Unschuld bewahren'."

Also, unser Gesinnungsgenosse beschuldigt uns, daß wir uns im Aus-land einen schreckenerregenden ultimatistischen Teufel ausgemalt haben,daß wir durch unseren spalterischen Kampf gegen die Ultimatisten die

Sache der Wiederherstellung der Partei erschweren (oder zuniditemachen).

Die beste Antwort auf diese „Beschuldigungen" ist die Geschichte des-sen, was in Petersburg vorging. Deshalb haben wir auch diese Geschichteso ausführlich erzählt. Die Tatsachen sprechen für sich selbst.

W ir erklärten, daß sich Gen . M axim ow von der F raktion abgespaltenhat, weil er es ablehnte, sich den Resolutionen der erweiterten Redaktionunterzuordnen, und unter dem Deckmantel der ominösen „Schule" dasideologisch-organisatorische Zentrum einer neuen Organisation im Aus-

land organisiert hat. Dies legen uns einige unserer Gesinnungsgenossenzu r Last, die gezwungen w aren, in Petersbu rg mit Tlilfe ganz außerorden t-licher "Maßnahmen (inoffizielle Sonderberatung einflußreicher Arbeiterund Revidierung eines bereits angenommenen Beschlusses!) die Annullie-rung einer „ in jeder J-Hnsidbt unsinnigen" Resolution durchzusetzen, inder die Ansichten Maximows wiedergegeben sind!!

Nein, Genossen, wenn ihr uns Spaltung vorwerft und uns beschuldigt,„den Teufel an die Wand zu malen", habt ihr uns erneut bewiesen, wiezwingend notwendig es gewesen ist , zu erklären, daß Maximow sich von

der Fraktion abgespalten hat, habt ihr uns lediglich bewiesen, daß wir denBolschewismus hoffnungslos blamieren und der Parteisache einen nichtwiedergutzumachenden Schlag versetzen würden, wenn wir uns am Vor-abend der Wahlen in Petersburg nicht von Maximow abgrenzten. EureJäten, Genossen, die ihr uns der Spaltung bezichtigt, widerlegen eureWorte.

Ihr seid „nur" mit unseren Methoden des Kampfes gegen die Ultima-tisten „nicht einverstanden". Wir sind in bezug auf eure Methoden des

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62 "W. 1. Centn

Kampfes gegen die Ultimatisten nicht im geringsten anderer Ansicht als

ihr, wir begrüßen voll und ganz eure Methoden des Kampfes wie eurenSieg - gleichzeitig jedoch sind wir zutiefst überzeugt, daß eure Methodeneben nidits anderes sind als die Anwendung „unserer" Methoden in derPraxis in einem bestimmten Parteimilieu.

Worin bestehen unsere „üblen" Methoden? Darin, daß wir zur Ab-grenzung von Maximow und Co. aufgefordert haben. Worin besteheneure, die guten Methoden? Darin, daß ihr die Resolution, die vollständigdie Ansiditen Maximows wiedergibt, „in jeder Hinsicht für unsinnig" er-klärt habt, daß ihr eine Sonderberatung einberufen, den Feldzug gegen

diese Resolution eröffnet und erreicht habt, daß selbst die Verfasser sichihrer schämten, daß es euch gelungen ist, sie zu annullieren und durcheine niäot ultimatistische, sondern bolschewistische Resolution zu ersetzen.

Euer „Feldzug", Genossen, ist die Tortsetzung unseres Feldzugs, nichtaber dessen Widerlegung.

Doch wir haben niemanden für abgespalten erklärt, sagt ihr. Ausge-zeichnet. U m unsere, die üble Methode zu „widerlegen", versucht einmal,im Ausland das zu tun, was ihr in Petersburg getan habt. Versucht zu er-reichen, daß Maximow und seine Anhänger (und sei es am O rt der traurig

berühm ten Jeroginschen „Schule") die Flugschrift Maximows („Bericht andie Genossen Bolschewiki") ihrem ideologischen Inhalt nach „in jederHinsicht für unsinnig" erklären, versucht zu erreichen, daß Maximow undseine Kumpanei sich dieser Flugschrift „schämen", daß die ominöse„Schule" eine Flugschrift mit direkt entgegengesetztem ideologischen In-halt herausbringt.* Wenn ihr das erreicht, dann widerlegt ihr tatsächlich

* Hier, nebenbei, eine Illustration für die Verwischung der Spuren durchMaximow und die ominöse „Schule". Die Schule brachte eine vom 26. August

1909 datier te Flugschrift h erau s mit dem Program m der Schule, mit einem BriefKautskys (der sehr milde den Ratschlag gibt, die philosophischen Meinungsver-schiedenheiten „nicht in den Vordergrund zu rücken", und erklärt, daß er „diescharfe Kritik an der sozialdemokratischen Dumafraktion für nicht gerecht-fertigt hält" - vom „Ultimatismus" schon gar nicht zu sprechen!), mit einemBrief Lenins (siehe Werke, Bd. 15, S. 471/472. Die Red.) und mit einer Reso-lution des Rates der Schule. Dieser komische Rat erklärt, daß „sie (die Schule)den gemeinsamen Zielen und Aufgaben der Gesamtpartei dient und absolutnichts zu tun hat mit den fraktionellen Streitigkeiten". Lesen wir die Unter-

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Qesprädb mit den Petersburger Hokdhewiki 63

unsere Methoden des Kampfes, und wir erkennen gern „eure" Methoden

als die besseren an.In Petersburg gibt es eine aktuelle, dringliche Aufgabe für die gesamte

Partei: die Wahlen. Dort hat das sozialdemokratische Proletariat die Ulti-matisten un verzüglich zur Ordnung gerufen, un d so .zur Ordnung gerufen,daß diese sofort gehorchten: die Parteiergebenheit überwog, die Nähe derproletarischen Masse übte einen guten Einfluß aus; sofort wurde allenklar, daß mit der ultimatistischen Resolution die Aufgaben nicht erfülltwerden können. Unverzüglich wurde den Ultimatisten ein Ultimatum ge-stellt, und die Petersburger Ultimatisten haben (zu ihrer Ehre muß mandas sagen) auf das Ultimatum der Bolschewiki mit der Unterordnungunter die Partei, mit der Unterordnung unter die Bolschewiki und nichtmit dem Kampf gegen die Bolschewiki geantwortet (zumindest währendder W ahlen,- ob sie den K ampf auch nach den W ah len einstellen, das wis-sen wir noch nicht).

Maximow und Co. sind Ultimatisten nicht nur einer Laune nach. Sieversuchen, aus dem Ultimatismus eine ganze Linie zu konstruieren. Sieerrichten ein ganzes System einer ultimatistischen Politik (wir sprechenschon nicht von ihrer Freundschaft mit den Gottbildnern, woran die Pe-tersburger Ultimatisten wahrscheinlich unschuldig sind), sie schaffen aufdieser Grundlage eine neue Richtung, sie haben den systematischen Krieggegen den Bolschewismus begonnen. Freilich werden audi diese Inspira-toren der Otsowisten eine Niederlage erleiden (und erleiden sie schon);um aber unsere Fraktion und Partei von der otsowistisch-ultimatistischenKrankheit schneller zu befreien, waren hier entschiedenere Maßnahmennötig, und je entschlossener wir unseren Kampf gegen die offenen undSchriften dieser Flugschrift. Lektoren: Maximow, Gorki, Ljadow, Lunatscharski,Michail, Alexinski. überlegt nur: die Schule mit einem solchen Lehrkörper „hatabsolut nichts zu tun " mit den „fraktionellen Streitigkeiten"! H ört, liebe Genos-

sen: . . . flunkert, aber haltet M aß ! - M an w ird uns sagen: die Schule hat auchandere Lektoren „eingeladen". Erstens hat sie eingeladen, da sie genau wußte,daß die anderen fast niemals hinkommen können. Zweitens hat die Schule ein-geladen, aber... „Doch die Schule konnte ihnen (den anderen Lektoren) keineMittel für ihre Reise und für ihren Unterhalt während des Lektionszyklusgewähren." (Flugschrift vom 26. August 1909.) Ist das nicht köstlich? Wir sindabsolut keine Fraktionsmacher, aber Mittel für die Reise „gewähren könnenwir" niemand außer den „Unsrigen". ..

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64 WJ.Cenin

versteckten Otsowisten führen, desto schneller befreien wir die Partei von

dieser Krankheit„Eine zufällige Mehrheit" der Ultimatisten - sagen die Petersburger.

Ihr irrt zutiefst, Genossen. Ihr seht jetzt bei euch einen kleinen Ausschnitteiner allgemeinen Erscheinung und erklärt einen Umstand als „Zufällig-keit", dessen Zusammenhang mit dem Ganzen euch nicht klar ist. Erinnerteuch an die Tatsachen. Im Frühjahr 1908 tritt der Otsowismus im zen-tralen Gebiet in Erscheinung und vereinigt auf der Moskauer Stadtkonfe-renz 14 Stimmen (von 32) auf sich. Im Sommer und Herbst 1908 findeteine otsowistische Kampagne in Moskau statt: das „Rabotscheje Snamja"

eröffnet die Diskussion und widerlegt den Otsowismus. August 1908 be-ginnt die Diskussion auch im „Proletari". Herbst 1908: Formierung derOtsowisten zu einer „Strömung" auf der Gesamtrussischen Parteikonfe-renz. Frühjahr 1909: Kampagne der Otsowisten in Moskau (siehe Nr.47/48 des „Proletari", „Konferenz der Moskauer Bezirksorganisation").Sommer 1909» ultimatistische Resolution der Exekutivkommission desPetersburger Komitees.

Angesichts dieser Tatsachen von einer „Zufälligkeit" der ultimatisti-schen Mehrheit zu sprechen, ist einfach naiv. In einzelnen Gegenden sind

stärkste Schwankungen innerhalb der Organisationen unausbleiblich, so-lange die Reaktion derart stark, solange der Mitgliederbestand der sozial-demokratischen Organisationen derart schwach ist wie jetzt. Heute erklä J

ren die Bolschewiki die ultimatistische Mehrhei t in N N als „Zufälligkeit",morgen erklären die Ultimatisten die bolschewistische Mehrheit in M Mals „Zufälligkeit". Es gibt eine Unmenge Leute, die aus diesem Anlaßgern streiten - wir gehören nicht zu ihnen. Man m uß begreifen, da ß dieseStreitereien und Zänkereien das Produkt einer tiefgehenden ideologischenMeinungsverschiedenheit sind. Nur wenn wir das begriffen haben, werden

wir den Sozialdemokraten helfen, die unfruchtbaren und entwürdigendenStreitereien (wegen einer „zufälligen" Mehrheit, wegen dieses oder jenesorganisatorischen Konflikts, wegen Geldes, wegen Verbindungen usw.)durch die Aufdeckung der ideologischen Ursachen der Meinungsverschie-denheit zu ersetzen. Wir wissen sehr wohl, daß sich der Kampf der Ulti-matisten gegen die Bolschewiki in vielen Städten auf die verschiedenstenArbeitsgebiete erstreckt, Zwistigkeit und Zersetzung auch in die Arbeitinnerhalb der legalen Vereinigungen, Gesellschaften, Kongresse und Ver-

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Qesprädh mit den Petersburger Bolschewiki 65

Sammlungen hineingetragen hat. Wir besitzen Briefe „vom Kampfplatz"

übe r diese Zwistigkeit und Zers etzun g - leider erlauben uns die E rforder-nisse der Konspiration nur ein Zehntel, wenn nicht nur ein Hundertstelder auf diesem Qebiet eingegangenen Zuschriften zu veröffentlichen. Wirbeh aupte n kategorisch, da ß der Kampf gegen die Ultimatisten in St. Pe-tersburg während der Wahlen keine Zufälligkeit, sondern eine der un-zähligen Erscheinungsformen der allgemeinen Krankheit ist.

Und wir sagen darum immer und immer wieder allen Genossen Bol-schewiki, allen Arbe itern /de ne n die Sache der revolutionären Sozialdemo-kratie teuer ist: Nichts ist fehlerhafter und schädlicher als die Versuche,diese Krankheit zu verbergen. Es ist notwendig, mit aller Deutlichkeit dieUrsachen, den Charakter und die Bedeutung unserer Meinungsverschie-denheit mit den Anhängern des Otsowismus, Ultimatismus und des Gott-bildnerrums aufzudecken. Es ist notwendig, die Fraktion der Bolschewiki,d.h. die Vereinigung gleichgesinnter Bolschewiki, die die Partei in derallen bekannten Richtung des „Prdletari" führen wollen, eindeutig vonder neuen Fraktion abzutrennen, abzugrenzen, die unvermeidlich ihreAnhänger heute zu den „zufälligen" anarchistischen Phrasen in denMoskauer und Petersburger otsowistischen Plattformen, morgen zu dem„zufälligen" karikaturhaften Bolschewismus in der Flugschrift Maximows,

übermorgen zu der „zufälligen" Petersburger „unsinnigen" Resolutionbringt. Es ist notwendig, diese Krankheit zu verstehen und einmütig anihre Heilung zu gehen. Dort, wo die Heilung mit den Methoden der Pe-tersbu rger möglich ist, d. h. dadurc h, da ß unverzüglich u nd erfolgreichan das sozialdemokratische Bewußtsein der fortgeschrittenen Arbeiter ap-pelliert wird, dort ist eine solche Heilung das beste, dort hat niemals je-mand die Abtrennung und Abgrenzung um jeden Preis propagier t . Aberdort, wo sich auf Grund verschiedener Bedingungen etwas stabilere Zen-tren herausbilden, Zirkel, die die Ideen der neuen Fraktion propagieren,

dort ist eine Abgrenzung unerläßlich. Dort ist die Abgrenzung von derneuen Traktion das lAnterpfand für die praktische Einheit des Handelnsin den Reihen der Partei, denn die Unmöglichkeit einer solchen Arbeitunter dem Banner des Ultimatismus haben eben erst die PetersburgerPraktiker selbst zugegeben.

„Proletari" !Wr. 49, Nadi dem j e x t des „Proletari".3.(16.) Oktober 1909.

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ANMERKUNG ZU DEM ARTIKEL„PETERSBURGER WAHLEN"25

Gegen die Übertreibung dieses bolschewistischen Gedankens wandtensich nur die Bolschewiki. Als sich in den „Nowy Den" 2 6 der falsche Ak-zent einer ungenügenden prinzipiellen Abgrenzung von den Trudowikiund den Volkssozialisten einschlich, unternahmen drei bolschewistischePublizisten den Versuch, diese Verwischung der programmatischen Mei-nungsverschiedenheiten zu korrigieren und die Agitation in der Zeitungund in den Wahlversammlungen auf einen konsequenteren klassenmäßi-

gen, sozialistischen Weg zu lenken. Dieser Versuch mißlang, soweit uns

bekan nt is t, nicht durch die Schuld der 'Bolschewiki. Genauso mißlang auchde r Versuch eines Bolschewiken, gegen Jordanskis Äu ßerun gen im „N ow yDen" hinsichtlich der Auffassungen der Sozialdemokraten von der Ge-setzlichkeit und Ordnung Einwände zu erheben. Jordanski verflachte, wieviele Opportunisten, den bekannten Ausspruch Engels ' von den „rotenBacken", die die Sozialdemokratie auf dem Boden der „Gesetzlichkeit"bekommt. Engels selbst protestierte energisch gegen die kolportierte Aus-legung dieser seiner Ansicht (siehe seine Briefe an die „Neue Zeit"), diefür eine bestimmte Periode der Entwicklung Deutschlands (unter den Be-

dingungen des allgemeinen Wahlrechts usw.)2 7

Gültigkeit hatte. Jordan-ski hielt es für statthaft, davon unte r den Bedingungen der „Gesetzlichkeit"vom 3. Juni zu sprechen.

.Vroletari" Nr. 49, Nach dem 7ext des „Vroletari".3. (i6.) Oktober 1909.

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R E S O L U T I O N S E N T W U R F

Ü B E R D I E F E S T I G U N G D E R P A R T E I

U N D I H R E R E I N H E I T 2 8

Die Redaktion des Zentralorgans29 erkennt an, daß die Festigung unse-rer Partei und ihrer Einheit gegenwärtig ausschließlich durch die bereitsangebahnte Annäherung bestimmter starker und in der praktischen Ar-beiterbewegung einflußreicher Fraktionen, nicht aber durch moralisierendeNörgeleien zum Thema ihrer Liquidierung erfolgen kann, wobei sichdiese Annäherung auf der Basis der revolutionär-sozialdemokratischenTaktik und Organisationspolitik zu vollziehen und zu entwickeln hat, diegerichtet ist auf den entschiedenen Kampf gegen das Liquidatorentum

sowohl von „links" als auch von „rechts", besonders von rechts, da dasbereits geschlagene „linke" Liquidatorentum weniger gefährlich ist.

geschrieben am 21. Oktober(3 . November) 1909.

Zuerst veröffentlicht i929 "Nadi dem Manuskript.in der 2.-3. Ausgabe derWerke IV. 1 Lenins, Vand XIV.

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R E D E A U F D E R T A G U N G D E S

I N T E R N A T I O N A L E N S O Z I A L I S T I S C H E N B Ü R O S

Z U R S P A L T U N G I N D E R

S O Z I A L D E M O K R A T I S C H E N A R B E I T E R P A R T E I

H O L L A N D S 3 0

Nach einem Beridit des „Bulletin" des ISB

Der Vorschlag Adlers scheint die Spaltung als etwas Unabänderlicheshinzunehmen, die neue Partei als eine Fraktion der holländischen Sektionzu behandeln und ihr das Recht einzuräumen, sich auf dem InternationalenKongreß vertreten zu lassen. Was die Anzahl der Stimmen betrifft, überwelche sie auf dem Internationalen Kongreß verfügen wird, diese Fragewird von der holländischen nationalen Sektion zu behandeln sein, undwenn sich ein befriedigendes Ergebnis nicht erzielen läßt, so hat die neuePartei das Recht, an das Büro zu appellieren. Genossin Roland-Holst hat

übrigens an das Büro einen Brief geschrieben, um den Anschluß der neuenPartei zu befürworten.

Qebalten am 25 . Oktober(7. November) i909.

Veröftentlidbt im „Bulletin Veriodi^ue TJado dem 7ext des „Bulletin",du Bureau Socialiste International"

!Ä/f. 2, Brwcelles („PeriodisdhesBulletin des Jnternationalen Sozia-listischen Büros" 3Vr. 2, Brüssel).

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D E R Z A R G E G E N D A S F I N N I S C H E V O L K

Die Schwarzhunderterbanditen im Winterpalast und die oktobristi-

schen Falschspieler der III. Duma haben einen neuen Feldzug gegen Finn-land begonnen. Die Verfassung aufzuheben, durch die die Rechte derFinnen vor der Willkür der russischen Selbstherrscher geschützt sind,Finnland mit dem übrigen Rußland in der Rechtlosigkeit des Ausnahme-zustands gleichzustellen - das ist das Ziel dieses Feldzugs, der seinenAnfang nahm mit dem Zarenerlaß , durch den die Frage der Militärpflichtohne den Landtag entschieden wurde, sowie mit der Einsetzung neuerSenatoren aus den Reihen der russischen Beamten. Es wäre müßig, jeneArgumente näher zu untersuchen, mit denen die Räuber und Falsch-

spieler die Gesetzlichkeit und Rechtmäßigkeit der Forderungen zu be-weisen suchen, die sie Finnland unter der Drohung mit einer MillionBajonette gestellt haben. Den Kern der Sache bilden nicht die Argu-mente, sondern das Ziel, das verfolgt wird. In Gestalt des demokratischenund freien Finnlands wollen die zaristische Regierung und ihre Helfer dieletzten Spuren der Errungenschaften des Volkes vom Jahre 1905 ver-nichten. Und deshalb geht es in diesen Tagen um die Sache des gesamtenrussischen Volkes, wenn die Kosakenregimenter und Artilleriebatterien inaller Eile die zentralen Städte in Finnland besetzen.

Die von den Finnen unterstützte russische Revolution hatte den Zarengezwungen, den Griff zu lockern, mit dem er einige Jahre lang das finni-sche Volk würgte. De r Za r, der seine Selbstherrschaft auf Finnland hatteausdehnen wollen, auf dessen Verfassung seine Vorfahren und er selbstden Eid ablegten, mußte nicht nur die Vertreibung der BobrikowschenHenker31 vom finnischen Boden und die Aufhebung aller seiner ungesetz-lichen Erlasse anerkennen, sondern auch die Einführung des allgemeinen

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70 T4>. 1 Lenin

und gleichen Wahlrechts in Finnland. Nachdem er die russische Revo-

lution erstickt hat, wendet sich der Zar wieder dem Alten zu, jedoch mitdem Unterschied, daß er sich jetzt der Unterstützung nicht nur der altenGarde, seiner gekauften Spione und Plünderer der Staatskasse sicher ist,sondern auch jenes wohlhabenden Packs, das mit den Krupenski undGutschkow an der Spitze in der III. Duma gemeinsam im Namen des rus-sischen Volkes auftritt.

Alles begünstigt das räuberische Unterfangen. Die revolutionäre Be-wegung ist in Rußland schrecklich geschwächt worden, und die Angst vorihr lenkt das gekrönte Ungeheuer nicht von der ausersehenen Beute ab.Die westeuropäische Bourgeoisie, die früher einmal dem Zaren Adressenmit der Bitte, Finnland in Ruhe zu lassen, gesandt hatte, rührt keinen Fin-ger, um den Banditen Einhalt zu gebieten. Haben sich doch bei ihr ebenerst für die Ehrlichkeit und „Verfassungsmäßigkeit" der Absichten desZaren jene Leute verbürgt! die früher Europa aufgerufen hatten, diezaristische Politik in Finnland zu verurteilen. Die Führer der Kadetten,die sich „Vertreter der russischen Intelligenz" und „Vertreter des russi-schen Volkes" nennen, haben der europäischen Bourgeoisie feierlich be-teuert, daß sie und mit ihnen auch das russische Volk mit dem Zaren soli-

darisdb seien. Die russischen Liberalen haben alle M aßn ahm en ergriffen,

damit sich Europa gegenüber dem neuen Überfall des zweiköpfigen Raub-tiers auf Finnland genauso teilnahmslos verhält, wie es sich zu seinenFeldzügen gegen das freie Persien verhalten hat.

Das freie Persien hat dem Zarismus aus eigener Kraft die Stirn geboten.Das finnische Volk — und an seiner Spitze das finnische Proletariat - be-reitet den entschlossenen Widerstand gegen die Nachfolger Bobrikows vor.

Das finnische Proletariat ist sich bewußt, daß es den Kampf unteräuß erst schweren Bedingungen z u führen ha t. Es we iß, daß sich die mit de rSelbstherrschaft kokettierende westeuropäische Bourgeoisie nicht ein-

mischen wird; daß die besitzenden Schichten der russischen Gesellschaft,zum Teil durch die Stolypinsche Politik korrumpiert, zum Teil durch dieLügen der Kadetten demoralisiert, Finnland nicht solche moralische Un-terstützung gewähren werden, die es bis zum Jahre 1905 hatte,- daß dieUnverschämtheit der russischen Regierung unglaublich zugenommen hat,seitdem es ihr gelungen ist, der revolutionären Armee in Rußland selbsteinen Schlag zu versetzen.

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Der Zar gegen das finnisdje Volk 71

Doch das finnische Proletariat weiß auch, daß der polit ische Kampfnicht durch eine Schlacht entschieden wird, daß er mitunter langjährigehartnäckige Anstrengungen erfordert und daß letzten Endes der siegt,für den die Kraft der historischen Entwicklung wirkt. Die Freiheit Finn-lands wird triumphieren, weil ohne sie die Freiheit Rußlands nicht siegenkann, und ohne Triumph der Freiheit in Rußland ist dessen ökonomischeEntwicklung nicht möglich.

D as finnische Proletariat we iß aus ruhmreicher Erfahrung auch, wie einlangjähriger, hartnäckiger revolutionärer Kampf für die Freiheit zu füh-ren ist , der darauf abzielt , den niederträchtigen Feind zu ermüden, zudesorganisieren und bloßzustellen, bis die Um ständ e es gestatten, ihm den

entscheidenden Schlag zu versetzen.

Gleichzeitig weiß das Proletariat Finnlands, daß es von den erstenSchritten seines neuen Kampfes an das sozialistische Proletariat ganz Ruß-lands auf seiner Seite haben wird, das, wie schwer die Bedingungen gegen-wärtig auch sein mögen, bereit ist, seine Pflicht zu erfüllen, seine ganze

Pfli&t.

Die sozialdemokratische Fraktion des Landtags entsandte eine Abord-nun g zur sozialdemokratischen Fraktion der III. D um a, um gemeinsamden Kampfplan gegen die Gewalttäter zu beraten. Von der Höhe der

Dumatribüne aus werden unsere Abgeordneten ihre St imme erheben, wiesie es bereits im vorigen Jahr getan haben, um die zaristische Regierungzu brandmarken und ihren heuchlerischen Verbündeten in der Duma dieMaske vom Gesicht zu reißen. Mögen denn alle sozialdemokratischenOrganisationen und alle Arbeiter ihre ganze Kraft daransetzen, damit dieStimme unserer Abgeordneten im Taurischen Palast nicht ohne Widerhallbleibt, damit die Feinde der russischen und der finnischen Freiheit erken-nen, daß das gesamte russische Proletariat mit dem finnischen Volk soli-darisch ist. Es ist die Pflicht der Genossen, an Ort und Stelle alle sich bie-

tenden Möglichkeiten auszunutzen, um die Stellung des russischen Prole-tariats zur finnischen Frage kundzutun. Angefangen mit Adressen an dierussische und an die finnische sozialdemokratische Fraktion bis zu aktive-ren Formen des Protestes wird die Partei genügend Mittel finden, dasschmachvolle Schweigen zu d urchbrech en, in welchem die russische K onter-revolution den finnischen Volkskörper zerfleischt.

Der Kampf in Finnland wird für die Sache der Freiheit ganz Rußlands

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72 IV . 7. Lenin

geführt. Welche schweren Stunden der neue Kampf dem tapferen finni-

schen Proletariat auch bereiten möge, er verbindet die ArbeiterklasseFinnlands und Rußlands mit neuen Banden der Solidarität und bereitetsie für die Zeit vor, wo sie in der Lage sein wird, das zu vollenden, wassie in den Oktobertagen des Jahres 1905 begonnen ha t und in den ruhm-reichen Tagen von Kronstadt und Sveaborg fortzuführen bemüht war.

„Sozial-T>emokrat"7<lr. 9, Nadb dem 7ext des31. Oktober (13. "November) 1909. „Sozial-Bemokraf.

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BRIEF AN DIE HÖRER DER SCHULE AUF CAPRI33

Werte Genossen! Wir haben Ihre beiden Briefe über die beginnendeSpaltung in der „Schule" erhalten. Diese ersten kameradschaftlichenBriefe von Gesinnungsgenossen, die wir von Capri erhielten, haben unsalle außerordentlich erfreut. Von ganzem Herzen begrüßen wir die klareAbgrenzung in der Schule.

Damit sich der wahre Charakter der Schule als eines neuen Zentrumsder neuen Fraktion herausstellt, bedurfte es natürlich einer gewissen Zeit.Wir haben nicht einen Augenblick daran gezweifelt, daß die bewußtesten

sozialdemokratischen Arbeiter früher oder später erkennen werden, wor-um es geht, und den richtigen Weg wählen. Aus Moskau schreibt manuns, daß dor t Briefe von eifrigen „Bogdanowleuten" aus den Reihen derHörer dieser Schule eingetroffen sind, die offen für das Zentrum aufCapri agitieren und allen sozialdemokratischen Arbeitern außerordentliöhhelfen, die wahre Bedeutung der Schule auf Capri zu erkennen.

Nun zur Sache. Genossen, Sie müssen sich in die neugeschaffene Situa-tion richtig hineinversetzen, damit wir sie gemeinsam erörtern, die richti-gen Schritte einleiten und dafür den richtigen Zeitpunkt wählen können. Sie

sehen natürlich ein, daß die Spaltung der Schale nunm ehr unvermeidlichist: Sie schreiben selbst, daß Sie es in dieser Schule kaum lange aushaltenwerden. Auf eine gemeinsame Tätigkeit mit den fanatischen „Bogdanow-leuten" rechnen Sie natürlich selbst nicht. Da aber die Angelegenheit soweit gediehen ist, daß die Spaltung der Schule unvermeidlich ist, so mußman die Bedeutung dieser Spaltung klar erkennen, man muß sich klar vorAugen halten, welcher Kampf aus dieser Spaltung entstehen w ird, wie sichdie Bogdanowleute bemühen werden, Sie alle „unsdhädliöj zu madhen"

6 Lenin, Werke, Bd. 16

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74 IV . 1. Lenin

(d. h. Ihnen die Möglichkeit zu nehmen, Ihren Einfluß geltend zu machenund die Wahrheit über die Schule zu sagen), sich bemühen werden, Siealle zu kompromittieren (die Bezeichnung: „Agent des BolschewistischenZentrums", die Ihren Worten zufolge von Alexinski geprägt wurde, isterst der Anfang, das didze Ende komm t nodo) usw. usf.

Sie müssen sich das alles gut überlegen und konsequent, entschiedenund überlegt handeln, wie in einer Schlacht: Sie schreiben selbst, daß inder Schule eine „Schlacht" wegen der Plattform im Gange ist. Das ist derBeginn von Sdhladoten l die überall und allerorts gegen Sie geführt we rden ,

wo Bogdanowleute eindringen.Begonnen werden muß damit, daß Sie genau die Zahl der Ihren fest-stellen. Wieviel entsdhiedene Gegner der „Bogdanowschen" Plattformgibt es? Kann diese Zahl vergrößert werden oder nicht? Wenn ja, dannwie und in welcher Zeit? Wenn nein, wie ist dann die Haltung der „Neu-tralen"? Es muß überlegt werden, welche Haltung Sie bei der unvermeid-lichen Spaltung der Schule einnehmen müssen, um nach Möglichkeit dieseNeutra len für sich zu gewinnen, oder um sie schlimmstenfalls nicht völligin den Klauen der Bogdanowleute zu lassen.

Weiter. Wie gedenken Sie, Ihren Abgang aus der Schule zu arrangie-ren? Als einfache Abreise oder als Ausscheiden wegen des Kampfes umPlat tform en? Freilich, we nn sich bei Ihnen d er Kampf so schnell entwickelthat, wie man nach Ihren ersten beiden Briefen schließen kann, dann istdie Spaltung möglicherweise schon da, d. h., die Bogdanowleute haben Siemöglicherweise schon hinausgeworfen, ganz einfach hinausgeworfen;dann ist jedes weitere Wort bereits überflüssig. Wenn dies noch nicht derFall ist, so überlegen Sie gut, wie Sie Ihren Weggang arrangieren. Siemüssen allen russischen Organisationen eine Antwort geben. Sie werden)genau und klar, mit Tatsachen in der Hand, alle jene Beschuldigungenwiderlegen müssen, die jetzt von seiten der „Bogdanowleute" zu Tausen-den auf Sie niederprasseln werden. Sie müssen sich vorbereiten auf die'Verteidigung Ihrer Ansichten über die Schule wie über die „Plattform"der Bogdanowleute.

Wenn die Frage Ihrer Abreise aufgeworfen wird, so müssen Sie esdurchsetzen, daß man Ihnen allen die Mittel gibt, um nach Rußland fah-ren zu können. Das ist die Pflicht der Schule genauso, wie es vor derSpaltung der Bolschewiki die Pflicht des Bolschewistischen Zentrums war,

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"Brief an die JiÖrer de r Schule auf Capri 75

sowohl Ljadow als auch Wsewolod und Stanislaw Geld für die Abreisenach Rußland (nach der Parteikonferenz im Dezember 1908) zu geben.Sie verlangten damals von uns Mittel und erhielten sie.

Selbstverständlich werden wir Ihnen hinsichtlich der Pässe und auchhmsiditlidi unseres Zusammentreffens helfen (in Paris oder irgendwo ineinem kleinen Städtchen, damit es konspirativer ist und Sie weniger Zeitverlieren, damit es billiger ist). Den Ort unseres Treffens werden wir nochbesonders beraten und dann auswählen. Finanziell stehen wir nicht glän-zend da, und wir können nur eine bescheidene Hilfe geben.

All dies schreibe ich Ihnen, um die Sache zu klären und Meinungen aus-zutauschen. Wenn wir genauere Antwort von Ihnen erhalten und alleFragen durch unseren Briefwechsel geklärt haben, werden wir die Exeku-tivkommission der erweiterten Redaktion des „Proletari" einberufen unddann das Ausmaß der Hilfe, Zeit und Ort unseres Treffens und anderesfestlegen.

Antworten Sie ausführlich. Können Sie uns nicht eine difekle Adressevon Ihnen geben?

Gruß . Der Sekretär des „Proletari"

Qescbrieben im Oktober i909.Zuerst veröfientlidjt 1933 TJaäj dem Manuskript.im £,enm-Sammelband XXV.

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76

E I N S C H M Ä H L I C H E S F I A S K O

D er Leser erinnert sich wohl der kurzen, aber lehrreichen Geschichte der„P ar tei schu le in N N . Hie r ist diese Geschichte. Die bolschewistische Frak-tion grenzt sich nach einem Jahr inneren Kampfes entschieden ab von den„neuen" Strömungen - dem Otsowismus, Ultimatismus und dem Gott-bildriertum. Die bolschewistische Beratung erklärt in einer besonderenResolution die Schule in NN für das Zentrum einer neuen Jraktion derAnhänger dieser Strömungen.* Die im Ausland lebenden Führer der aufdiesen drei Grundpfeilern gegründeten neuen Fraktion spalten sich orga-nisatorisch von den Bolschewiki ab. Die Helden der neuen Fraktion, die

sich durch ungewöhnliche politische Tapferkeit und unerschütterlichenGlauben an ihre Position auszeichnen, haben nicht den Mut, mit offenemVisier in einem eigenen Organ aufzutreten u. dgl. m. Statt dessen wählensie den Weg des glatten Betrugs der Partei und der Fraktion: sie organi-sieren eine Schule im Ausland, die sie als „Partei"schule bezeichnen undderen wirkliche ideologische Physiognomie sie sorgfältig verbergen. Nachziemlichen Anstrengungen gelingt es ihnen, in diese Pseudoparteischule13 Arbeiter zu lotsen, die von einer Gruppe, bestehend aus Maximow,Alexinski, Ljadow und Lunatscharski, „unterrichtet" werden. Diese feine

Gesellschaft verheimlicht die ganze Zeit über nicht nur die Tatsache, daßdie „Schule" das Zentrum der neuen Fraktion ist, sondern unterstreicht mitallen Kräften, daß die „Schule" mit keiner Fraktion verbunden sei, viel-mehr ein Unternehmen der gesamten Partei darstelle. Maximow, Alexin-ski, Ljadow und Co. - in der Rolle „nichtfraktioneller" G en os se n! .. .**

* Siehe Werke, Bd. 15, S. 453/454. VieRed.** Nebenbei. Soll Trotzki jetzt, nachdem er sich mit den unten angeführten

Briefen von Arbeitern bekannt gemacht hat, entscheiden, ob es nicht Zeit für

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Ein schmähliches Jiasko 77

U nd nun schließlich - das letzte Stadium. Von den A rbeitern, die in diePseudoparteischule kamen, beginnt etwa die Hälfte eine Rebellion gegen

die „falschen Hirten". Weiter unter drucken wir zwei Briefe von Hörernder ominösen „Schule" und einige Mitteilungen aus Moskau ab, die dasAbenteuer der Maximow-Alexinsld-Ljadow und Co. endgültig entlarven.Alles, was darin beschrieben ist, spricht für sich selbst. Hier ist alles gut:eine „förmliche Schlacht", die „tollste Polemik jeden Tag" und die Tat-sache, daß der Lehrer Alexinski den Arbei terhörern die Zunge heraus-streckt u. a. m. In den mark tschreierischen Berichten der Schule v erw ande ltsich dies alles wahrscheinlich in „praktische Üb un ge n" zu F ragen de r A gi-tation und Propaganda, in einen Kursus „über gesellschaftliche Weltan-

schauungen" usw. Aber, o weh, jetzt glaubt schon niemand mehr an dieseerbärmliche, schändliche Komödie!

Zwei Monate lang zischelten die Führer der neuen Fraktion den Arbei-tern in die Ohren, welche Vorzüge der Otsowismus und das Gottbildner-tum gegenüber dem revolut ionären Marxismus haben. Dann aber wagtensie offener aufzutreten und versuchten, sich mit einer otsowistisch-ultima-tistischen „Plattform" an sie heranzumachen. Und die fortschrittlichstenund selbständigsten Arbeiter erhoben natürlich Protest. Wir wollen nichtals Deckmantel für das neue ideologische Zentrum der Otsowisten und

Gottbildner fungieren; die Schule wird weder „von unten" noch „vonoben" kontrolliert - sagen die Genossen Arbeiter in ihren Briefen. Dasist die beste Gewähr dafür, daß die Politik des Versteckspiels und desdemagogischen „Demokratismus" unter den parteitreuen Arbei tern un-bedingt Schiffbruch erleidet. - Die örtlichen Organisationen werden dieSchule in N N selbst leiten - versicherten M axim ow un d C o. den Arb ei-tern. Nunmehr ist dieses Spiel von den Arbeitern entlarvt worden, diefrüher dieser Kumpanei Glauben schenkten.

Abschließend eine Bitte, meine Herren „göttliche" Otsowisten. Wenn

Sie in Ihrem gottbeschützten Zarewokokschaisk die Ausarbeitung IhrerPlattform beenden - wir hoffen, daß Sie sie zu Ende bringen - , dan n ver-

ihn ist, sein Versprechen einzulösen, in die „Schule" nach N N zu fahren , umdort zu unterrichten (wenn in einem der Berichte der „Schule" dieses Ver-sprechen richtig wiedergegeben wird). Jetzt ist wohl der richtigste Augenblick,mit der Friedenspalme und einem Gefäß „nichtfraktionellen" Balsams in denHänden auf dem „Schlachtfeld" zu erscheinen.

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78 IV. 1 Lenin

stecken Sie sie nicht vor uns nach dem Beispiel Ihrer bisherigen Hand-lungsweise. Wir werden sie mit mehr oder weniger Verspätung sowieso

erhalten und in der Parteipresse veröffentlichen. Da ist es schon besser,sich nicht noch einmal zu blamieren.

Sonderdruck aus dem „Vroletari" TJr. 5 0, "Na6} dem 3'ext des28.?<lovember(ii. Dezember) 1 909. . Sonderdrucks.

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ÜBER EINIGE QUELLENDER GEGENW ÄRTIGEN IDEOLO GISCHEN

ZER F A H R EN H EI T

In der vorliegenden Nummer des „Proletari" ist einer der zahlreichenBriefe abgedruckt, die das Augenmerk auf die ungeheure ideologische Zer-fahrenheit unter den Sozialdemokraten lenken. Besondere Aufmerksam-keit verdienen die Ausführungen hinsichtlich der „deutschen Gleise" (d. h.der Wiederholung des Entwicklungsweges Deutschlands nach 1848 beiuns) . Um die Quellen dieser fehlerhaften Ansichten in dieser außerordent-lich wichtigen Frage zu ergründen, ohne deren Klärung eine richtige Tak-tik der Arbeiterpartei nicht möglich ist, ziehen wir die Menschewiki undden „Golos Sozial-Demokrata" einerseits, den polnischen Artikel von

Trotzki anderseits heran.

I

Die Grundlage der Taktik der Bolschewiki in der Revolution von 1905bis 1907 war der Leitsatz, daß der volle Sieg dieser Revolution nur alsDiktatur des Proletariats und der Bauernschaft möglich ist. Wie lautet dieökonomisdbe Begründung dieser Auffassung? Zuerst in „Zwei Taktiken"(1905)* und dann in zahlreichen Artikeln in Zeitungen und Sammelbän-den von 1906 und 1907 haben wir stets folgende Begründung gegeben:

Die kapitalistische Entwicklung Rußlands ist bereits endgültig vorausbe-stimmt un d unvermeidlich, sie kan n sich jedoch in zwei Formen vollziehen :in der sogenannten „preußischen" Form (Beibehaltung der Monarchie unddes gutsherrlichen Gru ndb esitze s, Schaffung einer stark en, d. h. ka pita-listischen Bauernschaft auf dem vorhandenen historischen Boden usw.)

* Siehe W erke , Bd. 9, S. 1-130. Die Red.

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80 W. 3. £enm

und in der sogenannten „amerikanischen" Form (bürgerliche Republik,Aufhebung des gutsherrlichen Grundbesitzes, Schaffung einer Fanner-schaft, d. h . einer freien kapitalistischen B auernschaft ver m ittels einesradikalen Umbruchs der gegebenen historischen Verhältnisse). Das Pro-letariat muß für den zweiten Weg kämpfen, denn er garantiert am bestendie freie und schnelle Entwicklung der Produktivkräfte des kapitalistischenRußlands, doch der Sieg in diesem Kampf ist nur möglich im revolutio-nären Bündnis des Proletariats mit der Bauernschaft.

Eben diese Auffassung ist in der Resolution des Londoner Parteitagsüber die Parte ien der Volkstümler oder der Trudowiki und über dieStellung der Sozialdemokraten zu ihnen dargelegt. Bekanntlich betrifft die

Gegnerschaft der Menschewiki gegen diese Resolution vorwiegend ge-rade diese spezielle Frage, die wir hier erörtern. Wie labil jedoch dieökonotnisdhe Begründung ihrer Position ist , geht aus folgender Äußerungdes einflußreichen menschewistischen Publizisten auf dem Gebiet derAgrarfrage in Rußland , des Gen . M aslow , herv or. Im zweiten Band der„A grarfrag e", der im Jahre 1908 erschien (das V orw ort ist vom 15. D e-zember 1907 datiert), schrieb Maslow: „Solange" (hervorgehoben vonMaslow) „sich auf dem Dorf keine rein kapitalistischen Verhältnisse her-ausgebildet haben , solange die Ernährungspacht" (Maslow gebraucht ohne

Grund diesen wenig glücklichen Terminus an Stelle des Terminus: knech-tende fronherrliche Pacht) „existiert, bleibt auch die Möglichkeit der fürdie Demokratie vorteilhaftesten Lösung der Agrarfrage bestehen. Diebisherige Weltgeschichte kennt zwei Typen der Herausbildung der kapi-tal is tischen O rdn un g: den T yp , der in W esteurop a (außer in der Schweizund einigen kleinen Teilen in anderen europäischen Staaten) vorherrscht,der das Ergebnis eines Kompromisses zwischen dem Adel und der Bour-geoisie ist, und den Typ der Agrarverhältnisse, der sich in der Schweiz, inden Vereinigten Staaten von Nordamerika, in den englischen und anderen

Kolonien herausgebildet hat. Die von uns angeführten Daten über denStand der Agrarfrage in Rußland geben uns keine ausreichenden Grund-lagen, mit Bestimmtheit zu behaupten, welcher Typ der Agrarverhältnissesich bei uns kon solidieren wird , und subjektive und w illkürliche Schlußfol-gerungen zu ziehen verbietet das wissenschaftliche G ew iss en ' . . ." (S . 457.)

Das ist richtig. Das ist jedoch die volle Anerkennung der ökonomischenBegründung der bolschewistischen Taktik. Es geht nicht um einen „revo-

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Tiber einige Quellen der gegenwärtigen ideologisdben Zerfahrenheit 81

lutionären Ta um el" (wie die „ W echi" -Leute und die Tscherewanin glau-

ben) , sondern um die objektiven, die ökonomischen Bedingungen, die dieMöglichkeit des „amerikanischen" Weges des Kapitalismus in Rußlandbieten. In seiner Geschichte der Bauernbewegung in den Jahren 1905 bis1907 m ußte M aslow unsere Hauptprämissen anerkennen. Das Agrar-„Programm der Kadetten", schreibt er ebenda, „ist das utopischste, weiles keine breite Gesellschaftsklasse gibt, die an einer für die Kadettenwünschenswerten Lösung der Frage interessiert wäre: es siegen entwederdie Interessen der Grundbesitzer mit künftigen poli t ischen Zugeständ-nissen" (Maslow will sagen.- wobei Zugeständnisse an die grundbesitzendeBourgeoisie unvermeidlich sind) „oder die Interessen der Demokratie"

(S . 4 5 6 ) .Auch das ist richtig. Daraus folgt, daß in der Revolution die Taktik der

Unterstützung der Kadetten durch das Proletariat „utopisch" war. Dar-aus folgt, daß die Kräfte der „D em okra tie", d. h. der demokratischenRevolution, die Kräfte des Proletariats un d de r Bauernschaft sind. Da rau sfolgt, daß es zwei Weg e d e r kapitalistischen Entwicklung gibt: den einenschlagen die „Grundbesitzer ein, die der Bourgeoisie Zugeständnisse ma-chen", den anderen wollen und können die Arbeiter und Bauern ein-schlagen (vgl. Maslow, S. 446: „Wenn das ganze Gutsbesitzerland unent-

geltlich in die Nutzung der Bauernschaft überginge, so würde sich auchdann . . . der P roz eß der Kapitalisierung der Bauernwirtschaft vollziehen,j edoch schmerz loser . . . " ) .

Wir sehen, wenn Maslow als Marxist urteil t , so urteil t er bolschewi-stisch. Und hier ein Beispiel, wie er gleich einem Liberalen urteilt, wenn erdie Bolschewiki tadelt. Dieses Beispiel finden wir, wie könnte es anderssein, in dem licjuidatorischen W e rk „D ie gesellschaftliche B eweg ung inRuß land z u Beginn des 20. Jah rhu nde rts", das unter d er Redaktion vonMartow, Maslow und Potressow erscheint; in dem Abschnitt „Fazit"

(Bd. I) finden wir einen Artikel von Maslow „Die Entwicklung der Volks-wirtschaft u nd ih r Einfluß auf den Klassenkampf im 19. Jah r hu nd ert" . Indiesem Artikel lesen wir auf Seite 66 1 :

„Einige der Sozialdemokraten begannen die Bourgeoisie als hoffnungslosreaktionäre Klasse und verschwindend kleine Größe zu betrachten. Nicht nurdie Kraft und Bedeutung der Bourgeoisie wurden unterschätzt, sondern auch diehistorische Rolle dieser Klasse wurde außerhalb der historischen Perspektive

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82 W. 1. Lenin

betrachtet: die Teilnahme der mittleren und der Kleinbourgeoisie an der revo-lutionären Bewegung und die ihr von der Großbourgeoisie in der ersten Periodeder Bewegung entgegengebrachte Sympathie wurden ignoriert; man bestimmteauch im voraus für die Zukunft die reaktionäre Rolle der Bourgeoisie usw."(so steht es da: „usw."!)- „Daraus wurde die Schlußfolgerung von der Un-vermeidlichkeit der Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft abgeleitet,die dem gesamten Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklung widersprechenwürde."

Dies ist eine Tirade ganz und gar im Geiste der „Wechi". Dies istBrentanoscher, Sombartscher oder Struvescher „Marxismus". 3 3 Die Posi-tion des Verfassers dieser Tirad e ist eben die Position eines Liberalen zumUnterschied von einem bürgerlichen Demokraten. Denn ein Liberaler isteben deshalb ein Liberaler, weil er keinen anderen Weg der bürger-lichen Entwicklung sieht und zulassen will als den gegebenen, d. h. denWeg unter Führung der Grundbesitzer, die „Zugeständnisse" an dieBourgeoisie machen. Ein Demokrat ist eben deshalb ein Demokrat, -weil ereinen anderen Weg sieht und für ihn kämpft, nämlich für den Weg, dervom „Volk", d.h. von der Kleinbourgeoisie, der Bauernschaft und demProletariat, eingeschlagen wird, doch er sieht nicht das bürgerliche Wesenaudi dieses Weges. Im „Fazit" des l iquidatorischen Werkes hat Maslow

alles wieder vergessen, die zwei Wege der bürgerlichen Entwicklung, dieStärke der amerikanischen Bourgeoisie (auf russisch: der au s der Bauern-schaft hervorgehenden, und zwar auf einem ~Boden r den man auf revo-lutionärem Wege vom gutsherrl ichen Grundbesitz gesäubert hat), dieSchwädbe der preußischen Bourgeoisie (die unter der Botmäßigkeit der„Grundbesitzer" steht), er hat vergessen, daß die Bolschewiki niemals vonder „Unvermeidlichkeit" der „Diktatur" gesprochen haben, sondern vonihrer Notwendigkeit für den Sieg des amerikanischen Weges; er hat ver-gessen, daß die Bolschewiki die „Diktatur" nicht aus der Schwäche der

Bourgeoisie abgeleitet haben, sondern aus den objektiven, den ökonomi-schen Bedingungen, die die Möglichkeit einer zweifachen Entwicklung derBourgeoisie bieten. In theoretischer Hinsicht ist die angeführte Tirade einKnäuel von Widersprüchen (von denen sich Maslow selbst im II. Bandder „Agrarfrage" distanziert hat); in praktisch-politischer Hinsicht istdiese Tirade Liberalismus, die ideologische Verteidigung des extremenLiquidatorentums.

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Über einige Quellen der gegenwärtigen ideologisdoen Zerfahrenheit 83

Betrachten wir nun, wie die labile Position in der ökonotnisdjen Haupt-

frage zu labilen politischen Schlußfolgerungen führt. Hier ein Zitat ausM artow s Artikel „W ohin geh en? " (N r. 13 des „Golos Sozial-Demo-k r a t a " ) : „Im heutigen Rußland vermag gegenwärtig niemand vorauszu-sagen, ob bei einer neuen politischen Krise günstige objektive Bedingun-gen für eine radikale demokratische Revolution geschaffen werden; wirkönnen lediglich jene konkreten Bedingungen umreißen, bei deren Vor-handensein eine solche Revolution unvermeidlich wird. Solange die Ge-schichte diese Frage nicht so gelöst ha t wie für D eutschland im Jahr e 18 71 ,solange darf die Sozialdemokratie nicht auf die Aufgabe verzichten, derunvermeidlichen politischen Krise mit ihrer eigenen revolutionären Lö-

sung des politischen, des nationalen und des Agrarproblems entgegenzu-schreiten (demokratische Republik, volle Freiheit der Selbstbestimmungund Konfiskation des gutsherrlichen Grundbesitzes). Sie muß jedoch einersolchen Krise entgegenschreiten, die endgültig über die ..deutsche' oderfranzösische' Vollendung der Revolution entscheiden wird, und nicht inErwartung des Eintretens der Krise untätig verharren."

Richtig. Ausgezeichnete Worte, die genau die Resolution der Partei-konferenz vom Dezember 1908 wiedergeben. Eine solche Auffassimg ent-spricht voll und ganz den Worten Maslows im zweiten Band der „Agrar-

frage" sowie der Taktik der Bolschewiki. Eine solche Auffassung unter-scheidet sich entschieden von der Position, die in dem berühmten Ausrufzum Ausdruck kommt: „Die Bolschewiki haben auf der Dezemberkonfe-renz 1908 beschlossen, dorthin zu streben, wo sie schon einmal geschlagenworden sind."34 „Mit ihrer eigenen revolutionären Lösung der Agrarfrageschreiten" können sie nur gemeinsam mit den revolutionären Schichtender bürgerlichen De m okra tie, d. h. nur mit der B auernschaft, nicht abermit den Liberalen, die sich mit „Zugeständnissen der Grundbesitzer" zu-friedengeben. D er Konfiskation gem einsam m it der Bauernschaft entgegen-schreiten - diese Formulierung unterscheidet sich nur durch einen anderenAusdruck von der These: der Diktatur des Proletariats und der Bauern-schaft entgegenschreiten. Aber Martow, der in Nr. 13 des „Golos" ganzdicht an die Position unserer Partei herangekommen ist, hält diese Posi-tion nicht konseque nt ein und gleitet sowohl in dem liquidatorischen W er k„Die gesellschaftliche Bewegung" als auch in derselben Nr. 13 ständig zuPotressow-Tscherewanin ab. Beispielsweise definiert er in diesem Artikel

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84 TV . J. Lenin

die gegenwärtige Aufgabe als „Kampf für die legale Arbeiterbewegung,

eingeschlossen den Kampf für die Erringung der eigenen legalen Existenz(der sozialdemokratischen Partei)". So formulieren bedeutet, auf ein Zu-geständnis an die Liquidatoren abzugleiten: Wir wollen die Festigung dersozialdemokratischen Partei, die alle legalen Möglichkeiten und alle Fälleeines offenen Auftretens ausnutzt; die Liquidatoren wollen die Partei zu-rechtstutzen, bis sie in den Rahmen der legalen und offenen Existenz(unter Stolypin) paßt. Wir kämpfen für den revolutionären Sturz derStolypinschen Selbstherrsdiaft, nutzen für diesen Kampf jeglidies offeneAuftreten aus, verbreitem die proletarische Basis der Bewegung zu diesemZiel hin. Die Liquidatoren kämpfen für die legale Existenz der Arbeiter-bewegung . . . unter Stolypin. Die Worte Martows, daß wir verpfl idi te tsind, für die Republik und für die Konfiskation des Grund und Bodens zukämpfen, sind so abgefaßt, daß sie das Liquidatorentum ausschließen;

seine Worte über den Kampf für die legale Existenz der Partei dagegensind so abgefaßt, daß sie das Liquidatorentum nicht ausschließen. Aufdem Gebiet der Polit ik ist hier die gleidie Labilität vorhanden wie beiMaslow auf dem Gebiet der Ökonomie.*

Bei M artyn ow geht diese Labilität in dem Artikel zur Agrarfrage (N r.10/11) ins Unermeßliche. Martynow versucht, forsdi gegen den „Prole-

t a r i " zu polemisieren; doch bei ihm kommt es auf Grund des Unver-mögens, die Frage zu stellen, dazu, daß er hilflos und unbeholfen um sichschlägt. Im „Proletari" komme es, sehen Sie, wie bei Tkatschow heraus:„Jetzt oder etwas später oder niemals!" 35 Dies „kommt heraus" sowohl beiMaslow als auch bei Martow, werter Gen. Martynow; das muß bei jedemMarxisten herauskommen, denn es ist nidit von der sozialistischen Revo-lution (wie bei Tkatschow ) die Rede, sondern von einer der beiden M etho -den, die bürgerliche Revolution zu vollenden, überlegen Sie doch, Gen.M arty no w : können sich die M arxisten üb erhau pt verpfliditen, die Konfiska-

tion des Großgrundbesitzes zu unterstützen, oder sind sie verpfliditet, diesnur zu tun, „solange" sich („jetzt oder etwas später" - oder noch ziemlichlange Zeit, das wissen wir beide nicht) die kapitalistische Ordnung nochnidit endgültig „konsolidiert" hat? Noch ein Beispiel. Das Gesetz vom

* Wir haben als Beispiel nur eine Erscheinungsform der politischen LabilitätMartows gewählt, der in demselben Artikel in Nr. 13 von der bevorstehendenKrise als einer „konstitutionellen" u . dgl. m. spricht.

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Tiber einige Quellen der gegenwärtigen ideologisdhen Zerfahrenheit 85

9. November 19O636 „erzeugte auf dem Lande große W irren, richtige in-

nere Fehden, die zuweilen bis zu r Messerstecherei gehen", sagt Martynowganz richtig. Seine Schlußfolgerung: „In naher Zukunft auf eine einiger-maßen einmütige und eindrucksvolle revolutionäre Erhebung der Bauern-schaft, auf den Bauernaufstand, zu rechnen ist völlig unsinnig auf Grunddieser inneren Fehden." Den Aufstand, d. h. den Bürgerkrieg, den „inne-ren Fehden" entgegenzustellen ist einfach lächerlich, werter Gen. Marty-now ; die Frage über die nahe Zukunft aber gehört überhaupt nicht hier-her, denn es handelt sich nicht um praktische Direktiven, sondern um dieLinie der gesamten Entwicklung in der Landwirtschaft. Noch ein Beispiel.„Das Ausscheiden aus der Dorfgemeinde wird forciert vorangetrieben."Richtig. Ihre Schlußfolgerung? „Es ist offensichtlich, daß sich die Umge-staltung auf gutsherrliche Art mit Erfolg vollziehen wird und daß im Ver-lauf weniger Jahre gerade in jenen ausgedehnten Gebieten Rußlands, wonoch unlängst die Agrarbewegung schärfste Formen annahm, die Dorf-gemeinde zerstört sein wird; gleichzeitig mit ihr verschwindet aber diewichtigste Heimstatt der Ideologie der Trudowiki. Folglich entfällt eineder beiden Perspektiven des ,Proletari', und zwar die .erfreuliche'."

Nicht um die Dorfgemeinde geht es, werter Gen. Martynow, denn so-wohl der Bauernbund 1905 als auch die Trudowiki 1906/1907 forderten

die Übergabe des Bodens nicht an die Dorfgemeinden, sondern an Einzel-personen oder an freie Genossenschaften. Die Dorfgemeinde wird zer-stört sowohl durch die Umgestaltung des alten Grundbesitzes auf Stoly-pinsche gutsherrliche Art als audo durch die Umgestaltung auf bäuerlicheArt, d. h. durch die Konfiskation, die neue Agrarverhältnisse schafft. Die„erfreuliche" Perspektive des „Proletari" steht nicht mit der Dorfge-meinde und nicht mit der Trudowikibewegung als solcher in Zusammen-hang, sondern mit der Möglichkeit einer „amerikanischen" Entwicklung,mit der Schaffung eines freien Farmertums. Deshalb gerät Gen. Marty-

now hoffnungslos in Widersprüche, wenn er sagt, daß die erfreuliche Per-spektive entfällt, und gleichzeitig erklärt, daß die „Losung von der Ex-propriation der Großgrundbesitzer nicht zu Grabe getragen wird". Wennsich der „preußische" Typ konsolidiert, dann wird diese Losung zu Grabegetragen, und die Marxisten werden sagen: Wir haben alles nur mög-liche für eine weniger schmerzhafte Entwicklung des Kapitalismus getan,uns bleibt jetzt nur der Kampf für die Vernichtung des Kapitalismus selbst.

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86 W. 7. Lenin

Wenn diese Losung jedoch nicht zu Grabe getragen wird, so bedeutet dies,

d aß objektive Bedingungen für eine Überleitung des „Zuges" auf ameri-kanische „Gleise" vorhanden sein werden. Und dann werden die Marxi-sten es verstehen - wenn sie sich nicht in Anhänger Struves verwandelnwollen — hinter der reaktionär-„sozialistischen" Phraseologie der Klein-bürger, die deren subjektive Auffassungen zum Ausdruck bringt, den ob-jektiv-realen Kampf der Massen für bessere Bedingungen der kapitalisti-schen Entwicklung zu sehen.

Ziehen wir das Fazit. Diskussionen über die Taktik sind zwecklos,wenn sie nicht auf einer klaren Analyse der ökonomischen Möglichkeiten

beruhen. Die Frage nach dem preußischen und dem amerikanischen Typder Evolution in der Landwirtschaft Rußlands wurde durch den Kampf inden Jahren 1905-1907 aufgeworfen, der die Realität dieser Frage bewie-sen hat. Stolypin geht einen weiteren Schritt auf dem preußischen Wegevoran - dies übersehen hieße lächerliche Angst vor der bitteren Wahrheithaben. Wir müssen eine besondere historische Etappe auf dem Bodendieses neuen Schritts durchleben. Es wäre aber nidit nur lächerlich, son-dern direkt ein Verbrechen, zu übersehen, daß Stolypin bisher nur diealte Lage kompliziert und verschärft hat, ohne Neues zu schaffen. Stoly-pin „setzt auf die Starken" und will „20 Jahre Ruhe und Frieden" haben

für die „Reform ierung" (lies: Au splünde rung) Ruß lands durch die Gu ts-besitzer. Das Proletariat muß auf die Demokratie setzen, wobei es derenKräfte nicht überschätzen, sich nicht auf einfaches „Vertrauen" auf siebeschränken darf, sondern unentwegt die propagandistische, agitatorischeund organisatorische Arbeit entfalten muß, die alle Kräfte der Demo-kratie aufrüttelt - vor allem und in erster Linie die Bauernmassen - , die siezum Bündnis mit der fortgeschrittenen Klasse, zur „Diktatur des Prole-tariats und der Bauernschaft" mit dem Ziel des vollen demokratischenSieges und der Gewährleistung der besten Bedingungen für die schnellste

und freieste Entwicklung des Kapitalismus aufruft. Verzichtet das Prole-tariat auf diese Erfüllung seiner demokratischen Pflicht, so führt dies un-weigerlich zu Schwankungen und ist objektiv nur Wasser auf die Mühleder konterrevolutionären Liberalen außerhalb der Arbeiterbewegung undder Liquidatoren innerhalb der Arbeiterbewegung.

.Troletari" 9Jr. 50, %a6i dem 7ext des „Vroletari".28. November (n. Dezember) 1909.

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D I E M E T H O D E N D ER L I Q U I D A T O R E N

U N D D I E P A R T E I A U F G A B E N

D E R B O L S C H E W I K I

Die Krise, die unsere Partei zur Zeit durchmacht, ist, wie wir schondes öfteren gesagt haben, durch die Unbeständigkeit der kleinbürgerlichenElemente zu erklären, die sich der Bewegung der Arbeiterklasse in derRevolution angeschlossen und jetzt auf dem einen Flügel das Liquidatoren-tum der Menschewiki, auf dem anderen den Otsowismus-Ultimatismushervorgebracht haben. Der Kampf an zwei Fronten ist daher eine not-wendige Aufgabe für die Verfechtung der richtigen revolutionär-sozial-demokratischen Taktik un d für den Aufbau der Pa rtei. Und diesen Kampfführt die bolschewistische Fraktion unentwegt, wodurch sie alle wirklichparteitreuen, wirklich marxistischen, sozialdemokratischen Elementeschmiedet und zusammenschließt.

Um diesen Kampf um die Partei erfolgreich führen zu können — denndie Partei hat auf der Dezemberkonferenz 1908 das Liquidatorentumentschieden verurteilt und sich ebenso entschieden auf derselben Konfe-renz vom Otsowismus-Ultimatismus abgegrenzt -, muß man einen klarenBegriff von den Verhältnissen haben, unter denen dieser Kampf innerhalbder Sozialdemokratie geführt werden muß. Der „Golos Sozial-Demo-krata" Nr. 16/17 und die neueste Schöpfung der Otsowisten-Ultimati-sten, fast eine Zeitung (ein achtseitiges Blatt der Genossen Maximow und

Lunatscharski „An alle Genossen"), verdienen Aufmerksamkeit vor allemdeshalb, weil sie diese Verhältnisse anschaulich wiedergeben. Sowohl der„Golos" als auch Maximow und Co. decken die Liquidatoren. Die Gleich-artigkeit der Methoden der Liquidatoren von rechts und der Liquidatorenvon links springt ins Auge und beweist damit die gleiche Labilität dieserund jener Position.

Liquidatorentum - das ist ein „absichtlich verschwommenes, böswillig

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"W. 1. Lenin

unbestimmtes Wörtchen", versichert der Leitartikler des „Golos". Maxi-

mow beteuert, der „Proletari" übertreibe die Meinungsverschiedenheitenmit den Ultimatisten in der Praxis und bausche sie auf zu prinzipiellenMeinungsverschiedenheiten. Armer „Golos"! Bislang konnte er die ganze„böswillige Erfindung" den Bolschewiki, d. h. den „Fraktionsgegnern", indie Schuhe schieben. Jetzt muß man Plechanow und den „Bund" (sieheNr. 3 der „Otkliki Bunda" [Stimmen des „Bund"] über das Liquidatoren-tum im „Bund") der böswilligen Erfindung bezichtigen. Machen nun Ple-chanow und die Bundisten oder macht der „Golos" „böswillig" Ausflüchte,was ist wahrscheinlicher?

Wir sind keine Liquidatoren, beteuert der „Golos", wir legen nur dieParteimitgliedschaft anders aus; den Paragraphen 1 des Statuts habenwir in Stockholm in der bolschewistischen Formulierung angenommen, dasist jedoch nicht schlimm; gerade jetzt, da uns Plechanow des Liquidatoren-tums beschuldigt hat, holen wir den Paragraphen 1 hervor und werdenunser ganzes berüchtigtes Liquidatorentum so auslegen, daß wir lediglichden Begriff Partei erweitern wollen. Die Par tei, sehen Sie, ist nicht nur dieSumme der Parteiorganisationen (wie wir selbst es in Stodkholm den Bol-schewiki zugestanden haben), sondern d ie Partei sind auch alle diejenigen,die außerhalb der Parteiorganisation, unter Kontrolle und Führung derPartei arbeiten!

Welch großartige Finte, welch geniale Erfindung: Es gibt kein Liquida-torentum, sondern nur die alten Streitigkeiten um den Paragraphen 1!Schlimm ist nur, daß ihr damit die von Plechanow ausgesprochenen Be-schuldigungen bestätigt, werte „Golos"-Leute; denn in Wirklichkeit habtihr, wie dies jeder parteitreue Sozialdemokrat und jeder sozialdemokra-tische Arbeiter sofort versteht, den alten Plunder über den Paragraphen 1eben zur Verteidigung des Liquidatorentums ( = Ersetzung der Partei-organisation durch eine „formlose" legale Organisation: siehe die Reso-lution der Dezemberkonferenz 1908) hervorgeholt. 7n Wirklichkeit öff-net ihr eben damit den Liquidatoren Tür und Tor, soviel ihr auch inWorten versichern mögt, daß ihr das Tor für die sozialdemokratischenArbeiter öffnen „wollt".

Genauso Maximow, der glauben machen will, daß er kein Verfechterdes Otsowismus sei, daß er lediglich (lediglich!) die Frage der Beteiligungan der Duma für „sehr, sehr strittig" halte. Paragraph 1 ist strittig, die

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Die Methoden der Liquidatoren und die"Parteiaufgabender "Boisdhewiki 89

Beteiligung an der Duma ist strittig - was hat das mit den „böswilligen"

Erfindungen über Otsowismus und über Liquidatorentum zu tun?W ir sind keine Liquidatoren, beteuert der „Golos", wir inden nur, daß

von Plechanow „die Frage glatt umgangen wurde, wie man sich verhaltensoll, wenn der Aufbau einer Zelle nichts mehr und nichts weniger als ebenderen Umgestaltung hemmt". In Wirklichkeit hat Plechanow diese Fragenicht umgangen, sondern sie klipp und klar gelöst: auf das Entfernen derOtsowisten-Ultimatisten durch die Bolschewiki hat er mit dem Aufruf,der Partei die Treue zu halten, mit der Verurteilung der Spaltung und desLiquidatorentums geantwortet. Die Zelle ist der Typ der illegalen Partei-

organisation, in der in der Regel die Bolschewiki herrschen und deren U m-gestaltung (für die Beteiligung an der Duma, für die Beteiligung an legalenVereinigungen usw.) von den Otsowisten gehemmt wurde. Die partei-treuen Menschewiki konnten auf das Entfernen der Otsowisten durch dieBolschewiki nicht anders reagieren, als Plechanow reagiert hat. Der „Go-los" hingegen dreht und wendet sich und unterstützt in Wirklichkeit dieLiquidatoren, indem er in seiner illegalen Auslandsausgabe das Geschwätzder Liberalen zum Thema des verschwörerischen Charakters der bolsche-wistischen Organisationen, des Nichtbereitseins der Bolschewiki, breiteArbeiterorganisationen aufzubauen, an Kongressen teilzunehmen, undanderes m ehr wiederkäut (denn wenn die Zellen an den neuen „Möglich-keiten" teilnehmen, haben sie sich damit auch für die Teilnahme umgestal-tet, meistern sie in der Tat die Umgestaltung). Zu sagen, daß der „Aus-bau" der Zelle deren Um gestaltung hemm t, bedeutet, in der 7at die Spal-tung zu propagieren, die spalterischen Schritte der Liquidatoren gegen diePartei, die aus der Summe der eben nach der jetzigen Weise aufgebautenZellen besteht, zu rechtfertigen.

W ir sind keine Liquidatoren, keine Legalisten, wir beteuern nur in einerPublikation der „Partei" (dem Aushängeschild nach!), in einer „illegalen"(jedoch von Frau Kuskowa gebilligten!) Publikation, daß der Aufbau derZelle (und der Summe der Zellen, der Partei) die Umgestaltung der Par-tei hemmt. Wir sind keine Otsowisten, wir vereiteln nicht die Dumaarbeitder Sozialdemokratie, wir versichern lediglich (im Jahre 1909), daß dieFrage der Beteiligung an der Duma „sehr strittig" ist und daß für unserePartei der „Dumaismus" alles andere verdrängt. Welche von diesen Liqui-datoren zweierlei Typs fügen der Partei größeren Schaden zu?

7 L enin, W erke, Bd. lfi

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90 IV.I.Lenin

Plechanow hat die Mitarbeit an dem Werk „Die gesellschaftliche Bewe-

gung" aufgekündigt und erklärt, daß Potressow kein Revolutionär mehrist. Potressow schreibt Martow einen Brief: Weshalb hat man mich ge-kränkt? Ich weiß es nicht. Martow antwortet: Ich weiß es auch nicht.Beide Redakteure stellen „Ermittlungen" (Ausdruck des „Golos"!) hin-sichtlich der Gründe für die Unzufriedenheit Plechanows an. Beide Redak-teure schreiben einem dritten Redakteur, Maslow, aber es erweist sich,daß auch Maslow nicht weiß, aus welchem Grunde Plechanow weggeht.Jahrelang haben sie mit Plechanow zusammengearbeitet, sie hatten ver-sucht, auf Hinweis Pledhanows den Artikel Potressows zu korrigieren,

und als ihnen in der Presse ganz öffentlich die Beschuldigung entgegen-geschleudert wurde, da begriffen sie auf einmal nicht, wessen PlechanowPotressow beschuldigt, stellen „Ermittlungen" darüber an! Bis zu diesemunglücklichen Vorfall waren sie alle solche versierte, solche erfahrenePublizisten - doch jetzt haben sie sich in Kinder verwandelt, die „nichtwissen", welchen Geist der Absage an die Revolution Tscherewanins Ar-tikel, Potressow, die gesamte „Gesellschaftliche Bewegung" atmen. Genos-sin Roland-Holst bemerkte diesen Geist bei Tscherewanin - offenbar auchaus Böswilligkeit! Aber Tscherewanin, der einträchtig mit Potressow

weiterhin im gleichen Geist schreibt, brachte irgendwo einen kleinenVorbehält unter . . . wo ist denn hier Liquidatorentum? Die Kadetten =„Wechi"-Leute mit kleinen Vorbehalten. Tscherewanin, Potressow und„D ie gesellschaftliche B ewegung" = Ab sage an die Revolution mit klei-nen Vorbehalten. Ja ja, welch ein absichtlich verschwommenes, böswilligunbest immtes Wörtchen, das Wörtchen „Liquidatorenrum"!

Aber gleichermaßen absichtlich verschwommen, böswillig unbestimmtist das W örtchen „Gottbi ldner tum", zetern Maximow und Lunatscharski;wenn m an Tscherewanin decken kann, indem man einen kleinen Vorbehalt

äußert, warum soll denn Lunatscharski schlechter dran sein als Tschere-wanin und Potressow? Und Lunatscharski klügelt gemeinsam mit Maxi-mow einen kleinen Vorbehält aus. „Warum gehe ich von dieser Termino-logie ab ?" - so ist das Haup tkapitel im Artikel von Lunatscharski b etitelt.Ersetzen wir die unbequemen Termini, sprechen wir weder von Religionnoch von Gottbi ldner tum.. . dafür um so mehr von „Kultur" . . . f indesich dann mal einer da zurecht, was wir euch unter dem Mantel einerneuen, wahrhaft neuen und wahrhaft sozialistischen „Kultur" anbieten.

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Die Methoden der Liquidatoren und die Parteiaufgaben der dolsdhewiki 91

Die Partei ist so aufdringlich, so intolerant (Kapitel über „Intoleranz" bei

Limatscharski) - wohlan, verändern wir die „Terminologie", denn siekämpfen gar nicht gegen die Ideen, sondern gegen die „Terminologie" . . .

Was ist , werte „Golos"-Leute, schickt ihr euch nicht an, in Nr. 18/19den Verzicht auf die Term inolog ie zu erklären . . . beispielsweise hinsicht-lich des Liqu idato ren tum s? W as ist, Red akteu re der „GesellschaftlichenBewegung", schickt ihr euch nicht an, in den Bänden III-X zu erläutern,da ß „ihr nicht verstanden w urd et", daß ih r keinerlei „Idee der Heg emo nie"angezweifelt hab t, daß ih r nicht im mindesten den Geist des L iquidatoren-tums . . . ke ine swe gs ! . . . b i l l i g t ?

Die Petersburger Otsowisten-Ultimatisten, die schon seit langem diegesam te Arbeit des Petersburger Kom itees stören, brachten am Vorabendder Wahlen zur Duma (im September 1909) eine Resolution durch, die inder Tat die Wahlen hintert r ieb. Die Arbei ter begannen im Namen derPartei zu rebellieren und erzwangen von den Liquidatoren von links dieAufhebung dieser unsinnigen Resolution. Maximow dreht und wendetsich jet zt: die Resolution, nun ja, sei „äußerst fehlerhaft", aber die Genos-sen „sind selbst von ihr abgegangen". „Es ist eine klare Sache", schreibtM axim ow , „der U ltimatismus an und für sich ha t mit diesem Fehler nichtszu tun." Nicht das ist klar, Genosse Maximow, sondern klar ist , daß dasfür die Partei verderbUdbe Liquidatorentum von links von Ihnen bemänteltwird. - Die Menschewiki des Wiborger Bezirks in Sankt Petersburgtraten gegen das Liquidatorentum auf (wahrscheinlich ebenfalls einzig undallein wegen ihrer Böswilligkeit?). Der „Golos" billigte anfangs ihr Ver-halten (dem „Proletari" folgend). Jetzt tri t t in Nr. 16/17 des „Golos" dermenschewistische Liquidator Q-g37 auf und schimpft wie ein Rohrspatzauf die Wiborger, schimpft in der gemeinsten Art und Weise. Er be-schimpft — man stelle sich das nur vor — die Menschewiki in einem men-schewistischen Organ als TSolsdbewiki! Die Redakt ion des „Golos" wird

bescheiden, ganz bescheiden, unschuldig, ganz unschuldig und wäscht aufMaximowsche Art die Hände in Unschuld: „Wir übernehmen keine Ver-antw ortun g" (S. 2, Spalte 2 der Beilage zu N r. 16/17 ), „das ist eine Fraged e s F a k t u m s . . . "

. . . W elche böswilligen Verleum der haben n ur die „Leg ende" (einAusdruck Martows im „Vorwärts"3 8) ausgedacht, der „Golos" bemänteledas Liquidatorentum, leiste dem Liquidatorentum Vorschub! Ist das etwa

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9 2 IV . 7. Lenin

keine Verleumdung, den Liquidatoren leiste derjenige Vorschub, der in

einem illegalen Organ die Dumaarbeit des Zentralkomitees lächerlichmacht und dabei unterstellt , daß diese Arbeit zur Entfaltung gekommensei, „seitdem die M ehrh eit der ZK -M itglieder im Ausland lebt" (ebend a) -um so mehr, als es unmöglich ist, diese Unterstellungen zu widerlegen,d. h. die Wah rhe it über die .Dum aarbeit des il legalen Zentralkom itees zuberidhten...

Maximow versichert, daß die Frage, ob eine Führung der Dumafrak-tion durdb die Partei möglich ist, sehr, sehr strittig sei (nach zweijährigerErfahrung). Der „Golos" versichert, daß diese Führung von Seiten der

Partei — leere Worte seien („seitdem die Mehrheit der Mitglieder desZentralkomitees im Ausland lebt"). Sowohl Maximow als auch die „Go-los"-Leute legen die Hand aufs Herz und beteuern, daß nur VerleumderGerüchte von einer parteifeindlidien Tätigkeit der rechten und linken Li-quidatoren in Umlauf setzen.

Sowohl Maximow als auch die „Golos"-Leute erklären den ganzenKampf gegen das Liquidatorentum damit, daß einige Personen undGruppen Neigungen zum „Rausschmeißen" haben. Maximow gebrauchtgerade dieses Wort. Der „Golos" kennzeichnet mit Entrüstung den Auf-

ruf Plechanows zur generellen Abgrenzung als „Chirurgie", als Methode,„zu scheren, zu barbieren und zur Ader zu lassen", als Methoden von„Sobakewitsch*-Lenin", als Methoden des „Raufbolds" P.39 (P. = einPlechanowscher Menschewik, der den Mut hatte, offen die Wahrheit überdas Liquidatorentum der Tscherewanin, Larin und Potressow zu sagen).Der „Proletari" mache in Diplomatie, kokettiere mit Plechanow (Maxi-mow), der „Proletari" scharwenzle um Plechanow („Golos": der Plecha-now gegenüber „dienstbeflissene Feuilletonist" des „Proletari"). Mansieht: die Maximow- und die „Golos"-Leute erklären auf ganz gleiche

Weise die neuen Spal tungen und neuen Gruppierungen.Überlassen wir den Hampelmännern solche Erklärungen und kommenwir zur Sache.

Das Liquidatorentum ist eine tiefgreifende soziale Erscheinung, die un-trennbar mit der konterrevolutionären Einstellung der l iberalen Bourgeoi-sie, mit der Auflösung und dem Verfall innerhalb des demokratischenKleinbürgertums in Zusammenhang steht. Auf tausenderlei Art bemühen

* Sobakewitsch - Gestalt aus Gogols Roman „Die toten Seelen". Der übers.

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Die Methoden der Liquidatoren und die Parteiaufgaben der dolsdhewiki 93

sich die Liberalen und die kleinbürgerlichen Demokraten, die revolutio-

näre sozialdemokratische Partei zu zersetzen, zu unterhöhlen, sie nieder-zuwerfen und den Boden für solche legalen Arbeitervereinigungen vor-zubereiten, in denen sie Erfolg haben könnten. Und in solch einer Zeitkämpfen die Liquidatoren ideologisch und organisatorisch gegen den wich-tigsten Überrest der gestrigen Revolution, gegen das wichtigste Bollwerkder morgigen Revolution. Die „G olos"-Leu te (von denen die Partei nichtsweiter verlangt, als einen ehrlichen, offenen, vorbehaltlosen Kampf gegendie Liquidatoren) stützen die Liquidatoren mit ihren Ausflüchten. DerMenschewismus ist durch die Geschichte der Konterrevolution in die Engegetrieben: entweder kämpfe gegen das Liquidatorentum oder werde seinHelfershelfer. D er M enschewismus m it umgekehrtem Vorzeichen, d. h.der Otsowismus-Ultimatismus, führt in Wirklichkeit ebenfalls zur Ver-stärkung des Liquidatorentums: wenn man weiterhin über die Duma- unddie legale Ar beit „streitet", wen n m an darauf aus ist , die alte O rganisationzu erhalten, ohne sie der neuen historischen Periode, den veränderten Be-dingungen anzupassen, so ist dies jaktisch eine Politik der revolutionärenUntätigkeit , der Zerstörung der i l legalen Organisation.

D en Bolschewiki erwächst die Au fgabe, an zwei Fronten zu kämpfen -die Aufgabe eines „Zentrums" (deren Wesen Maximow nicht begriffen

hat, der darin Unatifrichtigkeit und Diplomatie erblickt). Es ist unmöglich,die illegale sozialdemokratische Organisation zu erhalten und zu festigen,wenn sie nicht systematisch, beständig, schrittweise umgestaltet wirdzwecks Meisterung der gegenwärtigen schweren Lage, zwecks langwieri-ger Arbeit mit Hilfe der „Stützpunkte" all und jeder legalen Möglich-keiten.

Die objektiven Bedingungen haben der Partei diese Aufgabe diktiert .Wer wird sie lösen? Dieselben objektiven Bedingungen haben die An-näherung der Parteitreuen aller Fraktionen und Teile der Partei diktiert,

vor allem die Annäherung zwischen den Bolschewiki und den partei-treuen Menschewiki, den Menschewiki vom Typ der Wiborger in St. Pe-tersburg und der Plechanowleute im Ausland. Die Bolschewiki habenihrerseits offen die Notwendigkeit dieser Annäherung verkündet, und wirrufen alle Menschewiki, die offen gegen das Liquidatorentum zu kämpfenvermögen, die offen Plechanow zu unterstützen vermögen, und natürlichan erster Stelle und vor allen Dingen die menschewistischen Arbeiter dazu

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94 19 . J. Lenin

auf. Die Annäherung wird sich schnell und umfassend vollziehen, wenn

ein "Übereinkommen mit den Plechanowleuten möglich ist: ein Überein-kommen auf der Grundlage des Kampfes für die Partei und für das

Parteiprinzip, gegen das Liquidatorentum, ohne jede ideologischen Kom-

promisse, ohne jede Vertuschung der taktischen und anderen Meinungs-

verschiedenheiten im Rahmen der Parteilinie. Mögen alle Bolschewiki und

insbesondere die bolschewistischen Arbeiter an der Basis alles tun, damit

solche Übereinkommen getroffen werden.

Sollten sich die Plechanowleute als zu schwach oder nicht genügend

organisiert erweisen oder auf ein Übereinkommen nicht eingehen wollen,

dann werden wir dieses Ziel auf einem Weg verfolgen, der länger ist, aberwir werden es verfolgen und in jedem Fall auch erreichen. Dann wird die

Fraktion der Bolschewiki allein Neugestalter der Partei auf dem Gebiet

der praktischen Arbeit bleiben, sie wird sofort und unverzüglich diese

Arbeit aufnehmen (denn Plechanow unterstützt die Partei nur literarisch).

Spannen wir alle Kräfte an, um diese Neugestaltung voranzutreiben, seien

wir unerbittlich gegenüber den verachtungswürdigen Winkelzügen und

Ausflüchten der „Golos"- und Maximowleute, entlarven wir auf jedem

Schritt der praktischen Parteiarbeit die Parteifeindlichkeit dieser und je-

ner, und prangern wir sie vor dem Proletariat an.

Die Arbeiterklasse hat der gesamten bürgerlichen Revolution in Ruß-

land den Stempel ihrer, der proletarischen, revolutionär-sozialdemokra-

tischen Taktik aufgedrückt. Keinerlei Anstrengungen der Liberalen, der

Liquidatoren und der Helfershelfer des Liquidatorentums werden diese

Tatsache ausmerzen. Und die fortschrittlichen Arbeiter werden die revo-

lutionäre sozialdemokratische Partei gemeinsam mit denjenigen bauen und

aufbauen, die ihnen dabei helfen wollen, gegen diejenigen, die dabei nicht

helfen wollen oder dazu nicht fähig sind.

„Proleten" Tir. 50, TJadb dem J'ext des „Proletari".28. November [n. Dezember') 1909.

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D E R „ G O L O S S O Z I A L - D E M O K R A T A "

U N D T S C H E R E W A N I N 4 0

Genosse Tscherewanin ist der Typ und das Musterbeispiel des ideolo-

gischen Liquidators unter den Menschewiki. Er brachte dies voll und ganzin seinem bekannten Buch „Das Proletariat usw." zum Ausdruck. DasLiquidatorentum ist darin derm aßen stark, da ß die bekannte hoHändisdieSchriftstellerin, die Marxistin Roland-Holst, Verfasserin des Vorworts zurdeutschen Übersetzung, nicht umhinkonnte, gegen die Verfälschung desMarxismus und seine Ersetzung durch den Revisionismus zu protestieren.Daraufhin veröffentlichte die Redaktion des „Golos Sozial-Demokrata"im „Vorwärts" eine Lossage von Tscherewanin und erklärte, daß füh-rende Menschewiki mit ihm nicht einverstanden seien. Der „Proletari"

wies auf den Jesuitismus einer derartigen Lossage hin, die im „Golos"nicfot nachgedruckt wurde und der keine systematische Erläuterung der„Fehler" Tscherewanins in der russischen Presse folgte.* Handeln etwanicht gerade so die bürgerlichen Minister von Stolypin bis Briand: Vor-behalt, Berichtigung, Lossage von dem zu weit gegangenen Gesinnungs-genossen, von dem übereifrigen Anhänger und unter diesem Deckmantel -Fortsetzung der alten Linie?

In Nr. 16/17 veröffentlicht der „Golos" einen Brief Tscherewanins andie Redaktion und deren Nachsatz dazu..Der „Proletari" wird des „Ver-

leumdertums" beschuldigt, weil wir dem Publikum „unterschlagen" hät-ten, daß Tscherewanin selbst in seinem Buch „Die gegenwärtige Lage unddie mögliche Zukunft" (Moskau 1908) den „Fehler berichtigt hat" .

Zeigen wir also den Lesern wieder einmal, weldherart die Methodender „Golos"-Leute sind und was es bedeutet, wenn sie den „Proletari"wegen „Verleumdungen" hinsichtlich ihres Liquidatorentums anklagen.

* Siehe Werke, Bd. 15, S. 455-463. Die Red.

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96 W . 1. Lenin

Wir beschränken uns auf einige wenige Zitate aus dem angeführten

neuen Buch von Tscherewanin. Seite 173: „Im allgemeinen gehe ich nichtim mindesten von der Analyse ab, die ich in meinem Buch ,Das Proleta-riat in der Revolution' gegeben habe. Das Proletariat und die Sozialdemo-kratie haben zweifellos eine Reihe Fehler begangen, die den Sieg der Re-volution unbedingt erschweren mußten, selbst wenn dieser Sieg möglich

gewesen wäre (hervorgehoben von Tscherewanin) . Nun muß man aberschon die Frage stellen, ob dieser Sieg tatsächlich möglich war und oballein die Fehler des Proletariats und der Sozialdemokratie die Ursachenfür die Niederlage der Revolution waren. Bereits die Fragestellung selbstgibt unwillkürlich auch die Antwort darauf. Die Niederlage der Revolu-tion ist dermaßen schwer und die Lage der zur Macht gekommenen Reak-tion ist zumindest für die nächsten Jahre dermaßen stabil, daß es völligunmöglich wäre, die Ursachen dafür auf irgendwelche Fehler des Prole-tariats zurückzuführen. Es geht hier offensichtlich nicht um Fehler, son-dern um irgendwelche tieferen Ursachen."

Da haben wir die „Berichtigung des Fehlers" von Tscherewanin, lautErklärung des „Golos"! Tscherewanin geht nicht von seiner „Analyse"ab, sondern bekräftigt sie, wobei er sich eine ganze Reihe neuer Perlenleistet (wie die statistische Bestimmung der „Kräfte der Revolution" miteinem Viertel der Gesamtbevölkerung, 21,5-28 Prozent; über diese Perleein andermal!). Tscherewanin fügt der These - das revolutionäre Prole-tariat hat Fehler begangen - hinzu: die Revolution hatte als „potentielle"

Kraft (S. 197, hervorgehoben von Tscherewanin) nicht mehr als einViertel der Bevölkerung zur Verfügung - und die „Golos"-Leute nennendies „Berichtigung" und machen ein Geschrei über Verleumdertum des„Proletar i" .

Seite 176: „Stellen wir uns vor, die Menschewiki hätten jederzeitkonsequent an den menschewistischen Positionen festgehalten, wärennicht unter dem Einfluß des revolutionären Taumels zu Bolschewiki ge-worden, als sie an dem Novemberstreik in Petersburg, an der Einführungdes Achtstundentages auf revolutionärem Wege, an dem Boykott derersten Duma teilnahmen." (Schlußfolgerung: Die Taktik des Proletariatshätte sich verbessert, aber die Niederlage w äre trotzdem erfolgt.)

Seite 138: „Möglicherweise sind im stürmischen Jahr 1905 die revo-lutionären und oppositionellen (hört, hört!) Parteien in ihren Perspek-

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Der „ Qolos SoziaWDemokrata" und Jsdherewanin 97

tiven hinsichtlich eines radikalen Umbruchs der politischen und Agrar-verhältnisse zu weit gegangen."

Das reicht wohl? Die Wiederholung und Bekräftigung des Liqui-datoren- und Renegatentums nennt der „Golos Sozial-Demokrata" Be-richtigung. Nächstens wird die deutsche Übers etzun g der „Gegenw ärtigenLage" erscheinen: die „Golos"-Leute veröffentlichen für die Deutsdieneine neue Lossage, Tscherewanin veröffentlicht einen neuen „Vorbehalt",die liquidatorische Propaganda wird sich verstärken, der „Golos" wirdvornehme Entrüstung mimen, weil er verleumderisch des Liquidatoren-tums beschuldigt wurde. Es ist die alte, doch ewig neue Geschichte.

Maslow, Martow und Potressow können absolut nicht verstehen, kön-

nen entschieden nicht verstehen, welcher „Geist" der Schriften Potres-sows sogar den Marxisten Pledianow, der im Manövrieren gegenüber denKadetten sehr weit gegangen ist - endlich! - , in Empörung versetzt hat.Versteht ihr das denn wirklich nicht, verehrte „Golos"-Leute? Auch nachden Zitaten aus dem „berichtigten" Buch von Tscherewanin verstehen Siedas immer noch nicht? Wie bequem doch manchmal Begriffsstutzigkeitsein kann!

„Proletari" 9Vr. 50, TJadh dem "Text des „ Proletari".

28. November (a. Dezember) 1909.

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M Ä R C H E N D ER B Ü R G E R L I C H E N P R E S SE

Ü B ER E I N E N A U S S C H L U S S G O R K I S

Schon seit mehreren Tagen weiden sich die bürgerlichen Zeitungen

Frankreichs („L'Edair" [Der Blitz], „Le Radical"), Deutschlands („Ber-liner Tageblatt") und Rußlands („Utro Rossii" [Der Morgen Rußlands],„Retsch", „Russkoje Slowo" [Das russische Wort], „Nowoje Wremja")an einer höchst sensationellen Neuigkeit: Ausschluß Gorkis aus der sozial-demokratischen Partei. Im „Vorwärts" wurde dieser Unsinn bereits de-mentiert. Die Redaktion des „Proletari" hat ebenfalls m ehreren Zeitungenein Dementi geschickt, die bürgerliche Presse iber ignoriert das und setztdie Klatschereien fort.

Die Quelle dieser Klatschereien ist klar: irgend so ein Schreiberling,

der mit halbem Ohr von Meinungsverschiedenheiten über Otsowismusund Gottbildnertum gehört hatte (eine Frage, die schon bald ein Jahroffen in der Partei überhaupt und im „Proletari" insbesondere diskutiertwird), hat Bruchstücke von Meldungen unverschämt verdreht und an er-fundenen „Interviews" und ähnlichem „fein verdient".. Das Ziel dieser Verleumdungskampagne ist nicht minder klar. Die

bürgerlichen Parteien möchten gern, daß Gorki aus der sozialdemokra-tischen Partei austritt. Die bürgerlichen Zeitungen geben sich die größteMühe, die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der sozialdemokratischenPartei zu schüren und sie verzerrt darzustellen.

Die bürgerlichen Zeitungen bemühen sich vergebens. Genosse Gorkihat sich durch seine großen Kunstwerke zu fest mit der ArbeiterbewegungRußlands und der ganzen Welt verbunden, um ihnen anders als durchVerachtung zu antworten.

.Proletari" 7ir. 50, TJadb dem 7ext des .Proletari".28.November (ll. Dezember) 1909.

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Ü B E R D E N I D E O L O G I S C H E N Z E R F A L L

U N D D IE I D E O L O G IS C H E Z E R S E T Z U N G

I N D ER S O Z I A L D E M O K R A T I E R U S S L A N D S 4 1

Der Kampf gegen Otsowismus und Liquidatorentum, der natürlicher-

weise unter den Aufgaben der wirklich marxistischen und sozialdemokra-tischen Elemente unserer Partei den ersten Platz eingenommen hat, darfvor uns jedoch nicht ein tiefgreifenderes Übel verhüllen, das im Grundegenommen sowohl den Otsowismus als auch das Liquidatorentum her-vorgebracht hat und das, nach allem zu urteilen, noch allerhand neuentaktischen Unsinn hervorbringen wird. Der ideologische Zerfall und dieideologische Zersetzung sind das Übel, wovon der Liberalismus ganz undgar erfaßt ist und das sich von allen Seiten den Weg in unsere Parteibahnt.

Hier eins der zahlreichen Beispiele diesen Zersetzung. Ein Genosse, derseit langem in der Partei arbeitet, ein alter Iskrist und alter Bolschewik,war durch Kerker und V erbannung sehr lange Zeit, fast seit Anfang 1906,von der Beteiligung an der Bewegung ausgeschlossen. Vor kurzem kehrteer zur Arbeit zurück, er machte sich mit dem Otsowismus-Ultimatismusbekann t und lehnte ihn mit Entrüstung und Empörung ab als eine beispiel-lose Verzerrung der revolutionären sozialdemokratischen Taktik. Nach-dem er sich mit dem Zustand der Arbeit in Odessa und Petersburg be-kanntgemacht hatte, gelangte dieser Genosse unter anderem zu folgendem

Schluß oder folgendem „vorläufigen Ergebnis" seiner Beobachtungen:„... Mir scheint, daß die schwerste Zeit vorüber ist und daß noch dieAufgabe geblieben ist, die Überreste der Periode der Auflösung und desZerfalls zu beseitigen." Diese Überreste sind jedoch nicht gerade gering.

„In der gesamten Petersburger A rbeit", so lesen w ir in demselben Brief,„ist das Fehlen eines führenden einheitlichen Zentrums, sind Disziplin-losigkeit, Unordnung, das Fehlen einer Verbindung zwischen den ein-

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100 1/9.1. Lenin

zelnen Teilen, das Fehlen der Einheit und Planmäßigkeit in der Arbeitspürbar. Jeder arbeitet auf eignes Risiko und auf eigne Gefahr. In derillegalen Organisation gibt es starke otsowistische Tendenzen, sie er-fassen sogar die Antiotsowisten ..." (Offensichtlich sind hier jene Bol-schewiki gemeint, die trotz des wiederholten und entschiedenen Drän-gens des „Proletari" nicht mit den Otsowisten brechen, keinen unver-söhnlichen Kampf gegen sie führen, sondern bemüht sind, zu versöhnen,wobei sie die unvermeidliche Entscheidung unnütz hinauszögern, ohne inWirklichkeit irgendwelchen Verzicht der Otsowisten-LDtimatisten aufihre unsinnige Taktik zu erreichen.) „Auf dieser Basis bildet sich einecharakteristische Erscheinung heraus, die vollkommen selbständig auch inOdessa auftrat: die revolutionäre Untätigkeit, überall, wo der Geist desOtsowismus herrscht, springt es kraß ins Auge, daß die illegalen Organi-sationen nichts tun. Ein bis zwei propagandistische Zirkel, Kampfgegen legale Möglichkeiten - das ist auch schon die ganze Arbeit. Sieträgt überwiegend desorganisierenden Charakter, was Ihr auch aus denumfassenden Materialien ersehen könnt, die ich Euch aus Odessa gesandthabe" (verwer te t im Ar t ikel . . .*). „Was die legalen Möglichkeiten an-belangt, so fehlt bei deren Ausnutzung eine konsequente sozialdemo-kratische Linie. In der Finsternis der Reaktion haben die Opportunistenin der Sozialdemokratie ihr Haupt erhoben und ,rebellieren' - wissend,daß dies jetzt nicht gefährlich ist — gegen die Grundprinzipien der Sozial-demokratie. Da trifft man auf eine derart umfassende Revision der revo-lutionären Sozialdemokratie, ihres Programms, ihrer Taktik, daß dieRevision Bernsteins dagegen wie ein Kinderspiel erscheint. Die SDAPRverstehe Marx nicht, sie habe die Tendenzen der ökonomischen Ent-wicklung Rußlands falsch analysiert, in Rußland habe es niemals eineLeibeigenschaftsordnung, sondern eine gutsherrlich-handelskapitalistischeOrdnung gegeben, es habe keinen Widerspruch zwischen den Interessen

der Bourgeoisie und des Landadels gegeben und es gebe ihn nicht, esexistiere auch kein Bündnis zwischen ihnen, denn diese beiden Klassen,die sich die russische Sozialdemokratie ausgedacht habe, stellten eineeinzige bürgerliche Klasse dar (das sei ein spezifischer Zug Rußlands),die Selbstherrschaft sei die Organisation dieser Klasse. Die Schwäche der

* Im Manuskript ist hier Platz für den Titel des Artikels frei gelassen.Die Red.

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Tiber den ideologisdben Zerfall und die ideohgisdhe Zersetzung 101

russischen Bourgeoisie, worauf sich die Losung der ,Diktatur des Prole-

tariats und der Bauernschaft' gründe (?? - die Fragezeichen stammen vomVerfasser des Briefes), sei einfach ausgedacht, und diese Losung selbst,wä re und bliebe utopisch. M an m üsse sie über B ord werfen zusammen mitder demokratischen Republik, denn der russische Zug fahre jetzt aufdeutschen Gleisen .. ,"42

Es ist offensichtlich, d aß wir hier die Mom entau fnahm e eines der Bächejenes breiten Stromes der ideologischen Konfusion vor uns haben, der denOtsowismus und das Liquidatorentum hervorbringt und bisweilen diePrämissen des äußersten rechten und des äußersten „linken" Blödsinns

wunderlich durcheinanderwirft und sogar einander annähert. Die ersteHälfte dieser Prämissen (Fehlen des Widerspruchs zwischen Bourgeoisieund fronherrlichem Grundbesitz usw.) ist derart unsinnig und dumm, daßes sogar schwerfällt, sie ernst zu nehmen. Es hat keinen Sinn, zu kri.. .*

Qesdhrieben Ende November(Anfang 'Dezember') i909.

Zuerst veröffentlicht i933 TJado dem Manuskript.im £enin-Sammelband XXV.

* An dieser Stelle bricht das M anuskript a b. Die Red.

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102

SCHRIFTLICHE ERLÄUTERUNGZU M EN TW U R F

DER GRUND LEGENDEN BESTIMM UNGENDES GESETZES

ÜBER DEN ACHTSTUNDENTAG

II*

Wir haben die Absicht, im vorliegenden zweiten Teil der schriftlichenErläuterung auf die Frage nach dem 7yp des sozialdemokratischen Gesetz-entwurfs für die III. Duma über den Achtstundentag und auf die Fragenach den Motiven einzugehen, die die Qrundzüge des angeführten Gesetz-entwurfs erklären.

Der ursprüngliche Entwurf, der in der sozialdemokratischen Duma-fraktion vorlag und d er unserer Un terkomm ission zugestellt wu rde, kon nte

als Grundlage genommen werden, erforderte jedoch eine Reihe von Än-derungen.

Der Hauptzweck der Gesetzentwürfe, die von den Sozialdemokratenin der III. Duma eingebracht werden, muß in der Propaganda und Agi-tation für das sozialdemokratische Programm und die sozialdemokratischeTaktik bestehen. Jede Hoffnung auf ein „Reformertum" der III. Dumawäre nicht nur lächerlich, sondern würde auch die Gefahr heraufbe-schwören, daß das Wesen der revolutionären sozialdemokratischen Taktikvöllig entstellt und sie in eine Taktik des opportunistischen, liberalen

Sozialreformertums verwandelt wird. Es steht außer Frage, daß eine der-artige Entstellung der sozialdemokratischen Taktik in der Duma direkt

* Der erste Teil oder das erste Kapitel der schriftlichen Erläuterung mufieine populär und nach Möglichkeit maximal agitatorisch geschriebene Dar-legung der Argumente für den Achtstundentag überhaupt enthalten, und zwarunter dem Gesichtspunkt der Arbeitsproduktivität, der gesundheitlichen undder kulturellen Interessen des Proletariats, überhaupt der Interessen seines Be-freiungskampfes.

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Schriftliche Erläuterung zum Entwurf der grundlegenden 'Bestimmungen 103

und entschieden den allgemeinverbindlichen Beschlüssen unserer Partei

widerspräche, nämlich den Resolutionen des Londoner Parteitags derSDAPR und den vom Zentralkomitee bestätigten Resolutionen der Ge-samtrussischen Parteikonferenzen vom November 1907 und Dezember1908.

Damit die von der sozialdemokratischen Dumafraktion eingebrachtenGesetzentwürfe ihrer Aufgabe gerecht werden, sind folgende Bedingun-gen notwendig:

1. müssen die Gesetzentwürfe in sehr klarer und bestimmter Form dieeinzelnen Forderungen der Sozialdemokratie darlegen, die in unserem

Minimalprogramm der Partei enthalten sind oder sich notwendig ausdiesem Programm ergeben;

2 . dürfen die Gesetzentwürfe keinesfalls mit juristischen Feinheitenüberladen sein; sie müssen die grundlegenden Bestimmungen für die vor-geschlagenen Gesetze geben, aber keine ausführlich ausgearbeiteten Ge-setzestexte mit allen Einzelheiten;

3. dürfen die Gesetzentwürfe die einzelnen Bereiche der Sozialreformund der demokratischen Umgestaltungen nicht übermäßig voneinanderisolieren, wie dies vom engjuristischen, administrativen oder „rein parla-mentarischen" Standpunkt angebracht erscheinen mag; im Gegenteil, dieGesetzentwürfe, die eine sozialdemokratische Propaganda und Agitationbezwecken, müssen der Arbeiterklasse eine möglichst klare Vorstellungvon dem notwendigen Zusammenhang zwisdien den Fabrik- (und über-haupt den sozialen) Reformen und den demokratisdoen politischen Um-gestaltungen vermitteln, ohne die jegliche „Reformen" der StolypinschenSelbstherrschaft unweigerlich dazu verurteilt sind, auf „Subatowsche"Art entstellt und restlos auf tote Buchstaben reduziert zu werden. Esversteht sich von selbst, da ß das Aufzeigen des Zusamm enhangs zwisdienden ökonomischen Reformen und der Politik nicht dadurch erreicht wer-

den soll, daß in alle Gesetzentwürfe die Forderungen der konsequentenDemokratie in ihrer Gesamtheit aufgenommen werden, sondern dadurch,daß die jeder einzelnen Reform entsprechenden demokratischen und spe-ziell proletarisch-demokratischen Institutionen vorgeschlagen werden,wobei in der schriftlichen Erläuterung zum Gesetzentwurf hervorgehobenwerden muß, daß diese ohne radikale politische Umgestaltungen nicht ver-wirklicht werden können;

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104 W.J.Lenin

4. angesichts der jetzigen äußerst erschwerten Bedingungen für die

legale sozialdemokratische Propaganda und Agitation unter den Massenmüssen die Gesetzentwürfe so abgefaßt werden, daß sowohl ein einzelngenommener Gesetzentwurf als auch eine einzeln genommene schriftlicheErläuterung dazu ihren Zwedk erfüllen können, wenn sie unte r die Massenkommen (sei es durch Abdruck in nichtsozialdemokratischen Zeitungen,sei es durch Verbreitung von Flugblättern mit dem Text des Gesetz-entwurfs u. dgl. m.), d. h. , daß die Arbeiter von der Straße, die unaufge-klärten Arbeiter, sie lesen können mit Nutzen für die Entwicklung ihresKlassenbewußtseins; zu diesem Zweck müssen die Gesetzentwürfe in

ihrem gesamten Aufbau vom Geist des proletarischen Mißtrauens gegen-über den Unternehmern und dem Staat als einem den Unternehmerndienenden Organ durchdrungen sein; mit anderen Worten, der Geist desKlassenkampfes muß den gesamten Aufbau des Gesetzentwurfs durch-dringen, muß aus der Summe der einzelnen Bestimmungen hervorgehen;

schließlich, 5. müssen die Gesetzentwürfe unter den heutigen Bedin-gungen in R ußland , d. h. bei dem Fehlen e iner sozialdemokratischenPresse und sozialdemokratischer Versam mlungen, eine genügend konkreteVorstellung von der Umgestaltung vermitteln, die die Sozialdemokraten

fordern, und dürfen sidi nicht auf eine einfache Proklamation des Prin-zips beschränken; der Arbeiter von der Straße, der gewöhnliche Arbeitermuß an dem sozialdemokratischen Gesetzentwurf interessiert, muß vondem k onkreten Bild der U mge staltung begeistert sein, um dann von diesemeinzelnen Bild zur gesamten Weltanschauung der Sozialdemokratie alsGanzem übergehen zu können.

Ausgehend von diesen grundlegenden Voraussetzungen muß gesagtwerden, daß der von dem Verfasser des ursprünglichen Gesetzentwurfsüber den Achtstundentag gewählte Typ des Gesetzentwurfs den russischen

Bedingungen mehr entspricht als beispielsweise jene Gesetzentwürfe überdie Verkürzung des Arbeitstages, die von den französischen und deutschenSozialisten in ihren Parlamenten eingebracht wurden. Zum Beispiel ent-hält der von Jules Guesde am 22. Mai 1894 in der französischen Ab-geordnetenkammer eingebrachte Gesetzentwurf über den Achtstundentagzwei Artikel: Artikel eins verbietet es, länger als 8 Stunden täglich undmehr als 6 Tage in der Woche zu arbeiten; Artikel zwei gestattet dieArbeit in mehreren Schichten mit der Einschränkung, daß die Anzahl der

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Sdbriftlidbe Erläuterung zum Entwurf der grundlegenden 'Bestimmungen 105

Arbeitsstunden pro Woche 48 nicht übersteigen darf.* Der Gesetzentwurfder deutschen Sozialdemokraten von 1890 umfaßt 14 Zeilen; er schlägtvor: sofortige Einführung des Zehnstundentages, des Neunstundentagesvom 1. Januar 1894 an und des Achtstundentages vom 1. Januar 1898 an.In der Session 1900-1902 brachten die deutschen Sozialdemokraten einennoch kürzeren Vorschlag über die Verkürzung des Arbeitstages ein, undzwar sofort auf 10 Stunden und im weiteren auf 8 Stunden, innerhalbeiner Frist, die einer besonderen Festlegung unterliegen sollte.**

Es versteht sich, daß derartige Gesetzentwürfe vom sozialdemokra-tischen Standpunkt aus auf jeden Fall zehnmal rationeller sind als dieVersuche, sich dem für die reaktionären oder bürgerlichen Regierungen

Realisierbaren „anzupassen". Wenn es jedoch in Frankreich und Deutsch-land unter den Bedingungen von Presse- und Versammlungsfreiheit ge-nügt, den Gesetzentwurf nur auf die Proklamation des Prinzips zu be-schränken, so ist es bei uns in Rußland gegenwärtig unerläßlich, in denGesetzentwurf selbst noch konkret-agitatorisches Material einzufügen.

Deshalb erachten wir den vom Verfasser des ursprünglichen Entwurfsangenommenen 7yp für zweckentsprechender, jedoch ist es notwendig,an diesem Entwurf eine Reihe von Korrekturen vorzunehmen, da derVerfasser in einigen Fällen einen unserer Ansicht nach äußerst schwer-

wiegenden und äußerst gefährlichen Fehler begeht, und zwar schmälerter ohne jeden Grund die Forderungen unseres Minimalprogramms (in-dem er beispielsweise die wöchentliche Freizeit mit 36 und nicht mit42 Stunden bestimmt oder nicht festlegt, daß für Nachtarbeit die Zu-stimmung d er Arbeiterorganisationen notwen dig ist). In einigen Fällen ent-steht der Eindruck, als ob der Verfasser bemüht ist, seinen Gesetzentwurfder „Realisierbarkeit" anzupassen, indem er beispielsweise dem Ministereinräumt, über Ausnahmegesuche zu entscheiden (mit Einbringen der An-gelegenheit in die gesetzgebenden Institutionen), und nicht ein einziges

M al die Rolle der Gewerkschaftsorganisationen der Arbeiter bei der Ver-wirklichung des Gesetzes über den Achtstundentag erwähnt.

* Jules Guesde, „Le Probleme et la solution,- les huit heures ä la chambre",Lille, s. a. („Das Problem und seine Lösung; die Behandlung des Achtstunden-tages in der Abgeordnetenkammer", Lille, o. J. Die Red.')

** M. Schippel, „Sozialdemokratisches Reichstags-Handbuch", Berlin 1902,S. 882, 886.

8 Lenin, W erke , Bd. 16

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106 W. 1. Lenin

Der von unserer Unterkommission vorgeschlagene Gesetzentwurf

nimmt an dem ursprünglichen Entwurf eine Reihe von Korrekturen inder angegebenen Richtung vor. Gehen wir im einzelnen auf die Moti-vierung folgender Abänderungen des ursprünglichen Entwurfs ein.

In der Frage, auf welche Betriebe der Gesetzentwurf anzuwenden ist,muß der Anwendungsbereich durch Einbeziehung aller Zweige sowohlder Industrie als auch des Handels, des Verkehrs und der verschiedenenInstitutionen (einschließlich der staatlichen: Po st u. dgl. m.) sowie derHeimarbeit erweitert werden. In der schriftlichen Erläuterung für dieDuma müssen die Sozialdemokraten besonders die Notwendigkeit einer

solchen Erweiterung und der Beseitigung jeglicher Schranken und Unter-teilungen (in dieser Frage) zwischen dem Industrieproletariat und den imHandel, im Verkehrswesen und sonstigen Einrichtungen beschäftigtenArbeitern usw. hervorheben.

Es kann auf Grund der in unserem Minimalprogramm enthaltenenForderung des Achtstundentages „für alle Lohnarbeiter" die Frage derLandwirtschaft auftauchen. Wir sind jedoch der Ansicht, daß es für dierussischen Sozialdemokraten zur Zeit kaum angebracht ist, die Initiativefür den Achtstundentag in der Landwirtschaft zu ergreifen. Besser ist es,in der schriftlichen Erläuterung davon zu sprechen, daß sich die Parteidas Recht vorbehält, einen weiteren Gesetzentwurf sowohl für die Land-wirtschaft als auch für die Dienstboten usw. einzubringen.

Weiter. In allen Fällen, wo im Gesetzentwurf davon die Rede ist, daßAusnahmen vom Gesetz zulässig sind, haben wir die Forderung nachZustimmung der Gewerkschaft der Arbeiter für jeden Ausnahmefall ein-gefügt. Dies ist unerläßlich, um den Arbeitern klarzumachen, daß einewirkliche Verkürzung des Arbeitstages ohne aktive Teilnahme der Arbei-terorganisationen nicht zu verwirklichen ist.

Weiterhin ist es erforderlich, auf die Frage der stujenweisen Einfüh-

rung des Achtstundentages einzugehen. Der Verfasser des ursprünglichenEntwurfs verliert darüber kein Wort und beschränkt sich auf die ein-fache Forderung des Achtstundentages, ähnlich wie im Entwurf vonJ. Guesde. Im Gegensatz dazu lehnt sich unser Entwurf an das Mustervon Parvus* und den Entwurf der deutschen sozialdemokratischen Reichs-

* Parvus, „Die Handelskrisis und die Gewerkschaften. Nebst Anhang: Ge-setzentwurf über den achtstündigen Norm alarbeitstag", M ünchen 1901.

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Sdhriftlidhe Erläuterung zum Entwurf der grundlegenden Bestimmungen 107

tagsfraktion an und legt die stufenweise Einführung des Achtstundentagesfest (sofort, d. h. drei M ona te nach Inkrafttreten des Gesetzes, Einführungdes Zehnstundentages und jedes Jahr Verkürzung des Arbeitstages umeine Stunde). Natürlich ist der Unterschied zwischen diesem und jenemEntwurf nicht so wesentlich. Aber bei der maximalen technischen Rück-ständigkeit der russischen Industrie, bei der äußerst schwachen Organi-siertheit des russischen Proletariats, bei der überwältigenden Masse derwerktätigen Bevölkerung (Kustare usw.), die noch an keiner bedeutendenKampagne für die Verkürzung des Arbeitstages teilgenommen hat - unterall diesen Bedingungen wird es zweckmäßiger sein, unmittelbar in demGesetzentwurf selbst auf den unvermeidlichen Einwand zu antworten,daß ein schroffer Obergang unmöglich, daß der Lohn der Arbeiter beieinem solchen Übergang sinkt usw.* Die Festlegung der stufenweisenEinführung des Achtstundentages (die Deutschen dehnten die Einführungauf 8 Jahre aus; Parvus auf 4 Jahre; wir schlagen 2 Jahre vor) gibtzugleich Antwort auf diesen Einwand: eine längere Arbeitszeit als 10Stunden täglich ist ökonomisch ganz unrationell und aus gesundheitlichenund kulturellen Erwägungen heraus unzulässig. Die Frist von einem Jahrfür die Verkürzung des Arbeitstages um eine Stunde genügt vollauf,

damit die technisch rückständigen Betriebe mithalten und sich umstellen

können, damit die Arbeiter ohne merkliche Veränderung in der Arbeits-produktivität zu der neuen Ordnung übergehen können.

Die stufenweise Einführung des Achtstundentages soll nicht deshalbfestgelegt werden, um den Entwurf dem Maßstab der Kapitalisten oderder Regierung „anzupassen" (davon kann gar keine Rede sein, und wennderartige Gedanken aufkämen, so würden wir es selbstverständlich vor-ziehen, jegliche Erwähnung der stufenweisen Einführung wegzulassen),sondern deshalb, um jedermann anschaulich vor Augen zu führen, daß

* In bezug auf die stufenweise Einführung des Achtstundentages äußertParvus unsere r Ansicht nach völlig zu Recht, daß diese stufenweise Einführangin seinem Gesetzentwurf hervorgerufen wird „nicht aus Rücksicht auf dieUnternehmer, sondern aus Rücksicht auf die Arbeiter. Wir müssen dabei dieTaktik der Gewerkschaften befolgen: diese gehen sehr allmählich mit der Kür-zung der Arbeitszeit vo r, weil sie sich wohl bew ußt sind, daß sie dann am leich-testen einer Reduktion der Arbeitslöhne entgegenwirken können." (Hervor-gehoben von Parvus, die zitierte Broschüre, S. 62/63.)

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108 l/V. 1 . Lenin

das Programm der Sozialdemokratie in technischer wie in kultureller und

ökonomischer Hinsicht selbst in einem der rückständigsten Länder durch-führbar ist.Ein ernsthafter Einwand gegen die stufenweise Einführung des Acht-

stundentages in dem russischen sozialdemokratischen Gesetzentwurf wäreder, daß auf diese Weise, wenn auch nur indirekt, die revolutionären So-wjets der Arbeiterdeputierten von 1905, die an die sofortige Verwirkli-chung des Achtstundentages herangingen, scheinbar desavouiert werden.Wir halten diesen Einwand für ernsthaft, denn auch nur die geringsteDesavouierung der Sowjets der Arbeiterdeputierten in dieser "Hinsicht

käme direktem Renegatentum gleich oder bedeutete auf jeden Fall eineUnterstützung der Renegaten und konterrevolutionären Liberalen, die miteiner solchen Desavouierung traurige Berühmtheit erlangt haben.

Wir sind deshalb der Ansicht, daß es in jedem Tall, unabhängig davon,ob die stufenweise Einführung in den Gesetzentwurf der sozialdemokra-tischen Dumafraktion aufgenommen wird oder nicht, daß es in jedem7all absolut unerläßlich ist, sowohl in der schriftlichen Erläuterung für dieDuma als auch in der Rede des sozialdemokratischen Vertreters vor derDuma ganz präzise eine Auffassung zu vertreten, die unbedingt die ge-ringste Desavouierung ausschließt, die unbedingt einschließt, daß w ir dieHandlungsweise der Sowjets der Arbeiterdeputierten als prinzipiell rich-tig, absolut gesetzlich und notwendig anerkennen.

„Die Sozialdemokratie", so sollte etwa die Erklärung der sozialdemo-kratischen Vertreter oder ihre schriftliche Erläuterung lauten, „geht aufkeinen Fall von der sofortigen Einführung des Achtstundentages ab; imGegenteil, unter bestimmten historischen Bedingungen, wenn sich derKampf verschärft, wenn eine große Energie und Initiative der Massen-bewegung zu verzeichnen ist, wenn die Zusammenstöße zwischen deralten und der neuen Gesellschaft scharfe Formen annehmen, wenn es fürden Erfolg des Kampfes der Arbeiterklasse, beispielsweise gegen das Mit-telalter, unerläßlich ist, vor nichts haltzumachen - mit einem Wort, unterBedingungen, die denen vom November 1905 ähnlich sind, hält die Sozial-demokratie die sofortige Einführung des Achtstundentages nicht nur fürlegitim, sondern auch für notwendig. Wenn die Sozialdemokratie gegen-wärtig in ihrem Gesetzentwurf die stufenweise Einführung des Acht-stundentages vorsieht, will sie damit lediglich zeigen, daß die Verwirk-

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Schriftliche Erläuterung zum Entwurf der grundlegenden Bestimmungen 109

lichung der Programmforderungen der SDAPR selbst unter den un-

günstigsten historischen Bedingungen, selbst bei einem weniger raschenTempo der ökonomischen, sozialen und kulturellen Entwicklung durchausmöglich ist."

Wir wiederholen: eine derartige Erklärung von sehen der Sozialdemo-kraten in der Duma und in ihrer schriftlichen Erläuterung zum Gesetz-entwurf über den Achtstundentag halten wir unbedingt und in jedemFall für notwendig, die Frage jedoch, ob in dem Gesetzentwurf selbst diestufenweise Festlegung des Achtstundentages vorzusehen ist, für relativweniger wichtig.

Die übrigen Änderungen, die von uns an dem ursprünglichen Gesetz-entwurf vorgenommen wurden, betreifen nur Einzelfragen und bedürfenkeiner besonderen Kommentare.

geschrieben im Herbst i909.

Zuerst veröffentlicht i924 in der Tlach dem Manuskript.Zeitschrift „ProletarskajaRewoluzija"(Die proletarische Revolution) 9Vr. 4 (n).

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110

BRIEF AN 1.1 . SKWORZOW-STEPANOW

16. XII. 1909

Lieber Kollege! Ich habe Ihre Antwort erhalten und ergreife die Federzur Fortsetzung des Gesprächs.

Sie wollen die Frage mehr auf die theoretische (und nicht auf dietaktische) Grundlage verschieben. Einverstanden. Ich erinnere nur daran,daß der Ausgangspunkt Ihrerseits taktischer Art war: Sie haben doch die„klassische Fragestellung" der grundlegenden taktischen These abgelehnt.Diese taktische Entscheidung haben Sie (ohne die taktischen Schlußfolge-

rungen daraus ganz auszusprechen) im Zusammenhang mit der Ver-neinung der „amerikanischen Möglichkeit" vorgesehen. Deshalb halte ichdie Darlegung unserer Meinungsverschiedenheiten nicht für richtig, dieSie mit den Worten geben: „Sie (d.h. ich) betonen die Tatsache derBewegung der "Bauernschaft. Ich anerkenne die Tatsache der Bewegungder sich proletarisierenden Bauernschaft." Nicht darin liegt die M einung s-verschiedenheit. Ich verneine doch in der Tat nicht, daß sich die Bauern-schaft proletarisiert . Die Meinungsverschiedenheit besteht darin, ob sidiin Rußland das bürgerliche Agrarregime so weit gefestigt hat, um einenschroffen Übergang von der „preußischen" Entwicklung des Agrarkapi-talismus zur „amerikanischen" Entwicklung des Agrarkapitalismus ob-jektiv unmöglich zu machen. Wenn ja, dann entfällt die „klassische"Stellung der grundlegenden Frage der Taktik. Wenn nicht, dann bleibtsie bestehen.

Nun, ich bin dafür, daß sie bestehenbleiben muß. Ich verneine dieMöglichkeit des „preußischen" Weges nicht; ich anerkenne, daß derMarxist weder einen von diesen Wegen „garantieren" noch sich nur auf

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Brief an J. jf. Skworzow-Stepanow 11 1

einen derselben festlegen soll; ich anerkenne, daß Stolypin mit seiner

Politik nodh einen Schritt weiter auf dem „preußischen" Wege macht unddaß auf diesem Wege auf einer bestimmten Stufe ein dialektischerUmschlag eintreten kann, der alle Hoffnungen und Aussichten auf den„amerikanischen" Weg von der Tagesordnung streicht. Aber ich be-haupte , daß gegenwärtig dieser Umschlag bestimmt noch nicht eingetretenist und daß es deshalb für einen Marxisten absolut unzulässig, theoretischabsolut falsch ist, die „klassische" Fragestellung abzulehnen. Darin be-stehen unsere Meinungsverschiedenheiten.

Theoretisch lassen sie sich, wenn ich nicht irre, in zwei Hauptpunktenzusammenfassen: 1. Ihr „Verbündeter" W. Ilj in müsse von mir ver-nichtet werden, um meine Haltung zu rechtfertigen. Mit anderen Worten,diese Haltung widerspreche den Ergebnissen der marxistischen Analyseder vorrevolutionären Ökonomik Rußlands. 2. Die „klassische" Frage-stellung könne un d müsse mit dem Agraro pportun ismus der Revisionisten(David und Co.) konfrontiert werden, denn die Frage nach dem Ver-hältnis des Arbeiters zum Bauern könne wesentlich, prinzipiell und grund-legend in Rußland nicht anders als in Deutschland gestellt werden.

Diese beiden These n halte ich für grundfalsch.Ad 1. (Um mich nicht mit der „Taktik" zu befassen, lasse ich den

Martynowschen Ausfall gegen Ilj in43 außer acht und werde nur zu IhrerStellung der theoretischen Frage übergehen.)

Was hat Iljin zu beweisen gesucht und bewiesen? Daß sich die Ent-wicklung der Agrarverhältnisse in Rußland sowohl in der gutsherrlichenals audb in der bäuerlichen Wirtschaft, sowohl außerhalb als audb inner-halb der „Dorfgemeinde" auf kapitalistische Weise vollzieht. Dies zumersten. Daß diese Entwicklung gerade den kapitalistischen Weg undgerade die kapitalistische Klassengruppierung bereits unwiderruflich fest-gelegt hat. Dies zum zweiten.

Darum ging der Streit mit den Volkstümlern. Das mußte bewiesenwerden, und das wurde bewiesen. Das bleibt bewiesen. Die Frage, diejetzt gestellt wird (und durch die Bewegung 1905-1907 gestellt wordenist), ist eine andere, eine weitergehende, die die Entscheidung der vonIljin (und natürlich nicht von ihm allein) entschiedenen Frage voraussetzt,die aber nidht nur das voraussetzt, sondern etwas mehr, etwas Kompli-zierteres, etwas Neues. Außer der Frage, die in den Jahren 1883-1885,

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112 IV . 7. Lenin

in den Jahren 1895-1899 endgültig und riditig entschieden worden ist,

hat die Geschichte des 20. Jahrhunderts in Rußland uns eine weiter-gehende Frage gestellt - und es gibt nidits theoretisch Irrigeres, als vorihr zurückzuweichen und sich ihrer unter Hinweis auf das, was früherentschieden wurde, zu entledigen, sie damit abtun zu wollen. Das würdebedeuten, da ß man Fragen de r sozusagen zw eiten, d. h. höhe ren Klasseauf Fragen der niedrigeren, der ersten Klasse reduziert. Es geht nicht an,bei einer allgemeinen Entscheidung der Frage des Kapitalismus stehenzu-bleiben, wenn neue Ereignisse (und zwar Ereignisse von welthistorischerWichtigkeit wie jene der Jahre 1905-1907) eine konkretere, mehr ins

einzelne gehende Frage, die Frage des Kampfes der zwei Wege oderMethoden der kapitalistischen Agrarentwicklung, aufgeworfenhaben. Als wir gegen die Volkstümler kämpften, um zu beweisen, daßdieser Weg unvermeidlich und unwiderruflich der kapitalistische ist,wa ren wir vollständig im Recht und konnte n gar nidht umhin, unsere ganzeKraft, unsere ganze Aufmerksamkeit auf die Frage: Kapitalismus oder

„Volksproduktion" zu konzentrieren. Das war sowohl natürlich als auchunvermeidlich und berechtigt. Jetzt aber ist diese Frage durch die Theoriewie durch das Leben entsdoieden (denn die Kleinbürgerlichkeit der Trudo-wild en masse ist durch die jüngste russische Geschichte bewiesen), undauf der Tagesordnung steht eine andere, eine Frage höherer Ordnung:ob Kapitalismus vom Typ a oder Kapitalismus vom Typ ß? Und meinerfesten Überzeugung nach hatte Iljin recht, als er im Vorwort zur zweitenAuflage des Buches darauf hinwies, daß sich daraus die Möglichkeit vonzwei Arten der kapitalistischen Agrarentwicklung ergibt und daß der ge-schichtliche Kampf dieser Arten noch nicht zu Ende ist.*

Die Besonderheit des russischen Oppo rtunismus im M arxism us, d. h.des Menschewismus in unserer Zeit, besteht darin, daß er Hand in Handgeht mit einer doktrinären Vereinfachung, Verflachung, Verdrehung desBuchstabens des Marxismus, mit einem Verrat an seinem Geist (so wares mit der Richtung des „Rabotscheje Delo" wie mit dem Struvismus).Die Menschewiki haben, als sie die Volkstümlerideologie als eine falscheDo ktrin des Sozialismus bekämpften, in doktrinärer W eise den historischrealen und historisch fortschrittlichen Inhalt der Volkstümlerideologieals Theorie des einen Massencharakter tragenden kleinbürgerlichen Kamp-

* Siehe W erk e, Bd. 3, S. 17-21. Die $.ed.

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'Brief an 1.1. Skworzow-Stepanow 113

fes des demokratischen Kapitalismus gegen den liberal-gutsbesitzerlichen

Kapitalismus, des „amerikanischen" Kapitalismus gegen den „preußi-schen" Kapitalismus übersehen und verpaßt. Daher ihre ungeheuerliche,idiotische, renegate nhafte Idee (die auch die „ Qesellsdbaftlidhe Bewegung"

ganz durchdrungen hat), daß die Esaembewegung reaktionär sei, daß derKadett fortschrittlicher sei als der Trudowik, daß „die Diktatur des Prole-tariats un d de r Bauernschaft" ( = klassische Fragestellung) in Wider-

spruch stehe „zu dem gesamten Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklung"(S. 661 der menschewistischen „Gesellschaftlichen Bewegung"). „InWiderspruch stehe zu dem gesamten Verlauf der wirtschaftlichen Ent-wicklung" - trägt das nicht den Geist der Reaktion in sich?

Ich halte daran fest, daß der Kampf gegen diese ungeheuerliche Ver-drehung des Marxismus die Grandlage der „klassischen Fragestellung"und die richtige Grundlage war, wenn auch dieser Kampf leider infolgeder natürlichen Verhältnisse der Epoche taktisch sehr eifrig und theo-retisch nicht genügend eifrig geführt wurde, übrigens ist der Ausdruck„leider" hier nicht das richtige Wort und muß gestrichen werden!

Diese Agrarfrage nun ist heute in Rußland die nationale Frage derbürgerlichen Entwicklung. Um nicht in den Fehler einer (mechanischen)Übertragung des in vielem richtigen und in jeder Hinsicht äußerst

wertvollen deutschen Musterbeispiels auf uns zu verfallen, muß man sichklar vorstellen, daß die nationale Frage der vollständig gefestigten bürger-lichen Entwicklung Deutschlands die Vereinigung usw. war, aber nichtdie Agrarfrage, während die nationale Frage der endgültigen Festigungder bürgerlichen Entwicklung Rußlands gerade die Agrarfrage (ja sogar inengerem Sinne die Bauernfrage) ist.

Hier haben wir die rein theoretische Grundlage des Unterschieds inder Anwendung des Marxismus auf das Deutschland der Jahre i 8 4 8

bis 18 6 8 (ungefähr) und auf das Rußland der Jahre 1905-19??.

Wodurch kann ich beweisen, daß bei uns die -Agrarfrage nationaleBedeutung für die bürgerliche Entwicklung erlangt hat und nicht irgend-eine andere Frage? Ich weiß wirklich nicht, ob es eines solchen Beweisesbedarf. Ich glaube, das ist unbestritten. Aber gerade hier liegt die theore-tische Grundlage, und gerade darauf müssen alle Teilfragen reduziert

werden. Sollte es doch zum Streit kommen, so werde ich kurz (zunächstkurz) aufzeigen, daß gerade durch den Verlauf der Ereignisse, die Tat-

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114 1/9. J.Lenin

sachen, durch die geschieht e der Jahre 1905-1907 der Beweis

geliefert wo rden ist für die von m ir dargelegte Bedeutung der Ag rar-frage (der Frage der Bauern und natürlich der kleinbürgerlichen Bauern,nicht aber der Dorfgemeindebauem) in Rußland. Dasselbe beweist heute

sowohl das Gesetz vom 3. VI. 190 7 als auch die Zusam me nsetzung sowiedie Tätigkeit de r III. Du m a, ferner ein einzelnes Ereignis - der 20 . XI.190944 und (was besonders wichtig ist) die Agrarpolitik der Regierung.

Wenn wir uns darüber einig sind, daß die jüngste Geschichte Rußlands,die Geschichte der Jah re 190 5-1 909 , die grundlegende, erstrangige, natio -nale (in diesem Sinne) Bedeutung der Agrarfrage in der Verankerung

der bürgerlichen Evolution eines bestimmten Typs in Rußland bewiesenhat, so können wir weitergehen. Wenn nicht, dann nicht.Die bürgerliche Entwicklung Rußlands war um das Jahr 1905 bereits

vollauf ausgereift, um die sofortige Zerschlagung des überlebten Über-baus , des überlebten, mittelalterlichen Grundbesitzes zu erfordern (Siebegreifen natürlich, warum ich hier aus dem gesamten überbau nu r denGrundbesitz herausgreife). Wir leben in der Epoche dieser Zerschlagung,die die verschiedenen Klassen des bürgerlichen Rußlands auf ihre Artund Weise zu vollenden, zu Ende zu führen bestrebt sind: die Bauern

( + Arbe iter) durch die Nationalisierung (ich bin sehr erfreut, daß wiruns einig sind über den völligen Unsinn der Munizipalisierung; die Zitateaus den „Theorien über den Mehrwert" zugunsten der Nationalisierunghabe ich bereits in einer meiner Arbeiten angeführt, die zum 7eil in pol-nischer Sprache erschienen ist)*, die Gutsbe sitzer ( + die alte Bourgeoisie,die girondistische Bourgeoisie) durch den 9. XI. 1906 usw. Die Natio-nalisierung des Bodens = die Vern ichtung des alten G rund eigen tum sauf bäuerliche Art, ist die wirtschaftliche Grundlage des amerikanischenW ege s. Das Gesetz vom 9. XL 1906 = die Vernichtung des alten G rund -

eigentums auf Gutsbesitzerart, ist die wirtschaftliche Grundlage des preu-ßischen Weges. Unsere Epoche der Jahre 1905 bis ?? ist die Epoche desrevolutionären und konterrevolutionären Kampfes dieser W e g e , ähn-

lidh w ie d ie J a hr e 1 8 4 8 - 1 8 7 1 in D e utsc hla nd d ie E poch e d es r ev o -lutionären und konterrevolutionären Kampfes der zwei Wege zur Ver-einigung ( = Lösung des nationalen Problems der bürgerlichen Entwick-lung Deutschlands), des Weges über die großdeutsche Republik und des

* Siehe W erke, Bd. 15, S. 151-175. Die Red.

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Brief an 7. 7. Skworzow-Stepanow 115

Weges über die preußische Monarchie, waren. Erst i s 7 i hatte der

zweite Weg endgültig (hierauf bezieht sich mein „vollauf") gesiegt.Und damals gab Liebknecht den Boykott des Parlaments auf. Und damalswurde der Streit zwischen Lassalleanern und Eisenachern zu Qrabe ge-

tragen. Und damals wurde die Frage der aüg&msmdetnokratisdben Re-volution in Deutschland zu Qrabe getragen — die Naumann, David undCo. aber haben in den neunziger Jahren (zwanzig Jahre später!) einenLeichnam zum Leben erwecken wollen.

Bei uns ist der Kampf noch im Gange. Noch hat keiner der beidenWege der Agrarentwiddung gesiegt. Bei uns wird bei jeder Krise unserer

Epoche (1905-1909-??) die „aJIgemei «demokrat ische" Bewegung desBauern hervortreten, unbedingt hervortreten, und das zu ignorieren wäreein grundlegender Fehler, der in Wirklichkeit zum Menschewismus führt,wenn auch in der Jheorie der Streit auf einer anderen Ebene geführtwürde. Nicht ich „reduziere" den Streit auf den „Menschewismus", son-dern die geschickte unserer Epoche reduziert die Ignorierung der natio-nalen Aufgabe der bürgerlichen Entwicklung Rußlands durch das Prole-tariat auf den Menschewismus, denn gerade darin liegt das Wesen desMenschewismus.

Nebenbei.* Haben Sie in 1scherewanins „Gegenwärtiger Lage"

über den Opportunismus der „klassischen Fragestellung" durch die Bol-schewiki gelesen? Lesen Sie das!

Ad 2. Im Grunde genommen habe ich fast alles zu ad 2 schon gesagt.In Deutschland den Wunsch des „Bauern", sidb (d. h. dem Bauern) denG run d u nd Boden des Gu tsbesitze rs, des Jun ker s, zu verschaffen, durch denArbeiter zu unterstützen, wäre reaktionär. Ist dem nicht so? Nicht wahr?In Rußland ist in den Jahren 19 05 -19 09 -?? die Ablehnung dieser Unter-stützung reaktionär. Hie Rhodus, hie salta.** Hier kommt es entwederzum Verzicht auf das gesamte Agrarprogramm und zum Übergang. . .

nahezu bis zum Kadettentum oder zur Anerken nung des prinzipiellenUnterschieds in der Fragestellung in Deutschland und in Rußland, prinzi-piell nicht in dem Sinne, als wäre bei uns keine kapitalistische Epoche,sondern in dem Sinne, daß wir gänzlich andere, prinzipiell andere Epo-

chen des Kapitalismus haben: die Epoche vo r der endgültigen Veranke-

* „Nebenbei" bei Lenin deutsch. Der übers.** Hier ist Rhodus, hier springe. Die Red.

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116 W. 3. Lenin

rung des nationalen W eges des Kapitalismus un d die Epoche nach dieser

Verankerung.Ich schließe vorerst und werde mich bemühen, Ihnen Ausschnitte über

das Thema unserer Unterhaltungen zu senden. Schreiben Sie, wenn Sieeine freie Minute haben. Ich drücke Ihnen fest die Hand.

Ihr Alter

Zuerst veröffentlicht i924 in der TJadh dem Manuskript.Zeitschrift „ProletarskajaRewoluzija" SV. 5 (28).

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117

Ü B E R D I E „ W E C H I " 4 5

Der bekannte Sammelband „Wechi", der von einflußreichen Publizi-sten aus dem Lager der Kadetten verfaßt wurde und in kurzer Zeit meh-rere Auflagen erlebte, wurde von der gesamten reaktionären Presse mitBegeisterung aufgenommen, er ist ein echtes Zeichen der Zeit. Wie sehrauch die Kadettenzeitungen einzelne gar zu unangenehm auffallende Stel-len der „Wechi" „korrigieren", wie sehr sich einzelne Kadetten, die ganzohne Einfluß auf die Politik der gesamten Kadettenpartei sind oder sichdas Ziel setzen, die Massen über die wahre Bedeutung dieser Politik zutäuschen, auch von den „Wechi" lossagen mögen - es bleibt eine unbe-streitbare Tatsache, daß die „Wedhi" das wahre "Wesen des heutigen Xa-dettentums zum Ausdruck gebracht haben. Die Kadettenpartei ist diePartei der „Wechi".

Die Arbeiterdemokratie, die die Entwicklung des politischen Bewußt-

seins und des Klassenbewußtseins der Massen über alles stellt, kann die„Wechi" nur begrüßen, denn hier enthüllen die geistigen Führer der Ka-detten ausgezeichnet das Wesen ihrer politischen Richtung. Die „Wechi"wurden von den Herren Berdjajew, Bulgakow, Gerschenson, Kistjakow-ski, Struve, Frank und Isgojew verfaßt. Schon allein diese Namen bekann-ter Abgeordneter, bekannter Renegaten, bekannter Kadetten sprechendeutlich genug für sich. Die Autoren der „Wechi" treten als die wirklichengeistigen Führer einer ganzen gesellschaftlichen Richtung auf und gebenin gedrängter Form eine ganze Enzyklopädie zu Fragen der Philosophie,

der Religion, der Politik, der Publizistik, zur Einschätzung der gesamtenBefreiungsbewegung und der gesamten Geschichte der russischen Demo-kratie. Die Autoren haben die „Wechi" eine „Sammlung von Artikelnüber die russische Intelligenz" genannt, mit diesem Untertitel aber dastatsächliche Thema ihrer Ausführungen eingeengt, denn die „Intelligenz"tritt bei ihnen faktisch als geistiger Führer, als Inspirator und Wortführerder gesamten russischen Demokratie und der gesamten russischen Befrei-

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118 'W.J.Lenin

tmgsbewegung auf. Die „Wedii" sind die bedeutendsten Marksteine auf

dem Wege zum vollständigen Brucfe des russischen Kadettentums und desrussischen Liberalismus über ha upt m it der russischen Befreiungsbewegung,mit al l ihren Hauptaufgaben, mit al l ihren wesentl ichen Tradit ionen.

I

D ie Enzyklopädie des liberalen Renegatentums umfaßt drei Haupt-themen: 1. Kampf gegen die ideologischen Grundlagen der gesamtenWeltanschauung der russischen (und internationalen) Demokratie; 2. Los-

sage von der Befreiungsbewegung der unlängst verflossenen Jahre undBewerfen der Befreiungsbewegung mit Schmutz; 3. offene Proklamierungder eigenen „livrierten" Gefühle (und der entsprechenden „livrierten"Politik) gegenüber der oktobristischen Bourgeoisie, gegenüber der alten•Staatsmacht, gegenüber dem ganzen alten Rußland überhaupt.

Die Auto ren der „W echi" beginnen bei den philosophischen Grund lagender „intelligenzlerischen" Weltanschauung. Wie ein roter Faden zieht sichdurch das ganze Buch der entschiedene Kampf gegen den Materialismus,der nicht anders denn als Dogmatismus, Metaphysik, als „elementarsteun d primitivste Form des Ph ilosophiere ns" bez eichnet wird ( S. 4 - dieHinweise beziehen sich auf die 1. Auflage der „Wechi"). Der Positivismuswird dafür verurteil t, daß er „für un s" (d. h. für die von den „W echi"vernichtete russische „Intelligenz") „mit der materialistischen Metaphysikidentisch" gewesen oder „ausschließlich im Geiste des Materialismus"(15) ausgelegt word en w ar, wohingegen - „kein M ystiker, kein G läubigefden wissenschaftlichen Positivismus und die Wissenschaft leugnen kann"(11) . Ohne Spaß! „Feindseligkeit gegenüber idealistischen und religiös-mystischen Tendenzen" (6) - deswegen fallen die „Wechi" über die „In-telligenz" her. „Jurkewitsch war auf jeden Fall ein wirklicher Philosoph

im Vergleich mit Tschernyschewski." (4.)Es ist ganz natürlich, daß die „Wechi" bei diesem Standpunkt unab-

lässig gegen den Atheismus der „Intell igenz" wettern und mit größterEntschlossenheit bestrebt sind, die religiöse Weltanschauung in ihrem gan-zen Umfang wiederherzustellen. Es ist ganz natürlich, daß die „Wechi",nachdem sie Tschernyschewski als Philosophen vernichtet haben, Belinskials Publizisten vernichten. Belinski, Dobroljubow, Tschernyschewski seien

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Wber die „Wedhi" 119

Führer der „Intellektuellen" (134, 5 6, 32, 17 u. a.). Tschaadajew, W ladi-

mir Solowjow, Dostojewski seien „ganz und gar keine Intellektuellen".Jene sind die Führer der Richtung, gegen die die „Wechi" einen Kampfauf Leben und Tod führen. Diese haben eben das „unermüdlich gepre-digt", was auch die „Wechi" predigen, nur „hat man auf sie nicht gehört,die Intelligenz ist über sie hinweggegangen", heißt es im Vorwort zu den„Wechi" .

Der Leser kann schon hieraus ersehen, daß die „Wechi" nicht die „In-telligenz" angreifen, das ist nur eine künstliche, die Sache verwirrendeAusdrucksweise. Der Angriff richtet sich auf der ganzen Linie gegen dieDemokratie, gegen die demokratische Weltanschauung. Aber da es dengeistigen Führern einer Partei, die sich als „konstitutionell-demokratische"Partei anpreist , unangenehm ist , die Dinge bei ihrem richtigen Namen zunennen, so haben sie die Terminologie den „Moskowskije Wedomosti"i6

entliehen, sie sagen sich nicht von der D em ok ratie los - (welch gemeineVerleumdung!) -, sondern nur vom „Intelligenzlertum".

Belinskis Brief an Gogol, verkünden die „Wechi", sei „ein flammenderund klassischer Ausdruck intelligenzlerischer Stimmung" (56). „Die Ge-schichte un serer Publizistik nach Belinski ist, was das Verständn is für unse rLeben anbetrifft, einfach grauenhaft." (82.)

Soso. Die Stimmung der leibeigenen Bauern gegen die Leibeigenschaftist offenbar eine „intelligenzlerische" Stimmung. Die Geschichte des Pro-testes und des Kampfes breitester Bevölkerungsschichten in der Zeit von1861 bis 1905 gegen die Überreste der Leibeigenschaft in der ganzenStruktur des russischen Lebens ist offenbar „einfach grauenhaft". Oderhatte vielleicht Belinskis Stimmung in dem Brief an Gogol nach Meinungunserer gescheiten und gebildeten Autoren nichts mit der Stimmung derleibeigenen Bauern zu tun? Hatte die Geschichte unserer Publizistik nichtsmit der Empörung der Volksmassen gegen die Überreste des Leibeigen-

schaftsjochs zu tun?D ie „Moskowskije Wedomosti" haben immer zu beweisen versucht,

daß die russische Demokratie, sei es auch nur seit Belinski, keineswegs dieInteressen der breitesten Massen der Bevölkerung im Kampf für die ele-mentarsten Rechte des Volkes zum Ausdruck bringe, die von den leib-eigenschaftlichen Institutionen mit Füßen getreten werden, sondern daßsie nur eine „intelligenzlerische Stimmung" widerspiegele.

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120 W. 1 Lenin

Das Programm der „Wechi" und der „Moskowskije Wedomosti" ist

ein und dasselbe sowohl in der Philosophie wie auch in der Publizistik.Aber in der Philosophie haben die liberalen Renegaten es gewagt, dieganze W ahrheit zu sagen, ihr ganzes Programm aufzudecken (Krieg demMaterialismus und dem im Geiste des Materialismus ausgelegten Positivis-mus; Wiederbelebung der M ystik und einer mystischen W eltanschauung),in der Publizistik hingegen weichen sie aus, drehen und wenden sich, heu-cheln wie Jesuiten. Sie haben mit den wesentlichsten Ideen der Demokra-tie, mit den elementarsten demokratischen Tendenzen gebrochen, versuchenaber den Anschein zu erwecken, als brächen sie nur mit dem „Intelligenz-

lertum". Die liberale Bourgeoisie hat eine entschiedene Wendung voll-zogen von der Verteidigung der Rechte des Volkes zur Verteidigung dergegen das Volk gerichteten Institutionen. Aber die liberalen Politikastermöchten die Bezeichnung „Demokraten" beibehalten.

Den gleichen Gaunertrick, dessen man sich mit Belinskis Brief an Gogolund bei der Geschichte der russischen Publizistik bedient hat, wendet mannun bei der Geschichte der jüngsten Bewegung an.

II

In Wirklichkeit wird in den „Wechi" der Kampf nur gegen diejenigeIntelligenz geführt, die Wortführer der demokratischen Bewegung war, undnu r so weit, wie sie sich als echter Teilnehmer dieser Bewegung gezeigt hat.Die „Wechi" fallen gerade deshalb voller Wut über die Intelligenz her,weil diese „kleine illegale Sekte ans Tageslicht trat, zahlreiche Anhängergewann und zeitweilig ideologisch einflußreich, ja zu einer realen Machtwurde" (176). Die Liberalen sympathisierten mit der „Intelligenz" undhaben sie insgeheim bisweilen unterstützt, solange sie nur eine kleineillegale Sekte war, solange sie noch nicht zahlreiche Anhänger gewonnenhatte, solange sie noch nicht zu einer realen Macht geworden war; dasheißt: Der Liberale sympathisierte mit der Demokratie, solange die De-mokratie nicht wirkliche Massen in Bewegung brachte, denn ohne Einbe-ziehung der M assen diente sie nur den eigennützigen Zielen des Liberalis-mus, half sie nur den Spitzen der liberalen Bourgeoisie, der Macht näherzu kommen. Der Liberale wandte sich von der Demokratie ab, als sie dieMassen erfaßte und diese anfingen, ihre eigenen Aufgaben zu verwirk-

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Tiber die .Wedhi" 121

liehen, ihre eigenen Interessen zu vertreten. Mit dem Gezeter gegen diedemokratische „Intelligenz" wird in Wirklidbkeit der Krieg de r "Kade tten

gegen die demokratische Bewegung der Tviassen verschleiert. Eine derzahllosen Behauptungen in den „Wechi", die das anschaulich entlarven,ist die, daß sie die groß e soziale Bewegung, die Ende des 18. Jahrhun dertsin Frankreich vor sich ging, zum „Musterbeispiel einer genügend langewäh renden Intellektuellenrevolution" erklären, „bei der alle ihre geistigenPotenzen s ichtbar wurden" (57).

Gu t, nicht wa hr ? D ie französische Bewegung Ende des 1 8. Jah rhu n-derts ist, man höre nur, kein Musterbeispiel für die tiefste und breitestedemokratische Bewegung der Massen, sondern Musterbeispiel einer „In-tellektuellen"revolution! Da nirgends und niemals in der Welt demokra-tische Aufgaben ohne eine Bewegung desselben Typs verwirklicht wur-den, so ist völlig offenkundig, daß die geistigen Führer des Liberalismuseben mit der Demokratie brechen.

An der russischen Intelligenz tadeln die „Wechi" gerade das, was uner-

läßlidbe Begleiterscheinung und Ausdruck jeder demokratischen Bewegungist. „Das Aufpfropfen des politischen Radikalismus der intelligenzlerischenIdeen auf den sozialen Radikalismus der Volksinstinkte* vollzog sich mitverblüffender Geschwindigkeit" (141) - und das war „nicht einfach einpolitischer Fehler, nicht einfach eine taktische Sünde. Hier lag ein mora-lischer Fehler vor." Dort, wo es keine aufs äußerste gepeinigten Volks-massen gibt, kann es auch keine demokratische Bewegung geben. Aber diedemokratische Bewegung unterscheidet sich von der einfachen „Rebellion"gerade dadurch, da ß sie un ter dem Banner bestimm ter radikaler politischerIdeen marschiert. Die demokratische Bewegung und die demokratischenIdeen seien nicht nur politisch falsch, nicht nur taktisch fehl am Platze,sondern auch moralisch sündhaft - darauf läuft der wirkliche Gedankeder „W echi" hinaus, der sich absolut in nichts von den wirklichen Ged an-

ken Pobedonoszews unterscheidet. Pobedonoszew hat nur ehrlicher undoffener das ausgesprochen, was die Struve, Isgojew, Frank und Co. sagen.

Sobald die „Wechi" mit einer genaueren Darlegung der verhaßten „in-telligenzlerischen" Ideen beginnen, sprechen sie natürlich von „linken"Ideen überhaupt, von den Ideen der Volkstümler und der Marxisten ins-

* Der „anfs äußerste gepeinigten Volksmassen" - heißt es auf der gleichenSeite, zwei Zeilen weiter unten.

9 Lenin, W erk e, Bd. 16

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122 rW. 3 . Centn

besondere. Die Volkstümler werden „falscher Liebe zur Bauernschaft",die Marxisten einer solchen „zum Proletariat" bezichtigt (9). Die einenwie die anderen werden mit Haut und Haaren fertiggemacht wegen„Volksanbetung" (59, 59/60). Bei dem verhaßten „Intellektuellen" heißees: „G ott ist das Volk, das einzige Ziel ist das Glück der Meh rhe it." (159.)„Die stürmischen Reden des atheistischen Linksblocks" (29) - das ist demKadetten Bulgakow von de r II. Du ma am stärksten in der Erinne runghaftengeblieben, das hat ihn besonders aufgeregt. Und es kann nicht denleisesten Zweifel geben, daß Bulgakow hier nur etwas plastischer alsandere der allgemeinen Geistesverfassung der Kadetten Ausdruckverlieh, daß er die geheimen Gedanken der ganzen Kadettenpartei aus-drückte.

Daß sich für den Liberalen der Unterschied zwischen Volkstümlerideo-logie und Marxismus verwischt, das ist kein Zufall, sondern unvermeid-lich, es ist kein „Trick" eines Literaten (der diese Unterschiede ausge-zeichnet kennt), sondern gesetzmäßiger Ausdruck des heutigen Wesensdes Liberalismus. Denn gegenwärtig fürchtet und haßt die liberaleBourgeoisie in Rußland nicht so sehr die sozialistische Bewegung der Ar-beiterklasse in Rußland als vielmehr die demokratische Bewegung der Ar-beiter und der Bauern, d. h., sie fürchtet und haßt das, was Volkstümlernund Marxisten gemeinsam ist, die Verteidigung der Demokratie durchAppell an die Massen. Für die gegenwärtige Epoche ist es charakteristisch,daß der Liberalismus in Rußland sich entschieden gegen die Demokratiegekehrt hat; es ist ganz natürlich, daß ihn weder die Unterschiede inner-halb der Dem okratie noch die ferneren Ziele, Aussichten und Perspektiveninteressieren, die sich auf dem Boden einer verwirklichten Demokratie er-öffnen.

Von solchen Worten wie „Volksanbetung" wimmelt es nur so in den„Wechi". Das ist nicht verwunderlich, denn der liberalen Bourgeoisie, die

vor dem Volk Angst bekommen hat, bleibt nichts weiter übrig, als überdie „Volksanbetung" der Demokraten zu zetern. Ein Rückzug muß unbe-dingt durch besonders lauten Trommelschlag gedeckt werden. Es geht jawirklich nicht an, geradeheraus zu leugnen, daß die beiden ersten Dumaseben durch die Arbeiter- und Bauernabgeordneten die wirklichen Interes J,sen, Forderungen und Ansichten der Arbeiter- und Bauernmassen ver-treten haben. Und indessen haben gerade diese „intelligenzlerischen"

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Tiber die „W edln" 123

Abgeordneten* die Kadetten mit abgrundtiefem Haß gegen die „Linken"

erfüllt, weil diese das ewige Abweichen der Kadetten vom Demokratismusentlarvten . Es geht ja auch wirklich nicht an, zu m Beispiel das „Vierpu nkte-wahlsystem"47 geradeheraus abzulehnen. U nd dabei ha t kein einziger halb-wegs ehrlicher Politiker daran gezweifelt, daß Wahlen nach dem „Vier-punktew ahlsystem ", d. h. wirklich demokratische Wa hlen , im heutigenRußland den Abgeordneten der Trudowiki zusammen mit den Abgeord-neten der Arbeiterpartei eine überwältigende Mehrheit bringen würden.

Es bleibt der liberalen Bourgeoisie, die sich nach rückw ärts gew andt h at,nichts weiter übrig, als ihren Bruch mit der Demokratie durch Vokabelnaus dem Wortschatz der „Tdoskowskije Wedomosti" und des „Nowoje

Jl'remja"48 zu bemänteln; von solchen Worten wimmelt der Sammelband„Wechi" buchstäblich von Anfang bis Ende.

Die „Wechi" sind eine einzige Flut reaktionären Spülichts, das über dieDemokratie ausgegossen wird. Verständlich, daß die Publizisten des „No-woje Wremja", Rosano w, Menschikow u nd A. Stolypin, nichts Eiligereszu tun hatten, als die „Wechi" in ihre Arme zu schließen. Verständlich,daß der Metropolit Antonius von Wolhynien über dieses Werk der Führerdes Liberalismus in Entzücken geriet.

„Wenn der Intelligenzler", schreiben die „Wechi", „über seine Pflicht

vor dem Volke nachgedacht hat, ist er niemals daraufgekommen, daß dieIdee der persönlichen Ve rantw ortun g, die sich im Prinzi p der Pflicht wider-spiegelt, nicht nur an seine, des Intelligenzlers Adresse gerichtet sein muß,sondern auch an das Volk." (139.) Der Demokrat hat sich Gedanken ge-macht über die Erweiterung der Rechte und der Freiheit des Volkes undhat diese Gedanken in die Worte von der „Pflicht" der oberen Klassengegenüber dem Volk gekleidet. Der Demokrat konnte niemals darauf-

kommen und wird niemals daraufkommen, daß in einem Land ohne Re-formen oder in einem Land mit der „Verfassung" des 3. Juni von „Verant-

wortung" des Volkes gegenüber den herrschenden Klassen die Rede sein

* Die Verdrehung des üblichen Sinns des Wortes „Intellektueller" durchdie „Wechi" ist einfach ergötzlich. Man braucht nur die Abgeordnetenlistender beiden ersten Dumas durchzublättern, um sofort eine überwältigendeMehrheit von Bauern bei den Trudowiki, ein Vorherrschen von Arbeitern beiden Sozialdemokraten und die Konzentration der Masse bürgerlicher Intel-lektueller bei den Kadetten festzustellen.

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124 . 1P. I.Lenin

kann. Um „daraufzukommen", muß der Demokrat oder der angebliche

Demokrat sich endgültig in einen konterrevolutionären Liberalen ver-wandeln.

„Der Egoismus, die Selbstbehauptung ist eine große Kraft", lesen wir inden „Wechi", „gerade sie macht die westliche Bourgeoisie zu einem mäch-tigen unbewußten Werkzeug der Sache Gottes auf Erden." (95.) Das istnichts anderes als eine mit heiligem ö l zubereitete Version des b erühm ten„Enrichissez-vous! Bereichert Euch!"49 oder unseres russischen: „Wir set-zen auf die Starken." Als die Bourgeoisie dem Volk im Kampf um die Frei-heit half, erklärte sie diesen Kampf zur Sache Gottes. Als sie Angst vor

dem Volk bekam und anfing, alles Mittelalterliche gegen das Volk zuunterstützen, erklärte sie „Egoismus", Bereicherung, chauvinistischeAußenpolitik usw. zur Sache Gottes. Das geschah überall in Europa. Daswiederholt sich auch in Rußland.

„Mit dem A kt vom 17. Ok tober h ätte die Revolution dem W esen undder Form nach ihren Abschluß finden müssen." (136.) Das ist das A und Odes Oktobrism us, d. h. des Programm s der konterrevolutionären Bourgeoi-sie. Die Ok tobristen habe n das stets gesagt un d offen demen tsprechend ge-handelt. Die Kadetten haben insgeheim ebenso gehandelt (angefangen mit

dem 17. O kto be r), aber sie wollten sich dabei gern als Dem okraten hin-stellen. Um der Sache der Demokratie zum Erfolg zu verhelfen, ist einevollständige, klare und offene Abgrenzung zwischen Demokraten undRenegaten die nützlichste, die unerläßlichste Sache. Die „Wechi" müssenfür diese notwendige Sache ausgenutzt werden. „Man muß endlich denMut aufbringen zuzugeben", schreibt der Renegat Isgojew, „daß in unse-ren Reichsdumas die gewaltige Mehrheit der Abgeordneten, mit Aus-nahme von drei, vier Dutzend Kadetten und Oktobristen, nicht die Bil-dung besaß, mit der man an die Verwaltung und U mgestaltung Rußlands

hätte hera ngeh en kön nen ." (208.) N un natürlich, wie sollten sich auch dieBauernabgeordneten der Trudowiki oder irgendwelche Arbeiter an einesolche Sache wagen! Dazu braucht man eine Mehrheit von Kadetten undOktobris ten, und für eine solche Me hrheit braucht man die III . Du m a . . .

Damit aber das Volk und die Volksanbeter ihre „Verantwortung" vorden M achthabern in der III . Du m a und im Rußland der III . Du m a b e-greifen, dazu muß man dem Volk - zusammen mit Antonius von Wol-hynien - „Buße" predigen („Wechi", 26), „Demut" (49), Kampf gegen

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D A S L E T Z T E W O R T

D E S R U S S I S C H E N L I B E R A L I S M U S

Die Sozialdemokratie Rußlands hat in der Londoner Resolution überdie nichtproletarischen Parteien50 eine grundlegende Bilanz der Lehren ausder Revolution gezogen. Das sozialdemokratische Proletariat hat darineine genaue und präzise Einschätzung der Beziehung der Klassen zuein-ander in der Revolution gegeben, die soziale Basis aller Hauptparteienfestgestellt und die allgemeinen Aufgaben der Arbeiterbewegung imKampf um die Demokratie bestimmt. Die Resolution der Parteikonferenz

vom Dezember 1908 hat diese grandlegenden Ansichten der Sozialdemo-kratie weiterentwickelt.Jetzt, ein Jahr nach dieser Konferenz, 2V2 Jahre nach dem Londoner

Parteitag, ist es äußerst lehrreich zu betrachten, zu welchen Ansichtenüber die gegenwärtige Lage und die Aufgaben der Demokratie die füh-renden Vertreter des russischen Liberalismus gelangen. Die kürzlich durch-geführte „Konferenz" der Funktionäre der Kadettenpartei ist in dieserHinsicht von besonderem Interesse. Die „Konferenz" stimmte dem Refe-rat des Parteiführers, Herrn Miljukow, zu, der es jetzt in der „Retsdb"

unter der Überschrift „Die politischen Parteien im Lande und in derDuma" veröffentlicht hat. Dieses Referat ist ein äußerst wichtiges poli-tisches Dokument. Wir haben darin nunmehr die offizielle Plattform derKadettenpartei. Außerdem aber finden wir hier die Antwort auf Fragen,die schon längst von der sozialdemokratischen Partei aufgeworfen undgelöst wurden, eine Antwort, die von einem der gewandtesten Diplomatenund Politikaster des Liberalismus, zugleich aber auch von einem sehr be-schlagenen Historiker erteilt wird, der vom historischen Materialismus

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Das letzte Wort des russischen Liberalismus 127

einiges gelernt hat, unter dessen offensichtlichem Einfluß er gestanden

hatte . . . a ls er noch Histor iker war .Der Historiker Miljukow bemüht sich, die Frage völlig wissenschaft-

lich, d. h. materialistisch, zu stellen. Um „feste Stützpunkte" für die Par-teitaktik zu bekommen, sei eine „einheitliche Auffassung von dem, wasim Lande vor sich geht", notwendig. Um dies jedoch zu verstehen, müssedas Augenmerk darauf gerichtet werden, wie die hauptsächlichen politi-schen Parteien oder „politischen Strömungen" bestrebt sind, in den „brei-ten Bevölkerungskreisen" „für sich eine Stütze zu finden".

Die Methode ist vortrefflich. Ihre Anwendung zeigt uns sofort die Ver-

wandlung des beschlagenen Historikers in einen gewöhnlichen liberalenSyk opha nten: die Kadetten un d alles, was rechts von ihnen steht, das sind,sehen Sie, die „drei politischen Hauptströmungen", und alles, was „links"von den Kadetten steht, das ist „politischer Krampf". Besten Dank für dieOffenheit, Herr Liberaler! Betrachten wir aber trotzdem, was Sie uns alsHistoriker zu sagen haben. Die drei Hauptströmungen: Die erste ist der„demagogische Monarchismus". Sein „Sinn" besteht in der „Verteidigungder alten sozialen Grundlagen der Lebensweise", in der „Verbindung deruneingeschränkten S elb sth er rsc ha ft. . ." (der Liberale, der konstitutio-

nelle Demokrat, geht, ohne daß er es selbst bemerkt, auf den Standpunkteines Oktobristen über, der eine eingeschränkte Selbstherrschaft verficht)„mit der Bauernschaft auf der Grundlage jener patriarchalischen Verhält-nisse, un ter d enen der A del der natürliche Verm ittler zwischen dieser un djener is t. . . " Au s der liberalen in die russische Sprache übertragen bedeutetdies Herrschaft der fronherrlichen („Patriarchalität") Gutsbesitzer unddes Zarismus der Schwarzhunderter. Herr Miljukow bemerkt richtig, daßdieser Zarismus „demagogisch" wird, daß er „von der alten scheinbarenUnparteilichkeit oder überparteilichkeit abgeht und sich aktiv in denProzeß der Organisierung von Parteien im Lande einschaltet". Eben darinbesteht unter anderem der Schritt auf dem Wege der Umwandlung derSelbstherrschaft in eine bürgerliche Monarchie, von dem in der Resolutionder Dezemberkonferenz der Sozialdemokraten vom Jahre 1908 die Redeist. Eben darin besteht das Neue, das die spezifische Besonderheit dergegenwärtigen Periode ausmacht und das unsere Partei in ihrer gegen-wärtigen taktischen Aufgabenstellung berücksichtigt hat. Obwohl HerrMiljukow einige Züge des Prozesses richtig aufzeigt, führt er erstens hin-

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sichtlich der ökonomischen Wurzeln dieses Prozesses seine Gedanken

nicht zu Ende, und zweitens sdheut er sidb, die unumgängliche Schluß-folgerung übe r die Ursachen d er Stärke der fronherrlichen Gu tsbesitzerzu ziehen. Diese Stärke besteht darin, daß im Europäischen Rußland, nachder amtlichen Statistik von 1905, 10 Millionen arme Bauern 75 Mill. Des-jatinen Land besitzen, während 30000 Großgrundbesitzer (darunter dieSippe von Nikolaus Rom anow mit ihren Apanageländereien) 70 M ill. De s-jatinen Land besitzen. Kann Rußland ohne vollständige Beseitigung dieserfronherrlichen Latifundien der oberen Dreißigtausend von den „patri-archalischen" Verhältnissen erlöst werden, wie denken Sie, Herr Histo-

r iker?Die zweite Strömung ist der „bürgerliche Konstitutionalismus". So

nenn t He rr M iljukow die Okto bristen. „Für die Groß bourgeoisie", schreibter, „ist diese Strömung wegen ihrer engen Verbindung mit der Bürokratieund dem Adel möglicherweise zu konservativ." Sie werden vereinigt durcheine „negative Aufgabe: gemeinsame Verteidigung gegen radikalere so-ziale oder politische Strömungen". „Die bürgerlichen Konstätutionalistendes 3 . Jun i und 9 . N ove m ber ", die sich eine Stü tze suchen, sind bem üht,„wenigstens die Oberschicht der Bauernmassen" (die „starken und

kräftigen" des Herrn Stolypin) „zu assimilieren". „Aber eine derartigesoziale Basis liegt vorläufig noch ganz in der Zu kun ft." „D arum istdiese Ström ung auf de r Suche nach einer sozialen Basis möglicherweise amschwächsten fundier t . . . . "! !

Bei uns liebt man es - leider trifft das sogar auf Leute zu, die Sozial-demokraten sein möchten -, abfällig von „revolutionären Illusionen" zusprechen. Kann aber irgend etwas naiver sein als die liberale Illusion, diesoziale Basis der konterrevolutionären Bourgeoisie („gemeinsame Vertei-digung") und der Gutsbesitzer sei „schwach", man könne sie auf anderem

Wege zerschlagen als durch den entschiedensten und unerbittlichen revo-lutionären Druck der Massen, als durch den Aufstand der Massen? Derernsthafte Historiker m acht wiederum dem gewöhnlichen Liberalen Platz.

Die dritte Strömung sind die Kadetten. Herr Miljukow nennt dieseStrömung „demokratischen Konstitutionalismus" und erläutert, daß „dasWesen dieser Position in der Verbindung des radikalen politischen unddes radikalen sozialen Programms besteht". Der Historiker hat restlosdem Diplomaten, dem Politikaster das Feld geräumt. In Wirklichkeit rieh-

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T>as letzte Wort des russisdhen Liberalismus 129

tet sich die gesamte Politik der Kadetten gegen den Radikalismus der

Massen. In Worten - besonders auf der „Konferenz", wo Kadetten ausder Provinz anwesend sind, die die Stimmung der Massen etwas aus derNähe spüren - sind wir radikal, sorgen wir uns um den Demokratismusund um die Massen.

Herr Miljukow gibt sich (wahrscheinlich insbesondere unter dem Ein-druck der „Konferenz") in bezug auf die Massen keinem Irrtum hin. Ererkennt als unbestreitbar an, daß „das politische Bewußtsein in den letztenJahren gewaltig gewachsen ist", daß die „Ursachen für die Unzufrieden-heit der Massen nicht verschwunden sind, daß sie vielleicht sogar an Zahlzugenommen haben und ihr Wirken sich in dem Maße verstärkt hat, indem das politische Bewußtsein gewachsen ist". Wenn aber der Historikerdies zwangsläufig eingestehen muß, so gewinnt trotzdem der Liberale dieOberhand: „Unglücklicherweise stellte sich" (in der Revolution) „heraus,daß unter den Massen nur eine kühnere, illegale Demagogie anwendbarwar, die den traditionellen Ansichten und den gewohnheitsmäßigen Er-wartungen der Masse entgegenkam. Diese Demagogie verband ganz will-kürlich die verständliche und berechtigte Losung der Masse ,La nd' mit derunverständlichen und falsch ausgelegten Losung ,Freiheit'. Unter diesenBedingungen war selbst das Erfassen des natürlichen Zusam men hangs zwi-schen den beiden Losungen im Bewußtsein des Volkes lediglich Quelleneue r M ißverständnisse un d erzeugte dieselben Illusionen" usw. usf., biszu dem „Prinzip": Weder Revolution noch Reaktion, sondern „legalerkonstitutioneller Kampf". Die Frage der Rückkehr zur „alten Taktik desJahres 1905" „ist unbedingt kategorisch und entschieden verneinend zubeantwor ten" .

Der Leser sieht, daß alle guten Absichten des Historikers Miljukow, inbreiten Bevölkerungskreisen Stützen für die Taktik der Parteien zu su-chen, in ein Nichts zerfließen, sowie die Sprache auf die Bauernschaft undauf das Proletariat kommt. Das letztere hat Miljukow aufgegeben, und erstellt fest, daß die „Kadetten in der städtischen Demokratie eine breitere,organisiertere und bewußtere soziale Basis haben, als sie irgendeine anderepolitische Partei aufweisen kann, mit Ausnahme der sidh auf die Arbeiter-

klasse stützenden Sozialdem okratie". Hinsichtlich der Bauern jedoch gibtHerr Miljukow die Hoffnung nicht auf. „Trotz des Vorhandenseins sol-cher Hin der nisse " wie de r „D em agog ie" u. a., schreibt er, „besteht die,

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Möglichkeit, daß die Tätigkeit des demokratischen Konstitutionalismus

parallel läuft" (hervorgehoben von Miljukow) „mit den unmittelbarenÄußerungen der Wünsche der Volksmassen."Parallele Tätigkeit! - das ist das neue Wörtchen für die alte liberale

Taktik. Parallele Linien treffen sich niemals. Der Liberalismus der bür-gerlichen Intelligenz hat begriffen, daß er sich niemals mit den Massentreffen, d. h. nicht deren Interessenvertreter und Führer in Rußland wer-den wird - „niemals", auf G rund des nach 1905 gewachsenen politischenBewußtseins. Aber die Liberalen vom Schlage der Kadetten zählen wei-terhin auf die Massen als Piedestal ihrer Erfolge, ihrer Herrschaft. „Parallel

laufen", das bedeutet einfach und klar ausgedrückt, die Massen politischauszubeuten, indem man sie mit Worten über Demokratismus fängt, inder Tat aber verrät. „Sie (die Oktobristen) in den konstitutionellenFragen systematisch unterstützen" - diese Worte aus dem Referat desHerrn Miljukow bringen das Wesen der Politik der Kadetten zum Aus-druck. In der Tat sind die Kadetten die Helfershelfer des Oktobrismus,ein Flügel des bürgerlichen Konstitutionalismus. Struve und andere„Wechi"-Leute geben dies offen, ungeschminkt, unverhohlen zu und for-dern, daß die Kadetten aufhören, „nach links zu schielen und um die

Gunst der sie verachtenden Revolutionäre zu buhlen" (ein Ausspruch desbekannten Renegaten Herrn Isgojew im „Moskowski Jeshenedelnik"51,1909, Heft 46, S. 10). Miljukow und Co. nehmen nur an der Unge-schminktheit und Unverhohlenheit der „Wechi"-Leute Anstoß, nur daran,daß die „Wechi"-Leute ihrer Diplomatie schaden, sie hindern, die rück-ständigen Elemente unter den Massen an der Nase herumzuführen. Milju-kow ist ein praktischer Politiker, Struve ein Doktrinär des Liberalismus,aber ihr friedliches Zusammenleben in einer Partei ist kein Zufall, son-dern eine zwangsläufige Erscheinung, denn der bürgerliche Intellektuelle

schwankt im Qrunde genommen zwischen der Hoffnung auf die Massen(die helfen könnten, die Kastanien aus dem Feuer zu holen) und derHoffnung auf die oktobristische Bourgeoisie.

„Für die heutige Macht ist es unmöglich, freien Umgang zwischen denpolitisch bewußten Elementen der Demokratie und der demokratischenMasse zuzulassen, damit werden die Hauptversprechungen des Mani-fests vom 17. Oktober undurchführbar", schreibt Herr Miljukow. Un-gewollt sprach er hiermit eine tiefere Wahrheit als beabsichtigt aus. Denn

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Das letzte Wort des russischen Liberalismus 131

erstens, wenn es wahr ist, daß es für die heutige Macht unmöglich ist,

den Umgang der Massen mit den Demokraten zuzulassen (und das istunzweifelhaft wahr), so ergibt sich daraus die Notwendigkeit der revo-lutionären Taktik, nicht aber des „konstitutionellen" Kampfes, so er-gibt sich daraus die Notwendigkeit, das Volk zum Sturz dieser Machtzu fuhren, nicht aber zu deren Reformierung. Zweitens aber habensowohl die Monate Oktober bis Dezember 1905 als auch die I . Duma unddie II . Du m a bewiesen, daß es nicht nu r „für die heutige M acht" , sondernauch für den russischen Liberalismus, für die russischen 'Kadetten „im-möglich ist, den freien Umgang zuzulassen" zwischen der „demo-

kratischen Masse" und den Sozialdemokraten, ja sogar den Volks-tümlern aller Schattierungen. Die Kadetten konnten während der Frei-heiten von Oktober bis Dezember 1905 weder die Arbeiterdemokratienoch selbst die Bauerndemokratie führen, und sogar zur Zeit der von denGorem ykin u nd Stolypin gehüteten D um as fand sich die Dem okratie nichtmit der Vorherrschaft der Kadetten ab.

Die politische Bedeutung der „Konferenz" der Kadetten Ende 1909und des Referats von Herrn Miljukow besteht darin, daß die gebildetenVertreter des Liberalismus, die die ärgsten Feinde der revolutionären

Sozialdemokratie sind, eine glänzende Bestätigung für die Richtigkeitderen Einschätzung der Lage und deren Taktik lieferten. Alles, was indem Referat wertvoll und richtig ist, ist nur ein Abklatsch und Wieder-käuen unserer grundlegenden These von dem Schritt der Selbstherrschaftauf dem Wege der Umwandlung in eine bürgerliche Monarchie als deskennzeichnenden Zugs der gegenwärtigen Lage. Darin eben unterscheidetsie sich von der gestrigen und von der morgigen Lage. Dies bildet dieGrundlage für die besondere Taktik der Sozialdemokratie, einer Taktik,die die Prinzipien des revolutionären Marxismus auf die veränderte Situ-ation anwenden muß, nicht aber einfach diese oder jene Losungen wieder-holen darf.

Die Liberalen haben die konterrevolutionäre Einstellung der Groß-bourgeoisie zugegeben, haben das Wachsen des politischen Bewußtseinsund der Unzufriedenheit der Massen eingestanden. Warum wohl tretensie nicht entschlossen in den Dienst der Großbourgeoisie, wenn sie vonder Revolution, von 1905, von der „Demagogie" „Land und Freiheit"abrücken, wenn sie zugeben, daß der Oktobrismus zu konservativ für

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die Großbourgeoisie ist? Deshalb, weil ihnen die „Konferenz" der Pro-

vinzler besonders deutlich das fehlschlagen der neuen, Stolypinschen,bürgerlichen Politik der Selbstherrschaft vor Augen geführt hat. Die neuesoziale Basis für die Monarchie liegt „vorläufig nodh ganz in der Zu-kunft" - das ist das wertvollste Eingeständnis des Liberalismus. Eingeregelter bürgerlicher Konstitutionalismus mit einer Monarchie an derSpitze ist eine vorzügliche Sache, aber ohne eine neue Massenbewegungentsteht sie nidbt, wird sie nidot entstehen - das ist das Ja7.it der „Konfe-renz" der Kadetten. Uns ist die Massenbewegung, die „Demagogie"„Land und Freiheit" verhaßt, uns ist der „politische Krampf" verhaß t ,

wir sind jedoch Realpolitiker, wir müssen den Tatsachen Rechnung tra-gen, wir müssen unsere Politik so ausrichten, damit wir parallel mit derMassenbewegung gehen, da diese nun einmal unvermeidlich ist. „Esbesteht die Möglichkeit" für einen erfolgreichen Kampf um die Führungder Massen in Stadt und Land (außer den Arbeitern), sehen wir also zu,uns durch Reden über unseren „Radikalismus" ein Plätzchen in derVolksbewegung zu sichern, so wie wir uns durch die Worte über dieOppo sition Seiner Majestät ein Plätzchen in London gesichert habe n.

Die Konferenz der Kadetten hat, ohne es zu ahnen, die Taktik unserer

Partei glänzend bestätigt. Wir müssen eine neue historische Periodedurchstehen, wo die Selbstherrschaft auf neue Art bemüht ist, sich zuretten, und wo sie offensichtlich wiederum einem Bankrott auf diesemneuen Weg entgegengeht. Wir müssen diese Periode durchstehen, indemwir systematisch, beharrlich und geduldig an einer umfassenderen undfesteren Organisation der politisch bewußteren Massen des sozialisti-schen Proletariats und der demokratischen Bauernschaft arbeiten. Wirmüssen alle Bedingungen und Möglichkeiten der Parteiarbeit in einersolchen Zeit ausschöpfen, in der die schwarze Duma wie die Monarchie

gezwungen ist, den Weg der Organisierung von Parteien einzuschlagen.Wir müssen diese Zeit als eine Periode der sich auf neuer Grundlage,unter neuen Bedingungen vollziehenden Vorbereitimg neuer Massen zueinem entschiedeneren revolutionären Kampf für unsere alten Forde-rungen nu tzen . Revolution und K onterrevolution hab en in der Tat gezeigt,daß die Monarchie völlig unvereinbar mit der Demokratie, mit der Herr-schaft des Volkes, mit der Freiheit des Volkes ist; wir müssen unter denMassen die Beseitigung der Monarchie und den Republikanismus propa-

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Das letzte "Wort des russischen Liberalismus . 133

gieren als Voraussetzungen für den Sieg des Volkes; wir müssen dieLosung „Nieder mit der Monarchie" zu einer ebenso populären „Rede-wendung des Volkes" machen, wie es nach langjähriger beharrlichersozialdemokratischer Arbeit in den Jahren 1895-1904 die Losung „Nie-der mit der Selbstherrschaft" wurde. Revolution und Konterrevolutionhaben in der Tat die ganze Stärke und die volle Bedeutung der Klasseder Gutsbesitzer gezeigt; wir müssen unter den Bauernmassen die völligeBeseitigung dieser Klasse, die völlige Aufhebung des gutsherrlichenGrundbesitzes propagieren. Revolution und Konterrevolution haben inder Tat das Wesen der Liberalen und der bürgerlichen Intelligenz offen-bart; wir müssen den Bauernmassen eine klare Vorstellung davon ver-mitteln, daß die Führung durch die Liberalen den Untergang ihrer Sachebedeutet, daß sie ohne den selbständigen revolutionären Kampf der Mas-sen, bei jeglichen kadettischen „Reformen" unweigerlich unter dem Jochder Gutsbesitzer bleiben. Revolution und Konterrevolution haben unsdas Bündnis zwischen der Selbstherrschaft und der Bourgeoisie sowiezwischen der russischen und der internationalen Bourgeoisie offenbart;wir müssen dreimal mehr Massen des Proletariats als im Jahre 1905erziehen, zusammenschließen und organisieren, denn nur das Proletariatist, von der selbständigen sozialdemokratischen Partei geführt, gemeinsam

mit dem Proletariat der fortgeschrittenen Länder voranschreitend, in derLage, für Rußland die Freiheit zu erkämpfen.

„Sozial-Demokrat" 9Jr. iO , TJadb dem Manuskript.24. Dezember {909(6. Januar 19 io).

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D I E E L FT E S I T Z U N G

D E S I N T E R N A T I O N A L E N

S O Z I A L I S T I S C H E N B Ü R O S

< Am 7. November fand in Brüssel die elfte Sitzung des InternationalenSozialistischen Büros statt. Nach der in den letzten Jahren praktiziertenGepflogenheit war der Sitzung des Büros eine Konferenz der sozialisti-schen Journalisten verschiedener Länder vorangegangen. Die Konferenzerörterte einige praktische Fragen über die Herstellung regelmäßigererVerbindungen zwischen den sozialistischen Tageszeitungen der verschie-denen Länder.

Was die Sitzung des Internationalen Sozialistischen Büros betrifft, sostanden außer laufenden kleineren Angelegenheiten zwei umfangreicheFragen auf der Tagesordnung: 1. der internationale Sozialistenkongreß1910 in Kopenhagen und 2. die Spaltung in der holländischen Parte i.

Zur ersten Frage wurde vor allem der Termin des Kongresses fest-gelegt, und zwar die Zeit vom 28. August bis 3. September. In bezug aufden Tagungsort wurde die Frage der unbehinderten Einreise der russischenSozialisten nach Kopenhagen aufgeworfen. Knudsen, der Vertreter derdänischen Sozialisten, antwortete, daß nach ihren Informationen undnach allen bei ihnen vorliegenden Angaben über die Absichten der däni-schen Regierung die Polizei die russischen Kongreßdelegierten nicht be-lästigen würde. Sollte sich kurz vor dem Kongreß das Gegenteil heraus-stellen, so würde das Internationale Sozialistische Büro gewiß für einenanderen Tagungsort sorgen.

Die Tagesordnung des Kopenhagener Kongresses wurde wie folgt fest-gelegt: 1. die Genossenschaftsbewegung, 2. die Organisation der inter-nationalen Solidarität bei großen Streiks, 3. die Arbeitslosenfrage, 4. dieAbrüstung und internationale Schiedsgerichte, 5. die Ergebnisse der

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Die elfte Sitzung des Internationalen Sozialistischen 'Büros 135

Arbeiterschutzgesetzgebung der verschiedenen Länder und die Frageihrer internationalen Durchsetzung, insbesondere die Frage des Acht-stundentages, 6. die Verbesserung der Verbindungen zwischen den natio-nalen Parteien und dem Internationalen Sozialistischen Büro, 7. die Ab-schaffung der Todesstrafe.

Zunächst war beabsichtigt, die Agrarfrage in die Tagesordnung auf-zunehmen. Vaillant und Molkenbuhr sprachen sich dagegen aus, da sieeine Erörterung dieser Frage auf dem internationalen Kongreß ohne vor-herige gründlichere Vorbereitung auf den Parteitagen der nationalen Par-teien für schwierig hielten. Den nationalen Parteien wurde empfohlen,diese Frage auf ihren Parteitagen eigens zu erörtern, so daß sie dem inter-nationalen Kongreß 1913 vorgelegt werden kann.

Nach Annahme von Resolutionen der Solidarität mit den schwedischenArbeitern, die einen der größten Generalstreiks der letzten Zeit organi-siert, und den Arbeitern Spaniens, die einen heldenmütigen Kampf gegendas Kriegsabenteuer ihrer Regierung geführt haben, sowie von Protest-resolutionen gegen die Greuel- und Mordtaten des Zarismus in Rußland,der Regierungen in Spanien, Rumänien und Mexiko ging das Internatio-nale Sozialistische Büro zum Hauptpunkt seiner weiteren Tagesordnungüber - zur Frage der Spaltung in Holland.

In Holland bekämpfen sich die Opportunisten und die Marxisten dersozialistischen Partei schon lange. In der Agrarfrage waren die Oppor-tunisten für einen Programmpunkt eingetreten, der Zuteilung von Landan die Landarbeiter fordert. Die Marxisten kämpften energisch gegen die-sen Punkt (für den sich Troelstra, der Führer der Opportunisten, ein-gesetzt hatte) und erreichten im Jahre 1905, daß er gestrichen wurde.Ferner gingen die Opportunisten in ihrer Anpassung an den religiös ein-gestellten Teil der holländischen Arbeiter so -weit, daß sie für die Bereit-stellung von staatlichen Mitteln für den Religionsunterricht an den Schulen

eintraten. Die Marxisten kämpften leidenschaftlich dagegen. Die Oppor-tunisten, an ihrer Spitze Troelstra, suchten die sozialdemokratische Parla-mentsfraktion in Gegensatz zur Partei zu bringen und widersetzten sichden Beschlüssen des ZK. Die Opportunisten betrieben eine Politik derAnnäherung an die Liberalen und ihrer Unterstützung durch die Sozia-listen (was sie natürlich damit zu „rechtfertigen" suchten, daß sie sozialeReformen durchsetzen wollten, die die Liberalen versprachen und...

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136 IV.1. Lenin

nicht durchführten). Die Opportunisten nahmen eine Revision des alten,

marxistischen Programms der sozialdemokratischen Partei Hollands vorund stellten unter anderem solche Thesen dieser Revision auf, wie dieAbkehr von der „Zusammenbruchstheorie" (Bernsteins bekannte Idee)oder den Wunsch, daß die Anerkennung des Programms die Parteimit-glieder verpflichte, die politisch-ökonomischen, „nicht aber die philoso-phischen Ansichten von 'Marx" anzuerkennen. Der Kampf der Marxistengegen diese Linie verschärfte sich immer mehr. Die Marxisten, die ausdem Zentralorgan der Partei verdrängt wurden (unter ihnen auch diebekannte Schriftstellerin Roland-Holst, ferner Gorter, Pannekoek u. a.),gründeten ihre Zeitung „De Tribüne". Troelstra verfolgte diese Zeitungskrupellos, er warf den M arxisten vor, sie wollten ihn persönlich „hinaus-drängen", und hetzte den kleinbürgerlich eingestellten Teil der holländi-schen Arbeiter auf die Marxisten - die „Raufbolde", die Streitsüchtigen,die Störenfriede. Es endete damit, daß der außerordentliche Parteitag inDeventer (13./14. Februar 1909) mit einer Mehrheit von Troelstra-Anhängern beschloß, die „Jribune" einzustellen und dafür eine „Beilage"zum opportunistischen ZO der Partei herauszugeben! Selbstverständlichließen sich die Redakteure der „Tribüne" darauf nicht ein (außer Roland-Holst, die leider eine hoffnungslose Versöhnlerposition bezog), und siewurden aus der "Partei ausgeschlossen.

Es kam zur Spaltung. Die alte, opportunistische Partei, geführt vonTroelstra und van Kol (letzterer „berühmt" seit seinen opportunistischenReden zur kolonialen Frage in Stuttgart), behielt den Namen „Sozial-demokratische Arbeiterpartei" (SDA P). Die neue , zahlenmäßig viel klei-nere marxistische Partei nahm den Namen „Sozialdemokratische Partei"(SDP) an.

Das Exekutivkomitee des Internationalen Sozialistischen Büros ver-suchte, bei der Wiederherstellung der Einheit in Holland zu vermitteln,verhielt sich dabei aber äußerst ungeschickt: es bezog nur eine formaleStellung und beschuldigte, offenkundig mit den Opportunisten sympathi-sierend, die Marxisten der Spaltung. Das Gesuch der M arxisten, die neuePartei zur Internationale zuzulassen, wurde deshalb vom Exekutivkomiteedes Internationalen Sozialistischen Büros abgelehnt.

Nun hatte die Sitzung des Internationalen Sozialistischen Büros vom7. November 1909 die Frage der Zulassung der holländischen Marxisten

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Vie elfte Sitzung des Internationalen Sozialistisdben Büros 137

zur Internationale zu erörtern. Alle wollten Diskussionen zum Wesen

der Sache vermeiden und sich auf das einzuschlagende Verfahren be-schränken, d. h. zeigen, in welcher Weise die Sache zu behandeln, dieMethode zur Lösung des Konflikts zu finden sei, obwohl natürlich derXern der Sache, das Wesen des Kampfes beider Richtungen in Hollandden meisten Büromitgliedern klar gewesen sein mußte.

Schließlich brachten zwei Richtungen zwei Resolutionen ein - Singerfür die Marxisten, Adler gegen sie. Singers Resolution lautete:

„Das Internationale Sozialistische Büro beschließt: Die unter demNamen Neue Sozialdemokratische Partei" (im Namen ein Irrtum; es

muß heißen: „Sozialdemokratische Partei") „in Holland gegründetePartei ist auf Grund ihrer Zustimmung zu den Zulassungsbedingungenzu den internationalen sozialistischen Kongressen zu diesen zuzulassen,über die Beteilignng an den internationalen Bürositzungen und die aufdem Kongreß dieser Gruppe im Rahmen der holländischen Partei zu-stehenden Stimmen entscheidet, wenn zwischen den holländischen Genos-sen keine Einigung erfolgt, der Kongreß zu Kopenhagen."

Dieser Text lä ßt erkennen , daß Singer eine formale Position nicht auf-gegeben hat, denn er überläßt die endgültige Lösung des Problems der

holländischen Sektion des Internationalen Kongresses, er hebt aber zu-gleich deutlich die Anerkennung der holländischen marxistischen Parteidurch die Internationale hervor. Adler wagte nicht, das Gegenteil zubehaupten, er wagte nicht zu erklären, da ß er die holländischen Marxistennicht als Mitglieder der Internationale anerkenne, daß er die Stellung-nahme des Exekutivkomitees teile, das das Gesuch der Marxisten glattabgelehnt hatte. Er schlug folgende Resolution vor: „Das Gesuch derSozialdemokratischen Partei wird der holländischen Sektion überwiesen.Wenn sich eine Verständigung nicht erzielen läßt, so hat die neue Parteidas Recht, an das Büro zu appellieren." Dieselbe formale Position wie beiSinger, doch läßt der Text dieser Resolution erkennen, daß sie mit denOpportunisten sympathisiert, denn sie enthält nichts von einer Aner-kennung der Marxisten als Mitglieder der Internationale. Und die Ab-stimmung über die Resolutionen zeigte sofort, daß die Büromitglieder denQeist der einen wie der anderen durchaus erfaßt hatten. Für Singer wur-den 11 Stimmen abgegeben: 2 Stimmen Von Frankreich, 2 von Deutsch-land, 1 von England (Sozialdemokrat), 2 von Argentinien, 1 von Bul-

10 Lenin, W erk e, Bd. 16

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138 TV. 3. Lenin

garien, 1 von Rußland (Sozialdemokrat), 1 von Polen (Sozialdemokrat)

und 1 von Amerika (Sozialistische Arbeiterpartei). Für Adler wurden16 Stimmen abgegeben: 1 von England („Un abhängige" Arb ei terparte i) ,2 von Dänemark, 2 von Belgien, 2 von Österreich, 2 von Ungarn, 1 vonPolen (PPS), 1 von Rußland (Sozialrevolutionär), 1 von Amerika (Sozia-listische Partei), 2 von Holland (van Kol und Troelstra!) und 2 vonSchweden.

Das Organ der deutschen revolutionären Sozialdemokraten, die „Leip-ziger Volkszeitung" (Nr. 259), nannte zu Recht diesen Beschluß desInternationalen Sozialistischen Büros bedauerlich. Ihn „in Kopenhagen zu

revidieren, hat die Arbeiterinternationale alle Veranlassung", schloß dieZeitung völlig begründet. „Gen. Adler", schrieb eine andere Zeitung der-selben Richtung, die „Bremer Bürgerzeitung" vom 11 . No vem ber 1909,„trit t als Anwalt des in allen Farben schillernden internationalen Oppor-tunismus auf." Seine Resolution kam durch „dank der Unterstützungdurch ein opportunistisches Sammelsurium".

Diesen wahren Worten können wir russischen Sozia ldemokraten nurhinzufügen, daß unsere Sozialrevolutionäre im Verein mit der PPS natür-lich eilfertig ihr Plätzchen in der opportunistischen Gesellschaft ein-

na hme n .

Nach Beendigung der Sitzung des Internationalen Sozialistischen Bürosfand am 8. N ovem ber 1909 in Brüssel die 4. Sitzung de r Interparlamen-tarischen Sozialistischen K omm ission statt, d. h. de r M itglieder d er so-zialistischen Parlamentsfraktionen verschiedener Länder. Die Fraktionenwaren im allgemeinen schwach vertreten (die russische sozialdemokratischeDumafraktion überhaupt nicht). Die Delegierten tauschten Informationenüber die Altersversicherung der Arbeiter, den Stand der Gesetzgebung in

den verschiedenen Ländern und die Vorlagen der Arbeiterabgeordnetenaus. Die beste Information gab Molkenbuhr auf Grund eines von ihm inder „Neuen Zeit" veröffentlichten Artikels.

„Sozial-Demokrat" Wr. 10, TJadh dem 7exX des24. Dezember i909 „Sozidl-Vemokrat".(6. Januar i9lO).

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Ü B E R D I E G R U P P E „ W P E R J O D " 5 2

Konzept

Nach einer Reihe von Lektionen vor den Genossen der Gruppe'„Wperjod" und nach der abschließenden Diskussion mit ihnen über dieAufgaben der Partei sowie über die Stellung der Gruppe „Wperjod"innerhalb der Partei erachte ich es für unumgänglich, meine Stellung zuden Streitfragen schriftlich darzulegen, um Mißverständnisse und Ver-zerrungen zu vermeiden.

Ich bin der Ansicht, daß die Plattform der Gruppe „Wperjod" völligdurchdrungen ist von Anschauungen, die unvereinbar sind mit den Partei-

beschlüssen (Resolutionen der Dezemberkonferenz 1908) und diesen Be-schlüssen widersprechen.Die Einschätzung der gegenwärtigen Periode in der Plattform

„Wperjod" ist falsch, denn diese Einschätzung zieht nicht die ökonomi-schen und politischen Veränderungen in Rußland in Betracht, die in demneuen Schritt der Selbstherrschaft auf dem Wege der Umwandlung ineine bürgerliche Monarchie bestehen. Deshalb resultieren aus der Ein-schätzung der Plattform „Wperjod" in der 7at otsowistische taktischeSchlußfolgerungen.

Daher ist die Plattform „Wperjod" völlig von Anschauungen durch-drungen, die verneinen, daß die sozialdemokratische Partei unbedingt ander III. Duma teilnehmen m uß und daß es unbedingt notwendig ist, einenneuen Typ der illegalen Parteiorganisation zu schaffen, die umgeben istvon einem Netz legaler Organisationen und unbedingt jede legale Mög-lichkeit ausnutzt.

Indem die Gruppe „Wperjod" in ihrer Plattform die Ausarbeitung dersogenannten „proletarischen Philosophie", der „proletarischen Kultur"

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140 "W. J.Lenin

usw. als Aufgabe stellt, wird sie praktisch zum Verteidiger der Gruppe

von Publizisten, die auf dem genannten Gebiet antimarxistische An-schauungen vertreten.

Indem die Plattform der Gruppe „Wperjod" den Otsowismus als eine„berechtigte Schattierung" erklärt, deckt und verteidigt sie dadurch denOtsowismus, der der Partei großen Schaden zufügt.

In Anbetracht all dessen müssen die persönlichen Erklärungen dermeisten Genossen aus der Gruppe „Wperjod" darüber, daß sie aufrichtigeKorrespondenzen für das Zentralorgan schreiben werden, daß sie kame-radschaftlich einen ideologischen Kampf gegen die Otsowisten führen

werden, daß sie aufrichtig die Ausnutzung der legalen Möglichkeitenfördern und gegen alle Versuche zur Sprengung von legalen Organisatio-nen und Unternehmungen der Arbeiter kämpfen werden - diese Erklä-rungen müssen mit Mißtrauen aufgenommen werden, und es bleibt zubefürchten, daß die Gruppe „Wperjod" in der örtlichen Arbeit und auchbei der Vorbereitungsarbeit zur Konferenz einen Kampf gegen die Partei-linie führen wird.

Meine Stellung zu den „Wperjod"-Leuten in den örtlichen O rga ni-sationen wird dadurch bestimmt, wie die Tätigkeit dieser Leute in

Rußland sein wird und wie sie ihre Erklärungen verwirklichen werden.

Lenin

Qesdhrieben Ende Dezember 1909(erste Januarbälfte 1910].

Zuerst veröftentlidbt 1933 Tiado dem Manuskript.im Lenin-Sammelband XXV.

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Z U R E I N H E I T

Genau vor einem Jahr, im Februar 1909, charakterisierten wir in N r. 2des „Sozial-Demokrat" die Tätigkeit der Parteikonferenz der SDAPKals eine Tätigkeit, die nach einem „Jahr des Zerfalls, einem Jahr derideologisch-politischen Zerfahrenheit, einem Jahr der Weglosigkeit fürdie Partei" die Partei „wieder auf den Weg" bringt (Artikel „Auf denWeg")*. Wir zeigten dort, daß die schwere Krise in unserer Parteizweifelsohne nicht nur eine organisatorische, sondern auch eine ideolo-gisch-politische Krise ist. Wir erblickten das Unterpfand für einen erfolg-reichen Kampf des Organismus der Partei gegen die zersetzenden

Einflüsse der konterrevolutionären Periode vor allem darin, daß die tak-tischen Beschlüsse der Konferenz die Hauptaufgabe richtig gelöst haben:die Arbeiterpartei hat ihre revolutionären Ziele, wie sie aus der jüngstenVergangenheit des Sturms und Drangs hervorgingen, vollauf bekräftigt,hat ihre revolutionäre sozialdemokratische Taktik, die durch die Erfah-rung des unmittelbaren Massenkampfes bestätigt wurde, vollauf be-kräftigt und gleichzeitig die sich vor unseren Augen vollziehenden ge-waltigen ökonomischen und politischen Veränderungen berücksichtigt, denVersuch der Selbstherrschaft, sich den bürgerlichen Bedingungen der

Epoche anzupassen, sich in eine bürgerliche Monarchie umzubilden, dieInteressen des Zarismus und der erzreaktionären Gutsbesitzer zu sichernvermittels eines offenen, umfassend und systematisch betriebenen Bünd-nisses mit den kapitalistischen Oberschichten des Dorfes und mit denMagnaten des Handels- und Industriekapitals. Wir unterstrichen dieorganisatorische Aufgabe der Partei, die mit der neuen historischen

*Üiehe Werke, Bd. 15, S. 344-355. Die Hei.

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Periode verbunden ist, und zwar: Ausnutzung jeder möglichen legalenInstitution durch die illegale Partei, darunter auch der sozialdemokra-tischen Dumafraktion, um Stützpunkte für die revolutionäre sozialdemo-kratische Arbeit unter den Massen zu schaffen. Wir verwiesen auf dieÄhnlichkeit dieser organisatorischen Aufgabe mit derjenigen, die unseredeutschen Genossen in der Periode des Sozialistengesetzes zu lösen hat-ten, und sprachen von einer „üblen Abweichung von der beharrlichenArbeit des Proletariats", was sich in der Ablehnung der sozialdemokra-tischen Dum atätigkeit äu ßerte oder im Verzicht auf die direkte und offeneKritik der Linie unserer Dumafraktion, in der Verneinung oder Herab-würdigung der illegalen sozialdemokratischen Partei, in den Versuchen,sie durch eine formlose legale Organisation zu ersetzen, unsere revolutio-nären Losungen zu beschneiden usw.

Nachdem wir diese Rückschau gehalten haben, können wir besser dieBedeutung des kürzlich stattgefundenen Plenums des Zentralkomiteesunserer Partei einschätzen.53 Die Leser finden an einer anderen Stelle dervorliegenden Nummer den Wortlaut der wichtigsten vom Plenum gefaßtenResolutionen. Die Bedeutung dieser Resolutionen besteht darin, daß sieein großer Schritt sind zur tatsächlichen Einheit der Partei, zum Zusam-menschluß aller parteitreuen Kräfte, zur einmütigen Anerkennung dergrundlegenden Thesen hinsichtlich der Taktik der Partei und ihre r O rgan i-sation, die den Weg der Sozialdemokratie in unserer schweren Zeit fest-legen. Dieser Weg wurde vor einem Jahr richtig vorgezeichnet, und ihnbetritt jetzt die gesamte Partei, von seiner Richtigkeit haben sich alle

Fraktionen in der Partei überzeugt. Das vergangene Jahr war ein Jahrneuer fraktioneller Zersplitterungen, neuen Fraktionskampfes, ein Jahrerhöhter Gefahr des Zerfalls der Partei. Aber die örtlichen Arbeitsbedin-gungen, die schwierige Lage der sozialdemokratischen Organisation, dieunaufschiebbaren Aufgaben des ökonomischen und politischen Kampfes

des Proletariats, das alles drängte alle Fraktionen zum Zusammenschlußder sozialdemokratischen Kräfte. Je mehr die Konterrevolution erstarkte,je frecher sie wütete, je weiter sich unter den liberalen und kleinbürger-lich-demokratischen Schichten ein niederträchtiges Renegatentum und dieAbsage an die Revolution ausbreitete, desto stärker war bei allen Sozial-demokraten der Drang zur Partei. Es ist äußerst charakteristisch, daß sichunter dem Einfluß dieser ganzen Gesamtheit der Bedingungen in der

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Zur Einheit 143

zweiten Hälfte des Jahres 1909 für das Parteiprinzip in ihren Ansichtenso weit auseinandergehende Parteimitglieder aussprachen wie der Men-

schewik Genosse Plechanow einerseits un d die Grup pe „W perjod " (eineGruppe von Bolschewiki, die vom orthodoxen Bolschewismus abgegangenist) anderseits. Plechanow trat im August 1909 entschieden gegen dieSpaltung und die Linie der Spaltung der Partei mit der Losung auf:„Kampf um den Einfluß in der Partei". Die Gruppe „Wperjod" entwarfeine Plattfonn, in der es zwar zu Anfang heißt, „Kampf für die Wieder-herstellung der Einheit des Bolschewismus", am Schluß jedoch das Frak-tionswesen, die „Parteien in d er Pa rte i", die „Isoliertheit und A bgeschlos-senheit der Fraktionen" entschieden verurteilt, entschieden deren „Auf-

gehen" in der Partei, deren „Verschmelzung", die Verwandlung derFraktionszentren in „•wirklich nur ideologische und literarische" Zentrengefordert wird (S. 18 und 19 der Broschüre „Die gegenwärtige Lage unddie Aufgaben der Partei") .

Den von der Mehrheit der Partei klar vorgezeichneten Weg habenjetzt - selbstverständlich nicht in den Einzelheiten, sondern in den Qrund-

zügen - alle Fraktionen einmütig gebilligt. Ein Jahr des verschärftenFraktionskampfes hat dazu geführt, daß ein entschiedener Schritt zurLiquidierung dller Fraktionen und jedweden Fraktionswesens, zur Einheit

der Partei getan wurde. Es wurde beschlossen, alle Kräfte zusammen-zuschließen für die unaufschiebbaren Aufgaben des ökonomischen undpolitischen Kampfes des Proletariats; es wurde mitgeteilt, daß das Frak-tionsorgan der Bolschewiki eingestellt wird; einstimmig wurde der Be-schluß gefaßt, daß der „Golos Sozial-Demokrata", d.h. das Fraktions-organ der Menschewiki, eingestellt werden muß. Einstimmig wurde eineReihe von Resolutionen angenommen, von denen wir hier als wichtigstebesonders die Resolution über die Lage in der Partei und über die Ein-berufung der nächsten Parteikonferenz hervorheben müssen. Die erste

dieser Resolutionen, die sozusagen die Plattform für die Vereinigung derFraktionen darstellt, verdient eine besonders eingehende Untersuchung.

Sie beginnt mit den Worten: „In Weiterentwicklung der grundlegen-den Thesen der auf der Parteikonferenz 1908 gefaßten Resolutionen . . ."Wir haben oben diese grundlegenden Thesen der drei wichtigsten Reso-lutionen der Dezemberkonferenz von 1908 angeführt , und zwar zurEinschätzung der Lage und zu den politischen Aufgaben des Proletariats,

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144 W. 3. Lenin

zur Organisationspolitik der Partei und zu deren Stellung zur sozial-demokratischen Dumafraktion. Es unterliegt natürlich nicht dem gering-

sten Zweifel, daß in der Partei keine Einhelligkeit hinsichtlich jeder Ein-zelheit, hinsichtlich jedes Punktes dieser Resolutionen besteht, daß für die

Kritik an ihnen, für ihre Überarbeitung entsprechend den gesammeltenErfahrungen und den Lehren des sich komplizierenden ökonomischen und

politischen Kampfes die Spalten der Parteipresse weit geöffnet sein müs-

sen, daß diese Arbeit der Kritik, der Anwendung, der Verbesserungder Resolutionen von nun an alle Fraktionen, richtiger, alle Strömungen

in der Partei als Sache ihrer eigenen Selbstbestimmung, als Sache der

Klärung ihrer eigenen Linie betrachten müssen. Aber die Kritik und

Verbesserung der Parteilinie darf kein Hindernis für die Aktionseinheitder Partei sein, die nicht für einen Augenblick unterbrochen werden darf,

die nicht schwanken darf, die in jeglidber Hinsiöbt entsprechend den grund-legenden Thesen der angeführten Resolutionen gelenkt werden muß.

In Weiterentwicklung dieser Thesen erwähnt der erste Punkt der Ent-

schließung des Zentralkomitees die „prinzipiellen Grundlagen" der

sozialdemokratischen Taktik, die, entsprechend der Methode der ge-

samten internationalen Sozialdemokratie, nicht „nur auf die gegebenenkonkreten Verhältnisse des nächsten Augenblicks" berechnet sein darf

- insbesondere in einer solchen Periode, wie wir sie durchleben - , sondernverschiedene Wege, alle möglichen Situationen, sowohl eine „plötzlicheW e n d e " als auch eine „relativ unbewegliche Situation", in Erwägungziehen muß. Dem Proletariat eröffnet sich erstmalig die Möglichkeit,planmäßig und folgerichtig diese taktische Methode anzuwenden. Die

Taktik unserer Partei muß in ein und derselben Zeit, in ein und derselbenHandlung des Proletariats, in ein und demselben Netz der Organisations-zellen „das Proletariat für den heuen, offenen revolutionären Kampf vor-

bereiten" (ohne das würden wir das Recht verlieren, uns zur revolutio-

nären Sozialdemokratie zu zählen, würden wir unsere Hauptaufgabenicht erfüllen, die uns das Jahr 1905 als Vermächtnis hinterlassen hat und

die durch jede Nuance der gegenwärtigen ökonomischen und politischenVerhältnisse vorgezeichnet wird) und „dem Proletariat die Möglichkeitgeben, alle Widersprüche des labilen Regimes der Konterrevolution für

sidb auszunutzen" (ohne das würde unser revolutionärer Schwung zur

Phrase, zu einem Wiederholen revolutionärer Worte, s tat t daß wir die

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Zur Einheit 145

gesamte Summe der revolutionären Erfahrungen, der Erkenntnisse undLehren der internationalen Sozialdemokratie auf jede praktische Hand-

lung, auf die Ausnutzung jedes Widerspruchs und jeder Schwankungdes Zarismus, seiner Verbündeten und aller bürgerlichen Parteien an-

wenden).

Der zweite Punkt der Resolution kennzeichnet den Umschwung, dendie Arbeiterbewegung in Rußland erlebt. Schließen wir uns zusammenund helfen wir der neuen Generation sozialdemokratischer Arbeiter, ihrehistorische Aufgabe zu erfüllen, die Parteiorganisation zu erneuem, neueFormen des Kam pfes auszuarb eiten, ohne dabei irgendwie von den „Auf-

gaben der Revolution und deren Methoden" abzugehen, sondern, im

Gegenteil, um sie zu verteidigen, eine breitere und festere Basis für eineerfolgreichere Anwendung dieser Methoden in der kommenden neuenRevolution vorzubereiten.

Der dritte Punkt der Resolution umreißt die Bedingungen, die überallbei den klassenbewußten Arbeitern den „Drang zur Konzentration derparteitreuen sozialdemokratischen Kräfte, zur Festigung der Parteiein-heit" hervorgerufen haben. An erster Stelle dieser Bedingungen stehtdie breite konterrevolutionäre Strömung. Der Feind schließt sich zusam-men und greift an. Zu den alten Feinden - dem Zarismus, der Willkür

und Gewalt der Beamten, der Unterdrückung und schamlosen Verhöh-nung von Seiten der fronherrlichen Gutsbesitzer - gesellt sich ein neuerFeind: die sich auf der Grundlage einer bewußten, durch eigene Er-fahrung bestärkten Feindschaft gegenüber dem Proletariat immer festerzusammenschließende Bourgeoisie. Die Revolutionäre werden wie niezuvor ausgerottet, gequält und gepeinigt. Man bemüht sich, die Revolutionzu besudeln, zu schmähen, sie aus dem Gedächtnis des Volkes zu tilgen.Aber die Arbeiterklasse hat noch in keinem Lande jemals ihren Feindenerlaubt, die wichtigste Errungenschaft jeder Revolution, sofern sie nur

irgendwie diese Bezeichnung verdient, zu entreißen, nämlich: die Erfahrungdes Massenkampfes, d ie Überzeugung Mill ionen Werktät iger und Aus-gebeuteter von der Notwendigkeit des Massenkampfes für jede ernsthafteVerbesserung ihrer Lage. Un d die Arbeiterklasse Ruß lands läßt sich durchkeinerlei Prüfungen die Bereitschaft zum revolutionären Kampf nehmen,den Heroismus der Massen nehmen, mit dem sie im Jahre 1905 Siegeerrungen hat und noch wiederholt erringen wird.

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Uns vereint nicht nur der Druck der Konterrevolution und die Wellekonterrevolutionärer Stimmungen. Uns vereint auch jeder Schritt derunscheinbaren, tagtäglichen praktischen Arbeit. Die Dumaarbeit der So-zialdemokratie macht stetig Fortschritte, sie befreit sich von den Fehlern,die anfangs unvermeidlich waren, sie überwindet Skeptizismus und Gleich-gültigkeit und schmiedet die von allen Sozialdemokraten hochbewerteteWaffe der revolutionären Propaganda, Agitation und des organisiertenKlassenkampfes. Und jeder legale Kongreß, an dem Arbeiter teilnehmen,jede legale Institution, in die das Proletariat eindringt, sein Klassen-bewußtsein hineinträgt und die Interessen der Arbe it und die Fo rderungender Demokratie offen verteidigt, führen zu einem Zusammenschluß derKräfte und zur Entwicklung der Bewegung insgesamt. Keinerlei Verfol-gungen durch die Regierung, keinerlei Schliche ihrer Verbündeten aus demLager der Schwarzhunderter und der Bourgeoisie sind imstande zu ver-hindern, daß der Kampf des Proletariats in den verschiedensten und zu-weilen ganz unerwarteten Formen in Erscheinung tritt , denn mit jedemSchritt seiner Entwicklung schult der Kapitalismus selbst seine Toten-gräber, schließt er sie zusammen, mehrt ihre Reihen und verstärkt ihreEmpörung.

In der gleichen Richtung (Drang zum Zusammenschluß in der Partei)wirkt die Zersplitterung der sozialdemokratischen Gruppen und die„Handwerkelei" in der Arbeit, worunter unsere Bewegung im Verlaufder letzten anderthalb bis zwei Jahre so leidet. Die praktische Arbeitkann ohne Konzentration der Kräfte, ohne Schaffung eines führendenZentrums unmöglich auf eine höhere Stufe gehoben werden. Vom Zen-tralkomitee wurde eine Reihe von Beschlüssen über den Aufbau diesesZentrums und seine Arbeit, über seine Erweiterung durch Kräfte aus derpraktischen Arbeit, über eine engere Verbindung seiner Tätigkeit mit derörtlichen Arbeit usw. gefaßt. Die theoretischen Interessen, die in Zeiten

der Stagnation unvermeidlich in den Vordergrund treten, erforderngleichfalls den Zusammenschluß auf der Grundlage der Verteidigung desSozialismus überhaupt und des Marxismus als des einzig wissenschaft-lichen Sozialismus, insbesondere angesichts der bürgerlichen Konterrevo-lution, die alle Kräfte für den Kampf gegen die Ideen der revolutionärenSozialdemokratie mobilisiert.

Der letzte Punkt der Resolution schließlich spricht von den politisch-

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Zur Einheit 147

ideologischen Aufgaben der sozialdemokratischen Bewegung. Der heftigeProzeß innerhalb der sozialdemokratischen Bewegung in den Jahren1908/1909 führte dazu, daß auch diese Aufgaben bis jetzt mit allerSchärfe gestellt und durch den erbittertsten Kampf der Fraktionen ent-schieden werden mußten. Das war kein Zufall, sondern unter den Bedin-gungen der Krise und des Zerfalls der Parteiorganisationen eine not-wendige Erscheinung. Aber dies war eben eine Notwendigkeit, und dieeinstimmige Annahme der untersuchten Resolution hat anschaulich dasallgemeine Bestreben offenbart, vorwärts zu schreiten, vom Kampf um diestrittigen grundlegenden Thesen zur Anerkennung dieser Thesen als un-bestreitbar und zu einmütiger verstärkter Arbeit auf der Grundlage dieser

Anerkennung überzugehen.Die Resolution stellt fest, daß zwei Arten von Abweichungen vom rich-

tigen Wege unweigerlich der gegenwärtigen historischen Lage und dembürgerlichen Einfluß auf das Proletariat entspringen. Eine dieser Abwei-chungen wird ihrem Wesen nach durch folgende Züge gekennzeichnet:„Verneinung der illegalen sozialdemokratischen Partei, Herabwürdigungihrer Rolle und Bedeutung, Versuche, die programmatischen und taktischenAufgaben sowie die Losungen der revolutionären Sozialdemokratie usw.zu beschneiden." Der Zusammenhang dieser Fehler innerhalb der Sozial-

demokratie mit dem konterrevolutionären bürgerlichen Strom außerhalbder Sozialdemokratie liegt auf der Hand. Nichts ist der Bourgeoisie unddem Zarismus verhaßter als die illegale sozialdemokratische Partei, dieihre Treue zum Vermächtnis der Revolution, ihre unverbrüchliche Bereit-schaft zum unerbittlichen Kampf gegen die Grundlagen der Stolypinschen„Legalität" durch ihre Arbeit beweist. Nichts ist der Bourgeoisie und denLakaien des Zarismus verhaßter als die revolutionären Aufgaben undLosungen der Sozialdemokratie. Das eine wie das andere zu verteidigenist unsere unabdingbare Aufgabe, und gerade die Verbindung der illegalen

mit der legalen Arbeit erfordert von uns erst recht den Kampf gegen jede„Herabwürdigung der Rolle und Bedeutung" der illegalen Partei. Geradedie Notwendigkeit, den Parteistandpunkt bei minder gewichtigen Anläs-sen, in bescheidenerem Umfang, in Einzelfragen, in legalem Rahmen zuverteidigen, erfordert, besonders darauf zu achten, daß diese Aufgabenund Losungen nicht besdmitten werden, daß die Änderung der Form desKampfes nicht dessen Inhalt beseitigt, nidit dessen Unversöhnlichkeit

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148 l/V. J. Lenin

abschwächt, nicht die historische Perspektive und das historische Ziel desProletariats entstellt: alle W erktätigen und Ausgebeuteten, die- Volks-massen durch eine Reihe bürgerlicher Revolutionen, die die demokratischeRepublik erkämpfen, zur proletarischen Revolution zu führen, die denKapitalismus selbst stürzt.

Anderseits aber - und hier gehen wir zur Charakteristik der anderenAbweichung über - ist es unmöglich, die tagtägliche revolutionäre sozial-demokratische Arbeit in der Praxis durchzuführen, wenn man nicht lernt,deren Formen zu ändern und diese der Eigenart jeder neuen historischenPeriode anzupassen. „Die Verneinung der sozialdemokratischen Duma-arbeit und der Ausnutzung legaler Möglichkeiten, das Nichtbegreifen derWichtigkeit des einen wie des anderen" bildet eben jene Abweichung, diees in der T at unmöglich macht, eine sozialdemokratische Klassenpolitik zubetreiben. Die neue Etappe der historischen Entwicklung Rußlands stelltuns vor neue A ufgaben: das bedeutet nicht, daß die alten Aufgaben schongelöst sind, daß es erlaubt sei, sie aufzugeben - nein ; das bedeutet aber,daß es notwendig ist, diese neuen Aufgaben zu berücksichtigen, neueFormen des Kampfes zu finden, eine ihnen entsprechende Taktik und Or-ganisation auszuarbeiten.

Sofern sich in der Partei ein Einvernehmen hinsichtlich dieser grund-legenden Fragen, ein Einvernehmen hinsichtlich der Notwendigkeit anzu-bahnen begonnen hat, die beiden aufgezeigten Abweichungen hauptsäch-lich durch Verbreiterung und Vertiefung der sozialdemokratischen Arbeitzu „überwinden" — ist das Wichtigste (für die richtige Bestimmung der„politisch-ideologischen Aufgaben der sozialdemokratischen Bewegung")erreicht. Jetzt muß das Erreichte systematisch in die Tat umgesetzt, mußin allen Kreisen der Partei, bei allen örtlichen Funktionären völlige Klar-heit in der Auffassung dieser Aufgaben erzielt werden, muß die Aufklä-rung über die Gefahr der beiden Abweichungen auf allen Gebieten der

Arbeit zu Ende geführt und die Arbeit so organisiert werden, daß Schwan-kungen nach dieser oder jener Seite unmöglidb sind. Die praktischenSchritte zur Verwirklichung der gefaßten Beschlüsse, die Erfordernisse desunmittelbaren ökonomischen und politischen Kampfes zeigen dann vonselbst, was hier noch getan und w ie es vollendet werden m uß.

Unter diesen Erfordernissen gibt es eins, das zum norm alen Ablauf desParteilebens gehört (wenn es diesen „normalen Ablauf" gibt). Wir spre-

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Zur Einheit 149

dien von einer Parteikonferenz, die die wirklich mit der örtlichen Arbeit

beschäftigten Vertre ter der sozialdemokratischen Parteiorganisationen und-gruppen aus allen Gegenden Rußlands zusammenbringen würde. Wiebescheiden diese Aufgabe auch sein mag, der gegenwärtige Zerfall hat siejedoch kolossal erschwert. Die Resolution des Zentralkomitees berück-sichtigt die neuen Schwierigkeiten (Wahl der Delegierten aus den Gebie-ten durch die einzelnen örtlichen Zellen und nicht durch die Gebietskon-ferenzen, wenn deren Einberufung nicht möglich ist) und auch die neuenAufgaben (Hinzuziehung von Parteifunktionären aus der legalen Bewe-gung mit beratender Stimme).

Die objektiven Bedingungen erfordern, daß als Organisationsgrundlageder Partei die illegalen Arbeiterzellen dienen, wenn sie auch ihremUmfang und den jetzigen Formen ihrer Arbeit nach bescheiden sind. Umaber zu lernen, unter den heutigen schwierigen Verhältnissen die revolu-tionäre sozialdemokratische Arbeit systematisch, stetig, planmäßig durch-zuführen, müssen sie wesentlich mehr Initiative und Aktivität als früherentwickeln, um so mehr, als sie in den meisten Fällen keine Hilfe von er-fahrenen, alten Genossen erwarten können. Und diese Zellen können dieAufgabe, einen ständigen Einfluß auf die Massen auszuüben und gemein-

sam mit den Massen zu handeln, nicht lösen, wenn sie nicht erstens einefeste Verbindung untereinander herstellen und zweitens Stützpunkte inde r Form je der nu r möglichen legalen Institution schaffen. D ah er ist es not-wendig, in erster Linie, vordringlich, unverzüglich und um jeden Preis eineKonferenz von Delegierten dieser illegalen Zellen einzuberufen. Daher istes notwendig, parteitreue Sozialdemokraten aus der legalen Bewegung hin-zuzuziehen, Vertreter „von sozialdemokratischen Gruppen in der legalenBewegung, die bereit sind, eine feste organisatorische Verbindung zu denörtlichen Parteizentren herzustellen". Wer von unseren legalen Sozial-dem okraten w irklich, in der Ta t und nicht nu r in W orte n, parteiverbun denist, wer von ihnen wirklich die oben angeführten neuen Bedingungen derArbeit und die Verbindung der alten Aufgaben der revolutionären Sozial-demokratie mit den neuen Bedingungen verstanden hat, wer ehrlich bereitist, an der Erfüllung dieser Aufgaben zu arbeiten, welche Gruppen wirk-lich bereit sind, eine feste organisatorische Bindung zur Partei herzustellen- das kann nu r an O rt und Stelle, im Verlauf d er tagtäglichen illegalenArbeit selbst festgestellt werden.

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150 1/9.1. Lenin

Hoffen wir, daß sich auf der Grundlage dieser Arbeit jetzt alle sozial-

demokratischen Kräfte zusammenschließen, daß die Parteifunktionäre imZentrum und in den örtlichen Parteiorganisationen mit aller Energie dieVorbereitung der Konferenz in Angriff nehmen, daß diese Konferenz da-zu beitragen wird, unsere Parteieinheit endgültig zu festigen und dieSchaffung einer breiteren, festeren, beweglicheren proletarischen Basisfür die kommenden revolutionären Schlachten einmütig voranzutreiben.

„Sozial-Demokrat" 3Vr. n, Jiaäo dem 7ext des13. (26.)Februar i9iO. „Sozial-Dem okrat".

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D E R „ G O L O S " D ER L I Q U I D A T O R E N

G E G E N D I E P A R T E I5 4

(Antwort an den „Golos Sozial-Demokrata")

Der „Golos Sozial-Demokrata" Nr. 19/20 und das als „Brief an dieGenossen" gesondert veröffentlichte Manifest der Genossen Axelrod,Dan, Martow und Martynow ist eine Bombe, dazu bestimmt, die Parteiunmittelbar nach dem Vereinigungsplenum zu sprengen, so daß wir unsgezwungen sehen, unverzüglich mit einem wenngleich kurzen und nicht er-schöpfenden warnenden Hinweis aufzutreten und uns mit dieser Warnungan alle Sozialdemokraten zu wenden.

Beginnen wir damit, daß der „Golos Sozial-Demokrata" sein Feuergegen uns, gegen die Redaktion des Zentralorgans, richtet. Er beschuldigtuns durch den Mund des Gen. Martow, daß wir dessen Artikel für den„Diskussionny Listok"55 bestimmt haben. „In meinem Artikel werden dieBeschlüsse des Plenums überhaupt nicht zur Diskussion gestellt", schreibtund betont Gen. Martow; dies wird wortwörtlich in dem „Brief an dieGenossen" wiederholt.

Jeder, der Lust hat, den Artikel des Gen. Martow, betitelt „Auf demrichtigen Weg", durchzulesen, wird erkennen können, daß dort die Be-schlüsse des Plenums direkt zur Diskussion gestellt werden, daß er offengegen den Beschluß über die Zusammensetzung der Redaktion des ZOauftritt und ausführlich die Theorie der Gleichberechtigung der Strömun-gen, der „"Neutralisierung" der Strömungen motiviert. Die von Gen. Mar-tow und der gesamten Redaktion des „Golos" ausgesprochene himmel-schreiende Unwahrheit, der strittige Artikel „stelle" die Beschlüsse desPlenums „nicht zur Diskussion", kommt der direkten Verhöhnung einesParteibeschlusses gleich.

Sollte irgendwem der Unterschied zwischen dem Diskutieren der

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152 1V.1. Lenin

Beschlüsse des Plenums und dem gewissenhaften Festhalten an der Linie

des Plenums im ZO selbst nicht klar sein, so fordern wir diese Leute undinsbesondere die Menschewiki auf, über den aufschlußreichen Artikel desGen. Plechanow in der vorliegenden Nummer des ZO und über die nichtminder aufschlußreiche Nr. 11 des „Dnewnik Sozialdemokrata" desselbenAutors nachzudenken. Kein einziger Menschewik, der den Parteibeschlußund die Vereinigung der Partei nicht verhöhnen will, wird bestreiten kön-nen, daß Gen. Plechanow im „Dnewnik" die Beschlüsse des Plenums zur

Diskussion stellt und in dem Artikel „Z ur Verteidigung der Illegalität" dieParteilinie vertritt. Diesen Unterschied muß man doch begreifen, wenn

man nicht böswillig das Ziel verfolgt, die Beschlüsse des Plenums zuhintertreiben]

Doch nicht genug damit, daß Gen. Martow und die gesamte Redaktiondes „Golos" die himmelschreiende Unwahrheit sagen, wenn sie behaupten,daß im Artikel „Auf dem richtigen Weg" die Beschlüsse des Plenums nichtzu r Diskussion gestellt würd en. D er Artikel enth ält etwas weitaus Schlim-meres. Er beruht voll und ganz auf der Theorie der Gleichberechtigung

zwischen der illegalen Partei, d. h. der SDAPR einerseits und den von derPartei abgespaltenen Cegälisten, die sich gern Sozialdemokraten nennen

möchten, anderseits. Der Artikel beruht voll und ganz auf der Theorie derSpaltung zwischen diesen „zwei Teilen" der Avantgarde der Arbeiter ,den „zwei Teilen der Sozialdemokratie", die sich auf denselben Gr un d-lagen der „Gleichberechtigung und Neutralisierung" vereinigen sollen, aufdenen sich jegliche Teile eines gespaltenen Ganzen stets vereinigen!

Aus Platzmangel können wir nicht mehr Zitate zur Bekräftigung die-ser Charakterisierung der Ansichten Martows anführen. Dies wird ineinigen anderen Artikeln geschehen, falls es überhaupt erforderlich ist,denn es wird wohl kaum jemand wagen zu bestreiten, daß Martow auf

dem Boden der „Theorie der Gleichberechtigung" steht.Diese neue Theorie ist jedoch ein offenes Auftreten gegen die Ent-

schließungen des Plenums, mehr noch: ist deren direkte Verhöhnung. Füralle, die die Beschlüsse des Plenums gewissenhaft erfüllen, besteht derklare Sinn dieser Beschlüsse darin, daß die Spaltung zwischen den partei-treuen Menschewiki und den parteitreuen Bolschewiki, die Spaltung die-ser altherkömmlichen Traktionen beseitigt werden muß, und keineswegsdie „Spaltung" zwischen allen Legalisten überhaupt und unserer illegalen

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Der „ Qolos" der Liquidatoren gegen die "Partei 153

SD AP R. D ie von de r Pa rtei abg espaltenen Legalisten werde n keineswegsals ein der Partei gleichartiger oder der Partei gleichberechtigter „Teil der

Sozialdemokratie" betrachtet. Im Gegenteil, sie werden zurück zur Parteigerufen unter der klar zum Ausdruck gebrachten "Bedingung des Bruchsmit dem Liquidatorentum (d. h. mit dem Legalismus um jeden Preis) unddes Übergang s zum Pa rteis tandpunkt, des Übergang s zur „parteimäßigenLebensweise". Der Brief des ZK über die Konferenz, dieser offizielle

und für die Partei unb eding t verbindliche Komm entar zu den Resolutionendes Plenums, sagt mit absoluter Klarheit, daß die illegalen Organisationen

enisdbeiden müssen, ob die Legalisten in der 7at zur Partei stehen*, d. h .,der Brief lehn t speziell die „Th eorie d er Gleichberechtigung" ab !

Dieser Brief des ZK wurde einer speziellen Entschließung des Plenumszufolge von einer besonderen Kommission, bestehend aus den GenossenGrigori56, Innokenti5 7 und Martow, verfaßt. Der Brief wurde von der ge-

samten Kommission einstimmig gebilligt. Jetzt wechselt Genosse Martow- gleichsam un ter dem Einfluß irgendein es bös en Geistes - die Fron t,schreibt einen Artikel, der völlig von einer direkt entgegengesetzten Theo-rie durchdrunge n ist, un d beschwert sich noch, als wolle er die Parte i ver-spotten, wenn dieser Artikel zum Diskussionsartikel erklärt wird!

Es ist natürlic h offensichtlich, da ß diese Th eo rie d er Gleichberechtigung,

die in allen übrigen Artikeln des „Golos" noch weit schärfer und gröberals bei Martow zum Ausdruck kommt, in Wirklichkeit zur Untero rdnung

der Partei unter die Liquidatoren führt, denn ein Legalist, der sich derillegalen Partei gegenüberstellt und sich als mit ihr gleichberechtigt an-sieht, ist eben nichts anderes als ein Liquidator. Die „Gleichberechtigung"des von der Polizei gehetzten illegalen Sozialdemokraten mit dem Lega-listen, der gesichert ist durch seine Legalität und seine Losgelöstheit von

* Siehe Nr . 11 des Z O , S. 11/12: „N ur die örtlichen Organisationen können

gewährleisten, daß diese zusätzliche Vertretung nur auf diejenigen angewendetwird, die wirklidb (hervorgehoben im „Brief") parteitreu sind; unsere örtlichenFunktionäre werden nicht nur nach den Worten dieser Funktionäre der legalenBewegung urteilen, sondern auch nach deren Jäten, und werden alles daran-setzen, daß nur diejenigen herangezogen werden, die dem Wesen der Sachenach auch jetzt einen Teil unserer Pa rtei bilden, die unserer Parteiorganisationbeitreten wollen, um wirklich für sie zu arbeiten, sie zu festigen, sich ihr unter-zuordnen und ihr zu dienen" usw.

11 Lenin, Wette, Bd. 16

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154 W. 1. Lenin

der Partei, ist in Wirklichkeit eine „Gleichberechtigung" des Arbeiters mitdem Kapitalisten.

Dies alles ist derart offensichtlich, die Verhöhnung des Plenumbeschlus-ses und seiner Erläuterung im Brief des ZK von Seiten des „G olos" ist der-art offenkundig, daß der Artikel Martows gar nicht anders genannt wer-den kann als ein Artikel, der den „richtigen Weg" ... zum Sieg der Liqui-datoren über die Partei aufzeigt.

Die parteitreuen Menschewiki haben diese Gefahr bereits erkannt.Beweis - N r. 11 des „Dnewnik Sozialdemokrata", worin der MenschewikPledianow, der lediglich die Resolution des Plenums gelesen und nochnicht den „Brief" des ZK in Händen hatte, speziell darauf verweist, daß

bei einem „unaufmerksamen Verhalten" zu den Worten der Resolutionüber die Legalisten, „die bereit sind, eine feste organisatorische Verbin-dung zu den örtlichen Parteizentren herzustellen" - „die Liquidatoren'hier eine bequeme Hintertür finden kö nnten" (S. 20).

Ist es nicht offensichtlich, daß Plechanow seine „Golos"-Leute ausge-zeichnet studiert hat? Er verwies auf eben jene Hintertür der Liquidatoren,die der „Golos Sozial-Demokrata" Nr. 19/20 aus Leibeskräften, in fastallen Artikeln, von der ersten bis zur letzten Zeile „herausarbeitet". Sindwir nicht im Recht, ihn den „Golos" der Liquidatoren zu nennen?

W ie weit die Verteidigung des Liquidatorentums bei den „Golos"-Leu-ten geht, zeigt folgende Stelle aus dem „Brief an die Genossen":

„Das Z O . . . m uß sich das Vertrauen erringen, sowohl unter denlebensfähigen Elementen der alten illegalen Organisationen ...." (die ille-galen Parteiorganisationen erweisen sowohl dem ZK als auch dem ZOvolles Vertrauen,- es ist lächerlich, hier von einem „Erringen" auch nur zusprechen) „als auch unter den neuen legalen Organisationen, die heute diewichtigste Heimstätte (siehe da!) der sozialdemokratischen Arbeit sind."Also, die von der Partei abgespaltenen Legalisten sind die wichtigste

"Heimstätte. Nicht sie müssen das Vertrauen der Partei erringen, in derTat ihre Parteitreue beweisen, Parteimitglieder werden, zum Parteiprin-zip zurückfinden, sondern die Partei in Gestalt des ZO muß „ihr Ver-trauen erringen" - offenbar durch die getarnte Verteidigung des Liquida-torentums, durch die Vorbereitung von Hintertüren für das Liquidatoren-tum, wie wir sie beim „Golos" sehen!!

Der gesamte Artikel des Gen. Th. Dan „Kampf um die Legalität" ist

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Der .Qolos" der Liquidatorer. gegen die Partei 155

ganz und gar vom Geist des Liquidatorentums durchdrungen, der bis zumdirekten Reformismus geht. Wenn Gen. Dan äußert, daß der „Kampf um

die Legalität" „eine der grundlegenden revolutionären Aufgaben", das„Banner" usw. ist, so verficht er nicht den sozialdemokratischen, sondernden kadettischen Standpunkt. „Illegaler Zusammenschluß als notwendigeW affe im Kampf u m die Legalität" - verkünd et G en. D an . Da s ist Ka-dettenart. Bei den Kadetten ist die Partei illegal, aber die Illegalität derKadetten ist eben nur eine „notwendige Waffe im Kampf um die Legali-tät ". Bei der Sozialdemo kratie ist der legale Zusammenschluß gegenwärtigeine der notwendigen Waffen der illegalen Partei.

„In seinem Lichte" (des Kampfes um die Legalität) , „in seinem Namen

allein ist gegenwärtig ein solcher Kampf des Proletariats möglich, ders ich . . . den Sturz der Se lbs ther r schaf t . . . zum Zie l s te l l t . . . "

Dieser Gedanke muß wiederum umgestülpt werden, damit ein sozial-demokratischer Gedanke daraus wird. Nur im Lichte des Kampfes fürden Sturz der Selbstherrschaft, nur im Namen dieses Kampfes ist einewirklich sozialdemokratische Arbeit in den legalen Organisationen mög-lich. Nur im Namen des Kampfes für die unbeschnittenen revolutionärenForderungen des Proletariats, nur im Lichte des Programms und derTaktik des revolutionären Marxismus ist eine wirklich erfolgreiche Aus-

nutzung aller legalen Möglichkeiten durch die Sozialdemokratie möglich,ist deren ganz beharrliche Verteidigung und Verwandlung in Stützpunkteunserer Parteiarbeit möglich und notwendig.

Aber auch das ist noch nicht alles. Die „Golos"-Leute handeln denBeschlüssen des Plenums direkt zuwider, wenn sie in ihrem Brief wie auchin ihrer Zeitung entgegen den Beschlüssen des ZK für das Weiierersdbei-

nen des „ Qolos" agitieren. Wir wollen hier nicht jene lächerliche undklägliche Sophistik untersuchen, mit der man die Hintertreibung desParteibeschlusses zu rechtfertigen sucht. W ir begnüg en uns lieber - zu-

mindest in dem vorliegenden kurzen Artikel - mit einem Hinweis auf dieStimme des parteitreuen Tdens&ewismus, auf Nr. 11 des „Dnewnik".Genosse Plechanow hat auch diese Hintertür der Liquidatoren voraus-gesehen, als er offen, klipp und klar das aussprach, woran kein einzigerloyaler Sozialdemokrat zweifeln kann: „Die Agitation gegen das Ein-stellen des ,Golos'", schreibt er auf S. 18, ist „Agitation gegen die Liqui-dieru ng de r Frak tion, d. h. für ein Zunidhtemadben des wichtigsten der

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156 W.J.£enin

möglichen Resultate der Plenartagung des ZK." Was stellt der „GolosSozial-Demokrata" für die Menschewiki der bekannten Richtung dar? Erstellt ihr faktisches fraktionelles Zentrum dar - und zwar ein Zentrumohne Verantwortung.

Genauso ist es. Zunidrtemadhen der Vereinigung - darauf läuft doch dieSache des „Golos" Nr. 19/20 und des Manifests der vier „Golos"-Redak-teure gegen die Beschlüsse des Plenums hinaus. Nach dem Vereinigungs-plenum verteidigen sie das Liquidatorentum weit offener und weitausskrupelloser als vor dem Plenum. Wenn ihr Manifest den Menschewikimitteilt, daß der Brief des Auslandsbüros des ZK an alle Gruppen 5 8 - einBrief, der zur Herstellung der wirklichen Einheit aufruft - gegen die

Stimmen der mensdbewistisdhen und bundistisdhen Mitglieder des Aus-landsbüros des ZK angenommen wurde, so begreift jeder, daß wir es miteinem schlecht bemäntelten Aufruf zu tun haben, sidb diesem Brief nidbt

unterzuordnen, die im Ausland vollzogene Einigung zu hintertreiben.Mögen die parteitreuen Menschewiki, welche die „Golos"-Leute verur-teilen, von der Verurteilung zur lat schreiten, wenn sie allen Ernstes dieParteivereinigung durchsetzen wollen. Von den parteitreuen Mensche-wiki hängt jetzt diese Vereinigung ab, von ihrer Bereitschaft und Fähigkeit,

den direkten Kampf sowohl gegen das ausländische als auch gegen das

russische „faktische Zentrum" der liquidatorischen „Golos"-Leute zuführen.

Dieses russische Zentrum, das russische M Z (menschewistische Zen-trum) tritt offen in Nr. 19/20 des „Golos" auf, tritt mit einem „offenenBrief" hervor, in dem Plechanow zu einem „Liquidator der Idee desMenschewismus" gestempelt wird. Das Ausscheiden der Menschewikiaus der Partei erklärt - oder besser gesagt, rechtfertigt - dieses russischeM Z mit der „allgemein beka nnten Erscheinung der Erstarrun g der P ar-teizellen" !! Die Ausscheidenden - erläutert uns das Man ifest des M Z -

„werden verleumderischerweise Liquidatoren genannt" (S. 24 des„Golos") .

Wir fragen die einigermaßen unvoreingenommenen Sozialdemokraten,wir fragen insbesondere die sozialdemokratischen Arbeiter ohne Unter-schied der Strömungen, bedeutet das Erscheinen dieses Manifests desMZ unmittelbar nach dem Plenum nicht das Zunidbtemadben der Sacheder Vereinigung?

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Der „Qolos" der Liquidatoren gegen die Partei 157

Wir halten es für unsere Pflicht, der gesamten Partei die Namen der-

jenigen mitzuteilen, die dieses berühmte Dokument - wir sind überzeugt,daß es herostratisch berühmt wird - unterzeichnet haben: 1. Augustow-s k i , 2. Anton, 3. Wadim, 4. W. Petrowa, 5. Georgi, 6 . Georg, 7. Jewg.Ga-as, 8. Kramolnikow, 9. D. Kolzow, 10. Nat. Michailowa, 11. Roman,1 2 . Romul, 13. Solomonow, 14. Tscherewanin (natürlich!), 15. Juri,1 6 . J. P-i.59

„Diese Unterschriften", schreibt die Redaktion des „Golos", „sind vonalten Parteifunktionären, die der Redaktion gut bekannt sind; einigevon ihnen hatten in der Partei verantwortliche Funktionen inne."

Diese Namen, antworten wir , werden von allen bewußten sozialdemo-kratischen Arbeitern angeprangert werden, wenn sie den „Golos Sozial-Demokrata" Nr. 19/20 durchlesen, wenn sie sich mit den Beschlüssendes Plenums vertraut machen, wenn sie folgende Tatsache erfahren:

Das Russische Büro des ZK hat dieser Tage einen offiziellen Brief andas Auslandsbüro des ZK (das Exekutivorgan des Zentralkomitees imAusland) gerichtet. In diesem Brief heißt es wörtlich:

„ W i r h a b e n u n s a n d i e Q e n o s s e t i M i c h a i l6 0

,

R o m a n u n d J u r i " ( w i r h a b e n d i e s e N a m e n o b e n

h e r v o r g e h o b e n ) „ m i t d e m V o r s c h l a g g e w a n d t ,i h r e A r b e i t a u f z u n e h m e n , h a b e n a b e r v o n i h n e n

e i n e A n t w o r t e r h a l t e n , d i e b e s a g t , d a ß s i e n i c h t

n u r d i e B e s c h l ü s s e d e s P l e n u m s a l s s c b ä d l i c h a n -

s e h e n , s o n d e r n a l l e i n s c h o n d a s B e s t e h e n d e s

Z e n t r a l k o m i t e e s f ü r s c h ä d l i c h h a l t e n . M i t d i e s e r

B e g r ü n d u n g w e i g e r n s i e s i c h , a u c h n u r z u e i n e r

S i t z u n g z u m Z w e c k d e r K o o p t i e r u n g z u e r s c h e i -

n e n ..."*

* Wir führen zusätzlich alle Stellen aus den Briefen (des Russischen Bürosdes ZK und eines der in Rußland tätigen Mitglieder des ZK 61 ) an, die sich aufden Aufruf des ZK in Rußlan d bezieh en:

„Wir bitten den Genossen Martow und die menschewistischen ZK-Mitglie-der, uns unverzüglich die Namen und Adressen der Genossen mitzuteilen, diesie zur Kooptierung vorschlagen (die Petersburger Menschewiki haben dies ab-gelehnt) ..." „Das Russische Kollegium kann zur Zeit nicht einberufen wer-den: fast niemand ist einverstanden, kooptiert zu werden; bis jetzt hat nur ein

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158 TV.I.Lenin

(Erläutern wir von uns aus: Die Häupter des mensdiewistischen Zen-

trums lehnen es nicht nur selbst ab, das ZK zu unterstützen, sondernlehnen es auch ab, zur Kooptierung anderer Menschewiki, zur Kooptie-rung menschewistischer Arbeiter zu erscheinen, wobei sie genau wissen,daß die Ablehnung, an einer Sitzung zur Kooptierung teilzunehmen, dieArbeit des ZK hemm t, seine Konstituierung hemmt, ein "Hinauszögern -vielleicht für M onate - der Aufnahme der Arbeit des ZK als ZK bedeutet.)

Die gleichen Leute also, die mit Unterstützung und Billigung vonAxelrod, Dan, Martow und Martynow in der Presse erklären, daß Ple-chanow sie „verleumderischerweise Liquidatoren' nennt", sabotieren

direkt das Bestehen des ZK selbst, proklamieren dessen Bestehen alsschädlich.

Die gleichen Leute, die in der illegalen Presse (durch den „Golos")und in der legalen Presse (durch die Liberalen) lauthals von der „allgemeinbekannten Erscheinung der Erstarrung der Parteizellen" zetern, hinter-treiben selbst die "Versudhe, diese Zellen zu beleben, sie wiederherzu-stellen, ihre Arbeit in Gang zu setzen, und das sogar bei einer solchenZelle wie dem ZK .

Mögen nunmehr alle Sozialdemokraten erkennen, wen das Manifest

der Genossen A xelrod, Dan, Martow und Martynow meint, wenn es vonden „Persönlichkeiten der legalen Bewegung, die jetzt die wichtigstenvorgeschobenen Posten des kämpfenden Proletariats einnehmen", spricht.Mögen nunmehr alle Sozialdemokraten erkennen, an wen sich die Redak-tion des „Golos" wendet, wenn sie schreibt: „Wir möchten, daß dieGenossen" (die Michail, Roman, Juri) „die Bedeutung der Bresche wür-digen, die jetzt in das offizielle Dogma geschlagen worden ist, das dieBolschewik seine Zusage gegeben, und auch das unter Vorbehalt. Die "Mensdbe-wiki (Tdidhail, %oman und Juri) haben es kategorisdb abgelehnt, weil sie die

Arbeit des ZK für sdhädlidh halten. Die Resolutionen des Plenums sind naäoAnsidbt von 7Aidaa.il und anderen ebenfalls sdhädlidb. Die Einmisdiung des ZKin den spontanen Prozeß der Qruppierung der sozialdemokratisdoen Xräfteinnerhalb der legalen Organisationen, der jetzt vonstatten geht, kommt ihren"Worten zufolge einem Abtreiben der Irudht aus dem Mutterleib im 2. "M onatder Sdhwangersdhaft gleidb. Wir bitten, uns unverzüglich andere Genossen zunennen, an die man sich mit dem Vorschlag wenden kann, sie zu kooptieren."Und es wäre audh wünsdhenswert, die Stellung der Qenossen zu diesem Ver-halten Midoails und der anderen zu veröffentlidhen."

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Der „Qolos" der Liquidatoren gegen die Partei 159

Parteiorganisation tatsächlich zum unausbleiblichen Erstarren verurteilt,

und daß sie versuchen, die ihnen" (den Michail, Roman, Juri) „durchdiese Bresche geöffneten Positionen einzunehmen."

Wir wenden uns an alle Organisationen, an alle Gruppen unserer

Partei und fragen sie, haben sie die Absicht, diese Verhöhnung der Sozial-

demokratie zu dulden? Ist es jetzt statthaft, passiver Beobachter dessen

zu bleiben, was sich abspielt, oder ist es nicht Pflicht, entschlossen gegen

eine Strömung zu kämpfen, die die Existenz der Partei selbst untergräbt?

Wir fragen alle Sozialdemokraten Rußlands, können sie jetzt noch

Zweifel haben, worin die praktische, realpolitische Bedeutung der „Theo-

rie der Gleichberechtigung" der Strömungen, der Gleichberechtigung derLegalisten und der illegalen Partei, der Theorie des „Kampfes um die

Legalität" usw; usf. besteht?

Hinter diesen Theorien, diesen Erörterungen, diesen Ausflüchten ber-

gen sich wie hinter einem Schild solche Jeinde der Sozialdemokratie wie

die Michail, Roman und Juri, solche ihrer politischen Helfershelfer wie

die sechzehn menschewistischen Herostraten, solche ihrer ideologischen

Führer wie die Literaten, die den „Golos Cikwidatorow" [Stimme der

Liquidatoren] leiten.

Also: Nr. 19/20 des „Golos Sozial-Demokrata" und das Spaltermani-fest der vier Redakteure des „Golos" „An die Genossen" ist eine direkte

Agitation:

für das 7 r akti ons or g an , gegen die Einheit,

gegen die Einigung im Ausland,

zur V erfechtung des offensichtlichen Liquidatoren-

tums,

zur Verteidigung der direkten Qegner dies Bestehens

desZX.

Gegen die Partei!

Die Verschwörung gegen die Partei ist aufgedeckt. Erhebt euch alle,

denen das Bestehen der SDAPR teuer ist, zur Verteidigung der Partei!

geschrieben am ii. (2i.)JAärz i9iO.

Veröffentlicht zwischen dem 7Sado dem Jext des Sonderdrucks,

\2 . und i6. (25. und 29J TAärz verglichen mit dem 7ext des

in dem Sonderdruck des „ Sozial- „ Sozialdemokrat".

Demokrat" [Nr. 12.

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160

W O F Ü R K Ä M P F E N ?

Dem jüngsten Auftreten der in der Duma herrschenden Partei derOktobristen kommt im Zusammenhang mit den in und außerhalb derDuma gehaltenen Reden rechter Kadetten zweifellos eine große sympto-matische Bedeutung zu. „Wir sind im Land und in der Duma isoliert",beklagte sich das Haupt der Partei der konterrevolutionären Kapitalisten,Herr Gutschkow. Und der „Wechi"-Mann Herr Bulgakow spricht ihmim „Moskowski Jeshenedelnik" wie ein Echo nach: „Sowohl die Reaktionals auch die Revolution verneint die ,Unantastbarkeit der Persönlichkeit',

mit Leib und Seele bekennen sie im Gegenteil deren ,Antastbarkeit' - inganz gleicher Weise Markow 2 mit der Hetze gegen die Fremdstämmigenund der Pogrommoral sowie der Sozialdemokrat Gegetschkori, der imNamen der Unantastbarkeit der Persönlichkeit an die ,zweite große rus-sische Revolution' appelliert." (Nr. 8, 20. Februar 1910, S. 25.)

„Wir warten", wandte sich Herr Gutschkow in der Duma an diezaristische Regierung, damit konstatierend, daß die Bourgeoisie, die sichmit Leib und Seele der Konterrevolution ergeben ha t, bis jetzt ihre Inter-essen nicht als gesichert anerkennen, nichts wirklich Festes und Stabiles

im Sinne der Schaffung der berüchtigten „erneuerten" Ordnung sehenkann.Und der „Wechi"-Mann Bulgakow spricht wie ein Echo nach: „Ich

hänge mit nicht nachlassendem Schmerz alten, bitteren und schmerzhaftenGedanken nach: das ist ja doch ein und dasselbe (d. h., sowohl Reaktionals auch Revolution sind dasselbe, nämlich - ) . . . der gleiche mit Gewaltverwirklichte Maximalismus . . . Beginnen doch in der letzten Zeit manche,sich sdbon wieder nach einer neuen Revolution zu sehnen, als ob man

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Wofür kämpfen? 161

jetzt, nach den gemachten Erfahrungen, von ihr etwas anderes erwarten

könnte als den endgültigen Zerfall Rußlands." (S. 32.)Sowohl der Führer der größten bürgerlichen Partei in der Duma alsauch der in der liberalen „Gesellschaft" populäre rechtskadettische Publi-zist (die „Wechi" erscheinen in der fünften Auflage) - beide beklagensich, beide stöhnen, beide konstatieren, daß sie isoliert sind. Ideologischisoliert unter den Maximalisten der Reaktion und unter den „Maxima-listen" der Revolution, unter den Helden der Schwarzhunderter undunter den „sich nach einer neuen Revolution Sehnenden" (den Liberalen?)- „isoliert in der Duma und im Land" .

Diese Isoliertheit des „Zentrums", diese Isoliertheit der Bourgeoisie, dieeine Veränderung des alten Regimes, aber keinen Kampf gegen diesesRegime wünscht, die eine „Erneuerung" des Zarismus möchte, aber sei-nen S turz fürchtet - das ist keine neue Erscheinung in der Geschichte derrussischen Revolution. Im Jahre 1905, als die revolutionäre Massenbewe-gung unentwegt anwuchs und dem Zarismus Schlag auf Schlag versetzte,fühlten sich sowohl die Kadetten als auch die Oktobristen „isoliert". DieKadetten (die damaligen „Oswoboshdenzen") begannen sich bereits nachdem 6. August 1905 zu sperren, indem sie sich gegen den Boykott der

Bulyginschen Duma aussprachen. Die Oktobristen „sperrten sich" nachdem 17. Oktober endgültig. In den Jahren 1906/1907 waren die Kadettenin beiden Dumas „isoliert", sie waren nicht imstande, ihre Mehrheit aus-zunutzen , ohnmächtig lavierten sie zwischen dem Zarismus und der Revo-lution, zwischen den erzreaktionären Gutsbesitzern und dem proletarisch-bäuerlichen Ansturm. Trotz der Mehrheit in beiden Dumas waren dieKadetten die ganze Zeit isoliert, waren in der Zwickmühle zwischen Tre -pow und der wahrhaft revolutionären Bewegung und traten ruhmlos vomSchauplatz ab , ohne einen einzigen Sieg errungen zu haben. In den Jahren1908/1909 hatten die Oktobristen die Mehrheit in der III. Duma, gingenHand in Hand mit der Regierung, unterstützten sie mit Leib und Seele -und jetzt sind sie gezwungen einzugestehen, daß in Wirklichkeit nicht sie,sondern die Schwarzhunderter kommandierten, daß die oktobristischeBourgeoisie isoliert ist.

Das sind die Resultate hinsichtlich der historischen Rolle der Bour-geoisie in der russischen bürgerlichen Revolution. Die Erfahrung einesJahrfünfts (190 5-19 09), das überreich an Ereignissen war und in dem

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162 W.1. Lenin

sich der Kampf der Massen, der Klassenkampf in Rußland am offensten

entfaltete, hat faktisd) bewiesen, daß beide Flügel unserer Bourgeoisie,sowohl der kadettische als auch der oktobristische, sich in Wirklichkeit

durch den Kampf der Revolution und der Konterrevolution als neutra-lisiert erwiesen hab en, als unv erm ögen d, ohnm ächtig un d kläglich zwischenden feindlichen Lagern hin und her schwankend.

Durch ihren ständigen Verrat an der Revolution hat die Bourgeoisievoll und ganz die groben Fußtritte, die Beschimpfungen und das An-spucken verdient, alles, was sie so lange vom Zarismus der Schwarz-hunderter, von den zaristisch-gutsbesitzerlichen Schwarzhundertern ein-

stecken muß. Und natürlich haben nicht irgendwelche besonderen mora-lischen Eigenschaften diesen Verrat von sehen der Bourgeoisie und diehistorische Vergeltung, die an ihr geübt wurde, hervorgerufen, sonderndie widersprüchliche ökonomische Lage der Kapitalistenklasse in unsererRevolution. Diese Klasse fürchtete die Revolution mehr als die Reaktion,den Sieg des Volkes mehr als die Aufrechterhaltung des Zarismus, dieKonfiskation der Gutsbesitzerländereien mehr als die Aufrechterhaltungder Macht der Fronherren. Die Bourgeoisie gehörte nicht zu den Elemen-ten, die in der großen revolutionären Schlacht nichts zu verlieren hatten.

Ein solches Element war in unserer bürgerlichen Revolution nur dasProletariat, und mit ihm waren das die Millionen der ruinierten Bauern-schaft.

Die russische Revolution bestätigte die Schlußfolgerung, die Engelsaus der Geschichte der großen bürgerlichen Revolutionen des Westenszog, nämlich: um selbst nur das zu erreichen, was für die Bourgeoisieunmittelbar notwendig ist, mußte die Revolution weiter geben als dieForderungen der Bourgeoisie62 . Und das Proletariat Rußlands hat dieRevolution geführt, führt sie und wird sie weiter voranjübren, die Ereig-

nisse darüb er hinaus vorantreibend, w o sie die Kapitalisten und Liberalenaufhalten wollten.

In der Bankettkampagne von 1904 hielten die Liberalen auf jede Weisedie Sozialdemokraten zurück, weil sie deren stürmische Einmischungfürchteten. Die Arbeiter ließen sich von dem Gespenst des eingeschüch-terten Liberalen nicht erschrecken und führten die Bewegung voran, zum9. Januar, zu der sich über ganz Rußland ausbreitenden Welle ununter-brochener Streiks.

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Wofür kämpfen? 163

Die liberale Bourgeoisie, einschließlich der „Oswoboshdenzen", in jener

Zeit „illegal", rief das Proletariat zur Teilnahme an der BulyginschenDuma auf. Das Proletariat ließ sich von dem Gespenst des eingeschüch-terten Liberalen nicht erschrecken und führte die Bewegung voran zumgroßen Oktoberstreik, zum ersten Sieg des Volkes.

Die Bourgeoisie spaltete sich nach dem 17. Oktober. Die Oktobristentraten entschlossen auf die Seite der Konterrevolution. Die Kadettenrückten vom Volk ab und drängten sich ins Vorzimmer von Witte. DasProletariat schritt vorwärts. Es mobilisierte, sich an die Spitze des Volkesstellend, solche Millionenmassen zum selbständigen historischen Han-

deln, daß einige Wochen wirklicher Freiheit ein für allemal eine un-auslöschbare Grenze zwischen dem alten und dem neuen Rußland zogen.Das Proletariat hob die Bewegung auf die höchstmögliche Stufe desKampfes, auf die Stufe des bewaffneten Aufstands fan Dezember 1905.Es erlitt in diesem Kampf eine Niederlage, wurde aber nicht zerschlagen.Sein Aufstand wurde unterdrückt, aber es erreichte, daß es im Kampfalle revolutionären Kräfte des Volkes vereinte, es ließ sich beim Rückzugnicht demoralisieren und zeigte den Massen — zeigte erstmalig in derneuesten Geschichte Rußlands den Massen -, daß es möglich und not-

wendig ist, den Kampf bis zu Ende zu führen. Das Proletariat wurdezurückgeworfen, aber es ließ das hehre Banner der Revolution nicht ausseinen Händen, und in der Zeit, als die Kadettenmehrheit der I . undII. Duma sich von der Revolution lossagte, ihre Flamme zu löschenbemüht war, Trepow und den Stolypin ihre Bereitschaft und Fähigkeitbe teu erte , sie zu löschen - erho b das P role taria t offen dieses B anner, riefweiterhin zum Kampf auf, fuhr fort, die Kräfte für,den Kampf zu er-ziehen, zusammenzuschließen und zu organisieren.

Die Sowjets der Arbeiterdeputierten in allen großen Industriezentren,

eine Anzahl ökonomischer Errungenschaften, die den Kapitalisten abge-zwungen wurden, die Sowjets der Soldatendeputierten in der Armee,die Bauernkomitees in Gurien und in anderen Gegenden und schließlichdie kurzlebigen „Republiken" in einigen Städten Rußlands - dies alleswar der Anfang der Eroberung der politischen Macht durch das Prole-tariat, das sich auf die revolutionäre Kleinbourgeoisie, insbesondere aufdie Bauernschaft, stützte.

Die Dezemberbewegung von 1905 ist deshalb bedeutend, weil sie

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164 W . J. Lenin

erstmalig eine „erbärmliche Nation, eine Nation von Sklaven" (wie

N . G. Tschernyschewski Anfang der sechziger Jahre sagte63) in eine Nationverwandelte, die fähig ist, unter der Führung des Proletariats den Kampfgegen die Natter der Selbstherrschaft bis zu Ende zu führen und dieTAassen in diesen Kampf einzubeziehen. Diese Bewegung ist deshalb be-deutend, weil das Proletariat hier an Hand der praktischen Erfahrunggezeigt hat, daß die Eroberung der Macht durch die demokratischen M as-sen möglich ist, daß die Republik in Rußland möglich ist, weil es gezeigthat, „wie das zu mad ben ist" ', weil es das praktische Herangehen derMassen an die konkrete Erfüllung dieser Aufgabe gezeigt hat. Durch

den Dezemberkampf hat das Proletariat dem Volk eine der Erbschaftenhinterlassen, die politisch-ideologisch ein Leuchtfeuer für die Arbeit eini-ger Generationen sein können.

Und je dunkler sidi jetzt die Wolken der wütenden Reaktion zusam-menballende größer die Bestialitäten der konterrevolutionären zaristischenSchwarzhunderter sind, je häufiger man sehen kann, wie sogar die O kto-bristen den Kopf schütteln und sagen, daß sie auf Reformen „warten" undsie nicht erwarten können, je häufiger die Liberalen und Dem okraten „sichnach einer neuen Revolution sehnen", je gemeiner die Reden der „W echi"-

Leute („man muß ganz bewußt die Revolution nidbt wollen" — Bulgakow,ebenda S. 32), um so energischer muß die Arbeiterpartei das Volk daranerinnern, wofür zu kämpfen ist.

Davon, daß für die im Jahre 1905 gestellten Ziele, für die Aufgaben,an deren Verwirklichung die damalige Bewegung dicht herankam, jetztinfolge der veränderten Verhältnisse, infolge der anderen Situation dergegenwärtigen historischen Periode in anderen Formen gekämpft wer-den muß, davon haben wir bereits des öfteren gesprochen. Die Versucheder Selbstherrschaft, sich auf den Typ einer bürgerlichen Monarchie um-

zustellen, ihr lang währender Kuhhandel mit den Gutsbesitzern und derBourgeoisie in der III. Duma, die neue bürgerliche Agrarpolitik usw. -dies alles führte Rußland in einen spezifischen Abschnitt seiner Entwick-lung, stellte der Arbeiterklasse die langfristigen Aufgaben der Heran-bildung einer neuen proletarischen A rmee - und einer neuen Revolutions-armee -, die Aufgaben der Erziehung und Organisierung der Kräfte,der Ausnutzung der Dumatribüne und aller Möglichkeiten der halb-legalen Tätigkeit,

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"Wofür kämpfen? 165

Man muß verstehen, unsere taktische Linie durchzuführen, man mußverstehen, unsere O rganisation so aufzubauen, d aß unte r Berücksichtigungder veränderten Lage die Aufgaben des Kampfes nidrt herabgesetzt,nicht beschnitten werden, damit der politisch-ideologische Inhalt selbstder auf den ersten Blick sehr bescheidenen, unscheinbaren und gering-fügigen Arbeit nicht herabgemindert wird. Es wäre gerade eine solcheHe rabse tzung der Aufgaben und eine Verstüm melung des politisch-ideolo-gischen Inhalts des Kampfes, wenn wir z. B. für die sozialdemokratischePar tei die Losu ng des Kampfes für eine legale Arb eiterbe we gun g auf-stellten.

Als selbständige Losung ist das keine sozialdemokratische, sonderneine kadettische Losung, denn nur die Liberalen träumen von der Mög-lichkeit einer legalen Arbeiterbew egung ohne neue R evolution (und davonträumend, predigen sie dem Volk falsche Lehren). Nur die Liberalen be-schränken ihre Aufgaben auf ein untergeordnetes Ziel, wobei sie - wieauch die Liberalen Westeuropas - darauf rechnen, das Proletariat mitder „reformierten", ein wenig gesäuberten, „verbesserten" bürgerlichenGesellschaft auszusöhnen.

Das sozialdemokratische Proletariat befürchtet einen solchen Ausgangnicht, sondern ist im Gegenteil davon überzeugt, daß jede diese Bezeich-nung verdienende Reform, jede Erweiterung seines Betätigungsfeldes,der Grundlage seiner Organisation und Bewegungsfreiheit seine Kräfteverzehnfachen und den revolutionären Massencharakter seines Kampfeserhöhen wird. Aber gerade um eine wirkliche Erweiterung des Umfangsseiner Bewegung zu erreichen, um eine teilweise Verbesserung zu er-reichen, gerade deshalb muß man den proletarischen Massen keineeingeschränkten, keine beschnittenen Kampf osungen geben. Teilweise Ver-besserungen können (und waren das immer in der Geschichte) nur Neben-ergebnisse des revolutionären Klassenkampfes sein. Nur wenn wir den

proletarischen Massen die Aufgaben in ihrem ganzen Umfang und ihrerganzen Größe stellen, die das Jahr 1905 unserer Generation vermachthat, sind wir im stande, die Grundlage der Bewegung wirklich zu erweitern,große Massen in diese Bewegung einzubeziehen, ihnen den selbstlosenrevolutionären Kampfgeist einzuflößen, der die unterdrückten Klassenstets zum Sieg über ihre Feinde geführt hat.

Nicht die geringste, nicht eine einzige Möglichkeit des offenen Han-

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166 •W.3.£enin

delns, der offenen Aktion, der Erweiterung der Grundlage der Bewegung,

der Einbeziehung immer neuer und neuer Schichten des Proletariats indie Bewegung, der Ausnutzung jedes schwachen Punktes in der Positionder Kapitalisten für einen Angriff auf sie und für die Eroberung von Ver-besserungen der Lebenslage verschmähen - und gleichzeitig diese ganzeTätigkeit mit dem Geist des revolutionären Kampfes erfüllen, die Auf-gaben, vor denen wir im Jahre 1905 standen und die wir damals nichtgelöst haben, bei jedem Schritt und an jeder W ende der Bewegung in ihrerganzen 7ü tte erklären - so muß die Politik und die Taktik der Sozial-demokratischen Arbeiterpartei Rußlands sein.

„Sozial-Vemokrat" Nr. 12, "Nach dem Text des23. März (.5. April) i910. .Sozial-Demokra t".

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F E L D Z U G G E G E N F I N N L A N D

Am 17. März 1910 brachte Stolypin in der Reidisduma eine Vorlageein, die „Ordnung über den Erlaß Finnland betreffender Gesetze und

Verfügungen von gesamtstaatlicher Bedeutung". Unter dieser amtlich-bürokratischen Überschrift verbirgt sich der unverschämteste Feldzagder Selbstherrschaft gegen die Freiheit und Selbständigkeit Finnlands.

In der Stolypinschen Gesetzesvorlage ist die Rede davon, alle die-jenigen finnischen Angelegenheiten, die „nicht allein nur die innerenAngelegenheiten dieses Gebiets betreffen", der Reichsduma, dem Reichs-rat und Nikolaus II. zur Entscheidung zu übertragen. Dem FinnischenLandtag wird lediglich das Recht zugestanden, „Gutachten" zu diesenAngelegenheiten zu geben, wobei diese Gutachten für niemanden bin-

dend sind: der Finnische Landtag wird in seiner Stellung zum Zarenreichin die Lage der Bulyginschen Duma versetzt.

Was versteht man dabei unter „Gesetzen und Verfügungen, die nichtallein nur die inneren Angelegenheiten" Finnlands „betreffen" ? Ohne diegesamte Aufzählung anzuführen, die in der Stolypinschen Vorlage17 Punkte umfaßt, weisen wir darauf hin, daß hierzu sowohl die Bezie-hungen zwischen Finnland und anderen Gegenden des Zarenreichs aufdem Gebiet des Zolls als auch die Einschränkung der finnischen Straf-gesetzgebung sowie das Eisenbahnwesen, das Währungssystem in Finn-

land, die Bestimmungen über öffentliche Versammlungen, die Presse-gesetze in Finnland u . a. gehören.

Alle derartigen Fragen der oktobristischen Schwarzhunderterduma zurEntscheidung überlassen! Die völlige Vernichtung der finnischen Jreiheit -das beabsichtigt die Selbstherrschaft, wobei sie sich auf die Vertreter derGutsbesitzer und der Großkaufleute, die durch die Verfassung vom3. Juni vereinigt wurden, zu stützen gedenkt.

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168 "W. % Centn

Diese Rechnung ist fehlerlos, natürlich insoweit es sich nu r um diejenigen

handelt, die durch diese „Verfassung" legalisiert worden sind: fünfzigextreme Rechte, hundert Nationalisten und „rechte Oktobristen", hun-dertfünfundzwanzig Oktobristen - das ist das schwarze Heer, das bereitsin der Duma vereinigt und durch die lang währende Hetze der Regie-rungspresse zur Anwendung beliebiger Gewaltmaßnahmen gegen Finn-land vorbereitet ist.

Der alte Nationalismus der Selbstherrschaft, die alle „Fremdstämmi-gen" unterdrückt, wurde jetzt gefestigt, erstens durch den Haß allerkonterrevolutionären Elemente gegen ein Volk, das den Sieg des russi-

schen Proletariats im Oktober, wenn er auch nur von kurzer Dauer gewe-sen war, dazu auszunutzen verstand, in allernächster Nähe des Schwarz-hunderterzaren eine der demokratischsten Verfassungen der Welt zuschaffen und freie Verhältnisse für die Organisierung der ArbeitermassenFinnlands herzustellen, die unverbrüchlich auf der Seite der Sozialdemo-kratie stehen. Finnland nutzte die russische Revolution aus, um sich einigeJahre der Freiheit und der friedlichen Entwicklung zu sichern. Die Kon-terrevolution in Rußland beeilt sich, die völlige Stille bei „sich zu Hause"auszunutzen, um möglichst viele der innischen Errungenschaften zu be-seitigen.

Die Geschichte demonstriert gleichsam am Beispiel Finnlands, daß derberüchtigte „friedliche" Fortschritt, aus dem alle Philister einen Götzenmachen, gerade eine solche labile, ephemerische Ausnahme von kurzerDauer bildet, die voll und ganz die Regel bestätigt. Und die Regel bestehtdarin, daß nur die revolutionäre Bewegung der Massen, an deren Spitzedas Proletariat steht, daß nur die siegreiche Revolution imstande ist,dauerhafte Veränderungen im Leben der Völker durchzuführen, die Herr-schaft des Mittelalters und der halbasiatischen Formen des Kapitalismus zusprengen.

Nur da schöpfte Finnland frei Atem, als die russische Arbeiterklassesich in gigantischer Masse erhob und die russische Selbstherrschaft erschüt-terte. Und nur in der Vereinigung mit dem revolutionären Kampf derMassen in Rußland kann der finnische Arbeiter jetzt einen Weg zur Ret-tung vor der Invasion der Schw arzhunderter, der H alsabschneider suchen.

Die Bourgeoisie Finnlands offenbarte ihre konterrevolutionären Eigen-schaften sogar in diesem friedlichen Land, das die Revolution auf Kosten

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7eldzug gegen Finnland 169

der russischen Oktobertage durchmachte, das seine Freiheit dank derRüdkendedkung durch den Dezemberkampf und die zwei oppositionellen

Dum as in Rußland bew ahrte. Die Bourgeoisie Finnlands verfolgte die roteGarde der finnischen Arbeiter und beschuldigte sie des revolutionärenGeistes; sie tat alles, was sie tun konnte, um die volle Freiheit der sozia-listischen Organisationen in Finnland zu verhindern; sie glaubte, sichdurch Nachgiebigkeit (wie Auslieferung von Politikern im Jahre 1907)vor Gewaltmaßnahmen des Zarismus zu schützen; sie beschuldigte dieSozialisten ihres Landes, da ß sie von den russischen Sozialisten verdorbenworden seien, die sie mit ihrem revolutionären Geist infiziert hätten.

Jetzt kann auch die Bourgeoisie in Finnland sehen, wohin die Politik der

Zugeständnisse, der Nachgiebigkeit, der „Gefälligkeiten" sowie die Poli-tik des direkten oder indirekten Verrats am Sozialismus führt. Auß erhalbdes Kampfes der sozialistisch geschulten und von den Sozialisten organi-sierten Massen wird das finnische Volk keinen Ausweg aus seiner Lagefinden,- außerhalb der proletarischen Revolution gibt es kein Mittel, umNikolaus II. die Stirn zu bieten.

Eine Festigung des alten Nationalismus als der Politik unserer Selbst-herrschaft brachte zweitens das Anwachsen des Klassenbewußtseins undder bewußt konterrevolutionären Einstellung unserer Bourgeoisie in Ruß-

land. De r Chauvinismus wuchs bei ihr zusammen mit dem Anwachsen desHasses gegen das Proletariat als eine internationale Kraft. Der Chauvi-nismus verstärkte sich bei ihr parallel zum Wachstum und zur Verschär-fung der Konkurrenz von Seiten des internationalen Kapitals. Der Chau-vinismus trat in Erscheinung als Revanche für die Niederlage im Krieggegen die Japaner, für die Ohnmacht gegenüber den privilegierten Guts-besitzern. Der Chauvinismus erhielt Unterstützung durch den Appetitdes echt russischen Industriellen und Kaufmanns, der froh ist, Finnlandzu „erobern", wenn es schon nicht gelang, ein Stück Kuchen auf dem

Balkan abzuzwacken. Deshalb liefert die Körperschaft, die die Guts-besitzer und die Großbourgeoisie vertritt, dem Zarismus treue Verbündetefür die Abrechnung mit dem freien Finnland.

Wenn sich jedoch die Basis der konterrevolutionären „Operationen"gegenüber dem freien Randgebiet erweitert hat, so hat sich auch die Basisfür den Widerstand gegen diese Operationen erweitert. Wenn wir anStelle allein der Bürokratie und einer Handvoll einflußreicher Personen

12 L enin, W erke, Bd. 16

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170 IV . 1. Lenin

nunmehr auf seiten der Feinde Finnlands die in der dritten Duma organi-sierte Ve rtretu ng des Land adels un d de r reichen Kaufm annschaft finden,so finden wir auf Seiten seiner Freunde all die Millionenmassen, die dieBewegung von 1905 hervorbrachten, die den revolutionären Flügel in derI. und II. Duma schufen. Und wie groß auch gegenwärtig die politischeStille sein mag, diese Massen leben und wachsen trotz allem. Es wächstauch ein neuer Rädber für die neue Niederlage der russischen Revolutionheran, denn die Niederlage der finnischen Freiheit ist eine Niederlageder russischen Revolution.

Unsere russische liberale Bourgeoisie enthüllt sich jetzt ebenfalls- immer wieder und wieder - in ihrer Feigheit und Charakterlosigkeit.Die Kadetten sind selbstverständlich gegen den Feldzug gegen Finnland.Sie geben selbstverständlich ihre Stimme nicht in Gemeinschaft mit denOkto bristen ab. Abe r waren es nicht sie, die am meisten dazu beigetragenhaben, beim „Publikum" die Sympathie gegenüber dem direkten revo-lutionären Kampf, gegenüber der „Taktik" von Oktober bis Dezemberzu untergraben, die ganz allein der finnischen Freiheit zur Geburt verhalf?

- die es ihr ermöglichte, sich nu n schon länger als 4 Jahre z u b eh au pte n?Waren es nicht die Kadetten, die die russische bürgerliche Intelligenzauf d er Basis des Verzichts auf einen solchen Kampf und eine solche Ta ktik

vereinigten? Waren es nicht die Kadetten, die sich schier überschlugen, umnationalistische Gefühle und Stimmungen in der gesamten russischen ge-bildeten „Gesellschaft" zu wecken?

Wie haben sich doch die Worte der sozialdemokratischen Resolution(vom Dezember 1908) bewahrheitet, daß die Kadetten mit ihrer natio-nalistischen Agitation in Wirklidhkeit gerade dem Zarismus und niemandanderem Dienste erweisen!64 Jene „Opposition", die die Kadetten an-läßlich der diplomatischen Niederlagen Rußlands auf dem Balkan gegendie Selbstherrschaft betreiben wollten, erwies sich - wie auch zu erwarten

war - als erbärmliche, prinzipienlose, lakaienhafte Opposition, die denSchwarzhundertern "Honig ums Maul schmierte, die den Appetit derSchwarzhunderter entfachte, die dem Schwarzhunderterzaren dafür Vor-würfe machte, daß er, der Schwarzhunderterzar, nicht stark genug ist.

Nun, ihr Herren „humane" Kadetten, erntet jetzt, was ihr gesät habt.Ihr habt dem Zarismus nachgewiesen, daß er in der Verteidigung der„nationalen" Aufgaben schwach ist: der Zarismus zeigt euch nun seine

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Jeldzug gegen Finnland 171

Kraft bei der nationalistischen Verfolgung der Fremdstätnmigen. EuerNationalismus, Neoslawismus usw. hatte einen eigensüchtigen, eng klas-

senmäßigen bürgerlichen Inhalt und "war tönende liberale Phrase. DiePhrase ist Phrase geblieben, aber der Inhalt nutzte der menschenfeind-lichen Politik der Selbstherrschaft.

So war es immer, und so wird es mit den liberalen Phrasen immersein. Sie beschönigen nur die enge Habgier und die grobe Gewalt derBourgeoisie, sie schmücken nur die Ketten des Volkes mit imaginärenBlumen; sie vernebeln nur das Bewußtsein des Volkes und hindern esdaran, seinen wahren Feind zu erkennen.

Aber jeder Schritt der zaristischen Politik, jeder Monat des Bestehens

der dritten Duma zerstört immer schonungsloser die liberalen Illusionen,,legt immer mehr die Ohnmacht und Fäulnis des Liberalismus bloß, streutdie Saat der neuen Revolution des Proletariats immer breiter und reich-licher.

Es kommt die Zeit - und das russische Proletariat wird sich für dieFreiheit Finnlands, für die demokratische Republik in Rußland er-heben.

.Sozial-Bemokrat" "Nr. 13, 'Nach dem 7ext des

26. April [9. Mai) 1910. „Sozial-Demokrat".

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Man bat Angst um die Armee 173

setzlichkeit überhaupt eine Art Losung wie „Kampf für die Legalität"

machten - das wäre Kadettenart.Glücklicherweise haben unsere Genossen in der Duma weder das eine

noch das andere getan. Der erste Sprecher zur Interpellation, Gegetschkori,begann speziell damit, den besonderen Charakter des sozialdemokratischenAuftretens für die Grundgesetze aufzuzeigen. Gegetschkori ging äußerstgeschickt von der Denunziation des Grafen Bobrinski aus, der auf demKongreß des vereinigten Adels, mehr als durchsichtig auf die Sozialdemo-kraten anspielend, hetzte, man müsse „diese Aufrührer aus dem Schoß derReichsduma entfernen". „Ich erkläre", antwortete Gegetschkori, „daß die

Fraktion, die in diesen Mauern zusammentritt, trotz der Denunziation,trotz Gewaltanwendung un d Drohungen nicht um ein Jota von den von ihrvorgezeichneten Aufgaben und Zielen, die Interessen der Arbeiterklassezu verteidigen, abgehen wird."

Bobrinski forderte die Regierung auf, aus der Duma diejenigen hin-auszuwerfen, die systematisch gegen die Gesetzlichkeit vom 3. Juni agi-tieren. Gegetschkori begann mit der Erklärung, daß weder Gewaltanwen-dung noch Drohungen die Sozialdemokratie zwingen können, von ihrerTätigkeit abzugehen.

Gegetschkori hob besonders hervor: „Wir sind selbstverständlich weni-ger als irgend jemand anders um die Aufrechterhaltung der Autorität- wenn es diese gibt - der dritten Reichsduma besorgt... Gerade wir, dieprinzipiellen Gegner der bestehenden politischen Ordnung, haben jedes-mal Protest erhoben, wenn die Reaktion bestrebt war, zu ihren Gunstendie Rechte der Volksvertretung zu beschneiden ... Wenn unverhüllt An-schläge auf die Grundgesetze verübt werden, so sind wir, die prinzipiellenGegner der Grundgesetze, gezwungen, diese unter unseren Schutz zunehmen." Und am Schluß seiner Rede äußerte Gegetschkori, sich von denFetischisten der Legalität distanzierend: „Wenn wir diese Interpellationeinbringen, wenn wir uns auf Exkursionen oder auf das Gebiet juristischerAuslegungen begeben, dann geschieht dies nur deshalb, um noch einmaldie Heuchelei der Regierung aufzudecken . . . " (S. 1988 des stenografi-schen Berichts.)

Gegetschkori brachte konsequent die demokratischen, republikanischenAnsichten der Sozialisten zum Ausdruck, als er sagte: „Unsere Gesetzewerden nur dann den Interessen und Erfordernissen der Bevölkerungs-

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174 1i>. 1 Lenin

massen entsprechen, wenn sie durch den unmittelbaren Willen des Volkes

diktiert werden", und der „Lärm von redbts", der an dieser Stelle desstenografischen Berichts vermerkt ist, unterstrich besonders, daß der Pfeilins Schwarze traf.

Und der andere sozialdemokratische Sprecher, Gen. Pokrowski, sagtein seiner Rede, auf die politische Bedeutung der Interpellation eingehend,noch klarer und präziser: „Sollen sie (die Oktobristen) dies doch offenund ehrlich tun, sollen sie doch offen die Losung von rechts ,Nieder mitden Rechten der Volksvertretung, es lebe das Mmistervorzimmer' auf-greifen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Mehrheit daran arbeitet,

in Rußland eine solche Lage herbeizuführen, wo die Verfassungsillusionenganz und gar zerfließen, wo die schwarze Wirklichkeit übrigbleibt, aus derdas russische Volk die entsprechenden Schlußfolgerungen ziehen wird."(Ich zitiere nach dem Bericht der „Retsch" vom 1. April.)

So ist diese ganze Frage auf den Boden gestellt, auf dem die Heucheleider Regierung und der Oktobristen en tlarvt wird, auf den Boden, auf demdie Verfassungsillusionen zerstört w erden. Und das ist die einzig richtigesozialdemokratische Art der Interpellation wegen der Verletzung desArtikels 96 der Grundgesetze, der Interpellation, die in der III. Duma

eingebracht wurde. In unserer Parteiagitation, auf Arbeiterversammlun-gen, in Zirkeln und Gruppen und schließlich in privaten Gesprächen mitjeder Organisation fernstehenden Arbeitern aus Anlaß der Ereignisse inder Duma muß gerade diese Seite der Angelegenheit an die erste Stellegerückt werden, muß die Rolle der Arbeiterpartei erläutert werden, dieden Betrug von Seiten der Bourgeoisie und der Schwarzhunderter unmittel-bar in der Duma der Bourgeoisie und der Schwarzhunderter enthüllt.Da es nicht möglich war, in einer soldben Duma die Frage ganz klar zustellen und den Standpunkt der revolutionären Sozialdemokraten in aller

Offenheit darzulegen, besteht unsere Aufgabe darin, das von unserenGenossen von der Tribüne des Taurischen Palastes aus Gesagte zu er-gänzen und unter den Massen zu popularisieren, ihre Reden den Massenverständlich und gut faßlich zu machen.

Worin besteht das Wesen dieser Geschichte der Verletzung des Arti-kels 96? Dieser Artikel gehört zum Abschnitt 9 „Über die Gesetze"und legt Ausnahmebestimmungen fest, solche Fälle, wo Verordnungenund Instruktionen der Heeres- und Flottenbehörden unmittelbar dem

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Man hat Angst um die Armee 175

Zaren vorgelegt werden und nidht über die Reichsduma und den Reichs-

rat gehen. Neue Ausgaben erfordern Assignationen (Genehmigungen)durch Beschluß der R eichsduma - das ist im wesentlichen der Inhalt diesesArtikels.

Vo r einem Jah r wurde in der Reichsduma übe r die Etats der Adm iralitätberaten. Es entbrannten heiße Auseinandersetzungen, ob die Bildung die-ser Etats zum Kompetenzbereich der Duma gehört oder nicht. Die Rech-ten (die Schwarzhunderter) behaupteten, daß dies nidbt der 7dl sei, daßdie Du m a kein R echt ha be , sich hier einzumischen, d aß sie sich nicht un ter-stehen soll, einen Anschlag auf die Rechte des „Obersten Kriegsherrn",

d. h. des Zaren, zu verüben, der nur allein, ohne jede Duma, berechtigtsei, die Etats des Heeres und der Flotte zu bestätigen.

Die Oktobristen, Kadetten und Linken behaupteten, daß dies ein Rechtder Duma sei. Die Frage stand folglich so, daß die Schwarzhunderter,an ihrer Spitze Nikolaus II., die Rechte der Duma einschränkend aus-legen wollten und beabsichtigten, die ohnehin schon unglaublich beschnit-tenen Rechte der Duma weiter zu beschneiden. Die erzreaktionären Guts-besitzer und an ihrer Spitze der reichste und reaktionärste aller reaktio-nären Gutsbesitzer, Nikolaus Romanow, machten eine unbedeutende

Einzelfrage zu einer prinzipiellen Frage, zu einer Frage der Rechte desZaren, zu einer Frage der Rechte der Selbstherrschaft, wobei sie dieBourgeoisie (und sogar die oktobristische Bourgeoisie) des Vorhabensbeschuldigten, die Rechte des Zaren zu beschneiden, seine Macht ein-zuschränken, „den Führer der Armee von der Armee zu trennen"u. dgl. m.

Ob die Macht des Zaren im Sinne einer absolut uneingeschränktenSelbstherrschaft, ganz und gar nach alter Weise, oder wenigstens im Sinneeiner wenngleich nur bescheidenen Einschränkung der zaristischen Macht

auszulegen ist - darauf liefen die Auseinandersetzungen hinaus. Unddiese Auseinandersetzungen steigerten sich vor einem Jahr fast bis zur„politischen Krise", d. h. bis zur Drohung, Stolypin wegzujagen, den dieSchwarzhunderter des „Konstitutionalismus" beschuldigten, bis zur Dro-hung, die Duma der Oktobristen auseinanderzujagen, die von denSchwarzhundertern als „Jungtürken"6 5 bezeichnet wurden.

Die Reichsduma wie der Reichsrat bestätigten die Etats der Admirali-tät, d. h., sie bezeichneten diese Frage als in ihre Kompetenz fallend. Alle

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176 TV.I.Lenin

warteten darauf, ob Nikolaus II. die Entscheidung der Duma und des

Reichsrates bestätigt. Am 27. April 1909 erließ Nikolaus II. ein Reskriptan Stolypin, worin er die Bestätigung der Etats ablehnte und die Ministerbeauftragte, „Bestimmungen" zur Anwendung des Artikels 96 auszu-arbeiten.

Mit anderen Worten: Der Zar stellte sich wieder einmal offen undentschieden auf die Seite der Schwarzhunderter und trat gegen die aller-schüchternsten Versuche der Einschränkung seiner Macht auf. Der Auf-trag an die Minister, neue Bestimmungen auszuarbeiten, war ein unver-schämter Befehl, das Qesetz zu verletzen, es so auszulegen, daß von ihm

nichts übrigbleibt, es zu „erläutern" im Sinne der berüchtigten russischenSenats„erläuterungen". Dabei wurde natürlich gesagt, daß die Bestim-mungen „im Rahmen der Grundgesetze" liegen sollen; aber diese Wortewaren eine himmelschreiende Heuchelei. Die Minister arbeiteten solche„Bestimmungen" aus - und Zar Nikolaus II. bestätigte sie (sie werdennach dem Datum ihrer Bestätigung Bestimmungen vom 24. August 1909genannt) -, womit das Gesetz faktisch umgangen war! Diesen „Bestim-mungen" zufolge, die ohne jede Duma bestätigt worden waren, wird derArtikel 96 der Grundgesetze aufgehoben! Die Etats des Heeres und der

Flotte waren diesen „Bestimmungen" zufolge dem Kompetenzbereich derDuma entzogen.

Es ergab sich ein ausgezeichnetes Bild des ganzen illusorischen Wesensder russischen „Verfassung", der ganzen Unverschämtheit der Schwarz-hunderter, der engen Verbindung des Zaren mit den Schwarzhundertern,der ganzen Verhöhnung der Grundgesetze von Seiten der Selbstherr-schaft. Natürlich hatte der Staatsstreich vom 3. Juni 1907 bereits einhundertmal klareres, abgeschlosseneres, für die breiten Volksmassen ver-ständlicheres und deutlicheres Bild dieser Sachlage ergeben. Natürlich,

wenn unsere Sozialdemokraten in der Duma keine Interpellation wegender Verletzung der Grundgesetze durch den Akt vom 3. Juni hatteneinbringen können - sie hatten das nur deshalb nicht tun können, weildie bürgerlichen Dem okraten und darunter die Trudowiki nicht genügendUnterschriften gaben, um die für die Interpellation erforderlichen dreißigNamen zusammenzubringen -, so zeigt dies die engen Grenzen speziellder in der Duma möglichen Formen der Propaganda und Agitation. Aberdie Unmöglichkeit, eine Interpellation wegen des Aktes vom 3. Juni einzu-

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Man hat Angst um die Armee 177

bringen, hinderte die Sozialdemokraten nicht, in ihren Reden ständig

diesen Ak t als einen Staatsstreich zu kennzeichnen. U nd selbstverständlichkonnten und durften die Sozialdemokraten selbst bei einem relativuntergeordneten Anlaß nicht darauf verzichten zu enthüllen, wie dieSelbstherrschaft die Grundgesetze und die Rechte der Volksvertretungverhöhnt.

Die relative Unwichtigkeit, Geringfügigkeit und Bedeutungslosigkeiteiner solchen Frage wie die der Etats der Admiralität hob dafür mit be-sonderer Schärfe die ganze Empfindlichkeit unserer Konterrevolutionhervor, hob deren Angst um die Armee hervor. Der Sprecher der Okto-

bristen in der Duma, Herr Schubinski, stellte sich in seiner zweiten Redeam 26. März ganz entschieden auf die Seite der Schwarzhunderter undenthüllte damit, daß eben die Angst um die Armee diese extreme Empfind-lichkeit der Konterrevolution gegenüber der Frage hervorgerufen hat,ob die Vertretungskörperschaften bei der Bestätigung der E tats des Heeresund der Flotte auch nur im geringsten Einfluß haben dürfen. „Der Namedes Obersten Kriegsherrn Rußlands ist ein wirklich großer Name...",rief der bürgerliche Lakai Nikolaus' des Blutigen aus. „Welche Behaup-tungen Sie (die Abgeordneten der Reichsduma) hier auch aufstellen mögen,welche Äußerungen Sie auch tun mögen, daß man irgendwein irgend-welche Rechte entreißen will, von der Armee werden Sie ihren OberstenKriegsherrn nicht losreißen."

Stolypin bemühte sich in seiner „Deklaration" vom 31. März, seineAntwort zu verwirren durch völlig hohle, nichtssagende und offenkundigverlogene Reden von einer „Beruhigung" und einem angeblichen Nach-lassen der Repressalien, und trat nichtsdestoweniger ganz entschieden aufdie Seite der Schwarzhunderter gegen die Rechte der Duma. Wenn dieOktobristen mit Stolypin übereinstimmen, so ist dies nicht neu. Wennaber die „Retsch" der Herren Miljukow und Co. die Antwort Stolypinsals eine „eher versöhnende Antwort in bezug auf die Rechte der Reichs-duma" bezeichnet ha t (Nr. 89 vom 1. April, redaktioneller A rtikel, nachdem Leitartikel), so haben wir vor unseren Augen ein weiteres Beispieldafür, wie tief die Kadettenpartei gesunken ist. „Die Geschichte der letz-ten Jahre zeigt", sagte Stolypin, „daß der Rost der Revolution unsereArmee nicht zu zerfressen vermochte..." Nicht zu zerfressen vermochte- das ist faktisch falsch, denn die allgemein bekannten Soldaten- und M a-

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178 19. J. Lenin

trosenauf stände von 1905 und 1906, die allgemein bekannten Äußerungen

der reaktionären Presse jener Zeit zeugen davon, daß die Revolution dieArmee zerfraß und folglich zu zerfressen vermochte. Nicht restlos zer-fraß - das ist wahr. Aber wenn Stolypin 1910, bei voller Entfaltung derKonterrevolution, einige Jahre nach der letzten „Unruhe" in der Armee,äußert (in derselben Deklaration), daß ihn „beim Anhören der Ausfüh-rungen einiger Vorredner ein beunruhigender Qedanke ergriff", daßdieser „beunruhigende Gedanke" in dem „schlimmen Eindruck von irgend-

einer Unstimmigkeit zwischen den verschiedenen 7aktoren der Staatlich-keit in der Einstellung zu unseren Streitkräften" besteht, so werden

dadurch Stolypin und mit ihm zusammen die ganze Schwarzhunderter-bande vom Hofe Nikolaus' II. restlos entlarvt! Dies beweist, daß die zari-stische Bande nach wie vor nicht nur einfach Angst um die Armee hat, son-dern direkt um die Armee zittert. Dies beweist, daß die Konterrevolutionbis heute unbeirrt auf dem Standpunkt des Bürgerkriegs verharrt, auf demStandpunkt, daß ein unmittelbares und dringendes Bedürfnis nach militä-rischen Mitteln zur U nterdrückung der Volksempörung besteht. Ergründenwir folgende Phrase Stolypins:

„Die Geschichte ... lehrt, daß die Armee dann zerrüttet wird, wenn sie

nicht mehr einheitlich einem einzigen, geheiligten Willen unterworfen ist.Träufeln Sie in dieses Prinzip das Gift des Zweifels, suggerieren Sie ihrauch nur Bruchteile des Qedan kens, daß ihr Aufbau von einem Kollektiv-wülen abhängt, und ihre Stärke wird nicht mehr auf einer stabilen Kraft -auf der obersten Macht - beruhen." Und an anderer Stelle: „Ich weiß,viele wollten ... eine für unsere Armee verhängnisvolle Auseinanderset-

zung bezüglich der Rechte entfachen" (eben der Rechte der Reichsduma,der Rechte des „Kollektivwillens").

Wie den Mördern die Gestalten ihrer Opfer erscheinen, so werden die

Helden der Konterrevolution an einen „verhängnisvollen" Einfluß des„Kollektivwillens" auf die Armee erinnert. Stolypin als dem getreuenDiener der Schwarzhunderter erscheinen die Oktobristen als „Jung-türken", die die „Zerrüttung der Armee" durch deren Unterordnung untereinen Kollektivwillen, durch die Zulassung von „Bruchteilen des Gedan-kens" einer solchen Unterordnung herbeiführen!

Die Henker und Mörder in der Monarchie vom 3. Juni sehen am hell-lichten Tage Gespenster, sie steigern sich bis zur direkten Raserei, wenn

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Man hat Angst um die Armee 179

sie in den Oktobristen Jungtürken sehen. Aber diese Wahnideen, diese

Raserei, das ist eine politische Krankheit, die durch das Gefühl der Labili-tät ihrer Lage, das Gefühl der bohrenden Angst um die Armee hervor-gerufen wurde. Wären die Herren Stolypin, Romanow und Co. einiger-maßen fähig gewesen, die Frage des Verhältnisses eines „Kollektivwillens"zur Armee mit nur etwas ruhigem Blut zu betrachten, so hätten sie sofortherausgefunden, daß eine stillschweigende Bestätigung der Beschlüsse derDuma und des Reichsrates über die Etats der Flotte von Seiten des Zarenviel unauffälliger für die Armee durchgegangen wä re als die Dumadebatten

über die Rechte der Duma, über eine mögliche „Zerrüttung der Armee".

Aber gerade das ist kennzeichnend für unsere Konterrevolution, daß siesich durch ihre Angst selbst verrät, daß sie gar nidht in der Lage ist, ruhigzu bleiben bei der Frage der Zerrüttung der Armee, so wie ein Mördernicht ruhig mit anhören kann, wenn von den Beteiligten und den Um-ständen des Mordes gesprochen wird.

Eine prinzipielle Bedeutung erlangte diese relativ unbedeutende undunwichtige Frage des Etats der Flotte gerade durch die Schwarzhunderter,durch Nikolaus II. , durch Herrn Stolypin, und uns bleibt nur übrig, unse-rer Befriedigung Ausdruck zu geben über ihre Ungeschicklichkeit, die

durch ihre Angst hervorgerufen worden ist. Uns bleibt nur übrig, dieausgezeichneten W or te des G en. Pokrow ski vom Schwinden der „Ver-fassungsillusionen", von der Notwendigkeit für das Volk, selbst dieSchlußfolgerungen aus der unanzweifelbaren „schwarzen Wirklichkeit"zu ziehen, den in ihrer Offenheit vortrefflichen Äußerungen der, „Mo-skowskije W edom osti" zur „Deklaration vom 3 1. M ärz " gegenüberzu-stellen.

Im Leitartikel vom 3. April schreibt diese Zeitung:

„Diese Sache selbst ist, wie wir bereits im vergangenen Jahr aufgezeigthaben, sehr einfach. Der Herrscher, der Zar hat die auf dem gesetzgebendenWege beschlossenen Etats nicht bestätigt, sondern hat sie auf dem Wege derobersten Instanz festgelegt, wozu selbst das bestehende Gesetz (ohne die Frageder natürlichen Rechte der obersten Macht zu berühren) eindeutige Befugnisseg i b t . . . "

Soso. Es ist also das „natürliche Recht" der russischen Monarchie, dieGrundgesetze zu verletzen. Das ist der Kernpunkt.

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180 W. 1. Lenin

„Die Dumaopposition allerdings besaß die Frechheit, ans diesem Anlaß eine

Interpellation einzubringen, die die Handlungsweise der obersten Macht zumGegenstand hatte . . . "

Eben! Die „Moskowskije Wedomosti" sprechen richtig bis zu Ende dasaus, was die Sozialdemokraten in der Duma nicht aussprechen konnten.Die Interpellation lief gerade darauf hinaus festzustellen, daß die Hand-lungsweise des Zaren (und des sich ihm unterordnenden Ministers Stoly-pin) eine Verletzung der Grundgesetze ist.

Weiter, die „Moskowskije Wedomosti" fallen über die „revolutionäreOpposition" und die „revolutionäre Presse" her wegen der Theorie der

Eroberung von Volksrechten durch die Revolution und bestreiten, daß inder „D eklaration vom 31 . M är z" irgendwelche „Versprechungen" enthal-ten sein könnten.

„Schon das Gerede von .Versprechungen' ist lächerlich und ein Ausdruckdafür, bis zu welchem G rad e die H irne selbst solcher Personen revolutionär um-nebelt sind, die sich offiziell nicht zum revolutionären Lager zählen. Welche.Versprechungen' kann das Kabinett denn geben? ... Das Kabinett wird seinegesetzlichen Verpflichtungen erfüllen, getreu den Direktiven der oberstenM a c h t .. . Und m an kann nur wünschen, daß diese Deklaration in ihrem gan-zen Gehalt von der Duma tief erfaßt wird und damit zur Heilung der HerrenAbgeordneten von der chronischen Seuche der revolutionären .Direktiven' bei-trägt."

Ganz recht: die Deklaration (und die Position) der Regierung tief er-fassen und mit deren Hilfe von den Verfassungsillusionen „heilen" - ebendarin besteht die politische Lehre der Interpellation der Sozialdemokratenwegen der Verletzung des Artikels 96.

„Sozial-Vemokrat" "Nr. 13, Nadb dem 7ext des26. April (9. TAai) 1910. „Sozial-Demokrat".

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DIE VEREINIGUNG DER PARTEI IM AUSLAND

Für eine Partei, die unter solchen Bedingungen wie die unsere arbeitet,ist eine Basis im Au sland notw endig und unumgänglich. Das erkennt jederan, der üb er die Lage der P artei nachdenkt. W ie pessimistisch auch Geno s-sen in Rußland auf das „Ausland" sehen mögen, aber zu wissen, was hierinsbesondere nach dem vor kurzem abgehaltenen Plenum vor sich geht,wird sehr nutzbringend für sie sein.

Ist im Ausland eine Vereinigung erreicht worden? Nein. Und das auseinem sehr einfachen Grund: die eine Seite - die „Golos"-Leute - zeigtkeinerlei Neigung, dem einmütigen Aufruf des ZK entgegenzukommen,

die Spaltung im Ausland zu beseitigen. Der fraktionelle „Go los" ha t ent-gegen dem einstimmigen Beschluß des ZK sein Erscheinen nicht einge-stellt , obgleich einer seiner Redak teure, Ge n. M arto w, auf dem Plenumoffiziell erklärt hatte (siehe Protokolle des Plenums), daß er auf alle Fälleein vorübergehendes E instellen der Z eitun g erreichen will.* D as A uslands-büro des ZK kam noch nicht einmal dazu, irgendwelche Schritte zur Ver-einigung zu unternehmen, als bereits vier Redakteure des „Golos" (zweivon ihnen gehören auch der Redaktion des Z O an!!) ein M anifest m it

* Hier wörtlich die Erkläru ng:„Gen. M artow erklärt, daß er, obgleich er formell nicht im Nam en der Redak-tion des ,Golos Sozial-Demokrata' sprechen kann, doch für sich persönlich dieErklärung abgeben kann, daß in der Redaktion des ,Golos Sozial-Demokrata'keine Hindernisse dem entgegenstehen, nach der Herausgabe der nächstenNummer des ,Golos' den ,Golos' vorübergehend (für zwei oder mehr Monate)versuchsweise einzustellen, um die Ergebnisse der Arbeit der neuen Redaktiondes ZO abzuwarten."

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182 'W.I.Lenin

einem kaum bemäntelten Aufruf herausgaben, sich auf die Vereinigung

nicht einzulassen. Das im Ausland befindliche „Zentrale Büro der Aus-landsgruppen" (das vor IV2 Jahren auf der fraktionellen Konferenz derMenschewiki in Basel gewählt wurde) hat das gleiche getan. Dieses „Zen-trale Büro der Auslandsgruppen" vertritt jetzt nicht einmal mehr alleMenschewiki, sondern nur den Teil, der hinter dem „Golos" steht. Abermit Hilfe des „Golos" erweist es sich als stark genug, die Vereinigung zusabotieren. Dem Auslandsbüro des ZK bleibt nichts weiter übrig, als andie Gruppen selbst, an die parteitreuen Elemente und in erster Linie an dieArbeiter zu appellieren. Aber aus Gründen, die später behandelt werden,geschieht das nicht oder geschieht äußerst unbefriedigend. Nach wie vorkann das ZK im Ausland vorerst nur auf die Unterstützung der bolsche-wistischen Gruppen rechnen. Dazu kommen allerdings in letzter Zeit dieparteitreuen Menschewiki, die Gegner des Liquidatorentoms (größten-teils sind dies Anhänger des „Dnewnik" des Gen. Plechanow).

Die prinzipielle Differenzierung unter den Menschewiki im Ausland hatzweifellos eine große Bedeutung als Symptom, als Widerspiegelung des-sen, was auch in Rußland, möglicherweise weniger deutlich, vor sich geht.Die parteitreuen Menschewiki haben aus diesem Anlaß bereits verschie-dene Resolutionen angenommen. Hier einige Auszüge daraus. Die Gegnerder „Golos"-Leute unter den Menschewiki in Paris (etwa 20 an der Zahl)schreiben: „In Nr. 19/20 dieses Organs (,Golos') wird zweifellos ein neuerKurs festgelegt, unter anderem im Artikel des Gen. Dan ,Der Kampf umdie Legalität', der die sozialdemokratischen Losungen durch eine spezi-fische, zumindest zweideutige Losung ersetzt, die wie ein Ei dem anderender Losun g d er ,ökonom istischen' Periode gleicht -."Kampf um die Hech te ...

Das bisher von der Redaktion des ,Golos' geleugnete Liquidatorentumfand in der letzten N um m er dieser Ze itun g seinen offenen Ausdruck ." D ieGenfer parteitreuen Menschewiki (14 an der Zahl) stellen fest, „daß das

Einstellen des fraktionellen ,Golos Sozial-Demokrata' eine notwendigeBedingung für die Festigung der Parteieinheit ist".

Die Nizzaer Gruppe der parteitreuen Menschewiki ist der Meinung(einstimmig), daß „in N r. 19/20 dieses Organ s (,Golos') das L iquidatoren-tum bereits offenen Ausdruck in einer Reihe von Artikeln gefunden hat.Die Gruppe hält eine solche Position des ,Golos Sozial-Demokrata' fürschädlich und verweigert ihm jedwede Unterstützung. Die Gruppe ist

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Die Vereinigung der Partei im A usland 183

übe r das Verhalten Michails, Rom ans und Juris empö rt, die das V ertrauender letzten Parteikonferenz nicht gerechtfertigt und die liquidatorischen

Tendenzen bis zu ihrem in den praktischen Auswirkungen schrecklichenEnde geführt haben." Die Gruppe der parteitreuen Menschewiki in SanRemo „lehnt einstimmig jedwede Unterstützung der bezeichneten Publi-kation (,Golos') ab, weil sie deren liquidatorische Tendenzen nicht teilt.Die Gruppe kann nicht umhin, ihrer Entrüstung über das Verhalten Mi-chails, Romans un d Juris Ausdruck zu geben." D ie parteitreuen M ensche-wiki in Lüttich schreiben in ihrer Resolution: „Der Brief von Stiwa No-witsch und der Artikel von Th. Dan ,Der Kampf um die Legalität ' ( in Nr.19/20 des ,Golos') bestimmen voll und ganz die parteifeindliche Richtung

des Organs. . . Der ,Golos Sozial-Demokrata ' is t das Zentrum, um dassich die liquidatorischen Strömungen gruppieren." Auf einem ebensolchenStandpunkt steht ein bedeutender Teil der menschewistischen Gruppe inZürich und die Mehrheit der Gruppe in Bern. Anhänger der parteitreuenMenschewiki gibt es auch in anderen Städten.

Nur wenn das Auslandsbüro des ZK diese Elemente der parteitreuenMenschewiki mit den Bolschewiki und den nichtfraktionellen Parteimit-gliedern, den Gegnern des Liquidatorentums, zusammenschließt, könntees zu Resultaten gelangen, könnte es die Arbeit in Rußland unterstützen.

Die im Ausland lebenden Bolschewiki rufen eben dazu alle Genossen auf(siehe die Resolution der zweiten Pariser Gruppe) 6 6 . Der Kampf gegendie „Golos"-Leute, die die Vereinigung sabotieren, und gegen die Otso-wisten-Ultimatisten, die aus der Redaktion des „Diskussionny Listok"und aus dem Gesamtparteikomitee der Parteischule ausgetreten sind unddie gleichfalls die Parteivereinigung sabotieren, ist im Interesse des Zu-sammenschlusses aller wirklichen Parteimitglieder unvermeidlich. DieseSache beruht vorläufig auf der Eigeninitiative der Parteimitglieder, denndas Auslandsbüro des ZK zeigte sich bisher unfähig, die erforderliche

Stellung zu beziehen. Nach dem neuen S tatut werden 3 von 5 M itgliederndes Auslandsbüros des ZK von den „Nationalen" ernannt; somit wird diepersonelle Zusammensetzung der Mehrheit des Auslandsbüros des ZKnidbt vom ZK da' Partei bestimmt, und auf dieser Basis kommt es zuunerwarteten Überraschungen. So bildete sich zum Beispiel auf der kürz-lich durchgeführten Tagung des Auslandsbüros des ZK eine Mehrheitgegen die Linie des ZK . Die neue M ehrheit, bestehend aus einem „G olos"-

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184 TV.!. Lenin

Mann und zwei angeblich „nichtfraktionellen" Nationalen, lehnte es ab,den unmittelbar nach dem ZK-Plenum ausgearbeiteten „Modus" der Ver-einigung der G rupp en (im Sinne des Beschlusses des Plenu ms , d. h. mit d erForderung, alle Mittel dem ZK und nicht den fraktionellen Organen zuübergeben) zu bestätigen. Diese Mehrheit lehnte den Vorschlag (des Bol-schewiken und des polnischen Sozialdemokraten) ab, in einem Brief an dieGruppen die Losung aufzustellen: Alle Mittel für die Einrichtungen derGesamtpartei und nicht für die fraktionellen Zeitungen (d. h. nicht für den„Golos Sozial-Demokrata"). Dieser Beschluß rief den entschiedenen Pro-test von zwei Mitgliedern des Auslandsbüros des ZK (des Bolschewikenund des polnischen Sozialdemokraten) hervor, die diesen ihren Protest

dem ZK einreichten.

„Sozial-T>emokrat" ?Jr. 13, THadh dem Text des26. April (9. Mai) 1910. „ Sozial-Demokrat".

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E I N S D E R H I N D E R N I S S E

F Ü R D I E E I N H E I T D E R P A R T E I

In einer Zeit, wo sich die parteitreuen Menschewiki in einer ganzenReihe von Auslandsgruppen zusammenschließen und immer entschiedenergegen die offen liquidatorische Richtung des „Golos Sozial-Demokrata"auftreten, verhält sich die Wiener „Prawda" immer noch ausweichend. InN r. 12 finden wir den Artikel „Zur Einheit - über alle Hindernisse hin-weg". Man muß einem ersten, obgleich sehr zaghaften und unvollständi-gen Schritt zur Verwirklichung der ZK-Resolution beipflichten, nämlichdem Versuch in diesem Artikel, die Gefährlichkeit des Liquidatorentumsklarzulegen. Dafür ist aber der ganze erste Teil des Artikels ein Bei-

spiel, wie weit einige angeblich nichtfraktionelle Sozialdemokraten in derVerteidigung der Partei hinter den parteitreuen Menschewiki zurück-stehen.

Hier sagt die „Prawda" direkt die Unwahrheit, wenn sie behauptet, dieRedaktion des Zentralorgans habe in dem Artikel „Der ,Golos' der Liqui-datoren gegen die Partei"* „das ganze Übereinkommen für gebrochen"erklärt. Jeder, der die Nr . 12 des ZO gelesen hat, sieht, daß wir nichtsdergleichen erklärt haben. D as Übereinkommen mit den Menschewikifußte auf der Bedingungl daß sie das Parteiprinzip anerkennen und sich

ehrlich und konsequent vom Liquidatorentum lossagen. Der „Golos So-zial-Demokrata" und die Gruppe seiner Gesinnungsfreunde in Rußlandhaben dieses Übereinkommen gebrochen: die einen, wie Michail, Roman,Juri usw. in Rußland, dadurch, da ß sie das Übereinkommen selbst offenfür schädlich erklärten („Die Resolutionen des ZK sind schädlich"; schäd-lich sei auch das Bestehen des ZK selbst; die Partei brauche nicht liquidiert

* Siehe den vorliegenden Band, S. 151-159. Die Red.

13 Lenin, W erke, Bd. 16

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186 -W. 3. £enin

zu w erden, denn sie sei bereits liquidiert), andere, wie der „Golos", indemsie das Auftreten der ersteren in Schutz nehmen. Die parteitreuen Men-schewiki, an ihrer Spitze Plechanow, traten wegen dieser Verletzung desÜbereinkommens durch die „Golos"-Leute gegen diese auf. Sollte die„Prawda" nichtsdestoweniger nach wie vor nur die „Golos"-Leute mei-nen, wenn sie von den Menschewiki „im allgemeinen" spricht, während siesich über die Plechanowleute und parteitreuen Menschewiki ausschweigt,so werden wir ein solches Vorgehen immer und überall en tlarven.

Die „Prawda" erklärt, daß sie die Konflikte nach dem Plenum „nichtdiskutieren kann und nicht diskutieren will", erstens deshalb, weil sie„nicht über das erforderliche Tatsachenmaterial für eine richtige Beurtei-lung verfügt".

Darauf antworten wir: wenn die im Ausland erscheinende „Prawda"bisher im Verhalten der liquidatorischen „Golos"-Leute nicht genügend„Material" bemerkt hat, so wird sie es niemals bemerken. Um die W ahr-heit zu erkennen, darf man sich nicht fürchten, der Wahrheit ins Auge zusehen.

„Zweitens deshalb - und das ist wichtiger als alles andere -, weil dieorganisatorischen Konflikte ein organisatorisches und kein publizistischesEingreifen erfordern."

Dieses Prinzip ist richtig. Aber gerade die parteitreuen Menschewikihaben sich, wie sich das für jedes Parteimitglied gehört, in die Einschätzungeines prinzipiellen und nicht eines organisatorischen Konflikts „einge-mischt". Die „Praw da" macht es umgekehrt. Sie stellt ein Prinzip auf undläßt sich in Wirklichkeit nicht davon leiten. In Wirklichkeit hat die„Prawda" den ganzen ersten Abschnitt des Artikels gerade der „Ein-mischung" in den organisatorischen Konflikt gewidmet. Mehr noch. DieDarlegung des organisatorischen Konflikts durch die „Prawda" ist Wasserauf die Mühle der Liquidatoren, indem sie unseren Artikel als im „höch-sten Grade scharf" bezeichnet, aber dabei das parteifeindliche Vorgehender „Golos"-Leute nicht bewertet; sie spricht die Unwahrheit, indem sieden Kampf des parteitreuen ZO gegen den parteifeindlichen Teil derMenschewiki (eben gegen die „Golos"-Leute) als einen Zusammenstoßvon Traktionen bezeichnet; sie sagt nur die "Hälfte der Wahrheit, indemsie über das spalterische Manifest der 4 Redakteure des „Golos Sozial-Demokrata" schweigt, usw.

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Eins der Hindernisse für die Einheit der Partei 187

Eine Arbeiterzeitung sollte entweder den „organisatorischen" Konfliktgar nicht berühren oder ihn vollständig und bis zu Ende wahrheitsgemäßdarlegen.

Eins der ernsthaftesten Hindernisse für die Parteieinheit sind die Ver-suche, die Parteifeindlichkeit des „Golos" zu decken. Ein Verschweigenseines Liquidatorentums oder ein leichtfertiges Verhalten ihm gegenübervergrößert nur dessen Gefährlichkeit.

„SoziaWDemokrat" 3Vr. 13, Jiaä) dem 7ext des26. April (9. Mai) 1910. „SoziaWDem okrat".

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AN DAS ZENTRALKOMITEE DER SDAPR

Werte Genossen!

Wir halten es für unsere Pflicht, Ihnen zur Kenntnis zu bringen, daßdie Lage in der Redaktion des Zentralorgans unserer tiefen und festenÜberzeugung nach völlig unhaltbar geworden ist und daß es uns ohneeine Veränderung in der Zusammensetzung der Redaktion des ZO absolutunmöglich erscheint! die Parteilinie durchzuführen.

Lediglich die ersten beiden Sitzungen der Redaktion des ZO nach demPlenum ließen uns hoff en, daß eine gemeinsame Arbeit mit den Genossen

M arto w u nd D an möglich sei. Das E inverständnis des Gen. M arto w mitdem Brief des ZK ü ber die Konferenz (siehe N r. 11 des Z O . M artow hatdiesen Brief unterzeichnet) zeugte zweifellos von seinem Bestreben, loyaldie Beschlüsse des Plenums zu erfüllen. Ein anderer Ton wurde zuerst vonGen. Dan angeschlagen, der den Leitartikel in Nr. 11 des ZO* als schäd-

lich bezeichnete und in unserem Beisein Martow beschuldigte, daß ergegenüber dem Zentralorgan in Oppo rtunismus verfalle. Für uns wurdeschon dara us offensichtlich, d aß die eingefleischten „G olos" -Leu te M art owfür einen „Opportunisten" im Sinne seiner Gefügigkeit gegenüber denParteibeschlüssen halten und daß die ganze Frage darauf hinausläuft, obsich Martow ihrem Druck unterwirft.

Der Artikel Martows „Auf dem richtigen Weg" hat gezeigt, daß demso ist. Die Ablehn ung, diesen an den „Diskussionny Listok" zu ü bergeben(obwohl darin ganz unverkennbar der Beschluß des ZK über die Zusam-mensetzung des ZO zur Diskussion gestellt wird), zeugte vom Beginn desKrieges. In der Frage des Verhältnisses der illegalen Organisationen und

* Siehe den vorliegenden Band, S. 141-150. Die Red.

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190 W . J. Lenin

Es ergibt sich also eine Lage in der Partei, die sich im Vergleich zu der,

die zur Zeit des Plenums bestand, bedeutend verändert hat und deshalbunbedingt Veränderungen in der Zusammensetzung des ZO erfordert.Das Plenum wollte allen „Golos"-Leuten, allen Sozialdemokraten, allen

legalen Funktionären der Arbeiterbewegung, die auf die Position desParteiprinzips übergehen wollen, die Möglichkeit geben, zur Partei zu-rückzukehren und loyal in der Partei zu arbeiten. Das Plenum rechnetedamit, daß bei den Menschewiki nicht ein Auseinandergehen der beidenTeile des Menschewismus erfolgt, sondern ein gemeinsamer Übergangbeider Teile auf die Position des Parteiprinzips.

Durch die Schuld des russischen Zentrums der Legalisten (Potressow,Michail und Co.) und durch die Schuld des „Qolos Sozial-Demokrata"kam es anders. Ihre Abspaltung von den parteitreuen Menschewiki wurdezur Tatsache. W ir haben um das Z O und den „Diskussionny Listok" eineReihe parteitreuer Menschewiki (Plechanow, Rappoport, Awdejew) ge-schart, mit denen bei uns eine jedem Fraktionswesen fernstehende Partei-arbeit gut in Fluß kommt, ungeachtet all unserer Meinungsverschieden-heiten. Im Ausland unternehmen die Gruppen der Bolschewiki und dieparteitreuen Menschewiki Schritte zur Vereinigung. Im Gegensatz dazu

haben die Gruppen der „Golos"-Leute entschieden Kurs gegen die Ver-einigung genomm en.Deshalb hat sich in der Redaktion des ZO der völlig untragbare Zu-

stand nicht auf Grund zufälliger und nicht auf Grund persönlicher Motiveherausgebildet. Wenn in unserer Redaktion jetzt ein ständiger und end-loser Zank herrscht, wenn wir zu dritt entschieden nicht imstande sind,die feindliche Position von zwei Redakteuren zu überwinden, wenn diegesamte Arbeit im ZO gehemmt wird, so ist das das unumgängliche Er-gebnis eines unhaltbaren Zustands. Dem Sinn der Beschlüsse des Plenums

zufolge ist eine Annäherung an die parteitreuen Menschewiki notwendig,aber bei uns im ZO führen die parteifeindlichen Menschewiki einen scho-nungslosen Kampf gegen die außerhalb des ZO stehenden und das ZOunterstützenden parteitreuen THensdbewiki!

W ir sind vollkommen davon überzeugt, daß die Genossen im ZK selbstdie absolute Untragbarkeit eines solchen Zustands begreifen und von unskeine Illustration dieses Zustands an Hand der Geschichte der unzähligenZusammenstöße und Skandale in der Redaktion fordern. Diese Zusam-

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An das Zentralkomitee der SDÄPR 191

menstöße, Beschuldigungen, Reibereien, die vollkommene Unterbindung

der Arbeit - das alles ist einfach das Ergebnis der veränderten politischenLage, die unweigerlich zum Zerfall des ZO führen muß, wenn nicht einSchritt unternommen wird, der durch den ganzen Geist der Beschlüsse desPlenums vorgezeichnet ist, nämlich: Ersetzung der parteifeindlichen, liqui-datorischen Menschewiki, der menschewistischen „Golos"-Leute durchparteitreue Menschewiki, denen wir helfen müssen, in der Partei und inden führenden Parteiinstitutionen festen Fuß zu fassen.

Die parteitreuen Menschewiki haben bereits dem Auslandsbüro des ZKmitgeteilt, da ß sie in der Redaktion des Z O (und im Auslandsbüro des Z K)Vertreter haben wollen, d. h. Anhänger des parteitreuen Menschewismus.

Wir erklären unserseits, daß wir absolut nicht in der Lage sind, das ZOder Partei in Zusammenarbeit mit den „Golos"-Leuten zu leiten, denn esist unmöglich zu arbeiten, wenn man stets die Leute mechanisch über-stimmen muß, mit denen man keine gemeinsame parteimäßige Grundlagehat .

Wir hoffen, daß das ZK die notwendigen organisatorischen Schritteunternimmt, um die Zusammensetzung der Redaktion des ZO zu verän-dern und um ein arbeitsfähiges parteitreues Kollegium zu bilden.

Qeschrieben in der zweiten

Aprilhälfte (Anfang Mai] i910.

Zuerst veröffentlicht 1933 "Nach dem Manu skript.

im Lenin-Sammelband X X V .

TAn tersdhrift: Mitglieder der

Redaktion des Z O , Lenin u. a.

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NOTIZEN EINES PUBLIZISTEN

Veröffentlicht am 6. (19.J TAärz TJadb dem Jext desund 25. Mai (7. Juni) i9to im ;• „Viskussionny Cistok".„"Diskussionny Listok" 9Jr. 1 und 2.Zlntersdhrift: 74. Lentn.

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I

O B E R D I E „ P L A T T F O R M "D ER A N H Ä N G E R U N D V E R F EC H T E R

D E S O T S O W I S M U S

Vor kurzem erschien in Paris im Verlag der Gruppe „Wperjod" eineBroschüre: „Die gegenwärtige Lage und die Aufgaben der Partei. EinePlattform, ausgearbeitet von einer G ruppe Bolschewiki". Es ist das dieselbeGruppe von Bolschewiki, von deren Formierung zu einer neuen Fraktiondie erweiterte Redaktion des „Proletari" im Frühjahr des vergangenenJahres Mitteilung gemacht hat. Nunmehr tritt diese Gruppe „in der Zu-sammensetzung von 15 Parteimitgliedern - 7 Arbeitern und 8 Intellektu-ellen" (wie sie uns berichtet) - mit dem Versuch einer geschlossenen, syste-

matischen, positiven Darlegung ihrer besonderen „Plattform" hervor. DerText dieser Plattform trägt die unverkennbaren Zeichen einer bedacht-samen und sorgfältigen kollektiven Bearbeitung, darauf gerichtet, alle Un-ebenheiten auszugleichen, die scharfen Kanten abzuschleifen und nicht sosehr das zu betonen, worin die Gruppe sich von der Partei unterscheidet,als vielmehr das, worin sie mit ihr übereinstimmt. Um so wertvoller istfür uns die neue Plattform als die offizielle Darlegung der Anschauungeneiner bestimmten Strömung.

Diese Gruppe von Bolschewiki legt zunächst dar, wie sie „die gegen-wärtige geschichtliche Lage unseres Landes versteht" (§ I, S. 3-13), fernerwas sie „unter Bolschewismus versteht" (§ II, S. 13-17). Das eine wie dasandere versteht sie schlecht.

Nehmen wir die erste Frage. Die Auffassung der Bolschewäki (und dieAuffassung der Partei) wurde in der Resolution der Dezemberkonferenzvon 1908 über die gegenwärtige Lage niedergelegt. Teilen die Verfasserder neuen Plattform die in dieser Resolution zum Ausdruck gebrachtenAuffassungen? Wenn ja, warum sagen sie das nicht rundheraus? Wenn

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196 W. 1 Lenin

ja, wozu war es dann nötig, eine besondere Plattform auszuarbeiten und

sich an eine Darlegung der eigenen besonderen „Auffassung" über dieLage zu ma chen? W en n nicht, warum sagen sie dann wiederum nicht rund-heraus, in welchen Fragen eigentlich die neue Gruppe zu den Auffassun-gen der Partei in Opposition tritt?

Das ist es ja gerade, daß sich die neue Gruppe über die Bedeutung die-ser Resolution selbst nicht klar ist. Die neue Gru ppe neigt unbew ußt (oderhalb unbewußt) zu otsowistischen Anschauungen, die mit dieser Resolu-tion unvereinbar sind. Die neue Gruppe gibt in ihrer Broschüre eine popu-läre Erläuterung nicht aller Leitsätze dieser Resolution, sondern lediglich

eines Teils derselben, ohne den anderen zu verstehen (ja vielleicht sogar,ohne seine Bedeutung zu erkennen). Die grundlegenden Faktoren, die dieRevolution des Jahres 1905 hervorgerufen habe n, bleiben weiter w irksam,heißt es in der Resolution. Eine neue revolutionäre Krise reift heran(Punkt f). Ziel des Kampfes bleibt der Sturz des Zarismus und die Er-kämpfung der Republik; das Proletariat hat die „führende" Rolle imKampf zu spielen und die „Erkämpfung der politischen Macht" anzu-streben (Punkt e und 1). Die Verhältnisse auf dem Weltmarkt und in derWeltpolitik gestalten „die internationale Situation immer revolutionärer"(Pun kt g). Diese Leitsätze legt die neue Plattform in populärer W eise dar ,und insofern geht sie durchaus H an d in H an d mit den Bolschewiki und derPartei , insofern legt sie richtige Anschauungen dar und leistet eine nütz-liche Arbeit.

Doch das Schlimme besteht gerade darin, daß dieses insofern hervorge-hoben werden muß. Das Schlimme besteht gerade darin, daß die neueGruppe die anderen Leitsätze dieser Resolution nidot versteht, daß siederen Zusammenhang mit den übrigen und insbesondere ihren Zusammen-

hang mit der unversöhnlichen Ha ltung zum Otsowismus nicht versteht, dieden Bolschewiki eigen, dieser Gruppe aber nicht eigen ist.

Die Revolution ist erneut unvermeidlich. Die Revolution muß erneutgegen die Selbstherrschaft anstürmen und sie stürzen - sagen die Ver-fasser der neuen Plattform. Das stimmt. Aber das ist nicht alles, was derrevolutionäre Sozialdemokrat unserer 7age zu wissen und zu bedenkenhat. Er muß imstande sein, zu verstehen, daß diese Revolution auf eineneue Weise an uns herantritt und daß wir an sie auf eine neue Weiseheranzutreten haben (anders als früher,- nicht nur so wie früher; nicht nur

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198 19.3. Lenin

stehen, die Propaganda, Agitation und Organisation derart zu gestalten,

daß dem Spezifischen dieses TXbergangsstadiums Rechnung getragenwird.Da haben wir ein Beispiel dafür, w ie die Leute vom Tlbergangsstadivan

reden, ohne zu begreifen, worin dieser Übergang besteht. „Daß in Ruß-land keinerlei wirkliche Verfassung besteht und daß die Duma lediglichihr Trugbild ist, ohne Macht und Bedeutung, das wissen nicht nur dieBevölkerungsmassen ausgezeichnet aus der Erfahrung, sondern das wirdjetzt auch der ganzen W elt klar." (S. 11.) Man halte dem die Beurteilungder III. Duma durch die Dezem berresolution entgegen: „Durch den Staats-

streich vom 3. Juni und durch die Errichtung der III. Duma ist das Bünd-nis des Zarismus mit den reaktionären Gutsbesitzern und den oberenSchichten der Handels- und Industriebourgeoisie offen anerkannt und ge-festigt worden."

Sollte es wirklich nicht „der ganzen Welt klar" sein, daß die Verfasserder Plattform eben doch die Resolution nicht verstanden haben, obwohl siein der Parteipresse ein Jahr lang in tausenderlei Formen wieder und wie-der dargelegt worden ist? Und natürlich haben sie die Resolution nichtetwa wegen ihrer Begriffsstutzigkeit nicht verstanden, sondern weil auf

ihnen der Otsowismus und das otsowistische Gedankengut lastet.Unsere III. Duma ist eine Duma der Schwarzhunderter und Oktobri-sten. Daß die Oktobristen und Schwarzhunderter in Rußland ohne „Machtund Bedeutung" sind (wie das bei den Verfassern der Plattform heraus-kommt), ist Unsinn. Das Fehlen einer „wirklichen Verfassung", die Auf-rechterhaltung der Machtvollkommenheit der Selbstherrschaft schließtkeineswegs eine spezifische historische Situation aus, in der diese Machtgezwungen ist, ein konterrevolutionäres Bündnis bestimmter Klassen imgesamtnationalen Maßstab , in den legal wirkenden Einrichtungen, die für

den gesamten Staat von Bedeutung sind, zu organisieren, und in der sichdiese bestimmten Klassen von selbst, von unten her zu konterrevolutionä-ren Blocks organisieren, die dem Zarismus die Hand reichen. Wenn das„Bündnis" des Zarismus mit diesen Klassen (ein Bündnis, gerichtet darauf,die Macht und die Einkünfte der fronherrlichen Gutsbesitzer aufrechtzu-erhalten) eine spezifische Form der Klassenherrschaft und der Herrschaftdes Zaren m it seinem Klüngel in der gegenwärtigen Tlbenjamjsperiode ist,eine Form, die durch die bürgerliche Evolution des Landes unter der Be-

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Notizen eines Publizisten 199

dingung der Niederlage der „ersten Welle der Revolution" hervorgerufen

wird - dann kann auä) gar keine Rede sein von einer Ausnutzung derÜbergangszeit ohne Ausnutzung d er D umatribüne. Die spezifische T aktikder Ausnutzung dieser Tribüne - von der herab die Konterrevolutionäresprechen - zum Zwedk der Vorbereitung der Revolution ist alsdann obH-gatorisdb und ergibt sich aus der Eigenart der gesamten historischen Situ-ation. Ist dagegen die Duma lediglich das „Trugbild" einer Verfassung,„ohne Macht und Bedeutung", dann haben wir es mit keinerlei neuerEtappe in der Entwicklung des bürgerlichen Rußlands, der bürgerlichenMonarchie, in der Entwicklung der Herrschaftsform der obersten Klassenusw. zu tun, und dann haben natürlich die Otsowisten im P rinzip recht!

Man nehme nun nicht an, daß der von uns angeführte Satz aus derPlattform eine zufällige Entgleisung sei. In einem speziellen Kapitel„ü be r die Reichsduma" (S. 25-28) lesen wir gleich zu Beginn: „Alle bis-herigen Reichsdumas waren Institutionen, die keine reale Kraft und Machtbesaßen und das wirkliche Kräfteverhältnis im Lande nicht zum Ausdruckbrachten. Die Regierung berief sie unter dem Ansturm der Volksbewegungein, um einerseits die M assenempörung von dem unm ittelbaren Kampf ab-zulenken und auf den friedlichen Weg der Stimmzettelabgabe hinzu-führen und um sich anderseits in diesen Dum as mit jenen gesellschaftlichen

Gruppen, die die Regierung im Kampf gegen die Revolution unterstützenkönnten, zu verständigen " Das ist ein ganzer Knäuel verworrener Ge-danken oder Bruchstücke von Gedanken. Hat die Regierung die Dumaseinberufen, tim sich mit den konterrevolutionären Klassen zu verständigen,so ergibt sich ja daraus gerade, daß die I. und II. Duma keine „Kraftund M acht" besaßen (um der Revolution zu helfen), die III. Duma dagegenKraft und Macht hatte und hat (um der K onterrevolution zu helfen). DieRevolutionäre konnten (und mußten unter gewissen Umständen) die Teil-nahme an einer Institution ablehnen, die außerstande w ar, der Revolution

zu helfen. Das steht unbestreitbar fest. Wenn die Verfasser der Plattformsolche Institutionen der revolutionären Periode in einen Topf werfen mitder Duma der „Periode zwischen zwei Revolutionen", die stark genug ist,die Konterrevolution zu unterstützen, so begehen sie einen ungeheurenFehler. Sie dehnen die richtigen bolschewistischen Schlußfolgerungen ge-rade auf solche Fälle aus, auf die sie sich in der Tat nicht erstrecken! Daseben heißt den Bolschewismus in eine Karikatur verwandeln.

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200 TP. J. Lenin

Bei der Zusammenfassung dessen, wie sie den Bolschewismus „ver-

stehen", haben die Verfasser der Plattform sogar einen besonderenPunkt d (S. 16) aufgenommen, in dem diese „Karikatur" auf den revo-lutionären Gedanken sozusagen ihren klassischen Ausdruck gefunden hat.Dieser Punkt hat folgenden Wort laut :

,,d) Bis zur Vollendung der Revolution können alle halblegalen und legalenMethoden und Wege des Kampfes der Arbeiterklasse, darunter auch die Be-teiligung an der Reichsduma, keine selbständige und entscheidende Bedeutungbesitzen, sondern sind lediglich ein Mittel zur Sammlung und Vorbereitungder Kräfte für den direkten revolutionären , offenen Massenkampf."

Demnach wäre es so, daß nadb der „Vollendung der Revolution" dielegalen Kampfmethoden, „darunter" auch der Parlamentarismus, selb-ständige und entscheidende Bedeutung hab en können!

Das ist falsch. Auch dann können sie eine solche nicht haben. Inder Plattform der „Wperjod"-Leute ist Unsinn zusammengeschriebenworden.

Weiter. Demnach wäre es so, daß „bis zur Vollendung der Revolution"alle Kampfmethoden außer den legalen un d halblegalen, d. h. alle ille-galen Kampfmethoden selbständige und entscheidende Bedeutung haben

können!Das ist falsch. Es gibt solche illegalen Kampfmethoden, die auch nadbder „Vollendung der Revolution" (beispielsweise die illegalen Propa-gand azirkel) u nd „bis zu r Vo llendung de r Revolution " (z. B. die Besitz-ergreifung von Geldmitteln des Feindes oder die gewaltsame Befreiungvon Gefangenen, das Töten von Spitzeln usw.) „keine selbständige undentscheidende Bedeutung besitzen, sondern lediglich ..." usw., wie imText de r „Plattform".

Weiter. Von welcher „Vollendung der Revolution" ist hier die Rede?Offensichtlich nicht von der Vollendung der sozialistischen Revolution,denn dann wird es keinen Kampf der Arbeiterklasse mehr geben, da jadie Klassen überhaupt nicht mehr vorhanden sein werden. Also handeltes sich um die Vollendung der bürgerlich-demokratischen Revolution.Sehen wir nun genauer an, was denn eigentlich die Verfasser der Platt-form unter der Vollendung der bürgerlich-demokratischen Revolution„verstanden" haben.

Allgemein gesprochen, kann man unter dieser Bezeichnung zweierlei

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Notizen eines Publizisten 201

verstehen. Wenn man sie in weitem Sinne anwendet, so versteht man

darunter die Lösung der objektiven historischen Aufgaben der bürger-lichen Revolution, ihre „V ollen dun g", d. h. die Beseitigung un m ittelba rdes Bodens, der die bürgerliche Revolution hervorzubringen vermag, dieVollendung des gesamten Zyklus der bürgerlichen Revolutionen. Indiesem Sinne zum Beispiel wurde in Frankreich die bürgerlich-demo-kratische Revolution erst 1871 vollendet (dagegen 1789 begonnen). Ge-braucht man jedoch das Wort im engen Sinne, so hat man eine einzelneRevolution im Auge, eine der bürgerlichen Revolutionen, sozusagen eineder „W ellen" , die gegen das alte Regime anstürm t, es aber nicht ganz hin-wegfegt, den Boden für die folgenden bürgerlichen Revolutionen nichtbeseitigt. In diesem Sinne wurde die Revolution des Jahres 1848 inDeutschland im Jahre 1850 bzw. in den fünfziger Jahren „vollendet",ohne daß sie auch nur im geringsten den Boden für den revolutionärenAufschwung der sechziger Jahre beseitigt hätt e. Die Revolution des Jahres1789 in Frankreich wu rde , sagen wir, 1794 „vollendet", ohne das dadurchirgendwie der Boden für die Revolutionen der Jahre 1830 und 1848 be-seitigt wurde.

Ganz gleich, ob man die Worte der Plattform „bis zur Vollendungder Revolution" in weitem oder in engem Sinne auslegt - in keinem Fallläßt sich in ihnen ein Sinn ergründen. Es braucht nicht erst gesagt zuwerden, daß jeder Versuch, jetzt die Taktik der revolutionären Sozial-demokratie im voraus bis zur Vollendung der gesamten Periode der mög-lichen bürgerlichen Revolutionen Rußlands festzulegen, völliger Unsinnwäre. Hinsichtlich der revolutionären „Welle" der Jahre 1905-1907,d. h. der ersten bürgerlichen Revolution in Rußland, muß in der Plattformselbst zugegeben werden, daß „sie (die Selbstherrschaft) die erste Welleder Revolution bezwungen hat" (S. 12), daß wir eine Periode „zwischenzwei Revolutionen", „zwischen zwei Wellen der demokratischen Revo-

lution" durchmachen.Worin liegt nun die Wurzel dieses endlosen und ausweglosen Wirr-

warrs in der „Plattform"? Gerade darin, daß die Plattform in diplo-matischer Weise vom Otsowismus abrückt, ohne auch nur im geringstendas Gedankengut des Otsowismus fallenzulassen, ohne seinen Grund-fehler zu berichtigen oder ihn auch nur zu bemerken. Sie liegt geradedarin, daß für die „Wperjod"-Leute der Otsowismus eine „berechtigte

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202 W.1. Lenin

Schattierung" ist, d. b., daß für sie die otsowistische Schattierung, diese

Karikatur auf den Bolschewismus, ein Qesetz, ein Vorbild, ein unüber-troffenes Vorbild ist. Wer diese schiefe Bahn einmal betreten hat, dergleitet unaufhaltsam und zwangsläufig in den Sumpf des ausweglosenWirrwarrs; der wiederholt Worte und Losungen, ohne die Bedingungenihrer Anwendbarkeit und die Grenzen ihrer Bedeutung durchdenken zukönnen.

Warum haben zum Beispiel die Bolschewiki in den Jahren 1906/1907gegen die Opportunisten so häufig die Losung aufgestellt: Die Revolutionist noch nicht zu Ende? Weil die objektiven Verhältnisse so waren, daß

von einer Vollendung der Revolution im engen Sinne des Wortes garkeine Rede sein konnte. Man nehme etwa die Periode der II. Duma. Siewar das revolutionärste Parlament der Welt neben der wohl reaktionär-sten absolutistischen Regierung. Aus diesen Verhältnissen gab es keinenanderen unmittelbaren Ausweg als den Umsturz von oben oder den Auf-stand von unten, und so sehr auch jetzt die neunmalklugen Pedantenmit dem Kopf schütteln, so konnte doch vor dem Um sturz niemand garan-tieren, daß er der Regierung gelingen, daß er glatt gehen, daß sich Niko-laus II. nicht den Hals dabei brechen wird. Die Losung „die Revolutionist noch nicht zu Ende" besaß aktuellste, unmittelbar wichtige, praktischspürbare Bedeutung, denn nur sie sprach richtig aus, was ist, wohin dieDinge kraft der objektiven Logik der Ereignisse treiben. Heute aber,wo die Otsowisten selbst die gegebene Lage als eine Lage „zwischen zweiRevolutionen" anerkennen, den Versuch zu machen, diesen Otsowismusals „berechtigte Schattierung des revolutionären Flügels", „bis zur Voll-endung der Revolution", auszugeben - ist das nicht ein heilloser Wirr-warr?

Um diesem ausweglosen Kreis von Widersprüchen zu entrinnen, darfman mit dem Otsowismus nicht diplomatisch verfahren, sondern mußseine ideologischen Grundlagen mit der W urzel ausrotten, muß m an sichauf den Standpunkt der Dezemberresolution stellen und sie ganz durch-denken. Die gegenwärtige Periode zwischen den Revolutionen erklärt sichnicht durch einen Zufall. Heute herrscht bereits kein Zweifel mehr, daßwir eine besondere Etappe der Entwicklung der Selbstherrschaft, der Ent-wicklung der bürgerlichen Monarchie, des Parlamentarismus der Kapita-listen und der Schwarzhunderter, der bürgerlichen Politik des Zarismus

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Notizen eines Publizisten 203

auf dem lachen Lande und der U nterstützung all dessen durch die konter-

revolutionäre Bourgeoisie vor uns haben. Diese Periode ist zweifelsohneeine "Übergangsperiode „zwischen zwei Wellen der Revolution"; um sichaber auf die zweite Revolution vorbereiten zu können, gilt es gerade, dasSpezifische dieses Übergangs zu meistern, es zu verstehen, die eigeneTaktik und Organisation diesem schwierigen, schweren, finsteren, uns aberdurch den Verlauf der „Kampagne" aufgezwungenen Übergang anzu-passen. Die Ausnutzung der Dumatribüne wie auch jeglicher anderenlegalen M öglichkeiten gehört zu der Zahl jener durchaus nicht hochstehen-den Kampfmittel, die nichts „Effektvolles" an sich haben. Aber die Über-

gangsperiode ist gerade deshalb eine Übergangsperiode, weil ihre spezi-fische Aufgabe die Vorbereitung und Sammlung der "Kräfte, nicht aberderen unmittelbares, entschiedenes Auftreten ist. Diese jeglichen äußerenGlanzes entbehrende Tätigkeit richtig organisieren zu können, es zu ver-stehen, ihr alle jene halblegalen Institutionen dienstbar zu machen, die fürdie Epoche der von den Schwarzhundertern und den Oktobristen be-herrschten Duma bezeichnend sind,es zu verstehen, audh auf diesem Bodenalle Traditionen der revolutionären Sozialdemokratie, alle Losungen ihrerjüngsten heroischen Vergangenheit, den ganzen Geist ihrer Arbeit, ihre

ganze Unversöhnlichkeit gegenüber dem Opportunismus und dem Refor-mismus zu bewahren - das ist die Aufgäbe der Partei, das ist die Auf-gabe der Gegenwart.

W ir haben die erste Abweichung der neuen Plattform von der Taktik,die in der Resolution der Dezemberkonferenz von 1908 niedergelegt ist,untersucht. W ir haben gesehen, daß das eine Abweichung in der Richtungder otsowistischen Ideen, in der Richtung von Ideen ist, die weder miteiner marxistischen Analyse der gegenwärtigen Lage noch mit den grund-legenden Voraussetzungen der Taktik der revolutionären Sozialdemo-

kraten überhaupt das geringste gemein haben . W ir müssen uns nunmehran die Untersuchung des zweiten originellen Zuges der neuen Plattformmachen.

Dieser besteht in der von der neuen Gruppe verkündeten Aufgabe der„Schaffung einer neuen proletarischen" Kultur und ihrer „Verbreitungunter den M assen": „in der Entwicklung der proletarischen Wissenschaft,in der Festigung der wahrhaft kameradschaftlichen Beziehungen unter denProletariern, in der Ausarbeitung einer proletarischen Philosophie, in der

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Notizen eines Publizisten 205

nützt nichts, sidi hinter ihm zu verstecken. In der Tat ist der einfluß-

reichste Kern von Publizisten der neuen Gruppe ein machistischer, derdie nicht-machistische Philosophie als eine nicht-„proletarische" betrachtet.Man hätte denn auch, wenn man davon in der Plattform reden wollte,

sagen sollen: die neue Gnippe vereinigt Leute, die gegen die nicht-„prole-tarischen", d. h. nicht-machistischen Theorien in Philosophie und Kunstden Kampf führen werden. Das wäre ein direktes, wahrheitsgemäßes,offenes Vorgehen einer allen bekannten ideohgisdien Strömung, eineAufnahme des Kampfes gegen die anderen Strömungen. Wenn man demideologischen Kampf wichtige Bedeutung für die Partei beimißt, so geht

man eben mit einer direkten Kriegserklärung vor und versteckt sichnicht.Wir wollen alle zu einer bestimmten, klaren Antwort auf die versteckte

Ansage des philosophischen Kampfes gegen den Marxismus aufrufen, diein der Plattform enthalten ist. Bemänteln doch alle Phrasen über „prole-tarische Kultur" in der 7at gerade den Kampf gegen den M arxismus. Die„Originalität" der neuen Gruppe besteht darin, daß sie die Philosophiein die Parteiplattform hineingetragen hat, ohne direkt zu sagen, welcheStrömung in der Philosophie sie eigentlich verficht.

übrigens wäre es nicht angängig zu sagen, der reale Inhalt, den diezitierten Worte der Plattform haben, sei gänzlich negativ. Hinter ihnenverbirgt sich auch ein gewisser positiver Inhalt. Der positive Inhalt läßtsich init einem Wort ausdrücken: Maxim Gorki.

In der Tat, es hat keinen Zweck, die Tatsache zu verheimlichen, die diebürgerliche Presse bereits ausposaunt (und dabei verdreht und verzerrt)hat, daß nämlich Maxim Gorki zu den Anhängern der neuen Gruppe ge-hört. Gorki aber ist unbedingt der bedeutendste Vertreter der proletari-schen Kunst, der vieles für sie getan hat und noch mehr für sie ton kann.Jede Fraktion der sozialdemokratischen Partei kann mit Recht auf dieZugehörigkeit Gorkis zu ihr stolz sein, auf Grund dessen aber in diePlattform die „proletarische Kunst" mit aufzunehmen bedeutet, dieserPlattform ein Armutszeugnis auszustellen, bedeutet, die Gruppe auf einenliterarischen Zirkel zu reduzieren, der sich selbst gerade des „Autoritäts-dusels" überführt... Die Verfasser der Plattform sprechen sehr vielgegen die Anerkennung von Autoritäten, aber sie erläutern nicht direkt,was damit gemeint ist. Die Dinge liegen so, daß ihnen die Verfechtung

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206 W. 3. Lenin

des Materialismus in der Philosophie und die Bekämpfung des Otsowismus

durch die Bolschewiki als ein Unternehmen einzelner „Autoritäten" (einWink mit dem Zaunpfahl!) erscheint, denen die Feinde des Machismussozusagen „blind vertrauen". Derartige Ausfälle sind natürlich höchstkindisch. Mit Autoritäten gehen aber gerade die „Wperjod" -Leute nichtgut um. Gorki ist eine Autorität auf dem Gebiet der proletarischen Kunst,das steht fest. Zu versuchen, diese Autorität zur Festigung des Machismusund Otsowismus „auszunutzen" (natürlich im ideologischen Sinne), heißtein Musterbeispiel dafür zu liefern, wie man mit Autoritäten nicht um-gehen darf.

Auf dem Gebiet der proletarischen Kunst ist Maxim Gorki ein ungeheu-res Plus, trotz seiner Sympathie für den Machismus und den Otsowismus.Auf dem Gebiet der Entwicklung der sozialdemokratischen proletarischenBewegung ist die Plattform, die. in der Partei eine Gruppe von Otsowistenund Machisten absondert und als spezielle Aufgabe dieser Gruppe dieEntwicklung einer angeblich „proletarischen" Kunst stellt, ein Minus,denn diese Plattform legt es darauf an, im Wirken einer großen Autoritätgerade das festzuhalten und auszunutzen, was ihre schwache Seite dar-stellt, was als negative Größe in die Summe des von ihr dem Proletariat

gebrachten ungeheuren Nutzens eingeht.

II

D I E „ E I N I G U N G S K R I S E " I N U N S E R E R P A R T E I

Beim Lesen dieser Überschrift wird mancher Leser wohl nicht gleichseinen Augen trauen. „Das fehlte gerade noch! Haben wir denn noch nichtgenug Krisen in unserer Partei gehabt, daß man plötzlich noch mit einer

neuen, mit einer Einigungskxisz kommt?"Den Ausdruck, der so merkwürdig klingt, habe ich von Liebknecht ent-lehnt. Er gebrauchte ihn 1875 in dem Brief (vom 21 . April) an Engels, alser die Vereinigung der Lassalleaner und der Eisenacher schilderte. Marxund Engels nahmen damals an, daß aus dieser Vereinigung nichts Gutesherauskommen werde.69 Liebknecht wand te sich gegen ihre Befürchtungenund versicherte, daß die deutsche sozialdemokratische Partei, diejegliche Krisen erfolgreich überstanden habe, auch die „Einigungskrise"

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Notizen eines Publizisten 207

überstehen werde (siehe Gustav Mayer, „Johann Baptist von Schweitzer

und die Sozialdemokratie", Jena 1909, S. 424).Es unterliegt nicht dem geringsten Zweifel, daß auch unsere Partei, dieSDAPR, ihre Einigungskrise erfolgreich überstehen wird. Und daß siediese jetzt durchmacht, das sieht jeder, dem die Beschlüsse der Plenar-tagung des ZK und die Ereignisse nach dem Plenum bekannt sind. Wennman nach den Resolutionen des Plenums urteilt, so mag es scheinen, alswäre die Einigung ganz und gar vollkommen und durchaus vollendet. U r-teilt man auf Grund der Lage, die jetzt, Anfang Mai 1910, besteht, urteiltman auf Grund des energischen Kampfes des Zentralorgans gegen den„Golos Sozial-Demokrata", der von den Liquidatoren herausgegebenwird, urteilt man auf Grund der heiß entbrannten Polemik Plechanowsund der anderen parteitreuen Menschewiki mit den „Golos"-Leuten, ur-teilt man auf Grund der ungezügelten Schimpfkanonade der Gruppe„Wperjod" gegen das ZO (siehe ihr soeben erschienenes Flugblatt „Andie Genossen Bolschewiki") - so mag einem abseits stehenden Menschensehr leicht jeglidbe Einigung als ein Phantom erscheinen.

Die offenen Feinde der Partei frohlocken. Die Anhänger und Helfers-helfer des Otsowismus, die „Wperjod"-Leute, ergehen sich in wütendemGeschimpfe. Die Führer der Liquidatoren - Axelrod, Martynow, Martow,Potressow und andere - geifern noch erbitterter in ihrer „NotwendigenErgänzung zu den ,Dnewniki' Plechanows". Die Hände zusammenschla-gend und klagend stehen die „Versöhnler" da und stammeln hilflos Phra-sen (siehe die Resolution des auf dem Standpunkt Trotzkis stehenden„Wiener sozialdemokratischen Parteiklubs" vom 17. April 1910).

Aber auf die wichtigste und grundlegende Frage nach den Zlrsadben,warum unsere Parteivereinigung sich so und nicht anders vollzieht, warumdie (scheinbar) vollständige Vereinigung auf dem Plenum jetzt einer(scheinbar) völligen Veruneinigung Platz gemacht hat, als auch auf dieFrage, in welcher Richtung auf Grund des „Kräfteverhältnisses" innerhalbund außerhalb unserer Partei ihre weitere Entwicklung verlaufen soll -auf diese grundlegenden Fragen erhalten wir weder von den Liquidato-ren („Golos"-Leuten) noch von den Otsowisten („Wperjod"-Leuten)noch von den Versöhnlern (Trotzki und „Wiener") irgendeine Antwort.

Geschimpfe und Phrasen sind keine Antwort.

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208 W. I.Lenin

1. Zweierlei Anschauungen über die Vereinigung

In rührender Eintracht schimpfen die Liquidatoren und die Otsowistenauf die Bolsdiewiki, was das Zeug hält (die erstgenannten beschimpfenauch noch Plechanow). Schuld seien die Bolsdiewiki, schuld sei das Bol-schewistische Zentrum, schuld seien die „individualistischen" Allüren vonLenin und Plechanow (S. 15 der „Notwendigen Ergänzung"), schuld sei„die verantwortungslose Gruppe" der „ehemaligen Mitglieder des Bol-schewistischen Zentrums" (siehe das Flugblatt der Gruppe „Wperjod").Die Solidarität unter den Liquidatoren und Otsowisten ist in dieser Hin-

sidit vollkommen; ihr Blocfe gegen den orthodoxen Bolschewismus (einBlodc, der mehr als einmal ein charakteristisches Merkmal audi des Kamp-fes auf dem Plenum gewesen war, wovon weiter unten speziell die Redesein wird) ist eine unbestreitbare Tatsadie; die Vertreter der zwei extrem-sten Strömungen, die in gleidier Weise die Unterordnung unter die bür-gerlichen Ideen zum Ausdruck bringen und in gleicher Weise parteifeind-lidi sind, stimmen ganz und gar in ihrer innerparteilichen Politik, imKampf gegen die Bolsdiewiki und auch darin überein, daß sie das ZO als„bolsdiewistisch" proklamieren. Aber audi das nodi so starke Gesdaimpfevon Axelrod und A lexinski bemäntelt nur ihre völlige Verständnislosigkeitfür den Sinn und die Bedeutung der Parteivereinigung. Die ResolutionTrotzkis (— der Wiener) unterscheidet sich nur der Form nach von den„Ergüssen" Axelrods und Alexinskis. Sie ist sehr „vorsichtig" abgefaßtund erhebt Anspruch auf „überfraktionelle" Gereditigkeit. Worin aberbesteht ihr Sinn? Daß an allem die „bolsdiewistisdien Führer" sdiuldseien - das ist die gleidie „Gesdiiditsphilosoph ie" wie bei Axelrod undAlexinski.

Gleidi im ersten Absatz der Wiener Resolution heißt es: „... die Ver-treter aller Fraktionen und Strömungen ... haben durch ihren Besdiluß"(auf dem Plenum) „bewußt und überlegt die Verantwortung für dieDurdiführxmg der gefaßten Resolutionen unter den gegebenen Bedingun-gen, in Zusammenarbeit mit den gegebenen Personen, Qruppen und In-stitutionen übernommen." Es handelt sidi um „die Konflikte im ZO".Wer ist „verantwortlich für die Durchführung der Resolutionen" des Ple-nums im Z O ? Es ist klar: die Mehrh eit des Z O , d. h. die Bolschewiki unddie Polen; sie sind audi verantwortlich für die Durchführung der Resolu-

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'Notizen eines Publizisten 209

tionen des Plenums - „in Zusa m me narbe it mit den gegebenen P erson en"d. h. mit den „G olos"- und den „W perjod"-Leuten.

Wovon handelt die Hauptresolution des Plenums in dem Teil, der den„brennenden" Fragen unserer Partei gewidmet ist, den Fragen, die biszum Plenum am meisten umstritten waren und die nach dem Plenum dieam wenigsten umstrittenen werden sollten?

Sie handelt davon, daß in der Ablehnung der illegalen sozialdemokrati-schen Partei, in der Herabsetzung ihrer Rolle und Bedeutung usw. einer-seits, in der Ablehnung der Arbeit der Sozialdemokratie in der Duma undder Ausnutzung der legalen Möglichkeiten, in der Verständnislosigkeitgegenüber der Wichtigkeit des einen und des anderen usw. anderseits der

bürgerliche Einfluß auf das Proletariat zum Ausdruck komm t.

Es fragt sich nun, welchen Sinn eigentlich diese Resolution hat:Den Sinn, daß die „Golos"-Leute aufrichtig und unwiderruflich ein

Kreuz m achen sollten über die Ablehn ung d er illegalen Partei, über derenHerabsetzung usw., daß sie dies als Abweichung anerkennen, daß sie siekorrigieren und eine positive Arbeit in einem dieser Abweichung feind-lichen Geiste leisten sollten; daß die „Wperjod"-Leute aufrichtig und un-widerruflich ein Kreuz machen sollten über die Ablehnung der Arbeit inder Duma und der legalen Möglichkeiten usw.; daß die Mehrheit des ZO

die „Golos"- und „Wperjod"-Leute auf jede mögliche Art und Weise zur„Mitarbeit" heranziehen sollte unter der 'Bedingung ihrer aufrichtigen,konsequenten und unwiderruflichen Lossagung von den in der Resolutiondes Plenums ausführlich besch riebenen „Ab weich unge n" ?

Oder hat die Resolution etwa den Sinn, daß die Mehrheit des ZO fürdie Durchführung der Resolutionen (über die Überwindung der liquida-torischen und otsowistischen Abweichungen) verantwortlich ist „in Zu-sammenarbeit mit den gegebenen" „Golos"-Leuten, die das Liquidatoren-tum nach wie vor, und jetzt sogar noch gröber, zu verteidigen fortfahren,

und mit den gegebenen „Wperjod"-Leuten, die nach wie vor, und jetztsogar noch gröber, die Berechtigung des Otsowismus, des Ultimatismususw. zu vertreten fortfahren?

Es genügt, diese Frage zu stellen, um zu sehen, wie inhaltlos die hoch-trabenden Phrasen in der Resolution Trotzkis sind, wie sie in Wirklich-keit der Verteidigung ganz derselben Position dienen, die Axelrod undCo., Alexinski und Co. einnehmen.

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Notizen eines Publizisten 21 1

dieser A rbeit, ist dabei eine zwe itrangige Sache. D ie Me inungsverschieden-

heiten sollen verschwiegen und ihre Wurzeln, ihre Bedeutung und ihreobjektiven U rsachen nicht aufgedeckt we rden. Die Personen u nd Grup penzu „versöhnen" - das ist die Hauptsache. Wenn sie in der Durchführungeiner gemeinsamen Linie nicht einig sind, muß man diese Linie so aus-legen, daß sie für alle annehmbar ist. Leben und leben lassen. Das ist dasspießbürgerliche „Versöhnlertum", das unvermeidlich zur Zirkeldiploma-tie führt. Die Quellen der Meinungsverschiedenheiten „zu verstopfen",sie zu verschweigen, „Konflikte" um jeden Preis „beizulegen", einanderfeindliche Richtungen zu neutralisieren - darauf ist die Hauptaufmerksam-keit eines derartigen „Versöhnlertums" gerichtet. Es ist verständlich, daß

diese Zirkeldiplomatie bei dem Umstand, daß die Basis der Operationender illegalen Partei im Ausland liegt, jenen „Personen, Gruppen und Insti-tutionen" Tür und Tor öffnet, die bei allen möglichen Versuchen der „Ver-söhnung" und „Neutralisierung" die Rolle „ehrlicher Makler" spielen.

über einen derartigen Versuch auf dem Plenum erzählt Martow inNummer 19/20 des „Golos":

„Die Menschewiki, die ,Prawdisten' und die Bundisten haben eine solcheZusammensetzung des ZO vorgeschlagen, die eine ,73eutralisierung' der bei-den einander entgegengesetzten Strömungen in der Parteiideologie gewähr-leisten, keiner von ihnen eine entschiedene Mehrheit verschaffen und dadurchdas Parteiorgan nötigen würde, in jeder wesentlichen Frage solch eine mittlereLinie auszuarbeiten, die die Mehrheit der Parteifunktionäre zu vereinigenvermag."

Der Vorschlag der Menschewiki kam bekanntlich nicht durch. Trotzki,der seine Kandidatur für das ZO als 'Neutralisator aufgestellt hatte, fieldurch. Die Kandidatur eines Bundisten für denselben Posten - diese Kan-didatur schlugen die Menschewiki in ihren Reden vor - wurde gar nichterst zur Abstimmung gestellt .

Da haben wir die wirklidbe Rolle jener „Versöhnler" im schlechtenSinne des W orte s, die die W ien er R esolution verfaßt haben un d deren A n-schauungen in dem Artikel Jonows in N r. 4 der „Otkliki Bunda" zumAusdruck gekommen sind, den ich soeben erhalten habe. Die Menschewikihaben es nidbt gewagt, ein ZO mit einer Mehrheit ihrer Richtung vorzu-schlagen, wo bei sie, wie aus den von mir zitierten Au sführungen M ar-tows ersichtlich ist, das Bestehen zweier einander entgegengesetzter Strö-

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212 W.l Lenin

mutigen in der Partei zugegeben haben. Es ist den Menschewiki gar nicht

eingefallen, ein Z O mit einer Mehrh eit ihrer Richtung vorzuschlagen. Sieunternahmen nicht einmal den Versuch, ein Zentralorgan mit einer be-stimmten Richtung zu erreichen (so klar trat auf dem Plenum das Fehlenjeder Richtung bei den Menschewiki hervor, von denen eben erst eineaufrichtige und konsequente Absage an das Liquidatorentum gefordertbzw. erwartet wurde). Die Menschewiki suchten im ZO auf eine „Neu-tralisierung" hinzuwirken und schlugen als 'Neutrdisator einen Bundistenoder Trotzki vor. Der Bundist und Trotzki sollten die Rolle von Heirats-vermittlern spielen, die sich die „Eheschließung" der „gegebenen Perso-nen, Gruppen und Institutionen" zum Ziel gesetzt haben, unabhängigdavon, ob die eine Seite dem Liquidatorentum entsagen würde odernicht.

Dieser Standpunkt von Heiratsvermittlern bildet denn auch die ganze„ideologische Grundlage" des Versöhnlertums Trotzkis und Jonows.Wenn sie darüber klagen und Tränen darüber vergießen, daß aus derVereinigung nichts geworden ist, so ist das cum grano salis* zu verstehen.Es ist so zu verstehen, daß aus der Heiratsvermittlung nichts gewordenist. Das „Fehlschlagen" der Hoffnungen auf die Vereinigung, die Trotzkiund Jonow hegten, der Hoffnungen auf die Vereinigung mit den „gege-benen Personen, Gruppen und Institutionen" unabhängig von ihrer Stel-lung zum Liquidatorentum, bedeutet lediglich einen Mißerfolg der Hei-ratsvermittler, bekundet die Falschheit, Hoffnungslosigkeit und Kläglich-keit des Standpunkts von Heiratsvermittlern, bedeutet aber noch keines-wegs den Mißerfolg der Parteivereinigung.

Es besteht noch eine andere Anschauung über diese Vereinigung. Dieseandere Anschau ung besteht darin, daß eine ganze Reihe tief verw urzelter,objektiver Ursachen, unabhängig von dieser oder jener Zusammensetzungder (auf dem Plenum und für das Plenum) „gegebenen Personen, Gruppenund Institutionen", schon längst begonnen hat bzw. nach wie vor unent-wegt fortfährt, in den zwei seit langem vorhandenen, zwei hauptsäch-lichen russischen Fraktionen der Sozialdemokratie solche Veränderungenhervorzurufen, die - manchmal gegen den Willen der einen oder anderender „gegebenen Personen, Gruppen und Institutionen" und sogar unbe-

* Mit einem Körnchen Salz; übertragen: mit großem Vorbehalt, nichtganz wörtlich. Die Red.

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Notizen eines Publizisten 213

wüßt für sie - die ideologischen und organisatorischen Grundlagen der

Vereinigung schaffen. Diese objektiven Bedingungen wurzeln in den Be-sonderheiten der Epoche der bürgerlichen Entwicklung Rußlands, die wirdurchmachen, der Epoche der bürgerlichen Konterrevolution und der Ver-suche der Selbstherrschaft, sich nach dem Typ einer bürgerlichen Mon-archie zu reorganisieren. Diese objektiven Bedingungen bewirken gleich-zeit ig und in untrennbarem Zusammenhang miteinander Veränderungenim Charakter der Arbeiterbewegung, in der Zusammensetzung, im Typ,im Gesamtbild der sozialdemokratischen Vorhut der Arbeiter sowie Ver-änderungen in den politisch-ideologischen Aufgaben der sozialdemokra-

tischen Bewegung. Daher ist der bürgerliche Einfluß auf das Proletariat,der das Liquida torentum ( = Halbliberalismus, der sich zur Sozialdemo-kratie zählen möchte) und den Otsowismus ( = Halbana rchismus, der sichzur Sozialdemokratie zählen möchte) hervorbringt, kein Zufall, keinerleiindividuelle Böswilligkeit, keine Dummheit und kein Fehler, sondern dasunvermeidliche Resultat der Auswirkungen dieser objektiven Ursachen -und ein von der „Basis" untrennbarer überbau über der gesamtenArbeiterbewegung des heutigen Rußlands. Die Erkenntnis von der Ge-fährlichkeit, dem unsozialdemokratischen Charakter und der Schädlichkeitbeider Abweichungen für die Arbeiterbewegung ruft eine Annäherung vonElementen der verschiedenen Fraktionen hervor und bahnt der Partei-vereinigung „über alle Hindernisse hinweg" den Weg.

Von diesem Gesichtspunkt aus kann die Vereinigung langsam undunter Schwierigkeiten, unter Zaudern, Schwankungen und Rückfällen zu-stand e kom me n, aber sie kann nicht ausbleiben. Von diesem Gesichtspunktaus kom mt die Vereinigung durchaus nicht unbeding t zwischen den „gege-benen Personen, Gruppen und Insti tutionen", sondern unabhängig vonden gegebenen Personen zustande, die sie sich unterordnet, wobei sie vonden „gegebenen" jene abstößt, die die Erfordernisse der objektiven Ent-wicklung nicht erkennen oder nicht erkennen wollen, neue Personen, dienicht zur Gruppe der „gegebenen" gehören, hervortreten läßt und heran-zieht und Veränderungen, Umschichtungen und Umgruppierungen inner-halb der alten Fraktionen, Strömungen und Einteilungen hervorruft. Vondiesem Gesichtspunkt aus ist die Vereinigung untrennbar mit ihrer ideo-logischen Grundlage verbunden, sie kann überhaupt erst auf der Grund-lage d er ideologischen Annä heru ng entstehen, sie hä ngt mit dem Entstehen,

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216 W. I.Lenin

Man hat an einer Stelle den (für den einen oder anderen lieben Freund)

„unangenehmen" Ausdruck abgeändert , aber den Grundgedanken beste-hen lassen! Herausgekommen ist nur eine Verworrenheit, eine Verwässe-rung, die Verschlechterung eines Teils eines Punktes durch eine Phrase.

In der Tat ist es eben eine Phrase und eine hilflose Ausflucht, wenn indem betreffenden Paragraphen von Überwindung durch Erweiterung undVertiefung der Arbeit die Rede ist. Ein klarer Sinn ist hier in keiner Weisegegeben. Die Arbeit erweitern und vertiefen ist immer und unbedingtnotwendig; davon handelt der ganze dritte Paragraph der Resolution aus-führlich, tmd zwar noch vor dem Übergang zu den spezifischen - nicht

imm er und nicht unbedingt obligatorischen, sondern durch die Verhältnisseder besonderen Periode aufgeworfenen - „politisch-ideologischen Auf-gab en". Einzig und allein diesen besonderen Aufgaben ist der Parag raph 4gewidmet, und in der Einführung zu allen seinen drei Punkten heißt esdirekt, daß diese politisch-ideologischen Aufgaben „ihrerseits auf dieTagesordnung gestellt worden sind".

Was is t nun herausgekommen? Herausgekommen is t Unsinn, als wäredie Aufgabe der Erweiterung und Vertiefung der Arbeit ebenfalls ihrer-seits auf die Tagesordnung gestellt worden! Als ob überhaupt eine histo-

rische „Zeit" möglich sei, zu der diese Aufgabe nicht gestellt ist, wie sieimmer gestellt ist.

Wie lassen sich denn Abweichungen durch Erweiterung und Vertiefungder sozialdemokratischen Arbeit überwinden? Bei jeder Erweiterung undbei jeder Vertiefung wird unvermeidlich die Frage auftauchen, wie erwei-tert und vertieft werden soll; wenn Liquidatorentum tmd Otsowismuskeine Zufallserscheinungen, sondern durch die sozialen Verhältnisse her-vorgebrachte Strömungen sind, so können sie sich in jede Erweiterung undin jede Vertiefung der Arbeit eindrängen. Man kann die Arbeit im Geiste

des Liquidatorentums erweitern und vertiefen - das tun zum Beispiel„Nascha Sarja" und „Wosroshdenije"70; ma n kann das auch im Geiste desOtsowismus tun. Anderseits kostet die Überwindung der Abweichungen,„Überwindung" in der eigentlichen Bedeutung des Wortes, unvermeid-lich gewisse Kräfte, eine gewisse Zeit und Energie, die der unmittelbarenErweiterung und Vertiefung der richtigen sozialdemokratischen Arbeitverlorengehen. Zum Beispiel schreibt derselbe Jonow auf der gleichenSeite in seinem Artikel:

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T^otizen eines Publizisten 221

sen die Andeutungen Jonows unbedingt dechiffriert werden. Falls er

hier nicht davon spricht, daß das Plenum in einer Reihe von Fragen zueiner Übereinkunft strebte (und nicht zu einem einfachen Mehrheits-beschluß), so ersuchen wir ihn, sich deutlicher auszudrücken und dieKlatschbasen im Ausland nicht in Versuchung zu führen.

Falls aber Jonow hier von der Obereinkunft der Fraktionen auf demPlenum spricht, so zeigen uns seine Worte gegen die „Genossen, die sichjetzt an einen formalen Standpunkt klammern", anschaulich noch einenweiteren Zug dieser angeblichen Versöhnler, die in Wirklichkeit insge-heim den Liquidatoren Vorschub leisten.

Auf dem Plenum wurde durch Übereinkunft der Fraktionen eineReihe einstimmiger Beschlüsse erreicht. Warum war dies notwendig?Deshalb, weil die fraktionellen Beziehungen faktisch einer Spaltunggleichkamen; aber bei jeder Spaltung wird immer und unvermeidlichdie Disziplin des gesamten Kollektivs (im gegebenen Fall der Partei)der Disziplin eines Teils des Kollektivs (im gegebenen Fall der Fraktion)geopfert.

Zur Einheit konnte man unter den russischen Parteiverhältnissen nichtanders kommen als durch eine Übereinkunft zwischen den Fraktionen(ob zwischen allen Fraktionen oder nur den hauptsächlichen, ob zwischenTeilen der Fraktionen oder den Fraktionen im ganzen, das ist eine andereFrage). Daher die Notwendigkeit eines Kompromisses, d. h. solcher Zu-geständnisse in einigen Punkten, die dem Standpunkt der Mehrheit nichtentsprachen, aber von der Minderheit gefordert wurden. Ein solchesKompromißzugeständnis war die Entfernung des Wortes: Liquidatoren-tum aus der Resolution. Ein besonders plastischer Ausdruck dieses kom-promißlerischen Charakters der Beschlüsse des Plenums ist die bedingte

Übergabe des Jrafetionsvermögens der Bolschewiki an dritte Personen.Ein Teil der Partei übergibt unter Vorbehalt sein Vermögen an dritte

Personen (aus der internationalen Sozialdemokratie), die dann entschei-den werden, ob diese Gelder dem ZK zu übergeben oder der Fraktionzurückzugeben sind. Der völlig ungewöhnliche und in einer normalen,nichtgespaltenen Partei unmögliche Charakter dieses Übereinkommenszeigt klar, zu welchen Bedingungen die Bolschewiki diese Übereinkunfttrafen . D ie De klara tion de r Bolschewiki, die in N r. 11 des Z O ver-öffentlicht ist, sagt klar, daß die Verwirklichung der Resolution, „die das

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226 "W. 1. Lenin

bruch der Parteivereinigung, sondern der Beginn der Vereinigung der-

jenigen, die wirklich in der Partei und im Parteigeist arbeiten können undwollen, ist der Beginn einer Säuberung des wirklich die Partei bildendenBlocks der Bolschewiki, der parteitreuen Menschewiki, der Nationalenund der nichtfraktionellen Sozialdemokraten von parteifeindlichen Rene-gaten, von Halbliberalen und Halbanarchisten.*

4. Zu Paragraph i der Resolution über die Lage in der Partei

Wenn ich die Unzulänglichkeiten der Resolutionen des Plenums weiteruntersuche, muß ich nun auf den ersten Punkt der Resolution über dieLage in der Partei eingehen. Dieser Punkt berührt zwar nicht solcheFragen, die unmittelbar mit dieser oder jener Auffassung von der Partei-vereinigung zusammenhängen; ich muß aber abschweifen, denn die Aus-legung dieses ersten Punktes hat bereits viele Auseinandersetzungen inder Partei hervorgerufen.

In meinem Resolutionsentwurf war dieser Punkt überhaupt nicht ent-halten, und ich habe — wie auch die gesamte Redaktion des „Proletari" —

auf das entschiedenste gegen ihn gekämpft. Dieser Punkt wurde von denMenschewiki und den Polen durchgesetzt, die von einem Teil der Bol-schewiki nachdrücklichst darauf aufmerksam gemacht wurden, daß die

* Nebenbei. Zur Kennzeichnung des gegen die Bolschewiki gerichtetenBlocks der „Golos"- und „Wperjod"-Leute (eines Blocks, der ganz und gar demBlock der Jaure'sisten und Herve'isten gegen die Guesdisten gleicht) mag fol-gende Tatsache dienen. In der Schrift „Eine notwendige Ergänzung" machtsich Martow über Plechanow lustig, weil dieser der Zusammensetzung derSchulkommission Bedeutung beimißt. Martow heuchelt. Auf dem Plenum hatder gleiche Martow zusammen mit allen Menschewiki, zusammen mit Maxi-

mow und mit Unterstützung Trotzkis für eine Resolution gekämpft, diedie Anerkennung der otsowistischen Schule in NN als Parteischule, mit der dasZK eine Übereinkun ft erzielen sollte, zum Inhalt hatte! Mit Mühe gelang esuns, diesen parteifeindlichen Block zu Fall zu bringen.

Selbstverständlich haben die „Golos"- und die „Wperjod"-Leute, sofern siezur Partei gehören, voll und ganz das Redbt, Blocks zu schließen. Es geht nichtum ein Recht, sondern um die Prinzipienfestigkeit des Blocks. Dies ist einBlock Prinzipienloser gegen das Parteiprinzip und die Prinzipienfestigkeit.

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Notizen eines "Publizisten 117

Auslegung dieses unklaren, verschwommenen Punktes unweigerlich Miß-

verständnisse erzeugen oder - noch schlimmer - den Liquidatoren Vor-schub leisten wird.Es braucht nicht gesagt zu w erden, daß ich eine ganze Reihe von Thesen

dieses Punktes auf dem Plenum ihrer Inhaltslosigkeit, ihrer Leere undTautologie wegen kritisiert habe. Zu sagen, daß die Taktik der Sozial-demokraten in ihrer prinzipiellen Grundlage immer einheitlich ist, undnicht zu definieren, worin diese prinzipiellen Grundlagen bestehen, warumund von weldien Grundlagen denn (vom Marxismus überhaupt oder vonbestimmten Thesen des Marxismus) hier gesprochen wird; zu sagen,daß die Taktik der Sozialdemokraten immer auf ein Maximum an Er-gebnissen abzielt, und weder das Nahziel (die zunächst möglichen Er-gebnisse) des Kampfes in dem gegebenen Zeitabschnitt noch die spezi-fischen Kampfmethoden dieses gegebenen Zeitabschnitts zu bestimmen;zu sagen, daß die Taktik für verschiedene Wege berechnet ist, auf denendie Entwicklung verlaufen kann, und nicht konkret diese Wege zu be-stimmen; - Binsenwahrheiten zu sagen, daß die Taktik zur Sammlungder Kräfte beitragen und das Proletariat auf den offenen Kampf wie aufdie Ausnutzung der Widersprüche eines labilen Regimes vorbereitenmuß - alles das sind doch offensichtliche, ins Auge springende M ängel,

die den gesamten Punkt in einen unnötigen und untauglichen Ballastverwandeln.

Aber dieser Punkt enthält noch etwas Schlimmeres. In ihm gibt es eineHintertür für die Liquidatoren, auf die während des Plenums von ver-schiedenen Teilnehmern des Plenums, nicht nur von Bolschewiki, sondernauch von einem Bundisten und selbst von Tro tzki hingewiesen wurde. Dasist der Satz, daß sich für das klassenbewußte Proletariat „zum erstenmaldie Möglichkeit eröffnet - indem es sich in einer sozialdemokratischenMassenpartei organisiert —, bewußt, planmäßig und konsequent diese

taktische Methode der internationalen Sozialdemokratie anzuwenden".(Von welcher Art ist diese Methode? Vorher ging es um die prinzipiellenGrundlagen der Taktik, nicht etwa um deren Methode und noch wenigerum irgendeine bestimmte M ethode.)

Warum zum erstenmal - fragten die Kritiker dieses Punktes auf demPlenum. Wenn darum, weil jeder Schritt der Entwicklung eines Landesetwas Neues, Höheres sowohl in bezug auf den Stand der Technik als

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228 IV . J. Lenin

auch in bezug auf die Entschiedenheit des Klassenkampfes usw. bringt,

so haben wir wiederum eine Banalität vor uns. Dann bringt jeder Zeit-abschnitt immer und unbedingt etwas Derartiges, das im Vergleich zumvorangegangenen Zeitabschnitt zu m erstenmal auftritt. Aber wir durch-leben einen bestimmten Zeitabschnitt, einen Zeitabschnitt der konter-revolutionären Dekadenz, einen Zeitabschnitt, wo die Energie der Massenund der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung nach dem revolutionärenAufschwung in starkem Maße abflaut. Und wenn ein solcher Zeitabschnittals ein Abschnitt charakterisiert wird, der Zum erstenmal dem Proletariatdie Möglichkeit gibt, bewußt usw. die Methode der internationalen Sozial-demokratie anzuwenden, so führen diese Worte unweigerlich zu einerliquidatorischen Auslegung, zu einem rein liberalen Herausstreichen derangeblich friedlichen und angeblich gesetzlichen Periode der d ritten Dum agegenüber der Periode des Sturms und Drangs, gegenüber der Periodeder Revolution, als der Kampf des Proletariats sich in unmittelbar revo-lutionären Formen vollzog und die Liberalen ihn als einen „Wahnwitzdes Elementaren" beschimpften.

Um die besondere Aufmerksamkeit auf diese Gefahr einer liquida-torischen Auslegung dieses überaus unklaren Punktes zu lenken, gab ichauf dieser Plenartagung eine ganze Reihe schriftlicher Erklärungen ab undhob einige Stellen aus den Reden der Sprecher hervor. Hier zwei meinerErklärungen:

1. „Auf Antrag Lenins werden folgende Worte des Gen. T.72 (einespolnischen Sozialdemokraten) im Protokoll aufgenommen.- ,Vollkommenverkehrt ist die Auslegung, daß es sich hier um eine Herabsetzung derTaktik der Revolution gegenüber der Konterrevolution handelt.'"

2. „Auf A ntrag Lenins wird im Protokoll der Ausruf des Gen. Martow(,richtig!') zu den Ausführungen von I.73 (ein Bolschewik, der diesenPunkt verteidigte) aufgenommen, da ß die umstrittenen W orte die Bedeu-

tung der Revolution und ihrer Methoden gegenüber den konterrevolutio-nären Methoden nicht herabsetzen, sondern erhöhen."

Beide Erklärungen stellen fest, daß der Pole und der Bolschewik unterZustimmung Martows sich kategorisch davon distanziert haben, daß die-ser Punkt auch nur im geringsten Maße im Sinne der Liquidatoren aus-gelegt werden könnte. Eine solche Auslegung gehörte natürlich überhauptnicht zu den Absichten dieser beiden Genossen.

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Notizen eines Publizisten 229

Es ist jedoch schon seit langem bekannt, daß das Gesetz angewandt

•wird und nicht die Motive des Gesetzes, nicht die Absichten des Gesetz-gebers. Die Bedeutung dieses Punktes in der Agitation und Propagandawird nicht durch die guten Absichten dieser oder jener seiner Autoren,nicht durch ihre Erklärungen auf dem P lenum, sondern du rch das objektiveVerhältnis der Kräfte und Richtungen innerhalb des russischen Teils derSozialdemokratie bestimmt (die nichtrussischen Sozialdemokraten werdenwohl kaum diesem unklaren Punkt besondere Aufmerksamkeit zu-wen d en ) .

Deshalb wartete ich gespannt ab, wie man jetzt diesen Punkt in derPresse auslegen wird, und zog es vor, mich mit der Darlegung meinerMeinung nicht zu übereilen, zog es vor, zunächst die Meinungen derSozialdemokraten, die auf dem Plenum nicht anwesend waren, oder dieMeinungen der „Golos"-Leute zu hören.

Bereits die erste nach dem Plenum erschienene Nummer des „Golos"erbrachte völlig ausreichendes Material für die Einschätzung unseresStreits darüber, wie dieser Punkt ausgelegt wird.

In dem redaktionellen Artikel des „Golos" über die Ergebnisse desPlenums lesen wir:

„Vollkommen sinnlos und dumm wäre es natür l ich anzunehmen, daßdas ZK mit d iesen Worten" („zum erstenmal" usw.) „eine indirekteVerurteilung unserer früheren Taktik zum Ausdruck bringen wollte, so -fern diese der revolutionären Situation angepaßt war" (hervorgehobenvom Verfasser; Nr. 19/20, S. 18).

Sehr gut! Der Verfasser erklärt die liquidatorische Auslegung für sinn-los und dumm. Allein beim Weiterlesen stoßen wir in demselben Absatzauf folgende Behauptung:

„Mit diesen Worten wurde offiziell die relative Rückständigkeit unserespolitischen Lebens in der Vergangenheit anerkannt, ungeachtet der revolu-

tionären Formen, in denen es in Erscheinung trat, was, nebenbei gesagt, eineder Hauptursachen für die Niederlage der Revolution war,- mit diesen Wortenwurde offiziell das überaus Spontane unserer früheren T aktik anerkann t, wozusie die rückständigen gesellschaftlichen Verhältnisse verurteilten; mit diesenWorten wurde schließlich offiziell anerkannt, daß - wie die politische Situationin Zukunft auch sein möge - jeder Versuch, in der Bewegung zur Diktatur derabgekapselten illegalen Zirkel mit der ganzen damit verbundenen Politik zu-rückzukehren, ein entschiedener Schritt zurück wäre."

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T^otizen eines Publizisten 231

Arbeitern aber werden sich nicht weniger als 90 von den Opportunistenabkehren. Und in der „nebenbei" gemachten Ergänzung über die „Ur-sachen für die Niederlage der Revolution" verraten sich die Mitarbeiterde r liquidatorischen fünfbändigen Pub likation selb st: sie möchten ihreliberalen Ansichten von der Rolle des Proletariats in der Revolution unterdem Deckmantel einer unklaren Resolution durchschmuggeln. Deshalbsprechen sie von dem „Spo ntane n" u nd sogar - ma n beachte dies! - vondem überaus Spontanen „unserer früheren Taktik". Das „überaus" Spon-tane der Taktik entspringe, seht ihr , dem Wort: „ ,zum erstenmal ' be-wußt, planmäßig und konsequent ( in einer Massenpartei) die Methodeder internationalen Sozialdemokratie anzuwenden"*. Die Taktik der

Periode des legalen Kampfes, der Periode einer relativen Freiheit derPresse, der Massenorganisationen, der Wahlen unter Teilnahme der revo-lutionären Parteien, der allgemeinen Erregtheit der Bevölkerung, derhäufigen Schwankungen in der Politik der Regierung, der Periode einigergroßer Siege über die Regierung - diese Taktik war überaus spontan,offenbar im Vergleich zu der nicht spontanen Taktik von 1909 bis 1910!über welch ein Übermaß an Renegatentum muß man verfügen, wie er-bärmlich wenig an sozialdemokratischer Auffassung von den Ereignissenmu ß man ha ben, um die Dinge so auszulegen!

Aber aus dem Wort „zum erstenmal" eine Verurteilung der „Dikta-tur (!!) der abgekapselten illegalen Zirkel" abzuleiten, das ist schon ab-solut einzig dastehend. In der Periode der „überaus spontanen" Taktikvon 1905 bis 1907 habe die Führung der Arbeiter durch die Partei, mandenke bloß, weit mehr einer „Diktatur" geglichen als in den Jahren1909/1910, diese Führung sei weit mehr von den „illegalen" Organisatio-nen und eben den „Zirkeln" ausgegangen, die damals mehr „abge-kapselt" gewesen wären als in unserer Zeit! Um diesen komischen Tief-

sinn einigermaßen der Wahrheit zu nähern, muß daran er innert werden,

* In diesem Sinne legt auch Gen. An. die Resolution des ZK aus (sieheseinen Artikel „Anläßlich des Briefes aus dem Kaukasus" in der vorliegendenNummer des „Diskussionny Listok"). Gen. An. bestätigt durch seinen Artikeldie schwerwiegenden Beschuldigungen von Seiten des Verfassers des „Briefesaus dem Kaukasus", des Gen. K. St.75, obwohl er diesen Brief als ein „Pasquill"bezeichnet. Auf den in vieler Hinsicht interessanten Artikel des Gen. An.Kommen wir noch zurück.

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232 TV. 1 Lenin

daß die Opportunisten und die Kadettenverehrer sich zur Zeit der Revo-

lution unter den Arbeitern als ein „abgekapselter Zirkel" gefühlt habenund der Ansicht sind, daß sie jetzt im Kampf für die Legalität (ohne Spaß!)nicht „abgekapselt" sind (selbst Miljukow steht neben uns), daß sie kein„Zirkel" (wir haben legale Renegatenzeitschriften), daß sie keine „Ille-galen" usw. usf. sind.

Zum erstenmal entdeckt das Proletariat, das sich in der sozialdemo-kratischen Massenpartei organisiert , unter den Leuten, die sich als seineFührer betrachten möchten, einen solch planmäßigen und konsequentenH ang zum liberalen Renegatentum.

Diese Lehre, die die Auslegung des vielberufenen Punktes mit demW o r t „zum erstenmal" vermittelt , werden der Genosse Pole und derGen osse Bolschewik*, die beide offiziell erklä rt ha be n, d aß sie eine liquida-torische A uslegung ihres Punk tes für ganz falsch halten, w ohl oder übel inBetracht ziehen müssen.

5. D ie "Bedeutung der Tiezemberresolutionen (i908)

und die Stellung der Liquidatoren dazu

Die letzten Bemerkungen über die Unzulänglichkeiten der Resolutiondes Plenums müssen zu den einleitenden Worten des ersten Punktes ge-macht werden, die lauten: „In Weiterentwicklung der grundlegendenLeitsätze der Resolutionen der Parteikonferenz von 1908 beschließt dasZK . . ." Eine solche Formulierung ist das Ergebnis eines Zugeständnissesan die Menschewiki, und auf diesen Umstand muß man um so mehr ein-gehen, als wir hier wiederum das Musterbeispiel einer empörend un-loyalen Einstellung gegenüber einem Zugeständnis oder das Musterbei-spiel einer empörenden Unfähigkeit haben, die Bedeutung der partei-

mäßigen Bestimmung der Taktik zu begreifen.

* Auf dem Plenum legten diese Genossen den Paragraphen 1 in dem Sinneaus, daß auf die zunehmende Klassendifferenzierung, auf das wachsende reinsozialistische Bewußtsein der Arbeitermassen, auf die verstärkte bürgerlicheReaktion verwiesen wird. Diese Gedanken sind natürlich richtig, aber in denThesen, die den Paragraphen 1 bilden, kommen sie nidot zum Ausdrudk(kommen nidot diese Qedanken zum Ausdruck).

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Notizen eines Publizisten 235

(!!) „willen verzichten würden. Die Berichtigung dieser Fehler der Reso-

lution können wir den Historikern überlassen."Das klingt so, als wenn die „Golos"-Leute, die auf dem Plenum an-wesend waren, für ihre „Nachgiebigkeit gegenüber den Bolschewiki" vonihren russischen Legalisten vom Schlage Potressows und Co. oder von denRedakteuren des „Golos", die auf dem Plenum nicht anwesend waren,einen Rüffel erhalten hätten und als ob sie sich vor ihnen entschuldigenwürden. W ir, sagen sie, sind keine Doktrinäre - mögen die Historiker dieFehler der Resolution berichtigen!

Wir erkühnen uns, auf diese großartige Erklärung zu bemerken, daßdie parteitreuen Sozialdemokraten die Resolutionen nicht für die Histo-riker ausarbeiten, sondern dafür, um sich in der 7at in ihrer propagandi-stischen, agitatorischen und organisatorischen Arbeit von diesen Reso-lutionen leiten zu lassen. Eine andere Bestimmung der Aufgaben dieserArbeit für die Periode der III. Duma hat die Partei nicht. Für die Liqui-datoren sind die Parteiresolutionen natürlich null und nichtig, denn für sieist die ganze Partei null und nichtig, ihrer Ansicht nach können sich mitder ganzen Partei (und nicht nur mit deren Resolutionen) nur die „Histo-riker" mit Nutzen und Interesse befassen. Aber mit den Liquidatorenwollen und werden weder die Bolschewiki noch die parteitreuen Men-schewiki in einer Organisation arbeiten. Die Liquidatoren fordern wirauf, sich zu den Besgolowzen77 oder zu den Volkssozialisten78 zu scheren.

Wenn sich die „Golos"-Leute loyal zur Partei verhielten, wenn sie inder Tat mit der Partei und nicht mit Potressow und Co., wenn sie mit derOrganisation der revolutionären Sozialdemokraten und nicht mit einemLiteratenzirkel von Legalisten rechneten, so würden sie ihre Unzufrie-denheit mit den Resolutionen vom Dezember 1908 anders zum Ausdruckbringen. Sie würden dann gerade jetzt, nach dem Plenum, das anstößige,nur den Kadetten eigene verächtliche Gekicher aus Anlaß irgendwelcher

„illegaler" „Beschlüsse" unterlassen . Sie würden dann eine sachliche Ana-lyse dieser Beschlüsse und deren Korrektur entsprechend ihrem Stand-punkt, entsprechend ihrer Auffassung von den Erfahrungen der Jahre1907-1910 vornehmen. Das wäre ein Beitrag zur wirklichen Parteivereini-gung, zur Annäherung auf einer sozialdemokratischen Aktionslinie. In-dem die „Golos"-Leute dies ablehnen, realisieren sie in Wirklichkeitgerade das Programm der L iquidatoren. In der T at, wie ist das Programm

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236 W.l. Lenin

der Liquidatoren in dieser Frage? Ihr Programm besteht darin, die Be-

schlüsse der illegalen, zum Untergang verurteilten usw. Partei zu igno-rieren, wobei sie den Beschlüssen der Partei eine formlose „Arbeit" von„Freischärlem" entgegenstellen, die sich Sozialdemokraten nennen undsich in trautem Verein mit Liberalen, Volkstümlern und den Bessaglaw-zen in den verschiedenen legalen Blättchen, legalen Vereinigungen usw.festgesetzt haben. Es bedarf keinerlei Resolutionen, keinerlei „Einschät-zung der Lage", keinerlei Bestimmung unserer nächsten Kampfziele undunserer Stellung zu den bürgerlichen Parteien - das alles nennen wir(Miljukow folgend!) „Diktatur abgekapselter illegaler Zirkel" (ohne zu

bemerken, daß wir mit unserer Formlosigkeit, Unorganisiertheit, Zer-splitterung die „Diktatur" faktisch den liberalen Zirkeln abtreten!).Ja, ja, es ist nicht zu bezweifeln, daß die Liquidatoren in der Frage der

Einstellung zu den Parteiresolutionen von den „Golos"-Leuten nichtsanderes verlangen können als verächtliche Spötteleien und Ignorierungdieser Resolutionen.

Im Ernst sich mit der Ansicht zu beschäftigen, daß die Resolution desZK über die Lage in der Partei während der Jahre 1909/1910 „am aller-wenigsten" mit dem Londoner Erbe verbunden sei, geht nicht an, weil die

Unsinnigkeit dieser Ansicht in die Augen springt. Man verhöhnt die Par-tei, wenn man sagt: wir sind bereit, „der ganzen Vergangenheit" derPartei Rechnung zu tragen - aber nicht der Vergangenheit, die unm ittelbarmit der Gegenwart verbunden ist, und auch nicht der Gegenwart! Mitanderen Worten: Wir sind bereit, dem Rechnung zu tragen, was unserjetziges Verhalten nicht bestimmt. Wir sind bereit (im Jahre 1910), „derganzen Vergangenheit" der Sozialdemokratie Rechnung zu tragen, außerjener Vergangenheit, die die Beschlüsse über die Kadettenpartei in derPeriode 1907-1908-1909, über die Parteien der Trudowiki in der

Periode 1907 -19 08-19 09 , über die Kampf auf gaben in der Periode1907-1908-1909 umfaßt. Wir sind bereit, allem Rechnung zu tragen,außer dem, was berücksichtigt werden muß, um jetzt wirklich ein Partei-mitglied zu sein, um Parteiarbeit zu leisten, um sie erfolgreich zu leisten,um die Parteitaktik durchzusetzen und die sozialdemokratische Tätigkeitin der III. Du ma der Linie der Partei gemäß zu lenken.

Zur Schande des „Bund" muß gesagt werden, daß er in seinem Organeiner ebensolchen liquidatorischen Verhöhnung des Londoner Erbes im

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"Notizen eines Publizisten 237

Artikel des Gen. Jonow (S. 22) Raum gibt. „Sagen Sie um Himmels wil-len", schreibt Jonow, „welche Beziehung haben die Resolutionen desLondoner Parteitags zur gegenwärtigen Lage und zu den Fragen, diejetz t auf der Tagesordnung stehen! Ich wage zu behaupten, daß dies auchGen. Lenin mit all den Seinen nicht we iß."

Nun, wie sollte ich auch eine solch komplizierte Sache wissen! Wiesollte ich auch wissen, daß vom Frühjahr 1907 bis zum Frühjahr 1910keinerlei wesentliche Veränderung in den Hauptgruppen der bürger-lichen Parteien (der Schwarzhunderter, der Oktobristen, der Kadetten,der Volkstümler), in ihrer klassenmäßigen Zusammensetzung, in ihrerPolitik, in ihrer Stellung zum Proletariat und zur Revolution vor sich ge-gangen ist? Wie sollte ich auch wissen, daß jene geringfügigen einzelnenVeränderungen, die man auf diesem Gebiet bemerken kann und die zubemerken sich lohnt, in den Resolutionen vom Dezember 1908 aufgezeigtsind? W ie sollte ich all dies wissen?

Für Jonow hat all dies wahrscheinlich keine Beziehung zur gegen-wärtigen Lage und zu den Fragen, die auf der Tagesordnung stehen. Fürihn ist dies etwas überflüssiges, irgendeine parteimäßig bestimmte Tak-tik in bezug auf die nichtproletarischen Parteien. Wozu sich belasten?Ist es nicht einfacher, dieses Bestreben, eine parteimäßig bestimmte prole-tarische Taktik auszuarbeiten, als „verstärkte Sicherheitsmaßnahmen"u. dgl. m. in Verruf zu bringen? Ist es nicht einfacher, die Sozialdemokra-ten in „Freischärler", in „Wilde" zu verwandeln, die „frei", ohne jegliche„verstärkte Sicherheitsmaßnahmen" die auf der Tagesordnung stehendenAufgaben lösen werden - heute gemeinsam m it den Liberalen in der Zeit-schrift „Naschi Pomoi", morgen mit den Besgolowzen auf dem Kongreßder Schmarotzer von der L iteratur, übermorgen mit den Posseleuten in derGenossenschaft.79 N u r . . . nur, Sie Unschuldslamm, wodurch wird sichdies von dem unterscheiden, was die Legalisten und Liquidatoren zu er-reichen suchen? Durch gar nichts!

Die parteitreuen Sozialdemokraten, die mit den Londoner Resolutio-nen oder mit den Resolutionen vom Dezember 1908 nicht zufrieden sindund die in der Partei, im Sinne der Partei arbeiten wollen, werden dieseResolutionen in der Parteipresse kritisieren und Abänderungen vorschla-gen, werden die Genossen überzeugen und sich die Mehrheit in der Par-tei erobern wollen. Mit solchen Leuten brauchen wir uns nicht einver-

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238 W . 7. Lenin

standen zu erklären, aber ihre Einstellung zur Sache wird parteimäßig sein,

sie werden nicht zu einer Zersetzung beitragen, wie Jonow, der „Golos"und Co. dazu beitragen.Seht euch doch Herrn Potressow an.Dieser „Sozialdemokrat", der den Leuten seine Unabhängigkeit von

der sozialdemokratischen Partei demonstriert, ruft in der „Nascha Sarja"Nr. 2, S. 59, aus: „Und wie viele dieser Fragen mag es geben, ohne derenLösung kein einziger Schritt getan werden kann, ohne deren Lösung derrussische Marxismus keine ideologische Strömung sein kann, die dieganze Energie und Kraft" (geWs nicht mit weniger Phrasen, werter H err

Unabhängiger!) „des revolutionären Bewußtseins der Epoche wahrhaftin sich aufnimmt! Wie verläuft die ökonomische Entwicklung Rußlands,welche Kräfteverschiebungen vollbringt sie unbemerkt während der Reak-tion, was geschieht auf dem Lande und in der Stadt, welche Veränderun-gen bringt diese Entwicklung für die soziale Zusammensetzung der Ar-beiterklasse in Rußland mit sich usw. usf.? Wo sind die Antworten aufdiese Fragen oder das Herangehen an ihre Beantwortung, wo ist die öko-nomische Schule des russischen Marxismus? Und was geschah mit derpolitischen Denkarbeit, der sich einstens der Menschewismus widmete?

Was mit seinem organisatorischen Suchen, mit seiner Analyse der Ver-gangenheit, mit seiner Einschätzung der Gegenwart?"

Wenn dieser Unabhängige nicht verquälte Phrasen in den W ind redete,sondern tatsächlich darüber nachdächte, was er sagt, so würde er eineäußerst einfache Sache bemerken. Wenn der revolutionäre Marxist tat-sächlich keinen einzigen Schritt ohne die Lösung dieser Fragen tun kann(und das ist wahr), so muß sich mit deren Lösung - nicht im Sinne derwissenschaftlichen Vollendung, der wissenschaftlichen Forschung, son-dern im Sinne der Bestimmung, welche Schritte unternommen werden

müssen und wie sie auszuführen sind - die sozialdemokratische Parteibefassen. Denn „revolutionärer Marxismus" außerhalb der sozialdemo-kratischen Partei ist einfach eine Salonphrase eines legalen Schwätzers,der sich zuweilen damit brüsten möchte, daß „auch wir" beinahe Sozial-demokraten sind. Die sozialdemokratische Partei ist an die Beantwortungder aufgezeigten Fragen herangegangen, und das gerade in den Resolutio-nen vom Dezember 1908.

Die Unabhängigen haben es ziemlich schlau angefangen: in der legalen

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Notizen eines Publizisten 239

Presse schlagen sie sich an die Brust und fragen, „wo sind die revolutio-

nären Marxis ten an die Beantwortung herangegangen?" Die Unabhän^gigen wissen, daß ihnen in der legalen Presse nicht geantwortet werdenkann. In der illegalen Presse aber drücken sich die Freunde dieser Un-abhängigen (die „Golos"-Leute) verächtlich um die Antwort auf Fragen,„ohne deren Lösung kein einziger Schritt getan werden kann". Es wirdalles erreicht, was die Unab hän gige n (d. h. die Ren egaten des Soz ialis-mus) in der ganzen Welt brauchen: schönklingende Phrasen sind vor-handen, die faktische Unabhängigkeit vom Sozialismus und von dersozialdemokratischen Partei ist ebenfalls vorhanden.

6. "Über die Gruppe der unabhängigen Cegalisten

Gehen wir nunmehr dazu über, klarzustellen, was sich nach dem Ple-num zugetragen hat. Auf diese Frage geben Trotzki und Jonow eine über-einstimmende und einfache Antwort. „Weder in den äußeren Umständendes politischen Lebens", lautet die Wiener Resolution, „noch in den inne-ren Beziehungen unserer Partei sind nadh dem Plenum irgendweldoe re-

alen Veränd erungen eingetreten, die die Arbeit des Aufbaus der Parteierschweren wü rden . . . " Ein Rückfall in das Fraktionswesen, ein nichtüberwundenes- Erbe der fraktionellen Beziehungen und sonst nichts.

Bei Jonow haben wir dieselbe Art der Erklärung „in Personen".>,Das Plenum ist zu Ende. Seine Teilnehm er sind ause inan derg ega nge n.. .

Die Führer der alten Fraktionen sahen sich frei, machten sich von jed-weden Einflüssen und jedwedem Druck von außen her los. Außerdemtrafen bedeutende Verstärkungen ein. Für die einen in Gestalt des Gen.Plechanöw, der in der letzten Zeit angestrengt dafür eintritt, die Parteials im Kriegszustand befindlich zu erklären. Für die anderen in Gestalt dersechzehn, ,der Redaktion des „Golos Sozial-Demokrata" gut bekanntenalten Pa rteif un ktio när e'" (siehe N r. 19/20, „Offener B rief"). „W ie sollteman sich unter solchen Umständen nicht in den Kampf stürzen? Man hatsich denn auch an die alte ,Sache' der gegenseitigen Vernichtung gemacht."(„Otkliki Bunda", Nr. 4, S. 22.)

Die Fraktionsmacher haben „Verstärkung" erhalten, und es kam zueiner neuen Prügelei - das sei alles. Allerdings, als „Verstärkung" für die

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Notizen eines Publizisten 241

Ihr Zen trum in Rußland - ganz gleich, ob es das formale oder nicht for-male, ob es das halbillegale (Michail und Co.) oder gänzlich legale (Potres-sow und Co.) ist - antwortete auf die Aufforderung, zur Partei zurückzu-kehren, mit einer Ablehnung. Die russischen Legalisten und Liquidatorenhaben endgültig mit der Partei gebrochen und sich zu einer Gruppeunabhängiger Sozialisten (natürlich unabhängig vom Sozialismus und ab-hängig vom Liberalismus) zusammengeschlossen. Die Antwort Michailsund Co. einerseits, das Auftreten der „Nascha Sarja" und des „Wosro-shdenije" anderseits bedeutet eben den Zusammenschluß der parteifeind-lichen Zirkel der „Sozialdemokraten" (richtiger: der Quasi-Sozialdemo-kraten) zu einer Gruppe unabhängiger Sozialisten. Darum sind die „ver-

söhnlerischen" Anstrengungen von Trotzki und Jonow jetzt lächerlich undjämmerlich. Nur durch völlige Verständnislosigkeit für das, was vorgeht,kann m an diese Anstrengungen erklären, die jetzt keinen Schaden anrich-ten können, da außer den Zirkeldiplomaten im Ausland, außer Verständ-nislosigkeit und Unwissenheit irgendwo in einem Krähwinkel nichts hin-ter ihnen steht.

Die Versöhnler ä la Trotzki und Jonow haben darin geirrt, daß sie diebesonderen Verhältnisse, die die versöhnlerische Diplomatie auf dem Ple-num ins Kraut schießen ließen , für die allgemeinen Verhältnisse des jetzi-

gen Parteilebens halten. Sie haben darin geirrt, daß sie die Diplomatie, dieauf dem Plenum dank dem Bestehen von Verhältnissen, die das tiefgehendeBestreben zur Versöhnung (- zur Parteivereinigung) in den beiden H aupt-fraktionen hervorriefen, ihre Rolle gespielt hat - daß sie diese Diplomatiefür Selbstzweck, für ein dauerhaftes Mittel des Spiels zwischen den „ge-gebenen Personen, Gruppen und Institutionen" halten.

Auf dem Plentim war wirklich Spielraum für die Diplomatie, denn dieVereinigung der parteitreuen Bolschewiki mit den parteitreuen Mensche-wiki in einer Partei w ar notwendig, aber ohne Zugeständnisse, ohne Kom-

promisse war sie nicht möglich. Bei der Bestimmung des Ausmaßes derZugeständnisse spielten die „ehrlichen Makler" unvermeidlich die ersteGeige - unvermeidlich, denn für die parteitreuen Menschewiki und dieparteitreuen Bolschewiki war das Ausmaß der Zugeständnisse eine zweit-rangige Frage, solange die prinzipiellen Grundlagen der gesamten Ver-einigung unangefochten blieben. Dadurch, daß sie auf dem Plenum dieerste Geige gespielt und die Möglichkeit erhalten hatten, als „Neutrali-

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Notizen eines Publizisten 243

wäre jetzt bereit, mich sogar mit den übermäßigen Zugeständnissen ab-

zufinden, sofern die Linie der Partei dadurch nicht untergraben würde,sofern die Zugeständnisse nicht zur Neg ierung dieser Linie führten , soferndie Zugeständnisse nur als Brücke dienten, um die Leute vom Liquidato-rentum und vom Otsowismus zur Partei herüberzuziehen. Nach dem Zu-sammenschluß und dem Auftreten von Michail und Co., von Potressowund Co . gegen die Partei und gegen das Plenum we rde ich aber für keiner-lei Gespräche über irgendwelche Zugeständnisse bereit sein, denn diePartei ist jetzt verpflichtet, mit diesen Unabhängigen zu brechen, sie istverpflichtet, sie als Liquidatoren entschieden zu bekämpfen, als welchesie sich vollauf und endgültig entpuppt haben. Und ich darf mit Über-zeugung nicht nur für mich, sondern auch für alle parteitreuen Bolsche-wiki sprechen. Die parteitreuen Menschewiki haben sich durch denMund Plechanows und anderer deutlich genug im gleichen Geist ausge-sprochen, und bei einer solchen Lage der Dinge in der Partei müssen die„Versöhnler" und Diplomaten ä la Trotzki und Jonow entweder ihreDiplomatie aufgeben oder zu denen gehen, die sich von der Partei unab-hängig gemacht haben.

Um sich von dem endgültigen Zusammenschluß der Legalisten zurGruppe der unabhängigen Sozialisten zu überzeugen, genügt es, sich einallgemeines Bild von den Ereignissen nach dem Plenum zu machen, genügtes , sie grundsätzlich zu werten und nicht nur vom Standpunkt jener klei-nen und kleinlichen Geschichte der „Konflikte" zu beurteilen, auf die sichJonow ganz zu Unrecht beschränkt.

1. Michail, Roman und Juri erklären sowohl die Resolutionen des ZK(des Plenums) als auch dessen Existenz selbst für schädlich. Seit der Ver-öffentlichung dieser Tatsache sind etwa zwei Monate verstrichen, dieTatsache aber ist nicht widerlegt worden. Es ist klar, daß sie wahr ist.*

2. Sechzehn russische Menschewiki, darunter mindestens zwei aus deroben angeführten Dreiergruppe und eine Reihe angesehener Publizisten

* Soeben ist Nr. 21 des „Golos Sozial-Demokrata" erschienen. Auf S. 16bestätigen Martow und Dan die Richtigkeit dieser Tatsache, wenn sie von der„Weigerung dreier Genossen" (??) sprechen, „dem ZK anzugehören". Wieüblich bemänteln sie dabei durch unflätiges Geschimpfe an die Adresse von„Tyszka-Lenin" die Tatsache, daß sich die Gruppe Michail und Co. endgültigin eine Gruppe von Unabhängigen verwandelt hat.

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244 'W.lL.enin

der Menschewiki (Tscherewanin, Kolzow usw.), bringen im „Golos" mit

Billigung der Redaktion eine Rechtfertigung des Austritts der Mensche-wiki aus der Partei und treten dabei mit einem rein liquidatorischen Mani-fest auf.

3. Die legale menschewistische Zeitschrift „Nascha Sarja" bringt einenprogrammatischen Artikel von Herrn Potressow, in dem rundweg gesagtwird, daß es „eine Partei als geschlossene und organisierte Hierarchie vonInstitutionen nicht gibt" (N r. 2, S. 61), da ß das, „was in W irklichkeit alsorganisiertes Ganzes schon gar nicht mehr besteht" (ebenda), nicht liqui-diert werden kann. Unter den Mitarbeitern dieser Zeitschrift figurieren

Tscherewanin, Kolzow, Martynow, Augustowski, Maslow und Martow,derselbe L. Martow, der es fertigbringt, einen Posten in der „organisiertenHierarchie der Institutionen" einer illegalen Partei einzunehmen, die als„ein organisiertes Ganzes" eine Zentrale besitzt, und einer legalen Gruppeanzugehören, die mit gnädiger Erlaubnis Stolypins diese illegale Parteifür nicht bestehend erklärt.

4. In einem ungezeichneten, d. h. redaktionellen Artikel der populärenmenschewistischen Zeitschrift „Wosroshdenije" (N r. 5 vom 30. M ärz1910) wird bei derselben Zusammensetzung der Mitarbeiter der obener-

wähnte Artikel von Herrn Potressow aus „Nascha Sarja" mit Lob über-schüttet und nach Anführung desselben Zitats, das ich oben angeführthabe, hinzugefügt:

„Es gibt nichts zu liquidieren, und - fügen wir" (d. h. die R edaktiondes „Wosroshdenije") „von uns aus hinzu - der Traum , diese Hierarchiein ihrer alten, illegalen Form wiederherzustellen, ist einfach eine schäd-liche, reaktionäre Utopie, ist ein Zeichen dafür, daß den Vertretern dereinst am realsten denkenden Partei jedes politische Fingerspitzengefühlverlorengegangen ist." (S. 51.)

Wer alle diese Tatsachen für eine Zufallserscheinung hält, der willoffensichtlich die Wahrheit nicht sehen. Wer diese Tatsachen als einen„Rückfall ins Fraktionswesen" zu erklären gedenkt, lullt sich durch einePhrase in den Schlaf. Wo ist hier Fraktionswesen und Fraktionskampf,womit die Gruppe Michail und Co. sowie die Gruppe Potressow und Co.längst nichts mehr zu tun haben? Nein, für denjenigen, de r nicht absichtlichdie Augen verschließen will, sind hier Zweifel irgendwelcher Art unmög-lich. Das Plenum hat alle (wirklichen oder vermeintlichen) Hindernisse,

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TJotizen eines Publizisten 245

die der Rückkehr der parteiverbund enen Legalisten in die Partei im W ege

standen, alle Hindernisse, die dem Aufbau einer illegalen Partei unter Be-rücksichtigung der neuen Verhältnisse und der neuen Formen der Aus-nutzung der legalen Möglichkeiten im Wege standen, beseitigt. Die viermenschewistischen ZK-M itglieder un d zwei Reda kteure des „Golos" habenalle Hindernisse einer gemeinsamen Parteiarbeit für beseitigt erklärt. DieGruppe der russischen Legalisten hat dem Plenum ihre Antwort gegeben.

Diese Antwort ist ablehnend: mit dem Wiederaufbau und der Festigungder illegalen Partei wollen wir nichts zu tun haben, denn das ist eine reak-tionäre Utopie.

Diese Antwort ist eine höchst bedeutende politische Tatsache in derGeschichte der sozialdemokratischen Bewegung. Die Gruppe der (vomSozialismus) unabhängigen Sozialisten hat sich endgültig zusammenge-schlossen und endgültig mit der sozialdemokratischen Partei gebrochen.W ie weit sich diese Gru ppe fo rmiert hat, ob sie aus einer einzigen O rgan i-sation oder aus einer Reihe einzelner, überaus lose* zusammenhängenderZirkel besteht, wissen wir vorerst nicht, und das ist auch nicht wichtig.Wichtig ist, daß die Tendenzen zur Bildung von der Partei unabhängigerGruppen - die bei den Menschewiki schon längst bestanden - jetzt zueinem neuen politischen Gebilde geführt haben. Und von jetzt ab müssenalle Soziald em okraten Ru ßlan ds, die sich nichts vorma chen wollen, m it demBestehen dieser Gruppe von Unabhängigen als einer Tatsache rechnen.

Um die Bedeutung dieser Tatsache verständlich zu machen, erinnernwir vor allem an die „unabhängigen Sozialisten" Frankreichs, die in demfortgeschrittensten, am meisten von allem Alten gesäuberten bürgerlichenStaat die Tendenzen dieser politischen Richtung auf die Spitze getriebenhaben. Millerand, Viviani und Briand gehörten der sozialistischen Parteian, handelten aber wiederholt unabhängig von ihren Beschlüssen, inWiderspruch dazu, und der Eintritt Millerands in die bürgerliche Regie-rung unter dem Vorwand, die Republik zu retten und die Interessen desSozialismus zu wahren, führte zu seinem Bruch mit der Partei. Die Bour-geoisie belohnte die Verräter am Sozialismus mit Ministerposten. Diedrei französischen Renegaten nennen sich und ihre Gruppe nach wie vorunabhängige Sozialisten, rechtfertigen nach wie vor ihre Haltung mit denInteressen der Arbeiterbewegung und der sozialen Reform.

* „lose" bei Lenin deutsch. Der Tibers.

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Notizen eines Publizisten 247

Im H erbst 1906 schrieb ich einiges im „Proletari" über die Volkssozia-

listen, und ich nannte sie „Sozialrevolutionäre Menschewiki"*. Seither sinddreieinhalb Jah re vergangen, und Potressow und Co. haben es verstanden,den parteitreuen Menschewiki zu beweisen, daß ich recht hatte. Es mußallerdings anerkannt werden, daß sogar die Herren Peschechonow und Co.politisch ehrlicher handelten als Herr Potressow und seine Gruppe, alssie sich nach einer Reihe faktisch unabhängig von der Partei der Sozial-revolutionäre begangener politischer Handlungen offen für eine von denSozialrevolutionären unabhängige, getrennte politische Partei erklärten.Natürlich ist diese „Ehrlichkeit" unter anderem auch durch das Kräfte-verhältnis bedingt: Peschechonow hielt die Partei der Sozialrevolutionärefür machtlos und nahm an, daß er durch eine nichtformelle Vereinigungmit ihr verliert; Potressow glaubt, daß er durch eine politische Asefiade81

gewinnt, wenn er sich nach wie vor als Sozialdemokrat betrachten läßt,während er faktisch von der sozialdemokratischen Partei unabhängig ist.

Herr Potressow und Co. finden, daß es für sie zunächst am vorteil-haftesten ist, unter dem Deckmantel eines fremden Namens aufzutreten,sich nach Gaunerart des Ansehens der SDAPR zu bedienen, sie dabeivon innen heraus zu zersetzen, faktisch gegen sie und nicht nur unab-hängig von ihr vorzugehen. Es ist möglich, daß die Gruppe unsererUnabhängigen versuchen wird, sich möglichst lange mit fremden Federnzu schmücken; es ist möglich, daß die Unabhängigen nach irgendeinemSchlag gegen die Partei, nach einem massenhaften Auffliegen der illegalenOrganisation oder bei einer besonders verlockenden Konjunktur, etwabei der Möglichkeit, sagen wir, unabhängig von der Partei in die Dumahineinzukommen, selbst die Maske abwerfen werden; wir können un-möglich alle Episoden ihres politischen Gauklertums voraussehen.

Eines aber wissen wir sicher, nämlich daß für die Partei der Arbeiter-klasse, die SDAPR, die versteckte Tätigkeit der Unabhängigen schädlich,verhängnisvoll ist und daß wir sie um jeden Preis entlarven, die Un-abhängigen ans Licht ziehen und erklären müssen, daß sie zur Partei kei-nerlei Beziehungen mehr haben. Das Plenum hat in dieser Richtung einengewaltigen Fortschritt gemacht: mag es auf den ersten Blick auch noch sosonderbar erscheinen, aber gerade das (unaufrichtige oder unbewußte)Einverständnis Martows und Martynows, gerade die weitgehenden, sogar

* Siehe Werke, Bd. 11, S. 184-194. Die Red.

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248 IV . 7. Lenin

übermäßigen Zugeständnisse an sie haben geholfen, die Eiterbeule des

Liquidatorentums, die Eiterbeule des Unwesens der Unabhängigen inunserer Partei aufzustechen. Kein einziger gewissenhafter Sozialdemo-krat, kein einziger parteitreuer Sozialdemokrat, ganz gleich, mit welcherFraktion er auch sympathisieren möge, vermag heute in Abrede zu stellen,daß die Gruppe Michail und Co., die Gruppe Potressow und Co. Un-abhängige sind, daß sie die Partei in der Tat nicht anerkennen, die Parteinicht wollen und gegen die Partei arbeiten.

Ob der Prozeß der Abspaltung der Unabhängigen und der Bildungeiner besonderen Partei durch sie rascher oder langsamer ausreifen wird,

das hängt natürlich von zahlreichen Ursachen und Umständen ab, diesich jeder Berechnung entziehen. Bei den Volkssozialisten gab es einebesondere Gruppe schon vor der Revolution, und die Abtrennung dieserGruppe, die sich vorübergehend und nicht vollständig den Sozialrevolutio-nären angeschlossen hatte, war besonders leicht. Unsere Unabhängigenbesitzen noch persönliche Traditionen, Bindungen an die Partei, die denProzeß der Lostrennung verlangsamen, aber diese Traditionen werdenimmer schwächer; ja, außerdem bringen Revolution und Konterrevolutionimmer neue Leute ohne jegliche revolutionäre und parteiliche Traditionenhervor. Die sie umgebenden V erhältnisse m it ihren „Wechi" -Stimmungentreiben dagegen die charakterlosen Intellektuellen außergewöhnlichrasch den Unabhängigen entgegen. Die „alte" Generation der Revo-lutionäre tritt vom Schauplatz ab; Stolypin verfolgt aus allen Kräftendie Vertreter dieser Generation, die in den Tagen der Freiheit, in denJahren der Revolution größtenteils alle ihre Pseudonyme gelüftet hattenund restlos aus ihrer Konspiration herausgetreten waren. Gefängnis,Verbannung, Zwangsarbeit und Emigration lassen die Zahl der aus demKampf Ausscheidenden immer größer werden, die neue Generation aberwächst nur langsam heran. Unter den Intellektuellen, besonders unter

jenen, die bei der einen oder anderen legalen Tätigkeit ihren „Platzgefunden" haben, reißt völliger Unglaube an die illegale Partei ein, dieAbneigung, ihre Kräfte auf eine besonders schwierige und in unserenZeiten besonders undankbare Arbeit zu verwenden. „Freunde erkenntman im Unglück", und die Arbeiterklasse, die schwere Jahre des An-sturms sowohl der alten als auch der neuen konterrevolutionären Kräftedurchmacht, wird unvermeidlich beobachten, wie gar viele von ihren

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Notizen eines Publizisten 251

sondern wie Gefangene, die auf kurze Zeit von ihren „Herren" Urlaub

erhielten und am Tage nach dem Plenum wieder in die Sklaverei zurück-kehrten. Da sie nicht imstande waren, das Liquidatorentum zu ver-teidigen, so versteiften sie sich aus allen Kräften auf alle möglichen(und auf alle ausgedachten!) Hindernisse, die mit den prinzipiellen Fragennichts zu tun hatten, für sie jedoch ein Hindernis waren, sich vomLiquidatorentum loszusagen. Und als alle diese „Hindernisse" beseitigt,als alle ihre gar nicht zur Sache gehörenden, persönlichen, organisatori-schen, inanziellen und sonstigen Beschwerden befriedigt waren, „schluck-ten" sie wider Willen bei der Abstimmung die Lossagung vom Liqui-datorentum. Die Pechvögel! Sie wußten nicht, daß zu dieser Zeit dasManifest der Sechzehn bereits unterwegs nach Paris war, daß die Haltungder Gruppe Michail und Co., der Gruppe Potressow und Co. sich beider Verteidigung des Liquidatorentums versteift hat. Und sie machtengehorsam kehrt und folgten den Sechzehn, folgten Michail und Potressowwiederum zum Liquidatorentum!

Das größte Verbrechen der charakterlosen „Versöhnler" vom SchlageJonows und Trotzkis, die diese Leute verteidigen oder rechtfertigen, be-steht darin, daß sie sie durch die Verstärkung ihrer Abhängigkeit vomLiquidatorentum zugrunde richten. Während ein entschiedenes Auftretenaller nichtfraktionellen Sozialdemokraten gegen Michail und Co., gegenPotressow und Co. (diese Gruppen zu verteidigen wagen ja weder Tro tzkinoch Jonow!) so manchen der vom Liquidatorentum abhängigen „Golos"-Leute für die Partei zurückgewinnen könnte, wecken die Ziererei unddas ganze Getue der „Versöhnler", ohne die Partei irgendwie mit denLiquidatoren zu versöhnen, bei den „Golos"-Leuten lediglich „sinnloseHoffnungen".

übrigens erklären sich diese Zierereien und dieses ganze Getue zwei- •

felsohne in nicht geringem Grade auch durch bloße Verständnislosigkeitgegenüber der Lage. Nur infolge Verständnislosigkeit kann sich Gen.Jonow auf die Frage der Aufnahme oder Nichtaufnahme von MartowsArtikel beschränken und können die Wiener Anhänger Trotzkis dieFrage auf „Konflikte" im ZO zurückführen. Sowohl Martows Artikel(„Auf dem richtigen Weg" ... zum Liquidatorentum) als auch die Kon-flikte im ZO sind nur einzelne Episoden, die man außerhalb des Zu-sammenhangs mit dem Ganzen nicht begreifen kann. Martows Artikel

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252 IV . 3. Lenin

zum Beispiel hat uns, die wir im Laufe eines Jahres alle Schattierungen

des Liquidatorentums und der „Golos"-Richtung studiert haben, klargezeigt, daß Martow eine Wendung vollzogen hat (oder daß man ihn zueiner Wendung brachte) . Es konnte nidht ein und derselbe Martow den„Brief" des ZK über die Konferenz unterzeichnen und den Artikel „Aufdem richtigen Weg" schreiben. Trotzki und Jonow, die den Artikel Mar-tows aus der Kette der Ereignisse, aus dem Zusammenhang mit dem ihmvorausgegangenen „Brief" des ZK und der ihm folgenden Nr. 19/20 des„Golos", aus dem Zusammenhang mit dem Manifest der Sechzehn undden Artikeln Dans („Kampf um die Legalität"), Potressows und des

„Wosroshdenije" herausreißen, die aus der gleichen Kette der Ereignissedie „Konflikte" im ZO herausreißen, nehmen sidi die Möglichkeit, zuverstehen, was vorgeht.* Und umgekehrt wird alles durchaus begreiflich,wenn man das in den Mittelpunkt stellt, was allem zugrunde liegt, näm-lich: den endgültigen Zusammenschluß der rassischen Unabhängigenund ihren endgültigen Bruch mit der „reaktionären Utopie" der Wieder-herstellung und Festigung der illegalen Partei.

7. Tiber den parteitreuen Menschewismus und seine Einsdiälzung

Die letzte Frage, die wir zur Klärung der „Einigungskrise" in unsererPartei zu behandeln haben, ist die Frage des sogenannten parteitreuenMenschewismus und die Einschätzung seiner Bedeutung.

D ie Anschauu ngen de r Nichtfraktionellen - d. h. derjenigen, die alsNichtfraktionelle angesehen werden wollen - Jonow und Trotzki (Nr. 12der „"Prawda" und die Wiener Resolution) sind in dieser Hinsicht äußerstcharakteristisch. Trotzki ignoriert entschieden und hartnäckig den partei-

treuen Menschewismus, worauf bereits in Nr. 13 des ZO hingewiesenwurde**; Jonow dagegen verrät den „geheimsten" Gedanken seines Ge-

* Man nehme noch, als Beispiel, die „Theorie über die Gleichberechtigung"der legalen Einzelgänger mit der illegalen Partei. Ist es etwa nad) dem Auf-treten Michails und Co., Potressows und Co. nicht klar, daß der Sinn und dieBedeutung dieser Theorie die Anerkennung der Gruppe der unabhängigenLegalisten und die Unterordnung der Partei unter sie ist?

** Siehe den vorliegenden Band, S. 185-187. Die Red.

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Notizen eines Publizisten 253

sinnungsfreundes, wenn er erklärt, die Bedeutung des Auftretens des

„Gen. Plechanow" (andere parteitreue Menschewiki will Jonow nichtsehen) laufe auf „Stärkung" des Fraktionskampfes der Bolschewiki unddarauf hinaus, die „Erklärung des Kriegszustandes in der Partei" zupredigen.

Daß diese Haltung Trotzkis und Jonows nicht richtig ist, müßte ihnenselbst schon einfach deshalb in die Augen springen, weil die Tatsachendagegensprechen. Aus Nr. 13 des ZO ist ersichtlich, daß in nicht wenigerals sieben Auslandsgruppen zur Unterstützung der Partei - in Paris, Genf,

Bern, Zürich, Lüttich, Nizza und San Remo - die Plechanowleute oder,

richtiger, die parteitreuen Menschewiki gegen den „Golos" mit dem Hin-weis auf den liquidatorischen Charakter der vom „Golos" in Nr. 19/20bezogenen ideologischen Position aufgetreten sind und die Durchführungder Beschlüsse des Plenums sowie die Einstellung des „Golos" geforderthaben. Der gleiche Prozeß, wenn auch vielleicht weniger anschaulich, gehtauch unter den Funktionären in Rußland vor sich. Diese Tatsachen zuverschweigen ist lächerlich. Zu versuchen, im Widerspruch zu ihnen denKampf Plechanows gegen die „Golos"-Leute als publizistischen „Frak-tions"kampf hinzustellen, heißt - objektiv - sich auf die Seite der Gruppe

der unabhängigen Legalisten gegen die Partei stellen.Die ausgesprochen falsche, ausgesprochen unhaltbare Stellung, die dieangeführten „Versöhnler" eingenommen haben, müßte ihnen die Augendarüber öffnen, wie falsch der Gesichtspunkt ist, von dem sie ausgehen:die politische Bedeutung der Vereinigung auf dem Plenum hätte in einemÜbereinkommen mit den „gegebenen Personen, Gruppen und Institutio-nen" bestanden. Man darf sich nicht durch die äußeren Formen der Er-eignisse in der Partei und durch die persönlichen Besonderheiten täuschenlassen, es gilt vielmehr, die politisch-ideologische Bedeutung dessen, was

vorgeht, einzuschätzen. Dem äußeren Eindruck nach zu urteilen, ist einÜbereinkom men mit den „Golos"-Leuten X Y Z zustande gekommen.Aber die Grundlage, die Bedingung der Verständigung war doch derÜbergang der „Golos"-Leute auf die Position Plechanows: das ist klaraus der Analyse der Resolution über die Lage in der Partei ersichtlich,die vorstehend gegeben wurde.* Äußerlich gesehen, schienen gerade die

* Von den vier menschewistischen ZK-Mitgliedern, die auf dem Plenumwaren, bemühten sich zwei aus allen Kräften zu erreichen, daß den „Golos"-

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254 "W. 7. £enin

„Golos"-Leute die Vertreter des Menschewismus in der Partei zu sein,

wenn man zum Beispiel nach der Zusammensetzung der Redaktion desZ O urteilt . In der Ta t begann sich das Z O nach dem Plenum in einOrgan der „Zusammenarbeit" der parteitreuen Bolschewiki und Plecha-nowleute zu verwandeln, wogegen die „Golos"-Leute entschieden auf-traten. Es ergab sich eine Zickzacklinie in der Entwicklung der Partei-vereinigung: zunächst schien so etwas von der Art eines allgemeinenVersöhnungsbreis ohne klare Deftnierung der ideologischen Basis der Ver-einigung herauszukommen, dann aber kam die Logik der politischen Ten-denzen zu ihrem Recht, der Ausscheidungsprozeß der Unabhängigen aus

der Partei erfuhr dadurch, daß man sich auf dem Plenum auf weitest-gehende Zugeständnisse an die „Golos"-Leute eingelassen hatte, eineBeschleunigung.

Als ich auf dem Plenum und im „Golos" (Nr. 19/20, S. 18) die wüten-den Ausfälle gegen die Losung „Verständigung der starken Fraktionenzum Kampf gegen die Liquidatoren von rechts und von links" zu hörenbzw. zu Gesicht bekam (diese Losung hatte der „Golos" in Anführungs-zeichen gebracht, aber aus irgendeinem Grunde wurde nicht direkt gesagt,daß ich sie vor dem Plenum und auf dem Plenum verteidigt hatte), dachte

ich mir: „abwarten!"*, „wait and see" („warten wir ab, wir werdensehen") . Wartet ab, meine Herren vom „Golos", denn ihr wollt die Rech-nung „ohne den Wirt" machen: es handelt sich nicht darum, daß das Ple-num allen und nicht nur den „starken", den durch ihre politisch-ideolo-gische Haltung starken Fraktionen die Möglichkeit zur Teilnahme an derVerständigung gegeben hat, sondern darum , ob eure „W irte " - d. h.die Gruppen der unabhängigen Legalisten - zulassen werden, daß dieseMöglichkeit zur Wirklichkeit werde.

Es sind einige Monate vergangen - und nur Blinde können jetzt nicht

sehen, daß in Wirklichkeit gerade die „Verständigung der starken Frak-

Leuten die weitestgehenden Zugeständnisse gemacht werden, um sie faktischauf die Position Plechanows zu bringen. Das bedeutet nicht, daß diese zweifest zur Partei standen, daß sie gegen eine Rückkehr zu den „Golos"-Leutengefeit waren. Das bedeutet, daß es sich für den Menschewismus um einenZeitpunkt handelte, wo er sich noch nicht vom Parteiprinzip lossagenkonnte. '

* „abwarten" bei Lenin deutsch. Der Tibers.

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Notizen eines Publizisten 257

Parteimitglieder herausgegebenen Broschüre „Brief an das ZK"). Im

Frühjahr 1905 überzeugt sich Plechanow von der Hoffnungslosigkeitseiner „Manöver" und kehrt den Menschewiki den Rücken, gründet den„Dnewnik" und propagiert die Vereinigung mit den Bolschewiki. Nr. 3des „Dnewnik" (November 1905) ist in keiner Weise menschewistisch.

Plechanow, der et-wa anderthalb Jahre auf das Manöver mit denOpportunisten innerhalb der Partei vergeudet hatte (von Ende 1903 bisFrühjahr 1905), macht sich von 1906 an und im Laufe des Jahres 1907an das Manövrieren mit den Kadetten. Er versteigt sich dabei zu weitstärkeren opportunistischen Extremen als die übrigen Menschewiki. Abersobald er, der zur Zeit der I. Duma das „Manövrieren" gepredigt hatte,nach ihrer Auflösung die Verständigung der revolutionären Parteien zumKampf für die Konstituierende Versammlung vorschlägt (in Nr. 6 des„Dnewnik"), hebt der „Vroletari" (Nr. 2 vom 29. August 1906, in demArtikel „Taktische Schwankungen") sofort hervor, daß diese Haltungganz und gar keine menschewistische ist.*

Im Frühjahr 1907 kämpft Plechanow auf dem Londoner Parteitag -nach der von mir bereits im Vorwort zu dem Sammelband „12 Jahre"zitierten Schilderung Tscherewanins - gegen den orcjanisatorisd:en An-ardbismus der Menschewiki.** Er braucht einen „Arbeiterkongreß" als

Manöver für die Entwicklung der Partei, nicht aber gegen die Partei. Inder zweiten Hälfte 1907 „mußte" Plechanow, wie Martow in der „Not-wendigen Ergänzung" darlegte, „eine nicht geringe Beredsamkeit auf-bieten", um die Notwendigkeit eines illegalen (d.h. Partei-) Organs derMenschewiki gegen Axelrod zu verteidigen (der offensichtlich legale, fak-tisch außerhalb der Partei stehende Organe vorzog). Im Jahre 1908 wirdder Konflikt wegen des Artikels von Potressow Anlaß zu seinem Bruchmit den Liquidatoren.

Wovon zeugen diese Tatsachen? Davon, daß die jetzige Spaltung der

Menschewiki nicht etwas Zufälliges, sondern etwas Unvermeidliches ist.Das „Manövrieren" ist keine Rechtfertigung für denjenigen, der um derManöver willen Fehler begangen hat, und ich werde von dem, was ichgegen diese Fehler Plechanows geschrieben habe, nichts zurücknehmen.Aber das „Manövrieren" erklärt, warum es den einen Menschewiki

* Siehe Werke, Bd. 11, S. 166-170. Die Hed.** Siehe Werke, 4. Ausgabe, Bd. 13, S. 78-96, russ. Die Red.

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258 IV . J. Lenin

leichtfällt, zu den Unabhängigen überzugeben, während das den anderen

schwerfällt und sogar unmöglich ist. Der Sozialdemokrat, der durch seinManövrieren die Arbeiterklasse hinter den Kadetten herführt, fügt ihrkeinen geringeren Schaden zu als derjenige, der das aus einem imma-nenten Hang zum Opportunismus tut. Aber der Erstgenannte vermag es,bringt es fertig, rechtzeitig dort haltzumachen, wo die Zweitgenanntenbereits auf der schiefen Bahn abgleiten. Ein russisches Sprichwort sagt:Wenn man einen gewissen Menschen zu Gott beten läßt, zerschlägt er sichdabei die Stirn. Plechanow könnte sagen: Wenn man die Potressow undDan um eines Manövers willen nach rechts gehen läßt, werden sie ein

Prinzip daraus machen, nach rechts zu gehen.Das, wobei gewisse Menschewiki haltgemacht haben, rechtfertigt durch-aus ihre Bezeichnung als „parteitreue Menschewiki". Sie haben bei demKampf für die Partei gegen die unabhängigen Legalisten haltgemacht.Dieser einfachen und klaren Frage zu entrinnen, bemühen sich Herr Po-tressow und die Redaktion des „Golos Sozial-Demokrata" in der „Not-wendigen Ergänzung" vergeblich.

Auch Engels hat gegen die SDF* (englische Sozialdemokraten) ge-kämpft - dreht und windet sich Potressow (S. 24). Das ist Sophistik,

Verehrtester! Engels wollte die Partei auf den richtigen Weg bringen

82

,Sie aber sagen ja doch nicht, wie die Partei auf den richtigen Weg zubringen ist, ja, Sie sagen nicht einmal direkt, ob jetzt eine illegale sozial-demokratische Partei notwendig ist, ob die SDAPR notwendig ist odernicht. Stolypin gegenüber sagen Sie: nein („Nascha Sarja"), den Partei-mitgliedern gegenüber aber, in der illegalen Presse, wagen Sie das nichtzu sagen, drehen und w inden Sie sich.

„Lenin-Plechanow empfehlen den Krieg gegen die neuen Formen derArbeiterbewegung" (S. 31), „wir gehen aus von dem Zustand, den Be-

dingungen und Erfordernissen der wirklichen Arbeiterbewegung" (S. 32)- versichert die Redaktion. Das ist Sophistik, Verehrteste! Sie haben selbstzugegeben, daß das Plenum alles zur Anerkennung dieser neuen Formengetan hat; und die Bolschewiki haben dies durch ihren Kampf noch vordem Plenum bewiesen. Nicht darüber gibt es zwischen uns Meinungs-verschiedenheiten, ob „neue Formen" notwendig sind, ob eine legaleArbeit geleistet werden soll, ob legale Vereinigungen gegründet werden

* Social Democratic Federation. Die Red.

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Notizen eines Publizisten 261

Die Losung der Wahlen zu dieser Konferenz, die Losung zu ihrer Ein-

berufung und Vorbereitung muß der Zusammenschluß der parteitreuenSozialdemokraten im Kampf gegen die Gruppe der unabhängigen Lega-listen sein. Entsprechend dieser Aufgabe und in Anbetracht der partei-feindlichen Haltung der „Golos"-Leute müssen wir alle leitenden Insti-tutionen der Partei mit aller Entschiedenheit umgestalten, damit sie sidinicht mit den Intrigen befassen, die nun jeder von den „Golos"-Leutengegen sie schmiedet und schmieden wird, sondern mit wirklicher Arbeitzum Ju jbau der Partei. Die „Golos"-Leute wollen vom Aufbau derPartei nichts wissen, sie wollen insgeheim der Gruppe der unabhängigen

Legalisten helfen.So muß die Plattform der Bolschewiki für diese Konferenz sein. Esgilt, die Partei gemäß den Resolutionen vom Dezember (1908) und inderen Sinn aufzubauen. Es gilt, die Sache des Plenums weiterzuführen,bei Durchsetzung der oben angeführten Korrekturen seiner Beschlüsse,die durch den ganzen Verlauf der Ereignisse nach dem Plenum vorgezeich-net sind. Es gilt, alle Anstrengungen auf eine systematische, unermüdliche,allseitige und beharrliche Ausnutzung aller legalen Möglichkeiten zurichten, um die Kräfte des Proletariats zu sammeln, um ihm zu helfen,sich zu gruppieren und zusammenzuschließen, im Kampf gestählt zu wer-den und seine Glieder zu recken. Es gilt ferner, unermüdlich die illegalenZellen, die illegalen rein parteilichen und vorwiegend, in erster Linie, reinproletarischen Organisationen wiederherzustellen, wobei w ir lernen müs-sen, sie den neuen Verhältnissen anzupassen. Allein diese illegalen Or-ganisationen sind imstande, die ganze Arbeit in den legalen Organisatio-nen zu lenken, sie mit revolutionärem, sozialdemokratischem Geist zuerfüllen, den unversöhnlichen Kampf gegen die Renegaten und gegendie unabhängigen Legalisten zu führen und die Zeit vorzubereiten, wounsere Partei, unsere SDAPR, die alle Traditionen der Revolution undder großen Siege des Proletariats im Jahre 1905 gewahrt und die prole-tarische Armee der Partei gefestigt und vergrößert hat, diese Armee zuneuem Kampf und zu neuen Siegen führen wird.

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D ER J U B I L Ä U M S N U M M E R DER „ Z I H N A " 8 3

Als der vom Zentralkomitee der Sozialdemokratie Lettlands delegierteGenosse auf der Plenartagung des Zentralkomitees der SDAPR den Be-richt über den Stand der Arbeit in der Sozialdemokratie Lettlands gab(dieser Bericht wurde in der Nr. 12 des Zentralorgans unserer Parteikurz wiedergegeben), entstand bei.uns der Eindruck einer besonders„normalen", reibungslosen Entwicklung der lettischen Sozialdemokratiein der gegenwärtigen schweren Zeit. Dieser Eindruck wurde dadurchhervorgerufen, daß die Sozialdemokratie Lettlands, die ihrer Zusammen-

setzung nach am proletarischsten ist und vorwiegend von Arbeitern selbstgeleitet wird, den durch die objektiven Bedingungen erforderlich gewor-denen Übergang zur Ausarbeitung einer besonderen Taktik und zurLösung organisatorischer Aufgaben der sich in die Länge ziehenden Pe-riode der Konterrevolution bereits vollzogen ha t. Während der Revolutionnahmen das lettische Proletariat und die lettische Sozialdemokratie einender vordersten und wichtigsten Plätze ein im Kämpf gegen die Selbst-herrschaft und alle Kräfte der alten Ordnung. Es ist übrigens nicht un-interessant, darauf hinzuweisen, daß die offizielle Statistik der Streiks für

1905 (herausgegeben vom Ministerium für Handel und Industrie)

84

zeigt,daß das Gouvernement Livland hinsichtlich der Beharrlichkeit des prole-tarischen Streikkampfes an erster Stelle steht. Im Jahre 1905 wurden imGouvernement Livland insgesamt 53 917 Fabrikarbeiter gezählt, währenddie Zahl der Streikenden 268 567, d. h. fast das Fünffache (4,98fache)betrug! Jeder Fabrikarbeiter im Gouvernement Livland streikte in jenemJahr im Durchschnitt fünfmal. Nach dem Gouvernement Livland folgtdas Gouvernement Baku, wo jeder Fabrikarbeiter 4,56mal streikte, dann

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Der Jubiläumsnummer der „Zihna" 263

das Gouvernement Tiflis 4,49mal, das Gouvernement Petrokow 4,38mal

und das Gouvernement Petersburg 4,19mal. Im Gouvernement Moskauwurden 1905 276 563 streikende Arbeiter gezählt. Das ist etwas mehr alsim Gouvernement Livland, während die Gesamtzahl der Fabrikarbeiterim Gouvernement Moskau das Fünffache der Arbeiterzahl im Gouverne-men t Livland betrug (285 769 gegenüber 53 917). Daraus ist zu er-sehen, um wieviel klassenbewußter, einmütiger und revolutionärer daslettische Proletariat auftrat. Es ist aber auch bekannt, daß sich seineführende Rolle als Vorhut beim Angriff gegen den Absolutismus nichtauf den Streikkampf beschränkte: es marschierte in der Vorhut des be-

waffneten Aufstands; es trug mehr als alle anderen dazu bei, die Bewe-gung auf ihre höchste Stufe, das heißt auf die Stufe des Aufstands zuheben. Mehr als andere bezog es das lettische Landproletariat und dielettische Bauernschaft in den großen revolutionären Kampf gegen ̂ denZarismus und die Gutsbesitzer ein.

Die lettische Arbeiterpartei, als eine der Vorausabteilungen der Sozial-demokratie Rußlands während der Revolution, hat auch in der schwerenZeit der Konterrevolution in der vordersten Linie gestanden. Aus demobenerwähnten Bericht wurde uns bekannt, daß sich in der lettischenSozialdemokratie keine besondere Strömung herausgebildet hat, wederaus Hang zu revolutionären Phrasen (ähnlich wie unsere „Otsowisten")noch aus Überschätzung der legalen Möglichkeiten (ähnlich wie unsereLiquidatoren, die eine illegale Partei ablehnen und die Aufgaben zurWiederherstellung und Festigung der SDAPR von sich weisen). Die let-tischen sozialdemokratischen Arbeiter vermochten es, die Arbeit zur Aus-nutzung jeglicher legaler Möglichkeiten zu organisieren: legaler Gewerk-schaften, verschiedener Arbeitervereinigungen, der Dumatribüne usw.;wobei sie keineswegs die illegale, revolutionäre sozialdemokratische Par-tei „liquidiert", sondern umgekehrt überall die illegalen Arbeiterzellender Partei aufrechterhalten haben, die die Traditionen des großen revo-lutionären Kampfes verfechten und pflegen, indem sie aus den Reihender jungen G eneration de r Arbeiterklasse unen twegt und beharrlich immerbreitere und klassenbewußtere Massen von Kämpfern heranbilden.

Es ist nicht zu bezweifeln, daß von den Ursachen, durch die sich dieErfolge der lettischen Sozialdemokratie erklären, an erster Stelle genanntwerden müssen: die höhere Entwicklungsstufe des Kapitalismus sowohl

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Der "Jubiläumsnummer der „Zibna' 265

Kräfte der Bourgeoisie im Kampf um die Freiheit überschätzt und ihre

eigenen Kräfte, die Kräfte des Angriffs der Millionen von Unterdrücktenund Ausgebeuteten, •unterschätzt.

Es werden legale Zeitschriften herausgegeben („Nascha Sarja" und„Wosroshdenije"), in denen gepredigt wird, daß die Wiederherstellungund Festigung der illegalen Partei, unserer alten, jahrelang erprobtenSDAPR, eine „reaktionäre Utopie" ist. In dem illegalen menschewisti-schen Organ „Golos Sozial-Demokrata" werden dergleichen Herren ver-teidigt und wird die Losung: „Kampf um die Legalität" verkündet. Einerder bedeutendsten Führer des Menschewismus, Plechanow, tritt aus der

Redaktion und dem Mitarbeiterstab all dieser Publikationen aus, erklärtihnen den Krieg und ruft die parteitreuen Menschewiki auf, die revolutio-näre, illegale Partei des Proletariats, die SDAPR, zu unterstützen und zcifestigen.

Unsere Partei ist also in die entscheidende Schlacht gegen alle unab-hängig en Gru ppe n d er L egalisten eing etreten, die (d. h. die Legalisten)sich zu Unrecht Sozialdemokraten nennen. In Wirklichkeit richten siedie Sache der Sozialdemokraten zugrunde, zerstören die sozialdemokra-tische Organisation der Arbeiterklasse, geben sie preis zugunsten form-

loser legaler Gruppen, die keinerlei Prinzipien besitzen und die faktischdie Arbeiterklasse von der liberalen Ideologie und der liberalen politischenFührung abhängig machen.

Vor zehn Jahren führte unsere Partei einen erfolgreichen Kampf gegenden sogenannten „Ökonomismus", der dem jetzigen „Liquidatorentum"außerordentlich artverwandt war. Heute ist der Kampf schwieriger,weil alle Kräfte der Konterrevolution - nicht nur der alten, sondern auchder neuen (modernen), bürgerlich-liberalen Konterrevolution - daraufgerichtet sind, im Proletariat die Traditionen von 1905 auszulöschen, seine

illegale sozialdemokratische Partei zu vernichten. Aber die Arbeiterklasse,die es vermochte, in der Revolution von 1905 Führer zu sein, wird zweifel-los all diese Abweichungen vom sozialdemokratischen W eg überw inden.

Vor der Revolution von 1905 arbeiteten die Sozialdemokraten 20 Jahrelang in völlig illegalen Zirkeln und bauten die Partei auf, die Millionenzum Sturm gegen die Selbstherrschaft führte. Nach der Revolution könnenwir - und folglich müssen wir - die Arbeit der illegalen Zellen nicht nurfortsetzen, sondern um ein vielfaches verstärken, diese Zellen mit einem

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266 W. J. Lenin

dichten Netz von legalen Organisationen umgeben, die Tribüne der

schwarzen Duma für unsere Agitation ausnutzen, in die Arbeitennassendie im revolutionären Kampf erworbenen Lehren hineintragen und einesozialdemokratische Partei schaffen, die Millionen und aber Millionen zuneuem Sturm gegen die Selbstherrschaft führen wird.

Veröftentlidrt im Juli 19iO Tlado dem 7ext der Zeitung.

in der Zeitung „Zihna" SVr. 100. Übersetzung aus dem Lettisdben.

Unterschrift: SV. Lenin.

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R E S O L U T I O N S E N T W U R F D E R R U S S I S C H E N

S O Z I A L D E M O K R A T I S C H E N D E L E G A T I O N

A U F D E M K O P E N H A G E N E R K O N G R E S S 8 5

Ü BE R D I E G E N O S S E N S C H A F T E N

Der Kongreß stellt fest,1. daß die proletarischen Genossenschaften der Arbeiterklasse die Mög-

lichkeit geben, ihre Lage zu verbessern durch Verminderung der Aus-beutung von Seiten des Zwischenhandels, durch Einwirkung auf die Ar-beitsbedingungen bei den Lieferanten, durch Verbesserung der Lage derAngestellten usw.;

2. daß die proletarischen Genossenschaften im ökonomischen und poli-tischen Massenkampf durch die Hilfe, die sie bei Streiks, Aussperrungen,

Verfolgungen usw. erweisen, immer größere Bedeutung erlangen;3. daß die proletarischen Genossenschaften, wenn sie die Massen der

Arbeiterklasse organisieren, diese lehren, ihre Geschäfte selbst zu führenund den Konsum zu organisieren, wodurch sie die Arbeiterklasse aufdiesem Gebiet darauf vorbereiten, in der künftigen sozialistischen Gesell-schaft die Rolle des Organisators des Wirtschaftslebens zu übernehmen.

Der Kongreß stellt anderseits fest,1. daß die Verbesserungen, die von den Genossenschaften erreicht wer-

den können, auf einen sehr engen Rahmen begrenzt sind, solange die Pro-

duktionsmittel und die Mittel des Austausche in den Händen der Klasseverbleiben, deren Expropriation das Hauptziel des Sozialismus ist;

2. daß die Genossenschaften, als rein kommerzielle Einrichtungen so-wie unter dem Druck der Konkurrenz, die Tendenz haben, zu bürger-lichen Aktiengesellschaften auszuarten;

3. daß die Genossenschaften, die keine Organisationen des unmittel-baren Kampfes gegen das Kapital sind, die Illusion schaffen können undauch schaffen, daß sie ein Mittel zur Lösung der sozialen Frage seien.

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268 l/V. J. Lenin

Der Kongreß ruft daher die Arbeiter aller Länder auf,

a) in die proletarischen Genossenschaften einzutreten und deren Ent-wicklung allseitig zu fördern sowie deren Organisation in streng demo-kratischem Sinn zu lenken (niedrige Beitrittsgebähren, ein Anteil - einePerson usw.) ;

b) durch unermüdliche sozialistische Propaganda und Agitation inner-halb der Genossenschaften die Verbreitung der Ideen des Klassenkampfesund des Sozialismus unter den Arbeitermassen zu fördern;

c) in dem Maße, in dem das sozialistische Bewußtsein in den Genossen-schaften wächst, zwischen den Genossenschaften und der Partei der So-

zialisten sowie den Gewerkschaften organische Verbindungen anzuknüp-fen und zu festigen;

d) der Ko ngreß Weist femer, darauf hin, da ß die Produktionsgenossen-schaften für den Kampf der Arbeiterklasse nur dann Bedeutung haben,wenn sie Bestandteile der Konsumgenossenschaften sind.

geschrieben am 16./17. (29./30.)August i9W.

Zuerst veröffentlicht 1929 TJadb dem Manuskript.

in der 2.-3. Ausgabe, derWerke TV. 3. Lenins, Band XIV.

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B R I E F A N D A S I N T E R N A T I O N A L E

S O Z I A L I S T I S C H E B Ü R O

Ü B E R D I E V E R T R E T U N G D E R S D A P R

Kopenhagen, 2. September 1910Das Zentralkomitee der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands

hat, um die Ernsthaftigkeit seiner Bestrebungen zur Einheit hervorzu-heben, auf der Plenartagung im Januar 1910 beschlossen, das Internatio-nale Sozialistische Büro zu bitten, zwei Genossen, G . Plechanow undW l. Lenin, als Vertreter der Partei in das Büro aufzunehmen. Es verstehtsich von selbst, daß die Sozialdemokratische Arbeiterpartei nur auf eineStimme im Büro Anspruch erhebt, sie möchte jedoch nach dem BeispielFrankreichs eine vollständigere Vertretung.

Dieser Beschluß - dem jetzigen Vertreter W l. Lenin den Gen. G. Ple-chanow zur Seite zu stellen - wurde von der sozialdemokratischen Dele-gation auf dem Kongreß einstimmig unterstützt.

Der Vertreter der SDAPR im Internationalen Sozialistischen Büro

Wl. Lenin

Veröftentlidbt i9ii in dem Bud j Nad i dem 7ext des Ruch es.„Jiuitieme Congres Socialiste Tlberscizunc) aus demInternational", Qand (Ächter Inter- 7ranzösisdjen.

nationaler Sozialistenkongreß, Qeni).

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Ü B E R D I E F R A K T I O N D E R „ W P E R J O D " - L E U T E

Die Gruppe „Wperjod" hat in Paris einen „Sammelband von Artikelnzu aktuellen Fragen" unter dem Titel „Wperjod" herausgegeben. In Verbindung mit der Broschüre des Gen. Sashin86 („Zur Frage der Wieder-geburt der Partei"), die aus „privaten Mitteln finanziert wurde" und dieman durch die Redaktion des Sammelbandes „Wperjod" beziehen kann,in Verbindung mit einem Sonderdruck, der die Unterschrift der Gruppe„Wperjod" trägt, sowie mit der Plattform dieser Gruppe, verfügt diePartei jetzt über mehr als genug Material, um sich über die „Wperjod" -Leute ein Urteil bilden zu können.

Die Plattform der „Wperjod"-Leute ist durch folgende drei Besonder-heiten gekennzeichnet. Erstens: von allen Gruppen und Fraktionen unsererPartei führt sie als erste die Philosophie ins Feld und versteckt sie oben-drein hinter einem Pseudonym. „Die proletarische Kultur", „die proleta-rische Philosophie" - das steht in der Plattform. Hinter diesem Pseud-onym aber versteckt sich der Madbismus, d. h. die Verfechtung desphilosophischen Idealismus in seinen verschiedenen Gewändern (Empirio-kritizismus, Empiriomonismus usw.). Zw eitens: auf politischem G ebiet er-klärte die Gruppe den Otsowismus als „berechtigte Schattierung" undteilte mit, daß einige Otsowisten, die Mitglieder dieser Gruppe sind, mit

der Bestimmung der Aufgaben der Partei in bezug auf die Reichsdumanicht einverstanden sind. Diese Bestimmung selbst wurde in der Platt-form der „Wperjod"-Leute so unklar und verwirrt dargestellt, daß mansie gar nicht anders als eine Anpassung an den otsowistischen Gedanken-kreis bezeichnen kann. Drittens schließlich: die Plattform verurteilte ent-schieden das Fraktionswesen und forderte die Vereinigung der Fraktionen,deren Verschmelzen in der Partei.

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Tiber die iraHion der „Wperjod"-Leute 271

Also, als Ergebnis haben wir - um m it dem Schluß anzufangen - einenüberaus frommen W unsch und zweimal Bemäntelung für ä ußerst schlechtepolitisch-ideologische Richtungen, die den Bruch mit dem Marxismus unddie Unterwerfung des Proletariats unter die bürgerliche Ideologie undPolitik zum Ausdruck bringen. Der Sammelband „Wperjod" zeigt rechtanschaulich, welche Resultate aus einer solchen Mischung herauskommenkönnen.

Der Verfasser des Leitartikels des Sammelbandes, Maximow, hält sichstreng an die Diplomatie der Plattform, wenn er über die „proletarischeKultur" spricht, ohne überhaupt zu erklären, was er darunter versteht.In einem Artikel, der Anspruch auf eine gemeinverständliche Darstellung

erhebt, fällt dieses Versteckspiel besonders in die Augen. Kann denn voneiner Gemeinverständlichkeit die Rede sein, wenn kein einziger Leser, mitAusnahme derer , die Maximow persönlich kennen oder die bereits denganzen Streit übe r den Machismus und in Verbindung m it dem Machismusverfolgt haben, in der Lage ist, den wahren Sinn eines solchen Satzes zuverstehen? Kann denn von einer Gemeinverständlichkeit die Rede sein,wenn derselbe Maximow auf Seite 4 des Sammelbandes von der „Gefahrfür den proletarischen Sozialismus" spricht, die von Seiten jener Abkömm-linge der Intelligenz droht, die „die falschen und für das Proletariat

schädlichen Ideen der bürgerlichen Wissenschaft und Philosophie kritik-los übernehmen und propagieren ..."?

Die drei Punkte s tammen von Maximow. Ob damit etwas schamhaftverschwiegen werden soll, wissen wir nicht. Aber wir wissen genau, daßes bedeutet, zu der schlimmsten Form der Fraktionsdiplomatäe Zufluchtzu nehmen, wenn - besonders in einem „populären" Artikel - von derSchädlichkeit der „bürgerlichen Philosophie" für das Proletariat gespro-chen, aber nicht exakt und klar bestimmt wird, weldbe Philosophie mandabei im Auge hat. Wenn Sie die Frage der bürgerlichen Philosophie für

wichtig halten, wenn Sie sie im Leitartikel des „populären" Sammel-bandes abhandeln, dann haben Sie auch den Mut dazu, offen zu sprechen,verteidigen Sie Ihre Ideen und verstecken Sie sie nicht.

Gen . Sashin unte rgräb t, wohl in d er Eigenschaft des „ Prak tikers ", insehr unhöflicher Weise die Diplomatie Maximows.* Auf Seite 31 seiner

* In dem Sammelband „Wperjod" verplappert sich ein anderer „Praktiker",der Petersburger „Tkatsch I-n"87, ebenfalls nicht sehr diplomatisch: „Nebenbei

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272 IV . 7. Lenin

Broschüre fordert er, den „Mitgliedern der Partei" müsse „die völlige

"Freiheit ihrer revolutionären und philosophisdien Qeda nken" „gew ähr-

leistet" sein.

Diese Lösung ist durch und durch opportunistisch. Eine derartige Lo-sung wu rde in allen Län dern inn erhalb der sozialistischen P arteien n ur vonOpportunisten aufgestellt und bedeutete in der Tat nichts anderes als die„Freiheit", die Arbeiterklasse durch die bürgerliche Ideologie zu demo-ralisieren. „Ged ankenfreiheit" (lies: Freiheit der Presse, des W orte s, desGewissens) fordern wir ebenso wie Koalitionsfreiheit vom Staat (abernicht von der Partei). Die Partei des Proletariats hingegen ist eine freieVe reinigu ng, geschaffen für den Kampf gegen die „Ge dan ken " (lies: gegendie Ideologie) der Bourgeoisie, für das Verfechten und Durchsetzen einerganz bestimm ten, nämlich der marxistischen W eltanschauu ng. D as ist eineBinsenwahrheit. Und die Unaufrichtigkeit ihrer politischen Positionzwang Maximow, Sashin und Co., diese Binsenwahrheit zu vergessen.Nicht ihre persönliche Heuchelei, sondern eben die politische Unaufrich-tigkeit ihrer Position führte dazu, daß sie bürgerliche Losungen propa-gieren. Diese Unaufrichtigkeit b esteht darin, da ß die einen „W perjo d"-Leute das Proletariat allzugern zu den Ideen der bürgerlichen Philosophie(zum Machismus) zurückziehen wollen und daß sich die anderen derPhilosophie gegenüber gleichgültig verhalten und lediglich „völlige Frei-heit" . . . für den Machismus fordern. Alle zusammen sind daher gezwun-

gen, Diplomatie zu treiben, Verwirrung zu stiften, Versteck zu spielen undzu bürgerlichen Losungen zu greifen.

Was aber bedeutet in WirkUdbkeit „völlige Freiheit der revolutionärenGedan ken" ? Nichts , außer der Freiheit für otsowistische und andere halb-anarchistische Ideen. Mit anderen Worten, hier wurde dasselbe gesagt,was in der „Plattform" der „Wperjod"-Leute mit der Phrase ausgedrückt

bem erkt" , schreibt er, „kann das Buch von Beltow ,D ie monistische Auffassung'besonders solch eine falsche Vorstellung vom historischen Materialismus her-vorrufen" (Sammelband, S. 57). W ie könnte es anders sein! Die richtigste„Vorstellung vom historischen Materialismus" vermitteln natürlich die Bücherder russischen Gottbildner und Machisten - welchem „Wperjod"-Mann ist dasdenn nicht bekannt? Und wie kann das Buch, an dem eine ganze Generationrussischer Marxisten erzogen wurde, sich messen mit den philosophischen Er-zeugnissen der Juschkewitsch, Bogdanow, Walentinow und Lunatscharski...

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Tiber die 7raktion der „W perjod"'-Leute 173

wurde: Anerkennung des Otsowismus als „berechtigte Schattierung".Heraus kommt also wieder eine kleinlidie Diplomatie mit Ideen, wieder

Versteckspiel, wieder Heuchelei, die voll und ganz aus der unaufriditigenpolitisch-ideologischen Position zu erklären ist: wir sind ja keine Machi-sten, jedoch sind wir für die „völlige Freiheit" des Machismus (in der Par-te i) ; wir sind keine Otsowisten, jedoch sind wir für die „völlige Freiheit"der otsowistischen Schattierung oder allgemeiner, der „revolutionären Ge-danken" ! Das Durcheinander wird noch dadurch vervollständigt, daß sichzwei „Wperjod"-Leute (Sashin und Rabotschi Ar.88) mit persönlichen

Unterschriften entschieden für die Wichtigkeit und Notwendigkeit aus-sprechen, die legalen Möglichkeiten und die Dumatribüne auszunutzen.

„Die Sozialdemokratie", schreibt Rabotschi Ar., „muß gegen jene kämp-fen, die Agitation treiben" (wer treibt denn eine solche Agitation, Gen.Ar.? Sind es nicht Ihre „Wperjod"-Leute?) „gegen jegliche" (hört, hört!)„Ausnutzung legaler Möglichkeiten, weil eine solche Handlungsweisenidit sozialdemokratisch ist." (S. 48/49 des Sammelbandes.) Und derselbeAr., der die Worte der Bolschewiki der „Proletan"-Richtung wiederholt,

zieht schimpfend über den „Proletari" her (nachträglich), weil dieser an-geblich die „Wperjod"-Leute in schrecklichen Farben gemalt habe! Dasnenn t ma n: auf d er ganzen Linie den Rückzug antreten, alle seine Positio-

nen aufgeben, in der Presse (wiederum ohne es direkt auszusprechen) die-jenigen seiner Freunde, diejenigen „Wperjod"-Leute verurteilen, die sei-nerzeit beispielsweise die Resolution über den Boykott des Kongresses derBetriebsärzte annahmen, und seinen Rückzug, seine Kapitulation mit einemPaukenschlag decken. Erbärmliche Fraktionsdiplomatie!

Werfen Sie einen Blick auf das Geschreibsel der „Wperjod"-Leute zurFrage der Fraktionen und des Fraktionswesens. Die „Plattform" verur-teilte die Fraktionen und forderte ihre Auflösung. Sashin wettert gegendie Fraktionszentren, gegen die „Führer im Ausland" usw. usf. Ein ganzes

Meer von Tränen haben die „Wperjod"-Leute wegen des Fraktionswesensvergossen, unendlich viele Worte haben sie darüber verloren.

Und ihr Handeln? Die ganze Geschichte der Gruppe „Wperjod" seitdem „Vereinigungs"plenum im Januar (1910) ist die Geschichte derSchaffung einer Jraktion vom Ausland her. Hier ein Auszug aus einemBrief (vom 15. Juli 19 10), den ein russischer Pa rteia rbei ter an ein Mit -glied des Auslandsbüros des ZK gesdiickt hat:

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274 W . 7. Lenin

„Es gibt ein Komitee (in Petersburg ) und außerdem besteht eine G rupp e,Wperjod'-Leute mit eigener Kasse und eigenem Sekretär. Die Gelderhaben s ie aus dem Ausland erhalten. In Moskau. . ." Es folgt dann derName einer Person, die einem der bekanntesten Otsowisten sehr nahe-steht, und es wird darauf hingewiesen, daß in Moskau eine ähnliche Poli-tik getrieben wird.

Kein Mensch, der mit den Parteiangelegenheiten etwas vertraut ist undhalbwegs aufmerksam die Stellung des literarischen Grüppchens „Wpe-rjod" verfolgt hat, konnte auch nur für einen Augenblick daran zweifeln,daß diese Gruppe vom Ausland her eine Fraktion organisiert. Daß dieominöse „Schule in NN" das Auslandszentrum einer neuen Fraktiongewesen ist, das wurde im Juni 1909* in der Presse erklärt, und seitherhaben sich sogar die sorglosesten und schlechtinformierten Sozialdemo-kraten davon überzeugen können. Die ominöse „Plattform" wurde imAusland von 8 Intellektuellen und von 7 Arbeitern, Hörern der Schule,ausgearbeitet. Die Rolle dieser Arbeiter, die ihre Unterschrift unter dieLosungen der „proletarischen Philosophie" und die Anerkennung desOtsowismus als „berechtigte Schattierung" setzten, ohne sich Gedank en zumadien, ist viel zu klar, als daß es lohnte, noch darüber zu sprechen. Wirhaben das reinste Musterbeispiel einer Fraktionsbildung durch eine Gru ppeim Ausland lebender Literaten vor uns, die „Khans" gleichen (um einenAusdruck von Woinow 8 9 aus dem Sammelband „Wperjod" zu gebrau-chen), denn ihre Willkür spüren sie selbst, wenn sie das vor der Öffent-lichkeit verbergen, was ihnen besonders teuer ist, nämlich die bürgerlichePhilosophie des Machismus und Otsowismus. Die „Wperjod"-Leute wet-tern gegen die „Führer im Ausland" und bilden selber eine Organisation,die faktisch ein bloßes Anhängsel einer Handvoll im Ausland lebenderLiteraten ist; sie wettern gegen die Fraktion und bauen insgeheim selbsteine neue, kleine, ausgesprochen lebensunfähige sektiererisdie empirio-

monistische Fraktion auf. Die politische Quelle dieser ganzen Heucheleiist die Unmöglichkeit eines offenen, direkten Eintretens dafür, was denwirklichen Häuptlingen dieser Fraktion wirklich teuer ist.

Beschränken wir uns auf zwei Beispiele besonders schreiender Heuche-lei. Auf Seite 53 des Sammelbandes erklärt Jtabolsdri Ar., daß das Bürodes ZK in Rußland „nicht das geringste tut" (diese Worte werden natür-

* Siehe W erke , Bd. 15, S. 453/454. Die Red.

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Tiber die Fraktion der „7Vperjod"-£eute 275

lieh einem „leninistischen" Arbeiter zugeschrieben, der angeblich in sol-chem Geist mit einem „Wperjod"-Mann diskutiert habe. Oh, weldinaive Schläue des „Rabotschi Ar."!) - und daß der „Wperjod"-Mann(wiederum gemeinsam mit dem „Leninisten" und natürlich auf dessenBetreiben hin) vorgeschlagen hat, „die Moskauer Organisation für unab-hängig vom russischen ZK und seinen Direktiven nicht unterworfen zuerklären".

Das Büro des russischen ZK kämpft seit Januar 1910 angestrengt umdie Wiederherstellung der Zentralstelle, und zwar gegen den W iderstandsowohl der liquidatorischen „Golos"-Leute (die bekannte Geschichte mitMichail, Roman, Juri) als auch der „Wperjod"-Leute (die in dieser Zeitvom Ausland her ihr Fraktionellen gegen das ZK aufgebaut haben). Undjetzt vergießen dieselben „Wperjod"-Leute Krokodilstränen über die „U n-tätigkeit" des Büros des ZK! Diese „Wperjod"-Leute, die in der Tat vonder Partei vollkommen „unabhängig" und durch und durch parteifeind-liche Fraktionsmacher sind, schreiben in einem populären Sammelband,daß es notwendig ist, die örtlichen Organisationen für „unabhängig" vomZK zu erklären.

Ein anderes Beispiel. In demselben Sammelband übt sich ein anonymes„Parteimitglied" in einer kritischen Attacke gegen den Kassenbericht desAuslandsbüros des ZK. Der anonyme Attackenreiter schreibt unter ande-rem auf S. 60: „W as das für ,Treuhänder' sind (im Bericht wird von Geld-überweisung durch die Treuhänder gesprochen), weshalb sie Gelder desZK ,zu treuen Händen haben' oder ,hatten', für welche besonderenZwecke' diese Gelder bestimmt sind - niemand begreift hier etwas."

So steht es geschrieben: "Niemand begreift etwas.Das schreiben Mitglieder derselben Gruppe „Wperjod", von der zwei

Vertreter auf dem Januarplenum anwesend waren, das die Erklärung derBolschewiki über die bedingte Übergabe deren Gelder an „Treuhänder"

(d. h. an drei sehr bekannte V ertreter der internationalen Sozialdemo-kratie) angenommen hat. Welche Gelder das sind, woher sie kommen,wer die Treuhänder sind usw. - all das war dem Plenum, d.h . allenFraktionen, d. h. da runter audi den „W perjod"-Leuten, in allen Einzel-heiten bekannt. Aber die „Wperjod"-Leute schreiben in ihrem „populä-ren" Sammelband zur Täuschung der Arbeiter: „Niemand begreift etwas."

Das schreibt man in demselben Sammelband „Wperjod", in dem die

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276 1/9.1. Lenin

ersten beiden Artikel von Maximow und T>om owso unterzeichnet sind.

Diese beiden „Wperjod"-Leute kennen ausgezeichnet die ganze Qe-sdiidite, wie die Bolschewiki diese Gelder bekommen und sie an Treu-händer übergeben haben. Und weil es ja für sie „peinlich" ist, persönlichaufzutreten und zu erklären: „Niemand begreift etwas", so wählen siefür diese Sache anonyme Attackenreiter, die sich angesichts ihres parte i-feindlichen Verhaltens als „Parteimitglieder" bezeichnen. Maximow undDomow sagen in dem „populären" Sammelband den Arbeitern durch an-onyme Attackenreiter wissentlich die "Unwahrheit, wenn sie behaupten,daß in der Frage, was das für „Treuhänder" der Gelder usw. sind, „nie-

mand etwas begreift". Und diese Herren schlagen sich an die Brust undwettern was das Zeug hält gegen die „Fraktionen" und gegen die „Führerim Aus land" .

Sie „kritisieren" durch ein anonymes „Parteimitglied" den Kassen-bericht des ZK, sie selbst erklären aber auf der ersten Seite ihres Sammel-bandes, daß der „Mangel an materiel len Mitteln" ihre Gruppe bisherdaran gehindert habe, eine Zeitung herauszugeben, und daß „es jetzt

gelungen sei, dieses Hindernis zu beseitigen". Jetzt hat die Gruppe „Wpe-rjod" also Gelder erhalten. Eine sehr angenehme Nachricht für die „Wpe-

rjod"-Leute, muß man sagen. Nur was für eine „Stirn" muß man haben,oh, verehrteste „Wperjod"-Leute, um öffentlich in dem „populären" Sam-melband durch einen anonymen Attackenreiter wissentlich die Unwahrheitübe r das ZK zu sagen, als ob „n iemand etwas begreift", um welche „ Treu -händer" es sich handelt und welche Gelder sie zu treuen Händen haben,und gleichzeitig weder dem ZK noch anderen Fraktionen auch nur mit

einem einzigen 7on zu verraten, was das für Qelder sind, die die Qruppe

„Wperjod" erhalten hat, und w eldoe Literaten über sie verfügen? D iePartei ist wohl den „Wperjod"-Leuten rechenschaftspflichtig, während

die „Wperjod"-Leute der Partei gegenüber nicht rechenschaftspflichtigs ind?

Immer und immer wieder muß wiederholt werden, daß diese Heucheleider „Wperjod"-Leute sich nicht aus den persönlichen Eigenschaften vonHinz und Kunz erklärt, sondern aus der politischen Unaufrichtigkeit ihrerganzen Position, daß sie sich daraus erklärt, daß die machistischen undotsowistischen Literaten nicht direkt und offen den Kampf für die ihnenteuren nichtsozialdemokratischen Ideen aufnehmen können. Wer diese

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Tiber die Traktion der „Wperjod"-Leute 177

poUtischen Verhältnisse begreift, der wird sich nicht allein bei der äußeren

Seite der Erscheinung, bei der Summe der persönlichen Konflikte, denIntrigen, den Schmähungen u. dgl. verw irrt, verd utzt und beklomm en auf-halten. Wer diese politischen Verhältnisse begreift, gibt sich nidit mit derversöhnlerischen Phrase (ä la Trotzki) zufrieden, daß „nidit der Kampfgegen die Otsowisten, sondern die Überwindung des Otsowismus" er-forderlich ist, denn das ist eine leere und inhaltslose Phrase. Die objek-tiven Verhältnisse der Periode der Konterrevolution, der Periode des Zer-falls, der Periode des Gottbildnertums, der Periode des Machismus, desOtsowismus, des Liquidatorentums - diese objektiven Verhältnisse haben

unserer Partei den Kampf gegen die Zirkel der Literaten vorgeschrieben,die ihre Fraktionen organisieren, und diesen Kampf kann man nicht miteiner Phrase abtun. Diesem Kampf auszuweichen bedeutet, einer der ge-genwärtigen Aufgaben der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei auszu-weichen.

„SoziaUVemokrat" 5Vr. i5/l6, TJadh dem 7ext des30. August [12. September) i9iO. .Sozial-DemokraV.

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D I E F R A G E D E R G E N O S S E N S C H A F T E N

A U F D E M I N T E R N A T I O N A L E N

S O Z I A L I S T E N K O N G R E S S

I N K O P E N H A G E N

Im vorliegenden Artikel möchte ich mich darauf beschränken, den Ver-lauf der Arbeiten des Kongresses in der obengenannten Frage darzulegenund die Richtungen des sozialistischen Denkens, die einander hier be-kämpft haben, zu charakterisieren.

Vor dem Kongreß wurden drei Resolutionsentwürfe über die Genossen-schaften veröffentlicht. Der belgische Entwurf (Nr. 5 des „PeriodischenBulletins des Internationalen Sozialistischen Büros", das unregelmäßig inden drei Verhandlungssprachen der internationalen Kongresse erscheint)

warnt zunächst die sozialistischen Arbeiter vor der Lehre derer, die be-haupten, daß die Genossenschaften sich selbst genügen, und die in ihnenein Mittel zur Lösung der sozialen Frage sehen. Der Entwurf der belgi-schen Partei stellt dann fest, daß die Arbeiterklasse das stärkste Interessedaran hat, die Genossenschaften als Waffe in ihrem Klassenkampf zu ge-brauchen, und verweist auf die unmittelbaren Vorteile der Genossen-schaften (Kampf gegen die Ausbeutung durch den Zwischenhandel, Ver-besserung der Arbeitsbedingungen bei den Lieferanten usw.) und hält esfür wünschenswert, daß „organische Verbindungen, die sich immer enger

gestalten", zwischen den sozialistischen Parteien und den Genossenschaf-ten angeknüpft werden.

Der Entwurf der Mehrheit der französischen Sozialistischen Partei istim Geiste Jaures' abgefaßt. D ie Genossenschaften werden in den Himmelgehoben und - ganz wie bei den bürgerlichen Reformern - als zur „Um-wandlung der Gesellschaft erforderliche" Elemente hingestellt. Man ver-kündet nebelhafte Phrasen über die Erhebung der Genossenschaften vonder Einzelgruppierung der Individuen zum allumfassenden Bund der ge-

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Die Trage der Qenossensdiaften 279

nossenschaftlichen Kräfte. Man wirft die proletarischen Genossenschaften

mit den Genossenschaften der Kleineigentümer (in der Landwirtschaft) ineinen Topf. Man predigt Neutralität der Genossenschaften, man legt dar,wie schädlich es w äre , wo llte m an von den G enossen sdiaften irgendwelcheLasten zugunsten der sozialistischen Partei fordern.

Schließlich wird im Entwurf der Minderheit der französischen Soziali-sten (Guesdisten) entschieden erklärt, daß die Genossenschaften an sichdurchaus keine Klassenorganisationen seien (wie zum Beispiel die Gewerk-schaften), daß ihre Bedeutung dadurch bestimmt werde, was man ausihnen macht. Wenn die Arbeiter in Massen in die Genossenschaften ein-

treten, können sie in ihrem Kampf gegen das Kapital ans ihnen Nutzenziehen, können sie sich an Hand des Beispiels bis zu einem gewissenGrade Klarheit darüber verschaffen, wie man die sozialistische Gesell-schaft organisieren muß, nachdem die Widersprüche der gegenwärtigenOrdnung beseitigt worden sind. Der Entwurf unterstreicht deshalb diebeschränkte Bedeutung der Genossenschaften und ruft die sozialistischenParteien zur Unte rstüt zun g der proletarischen Genossenschaften auf,warnt vor genossenschaftlichen Illusionen und empfiehlt den Zusammen-schluß der Sozialisten innerhalb der Genossenschaften, um den Massen

ihre wirkliche Aufgabe zu erläutern, nämlich die politische Macht zu er-obern und die Mittel der Produktion und des Austausche in Gemeineigen-tum zu verwandeln.

Ganz offenkundig werden hier zwei Grundlinien sichtbar: die eine istdie Linie des proletarischen Klassenkampfes, die den Wert der Genossen-schaften darin sieht, daß sie eine Waffe, ein Hilfsmittel in diesem Kampfdarstellen, und bestimmt, unter welchen Bedingungen die Genossen-schaften wirklich eine solche Rolle spielen würden und nicht bloße Han-delsunternehmen bleiben. Die andere Linie ist die kleinbürgerliche, die die

Rolle der Genossensdiaften im Klassenkampf des Proletariats verschleiert,die den Genossenschaften eine über den Rahmen dieses Kampfes hinaus-gehende B edeutung zuschreibt (d. h. die proletarisdien Anschauungenüber die Genossenschaften und die von Eigentümern darüber in einenTopf wirft) und die Ziele der Genossenschaften in so allgemeinenPhrasen bestimmt, daß sie auch für einen bürgerlichen Reformer, die-sen Ideologen der progressiven Besitzer und Kleineigentümer, annehm-bar sind.

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280 W. J. Lenin

Leider wurden die beiden gezeigten Linien in den drei vorher ausge-

arbeiteten Entwürfen eben nur angedeutet, aber nicht klar, deutlich undscharf einander gegenübergestellt als zwei Richtungen, deren Kampf dieFrage lösen mu ß. Dah er verliefen auch die Verhandlung en des Kongressesungleichmäßig, verworren, gleichsam spontan. Fortwährend „stieß man"auf Meinungsverschiedenheiten, ohne sie aber restlos zu klären, und dasErgebnis wa r eine Resolution, die die Verworrenhe it der Gedan ken wider-spiegelt und nicht alles gibt, was die Resolution eines Kongresses der so-zialistischen Parteien geben könnte und müßte.

In der Kommission für das Genossenschaftswesen traten sogleich zwei

Strömung en zutage. Die eine - von Jaures und Elm. Elm war einer dervier deutschen Delegierten in der Genossenschaftskommission und trat alsVertreter der Deutschen auf, trat in entschieden opportunistischem Geistauf. Die andere Richtung war die belgische. Vermittler und Friedens-stifter war der Österreicher Karpeles, ein namhafter Führer der öster-reichischen Genossenschaftsbewegung, der nicht eine bestimmte prinzi-pielle Linie verfocht, sondern (genauer gesagt: nicht „sondern", vielmehrgerade darum) weitaus am häufigsten zu den Opportunisten tendierte.Und auch die Belgier wurden viel mehr durch ihren Instinkt für eine wirk-

lich proletarische Organisation des Genossenschaftswesens veranlaßt, mitJaures und Elm zu streiten, als dadurch, daß sie die Feindseligkeit undUnversöhnlichkeit des proletarischen und des kleinbürgerlichen Stand-punkts in dieser Frage klar begriffen hätten. Deshalb hielt zum BeispielAnseele (der Vorsitzende der Genossenschaftskommission) in der Kom-mission leidenschaftliche und ausgezeichnete Reden gegen die Neutralitätder Genossenschaften, gegen die Üb ertreib ung ihrer Bedeutung, dafür, da ßwir sozialistische Genossenschaftler und nicht genossenschaftliche Sozia-listen sein müssen, aber bei der Ausarbeitung der Resolution konnte der-

selbe Anseele einen direkt zur Verzweiflung bringen durch seine Nach-giebigkeit gegenüber den Formulierungen von Jaures und Elm, durch sei-nen Widerwillen, den Ursachen der Meinungsverschiedenheiten auf denGrund zu gehen.

Kehren wir aber zu den Sitzungen der Kommission zurück. Es ist ver-ständlich, daß die Vertreter der Nationen mit einer stark entwickeltenGenossenschaftsbewegung den entscheidenden Einfluß auf den Gang derArbeiten hatten. Dabei zeigte sich sogleich, daß die Auffassungen der

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Die 7rage der Qenossensdbaften 281

Belgier und der Deutschen auseinandergingen, was auf die letzteren einaußerordentlich ungünstiges Licht warf. Die Belgier vertraten jedenfallsdie proletarische Linie, wenn auch nicht ganz konsequent, nicht ganz ein-deutig. Elm zeigte sich als Opportunist reinsten Wassers (besonders inder Unterkommission, doch darüber später). Es versteht sich, daß dieBelgier die führende Rolle innehatten. Die Österreicher neigten zu ihnenhin, un d bei Abschluß der Komm issionsarbeiten w urde eine österreichisdo-belgisdhe Resolution verlesen, während Elm, der die deutsche Resolutioneingebracht hat te, offen erklä rte, er sei der Me inun g, da ß sich die deutscheResolution mit dem Entwurf von Jaures durchaus vereinbaren lasse. Dabei den Franzosen eine starke Minderheit gegen Jaures auftrat (für sei-nen Standpunkt 202 Mandate und für den von Guesde 142) , und da zuerwarten war, daß bei den Deutschen eine nicht weniger starke Minder-heit gegen Elm auftreten würde (wenn die Frage der beiden Standpunkteklar und mit aller Schärfe aufgeworfen worden wäre), so hatte die öster-reichisch-belgische Allianz die größten Aussichten auf den Sieg. Es gingnatürlich nicht so sehr um einen „Sieg" im engen Sinne des Wortes als

..vielmehr um die Verteidigung des konsequent proletarischen Standpunk-tes in bezug auf die Genossenschaften. Es gelang jedoch nicht, einen solchkonsequenten Standpunkt durchzusetzen, da die Unterkommission Jau-

res und Elm allzu große Zugeständnisse machte.W as uns russische Sozialdemokraten betrifft, so haben w ir uns bem üht,

in der Kommission die österreichisch-belgische Linie zu unterstützen, undzu diesem Zweck hatten wir, noch bevor der österreichisch-belgischeEinigungsentwurf veröffentlicht wurde, unseren Resolutionsentwurf fol-genden Inhalts eingereicht:

„ E N T W U R F D E R S O Z I A L D E M O K R A T I S C H E N

D E L E G A T I O N R U S S L A N D S

Der K ongreß ist der M einung:1. daß die proletarischen Konsumgenossenschaften die Lage der Arbeiter-

klasse insofern verbessern, als sie den Grad der Ausbeutung seitens jeglicherZwischenhändler einschränken, auf die Arbeitsbedingungen der Arbeiter Ein-fluß nehmen, die in den Betrieben der Lieferanten beschäftigt sind, und dieLebenshaltung der eignen Angestellten verbessern;

19 Lenin, W erk e, Bd. 16

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1. daß diese Genossenschaften für den ökonomischen un d politischen M assen-kampf des Proletariats von großer Bedeutung sein können, wenn sie die Arbei-ter bei Streiks, Aussperrungen, politischen Verfolgungen usw. unterstützen.

Anderseits weist der Kongreß darauf hin :1. daß die Verbesserungen, die mit Hilfe der Konsumgenossenschaften

erzielt werden können, nur ganz unbedeutend sein können, solange sich dieProduktionsmittel in den Händen derjenigen Klasse befinden, ohne deren Ent-eignung der Sozialismus nicht verwirklicht werden kann ;

2. daß die Konsumgenossenschaften keine Organisationen des unmittelbarenKampfes gegen das Kapital sind und neben gleichartigen Organisationen an-derer Klassen bestehen, die die Illusion erwecken können, daß diese Organi-

sationen ein Mittel seien, mit dessen Hilfe die soziale Frage ohne Klassen-kampf und ohne Enteignung der Bourgeoisie gelöst werden könne.De r Kongreß ruft die Arbeiter aller Länder auf:a) in die proletarischen Konsumgenossenschaften einzutreten, ihre Entwick-

lung mit allen Mitteln zu fördern und dabei den demokratischen Charakterdieser Organisationen zu verteidigen;

b) durch unermüdliche sozialistische Propaganda in den Konsumgenossen-schaften die Verbreitung der Ideen des Klassenkampfes und des Sozialismusunter den Arbeitern zu fördern;

c) gleichzeitig danach zu streben, daß eine möglichst vollständige Annähe-

rung aller Formen der Arbeiterbewegung erreicht wird.Der Kongreß stellt ferner fest, daß die Produktionsgenossenschaften für denKampf der Arbeiterklasse nur dann Bedeutung haben, wenn sie ein Bestandteilder Konsumgenossenschaften sind."

Alle Resolut ionsentwürfe wurden der Unterkommisson überwiesen(die Kom missionen der interna tionale n Sozialistenkongresse sind so groß -jede Nation entsendet 4 Delegierte in jede Kommission — daß von einerAusarbeitung des Textes der Resolutionen in einer Vollversammlung derKommission keine Rede sein kann). Der Unterkommission gehörten 10Personen an: zwei Belgier (Anseele und Vandervelde), ein Franzose (Jau-res), ein Österreicher (Karpeles), ein Deutscher (Elm), ein Hollände r (derMarxist Wibaut), je ein Italiener, Däne, Engländer und ein russischerSozialdemokrat (Woinow und ich - unsere sozialdemokratische Delega-tion war nicht dazu gekommen, einen Vertreter zu wählen, darum warenwir beide anwesend, aber nur einer gab seine Stimme ab).

Die Unterkommission beschäftigte sich nur noch mit der rein sachlichenAbfassung der Resolution. Der Text, den der Kongreß dann annahm, ist,

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Die 7rage der Q enossensdmften 283

abgesehen von ganz unbedeutenden, stilistischen Änderungen, eben derText, der von der Unterkommission ausgearbeitet worden war; die Leserfinden den Wortlaut der Resolution des Kongresses an einer anderenStelle dieser Zeitung. Der Kampf in der Unterkommission konzentriertesich - anders als in der Kommission - nicht auf die Frage des Verhältnis-ses der Genossenschaften zur Partei, sondern auf die prinzipiellere Fragenach der Bedeutung un d Rolle der Genossenschaften. Die Belgier neigten zuder prinzipiell völlig richtigen Definierung ihrer Rolle als eines der (unterbestimmten Bedingungen) möglichen Hilfsmittel des proletarischen Klas-senkampfes für die „völlige Enteignung" (expropriation integrale) derKapitalistenklasse. Elm, von Jaures unterstützt, trat entschieden dagegen

auf und offenbarte restlos seinen ganzen Opportunismus. Er sagte, es seiungewiß, ob es überhaupt zur Expropriation kommen würde, er persön-lich halte dies für völlig unwahrscheinlich, für die „Mehrheit" (!) sei dieseine strittige Frage, im Programm der Sozialdemokratischen ParteiDeutschlands sei von Expropriation nicht die Rede, man sollte „Überwin-dung des Kapitalismus"* sagen. Die bekannten Worte, die Bebel in Han-nover zum A bschluß der Auseinandersetzunge n m it Bernstein gesagt hatte ,„es bleibt bei der Expropriation"** 91, hat einer der Führer des deutschenOpportunismus vergessen. Im Zusammenhang mit diesen Auseinander-

setzungen tauchte die „Frage der Sozialisierung" auf. Jaures forderteultimativ, daß die Bedeutung der Genossenschaften wie folgt formuliertwerden sollte: „Sie helfen den Arbeitern" (wie es auch im Text der vomKongreß angenommenen Resolution heißt), „die Demokratisierung undSozialisienmg der Mittel der Produktion und des Austauschs vorzube-reiten."

Das ist eine jener verschwommenen, unbestimmten, für die Ideologendes Kleineigentümers und für die The oretik er des bürgerlichen Reformer-tums völlig annehmbaren Phrasen, in denen Jaures solch ein Meister ist

und die er so liebt. Was heißt denn „Demokratisierung der Mittel derProduktion und des Austauschs"? (Später ersetzten die Franzosen in derKommission, nachdem diese den Entwurf von der Unterkommissionzurückerhalten hatte, das Wort Mittel - moyens - durch das Wort Kräfte- forces - , was ab er an der Sache gar nichts änd erte.) D ie bäuerliche P ro-

* Diese W orte bei Lenin deutsch. Der Tibers.** Diese Worte bei Lenin deutsch zitiert. Der Tibers.

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284 W. 1 Lenin

duktion (sagte ich in der Kommission) ist „demokratischer" als die groß-kapitalistische. Heißt das etwa, daß wir Sozialisten für die Schaffung desKleinbetr iebs Stel lung nehmen? Was heißt „Sozial isierung"? Darunterkann man die Überführung in das Eigentum der ganzen Gesellschaft ver-stehen, aber ebenso auch beliebige Teilmaßnahmen, beliebige Reformenim Rahmen des Kapitalismus, von den bäuerlichen Genossenschaften biszu den städtischen Badehäusern und Bedürfnisanstalten. Verwies dochJaures in der Unterkommission auf die dänischen landwirtschaftlichenGenossenschaften, wo bei er, in die Fußtapfen der bürgerlichen Ö kon om entretend, offenbar der Meinung ist, das seien keine kapitalistischen Unter-nehmen.

Um den Widerstand gegen diesen Opportunismus zu organisieren, ver-suchten wir (die russischen und polnischen Sozialdemokraten), gegen Elm,an Wurm, einen der Redakteure der „Neuen Zeit" , zu appell ieren, derebenfalls als Vertreter der Deutschen der Genossenschaftskommission an-gehörte. Wurm billigte nicht die Phrasen von der „Demokratisierimg undSozialisierung", er machte (privat) eine Reihe von Abänderungsvorschlä-gen, parlamentierte zwischen Elm und den Marxisten, aber Elm legte einesolche „Unbeugsamkeit" an den Tag, daß Wurm nichts erreichte. Bereitsnach dem Kon greß las ich in der „Leipziger V olkszeitung" (N r. 20 1,31. Au gust 1910, 3. Beilage), da ß die Genossenschaftsfrage in der deut-schen Delegation noch am Dienstag aufgeworfen worden war. „RichardFischer fragte an", schreibt der Korrespondent der Zeitung, „ob sich in derGenossenschaftsfrage Meinungsverschiedenheiten zwischen den deutschenDelegierten herausgestellt haben." Elm antwortete: „Solche Differenzensind vorhanden und werden sich nicht von heute auf morgen beseitigenlassen. Die Beschlüsse der Kongresse sind immer Kompromißbeschlüsse,und auch in dieser Frage wird es wo hl zu einem solchen Kom prom iß kom -men . " Wurm: „Meine Anschauungen zur Genossenschaftsfrage sind

durchaus ande re als die von Elm; w ir werden un s ab er doch wohl auf einegemeinsame Resolution einigen." Darauf sah die deutsche Delegation voneiner weiteren Erör terung der Frage ab.

Diese Mitteilung bestätigt eine Erscheinung, die schon auf dem Stutt-garter Internationalen Kongreß 92 klar zutage getreten war. Die deutscheDelegation wird zu gleichen Teilen aus Vertretern der Partei und derGewerkschaften zusamm engestellt . Von den letzteren gelangen fast durch-

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Die frage der Qenossensdhajten 285

weg Opportunisten hinein, denn man wählt gewöhnlich Sekretäre und

sonstige Gewerkschafts „b üro kra ten ". Im allgemeinen sind die Deutschenunfähig, eine konsequente, prinzipielle Linie auf den internationalen K on-gressen zu vertreten, und die Hegemonie in der Internationale entgleitetmitunter ihren Händen. Wurms Ohnmadit gegenüber Elm il lustr ier te einübriges Mal die Krise in der deutsdien Sozialdemokratie, die darin be-steht, daß die unvermeidlidie entsdiiedene Auseinandersetzung mit denOpportunisten immer dringlicher wird.

Zur Präge der finanziellen Unterstützung der Partei durch die Genos-senschaften erreichten Elm und Jaures in der Unterkommission ebenfalls

ein übermäßiges Zugeständnis von den Belgiern, die sich mit folgenderFormulierung einverstanden erklärten: „Den Genossenschaften jedesLandes soll es überlassen bleiben, zu entscheiden, ob und inwieweit sie diepolitisdie und gewerkschaftliche Bewegung direkt aus eigenen Mittelnunters tützen wollen."

Als der Entwurf der Unterkommission zur endgültigen Bestätigungan die Kommission zurückgegeben worden war, konzentrierten wir unsereganze Aufmerksamkeit gerade auf diese beiden Punkte. Gemeinsam mitGuesde brachten wir zwei (wesentliche) Abänderungsanträge ein: erstens,

die Worte, daß die Genossenschaften „den Arbeitern helfen, die Demo-kratisierung und Sozialisierung der Produktion und des Austausdis vor-zubereiten", durch die Worte zu ersetzen, daß die Genossenschaften„bis zu einem gewissen Grade helfen, das Funktionieren der Produktionund des Austausdis nadi der Expropriation der Klasse der Kapitalistenvorzubereiten". Der Sinn dieses, in seiner stilistischen Formulierung nichtganz gelungenen Abänderungsantrags bestand nidit darin, daß die Ge-nossensdiaften jetzt den Arbeitern nicht helfen können, sondern darin,daß das von den Genossensdiaften jetzt schon vorzubereitende Funktio-

nieren der künftigen Produktion und des künftigen Austausdis erst nachder Expropriation der Kapitalisten beginnen kann. Der zweite Abände-rungsantrag bezog sich auf den Punkt, der vom Verhältnis der Genossen-schaften zur Pa rtei spricht. W ir hab en vorgeschlagen, entweder die W o rt e:„was" (d. h. die Hilfe für den Kampf d er Arbeiter) „vom Stan dpunk t desSozialismus auf jeden Fall wünschenswert ist", hinzuzufügen, oder diesenganzen Punkt durch einen anderen zu ersetzen, der den Sozialisten inden Genossensdiaften direkt empfiehlt, die Notwendigkeit der direkten

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286 W . 1. Lenin

Unterstützung des Klassenkampfes des Proletariats zu propagieren und

zu verteidigen.Beide Abänderungsanträge wurden von der Kommission abgelehnt, es

wurden nur etwa 15 Stimmen dafür abgegeben. Die Sozialrevolutionärestimmten - wie immer auf internationalen Kongressen - für Jaures.Vor der russischen Öffentlichkeit sind sie nicht abgeneigt, sogar Bebeldes Opportunismus zu beschuldigen, aber vor der europäischen Öffent-lichkeit folgen sie Jaures und Elm! Wurm machte den Versuch, denSchluß der Resolution durch eine Umstellung der letzten drei Absätze zukorrigieren. Am Anfang sollte gesagt werden, daß die Genossenschaften

einen einheitlichen Verband bilden sollen (vorletzter Absatz). Dannkönnte erklärt werden, daß.es den Genossenschaften überlassen sei, obsie die Partei direkt unterstützen wollen oder nicht (drittletzter Absatz).Und der letzte Absatz könne mit „aber" beginnen (aber der Kongreßerklärt, daß es erwünscht ist, daß die Beziehungen zwischen der Partei,den Gewerkschaften und den Genossenschaften immer inniger werden).Dann wäre aus dem gesamten Kontext klar ersichtlich, daß der Kongreßden Genossenschaften empfiehlt, die Partei zu unterstützen. Elm lehnteauch diesen Abänderungsantrag ab! Wurm zog ihn darauf zurück. Als

Wibaut ihn wieder aufnahm, stimmten wir für ihn, aber der Abände-rungsantrag wurde abgelehnt.

Zu der Frage, wie man sich auf dem Plenum des Kongresses verhaltensoll, hatten wir eine Beratung mit G uesde. Guesde wa r der Me inung — undseine M ein ung teilten die deutschen rev olution ären S ozialde mo kraten —,daß man wegen einzelner Korrekturen auf dem Plenum des Kongresseskeinen Kampf beginnen und fü r die Resolution insgesamt stimmen solle.Ihre Mängel bestünden darin, daß ein revisionistischer Satz zugelassen

wurde, der die Bestimmung des Ziels des Sozialismus nicht ersetze, son-

dern neben dieser Bestimm ung stehe - und in einem ungenügend starkenAusdruck des Gedankens, daß die Arbeitergenossenschaften den Klassen-kampf der Arbeiter unters tützen müßten. Diese Mängel müßte man zukorrigieren suchen, aber es bestehe kein Grund, ihretwegen auf demPlenum einen Kampf zu beginnen. Wir erklärten uns mit dieser Meinungvon Guesde einverstanden, und die Resolution wurde vom Plenum desKongresses einstimmig angenommen.

Fassen wir das Ergebnis der Arbeiten des Kongresses zur Frage der

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Die Trage der Genossenschaften 287

Genossenschaften zusammen, so müssen wir — ohne vor uns oder vor

den Arbeitern die Mängel der Resolution zu verbergen - feststellen, daßdie Internationale die Aufgaben der proletarischen Genossenschaften inden Grundzügen richtig bestimmt hat. Jedes Parteimitglied, jeder sozial-demokratische Arbeiter, jeder klassenbewußte Arbeiter, der Mitglied derGenossenschaft ist, muß sich von dieser Resolution leiten lassen und seinegesamte Tätigkeit in ihrem Geist ausüben .

Der Kopenhagener Kongreß ist kennzeichnend für jenes Entwicklungs-stadium der Arbeiterbewegung, wo sie sich sozusagen vornehmlich in dieBreite entwickelt und die proletarischen Genossenschaften in den Klassen-

kampf einzubeziehen begonnen hat. Meinungsverschiedenheiten mit denRevisionisten sind zwar sichtbar geworden, doch ist es noch weit bis zueinem Auftreten der Revisionisten mit einem selbständigen Programm.Der Kampf gegen den Revisionismus wurde aufgeschoben, aber dieserKampf wird unvermeidlich kommen.

,Sozial-T)emokrat" Nr. a, Nadh dem 7 ext des25. September (8. Oktober) 1910. ,Sozial-T)emokrat".Untersch rift: 71. Lenin.

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W I E M A N C H E S O Z IA L D E M O K R A T E N

D I E I N T E R N A T I O N A L E

Ü B E R D I E L A G E I N D E R S D A P R

I N F O R M I E R E N

Im Zusammenhang mit dem Internationalen Kongreß in Kopenhagenerschienen in einigen Publikationen Artikel über die Lage in unsererPartei. Wir gehen kurz auf drei Artikel ein, die von Vertretern dreierverschiedener Partei- (richtiger: partei/emdl»d>er) Strömungen geschriebenwurden.

Wegen seiner Unverfrorenheit gehört der Artikel, der bedauerlicher-weise im Zentralorgan unserer deutschen Genossen („Vorwärts" vom28. August) erschienen ist, an die erste Stelle. Dieser Artikel ist anonym,

er trägt lediglich den Untertitel „Von unserem russischen Korrespon-denten".Aus ihm erfährt der Leser: „Noch nie standen die russischen Emi-

granten, die in unserer Partei eine unverhältnismäßig große Rolle spielen,den Interessen und Anforderungen der russischen Arbeiterbewegung sofremd gegenüber wie gerade jetzt." Weiter, daß das Zentralorgan unsererPartei, der „Sozial-Demokrat", in „eng-fraktionellem Geist" geführtwird und die Bolschewiki sich durch einen „formellen und äußeren Radi-kalismus" auszeichnen, daß sie nur im Ergebnis der Evolution schließlich

zur „Anerkennung" des Parlamentarismus gelangt seien usw. UnserAutor ist mit der Mehrheit unserer Partei äußerst unzufrieden. Er siehtdie ganze Lage der Partei in einem äußerst düsteren Licht. Lediglich einenLichtpunkt bemerkte unser Autor im Leben der SDA PR: „Die in Wien . . .erscheinende Arbeiterzeitung ,Prawda', welche sich von Anfang an ganzabseits von jeder Fraktionspolemik gehalten hatte, stellt sich die Aufgabe,mittels planmäßiger politischer Agitation ..." usw.

Beginnen Sie nicht zu erraten, werter Leser, wessen „nichtfraktioneller"

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ü>ie mandhe Sozialdemokraten über die Zage in der SDJPR informieren 289

Feder dieser Artikel entstammt? Sie gehen natürlidi nicht fehl. Ja, da hat

sich der „nichtfraktionelle" Trotzki nicht geniert, offen Reklame für dasBlättchen seiner Fraktion zu machen. Er gibt den ungenügend informiertendeutschen Lesern die gleiche Einschätzung der Position der Parteimehr-heit wie auch die Liquidatoren.*

Die Aufgabe, unsere Partei in einem Organ der deutschen Revisio-nisten zu verleumden, ha t ein anderer L iterat übernom men : TL. Streltzow.

Sein Artikel erschien in den „Sozialistischen Monatsheften", die vonHerrn Bloch redigiert werden, den Bebel in Magdeburg zu Recht einen.Nationalliberalen nan nte . R. Streltzow, ein Kollege des H errn Prok opo -witsch vom „Towarischtsch"94 , nimmt die Liquidatoren bereits offen inSchutz: „Es gibt kaum etwas Absurderes als diese Anschuldigimg, diegegen die Liquidatoren erhoben wird." Wirkliche Sozialdemokraten sindgerade die Liquidatoren, wä hre nd die Parteimehrheit, sehen Sie, „die Aus-nutzung der sogenannten legalen Möglichkeiten, d. h. die Beteiligung derSozialdemokraten an den Gewerkschaften, Genossenschaften, öffentlichenKongressen usw." als „überflüssig" betrachtet. Jawohl, der deutsche Lesererhält die richtige Vorstellung, wenn er die Geschichte der russischenRevolution nach Tscherewanin und die gegenwärtige Lage und den tak-tischen Kampf innerhalb unserer Partei nach Streltzow und Trotzki stu-d ie r t ! . . .

Der dritte Artikel stammt aus der Feder des Ultimatisten (er ist auchGottbildner) Woinow, der im Organ der belgischen Genossen „LePeuple"95 ** schrieb. Und obgleich Woinow den belgischen Genossen einverzerrtes Bild gab von den „taktischen Strömungen in unserer Partei"(so lautet die Überschrift seines Artikels), so hat sein Artikel in einer

* Der Umstand, daß dieser Artikel in einem Organ wie dem „Vorwärts"erschienen ist, veranlaßte unsere Delegierten auf dem Kopenhagener Kongreß,sich an das ZK der deutschen Partei mit einem Protest zu wenden. DieserProtest wurde von den Delegierten unseres Z O (G . W . Plechanow undA. W arski) und von dem V ertreter der Pa rtei im Internationalen Büro(N. Lenin)93 eingebracht. Bei der Behandlung dieser Frage in der sozialdemo-kratischen Delegation enthüllte uns Trotzki das Geheimnis, daß dieser berüch-tigte Artikel von ihm geschrieben wurde.

** Dabei hat Woinow den Lesern vorsorglich mitgeteilt, daß er „Delegierterauf dem Internationalen Kongreß in Kopenhagen" ist,

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290 -W . 7. Cenin

Hinsidit einen beachtlichen Nutzen gebracht: er deckte uns noch einmal

das Wesen der otsowistisch-ultimatistischen T aktik auf. Es gibt doch in derGruppe „Wperjod" soldi begnadete Schreiber, die die Ziele der Otso-wisten-Ultimatisten offen darlegen und sie nidit vertusdien, wie diesgewöhnlich in den literarischen Ergüssen der „Wperjod"-Leute gesdiieht.Hören Sie selbst. Welcher „Wperjod"-Mann gesteht Ihnen heuteoffen ein, daß die Otsowisten-Ultimatisten sich jetzt mit Phantastereienvon Kampfgruppen u. dgl. tragen? Doch der freimütige Woinow schreibtoffen, daß er und seine Freunde den Willen haben, „unsere Kampf-vorbereitung fortzusetzen und zu entwickeln", während der nach rechts

abgeschwenkte Lenin „zum Beispiel die Notwendigkeit von Instrukteur-sdiulen" gegenwärtig verneint. Welcher „Wperjod"-Mann spricht heuteoffen von der Notwendigkeit eines „Ultimatums" an die Adresse derDumafraktion? Doch der gute Woinow erklärt uns offenherzig, daß seineFreunde „die Wiedergeburt der Partei" dazu brauchen, um „unserenAbgeordneten ein Ultimatum zu stellen . . . " Welcher „Wperjod"-Mannsagt uns in der Presse, wozu die Otsowisten-Ultimatisten eine „Partei-schule" im Ausland benötigen? Doch der redselige Woinow unterließ esnicht, zu erklären, daß die „Schule" gebraucht wird für die Vorbereitung

eines „neuen Parteitags" und für die Wahl eines anderen ZK an Stelle desderzeitigen „rediten" Zentralkomitees.* Für diese Offenherzigkeit wirdWoinow jedoch von den „Wperjod"-„Diplomaten" nicht gelobt werden!

Trotzki, Woinow und Streltzow reichten sich im Kampf gegen dieParteilinie brüderlich die Hände ...

„Sozial-Vemokrat" SVr. n, Tiadj dem 7ext des25 . September (S.Oktober) 1910. „Sozial-Demokrat".

* Hier hielt es Woinow für angebracht, noch etwas z u . . . übertreiben, an-geblich seien „einige ZK-Mitglieder, die auf dem Parteitag gewählt wurden,aber mit der neuen Richtung des ZK unzufrieden sind, zurückgetreten". Wound wann denn, Genosse Woinow?

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Erste Seite des Manuskripts„Ankündigung der Herausgabe der ,Rabotschaja Gaseta' "

Oktober 1910

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A N K Ü N D I G U N G D ER H E R AU S G AB E DER„ R A B O T S C H A J A G A S E T A " 9 6

Die schwere Krise der Arbeiterbewegung und der sozialdemokratischen

Partei in Rußland dauert immer noch an. Zerfall der Parteiorganisationen,aus denen fast alle Intellektuellen flüchten, Zerfahrenheit und Schwan-kungen unter denen, die der Sozialdemokratie treu geblieben sind, Nie-dergeschlagenheit und Apathie unter ziemlich breiten Schichten des fort-geschrittenen Proletariats, Unsicherheit in der Frage nach dem Auswegaus dieser Lage — das sind die Merkmale, die die gegenwärtige Situationkennzeichnen. Es gibt unter den Sozialdemokraten nicht wenig Klein-mütige und Kleingläubige, die nahe daran sind, die Hoffnung an dieMöglichkeit aufzugeben, sich in dem herrschenden Durcheinander zurecht-zufinden, die nahe daran sind, über der Aufgabe zu verzweifeln, diePartei, die SDAPR mit ihren revolutionären Aufgaben und Traditionenwiederherzustellen und zu festigen, die nahe daran sind, alles aufzugebenund sich in ihrem Privatleben oder in engen kleinen Zirkeln abzukapseln,die sich nu r m it „Kultur" arbeit befassen u. dgl. m.

Die Krise dauert an, doch ihr Ende ist jetzt bereits deutlich sichtbar.Der Weg zur Überwindung dieser Krise ist von der Partei klar umrissenund erprobt. Die Zerfahrenheit und die Schwankungen haben bereitsin ziemlich bestimmten Strömungen, Richtungen und Fraktionen, die vonder Partei klar und bestimmt eingeschätzt worden sind, ihren Ausdruck

gefunden - und die Bestimmtheit der parteifeindlichen Strömungen, ihreklare Einschätzung ist bereits die halbe Befreiung von der Zerfahrenheitund den Schwankungen.

Um sich nicht der Verzweiflung und Enttäuschung hinzugeben, ist esnur erforderlich, den ganzen tiefen Ursprung dieser Krise zu erkennen.Diese Krise kann man nicht überspringen, man kann sie nicht umgehen,man kann sie nur in beharrlichem Kampf überwinden, denn diese Krise

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294 "W. 1 Lenin

ist keine Zufälligkeit, sondern sie ist hervorgerufen worden durch eine

besondere Etappe sowohl der ökonomischen als auch der politischen Ent-wicklung Rußlands. Die Selbstherrschaft herrscht nach wie vor. Nochbrutaler ist der Zwang. Noch größer ist die Rechtlosigkeit. Noch gemeinerist die ökonomische Unterdrückung. Aber die Selbstherrschaft kann sichschon nicht mehr nur mit den alten Mitteln halten. Sie ist gezwungen,einen neuen Versuch zu unternehmen, sie versucht, ein offenes Bündnismit den erzreaktionären fronherrlichen Gutsbesitzern und mit den okto-bristischen Kapitalisten einzugehen, ein Bündnis in der Duma und durchdie Duma. Für alle, die die Fähigkeit zu denken nicht verloren haben,

ist die Hoffnungslosigkeit dieses Versuchs und das Heranreifen einerneuen revolutionären Krise offensichtlich. Aber diese revolutionäre Krisebildet sich unter neuen Verhältnissen heraus, unter Verhältnissen, wo dieBewußtheit, die Geschlossenheit und die Organisiertheit der Klassen undder Parteien, die es vor der Revolution von 1905 nicht gab, ungleichgrößer ist. Der russische Liberalismus hat sich aus einer gutmütigen, ver-träumten, lockeren und unfertigen Opposition frommer Wünsche zu einerfesten, parlamentarisch geschulten Partei intellektueller Bourgeois ge-wandelt, die bewußte Feinde des sozialistischen Proletariats und der

revolutionären Abrechnung der Bauernmassen mit den Fronherren sind.Bei der Monarchie aufdringlich um Zugeständnisse zu betteln, ihr mit derRevolution (die der Liberale selbst haßt und fürchtet) zu drohen, stets denBefreiungskampf zu verraten u nd auf die Seite des Feindes überzu laufen —

das ist das unvermeidliche, infolge ihrer Klassennatur unvermeidliche Losde r liberalen Par tei de r Ka dette n. D ie russische Bauernschaft hat ih re Fähig-keit zum revolutionären Massenkampf bewiesen, wenn dieser vom Prole-tariat begonne n w ird, un d sie hat ihre Eigenschaft gezeigt, ständig zwischendem Liberalismus und der Sozialdemokratie zu schwanken. Die russischeArbeiterklasse h at bewiesen, da ß sie die einzige konsequen t revolutionäreKlasse, die alleinige Führerin im Kampf um die (sei es auch bürgerliche)Freiheit ist. U nd h eute kann un d wird die große Aufgabe der Fortführungdes Kampfes um die Freiheit nur durch den revolutionären Kampf des Pro -letariats gelöst werden , das die M assen der W erktätig en und A usgebeutetenmit sich reißt. Die Arbeiterklasse, die heute unter neuen Verhältnissenkämpft und es mit bewußteren und fester zusammengeschlossenen Fein-den zu tun hat, muß auch ihre Partei, die SDAPR, umgestalten. An die

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Ankündigung der "Herausgabe der „Rabotsdoaja Qaseta" 295

Stelle der Führer aus Intellelctuellenkreisen stellt sie Führer aus Arbeiter-

kreisen. Es entsteht der neue Typ des sozialdemokratischen Arbeiter-funktionärs, der alle Aufgaben der Partei selbständig löst und in der Lageist, zehnfach und hundertfach größere proletarische Massen als früherzusammenzuschließen, zu vereinigen und zu organisieren.

An diesen neuen Arbeiter wenden wir uns auch in erster Linie mitunserer „Rabotsdbaja Qaseta". Dieser Arbeiter ist aus dem Alter heraus,wo es ihm gefallen konnte, daß man zu ihm wie zu einem Kind sprachund ihn mit Milchbrei fütterte. Er muß alles über die politischen Aufgabender Partei, über ihren Aufbau und den innerparteilichen Kampf wissen.

Er fürchtet sich nicht vor der ungeschminkten Wahrheit über die Partei,an deren Festigung, Wiederherstellung und Umgestaltung er arbeitet.Ihm helfen nicht, sondern schaden jene allgemein-revolutionären Phrasen,jene süßlich-versöhnlerischen A usrufe, die er in den „Wperjod"-Samm el-bänden oder in Trotzkis „Prawda" findet, wobei er weder hier noch dorteine klare, genaue und offene Darlegung der Parteilinie und der Lage inder Partei findet.

Diese Lage ist sehr schwierig, aber die Hauptschwierigkeit besteht nichtdarin, daß die Partei außerordentlich geschwächt ist und ihre Organi-

sationen teilweise vollkommen zerschlagen sind, auch nicht darin , daß sichder innerparteiliche Fraktionskampf zugespitzt hat, sondern darin, daßdie fortgeschrittene Schicht der sozialdemokratischen Arbeiter das Wesenund die Bedeutung dieses Kampfes nicht genügend klar erkannt, sich nichtfest genug zusammengeschlossen hat, um diesen Kampf erfolgreich zuführen, und daß sie sich nicht genügend selbständig und nicht energischgenug in diesen Kampf eingeschaltet hat, um den Parteikern zu schaffen,zu unterstützen und zu festigen, der die SDAPR aus der Zersetzung, ausdem Zerfall und aus den Schwankungen heraus auf einen festen Wegführen kann.

Dieser Weg ist in den Beschlüssen der Dezemberkonferenz von 1908,die in den Beschlüssen des ZK-Plenums 1910 weiterentwickelt wurden,klar umrissen. Diesen Parteikern schafft das Bündnis der orthodoxenBolschewiki (Gegner des Otsowismus und der bürgerlichen Philosophie)und der parteitreuen Menschewiki (Gegner des Liquidatorentums), dasjetzt in der Tat und nicht kraft nur formaler Beziehungen die Hauptarbeitin der SDAPR leistet.

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296 •W.I.Lenin

Den Arbeitern sagt man, daß dieses Bündnis den Fraktionskampf, den

Kampf gegen die Liquidatoren und Otsowisten nur verstärke und ver-schärfe, „anstatt" daß gegen das Liquidatorentum und den Otsowismusgekämpft werde. Das ist eine leere Phrase, das ist die Sprache von Leuten,die in dem Arbeiter keinen erwachsenen Menschen sehen, sondern einKind. Die Wahrheit ist unangenehm, die besagt, daß bei der Schwächeder Partei, da viele ihrer Organisationen zerschlagen sind, angesichts derUnvermeidlichkeit, die Basis im Ausland zu haben, jede Strömung sehrleicht eine von der Partei faktisch vollkommen unabhängige und selb-ständige Auslandsfraktion bildet. Es ist aber lächerlich (oder verbreche-

risch), diese Wahrheit vor dem sozialdemokratischen Arbeiter zu ver-bergen, der seine Partei auf der Grundlage einer bestimmten, genauenund klaren Parteilinie umgestalten soll. Bei uns herrschen jetzt die un-erwünschtesten Jormen des Fraktionskampfes, das steht fest, aber geradeum die formen dieses Kampfes verändern zu können, dürfen die fort-geschrittenen Arbeiter nicht verächtlich die Nase rümpfen, sich nicht miteiner Phrase über die unangenehme (für einen Amateur, für einen Gastin der Partei unangenehme) Aufgabe der Umänderung der unangenehmenFormen des unangenehmen Kampfes hinwegsetzen, sondern müssen siedas Wesen und die Bedeutung dieses Kampfes begreifen und die Arbeitan Ort und Stelle so anfassen! daß in jeder Frage der sozialistischen Pro-paganda, der politischen Agitation, der Gewerkschaftsbewegung, der Ge-nossenschaftsarbeit usw. usf. die Grenze bestimmt wird, hinter der dieAbweichung von der Sozialdemokratie zum liberalen Liquidatorentumoder zum halbanarchistischen Otsowismus, Ultimatismus usw. beginnt,damit die Parteiarbeit in der richtigen, durch diese Grenzen bestimm-ten Linie geführt wird. Eine der Hauptaufgaben der „Rabotschaja Qa-seta" sehen w ir darin, den Arbeitern bei der Bestimmung dieser G renzenin jeder der wichtigsten konkreten Fragen der heutigen russischen Wirk-

lichkeit zu helfen.Man sagt den Arbeitern: gerade der Vereinigungsversuch des Plenums

(der Vollversammlung) des ZK im Januar 1910 habe die Fruchtlosigkeitund die Ausweglosigkeit des innerparteilichen Fraktionskampfes bewie-sen, der doch die Vereinigung „zunichte gemacht hat". So sprechen Men-schen, die entweder nicht unterrichtet oder vollkommen unfähig sind zudenken oder die ihre wirklichen Ziele hinter diesen oder jenen klangvollen,

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Ankündigung der Tierausgabe der „Jlabotsdbaja Qaseta" 297

schönklingenden und nichtssagenden Phrasen verbergen. Das Plenum hatnur diejenigen „enttäuscht", die sich fürchteten, der Wahrheit ins Augezu sehen, und die sich Illusionen hingaben. Wie groß auch zuweilen das„versöhnlerische Durcheinander" auf dem Plenum war, doch im Resultatkam gerade die Vereinigung heraus, die allein möglich ist und die auchallein gebraucht wird. Wenn die Liquidatoren und Otsowisten die Reso-lution über den Kampf gegen das Liquidatorentum und den Otsowismusunterschrieben haben, aber am anderen Tag bereits noch „eifriger" dasAlte fortsetzen, so hat das nur bewiesen, daß die Partei unmöglich mitden nicht parteitreuen Elementen rechnen kan n, so hat das nu r noch deu t-licher gezeigt, was das für Elemente sind. Die Partei ist ein freiwilligerBund, und die Vereinigung ist nur dann möglich und nützlich, wenn sichMenschen vereinigen, die die gemeinsame Parteilinie auch nur einiger-'maßen gewissenhaft durchführen wollen und können, genauer: die ander Durchführung der gemeinsamen Parteilinie interessiert sind (durchihre Anschauungen, ihre Bestrebungen). Eine Vereinigung ist unmöglichund schädlich, wenn sie versucht, die Klarheit über diese Linie abzu-schwächen und zu verdunkeln, wenn sie versucht, durch eine fiktive Bin-dung diejenigen zu binden, die die Partei ganz entschieden in eine partei-feindliche Richtung zerren. Und die Vereinigung zwischen den \Haupt-

gruppen des Bolschewismus und des Menschewismus ist durch das Plenumerreicht und verankert worden, wenn nicht dank dem Plenum, so dochvermittels des Plenums.

Ein Arbeiter, der nicht will, daß man mit ihm wie mit einem Kindspricht, muß begreifen, daß das Liquidatorentum und der Otsowismusebensolche nicht zufällige, sondern tief verwurzelte Richtungen sind wieder Bolschewismus und der Menschewismus. Nur die Verfasser von Mär-chen „für die Arbeiter" erklären die Differenzen zwischen diesen Frak-tionen für „intelligenzlerische" S treitigkeiten. In W irklichkeit w urde n diese

beiden Richtungen, die der gesamten Geschichte der Revolution in Ruß-land, den ersten (und in vieler Beziehung wichtigsten) Jahren der prole-tarischen Massenbewegung in Rußland ihr Gepräge gegeben haben, durchden Prozeß der ökonomischen und politischen Umgestaltung Rußlandsaus einem Land der Leibeigenschaft in ein bürgerliches Land hervor-gebracht, durch die Einflüsse der verschiedenen bürgerlichen Klassen, dieauf das Proletariat einwirkten, oder richtiger: durch die Situation, in

20 Lenin, W erk e, Bd. 16

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298 l/ff. • } . Lenin

der sich die verschiedenen Schichten der Bourgeoisie befanden und inder das Proletariat zu handeln hatte. Daraus folgt, daß eine Vereinigungder Sozialdemokratie in Rußland nicht zu erreichen ist durch die Besei-tigung einer ihrer zwei Richtungen, die sich in der Periode der offenen,umfassenden, massenhaften, freien und historisch bedeutenden Aktio-nen der Arbeiterklasse in der Revolution gebildet haben. Daraus gehtaber auch hervor, daß die Grundlagen einer realen Annäherung zwischenihnen nicht in wohlwollenden Phrasen über die Einheit, über die Beseiti-gung der Fraktionen usw., sondern nur in der inneren Entwicklung derbeiden Fraktionen bestehen. Und gerade eine solche Annäherung erlebtdie Partei der Arbeiterklasse, seitdem w ir Bolsdiewiki im Frühjahr 1909 den„Otsowismus" 9 7 endgültig zu Grabe getragen und die parteitreuen Men-schewiki, an ihrer Spitze Plechanow, einen nicht minder entschiedenenKampf gegen das Liquidatorentum aufgenommen habe n. D aß die klassen-bewußten Arbeiter in beiden Fraktionen in ihrer überwiegenden Mehr-heit auf der Seite der Gegner des Otsowismus und des Liquidatorentumsstehen, das ist unbestreitbar. Wie schwer daher, wie schwierig zeitweiligund immer unangenehm der innerparteiliche Kampf auf diesem Bodenauch sein mag, wir dürfen das Wesen der Erscheinung nicht über ihrer7orm vergessen. Wer als Grundlage dieses Kampfes (der beim gegen-wärtigen Zustand der Partei unvermeidlich ein Fraktionskampf ist) nichtden Prozeß des Zusammensdblusses des Hauptkerns der Partei, der klas-senbewußten sozialdemokratischen Arbeiter, sieht, der sieht den Waldvor lauter Bäumen nicht.

Diesem Zusammenschluß des wirklichen sozialdemokratischen Kernswird auch die „Rabotsdhaja Qaseta" dienen, die wir Bolschewiki gründen,nachdem wir uns die Zustimmung der parteitreuen Menschewiki (an ihrerSpitze Plechanow) gesichert haben, unsere Publikation zu unterstützen.

Diese Publikation muß gezwungenermaßen von einer Fraktion heraus-gegeben werden, als fraktionelles Unternehmen der Bolschewiki in Er-scheinung treten. Es werden sich wohl Menschen finden, die auch hierden Wald vor lauter Bäumen nicht sehen und ein Geschrei über die„Rüdkkebr" zum Fraktionswesen erheben werden. Indem wir ausführlichunsere Ansicht über Wesen und Bedeutung der sich wirklich vollziehen-den, der wirklich wichtigen und notwendigen Parteivereinigung dargelegthaben, haben wir damit schon gezeigt, was solche Einwände wert sind,

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Ankündigung der Herausgabe der „Rabotsdhaja Qaseta" 299

deren wirklidier Sinn nur ist, die Frage der Vereinigung zu verwirren

und diese oder jene fraktionellen Ziele zu verbergen. Wir aber möchtenvor allem, daß die „Rabotsdiaja Qaseta" den Arbeitern hilft, die Gesamt-lage in der Partei und alle Aufgaben der Partei mit aller Klarheit und biszu Ende zu verstehen.

Bei der Herausgabe der „Rabotsdoaja Qaseta" rechnen wir auf dieHilfe des ZK unserer Partei wie der örtlichen Organisationen und dereinzelnen Gruppen bewußter Arbeiter, die gegenwärtig keine Verbindungzur Partei haben. Wir rechnen auf die Hilfe des ZK, wobei wir wissen,daß es ihm während vieler Monate nicht gelang, seine Arbeit in Ruß-land mit Erfolg zu organisieren, eben deshalb nicht gelang, weil es außer

bei den Bolschewiki und den parteitreuen Menschewiki nirgends Unter -stützung fand, sondern sogar häufig auf den direkten Widerstand deranderen Fraktionen stieß. Dieser schwere Abschnitt im Leben des ZKgeht vorüber, und damit er schneller vorübergeht, dürfen wir nicht ein-fach „abwarten", bis das ZK wiederhergestellt ist, sich festigt usw., son-dern müssen, gestützt auf die Initiative der einzelnen Gruppen und dereinzelnen lokalen Organisationen unverzüglich darangehen - und sei eszunächst in allerbescheidensten Maßen -, eben diese Sache der Festigungder Parteilinie und einer wirklichen Parteieinheit in Angriff zu nehmen,

an der ja auch das ZK am meisten arbeitet. Wir rechnen auf die Unter-stützung der lokalen Organisationen und der einzelnen Gruppen vonArbeitern, denn ausschließlich ihre aktive Mitarbeit an der Zeitung, aus-schließlich ihre Unterstützung, ihre Einschätzungen, ihre Artikel, Materia-lien, Mitteilungen und Bemerkungen können die „Rabotsdbaja Qaseta"

auf die Beine stellen un d ihr ständiges Erscheinen gew ährleisten.

Qesdbrieben im Oktober i9io.

Zuerst veröffentlicht Jiada dem Manuskript.

am 5. Mai 1937in der „Trawda" 7Jr. 122.

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300

D I E L E H R E N D E R R E V O L U T I O N

Fünf Jahre sind vergangen, seit im Oktober 1905 die ArbeiterklasseRußlands der zaristischen Selbstherrschaft den ersten wuchtigen Schlagversetzt hat. Das Proletariat hat in jenen großen Tagen Millionen Werk-tätiger zum Kampf gegen ihre Unterdrücker mitgerissen. Es hat sich inwenigen Monaten des Jahres 1905 Verbesserungen erkämpft, die dieArbeiter jahrzehntelang vergeblich von der „Obrigkeit" erwartet hatten.Das Proletariat erkämpfte für das ganze russische Volk, wenn auch nurfür kurze Zeit, eine in Rußland noch nie dagewesene Presse-, Versamm-

lungs- und Koalitionsfreiheit. Es fegte die Bulyginsche Pseudodrana vonseinem Wege, entriß dem Zaren das Manifest über die Verfassung undmachte es ein für allemal unmöglich, Rußland ohne Vertretungskörper-schaften zu regieren.

Die großen Siege des Proletariats erwiesen sich als halbe Siege, weildie Zarenherrschaft nicht gestürzt worden war. Der Dezemberaufstandendete mit einer Niederlage, und die zaristische Selbstherrschaft begann,in dem Maße, wie der Ansturm der Arbeiter und der Massenkampfschwächer wurden, der Arbeiterklasse eine Errungenschaft nach der an-

dern wieder zu rauben. Im Jahre 1906 waren die Streiks der Arbeiter,die Bauern- und Soldatenunruhen weitaus schwächer als im Jahre 1905,aber immerhin waren sie noch sehr stark. Der Zar jagte die erste Dumaauseinander, zu deren Zeit der Kampf des Volkes sich wieder zu entfaltenbegonnen hatte, aber er wagte es nicht, das Wahlgesetz sofort zu ändern.Im Jahre 1907 wurde der Kampf der Arbeiter noch schwächer, und derZar vollzog einen Staatsstreich und jagte die zweite Duma auseinander(3 . Juni 1907); er brach alle seine feierlichen Versprechungen, keine Ge-

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Verkleinert

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Die Lehren der Revolution 303

setze ohne Zustimmung der Duma zu erlassen, und änderte das Wahl-

gesetz so, daß die Mehrheit in der Duma den Gutsbesitzern und Kapi-talisten, der Partei der Schwarzhu nderter un d ihren Helfershelfern absolutgesichert war.

Sowohl die Siege wie die Niederlagen der Revolution haben dem russi-schen Volk ganz bedeutende historische Lehren erteilt. Wenn wir denfünften Jahrestag der Revolution von 1905 begehen, wollen wir ver-suchen, uns den Hauptinhalt dieser Lehren klarzumachen.

Die erste und grundlegende Lehre ist die, daß nur der revolutionäreMassenkampf imstande ist, einigermaßen ernsthafte Verbesserungen im

Leben der Arbeiter und in der Verwaltung des Staates durchzusetzen.Keine „Sympathie" der gebildeten Leute für die Arbeiter, kein heroischerKampf terroristischer Einzelgänger konnte die zaristische Selbstherrschaftund die Allmacht der Kapitalisten untergraben. Nur der Kampf der Arbei-ter selbst, nur der gemeinsame Kampf der Millionen konnte das tun, undals dieser Kampf schwächer wurde, begann man sofort den Arbeitern das,was sie sich erobert hatten, wieder zu entreißen. Die russische Revolutionhat bestätigt, was im internationalen Lied der Arbeiter gesungen wird:

„Es rettet uns kein höh'res W esen,

Kein G ott, kein Kaiser, noch T ribun.Uns aus dem Elend zu erlösen,Können wir nur selber tun."

Die zweite Lehre ist die, daß es nicht genügt, die Macht des Zaren zuuntergraben u nd einzuschränken. Sie m uß vernichtet werden. Solange dieZarenmacht nicht vernichtet ist, werden die Zugeständnisse des Zarenstets von kurzer Dauer sein. Der Zar machte Zugeständnisse, als der An-sturm der Revolution stärke r wu rde, und nahm alle Zugeständn isse w iederzurück, als der Ansturm schwächer wurde. Nur die Eroberung der demo-

kratischen Republik, der Sturz der zaristischen Macht, der Übergang derMacht in die Hände des Volkes kann Rußland befreien von der Gewaltund der Willkür der Beamten, von der Duma der Schwarzhunderter undOktobristen, von der Allmacht der Gutsbesitzer und ihrer Handlangerim Dorf. Wenn die Nöte der Bauern und der Arbeiter heute, nach derRevolution, noch schwerer geworden sind als vorher, so ist das das Ent-gelt dafür, daß die Revolution schwach war, daß die Zarenherrschaft nichtgestürzt worden ist. Das Ja hr 1905 und dann die ersten beiden D um as und

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304 W . 3. Cenin

ihre Auflösung haben das Volk sehr vieles gelehrt, haben es vor allem

gelehrt, für politische Forderungen gemeinsam zu kämpfen. Das zumpolitischen Leben erwachende Volk forderte zunächst von der Selbstherr-schaft Zugeständnisse: der Zar solle die Duma einberufen, der Zar solledie alten Minister durch neue ersetzen, der Zar solle das allgemeine Wahl-recht „gewähren". Aber die Selbstherrschaft ging auf solche Zugeständ-nisse nicht ein und konnte nicht darauf eingehen. Die Bitten um Zuge-ständnisse beantwortete die Selbstherrschaft mit Bajonetten. Und dabegann das Volk zu der Einsicht zu komm en, daß de r Kampf gegen die ab-solutistische Macht notwendig ist. Und diese Einsicht wird den Bauern

heute von Stolypin und der schwarzen Duma der Herren mit noch größe-rer Kraft sozusagen in die Köpfe eingehämmert. Sie hämmern sie ihnenständig ein, bis sie ihnen in Fleisch und Blut überge gang en ist.

Auch die zaristische Selbstherrschaft hat aus der Revolution ihre Lehrengezogen. Sie hat gesehen, daß sie sich auf den Glauben der Bauern an denZaren nicht mehr verlassen kann. Sie festigt jetzt ihre Macht durch einBündnis mit den Gutsbesitzern aus dem Lager der Schwarzhunderter undmit den oktobristischen Fabrikanten. Um die zaristische Selbstherrschaftzu stürzen, ist heute ein weitaus stärkerer Ansturm des revolutionären

Massenkampfes notwendig als im Jahre 1905.Ist ein solcher weitaus stärkerer Ansturm möglich? Die Antwort aufdiese Frage führt uns zu der dritten und wichtigsten Lehre der Revolution.Diese Lehre besteht darin, daß wir gesehen haben, wie die verschiedenenKlassen des russischen Volkes handeln. Vor dem Jahre 1905 schien esvielen, das ganze Volk strebe gleicherweise nach der Freiheit und wolledie gleiche Freiheit; wenigstens hatte die übergroße Mehrheit keine klareVorstellung davon, daß die verschiedenen Klassen des russischen Volkeszum Kampf für die Freiheit eine verschiedene Einstellung haben und nicht

die gleiche Freiheit anstreben. Die Revolution hat den Nebel zerstreut.Ende 1905 und dann auch zur Zeit der ersten und der zweiten Duma tra-te n alle Klassen der russischen Gesellschaft offen auf. Sie zeigten sich inder Praxis, offenbarten ihre wahren Bestrebungen, zeigten, wofür siekämpfen können und wie stark, hartnäckig und energisch zu kämpfen sieimstande sind.

Die Fabrik- und Werkarbeiter, das Industrieproletariat hat am ent-schlossensten und hartnäckigsten gegen die Selbstherrschaft gekämpft. Das

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Die Lehren der Revolution 305

Proletariat hat die Revolution mit dem 9. Januar und mit Massenstreiks

begonnen. Das Proletariat hat den Kampf bis zur letzten Konsequenz ge-führt, indem es sich im Dezember 1905 zum bewaffneten Aufstand erhob,zur Verteidigung der Bauern, die niedergeschossen, niedergemetzelt undmißhandelt wurden. Die Zahl der streikenden Arbeiter betrug im Jahre1905 etwa drei "M illionen (mit den Eisenbahnern, den Postangestelltenusw. sicherlich an die vier Millionen), im Jahre 1906 - eine Million, imJahre 1907 - % Millionen. Eine solche Stärke der Streikbewegung hattedie Welt noch nicht gesehen. Das russische Proletariat hat gezeigt, welchegewaltigen Kräfte in den Arbeitermassen verborgen sind, wenn eine wirk-lich revolutionäre Krise heranreift. Die Streikwelle des Jahres 1905, diegewaltigste der W elt, ha t noch bei weitem nicht alle Kampfkräfte desProletariats erschöpft. Zum Beispiel gab es im Moskauer Industriegebietmit 567 000 Industriearbeitern 540 000 Streikende, im Petersburger Gebietjedoch mit 300 000 Industriearbeitern 1 Million. Die Arbeiter des Mos-kaue r Gebiets haben also bei weitem noch nicht eine solche Hartnäck igkeitim Kampf entfaltet wie die Petersburger Arbeiter. Und im GouvernementLivland (Riga) kamen auf 50000 Arbeiter 250000 Streikende, d.h.,jeder Arbeiter streikte im Jahre 1905 durchschnittlich mehr als fünfmal.Heute gibt es in ganz Rußland keinesfalls weniger als drei MillionenFabrik-, Berg- und Eisenbahnarbeiter, und diese Zahl steigt von Jahr zuJahr; bei einer solchen Wucht der Bewegung, wie sie Riga im Jahre 1905aufwies, würde die Armee der Streikenden 45 Millionen zählen.

Einem solchen Ansturm gegenüber würde keine zaristische Macht stand-halten. Aber jedermann versteht, da ß ein solcher Ansturm nicht künstlich,auf Wunsch der Sozialisten oder der fortgeschrittenen Arbeiter hervor-gerufen werden kann. Ein solcher Ansturm ist nur dann möglich, wenn dasganze Land von einer Krise, von Empörung, von der Revolution erfaßtwird. Um einen solchen Ansturm vorzubereiten, gilt es, in den Kampfauch die rückständigsten Schichten der Arbeiter hineinzuziehen, gilt es,jahrelang eine hartnäckige, umfassende, unablässige Propaganda-, Agi-tations- und Organisationsarbeit zu leisten und die verschiedensten Ver-bände und Organisationen des Proletariats zu schaffen und zu festigen.

Hinsichtlich der Kampfkraft stand die Arbeiterklasse Rußlands an derSpitze aller übrigen Klassen des russischen Volkes. Die Bedingungenselbst, unter denen die Arbeiter leben, machen sie fähig zum Kampf und

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306 TV. 3. Lenin

treiben sie zum Kampf. Das Kapital konzentriert die Arbeiter in großen

Massen in großen Städten, schließt sie zusammen und lehrt sie, gemein-sam zu handeln. Auf Schritt und T ritt stoßen die Arb eiter unm ittelbar aufihren Hauptfeind - die Klasse der Kapitalisten. Im Kampf gegen diesenFeind wird der Arbeiter Sozia\istl gelangt er zu der Erkenntnis, daß esnotwendig ist, die gesamte Gesellschaft ganz und gar umzugestalten, jeg-liches Elend und jegliche Unterdrückung ganz und gar zu beseitigen. Diezu Sozialisten werdenden Arbeiter kämpfen selbstlos und mutig gegenalles, was ihnen im Wege steht, vor allem aber gegen die zaristische Machtund die fronherrlichen Gutsbesitzer.

Auch die Bauern sind während der Revolution in den Kampf gegen dieGutsbesitzer und gegen die Regierung getreten, aber ihr Kampf war weit-aus schwächer. Es ist berechnet worden, daß von den Industriearbeiterndie Mehrheit (bis zu %) am revolutionären Kampf, an den Streiks teil-genommen hat, von den Bauern dagegen zweifellos nur eine Minderheit:bestimmt nicht mehr als ein Fünftel oder ein Viertel. Die Bauern kämpftenweniger hartnäckig, zersplitterter, weniger bewußt, nicht selten immernoch in der Hoffnung auf die Güte von Väterchen Zar. In den Jahren1905/1906 haben die Bauern den Zaren und die Gutsbesitzer eigentlich

nur geschreckt. Man soll sie aber nicht schrecken, man muß sie vcrniditen,m uß ihre Regierung - die Zarenregierung - vom Angesicht der Erde hin-wegfegen. Jetzt bemühen sich Stolypin und die Duma der Schwarzhunder-ter und der Gutsbesitzer, aus den reichen Bauern neue Gutsbesitzer, Ein-zelhofbesitzer, Verbündete des Zaren und der Schwarzhunderter zumachen. Aber je mehr der Zar und die Duma den reichen Bauern helfen,die Masse der Bauern zu ruinieren, desto politisch bewußter wird dieseMasse, desto weniger wird sie sich den Glauben an den Zaren, den Glau-ben höriger Sklaven, den Glauben geduckter und unwissender Menschen

bewahren. M it jedem Jahr wädist im Dorf die Zah l der Landarbeiter -und diese können ihre Rettung nirgendwo anders finden als im Bündnismit den Arbeitern der Stadt für den gemeinsamen Kampf. Mit jedem Jahrwächst im Dorf die Zahl der ruinierten, vollends verelendeten, ausgehun-gerten Bauern - Millionen und aber Millionen von ihnen werden, wennsich das Stadtproletariat erhebt, entschiedener und geschlossener denKampf gegen den Zaren und die Gutsbesitzer aufnehmen.

An der Revolution hat auch die liberale Bourgeoisie teilgenommen, d. h.

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Die Lehren der Revolution 307

die liberalen Gutsbesitzer, Fabrikanten, Rechtsanwälte, Professoren usw.

Sie bilden die Partei der „Volksfreiheit" (Konstitutionelle Demokraten,Kadetten). Sie haben dem Volk viel versprochen und in ihren Zeitungenviel Aufhebens von der Freiheit gemacht. Sie hatten die Mehrheit der Ab-geordneten in der ersten und in der zweiten Duma. Sie versprachen, auf„friedlichem Wege" die Freiheit zu erlangen, sie verurteilten den revolu-tionären Kampf der Arbeiter und Bauern. Die Bauern und viele derBauernabgeordneten (der „Trudowiki") glaubten diesen Versprechungen,folgten demütig und gehorsam den Liberalen und blieben abseits vomrevolutionären Kampf des Proletariats. Das war ein riesengroßer Fehler

der Bauern (und vieler Städter) während der Revolution. Die Liberalenunterstützten - und auch dies sehr, sehr selten - mit der einen Hand denKampf für die Freiheit, die and ere H an d a ber streckten sie stets dem Z are nentgegen, dem sie versprachen, seine Macht aufrechtzuerhalten und zufestigen, die Bauern mit den Gutsbesitzern auszusöhnen, die „aufrühre-rischen" Arbeiter zu „beschwichtigen".

. Als die Revolution bis zum entscheidenden Kampf gegen den Za re n,bis zum Dezemberaufstand des Jahres 1905 gediehen war, da haben dieLiberalen die Freiheit des Volkes samt und sonders gemein verraten undsind vom Kampf abgeschwenkt. Die zaristische Selbstherrschaft nutztediesen Verrat der Liberalen an der Volksfreiheit aus, sie nutzte die Un-wissenheit der Bauern aus, die in vielem den Liberalen glaubten, undschlug die aufständischen Arbeiter nieder. Als aber das Proletariat nieder-geschlagen war, haben keine Dumas, keine honigsüßen Reden der Ka-detten, keine ihrer Versprechungen den Zaren davon zurückgehalten, alleReste der Freiheit zu vernichten, die Selbstherrschaft und die Allmacht derfronherrlichen Gutsbesitzer wiederaufzurichten.

D ie Liberalen wa ren die Betrogenen. Di e Bauern habe n eine harte , ab ernützliche Lehre erhalten. Es kann in Rußland keine Freiheit geben, so-lange die breiten Massen des Volkes den Liberalen glauben, solange siean die Möglichkeit eines „Friedens" mit der zaristischen Macht glauben,solange sie sich abseits vom revolutionären Kampf der Arbeiter halten.Keine Macht der Erde wird den Anbruch der Freiheit in Rußland auf-halten können, wenn die Masse des Stadtproletariats sich zum Kampf er-hebt, die schwankenden und verräterischen Liberalen beiseite schiebt unddie Landarbeiter sowie die ruinierte Bauernschaft mit sich führt.

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308 W . 1. Lenin

Daß aber das Proletariat Rußlands sich zu einem solchen Kampf er-

heben, daß es sich wieder an die Spitze der Revolution stellen wird - da-für bietet die ganze ökonomische Lage Rußlands, die ganze Erfahrung derRevolutionsjahre Gewähr.

Vor fünf Jahren hat das Proletariat der zaristischen Selbstherrschaftden ersten Schlag versetzt. Dem russischen Volke leuchteten die erstenStrahlen der Freiheit. Jetzt ist die zaristische Selbstherrschaft wiederher-gestellt, wieder herrschen und regieren die Fronherren, wieder wird über-all den Arbeitern und Bauern Gewalt angetan, überall triumphieren asia-tische Willkür der Behörden und gemeine Verhöhnung des Volkes. Aber

die harten Lehren sind nicht vergeblich gewesen. D as russische Volk is tnicht mehr dasselbe wie vor 1905. D as Proletariat hat das Volk kämpfengelehrt. D as Proletariat wird es zum Sieg führen.

nRabonä> ajaQaseta"?Jr.i, Nadi dem Juxt der30. Oktober (12. "November) 1910. „Rabotsdiaja Qaseta".

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309

Z W E I W E L T E N

über den Magdeburger Parteitag der Sozialdemokratischen ParteiDeutschlands ist in allen Zeitungen schon viel geschrieben worden, undalle wichtigen Ereignisse dieses Parteitags, alle Peripetien des Kampfessind hinlänglich bekannt. Die äußere Seite des Kampfes zwischen Revi-sionisten und Orthodoxen, die dramatischen Episoden auf diesem Partei-tag haben die Aufmerksamkeit der Leser auf Kosten der Klarlegung derprinzipiellen Bedeutung dieses Kampfes, der ideologisch-politischen W ur-zeln der Divergenzen allzu stark in Anspruch genommen. Indes lieferndie Magdeburger D ebatten, vor allem die Debatten über die Stimmabgabeder Badenser für das Budget, ein äußerst interessantes Material, das zweiIdeenwelten und zwei Klassentendenzen innerhalb der deutschen sozial-demokratischen Arbeiterpartei charakterisiert. Die Budgetbewilligung istlediglich eine der Ausdrudcsformen dieser Divergenz zwischen den zweiWelten, einer Divergenz, die so groß ist, daß sie zweifellos noch bei vielernsteren, tiefergehenden und wichtigeren Anlässen in Erscheinung tretenwird. Und jetzt, da in Deutschland für alle sichtbar ein großer revolutio-närer Sturm herannaht, sind die Magdeburger Debatten als kleine Heer-schau eines kleinen Teils der Armee (denn die Frage der Budgetbewilli-

gung ist nur ein kleiner Teil der Grundfragen der sozialdemokratischenTaktik) vor Beginn des Gefechts zu betrachten.

W as hat diese Heerschau gezeigt, wenn es sich darum handelt, wie dieverschiedenen Teile der proletarischen Armee ihre Aufgaben verstehen?Was sagt uns diese Heerschau über das künftige Verhalten dieser ver-schiedenen Teile der Armee? Das sind die Fragen, auf die wir eingehenwollen.

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310 W.I.Lenin

Beginnen wir mit dem Zusammenstoß in einer (auf den ersten Blick)

untergeordneten Frage. Der Führer der Revisionisten, Frank, betonte wiealle Badenser mit Eifer, daß der Minister von Bodman die „Gleichberech-tigung" der Sozialdemokratie mit anderen, bürgerlichen Parteien anfangsnicht anerkannt, später aber diese „Beleidigung" gewissermaßen zurück-genommen habe. In seinem Referat führte Bebel darüber folgendes aus:

„W enn ein Minister des heutigen Staates, ein Ve rtreter der bestehendenStaats- und Gesellschaftsordnung - und der heutige Staat hat als politischeInstitution den Zweck, die Verteidigung und Aufrechterhaltung der be-stehenden Staats- und Gesellschaftsordnung gegen alle Angriffe von so-

zialdemokratischer Seite zu übernehmen, nötigenfalls mit Gewalt - , wennalso ein solcher M inister sagt, er ane rken ne diese Gleichberechtigung nicht,so hat er von seinem Standpunkt aus ganz recht." Frank unterbricht Bebelund ruft :„Unerhört!" Bebel setzt fort und antwortet ihm: „Ich finde dasganz natürlich." Frank macht einen erneu ten Zwischenruf: „U ner hö rt!"

Warum war Frank so empört? Weil er vom Glauben an die bürgerliche„Gesetzlichkeit", an die bürgerliche „Gleichberechtigung" völlig durch-drungen ist, ohne die historischen Qrenzen dieser Gesetzlichkeit zu be-greifen, ohne zu begreifen, daß diese ganze Gesetzlichkeit zerschellen,

unvermeidlich zerschellen muß, sobald es auf die wichtigste und haupt-sächliche Frage, auf die Erhaltung des bürgerlichen Eigentums, ankommt.Frank ist ganz und gar von kleinbürgerlichen Verfassungsillusionen durch-drungen; deshalb begreift er nicht die historische Bedingtheit der konsti-tutionellen Verhältnisse selbst in einem L ande wie Deu tschland; e r glaubtan die absolute Bedeutung, an die absolute Macht der bürgerlichen (rich-tiger: bürgerlich-feudalen) Verfassung in Deutschland und ist ehrlichbeleidigt, weil ein konstitutioneller M inister nicht anerkennen will, da ß er,Frank, ein Parlamentsabgeordneter, ein Mensch, der in vollem Einklang

mit den Gesetzen handelt, „gleichberechtigt" ist. Sich an dieser Gesetz-lichkeit berauschend, geht Frank so weit, daß er die Unversöhnlichkeit vonBourgeoisie und Proletariat vergißt und, ohne es selbst zu merken, auf diePositionen derer übergeht, die diese bürgerliche Gesetzlichkeit für ewighalten, die glauben, der Sozialismus könne im Rahmen dieser Gesetz-lichkeit Platz finden.

Bebel stellt die Dinge auf ihren Platz, von dem Boden dieser, der bür-gerlichen Demokratie eigenen Verfassungsillusionen auf den realen Boden

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ZweilVelten 311

des Klassenkampfes. Kann es denn eine „Beleidigung" sein, wenn uns,den Feinden der gesamten bürgerlichen Ordnung, ein Verteidiger dieserOrdnung die Gleichberechtigung auf dem Boden des bürgerlichen Rechtsabspricht? Schon allein die Annah m e, da ß mich das beleidigen ka nn, zeugtvon der Unbeständigkeit meiner sozialistischen Überzeugungen!

U nd Bebel bem üh t sich, Fran k die sozialdemok ratischen Auffassungendurch anschauliche Beispiele klarzumachen. Uns konnte das Sozialisten-gesetz nicht „beleidigen", sagte Bebel zu Frank; wir waren von Zorn undHaß erfüllt, „. . . und hätten wir damals gekonnt, wie wir innerlich woll-ten, wir hätten losgeschlagen und hätten alles zertrümmert, was unsim Wege lag" . (Stürmische Zustimmung, heißt es an dieser Stelle imstenografischen Bericht.) „Wir wären Verräter an unserer Sache gewesen,wenn wir das nicht getan hätten. (Sehr ridhtig!) Aber wir konnten esn i c h t . . . "

Es beleidigt mich, wenn ein konstitutioneller Minister die Gleichberech-tigung der Sozialisten nicht anerkennt - räsoniert Frank. Es darf für Siekeine Beleidigung sein, wenn Ihnen die Gleichberechtigung von einemMenschen abgesprochen wird - sagt Bebel -, der Sie noch kürzlich unter-drückte und alle „Prinzipien" mit Füßen trat, der Sie als Verteidiger derbürgerlichen Ordnung unterdrücken mußte und der Sie auch morgen wirdunterdrücken müssen (das hat Bebel zwa r nicht gesagt, aber er ha t es ganzklar angedeutet; warum Bebel so vorsichtig war, sich nur auf Andeutun-gen zu beschränken, w erden -wir an der entsprechenden Stelle sagen). W irwären Verräter, wenn wir diese Feinde des Proletariats nicht erwürgenwürden, sobald wir die Möglichkeit dazu haben.

Zwei Ideenwelten: auf der einen Seite der Standpunkt des proletari-schen Klassenkampfes, der in bestimmten historischen Perioden auf demBoden der bürgerlichen Gesetzlichkeit geführt werden kann, der aberunvermeidlich zur Entscheidung, zum offenen Kampf, zu der Alternativeführt: entweder den bürgerlichen Staat zu „zertrümmern" oder selbst zer-trümmert und erwürgt zu werden. Auf der anderen Seite der Standpunktdes Reformisten, des Kleinbürgers, der den Wald vor lauter Bäumen nichtsieht, der hinter dem Flitterkram der verfassungsmäßigen Gesetzlichkeitden erbitterten Klassenkampf nicht sieht und in dem Krähwinkel irgend-eines Kleinstaates die großen historischen Fragen der Gegenwart vergißt.

Die Reformisten dünken sich Realpolitiker, Männer der positiven Ar-

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312 TV. 3. Lenin

beit, Staatsmänner zu sein. Solche kindlichen Illusionen im Proletariat zu

nähren ist für die Herren der bürgerlichen Gesellschaft vorteilhaft, dieSozialdemokraten aber müssen diese Illusionen unbarmherzig zerstören.Die Worte über Gleichberechtigung sind „nichtssagende Reden", erklärteBebel. „Er hat mit seinen nichtssagenden Reden eine ganze sozialistischeFraktion eingefangen, wer das kann, der ist ein Staatsmann", erklärteBebel unter allgemeiner Heiterkeit des Parteitags, „aber diejenigen, diesich so fangen lassen, das sind keine Staatsmänner . . . " Das ist haargenaudas, was für die verschiedensten Opportunisten des Sozialismus, die sichvon den Nationalliberalen in Deutschland, von den Kadetten in Rußland

einfangen lassen, zutrifft. „Die Negierer haben in der Welt oft mehr er-reicht als die sogenannten positiven Arbeiter", erklärte Bebel. „ScharfeKritik, scharfe Opposition fällt alle Zeit auf fruchtbaren Boden, wenn sieberechtigt ist, und unsere ist gewiß berechtigt."

Opportunistische Phrasen über positive Arbeit bedeuten in vielen Fäl-len Arbeit für die Liberalen, überhaupt Arbeit für die anderen, die dieMacht in den Händen haben, die die Richtung der Tätigkeit des gegebe-nen Staates, der gegebenen Gesellschaft, des gegebenen Kollektivs be-stimmen. U nd Bebel hat diese Schlußfolgerung direkt gezogen, als er sagte:

„Wir haben mehr solcher Nationalliberalen, die nationalliberale Politikmachen." Als Beispiel dafür nannte Bebel Blöd?, einen nicht unbekanntenRedakteur der sogenannten (nach Bebeis Worten - sogenannten) „Sozia-listischen Monatshefte". „Nationalliberale müssen hinaus, sie können inder Partei nicht bleiben", erklärte Bebel ausdrücklich unter allgemeinerZustimmung des Parteitags.

Man schaue sich die Liste der Mitarbeiter der „Sozialistischen Monats-hefte" an. Dort sind alle Vertreter des internationalen Opportunismus.Dort kann man sich nicht genug tun, um das Verhalten unserer Liquidato-

ren zu loben. Sind das nicht zwei Ideenwelten, wenn der Führer der deut-schen Sozialdemokratie einen Redakteur dieses Organs einen National-liberalen nenn t?

Die Opportunisten der ganzen Welt nehmen Kurs auf die Politik desBlocks mit den Liberalen, indem sie bald offen und unverhüllt diese Politikverkünden und durchführen, bald Wahlabkommen mit den Liberalen,Unterstützung ihrer Losungen usw. predigen und rechtfertigen. Bebel hatimmer wieder die ganze Heuchelei, die ganze Verlogenheit dieser Politik

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Zwei Welten 313

entlarvt, und von seinen Worten kann man ohne Übertreibung sagen, daßsie jeder Sozialdemokrat kennen und sich einprägen muß.

„Wenn ich als Sozialdemokrat in ein Bündnis mit bürgerlichen Parteien ein-trete, so ist tausend gegen eins zu w etten, da ß nicht die Sozialdemokraten, son-dern die bürgerlichen Parteien die Gewinnenden und wir die Verlierendensind. Es ist ein politisches Qesetz, daß überall, wo Rechte und Linke sichliieren, die Linke verliert und die Rechte g e w in n t. ..

Wenn ich in ein politisches Freundschaftsverhältnis mit einer mir cjrundsätz-

lidh gegnerischen Partei trete, dann muß ich notwendigerweise meine Taktik,d.h. meine Kampfesweise, darauf einrichten, damit das Bündnis nicht breche.Ich darf also nicht mehr darauflos kritisieren, ich darf nicht mehr grundsätzlich

kämpfen, denn damit verletze ich meine Bundesgenossen, ich bin gezwungen,zu schweigen, über manches den Mantel der Liebe zu decken, manches zu recht-fertigen, was sich nicht rechtfertigen läßt, zu vertuschen, was nicht vertuschtwerden darf usw."

De r O pportunism us ist eben deshalb Opportunism us, weil er die grund-

legenden Interessen der Bewegung momentanen Vorteilen oder Erwägun-gen zum Opfer bringt, die auf der kurzsichtigsten, oberflächlichsten Be-rechnung beruhen. Frank erklärte in Magdeburg pathetisch, daß dieMinister in Baden „uns Sozialisten zur Mitarbeit heranziehen wollen"!

Nicht nach oben, sondern nach unten muß man schauen, sagten wirwährend der Revolution zu unseren Opportunisten, die sich des öfterenfür verschiedene Kadettenperspektiven begeisterten. Bebel meinte dieFrank, als er in Ma gdebu rg in seinem Schlußwort ausführte: „Die M assenbegreifen es nidit, daß es Parteigenossen gibt, die Regierungen unter-stützen, indem sie ihnen ein Vertrauensvotum geben, die sie am liebstenbeseitigen möchten. Ich habe oftmals den Eindruck, daß ein Teil unsererFührer nicht mehr versteht, was die Massen zu leiden haben (stürmische

Zustimmung), daß sie der Lage der Massen entfremdet sind." Und „es

herrscht ein ungeheures Maß von Erbitterung in ganz Deutschland".„Wir sind jetzt in einer Zeit, wo wir uns auf faule Kompromisse nicht

einlassen dürfen", sagte Bebel an einer anderen Stelle seiner Rede. „DieKlassengegensätze werden nicht milder, sie werden schärfer. Wir mar-schieren sehr, sehr ernsten Zeiten entgegen. Was kommt nadi den näch-sten Wahlen? Das wollen wir abwarten. Wenn es gar dazu kommt, daß1912 ein europäisches Kriegsgewitter losbricht, dann sollt ihr sehen, was

21 Lenin, Werk e, Bd. 16

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314 "W J.Lenin

wir erleben und wo wir zu stehen haben. Sicherlich ganz woanders, alsman jetzt in Baden steht."

Während die einen sich mit der Lage der Dinge, wie sie in Deutschlandzur Gewohnheit geworden ist, selbstgefällig zufriedengeben, richtet Bebelseine ganze Aufmerksamkeit auf die unvermeidlich bevorstehende Wen-dung und rät der Partei, ihr Augenmerk ebenfalls darauf zu richten:„Was wir bisher durchgeführt haben, waren alles nur Vorpostengefechte,Kleinigkeiten", führte Bebel in seinem Schlußwort aus. Der Hauptkampfsteht noch bevor. Und vom Standpunkt dieses Hauptkampfes aus ist dieganze Taktik der Opportunisten der Gipfel der Charakterlosigkeit undKurzsichtigkeit.

Wo Bebel vom künftigen Kampf spricht, beschränkt er sich auf An-deutungen. Nicht ein einziges Mal spricht er direkt darüber, daß inDeutschland die Revolution herannaht, obwohl dies zweifellos seine Auf-fassung ist - alle Hinweise auf die Zuspitzung der Gegensä tze, auf dieSchwierigkeit von Reformen in Preußen, auf die ausweglose Lage derRegierung und der herrschenden Klassen, auf die wachsende Erbitterungder Massen, auf die Gefahr eines europäischen Krieges, auf die Verstär-kung des wirtschaftlichen Drucks infolge des Steigens der Lebenshaltungs-kosten, der Vereinigung der K apitalisten in Trusts, Kartellen usw. usf. -

alles zielt offensichtlich darauf ab, der Partei und den Massen die Unver-meidlichkeit des revolutionären Kampfes klarzumachen.

Warum ist Bebel so vorsichtig, warum beschränkt er sich nur auf an-deutende Hinw eise? W eil die in Deutschland heranwachsende Revolutioneine besondere, spezifische politische Situation vorfindet, die anderen vor-revolutionären Epochen in anderen Ländern nicht ähnlich ist und die da-her von den Führern des Proletariats die Lösung einer gewissen neuenAufgabe fordert. Die Hauptbesonderheit dieser spezifischen vorrevolutio-nären Situation besteht darin, da ß die kommende Revolution unvermeid-

lich ungleich tiefgreifender, ernster sein wird, da ß sie breitere Massen ineinen schwierigeren, hartnäckigeren, langwierigeren Kampf hineinziehenwird als alle früheren Revolutionen. Gleichzeitig aber zeichnet sich diesevorrevolutionäre Situation dadurch aus, daß in ihr (im Vergleich zur Ver-gangenheit) die größte Qesetzlidhkeit herrscht und daß diese Gesetzlich-keit denen im Weg ist, die sie eingeführt haben. Darin besteht die Eigen-art der Lage, darin besteht die Schwierigkeit un d das N eu e der Aufgabe.

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Zwei Welten 315

Die Ironie der Geschichte hat es mit sich gebracht, daß die herrschen-den Klassen Deutschlands, die den stärksten Staat der zweiten Hälfte des19. Jahrhunderts schufen, die die Bedingungen für den raschesten kapi-talistischen Fortschritt und die stabilste verfassungsmäßige Gesetzlichkeitfestigten, jetzt ganz offensichtlich in eine Lage kommen, wo sie dieseGesetzlichkeit, ihre Gesetzlichkeit zerschlagen müssen, zerschlagen müs-sen - um de r Erh altung der Herrschaft der Bourgeoisie willen.

Die deutsche sozialdemokratische Arbeiterpartei hat die bürgerlicheGesetzlichkeit ungefähr ein halbes Jahrhundert lang vorbildlich ausge-nutzt, indem sie die besten proletarischen Organisationen, eine ausgezeich-nete Presse schuf und das Klassenbewußtsein und die Geschlossenheit der

sozialistischen proletarischen Avantgarde auf die höchste Stufe hob (dieunter dem Kapitalismus überhaupt möglich ist).

Jetzt naht die Zeit , da dieses halbe Jahrhundert deutscher Geschichteauf Grund von objektiven Ursachen durch eine andere Phase abgelöstwerden muß. Die Epoche der Ausnutzung der von der Bourgeoisie ge-schaffenen Gesetzlichkeit wird abgelöst durch eine Epoche gewaltigerrevolutionärer Kämpfe, wobei diese Kämpfe dem Wesen nach die Zerstö-rung der gesamten bürgerlichen Gesetzlichkeit, der gesamten bürgerlichenOrdnung bedeuten werden, der Torrn naäo aber beginnen müssen (und

beginnen) mit verzweifelten Anstrengungen der Bourgeoisie, die von ihrselbst geschaffene und für sie unerträglich gewordene Gesetzlichkeit los-zuwerden! „Schießen Sie gefälligst zuerst, meine Herren Bourgeois!" -mit diesen Worten kennzeichnete Engels 1892 die Eigenart der Lage unddie Eigenart der taktischen Aufgaben des revolutionären Proletariats. 98

Das sozialistische Proletariat wird keinen Augenblick lang vergessen,daß ihm ein revolut ionärer Massenkampf bevorsteht , und zwar unver-meidlich bevorsteht, der alle und jede Gesetzlichkeit der zum Tode ver-urteilten bürgerlichen Gesellschaft zerschlagen wird. Und gleichzeitig hat

die Partei, die ein halbes Jahrhundert lang die Gesetzlichkeit der Bour-geoisie vortrefflich gegen die Bourgeoisie ausgenutzt hat, nicht die ge-ringste Veranlassung, auf die Vorzüge im Kampf, auf dieses Plus im Ge-fecht zu verzichten, die sich daraus ergeben, daß derjeind sich verstrickthat in seiner eigenen Gesetzlichkeit, daß der Feind gezwungen ist,„zuerst zu schießen", gezwungen ist, seine eigene Gesetzlichkeit zu zer-schlagen.

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316 IV . 7. Lenin

Darin eben besteht die Eigenart der vorrevolutionären Situation im

heutigen Deutschland. Daher die Vorsicht des alten Bebel, der die ganzeAufmerksamkeit auf den bevorstehenden großen Kampf lenkt und mitder ganzen Kraft seines außerordentlichen Talents, seiner Erfahrung, sei-ner Autorität gegen die kurzsichtigen und charakterlosen Opportunistenzu Felde zieht, die diesen Kampf nicht begreifen, die nicht taugen, in ihmFührer zu sein, denen es wahrscheinlich während der Revolution bevor-steht, aus Jührern zu Qeführten zu werden, wenn nicht gar hinweggefegtzu werden.

In Magdeburg hat man mit diesen Führern gestritten, ihnen die Miß-

billigung ausgesprochen, ihnen ein offizielles Ultimatum gestellt als Ver-tretern all dessen, was sich in der großen revolutionären Armee an U nzu-verlässigem, an Schwachem angesammelt hat, was von der bürgerlichenGesetzlichkeit angesteckt ist, was abgestumpft ist vor ehrfurchtsvoller Ver-herrlichung dieser Gesetzlichkeit, Verherrlichung der ganzen Beschränkt-heit einer der Sklavenhalterepochen, d. h. einer der Epochen der bürger-lichen Herrschaft. Indem das deutsche Proletariat den Opportunisten dieMißbilligung aussprach und ihnen mit dem Ausschluß drohte, verur-teilte es alle Elemente, die in seiner mächtigen Organisation stagnierend,schwankend und schlaff sind, die unfähig sind, mit der Mentalität dersterbenden bürgerlichen Gesellschaft zu brechen. Indem die fortgeschrit-tene Klasse die schlechten Revolutionäre in ihren Reihen verurteilte, hatsie vor dem Betreten des Weges der sozialen Revolution eine der letztenHeerschauen ihrer Kräfte durchgeführt.

Während die Aufmerksamkeit aller revolutionären Sozialdemokratenin der ganzen Welt darauf gerichtet war, wie sich die deutschen Arbeiter

zum Kampf vorbereiten, wie sie den Zeitpunkt dafür wählen, den Feindscharf beobachten und sich von den Schwächen des Opportunismus freimadhen - frohlockten die Opportunisten der ganzen Welt über die Mei-nungsverschiedenheiten zwischen Luxemburg und Kautsky in bezug aufdie Einschätzung der gegenwärtigen Lage, in bezug auf die Frage, ob so-fort oder noch nicht sofort, in diesem Augenblick oder im nächsten Augen-blick einer jener Wendepunkte eintritt oder eintreten wird, wie es der 9.Januar in der russischen Revolution war. Die Opportunisten frohlockten

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Zwei Welten 317

und versuchten, diese Me inungsversdiiedenhe iten, den en keine erstrangige

Bedeutung zukommt, zu sdiüren sowohl in den „Sozialistisdien Monats-heften" als auch im „Golos Sozial-Demokrata" (Martynow), in der„Shisn" [Das Leben], im „Wosroshdenije" und in dergleichen liquidato-rischen Organen sowie in der „Neuen Zeit" (Martow)*. Wie erbärmlididiese Methoden der Opportunisten aller Länder sind, wurde in Magde-burg d okum entiert, wo die Meinungsverschiedenheiten zwischen den revo-lutionären Sozialdem okraten Deutschlands keine bedeu tende Rolle spielten.Die Schadenfreude der Opportunisten war verfrüht. Der MagdeburgerParteitag nahm den ersten Teil der von Rosa Cuxemburg eingebrachten

Resolution an, in der. direkt auf d en M assenstre ik als Kam pfmittel hin-gewiesen wird.

„Sozial-Vemokrat" 5Vr. 18, TJado dem 7ext des16. (29.)November i9lO. „Sozial-Dem okrat".

* In der „Nenen Ze it" wurde M artow von G en. Karski eine entschiedeneAbfuhr erteilt.

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318

Ü BE R D IE D E M O N S T R A T I O N A N L Ä S S L I C H

D ES T O D E S M U R O M Z E W S

(Bemerkungen)

„Diese Duma", schreibt die kadettische „Retsch" anläßlich der erstenSitzung der vierten Sitzungsperiode der Schwarzhunderterduma, „hat sicham heutigen Tag endgültig und unwiderruflich von den Stimmungen imVolk und vom Nationalbewußtsein selbst losgetrennt." Dies wird natür-lich gesagt, weil die Schwarzhunderter und Oktobristen es ablehnten, dasAndenken des Präsidenten der I. Duma, Muromzew, zu ehren.

Es wäre schwierig, die ganze Heuchelei und Verlogenheit des Stand-punkts, den unsere Liberalen in bezug auf den Kampf um die Freiheit im

allgemeinen und in bezug auf die Dem onstration anläßlich des Todes M u-romzews im besonderen einnehmen, anschaulicher als in dem angeführtenSatz zum Ausdruck zu bringen.

Es besteht kein Zweifel, daß aus Anlaß des Todes Muromzews eineDemonstration gegen die Zarenregierung, gegen die Selbstherrschaft, ge-gen die Schwarzhunderterduma notwendig war, daß die Demonstrationstattgefunden hat und daß sich daran die verschiedensten und breitestenSchichten der Bevölkerung, die verschiedensten Parteien von der Sozial-demokratie bis zu den Kadetten, den „Progressisten" und den polnischen

Oktobristen (Polnisches Kolo") beteiligt haben. Und genauso gibt es auchkeinen Zweifel darüber, daß die Einschätzung dieser Demonstration durchdie Kadetten zum hundertsten und tausendsten Mal beweist, wie fremdsie der D emokratie sind, wie verderblich es für die Sache der Demokratiein Rußland ist, wenn die Leitung dieser Angelegenheit in den Händenunserer Kadetten liegt oder wenn sie auch nur führend daran beteiligt sind.

Alle Demokraten und alle Liberalen haben sich an der Demonstrationanläßlich des Todes Muromzews beteiligt und mußten sich daran beteili-

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Tiber die Demonstration anläßlidb des 7odes SWuromzews 319

gen, denn in der Finsternis des Regimes der schwarzen Duma bot eine

solche Demonstration die Möglichkeit eines offenen und verhältnismäßigbreiten Ausdrucks des Protestes gegen die Selbstherrschaft. Die Selbst-herrschaft des Zaren hatte einen erbitterten Kampf gegen die Einführungvon Vertretungskörperschaften in Rußland geführt. Als das Proletariatund die revolutionäre Bauernschaft durch ihren Massenkampf die Selbst-herrschaft zwangen, das erste Parlament in Rußland einzuberufen, da hatdie Selbstherrschaft diese Vertretnngskörperschaft verfälscht und entstellt.Die Selbstherrschaft hat die Dem okratie und das Volk verspottet und b e-schimpft, sofern in der I. Duma die Stimme des Volkes, die Stimme der

Demokratie ertönte. Jetzt verfolgt die Selbstherrschaft sogar die Erinne-rung an jenen schwachen Ausdruck der Forderungen der Dem okratie in derI. Duma (in der Zeit der I. Duma und von ihrer Tribüne herab war derAusdruck dieser Forderungen viel schwächer, ärmer, enger und wenigerlebensfrisch als im Herbst 1905 von den Tribünen herab, die sich dieWelle des offenen Massenkampfes selbst geschaffen hatte).

Deshalb konnten und mußten Demokratie und Liberalismus bei einerProtestdemonstration gegen die Selbstherrschaft aus jedem die Massenan die Revolution erinnernden A nlaß gemeinsam auftreten. Aber während

sie gemeinsam demonstrierten, konnten sie nicht umhin, ihr Verhältnissowohl zur Einschätzung der Aufgaben der Demokratie im allgemeinenals auch z ur Geschichte der I. Duma im besonderen zum Ausdruck zu brin-gen. Und der erste Versuch einer solchen Einschätzung offenbarte die un-erträgliche Dürftigkeit, die politische Ohnmacht und den politischenSchwachsinn unseres bürgerlichen Liberalismus.

Bedenkt nur : d ie schwarze Dum a h at sich „heute", am 15. Oktob er1910, „endgültig und unwiderruflich" vom Volk „losgetrennt"! Das heißt,sie war bisher nicht unwiderruflich von ihm losgetrennt. Das heißt, die

Teilnahme an der Feier zum Gedenken an Muromzew hätte die „Losge-trenntheit" von den „Stimmungen im Volk", das heißt die Losgetrennt-heit dieser oder jener unserer Konterrevolutionäre von der Demokratie,beseitigen können, wäre dazu in der Lage gewesen. Begreift doch, ihrHerren, die ihr auf die ehrenvolle Bezeichnung eines Demokraten An-spruch erheb t, da ß ihr selbst mehr als irgend jemand anders die Bedeutungder Dem onstration herabm indert, sie herabw ürdigt, wenn ihr d ie Frage sostellt. „Wie geringman auch in moralisch-politischer Hinsicht die III. Duma

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320 -W.l.Cenin

einschätzen mochte", schreibt die „Retsch", „schien es unsinnig, zu den-

ken, daß sie es fertigbringen wird, die elementare Pflicht von sich zu wei-sen, von der Tribüne aus dem Namen dessen, der sie (!!) mit solcherWürde und solchem Glanz eröffnet und eingeweiht hat, Ehre zu zollen."Danke schön, dazu gibt es nichts weiter zu sagen: Muromzew hat „sie",die III. Du m a, eröffnet und eingeweiht! Die K adetten hab en m it diesenWorten unabsichtlich die bittere Wahrheit gesagt, daß der Verrat desrussischen Liberalismus und der russisdien Bourgeoisie am revolutionärenKampf und am Aufstand Ende des Jahres 1905 die Periode der Konter-revolution im allgemeinen und d er III. Du m a im beson deren „eröffnet

und eingeweiht" hat. „Man nahm an", schreibt die „Retsdi", „daß einHäuflein politischer Radaumacher nicht in der Lage sein wird, die Stimmedes Anstands und des Taktes bei der Mehrheit der Duma zu ersticken."Siehe einer an! Die Frage drehte sich und dreht sich um „Anstand undTakt" und nidit um den Protest gegen die Selbstherrschaft. Die Fragewird nicht so gestellt, daß sich die Demokratie von der KonterrevolutionJostrennt", sond ern so, da ß sich der Liberalismus m it de r Konterrev o-lution vereinigt. Der Liberalismus stellt sich auf den Boden der Konter-revolution, indem er deren Vertreter, die Oktobristen, einlädt, an der

Feier zum Gedenken an Muromzew nicht als Ausdruck des Protestesgegen die Selbstherrschaft teilzunehmen, sondern um damit die Pflichtdes „Anstandes und Taktes" zu erfüllen. Muromzew hat das erste, vomZaren einberufene Scheinparlament „eröffnet und eingeweiht" (es gibtderartig garstige Worte!); ihr Herren Oktobristen, ihr sitzt im dritten,vom Zaren einberufenen Scheinparlament - wird es da nicht „unschicklichund taktlos" sein, es abzulehnen, eine „elementare Pflicht" zu erfüllen?Wie großartig widerspiegelt dieses ganz kleine Beispiel, allein dieser eineGedankengang des offiziellen Organs der Kadetten die ganze ideologische

und politische Fäulnis unseres Liberalismus. Seine Linie besteht darin, dieSelbstherrschaft, die erzreaktionären Gutsbesitzer und ihre Verbündeten,die Oktobristen, zu überreden, nicht aber darin, das demokratische Be-wußtsein der Massen zu entwickeln. Sein Sdiicksal ist daher das unaus-bleibliche und unvermeidliche Schicksal jedes ähnlichen bürgerlichen Li-beralism us in jeder bürgerlich-dem okratischen Revolution — auf ewigSklave der Monarchie und der Feudalherren zu bleiben, ewig von ihnenFußtr i t te zu bekommen.

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Tiber die Demonstration anläßlich des Jodes Murom zews 321

Wenn die kadettischen Abgeordneten auch nur einen Funken Verständ-

nis für die Aufgaben der Demokratie hätten, so würden sie sich auch inder III. Duma nicht um die Erfüllung der „elementaren Pflicht" durch dieOktobristen gekümmert haben, sondern um eine Demonstration vor demVolk. Dazu hätte man keine Eingabe an den Präsidenten richten dürfen,(die Verlesung einer solchen Eingabe hängt nach § 120 der Geschäfts-ordnung vom Ermessen des Präsidenten ab), sondern man hätte auf die-sem oder jenem Wege erreichen müssen, daß diese Frage zur Debatte ge-stellt wird.

Wenn die Publizisten der Kadetten auch nur einen Funken Verständnis

für die Aufgaben der Demokratie hätten, würden sie den Oktobristennicht Taktlosigkeit vorwerfen, sondern erklären, daß das Verhalten derIII. Duma gerade die Bedeutung der Demonstration aus Anlaß des TodesMuromzews unterstreicht, diese Frage aus einem philisterhaft-spieße-rischen Geschwätz über „Anstand und Takt" auf die Ebene der politischenEinschätzung des gegenwärtigen Regimes und der Rolle der verschiedenenParte ien hebt .

Die Demonstration anläßlich des Todes Muromzews mußte aber aucheine andere Frage aufwerfen, nämlich die Frage der historischen Bedeu-tun g der I. D um a. Es ist selbstverständlich, daß die Ka detten, die in derI. Duma die Mehrheit besaßen und in jener Zeit berauscht waren von derHoffnung, ein Kadettenkabinett bilden zu können, berauscht von derHoffnung auf einen „friedlichen" Obergang zur Freiheit und auf dieFest igung ihrer Hegemonie in der Demokrat ie , Muromzew als e inen„Nationalhelden" preisen. Die Trudowiki sanken in der Person des HerrnShilkin so tief, daß sie, sich mit diesem liberalen Chor vereinigend, Mu-romzew direkt als den politischen „Erzieher" der linken Parteien feierten.

Einer solchen Einschätzung der I. Du ma durch die Kadetten un d T rud o-wiki kommt die wichtige Bedeutung zu, daß sie das außerordentlich nied-

rige Nive au des politischen Bewußtseins in de r russischen „Gesellschaft"zeigt. Die „Gesellschaft", die über die politische Rolle der Kadetten in derI. D um a in Entzücken gerät, ha t nicht das Recht, sich üb er Stolyp in u nddie III. Duma zu beklagen: sie hat ja gerade eine solche Regierung, die sieverdient. Eine Hegemonie des Liberalismus in der russischen Befreiungs-beweg ung schwächt unumgänglich die Bewegung un d m acht es unmöglich,die Herrschaft der barbarischen Gutsbesitzer zu beseitigen. Nur die

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322 W.l Lenin

Überwindung des Liberalismus durch das Proletariat und die proletarische

Hegemonie führten zu Siegen in der Revolution und sind imstande, wei-tere Siege zu erringen.

Die Periode der I. Duma war eine Periode, wo das im Dezember be-siegte Proletariat seine Kräfte für einen neuen Ansturm sammelte. Derrevolutionäre Streik, der sich nach dem Dezember abschwächte, schwollaufs neue gewaltig an; den Arbeitern folgten die Bauern (im Frühjahr 1906waren 46 Prozent aller Kreise im Europäischen Rußland von Bauern-unruhen erfaßt),- die „Meutereien" unter den Soldaten verstärkten sich.Die liberale Bourgeoisie stand vor dem Dilemma: entweder den neuen revo-

lutionären Ansturm der Massen unterstützen, und dann w ar der Sieg überden Zarismus möglich, oder sich von der Revolution abwenden und damitden Sieg des Zarismus erleichtern. Ein neuer Aufschwung des Massen-kampfes, neue Schwankungen der Bourgeoisie, Unentschlossenheit undabwartende Haltung des Zarismus - darin bestand das "Wesen der Periodeder I. Duma, darin bestand die Klassenbasis dieses Zeitabschnitts in derrussischen Geschichte.

Die Kadetten als führende Partei in der I. Duma und Muromzew alseiner der Führer dieser Partei zeigten völliges Unverständnis der politi-

schen Situation gegenüber und vollzogen einen neuen V errat an der Demo-kratie. Sie wandten sich von der Revolution ab, verurteilten den Massen-kampf, setzten ihm alle möglichen Hindernisse in den W eg und bemühtensich, die Unentschlossenheit des Zarismus auszunutzen, indem sie ihn mitder Revolution schreckten und im Namen der Revolution ein Kompromiß( = Kadettenkabinett) verlangten. Es ist klar, daß eine derartige TaktikVerrat gegenüber der Demokratie und ohnmächtige, quasi-„konstitutio-nelle" Prahlerei gegenüber dem Zarismus war. Es ist klar, daß der Zaris-mus dadurch, daß er mit den Kadetten Verhandlungen „spielte" , für die

Konzentration seiner Kräfte Zeit gewann und dabei das Auseinanderjagender Duma und den Staatsstreich vorbereitete. Das Proletariat und ein Teilder Bauernschaft erhoben sich im Frühjahr 1906 zum neuen Kampf, ihreSchuld oder ihr Unglück bestand darin, daß sie nicht entschlossen genugund nicht in genügend großer Anzahl kämpften. Die Liberalen berausch-ten sich im Frühjahr 1906 am Verfassungsspiel und an Verhandlungenmit Trepow, sie verurteilten diejenigen und störten die Sache derjenigen,die allein die Trepow stürzen konnten.

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Tiber die Demonstration anläßlich des Todes Muromzews 323

Die Pharisäer der Bourgeoisie lieben den Ausspruch: de mortuis aut

bene aut nihil (über die Toten schweigt man, oder man spricht nur Gutes).Das P roletariat braucht die 'Wahrheit sowohl üb er die lebenden politischenPersönlichkeiten als auch üb er die toten , den n die, die wirklich die B ezeich-nung politische Persönlichkeit verdienen, sterben für die Politik nicht,wenn ihr physischer Tod eintritt . Eine konventionelle Lüge über Murom-zew verbreiten, das heißt, der Sache des Proletariats und der Demokratieschaden, das Bewußtsein der Massen demoralisieren. Die bittere Wahr-heit über die Kadetten und über jene auszusprechen, die sich von den Ka-detten führen (und verführen) ließen, bedeutet, das Qroße in der ersten

russischen Revolution ehren und der zweiten zum Erfolg verhelfen.

„Sozial-Demokrat" SVr. IS, Naäi dem 7ext des16. (29.) November 1910. „Sozial-Vemokrat".TAntersdirift: S\f. Lenin.

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B E G I N N E I N E S U M S C H W U N G S ?

Die vorliegende Nummer war bereits umbrochen, als wir die Peters-

burger und Moskauer Z eitungen vom 12. November erhielten. Wie unzu-reichend auch die Nachrichten der legalen Presse sein mögen, es geht dochaus ihnen unzweifelhaft hervor, daß in einer ganzen Reihe von StädtenZusammenkünfte von Studenten, Kundgebungen und Straßendemonstra-tionen zum Protest gegen die Todesstrafe, mit Reden gegen die Regierungstattgefunden haben. Zu der Petersburger Demonstration am 11. Novem-ber waren selbst nach den Angaben der „Russkije Wedomosti"10 0, die ganzim Sinne der Oktobristen gehalten sind, nidot weniger als 10 000 Personenauf dem Newski-Prospekt erschienen. Wie die gleiche Zeitung mitteilt,

schlössen sich auf der Petersburger Seite „am Volkshaus viele Arbeiter demDemonstrationszug an. An der Tutschkow-Brücke hielt der Demonstra-tionszug an. Ein Polizeiaufgebot vermochte auf keine Weise, den Weiter-marsch aufzuhalten, und die Menge drang mit Gesang und Fahnen in denBolschoi-Prospekt auf der Wassiljew-Insel vor. Erst an der Universitätgelang es der Polizei, die Menge zu zerstreuen."

Polizei und Militär benahmen sich selbstredend wie echt russische Büttel.Wir können zwar diesen unverkennbaren demokratischen Aufschwung

erst in der nächsten N ummer würd igen, müssen aber doch hier schon einige

Worte über die Haltung der verschiedenen Parteien zu der Demonstra-tion sagen. Die „Russkije Wedo mo sti", d ie am 11 . die JaZsdmieldungbrachten, die Demonstration sei abgesagt, teilen am 12. mit, die Sozial-demokraten hätten keinerlei Beschluß gefaßt, ja einzelne sozialdemo-kratische Abgeordnete hätten sich sogar ablehnend geäußert, und ledig-lich die Trudowiki hätten es in der von ihnen angenommenen Resolutionfür unmöglich befunden, die Demonstration zu verhindern. Wir zwei-feln nicht, daß diese, unsere sozialdemokratischen Abgeordneten schmä-

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"Beginn eines TAmsdhwungs? 325

hende Meldung falsch ist; wahrscheinlich haben die „Russkije Wedomosti"

sie sich ebenso böswillig aus den Fingern gesogen wie ihre gestrige Mit-teilung, die Demonstration sei abgesagt. Der „Golos Moskwy" 1 0 1 meldetam 12.: „Mit Ausnahme der Sozialdemokraten lehnen die Abgeordnetenaller Parteien die Straßenaktion der Studentenschaft ab."

Es ist klar, daß die kadettischen u nd die oktobristischen O rgan e gar sehr„von der Wahrheit abweichen", da sie eingeschüchtert sind durch dasabsolut unsinnige, lächerliche Geschrei der Rechten, wonach die „dieDemonstration vorbereitenden Fäden vom Taurischen Palast aus gezogenwer d en " .

Daß sich aber die Kadetten unwürdig benommen haben, ist eine Tat-sache. Die „Retsch" veröffentlichte am 11 ., am Tag e de r D em onstra tion,einen Aufruf der kadettischen Abgeordneten mit der Aufforderung, nichtzu dem onstrie ren. Sow ohl in diesem Aufruf als auch im Leitartikel de r„Retsch" wird eine wahrhaft niederträchtige Motivierung gegeben: mansolle die Trauertage „nicht verdüstern"! „Manifestationen veranstaltenun d sie mit Tolstois Anden ken verbinden " he iße zeigen, „daß es einem anaufrichtiger Pietät für das heilige Andenken fehlt"!! usw. in rein okto-bristischem Geist (man vergleiche den Leitartikel vom 11. im „Golos

Moskwy" mit fast buchstäblich denselben Phrasen).Zum Glück ist es den Kadetten nicht gelungen, der Demokratie nieder-trächtigerweise ein Bein zu stellen. Die Demonstration hat dennoch statt-gefunden. Und wenn die polizeiliche „Rossija" auch weiterhin den Ka-detten an allem die Schuld gibt, ja, es fertigbringt, in deren Aufruf ein„Schüren" zu sehen, so haben, nach den Worten des „Golos Moskwy",in der Duma die Oktobristen wie die extremen Rechten (Schulgin) dasVerdienst der Kadetten gewürdigt und sie als „Gegner der Demonstra-t ion" anerkannt .

Wer nicht aus dem ganzen Verlauf der russischen Revolution gelernthat, daß die Befreiungsbewegung in Rußland eine hoffnungslose Sache ist,solange sie von den Kadetten geführt wird, solange sie es nicht versteht,sich vor den Verrätereien der Kadetten zu sichern, der möge wieder undimmer wieder aus den Tatsachen der heutigen Politik, aus der Geschichteder Demonstrat ion vom 11. Novem ber lernen.

Gleich der erste Beginn des demokratischen Aufschwungs ist ein Beginnkadettischer Gemeinheiten.

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326 TV. 3. Lenin

W ir wollen noch die Meldung des „Golos M oskwy" erwähnen, wonach

Arbeiter den Studenten vorgeschlagen haben, am 14. eine grandiose De-monstration zu veranstalten. Es wird wohl etwas Wahres daran sein, dennheute (am 15. [28.] November) berichten die Pariser Zeitungen, daß inSt. Petersburg 13 Mitglieder des Büros der Gewerkschaftsverbände ver-haftet worden sind wegen des Versuchs, eine Arbeiterkundgebung zuorganisieren.

„Sozial-Demokrat" "Nr. IS , TJadb dem 7ext des16. (29.) Novem ber i9io. „Sozial-Dem okrat".

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L . . N . T O L S T O I

Leo Tolstoi ist tot. Seine Weltbedeutung als Künstler, seine Welt-berühmtheit als Denker und Künder, beides spiegelt auf seine Art dieWeltbedeutung der russischen Revolution wider.

L. N. Tolstoi trat als großer Künstler bereits zur Zeh der Leibeigen-schaft hervor. In einer Reihe von genialen Werken, die er während seinermehr als ein halbes Jahrhundert umfassenden literarischen Tätigkeitschuf, schilderte er vornehmlich das alte, vorrevolutionäre Rußland, dasauch nach 1861 noch in halber Leibeigenschaft verblieb, das Rußland desDorfes, das Rußland des Gutsherrn und des Bauern. Bei der Schilderung

dieser Etappe in Rußlands geschichtlichem Leben wußte L. Tolstoi in sei-nen Werken so viele große Fragen aufzurollen, sich zu solcher künst-lerischen Kraft aufzuschwingen, daß seine Werke in der belletristischenWeltliteratur einen der ersten Plätze einnehmen. Die Epoche, in der sichein von den Fronherren bedrücktes Land auf die Revolution vorbereitete,bedeutete dank Tolstoi, der sie genial beleuchtete, einen Schritt vorwärtsin der künstlerischen Entwicklung der gesamten M enschheit.

Der Künstler Tolstoi ist selbst in Rußland nur etaer verschwindendenMinderheit bekannt. Damit seine großen Werke wirklich zum Gemeingut

aller werden, ist Kampf und noch einmal Kampf gegen eine Gesellschafts-ordnung notwendig, die Millionen und aber Millionen zu Unwissenheit,Unterdrückung, Zwangsarbeit und Elend verurteilt, ist der sozialistischeUmsturz notwendig.

Tolstoi schuf aber nicht nur Kunstwerke, die die Massen immer schätzenund lesen werden, wenn sie erst einmal das Joch der Gutsherren undKapitalisten abgeschüttelt und sich dadurch menschenwürdige Lebens-

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3 2 8 l/V. 3 . L e n i n

bedingungen errungen haben - er verstand es auch, mit eindringlicher

Kraft die Stimmung der vom gegenwärtigen System unterdrückten breitenM assen wiederzugeb en, ihre Lage zu schildern, ihrem elementaren Protestund Unwillen Ausdruck zu verleihen. Tolstoi, der im wesentlichen derEpoche von 1861 bis 1904 angehört, gestaltete in seinen Werken - alsDichter wie als Denker und Künder - mit erstaunlicher Prägnanz dieZüge der historischen Eigenart der gesamten ersten russisdien Revolution,ihre Stärke und ihre Schwäche.

Einer der wichtigsten spezifischen Charakterzüge unserer Revolutionbesteht darin, daß sie eine bürgerliche Bauernrevolution in einer Epoche

sehr hoher Entwicklung des Kapitalismus in der ganzen Welt und ver-hältnismäßig hoher Entwicklung in Rußland selbst war. Es war einebürgerliche Revolution, denn ihre unmittelbare Aufgabe war der Sturzder zaristischen Selbstherrschaft - der Zarenmonarchie - und die Zer-störung des gutsherrlichen Grundbesitzes, nicht aber die Beseitigung derHerrschaft der Bourgeoisie. Dieser letztgenannten Aufgabe war sich ins-besondere die Bauernschaft nicht bewußt, die sich über den Unterschiedzwischen dieser Aufgabe und den näherliegenden und unmittelbarenAufgaben des Kampfes nicht im klaren war. Es war zugleich eine bürger-liche Batternrevolution, denn die objektiven Bedingungen machten dieÄnderung der fundamentalen Lebensbedingungen der Bauernschaft, dieZerschlagung des überlieferten mittelalterlichen Grundbesitzes, die „Säu-berung des Bodens" für den Kapitalismus zur erstrangigen Frage, unddie objektiven Bedingungen riefen die Bauernmassen zu einer mehr oderweniger selbständigen historischen Aktion auf den Plan.

In Tolstois Werken kommt die Stärke wie die Schwäche, die Kraftwie die Beschränktheit eben dieser bäuerlichen Massenbewegung zumAusdruck. Sein glühender, leidenschaftlicher, nicht selten schonungslosscharfer Protest gegen den Staat und die polizeilich-staatliche Kirche über-

mittelt die Stimmung der primitiven Bauerndemokratie, in der die Jahr-hunderte der Leibeigenschaft, bürokratischer Willkür und Räuberei, deskirchlichen Jesuitismus, des Betrugs und Gaunertums Berge von Erbitte-rung und Haß aufgetürmt hatten. Seine unbeirrbare Ablehnung des priva-ten Grundeigentums übermittelt die Denkart der Bauernmassen in einemhistorischen Augenblick, wo der überlieferte mittelalterliche Bodenbesitz,der der Gutsherren ebenso wie der Besitz, der auf dem staatlich regu-

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£.. 5V. 7o\stoi

lierten „AnteÜland"system beruht, endgültig zu einem unerträglichenHemmschuh für die Weiterentwicklung des Landes geworden ist und wodieser alte Grundbesitz unausweichlich aufs jäheste und rücksichtslosestezerstört werden mußte. Seine unentwegte, von tiefem Gefühl und lodern-der Empörung erfüllte Entlarvung des Kapitalismus übermittelt das ganzeEntsetzen des patriarchalischen Bauern, auf den ein neuer, unsichtbarer,unbegreiflicher Feind einzudringen begonnen hat, der irgendwoher ausder Stadt oder irgendwoher aus dem Ausland kommt, der alle „Säulen"des Dorflebens zerstört, der beispiellosen Ruin, Armut, Hungertod, Ver-wilderung, Prostitution und Syphilis mitbringt - alle Heimsuchungen der„Epoche der ursprünglichen Akkumulation", hundertfach verschärft durch

die Verpflanzung der allerneuesten, von Herrn Coupon 10 2 ausgearbeitetenRaubmethoden auf russischen Boden.

Zugleich damit aber offenbarte der feurig protestierende, der leiden-schaftliche Ankläger, der große Kritiker in seinen Werken eine solcheVerständnislosigkeit für die Ursachen der Krise und die Möglichkeiteneines Auswegs aus der Krise, die über Rußland hereinbrach, wie sie nurein patriarchalischer, naiver Bauer haben kann, nicht aber ein europäischgebildeter Schriftsteller. Der Kampf gegen den Staat der Fronherren undder Polizei, gegen die Monarchie, wurd e bei ihm zur N egation der Politik,

zur Lehre vom „Verzicht auf Widerstand gegen das Böse" und führte ihndazu, sich in den Jahren 1905-1907 vom revolutionären Kampf der Mas-sen völlig abseits zu halten. Der Kampf gegen die Staatskirche ging Handin Hand mit der Predigt einer neuen, geläuterten Religion, das heißt einesneuen, geläuterten, verfeinerten Giftes für die unterdrückten Massen. DieAblehnung des privaten Grundeigentums führte nicht dazu, den ganzenKampf zu konzentrieren gegen den wirklichen Feind, gegen den guts-herrlichen Grundbesitz und dessen politisches Machtinstrument, d. h. dieMonarchie, sondern zu verträumtem, verschwommenem, ohnmächtigem

Wehklagen. Die Anklage gegen den Kapitalismus und die Leiden, mitdenen dieser die Massen heimsucht, stand neben einer völlig apathischenEinstellung zu dem we ltum span nend en Befreiungskampf, de n das inter-nationale sozialistische Proletariat führt.

Die Widersprüche in Tolstois Anschauungen sind nicht Widersprücheseines persönlichen Denkens allein, sondern eine Widerspiegelung der inhöchstem Maße komplizierten, widerspruchsvollen Verhältnisse, sozialen

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Einflüsse und historischen Traditionen, die maßgebend waren für die

Denkart der verschiedenen Klassen und verschiedenen Schichten der rus-sischen Gesellschaft in der Periode nadb der Reform, aber vo r der Revo-lution.

Und deshalb ist eine richtige Würdigung Tolstois nur vom Standpunktder Klasse aus möglich, die durch ihre politische Rolle und ihren Kampfwährend des ersten Versuchs diese Widersprüche zu lösen, während derRevolution, ihre Berufung bewiesen hat, Führerin zu sein im Kampf fürdie Freiheit des Volkes und für die Befreiung der Massen von der Aus-beutung, die bewiesen hat, daß sie der Sache der Demokratie rückhaltlos

ergeben und befähigt ist, gegen die Beschränktheit und Inkonsequenz derbürgerlichen (auch der bäuerlichen) Demokratie zu kämpfen - sie ist nurmöglich vom Standpunkt des sozialdemokratischen Proletariats.

Man sehe, wie die Regierungszeitungen Tolstoi würdigen. Sie ver-gießen Krokodilstränen, um ihre Hochachtung vor dem „großen Schrift-steller" zu beteuern und gleichzeitig den „Heiligen" Synod zu verteidigen.Die frommen Kirchenväter aber haben sich eben erst eine ganz besondersgemeine Infamie geleistet, als sie ihre Pfaffen zu dem Sterbenden schick-ten, um das Volk übertölpeln und sagen zu könne n, Tolstoi hab e „be reut".Der Heilige Synod hatte Tolstoi aus der Kirche ausgestoßen. Um sobesser. Diese Tat soll ihm angerechnet werden in der Stunde der Ab-rechnung des Volkes mit den Beamten in Kutten, den G endarm en inChristo, den finsteren Inquisitoren, die die Judenpogrome und die an-deren Schandtaten der zaristischen Schwarzhunderterbande unterstützthaben.

Man sehe, wie die liberalen Zeitungen Tolstoi würdigen. Sie tun dieSache ab mit hoh len, schablone nhaft-liberalen, abgedrosch en-gelehrtenPhrasen von de r „Stimm e der zivilisierten Mensch heit", vom „einmütigenEcho der Welt", von den „Ideen der Wahrheit, des Guten" usw., derent-wege n Tolstoi die bürgerliche W issenschaft so geg eiße lt-un d mit Recht ge-geißelt - hat. Sie können sich nidbt klipp und klar darüber äußern, wie sieTolstois Anschauungen über den Staat, die Kirche, das private Grund-eigentum und den Kapitalismus beurteilen — nicht etwa weil die Zensur siedaran hinderte, im Gegenteil, die Zensur hilft ihnen aus der Patsche! -,sondern weil jeder Satz in Tolstois Kritik eine Ohrfeige für den bürger-lichen Liberalismus ist, weil allein schon die unerschrockene, offene und

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£. W. Jolstoi 331

unbarmherzig scharfe Art, wie Tolstoi die heikelsten, verwünschtesten

Fragen unserer Zeit aufrollte, den schablonenhaften Phrasen, den abge-droschenen Ausflüchten, der ausweichenden, „zivilisierten" Verlogenheitunserer liberalen (und liberal-volkstümlerischen) Publizistik ins Qesidhtsdhlägt. Die Liberalen sind Feuer und Flamme für Tolstoi, Feuer undFlamme gegen den Synod — und gleichzeitig sind sie f ü r . . . die „Wechi"-Leute, mit denen man zwar „streiten kann", mit denen man sich aber dochin einer Partei einleben „m uß" , mit denen man in der Literatur und in derPolitik zusammenarbeiten „muß". Die „Wechi"-Leute aber schließt derMetropolit Antonius von Wolhynien in seine Umarmung ein.

Die Liberalen rücken in den Vordergrund, Tolstoi sei das „große Ge-wissen". Ist das etwa keine hohle Phrase, wie sie das „Nowoje Wremja"und alle seine Geistesverwandten in tausendfältiger Variation wieder-holen? Heißt das etwa nicht, die konkreten Fragen der Demokratie unddes Sozialismus, die Tolstoi aufgerollt hat, umgehen? Heißt das nicht,gerade das in den Vordergrund rücken, was Tolstois Vorurteil und nichtsein Urteil zum Ausdruck bringt, was an ihm der Vergangenheit undnicht der Zukunft angehört, was zu seiner ablehnenden Haltung gegenüberder Politik und zu seiner Predigt für moralische Selbstvervollkommnunggehört, nicht aber zu seinem stürmischen Protest gegen jedwede Klassen-herrschaft?

Tolstoi ist tot, und auch das vorrevolutionäre Rußland ist dahin-gegangen, dessen Schwäche und Ohnmacht der geniale Künstler in seinerPhilosophie widerspiegelt und in seinen Werken nachgezeichnet hat.Aber sein Erbe enthält etwas, was nicht dahingegangen ist, was der Zu-kunft gehört. Dieses Erbe übernimmt das russische Proletariat, an diesemErbe arbeitet es. Es wird den werktätigen und ausgebeuteten Massen dieBedeutung der Tolstoischen Kritik an Staat, Kirche und privatem Grund-eigentum auseinandersetzen — nicht damit die Massen sich beschränken

auf Selbstvervollkommnung und Seufzen nach einem gottgefälligen Leben,sondern damit sie sich erheben, um einen neuen Schlag zu führen gegendie Zarenmonarchie und den gutsherrlichen Grundbesitz, die beide imJahre 1905 nur leicht angeschlagen worden sind, aber vernichtet werdenmüssen. Es wird den Massen die von Tolstoi am Kapitalismus geübteKritik erläutern - nicht damit die Massen sich beschränken sollen aufVerwünschungen gegen das Kapital und die Macht des Geldes, sondern

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332 W . 1. Lenin

damit sie lernen, bei jedem Schritt ihres Lebens und Kampfes sich auf

die technischen und sozialen Errungenschaften des Kapitalismus zu stüt-zen, damit sie lernen, sich zu einer einheitlichen Millionenarmee sozia-listischer Kämpfer zusammenzuschließen, die den Kapitalismus stürzenund eine neue Gesellschaft ohne Volkselend und ohne Ausbeutung desMenschen durch den Menschen begründen werden.

„Sozial-Demokrat" 9Vr. 18, Tiadb dem Text des16. (29.) November 1910. .Sozidl-Demokrat".

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A N D I E G E N O S S E N H Ö R E R

D E R S C H U L E I N B O L O G N A 1 0 3

Werte Genossen!

Auf Ihren Vorschlag, in Bologna Lektionen zu halten, kann ich nicht ein-gehen: erstens aus prinzipiellen Gründen und zweitens, weil es mir nichtmöglich ist, nach Bologna zu fahren.

Sowohl die Tendenz als auch die Arbeitsmethoden der Gruppe, die dieSchule auf Capri und in Bologna eingerichtet hat, halte ich für partei-schädigend und für unsozialdemokratisch.

Die „Plattform", die die Organisatoren der Schule auf Capri und einTeil (wenngleich der kleinere Teil) ihrer Schüler herausgegeben haben,besteht in der Verfechtung der Abweichungen vom Marxismus sowohl inder Philosophie als auch in der Politik und in der Bestimmung der tak-tischen Aufgaben unserer Partei. Außerdem widerspricht die Einrichtungder Schule in Bologna sowohl dieser „Plattform" als auch den Erforder-nissen des Parteiprinzips, denn die Organisatoren wirken spalterisch,indem sie nicht nur die vom Plenum des ZK im Januar 1910 eingesetzteSchulkommission nicht unterstützen (weder mit Geldern, die bei ihnenvorhanden sind, noch durch ihre persönliche Arbeit), sondern auch alleVorhaben dieser Kommission direkt zunichte machen.

Es ist daher verständlich, daß ich an den Unternehmen dieser partei-feindlichen und mit dem Sozialdemokratismus brechenden Gruppe keiner-lei Anteil nehmen kann.

Aber es versteht sich, daß ich sehr gern bereit bin, den "Hörern derSchule in Bologna, unabhängig von ihren Anschauungen und Sympa-thien, einige Lektionen zur Frage der Taktik wie auch über die Lage inder Partei und zur Agrarfrage zu halten. Dazu gestatte ich mir, die

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Genossen Hörer einzuladen, auf dem Rückweg nach Paris zu kommen,

wo es möglich wäre, eine ganze Reihe von Lektionen zu organisieren. DasGeld für die Reise kann auf folgende Weise beschafft werden: 1. dieOrganisatoren der Schule auf Capri haben von den Bolschewiki 500Francs geliehen. Jetzt haben sie Geld und werden wahrscheinlich dieSchulden an die Partei, d. h. an das Auslandsbüro des ZK, zurückzahlen.Ich meinerseits bin bereit, die Bewilligung dieses Geldes für die Fahrt vonBologna nach Paris durchzusetzen, und glaube, daß der von uns in dasAuslandsbüro des ZK delegierte Bolschewik dies voll und ganz unter-stützen wird. 2. Wenn 500 Francs nicht ausreichen (ich weiß nicht, wieviel

Hörer in Bologna sind und wie viele fahren könnten), so stehen noch1500 Francs zur Verfügung, die das ZK-Plenum der Schulkommission,mit der die Organisatoren der Schule in Bologna die Beziehungen abge-brochen haben, bewilligt hat. Ich glaube, daß man die Bewilligung dieserSumme für einen Lektionszyklus in Paris für die Hörer, die aus Bolognakommen möchten, erreichen könnte.

Paris ist gro ß genug, um sich hier völlig konspirativ einzurichten (es gibtStadtviertel, wo überhaupt keine Russen sind), und außerdem kann manin der Um gebung von Par is unterkomm en.

Ich schließe mit dem Ausdruck des Dankes an die Hörer der Schule inBologna für ihre kameradschaftliche Einladung und hoffe, daß meinVorschlag über die Reise nach Paris angenommen wird.

Mit kameradschaftlichem Gruß W. Lenin

Qesdhrieben am 20. TJovember(3 . 'Dezember') 1910.

Zuerst veröftentUdbt 1911 im "Naöj einer vo n "N. K. Xrupskaja„Beridbt der zweiten sozial- geschriebenen Kopie.

demokratischen Arbeiterhodhsdoulefü r Propaganda und Agitation"."Herausgegeben von der Qruppe.Wperjod".

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L . N . T O L S T O IU N D D I E M O D E R N E A R B E I T E R B E W E G U N G 1 0 4

In fast allen großen Städten Rußlands hat die Nachricht vom Tod L. N .Tolstois bei den russischen Arbeitern bereits ein Echo hervorgerufen. Siehaben so oder so ihre Einstellung zu dem Schriftsteller zum Ausdruck ge-

bracht, zu dem Schöpfer hervorragender Kunstwerke, die ihn in die Reiheder großen Schriftsteller der ganzen Welt stellen - ihre Einstellung zueinem Denker, der mit großer Kraft, Überzeugung und Aufrichtigkeit eineganze Reihe von Fragen aufgerollt hat, die die Grundzüge der modernenpolitischen und sozialen Verfassung betreffen. Diese Einstellung hat imgroßen und ganzen in einem Telegramm der Arbeiterabgeordneten derIII. Duma, das auch in der Presse veröffentlicht wurde, ihren Niederschlaggefunden.105

Leo Tolstoi begann seine literarische Tätigkeit unter der Leibeigen-

schaft, zu einer Zeit freilich, da diese bereits unverkennbar ihre letztenTage durchlebte. Tolstois H aupttätigkeit fällt in die Periode der russischenGeschichte, die durch zwei Wendepunkte, die Jahre 1861 und 1905, be-grenzt wird. Während dieser Periode durchdrangen Spuren der Leib-eigenschaft, ihre direkten Überbleibsel von oben bis unten das gesamteWirtschaftsleben (besonders im Dorf) und das gesamte politische Lebendes Landes. Gleichzeitig aber war gerade diese Periode eine Periode ver-stärkter Entwicklung des Kapitalismus von unten und seiner Einbürgerungvon oben.

Worin zeigten sich die Überbleibsel der Leibeigenschaft? Vor allemund am klarsten darin, daß in Rußland, einem vorwiegend ackerbautrei-benden Land, der Ackerbau während dieser Zeit in den Händen ruinier-ter, verelendeter Bauern lag, die auf den alten, im Jahre 1861 zugunstender Gutsbesitzer beschnittenen Bodenanteilen aus der Zeit der Leibeigen-schaft ihre veraltete, primitive Wirtschaft betrieben. Anderseits aber lagder Ackerbau in den Händen von Gutsbesitzern, die in Zentralrußlandden Boden durch Bauernhände, mit dem primitiven Bauernpflug, mit dem

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336 IV . 1. Lenin

Bauernpferd bearbeiten ließen - als Entgelt für die „abgetrennten Boden-

stücke", für die Nutzung von Wiesen, Tränken usw. Es handelte sich imGrunde genommen um die alte Leibeigenenwirtschaft. Rußlands politischeOrdnung war während dieser Zeit gleichfalls durch und durch vom Geisteder Leibeigenschaft durchdrungen. Man ersieht dies sowohl aus demStaatsaufbau vor den ersten Ansätzen zu seiner Veränderung im Jahre1905 als auch aus dem vorherrschenden Einfluß der adligen Grundbesitzerauf die Staatsangelegenheiten wie auch aus der Allmacht der Beamten, die- besonders die höheren Beamten - in der Hauptsache gleichfalls aus derMitte der adligen Grundbesitzer stammten.

Nach 1861 begann dieses alte patriarchalische Rußland unter dem Ein-fluß des Weltkapitalismus rasch der Zerstörung anheimzufallen. DieBauern hungerten, starben dahin, wurden ruiniert wie nie zuvor, sieflüchteten in die Städte un d überließ en ihre n Boden seinem Schicksal. Da nkder „billigen Arbeit" der ruinierten Bauern wurden verstärkt Eisenbahnen,Fabriken und Werke gebaut. In Rußland entwickelten sich das großeFinanzkapital, der Großhandel und die Großindustrie.

Eben diese rasche, harte, jähe Zerstörung aller alten „Säulen" des altenRußlands war es, was in den Werken des Künstlers Tolstoi und in den

Anschauungen des Denkers Tolstoi seine Widerspiegelung fand.Tolstoi war ein vorzüglicher Kenner des dörflichen Rußlands, des Guts-

besitzer- und des Bauernlebens. Er gab in seinen künstlerischen WerkenAbbilder dieses Lebens, die zu den besten Schöpfungen der Weltliteraturgehören. Die jähe Zerstörung aller „alten Säulen" des dörflichen Ruß-lands schärfte seine Aufmerksamkeit, vertiefte sein Interesse für alles,was sich rings um ihn her abspielte, führte zu einer Wende in seiner ge-samten Weltanschauung. Seiner Geburt und Erziehung nach zum höchstenGrundherrenadel Rußlands gehörend, brach Tolstoi mit allen gewohnten

Ansichten dieses Milieus und fiel in seinen letzten Werken mit leiden-schaftlicher Kritik über alle heutigen staatlichen, kirchlichen, gesellschaft-lichen und wirtschaftlichen Zustände her, die auf der Unterjochung derMassen, auf ihrem Elend, auf dem Ruin der Bauern und überhaupt derKleinbesitzer, auf Gewalt und Heuchelei beruhen, die das ganze heutigeLeben von oben bis unten durchtränken.

Tolstois Kritik brachte nichts Neues. Er hat nichts gesagt, was nichtlange vor ihm Sowohl in der europäischen als auch in der russischen Lite-

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£. 3V. Tolstoi und die moderne Arbeiterbewegung 337

ratur von Persönlichkeiten, die auf der Seite der Werktätigen standen,

gesagt worden wäre. Die Eigenart der Tolstoischen Kritik und ihre histo-rische Bedeutung bestehen jedoch darin, daß sie mit einer Kraft, wie nurgeniale Künstler sie besitzen, den Umschwung in den Anschauungen derbreitesten Volksmassen des Rußlands der erwähnten Periode — namentlichdes dörflichen, bäuerlichen Rußlands - zum Ausdruck bringen. Unterschei-det sich doch die Kritik, die Tolstoi an den heutigen Zuständen übt, vonder Kritik, die die Vertreter der modernen Arbeiterbewegung an diesenZuständen üben, gerade dadurch, daß Tolstoi auf dem Standpunkt despatriarchalischen, naiven Bauern steht, daß Tolstoi dessen Denkart in

seine Kritik, in seine Lehre hineinnimmt. Tolstois Kritik zeichnet sichdurch eine solche Kraft des Gefühls aus, durch solche Leidenschaftlichkeit,Üb erzeu gun gskra ft, Frische, Aufrichtigkeit, Furchtlosigkeit in dem Stre-ben, „bis zum K ern vorzudring en", in dem Streben, die wa hre Ursache fürdie Not der Massen zu finden, weil diese Kritik wirklich den Umschwungin den Ansichten von Millionen Bauern widerspiegelt, die eben erst aus derLeibeigenschaft zur Freiheit gelangt sind und erkannt haben, daß dieseFreiheit neue Schrecken des Ruins, des Hungertods, des obdachlosenLebens unter „gerissenen" Städtern usw. bedeutet. Tolstoi gibt ihre Stim-mun g so getreu wieder, daß er ihre Naivität, ihre Fremdheit gegenüber de rPolitik, ihren Mystizismus, den Wunsch, der Welt den Rücken zu kehren,den „Verzicht auf Widerstand gegen das Böse", ihre ohnmächtigen Flüchegegen den Kapitalismus und gegen die „Macht des Geldes" selbst in seineLehre hineinnimmt. Der Protest von Millionen Bauern und ihre Ver-zweiflung - das ist in Tolstois Lehre zusammengeflossen.

Die V ertreter der mod ernen Arbeiterbewegung sind der Ansicht, daß siegegen manches zu protestieren haben, aber an nichts zu verzweifelnbrauchen. Die Verzweiflung ist denjenigen Klassen eigentümlich, die zu-grunde gehen, die Klasse der Lohnarbeiter aber wächst unausbleiblich,sie entwickelt sich und erstarkt in jeder kapitalistischen Gesellschaft, auchRußland nicht ausgenommen. Die Verzweiflung ist denjenigen eigentüm-lich, die die Ursachen des Übels nicht begreifen, die keinen Ausweg sehen,die kampfunfähig sind. Das moderne Industrieproletariat gehört nicht zudiesen Klassen.

„TJasdi Tut" 5Vr. 7, 2S. November i9lO. TJadh dem Text desUnterschrift: l/V. 3-in. ,Nasch?ut".

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O F F E N E R B R I E F

A N A L LE P A R T E I T R E U E N

S O Z I A L D E M O K R A T E N

Auf dem Januarplenum des ZK 1910 haben wir als Vertreter der bol-schewistischen Fraktion unsere Fraktion aufgelöst und die ihr gehörendenGelder und anderes Vermögen an drei bekannte Funktionäre der inter-nationalen Sozialdemokratie übergeben. Diese Übergabe wie auch dieAuflösung der Fraktion waren unter Vorbehält gemachte Schritte. Zuwelchen Bedingungen wir diese Schritte unternommen haben, ist aus un-serer Erklärung auf diesem Plenum bekannt, einer Erklärung, die vomPlenum angenommen und in der ersten nach dem Plenum erschienenen

Nummer (Nr. 11) des Zentralorgans veröffentlicht wurde.Um es kurz zu sagen, diese Bedingungen liefen darauf hinaus, da ß dieanderen Fraktionen (und in erster Linie die Fraktion der „Qolos"-Leute,d. h. der Menschewiki, die den „ Qohs Sozial-Demokrata" herausgebenund unterstützen) ihre Verpflichtung loyal, d. h. ehrlich und bis zu Endeerfüllen, nämlich 1. gegen das Liquidatorentum und den Otsowismus, diein der einstimmig angenommenen Resolution des Plenums als Ausdruckdes bürgerlichen Einflusses auf das Proletariat eingeschätzt wurden, kämp-fen und 2. ihre Fraktionen auflösen.

Heute, nach einjähriger Erfahrung und einjährigem Abwarten, habenwir uns völlig und endgültig davon überzeugt, d aß weder die eine nodh dieandere Bedingung erfüllt worden ist, weder von den „Golos"-Leuten nochvon den „Wperjod" -Leuten.

Das Ergebnis dieser Überzeugung war unserseits erstens die Heraus-gabe der „Rabotsdoaja §aseta" und ist zweitens der Antrag auf Rückgabedes Geldes und Vermögens, ein Antrag, den wir dieser Tage, am 5. De-zember 1910, beim ZK eingereicht haben.

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Offener Brief an alle parteitreuen Sozialdemokraten 339

Nach Einreichung dieses Antrags liegen die Dinge der Form und dem

Wesen nach folgendermaßen. Wir haben unter Vorbehält alles Vermögenund all unsere Kräfte gegeben für die Unterstützung der antiliquidatori-schen und antiotsowistischen Arbeit zur Wiederherstellung der Partei undihrer völligen Einheit. De r Verstoß der „Golos"- und „Wperjod"-Leutegegen die von ihnen akzeptierten Bedingungen macht unser Übereinkom-men hinfällig. Wir heben das von den Liquidatoren und Otsowisten hin-fällig gemachte Übereinkommen auf und w erden nach wie vor an der Wie-derherstellung der Partei und ihrer vollen Einheit, an der Durchführungder antiliquidatorischen und antiotsowistischen Linie arbeiten, aber diese

Arbeit müssen wirnicht mit den

Verbündeten durchführen, denen aufdem Plenum (im Vertrauen auf ihre Versprechungen) die Mitarbeit in denParteizentren gestattet wurde. Da nach allgemeinem Eingeständnis undlaut mehrfachen Erklärungen der Delegierten der nationalen Organisatio-nen auf dem Plenum und auf anderen Parteiversammlungen, Konferenzenusw. gerade unsere, die bolschewistische Fraktion immer als diejenige be-trachtet wurde, die für die Lage in der Partei am m eisten verantwortlichist, halten wir es für unsere Pflicht, offen unsere Ansichten über die Lagein der Partei und über die Bedeutung der von uns unternommenen Schrittedarzulegen.

Das Januarplenum 1910 hat in der Geschichte unserer Partei eine sehrgroße Bedeutung. Es hat die taktische Linie der Partei für die Periode derKonterrevolution endgültig festgelegt, indem es in Weiterentwicklung derDezemberresolutionen von 1908 festgestellt hat, daß sowohl das Liquida-torentum als auch der Otsowismus Ausdruck des Einflusses der Bourgeoi-sie auf das Proletariat sind. Des weiteren brachte das Plenum die Frageder Liquidierung der Fraktionen in unserer Partei — d. h. die Notwendig-keit der Herstellung einer wirklichen Einheit der sozialdemokratischen

Arbeiterpartei - mit der Festlegung der politisch-ideologischen Aufgabender Partei in der gegenwärtigen historischen Periode in Zusammenhang.

Diesen zwei Dingen, die im Januar 1910 vom Plenum festgelegt wur-den, kommt unserer Überzeugung nach eine historische Bedeutung zu, undihre Ergebnisse sind viel bedeutender, viel mehr im Leben verwurzelt undviel beständiger, als es einem oberflächlichen Betrachter scheint.

Aber diese Ergebnisse sind außerordentlich verschlechtert worden durch

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340 IV. l Lenin

die Phrasen, die in diesem Zusammenhang gemacht worden sind. Es gibt

nichts, was d em Geist de r Soz ialdem okratie f eindlicher un d was schädlicherwäre als Phrasen. Und die „versöhnlerischen" Phrasen sind nicht wenigerschädlich und verwirren die Menschen nicht minder als die otsowistischenund liquidatorischen Phrasen. Diese „versöhnlerischen" Phrasen verklei-stern das Wesen der Sache, setzen Schwärmereien und fromme Wünschean die Stelle der Berücksichtigung der realen Tendenzen und des realenKräfteverhältnisses in der Partei, schaden durch Versuche, Vereinigung

zu spielen mit denen, die sich jetzt nicht vereinigen wollen und jetzt nichtvereinigen können, der Annäherung jener, die sich einander annähern

können und müssen.Im Verlauf des seit dem Januarplenum verflossenen Jahres haben sich

diese Phrasen erschöpft und zeigen ihre Früchte. Wenn die Partei jetztlernt, an fiand der bitteren Erfahrungen der Helden der „versöhnleri-schen" Phrasen lernt, wie man die Sache der „Ve rsöhnu ng" un d der Liqui-dierung der Fraktionen nidbt anfassen darf, so wird das seit dem Plenumvergangene Jahr nicht umsonst vorübergegangen sein.

D ie Phrasen liefen darauf hinaus, daß es genüge, „Versprechungen"über die Liquidierung der Fraktionen zu sammeln, daß es genüge, die

zentralen Institutionen aus den verschiedenartigsten Elementen zusam-menzuzimmern, daß es genüge, die widersprüchlichen Elemente „insGleichgewicht zu bring en", un d es werd e dam it ein ernsthafter Schritt z urLiquidierung der Fraktionen getan.

Die einjährige Erfahrung hat gezeigt und mußte zeigen, daß die Me-thode der Anhän ger der Phrasen ein völliges Fiasko erlitten hat. Auf „Ver-sprechungen" kann man nichts aufbauen, und auf der Vereinigungverschiedenartiger und miteinander nidit zu vereinbarender Elementeetwas zu gründen, ist lächerlich. Alles, was in den Beschlüssen und Maß-

nahmen des Plenums auf Phrasen aufgebaut war, all das erwies sidi amanderen Tage bereits als Seifenblase. Die Beschlüsse wie die Resolutionenund die künstlich zusammengezimmerten Institutionen erwiesen sich in

der Tat als tote Buchstaben, als leblose Institutionen. Aber das, was in derArbeit des Plenums real war, das entwickelte sich, festigte sich und be-währte sich in der Arbeit, nahm neue Existenzformen außerhalb und un-

abhängig von den Resolutionen an.

Es ist schwer, sidi irgendeine ansdiaulidiere und aufsdilußreidiere

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Offener 'Brief an alle parteitreuen Sozialdemokraten 341

Lehre vorzustellen als die Lehre der in dem Jahr seit dem Plenum vor

sich gegangenen Ereignisse, eine Lehre, die den Leuten erteilt wurde, dieHang zu Phrasen, zu leeren Wunschträumen, zu dem Spiel mit der Ver-teilung von Pöstchen in Institutionen usw. haben.

Was war denn real an der Arbeit des Plenums? Real war, daß der Zu-sammenhang zwischen dem politisch-ideologischen Inhalt der Parteiarbeitund der Liquidierung der Fraktionen aufgezeigt wurde. Real war die An-näherung derjenigen Fraktionen und Strömungen, die nicht in billigen ver-söhnlerischen Phrasen, nicht in Beteuerungen und Versprechungen, nichtim Spiel mit der Verteilung von Pöstchen in den Parteizentren, sondern die

in der Arbeit übereinstimm ten, die übereinstimm ten in der Auffas-sung von den gegenwärtigen politisch-ideologischen Aufgaben, die inder 7at in der Festlegung und in der Lösung dieser Aufgaben überein-stimmten.

Solange über die Liquidierung der Fraktionen solche Leute in schön-klingenden und billigen Phrasen sprachen, die weder die objektive Quelleder Meinungsverschiedenheiten begriffen noch die tatsädhUdbe Lage ver-standen, die in Wirklichkeit bestimmten Gruppen von Publizisten (wieder Gruppe des Herrn Potressow und Co. oder der Gruppe der machisti-

schen und otsowistischen Publizisten) Unabhängigkeit von der Partei ga-rantierten , solange blieben ihre Wor te leere, kraftlose Phrasen. Aber seit-dem in den zwei grundlegenden und hauptsächlichen Fraktionen, die dergesamten Geschichte der Arbeiterbewegung in der Zeit der Revolutionund sogar mehr noch, der gesamten Geschichte der Revolution in Rußland,ihr Gepräge gegeben haben, infolge der Veränderungen der objektivenBedingungen eine Annäherung in der Arbeit, eine Annäherung in der'Auffassung über diese objektiven Bedingungen begonnen hat heranzu-reifen, können keine Anstrengungen von Intriganten, die diese Annähe-rung verhindern wollen oder Mißtrauen gegen diese Annäherung säenmöchten, den begonnenen Prozeß aufhalten.

Die wirkliche Lage in der Partei, die nach dem Plenum entstanden ist,wurde im verflossenen Jahr mit aller Deutlichkeit klar. Es ist eine Tat-sache, daß die „Golos"- und „Wperjod"-Leute die Resolutionen über denKampf gegen das Liquidatorentum und den Otsowismus untersdbriebenhaben, in der Praxis jedoch ihre gesamte Propaganda und Agitation, ihre

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342 TV. J. Lenin

gesamte praktische Arbeit eben im Sinne der Unterstützung und Verteidi-

gung des Liquidatorentums und des Otsowismus nach wie vor durchführen.Diese Tatsache zeigt denen, die Augen haben zu sehen, wie haltlos einePolitik ist, die sich mit papiemen Resolutionen zufriedengibt, wie schäd-lich die Phrasen sind, die mit der Ta t nicht übereinstimmen.

Weiter. Es ist eine Tatsache, daß weder die „Golos"- noch die „Wpe-rjod"-Leute auch nur für eine Minute ihre fraktionelle Selbständigkeit auf-gegeben haben. Beide Fraktionen bestehen nach wie vor in völliger tat-sächlicher Unabhängigkeit von der Partei, haben ihre Kassen, ihre Organe,ihre Agenturen. Bei den Otsowisten besteht die Form ihrer fraktionellen

Organisation in der sogenannten Auslands „schule" (in Wirklichkeit istdies eine Institution zur systematischen Bildung einer Agentur und zurplanmäßigen Führung von organisatorischer Arbeit ohne die Partei undgegen die Partei). Die „Schule" wird durch einen speziellen Verlag undeine spezielle Versandorganisation ergänzt. Bei den „Golos"-Leuten ist diefraktionelle Organisation mehr lose* („freier", weniger organisiert), wo-bei die von der Partei absolut unabhängigen Gruppen, die des Herrn Po-tressow und Co., die Gruppe der Sechzehn, die Gruppe M ichails, Romans,Juris und Co., die Hauptrolle spielen. Die „Golos"-Leute sind in diesen

Gruppen äußerst aktiv tätig; sie führen die gesamte propagandistisch-agi-tatorische und organisatorische Arbeit gegen die Partei, wobei sie nicht aufSitze in den Parteizentren verzichten, um deren Bedeutung systematischherabzusetzen und sie von innen heraus zu zersetzen.

Jeder parteitreue Sozialdemokrat muß sehen, wohin eine derartigeLage führt.

Auf dem Gebiet der Publizistik hat die einjährige Erfahrung gezeigt,daß das ZO in W irklichkeit von den Bdschewiki plus Plechanow-Leutengegen die in der Redaktion sitzenden „Golos"-Leute geleitet wird. Das

Leben hat die durch die versöhnlerischen Phrasen geschaffenen Rahmenunbeachtet gelassen: die „Versöhnler" den Versprechungen nach, die„Versöhnler" der Funktion nach, die „Versöhnler" im Auftrag der liqui-datorischen Zentren haben sich als ein einziges Hemmnis für die Arbeiterwiesen. Plechanow dagegen und seine Gesinnungsgenossen, die auf demPlenum keinerlei Versprechungen abgaben, keinerlei Funktionen annah-men, erwiesen sich in Wirklichkeit als Vertreter der Parteilinie.

* „lose" bei Lenin deutsch. Der Tibers.

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Offener "Brief an alle parteitreuen Sozialdemokraten 343

Der schreiende "Widerspruch zwischen der Form und dem W esen, zwi-

schen dem Wort und der Tat, zwischen dem offensichtlich heuchlerischenBestehen eines angeblichen Parteikollegiums (Redaktion des ZO) und dertatsächlichen Arbeit im ZO ohne dieses Kollegium trägt in das Parteilebengrößte Zersetzung hinein. Um mit dieser Zersetzung, mit dieser Herab-würdigung von Institutionen, die formal Parteiinstitutionen sind, auf eineRolle, die berechtigten Spott und Frohlocken bei den Feinden der Parteihervorruft, Schluß zu machen, muß mit der Heuchelei gebrochen undoffen gesagt werden, wie die Dinge liegen, muß offen eingestanden wer-den, daß die Parteiarbeit von zwei Fraktionen geführt wird.

Auf dem Gebiet der Vereinigung im Ausland ist in diesem einen Jahrabsolut nichts getan worden. Die Gruppen bleiben weiterhin überall ge-spalten, wo sie bereits früher gespalten w aren. Die G ruppen der mensche-wistischen Liquidatoren haben sich offen in Gruppen zur Unterstützungdes „Cjolos" verwandelt. Eine Annäherung war ausschließlich zwischenden Bolschewiki und den Plechanowleuten zu verzeichnen und hat in derTat ihren Anfang genommen. Das Auslandsbüro des Zentralkomitees alsKoordinator der Auslandsarbeit der Sozialdemokraten hat sich in eineZielscheibe des Spottes verwandelt, über das sich die „Wperjod"- wie die„Golos"-Leute zu Recht lustig machen, die mit Befriedigung beobachten,wie das Parteizentrum die Rolle eines Kollegiums für Spitzelangelegen-heiten und einer bürokratischen Kanzlei spielt, die niemand braucht.

Auf dem allerwichtigsten Gebiet, nämlich in der organisatorischen Ar-beit an Ort und Stelle in Rußland, wurde in diesem Jahr absolut nichtszum Nutzen der Partei getan. Das ZK, das die Michail, Roman und Juriauf Grund der dem Plenum gegebenen „Versprechungen" einladen sollte,hat sich hingebungsvoll der dankbaren und eines Revolutionärs würdigenArbeit gewidmet, diejenigen in die Partei einzuladen, die sich über sielustig machen und fortfahren, ihr zu schaden, und hat es in einem Jahrtrotz allem nicht fertiggebracht, irgendwen „einzuladen". Unterdes aberhaben die parteifeindlichen Fraktionen ihre Organisationen gegen die Par-tei gestärkt: die Agentur der „Wperjod"-Leute erstarkte und ihre Fraktionentwickelte sich, es erstarkten die Gruppe des Herrn Potressow und an-dere liquidatorische Unternehmen, die nach wie vor in einer Anzahl vonKlubs, Genossenschaften usw. Propaganda gegen die Partei treiben, dienach wie vor bei der sozialdemokratischen Dumafraktion gegen die Partei

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intrigieren. Die Rolle des ZK, das sich in dieser Zeit mit der „Einladung"

der Liquidatoren oder mit teeren Antwortschreiben auf die „Intrigen"der „Golos"- und „Wperjod"-Leute befaßte, ist direkt entwürdigend,und wir dürfen es den Feinden der Partei nicht gestatten, das ZK zu dieserRolle herabzuwürdigen.

Nur Menschen, die überhaupt nicht fähig sind zu denken oder die sichgern mit kleinlichen Intrigen befassen, können immer noch übersehen,daß die Aufrechterhaltung, eines derartigen Zustands der Parteizentrenunweigerlich den Triumph der Liquidatoren und Otsowisten vorbereitet,die mit Befriedigung beobachten, wie sich das ZK in versöhnlerische

Phrasen, in ein Spiel der Aussöhnung mit denen, die sich mit der Parteinicht versöhnen wollen, verwickelt hat und weiter verwickelt.Die versöhnlerischen Phrasen sind von den Liquidatoren und Otsowisten

ausgezeichnet verstanden und ausgezeichnet gegen die Partei ausgenutztworden. Der Held dieser Phrasen, Tro tzki, wurde ganz natürlich der Heldund der Advokat der Liquidatoren und Otsowisten, mit denen er theo-retisch in nichtsr praktisch jedoch in allem übereinstimmt.

Sowohl die Liquidatoren als auch die „Wperjod"-Leute haben sich mitwohlwollender Hilfe dieses Advokaten die Taktik bestens angeeignet:

beliebig oft zu beteuern und bei Gott zu schwören, daß sie parteitreu sind.Dies wiederholen der „Qolos" und die Plattform der Gruppe „Wperjod",während sie in Wirklichkeit die Partei weiterhin zersetzen und ihre ge-samte Arbeit in parteifeindlichem Sinne durchführen. Das formelle undnur in Worten bestehende „Versöhnlertum" wurde zu einer Waffe derLiquidatoren aus dem „ Qolos" sowie der „Wperjod"-Leute.

Es versteht sich, daß wir als Vertreter der bolschewistischen Strömungdiese Rolle der Genasführten nicht spielen können. Nachdem wir ein gan-zes Jahr abgewartet und alles mögliche getan haben, um in den Spalten

des ZO klarzulegen, worin die Parteifeindlichkeit der „Wperjod"-Leute,der „Golos"-Leute und Trotzkis besteht, können wir für Institutionen, diemit der „Einladung" der Liquidatoren und mit leeren Antwortschreiben „inSachen" der „Wperjod"-Leute beschäftigt sind, die Verantwortung vor derPartei nidot übernehmen. Wir wollen keine Zänkereien, sondern Arbeit.

W ir wollen gemeinsame Arbeit mit denen, die arbeiten möchten und diein der Tat ihre Fähigkeit, im Parteisinne zu arbeiten, unter Beweis ge-stellt haben, d. h. in erster Linie mit den parteitreuen Menschewiki und

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den wirklich nichtfraktionellen Sozialdemokraten. Wir möchten nicht fürZänkereien mit jenen verantwortlich sein, die nicht mit der Partei, sondernmit Herrn Potressow und den Otsowisten zusammenarbeiten wollen.

Die Lage in Rußland ist so, daß von den Auslandsorganisationen derPartei nachdrücklich eine verstärkte und einträchtige Arbeit gefordertwird. Die dreijährige Periode der goldenen Tage der Konterrevolution(1908-1910) geht augenscheinlich ihrem Ende entgegen und wird abge-löst von einer Periode des beginnenden Aufschwungs. Sowohl die dies-jährigen Sommerstreiks als auch die Demonstrationen anläßlich des Todesvon Tolstoi weisen deutlich darauf hin. Die Organisationsarbeit der Parteiist in Rußland aufs äußerste geschwächt, und diese Schwäche wird von den

„Wperjod"- und „Golos"-Leuten auf die schamloseste Art und Weiseausgenutzt, indem sie ihre parteifeindliche Arbeit mit Hilfe der russischenund ausländischen fraktionellen Zentren entfalten.

Unter solchen Bedingungen das Spiel der Versöhnung mit diesen frak-tionellen Zentren weiterhin fortzuführen, die Augen heuchlerisch davorzu schließen, daß sie unabhängig sind, ihre Vertreter zum gemeinsamenKampf gegen ihre eigene Politik „einzuladen", sie dadurch vor der Parteizu decken, daß ihre Vertreter in die Zentren aufgenommen werden - be-deutet, sich zu endlosen Zänkereien zu verurteilen. Das bedeutet, die Ar-

beit der Auslandszentren zu hemmen! die auch ohnedies bereits so ge-hemmt ist, daß während eines Jahres keine einzige Sitzung des ZK inRußland stattfand und es nicht gelang, auch nur eine einzige Konferenzund nicht einmal eine inoffizielle Beratung der örtlichen Parteiarbeiter zuorganisieren (während die „Schule" der Otsowisten und die legalen Or-gane der Liquidatoren es mehrfach zustande brachten, alle möglichen Be-ratungen, Versammlungen ihrer Agenten, der K orrespondenten ihrer Z eit-schrift u. a. gegen die Partei zu organisieren).

Wir sind verpflichtet, die Verantwortung für diesen völligen Stillstand

der Arbeit der Zentren, die sich in das Spiel der Versöhnung mit den„Golos"-Leuten verstrickt haben, abzulehnen und unverzüglich mit einerselbständigen und ganz energischen Arbeit zum Zusammenschluß derorthodoxen Bolschewiki, der parteitreuen Menschewiki und der nicht-fraktionellen Sozialdemokraten zu beginnen, um Beratungen, Konferen-zen, Gebietsbüros, G ruppen, die sich um die Parteiliteratur kümmern usw.zu organisieren. Zu dieser Arbeit, durch d ie allein die Partei in der Ja t aus

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der Sackgasse herausgeführt werden kann un d die Ze ntren von der „Liebe-dienerei" gegenüber den „Golos"-Leuten frei gemacht werden können,rufen wir alle parteitreuen Sozialdemokraten auf.

Noch im Namen der bolschewistischen Fraktion haben wir vor demPlenum, im Frühjahr 1909, eine Politik der Annäherung an die partei-treuen Menschewiki verkündet, und seitdem hat diese Politik reicheFrüchte getragen im Qegensaiz zu dem mißglückten Versuch, den „Ver-sprechungen" der „Golos"-Leute Glauben zu schenken und sie als partei-treue Sozialdemokraten zu betrachten. Alles, was seit dieser Zeit getanwurde, nicht um die Propaganda des „Wperjod" und die Verteidigungdes Liquidatorentums durch den „Golos" zu unterstützen, sondern um dieVarteilinie wirklich zu festigen und um den Hauptkern der beiden Haup t -fraktionen tatsächlich anzunähern, das wurde von uns unabhängig vo ndiesen mißglückten Versuchen der Versöhnung mit den „Golos"-Leutengetan. Und indem wir die Verantwortung für die Fortsetzung dieser Ver-suche ablehnen, sind wir davon überzeugt, daß wir sowohl mit Hilfe der„TLabotschaja Qaseta" als auch mit Hilfe der legalen Literatur wie durchdie Auslandstätigkeit der Gruppen der Anhänger der „Rabotsdjaja Qa-

seta" und der Plechanowleute eine noch größere Annäherung in der Arbeit

erreichen werden.

Nach dem Plenum, das die Frage der Fraktionen und ihrer Liquidierungmit aller Klarheit stellte, das diese Frage erstmalig im Zusammenhang m itde r politisch-ideologischen Linie dieser Fra ktion en selbst, d. h. erstmaligauf dem realen Boden der Berücksichtigung der wirklidben Annäherung in

der Arbeit und nicht auf dem Boden leerer Beteuerungen, formaler Ver-sprechen und dergleichen anderer Phrasen stellte - nach dem Plenum undder einjährigen Erprobung seiner Ergebnisse ist es bereits nicht mehr zu -

lässig, das alte heuchlerische Versteckspiel fortzusetzen.

Man muß offen auftreten. Man muß den Mut haben zu sagen, was ist.

Wenn das ZK willens ist, der Partei unverblümt und offen zu sagen, wasist, wird diese einfache Erklärung in seinen Händen eine Waffe vongrößter Durchschlagskraft sein, hundertmal gewichtiger, als es irgend-welche Resolutionen, Beteuerungen, V erurteilungen, A usschlüsse u. dgl. m.sein können.

Zu sagen, was ist, heißt anzuerkennen, daß der Versuch einer Liqui-dierung alter Fraktionen leider durch die „Golos"- und „W perjod"-Leu te

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zunichte gemacht worden ist, daß aber die Annäherung des Hauptkerns,die Annäherang der wirklich parteitreuen Elemente aus den beiden Haupt-fraktionen, die Annäherung der parteitreuen Elemente aus den Reihender nationalen und der nichtfraktionellen Sozialdemokraten an sie einenSchritt vorangekommen ist. Wenn Trotzki und ihm ähnliche Anwälte derLiquidatoren und Otsowisten diese Annäherung für „politisch inhaltslos"erklären, so bescheinigen derartige Reden nur die ganze Prinzipienlosig-keit Trotzkis, die ganze reale Feindschaft seiner Politik gegenüber derPolitik einer wirklichen (und sich nicht nur auf Versprechungen beschrän-kenden) Liquidierung der Fraktionen. Diese Liquidierung nach der ein-jährigen Erprobung der Ergebnisse des Plenums zu versprechen, bedeuteteinfach Hochstapelei. Wenn aber die Liquidierung der Fraktionen einePhrase ist, so ist die Annäherung der Hauptströmungen in den beidenHauptfraktionen eine Tatsache. Aus dieser Tatsache entstehen keinerlei„Blocks", keinerlei hochtrabende Beteuerungen, keinerlei Versprechungen,daß die Meinungsverschiedenheiten verschwinden, sondern daraus ergibtsich die reale Möglichkeit, die Partei in der 7at aufzubauen, gestützt aufdie Zusammenarbeit eines Teils der Menschewiki und eines Teils derBolschewiki.

Wenn das ZK willens ist, mit ganzer Konsequenz den Weg einer sol-

chen Anerkennung und einer solchen Arbeit zu gehen, wenn es willensist, alle zentralen Institutionen zu Organen dieser Annäherung zumachen, diese Institutionen von der unwürdigen und schädlichen „Liebe-dienerei" gegenüber den „Golos"-Leuten oder von der „Einladung" der„Golos"-Leute gänzlich frei zu machen und die Möglichkeit einer Arbeitohne Intrigen zu schaffen, so werden wir diese Politik, die wir in der Tat

seit dem F rühjah r 190 9, d. h. bereits seit fast zwei Jah ren durch führen,aus ganzem Herzen und mit allen Kräften unterstützen.

Wenn das ZK nicht willens ist, diese unvermeidliche Schlußfolgerung

aus den Lehren des Plenums und aus dessen Ergebnissen zu ziehen, dannmöge es getrost die Führung der Parteiarbeit . . . und der Arbeit zur Wie-derherstellung der Einheit an die Vereinigung der „Golos"-Leute, der„Wperjod"-Leute und Trotzkis abgeben. Das wird offener und ehrlichersein, wir aber halten uns dieser Vereinigung fern, die ihre Parteifeindlich-keit in der Praxis unter Beweis gestellt hat.

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Wir gehen natürlich nicht fehl in bezug darauf, daß aus Anlaß unseres

Schrittes einige Leute (und unter ihnen werden sich sicher die erprobtenAnwälte der Liquidatoren und Otsowisten befinden) ein Geschrei über„Spaltung" erheben werden. Wie ungereimt, wie heuchlerisch ein der-artiges Geschrei auch sein mag, zur Warnung niditunterriditeter Leutemüssen wir uns mit diesen wahrscheinlichen Einwänden befassen.

Von der formalen Seite her gesehen ist unser Schritt - der An trag aufRückgabe des Geldes und Aufhebung des von uns unte r genau festgelegtenBedingungen getroffenen Übereinkommens - zweifellos gerechtfertigt.Die Bedingungen unseres Übereinkommens mit dem ZK wurden offen

dargelegt, sie sind im ZO veröffentlicht und vom Zentralkomitee auf demPlenum einstimmig angenommen worden. Das ZK, das diese Bedingungenim Namen der ganzen Partei angenommen und im ZO der Partei ab-gedruckt hat, hat damit mit aller Bestimmtheit anerkannt, daß es von unsnur dann eine bestimmte Handlungsweise fordern kann, wenn diese Be-dingungen in der Praxis erfüllt werden. Niemand kann leugnen, daß dieseBedingungen von den „Golos"- und „Wperjod"-Leuten entgegen der vonihnen unterschriebenen Resolution nicht erfüllt wurden. Unser formalesRecht, das Übereinkommen aufzuheben, ist daher imbestreitbar. Indemwir dieses Übereinkommen aufheben, nehmen wir den selbständigenKampf für das Parteiprinzip auf, für die selbständige Arbeit zum Aufbauder Partei ohne diejenigen, die in dieser einjährigen Praxis bewiesen ha-ben, daß sie nicht willens sind, daran zu arbeiten, aber mit denjenigenMensdiewiki und niditfraktionellen Sozialdemokraten, die das Gegenteilbewiesen haben. Wenn das Übereinkommen, dessen direkte und präziseBedingung der Übergang der „Golos"- und „Wperjod"-Leute zum Partei-prinzip war, von ihnen verletzt wurde, so ist es unser volles Recht undunsere Pflicht, dieses Übereinkommen mit Leuten, die sich über die Parteilustig machen, aufzuheben und alle möglichen Formen der Annäherung an

die Leute zu sudien, die die Partei unterstützen.Ab er noch viel wichtiger als die formale Seite der Sadie ist die faktische

Lage der Dinge. Von dieser Seite her wird die Heudielei der „Golos"-und „Wperjod"-Leute ganz besonders deutlich, die sowohl auf dem Ple-num als auch nach dem Plenum fortfahren, in der Presse ihre Parteitreuezu erklären. Die Heudielei solcher Beteuerungen, die himmelschreiendeVerlogenheit des Geschreies soldber Leute über die Spaltung ist so offen-

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sichtlich, daß es sich nicht lohnt, darüber viel Worte zu verlieren. Gerade

die „Golos"- und „Wperjod"-Leute haben sofort nach dem Plenum dieSpaltung faktisch vollzogen, richtiger: sie haben nie aufgehört, entgegenihren Versprechungen auf dem Plenum, an der Spaltung zu arbeiten -gerade sie haben die Spaltung während des ganzen Jahres fortgesetzt,haben sie verstärkt, haben die Unabhängigkeit von der Partei der GruppePotressow und Co., der Gruppe der Publizisten, der Begründer der „ma-chistischen" Schule usw. usf. unterstützt. Weiterhin zuzulassen, daß solcheSpalter in den Parteizentren verbleiben, bedeutet, die Sache der Parteiendgültig zunichte zu machen. Die bisherige Lage beizubehalten, wo diese

Spalter ihre Anwesenheit in den Parteizentren ausgenutzt haben, um jedeArbeit zu hemmen, um Herrn Potressow oder den Führern der „machisti-schen" Schule zu Gefallen die Partei von innen heraus zu zersetzen, be-deutet, der Sache der Parteivereinigung einen großen und nicht wiedergut-zumachenden Schaden zuzufügen.

Schon von alters her sagt man: Es werden nicht alle, die da sagen,„Herr, Herr!" in das Himmelreich eingehen. Und wir müssen nach denErfahrungen des Plenums wiederholen: Es sind nicht alle, die da billigePhrasen über die Parteitreue dreschen, in der Tat parteitreue Sozialdemo-

kraten. Die „Golos"- und „Wperjod"-Leute haben nach dem Plenum diePartei gespalten. Das ist eine Tatsache. Trotzki war in dieser Angelegen-heit ihr Anwalt. Das ist gleichfalls eine Tatsache.

Um der Spaltung Einhalt zu gebieten, um zu verhindern, daß sie sichnoch weiter ausbreitet, gibt es kein anderes Mittel, als die Annäherungderer, die in der Tat nach dem Plenum Parteiarbeit geleistet haben, d. h.der parteitreuen Menschewiki und Bolschewiki, zu stärken, zu festigenund in aller Form zu bestätigen.

Indem wir alle parteitreuen Menschewiki, alle nichtfraktionellen partei-treuen Sozialdemokraten und Bolschewiki sowie alle nationalen sozial-demokratischen Organisationen von unserer Ansicht über die Lage in derPartei in Kenntnis setzen, fordern wir die bolschewistischen Gruppen inRußland auf, unverzüglich zu beginnen, sich um die „TLabotsdbaja Qaseta"zu scharen und an die Vorbereitung von Beratungen und Konferenzen zugehen, die zur Wiederherstellung der Partei notwendig sind und dieinfolge der bestehenden Lage unvermeidlich mit ganz bescheidenen, inoffi-

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350 IV . 1. Lenin

ziellen und nicht formalen Versuchen beginnen müssen, über den Charak-

ter dieser Bemühungen in der Presse ausführlich zu sprechen ist unange-bracht.

Wir fordern auch die Auslandsgruppen der Bolschewiki auf, sich soum zubilden, da ß jede Verbind ung zu den „W perjod " -Leuten, die ihreParteifeindlichkeit voll und ganz bewiesen haben, aufhört, und ohne Be-hinderung seitens dieser Verteidiger des Otsowismus eine systematischeArbeit zur Festigung der Partei, zur Annäherung an die parteitreuen So-zialdemokraten anderer Fraktionen, zur Organisierung von gemeinsamenKlubs, Lek tionen, Referaten u. dgl. m. zu beginnen und vorbereitende

Schritte für eine wirkliche Vereinigung all derer im Ausland zu unter-nehmen, die nicht mit dem „Wperjod" und dem „Qolos" gehen. Wenndort, wo sich „Golos"-Leute befinden, zwangsläufig zwei parallele Grup-pen bestehen, so geht es nicht an, daß die Bolschewiki in ihren Gruppenweiterhin parteifeindliche „Wperjod"-Leute dulden. Diese mögen sich beiden „Golos"-Leuten eine Bleibe suchen.

D ie Redaktion der „Rabotscbaja Qiisela"

Qesdhrieben in der zweiten TJovember-

bäljte (erste Dezem berbätfte) i9io.Zuerst veröftentlidrt 2Vad> dem Manuskript.am 2i. 'Januar 1932inder „Vrawda" Nr.21.

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Erste Seite der „Sw esda" Nr . 1- 1910

Verkleinert

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D I E D I F F E R E N Z E N

I N D E R E U R O P Ä I S C H E N A R B E IT E R B E W E G U N G 1 0 6

Die grundlegenden taktischen Differenzen in der modernen Arbeiter-bewegung Europas und Amerikas laufen auf den Kampf gegen zwei grö-ßere Richtungen hinaus, die vom Marxismus, der faktisch zur herrschen-den Theorie in dieser Bewegung geworden ist, abweichen. Diese zweiRichtungen sind der Revisionismus (Opportunismus, Reformismus) undder Anarchismus (Anarchosyndikalismus, Anarchosozialismus). Diese

beiden Abweichungen von der in der Arbeiterbewegung herrschendenmarxistischen Theorie und marxistischen Taktik sind während der mehrals fünfzigjährigen Geschichte der proletarischen M assenbewegung inverschiedenen Formen und verschiedenen Schattierungen in allen zivilisier-ten Ländern zu beobachten.

Schon diese Tatsache allein erhellt, daß sich diese Abweichungen wederaus Zufälligkeiten noch aus Irrtümern einzelner Personen oder Gruppen,noch selbst aus dem Einfluß nationaler Besonderheiten oder Traditionenusw. erklären lassen. Es muß tieferliegende Ursachen geben, die in der

Wirtschaftsordnung und im Charakter der Entwicklung aller kapitalisti-schen Länder wurzeln und diese Abweichungen ständig erzeugen. Die imvorigen Jahr erschienene kleine Schrift des holländischen Marxisten AntonPannekoek „Die taktischen Differenzen in der Arbeiterbewegung" (Ham-burg, Erdmann Dubber, 1909) stellt einen interessanten Versuch dar,diese Ursachen wissenschaftlich zu erforschen. Wir wollen in den weite-ren Ausführungen den Leser mit Pannekoeks Schlußfolgerungen bekanntmachen, die man als durchaus richtig anerkennen muß.

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354 W . 7. Lenin

Eine der tiefsten Ursachen, die periodisch taktische Differenzen erzeu-

gen, ist die Tatsache des Wachstums der Arbeiterbewegung selbst. Mißtman diese Bewegung nicht mit dem Maß irgendeines phantastischen Ideals,sondern betrachtet sie als praktische Bewegung gewöhnlicher Menschen,dann wird klar , daß die Gewinnung immer neuer „Rekruten", die Einbe-ziehung neuer Schichten der werktätigen Masse unvermeidlich von Schwan-kungen in Theorie und Taktik, von Wiederholungen alter Fehler, voneiner zeitweiligen Rückkehr zu veralteten Anschauungen und veraltetenMetboden usw. begleitet sein muß. Auf die „Ausbildung" der Rekrutenverwendet die Arbeiterbewegung jedes Landes periodisch größere oder

kleinere Mengen von Energie, Aufmerksamkeit und Zeit.Weiter. Die Entwicklung des Kapitalismus geht in den verschiedenen

Ländern und auf den verschiedenen Gebieten der Volkswirtschaft nichtgleich schnell vor sich. Die Arbeiterklasse und ihre Ideologen machen sichden Marxismus am leichtesten, schnellsten, vollständigsten und dauer-haftesten unter den Bedingungen der stärksten Entwicklung der Groß-industrie zu eigen. Rückständige oder in ihrer Entwicklung zurückblei-bende ökonomische Verhältnisse führen stets dazu, daß Anhänger derArbeiterbewegung auftauchen, die sich lediglich einige Seiten des Mar-

xismus, lediglich einzelne Teile der neuen Weltanschauung oder einzelneLosungen und Forderungen zu eigen machen, ohne imstande zu sein, mitallen Traditionen der bürgerlichen Weltanschauung im allgemeinen undder bürgerlich-demokratischen Weltanschauung im besonderen entschie-den zu brechen.

Eine ständige Quelle der Differenzen bildet ferner der dialektischeCharakter der gesellschaftlichen Entwicklung, die sich in Widersprüchenund durch Widersprüche vollzieht. Der Kapitalismus ist fortschrittlich,denn er vernichtet die alten Produktionsweisen und entwickelt die Produk-

tivkräfte, zugleich aber hemmt er auf einer bestimmten Entwicklungsstufedas Wachstum der Produktivkräfte. Er entwickelt, organisiert und diszi-pliniert die Arbeiter - und er unterdrückt, unterjocht, führt zu Degenera-tion, Elend usw. Der Kapitalismus erzeugt selbst seinen Totengräber,schafft selbst die Elemente der neuen Ordnung, aber diese einzelnen Ele-mente ändern ohne einen „Sprung" nichts an der allgemeinen Sachlage,rühren nicht an die Herrschaft des Kapitals. Der Marxismus als Theoriedes dialektischen Materialismus vermag diese Widersprüche des lebendigen

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Die Differenzen in der europäischen Arbeiterbewegung 355

Lebens, der lebendigen Geschichte des Kapitalismus und der Arbeiter-

bewegung zu erfassen. Aber es versteht sich von selbst, daß die Massenaus dem Leben und nicht aus Büchern lernen, und darum pflegen einzelnePersonen oder Gruppen bald diesen, bald jenen Zug der kapitalistischenEntwicklung, bald die eine, bald die andere „Lehre" dieser Entwicklungaufzubauschen und zu einer einseitigen Theorie, zu einem einseitigenSystem der Taktik zu erheben.

Bürgerliche Ideologen, Liberale und Demokraten, die den Marxismusund die moderne Arbeiterbewegung nicht verstehen, fallen ständig hilf-

los von einem Extrem ins andere. Bald suchen sie alles daraus zu erklären,

daß böse Menschen eine Klasse gegen die andere „aufhetzen", bald trö-sten sie sich damit, daß die Arbeiterpartei eine „friedliche Reformpartei"sei. Als direktes Produkt dieser bürgerlichen Weltanschauung und ihresEinflusses sind sowohl der Anarchosyndikalismus als auch der Reformis-mus zu betrac hten; sie klamm ern sich an eine Seite der Arbeiterbewegung,erheben die Einseitigkeit zur Theorie und erklären Tendenzen oder Zügedieser Bewegung, die eine spezifische Besonderheit dieser oder jener Peri-ode, dieser oder jener Bedingungen des Wirkens der Arbeiteridassedarstellen, für einander ausschließend. Das wirkliche Leben aber, die wirk-

liche Geschichte sdbließt diese verschiedenen Tendenzen in sich ein, ähn-lich wie das Leben und die Entwicklung in der Natur sowohl langsameEvolution als auch jähe Sprünge, Abbrechen der Allmählichkeit in sidi ein-schließen.

Die Revisionisten halten alle Betrachtungen über „Sprünge" und überden prinzipiellen Gegensatz der Arbeiterbewegung zur ganzen alten Ge-sellschaft für Phrasen. Sie halten Reformen für eine teilweise Verwirk-lichung des Sozialismus. Der Anarchosyndikalist lehnt die „Kleinarbeit",insbesondere die Ausnutzung der Parlamentstribüne, ab. In Wirklichkeit

läuft diese Taktik darauf hinaus, die „großen Tage" abzuwarten, ohne zuverstehen, die Kräfte zu sammeln, die die großen Ereignisse hervorbrin-gen. Die einen wie die anderen hemmen die wichtigste, die dringendsteArbeit: den Zusammenschluß der Arbeiter zu großen, starken, gut funk-tionierenden Organisationen, die imstande sind, unter allen Bedingungengut zu funktionieren, die vom Geist des Klassenkampfes durchdrungensind, klar ihre Ziele erkennen und in wahrhaft marxistischer Weltan-schauung erzogen werden.

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356 W . J. Lenin

Hier erlauben wir uns eine kleine Abschweifung und bemerken in

Parenthese, um eventuellen Mißverständnissen vorzubeugen, daß Panne-koek seine Analyse aussdhiießidb mit Beispielen aus der westeuropäischenGeschichte, besonders der Geschichte Deutschlands und Frankreichs, illu-striert, ohne im geringsten an Rußland zu denken. Wenn es mitunterscheint, als spiele er auf Rußland an, so kommt dies nur daher, daß dieGrundtendenzen, die bestimmte Abweichungen von der marxistischenTaktik erzeugen, auch bei uns in Erscheinung treten, ungeachtet der ge-waltigen Unterschiede, die in Kultur und Lebensformen sowie in Ge-schichte und Wirtschaft zwischen Rußland und dem Westen bestehen.

Eine außerordentlich wichtige Ursache, die unter den Teilnehmern derArbeiterbewegung Differenzen erzeugt, sind schließlich die Veränderun-gen in der Taktik der herrschenden Klassen im allgemeinen und der Bour-geoisie im besonderen. W äre die Tak tik der Bourgeoisie immer die gleicheoder zumindest immer gleichartig, so würde die Arbeiterklasse rasch ler-nen, sie mit einer ebenso gleichbleibenden oder gleichartigen Taktik zubeantworten. In Wirklichkeit bildet die Bourgeoisie in allen Ländern un-vermeidlich zwei Systeme des Regierens heraus, zwei Methoden desKampfes für ihre Interessen und für die Verteidigung ihrer Herrschaft,

wobei diese zwei Methoden bald einander ablösen, bald sich miteinanderin verschiedenartigen Kombinationen verflechten. Die erste Methode istdie Methode der Gewalt, die Methode der Verweigerung jeglicher Zu-geständnisse an die Arbeiterbewegung, die Methode der Aufrechterhaltungaller alten und überlebten Institutionen, die Methode der unnachgiebigenAblehnung von Reformen. Darin besteht das Wesen der konservativenPolitik, die in Westeuropa immer mehr aufhört, die Politik der Grund-besitzerklassen zu sein, die immer mehr zu einer der Spielarten der all-gemeinen bürgerlichen Politik wird. Die zweite Methode ist die Methode

des „Liberalismus", der Schritte in der Richtung auf die Entfaltung poli-tischer Rechte, in der Richtung auf Reformen, Zugeständnisse usw.

Nicht aus böser Absicht einzelner Personen und nicht zufällig geht dieBourgeoisie von der einen Methode zur anderen über, sondern infolge derradikalen Widersprüche ihrer eigenen Lage, Die normale kapitalistischeGesellschaft kann sich nicht erfolgreich entwickeln ohne ein gefestigtesRepräsentativsystem, ohne gewisse politische Rechte der Bevölkerung, dieselbstverständlich verhältnismäßig hohe Ansprüche in „kultureller" Hin-

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Die Differenzen in der europäischen Arbeiterbewegung 357

sieht stellt. Diese Ansprüche auf ein bestimmtes Minimum an Kultur wer-

den erzeugt durch die Verhältnisse der kapitalistischen Produktionsweiseselbst mit ihrer hohen Technik, ihrer Kompliziertheit, Elastizität, Beweg-lichkeit, mit der rasdien Entwicklung der Weltkonkurrenz usw. Schwan-kungen in der Taktik der Bourgeoisie, Übergänge vom System der Gewalt-anwendung zum System von Schemzugeständnissen sind infolgedessencharakteristisch für die Geschichte aller europäischen Länder im letztenhalben Jahrhundert, wobei die verschiedenen Länder in bestimmten Peri-oden vorwiegend die eine oder die andere M etho de entwickeln. So war zumBeispiel in den sechziger und siebziger Jah ren des 19. Jahrhun derts Eng-land das klassische Land der „liberalen" bürgerlichen P olitik, das Deutsch-land der siebziger und achtziger Jahre hielt sich an die Methode der Ge-walt usf.

Als diese M ethod e in Deutschland herrschte, war d er einseitige Wid er-hall auf dieses bürgerliche Regierungssystem das Anwachsen des An-archosyndikalismus oder, wie er damals genannt wurde, des Anarchismusin der Arbeiterbewegung (die „Jungen" zu Beginn der neunziger 107, Jo-hann Most zu Beginn der achtziger Jahre 10 8). Als 1890 eine Wendung zu„Zugeständnissen" eintrat, erwies sich - wie immer - diese Wendung alsnoch gefährlicher für die Arbeiterbewegung, da sie den ebenso einseitigenWiderhall auf das bürgerliche „Reformertum" hervorrief: den Opportu-nismus in der Arbeiterbewegung. „Das positive, reale Ziel der liberalenPolitik der Bourgeoisie", sagt Pannekoek, „ist die Irreführung der Arbei-ter, ist das Hineintragen von Spaltung in ihre Mitte, ist das Verwandelnihrer Politik in ein ohnmächtiges Anhängsel des ohnmächtigen, stets ohn-mächtigen und ephemeren Scheinreformertnms."

Nicht selten erreicht die Bourgeoisie für eine gewisse Zeit ihr Ziel mitHilfe der „liberalen" Politik, die - wie Pannekoek richtig bemerkt - eine„schlauere" Politik darstellt. Ein Teil der Arbeiter, ein Teil ihrer Ver-treter läßt sich mitunter durch Scheinzugeständnisse täuschen. Die Revi-sionisten erklären die Lehre vom Klassenkampf für „veraltet" oder schla-gen eine Politik ein, die in der Praxis die Abkehr vom Klassenkampfbedeutet. Die Zickzackwege der bürgerlichen Taktik h aben eine Stärkungdes Revisionismus in der Arbeiterbewegung zur Folge und steigern nichtselten die Differenzen innerhalb der Arbeiterbewegung bis zur direktenSpaltung.

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358 W. J. Lenin

Alle Ursachen der genannten Art erzeugen innerhalb der Arbeiter-

beweg ung, innerhalb der proletarischen R eihen Differenzen über die Tak-tik. Zwischen dem Proletariat und den Schichten des Kleinbürgertums ein-schließlich der Bauernschaft, die mit dem Proletariat in Berührung kom-men, gibt es aber keine chinesische Mauer und kann es auch keine geben.Es ist begreiflich, daß der Übergang einzelner Personen, Gruppen undSchichten vom Kleinbürgertum zum Proletariat seinerseits Schwankungenin der Taktik des Proletariats hervorrufen muß.

Die Erfahrung der Arbeiterbewegung der verschiedenen Länder hilft ,an Hand konkreter Fragen der Praxis Klarheit über das Wesen der mar-

xistischen Taktik zu schaffen; sie hilft den jüngeren Ländern, die wahreKlassenbedeutung der Abweichungen vom Marxismus klarer zu unter-scheiden und diese Abweichungen erfolgreicher zu bekämpfen.

„Swesda" Nr. i, Nadi dem 7ext der „Swesda".

16. Dezember 1910.

Vntersdjrifi: "W. 3ljin.

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359

T O L S T O I U N D D E R P R O L E T A R I S C H E K A M P F

Tolstoi geißelte mit gewaltiger Kraft und Aufrichtigkeit die herrschen-den Klassen und entlarvte mit g roßer Anschaulichkeit die innere V erlogen-heit all der Institutionen, mit deren Hilfe sich die heutige Gesellschafthä lt: Kirche, Gerichtsbarkeit, M ilitarismus, „gesetzliche" Ehe und bürger-liche Wissenschaft. Seine Lehre aber steht in vollem Widerspruch zumLeben, zur Arbeit und zum Kampf des Totengräbers der heutigen Gesell-schaftsordnung, des Proletariats. Wessen Auffassung hat denn aber inLeo Tolstois Predigt ihren Ausdruck gefunden? Durch seinen Mundsprach jene viele Millionen zählende Masse des russischen Volkes, diebereits die Herren des heutigen Lebens haßt, jedoch noch nicht zum be-

wußten, konsequenten, bis zu Ende gehenden, unversöhnlichen Kampfgegen sie gelangt ist.

Geschichte und Ausgang der großen russischen Revolution haben ge-zeigt, daß die Masse, die zwischen dem klassenbewußten, sozialistischenProletariat und den entschlossenen Verteidigern des alten Regimes stand,gerade so und nicht anders beschaffen war. Diese Masse - in erster Liniedie Bauernschaft - hat in der Revolution gezeigt, wie sehr sie das Altehaßt, wie unmittelbar sie alle Lasten des heutigen Regimes spürt, wiegroß der elementare Drang in ihr ist, diese Lasten abzuwerfen und zu

einem besseren Leben zu gelangen.Gleichzeitig aber hat diese Masse in der Revolution gezeigt, daß sie inihrem Haß nicht genügend bewußt, in ihrem Kampf inkonsequent, inihrem Suchen nach einem besseren Leben eng beschränkt ist.

Das große Volksmeer, aufgewühlt bis in die tiefsten Tiefen, hat mitallen seinen Schwächen und allen seinen starken Seiten in Tolstois LehreWiderspiegelung gefunden.

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360 'W.J.Lenin

Durch das Studium der belletristischen Werke Leo Tolstois wird die

russische Arbeiterklasse ihre Feinde besser kennenlernen, bei der Unter-suchung der Lehre Tolstois aber wird das ganze russische Volk begreifen

müssen, worin seine eigene Schwäche bestand, die es ihm unmöglich

machte, das Werk seiner Befreiung zu Ende zu führen. Wer vorwärts-

schreiten will, muß das begreifen.

Diese Vorwärtsbewegung aber wird von allen denen behindert, die

Tolstoi als „allgemeines Gewissen", als „Lehrer des Lebens" bezeichnen.

Das ist eine Lüge, bewußt verbreitet von den Liberalen, die sich die anti-

revolutionäre Seite der Lehre Tolstois zunutze machen möchten. Diese

Lüge über Tolstoi als „Lehrer des Lebens" wird den Liberalen auch voneinigen früheren Sozialdemokraten nachgesprochen.

Das russische Volk wird sich erst dann seine Befreiung erkämpfen, wenn

es begreift, daß es nicht von Tolstoi zu lernen hat, wie man sich ein

besseres Leben erkämpft, sondern von der Klasse, deren Bedeutung Tol-

stoi nicht verstanden hat, die aber allein fähig ist, die Tolstoi verhaßte

alte Welt zu zerstören - vom Proletariat.

„Rabotsätaja Qaseta" 3Vr. 2, Nach dem 7ext der18. (31.) Dezember I9io. „Rabotsdbaja Qaseta".

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361

D ER B E G I N N V O N D E M O N S T R A T I O N E N

Nach drei Jahren Revolution — 1905 bis 1907 - hat Rußland drei JahreKonterrevolution erlebt - 1908 bis 1910 - , drei Jahre der schwarzenDuma, der zügellosen Gewalttaten und der Rechtlosigkeit, der Offensive

der Kapitalisten gegen die Arbeiter, der Beseitigung der von den Arbei-tern erkämpften Errungenschaften. Die zaristische Selbstherrschaft, die imJahre 1905 nur erschüttert, aber nicht vernichtet worden war, sammelteihre Kräfte, tat sich mit den Gutsbesitzern und Kapitalisten in derIII. Duma zusammen und stellte in Rußland die alten Zustände wiederher. Noch stärker wurde der Druck der Kapitalisten auf die Arbeiter,die Beamten in der Stadt und besonders auf dem Lande wurden bei ihrenRechtsbrüchen und in ihrer Willkür noch frecher, die Bluttaten gegenFreiheitskämpfer wurden noch grausamer und die Todesurteile noch

häufiger. Die zaristische Regierung, die Gutsbesitzer und die Kapitalistennahmen an den revolutionären Klassen, in erster Linie am Proletariat,wütend Radbe für die Revolution - als ob sie es eilig haben , sich dieUnterbrechung des Massenkampfes zunutze zu machen, um ihre Gegnerzu vernichten.

Es gibt jedoch Feinde, die man in so manchen Schlachten schlagen, dieman eine Zeitlang niederhalten, die man aber nicht vernichten kann.Der volle Sieg der Revolution ist durchaus möglich, und ein solcher Siegwürde die Zarenmonarchie völlig vernichten, er würde die fronherrlichenGutsbesitzer vom Angesicht der Erde hinwegfegen, würde alle ihre Län-dereien ohne Loskauf den Bauern übereignen, würde die bürokratischeVerwaltung durch eine demokratische Selbstverwaltung und durch poli-tische Freiheit ersetzen. Derartige Umgestaltungen sind nicht nur möglich,sie sind vielmehr im 20. Jahrhundert in jedem Lande unumgänglidj, siesind in allen europäischen Staaten um den Preis eines mehr oder wenigerlangen und hartnäckigen Kampfes bereits mehr oder weniger vollständigvollzogen.

24 L enin, W erke, Bd. 16

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362 1/9.7. Lenin

Ab er keinerlei Siege de r Rea ktion, auch die vollständigsten nicht, keiner-

lei Triumphe der Konterrevolution vermögen die Feinde der zaristischenSelbstherrschaft, die Feinde des Gutsbesitzer- und Kapitalistenjochs zuvernichten, denn diese Feinde sind die Millionen Arbeiter, die sich immermehr in den Städten und in den großen Fabriken, Werken und Eisen-bahnen sammeln. Diese Feinde sind die dem Ruin verfallenden Bauern,deren Leben jetzt um ein vielfaches schwerer geworden ist, nachdem sichdie Landeshauptleute und die reichen Bauern zur gesetzlichen Räubereivereinigt haben, um mit Zustimmung der Gutsbesi tzerduma, unter demSdhutz aller gutsherrlichen und militärischen Behörden, den Bauern ihren

Boden wegz unehm en. Feinde wie die Arbeiterklasse, wie die arm en B auernlassen sich nicht vernichten .

Und jetzt sehen wir, wie nach drei Jahren hemmungslosen Wütens derKonterrevolution die Volksmassen, die durch alle möglichen Verfolgungenam allermeisten geknechtet, niedergedrückt, eingeschüchtert und er-schreckt worden sind, wieder das Haupt zu heben beginnen, wieder er-wachen und den Kampf aufzunehmen beginnen. Drei Jahre Hinrichtun-gen, Verfolgungen und grausame Gewaltakte haben Zehntausende von„Feinden" der Selbstherrschaft umgebracht, sie haben Hunderttausende

andere in die Gefängnisse geworfen und in die Verbannung geschickt, siehaben weitere Hundert tausende und aber Hundert tausende eingeschüch-tert. Jedoch Millionen und aber Millionen sind heute nicht mehr die glei-chen, die sie vor der Revolution waren. Diese Millionen haben noch nie-mals in der Geschichte Rußlands so überzeugende, anschauliche Lehrenerhalten, einen so offenen Kampf der Klassen erlebt. Daß in diesen Millio-nen und aber Millionen eine neue tiefe, dumpfe Gärung begonnen hat,ersieht man aus den Sommerstreiks dieses Jahres und aus den kürzlich ver-anstalteten Demonstrationen.

Die Arbeiterstreiks in Rußland waren sowohl während der Vor-bereitung der Revolution als auch während der Revolution selbst dasverbreitetste Kampfmittel des Proletariats, dieser fortgeschrittenen Klasse,die in der modernen Gesellschaft die einzige konsequente revolutionäreKlasse ist. Wirtschaftliche und politische Streiks, die bald miteinanderabwech selten, bald sich m itein and er zu einem unauflöslichen G anz enverflochten, haben die Arbeitennassen gegen die Klasse der Kapitalistenund die autokratische Regierung zusammengeschweißt, sie haben Gärung

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Der "Beginn von Demonstrationen 363

in die ganze Gesellschaft getragen, sie haben die Bauernschaft zum

Kampf geweckt.Als im Jahre 1895 die ununterbrochenen Massenstreiks begannen, war

das der Beginn der Periode, in der sich die Volksrevolution vorbereitete.

Als im Januar 1905 die Zahl der Streikenden in einem einzigen Monat

400 000 überschritt, da war das der Beginn der Revolution selbst. In

allen drei Revolutionsjahren war die Zahl der Streikenden, wenn auch

nach und nach fallend (fast 3 Millionen im Jahre 1905, 1 Million im

Jahre 1906, % Millionen im Jahre 1907), so hoch wie niemals zuvor in

irgendeinem Lande der Welt.

Als im Jahre 1908 die Zahl der Streikenden mit einem Schlage jähzurückging (176 000) und nodi mehr im Jahre 1909 (64 000), da be-

deutete dies das Ende der ersten Revolution oder, richtiger, der ersten

Etappe der Revolution.

Nun aber, seit dem Sommer dieses Jahres, beginnt wieder ein Auf-

schwung. Die Zahl der Teilnehmer an wirtschaftlichen Streiks steigt,

und zwar sehr stark. Die Periode der vollen Herrschaft der Schwarz-

hunderterreaktion ist zu Ende. Es beginnt eine Periode neuen Auf-

schwungs. Das Proletariat, das von 1905 bis 1909 - wenn auch mit

großen Unterbrechungen - auf dem Rückzug war, kommt wieder zu Kräf-ten und beginnt zum Angriff überzugehen. Die Belebung in einigen Indu-

striezweigen führt sofort auch zur Belebung des proletarischen Kampfes.

Das Proletariat hat begonnen. Die anderen, die bürgerlichen, die demo-

kratischen Klassen und Bevölkerungsschichten, setzen die Sache fort.

Der Tod Muromzews, dieses gemäßigt liberalen, der Demokratie frem-

den Präsidenten der I. Duma, ruft den ersten schüchternen Beginn von

Kundgebungen hervor. Der Tod Leo Tolstois ruft - zum erstenmal nach

langer Unterbrechung - Straßendemonstrationen hervor, an denen sich

hauptsächlich die Studentenschaft, daneben aber auch Arbeiter beteiligen.

Die Arbeitsniederlegung in einer ganzen Reihe von Fabriken und Werken

am Tage der Beisetzung Tolstois zeigt den Beginn - wenn auch einen

sehr bescheidenen Beginn - demonstrativer Streiks.

In allerletzter Zeit haben die Bestialitäten der zaristischen Kerker-

meister, die in Wologda und Serentui unsere wegen ihres heroischen

Kampfes in der Revolution verfolgten und zu Zwangsarbeit verurteilten

Genossen folterten, die Gärung unter den Studenten noch verstärkt. Über-

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365

W A S G E H T A U F D E M L A N D E V O R ?

ü b e r das neue Buch des ehemaligen M inisters für Landwirtschaft,Jermolow, über „die derzeitige Brandepidemie in Rußland" streitet mansich in den Zeitungen. Die liberale Presse betonte, daß die Brände auf

dem Lande nach der Revolution nicht zurückgegangen sind, sondernzugenommen haben. Die reaktionären Zeitungen griffen das Geschreiund Gejammer Jermolows über die „Straffreiheit für Brandstifter", überden „Terror auf dem Lande" usw. auf. Die Zahl der Brände auf demLande stieg in außerordentlichem Umfang an : zum Beispiel im Gouverne-ment Tambow in der Zeit von 1904 bis 1907 - auf das "Doppelte, imGouvernement Orjol - auf das Zweieinhalbfadhe, im Gouvernement Wo-ronesh - auf das Dreifache. „Die halbwegs wohlhabenden Bauern",schreibt das vor der Regierung liebedienernde „Nowoje W remja", „möch-

ten auf Einzelhöfe ziehen, versuchen, eine neue Kultur einzuführen, abersie sind wie in Feindesland der Partisanenbelagerung von Seiten ver-wilderter D orf horden ausgesetzt. Sie werden gebrandschatzt und gehetzt,gehetzt und gebrandschatzt, ,man möchte alles stehen- und liegenlassenund laufen, wohin die Nase zeigt'."

Ein unangenehmes Eingeständnis müssen die Anhänger der zaristischenRegierung machen! Für uns Sozialdemokraten sind diese neuen Angabennicht ohne Interesse als eine weitere Bestätigung dafür, daß die Regierunglügt und daß die liberale Politik erbärmlich und ohnmächtig ist.

Die Revolution von 1905 zeigte vollauf, daß die alte Ordnung im rus-sischen Dorf von der Geschichte ein für allemal verurteilt ist. Keine Kraftder W elt kann diese O rdnung festigen. W ie kann sie umgestaltet w erden?Die Bauernmassen antworteten darauf mit ihren Aufständen des Jahres1905, antworteten durch ihre Abgeordneten der I. und II. Duma. DieGutsbesitzerländereien sollen den G utsbesitzern ohne Entschädigung weg-genommen werden. Wenn 30 000 Gutsbesitzer (an ihrer Spitze NikolausRomanow) 70 M illionen Desjatinen Land besitzen, während 10 Millio-

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366 -W. J. Lenin

nen Bauernhöfe etwa ebensoviel besitzen, kann das zu nichts anderem füh-

ren als zu Knechtschaft, ausweglosem Elend, Ruin und Stagnation in derganzen Volkswirtschaft. Und die sozialdemokratische Arbeiterpartei riefdie Bauern zum revolutionären Kampf auf. Die Arbeiter ganz Rußlandsvereinigten durch ihre Massenstreiks des Jahres 1905 den Kampf derBauern und gaben ihm die Richtung. Der Plan der Liberalen, zwischenBauern und Gutsbesitzern durch eine „Ablösung entsprechend einer ge-rechten Taxierung" „Frieden zu stiften", war ein leerer, kläglicher undverräterischer Winkelzug.

Wie möchte die Stolypinregierung die alte Ordnung auf dem Lande

umgestalten? Sie will den völligen Ruin der Bauern beschleunigen, dieGutsbesitzerländereien erhalten, einer Handvoll reicher Bauern helfen, „aufEinzelhöfe zu ziehen", soviel Gemeindeland wie möglich wegzunehmen.Die Regierung hat begriffen, daß die ganze Masse der Bauern gegen sieist, und sie bemüht sich, Verbündete unter den Dorfreichen zu finden.

Um die von der Regierung angestrebte „Reform" zu verwirklichen,bedarf es „20 Jahre der Ruhe", hat Stolypin einmal selbst gesagt. Als„Ruhe" bezeichnet er die Fügsamkeit der Bauern, das Fehlen des Kamp-fes gegen die Gewalt. Aber ohne die Gewalt der Landeshauptleute und

anderer Machtorgane, ohne Gewalt auf Schritt und Tritt, ohne Ver-gewaltigung von ^Millionen und aber Millionen! ohne Unterdrückungselbst der geringsten Äußerungen ihrer Selbständigkeit, kann die Stoly-pinsche „Reform" nicht durchgeführt werden. Weder für 20 Jahre nochselbst für drei Jahre hat Stolypin „Ruhe" geschaffen, und er wird es auchnie tun können. Das ist die unangenehme Wahrheit, an die das Buch desehemaligen Ministers über die Brände auf dem Lande die Zarendienererinnert.

Für die Bauern gibt es aus dieser Lage der hoffnungslosen Not, des

Elends und des Hungertodes, in die sie die Regierung gebracht ha t, keinenanderen Ausweg und kann es keinen anderen Ausweg geben, als den mitdem Proletariat gemeinsam geführten Massenkampf zum Sturz der Z aren-herrschaft. Die Vorbereitung der Kräfte des Proletariats für diesen Kampf,die Schaffung, Entwicklung und Festigung der proletarischen Organisatio-nen, das ist die gegenwärtige Atifgabe der SD APR.

„Rabotsdbaja QaseXa" 5Vr. 2, 'Nach dem 7ext der18. (31.) Dezember i910. „Rabotsdljaja Qaseta".

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IW A N W A S S I L J E W I T S C H B A B U S C H K I N

(Nekrolog)

Wir leben unter so verfluchten Verhältnissen, wo folgendes möglichist: Ein bedeutender Parteiarbeiter, auf den die Partei stolz sein konnte,ein Genosse, der sein ganzes Leben vorbehaltlos der Sache der Arbeiterwidmete, verschwindet spurlos. Und selbst die nächsten Angehörigen, wiedie Frau und die Mutter, und die allernächsten Genossen wissen jahrelangnicht, was mit ihm geschehen ist: schuftet er irgendwo, zur Zwangsarbeitverurteilt, kam er in irgendeinem Gefängnis um, oder fand er im Kampfmit dem Feind den Heldentod? So war es mit Iwan Wassiljewitsch, dervon Rennenkampf erschossen wurde. Von seinem Tod erfuhren wir erstvor kurzer Zeit.

Der Name Iwan Wassiljewitschs ist sehr vielen Sozialdemokraten nahund teuer. Alle, die ihn kannten, liebten und schätzten ihn, dem jedePhrase fremd war, wegen seiner Energie, wegen seiner aufrichtigen undkonsequenten revolutionären Haltung und seiner leidenschaftlichen Er-gebenheit für unsere Sache. Als Petersburger Arbeiter ist er 1895 miteiner Gruppe anderer klassenbewußter Genossen mit großer Energie hin-ter der Newskaja Sastawa unte r den Arbeitern des Semjannikow- und desAlexandrowschen Werkes sowie der Glasfabrik tätig, er gründet Zirkel,

richtet Bibliotheken ein und lernt stets selbst mit Hingabe.All seine Gedanken sind darauf gerichtet, wie die Arbeit weiter aus-

gedehnt werden kann. Er ist aktiv an der Herstellung des ersten Agi-taUonsflugblattes beteiligt, das im Herbst 1894 in S t. Petersburg er-schien, des Flugblattes an die Arbeiter des Semjannikow-Werkes, under verbreitet es eigenhändig. Als in St. Petersburg der „Kampfbund zurBefreiimg der Arbeiterklasse" gebildet wurde, wird Iwan Wassiljewitsch

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368 IV . 3. Lenin

eines seiner aktivsten Mitglieder, und er arbeitet im Kampfbund bis zu

seiner Verhaftung. Den Gedanken, im Ausland eine politische Zeitungherauszugeben, die der Einigung und Festigung der sozialdemokratischenPartei dienen sollte, berieten seine alten Genossen in der PetersburgerArbeit - die Begründer der „Iskra" - gemeinsam mit ihm, und er unter-stützte diesen Gedanken aufs wärmste. Solange Iwan Wassiljewitsch inFreiheit ist, leidet die „Iskra" keinen Mangel an echten Arbeiterkorre-spondenzen. Sehen Sie die ersten 20 Nummern der „Iskra" durch, all dieKorrespondenzen aus Schuja, Iwanowo-Wosnessensk, Orechowo-Sujewound anderen Orten Zentralrußlands: fast alle von ihnen sind durch die

Hände Iwan Wassiljewitschs gegangen, der bemüht war, die engste Ver-bindung zwischen der „Iskra" und den Arbeitern herzustellen. IwanWassiljewitsch war der eifrigste Korrespondent der „Iskra" und ihr leiden-schaftlicher Anhänger. Aus dem zentralen Gebiet geht Babuschkin nachdem Süden, nach Jekaterinoslaw, wo man ihn verhaftet und nach Alexan-drowsk ins Gefängnis bringt. Aus Alexandrowsk flieht er gemeinsam miteinem anderen Genossen, nachdem er das Fenstergitter durchgefeilt hat.Ohne eine einzige Fremdsprache zu kennen, schlägt er sich nach Londondurch, wo sich damals die Redaktion der „Iskra" befand. Vieles wurde

dort besprochen, viele Fragen wurden gemeinsam erörtert. Iwan Was-siljewitsch kam jedoch nicht dazu, am zweiten Parteitag teilzunehmen ...Gefängnis und V erbannung rissen ihn für lange Zeit aus der Kampffront.Die anschwellende revolutionäre Welle brachte neue Mitarbeiter, neueParteifunktionäre hervor. Babuschkin aber lebte zu dieser Zeit im hohenNorden, in Werchojansk, abgeschnitten vom Parteileben. Er verbrachteseine Zeit nicht untätig, er lernte, bereitete sich zum Kampf vor, halfden Arbeitern, seinen Verbannungsgefährten, sich zu schulen, bemühtesich, sie zu bewußten Sozialdemokraten und Bolschewiki zu machen. ImJahre 1905 kam die Amnestie, und Babuschkin machte sich auf den Wegnach Rußland. Aber auch in Sibirien wogte in dieser Zeit der Kampf,und dort wurden solche Leute wie Babuschkin gebraucht. Er trat demIrkutsker Komitee bei und stürzte sich mit ganzer Kraft in die Arbeit.Er sprach auf Versammlungen, betrieb sozialdemokratische Agitationund organisierte den Aufstand. Als Babuschkin mit fünf anderen G e-nossen - deren Namen uns nicht bekannt geworden sind - in einembesonderen Waggon eine große Ladung Waffen nach Tschita führte,

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Iwan Wassiljewitsäi Babusdikin 369

wurde der Zug von einer Strafexpedition Rennenkampfs gefaßt, und

alle sechs wurden ohne jedes Gerichtsverfahren, auf der Stelle, am Randeeines in aller Eile ausgeworfenen Massengrabes erschossen. Sie starbenals Helden. Von ihrem Tode haben Soldaten berichtet, die Augenzeugenwaren, und Eisenbahner, die sich in diesem Zug befanden. Babuschkinfiel als Opfer des barbarischen Gewaltaktes eines Zarenschergen, aberer starb in dem Bewußtsein, daß die Sache, der er sein ganzes Lebengewidmet hatte, nicht stirbt, daß Zehntausende, Hunderttausende, jaMillionen anderer Hände sie vollbringen werden, daß für diese Sachenoch andere Genossen Arbeiter fallen, daß sie aber so lange kämpfen,bis sie gesiegt haben ...

Es gibt Menschen, die sich das Märchen ausgedacht haben und es ver-breiten, die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Rußlands sei eine „In-tellektuellen"partei, sie sei von den Arbeitern isoliert, die Arbeiter inRußland seien Sozialdemokraten ohne Sozialdemokratie, dies sei ins-besondere vor der Revolution und in bedeutendem Maße während derRevolution so gewesen. Die Liberalen verbreiten diese Lüge aus Haßgegen den revolutionären Kampf der Massen, den die SDAPR im Jahre1905 leitete, und hie und da gibt es auch unter den Sozialisten Leute,die diese verlogene Theorie aus Unverständnis oder Leichtsinn über-nehmen. Das Leben von Iwan Wassiljewitsch Babuschkin, die zehn-jährige sozialdemokratische Tätigkeit dieses Arbeiters! eines echtenJskristen, sind eine anschauliche Widerlegung dieser liberalen Lüge. I. W.Babuschkin war einer von den fortgeschrittenen Arbeitern, die 10 Jahrevor der Revolution begannen, eine sozialdemokratische Arbeiterpartei zuschaffen. Ohne die unermüdliche, heldenhaft beharrliche Arbeit solcherVorkämpfer unter den proletarischen Massen hätte die SDAPR nicht nurkeine zehn Jahre, sondern nicht einmal zehn Monate bestehen können.Nur dank der Tätigkeit solcher Vorkämpfer, nur dank ihrer Unterstüt-zung entwickelte sich die SDAPR bis 1905 zu einer Partei, die in dengroßen Oktober- und Dezembertagen untrennbar mit dem Proletariatverschmolz, die diese Verbindung aufrechterhielt in Gestalt der Arbeiter-abgeordneten nicht nur der II., sondern auch der III., der Schwarzhun-derterduma.

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370 IV . 7. Lenin

Die Liberalen (Kadetten) möchten den kürzlich verstorbenen Präsi-

denten der I . Dum a, S. A. M urom zew , zum V olkshelden m achen. W irSozialdemokraten dürfen keine Gelegenheit vorübergehen lassen, unsereVerachtung und unseren Haß gegen die zaristische Regierung zum Aus-druck zu bringen, die selbst so gemäßigte und harmlose Beamte wie Mu-romzew verfolgte. Muromzew war nur ein liberaler Beamter. Er war nichteinmal Demokrat. Er fürchtete den revolutionären Kampf der Massen.Er erwartete die Freiheit für Rußland nicht von einem solchen Kampf,

sondern vom guten Willen der zaristischen Selbstherrschaft, von derVerständigung mit diesem schlimmsten und unerbittlichen Feind des rus

sischen Volkes. In solchen Leuten Volkshelden der russischen Revolutionsehen z u wo llen ist lächerlich.

Es gibt aber solche Volkshelden. Das sind Menschen wie Babuschkin.Es sind Menschen, die sich nicht ein und nicht zwei, sondern volle 10 Jahrevor der Revolution voll und ganz dem Kampf für die Befreiung der Ar-beiterklasse widmeten. Das sind Menschen, die sich nicht in nützlosenterroristischen Unternehmungen einzelner verzettelten, sondern die hart-näckig und unermüdlich unter den proletarischen Massen wirkten undhalfen, ihr Klassenbewußtsein, ihre Organisat ion, ihre revolutionäre Initia-

tive zu entwickeln. Das sind Menschen, die sich an die Spitze des bewaff-neten Massenkampfes gegen die zaristische Selbstherrschaft stellten, alsdie Krise begann, als die Revolution ausbrach, als Millionen und aberMillionen in Bewegung gerieten. Alles, was der zaristischen Selbstherr-schaft abgerungen worden war, wurde ihr aussdbUeßUdi durch den Kampfder Massen abgerungen, die von solchen Menschen wie Babuschkin ge-führt wurden.

Ohne solche Menschen würde das russische Volk für ewig ein Volkvon Sklaven, ein Volk von Knechten bleiben. Mit solchen Menschen wird

sich das russische Volk die völlige Befreiung von jeglicher Ausbeutungerkämpfen.

Zum fünften Mal jährt sich der Tag des Dezemberaufstands von 1905.Wir wollen diesen Jahrestag begehen, indem wir der fortgeschrittenenArbeiter gedenken, die im Kampf gegen den Feind gefallen sind. Wirwenden uns an die Genossen Arbeiter mit der Bitte, Erinnerungen überden damaligen Kampf und zusätzliche Angaben über Babuschkin wieauch über andere während des Aufstands von 1905 gefallene sozialdemo-

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Jwan Wassüjeivitsdy Tiabusdlikin 371

kratische Arbeiter zu sammeln und uns zu übersenden. Wir beabsichtigen,

eine Broschüre mit Leb ensbeschreibungen solcher Arbeiter herausz ugeb en.Eine solche Broschüre wird die beste Antwort an alle Kleingläubigen undan all diejenigen sein, die die Bedeutung der SozialdemokratischenArbeiterpartei Rußlands herabmindern. Eine solche Broschüre wird diebeste Lektüre für junge Arbeiter sein, die aus ihr lernen werden, wiejeder klassenbewußte Arbeiter leben und wirken muß.

.Rabotsdbaja Qaseta" 3Vr. 2, Tiaäo dem Jext der

IS. (31.) Dezember 1910. ,J!.abotsd}aja Qaseta".

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372

AN DAS ZENTRALKOMITEE

Hinsichtlich unseres Antrags10 9

gehen verlogene Gerüchte um (undwerden von den liquidatorischen „Golos"-Leuten absichtlich verbreitet),so daß wir es für unsere Pflicht halten, diesen Gerüchten eine kurze Dar-legung des Wesens der Sache und unserer Ansichten entgegenzustellen.

Formal liegen die Dinge so, daß auf dem Januarplenum 1910 einVbereinkommen der Fraktion mit der Partei getroffen wurde. Entspre-chend dem Übereinkommen verpflichtete sich unsere Fraktion, sich auf-zulösen, wenn sich die übrigen Fraktionen auflösen. Diese Bedingungist nicht eingehalten worden. Wir stellen unsere Freiheit des Kampfes

gegen die Liberalen und Anarchisten, die von dem Führer der „Versöhn-ler", Trotzki, ermuntert werden, wieder her. Die Frage des Geldes spieltfür uns eine zweitrangige Rolle, obwohl wir natürlich nicht gewillt sind,die Gelder der "Fraktion dem Block der Liqu idatoren + Anarchisten +Trotzki abzugeben, und wir werden durchaus nicht auf unser Recht ver-zichten, diesen Block, seine finanziellen „Grundlagen" (die anrüchigen„Fonds" der „Wperjod"-Leute, die von Trotzki und den „Golos"-Leutenvor der Entlarvung bewahrt werden) usw. vor der internationalenSozialdemokratie zu entlarven.*

Zum Inhalt der Sache: wir lehnen die Verantwortung für diese Mithilfebei der Zerse tzung der Partei ab, die sich aus der „versöhnlerischen" (d. h.

* Das Recht, die Fraktion zu vertreten, wurde unserer Sedhsergruppe desPlenums erteilt. Von sechs Stimmen haben wir vier: drei in Paris und eine laut(schriftlicher) Vollmacht von Meschkowski. Sollte Meschkowski auf den Ge-danken kommen zu widerrufen, so werden wir die übrigen in L ondon gewähl-ten Bolschewiki - Mitglieder und Kandidaten des ZK - und auch Bolschewikibefragen, die durch ihre Arbeit Einfluß erworben haben.

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An das Zentralkomitee 373

gegenüber den „Golos"-Liberalen und den „Wperjod"-Anarchisten nach-

sichtigen) Politik ergeben hat. Wir haben bereits vor Erscheinen der Wr. 12des Zentralorgans die Partei offiziell und offen gewarnt, indem wir indem Flugblatt „Der ,Qohs' der Liquidatoren gegen die Partei" die Ver-schwörung gegen die Partei enthüllt haben.*

Falls jemandem diese Worte übertrieben erschienen sind, die Ereignissehaben uns voll und ganz, Wort für Wort recht gegeben. Die liberalenLiquidatoren außerhalb der Partei haben sich gefestigt, sie haben eine derSozialdemokratie völlig feindlich gegenüberstehende Fraktion geschaffen(„Nascha Sarja", „Wosroshdenije", „Delo Shisni" [Sache des Lebens]), die

imstande istr die Sache unse rer Par tei bei den W ahle n zur IV. Du ma zuhintertreiben. Die „Golos"-Leute haben den Herren Potressow und Co.geholfen! die Partei zu zersetzen, indem sie die Arbeit aus den zentralenInstitutionen heraus lahmlegten und bremsten. Das Auslandsbüro des ZK- das einzige ständige Organ für praktische Arbeit - ist teils auf Grund derSchwäche des „Bund" und der Letten, teils auf Grund der direkten Hilfefür die „Golos"-Leute von Seiten der liquidatorischen Elemente in diesennationalen Organisationen den Liquidatoren in die Hände gefallen. DasAuslandsbüro des ZK hat nicht nur nichts für die Vereinigung der partei-

treuen Elemente im Ausland getan, hat nicht nur durch nichts den Kampfgegen die „Golos"- und „Wperjod"-Leute unterstützt, sondern hat dieparteifeindlichen „Fonds" der Anarchisten und die Schritte der Liberalengedeckt.

Die „Wperjod"-Leute haben sich durch die „versöhnlerische" Unter-stützung Trotzkis und des „Golos" als eine Fraktion mit Literaturversandund eigner Agentur gefestigt und sind nach dem Januarplenum 1910 umein vielfaches erstarkt.

Das , was sich bereits auf dem Plenum sehr deutlich abzeichnete (zumBeispiel die Ve rteidigun g der anarchistischen Schule durch Tro tz ki + die„Golos"-Leute), hat sich jetzt voll entwickelt. Der Block der Liberalen undAnarchisten zerstört unter Mithilfe der Versöhnler ganz frech von außenher die Reste der Partei und hilft, sie von innen heraus zu zersetzen. Dasformale Spiel mit dem „Einladen" der „Golos"-Leute und Trotzkisten indie Parteizentren macht die ohnedies schon geschwächten parteitreuenSozialdemokraten vollends kraftlos.

* Siehe den vorliegenden Band, S. 151-159. Die Red.

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374 W. J. Lenin

Wir lehnen die Verantwortung für dieses Spiel ab und werden im Qe-

gensatz dazu unsere Parteilinie der Annäherung mit den Plechanowleutenund des schonungslosen Kampfes gegen den Block durchführen. Es ver-steht sich von selbst, daß wir auf jede Art und Weise alle Schritte des ZKunterstützen werden, wenn es ihm gelingt, in Rußland zusammenzutreten,den zentralen Apparat in Rußland wiederherzustellen, im Ausland eineorganisatorische Basis der Partei (an Stelle des liquidatorischen Auslands-büros des ZK) zu scharfen und mit der Arbeit gegen die Liberalen undAnarchisten zu beginnen.

Zum Schluß zwei Worte über die Spaltung, mit der die „Versöhnler"

schrecken. Die Spaltung ist bereits jetzt de facto vollzogen, denn die Po-tressow- und die „Wperjod"-Leute haben sich völlig abgespalten, undniemand bringt sie zur Parteilime zurück. Wenn das ZK sie nachdrücklichals Liberale und Anarchisten verurteilt , wird es keine Spaltung de juregeben,- denn ihre eigene Linie können sie nicht verteidigen. Wenn dieParteizentren mit dem Spiel aufhören, die Liberalen, die Diener Potres-sows (, ,Golos"-Leute), und die „Wperjod"-Leute „einzuladen", so wirdes keine Spaltung de jure geben, und die Arbeiter werden sowohl den„Wperjod"-Leuten als auch den Potressowleuten endgültig den Rücken

kehren. Eine andere Politik zieht die Spaltung nur in die Länge, weil siedie Potressow- und die „Wperjod"-Leute ermuntert. Was uns betrifft ,so distanzieren wir uns als bevollmächtigte Vertreter der bolschewistischen

Strömung, denen das Januarplenum 1910 die führende Stellung zuer-kannte, voll und ganz von dieser „anderen" Politik.

Die Vertreter der bolschewistischen Strömung, die auf dem Plenum dasÜbereinkommen mit dem ZK unterzeichnet haben und befugt sind(laut Vollmacht Meschkowskis), es zu annullieren.

Qesdhrieben im Dezember i9iO.Zuerst ve röftentlidrt 1933 Nadi dem Manuskript.im Lenin-Sammelband XXV.

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375

HELDEN DES „VORBEHALTS"110

Das uns soeben zugegangene zehnte Heft der von Herrn Potressowund Co. herausgegebenen Zeitschrift „Nascha Sarja" bietet derart er-staunliche Beispiele von Sorglosigkeit oder, richtiger, Prinzipienlosigkeit inder Beurteilung Leo Tolstois, daß wir auf sie sofort, wenn auch nu r kurz ,eingehen müssen.

Da ist der Artikel W. Basarows, eines neuen Streiters in der Potressow-schen Kampfschar. Die Redaktion ist mit „einzelnen Thesen" dieses Ar-tikels nicht einverstanden, natürlich ohne zu sagen, welches diese Thesensind. Läßt sich doch so die Konfusion viel bequemer bemänteln! Was unsanbelangt, so fällt es schwer zu sagen, welche Thesen des genannten Ar-tikels geeignet sind, einen Menschen, der auch nur eine Spur von Wert-schätzung für den Marxismus hegt, nicht in Empörung zu versetzen.„Unsere Intelligenz", schreibt W. Basarow, „geschlagen und ermattet, ingeistiger und sittlicher Hinsicht zu formlosem Schlamm geworden, an deräußersten Grenze geistiger Zersetzung angelangt, hat Tolstoi - den gan-zen Tolstoi — einmütig als ihr Gewissen anerkannt." Das ist eine U nwahr-heit. Das ist eine Phrase. Unsere Intelligenz überhaupt und die Intelligenzvon der „Nascha Sarja" im besonderen sieht ganz so aus, als ob sie „er-

mattet" wäre, aber irgendeine „Einmütigkeit" in der Beurteilung Tolstoishat sie nicht gezeigt und nicht zeigen können, sie hat den ganzen Tolstoiniemals richtig eingeschätzt und nicht riditig einschätzen können. Undgerade der Mangel an Einmütigkeit wird mit der ganz und gar heuchle-rischen, durdiaus des „"Nowoje Wremja" würdigen Phrase vom „Gewis-sen" bemäntelt. Basarow bekämpft den „Sdilamm" nicht, sondern er be-günstigt den Schlamm.

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376 TV. 1 Lenin

Basarow „möchte an einige Ungerechtigkeiten (!!) gegenüber Tolstoi

erinne rn, dere n sich die russischen Intellektuellen üb erha up t un d wir R adi-kalen verschiedener Spielarten im besonderen schuldig gemacht haben".Hier ist nur so viel wahr, daß Basarow, Potressow und Co. eben „Radi-kale verschiedener Spielarten" sind, die dermaßen von dem allgemeinen„Schlamm" abhängig sind, daß sie zu einer Zeit, wo die grundlegendenInkonsequenzen und Schwächen der Weltanschauung Tolstois in unver-zeihlicher Weise verschwiegen werden, dienstbeflissen und geschäftighinter „aller Welt" herlaufen und von „Ungerechtigkeit" gegenüber Tol-stoi schreien. Sie wollen sich nicht berauschen „an dem u nt er uns b eson ders

verbreiteten Narkotikum, das Tolstoi die ,Erbitterung des Streitens' nennt"- das eben sind Reden, sind Klänge, wie sie die Spießbürger brauchen,die sich mit grenzenloser Verachtung abwenden von einem Streit um jeg-liche uneingeschränkten u nd k onseq uent verf ochtenen Prinzip ien.

„Tolstois Hauptstärke besteht eben darin, daß er, alle Stadien der fürdie modernen Gebildeten typischen Zersetzung durchschreitend, es ver-s tanden hat , eine Synthese zu f inden. . ." Das is t eine Unwahrheit . Ge-rade eine Synthese hat Tolstoi weder in den philosophischen Grundlagenseiner Weltanschauung noch in seiner politisch-gesellschaftlichen Lehre zu

finden gewußt, richtiger: er hat sie nicht finden können. „Tolstoi hat jenerein menschliche" (Hervo rhebun gen überall von Basarow selbst) „Religion,von der Comte, Feuerbach und andere Repräsentanten der modernen Kul-tur nur subjektiv (!) träumen konnten, zum erstenmal (!) objektiviert,d. h. nicht nur für sich, sondern auch für andere geschaffen" usw. usf.

Dergleichen Reden sind schlimmer als das gewöhnliche Spießbürger-gewäsch. So reden heißt den „Schlamm" mit imaginären Blamen aus-schmücken, was nur geeignet ist, die Menschen in die Irre zu führen. Vormehr als einem halben Jahrhundert hat Feuerbach, der nicht imstande war,

in seiner Weltanschauung, die in vielen Beziehungen „das letzte Wort"der klassischen deutschen Philosophie war, „eine Synthese zu finden", sichin „subjektiven Träumen" verloren, die die wirklich fortgeschrittenen„Repräsentanten der modernen Kultur" schon längst als negativ bewertethaben. Heute zu erklären, Tolstoi habe diese „subjektiven Träumereien"„zum ersten Mal objektiviert", heißt sich ins Lager derjenigen schlagen,die rückwärts gehen, heißt dem Spießbürgertum schmeicheln, heißt dem„Wechi"tum nachbeten.

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Helden des „Vorbehalts" 377

„Es versteht sich von selbst, daß die von Tolstoi begründete Bewegung (!?)tiefgreifende Verände rungen durchmachen m uß, wenn es ihr wirklich beschiedensein soll, eine große weltgeschichtliche Rolle zu spielen: die Idealisierung despatriarchalischen Bauernlebens, der Hang zur Naturalwirtschaft und vieleandere utopische Züge des Tolstoianertums, die heutzutage in den Vorder-igrund gedrängt werden (!) und als das Wesentlichste scheinen, sind in Wirk-lichkeit gerade die subjektiven Elemente, die nicht notwendig mit der Grund-lage der Tolstoischen .Religion' zusammenhängen."

Also Tolstoi hätte Feuerbachs „subjektive Träume" „objektiviert", dasaber, was Tolstoi sowohl in seinen genialen belletristischen Werken als

auch in seiner widerspruchsvollen Lehre widergespiegelt hat, die von Ba-sarow hervorgehobenen ökonomischen Besonderheiten Rußlands im vori-gen Jahrhundert, das seien „gerade die subjektiven Elemente" in seinerLehre. Das ist es, was man gründlich danebenhauen nennt. Aber immer-hin: für die „Intelligenz, geschlagen und ermattet" (usw. wie oben zitiert),ist nichts angenehmer, wünschenswerter, anziehender, nichts geeigneter,ihrer Ermattung Vorschub zu leisten, als dieses Verhimmeln der von Tol-stoi „objektivierten" „subjektiven Träumereien" Feuerbachs und diesesAblenken der Aufmerksamkeit von den konkreten wirtschaftsgeschicht-lichen und politischen Fragen, die „heutzutage in den Vordergrund ge-drängt werden"!

Man begreift, daß Basarow besonders die „scharfe Kritik" mißfällt,die die Lehre vom Verzicht auf Widerstand gegen das Böse „bei der radi-kalen Intelligenz" hervorgerufen hat. Für Basarow ist es „klar, daß hiervon Passivität und Quietismus nicht die Rede sein kann ". Zu r Erläuterungseines Gedankens beruft sich Basarow auf das bekannte Märchen von„Iwan dem Dummling" und m utet dem Leser zu, „sich vorzustellen, nichtder Kakerlakenkönig entsende Soldaten gegen die Dümmlinge, sondernderen eigener zu Verstand gekommener Gebieter Iwan, und mit Hilfe

dieser Soldaten, die aus den Reihen eben dieser Dummlinge rekrutiertworden sind, ihnen also in ihrer ganzen geistigen Wesensart nahestehen,wolle Iwan seine Untertanen zur Erfüllung irgendwelcher ungerechterForderungen zwingen. Es liegt ganz klar auf der Hand, daß die Dumm-linge, fast waffenlos und mit dem Kriegshandwerk nicht vertraut, voneinem physischen Sieg über Iwans Heer nicht einmal träumen können.Selbst bei energischstem gewaltsamem Widerstand' könnten die Durnm-

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378 W. 1. Lenin

linge Iwan nicht durch physische, sondern nur durch moralische Einwir-

kung besiegen, d. h. nur durch sogenannte ,Demoralisierung' der Soldatendes Iwanschen Heeres .. . " „Der gewaltsame W iderstand der Dumm lingeführt zu dem gleichen Resultat (nur schlechter und mit größeren Opfern),wie auch ein Widerstand ohne Gew alta nw en du ng ..." „Der Verzicht aufgewaltsamen Widerstand gegen das Böse oder, allgemeiner, die Harmonievon Mittel und Zweck (!!) ist keineswegs eine Idee, die nur gesellschafts-fremden Moralpredigern eigen wäre. Diese Idee ist ein notwendiger Be-standteil jedweder geschlossenen Weltanschauung."

So argumentiert der neue Streiter in der Potressowschen Kampfschar.

Wir können seine Argumentationen hier nicht untersuchen, ja es genügtwohl fürs erste, einfach das Wichtigste daraus abzudrucken und dreiWorte hinzuzufügen: das reinste „Wechi"tum.

Aus den Schlußakkorden der Kantate über das Thema, daß die Ohrennicht über die Stirn hinauswachsen: „Es hat keinen Zweck, unsere Schwä-che für Stärke, für Überlegenheit über Tolstois ,Quietismus' und ge-schränktes Urteilsvermö gen'" (und üb er die Inkonsequenz seiner Urteile?)„auszugeben. So darf nicht gesprochen werden, nicht nur weil es derW ahrh eit widerspricht, sondern aud i weil es uns hindert, von dem größten

Mann unserer Zeit zu lernen."Soso. Keinen Zweck hat es bloß, Herrschaften, sich zu giften und miteiner lächerlichen Bravade, mit Geschimpfe zu antworten (wie Herr Po-tressow in Nr. 8/9 der „Nascha Sarja"), wenn euch die Segenssprüche, dasWohlwollen und die Küsse der Isgojew zuteil werden. Diese Küsse wer-den weder die alten noch die neuen Streiter der Potressowschen Kampf-schar von sich abzuwaschen vermögen.

De r G eneralstab dieser Heerschar ha t Basarows Artikel mit einem klei-nen „diplomatischen" Vorbehalt versehen. Nicht viel besser aber ist der

ohne alle Vorbehalte abgedruckte Leitartikel des Herrn Newedomski.„Leo Tolstoi", so schreibt dieser Barde der modernen Intelligenz, „der diefundamentalen Aspirationen und Bestrebungen der großen Epoche derAbschaffung der Sklaverei in Rußland in sich aufgenommen und in voll-endeter Gestalt verkörpert hat, erwies sich dadurch auch als die reinste,vollendetste Verkörperung eines allgemein menschlichen ideologischenPrinzips - des Prinzips des Qewissens."

Bum, bum, b u m . . . M . Newedomski, der die der bürgerlich-liberalen

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Helden des „Vorbehalts" 379

Publizistik eigenen fundamentalen M aniere n der Deklam ation in sich auf-

genommen und in vollendeter Gestalt verkörpert hat, erwies sich dadurchauch als die reinste, vollendetste Verkörperung eines allgemein mensch-lichen ideologischen Prinzips - des Prinzips des leeren Geschwätzes.

Noch eine le tz te Mär :

„Alle diese europäischen Verehrer Tolstois, alle diese Anatole France ver-schiedenen Namens sowie die Abgeordnetenkammern, die vor kurzem mitgroßer Mehrheit gegen die Abschaffung der Todesstrafe gestimmt haben, jetztaber den großen ganzen Menschen durch Erheben von den Plätzen geehrthaben, dieses ganze Reich der Unentschiedenheit, der Halbschlächtigkeit, desVorbehalts - als was für eine majestätische, was für eine machtvolle, auslauterem reinen Metall gegossene Figur steht vor ihnen dieser Tolstoi, dieselebendige Verkörperung eines einheitlichen Prinzips."

Uff! Schön geredet - und doch ist alles Unwahrheit. Nicht aus lauterem,nicht aus reinem und nicht aus Metall gegossen ist Tolstois Figur. Und„alle diese" bürgerlichen Verehrer haben sein Andenken gerade nicht

wegen der „Ganzheit", sondern gerade wegen der Abweichung von derGanzheit „durch Erheben von den Plätzen geehrt".

Nur ein einziges treffliches Wörtchen ist Herrn Newedomski gegen sei-nen Willen entschlüpft. Dieses W örtche n - V orbehalte - charakterisiertdie Herrschaften von der „Nascha Sarja" ebensogut, wie W . Basarowsoben zitierte Charakteristik der Intelligenz sie charakterisiert. Vor unshaben wir lauter Helden des „Vorbehalts". Potressow macht den Vorbe-halt, er sei nicht einverstanden mit den Machisten, obgleich er sie vertei-digt. Die Redaktion macht den Vorbehalt, sie sei nicht einverstanden mit„einzelnen Thesen" Basarows, obgleich es jedermann klar ist, daß es sichhier nicht um einzelne Thesen handelt. Potressow macht den Vorbehalt,Isgojew habe ihn verleumdet. Martow macht den Vorbehalt, er sei nichtganz einverstanden mit Potressow und Lewizki, obgleich er gerade ihnen

treue politische Dienste erweist. Sie alle miteinander machen den Vor-behalt, sie seien nicht einverstanden mit Tscherewanin, obgleich sie dessenzweitem liquidatorischem Büchlein, das den „Geist" seines ersten Mach-werks noch überbietet, mehr Billigung zuteil werden lassen. Tscherewaninmacht den Vorbehalt, er sei nicht einverstanden mit Maslow. Maslowmacht den Vorbehalt, er sei nicht einverstanden mit Kautsky.

Sie alle miteinander sind sich nur darüber einig, daß sie mit Plechanow

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380 W.J. Lenin

nicht einig sind und daß er sie verleumderisch des Liquidatorentums zeihe,

selbst aber nicht imstande wäre, seine jetzige Annäherung an seine Gegnervon gestern zu erklären.Nichts einfacher als die Erklärung für diese Annäherung, die für Män-

ner des Vorbehalts unbegreiflich ist. Als wir eine Lokomotive hatten,differierten wir aufs stärkste hinsichtlich der Frage, ob eine Geschwindig-keit von sagen wir 25 oder 50 Werst in der Stunde der Stärke dieserLokomotive, den Brennstoffvorräten usw. entspricht. Der S treit darü berwurde, wie der über jede sehr aufregende Frage, mit Leidenschaft undnicht selten mit Erbitterung geführt. Dieser Streit wurd e - absolut in jederFrage, um die er entbrannte - offen vor aller Augen bis zu Ende ausge-tragen und durch keinerlei „Vorbehalte" verkleistert. Und keinem vonuns kommt es in den Sinn, etwas zurückzunehmen oder über die „Erbitte-rung des Streitens" zu jammern. Wo aber die Lokomotive zu Bruch ge-gangen ist, wo sie im Sumpf liegt, umgeben von Intellektuellen des „Vor-behalts", die infam darüber kichern, daß „ja gar nichts zu liquidieren daist", denn eine Lokomotive sei nicht mehr vorhanden, da bringt uns „er-bitterte Streiter" von gestern die eine gemeinsame Sache einander näher.Ohne irgend etwas abzuschwören, ohne irgend etwas zu vergessen, ohnezu versprechen, die Meinungsverschiedenheiten würden verschwinden,

packen wir zusammen das gemeinsame We rk an. Wir bieten alle Aufmerk-samkeit und alle Kräfte auf, um die Lokomotive zu heben, sie instand zusetzen, sie stabiler und stä rker zu machen, sie auf die Schienen zu stellen -über die Fahrtgeschwindigkeit und über die Stellung dieser oder jenerWeichen werden wir zu gegebener Zeit noch zu streiten Gelegenheithaben. Die Aufgabe des Tages besteht in unserer schwierigen Zeit darin,etwas zu schaffen, was geeignet ist, die Männer des „Vorbehalts" und die„ermatteten Intellektuellen", die den herrschenden „Schlamm" direkt undindirekt unterstützen, in die Schranken zu weisen. Die Aufgabe des Tages

besteht darin, auch unter den schwierigsten Verhältnissen Erz zu graben,Eisen zu fördern, den Stahl der marxistischen Weltanschauung sowie derüberbauten zu gießen, die dieser Weltanschauung entsprechen.

„TdysVNr. 1, 'Nadb demjext derDezember i910. Zeitschrift „MysV.Unterschrift: W. 7.

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381

D E R H I S T O R I S C H E S I N N

D E S I N N E R P A R T E I L I C H E N K A M P FE S

I N R U S S L A N D 1 "

Das in der Überschrift bezeichnete Thema wird in Artikeln Trotzkisund Martows in den Nummern 50 und 51 der „Neuen Zeit" angeschnitten.Martow legt die Anschauungen des Menschewismus dar. T rotzk i, der sichhinter besonders klingenden Phrasen versteckt, trottet hinter den Mensche-wiki her. Für Martow läuft die „russische Erfahrung" darauf hinaus, daßdie „blanquistische und anarchistische Unkultur über die marxistischeKultur" (lies: der Bolschewismus über den Menschewismus) „den Siegdavongetragen hat". „Die russische Sozialdemokratie redete allzu eifrig

russisch" - zum Unterschied von den „allgemein europäischen" Metho-den der Tak tik. Trotzkis „Geschichtsphilosophie" ist die gleiche. Die U r-sache des Kampfes sei die „Anpassung der marxistischen Intelligenz andie Klassenbewegung des Proletariats". In den Vordergrund würden„sektiererischer Geist, Intelligenzlerindividualismus, ideologischer Feti-schismus" gerückt. „Der Kampf um den Einfluß auf das politisch unreifeProletariat" - das sei der Kern der Sache.

I

Die Theorie, die in dem Kampf des Bolschewismus gegen den Mensche-wismus einen Kampf um den Einfluß auf das unreife Proletariat erblickt,ist nicht neu. Wir begegnen ihr seit 1905 (wenn nicht seit 1903) in un-zähligen Büchern, Broschüren und Artikeln der liberalen Presse. Martowund Trotzki tischen den deutschen Genossen marxistisdi verbrämte libe-rale Anschauungen auf.

Gewiß, das russische Proletariat ist politisch viel weniger reif als das

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382 •W.I.Lenin

westeuropäische. Aber von allen Klassen der russischen Gesellschaft hat

gerade das Proletariat in den Jahren 1905-1907 die größte politische Reifeoffenbart. Die russische liberale Bourgeoisie, die sich bei uns ebenso ge-

mein, feige, dumm und verräterisch benommen hat wie die deutsche im

Jahre 1848, haßt ja gerade darum das russische Proletariat, weil es sich

1905 als politisch reif genug erwiesen hat, dieser Bourgeoisie die Jührung

der Bewegung zu entreißen, den Verrat der Liberalen schonungslos zu

entlarven.

Es sei eine „Illusion" zu glauben - erklärt Trotzki - , der Menschewis-

mus und der Bolschewismus hätten „in den Tiefen des Proletariats feste

Wurzeln gefaßt". Das ist ein Musterbeispiel jener klingenden, aber hohlenPhrasen, die unser Trotzki meisterhaft beherrscht. Nicht in den „Tiefen

des Proletariats", sondern in dem ökonomischen Inhalt der russischen Re-

volution liegen die Wurzeln der Differenzen zwischen den Menschewiki

und den Bolschewiki. Indem Martow und Trotzki diesen Inhalt ignorieren,

haben sie sich die Möglichkeit genommen, den historischen Sinn des inner-

parteilichen Kampfes in Rußland zu erfassen. Das Wesentliche besteht

nicht darin, ob die theoretischen Formulierungen der Differenzen in diese

oder jene Schichten des Proletariats „tief" eingedrungen sind, sondern

darin, daß die ökonomischen Bedingungen der Revolution von 1905 dasProletariat in ein feindliches Verhältnis zur liberalen Bourgeoisie gebracht

haben, und zwar nicht nur wegen der Frage der besseren Lebensbedin-

gungen für die Arbeiter, sondern auch wegen der Agrarfrage, wegen aller

politischen Fragen der Revolution usw. Vom Kampf der Richtungen in

der russischen Revolution reden, Etiketten wie „Sektierertum", „Unkul-

tur" u. dgl. austeilen und kein Wort über die grundlegenden ökonomi-

schen Interessen des Proletariats, der liberalen Bourgeoisie und der

demokratischen Bauernschaft sagen - heißt auf das Niveau von Vulgär-

journalisten hinabsinken.Hier ein Beispiel. „In ganz Westeuropa", schreibt Martow, „betrachtet

man die Bauernmassen nur in dem Maße für bündnisfähig" (mit dem Pro-

letariat), „als sie die schweren Folgen der kapitalistischen Umwälzung

der Landwirtschaft zu spüren bekommen,- in Rußland aber malte man sich

ein Bild aus, wie sich mit dem zahlenmäßig schwachen Proletariat die 100

Millionen Bauern vereinigen, die noch nicht oder fast nicht die erziehe-

rische' Wirkung des Kapitalismus zu fühlen bekommen haben und in-

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Der historisdje Sinn des innerparteilidhen Xampfes in Rußland 383

folgedessen auch noch nicht von der kapitalistischen Bourgeoisie in die

Schule genommen worden sind."Das ist kein falscher Zungenschlag M artow s. Das ist der zentrale Punktaller Anschauungen des Merischewismus. Von diesen Ideen ist die oppor-tunistische Geschichte der russischen Revolution, die in Rußland unter derRedaktion von Potressow, Martow und Maslow erscheint („Die gesell-schaftliche Bewegung in Rußland zu Beginn des 20. Jahrhunderts"), ganzund gar durchdrungen. Der Menschewik Maslow hat diese Ideen nochplastischer zum Ausdruck gebracht, als er in dem zusammenfassendenArtikel dieses „Werkes" erklärte: „Die Diktatur des Proletariats und derBauernschaft würde dem ganzen Qang der wirtschaftlichen Entwicklungwidersprechen." Eben hier sind die Wurzeln der Differenzen zwischenBolschewismus und Menschewismus zu suchen.

Martow hat die Schule der kapitalistischen "Bourgeoisie an die Stelleder Schule des 'Kapitalismus gesetzt. (In Parenthese sei bemerkt: eine an-dere Bourgeoisie als die kapitalistische gibt es in der Welt nicht.) Worinbesteht die Schule des Kapitalismus? Darin, daß der Kapitalismus dieBauern aus der Idiotie des Dorflebens herausreißt, sie aufrüttelt und zu mKampf drängt. Worin besteht die Schule der „kapitalistischen Bourgeoi-sie"? Darin: „Die deutsche Bourgeoisie von 1848 verrät ohne allen An-stand diese Bauern, die ihre natürlichsten Bundesgenossen sind, undohne die sie machtlos ist gegenüber dem Adel." (K. Marx in der „NeuenRheinischen Zeitung" vom 29. Juli 1848.)112 Da rin, daß die russische libe-rale Bourgeoisie in den Jahren 1905-1907 systematisch und beharrlich dieBauern verriet, sich dem Wesen der Sache nach auf die Seite der Guts-besitzer und des Zarismus gegen die kämpfenden Bauern schlug, der Ent-faltung des Kampfes der Bauern direkte Hindernisse in den Weg legte.

Unter dem Deckmantel „marxistischer" Schlagworte über „Erziehung"der Bauern durch den Kapitalismus verteidigt Martow die „Erziehung"

der Bauern (die revolutionär gegen den Adel käm pften) durch die Libera-len (die die Bauern an die Adligen v errieten).

Das ist eben ein Ersetzen des Marxismus durch den Liberalismus. Dasist eben ein mit marxistischen Phrasen verbrämter Liberalismus. BebeisW orte in Magdeburg, daß es unter den Sozialdemokraten Nationalliberalegebe, sind nicht nur in der Anwendung auf Deutschland richtig.

Zudem muß bem erkt werden, daß sich die meisten ideologischen Führer

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384 W. 1. Lenin

des russischen Liberalismus an deutscher Literatur gebildet haben und

speziell den TSrentanosdhen und Sombartsdben „Marxismus" nadi Ruß-land verpflanzen, der die „Schule des Kapitalismus" anerkennt, die Schuledes revolutionären Klassenkampfes jedoch ablehnt. Alle konterrevolutio-nären Liberalen in Rußland: Struve, Bulgakow, Frank, Isgojew und Co.,prunken mit ebensolchen „marxistischen" Phrasen.

Martow vergleicht das Rußland der Epoche der Bauernaufstände gegenden Feudalismus mit „Westeuropa", das schon längst mit dem Feudalis-mus aufgeräumt hat. Das ist eine phänomenale Entstellung der historischenPerspektive. Gibt es „in ganz Westeuropa" Sozialisten, deren Programm

die Forderung enthält, „die revolutionären Aktionen der Bauernschafteinschließlich der "Konfiskation des Qutsbesitzerlandes zu un terstützen"?11 3

Nein. „In ganz Westeuropa" unterstützen die Sozialisten keineswegs dieKleineigentümer in ihrem Kampf um den Bodenbesitz gegen die Groß-eigentümer. Worin besteht der Unterschied? Darin, daß „in ganz West-europa" das bürgerliche Regime und insbesondere die bürgerlichen Agrar-verhältnisse sich schon längst herausgebildet und endgültig feste Formenangenommen haben, während es in Rußland gerade jetzt in der Revolu-tion darum geht, welche Gestalt dieses bürgerliche Regime annehmen soll.

Martow wiederholt die abgegriffene Methode der Liberalen, die der Pe-riode revolutionärer Konflikte wegen einer bestimmten Frage stets solchePerioden gegenüberstellen, wo es keine revolutionären Konflikte gibt, weildie Frage selbst längst gelöst ist.

Die Tragikomödie des Menschewismus besteht eben darin, daß er zurZeit der Revolution Thesen annehmen mußte, die mit dem Liberalismusunvereinbar sind. Wenn wir den Kampf der „Bauernschaft" für die Kon-fiskation des Grund und Bodens unterstützen, so heißt das, daß wir denSieg als möglich anerkennen, als ökonomisch und politisch vorteilhaft für

die Arbeiterklasse und für das ganze Volk. Der Sieg der vom Proletariatgeführten „Bauernschaft" im Kampf für die Konfiskation des Guts-besitzerlandes ist aber eben die revolutionäre Diktatur des Proletariatsund der Bauernsdhaft. (Man erinnere sich daran, was Marx im Jahre 1848über die Notwendigkeit der Diktatur in der Revolution gesagt hat, undwie Mehring mit Recht die Leute verspottete, die gegen Marx die An-schuldigung erhoben, er wolle die Demokratie durch Errichtung der Dik-tatur verwirklichen.114)

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Der historische Sinn des innerparteilichen Xampfes in Rußland 385

Grundfalsch ist die Ansicht, daß die Diktatur dieser Klassen „dem

ganzen Gang der wirtschaftlichen Entwicklung widerspricht". Gerade dasGegenteil trifft zu. "Nur eine solche Diktatur würde alle Überbleibsel desFeudalismus restlos hinwegfegen und die schnellste Entwicklung der Pro-duktivkräfte gewährleisten. Die Politik der Liberalen dagegen gibt denrussischen Junkern das Heft in die Hand, die den „Gang der wirtschaft-lichen Entwicklung" Rußlands hundertfach verlangsamen.

In den Jahren 1905-1907 war der Widerspruch zwischen der liberalenBourgeoisie und der Bauernschaft vollkommen offen zutage getreten. ImFrühjahr und Herbst 1905 sowie im Frühjahr 1906 hatten die Bauern-

aufstände ein Drittel bis zur Hälfte der Kreise Zentralrußlands erfaßt.Die Bauern hatten etwa 2000 Herrensitze zerstört (leider ist das nichtmehr als ein Fünf zehntel dessen, was hätte zerstört werden müssen). Nurdas P roletariat un terstütz te rückhaltlos diesen revolutionären Kampf,wiesihm in jeder Hinsicht die Richtung, leitete ihn und faßte ihn durch seineMassenstreiks zusammen. Die liberale Bourgeoisie hat niemals, nid)t eineinziges M al den revolutionären Kampf unterstützt, sie zog es vor, dieBauern zu „beschwichtigen" und sie mit den Gutsbesitzern und dem Zaren„auszusöhnen". In den ersten beiden Dumas (1906 und 1907) wieder-holte sich dann auf parlamentarischem Schauplatz dasselbe. Die ganzeZeit hemmten die Liberalen den Kampf der Bauern und verrieten sie; undnur die Arb eiter ab geordneten lenkten und unterstützten die Bauern gegendie Liberalen. Der Kampf der Liberalen gegen die Bauern und die Sozial-demokraten füllt die ganze Geschichte der I. und der II. Duma aus. DerKampf des Bolschewismus gegen den Menschewismus ist untrennbar mitdieser Geschichte verknüpft, als Kampf darum, ob die Liberalen zu unter-stützen sind, oder ob die Hegemonie der Liberalen über die Bauernschaftzu beseitigen ist. Unsere Spaltungen deshalb aus dem Einfluß der Intelli-genz, aus der Unreife des Proletariats usw. erklären zu wollen, ist einekindisch naive Wiederholung liberaler Märchen.

Aus demselben Grunde ist Trotzkis Betrachtung grundfalsch, daß in derinternationalen Sozialdemokratie Spaltungen hervorgerufen würden durchden „Anpässungsprozeß einer Sozialrevolutionären Klasse an die begrenz-ten (engen) Bedingungen des Parlamentarismus" usw., innerhalb der rus-sischen Sozialdemokratie aber durch die Anpassung der Intelligenz an dasProletariat. „So begrenzt (eng)", schreibt Trotzki, „vom Standpunkt des

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386 W.J.Lenin

sozialistischen Endziels der reale politische Inhalt dieses Anpassungspro-

zesses w ar, so un bän dig wa ren seine Formen , so gewaltig die ideologischenSchatten, die er warf."

Dieses wahrhaft „unbändige" Phrasengeklingel ist nur der „ideolo-gische Schatten" des Liberalismus. Sowohl Martow als auch Trotzki wer-fen verschiedenartige geschichtliche Perioden in einen Topf, wenn sie Ruß-land, das seine bürgerliche Revolution vollzieht, Europa gegenüberstellen,das diese Revolutionen längst abgeschlossen hat. In Europa ist der reale po-litische Inhalt de r sozialdemokratischen A rbe it die Vorbereitung des Prole-tariats zum Kampf um die Macht gegen die Bourgeoisie, die schon die volle

Herrschaft im Staate besitzt. In Rußland hand elt es sich erst um die Sdhaf-fung eines modernen bürgerlichen Staates, der entweder einer Junker-monarchie (im Falle eines Sieges des Zarism us übe r die Dem okratie) odereiner bäuerlichen bürgerlich-demokratischen Republik (im Falle eines Sie-ges der Dem okratie üb er den Z arismu s) gleichen wird. De r Sieg der D em o-kratie ist im heutigen Rußland aber nur dann möglich, wenn die Bauern-massen dem revolutionären Proletariat und nicht dem verräterischen Libe-ralismus Gefolgschaft leisten werden. Diese Frage ist historisch noch nichtentschieden. Die bürgerlichen Revolutionen sind in Rußland noch nichtabgeschlossen, und in diesen Qrenzen, d. h. in den Grenzen des Kampfesum die 7orm der bürgerlichen Gesellschaftsordnung in Rußland, ist der„reale politische Inhalt" der Arbeit der russischen Sozialdemokraten we-niger „begrenzt" als in den Ländern, wo es keinerlei Kampf für die Kon-fiskation der Gutsbesitzerländereien durch die Bauern gibt, wo die bürger-lichen Revolutionen längst abgeschlossen sind.

Es ist leicht zu verstehen, warum die Klasseninteressen der Bourgeoisiedie Liberalen zwingen, den Arbeitern einzureden, daß ihre Rolle in derRevolution „begrenzt" sei, daß der Kampf der Richtungen durch die In-tellektuellen und nicht durch tiefgehende ökonomische Widersprüche her-vorgerufen werde, daß die Arbeiterpartei „nidbt Hegemon im Befreiungs-kampf, sondern Klassenpartei" sein müsse. Gerade eine solche Formel istin der allerletzten Zeit von den liquidatorischen „Golos"-Leuten (Lewizkiin „Nascha Sarja") aufgestellt und von den Liberalen gebilligt worden.Das Wort „Klassenpartei" verstehen sie im Sinne von Brentano undSombart: kümmert euch nur um eure Klasse und laßt ab von den„blanquistischen Träumen", alle revolutionären Elemente des Volkes

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Der bistorisdlie Sinn des innerparteiliäien Xampfes in Rußland 387

im Kampf gegen den Zarismus und den verräterischen Liberalismus zu

führen.II

Die Betrachtungen Martows über die russische Revolution und dieTrotzkis über die gegenwärtige Lage der russischen Sozialdemokratiegeben eine konkrete Bestätigung für die Unrichtigkeit ihrer grundlegendenAnschauungen.

Beginnen wir mit dem Boykott. Martow bezeichnet den Boykott als„politische Enthaltsamkeit", als Methode der „Anarchisten und Syndika-listen", wobei er nur vom Jahre 1906 redet. Trotzki erklärt, daß die„boykottistische Tendenz durch die ganze Geschichte des Bolschewismusgeht-Boyko ttierung der Gewerkschaften, der Reichsduma, der Gemeinde-vertretungen usw.", daß das ein „Produkt der sektiererischen Furcht vordem Aufgehen in den Massen, der Radikalismus der unversöhnlichen Ent-haltsamkeit" usw. sei. In bezug auf den Boykott der Gewerkschaften undder Gemeindevertretungen sagt Trotzki die direkte "Unwahrheit. Ebensounwahr ist es, daß der Boykottismus sich durch die ganze Geschichte desBolschewismus ziehe; der Bolschewismus war im Frühjahr und Sommer1905, vor dem ersten Auftauchen der Boykottfrage, als Richtung schon

völlig herausgebildet. Der Bolschewismus erklärte im AuQust 1906 imoffiziellen Organ der Fraktion, daß die historischen Bedingungen, die dieNotwendigkeit des Boykotts hervorgerufen hatten , nicht mehr vorhandensind.*

Trotzki entstellt den Bolschewismus, denn niemals konnte sich Trotzkiirgendwelche bestimmte Anschauungen über die Rolle des Proletariats inder russischen bürgerlichen Revolution zu eigen machen.

Aber noch viel schlimmer ist die Entstellung der Geschichte dieser Re-volution. Spricht man vom Boykott, so muß man mit dem Anfang und

nicht mit dem Ende beginnen. Der erste (und einzige) Sieg in der Revo-lution wurde durch die Massenbewegung errungen, die unter der L osungdes Bo ykotts verlief. Das zu vergessen ist nur für die Liberalen von Vor-teil.

Durch das Gesetz vom 6. (19.) August 1905 wurde die BulyginscheDuma als beratende Körperschaft geschaffen. Die Liberalen, selbst die

* Siehe Werke, Bd. 11, S. 127-135. DieJled.

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388 IV . J. Lenin

am weitesten links stehenden, beschlossen, an ihr teilzunehmen. Die So-

zialdemokratie beschloß mit überwältigender Mehrheit (gegen die Men-schewiki), diese Duma zu boykottieren und die Massen zum direktenSturm gegen den Zarismus, zum Massenstreik und zum Aufstand auf-zurufen. Folglich war die Frage des Boykotts nicht nur eine interne Frageder Sozialdemokratie. Sie war eine Frage des Kampfes zwischen dem Li-beralismus und dem Proletariat. Die gesamte liberale Presse jener Zeitzeigt, daß die Liberalen die Entfaltung der Revolution fürchteten und alleihre Anstrengungen auf eine „Verständigung" m it dem Zarismus richteten.

Welches waren die objektiven Bedingungen für den unmittelbaren M as-

senkampf? Darauf gibt die Statistik der Streiks (eingeteilt in wirtschaft-liche und politische Streiks) und der Bauernbewegung die beste Antwort.Wir führen die wichtigsten Daten an, die uns als Illustration zu den gan-zen weiteren Ausführungen dienen sollen.

Zahl der Streikenden (in 1000] in jedem Quartal*

Insgesamtc (wirtschaft-~ liehen Streiks

Q (StreiksProzentsatz der vonder Bauembewegungerfaßten Kreise

1905

I

810

411

399

II

481

190

291

III

294

143

151

IV

1277

275

1002

1906

I

269

73

196

II

479

222

257

III

296

125

171

IV

63

37

26

1907

I

146

52

94

II

323

52

271

III

77

66

11

IV

193

30

163

14,2% 36,9% 49,2% 21,1%

Diese Zahlen zeigen uns, welche gewaltige Energie das Proletariat inder Revolution zu entfalten vermag. Für das ganze Jahrzehnt vor der Re-

volution betrug die Z ahl de r Streikenden in Rußland nur 431 000, d. h.durchschnittlich 43 000 pro Jahr, während 1905 die Gesamtzahl der Strei-

* Umrahmt sind die besonders wichtigen Perioden: 1905 I - der 9. Januar;1905 IV - der Höhep unkt der Revolution im Ok tober und D ezem ber; 1906 II -die erste Duma; 1907 II - die zweite Duma. Die Angaben sind der offiziellenStreikstatistik11 5 entnommen, die ich in einer in Vorbereitung befindlichenStudie über die Geschichte der russischen Revolution ausführlich bearbeite.(Siehe den vorliegenden Band, S. 401-430. Die Red.)

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Der historische Sinn des innerparteilichen Kampfes in Rußland 389

kenden sich auf 2 863 000 belief, bei einer Gesamtzahl von 1 661 000 In-

dustriearbeitern! Eine derartige Streikbewegung hatte d ie W elt noch nichtgesehen. Im dritten Quartal des Jahres 1905, als zum erstenmal die Fragedes Boykotts auftauchte, sehen wir gerade den Moment des Übergangszu einer neuen, viel stärkeren Welle der Streik- (und darauf auch derBauern-) Bewegung. Sollte man die Ausbreitung dieser revolutionärenWelle fördern und sie auf den Sturz des Zarismus richten, oder sollte mandem Zarismus gestatten, die Aufmerksamkeit der Massen durch die Ko-mödie der beratenden Duma abzulenken - das war der reale historischeInhalt der Boykottfrage. Man kann danach beurteilen, wie trivial und

liberal-stumpfsinnig die krampfhaften Anstrengungen sind, den Boykottin der Geschichte der russischen Revolution mit „politischer Enthaltsam-keit", „Sektierertum" usw. in Verbindung zu bringen! Unter der Losungdes Boykotts, die gegen die Liberalen angenommen w orden ist, verlief eineBewegung, die die Zahl der aus politischen Gründen Streikenden von151 000 im dritten Quartal 1905 auf eine Million im vierten Q uartal 1905erhöhte.

Martow erklärt als „Hauptursache" für den Erfolg der Streiks von1905 „die immer stärker werdende oppositionelle Strömung in breitenbürgerlichen Kreisen". „Der Einfluß dieser großen Schichten der Bour-geoisie ging so weit, daß sie einerseits die Arbeiter zu politischen Streiksgeradezu anreizten, anderseits es bei den Industriellen durchsetzten,den Arbeitern die Löhne für die Jage des Streiks auszuzahlen." (Hervor-hebung von Martow.)

Diesem süßlichen Lobgesang auf den „Einfluß" der Bourgeoisie wollenwir die trockene Statistik entgegenstellen. Im Jahre 1905 endeten dieStreiks im Vergleich zu 1907 viel häufiger zugunsten der Arbeiter. Undnun sehe man sich die Zahlen für dieses Jahr an : 1 438 610 Streikende er-hoben wirtschaftliche Forderungen; 369 304 Arbeiter gewannen denKampf, 671 590 beendeten ihn mit einem Kompromiß, 397 716 verlorenden Streik. So sah in Wirklichkeit (und nicht in der D arstellung liberalerMärchen) der „Einfluß" der Bourgeoisie aus. Ganz nach Art der Libe-ralen entstellt M artow das wirkliche Verhältnis des P roletariats zu r Bour-geoisie. Nicht darum siegten die Arbeiter (sowohl in der „Ökonomie"als auch in der Politik), weil die Bourgeoisie mitunter die Streiktage be-zahlte oder oppositionell auftrat, sondern die Bourgeoisie frondierte und

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390 TV.!. Lenin

zahlte, weil die Arbeiter siegten. Die Stärke des Klassendrudcs, die

Macht der Millionenstreiks, der Bauernunruhen und der Aufstände inHeer und Flotte ist die Ursache, die „'Hauptursadhe", mein lieber Martow ;die „Sympathie" der Bourgeoisie ist die Wirkung.

„Der 17. Oktober", schreibt Martow, „der Aussichten auf die Wahlenin die Reichsduma eröffnete und die Möglichkeit schuf, Versammlungeneinzuberufen, Arbeitervereine zu gründen und sozialdemokratische Zei-tungen herauszugeben, zeigte auch die Richtung, in der gearbeitet werdensollte." Aber das Unglück sei gewesen, daß die „Idee der Möglichkeiteiner ,Ermattungsstrategie' niemandem in den Kopf gekommen ist. Die

ganze Bewegung wurde künstlich auf einen ernsten und entscheidendenZusammenstoß hingetrieben", d. h. zum Dezemberstreik und zu der „blu-tigen Niederlage" im Dezember.

Kautsky polemisierte mit R. Luxemburg darüber, ob in Deutschlandim Früh jähr 1910 der Moment gekommen sei, von der „Ermattungs-strategie" zur „Niederwerfungsstrategie" überzugehen, wobei Kautskyklar und deutlich aussprach, daß dieser Übergang bei der weiteren Ent-wicklung der politischen Krise unvermeidlich ist. Martow dagegen, dersich an die Rockschöße Kautskys klammert, propagiert nachträglich die

„Ermattungsstrategie" in einem Augenblick der höchsten Zuspitzung derRevolution. Nein, verehrter Martow, Sie wiederholen einfach liberaleReden. Nicht „Aussichten" auf eine friedliche Verfassung „eröffnete"der 17. Oktober - das ist ein liberales Märchen -, sondern den Bürger-

krieg. Dieser Krieg wurde nicht durch den subjektiven Willen von Par-teien oder Gruppen, sondern durch den gesamten Verlauf der Ereignisseseit dem Januar 1905 vorbereitet. Das Oktobermanifest bedeutete nichtetwa, da ß der Kampf eingestellt, sondern daß das Gleichgewicht der Kräfteder Kämpfenden hergestellt worden w ar: der Zarismus konnte schon nitb\

mehr regieren, die Revolution konnte ihn nocfo nicht stürzen. Aus dieserLage entsprang mit objektiver Unvermeidlichkeit der entscheidendeKampf. Der Bürgerkrieg war sowohl im Oktober als auch im Novembereine 7atsacbe (die friedlichen „Aussichten" dagegen eine liberale Lüge);dieser Krieg kam nicht nur in den Pogromen zum Ausdruck, sondern auchim Kampf mit Waffengewalt gegen die meuternden Truppenteile, gegendie Bauern in einem Drittel Rußlands, gegen die Randgebiete. Leute, dieunter solchen Umständen den bewaffneten Aufstand und den M assenstreik

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Der historisdhe Sinn des innerparteilichen Kampfes in Rußland 391

im Dezember für „künstlich" halten, können nur künstlich zur Sozial-

demokrat ie gezählt werden. Die natürliche Partei für solche Leute ist dieliberale Partei.

Marx sprach 1848 und 1871 davon, daß es Augenblicke in der Revo-lution gebe, wo die kampflose Preisgabe von Positionen an den Feind dieMassen mehr demoralisiere als eine Niederlage im Kampf.116 D e r D e -zember 1905 war nicht bloß ein solcher Augenblick in der Geschichte derrussischen Revolution. Der Dezember war die natürliche und unvermeid-liche Vollendung der ^Wassenzusammenstöße und -kämpfe, die im Zeit-raum von zwölf Monaten in allen Teilen des Landes immer zahlreicher

geworden waren. Hiervon zeugt sogar die trockene Statistik. Die Zahlder aus rein politischen G rün de n Streiken den (d. h. solcher, die keinerleiwirtschaftliche Forde rungen erhoben) b etru g: im Janua r 1905 - 123 000,im Oktober 328 000, im Dezember 372 000. Und da will man uns glau-ben machen, daß dieses Wachstum „künstlich" gewesen sei! Man tischtuns das Märchen auf, ein derartiges Anwachsen des politischen Massen-kampfes neben Aufständen in der Armee sei möglich ohne den unver-meidlichen Übergang zum bewaffneten Aufstand! Nein, das ist keineGeschichte der Revolution, sondern eine liberale Verleumdung der Re-

volution.III

„Gerade zu dieser Zeit der allgemeinen Erregung der Arbeitermassen",schreibt Martow über den Oktoberstreik, „entsteht die Tendenz, denKampf für politische Freiheit mit dem wirtschaftlichen Kampf zu ver-schmelzen. Aber entgegen der Meinung der Genossin Rosa Luxemburgäußerte sich darin nicht die starke, sondern die schwache Seite der Be-wegung." Der Versuch, auf revolutionärem Wege den Achtstundentag ein-

zuführen, habe mit einem Mißerfolg geendet und die Arbeiter „desorgani-siert". „In derselben Richtung wirkte der allgemeine Streik der Post- undTelegrafenbeamten ganz Rußlands im November 1905." So schreibtMartow Geschichte.

Es genügt, einen Blick auf die oben angeführte Statistik zu werfen, umzu sehen, wie verlogen diese Geschichtsschreibung ist. Im Verlauf allerdrei Revolutionsjahre sehen wir bei jeder Verschärfung der politischenKrise einen Aufschwung nicht nur der politischen, sondern auch der wirt-

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392 W . 7. Lenin

schaftlichen Streikkämpfe. In ihrer Vereinigung lag nicht die Schwäche,

sondern die Stärke der Bewegung. Die entgegengesetzte Ansicht ist dieAnsicht liberaler Bourgeois, die ja gerade möchten, daß die Arbeiteran der Politik teilnähmen, ohne die breitesten Massen in die Revolutionund in den Kampf gegen die Bourgeoisie hineinzuziehen. Eben nach dem17. Oktober spaltete sich die liberale Semstwobewegung endgültig: dieGrundbesitzer und Fabrikanten bildeten die offen konterrevolutionärePartei der „Oktobristen", die mit der ganzen Wucht der Repressalienüber die Streikenden herfielen (während die „linken" Liberalen, dieKadetten, die Arbeiter in der Presse des „Wahnsinns" beschuldigten).

Martow, im Gefolge der Oktobristen und Kadetten, erblickt die„Schwäche" der Arbeiter darin, daß sie gerade in dieser Zeit bemühtwaren, den wirtschaftlichen Kampf noch offensiver zu gestalten. Wir sehendie Schwäche der Arbeiter (und noch mehr der Bauern) darin, daß sienicht entschlossen genug, nicht zahlreich genug, nicht schnell genug zumoffensiven wirtschaftlichen und zum bewaffneten politischen Kampf über-gingen, der unvermeidlich dem ganzen Gang der Ereignisse und keines-falls subjektiven Wünschen einzelner Gruppen oder Parteien entsprang.Zwischen unserer Ansicht und der Ansicht Martows liegt ein Abgrund,

und dieser Abgrund zwischen den Ansichten von „Intellektuellen" wider-spiegelt, entgegen Tro tzki, lediglich den Abgrund, der Ende 1905 in Wirk-lichkeit zwischen den "Klassen klaffte, nämlich zwischen dem kämpfendenrevolutionären Proletariat und der sich verräterisch verhaltenden Bour-geoisie.

Man muß noch hinzufügen, daß die Niederlagen der Arbeiter im Streik-kampf nicht nur das von Martow herausgegriffene Ende des Jahres 1905,sondern in noch höherem Maße die Jahre 1906 und 1907 diarakterisieren.Die Statistik sagt uns, daß in den zehn Jahren von 1895 bis 1904 die

Fabrikanten 51,6% der Streiks (nach der Zahl der Streikenden geredinet)gewannen; 1905 gewannen sie 29,4%; 1906 - 33,5%; 1907 - 57,6%;1908 - 68,8%. Bedeutet das nun, daß die wirtschaftlichen Streiks in denJahren 1906 und 1907 ein „Wahnsinn", „unzeitgemäß" waren, daß siedie „schwache Seite der Bewegung" darstellten? Nein. Das bedeutet, daßdie Niederlage (in der Politik wie in der „Ökonomie") insofern unver-meidlich war, als der Ansturm des revolutionären Kampfes der Massenim Jahre 1905 nicht stark genug war; hätte aber das Proletariat es dabei

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Der historische Sinn des innerparteilichen Kampfes in Rußland 393

nicht vermocht, sich mindestens zweimal zu einem neuen Ansturm gegen

den Feind zu erheben (allein eineViertelmilUon aus politischen GründenStreikender im zweiten Vierteljahr 190(5 und auch 1907), so wäre, dieNiederlage nodb sdbwerer gewesen; der Staatsstreich wäre nicht im Juni1907, sondern ein Jahr oder sogar noch früher erfolgt; die wirtschaft-lichen Errungenschaften von 1905 wären den Arbeitern nodb. sdmellergenommen worden. ' :

Gerade diese Bedeutung des revolutionären Kampfes der. Massen be-greift Martow absolut nicht. Genau wie die Liberalen sagt er von demBoykott am Anfang des Jahres 1906, daß „die Sozialdemokratie zeit?weise außerhalb der politischen Kampfeslinie blieb". Rein theoretisch isteine solche Behandlung der Frage des Boykotts vom Jahre 1906 eine un-glaubliche Versimpelung und Vulgarisierung eines sehr komplizierten Pro-blems. Wie war die reale „Kampfeslinie" im zweiten Vierteljahr 1906,parlamentarisch oder außerparlamentarisch? Man betrachte die Statistik:die Zahl der Teilnehmer an „wirtschaftlichen" Streiks wächst von 73 000auf 222 000, die Zahl der aus politischen Gründen Streikenden von196 000 auf 257 000. Der Prozentsatz der von der Bauernbewegung er-faßten Kreise steigt von 36,9% auf 49,2%. Bekanntlich waren auch dieAufstände in der Armee im zweiten Vierteljahr 1906 im Vergleich zumersten bedeutend stärker und häufiger. Es ist ferner bekannt, daß dieI. Duma das revolutionärste Parlament der Welt (zu Beginn des 20. Jahr-hunderts) und gleichzeitig das ohnmächtigste war; kein einziger ihrerBeschlüsse wurde realisiert.

Das sind die objektiven Tatsachen. Die Liberalen sowie Martow schät-zen diese Tatsachen so ein, daß die Dum a die reale „XampfesHnie" gewe-sen sei, die Aufstände, die politischen Streiks, die Bauern- und Soldaten-unruhen dagegen nur ein Unfug „revolutionärer Romantiker". Der tief-denkende Trotzki aber meint, die Differenzen zwischen den Fraktionenauf diesem Boden seien ein Kampf von „Intellektuellen" „um den Einflußauf das unreife Proletariat" gewesen. Wir meinen, daß die objektivenAngaben davon zeugen, daß im Frühjahr 1906 ein so. ernsthafter Auf-schwung eines wirklich revolutionären Kampfes der Massen vorhandenwar, daß die sozialdemokratische Partei verpflichtet w ar, eben diesenKampf als den Hauptkampf anzuerkennen und alle Kräfte zu seinerUnterstützung und Entfaltung einzusetzen. Wir meinen, daß die spezi-

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394 W . J. Lenin

fische politische Situation jener Epoche - wo die Zarenregierung von

Europa eine Zweimilliardenanleihe erhielt und die Einberufung der Dumagewissermaßen die Garantie für die Anleihe sein sollte, wo die Zaren-regierung in aller Eile Gesetze gegen den Boykott der Dum a erließ - denVersuch des Proletariats, die Einberufung des ersten Parlaments in Ruß-land den Händen des Zaren zu entreißen, vollauf rechtfertigte. Wir mei-nen, daß nicht die Sozialdemokraten, sondern die Liberahn damals„außerhalb der politisdien Kampfeslinie blieben". Jene Verfassungsillu-sionen, auf deren Verbreitung in den Massen die ganze Karriere derLiberalen in der Revolution aufgebaut war, wurden am anschaulichsten

durch die Geschichte der I. Duma widerlegt.In den ersten beiden Dumas hatten die Liberalen (die Kadetten) die

Mehrheit und hielten unter viel Lärm und Krach den Vordergrund derpolitischen Bühne besetzt. Aber gerade diese „Siege" der Liberalen zeigtenauch anschaulich, daß die Liberalen die ganze Zeit hindurch „außerhalbder politischen Kampfeslinie" blieben, daß sie politische Komödiantenwaren, die das demokratische Bewußtsein der Massen tiefgehend demo-ralisierten. Und wenn Martow und seine Freunde, den Liberalen folgend,auf die schweren Niederlagen der Revolution hinweisen als auf eine Lehre

dafür, „was wir zu unterlassen haben", so antworten wir ihnen: der ein-zige reale Sieg, den die Revolution davontrug, war der Sieg des Prole-tariats, das die liberalen Ratschläge, in die Bulyginsche Duma zu gehen,von sich wies und die Bauemmassen mit sich zum Aufstand führte. Daserstens. Zw eitens aber e rrang das russische Pro letariat durch seinen helden-mütigen Kampf im Verlauf dreier Jahre (1905-1907) für sich und dasrussische Volk etwas, zu dessen Erkämpfung andere Völker Jahrzehntegebraucht hatten. Es erkämpfte die "Befreiung der Arbeitermassen von

dem Einfluß des verräterischen und veraditungswürdig-ohnmächtigen

Liberalismus. Es erkämpfte sich die Rolle des Hegemons im Kampf für dieFreiheit, für die Demokratie, als Vorbedingung des Kampfes für denSozialismus. Es erreichte durch seinen Kampf, daß alle unterdrückten undausgebeuteten Klassen Rußlands verstehen, den revolutionären Massen-kampf zu führen, ohne den nirgends in der We lt ein ernsthafter Fortschrittder Menschheit erzielt worden ist.

Diese Errungenschaften können dem russischen Proletariat durch keineReaktion, keinen Haß, keine Schmähungen und kein Wüten der Liberalen,

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Der historisdoe Sinn des innerparteilichen Xampfes in Rußland 395

keine Schwankungen, keine Kurzsichtigkeit und keine Kleingläubigkeit der

sozialistischen Opportunisten genommen werden.

IV

Die Entwicklung der Fraktionen der russischen Sozialdemokratie nachder Revolution erklärt sidi wiederum nidit aus der „Anpassung der In-telligenz an das Proletariat", sondern aus den Veränderungen in denBeziehungen zwischen den Klassen. Die Revolution von 1905 bis 1907 ver-schärfte den Antagonismus zwischen Bauernschaft und liberaler Bourgeoi-

sie in der Frage nach der 7orm der bürgerlichen Ordnung in Rußland,sie machte ihn offenkundig und aktuell. Das politisch gereifte Proletariatmußte unbedingt an diesem Kampf aktivsten Anteil nehmen, und dieWiderspiegelung seiner Stellung zu den verschiedenen Klassen der neuenGesellschaft war der Kampf zwischen Bolschewismus und Menschewismus.

Die drei Jahre 1908-1910 sind gekennzeichnet durch den Sieg derKonterrevolution, durch die Wiederherstellung der Selbstherrschaft unddurch die III. Duma, die Duma der Schwarzhunderter und Oktobristen.Der Kampf zwischen den bürgerlichen Klassen um die Form der neuen

Ordnung ist in den Hintergrund getreten. Für das Proletariat wurde dieelementare Aufgabe auf die Tagesordnung gestellt, seine eigene, die prole-tarische Partei zu be haup ten, die sowohl der Reaktion als auch dem kon ter-revolutionären Liberalismus feindlich gegenübersteht. Diese Aufgabe istnicht leicht, denn gerade das Proletariat traf die ganze Schwere der wirt-schaftlichen und politischen Verfolgungen, der ganze Haß der Liberalendafür, daß die Sozialdemokratie ihnen die Führung der Massen in derRevolution entrissen hat.

Die Krise der sozialdemokratischen Partei ist sehr schwer. Die Organi-

sationen sind zerschlagen. Eine Menge alter Führer (vor allem aus denReihen der Intelligenz) ist verhaftet. Ein neuer Typ des sozialdemokra-tischen Arbeiters, der die Parteiangelegenheiten in seine Hand nimmt,hat sich schon entwickelt, aber er hat außergewöhnliche Schwierigkeitenzu überwinden. Unter diesen Verhältnissen verliert die sozialdemokra-tische Partei viele „Mitläufer". Es war natürlich, daß sich in der bürger-lichen Revolution kleinbürgerliche Mitläufer den Sozialisten angeschlossenhatten. Sie fallen jetzt vom Marxismus und von der Sozialdemokratie ab.

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396 ' TV,I.Lenin

Dieser Prozeß ist in beiden Fraktionen zutage getreten: bei den Bolsche-

wiki in Form der „otsowistischen" Strömung, die im Frühjahr 1908 auf-tauchte, sofort auf der Moskauer Konferenz eine Niederlage erlitt und,nach langem Kampf, vom offiziellen Zentrum der Fraktion verworfen,im Ausland eine besondere Traktion - die der „Wperjod"-Gruppe - bil-dete. Die Eigenart der Zerfallsperiode kam darin zum Ausdruck, daß sidiin dieser Fraktion sowohl jene „Machisten", die in ihre Plattform denKampf gegen den Marxismus (unter dem Aushängeschild der Verteidi-gung der „proletarischen Philosophie") aufgenommen hatten, als auchdie „Lfltimatisten", diese verschämten Otsowisten, sowie verschiedene

Typen von „Sozialdemokraten aus den Tagen der Freiheit" zusammen-fanden, die, von „effektvollen" Losungen hingerissen, sich diese ein-gepaukt, die Grundlagen des Marxismus aber nidbt begriffen hatten.

Bei den Menschewiki fand derselbe Prozeß des Abfalls der klein-bürgerlichen „Mitläufer" seinen Ausdruck in der liqxridatorischen Strö-mung, die gegenwärtig völlig feste Gestalt angenommen hat in der Zeit-schrift des Herrn Potressow „Nascha Sarja", in den Zeitschriften „Wos-roshdenije" und „Shisn", in der Position der „Sechzehn" und der „Drei"(Michail, Roman, Juri), wobei der im Ausland erscheinende „Golos Sozial-

Demokrata" faktisch die Stelle eines Lakaien der russischen Liquidatoreneinnimmt, der sie gegenüber der Parteiöffentlichkeit diplomatisch deckt.Da Trotzki die historische und ökonomische Bedeutung dieses Zerfalls

in der Epoche der Konterrevolution, dieses Abfalls nichtsozialdemokrati-scher Elemente von der sozialdemokratischen Arbeiterpartei nicht begrif-fen hat, erzählt er den deutschen Lesern von einem „Zerfall" beiderFraktionen, von einem „Zerfall der Partei", von einer „Zersetzung derPartei".

Das ist nicht wahr. Und diese Unwahrheit bringt erstens die völlige

theoretische Verständnislosigkeit Trotzkis zum Ausdruck. Warum das Ple^num sowohl das Liquidatorentum als auch den Otsowismus für den „Aus-druck des bürgerlichen Einflusses auf das Proletariat" erklärt hat, das hatTrotzki absolut nicht begriffen. In der Tat, man überlege: äußert sidi inder Abtrennung der von der Partei verurteilten Strömungen, die denbürgerlichen Einfluß auf das Proletariat zum Ausdruck bringen, der Zer-fall der Partei, die Zersetzung der Partei oder ihre Festigung und Reini-gung? .

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Der bistoris&e Sinn des innerparteilichen "Kampfes in "Rußland 397

Zweitens bringt diese Unwahrheit in der Praxis die auf Reklame aus-

gehende „Politik" der Trotzki-Fraktion zum Ausdruck, Daß TrötzkisUnternehmen der Versuch ist, eine Fraktion zu schaffen, sieht jetzt, woTrotzki den Vertreter des ZK aus der „Prawda" entfernt hat, jedermannein: Trotzki, der für seine Fraktion die Reklametrommel rührt, geniertsich nicht, den Deutschen zu erzählen, daß die „Partei" zerfalle, daßbeide Fraktionen zerfallen, während er, Trotzki, allein alles rette. InWirklichkeit sehen wir jetzt alle - und die jüngste Resolution derTrotzkisten (am 26.: November 1910 im Nam en des Wiener Klubsangenommen) zeigt das besonders anschaulich -, daß Trotzki aus-

schließlich bei den Liquidatoren und den „Wperjod" -Leuten Vertrauengenießt.

Bis zu welcher Unverfrorenheit sich Trotzki dabei versteigt, wenn erdie Partei herabsetzt und sich selbst in den Augen der Deutschen heraus-streicht, zeigt zum Beispiel folgender Fall. Trotzki schreibt, daß die„Arbeitermassen" in Rußland die „sozialdemokratische Partei als außer-halb (hervorgehoben von Trotzki) ihres Kreises stehend" betrachten, undspricht von „Sozialdemokraten ohne Sozialdemokratie". .

Wie sollten denn da Herr Potressow und dessen Freunde Trotzki für

solche Reden nicht ans Herz drücken?Diese Reden werden aber nicht nur durch die ganze Geschichte derRevolution, sondern allein schon durch die Wahlen in der Arbeiterkuriezur III. Duma widerlegt.

Für die Arbeit in den legalen Organisationen, schreibt Trotzki, „er-wiesen sich die Fraktionen der Menschewiki und Bolschewiki - ihrer bis-herigen Ideen- und Organisationsstruktur nach — als vollkommen un-fähig", es arbeiteten „einzelne Gruppen von Sozialdemokraten, aber diesalles geschah außerhalb des Rahmens der Fraktionen, außerhalb ihrer

organisatorischen Einwirkung". „Selbst die einflußreichste legale Organi-sation, ... in der die Menschewiki das Übergewicht haben, arbeitet voll-kommen außerhalb der Kontrolle der menschewistischen Fraktion." Soschreibt Trotzk i. Die Tatsachen sehen aber anders aus. Seitdem die sozial-demokratische Fraktion in der III. Duma besteht, hat die bolschewistischeFraktion stets durch ihre vom ZK der Partei bevollmächtigten Vertrauens-männer die Arbeit der Sozialdemokraten in der Duma gefördert, unter-stützt, beraten und kontrolliert. Das gleiche tut die Redaktion des Zen-

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398 TV. J.Lenin

tralorgans der Partei, die aus Vertretern der Fraktionen besteht (die sich

als Fraktionen im Januar 1910 aufgelöst haben).Wenn Trotzki den deutschen Genossen ausführlich von der Dumm-

heit des „Otsowismus" erzählt und diese Strömung als „Kristallisation"des dem gesamten Bolschewismus eigenen Boykottismus darstellt, umdann in zwei Worten zu erwähnen, der Bolschewismus habe sich vomOtsowismus „nicht beherrschen lassen", sondern sei „gegen ihn ent-schieden oder, richtiger, ungestüm" aufgetreten, so stellt sich der deutsdieLeser freilich nicht vor, welch raffinierter Betrug in einer solchen Dar-stellung steckt. Die jesuitische „Reservation" Trotzkis besteht in der

Fortlassung einer kleinen, ganz kleinen „Bagatelle". Er hat „vergessen"zu berichten, daß die bolschewistische Fraktion schon im Frühjahr 1909in einer offiziellen Versammlung ihrer Vertreter die Otsowisten entfernt,sie ausgeschlossen hat. Aber gerade diese „Kleinigkeit" paßt Trotzkinicht, der vom „Zerfall" der bolschewistischen Fraktion (und dann auchder Partei) reden möchte und nicht vom Abiall der nichtsozialdemokrati-schen Elemente!

Martow halten wir jetzt für einen der Führer des Liquidatorentums, derum so gefährlicher ist, je „geschickter" er die Liquidatoren mit quasi-

marxistischen Worten verteidigt. Aber Martow legt offen die Anschau-ungen dar, die ganzen Strömungen in der proletarischen Massenbewegungvon 1903 bis 1910 ihren Stempel aufgedrückt haben. Trotzki dagegenrepräsentiert lediglich seine persönlichen Schwankungen und sonst nichts.1903 war er Menschewik,- 1904 rückte er vom Menschewismus ab, und1905 kehrte er, lediglich mit ultrarevolutionären Phrasen prunkend, zuden M enschewiki zurück; 1906 wandte er sich abermals vom Menschewis-mus ab; Ende 1906 verfocht er Wahlabkommen mit den Kadetten (d. h.ging faktisch wieder mit den Menschewiki), und im Frühjahr 1907 sprach

er auf dem Londoner Parteitag davon, daß der Unterschied zwischenihm und Rosa Luxemburg „eher ein Unterschied in der individuellenSchattierung als in der politischen Richtung" sei. Trotzki begeht heute einPlagiat an dem geistigen R üstzeug der einen, morgen an dem der anderenFraktion, und darum gibt er sich als über beiden Fraktionen stehend aus.Trotzki ist in der Theorie in nidbts mit den Liquidatoren und den Otso-wisten einverstanden, in der Praxis dagegen ist er in allem mit den„Golos"- und den „Wperjod"-Leuten einverstanden.

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D er historische S inn des innerparteilichen "Kampfes in Rußland 399

Wenn darum Trotzki den deutschen Genossen vorredet, er vertrete eine

„allgemeinparteiliche Tendenz", so muß ich erklären, daß Trotzki nurseine Fraktion vertritt und ausschließlich bei den Otsowisten und denLiquidatoren ein gewisses Vertrauen genießt. Hier die Tatsachen, die dieRiditigkeit meiner Erklärung beweisen. Im Januar 1910 trat das Zentral-komitee unserer Partei in enge Fühlung mit Trotzkis Zeitung „Prawda"und entsandte einen Vertreter des ZK in die Redaktion. Im September1910 meldet das ZO der Partei, daß der Vertreter des ZK mit Trotzkiwegen dessen parteifeindlicher Politik gebrochen hat. In Kopenhagen er-hob Plechanow, als Vertreter der parteitreuen Menschewiki und Delegier-

ter der Redaktion des ZO, gemeinsam mit dem Schreiber dieser Zeilen,als dem Vertreter der Bolschewiki, und einem polnischen Genossen ent-schieden Protest dagegen, wie Trotzki in der deutschen Presse unsereParteiangelegenheiten darstellt.

Die Leser mögen nun selbst urteilen, ob Trotzk i eine „allgemein partei-liche" oder eine „allgemein parteifeindHdie" Tendenz in der Sozialdemo-kratie Rußlands vertritt.

Qesdorieben Ende i9io.

Veröffentlicht am 29. April Tiaäo dem 7 ext des(12. Mai) 1911 im .Viskussionny ttstok".

„ T>iskussionny Cistok" 3Vr. 3 .

Unterschrift: 5V. Lenin.

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ÜBER DIE STATISTIK DER STREIKS

IN RUSSLAND 117

Qesdorieben Ende 1910.

Veröflentlidit im Dezember 1910 Nach dem 7 e x t der Zeitschrift.

und im Januar 1911 in der

Zeitschrift „TA ysl" Nr. 1 und 2.

Unterschrift: 14>. 11] in.

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403

I

Die bekannten Publikationen des Ministeriums für Handel und Indu-strie „Statistik der Streiks der Industriearbeiter" für das Jahrzehnt1895-1904 und für die Jahre 1905-1908 wurden schon wiederholt inunserer Literatur angeführt. Das in diesen Publikationen gesammelteMaterial ist so reichhaltig und wertvoll, daß sein erschöpfendes Studiumund seine allseitige Bearbeitung noch sehr viel Zeit erfordern wird. Diein der genannten Publikation vorgenommene Bearbeitung ist nur einerster Beginn, der bei weitem nicht genügt. Wir beabsichtigen, in demvorliegenden Artikel die Leser mit den vorläufigen Ergebnissen einesVersuchs einer detaillierteren Bearbeitung bekannt zu machen, wobeiwir eine vollständige Darstellung bis zu einer anderen Gelegenheit auf-schieben.

Klar festgestellt sei vor allem die Tatsache, daß die Streiks in Ruß-land in den Jahren 1905-1907 eine Erscheinung darstellen, wie sie dieWelt noch nie gesehen hat. Hier die Daten über die Anzahl der Streiken-den in Tausenden, geordnet nach Jahren und Ländern:

Durchschnitt:Jahre

1895-19041905

1906190719081909

Rußland

43 '2863

110874017664

Vc r. Staaten Detitsdi-von Amerika land Frankreidi

660 527 438

Maximum für die ganzen 15 Jahre1894-1908

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404 19.3. Lenin

Die drei Jahre 1905-1907 stellen etwas Außergewöhnliches dar. Das

Minimum der Streikenden in Rußland in diesen drei Jahren übersteigtdas Maximum, das in den entwickeltsten kapitalistischen Ländern der

Wel t je erreicht worden ist. Das bedeutet selbstverständlich nicht, daß

die russischen Arb eiter entwickelter oder stärker wären als die im Westen .Es bedeutet jedoch, daß die Menschheit bisher nicht gewußt hat, welcheEnergie das Industrieproletariat auf diesem Gebiet zu entfalten fähig

ist. Die Eigentümlichkeit des historischen G angs der Ereignisse kam darinzum Ausdruck, daß die ungefähren Ausmaße dieser Fähigkeit zum ersten-m al in Erscheinung getreten sind in einem rückständigen Land, das erst

die bürgerliche Revolution durchmacht.Um sich klarzumachen, wie in Rußland bei einer im Vergleich mit

Westeuropa ger ingen Zahl von Industriearbeitern die Zah l der Streiken-den so groß werden k onnte, muß man die wiederholten Streiks in Betrachtziehen. Hier die Angaben über die Zahl der wiederholten Streiks, ge-

ordnet nach Jahren, sowie über das Verhältnis der Zah l der Streikendenzur Zahl der Arbei te r :

Jahre1895-1904

1905190619071908

Prozentuales Verhä l tnisder Zahl der Streikenden

zur Gesamtzahl derArbeiter

l ,46%-5,10%163,865,841,9•9,7

Prozentuales Verhäl tnisder Zahl der wieder-

holten Streiks zur Ge-samtzahl der Streiks

36,2%85,574,5

51,8

25,4

Hieraus ersehen wir, daß die drei Jahre 1905-1907, die nach der

Gesamtzahl der Streikenden besonders hervorstechen, ebenso eine Son-

derstellung einnehmen nach der Häufigkeit der wiederholten Streiks und

der Höhe des prozentualen Verhältnisses der Zahl der Streikenden zur

Gesamtzahl der Arbeiter.

Die Statistik gibt uns auch die wirkliche Zahl der bestreikten Betriebe

und der an den Streiks beteiligten Arbeiter an,- hier diese Angaben nach

Jahren:

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Über die Statistik der Streiks in Rußland 405

Prozentsatz der Streikendenin den bestreikten Betrieben

znr Gesamtzahlder Arbeiter

In 10 Jahren (1895-1904) insgesamt 27,0%1905 60,0

1906 37,9

1907 32,1

1908 11,9

Auch diese Tabelle zeigt, ähnlich wie die vorhergehende, daß derRückgang der Zahl der Streikenden 1907 gegenüber 1906 im allgemeinen

viel schwächer ist als der Rückgang 1906 gegenüber 1905. Wir werdenin der weiteren Darlegung sehen, daß in einigen Produktionszweigen undeinigen Gebieten 1907 gegenüber 1906 kein Rückgang, sondern eine Ver-stärkung der Streikbewegung zu beobachten ist. Einstweilen wollen wirfesthalten, daß aus den für die einzelnen Gouvernements vorliegendenAngaben über die Zahl der Arbeiter, die tatsächlich an den Streiks teil-nahmen, folgende interessante Erscheinung zu ersehen ist. 1906 ist gegen-über 1905 der Prozentsatz der Arbeiter, die an Streiks teilnahmen, inder überwiegenden Mehrheit der Gouvernements mit entwickelter Indu-strie zurückgegangen; es gibt aber eine Reihe von Gouvernements, wodieser Prozentsatz 1906 gegenüber 1905 gestiegen ist. Das sind die indu-striell am geringsten entwickelten, die sozusagen hinterwäldlerischenGouvernements. Hierzu gehören zum Beispiel die Gouvernements deshohen N ordens : Archangelsk (11 000 Industriearbeiter.- 1905 - 0,4 Pro-zent streikender Arbeiter; 1906 - 78,6 Prozent), Wologda (6000 Indu-striearbeiter; 26,8 Prozent bzw. 40,2 Prozent für die gleichen Jahre),Olonez (1000 Industriearbeiter; 0 bzw. 2,6 Prozent); ferner das Schwarz-meergouvernement (1000 Industriearbeiter; 42,4 Prozent bzw. 93,5 Pro-zent); von den Wolgagouvernements - Simbirsk (14 000 Industriearbei-

ter; 10,0 Prozent bzw. 33,9 Prozent); von den landwirtschaftlichenZentralgouvernements - Kursk (18 000 Industriearbeiter; 14,4 Prozentbzw. 16,9 Prozent); von den östlichen Randgebieten — GouvernementOrenburg (3000 Industriearbeiter; 3,4 Prozent bzw . 29,4 Prozent).

Was die Steigerung des Prozentsatzes der Streikenden in diesen Gou-vernements 1906 gegenüber 1905 bedeutet, ist klar: die Streikwelle hattesie 1905 noch nicht erreichen können, sie begannen erst in die Bewegung

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406 W.3. Centn

hineingezogen zu werden, als die fortgeschritteneren Arbeiter sdion ein

Jahr lang in einem Kampf standen, wie ihn die Welt noch nidit gesehenhatte. Dieser Ersdieinung, die für das Verstehen des historisdien Ganges

der Ereignisse sehr widitig ist, werden wir bei der weiteren Darstellung

nodi wiederholt begegnen.

Dagegen steigt 1907 gegenüber 1906 der Prozentsatz der Streikenden

in einigen industriell stark entwickelten Gouvernements, zum Beispiel

in den Gouvernements: Petersburg (68,0 Prozent im Jahre 1906; 85,7

Prozent im Jahre 1907, fast ebensoviel wie 1905 - 85,9 Prozent), Wla-

dimir (37,1 Prozent bzw. 49,6 Prozent), Baku (32,9 Prozent bzw. 85,5

Prozent), Kiew (10,9 Prozent bzw. 11,4 Prozent) und in einer Reihe an-derer Gouvernements. Wenn also in dem Ansteigen des Prozentsatzes

der Streikenden 1906 gegenüber 1905 in einer Reihe von Gouvernements

die Nachhut der Arbeiterklasse in Ersdieinung tritt, die den Moment der

hödisten Entwicklung des Kampfes versäumt hatte, so zeigt uns das An-

steigen dieses Prozentsatzes 1907 gegenüber 1906 in einer Reihe anderer

Gouvernements die Vorhut in ihrem Bestreben, von neuem den Kampf

aufzunehmen, den begonnenen Rückzug zum Stehen zu bringen.

Um dieser riditigen Sdilußfolgerung eine nodi größere Exaktheit zu

verleihen, wollen wir die absoluten Zahlen der Arbeiter und der tatsäch-lich Streikenden anführen, geordnet nadi den Gouvernements der ersten

und der zweiten Art.

Gouvernements, in denen der Prozentsatz der streikenden Arbeiter1906 ge genüber 1905 gestiegen ist:

Zah l solcher Zah l der Industrie- Zahl der Arbeiter,Gouvernements arbei ter dort die tatsächlich gestreikt haben

1905 1906

10 61800 6564 21484

Durdisdmittlich entfallen auf jedes Gouvernement 6000 Industrie-

arbeiter. Das Anwachsen der Zahl der Arbeiter, die an Streiks tatsächlidi

teilnahmen, beträgt insgesamt 15 000.

Gonvernements, in denen der Prozentsatz der streikenden Arbeiter1907 gegenüber 1906 gestiegen ist:

Zah l solcher Za hl der Industrie- Zahl der Arbeiter,Gouvermements arbei ter dort die tatsächlich gestreikt ha ben

1906 1907

19 572132 186 926 285 673

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Vber die Statistik de r Streiks in Rußland 407

Durchschnittlich entfallen auf jedes Go uve rnem ent 30 000 Indu strie-

arbeiter. Das Anwachsen der Zahl der Arbeiter, die tatsächlich gestreikthaben , beträgt etwa 100 000 , wenn m an jedoch die Arb eiter d er Erdöl-industrie des Gouvernements Baku, die 1906 nicht mitgezählt wurden,abz ieht (wahrscheinlich nicht me hr als 20 00 0- 30 00 0), so sind es etwa70 000.

Die Rolle der Nachhut im Jahre 1906 und der Vorhut im Jahre 1907tritt in diesen Zahlen deutlich in Erscheinung.

Zu einer genaueren Beurteilung dieser Ausmaße muß man die Datenfür die einzelnen Gebiete Rußlands nehmen und die Zahl der Streikenden

mit der Zahl der Industriearbeiter vergleichen. Hier eine Aufstellung die-ser Daten:Zah l der In- Zah l der Streikendendus triearb ei- (in 1000) für die Jah re

ter 1905 1895-1904Ind ustrie bez irke (in 1000) insgesam t 1905 1906 1907 1908

I. Petersburg 'II. Moskau

III. WarschauIV.-VI. Kiew, Wolgagebiet

und Charkow

298567252

543

13712369

102

1033540887

403

307170525

106

325154104

157*

442835

69*Insgesamt 1660 431 2863 1108 740 176

Die Arbeiter der verschiedenen Gebiete nahmen an der Bewegungungleichmäßig teil. Im ganzen stellten 1 660 000 A rbeiter 2 863 000 Strei-kende , d. h., auf je 100 Arbe iter kamen 164 Streikende oder, mit ande-ren Worten, etwas über die Hälfte aller Arbeiter streikte 1905 durch-schnittlich zweimal. Aber diese Durchschnittszahlen vertuschen den ge-waltigen Unterschied zwischen dem Petersburger und dem Warsdiauer

Bezirk einerseits und allen übrigen anderseits. Die Bezirke Petersburgund Warschau weisen zusammen ik der Gesamtzahl der Industriearbeiter(550 000 von 1 660 000) auf, w ähre nd sie 2/3 der Gesamtzahl der Strei-ken den stellten (1 920 000 von 2 863 00 0). In diesen Bezirken streikte

* Diese Zahlen lassen sich nicht ganz mit den Angaben für die vorhergehen-den Ja hre vergleichen, denn für das Jah r 1907 sind zum erstenmal die Arbeiterder Erdölindustrie mitgezählt. Das Plus beträgt nicht mehr als 20000-30000.

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408 W. J.Lenin

jeder Arbeiter 1905 im Durchschnitt fast viermal. In den übrigen Be-

zirken kommen auf 1 110 000 Arbe iter 943 000 Streikende, d .h . imVerhältnis etwa ein Viertel der Anzahl der Streikenden in den zweiobengenannten Bezirken. Schon daraus ist zu ersehen, wie falsch die vonunseren Liquidatoren wiederholten Behauptungen der Liberalen sind,daß die Arbeiter ihre Kräfte überschätzt hätten. Im Gegenteil, die Tat-sachen beweisen, daß sie ihre Kräfte unterschätzt haben, denn sie habensie nicht restlos ausgenutzt. Wären die Energie und die Hartnäckigkeitdes Streikkampfes (wir sprechen hier allein von dieser Form des Kampfes)in ganz Rußland so gewesen, wie sie in den Bezirken Petersburg und

Warschau waren, so wäre die Gesamtzahl der Streikenden doppelt sogroß gewesen. Mit anderen Worten läßt sich diese Schlußfolgerung soausdrücken: die Arbeiter konnten auf dem gegebenen Gebiet der Be-wegung nur die Hälfte ihrer Kräfte werten, da sie die andere Hälfte nochnicht ausgenutzt hatten. Geographisch gesprochen-, der Westen und derNordwesten waren schon erwacht, aber das Zentrum, der Osten und derSüden schliefen noch zur Hälfte. Die Entwicklung des Kapitalismus tutmit jedem Tag etwas dazu, damit diejenigen aufgerüttelt werden, diesich verspätet haben.

Die nächste wichtige Schlußfolgerung aus den Angaben für die ein-zelnen Bezirke besteht darin, daß 1906 gegenüber 1905 die Bewegungüberall, wenn auch nicht im gleichen Maße, zurückgegangen war; 1907sehen wir aber gegenüber 1906 bei einem gewaltigen Rückgang im BezirkWarschau, bei einer sehr geringen Verminderung in den Bezirken Mos-kau, Kiew und dem Wolgagebiet eine Steigerung in den Bezirken Peters-burg und Charkow. Das bedeutet, daß bei dem gegebenen Niveau desKlassenbewußtseins und der Vorbereitung der Bevölkerung die von unsbetrachtete Form der Bewegung im Verlauf des Jahres 1905 sich erschöpft

hatte; sie mußte, insofern die objektiven Widersprüche des sozialen undpolitischen Lebens nicht verschwunden waren, in eine höhere Form derBewegung übergehen. Aber nach einem Jah r der Erholung, wenn man sichso ausdrücken darf, bzw. nach der Periode der Sammlung der Kräfte imVerlauf des Jahres 1906, machte sich ein neuer Aufschwung bemerkbar,er begann in einem Teil des Landes. Wenn die Liberalen und in ihremGefolge die Liquidatoren bei der Einschätzung dieser Periode verächtlichvon den „Erwartungen der Romantiker" reden, so mu ß ein Ma rxist sagen,

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Tiber dieStatistik der Streiks in Rußland 409

daß die Liberalen die letzte Möglichkeit zur Verteidigung der demo-

kratischen Errungenschaften dadurch vereitelten, daß sie es ablehnten,diesen teilweisen Aufschwung zu unterstützen.

Zur Frage der territorialen Verteilung der Streikenden muß noch be-

merkt werden, daß ihre überwiegende Mehrheit auf die sechs Gouverne-

ments entfällt, die eine stark entwickelte Industrie aufweisen und von

denen fünf Gouvernements Großstädte haben. Diese sechs Gouverne-

ments sind: Petersburg, Moskau, Livland, Wladimir, "Warschau und

Petrokow. 1905 gab es in diesen Gouvernements 827 000 Industriearbei-

ter bei einer Gesamtzahl von 1 661 000, d. h. fast die Hälfte der Gesamt-

zahl. Streikende gab es in diesen Gouvernements in den zehn Jahren

von 1895 bis 1904 insgesamt 246 000 von 431 000, d.h. ungefähr 60

Prozent der Gesamtzahl der Streikenden; 1905 waren es 2 072 000 von

2 863 000, d. h. ungefähr 70 Prozent; 1906 - 852 000 von 1 108 000, d. h.

etwa 75 Prozent; 1907 - 517 000 von 740 000, d.h. etwa 70 Prozent;

1908 - 85 000 von 176 000, d. h. weniger als die Hälfte.*

Die Rolle dieser sechs Gouvernements war also in den drei Jahren von

1905 bis 1907 größer als in der vorhergehenden und in der nachfolgenden

Periode. Es ist somit klar, daß die Großstädte, darunter die Hauptstädte,

in diesen drei Jahren eine weitaus größere Energie entwickelt haben als

alle übrigen Orte. Die Arbeiter, die über die Dörfer und die verhältnis-mäßig kleinen städtischen und industriellen Zentren verstreut sind und

die Hälfte der Gesamtzahl der Arbeiter bilden, stellten 1895 bis 1904

40 Prozent der Gesamtzahl der Streikenden, 1905 bis 1907 dagegen nur

25-30 Prozent. In Ergänzung der oben gezogenen Schlußfolgerung

können wir sagen, daß die Großstädte erwacht waren, während die Klein-

städte und die Dörfer in bedeutendem Maße noch schliefen.

In bezug auf das Dorf im allgemeinen, d. h. auf die Industriearbeiter,

die in Dörfern leben, gibt es außerdem noch statistische Angaben über die

Zahl der Streifes (nicht über die Zahl der Streikenden) in den Städtenund außerhalb der Städte. Hier diese Angaben:

* Im Jahre 1908 steht an der Spitze der Gouvernements mit einer bedeuten-

den Zahl von Streikenden das Gouvernement Baku mit 47000 Streikenden. Die

letzten Mohikaner des politischen Massenstreiks!

11 Lenin, W er k e , Bd. IS

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410 IV.1. Lenin

• Zahl der Streiksin den außerh alb

Städten de r Städ te i n s g e s a m t

In 10 Jahren (1895-1904) insgesamt 1 326 439 17651905 H 8 9 1 2104 13995

- . : 1906 5 328 . 7 8 6 6 1141907 3 258 3.15 3 5731908 767 , 125 892

Die Verfasser der offiziellen Statistik, die diese Daten anführen, weisendarauf hin, daß nach den bekannten Untersuchungen des Herrn Pogo-

shew von der Gesamtzahl aller Fabriken und W erke Rußlands sich 40 Pro-zent in den Städten und 60 Prozent außerhalb der Städte befinden.118

Wenn also in normalen Zeiten (1895-1904) die Zahl der Streiks in denStädten dreimal so groß ist wie ihre Zahl in den Dörfern, so ist dasprozentuale Verhälüiis der Zahl der Streiks zur Zahl der Betriebe in denStädten viereinhalbmal so groß wie in den D örfern. 1905 war dieses Ver-hältnis ungefähr 8: 1 ; 1906 - 9 : 1 ; 1907 - 1 5 :1 ; 1908* - 6 :1 . Mitanderen W orten : Die Rolle der städtischen Industriearbeiter in der Streik-bewegung war im Vergleich mit der Rolle der Industriearbeiter, die in den

Dörfern leben, im Jahre 1905 viel größer als in den vorhergehenden Jah-ren, wobei 1906 und 1907 diese Rolle immer größer und größer würde,d. h., die Dorfbewohner nahmen proportionell immer weniger und weni-ger an der Bewegung teil. Die in den Dörfern lebenden Industriearbeiter,die durch das Jahrzehnt von 1895 bis 1904 am wenigsten zum Kampf vor-bereitet waren, offenbarten die geringste Standhaftigkeit und traten nach1905 am schnellsteil den Rückzug an. Die Vorhut, d. h . die städtischen In-dustriearbeiter, machten 1906 besondere Anstrengungen und 1907 riodjgrößere als i9O6, um diesen Rückzug aufzuhalten.

Betrachten wir ferner die Verteilung der Streikenden nadi Produktions-zweigen. Dazu wollen wir vier Hauptgruppen der Produktion aufstellen:A) Metallarbeiter; B) Textilarbeiter,- C) Buchdrucker, Holz-, Leder- undChemiearbeiter; D) Arbeiter zur Bearbeitung mineralischer Stoffe und

* 1908 sind in die Zahl der Streiks 228 und 1907 - 230 Streiks in der Erd-ölindustrie einbegriffen, die 1906 zum erstenmal der Inspektion unterstelltwurde.

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Tiber die Statistik der Streiks in Rußland 411

Arbeiter in der Nahrungsmittelindustrie. Nach Jahren geordnet, sind die

Zahlen folgende:

Gesamtzahl derProduktions- Industriearbeiter

gruppen

" A

BCD

1904

252708277

4 54

Insgesamt 1691

Zahl der Streikenden (in 1000;1895-1904insgesamt

117

23738

39

431

1905

8111296

471

285

2863

1906

213

640

170

85

1108

) in den Jah ren

1907

193302

179

66

740

190S

41

56

24

55 '

176

Die Metallarbeiter waren durdi das dem Jahr 1905 vorangegangeneJahrzehnt am besten vorbereitet. In diesem Jahrzehnt streikte beinahe dieHälfte von ihnen (117000 von 252000). Als die am besten Vorbereitetenstehen sie auch 1905 an der Spitze. Die Zahl der Streikenden beträgt beiihnen mehr ah das Dreifache der Zah l der Arbeiter (811 000 gegenüber252 000 ). Noch plastischer tritt die Rolle dieser Vo rhut bei der Analyseder monatlichen Angaben für das Jahr 1905 hervor (eine ausführlicheUntersuchung dieser Angaben ist in einem kurzen Artikel unmöglich, und

wir verschieben sie auf ein anderes Mal). Der Monat, auf den im Vergleichzu allen anderen Monaten 1905 die Höchstzahl der Streikenden entfällt,ist bei den Metallarbeitern nicht der Oktober, wie bei allen übrigen Pro-duktionsgruppen, sondern der Januar. Die Vorhut begann die Bewegungmit maximaler Energie und brachte dadurch die übrige Masse „inSchwung". Allein im Monat Januar 1905 streikten 155 000 Metallarbeiter,d. h. zwei Drittel der Gesam tzahl d er M etallarbeiter 4252 00 0) ; in einemeinzigen Monat ist die Zahl der Streikenden bedeutend größer als in denvorangegangenen zehn Jahren (155000 gegenüber 117000). Aber diese

fast übermenschliche Energie erschöpft gegen Ende 1905 die Kräfte derVorhut: die Metallarbeiter stehen nach dem Ausmaß des Abflauens derBewegung im Jahre 1906 an erster Stelle. Der Rückgang der Zahl derStreikenden ist bei ihnen am größten: von 811 000 auf 213 000, d. h. auffast ein Viertel. 1907 sammelt die Vorhut wiederum ihre Kräfte: die Zahlder Streikenden geht insgesamt ganz unb edeute nd zurück (von 213 000auf 193 00 0), un d in den drei wichtigsten Prod uktion szw eigen aus derGruppe der Metallindustrie, nämlich im Maschinenbau, im Schiffbau und

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412 •W.J.lenin

in der Gußeisenproduktion, wäöosi die Zahl der Streikenden von 104 000

im Jahre 1906 auf 125000 im Jahre 1907.Die Te xtilarbeiter bilden die Hauptm asse der russischen Industriearbei-

ter, sie machen etwas weniger als die Hälfte der Gesamtzahl aus (708 000vo n 1 691 000). Nach dem Grad der Vorbereitung in den zehn Jahren vor1905 nehmen sie den zweiten Platz ein: es streikte ein Drittel der Gesamt-zahl ( 23 70 00 von 708 000 ). Nach der Stärke der B ewegung im Jah re1905 stehen sie ebenfalls an zweiter Stelle: etwa 180 Streikende auf 100Arbe iter. Sie treten später in den Kampf als die Metalla rbeiter: im Janua rweisen sie nicht viel mehr Streikende auf als die Metallarbeiter (164000

gegenüber 155 000), im Oktober mehr als das Doppelte (256 000 gegen-über 117000). Später in die Bewegung einbezogen, hält sich diese Haupt-masse im Jahre 1906 am standhaftesten: der Rückgang ist in diesem J ahreallgemein, aber bei den Textilarbeitern ist er geringer als bei allen anderen,bei ihnen geht die Zah l der Streikend en auf die Hälfte zurück (640 000gegenüber 1 296 000), bei den M etallarb eitern auf fast ein Viertel (213 000gegenüber 811 000 ), bei den übrigen auf etw a ein Viertel bis ein D rittel.Erst 1907 erweisen sich die Kräfte der Hauptmasse ebenfalls als erschöpft:1907 ist gegenüber 1906 gerade m dieser Gruppe der Rückgang am größ-

ten, er beträg t meh r als die Hälfte (302 000 gegenüber 640 00 0).Ohne bei einer detaillierten Untersuchung der Angaben für die übrigen

Produktionszweige zu verweilen, wollen wir nur feststellen, daß an letzterStelle die Kategorie D steht, die am schwächsten vorbereitet war und amgeringsten an der Bewegung teilgenommen hat. Nimmt man die Metall-arbeiter als Norm, so kann man sagen, daß die Kategorie D mehr als eineMillion Streikende allein für das Jahr 1905 „schuldig geblieben" ist.

Das Verhältnis zwischen den Metall- und den Textilarbeitern ist charak-teristisch für das Verhältnis der fortgeschrittenen Schicht zur breiten

Masse. Bei dem Fehlen freier Organisationen, einer freien Presse, derParlamentstribüne usw. in den Jahren 1895-1904 konnten sich 1905 dieMassen nicht anders als spontan und im Verlauf des Kampfes selbst zu-sammenschließen. Der Mechanismus dieses Zusammenschlusses bestanddarin, daß eine Streikwelle auf die andere folgte, wobei die Vorhut, umdie breiten Massen „in Schwung zu bringen", zu Beginn der Bewegungeine so gewaltige Energie verausgaben mußte, daß sie sich in dem Moment,als die Bewegung ihren Höhepunkt erreichte, als verhältnismäßig ge-

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Tiber die Staiistik der Streiks in Rußland 413

schwächt erwies. Im Januar 1905 gab es 444 000 Streikende, darunter155 000 M etallarbeiter, d. h. 34 Prozent, im Oktober aber betrug dieZahl aller Streikenden 519000, davon 117000 Metallarbeiter, d.h. 22Prozent. Es ist begreiflich, daß eine solche Ungleichmäßigkeit der Bewe-gung gleichbedeutend ist mit einer gewissen Vergeudung der Kräfte in-folge ihrer Zersplitterung, ihrer ungenügenden Konzentration. Das bedeu-tet erstens, daß durch eine bessere Konzentration der Kräfte der Effekthätte gesteigert werden können, und zweitens, daß auf Grund der objek-tiven Bedingungen der untersuchten Periode am Anfang jeder Welle eineReihe von tastenden Schritten, sozusagen Erkundungen, Probebewegungenusw. unvermeidlich und zur Erlangung eines Erfolgs notwendig war. Wenn

also die Liberalen und nach ihnen die Liquidatoren vom Schlage Martowsvom Standpunkt ihrer Theorie der „Überschätzung der eigenen Kräftedurch das Proletariat" gegen uns die Anschuldigung erheben, daß wir„hinter dem spontanen Klassenkampf hertrotteten", so brechen dieseHerrschaften über sich selber den Stab und machen uns, gegen ihren Wil-len, das größte Kompliment.

Um die Übersicht der Jahresangaben über die Streiks abzuschließen,wollen wir noch auf die Zahlen eingehen, die die Ausmaße und die Dauerder Streiks sowie die durch sie verursachten Verluste charakterisieren..

Die Durchschnittszahl der Teilnehmer an einem Streik betrug:

In 10 Jahren (1895-1904)1905190619071908

244 Arbeiter205181207 „197

Die Verringerung der Ausmaße der Streiks (nach der Zahl der Teil-nehmer) im Jahre 1905 ist daraus zu erklären, daß eine Unmenge von

Kleinbetrieben in den Kampf hineingezogen wurde, die die Durchschnitts-zahl der Teilnehmer herabdrückten. Die weitere Verringerung im Jahre1906 widerspiegelt offenbar das Schwinden der Kampfenergie. Das Jahr1907 macht auch hier einen gewissen Schritt vorwärts.

Wenn wir die Durchschnittszahl der Teilnehmer an den rein politischenStreiks nehmen, so erhalten wir, nach Jahren geordnet, folgende Zahlen:1 9 0 5 - 1 8 0 ; 1906 - 174; 1907 - 203 ; 1908 - 197. Diese Zahlen weisen

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414 IV.J.Lenin

noch plastischer auf ein Schwinden der K ampf energie im Jah re 1906 und

einen neuen Aufstieg im Jahre 1907 hin oder (vielleicht auch zugleich da-mit) auf die Teilnahme vorwiegend der größten Betriebe an der Bewegungvon 1907.

Die Zahl der Streiktage pro Streikenden betrug:

In 10 Jahren (1895-1904)1905190619071908

4,8 Tage8,7 „4,9 „3,2 „4,9 „

Die Hartnäckigkeit des Kampfes, die durch diese Zahlen charakterisiertwird , w ar 1905 am größte n, dan n ging sie bis 1907 rasch zurück und wuchserst 1908 wieder an. Es muß bemerkt werden, daß die westeuropäischenStreiks der Hartnäckigkeit des Kampfes nach unvergleichlich höher stehen.Die Zahl der Streiktage pro streikenden Arbeiter betrug in den fünf Jah-ren von 1894 bis 1898 für Italien 10,3 Tage, für Österreich 12,1, fürFrankreich 14,3 und für England 34,2.

Sondert man die rein politischen Streiks aus, so bekommt man folgendeZahlen: 1905 - 7,0 Tage auf jeden Streikenden,- 1906 - 1,5 Tage; 1907 -

1,0 Tag. Die Streiks aus wirtschaftlichen Ursachen zeichnen sich immerdurch eine längere Kampfdauer aus.

Berücksichtigt man die Unterschiede in der Hartnäckigkeit des Streik-kampfes in den verschiedenen Jahren, so gelangen wir zu der Schluß-folgerung, daß die Angaben über die Zahl der Streikenden noch nichtgenügend die relativen Ausmaße der Bewegung in den verschiedenen Jah-ren bestimmen. Zur genauen Bestimmung dient die Zahl der Streiktage,die in den einzelnen Jahren betrug:

In 10 Jahren (1895-1904) insgesamt1905190619071908

2 079 40823 609 387

5 512 7492 433 123

S64 666

Davon rein politische

Streiks—

7 569 708763 605 •521 64789 021

Also sind die genau festgestellten Ausmaße der Bewegung allein imJahre 1905 mehr als elf mal so groß wie die Bewegung im ganzen vorher-

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Tiber die Statistik der Streiks in Rußland 415

gehenden Jahrzehnt insgesamt. Anders ausgedrückt: die Ausmaße der

Bewegung sind 1905 bundertfünjzehnmal so groß wie die durchsdbnilt-lidben Jabresausmaße der Bewegung im vorhergegangenen Jahrzehnt.Dieses Verhältnis zeigt uns die ganze Kurzsichtigkeit der Leute, die nur

zu oft unter den offiziellen Gelehrten (und nicht nur unter ihnen) anzu-treffen sind, die das in den sogenannten „friedlichen", „organischen",„evolutionären" Epochen zu beobachtende Tempo der sozialen und poli-tischen Entwicklung als Norm für alle Fälle, als Gradmesser der für dieheutige Menschheit möglichen Schnelligkeit der Entwicklung nehmen. InWirklichkeit ist das Tempo der „Entwicklung" in den sogenannten „orga-nischen" Epochen ein Gradmesser für größte Stagnation, für größte Ent-wicklungshindernisse.

Auf Grund der Angaben über die Zahl der Streiktage bestimmt derVerfasser der offiziellen Statistik die von der Industrie erlittenen Verluste.Diese Verluste (Produktionsausfall) betrugen in den zehn Jahren von1895 bis 1904 insgesamt 10,4 M illionen Rub el, 1905 - 127,3 Mill.,1 9 0 6 - 3 1 , 2 Mill . , 1907 - 15,0 Mill . und 1908 - 5,8 Mill . Rbl. In dendrei Jahren von 1905 bis 1907 betrug der Produktionsausfall also 173,5Mill. Rbl.

Die Verluste der Arbeiter infolge von Lohnausfall während der Streik-tage (bestimmt nadi der Höhe des durchschnittlichen Tagelohns in denverschiedenen Produktionszweigen) betrugen in den untersuchten Jahrenin 1000 Rubel:

- ' Zah l der: • Verluste der Arbeiter infolge der Streiks

Produktions-groppen .

(siehe oben S. 18»)

AB

cD

Indust r ie 'arbeitcr

1905 (in 1000)

252708

277454 .

1895-1904insgesamt

650715

137 .95

1905

7 6546 794

19971096

in 1000 Rubel

. 1906

8911968

610351

1907

450659

576130

1908

. 132228

6922

Insgesamt 1691 1597 17 541: . . 3820 • 1815 451

In den drei Jahre n von 1905 bis 1907 betrugen die Verluste der Arbe iter23,2 Mill. Rbl., d. h. üb er vierzeh nma l soviel wie in den vorherge gange nen

* Siehe den vorliegenden Band, S. 410/411. Die Red.

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416 'W.J.Lenin

zehn Jahren zusammen.* Der Verfasser der offiziellen Statistik berechnet,

daß diese Verluste durchschnittlich pro Kopf der in der Industrie beschäf-tigten Arbeiter (und nicht pro Streikenden) im ersten Jahrzehnt etwa 10Kopeken im Jahr betrugen, etwa 10 Rubel im Jahr 1905, etwa 2 Rubel1906, etwa 1 Rubel 1907. Aber diese Berechnung läßt die gewaltigen Un-terschiede unberücksichtigt, die in dieser Hinsicht zwisdien den Arbeiternder verschiedenen Produktionsgruppen bestehen. Hier eine detailliertereBeredinung auf Grund der Zahlen der soeben angeführten Tabelle:

Durchschnittlicher Verlust (in Rubel) infolge Streiks pro Kopfder in der Industrie beschäftigten Arbeiter

In 10 JahrenProduktions-

gruppen

ABCD

(1895-1904)insgesamt

2,61,00,50,2

1905

29,99,77,22,4

1906

3,52,82,20,7

1907

1,80,92,10,3

1908

0,50,30,20,05

Insgesamt 0,9 10,4 2,3 1,1 0,3

Hie raus ist zu ersehen, daß auf einen Metallarbeiter (Gruppe A) infolge

der Streiks im Jahre 1905 ein Verlust entfiel, der fast 30 Rubel ausmachte,

* Es ist in Betracht zu ziehen, daß die Arbeiter einen 7eil dieser Verlustein der Zeit, wo die Bewegung am mächtigsten war, auf die Unternehmer ab-wälzen konnten. Seit 1905 mußte die Statistik einen besonderen Streikgrundfeststellen (Ursachengruppe 3b, nach der amtlichen Nomenklatur): die 7orde-rung nach Bezahlung der Streiktage. Die Zahl der Fälle, wo diese Forderunggestellt wurde, betrug 1905 - 632, 1906 - 256, 1907 - 48 und 1908 - 9 (vor1905 wurde diese Forderung überhaupt nicht erhoben). Die Resultate desKampfes der Arbeiter für diese Forderung sind nur für die Jahre 1906 und 1907bekannt, und es gibt nur zwei bis drei Fälle, wo die genannte Ursache die:H<w/)fursache war: 1906 haben von den 10966 Arbeitern, die hauptsächlichaus diesem Grunde streikten, 2171 den Streik gewonnen, 2626 ihn verloren,und 6169 sind ein Kompromiß eingegangen. Von den 93 Arbeitern, die 1907hauptsächlich aus diesem Grunde streikten, gewann kein einziger den Streik,52 verloren ihn, 41 gingen ein Kompromiß ein. Aus all dem, was uns über dieStreiks von 1905 bekannt ist, muß angenommen werden, daß 1905 die Streiks,die aus dieser Ursache entstanden, erfolgreicher waren als 1906.

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Tiber die S tatistik der Streiks in Kußland 417

also dreimal so groß war wie der Durchschnitt, mehr als zehnmal so groß

wie die durchschnittlichen Verluste eines Arbeiters in der Gruppe Bear-beitung mineralischer Stoffe und Nahrungsmittelindustrie (Gruppe D).Die von uns oben gezogene Schlußfolgerung, daß die Metallarbeiter ihreKräfte in der untersuchten Form der Bewegung Ende 1905 erschöpft hat-ten, wird durch die angeführte Tabelle noch eindringlicher bestätigt: inder Gruppe A ist der Verlust 1906 gegenüber 1905 auf weniger als einAchtel gesunken, in den übrigen Gruppen auf ein Drittel oder ein Viertel.

Wir schließen hiermit die Analyse der nach Jahren gemachten Angabender Streikstatistik ab und gehen im nächsten Kapitel zur Untersuchung der

nach Monaten geordneten Daten über.

II

Für das Studium des wellenförmigen Charakters der Streikbewegung istdie Zeitspanne eines Jahres allzugroß. Wir haben jetzt das statistisch be-gründete Recht, zu sagen, daß in den drei Jahren 1905-1907 jeder Monatsoviel galt wie ein Jahr. Die Arbeiterbewegung hat in diesen drei Jahren

30 Jahre durchlebt. Im Jahre 1905 sank die Zahl der Streikenden in keinemMonat unter das Jabresminimum der Streikenden im Jahrzehnt von 1895bis 1904, und in den Jah ren 1906 und 1907 trat dieser Fall nur in je zweiMonaten ein.

Leider ist die Bearbeitung der monatlichen Angaben sowie der Angabe«für die einzelnen Gouvernements in der offiziellen Statistik sehr mangel-haft. Viele Aufstellungen müssen von neuem gemacht werden. Aus diesemGrunde, ebenso wie aus Raumgründen, werden wir uns einstweilen aufdie Daten über die Jahrescjuartale beschränken. Zu der Einteilung in wirt-

schaftliche und politische Streiks sei bemerkt, daß sidi die von der offiziel-len Statistik gegebenen Daten für 1905 und für 1906/1907 nicht ganzvergleichen lassen. Gemisdite Streiks - nach der offiziellen Nomenklaturdie Kategorien 12 mit wirtschaftlichen Forderungen und 12b mit wirt-schaftlichen F orderungen - galten 1905 als politische, später aber als wirt-schaftliche Streiks. Wir werden sie auch für das Jahr 1905 zu den wirt-schaftlichen zählen.

Die Zahl der Streikenden betrug in 1000" 9:

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418 TV. 1. Lenin

810

604

206

481 294

239 165

242 129

1277

430

847

269

73

196

479

222

257

J a h r e 1905 - {906 . ' !907 -

Jah resquarta le I II m IV I II III IV I II 111 IVInsgesamtDavon in:

| wirtschaftl.I StreikspolitischenStreiks

296

125

171

63

- 17

26

146

52

94

323

52

271

77

66

11

193

30

163

Umrahmt sind jene Perioden, die das höchste Ansteigen der Streik-

welle aufweisen. Schon beim ersten Blick auf die Tabelle springt ins Äuge,daß diese Perioden mit politischen Ereignissen von außerordentlicherWichtigkeit zusammenfallen, die alle drei Jahre charakterisieren. 1905 I -der neunte Janu ar un d seine Folgen; 1905 IV - die Oktob er- u nd dieDezemberereignisse; 1906II—die ers te Duma; 1907II—die zweite Duma;im letzten Q ua rtal 1907 ist das Ansteigen - das sich erklärt aus dem poli-tischen Streik im November (134000 Streikende) anläßlich des Prozessesgegen die Arb eiterabg eördn eten der II. Du m a - am schwächsten. Somitist diese Periode, mit der die drei Jahre abschließen und die den Üb erga ng

zu einer neuen Etappe der russischen Geschichte bildet, gerade eine soldieAusnahme, die die Regel bestätigt: wenn das Ansteigen der Streikwellehier keinen allgemeinen sozialen und politisdien Aufschwung bedeutet, sostellt sich bei näherer Betrachtung heraus, daß es auch keine Streikwellegab^ sondern nur einen einzelnen Demonstrationsstreik.

Als Regel für die zu untersuchenden drei Jahre gilt, daß das Ansteigender Streikwelle kritische Augenblicke, W end epu nkte in de r g anzen sozialenund politischen Evolution des Landes bezeichnet. Die Streikstatistik zeigtuns handgreiflich die Haupttriebkraft dieser Evolution. Das bedeutet frei-

lich nidit, daß die Form der Bewegung, die wir untersuchen, die einzigeoder die höchste Form wäre - wir wissen, daß dem nidit so ist - , das be-deutet nicht, daß man von der gegebenen Form der Bewegung unmittelbarauf Einzelfragen der sozialen und politisdien Evolution schließen könnte.Aber es bedeutet, daß wir ein statistisches Bild (natürlich ein bei weitemnicht vollständiges Bild) der Bewegung einer Klasse vor uns haben, die dieHaupttriebfeder war, weldie die allgemeine Riditung der Ereignisse be-stimmte. Die Bewegung der anderen Klassen gruppiert sidi um dieses Zen -

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Vber die Statistik der Streiks in Rußland 419

trum, folgt ihm, wird von ihm gelenkt oder bestimmt (nach der positiven

oder negativen Seite), hängt von ihm ab.Es genügt, sich die Hauptmomente der politischen Geschichte Rußlands

in diesen drei untersuchten Jahren ins Gedächtnis zu rufen, um sich vonder Richtigkeit dieser Schlußfolgerung zu überzeugen. Nehmen wir daserste Quartal 1905. Was zeigt uns der Vorabend dieses Quartals? Diebekannte Bankettkampagne der Semstwos. War es richtig, die Aktionender Arbeiter im Verlauf dieser Kampagne als den „höchsten Typ der De-monstrat ion" einzusdiätzen? Waren die Reden darüber , daß man keine„Panik" bei den Liberalen hervorrufen dürfe, richtig? Man stelle diese

Fragen in den Rahm en der Streikstatistik (1903 - 87 00 0 Streikende, 1904- 25 000, Janu ar 1905 - 444 000 , daru nter 123 000 aus politischen G rün-den Streikende), und die Antwort wird klar sein. Der obenerwähnte Streitüber die Taktik in der Semstwokampagne widerspiegelt lediglich den inden objektiven Verhältnissen wurzelnden Antagonismus der liberalen Be-wegung und der Arbeiterbewegung.

W as sehen wir nach dem Aufschwung im J anuar?* Die bekannten V er-ordnu nge n vom F ebru ar, die eine gewisse U mg estaltun g der Staats Struktureinleiten.

Man nehme das dritte Quartal 1905. Im Vordergrund steht in der poli-tischen Geschidite das Gesetz vom 6. August (die sogenannte BulygipsdieDuma). Ist es diesem Gesetz besdiieden, ins Leben umgesetzt zu werden?Die Liberalen glauben, ja, und beschließen, ihr Verhalten entsprechenddieser Auffassung einzurichten. Im Lager der Marx isten ist ma n entgegen-gesetzter Ansicht, die von denen nicht geteilt wird, die objektiv Sdiritt-macher der Ansichten des Liberalismus sind. Die Ereignisse des letztenQuartals 1905 entsdieiden den Streit.

Nach den Z ahlen, die sidi auf ganze Jahresquartale beziehe n, sdieint es,

als hätte es Ende 1905 ein Ansteigen gegeben. In Wirklidikeit gab esderen zwei, die durdi ein gewisses Abflauen der Bewegung voneinandergetrennt waren. Im Oktober gab es 519000 Streikende, darunter

* Nach den Angaben über die Jahresquartale scheint es nur einen Auf-schwung gegeben zu haben. In Wirklichkeit gab es deren zwei: im Januar444 000 Streikende und im Mai 220 000. In der Zwischenzeit fällt das Minimumauf den M ärz - 73 000. -

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420 IV.]. Centn

328 000 aus rein politischen Gründen Streikende, im November 325 000

(darunter 147 000 in politischen Streiks) und im Dezember 433 000 (dar-unter 372 000 in politischen Streiks). In der Geschichtsliteratur wird dieAnsicht der Liberalen und unserer Liquidatoren (Tscherewanin und Kon-sorten) ausgedrückt, wonach in dem Dezemberaufschwung ein Elementdes „Künstlichen" gesteckt haben soll. Die Statistik widerlegt diese An-sicht, indem sie gerade für diesen Monat die maximale Zahl aus rein poli-tischen Gründen Streikender aufweist; 372 000. Begreiflich sind die Ten-denzen, die die Liberalen veranlaßten, zu dieser bestimmten Einschätzungzu gelangen, aber vom rein wissenschaftlichen Standpunkt wäre es un-

sinnig, eine Bewegung auch nur im entferntesten als „künstlich" zu be-trachten, deren Ausmaße derart waren, daß in einem Monat die Zahl deraus rein politischen Gründen Streikenden fast 9/to der Gesamtzahl derStreikenden eines ganzen Jahrzehnts betrug.

Nehmen wir schließlich die zwei letzten Anstiege im Frühjahr 1906 undim Frühjahr 1907.* Beide unterscheiden sie sich von den Anstiegen im Januarund Mai 1905 (von denen der erste ebenfalls stärker war als der zweite)dadurch, daß sie auf der Linie des Rückzugs verlaufen, während die erstenzwei auf der Linie des Vormarsches verlaufen sind. Dieser Unterschiedcharakterisiert überhaupt die zwei letzten Jahre der von uns untersuchtendrei Jahre im Vergleidi mit dem ersten dieser drei Jahre. Die genaue Ein-sdiätzung der Erhöhung der Zahlen in den genannten Zeitabsdinitten derJahre 1906 und 1907 wird also die sein, daß diese Erhöhungen die Ein-stellung des Rückzugs und den Versuch der sich Zurückziehenden, erneutzum Angriff überzugehen, bezeichnen. Das ist die objektive Bedeutungdieser Anstiege, die jetzt für uns vom Standpunkt der endgültigen Resul-tate der gesamten „drei Jahre des Sturms und Drangs" klar ist. Die erste

* Festgestellt sei, daß die zehnjährige Geschichte der russischen Streiks von

1895 bis 1904 jeweils im zweiten Quartal ein Ansteigen der wirtschaftlichenStreiks erkennen läßt. In dem ganzen Jahrzehnt betrug die Zahl der Streiken-den im Jahresdurchschnitt 43 000 ; nach Q uar talen : I - 10 000 ; II - 15 00 0;III - 12 000 und IV - 6000 . Aus dem V ergleich der Zahlen allein ist ganzoffensichtlich, d aß das Ansteigen im Frühjahr 1906 und im Frühjahr 1907 nichtaus diesen „allgemeinen" Ursachen zu erklären ist, die in Rußland im Sommerein Ansteigen der Streikbewegung zu bedingen pflegen. Es genügt, sich dieZahlen der aus politischen Gründen Streikenden anzusehen.

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Vber die Statistik der Streiks in Rußland 421

und die zweite Duma stellten nichts anderes dar als politische Verhandlun-

gen und politische Demonstrationen oben, infolge der Einstellung desRückzugs unten.

Hieraus wird die ganze Kurzsichtigkeit der Liberalen klar, die in diesenVerhandlungen einen gewissen Selbstzweck, etwas Selbständiges sehen,etwas, das unabhängig davon war, ob diese oder jene Einstellung des Rück-zugs lange anhalten und wozu sie führen wird. Hieraus wird die objektiveAbhängigkeit jener Liquidatoren von den Liberalen klar, die, ähnlich wieMartow, jetzt voller Verachtung von den „Erwartungen der Romantiker"zur Zeit des Rückzugs reden. Die Statistik zeigt uns, daß es sich nicht um

„Erwartungen der Ro ma ntiker", sondern um tatsächliche Unterbre chung en,um Einstellung des Rückzugs handelte. Wären diese Unterbrechungennicht gew esen, so hä tten die Ereignisse vom 3. Juni 190 7, die h istorischinsofern absolut unvermeidlich waren, als Rückzüge eben Rückzüge blie-ben, vielleicht ein ganzes Jahr oder sogar mehr als ein Jahr früher statt-gefunden.

Nachdem wir die Geschichte der Streikbewegung in Verbindung mitden Hauptmomenten der politischen Geschichte behandelt haben, gehenwir zum Studium der Wechselbeziehungen zwischen den wirtschaftlichen

und politischen Streiks über. Die offizielle Statistik liefert für diese Fragehöchst interessante Angaben. Betrachten wir zunächst die Gesamtergeb-nisse in jedem einzelnen der von uns untersuchten drei Ja hr e:

Zahl der Streikenden (in 1000)1905 1906 1907

In wirtschaftlichen Streiks 1439 458 200In politischen Streiks 1424 650 540

Insgesamt 2863 lT oi 740

Die erste Schlußfolgerung hieraus ist die, daß die wirtschaftlichen undpolitischen Streiks aufs engste miteinander verbunden sind. Sie steigengemeinsam an und gehen gemeinsam zurück. Die Stärke der Bewegung istin der Periode des Vormarsches (1905) dadurch gekennzeichnet, daß diepolitischen Streiks sich gewissermaßen auf der breiten Basis nicht minderstarker wirtschaftlicher Streiks erheben, die, sogar einzeln genommen,die Zahlen für das ganze Jahrzehnt von 1895 bis 1904 weit hinter sichlassen.

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422 IV . J. Lenin

Bei dem R ückgang der B ewegung sinkt die Zahl der aus wirtschaftlichen

Gründen Streikenden schneller als die Zahl der aus politischen GründenStreikenden. Die Schwäche der Bewegung im Jahre 1906 und besondersim Jähre 1907 ist unzweifelhaft gekennzeichnet durch das Fehlen derbreiten und festen Basis des wirtschaftlichen Kampfes. Anderseits weistdas langsamere Sinken der Zahl der aus politischen Gründen Streikendenim allgemeinen und der geringe Rückgang dieser Zahl 1907 gegenüber1906 im besonderen offenbar auf eine uns bereits bekannte Erscheinunghin: die fortgeschrittenen Schichten suchen mit der größten Energie denRückzug aufzuhalten und ihn in einen Vormarsch umzuwandeln.

Diese Schlußfolgerung wird völlig bestätigt durch die Angaben überdas Verhältnis zwischen wirtschaftlichen und politischen Streiks in denverschiedenen Produktionsgruppen. Um den Artikel nidit mit Zahlen zuüberlasten, beschränken wir uns auf eine Gegenüberstellung der Metall-arbeiter mit den Textilarbeitern nach den Quartalen des Jahres 1905, wo-bei wir diesmal die Zusammenstellung der offiziellen Statistik* benutzen,die für dieses Jahr, wie schon oben erwähnt, die gemischten Streiks zuden politischen zählt.

Zahl der Streikenden in 1000

1905, Quartale

in wirtschaftlichen Streiksin politischen Streiks

Insgesamt

in wirtschaftlichen Streiksin politischen Streiks

I

120159

279

196111

II

4276

118

109154

II I

3763

100

7253

IV

31283

314

182418

:A(Metall- <arbeiter)

Gruppe B(Textil- <arbeiter)

~ Insgesamt 30 7"" "263 125 """ 600

Der Unterschied zwischen der fortgeschrittenen Schicht und der breitenMasse tritt klar in Erscheinung. Bei der fortgeschrittenen Schicht sind dieaus rein wirtschaftlichen Gründen Streikenden von Anfang an in der

* Nach dieser Zusammenstellung betrug 1905 die Zahl der aus wirtschaft-lichen Gründen Streikenden 1 021 000, der aus politischen Gründen Streikenden1 842 000, d.h ., der Anteil der aus wirtschaftlichen Gründen Streikenden ander Gesamtsumme war geringer als 1906. Wir haben schon erläutert, daß dasfalsch ist.

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Tiber die Statistik der Streiks in Rußland 423

M inderheit, und dies im Verlauf des ganzen Jahres . D as erste Quarta l w ird

allerdings auch in dieser Gruppe durch eine sehr hohe Zahl (120000)der aus rein wirtschaftlichen Gründen Streikenden charakterisiert: es istklar, daß es auch unter den Metallarbeitern nicht wenig solcher Schichtengibt, die erst „in Schwung gebracht" werden mußten und die die Bewegungmit dem Aufstellen rein wirtschaftlicher Forderungen begannen. Bei denTextilarbeitern sehen wir zu Beginn der Bewegung (I. Quartal) ein gewal-tiges überwiegen der aus rein wirtschaftlichen Gründen Streikenden, diesich im II. Quartal in der Minderheit befinden, um im III . Quartal wiederdie Mehrheit zu erlangen. Im letzten Quartal, als die Bewegung ihren

Höhepunkt erreicht, beträgt bei den Metallarbeitern die Zahl der aus reinwirtschaftlichen Gründen Streikenden 10 Prozent der Gesamtzahl derStreikenden und 12 Prozent der Gesamtzahl der Metallarbeiter; bei denTextilarbeitern beträgt in derselben Zeitspanne die Zahl der aus reinwirtschaftlichen Gründen Streikenden 30 Prozent der Gesamtzahl derStreikenden und 25 Prozent der Gesamtzahl der Textilarbeiter.

Es ist nunmehr ganz offensichtlich, in welcher Weise der wirtschaftlicheund der politische Streik voneinander abhängen: ohne ihre enge Verbin-dung ist eine wirklich breite, echte Massenbewegung unmöglich; die

konkrete Form dieser Verbindung aber besteht einerseits darin, daß zuBeginn der Bewegung und bei der Einbeziehung neuer Schichten in die Be-wegung der rein wirtschaftliche Streik die dominierende Rolle spielt, wäh-rend anderseits der politische Streik die Rückständigen weckt und in Be-wegung bringt, die Bewegung verallgemeinert, erweitert und auf einehöhere Stufe hebt.

Es wäre außerordentlich interessant, eingehend zu untersuchen, wiedenn eigentlidi im Verlauf dieser drei Jahre die Einbeziehung von Neu-lingen in die Bewegung vor sich ging. Angaben darüber sind in dem grund-

legenden Material enthalten, denn die Angaben über jeden Streik gingeneinzeln auf Karten ein. Aber die Bearbeitung dieser Angaben durch dieoffizielle Statistik läßt viel zu wünschen übrig, und eine Unmenge höchstwertvollen Materials, das die Karten enthalten, ist verlorengegangen, eswurde nicht verarbeitet. Eine ungefähre Vorstellung gibt uns die folgendeTabelle über die Zahl der Streiks in ihrem prozentualen Verhältnis zurZahl der Betriebe verschiedener Größe:

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424 "W. 1 Lenin

Zahl der Strcikfälle in Prosenten =u der Anzahl der Betriebe

B e t r i e b s . In 10 Jahrenk a t e g o r i e n (1895-1904) 1905 1906 1907 1908

insgesamt

bis 20 Arbeiter 2,7 47,0 18,5 6,0 1,02 1 - 50 „ 7,5 89,4 38,8. 19,0 4,15 1 - 100 „ 9,4 108,9 56,1 37,7 8,0

101- 500 „ 21,5 160,2 79,2 57,5 16,9501-1000 „ 49,9 163,8 95,1 61,5 13,0

über 1000 „ 89,7 231,9 108,8 83,7 23,0

Die fortgeschrittene Schicht, die wir bisher in den Angaben für dieverschiedenen Bezirke und die verschiedenen Produktionsgruppen be-obachtet haben, tritt jetzt in den Angaben über die verschiedenen Betriebs-kategorien in Erscheinung. Für alle diese Jahre gilt die allgemeine Regel:je größe r die Betriebe, desto h öher der Pro zents atz der bestreikten Betriebe.Dabei ist für 1905 erstens charakteristisch, daß wiederholte Streiks umso häufiger sind, je größer der Betrieb ist, und zweitens, daß beim Ver-gleich des Jahrz ehn ts von 1895 bis 1904 mit dem Jahre 1905 das W achsendes Prozentsatzes um so ungestümer wird, je kleiner der Betrieb ist. Das

weist deutlich auf die besondere Schnelligkeit hin, mit der Neulinge mit-gerissen, mit der Schichten hineingezogen wurden, die noch niemals anStreiks teilgenommen hatten. In die Bewegung zur Zeit des größten Auf-schwungs rasch hineingerissen, erweisen sich diese Neulinge als am wenig-sten standhaft: der Rückgang des Prozentsatzes der bestreikten Betriebein der Zeit von 1906 bis 1907 ist am stärksten bei den Kleinbetrieben undam schwächsten bei den Großbetrieben. Die Vorhut arbeitet am längsten,am beharrlichsten daran, den Rückzug aufzuhalten.

Doch kehren w ir zu den Date n über das Verhältnis zwischen wirtschaft-

lichen und politischen Streiks zurück. Die weiter oben (S. 19)* angeführ-ten Daten für die Quartale aller drei Jahre zeigen vor allem, daß mit je-dem großen Aufschwung nicht nur die Zahl der aus politischen, sondernauch der aus wirtschaftlichen G rün den Streikenden zunimm t. Eine gewisseAusnahme bildet nur der Aufschwung im Frühjahr 1907, wo die Höchst-zahl der aus wirtschaftlichen Gründen Streikenden nicht auf das II., son-de rn auf das III. Q ua rta l fällt.

* Siehe den vorliegenden B and, S. 418. Die Hed.

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Tiber die Statistik der Streiks in Rußland 425

Zu Beginn der Bewegung (I. Quartal 1905) sehen wir, daß die Anzahlder aus wirtschaftlichen Gründen Streikenden die Anzahl der aus politi-schen Gründen S treikenden gewaltig übertrifft (604000 und 206000).Der Höhepunkt der Bewegung (IV. Quartal 1905) ergibt eine neue Wellewirtschaftlicher Streiks, schwächer als die Welle im Januar, wobei derpolitische Streik stark überwiegt. Der dritte Aufschwung, im Frühjahr1906, zeigt wiederum eine sehr große Erhöhung der Anzahl der aus wirt-schaftlichen wie auch der aus politischen Gründen Streikenden. Alleinschon diese Angaben genügen zur Widerlegung der Meinung, die Ver-bindung der wirtschaftlichen mit den politischen Streiks sei „eine schwacheSeite der Bewegung" gewesen. Eine solche Meinung wurde wiederholt vonden Liberalen ausgesprochen; in bezug auf den November 1905 wieder-holte sie der L iquidator Tscherewani«; unlängst wurde sie auch von Mar-tow in bezug auf dieselbe Periode wiederholt. Besonders oft beruft mansich zur Bekräftigung dieser Auffassung auf den Mißerfolg des Kampfesfür den Achtstundentag.

Die Tatsache dieses Mißerfolgs ist unbestreitbar, unbestreitbar istauch, daß jeder Mißerfolg eine Schwäche der Bewegung bedeutet, aberder liberale Standpunkt bezeichnet als die „schwache Seite der Bewe-gung" gerade die Verbindung des wirtschaftlichen Kampfes m it dem poli-

tischen; vom marxistischen Standpunkt aus liegt die Schwäche darin, daßdiese Verbindung nicht stark genug, daß die Zahl der aus wirtschaftlichenGründen Streikenden nicht groß genug war. Die Statistik bestätigt an-schaulich die Richtigkeit der marxistischen Anschauung, indem sie das„allgemeine Gesetz" der drei Jahre darlegt: das Erstarken der Bewegungbei einem Erstarken des wirtschaftlichen Kampfes. Und dieses „allge-meine Gesetz" steht in logischem Zusammenhang mit den Grundzügenjeder kapitalistischen Gesellschaft: in der kapitalistischen Gesellschaftwerden stets Schichten existieren, die so rückständig sind, daß sie nur

durch eine ganz besondere Zuspitzung der Bewegung geweckt werdenkönnen; anders aber als durch wirtschaftliche Forderungen können dierückständigen Schichten nicht in den Kampf hineingezogen werden.

Wenn wir den Aufschwung im letzten Quartal 1905 mit dem vorher-gehenden und dem nachfolgenden Aufschwung, d . h. mit dem erstenQuartal 1905 und dem zweiten Quartal 1906, vergleichen, so sehen wirklar, daß der Aufschwung vom Oktober-Dezember nach der Breite der

28 Lenin, W erke, Bd. 16

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426 W. 1. Lenin

Ökonomischen Basis, d. h. nach dem prozentualen Verhältnis der aus wirt-

schaftlichen Gründen Streikenden zur Gesamtzahl der Streikenden,sdhwädher ist nicht nur als der vorhergehende, sondern auch als der nach-folgende Aufschwung. Es ist nicht zu bezweifeln, daß die Forderung nachdem Achtstundentag viele solche bürgerlichen Elemente abstieß, die mitanderen Bestrebungen der Arbeiter sympathisieren konnten. Aber eben-sowenig ist zu bezweif ein, daß diese Fo rderu ng viele solche nicht b ürg er-lichen Elemente anz og, die in die Bewegung noch jiich t einbezogen w aren ,die im letzten Quartal 1905 430000 aus wirtschaftlichen GründenStreikend e stellten, im I. Q ua rtal 1906 diese Z ahl auf 73 000 sinkenließen und sie im II. Q uart al 1906 wieder auf 22 20 00 steigerten. DieSchwäche besta nd also nicht in der mang elnden Sym pathie d er Bourgeoisie,sondern in der ungenügenden Unterstützung bzw. in der nicht genügendrechtzeitigen Unterstützung durch die nicht bürgerlichen Elemente.

Es ist für den Liberalen charakteristisch, zu befürchten, daß eine Bewe-gung der in Frage stehenden Art stets gewisse bürgerliche Elemente ab-stößt. Es ist für den Marxisten charakteristisch, hervorzuheben, daß eineBewegung der in Frage stehenden Art stets viele nicht bürgerliche Ele-mente anzieht. Suum cuique - jedem das Seine.

Für die Frage nach den P eripetien des Kampfes zwischen den Arb eiternund den Unternehmern sind die Angaben der offiziellen Statistik überden Streikausgang außerordentlidi lehrreich. Die allgemeinen Ergebnissedieser Statistik sind folgende:

Prozentsatz der Streikenden in Streiksmit den angeführten Resultaten

S t r e i k r e s u l t a t e In 10 Jahren(1895-1904) 1905 1906 1907 1908

Zug unsten der Arbeiter 27,1 23,7 35,4 16,2 14,1Gegenseitige Zugeständnisse(Kom promiß) 19,5 46,9 31,1 26,1 17,0

Zugunsten der Unternehmer(gegen die Arbeite r) 51,6 29,4 33,5 57,6 68,8

Die allgemeine Schlußfolgerung hieraus ist vor allem die, daß diemaximale Kraft der Bewegung zugleich auch den maximalen Erfolg derArbeiter bedeutet. Am günstigsten war für sie das Jahr 1905, als derDruck des Streikkampfes am größten w ar. Dieses Jahr fällt auch durch dieungewöhnliche Häufigkeit der Kompromisse auf: beide Seiten hatten sidi

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Vber die Statistik der Streiks in Rußland 427

noch nicht den neuen, ungewöhnlichen Bedingungen angepaßt, die Unter-

nehmer wurden unter dem Einfluß der häufigen Streiks unsicher, und öfterdenn je kam es zu Kompromissen. Im Jahre 1906 wird der Kampf hart-näckiger: die Fälle von Kompromissen sind bei weitem seltener; aber dieArbeiter tragen im großen und ganzen immer noch den Sieg davon: derProzentsatz der Streikenden, die den Streik gewonnen haben, ist größerals der Prozentsatz derjenigen, die ihn verloren haben. Seit 1907 nehmendie Niederlagen d er Arbeiter ständig zu, bei Verringerung d er Anzahl derKompromisse.

Nim mt m an die absoluten Z ahlen, so sieht ma n, daß in den ganzen zehnJahren von 1895 bis 1904 insgesamt 117000 Arbeiter die Streiks gewan-nen, während es allein im Jahre 1905 mehr als dreimal soviel waren:36 90 00 ; im Jahre 1906 waren es etwa anderthalbmal soviel: 163 000.

Doch ein Jahr ist ein zu langer Zeitabschnitt, um die wellenförmigeBewegung des Streikkampfes in den drei Jahren 1905-1907 studieren zukönnen. Ohne die monatlichen Angaben, die zuviel Raum beanspruchenwürden, anzuführen, bringen wir die Angaben nach Quartalen für dieJahre 1905 und 1906. Da s Jah r 1907 kann man weglassen, da wir hinsicht-lich der Streikergebnisse in diesem Jahr keine Unterbrechungen, wederNiede rgang noch Aufstieg wahrneh me n, sondern einen steten Rückzug der

Arbeiter und einen steten Vormarsch der Kapitalisten, was in den schonangeführten Jahresangaben ganz klar zum Ausdruck kommt.

J a h r eQuartale

S t r e i k r e s n l t a t e

Zugunsten derArbeiterKompromißZugunsten der

UnternehmerInsäesamt*

I

158267

1796 0 4

1905II

71109

59239

III

4561

5916 5

IV

95235

100430

I

3428

1173

1906II

8658

78222

III

3746

42125

IV

68

2337

Aus diesen Angaben ergeben sich sehr interessante Schlußfolgerungen,die eine detaillierte Untersuchung erfordern. Wir haben gesehen, daß im

* In der offiziellen Statistik fehlen monatliche Aufstellungen zu dieser Frage,-sie mu ßten auf G rund von Angaben nach Produktionszweigen errechnet werden.

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428 W. J.Lenin

allgemeinen der Kampf um so erfolgreicher für die Arbeiter ist, je stärker

ihr Druck ist. Wird das durch die angeführten Daten bestätigt? DasI. Quartal 1905 scheint für die Arbeiter weniger günstig als das II., ob-

wohl die Bewegung in dieser Periode schwächer geworden ist. Diese

Schlußfolgerung erweist sich jedoch als unrichtig, denn die Angaben für

das Quartal fassen mit dem Aufschwung im Januar (321 000 aus wirt-

schaftlichen Gründen Streikende) auch den Rückgang im Februar (228 000)

und im März (56000) zusammen. Betrachten wir den Monat des Auf-

stiegs, den Januar, gesondert, so sehen wir, daß in diesem Monat die Ar-

beiter den Sieg davontrugen: 87000 Streikende gewannen die Streiks,

81000 verloren sie, 152000 beendeten sie mit einem Kompromiß. Die

beiden Monate des Rückgangs in dieser Periode (Februar und März) sind

es, die die Niederlage der Arbeiter ergeben.

Die zweite Periode (II. Quartal 1905) ist eine Periode des Aufstiegs,

der seinen Höhepunkt im Mai erreicht. Der Aufschwung des Kampfes

bedeutet den Sieg der Arbeiter: 71 000 Streikende gewannen die Streiks,

59000 verloren sie, 109000 beendeten sie mit einem Kompromiß.

Die dritte Periode (III. Quartal 1905) ist eine Periode des Niedergangs:

die Zahl der Streikenden ist bei weitem geringer als im II. Quartal. Das

Abflauen des Ansturms bedeutet den Sieg der Unternehmer: 59 000 Ar-

beiter verloren die Streiks, nur 45000 gewannen sie. Der Prozentsatz der

Arbeiter, die Streiks verloren, beträgt 35,6 Prozent, d. h., er ist höber als

i9O6. Das bedeutet, daß jene „allgemeine Atmosphäre der Sympathie"

für die Arbeiter im Jahre 1905, von der die Liberalen so viel als von der

Hauptursache der Siege der Arbeiter reden (unlängst sprach auch Martow

von der Sympathie der Bourgeoisie als der „Hauptursache"), die Nieder-

lage der Arbeiter keineswegs verhinderte, sobald ihr Atisturm schwächer

wurde. Ihr seid stark, wenn ihr Sympathien in der Gesellschaft habt, sagen

die Liberalen den Arbeitern. Ihr habt Sympathien in der Gesellschaft,

wenn ihr stark seid, sagen die Marxisten den Arbeitern.Das letzte Quartal 1905 scheint eine Ausnahme zu bilden: bei dem

größten Aufschwung erleiden die Arbeiter eine Niederlage. Aber diese

Ausnahme ist nur scheinbar, denn mit dem Monat des Aufschwungs — dem

Oktober, als die Arbeiter auch auf wirtschaftlichem Gebiet den Sieg da-

vontrugen ( + 57000, -22000: Anzahl der Arbeiter, die die Streiks ge-

wannen bzw. verloren), sind auch die Monate November ( + 25000,

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Tiber die Statistik der Streiks in Rußland 429

-47000) und Dezember (+12 000, -31 000) zusammengefaßt, als der

wirtschaftliche Kampf nachließ und die Arbeiter besiegt wurden. Dabeiergibt der Monat November, der Monat der W ende , ein Monat der größ-ten Schwankungen, der größten Ausgeglichenheit der einander gegenüber-stehenden Kräfte, der größten Ungewißheit über die Gesamtresultate undüber die allgemeine Richtung der Geschichte Rußlands überhaupt und derGeschichte der Beziehungen zwischen Unternehmern und Arbeitern imbesonderen — dieser Monat ergibt unter allen Monaten des Jahres 1905den größten Prozentsatz von Kompromissen: unter den 179 000 aus wirt-schaftlichen Gründen Streikenden beendeten in diesem Monat 106000,

d. h. 59,2 Prozent, den Kampf mit einem Kompromiß.*Das erste Quartal 1906 bildet wieder eine scheinbare Ausnahme:größter Rückgang des wirtschaftlichen Kampfes und größter Gewinn derArbeiter (+ 34 000, -11 000). Hier sind ebenfalls mit einem Monat derNiederlagen der Arbeiter, dem Januar ( + 4 00 0,- 60 00 ), auch die Monateder Siege der Arbeiter, Februar (+14 000, - 2000) und März ( + 1 6 000,-2500) , zusammengefaßt. Die Anzahl der aus wirtschaftlichen GründenStreikenden sinkt im Verlauf der ganzen Periode (Januar 26 600 , Fe-bruar 23 300, März 23 200), aber der Aufschwung der allgemeinen Bewe-

gung zeichnet sich schon deutlich ab (die Gesamtzahl der Streikenden be-trägt im Januar 190000, im Februar 27000, im März 52000).Das zweite Quartal 1906 ergibt einen bedeutenden Aufstieg der Be-

wegung und einen Gewinn der Arbeiter ( + 86000, -7 80 0 0) ; dieser Ge-winn ist besonders stark im M ai und im Jun i - im Juni erreicht die Anzahlder aus wirtschaftlichen Gründen Streikenden die Höchstzahl für das Jahr1906 - 90 000, während der April eine Ausnahme ist: eine Niederlageder Arbeiter, trotz des Anwachsens der Bewegung im Vergleich mit demMärz.

Beginnend mit dem III. Quartal 1906 sehen wir einen im allgemeinenununterbrochenen Rückgang des wirtschaftlichen Kampfes bis zum Endedes Jahres und dementsprechend Niederlagen der Arbeiter (eine unwesent-liche Ausnahme weist der August 1906 auf, wo die Arbeiter im wirtschaft-lichen Streikkampf zum letztenmal siegreich waren: +11 300, -10 300).

Um aus den Peripetien der wirtschaftlichen Streikkämpfe in den Jah-

* Die Gesamtzahl der aus wirtschaftlichen Gründen Streikenden betrug imOktober 190 000, im November 179 000, im Dezember 61 000.

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430 1/9.1. Lenin

ren 1905 und 1906 kurz das Fazit zu ziehen, kann folgende Methode

angewandt werden. Im Jahre 1905 tritt deutlich ein dreimaliges wesent-liches Ansteigen des Streikkampfes im allgemeinen und des wirtschaft-lichen Kampfes im besonderen hervor: im Januar, im Mai und im Okto-ber. In diesen drei Monaten zusammen betrug die Zahl der aus wirt-schaftlichen Gründen Streikenden 667 000 bei einer Gesamtzahl von1 439 000 Streikenden im Laufe des Jahres, d. h. kein Viertel, sondernnahezu die Hälfte. Und alle diese drei Monate waren Monate der Siegeder Arbeiter auf wirtschaftlichem Gebiet, d. h. Monate mit einem über-wiegen der Anzahl der Arbeiter, die die Streiks gewannen, über die An-

zahl derer, die die Streiks verloren.Im Jahre 1906 sind die erste und die zweite Jahreshälfte im großen

und ganzen deutlich voneinander zu unterscheiden: in der ersten - Ein-stellung des Rückzugs und starker Anstieg, in der zweiten - starkerRückgang. Auf die erste Jahreshälfte entfallen 295 000 aus wirtschaft-lichen Gründen Streikende, auf die zweite 162 000. Die erste Jahreshälftebrachte den Arbeitern einen Sieg im wirtschaftlichen Streikkampf, diezweite eine N iederlage.

Diese allgemeinen Ergebnisse bestätigen durchaus die Schlußfolgerung,

daß nicht die „Atmosphäre der Sympathie", nicht die Sympathien derBourgeoisie, sondern die Stärke des Ansturms auch im wirtschaftlichenStreikkampf die entscheidende Rolle spielte.

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DAS KAPITALISTISCHE SYSTEM

DER MODERNEN LANDWIRTSCHAFT 120

Qesdhrieben Ende i9iO.

Zuerst veröftentliöht {932 Wadb dem Manu skript.

im Lenin-Sammelband XIX.IXnters&rijX-.lV. Iljin.

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^ ^ <^; &rZ^c-*i*y Z^pJ^ ß^yfo,

Erste Seite des M anuskripts„Das kapitalistische System der modernen Landwirtschaft"

1910

Verkleinert

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435

ERSTER ARTIKEL

In den letzten zwei bis drei Jahrzehnten hat die soziale Statistik im all-gemeinen, die Wirtschaftsstatistik im besonderen, große Fortschritte ge-macht. Eine ganze Reihe von Fragen, und zwar ganz grundlegender, dieökonomische Struktur der modernen Staaten und ihre Entwicklung be-treffender Fragen^ die früher auf Grund allgemeiner Erwägungen undannähernder Angaben gelöst wurden, kann heutzutage nicht einiger-maßen ernsthaft bearbeitet werden, wenn man sich nicht auf eine Viel-zahl von Angaben stützt, die nach einem bestimmten einheitlichen Pro-

gramm für das gesamte Gebiet des betreffenden Landes gesammelt undvon Fachleuten der Statistik zusammengefaßt wurden. Insbesondere dieFragen der Ökonomik der Landwirtschaft, die besonders umstritten sind,verlangen eine Beantwortung auf G rund einer Vielzahl präziser Angaben,um so mehr, als die Durchführung periodischer Zählungen, die alle land-wirtschaftlichen Betriebe des Landes erfassen, in den europäischen Län-dern und in Amerika immer üblicher wird.

In Deutschland beispielsweise wurden solche Zählungen in den Jahren1882, 1895 und zuletzt im Jahre 1907 vorgenommen. Auf die Bedeutung

dieser Zählungen wurde in unserer Literatur wiederholt hingewiesen, undes wird sich kaum ein Buch oder ein Artikel über die Ökonomik dermodernen Landwirtschaft finden, in dem nicht auf die Angaben der deut-schen Landwirtschaftsstatistik Bezug genommen würde. Um die letzteZählung wurde bereits sowohl in der deutschen als auch in unserer Litera-tur viel Lärm gemacht. Herr Walentinow schlug voriges Jahr, wenn ichmich recht erinnere, in der „Kiewskaja Mysl"121 mächtig auf die Pauke, dadiese Zählung angeblich die Lehre des Marxismus und Kautskys Auffas-

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436 IV . 3. Zenin

sungen widerlegt und die Zählebigkeit des Kleinbetriebs sowie seinen Sieg

über den Großbetr ieb bewiesen habe. Unlängst hat H er r Professor W obl yim „Ekonomist Rossii"12 2 in dem Artikel „Die Tendenzen der Agrarevo-Iution in Deu tschland" (N r. 36 vom 1 1. September 1910) an Han d vonAngaben der Zählung von 1907 die Anwendbarkeit des „von Marx fürdie Entwicklung der Industrie ausgearbeiteten Schemas" 123 auf die Land-wirtschaft zu widerlegen und nachzuweisen versucht, daß „die Kleinbe-triebe in der Landwirtschaft im Kampf mit den Großbetrieben nicht etwazugrund e gehen, sondern daß im Gegenteil jede neue Zäh lung ihren Erfolgfeststellt".

Wir sind daher der Meinung, daß es an der Zeit wäre, die Angaben derZählung von 1907 gründlich zu analysieren. Zwar ist die Herausgabeder Materialien zu dieser Zählung noch nicht abgeschlossen: erschienensind drei Bände mit allen Angaben der Zählung*, während der vierteBand, gewidmet der „zusammenfassenden Darstellung der Ergebnisse",noch nicht erschienen ist, und es ist unbekannt, ob er bald erscheinenwird. Doch es besteht kein Grund, die Untersuchung der Ergebnisse de rZählung bis zum Erscheinen dieses abschließenden Bandes aufzuschieben,denn das Material liegt schon vollständig vor, seine Zusammenstellung

ebenfalls, und in der Literatur wird es weitgehend ausgewertet.Festgestellt sei lediglich, daß es ein völlig falsches Herangehen an die

Sache bedeutet, wenn man sich, wie es gewöhnlich geschieht, fast aus-schließlich darauf beschränkt, die Zahl der Betriebe verschiedener Größe(der Bodenfläche nach) und ihre Bodenmenge für die verschiedenen Jahrezu vergleichen. D ie W urz eln de r tatsächlichen Meinungsverschieden-heiten zwischen den Marxisten und den Gegnern des Marxismus in derAgrarfrage liegen viel tiefer. Setzt man sich das Ziel, die Ursachen derMeinungsverschiedenheiten restlos zu klären, so muß man die Auf-

merksamkeit vor allem und in erster Linie auf die Frage lenken, welchesdie Grundzüge des kapitalistischen Systems der modernen Landwirtschaftsind. Gerade zu dieser Frage liefert die deutsche Zählung vom 12. Juni1907 besonders wertvolle Angaben. Sie ist in einigen Fragen wenigerdetailliert als die vorangegangenen Zählungen der Jahre 1882 und 1895,

* Statistik des Deutschen Reichs, Band 212, Teil ia, lb und 1a , Berufs- undBetriebszählung vom 12. Juni 1907, Landwirtschaftliche Betriebsstatistik, Berlin1909 und 1910.

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Das kapitalistische System der modernen £andivirtsdbaft 437

dafür liefert sie aber erstmalig außerordentlich reichhaltiges Material

über die Lohnarbeit in der Landwirtschaft. Die Anwendung der Lohn-arbeit aber ist das wichtigste Wesensmerkmal jeder kapitalistischen Land-wirtschaft.

Deshalb werden wir uns bemühen, vor allem ein allgemeines Bild deskapitalistischen Systems der modernen Landwirtschaft zu geben, wobeiwir uns in der Hauptsache auf die Angaben der deutschen Zählung von1907 stützen und diese durch Angaben der besten landwirtschaftlichenZählungen anderer Länder ergänzen werden, und zwar der dänischen,schweizerischen, amerikanischen und der letzten ungarischen. Was die

Tatsache betrifft, die bei einer ersten Kenntnisnahme der Ergebnisseder Zählung besonders in die Augen springt und über die am meistengesprochen wird, nämlich, daß in Deutschland die Zahl der (ihrer landrwirtschaftlichen Nutzfläche nach) großen Wirtschaften und deren Boden-menge abnimmt, so kehren w ir zu r Untersuchung dieser Tatsache erst amEnde unserer Arbeit zurück. Denn das ist eine der kompliziertesten Er-scheinungen, die von einer ganzen Reihe anderer abhängig ist, und es istganz unmöglich, ihre Bedeutung zu begreifen, ohne vorher einige weitwichtigere und grundlegendere Fragen geklärt zu haben.

I

Das allgemeine Bild der ökonomisdhen Strukturder modernen Landwirtschaft

Die landwirtschaftlichen Zählungen in Deutschland beruhen, wie alleeuropäischen Zählungen ähnlicher Art (zum Unterschied von den russi-schen), auf Ermittlungen über jeden landwirtschaftlichen Betrieb im ein-

zelnen. Dabei wächst gewöhnlich mit jeder Zählung die Zahl der ermit-telten Angaben. Beispielsweise wurden in Deutschland im Jahre 1907die sehr wichtigen Angaben über die Menge des Viehs, das für Feld-arbeiten verwendet wird, ausgelassen (diese Angaben wurden in denJahren 1882 und 1895 ermittelt), dafür wurden jedoch zum erstenmalAngaben über die Menge des Ackerlands für die verschiedenen Getreide-arten, über die Zahl der mitarbeitenden Familienangehörigen und derLohnarbeiter ermittelt. Die so erhaltenen Angaben über jede Wirtschaft

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438 W. J.Lenin

genügen vollauf, um eine politisch-ökonomische Charakteristik der be-

treffenden Wirtschaft geben zu können. Die ganze Frage, die ganzeSchwierigkeit der Aufgabe besteht darin, diese Angaben so zusammen-zufassen, daß man eine präzise politisch-ökonomische Charakteristik derverschiedenen Wirtschaftsgruppen oder -typen als Ganzes erhält. Beieiner unbefriedigenden Zusammenfassung, bei einer falschen oder man-gelhaften Gruppierung kann es dazu kommen — und dazu kommt es stän-dig bei der Auswertung der modernen Zählungen -, daß die aus-gezeichneten, sehr detaillierten Angaben, die über jeden einzelnen Betriebvorliegen, in der Gesamtdarstellung, wenn es sich um die Millionen Be-

triebe des ganzen Landes handelt, verschwinden, verlorengehen, unter-gehen. Das kapitalistische System der Landwirtschaft wird charakterisiertdurch die Verhältnisse, die zwischen den Landwirten und den Arbeitern,zwischen den Wirtschaften verschiedener Typen bestehen, und wenndie Merkmale für diese Typen falsch gewählt, unvollständig zusammen-gestellt werden, so besteht die Möglichkeit, daß selbst die beste Zählungkein politisch-ökonomisches Bild der Wirklichkeit gibt.

Hieraus wird die große, die außerordentliche Bedeutung verständlich,die der Methodik der Zusammenstellung bzw. Gruppierung der An-

gaben der modernen Zählungen zukommt. Bei der weiteren Darlegungwerden wir alle recht verschiedenartigen Methoden untersuchen, die beiden obenerwähnten besten Zählungen Anwendung finden. Zunädist abersei festgestellt, daß die deutsche Zählung, wie auch die meisten anderen,eine vollständige Zusammenstellung gibt, indem sie die Wirtschaften aus-schließlich nach einem Merkmal gruppiert, nämlich nach der Größe derlandwirtschaftlichen Nutzfläche jeder Wirtschaft. Nach diesem Merkmalwerden bei der Zählung alle Wirtschaften in 18 Gruppen eingeteilt, vonden Wirtschaften mit weniger als einem Zeh ntel Hektar bis zu denen, die

über 1000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche haben. Daß eine der-artige Detaillierung in der Statistik ein Luxus ist, der durch keinerleipolitisch-ökonomische Erwägungen gerechtfertigt wird, empfinden dieAutoren der deutschen Statistik selbst; sie fassen daher alle Angaben insechs - unter Berücksichtigung einer Untergruppe in sieben — großenGruppen nach der Größe der landwirtsdiaftlichen Nutzfläche zusammen.Es sind dies folgende Grupp en: Wirtschaften bis zu V2 He kta r, von V2bis 2, von 2 bis 5, von 5 bis 20, von 20 bis 100 und über 100 Hektar,

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Das kapitaUstisdhe System der modernen Landwirtschaft 439

wobei aus der letztgenannten Gruppe die Wirtschaften mit über 200

Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche als Untergruppe ausgesondertwerden.Es fragt sich nun: Welche politisch-ökonomische Bedeutung hat eine

derartige Gruppierung? Der Boden ist zweifellos das Hauptproduktions-mittel in der Landwirtschaft; nach der Menge des Bodens kann man daheram sichersten auf die Größe der Wirtschaft und folglich auch auf denWirtschaftstyp schließen, d. h. beispielsweise darauf, ob es sich um einenKlein-, Mittel- oder Großbetrieb, um einen kapitalistischen oder um einenBetrieb handelt, der keine Lohnarbeit anwendet, üblicherweise geltenWirtschaften bis zu 2 Hektar als Kleinbetriebe (bisweilen auch als so-genannte Parzellen- oder Zwergwirtschaften), von 2 bis 20 (bisweilenvon 2 bis 100) H ektar als bäuerliche Betriebe, über 100 Hek tar als Groß-betriebe, das heißt als kapitalistische Betriebe.

Und da geben uns die erstmalig durch die Zählung von 1907 er-haltenen Angaben über die Lohnarbeit vor allem die Möglichkeit, diese„übliche" Annahme zum erstenmal an Hand einer Vielzahl von Angabenzu überprüfen. Erstmalig kommt in den statistischen Schematismus eingewisses - wenn auch, wie wir weiter unten sehen werden, bei weitemnicht ausreichendes - rationelles Element hinein, d. h. ein Element, dasAngaben berücksichtigt, die direkteste, unmittelbarste politisch-ökono-mische Bedeutung haben.

In der Tat, alle sprechen vom Kleinbetrieb. Was aber ist ein Klein-betrieb? Die geläufigste Antwort auf diese Frage lautet, daß der Klein-betrieb ein Betrieb ist, der keine Lohnarbeit anwendet. Diesen Standpunktvertreten nicht nur die Marxisten. Eduard David zum Beispiel, dessenBuch „Sozialismus und Landwirtschaft" man eine der neuesten Zusam-menfassungen der bürgerlichen Theorien zur Agrarfrage nennen könnte,schreibt auf S. 29 der russischen Übersetzung [deutsch S. 491: „Wo immer

wir vom Kleinbetrieb kurzweg reden, meinen wir diese, ohne ständigefremde Hilfskräfte und ohne Nebenerwerb arbeitende Betriebskategorie."

Aus der Zählung von 1907 geht vor allem eindeutig hervor, daß dieAnzahl solcher Wirtschaften sehr gering ist, daß in der modernen Land-wirtschaft Landwirte, die keine Lohnarbeiter beschäftigen oder sich nichtselbst bei anderen verdingen, eine unbedeutende Minderheit darstellen.Aus der Gesamtzahl von 5 736 082 landwirtschaftlichen Betrieben in

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440 19.1. Lenin

Deutschland, die 1907 bei der Zählung registriert wurden, gehören nur

1 872 616, d. h. weniger als ein D rittel, Landw irten, deren Hauptbeschäf-tigung die selbständige Führung eines landwirtschaftlichen Betriebs istund die keinem Nebenerwerb nachgehen. Wie viele von ihnen beschäf-tigen Lohnarbeiter? Darüber gibt es keine Angaben, d. h., es gab sie,und zwar sehr detailliert auf den primären Karteikarten, doch bei derZusammenfassung gingen sie verloren! Die Verfasser der Statistik (dieeine Unmenge detailliertester und völlig nutzloser Berechnungen anstell-ten) hielten es nicht für nötig, zu berechnen, wieviel Wirtsdiaften in jederGruppe ständig oder zeitweilig Lohnarbeiter beschäftigen.

Um die Anzahl der Wirtschaften ohne Lohnarbeiter ungefähr fest-zustellen, sondern wir die Gruppen aus, in denen die Zahl der Wirt-schaften geringer ist als die Zahl der Lohnarbeiter. Das werden die Grup-pen mit einer Bodenfläche bis zu 10 Hektar je Wirtschaft sein. In diesenGruppen sind 1 283 631 Landwirte, die die Landwirtschaft als ihre Haupt-beschäftigung ansehen und keinem Nebenerwerb nachgehen. Auf dieseAnzahl Landwirte kommen insgesamt 1 400 162 Lohnarbeiter (wennman von der Voraussetzung ausgeht, daß Lohnarbeiter nur von den Land-wirten beschäftigt werden, die die Landwirtschaft als ihre Hauptbeschäf-

tigung ansehen und keinen Nebenerwerb haben). Nur in den Gruppen,zu denen die Wirtschaften von 2 bis 5 Hektar gehören, ist die Zahl derselbständigen Landwirte ohne N ebenerwerb größer als die Zahl der Lohn-arbeiter, nämlich: 495 439 Betriebe und 411 311 Lohnarbeiter.

Gewiß gibt es Lohnarbeiter auch bei Landwirten, die einem Neben-erwerb nachgehen,- gewiß gibt es auch „kleine" Landwirte, die nicht einen,sondern m ehrere Lohnarbeiter beschäftigen. Aber dennoch kann es keinenZweifel geben, daß die Landwirte, die keine Lohnarbeiter beschäftigenund sich selbst nicht als Lohnarbeiter verdingen, eine verschwindendeMinderheit bilden.

Nach den Angaben über die Zahl der Lohnarbeiter lassen sich sogleichdrei Hauptgruppen von Wirtschaften in der deutschen Landwirtschaftunterscheiden:

I. Proletarische Wirtschaften. Hierzu sind die Gruppen zu zählen, indenen eine Minderheit der Landwirte die selbständige Führung ihres land-wirtschaftlichen Betriebs als Hauptbeschäftigung ansieht und in denendie Mehrzahl Lohnarbeiter u. dgl. sind. W irtschaften mit einer Bodenfläche

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Das kapitalistische System der modernen Landivirtsdbaft 441

bis zu V2 H ek tar gibt es beispielsweise 2 084 06 0. Von ihnen sind n ur97 153 selbständige L and wirte, wäh ren d 1 287 312 ihrer IHauplbeschäfti-gung nach Lohnarbeiter sind (in allen Zweigen der Volkswirtschaft).Wirtschaften mit einer Bodenfläche von V2 bis 2 H ek tar gibt es 1 294 449 .Von ihn en sind nur 377 762 selbständige Lan dw irte, 535 480 Loh n-arbei ter , 277735 Kleingewerbetre ibende, Handwerker, Händler, 103 472Angestellte und Angehörige „verschiedener und unbestimmter" Berufe.Es ist klar, daß diese beiden Gruppen in ihrer großen Masse proletarischeWirtschaften darstellen.

II. Bäuerliche Wirtschaften. Hierzu zählen wir solche Wirtschaften,in denen die große Masse selbständige Landwirte sind, wobei die Zahl

der mitarbeitenden Familienangehörigen größer ist als die Zahl der Lohn-arbeiter. Das sind die Grup pen m it einer Bodenfläche von 2 bis 20 H ek tar.

III. Kapitalistische Wirtschaften. Hierzu zählen wir solche Wirtschaf-

ten, in denen die Zahl der Lohnarbeiter größer ist als die Zahl der mit-arbeitenden Familienangehörigen.

Nachstehend zusammengefaßte Angaben über diese drei Gruppen:

Wirtschaften, aufgeteilt nachD a v o n d er Z a h l d er A r be ite r

G r u p p e n d e r G esam t-' G esam t-

W i r t s c h a f t e n zahl selbstän- zahlder dige dieser I n i h n e n A r b e i t e r

W irt- Land- Lohn- W irt- Famil ien- Lohn-schaften wi rte arbe iter Schäften insgesa mt Angehörige arb eite r

I. Bis zu 2 ha 3 378 509 474915 1822 792 2 669232 4353 052 3 851905 501147II . Vo n 2 bis 20 ha 207 181 6 170 544 8 117 338 2 057 577 7 509 735 5898 853 1610 882

III. 20 ha und darüber 285757 277 060 737 285331 3 306762 870 850 2 435912

Insgesamt 5736082 245 742 3 1940 867 5 012140 1 5169549 10 621608 4 547~941

Diese Tabelle gibt uns ein Bild der ökonomischen Struktur der moder-nen deutschen Landwirtschaft. Den unteren Teil der Pyramide bildet eine

riesige Menge proletarischer „Wirtschaften", fast % der Gesamtzahl; dieSpitze ist eine verschwindende Minderheit (V20) kapitalistischer Wirt-schaften. Vorweggenommen sei der Hinweis, daß diese verschwindendeMinderheit mehr als die Hälfte des gesamten Bodens und des gesamtenAckerlands besitzt. Sie beschäftigt ein Fünftel aller in der Landwirtschafttätigen Arbeitskräfte und mehr als die Hälfte aller dort tätigen Lohn-arbeiter.

29 Lenin, Wer ke, Bd. 16 .

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442 W . 1. Lenin

II

Was die Tdehrzahl der modernen landwirtsdjaftlidhen„Wirtsdhaften" in Wirklichkeit darstellt

(Proletarische „Wirtschaften")

Von den „Landwirten", die bis zu 2 Hektar Land besitzen, sind diemeisten ihrer Hauptbeschäftigung nach Lohnarbeiter. Die Landwirtschaftist für sie ein Nebengewerbe. Von 3 378 509 Betrieben dieser Gruppesind 2 92 01 19 Nebenbetriebe. Die selbständigen Landw irte, darunterauch solche, die außerdem einem Nebenerwerb außerhalb der Landwirt-

schaft nachgehen, bilden eine ganz geringfügige Minderheit, insgesamt14 Prozent: 475 000 von 3,4 Millionen.

*... feststellen, daß die Zahl der Lohnarbeiter* ... dieser Gruppe dieZahl der selbständigen Landwirte übersteigt.

Dieser Umstand weist darauf hin, daß die Statistik hier die wenigenkapitalistischen Landwirte, die auf einem kleinen Grundstück einen Groß-betrieb führen, mit der Masse der Proletarier vermengt. Auf diesen Typwerden wir noch des öfteren bei den weiteren Ausführungen stoßen.

Es fragt sich nu n: Welche Bedeutung haben diese Massen proletarischer

„Landwirte" in der Gesamtstruktur der Landwirtschaft? Erstens ver-körpert sich in ihnen die Verbindung des Leibeigenschaftssystems dergesellschaftlichen Wirtschaft mit dem kapitalistischen System, ihre histo-rische N ähe und ihre Verwandtschaft, ein direktes Überbleibsel der Leib-eigenschaft im Kapitalismus. Wenn wir beispielsweise in Deutschland undbesonders in Preußen sehen, daß die Bodenparzellen, die der Gutsbesitzerdem Landarbeiter als Teil seines Arbeitslohnes gibt (das sogenannte Depu-tatland**), zu den landwirtschaftlichen Betrieben gezählt werden, ist dasetwa kein direktes Überbleibsel der Leibeigenschaft? Als Wirtschafts-

system unterscheidet sich die Leibeigenschaft ja gerade dadurch vomKapitalismus, daß sie dem Werktätigen Boden zuteilt, während dieserden Werktätigen vom Boden trennt, daß sie dem Werktätigen die Mittelzum Leben in Naturalien liefert (bzw. ihn zwingt, sie auf seinem „Depu-tatland" selbst zu produzieren), während dieser dem Arbeiter Geldlohn

* An dieser Stelle ist eine Ecke der Manuskriptseite abgerissen. Die Red.** „Deputatland" bei Lenin deutsch. Der Tibers.

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Das kapitalistische System der modernen Landwirtschaft 443

zahlt,.für den er sich die Mittel zum Leben kauft. Natürlich ist dieses

Überbleibsel der Leibeigenschaft in Deutschland völlig unbedeutend imVergleich zu dem, was wir in Rußland mit seinem berüchtigten „Ab-arbeits"system der Gutsbesitzerwirtschaft sehen, aber immerhin ist diesein Überbleibsel der Leibeigenschaft. Die Zählung des Jahres 1907 er-mittelte in Deutschland 579 500 „landwirtschaftliche Betriebe", die Land-

arbeitern und tagelöhnern gehören, wobei 540 751 hiervon auf dieGruppe von „Landw irten" entfallen, die bis zu 2 H ektar Land besitzen.

Zweitens bildet die Masse der „Landwirte", die solche winzigen Land-stückchen besitzen, von denen man nicht leben kann und die lediglich

einen „Nebenbetrieb" darstellen, im Gesamtsystem des Kapitalismus einenTeil der Reservearmee der A rbeitslosen. Das ist, nach dem Ausdruck vonM arx, die latente Form dieser Armee.124 Es wäre falsch, sich die Reserve-armee der Arbeitslosen so vorzustellen, als setze sie sich nu r aus A rbeiternzusammen, die keine Arbeit haben. Zu ihr gehören audi „Bauern" bzw.„kleine Landwirte", die von dem, was ihnen ihre winzige Wirtschafteinbringt, nicht leben können und die sich die Mittel zum Leben in derHauptsache durch Lohnarbeit erwerben müssen. Ein Gemüsegarten oderein Stückchen Kartoffelland sind für diese Armee von Hungerleidernein Mittel zur Ergänzung ihres Lohnes bzw. ein Mittel, um in Zeiten, dasie keine Arbeit haben, ihr Dasein zu fristen. Der Kapitalismus brauchtdiese „Zwerg"- oder „Parzellen"- Quasi-Landwirte, um ständig ohne ir-gendwelche Unkosten eine Menge billiger Arbeitskräfte zur Verfügung zuhaben. Nach der Zählung von 1907 haben von 2 Millionen „Landwirten"mit weniger als V2 Hektar Boden 624 000 ausschließlich Gemüseland und361 000 ausschließlich einen Kartoffelacker. Das gesamte Ackerland die-ser 2 Millionen beläuft sich auf 247 000 H ektar, von denen über dieHälfte, nämlich 166 000 Hektar Tartoffelland sind. Das gesamte Acker-land der einemviertel Million „Landw irte", die V2 bis 2 H ektar Boden

haben, beläuft sich auf 976 000 H ekta r, von denen über ein Drittel- 334 000 ha - Kartoffelland sind. Verschlechterung der Volksemährung(Kartoffeln an Stelle von Brot) und billigere Arbeitskräfte für die Unter-nehmer - das bedeuten die „Wirtschaften" von drei Millionen „Land-wirten" der insgesamt fünf Millionen Landwirte in Deutschland.

Um das Bild dieser proletarischen Wirtschaften abzurunden, sei hinzu-gefügt, daß fast ein Drittel von ihnen (1 von 3,4 Millionen) gar kein

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444 IV . •}. £enin

Vieh besitzt, zwei Drittel (2,5 von 3,4 Millionen) kein Großvieh, über9

/io (3,3 von 3,4 Millionen) keine Pferde. Der Anteil dieser proletarischenWirtschaften an der landwirtschaftlichen Gesamtproduktion ist ver-schwindend gering: % aller Wirtschaften besitzen weniger als Vio desgesamten Viehs (2,7 von 29,4 Millionen Stück, das gesamte Vieh aufGroßvieh umgerechnet), etwa V20 des gesamten Ackerlandes (1,2 von 24,4Millionen Hektar).

Man kann sich vorstellen, welche Verwirrung eine Statistik stiftet, einwie falsches Bild sie gibt, wenn in dieser Gruppe von Wirtschaften mitweniger als 2 H ektar Land Millionen Proletarier ohne Pferde, ohne G roß-

vieh, die einzig und allein einen Gemüsegarten oder ein Stückchen Kar-toffelacker besitzen, und Jausende von Großlandwirten, Kapitalisten, dieauf 1 bis 2 Desjatinen Viehzucht oder Gemüsebau usw. im großen be-treiben, miteinander vermengt werden. Daß es solche Landw irte in dieserGruppe gibt, ist allein schon daraus ersichtlich, daß von den 3,4 Millio-nen W irtschaften (mit weniger als 2 ha Land) 15 428 Landwirte je 6und mehr Arbeiter (Familienangehörige und Lohnarbeiter zusammen)haben, diese 15 000 haben insgesamt 123 941 A rbeiter, d. h. durchschnitt-lich 8 Arbeiter je Betrieb. Eine solche Zahl von Arbeitern weist, berück-

sichtigt man die technischen Besonderheiten der Landwirtschaft, ohneZweifel auf kapitalistische Großproduktion hin. Daß es unter der prole-tarischen Masse der „Landwirte", die bis zu 2 ha Land besitzen, großeViehzuchtwirtsehaften gibt, habe ich bereits an Hand der Angaben dervorangegangenen Zählung von 1895 nachgewiesen (siehe mein Buch „DieAgrarfrage", St. Petersburg 1908, S. 239)*. Die A ussonderung dieserGroßbetriebe wäre auf Grund der Angaben sowohl über den Viehbestandals auch über die Zahl der beschäftigten Arbeiter durchaus möglich ge-wesen, aber die deutschen Statistiker ziehen es vor, die Gruppe derBesitzer von Wirtschaften bis zu V2 Hektar in nodo kleinere Gruppen,in fünf Untergruppen, der Bodenmenge nach gerechnet, zu unterteilen undmit den Angaben über diese fünf Untergruppen Hunderte von Seiten zufüllen!

Die sozialökonomische Statistik - eine der mächtigsten Waffen dersozialen Erkenntnis - wird somit verunstaltet, wird zur Statistik um derStatistik willen, zu einer Spielerei.

* Siehe Werke, Band 5, S. 97-221. Die Red.

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Das kapitalistisdhe System der modernen Candwirtsdbaft 445

Die Zugehörigkeit der Mehrheit bzw. der großen Masse der landwirt-

schaftlichen Betriebe zur Kategorie der proletarischen, der Zwerg- undParzellenwirtschaften ist eine Erscheinung, die viele, wenn nicht die mei-sten kapitalistischen Länder Europas, aber nicht alle kapitalistischen Län-der m iteinander gemein haben. In Amerika zum Beispiel beträgt nach denAngaben der Zählung von 1900 die Durchschnittsgröße einer Farm146,6 Acres (60 Hektar), d.h. 772inal soviel wie in Deutschland. DieZahl der Kleinstbetriebe beträgt, rechnet man hierzu die Wirtschaftenbis zu 20 Acres (bis zu 8 ha), etwas mehr als Vio (11,8 Prozent). Selbstdie Zahl aller Wirtschaften bis zu 50 Acres (d. h. bis zu 20 ha) beträgt

nur ein Drittel der Gesamtzahl. Um diese Angaben mit den deutschenvergleichen zu können, muß man beachten, daß Wirtschaften bis zu3 Acres ( = 1,2 H ektar) in Amerika nur dann gezählt werden, wenn ihrBruttoeinkommen 500 Dollar ausmacht, d. h., die große Masse der Wirt-schaften bis zu 3 Acres wird überhaupt nicht registriert. Deshalb müßteman auch in den deutschen Angaben die Kleinstbetriebe weglassen. Lassenwir sogar alle Betriebe bis zu 2 ha aus, so haben von den verbleibenden2 357 572 W irtschaften 1 006 277 von 2 bis 5 ha, d. h., über 40 Prozentaller Wirtschaften sind Kleinstbetriebe. In Am erika liegen die Dinge völlig

anders.Offensichtlich kann der Kapitalismus in der Landwirtschaft dort, wo eskeine Traditionen der Leibeigenschaft gibt (bzw . wo alle Spuren der Leib-eigenschaft entschiedener beseitigt wurden), wo das Joch der Grundrentenicht (oder weniger stark) auf der landwirtschaftlichen Produktion lastet,existieren und sich sogar besonders schnell entwickeln, ohne ein Millionen-heer von Landarbeitern und Tagelöhnern m it Anteilland zu schaffen.

III

Die bäuerlichen Wirtschaften im Kapitalismus

Wir haben zu den bäuerlichen Wirtschaften die Gruppen gezählt, indenen einerseits die Mehrzahl der Landwirte selbständige Landwirte sindund anderseits die Zahl der mitarbeitenden Familienangehörigen die derLohnarbeiter übersteigt. Die absolute Zahl der Lohnarbeiter in diesenWirtschaften erwies sich als sehr hoch - 1,6 Millionen, über ein Drittelder Gesamtzahl der Lohnarbeiter. Offensichtlich gibt es in der Gesamtzahl

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446 W. 3. Lenin

(2,1 Mill.) der „bäuerlichen" Wirtschaften nicht wenig kapitalistische

Betriebe. Wir werden weiter unten sehen, wie groß ihre annähernde Zahlund Bedeutung ist, und wollen uns jetzt eingehender mit dem Verhältnisvon Familienarbeit und Lohnarbeit beschäftigen. Betrachten wir die durch-schnittliche Zahl von Arbeitern je Wirtschaft:

Durchschnittliche Zahl von

ProletarischeWirtschaften

BäuerlicheW' rtschaft

KapitalistischeWirtschaften

Gruppen der

W irtschaften

f Bis zu 0,5 ha\ 0,5 - 2 „

2 - 5 „\ 5 - 10 „[ 10 - 20 „( 20-100 „^ 100 und mehr ha

Tiurdbsdmittlidh

Arbeitern je W irtschaft

insgesam t

1,31,9

2,93,85,17,9

52,5

3 0

Fam ilien-

angehörige

1,21,7.

2,53,13,43,21,6

2 1

Lohn-

arbeiter

0,10,2

0,40,71,74,7

50,9

0,9

Hieraus ersehen wir, wie klein im allgemeinen, verglichen mit derIndustrie, die landwirtschaftlichen Betriebe ihrer Arbeiterzahl nach sind.Mehr als 50 Lohnarbeiter je Wirtschaft haben nur die 23 566 Besitzer

von über 100 ha, d.h. weniger als V2 Prozent aller Wirtschaften. DieZahl der bei ihnen beschäftigten Lohnarbeiter beträgt 1 463 974, d. h.etwas weniger als die Zahl der in 2 Millionen bäuerlichen Wirtschaftenbeschäftigten Lohnarbeiter.

Von den bäuerlichen Wirtschaften hebt sich sogleich die Gruppe von10 bis 20 ha ab: hier kommen im Durchschnitt auf eine Wirtschaft 1,7Lohnarbeiter. Nimmt man nur die ständigen Lohnarbeiter, so ergibt sich,daß sich ihre Zahl in den 412 741 Wirtschaften dieser Gruppe (411 940aufgeteilt nach der Zahl der Arbeiter) auf 412 702 beläuft. Das bedeutet,

daß kein Betrieb ohne ständige Anwendung von Lohnarbeit auskommt.Deshalb sondern wir diese Gruppe als „Großbauern", als großbäuerlicheWirtschaften oder bäuerliche Bourgeoisie, aus. Gewöhnlich zählte manhierzu Eigentümer von 20 und mehr Hektar, indes hat die Zählung von1907 den Beweis erbracht, daß die Anwendung von Lohnarbeit in derLandwirtschaft weiter verbreitet ist, als man gemeinhin annimmt, daß dieGrenze, wo die ständige Anwendung der Lohnarbeit beginnt, beträcht-lich nach unten gerückt werden muß.

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Das kapitalistische System der modernen Candtvirtsdbaft 447

Ferner sehen wir bei der Untersuchung des Verhältnisses von Familien-

arbeit und Lohnarbeit, daß in den proletarischen und bäuerlichen Wirt-schaften die durchschnittliche Zahl der mitarbeitenden Familienangehöri-gen parallel zur wachsenden Zahl d er Lohnarbeiter ständig steigt, währendin den kapitalistischen Betrieben die Zahl der mitarbeitenden Familien-angehörigen bei steigender Zahl der Lohnarbeiter zu fallen beginnt. Dasist eine völlig natürliche Erscheinung, die die Richtigkeit unserer Auf-fassung bestätigt, daß die Wirtschaften mit über 20 Hektar zu den kapi-talistischen gehören, in denen nicht nur die Zahl der Lohnarbeiter größerist als die Zahl der mitarbeitenden Familienangehörigen, sondern auch die

durchschnittliche Zahl der mitarbeitenden Familienangehörigen je Be-trieb geringer ist als bei den Bauern.In der russischen Literatur wurde schon lange, schon zu Beginn der

Auseinandersetzungen zwischen Marxisten und Volkstümlern auf Grundder Angaben der Semstwostatistik festgestellt, daß in der bäuerlichenWirtschaft die Kooperation innerhalb der Familie die Basis bildet fürdie Entstehung der kapitalistischen Kooperation, d. h., starke bäuerlicheWirtschaften, die eine besonders hohe Zahl mitarbeitender Familienange-höriger aufweisen, verwandeln sich, indem sie in immer größerem Um-

fang Lohnarbeit anwenden, in kapitalistische Betriebe. Nun sehen wir,daß die deutsche Statistik diese Schlußfolgerung für die gesamte deutscheLandwirtschaft bestätigt.

Betrachten wir die bäuerlichen Wirtschaften in Deutschland. Als Gan-zes genommen, unterscheiden sie sich von den proletarischen Wirtschaftendadurch, daß sie auf der Kooperation innerhalb der Familie beruhen(2,5 bis 3,4 mitarbeitende Familienangehörige je Wirtschaft), während dieproletarischen Wirtschaften auf der Arbeit jeweils einzelner beruhen. Dieproletarischen Wirtschaften müssen als Einmannbetriebe bezeichnet wer-

den, denn durchschnittlich kommen nicht einmal zwei Arbeiter auf eineWirtschaft. Unter den bäuerlichen Wirtschaften aber geht die Konkur-renz darum, wer mehr Lohnarbeiter einstellt: je größer die bäuerlicheWirtschaft, um so höher die Zahl der mitarbeitenden Familienangehörigenund um so rasdber wächst die Zah l der Lohnarbeiter. Die großbäuerlichenWirtschaften haben knapp anderthalbmal soviel mitarbeitende Familien-angehörige wie die kleinbäuerlichen (2 bis 5 ha), aber mehr als viermalsoviel Lohnarbeiter.

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448 "W. 3. Lenin

Wir sehen hier eine exakte, statistische Bestätigung des grundlegenden

Unterschieds zwischen der Klasse der Kleineigentümer im allgemeinen, derKleinbauern im besonderen, und der Klasse der Lohnarbeiter, der vonden Marxisten stets hervorgehoben wird und den die bürgerlichen Öko-nomen und die Revisionisten absolut nicht begreifen können. Die ganzenVerhältnisse der Warenwirtschaft führen dazu, daß die Kleinbauernnicht existieren können, ohne einen Kampf zu führen um die Festigungund Erweiterung ihres Betriebes, dieser Kampf aber bedeutet Kampf umdie vermehrte Anwendung fremder Arbeitskraft und um deren Verbilli-gung. Das ist die Ursache dafür, daß in jedem kapitalistischen Land die

ganze Masse der Kleinbauern, von denen es eine verschwindende Min-derheit „zu etwas bring t", d. h. zu richtigen Kapitalisten w ird, vonkapitalistischer Mentalität durchdrungen wird und in der Politik denAgrariern folgt. Die bürgerlichen Ökonomen (und in ihrem Gefolge auchdie Revisionisten) unterstützen diese Mentalität; die Marxisten erklärenden Kleinbauern, daß es für sie keine andere Rettung gibt als den An-schluß an die Lohnarbeiter.

Außerordentlich lehrreich sind auch die Angaben der Zählung von1907 über das zahlenmäßige Verhältnis zwischen ständig und zeitweilig

beschäftigten Arbeitern. Insgesamt genommen, machen die letzteren genauein Drittel der Gesamtzahl aus: 5 053 726 von 15 169 549. Von den Lohn-arbeitern sind 45 Prozent, von den mitarbeitenden Familienangehörigen29 Prozent zeitweilig beschäftigt. Dies Verhältnis ändert sich jedochwesentlich je nach dem Typ der betreffenden Wirtschaft. Nachstehend dieAngaben für die von uns verwendeten Gruppen:

Prozentsatz der zeitweilig beschäftigten Arbeiterim Verhältnis znr Gesamtzahl der Arbeiter

II

III

Gnippen derWirtschaften

Bis zu 0,5 ha0,5- 2 „

2 - 5 „5 - 10 „

10- 20 „20-100 „

100 und mehr ha

Durdbsdmittlidh

Familien-angehörige

55392211141411

29

Lohnarbei ter

79786854423233

45

insgesamt

58452924232532

33

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"Das kapitalistisdoe System der modernen Landwirtschaft 449

Hieraus ersehen wir, daß in den proletarischen Wirtschaften mit weni-

ger als-7? Hektar (insgesamt gibt es 2,1 Millionen solcher Wirtschaften!)die zeitweilig beschäftigten Arbeiter sowohl unter den mitarbeitendenFamilienangehörigen als auch unter den Lohnarbeitern über die Hälfteausmachen. Es sind dies hauptsächlich Nebenwirtschaften, deren Besitzernur zeitweilig in diesen W irtschaften arbeiten. Auch in den proletarischenWirtschaften mit 0,5-2 Hektar ist der Prozentsatz der zeitweilig be-schäftigten Arbeiter sehr hoch. In dem Maße, wie die Größe der Wirt-schaft zunimmt, fällt dieser Prozentsatz - mit einer einzigen Ausnahme.Nämlich unter den Lohnarbeitern der größten kapitalistischen Betriebe

steigt dieser Prozentsatz ein wenig an, da aber die Zahl der mitarbeiten-den Familienangehörigen in dieser Gruppe ganz geringfügig ist, steigtder Prozentsatz der zeitweilig beschäftigten Arbeiter im Verhältnis zurGesamtzahl der Arbeiter beträchtlich an, nämlich von 25 auf 32 Pro-zent.

Der Unterschied zwischen bäuerlichen und kapitalistischen Betriebenist, was die Gesamtzahl der zeitweilig beschäftigten Arbeiter betrifft,nicht sehr groß. Der Unterschied zwischen den mitarbeitenden Familien-angehörigen und den Lohnarbeitern ist in allen Betrieben sehr bedeutend,und wenn man berücksichtigt, daß unter den zeitweilig beschäftigtenFamilienangehörigen, wie wir gleich sehen werden, der Prozentsatz derFrauen und Kinder besonders hoch ist, so erweist sich dieser Unterschiedals noch größer. Folglich sind die Lohnarbeiter das beweglichste Ele-ment . . .

IV

7rauen- und Kinderarbeit in der Landwirtschaft

... treiben Landwirtschaft. In der bäuerlichen Wirtschaft herrscht imallgemeinen ebenfalls die Frauenarbeit vor, und nur in den großbäuer-lichen und in den kapitalistischen Betrieben sind die Männer in der Mehr-zahl.

Unter den Lohnarbeitern ist der Anteil der Frauen im allgemeinengeringer als unter den mitarbeitenden Familienangehörigen. Offensicht-lich sind die kapitalistischen Landwirte in allen Gruppen diejenigen, diesich die besten Arbeitskräfte sichern. Wenn man davon ausgeht, daß das

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450 W . 3. Lenin

überwiegen von Frauen gegenüber den Männern ein Gradmesser für die

bedrängte Lage des Landwirts und für den unbefriedigenden Zustand derWirtschaft ist, die keine Möglichkeit hat, sich der besten Arbeitskräfte.zu bedienen (eine solche Annahme ergibt sich aber unvermeidlich aus allenAngaben über die Frau ...

V

Vergeudung der Arbeit im Kleinbetrieb

VI

Der kapitalistische Charakter der Anwendungvon Maschinen in der modernen Landwirtschaft

VII

Die niedrige Arbeitsproduktivität im Kleinbetriebund das "Übermaß an Arbeit

Die Bedeutung der Angaben über die Anwendung von Maschinen inder Landwirtschaft wird in der ökonomischen Literatur gewöhnlich niditgenügend gewürdigt. Erstens ignoriert man auf Schritt und Tritt (stets,wenn es sich um einen bürgerlichen Ökonomen handelt) den kapitalisti-schen Charakter der Anwendung von Maschinen, man untersucht dieseFrage nicht, man ist nicht imstande oder nicht willens, sie auch nur zustellen. Zweitens wird die Anwendung von Maschinen isoliert betrachtet,nicht aber als Merkmal der verschiedenen Wirtschaftstypen, der ver-

schiedenen Bearbeitungsmethoden, der verschiedenen ökonomischen Be-dingungen des Betriebes.Wenn wir beispielsweise im Großbetrieb in der Regel eine unvergleich-

lich stärkere Anwendung von Maschinen beobachten als im Kleinbe-trieb sowie eine gewaltige Konzentration von Maschinen in den kapi-talistischen Betrieben, ja bisweilen geradezu eine Monopolisierung dermodernsten Maschinen durch die kapitalistischen Betriebe, so deutet dasauf eine unterschiedliche Bodenkultur in den verschiedenen Wirtschafts-

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Das kapitaUstisdbe System der modernen £andwirtsdbafl 451

typen hin. U nter den von der deutschen Zählung registrierten Maschinen

erscheinen solche wie Dampfpflüge, Reihensämaschinen, Kartoffelsetz-maschinen. Ihre Anwendung vorwiegend in der kapitalistischen Land-wirtschaft bedeutet, daß hier die Bodenkultur besser, die Technik derBearbeitung höher entwickelt, die Arbeitsproduktivität größer ist. Ben-sing125, der Verfasser einer bekannten Monographie über landwirtschaft-liche Maschinen, hat, gestützt auf Angaben von Spezialisten über dieErfahrungen bei der Anwendung von verschiedenen Maschinen, errechnet,daß die Anwendung von Maschinen an sich, selbst ohne Veränderung desSystems der Feldbestellung, den Reinertrag der Wirtschaft um dutzende-

ma\ steigert. Diese Berechnungen sind von niemand widerlegt wordenund können in ihrem Wesen nicht widerlegt werden.Der Kleinproduzent, der nicht die Möglichkeit hat, moderne Geräte

anzuwenden, bleibt notgedrungen in der Bodenkultur zurück; den Groß-landwirt aber bei weiterer Verwendung von alten Geräten durch ver-mehrten Arbeitsaufwand, durch größeren „Fleiß" und Verlängerung desArbeitstages „einzuholen", das bringen von Hunderten und Tausendennur einzelne oder wenige fertig. Die Statistik über die Anwendung vonMaschinen deutet also gerade auf die Tatsache des Überm aßes an Arbeitim Kleinbetrieb hin, welche (die Tatsache) von den Marxisten stets her-vorgehoben wird. Keine Statistik vermag diese Tatsache unmittelbar zuregistrieren, wenn man aber die Angaben der Statistik auf ihre ökono-mische Bedeutung hin betrachtet, dann w ird k lar, weldoe 7ypen von Wirt-schaften sich in der modernen Gesellschaft bei der Anwendung von Ma-schinen bzw. bei der Unmöglichkeit, sie anzuwenden, herausbilden müs-sen und sich zwangsläufig herausbilden.

Eine Illustration des Gesagten liefert uns die ungarische Statistik. Ähn-lich der deutschen Zählung von 1907 (sowie auch denen von 1882 und1895), ähnlich der dänischen Statistik über die Anwendung von Maschi-

nen aus dem Jahre 1907, ähnlich der französischen Enquete von 1909zeigt die ungarische Zählung von 1895, die zum erstenmal genaue An-gaben für das ganze Land ermittelt hat, die Überlegenheit der kapita-s

listischen Landwirtschaft, die Zunahme des Prozentsatzes der mit Maschi-nen ausgerüsteten Wirtschaften entsprechend der Zunahme der Größeder Wirtschaften. Von dieser Seite gesehen, ergibt sich hier nichts Neues,sondern lediglich eine Bestätigung der deutschen Angaben. Die Besonder-

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452 TV. 1. Lenin

heit der ungarischen Statistik besteht jedoch darin, daß sie Angaben

nicht nur über einige moderne Geräte und Maschinen enthält, sondernüber das gesamte oder fast das gesamte tote Inventar, über die Zahlder einfachsten und unentbehrlichsten Geräte, Pflüge, Eggen, Fuhr-werke usw.

Durch diese außerordentlich detaillierten Angaben wird es möglich, diekennzeichnende, sozusagen die ganze Struktur der Wirtschaft charakteri-sierende Bedeutung der Angaben über die Anwendung einiger wenigerlandwirtschaftlicher Maschinen und „Seltenheiten" der Technik (wieetwa von Dampfpflügen) genauestens festzustellen. Betrachten wir die

Angaben der ungarischen Statistik* über die Anwendung von Pflügenaußer Dampfpflügen (deren es 1895 in ganz Ungarn insgesamt 179 gab,davon 120 in den 3977 größten Wirtschaften).

Nachstehend die Angaben über die Qesamtzahl der Pflüge und über dieZahl der einfachsten, primitivsten, am wenigstens haltbaren unter allenGeräten dieser Art (zu den einfachsten rechnen Einscharpflüge mithölzernem Pflugbaum; die übrigen sind: die gleichen mit eisernem Pflug-baum , dann Zwei- und Dreischarpflüge, Kultivatoren, Häufelpflüge, Pflügezum Tiefpflügen).

Gruppen der Wirtschaften

Zwergwirtschaften (bis 5 Joch)C 5- 10 Joch1 10- 20 „1 20 - 50 „150-100 „

Insgesamt KleinbetriebeMittelbetriebe (100-1000 Joch)Groß betriebe (üb er 1000 Joch)

Insüesamt

Zahl derWirtschaften(insgesamt)

1 459 893569 534467 038235 784

38 8621 311218

20 7973 977

2 795 885

Zahl derPflöge(insgesamt)

227 241335 885398 365283 28572 970

1 090 505125 157149 750

1 592 653

Daruntereinfachste

196 852290 958329 416215 380

49 312885 066

55 34751565

1 188 830

* Siehe „Landwirtschaftliche Statistik der Länder der ungarischen Krone",Budapest 1900, Bd. 4 und 5. Die ungarische Statistik teilt alle Betriebe in4 Hau ptgrupp en ein: 1. Zwergwirtschaften (bis 5 Joch; 1 Joch = 0,57 H ek tar );2. Kleinbetriebe (5-100 Joc h); 3. mittlere Betriebe (100-1000 Joch) und 4. Groß-betriebe (über 1000 Joch). Es ist klar, d aß die zweite G ruppe ganz verschieden-artige Wirtschaften umfaßt, weshalb ich sie in vier Unterabteilungen anführe.

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Das kapitalistisdhe System der modernen £andwirtsdbaft 453

Von den Zwergwirtschaften ganz abgesehen, sehen wir, daß von

569 000 kleinbäuerlichen W irtschaften (5- 15 Joch, d .h . 2,8-5 ,7 ha)233 000 und von 46 7 000 m ittelbäuerlichen W irtschaften 69 000 über-hau pt keine Pflüge besitzen. N u r die obersten Gru ppe n, d. h. die groß-bäuerlichen Wirtschaften und die kapitalistischen Betriebe, sind mit Pflü-gen gut versehen, wobei nur in den Wirtschaften mit mehr als 100 Joch(solche W irtschaften gibt es nu r 25 000 = 0,9 Prozen t der Ge samtzah l!)vollkommenere Geräte überwiegen. In den bäuerlichen Wirtschaften über-wiegen (und je kleiner die Wirtschaft, um so mehr) die einfachsten, amwenigsten haltbaren, am schlechtesten arbeitenden Geräte.

Lassen wir die Zwergwirtschaften beiseite, die die Mehrzahl (52 Pro-zent) aller Wirtschaften bilden, aber nur einen verschwindend kleinenTeil des Bodens einnehmen (7 Prozent), so ergibt sich folgende Schluß-folgerung:

über eine Million klein- und mittelbäuerlicher Betriebe (5-20 Joch)sind selbst mit den einfachsten Geräten für die Bodenbearbeitung un-genügend versehen.

Eine viertel Million großbäuerlicher Wirtschaften (20-100 Joch) sindleidlich m it Gerä ten einfachster A rt versehe n. Un d nu r 25 000 kapi-

talistische Betriebe (die allerdings 5 5 Prozent der gesamten Bodenflächebesitzen) sind komplett mit modernen Geräten ausgerüstet.Anderseits stellt die ungarische Statistik eine Berechnung an, wieviel

Joch Ackerland auf ein landwirtschaftliches Gerät entfallen, und erhältfolgende Zahlen (wir führen nur die Angaben über Pflüge, Eggen undFuhrwerke an und bemerken, daß ihre Verteilung auf die Betriebe völlig

das gleiche Bild ergibt, das wir bei den Pflügen gesehen haben).

Art der Wirtschaften

ZwergwirtschaftenKleinbetriebeMittelbetriebeGroßbetriebe

Es entfallen Joch Ackerlandau f 1 Pflug auf 1 Egge auf 1

7 812 1327 T 5

i8 61

Fuhrwerk

7154053

Das bedeutet, daß die mit landwirtschaftlichen Geräten aller Art völligunbefriedigend versehenen proletarischen und bäuerlichen Wirtschaftenvon diesen Geräten unverhältnismäßig viel im Vergleich zum gesamten

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454 W . 1. Lenin

Ackerland in ihren Wirtschaften besitzen. Miserable Versorgung mit

Geräten und unerträglich hohe Kosten für deren Unterhalt - das ist dasLos des Kleinbetriebs im Kapitalismus. Ganz genauso zeigt uns die W oh-nungsstatistik in jeder Großstadt, daß die unteren Klassen der Bevölke-rung,. Arbeiter, Kleinhändler, kleine Angestellte usw., am schlechtestenwohnen, die engsten, elendesten Wohnungen haben, pro KubikmeterWohnraum aber die höchste Miete zahlen. Umgerechnet auf die Raum-einheit sind die Wohnungen in einer Fabrikkaserne oder in irgendeinemElendsviertel für die Armen teurer als die Luxuswohnungen irgendwo amNewski-Prospekt.

Hieraus ergibt sidi sowohl in bezug auf Deutschland als auch in bezugauf alle kapitalistischen Länder folgender Schluß. Wenn die Angabenüber die Anwendung der wenigen modernen Geräte und landwirtschaft-lichen Maschinen uns zeigen, daß deren Anwendung mit der Größe derWirtschaft wächst, so bedeutet dies, daß der Kleinbetrieb in der LandWirtschaft mit allen nötigen Geräten schlecht versorgt ist. Das bedeutet,daß im Kleinbetrieb die Vergeudung der Arbeit zum U nterhalt einer riesi-gen Menge schlechter und veralteter, nur für winzige Wirtschaften ge-eigneter Geräte Hand in Hand geht mit schwerer Not, die den Bauern

zwingt, sich abzuschinden, um sich mit diesen veralteten, barbarischenGeräten auf seinem Fleckchen Erde irgendwie zu halten.

Dafür erbringen die so einfachen und allgemein bekannten Angabenüber die Anwendung landwirtschaftlicher Maschinen den Beweis, wennman sich in die sozialökonomische Bedeutung dieser Angaben ver-tieft.

Der Kapitalismus bringt die Technik der Landwirtschaft auf eine höhereStufe und treibt sie vorwärts, aber er kann dies nur tun, indem er dieMasse der Kleinproduzenten ruiniert, würgt, erdrückt.

Um die gesellschaftliche Bedeutung und das Tempo dieses Prozesses zuveranschaulichen, vergleichen wir zum Abschluß die Angaben der dreideutschen Zählungen von 1882, 1895 und 1907. Für diesen Vergleichsind die Angaben über die Anwendung der fünf landwirtschaftlichen Ma-schinen, die im Verlauf dieser ganzen Periode registriert worden sind, zuuntersuchen (es sind dies folgende M aschinen: Dampfpflüge, Sämaschinen,Gras- und Getreidemähmaschinen, Dampf- und sonstige Dreschmaschi-nen). Es ergibt sich folgendes Bild:

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Das kapitalistisdbe System der modernen Landwirtsdhaft 455

I

II

TTT

Gruppen derWirtschaften

Bis zu 2

1 2~

5<̂ 5 - 1 01 10- 20[ 20-100( 100 und

han

n

ii

ii

mehr ha

Fälle der Anwen dung derwichtigsten landwirtschaftlichen Maschinen

1882

0,53,9

13,531,259,2

187,1

auf hundert Wirtschaften1S95

1,611,932,960,892,0

208,9

1907

3,831,271,1

122,1179,1271,9

T>urä>sämittliäi 8,7 16,6 33,9

Der Fortschritt erscheint beträchtlich: In einem Vierteljahrhundert hatsich die Anwendung der wichtigsten Maschinen insgesamt fast vervier-facht. Schauen wir uns die Sache jedoch aufmerksam an, so werden wirsagen müssen: Es bedurfte eines ganzen Vierteljahrhunderts, um dieAnwendung wenigstens einer der fünf wichtigsten Maschinen zu einerüblichen Erscheinung bei einer kleinen Minderheit von Wirtschaften zumachen, die ohne ständige Anwendung von Lohnarbeit nicht auskom-men. Denn üblich kann diese Anw endung nur dann genannt werden, wenndie Fälle der Anwendung die Zahl der Wirtschaften übersteigen. Das ist

jedoch nur bei den kapitalistischen und großbäuerlichen Betrieben derFall, die zusammen 12 Prozent der Gesamtzahl aller Wirtschaften bilden.

Die Masse der Klein- und Mittelbauern befindet sich nach einem Vier-teljahrhundert kapitalistischen Fortschritts in einer solchen Lage, daß nurein Drittel der Kleinbauern und zwei Drittel der Mittelbauern im Laufeeines Jahres irgendeine dieser fünf Maschinen benutzen können.

(Ende des 1. Artikels)

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ANMERKUNGEN

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459

1 Die gesamtrussische (Dezember-) Konferenz der SDJPJt (die Fünfte Kon-ferenz der SDAPR) wurde vom 21. bis 17 . Dezember 1908 (3. bis 9. Janua r1909) in Paris abgehalten. Auf der Konferenz waren 16 Delegierte mit.be-schließender Stimme anwesend: 5 Bolschewiki, 3 Menschewiki, 5 polnischeSozialdemokraten und 3 Bundisten. Vertreter des ZK der SDAPR warLenin. Lenin hielt auf der Konferenz ein Referat „über die gegenwärtigeLage und die Aufgaben der Partei" sowie Reden über die sozialdemokra-tische Dumafraktion, über die Organisationsfrage und andere Fragen. Aufder Konferenz führten die Bolschewiki den Kampf gegen zwei Arten des

Opportunismus in der Partei: gegen die Liquidatoren und die Otsowisten.Auf Vorschlag Lenins verurteilte die Konferenz das Liquidatorentum undrief alle Parteiorganisationen zu entschiedenem Kampf gegen die Versuchsauf, die Partei zu liquidieren. Gleichzeitig waren die Beschlüsse der Kon-ferenz ein Schlag gegen die Otsowisten.

Eine Einschätzung der Konferenzbeschlüsse gibt Lenin in den Artikeln„Auf den Weg" und „Die Liquidierung des Liquidatorentums". (SieheWerke, Bd. 15, S. 344-355 und 455-463.) i

2 „ Qohs Sozial-Tiemokrata" (Die Stimme des Sozialdemokraten) -A usl an ds -

organ der Menschewiki; erschien von Februar 1908 bis Dezember 1911,zunächst in Genf, später in P aris. Es verteidigte die Liquidatoren und wurdezu ihrem ideologischen Zentrum. 1

3 „Dnewnik Sozialdemokrata" (Tagebuch eines Sozialdemokraten) - vonG. W. Plechanow in zwangloser Folge herausgegebene Zeitschrift, die mitgroßen Unterbrechungen in Genf erschien. Von März 1905 bis April 1912kamen insgesamt 16 Nummern heraus. 1916 wurde der „Dnewnik" inPetrograd neu herausgegeben,- es erschien aber nur eine Nummer, i

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460 Anmerkungen

4 „VroleXari" (Der Proletarier) - illegale Zeitung, die nach dem IV. (Ver-

einigungs-) Parteitag der SDAPR von den Bolschewiki gegründet wurde;sie erschien vom 21. August (3. September) 1906 bis 28. November (11. De-zember) 1909 unter der Redaktion L enins als Organ des Moskauer un d desPetersburger Komitees, eine Zeitlang auch des Moskauer Bezirkskomiteesund der Komitees von Perm, Kursk und Kasan der SDAPR. Faktisch warder „Proletari" das Zentralorgan der Bolschewiki. Es kamen 50 Nummernheraus, davon die ersten 20 in Finnland (Wiborg). Vom 13. (26.) Februarbis 1. (14.) Dezember 1908 erschien der „Proletari" in Genf, vom 8. (21.)Januar bis 28. November (11. Dezember) 1909 in Paris.

In der Zeitung wurden mehr als 100 Artikel und Notizen Lenins ver-

öffentlicht. In den Jahren der Stolypinschen Reaktion spielte der „Prole-tari" eine hervorragende Rolle bei der Erhaltung und Festigung der bolsche-wistischen Organisationen, i

5 „Vrawda" (Die W ahrheit) (W iener „Prawda") - Fraktionsorgan der Trotz -kisten; wurde von 1908 bis 1912 in Wien herausgegeben. Unter der Maskeder „Fraktionslosigkeit" nahm die Zeitung in allen grundlegenden Frageneine liquidatorische H altung ein, unterstützte a ber auch die Otsowisten undliltimatisten. 1912 waren Trotzki und seine Zeitung die Organisatoren desparteifeindlichen Augustblocks. 2

ß

S. - Silwester Dshibladse, georgischer menschewistischer Liquidator. 37 G. W. Plechanow gehörte der Redaktion des menschewistischen Organs„Golos Sozial-Demokrata" an. Die Entwicklung des „Golos" zum Liquida-torentum führte zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Plechanow undder Redaktion. Im Dezember 1908 stellte Plechanow faktisch seine Mit-arbeit am „Golos" ein. Offiziell trat er aus der Redaktion des liquidatori-schen „Golos Sozial-Dem okrata" am 13. (26.) M ai 1909 aus . 4

8 Der offene "Brief der Exekutivkommission des TAoskauer "Bezirkskomiteesder SDAPR (vom 17. [30.] August 1909) wurde geschrieben, als der partei-feindliche und fraktionelle Charakter der Schule auf Capri zutage trat. DieExekutivkommission erinnerte in dem „Brief" die Hörer an ihre Pflicht,enge Verbindung m it dem M oskauer Bezirkskomitee zu h alten, und forderteausführliche Berichterstattung über die Tätigkeit der Schule. Der „Brief"

wurde am 5. (18.) September 1909 im „Proletari" Nr. 47/48 zusammen mitden vorliegenden Bemerkungen Lenins veröffentlicht. Diese Bemerkungenwaren gezeichnet: „Von der Redaktion".

Die Sdiule auf Capri - Fraktionszentrum der Otsowisten, liltimatistenund Gottbildner, die sich zum Kampf gegen den Bolschewismus vereinigt

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Anmerkungen 461

hatten . Sie wurde 1909 von A. Bogdanow (Maximow ), Alexinski und Lun a-

tscharski unter Beteiligung von M. Gorki auf der Insel Capri geschaffen.Unter der Flagge des Parteiprinzips gelang es den Bogdanowleuten, voneinigen örtlichen sozialdemokratischen Organisationen 13 Hörer in dieSchule zu bekommen. Die Schule bestand etwa 4 Monate (August-Dezem-ber). Im November kam es zur Spaltung unter den Hörern: ein Teil vonihnen grenzte sich unter Führung des Arbeiters N. J. Wilonow entschiedenvon den Bogdanowleuten ab. Die Leninanhänger unter den Hörern sandtenan die Redaktion des „Proletari" einen Protest gegen die parteifeindlicheHa ltung der Lektoren und wurden daraufhin aus der Schule ausgeschlossen.Ende November (Anfang Dezember) 1909 fuhren sie auf Einladung Leninsnach Paris, wo sie einen Zyklus von Lektionen hörten, darunter die Lek-tionen Lenins „Die gegenwärtige Lage und unsere Aufgaben" und „DieAgrarpolitik Stolypins". Der auf Capri verbliebene Teil der Hörer bildeteim Dezember 1909 mit den Lektoren die parteifeindliche Gruppe „Wpe-rjod".

Die Beratung der erweiterten Redaktion des „Proletari" verurteilte dieSchule auf Capri als ein „neues Zentrum einer sich von den Bolschewikiabspaltenden Fraktion". 9

9 Auf den 21. September (4. Oktober) 1909 waren in Petersburg im Zu-sammenhang mit dem Ausschluß des Abgeordneten von Petersburg, des

Kad etten A. M . Koljubakin, aus der III. Dum a E rsatzwahlen angesetzt. 1010 „Jietsdi" (Die Rede) - Tageszeitung, Zentralorgan der Kadettenpartei;erschien in Petersburg ab Februar 1906. Am 26. Oktober (8. November)1917 wurde sie vom Revolutionären Militärkomitee beim Petrograder So-wjet verboten. 12

11 „Tfedhi" (Marksteine) - Sammelband der Kadetten,- erschien im Frühjahr1909 in Moskau mit Artikeln von N. Berdjajew, S. Bulgakow, P. Struve,M. Gerschenson und anderen Vertretern der konterrevolutionären liberalenBourgeoisie. In ihren Artikeln über die russische Intelligenz versuchten die„Wechi"-Leute, die revolutionär-demokratischen Traditionen der bestenVertreter des russischen Volkes, darunter Belinskis und Tschemyschewskis,zu verunglimpfen; sie zogen die revolutionäre Bewegung von 1905 in denSchmutz und sprachen der zaristischen Regierung den Dank dafür aus, daßsie die Bourgeoisie „mit ihren Bajonetten und Gefängnissen" „vor derVolkswut" rettete. Der Sammelband appellierte an die Intelligenz, sich inden Dienst der Selbstherrschaft zu stellen. W . I. Lenin verglich das Pro-gramm der „Wechi" sowohl in der Philosophie wie auch in der Publizistikmit dem Programm der Schwarzhunderterzeitung „Moskowskije Wedo-

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462 Anmerkungen

mosti" und bezeichnete den Sammelband als „Enzyklopädie des liberalen

Renegatentums", als eine „einzige Flut reaktionären Spülichts, das überdie Demokratie ausgegossen w ird" . (Siehe den vorliegenden Band, S. 117 bis125.) 13

12 Den Ausdruck „Opposition Seiner Majestät" gebrauchte der Führer derKadettenpartei P. Miljukow. In einer Rede anläßlich eines Frühstücks beimLord-Mayor von London am 19. Juni (2. Juli) 1909 erklärte Miljukow:„Solange in Rußland eine gesetzgebende Kammer existiert, die das Staats-budget kontrolliert, wird die russische Opposition eine Opposition SeinerMajestät bleiben und nicht eine Opposition gegen Seine Majestät."(„Retsch" Nr. 167 vom 21. Juni [4. Juli] 1909.) 13

13 Die Beratung der erweiterten Redaktion des „Troletari" fand in Paris vom8. bis 17. (21. bis 30.) Juni 1909 stat t. An der B eratung nahmen 9 M itgliederdes Bolschewistischen Zentrums (das von der bolschewistischen Frak tion aufdem V. [Londoner] Parteitag der SDAPR im Jahre 1907 gewählt wordenwar) mit Lenin an der Spitze teil sowie Vertreter der Petersburger Organi-sation, der Moskauer Gebietsorganisation und der Organisation des Urals.Die Beratung war einberufen worden, um die parteifeindliche Haltung derOtsowisten und Ultimatisten zu erörtern. Sie wurde von Lenin geleitet.Lenin sprach zu allen grundlegenden Fragen der Tagesordnung. Der Otso-wismus und Ultimatismus wurde auf der Beratung von A. Bogdanow(Maximow) und W. Schanzer (Marat) verfochten. Eine versöhnlerischePosition bezogen Kamenew, Sinowjew, Rykow und Tomski. Die Beratungverurteilte den Otsowismus und Ultimatismus als feindliche und gefährlicheStrömung, als „Liquidatorentum mit umgekehrtem Vorzeichen". Sie ver-urteilte auch das Gottbildnertum und beschloß, einen entschiedenen Kampfdagegen zu führen und seinen antimarxistischen Charakter zu entlarven.Bogdanow, der Wortführer des Otsowismus und Ultimatismus, wurde ausden Reihen der Bolschewiki ausgeschlossen. 16

u Das Ausnahmegesetz gegen die Sozialisten, kurz Sozialistengesetz genannt,

• wurde 1878 in Deutschland erlassen. Gemäß diesem Gesetz wurden alleOrganisationen der sozialdemokratischen Partei, alle Massenorganisationender Arbeiter und die Arbeiterpresse verboten, die sozialistische Literaturbeschlagnahmt und gegen die Sozialdemokraten Repressalien eingeleitet.Unter dem Druck der Massenbewegung der Arbeiter wurde das Gesetz1890 au fgehoben. 17

15 Die Julikonferenz 1907 - Dritte Konferenz der SDAPR („Zweite Gesamt-russische") fand vom 21. bis 2 3. Juli (3 . bis 5. August) 1907 in Kotka (Finn-

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Anmerkungen 463

land) statt. An der Konferenz nahmen 26 Delegierte teil: 9 Bolschewiki,

5 Menschewiki, 5 polnische und 2 lettische Sozialdemokraten und 5 Bun-disten. Die Konferenz wurde einberufen, um die Taktik der Sozialdemo-kraten im Zusammenhang mit dem Staatsstreich vom 3. Juni und der Ein-berufung der III. Reichsduma festzulegen. Lenin trat auf der Konferenzgegen den Boykott der Duma auf. Sprecher der Boykottisten war A. Bog-danow (Maximow). Die Konferenz nahm mit Stimmenmehrheit LeninsResolution an. 26

16 IVsew. (Wsewolod) - Pseudonym des Otsowisten W . P . Denissow. 2817 SUn. (Stanislaw) - der Otsowist A. W. Sokolow (Wolski), einer der Or-

ganisatoren der parteifeindlichen Schulen auf Capri und in Bologna. 28

18 „Rabotsdheje Snamja" (Das Arbeiterbanner) - illegale bolschewistische Zei-tung, Organ des Gebietsbüros des Zentralen Industriegebiets, des Mos-kauer Stadt- und des Moskauer Bezirkskomitees der SDAPR; erschien inMoskau von Mä rz bis Dezember 1908. Es erschienen 7 Nu mm ern. In N r. 5der Zeitung wurde eine Diskussion über die Stellung zur Duma und zursozialdemokratischen Dumafraktion eröffnet. In dieser Nummer erschiender Artikel eines Otsowisten, „Brief eines Arbeiters, (über den Plan derParteiarbeit in Verbindung mit der Einschätzung der gegenwärtigen Lage)".Redakteur des Artikels war der Führer der Moskauer Otsowisten, St.Wolski (A. W . Sokolow), damals M itglied des Gebietsbüros des Mo skauer

Zentralen Industriegebiets. Der Artikel rief heftige Proteste bei den Partei-organisationen Zentralrußlands hervor, und der „Proletari" erteilte ihmeine Abfuhr. W. I. Lenin kritisierte den Artikel in der Schrift „Über zweiBriefe". (Siehe Werke, Bd. 15, S. 283-300.) 30

19 Der Erste Qesamtrussisdbe Kongreß der "Betriebsärzte und der Vertreterder Industriebetriebe fand vom 1. bis 6. (14. bis 19.) April 1909 in Moskaustatt. Unter den Delegierten befanden sich 52 Arbeiter, die von den Ge-werkschaftsverbänden vor allem der großen Industriezentren gewählt wor-den waren. Die Reden der Arbeiterdelegierten, unter denen die Bolschewikiüberwogen, waren von großer politischer Bedeutung und fanden Widerhall

im ganzen Land. Besonders lebhafte Diskussionen riefen auf dem Kongreßzwei Fragen hervor: die Organisation der sanitären Aufsicht (hierzu wurdedie von den Bolschewiki vorgeschlagene Resolution angenommen) und dieWahlen der Fabrikinspektionen durch die Arbeiter.

Der Kongreß konnte seine Arbeit nicht beenden, er wurde von der Polizeiverboten. 30

20 Lenin meint den französischen Diplomaten Charles Talleyrand (Ende des18. und Anfang des 19. Jahrhunderts). 31

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464 Anmerkungen

2 1 "Maral - W. L. Schanzer, Mitglied der erweiterten Redaktion des „Prole-

tari", Ultimatist; später gehörte er der parteifeindlichen Gruppe „Wperjod"an. 33

22 „Jer* - A. W . Sokolow (Wolski) . 3 623 „TVperjod" (Vorwärts) - bolschewistische Mas senze itung d e r Arbeiter, d ie

von Lenin' geleitet wurde. S ie wurde v o m 1 0 . ( 2 3 . ) September 1906 b i s19. Janu ar (1 . Februar) 1908 v o n d e r Redakt ion d e s „Proletari" i l legal-inWiborg herausgegeben. Es erschienen 2 0 Nummern . Von Nr . 2 a n erschiender „Wperjod" a ls Organ ör t l icher Komitees der SDAPR: Nr . 2 a l s Organdes Moskauer und des Petersburger Komitees sowie des Moskauer Bezirks-

komitees ,- Nr. 3-7 als Organ des Moskauer und des Petersburger Komitees,des Moskauer Bezirkskomitees sowie d e r Komitees v o n Perm u n d K u r s k ;Nr. 8-19 außerdem als Organ des Kasaner Komitees. In der le tz ten Num-m er ( N r . 2 0 ) d e s „Wperjod" wurde s ta t t d e r Komitees v o n P e r m u n dKasan das Gebietskomitee des Urals genannt. 45

24 Lenins Artikel „Otsouristisdh-ultimatistisdhe Streikbrecher" i s t nicht auf-gefunden worden. 5 9

25 D e r Artikel „Petersburger "Wahlen" behandel t d ie Ergebnisse d e r Ersa tz -wahlen fü r d ie I I I . Reichsduma, d ie im September 1 9 0 9 sta t tgefunden

ha t t en . E r wurde im „Prole ta r i" N r . 4 9 vom 3 . (16.) Oktober 1909 ohneUnterschrift veröffentlicht.

D ie v o n Lenin verfaßte Anmerkung i s t gegen N . Jordanskis opportu-nistischen Artikel „Ausweglos", d e r i n N r . 6 d e s „Nowy Den" erschien,gerichtet. 6 6

26 „TJowy "Den" ( D e r N e u e T a g ) - lega le soz ialdemokra t ische Wochenschr i f t ;w u r d e vom 20. Juli (2. August) bis 13. (26.) Dezember 1909 in P e t e r s b u r gherausgegeben . E s erschienen 1 5 N u m m e r n . D i e Z e i t u n g w u r d e v o n d e rPolizei verboten. Im „Nowy Den" veröffentl ichte Lenin zwei Art ikel : „ N o c heinmal über Parteilichkeit u n d Partei losigkeit" u n d „ ü b e r d ie ,Wechi ' " .

(Siehe den vorliegenden Band, S . 51-53 u n d 117-125.) 6627 Gemein t i s t Friedrich Engels ' „Einleitung" z u Kar l Marx ' Werk „Die

Klassenkämpfe in Fran kreic h 1848 bis 18 50". Bei der Veröffentlichung durchdie deutschen Sozialdemokraten im Jah re 1 8 9 5 wurde d ie „Einleitung"entstellt, u n d später wurde s i e v o n ihnen a ls Lossagung vom bewaffnetenAufstand und vom Barrikadenkampf ausgelegt .

Der vollständige Text d e r „Einleitung" nach Engels ' Manuskript wurdeerstmalig i n d e r Sowjetunion veröffentlicht. (Siehe Karl Marx u n d Fried-

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Anmerkungen 465

rieh Engels, Ausgewählte Schriften in zwei Bänden, Bd. I, Berlin 1961,

S. 104-122. Die von Lenin zitierte Stelle siehe S. 120.) 6628

D e n „ R e s o l u t i o n s e n t w u r f ü b e r die J e s t i g u n g der P a r t e i und i h r e r E i n h e i t "

brachte Lenin in der Redaktionsbesprechung des Zentralorgans („Sozial-Dem okrat"), die vom 2 1 . bis 22. Oktober (3. bis 4. November) 1909 statt-fand, ein. Im Zusammenhang mit der angebahnten Annäherung zwischenden Bolschewiki und den parteitreuen Menschewiki zum Kampf gegen dasLiquidatorentum machte Lenin den Vorschlag, seinen Artikel „Ober dieMethoden zur Festigung unserer Partei und ihrer Einheit" (ist nicht aufge-funden worden) als redaktionellen Artikel zu veröffentlichen. Nach denWorten des Mitglieds der Redaktion des „Sozial-Demokrat" A . W arski, der

in einem Brief an den Hauptvorstand der Polnischen Sozialdemolcratie vom2 0 . November 1909 diese Besprechung schilderte, forderte Lenin in demArtikel einen entschiedenen Kampf gegen das Liquidatorentum und ver-trat die Meinung, daß es notwendig ist, die Selbständigkeit der bolsche-wistischen Organisation zu erhalten und zu festigen. Die Mehrheit derRedaktion (G. Sinowjew, L. Kamenew, L. Martow und A. Warski) lehntees ab, Lenins Artikel als redaktionellen Artikel zu bringen, und schlug vor,ihn mit der Unterschrift des Autors als Diskussionsartikel zu veröffentlichen.Daraufhin stellte Lenin die Frage der Festigung der Partei und ihrer Ein-heit überhaupt zur Diskussion und brachte den hier veröffentlichten Reso-

lutionsentwurf ein. Der Entwurf wurde ebenfalls abgelehnt. 67

29 Das Zentralorgan der SDÄPR, der „Sozial-Demokrat", wurde als illegaleZeitung von Februar 1908 bis Januar 1917 herausgegeben. Es erschienen58 Nummern: die erste in Rußland, die übrigen im Ausland, zuerst in Parisund später in Genf. Die Redaktion des Zen tralorgans b estand lau t Beschlußdes ZK der SDAPR aus Vertretern der Bolschewiki, der Menschewiki undder polnischen Sozialdemokraten. Im „Sozial-Demokrat" wurden über80 Artikel und Notizen Lenins veröffentlicht. Innerhalb der Redaktionkämpfte Lenin für die konsequente bolschewistische Linie. Ein Teil der

Redakteure (Kamenew und Sinowjew) verhielt sich versöhnlerisch zu denLiquidatoren und versuchte, die Leninsche Linie zu hintertreiben. Diemenschewistischen Redakteure, Martow und Dan, sabotierten die Arbeitin der Redaktion des Zentralorgans und verteidigten gleichzeitig im „GolosSozial-Demokrata" offen das Liquidatorentum. Der unversöhnliche KampfLenins gegen die Liquidatoren führte im Juni 1911 zum Ausscheiden Mar-tows und Dans aus der Redaktion. Von Dezember 1911 an wurde der„Sozial-Demokrat" von W. I. Lenin redigiert. 67

31 Lenin, W erk e, Bd. 16

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46 6 Anmerkunaen

30 D a s Internationale Sozialistisdhe Büro fJSBJ war d as ausführende Organ

der I I . Internationale, das auf Beschluß des Pariser Kongresses von 1900gegründet wurde. Lenin, der dem Internationalen Sozialistischen Büro alsoffizieller Vertreter d er SDAPR angehörte, sprach in der elften Sitzung am7. November 1909. ü b e r die Sitzung des Internationalen SozialistischenBüros siehe Lenins Artikel „Die elfte Sitzung des Internationalen Sozia-listischen Büros", vorliegender Band, S. 134-138. 68

31 Bobrikowsdhe Henker - Anhänger d es Gendarmerie- u n d Polizeiregimes,das in Finnland von 1898 bis 1904 unter dem zaristischen Generalgouver-neur N . I . Bobrikow herrschte. 69

32 D e n „Brief an die Hörer der Sdhule auf Capri" schrieb Lenin im Okto-

ber 1909 als Antwort auf zwei Briefe von Arbeitern, Hörem d e r Schule, diesich von der Gruppe Bogdanows distanziert hatten. D ie Briefe d e r Lenin-anhänger unter den Hörern wurden zusammen m it Lenins Artikel „Einschmähliches Fiasko" (siehe den vorliegenden Band, S. 76-78) in einemSonderdruck aus N r . 50 des „Proletari" v o m 2 8 . November (11. Dezem-ber) 1909 veröffentlicht. 73

33 TSrentanosdher, Sombartsdier un d Struvesdher „Marxismus" - Spielarteneiner bürgerlichen „Lehre", welche „die ,Schule des Kapi ta l i smus ' anerkennt ,die Schule des revolut ionären Klassenkampfes jedoch ablehnt" (Lenin). V e r -t reter dieser Abarten d e r bürgerl ichen Entstel lung d es M a r x i s m u s w a r e n :

£ujo Brentano - bürgerl icher deutscher Ökonom u n d e i n Verfechter d e ssogenannten „Staatssozial ismus". E r suchte nachzuweisen, d a ß e s möglichsei, durch Reformen u n d durch Versöhnung d e r Interessen d e r Kapital istenu n d d er Arbei ter d ie soziale Gleichheit im Kapi ta l i smus z u verwirkl ichen.

"Werner Sombart - bürgerl icher deutscher Ökonom u n d Soziologe, w i eBrentano als sogenannter „Kathedersozia l i s t " ein Ver t r e t e r d es bürger l ichenSozialreformismus u n d m i t diesem i m „Verein f ü r Sozialpoli t ik" tät ig. E rverfälschte u n d ver leumdete d e n Marx ismu s, recht fert igte d en Kapi ta l i smusund stel l te ihn a ls harmonisches u n d planmäßiges System d a r .

Brentano, Sombar t u n d ihre Anhänger bemäntel ten ihre Ansichten m i tmarxist isch kl ingenden Phrasen, waren aber in Wirkl ichkei t Ver te idiger desKapi ta l i smus u n d best rebt , die Arbe i t e rbewegung d e n Interessen d e r Bour-geoisie unterzuordnen. Brentanos u n d Sombar ts „Theor ien" wurden u n dwerden wei tgehend von den F e inden d e s M arxi smus ausgenutz t .

P . B . Struve - bürgerl icher russischer Liberaler , i n d e n neunziger Jahren„legaler Marxist"; später war er einer der Führer der Kadettenpartei. Nachder Großen Oktoberrevolution - weißgardistischer Emigrant und ein ein-gefleischter Feind der Sowjetmacht. 82

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Anmerkungen 467

:w Lenin zitiert die Worte des menschewistischen Liquidators Dan aus derDiskussion „über die gegenwärtige Lage und die Aufgaben der Partei"

auf der Fünften (Gesamtrussischen) Konferenz der SDAPR 1908. 8335 Es wird aus der Broschüre des russischen Volkstümlers P. N.Tkatschow „Die

Aufgaben der revolutionären Propaganda in Rußland", April 1874, S. 16,russ., zitiert. 84

30 Qesetz vom 9. November i9O6 - im Rahmen der Stolypinschen Agrar-gesetze herausgegebener Erlaß, der den Bauern das Recht gab, aus derDorfgemeinde auszuscheiden und Einzelhöfe einzurichten. Eine Charakte-ristik und Einschätzung der Stolypinschen Bodenreform gibt Lenin in derSchrift „Das Agrarprogramm der Sozialdemokratie in der ersten russischen

Revolution 1905-1907" (Werke, 4. Ausgabe, Bd. 13, S. 195-396, russ.). 8537 Q-Q (Qeorg) - der menschewistische Liquidator W. O. Lewizki (W. O.Zederbaum). 91

38 „Vorwärts" - 1884 gegründete Tageszeitung, Zentralorgan der Sozial-demokratischen Partei Deutschlands . Zu ihren Redakt euren gehörte u. a .Wilhelm Liebknecht. Friedrich Engels führte in der Zeitung einen Kampfgegen alle Erscheinungsformen des Opportunismus. Angefangen von derzweiten Hälfte der neunziger Jahre, nach dem Tode von Friedrich Engels,brachte der „Vorwärts" systematisch Artikel von Opportunisten, die diedeutsche Sozialdemokratie un d die II . Internationale beherrschten. W äh re nd

des imperialistischen Weltkriegs 1914-1918 stand der „Vorwärts" zunächstunter zentristischem Einfluß, wurde dann zum Sprachrohr des Sozialchau-vinismus und nach der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution zu einemZentrum der Antisowjetpropaganda; er erschien in Berlin bis 1933. Unterdem gleichen Namen erscheint heute das Zentralorgan der SPD in West-deutschland. 91

39„ 7 > . " - F. O. Zederbaum (P. N. Dnewnizki) , Menschewik , Anhänger Ple -chanows. 92

40 Für den Artikel „Der ,Qolos Sozial-T>emokrata' und 7sdjerewanin" b e -nu t z t e Lenin seine Not ize n in dem Buch von .Tscher ewanin „Die gege n-

wär t ige Lage und d ie mögl iche Zukunft" , besonders „d ie Zusammenfas-sung der wichtigsten Bemerkungen", die er auf den hinteren Einbanddeckeldes Buches geschrieben ha tt e . 95

41 Das vorliegende Dokument ist der Anfang eines Artikels, den Lenin EndeN o v e m b e r (Anfang Dezember) 1909 in Paris geschrieben hatte . Der Schlußdes Artikels ist nicht erhalten geblieben. Der Artikel war für Nr. 50 des„Prole ta r i " bestimmt, wurde aber in ihm nicht veröffentlicht. 99

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4 6 8 Anmerkungen

4 2 D e r Brief „eines alten Jskristen und alten Bolsdheiviken" , den Len in z i t ier t ,

wurde mit der Unterschrift „Tr." im „Proletari" Nr. 50 vom 28. Novem-ber (11. Dezember) 1909 veröffentlicht („Briefe aus Petersburg. Brief III").101

4 3 Ge me in t s i n d A . S . M a r t y n o w s A n g r i f f e i m „ G o l o s S o z i a l - D e m o k r a t a " , d e m

O r g a n d e r L iq u id a to r e n , g e g e n d a s Buch v o n W . I . L e n i n ( W . Hji«) «Die

E n twic k lu n g d e s K a p i t a l i s m u s i n R u ß l a n d " . ( ( (

44 L e n in me in t d e n Zwischenfa l l i n d e r S i t z u n g d e r I II . R e i c h s d u m a a m 2 0 . N o -

v e m b e r ( 3 . D e z e m b e r ) 1 9 0 9 b e i d e r E r ö r t e r u n g d e s G e s e t z e n t w u r f s ü b e r

d ie Unan tas tba rke i t de r Persön l ichke i t . D iese r Gese tzen twur f war , nach den

W o r t e n d e r l i n k e n D u m a a b g e o r d n e t e n , „ d i e L e g i t i m i e r u n g j e g l i c h e r W i l l -

kür , d ie in Rußland ex i s t i e r te und ex i s t i e r t " . Die Erör te rung des Gese tz -e n t w u r f s i n d i e s e r S i t z u n g z e i g t e d e n r e a k t i o n ä r e n C h a r a k t e r d e r I I I. D u m a

besonders anschau l ich . Die e rz reak t ionäre Rede von Markow (2) zur Ver -

te id igung des Gese tzen twur fs r i e f sogar be i den Kade t ten Empörung hervor ,

d ie zum Ze ichen ih res Pro tes tes den S i tzungssaa l de r Duma ver l i eßen . 114

4 5 Vor dem Ersche inen d ieses Ar t ike l s h ie l t Len in am 16 . (29 . ) Oktober 1909

in Lüt t ich öffent l ich das Referat „Die Ideologie der konterrevolut ionären

B o u r g e o i s i e " , ü b e r d a s s e l b e T h e m a : „ D i e I d e o l o g i e d e s k o n t e r r e v o l u t i o -

nären Liberal ismus (Der Erfolg der ,Wechi ' und seine gesel lschaf t l iche Be-

d e u t u n g ) " s p r a c h L e n i n a m 1 3 . ( 2 6 .) N o v e m b e r 1 9 0 9 i n P a r i s . D i e D i s p o -s i t ion des Par i se r Refe ra t s i s t in e ine r Ankündigung en tha l ten , d ie im Arch iv

d e s I n s t i t u t s f ü r M a r x i s m u s - L e n i n i s m u s b e i m Z K d e r K P d S U a u f b e w a h r t

wird. Die Disposi t ion gl ieder t s ich in folgende Abschni t te : „I . Welche Phi lo-

s o p h i e b e k ä m p f e n d i e , W e c h i ' u n d d i e D u m a r e d e n d e s K a d e t t e n K a r a u l o w .

II. Bel insk i und Tschernyschewski , d ie von den ,Wechi ' ve rn ich te t worden

s ind . I I I . W es ha lb hassen d ie L ibera len d ie , in te ll igenz le ri sche ' russ i sche

Revolu t ion und ih r »z ieml ich lange andauerndes ' f r anzös i sches Vorb i ld?

IV. Die ,Wechi ' und d ie .L inken ' in Rußland . Die Kade t ten und d ie Okto-

br i s ten . Die ,he i lige Sache ' de r russ i schen Bourgeo is ie . V . W a s ha t d ie

demokra t i sche Revolu t ion in Rußland gewonnen , a l s s i e ih re bürger l i ch-

l ibe ra len .Verbünde ten ' ve r lo r? VI . Die ,Wechi ' und d ie Reden Mi l jukowsin den Wahlversammlungen in Pe te r sburg . Wie k r i t i s i e r te Mi l jukow in

d iesen Versammlungen d ie i l l ega le revo lu t ionäre Ze i tung ." 117

4 6 „!Moskowskije Wedomosti" ( M o s k a u e r N a c h r i c h t e n ) - i m J a h r e 1 7 5 6 g e -

gründete Zeitung; von den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts an vertrat

sie die Ansichten der reaktionärsten monarchistischen Kreise der Guts-besitzer und der Geistlichkeit; ab 1905 war sie eines der maßgebenden

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Anmerkungen 469

O r g a n e der Schwarzhunderter . Kurz nach der Oktoberrevolut ion 1917

wurde die Zeitung verboten. 11947 „Vierpunktewablsystem" - Bezeichnung fü r allgemeines, gleiches, direktes

und geheimes Wahlrecht . 12348 „TJowoje Wremja" (Neue Zeit) - Tageszei tung, die von 1868 bis Oktober

1917 in Petersburg erschien. Zu Beginn gemäßigt liberal, wurde sie 1876zum Organ reaktionärer Kreise des Adels und der beamteten Bürokrat ie.Die Zeitung bekämpfte nicht nur die revolut ionäre, sondern auch die bür-gerl ich-l iberale Bewegung. Von 1905 an war sie ein Organ der Schwarz-hunderter . Lenin bezeichnete sie als Musterbeispiel einer korrupten Zei-tung. 123

49 Die Worte „Bereichern Sie sich, meine Herren, und Sie werden Wähler" ,

schreibt man Guizot , dem faktischen Oberhaupt der französischen Regie-rung während der Jul imonarchie (1830-1848) , zu. 124

50 Gemeint ist die Resolut ion des Fünften (Londoner) Partei tags der SDAPR„über die Stel lung zu den nichtproletarischen Parteien". (Siehe „DieKPdSU in Resolut ionen und Beschlüssen der Partei tage, Parteikonferenzenund Plenartagungen des ZK", 7. Auflage, Tei l I , Moskau 1954, S. 164/165,russ.) 126

51 „Moskowski Jesbenedelnik" (Moskauer Wochenblat t ) - Zei t schr i f t , Organ

der „Partei der fr iedl ichen Erneuerung", einer konst i tut ionel l-monarchist i -schen Organisat ion der Großbourgeois ie und der Gutsbes i tzer . S ie wurdein Moskau von 1906 bis 1910 herausgegeben. i30

52 Qruppe „Wperjod" (Vorwärts) - parteifeindliche Gruppe von Otsowisten,Ul t imat i s ten u nd Got tb i ldn ern; ents tand im Deze mbe r 1909 auf Ini tia t iveA. Bogdanows und G. Alexinskis. Sie besaß ein Presseorgan gleichen Na-

mens. 1912 vereinigten sich die „Wperjod"-Leute mit den menschewist i-schen Liquidatoren zu einem von Trotzki organisierten gemeinsamen partei-feindlichen Block (Augustblock).

Da die Gruppe von Arbeitern nicht unterstützt wurde, zerf iel sie fakt ischschon 19 13. End gül tig un d offiziell löste sie sich 1917 nach der Fe br ua r-

revolution auf. 13953 D a s Plenum des ZK der SDA?R, bekannt unter der Bezeichnung „Ver-

einigungsplenum", fand vom 2. bis 23. Januar (15. Januar bis 5. Februar)1910 in Paris stat t . Außer den Bolschewiki nahmen an ihm Vertreter al ler

Frakt ionen und Gruppierungen sowie Ver t re ter der nat ionalen sozia ldemo-krat i schen Organisat ionen te i l . Gegen Lenins P lan, der e ine Annäherung an

die partei t reuen Menschewiki (Plechanowleute) vorsah, um mit ihnen gegen

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470 Anmerkungen

das Liquidatorentum z u kämpfen, forderten d i e Versöhnler , m i t U n t e r -

stützung der Trotzkisten, die Auflösung sämtlicher Fraktionen und die Ver-einigung d e r Bolschewiki m i t d e n Liquidatoren u n d Otsowis ten. D i e v e r -söhnlerischen Elemente erhielten au f dem Plenum d a s Übergewicht. Leninha t te n u r d i e Minderheit hinter s ich. Erst a u f Lenins Drängen h in n a h mdas Plenum einen Beschluß an, in dem d a s Liqccidatorentum u n d d e r Otso-wismus verurteil t wurden. Entgegen Lenins Meinung beschloß d a s Plenum,das Erscheinen d e r bolschewistischen Zeitung „Proletari" einzustellen u n ddas Bolschewistische Zentrum aufzulösen. Lenin setzte einen Zusatz z u mBeschluß d es Plenums durch, de r d ie Bedingung enthielt, d a ß gleichzeitigmit dem Bolschewistischen Zentrum auch die Fraktionszentren der „Golos"-

un d d e r „Wperjod"-Leute aufgelöst werden. D a s Plenum beschloß, d ieWiener „Prawda" Trotzkis finanziell z u unterstützen. Die Versöhnler ver-suchten, d ie Zei tung z u m O r g a n d e s Z K z u machen. Trotz d e s ProtestesLenins wurden auch menschewistische Liquidatoren in die zentralen Insti tu-tionen gewählt .

über Lenins Kampf a u f dem Plenum gegen die Liquidatoren, Trotzkistenund Versöhnler siehe seinen Artikel „Notizen eines Publizisten" (vorliegen-der Band, S . 193-261). 14 2

54 D e n Artikel „Der ,Qolos' der Liquidatoren gegen die Partei" schrieb Leninals redaktionellen Artikel

fü rNr. 12 des „Sozial-Demokrat".

Inder zweiten

Märzhä l f t e wurde d e r Artikel a ls Sonderdruck veröffentlicht, u n d erst d a -nach erschien er im „Sozia l-Demokrat" . 15 1

55 „T>iskussionny Listok" (Diskuss ionsb la t t ) - Beilage des „Sozia l -Demokrat" ,des Z e n t r a l o r g a n s d e r S D A P R ; w u r d e a u f Beschluß d e s J a n u a r p l e n u m sdes Z K der SDAPR (1910) vom 6. (19.) März 1910 bis 29. April (12. Mai)1911 i n Par i s he rausgegeben . E s e rsch ienen d re i Num me rn . 15 1

56Q r i g o r i - G . J . S i n o w j e w . 15 3

57J n n o k e n t i - J . F . D u b r o w i n s k i . 15 3

58

Der Brief des Auslandsbüros des ZK der SDAPR „An alle Qenossen imAusland" erschien als Flugblatt am 3. (16.) März 1910.Das Auslandsbüro des Zentralkomitees wurde im August 1908 vom Ple-

num des ZK der SDAPR als Vertretung der gesamten Partei im Auslandgeschaffen; es war dem Russischen Büro des ZK untergeordnet und rechen-schaftspflichtig. Bald nach dem Januarplenum des ZK von 1910 erlangtenim Auslandsbüro die Liquidatoren die Mehrheit, und das Auslandsbüro

. wu rde zu einem Samm elbecken der parteifeindlichen Kräfte. Die liquida-torische Tak tik des Auslandsbüros veran laßte die Bolschewiki, die Anhänger

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Anmerkungen 4/1

Lenins, ihren Vertreter im Mai 1911 aus dem Auslandsbüro abzuberufen.

Später wurden auch die Vertreter der polnischen und der lettischen Sozial-demokratie abberufen. Im Januar 1912 löste sich das Auslandsbüro auf. i5 659

„ H e r o s tr a t is d h b e r ü h m t e s D o k u m e n t " - „ O f f e n e r Brief", i n d e m l i q u i d a t o -

rische Anschauungen propagiert werden,- i h n unterzeichneten die Mensche-wiki : S . O . Zederbaum (Augustowski),- M . S . Makads jub (Anton) , W . K .Ikow (Wadim) ; L . N . Radtschenko ( W . Petrowa),- B. S . Zeit l in (Georgi) ;W . O . Zederbaum (Georg) ; W . A . Gutowski (Jewg. Ga-as) ; G. I . P r i -gorny (Kramolnikow); B . A . Ginsburg ( D . Kolzow) ; R. S . Halbe rs tad t(Nat . Michai lowa); K . M . Jermolajew (Roman); M . L . Cheisin (Romul);S. I . Portugeis (Solomonow); F . A . Lipkin (Tscherewanin); P . A . Bronstein

( Ju r i ) ; J . A. Pilezki (J . P-i). 15760 Midbail - d e r menschewistische Liquidator J . A . Issuw. 15761 „Eines der in Rußland tätigen Mitglieder des ZX" - W . P . Nogin . 15 762

S i e h e F r i e d r i c h E n g e l s ' E i n l e i t u n g z u r e n g l i s c h e n A u s g a b e s e i n e r B r o s c h ü r e

„Die Entwicklung des Sozialismus von d e r Utopie z u r Wissenschaft". (KarlMarx und Friedridi Engels, Ausgewählte Schriften in zwei Bänden, Bd. I I ,Berlin 1961, S . 95.) i62

63 N . G . Tschernyschewski, „Prolog", Teil I . (Siehe N . G . Tschernyschewski,„Prolog", Moskau 1953, S . 244, russ.) 164

64 Siehe d ie Resolution „Über d ie gegenwärtige Lage u n d d ie Aufgaben d e rPar te i " , d ie v o n d e r Fünften (Gesamtrussischen) Konferenz d e r S D A P R1908 angenommen worden w a r . ( „ D i e K P d S U i n Resolutionen u n d B e -schlüssen d e r Parteitage, Parteikonferenzen u n d Plenartagungen des Z K " ,7 . Auflage, Teil I, Moskau 1954, S . 195-197, russ.) 170

65 D i e Jungtürken - polit ische Organisation d e r türkischen Bourgeoisie, d ie1889 gegründet wurde. S ie strebte eine Beschränkung d e r absolutistischenM a c h t d e s Sultans u n d di e U m w a n d l u n g d e s feudalen Reiches i n einenbürgerlichen konstitutionell-monarchistischen Staat a n . 1 9 0 8 leitete d ie

Organisa t ion d e n Umsturz , d e r d i e Türke i in eine konstitutionelle M o n -archie verwandelte, und wurde zur Regierungspartei . Nach der militärischenZerschlagung d e r Türke i im ersten Weltkrieg (Herbst 1918) löste s ie sichauf. 1 75

66 Die zweite Pariser Qruppe zur "Unterstützung der SDAPR wurde im No-vember 1908 geschaffen. Sie sonderte sich von der Pariser Gruppe, der siezusammen mit den Menschewiki angehört hatte, ab und vereinigte in sichnur Bolschewiki, darunter Mitglieder des Bolschewistischen Zentrums, an

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472 Anmerkungen

ihrer Spitze Lenin. Die Resolution der zweiten Pariser (bolschewistischen)

Gruppe zur Unterstützung der SDAPR wurde in einer Versammlung am17. (30.) März 1910 angenommen und als Flugblatt veröffentlicht. 18 3C7 „TJasdha Sarja" (Unsere Morgenröte) - legale Monatsschrift der mensche-

wistischen Liquidatoren,- erschien von 1910 bis 1914 in Petersburg. Um die„Nascha Sarja" gruppierte sich der Kern der Liquidatoren in Rußland. 1S 9

68 „Eine notwendige Ergänzung zu den ,T>newniki' Q. W. Tiedhanoios" -menschewistisch-liquidatorisches Flugblatt, d a s d i e Redakt ion d e s „GolosS oz i a l -Demokra t a" im April 1910 herausgegeben hat te u n d d a s gegen G . W .Plechanow gerichtet w a r . 1S9

60

Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Ausgewählte Briefe, Berlin 1953 , S. 3 4 3bis 352 . 2 0 570 „Wosrosbdenije" ( D i e W iedergebur t ) - Zeitschrift d e r menschewist ischen

Liquidatoren,- sie w u r d e i n M o s k a u v o n D e z e m b e r 1908 bis Jul i 1910 her-ausgegeben ; a n ihre Stel le t raten dann d i e Zeitschriften „Shisn" ( D a sLeben) (1910) u n d „Delo Shisni" (Sache des Lebens) (1911). 216

7 1 D e r zweite „Wperjod'-Mann - W . L . Schanzer (Marat) . 2 2 5n 7. - L . Tyszka . 22873 7. - J . F. Dubrowinski. 22S74

„Sozialistische ^Monatshefte" - Zeitschrift, wichtigstes Organ d e r O p p o r -tunisten in de r deutschen Sozialdemokratie u n d eines d e r Organe des inter-nationalen Opportunismus. S ie erschien in Berlin von 1897 b is 1933.

Die Zeitschrift kritisierte d ie gegen d e n Revisionismus gerichtete Resolu-t ion „über die Takt ik d e r Par te i " , die auf dem Dresdner Parte i tag d e rSozialdemokratischen Partei Deutschlands (September 1903) angenommenworden war. Später wurde diese Resolution fast vollständig au f dem Inter-nationalen Sozialis tenkongreß z u Amsterdam (August 1904) in der Resolu-tion „Internationale Regeln d e r sozialistischen Taktik" wiederholt. 23 0

75 D e r Verfasser des „Briefes aus dem Kaukasus", X. St., i s t J . W . Stal in.

Seinen gegen d i e Tifliser Liquidatoren gerichteten „Brief a u s d e m K a u -kasus" schrieb Stalin i m D e z e m b e r 1909 fü r den „Sozia l -Demokrat" . D e rmenschewistische Teil d e r Redaktion lehnte e s a b , d e n Brief im Zent r a l -o rgan d e r Par te i z u veröffentlichen. E r erschien erst a m 2 5 . M a i ( 7 . Juni )1910 i m „Diskussionny Listok" N r . 2 zusammen m i t d e r Antwor t d e sF ühre r s d e r kaukasischen Menschewiki , N . Shordani jas ( A n ) . 23 1

76 Gemeint ist die Resolution des Fünften (Londoner) Parteitags der SDAPR„über die Stellung zu den nichtproletarischen Parteien". (Siehe „Die

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Anmerkungen 473

KPdSU in Resolutionen und Beschlüssen der Parteitage, Parteikonferenzen

und Plenartagungen des ZK ", 7 . Auflage, Teil I, Moskau 1954. S. 164/165,russ.) 23477 „Besgohtozen" (Kopflose) nennt Lenin ironisch die „Bessaglawzen".

„TSessaglawzcn" - halbkadett ische, halbmenschewist ische Gruppe der rus-sischen bürgerl ichen Intel l igenz (S. Prokopowitsch, J . Kuskowa , W . Bogu-tscharski und andere) , d ie im Jahre 1906 in Petersburg die Wochenschr i f t„Bes Saglawi ja" (Ohne Ti te l ) herausgab. D i e „Bessaglawzen" verbrei tetendie Ideen des bürgerl ichen Liberal ismus und Opportunismus, sie unterstütz-ten d i e Revisionisten i n d e r russischen u n d i n d e r internat ionalen Sozial-demokra t i e u n d wandten sich gegen eine selbständige Klassenpoli t ik d e s

Prole tar ia t s . W . I . Lenin nann te d i e „Bessaglawzen" „menschewisierendeKadet ten" oder „kadet t i s ierende Menschewiki" . 235

78 „TSoikssozialisten" - 1906 entstandene kleinbürgerl iche Partei , die aus demrechten Flügel d e r Sozia l revolut ionäre hervorging. S ie stel l te gemäßigt-demokrat i sche Forderungen a u f , die nicht über den Rahmen einer konst i tu-t ionel len Monarchie hinausgingen. Die Volkssozial isten vertraten die Inter-essen d e r K u l a k e n u n d sprachen sich f ü r eine tei lweise Nationalisie-r u n g d e s Bodens aus, wobei d i e Gutsbesi tzer entschädigt werden sol l ten.W . I . Lenin nannt e die Volkssozia l is ten „kle inbürger l iche Opp or tu nis ten" ,„Sozia lkadet ten" u n d „Sozialrevolut ionäre Menschewiki" . D i e F ühre r d e r

Volkssozial isten waren A . W . Peschechonow, W . A . Mjakot in , N . F . A n -nenski und andere . 2 3 5

70 „TJasdri Pomoi" (Unser Spülicht) nennt Lenin ironisch d i e l iquidatorischeZeitschrif t „Nascha Sarja" .

Xongreß de r Sdbmaroizer von der Ltieratur - d e r I I . Gesamtruss i sche

Schrif tstel lerkongreß, d e r vom 21 . b is 28. Apr i l (4 . b i s 11. Mai) 1910 inPetersburg s ta t t fand u n d a n d e m Menschewiki , Ver t re ter d e r „ N a s c h aSar ja" und des „Sowremenny Mir" (Die Wel t der Gegenwar t ) te i lnahmen.

Bei d e r ersten Aufforderung der Polizei setzte der Kongreß die Resolut ionüber den Kampf um die Pressefreihei t , ohne Widerstand z u leisten, von der

Tagesordnung ab.Lenin meint mit Vosseleuten die Anhänger W. A. Posses - eines Journa-

listen und Politikers, der dafür eintrat, von der sozialdemokratischen Par-tei unabhängige Arbeiterkonsumgenossenschaften in Rußland zu schaffen.237

80 1. - d er m e n s c h e w i s t i s c h e L i q u i d a t o r B. I . G o r e w - G o l d m a n . 24081

A s e f i a d e - p o l i t i s c h e r V e r r a t , s o b e z e i c h n e t n a c h d e m S p i t z e l Asef, e i n e m

der Führer der Partei der Sozialrevolutionäre. 247

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474 Anmerkungen

82 Es handelt sich um Friedrich Engels' Artikel „Der 4. Mai in London" (siehe

Wiener „Arbeiter-Zeitung" Nr. 21 vom 23. 5. 1890; wird in Marx/Engels,Werke, Bd. 22, erscheinen) und auch Engels" Briefe an Sorge vom 29. No-vember 1886 und vom 11. M ai 1889. (Karl Marx/Friedrich Engels, Aus-gewählte Briefe, Berlin 1953, S. 469-472; „Briefe und Auszüge aus Briefenvon Joh. Phil. Becker, Jos. Dietzgen, Friedrich Engels, Karl Marx u. A. anF. A. Sorge und Andere", Stuttgart 1906, S. 311/312.) 25 8

53 „Zibna" (Der Kampf) - Zeitung, Zentralorgan der lettischen Sozialdemo-kratie, gegründet im März 1904. Sie erschien illegal mit großen Unter-brechungen in Riga, Brüssel und Petrograd. Ab 1917 wurde sie legal alsZentralorgan der Bolschewiki Lettlands herausgegeben. Von 1919 an, nachdem zeitweiligen Sieg der Konterrevolution in Lettland, erschien sie wiederillegal. Mit dem Sieg der Sowjetmacht in Lettland im Juni 1940 wurde siedas Organ des ZK der Kommunistischen Partei Lettlands. 262

84 Gemeint i s t d a s Buch „Statistik d e r Streiks d e r Arbei te r in den Fabrikenund Werken fü r das Jahr 1 9 0 5 " , zusammengestell t von dem FabrikrevisorW. J. Warsar, herausgegeben vom Ministerium für Handel und Industrie,1908. 262

85 D e r Internationale Sozialistenkongreß in "Kopenhagen tagte vom 28. Augustbis 3 . September 1910. D i e S D A P R w a r a u f dem Kongreß durch Lenin,

Plechanow, Lunatscharski u n d andere vertreten. Zwecks Erörterung u n dAusarbe i tung d e r Resolutionen z u einzelnen Fragen wählte d e r Kongreßverschiedene Kommissionen. Lenin arbeitete i n d e r Kommission f ü r G e -nossenschaftswesen mit. Sein Resolutionsentwurf über die Genossenschaftenlag dem Resolutionsentwurf zugrunde, den die Delegation der SDAPR d e rKommission f ü r Genossenschaftswesen des Kongresses vorschlug. Über d i eTätigkeit der Kommission für Genossenschaftswesen auf dem Kongreß sieheLenins Artikel „Die Frage d e r Genossenschaften a u f dem InternationalenSozialistenkongreß in Kopenhagen" , w o auch der Text des Resolutionsent-wurfs d e r Delegation d e r SDAPR übe r d i e Genossenschaften abgedruckt

ist (vorliegender Band, S. 278-287). 2 6 786

Sashin - de r „Wper jod" -Mann I . A. Sanshur. 2 7 087 „Jkatsdb (Weber) J-n" - I. W. Syssojew, Sozialdemokrat; Otsowist-Ulti-

matist. 27188 „Rabotsdhi (Arbeiter) Ar." - der „Wperjod"-Mann F. I. Kalinin. 27389

l'Poinoio - P s e u d o n y m A. W. L u n a t s c h a r s k i s . 2 7 490 Doinow - M. N. Pokrowski. 276

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Anmerkungen 4 7 5

a l Lenin zitiert August Bebeis Worte aus dem Referat „Die Angriffe a u f d i e

Grundanschauungen und die takt ische Stel lungnahme der Partei" , gehaltenauf dem Partei tag d e r Sozialdemokrat ischen Partei Deutschlands in H a n -nover (9.-14. Oktober 1899). 2 8 3

92 D e r Stuttgarter Jnternaiionäle Xongreß - VII. Internat ionaler Sozial isten-kongreß, der vom 18. bis 24. August 1907 stattfand. Lenin nahm a m Kon-greß a l s Delegier ter d e r SDAPR teil. (Siehe W . I . Lenin, Werke, 4 . Aus-gabe, Bd. 13, S . 59-77, russ.) 2 8 4

93 Der Protest gegen die Veröffentlichung des anonymen Artikels Trotzkis im„Vorwär t s " , d e r Verleumdungen gegen die SDAPR enthiel t , wurde i n d e nT a g e n d e r Si tzungen d e s Internat ionalen Sozial istenkongresses in Kopen-

hagen ver faßt . 2 8 994 „7owarisdbtsdh" (Der Gefähr te) - bürgerl iche Tageszei tung, erschien v o n

Mä rz 1906 bis Ja nu ar 1908 in Petersburg; ihre engsten Mitarbei ter warenS. N . Prokopowitsch und J . D . Kuskowa. Formell kein Parteiorgan, war siejedoch fakt isch Sprachrohr der l inken Kadetten. Auch Menschewiki arbei te-ten a n der Zeitung mit . 2 8 9

95 „ £ e Peuple" (Das Volk) - Tageszei tung, Zent ra lorgan d e r belgischen A r -bei terpar te i , d a s seit 1885 in Brüssel erscheint ; heute Organ d e r Soziali-stischen Partei Belgiens. 2S9

96

„Rabotsdbaja Qaseta" (Arbei terzei tung) - populäres Organ der Bolschewiki;w u r d e i n Paris vom 30. Oktober (12. November) 1910 bis 30. Juli (12. Au-gust ) 1 9 1 2 herausgegeben ; es erschienen 9 N u m m e r n . A n d e r Zei tungarbei teten auch partei t reue Menschewiki m i t . Begründer u n d Leiter d e r„Rabotschaja Gaseta" war Lenin. Lenin veröffentlichte in der Zei tung mehrals 10 Artikel. Die Prager Konferenz der SDAPR (Januar 1912) stellte fest,d a ß d ie „Rabotschaja Gaseta" d i e Par te i u n d d a s Parteiprinzip entschie-den u n d konsequent verteidigt , und erklärte s ie zum offiziellen Organ d e sZK der SDAPR (Bolschewiki). 293

97 Gemeint ist die Resolution „über Otsowismus und Ultimatismus", die von

Lenin verfaßt und von der Beratung der erweiterten Redaktion des „Prole-tar i" (Juni 1909) angenommen worden war. (Siehe W erke , Bd. 15, S. 445 bis449.) 298

98 Lenin zitiert Friedrich Engels' Artikel „Der Sozialismus in Deutschland".(„Die Neu e Zeit", J g. X, Bd. 1, 1891/92, S. 580-589; wird in M arx/Engels,Werke, Bd. 22, erscheinen.) 315

99 Polnisdhes Xolo - Gruppe polnischer Abgeordneter in der Reichsduma,deren Programm die Autonomie Polens war. In der I. und II. Duma bildeten

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476 Anmerkungen

den führenden Kern in dieser Vereinigung die Naro dowzen - die polnischen

Schwarzhunderter. In allen wesentlichen Fragen der Dumataktik unter-stützte das polnische Kolo die Oktobristen und die Rechten. 318

iW > „Jiusskije Wedomosti" (Russische Nachrichten) - Tageszeitung, die in Mos-kau 1863 von liberalen Professoren der Moskauer Universität und Semstwo-leuten gegründet wurd e. Sie vertrat die Interessen der liberalen Gutsbesitzerund der Bourgeoisie. 1905 wurde sie zum Organ des rechten Flügels derKadetten. Bald nach der Sozialistischen Oktoberrevolution 1917 wurde sieverboten. 324

101 „ Qolos Tdoskwy" (Die Stimme Moskaus) - Tageszeitung; Organ der Okto-

bristen, der konterrevolutionären Partei der industriellen Großbourgeoisieund der Großgrundbesitzer,- sie erschien von Dezember 1906 bis Juni 1915in Moskau. 325

102 „Herr C oupon" - bildhafter Ausdrude für Kapital und Kapitalisten in derrussischen Literatur der achtziger und neunziger Jahre. Diesen Ausdrudeverwandte zuerst Gleb Uspenski in den Skizzen „Schwere Sünden" („Rus-skaja MysI" [Russischer Gedanke], 1888, Heft 12). 329

10 3 Sdbule in Bologna (Italien) - zweite parteifeindliche Schule der Gruppe„Wperjod" (Ende 1910 - Anfang 1911). Sie war die Fortsetzung der Schule

auf Capri, des Fraktionszentrums der Otsowisten und Ultimatisten. 333104 Der Artikel „£. 3V. 7olstoi und die moderne Arbeiterbewegung" erschien im

„Nasch Put".„JVtfScfe Put" (Unser Weg) - halblegale bolschewistische Zeitung; wurde

mit Unterstützung des Moskauer Zentralbüros der Gewerkschaften alsFortsetzung des „Westnik Truda" (Bote der Arbeit) (1909) gegründet. Sieerschien vom 30. Mai (12. Juni) 1910 bis 9. (22.) Januar 1911 in Moskau;Redakteur war faktisdi I. I. Skworzow-Stepanow. Es ersdiienen 8 Num-mern. Nach der Verhaftung des Kerns der Mitarbeiter, die von den SpitzelnMalinowski und Tanin verraten worden waren, wurde die Zeitung ver-

boten. 33510 5 Es handelt sich um das Telegramm, das die sozialdemokratischen Abgeord-

neten der III. Duma an W. G. Tschertkow, den vertrauten Freund und An-hänger L. N. Tolstois, nach Astapowo sandten: „Die sozialdemokratischeFraktion der Reichsduma gibt den Gefühlen des russischen und des ge-samten internationalen Proletariats Ausdruck, wenn sie die tiefe Trauerüber das Hinscheiden des genialen Künstlers ausspricht, dieses unversöhn-lichen und unbesiegten Kämpfers gegen die offizielle Kirche, dieses Feindes

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Anmerkungen 477

der Willkür und Unterdrückung, der laut seine Stimme gegen die Todes-

strafe erhoben hat, dieses Freundes der Verfolgten." 335106 Der Artikel „Die Differenzen in der europäisdien Arbeiterbewegung" er-schien in Nr. 1 der „Swesda", in der Rubrik „Briefe aus dem Ausland".

„Swesda" (Der Stern) - legale bolschewistische Zeitung, Vorläuferin der„Prawda"; erschien in Petersburg vom 16. (29.) Dezember 1910 bis22. April (5. Mai) 1912 (anfangs wöchentlich, ab Januar 1912 zweimal undab März dreimal wöchentlich). Am 26. Februar (10. März) 1912 erschiengleichzeitig mit der „Swesda" die Nr. 1 der „Newskaja Swesda" (DerNewa-Stern), die nach dem Verbot der „Swesda" an deren Stelle trat. Dieletzte Num mer d er „New skaja Sw esda" (N r. 27) erschien am 5. (18.) O kto-

ber 1912. N. N. Baturin, K. S. Jeremejew, M. S. Olminski, N. G. Poletajewund auch A. M. Gorki arbeiteten an der Zeitung mit. Anfangs, bis zumHerbst 1911, wirkten auch parteitre ue M enschewiki (Plechanowleute) ander Zeitung mit. Die ideologische Leitung der Zeitung lag in den HändenW. I. Lenins, der sich im Ausland befand. In der „Swesda" und der „New-skaja Swesda" wurden etwa 50 Artikel Lenins veröffentlicht.

Die von Lenin geleitete legale „S wesda" war ein bolschewistisches Kampf-organ, das das Programm der illegalen Partei verfocht. Die „Swesda"räumte den Arbeiterkorrespondenzen breiten Raum ein und hatte eine stän-dige feste Verbindung mit Arbeitern. Die Auflage einzelner Nummern

erreichte 5000 0-60 000 E xemplare. Die Z eitung w ar ständigen Verfolgungenvon Seiten der Regierung ausgesetzt: von 96 Nummern der „Swesda" undder „Newskaja Swesda" wurden 39 beschlagnahmt, 10 mit Strafen belegt.Die „Swesda" bereitete die Herausgabe der legalen bolschewistischen Tages-zeitung „Prawda" vor; sie wurde von der Regierung an dem Tag verboten,an dem die erste Nummer der „Prawda" erschien. 35 3

107 Die „Jungen" nannte man in der deutschen Sozialdemokratie eine klein-bürgerliche halbanarchistische Gruppe, die 1890 entstand. Den Kern derGruppe bildeten „verkrachte Studenten" und junge Literaten (daher derName der Gruppe). Die Gruppe trat mit einer Plattform hervor, in der jede

Beteiligung der Sozialdemokraten am Parlament abgelehnt wurde. FriedrichEngels nannte die „Jungen" Helden der revolutionären Phrase, die „intri-gieren und klüngeln" und dadurch die Partei desorganisieren. Auf demErfurter Parteitag der deutschen Sozialdemokratie im Oktober 1891 wurdeein Teil der Führer der „Jungen" aus der Partei ausgeschlossen. 357

108Most, Jobann - deutscher Sozialdemokrat, seit 1878 i n London, später i nden U S A ; wurde wegen seiner desorganisierenden Tät igkei t a u f d e mWydener Kongreß 1880 a u s d e r deutschen Partei ausgeschlossen. I n d e n

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478 Anmerkungen

achtziger Jahren wurde er Anarchist. (Siehe Karl Marx/Friedrich Engels,

Ausgewählte Briefe, Berlin 1953, S. 364/365; „Briefe und Auszüge ausBriefen von Joh. Phil. Becker, Jos. Dietzgen, Friedrich Engels, Karl Marxu. A. an F. A. Sorge und Andere ", Stuttg art 1906, S. 162-166.) 357

109 Es handelt sich um den Antrag der Bolschewiki an das Auslandsbüro desZK vom 22. November (5. Dezember) 1910, in dem die unverzügliche Ein-berufung einer Plenartagung des ZK gefordert wurde, um über die Rück-gabe der Gelder der bolschewistischen Fraktion zu entscheiden. Der Antragwar von Lenin und anderen Teilnehmern des Januarplenums des ZK von1910 unterzeichnet. 372

110 Der Artikel „'Helden des ,VorbebaHs'" erschien in der Zeitschrift „Mysl".„Mysl" (Der Gedanke) - legale bolschewistische M onatsschrift für philo-

sophische und sozialökonomische Fragen; erschien ab Dezember 1910 inMoskau. Die Zeitschrift wurde auf Initiative Lenins gegründet, um denKampf gegen die legalen O rgane der Liquidatoren zu verstärken. W . I.Lenin leitete die Zeitschrift vom Ausland aus. In den ersten vier Heftender „Mysl" veröffentlichte Lenin 6 Artikel, darunter auch den großen Arti-kel „über die Statistik der Streiks in Rußland". Engste Mitarbeiter derZeitschrift waren W . W . W orowski, M . S. O lminski, I. I. Skworzow-Stepanow. Außerdem arbeiteten an der Zeitschrift parteitreue Menschewiki(G. W. Plechanow und andere) mit. Die Zeitschrift wurde bis April 1911

herausg egeben; es erschienen 5 Nu mm ern. Die letzte, die fünfte Num merwurde beschlagnahmt. 375

11 1 Der Artikel „Der historisdhe Sinn des innerparteilidhen Xampfes in Ruß-land" richtet sich gegen die verleumderischen Artikel Trotzkis un d M artows,die in der „Neuen Zeit", dem Organ der deutschen Sozialdemokratie, er-schienen waren. Lenin beabsichtigte, Trotzki und Martow in derselben Zeit-schrift zu antworten, aber die Verantwortlichen der „Neuen Zeit", Kautskyund Wurm, wollten keinen Artikel Lenins veröffentlichen. Sein Artikelerschien erst am 29. April (12. Mai) 1911 in Nr. 3 des „DiskussionnyListok". 381

112 Siehe Karl M arx/Friedrich Engels, W erke , Bd. 5, Berlin 1959, S. 283. 3S311 3 Lenin meint die vom IV. (Vereinigungs-) Parteitag der SDAPR angenom-

mene „Taktische Resolution zur Agrarfrage". (Siehe „Die KPdSU in Reso-lutionen und Beschlüssen der Parteitage, Parteikonferenzen und Plenar-tagungen des ZK", 7. Auflage, Teil I, Moskau 1954, S. 124/125, russ.) 384

11 4 Es handelt sich um einen Artikel von Karl Marx aus der Serie der Artikel„Die Krisis und die Konterrevolution". (Siehe Karl Marx/Friedrich Engels,

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Anmerkungen 479

Werke, Bd. 5, Berlin 1959, S. 398-404.) Lenin meint mit „Mehrings Spott"

die Einleitung von Franz Mehring zum dritten Band des von ihm heraus-gegebenen literarischen Nachlasses von Karl Marx, Friedrich Engels undFerdinand Lassalle. (Siehe „Aus dem literarischen Nachlaß von Karl Marx,Friedrich Engels und Ferdinand Lassalle", Bd. 3, Stuttgart 1902, S. 53/54.)384

11 5 Gemeint ist die von W . J. Wa rsa r herausgegebene „Statistik der Streiks derArbeiter in den Fabriken und W erken für die Jahre 1906-1908", St. Peters-burg 1910. 388

116 Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 8, Berlin 1960, S. 77; siehe auch

Karl Marx' Brief an Ludwig Kugelmann vom 17. April 1871 (Karl Marx/Friedrich Engels, Ausgewählte Briefe, Berlin 1953, S. 309). 391

117 In dem A rtikel „Über die Statistik der Streiks in Rußland" benutzte Lenindie von W. J. Warsar gesammelten Angaben der offiziellen Statistik. Leninbearbeitete die statistischen Materialien Ende September 1910. (Siehe seinNotizheft „Statistik der Streiks in Rußland" im Lenin-Sammelband XXV,S. 129-155, russ.) Lenin hatte die Absicht, auf Grund des gesammeltenM ateria ls eine Studie zur G eschichte der russischen Revolution zu schreiben.Es sollte ein Buch oder eine Broschüre von ungefähr 300 Seiten werden, dieer dann ins Deutsche übersetzen wollte. Der Artikel „ üb er die Statistik der

Streiks in Rußland" war, nach Lenins Worten, „ein erster Beginn", es warendie „vorläufigen Ergebnisse eines Versuchs einer detaillierten Bearbeitung".Eine vollständige Darstellung der Ergebnisse schob Lenin „bis zu eineranderen Gelegenheit" auf. Lenin konnte die Arbeit im beabsichtigten Um-fang nicht schreiben. 401

118 A. W. Pogoshew, „Eine Statistik über die Anzahl und die Zusammenset-zung der Arbeiter in Rußland. Materialien zur Arbeitsstatistik", St. Peters-burg 1906, herausgegeben von der Kaiserlichen Akademie der Wissen-schaften. 4iO

119 Dieselbe Tabelle führt Lenin auch in dem Artikel „Der historische Sinn desinnerparteilichen Kampfes in Rußland" an (vorliegender Band, S. 388), aberdort zählt Lenin die gemischten Streiks zu den politischen Streiks, wie dasin der Regierungsstatistik von 1905 gemacht wurde. In dem Artikel „überdie Statistik der Streiks in Rußland" korrigiert Lenin diese Ungenauigkeitder offiziellen Statistik, indem er die gemischten Streiks zu den wirtschaft-lichen zählt. Daraus erklären sich die unterschiedlichen Zahlen der in denQuartalen von 1905 aus wirtschaftlichen und der aus politischen Gründen

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480 Anmerkungen

Streikenden in den beiden Tabellen, während das Gesamtergebnis das

gleiche ist. 417120 Die Arbeit „Das kapitalistisdbe System der modernen Landwirtschaft" ist

ein Teil einer großen Abhandlung über die kapitalistische Landwirtschaft inDeutschland.

In den Werken W. I. Lenins wird die Arbeit „Das kapitalistische Systemder modernen Landwirtschaft" zum erstenmal abgedruckt. Sie war 1932 inder Zeitschrift „Bolschewik" Nr. 9 und im Lenin-Sammelband XIX nachdem aufgefundenen Teil des Manuskripts veröffentlicht worden. Bisherwurden folgende Teile des Manuskripts nicht gefunden: der Schluß desIII. Kapitels, „Die bäuerlichen Wirtschaften im Kapitalismus", der Anfang

und Schluß des IV. Kapitels, „Frauen- und Kinderarbeit in der Landwirt-schaft", V. und VI. Kapitel, „Vergeudung der Arbeit im Kleinbetrieb" und„Der kapitalistische Charakter der Anwendung von Maschinen in dermodernen Landwirtschaft".

Der Schluß der Arbeit mit der Unterschrift „IV. Jljin" sowie der Schlußdes I. Kapitels („Das allgemeine Bild der ökonomischen Struktur der moder-nen Landwirtschaft") und der Anfang des II. Kapitels („Was die Mehrzahlder modernen landwirtschaftlichen .Wirtschaften' in Wirklichkeit darstellt[Proletarische »Wirtschaften']") sind jetzt gefunden worden. Deshalb wer-den die Kapitel I, II und VII hier zum erstenmal vollständig veröffentlicht.

431121 „Xiewskaja Mysl" ( K i e w e r G e d a n k e ) - b ü r g e r li c h - d e m o k r a ti s c h e T a g e s -

z e i tu n g , die von 1906 b i s 1918 in Kiew erschien .

L e n i n m e i n t d e n A r t i k e l d e s L i q u i d a t o r e n N . W a l e n t i n o w „ Z u r l e t z t e nZ ä h l u n g i n D eu t sc h l an d" , de r i n N r . 308 de r „Ki ewska j a M ys l " ve r öf f en t -licht w u r d e . 43 5

12 2 „Ekonomist JLossii" ( D e r Ö k o n o m R u ß l a n d s ) - b ü r g e r li c h e W o c h e n s c h r i f tfü r Wi r t scha f t s - und F i nanz f r agen ; e r s ch i en von 1909 b i s 1912 i n Pe t e r s -b u r g . 43 6

*23 Si ehe da zu K ar l M ar x , „ D as Ka p i t a l " , Bd . I I I, Be r l in 1961 , S . 66 2 - 8 66 . 43612 4 Siehe Karl M arx , „Das Kap ital", Bd. I, Berlin 1961, S. 675-683. 44312 5 Fran z Bensing, „Der Einfluß der landwirtschaftlichen Maschinen auf Volks-

und Privatwirtschaft", Breslau 1897. 451

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DATEN AUS DEM LEBEN UND WIRKEN

W.I . LENINS

(September 1909 bis Dezember 1910)

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483

1909

Ende Lenin erholt sich mit seiner Familie - N. K. Krupskaja, ihrerJuU-Aucjusi Mutter und M. I. Uljanowa - in Bombon (Frankreich, Depar-

tement Seine-et-Marne).

20.-25. Juc/ust Lenin schreibt den Artikel „Ober die Fraktion der Anhänger(2.-7. September)des Otsowismus und des Gottbildnertums".

Spätestens i. Lenin kehrt von Bombon nach Paris zurück.(i4.) September

5. (18.) Lenins Artikel „Entlarvte Liquidatoren", „Zu den W ahlen

September in Petersburg" und die Bemerkung der Redaktion „Zu demoffenen Brief der Exekutivkommission des Moskauer Bezirks-komitees" erscheinen in Nr. 47/48 des „Proletari".

H. (24.) Lenins Artikel „über die Fraktion der Anhänger des Otso-September wismus und des Gottbildnertums" erscheint in der Beilage

zu Nr. 47/48 des „Proletari".

14. (.27.) Lenins Artikel „Noch einmal über Parteilichkeit und Partei-September losigkeit" wird in Nr. 9 des „Nowy Den" veröffentlicht.

i9. September Lenin hält in Paris ein Referat über die Ersatz- (September-)

(2 . Oktober) Wahlen zur III. Reichsduma in Petersburg.3. (i6.) Oktober Lenins Artikel „Gespräch mit den Petersburger Bolschewiki"

wird in Nr. 49 des „Proletari" veröffentlicht.

Vor d em 5 . (IS.) Lenin korrespondiert mit W . A . Karpinski über die VerlegungOktober der Bibliothek der Partei von Genf nach Paris.

15. (2S.) Oktober Lenin hält in Lüttich für die Mitglieder der sozialdemokra-tischen Gruppen ein Referat „ober die Lage in der Partei".

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484 Baten aus dem Leben und 'Wirken W. 7. Lenins

16. (29.) Oktober Lenin hält in Lüttich öffentlich ein Referat zum Thema „Die

Ideologie der konterrevolutionären Bourgeoisie".21. Oktober Lenin bringt in der Redaktionsbesprechung des Zentral-(3 . November) Organs, des „Sozial-Demokrat", den „Resolutionsentwurf

über die Festigung der Partei und ihrer Einheit" ein. Der Ent-wurf wird von der liquidatorisch-versöhnlerischen Mehrheitder Redaktion abgelehnt.

22. Oktober Lenin reicht eine Erklärung über seinen Austritt aus der(4. November) Redaktion des Zentralorgans ein und verlangt die Veröffent-

lichung der Erklärung zusammen mit dem Resolutionsentwurf

über die Festigung der Partei und ihrer Einheit im „Sozial-Demokrat".

23 . Oktober Lenin begibt sich von Paris nach Brüssel zur elften Sitzung(5. November) des Internationalen Sozialistischen Büros.

24. Oktober Lenin teilt der Redaktion des „Sozial-Demokrat" mit, daß er(6. November) seine Erklärung über den Austritt aus der Redaktion zurück-

nimmt.Lenin nimmt an der Internationalen Konferenz der sozia-listischen Journalisten in Brüssel teil.

25 .Oktober Lenin spricht in der elften Sitzung des Internationalen Sozia-(7. November) listischen Büros in Brüssel zur Frage der Spaltung in der

Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Hollands.

26. Oktober Lenin nimmt an der Sitzung der Interparlamentarischen Kom-(8. November) mission beim Internationalen Sozialistischen Büro teil.

Nadh dem Lenin kehrt von Brüssel nach Paris zurück.26. Oktober(s . November)

31 . Oktober Lenins Artikel „Der Zar gegen das finnische Volk" wird als(13. November) Leitartikel in Nr. 9 des „Sozial-Demokrat" veröffentlicht.

Oktober Lenin bringt in dem Brief an die Hörer der Schule auf Capriseine Zustimmung zum beginnenden Bruch zwischen einemTeil der Hörer und den Anhängern Bogdanows zum Aus-druck.

1. (14.) Lenin schreibt zusammen mit J. F. Dubrowinski und anderenNovember ZK-Mitgliedern einen Antrag an das Auslandsbüro des ZK,

in dem die Einberufung einer Plenartagung des ZK derSDAPR für die nächste Zeit verlangt wird.

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Daten aus dem Leben und Wirken W. 7. Lenins 485

3.(16.) Lenin führt mit N. J. Wilonow, der nach der Spaltung der

November Schule auf Capri nach Paris gekommen war, ein Gespräch.Im Zusammenhang mit diesem Gespräch schreibt er anA. M. Gorki einen Brief.

13.(26.) Lenin hält in Paris öffentlich ein Referat zum Thema „DieNovember Ideologie des konterrevolutionären Liberalismus (Der Erfolg

der ,Wechi' und seine gesellschaftliche Bed eutung)".

21. November Lenin gibt auf der ordentlichen Versammlung der zweiten(4. Dezember) Pariser Gruppe zur Unterstützung der SDAPR einen Be-

richt über d ie elfte Sitzung des Internationalen Sozialistischen

Büros und wird als Mitglied des Komitees der Gruppe ge-wählt.

28. November Lenins Artikel „über einige Quellen der gegenwärtigen ideo-(ll. Dezember) logischen Zerfahrenheit", „Die Methoden der Liquidatoren

und die Parteiaufgaben der Bolschewiki", „Der ,Golos Sozial-Demokrata' und Tscherewanin", „Märchen der bürgerlichenPresse über einen Ausschluß Gorkis" werden in Nr. 50 des„Proletari" veröffentlicht.

Lenins Artikel „Ein schmähliches Fiasko" erscheint als Son-derdruck aus Nr. 50 des „Proletari".

Ende November Lenin hält in Paris vor 5 Hörern, die aus der Schule auf(Anfang Capri ausgeschlossen worden waren, Lektionen über „DieDezember) gegenwärtige Lage und unsere Aufgaben" und über „Die

Agrarpolitik Stolypins".

Ende November Lenin schreibt den Artikel „über den ideologischen Zerfall(Anfang und die ideologische Zersetzung in der Sozialdemokratie Ruß-Dezember) lands".

Herbst Lenin schreibt für die Dumafraktion die „Schriftliche Erläu-

terung zum Entwurf der grundlegenden Bestimmungen desGesetzes über den Achtstundentag".

5. (i6.) Lenin schreibt an I. I. Skworzow-Stepanow einen Antwort-Dezember brief zur Frage des „preußischen" oder „amerikanischen"

Weges der kapitalistischen Agrarentwicklung Rußlands.

13 . (26.) Lenins Artikel „über die ,Wedii<;

Dezember Den" veröffentlicht.wird in N r. 15 des „Nowy

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486 Daten aus dem Zehen und W irken W. J. Cenins

Mitte (Ende)

Dezember-Anfang Januar1910

24. Dezember(6. Januar 1910)

Ende Dezember(erste Januar-bälfte I9io)1909

Lenin hält vor der zweiten Gruppe von Hörern der Schule auf

Capri, die nach Paris gekommen war, Lektionen „über diegegenwärtige Lage" und „Die Agrarpolitik Stolypins".

Lenins Artikel „Das letzte Wort des russischen Liberalismus"und „Die elfte Sitzung des Internationalen SozialistischenBüros" erscheinen in Nr. 10 des „Sozial-Demokrat".Lenin schreibt die Notiz „über die Gruppe .Wperjod'".

Lenin studiert in der Bibliothek der Sorbonne (Paris) Litera-tur über Philosophie und Naturwissenschaften.

1910

2.-23. Januar Lenin nimmt an der Plenartagung des ZK der SDAPR in(15. Januar bis Par is teil. Er schlägt einen Resolutionsentwurf „ü b e r die Lage5. lebruar) in der Partei" vor, in dem das Liquidatorentum und der

Otsowismus verurteilt werden. Die Plena rtagung wählt Leninin die Redaktion des Zentralorgans, des „Sozial-Demokrat",und als Vertreter der SDAPR im Internationalen Sozialisti-schen Büro.

Ende Januar Lenin tritt in der Redaktionsbesprechung des Zentralorgans(Anfang gegen die Veröffentlichung des liquidatorischen Artikelsfebruar) J. O. Martows „Auf dem richtigen Weg" im „Sozial-Demo-

krat" auf.

13 . (26.) Tebruar Lenins Artikel „Zur Einheit", in dem die Beschlüsse desJanuarplenums des ZK der SDAPR eingeschätzt werden, er-scheint in Nr. 11 des „Sozial-Demokrat".

6. (ig.) März In Nr. 1 des „Diskussionny Listok" erscheint der erste Teilvon Lenins Arbeit „Notizen eines Publizisten. I. über die,Plattform' der Anhänger und Verfechter des Otsowismus".

7. (20.) Mä rz Lenin spricht sich auf der Versam mlung der zw eiten, bolsche-wistischen Gruppe zur Unterstützung der SDAPR in Parisbei der Erörterung des Berichts über die Plenartagung des ZKfür eine Vereinigung mit den parteitreuen Menschewiki (Ple-chanowleuten) aus.

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Daten aus dem Leben und Wirken W. 7. Lenins 487

14. (27.) März Lenin schreibt an N. J. Wilonow nach Davos (Schweiz) einen

Brief über die Vereinigung der Bolschewiki mit den partei-treuen Menschewiki (Plechanowleuten) zum Kampf gegen dieLiquidatoren.

16. (29.) März Lenin schlägt in einem Brief an G. W. Plechanow vor, sichmit ihm zu treffen, um über die Lage in der Partei zu beraten.

23 . März Lenin schickt an das Auslandsbüro des ZK der SDAPR eine(5 . April) Erklärung über die Konflikte innerhalb der Redaktion des

Zentralorgans. Lenins Artikel „Der ,Golos' der Liquidatorengegen die Partei (Antwort an den ,Golos Sozial-Dem okrata')"

und „Wofür kämpfen?" erscheinen in Nr. 12 des „Sozial-:Demokrat".

Vor dem Lenin schlägt in einer geschlossenen Sitzung der zweiten, bol-27. März schewistischen Gruppe zur Unterstützung der SDÄPR in(9. April) Paris eine Resolution über den Ausschluß von drei mensche-

wistischen Liquidatoren, aus der Partei vor. Diese hatten sichgeweigert, Mitglieder des Russischen Kollegiums des ZK zuwerden. Lenins Resolution wird angenommen.

28. März Lenin unterzeichnet den Brief der Redaktion des Zentral-

(10. April) organs an den Hauptvorstand der Polnischen Sozialdemo-kratie über den Kampf gegen die L iquidatoren.

29. März Lenin schreibt an A. M . Gprki einen Brief über die Vereini-(.11. April) gung der Partei, in dem er eine Einschätzung des Januar-

plenums des ZK der SDAPR gibt.

Vor dem Lenin schreibt eine Erklärung an das ZK der SDAPR über die26. April Lage in der Redaktion des Zentralorgans - die infolge des(9. Mai) Verhaltens des liquidatorischen Teils der Redaktion entstan-

den war -, in der er darauf besteht, die Zusamm ensetzung der

Redaktion zu verändern. .26. April Lenins Artikel „Feldzug gegen Finnland", „Man hat Angst(9. Mai) um die Armee", „Die Vereinigung der Partei im Ausland"

und „Eins der Hindernisse für die Einheit der Partei" werdenin Nr. 13 des „Sozial-Demokrat" veröffentlicht.

25. Mai (7. Juni) In Nr. 2 des „Diskussionny Listok" erscheint der zweite Teilder Arbeit Lenins „Notizen eines Publizisten. II. Die ,Eini-gungskrise' in unserer Par tei".

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488 Valen aus dem Leben und W irken "W. 7. Lenins

15 . (28.) Juni Lenin fährt von Paris nach Capri zu Gorki.

Lenin verläßt Capri.

9. oder 10. Juli W . I. Lenin erholt sich mit N . K. Krupskaja und ihrer M utterbis 10. August im Küstenstädtchen Pornic (Frankreich) am Golf von Biskaya.(22. oder 23 . Julibis 23. August)

Juli Lenins Artikel „Der Jubiläumsnummer der ,Zi hn a'" erscheintin Nr . 100 der „Zin na", des Orga ns der SozialdemokratischenPartei Lettlands.

Vor dem

i3 . (26.) August13. (26.) August

l5.-2i. August(28. August bis3. September)

Zwisdoen dem15 . und 21.

August (28.August und3. September)

Lenin trifft sich in Pari s m it G. W . Plechanow un d führt mit

ihm ein Gespräch.Lenin kommt nach Kopenhagen zum VIII. Kongreß derII. Internationale und nimmt an der Sitzung des Büros desKongresses teil.

Lenin nimmt an der Arbeit des Kopenhagener Kongresses derII. Internationale teil.

Lenin beruft eine Beratung der Linken in der II . Internationaleein, um die revolutionären Elemente in der internationalen

Arbeiterbewegung zu organisieren und zusammenzuschließen.Lenin berät sich mit G. W. Plechanow, N. G. Poletajew undI. P. Pokrowski über die Gründun g der „Rabotschaja Ga seta"und der „Swesda".

16. (29.) August Lenin nimmt an einer Beratung von Vertretern der nationalenSektionen des Kopenhagener Kongresses teil. Auf der Tages-ordnung der Beratung stehen folgende Fragen: 1. Prüfung derMandate. 2. Bildung von Kommissionen.

16.-19. August Lenin nimmt auf dem Kongreß an der Arbeit der Kommission(29. August bis für Genossenschaftswesen und ihrer Unterkommission teil.1. September) Er verfaßt einen Resolutionsentwurf über die Genossenschaf-

ten und bringt Abänderungsvorschläge zur Resolution derKommission für Genossenschaftswesen ein.

20. August Lenin teilt dem Internationalen Sozialistischen Büro mit, daß(2 . September) entsprechend dem Beschluß des Januarplenums des ZK der

SDAPR von 1910 außer ihm auch G . W . Plechanow Ver-treter der SDAPR im Internationalen Sozialistischen Büro ist.

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Daten aus dem Leben und Wirken IV. 1. Lenins 489

20. August Lenin schreibt zusammen mit G. W . Plechanow un d A. Warski

(2 . September) einen Brief an den Parteivorstand der SozialdemokratischenPartei Deutschlands, in dem sie gegen die Veröffentlichungeines verleumderischen Artikels Trotzkis im „Vorwärts"protestieren.

30. August Lenins Artikel „ üb er die Fraktion der ,W perjod'-Leute" wird(12. September) in Nr. 15/16 des „Sozial-Demokrat" veröffentlicht.30. August bis Lenin hält sich in Stockholm auf. Er war dorthin gekommen,il. September um sich mit seiner M utter, M . A. Uljanowa, und seiner(12.-25. Schwester, M. I. Uljanowa, zu treffen. In Versammlungen de r

September) sozialdemokratischen Gruppen hält er Referate „Über denInternationalen Sozialistenkongreß in Kopenhagen" und„über die Lage in der Partei". Er studiert in einer Stock-holmer Bibliothek Fragen des Genossenschaftswesens in derLandwirtschaft.

Zweite August- Lenin schreibt den Artikel „Otsowistisch-ultimatistischebäifte (erste Streikbrecher" (der Artikel wurde nicht aufgefunden).Septemberbälfte)

2. (15.) Lenin bestellt aus einer Kopenhagener Bibliothek LiteraturSeptember über die Landwirtschaft in Dänemark.

13 . (26.) Lenin hält in Kopenhagen ein Referat über den Internatio-September nalen Sozialistenkongreß.

15 . (28.) Lenin kehrt nach Paris zurück.September

21. September Lenin verlangt in einem Brief an den Vertreter der Bolsche-(4. Oktober) wiki im Auslandsbüro des ZK der SDA PR, N . A. Semaschko,

die unverzügliche Einberufung einer Versammlung der Bol-schewiki, um über die Herausgabe der „Rabotschaja Gaseta"zu entscheiden.

24. September Lenin schreibt an J. Marchlewski einen Brief zu dem Artikel,(7. Oktober) den dieser gegen J. O. Ma rtow für „Die N eue Zeit" zu

schreiben beabsichtigte, und gibt verschiedene Hinweise fürden Artikel.

25. September Lenins Artikel „Die Frage der Genossenschaften auf dem(s . Oktober) Internationalen Sozialistenkongreß in Kopenhagen" und „W ie

manche Sozialdemokraten die Internationale über die Lage inder SDAPR informieren" erscheinen in Nr. 17 des „Sozial-Demokrat".

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490 Daten aus dem Leben und "Wirken rW . 7. Lenins

September- Lenin berät mit W . W . W orowski und 1.1. Skworzow-Stepa-

November now die Herausgab e der legalen bolschewistischen Zeitschrift„M ysl" in Moskau.

Ende September- Lenin arbeitet an dem Artikel „Der historische Sinn des inner-November parteilichen Kampfes in Rußland", den er in der „Neuen

Ze it" veröffentlichen wollte. De r Artikel erscheint in N r. 3 des„Diskussionny Listok" vom 29 . April (12. M ai) 1911.

Lenin beginnt an der Statistik der Streiks in Rußland für

1905-1908 zu arbeiten.

Vor dem Lenin spricht in einer Versammlung der Bolschewiki in Paris

15. (28.) über die Gründung der „Rabotsehäja Gaseta", die gemein-Oktober sam mit den Plechanowleuten erfolgen sollte.Vor dem Lenin schreibt den Artikel „Ankündigung der Herausgabe der30. Oktober ,Rabotschaja Gaseta'".(i2. November)

30. Oktober Lenins Artikel „D ie Lehren der R evolution" erscheint als Leit-(i2. November) artikel in Nr . 1 der „Rabotschaja Gaseta".

i. (ii.) Lenin schickt A. M . Gorki N r. 1 der „Rabotschaja Gaseta"November nach der Insel Capri und teilt ihm mit, daß gemeinsam mit

Plechanow die Herausgab e d er legalen Zeitschrift „M ysl" vor-bereitet wird.

16. (29.) Lenins Artikel „Zwei Welten", „über die Demonstration an-November läßlich des Todes Muromzews", „Beginn eines Um-

schwungs?" und „L. N. Tolstoi" werden in Nr. 18 des„Sozial-Demokrat" veröffentlicht.

20. November Lenin lehnt es in dem Brief „An die Genossen Hörer der(3 . "Dezember) Schule in Bologna" ab, Lektionen in Bologna zu halten, und

lädt die Hörer zu Lektionen nach Paris ein.

22. November Lenin übergibt dem Auslandsbüro des ZK der SDAPR eine

(5 . Dezember) Erklärung über die Rückerstattung des „Treuhänder"geldesan die Bolschewiki. Er verlangt die unverzügliche Einberufungeiner Plenartagung des ZK, um diese Frage zu entscheiden.

Nadb dem Lenin schreibt im Namen der Redaktion der „Rabotschaja22. November Gaseta" den „Offenen Brief an alle parteitreuen Sozialdemo-(5 . Dezember) kraten", in dem er die innerparteiliche Lage schildert.

28. November Lenins Artikel „L. N. Tolstoi und die moderne Arbeiterbewe-(ll. Dezember) gung " wird in Nr . 7 des „Nasch P ut" veröffentlicht.

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Daten aus dem Leben und Wirken TV. 7. Lenins 491

i6. (29.) Lenins Artikel „Die Differenzen in der europäischen Arbeiter-

Dezember bewegung" erscheint in N r. 1 der „Swesda".IS . (31.) Lenins Artikel „Tolstoi und der proletarische Kampf", „Der"Dezember Beginn von Demonstrationen", „Was geht auf dem Lande

vor?" und „Iwan Wassiljewitsch Babuschkin (Nekrolog)"erscheinen in Nr. 2 der „Rabotschaja Gaseta".

Dezember In Moskau erscheint Nr. 1 der legalen bolschewistischen Zeit-schrift „Mysl", in der Lenins Artikel „Helden des .Vor-beha lts' " und „ü be r die Statistik der Streiks in Ruß land"(Kapitel I) enthalten sind.

Ende des Jahres Lenin schreibt die Arbeit „Das kapitalistische System der

modernen Landwirtschaft".

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492

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort VII-VIII

1909

Entlarvte Liquida toren 1-8

Zu dem offenen Brief der Exekutivkommission des Moskauer Be-zirkskomitees 9

Zu den W ahlen in Petersburg (Bemerkungen) 10-15über die Fraktion der Anhänger des Otsowismus und des Cott-

bildnertums 16-50

I 16

II 21

III 25

IV 31

V 38

VI . . 44VII 48

Noch einmal über Parteilichkeit und Parteilosigkeit 51-53

Gespräch mit den Petersburger Bolschewiki 54-6 5

Anmerkung zu dem Artikel „Petersburger W ahle n" . . ^ 66

Resolutionsentwurf über die Festigung der Partei und ihrer E inhe it.. 67

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Jnbaltsverzeidhnis 493

Rede auf der Tagung des Internationalen Sozialistischen Büros zur

Spaltung in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Hollands.Nach einem Bericht des „Bulletin" des ISB 68

De r Za r gegen das finnische Volk 69-72

Brief an die Hö rer der Schule auf Capri 73-75

Ein schmähliches Fiasko 76 -78

ü b e r einige Quellen der gegenwärtigen ideologischen Zerfah renheit 79 -86

Die Methoden der Liquidatoren und die Parteiaufgaben der Bolsche-wik! 87-94

Der „Golos Sozial-Demokrata" und Tscherewanin 95-97

Märchen der bürgerlichen Presse über einen Ausschluß Gorkis . . 98

über den ideologischen Zerfall und die ideologische Zersetzung inder Sozialdemokratie Rußlands 99-101

Schriftliche Erläuterung zum Entwurf der grundlegenden Bestim-mungen des Gesetzes über den Achtstundentag 102-109

Brief an I. I. Skworzow-Stepanow 110-116

ü b e r die „Wechi" 117-125

1 .. . . 118

II 120

Das letzte W or t des russischen Liberalismus 126-133

Die elfte Sitzung des Internationa len Sozialistischen Büros . . . . 134-138

1910

ü b e r die Gruppe „Wperjod". Konzept 139-140Z ur Einheit 141-150

Der „Golos" der Liquidatoren gegen die Partei (Antwort an den

„Golos Sozial-Demokrata") 151-159

Wofür kämpfen? 160-166

Feldzug gegen Finnland 167-171

M an hat Angst-um die Armee 172-180

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494 Jnbaltsverzeidjnis

Die Vereinigung der Partei im Ausland 181-184

Eins der Hindernisse für die Einheit der Pa rtei 185-187

An das Zentralkomitee der SDAPR 188-191

Notizen eines Publizisten 193-261

I. über die „Plattform" der Anhänger und Verfechter des Otso-

wismus 195

II. Die „Einigungskrise" in unserer Pa rtei 206

1. Zweierlei Anschauungen über die Vereinigung 2082. Der „Kampf an zwei Fronten" nnd die Überwindung der

Abweichungen 214

3. Die Bedingungen für die Vereinigung und die Zirkeldiplo-matie 218

4. Zu Paragraph 1 der Resolution über die Lage in der Pa rtei 226

5. Die Bedeutung der Dezemberresolutionen (1908) und dieStellung der Liquidatoren dazu 232

6. ü b e r die Gruppe der unabhängigen Legalisten . . . . . . 239

7. über den parteitreuen Menschewismus und seine Einschät-

zung 2528. Schluß, ü b e r die Plattform der Bolschewiki 260

Der Jubiläumsnumm er der „Zih na" 262-266

Resolutionsentwurf der russischen sozialdemokratischen Delegationauf dem Kopenhagener Kongreß über die Genossenschaften . . 267-268

Brief an das Internationale Sozialistische Büro über die Vertretungder SDAPR . . 269

ü b e r die Fraktion der „W perjod"-Leute 270-277

Die Frage der Genossenschaften auf dem Internationalen Sozialisten-kongreß in Kopenhagen . . 278-287

Wie manche Sozialdemokraten die Internationale über die Lage in

der SDAPR informieren 288-290

Ankündigung der Herausgabe der „Rabotschaja Gas eta" 293-299

Die Lehren der Revolution . . 300-308

Zwei W elten 309-317

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Jnbaltsverzeidhnis 495

über die Demonstration anläßlich des Todes Muromzews (Bemer-

kungen) . . . . . . 318-323Beginn eines Umschwungs? . . . . 324-326

L. N . Tolstoi 327-332

An die Genossen Hörer der Schule in Bologna . . 333-334

L. N . Tolstoi und die moderne Arbeiterbewegung 335-337

Offener Brief an alle parteitreuen Sozialdemokraten 338-350

Die Differenzen in der europäischen Arbeiterbewegung 353-358

I , 353Tolstoi und der proletarische Kampf 359-360

Der Beginn von Dem onstrationen 361-364

W as geht auf dem Lande vor? 365-366