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Lepanto - Die Ordnung der Schlacht und die Ordnung der Erinnerung HARRIET RUDOLPH Im März 2007 ließ der Präsident der italienischen Abgeordnetenkammer, Fausto Bertinotti, in der Sala del Cavaliere, dem Empfangsraum im Palazzo Montecitorio in Rom, ein Gemälde mit einer Darstellung der Seeschlacht von Lepanto abhängen, das explizit an den Triumph der »Christen« über die »Barbaren« erinnerte. Zu dieser als Geste der Rücksichtnahme gegenüber muslimischen Besuchern des Hauses gedachten Aktion kam es allerdings erst, nachdem die Lega Nord die gesellschaftliche Erinnerung an die Seeschlacht von Lepanto wiederholt für ihren Kampf gegen den Beitritt der Türkei zur EU instrumentalisiert hatte. Die dadurch ausgelöste öffentliche Diskussion belegt die Brisanz, welche diesem Ereignis und den damit verbundenen Erinnerungspraktiken aktuell beigemessen wird. Der Begriff Lepanto steht im kollektiven Gedächtnis vor allem des katholischen Europas für den triumphalen Sieg der Heiligen Liga gegen die Türken am 7. Oktober 1571, der zugleich als entscheidender Wendepunkt im Hinblick auf die osmanische Seeherrschaft im östlichen Mittelmeer betrachtet wird, weil dieses Ereignis angeblich den Niedergang des Osmanischen Reiches als Großmacht einleitete. 1 In der historischen Forschung wurde hingegen die Bedeutung dieser Niederlage für das machtpolitische Kräfteverhältnis in Europa schon früh relativiert; die Reichweite dieser veränderten Sichtweise beschränkt sich jedoch auf einen wissenschaftsinternen Diskurs. 2 Außerhalb der Geschichtswissenschaft demonstrieren immer noch jene 1 Zum Themenkomplex Erinnerung und Gedächtnis stellvertretend für die inzwischen unüberschaubare Menge der Literatur: Jan Assmann, Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, in: Ders., Tonio Hölscher (Hrsg.), Kultur und Gedächtnis, Frankfurt/M 1988, S. 9-19; Aleida Assmann (Hrsg.), Medien des Gedächtnisses, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 72, Sonderheft, Stuttgart 1998; Christian Emden, David R. Midgley (Hrsg.), Cultural Memory and Historical Consciousness in the German-speaking World since 1500. Papers from the Conference »The Fragile Tradition«, Cambridge 2002, in: Cultural History and Literary Imagination 1, Oxford 2004; Harald Welzer (Hrsg.), Das soziale Gedächtnis. Geschichte, Erinnerung, Tradierung Hamburg 2001; Astrid Erll (Hrsg.), Gedächtniskonzepte der Literaturwissenschaft. Theoretische Grundlegung und Anwendungsperspektiven, in: Media and Cultural Memory 2, Berlin 2005; dies., Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Eine Einführung, Stuttgart 2005. 2 Vgl. dazu schon Fernand Braudel, The Mediterranean and the Mediterranean world in the age of Philip II, Berkeley/CA, 1995, S. 1088-1105, hier S. 1103; Andrew C. Hess, The Battle of Lepanto and its Place in Mediterranean History, in: Past and Present 57 (1972), S. 53-73; John Francis Guilmartin, Gunpowder and Galleys. Changing Technology and Mediterranean Warfare at Sea in the 16th Century, Cambridge 1974; ders., The Tactics of the Battle of Lepanto Clarified: The Impact of Social, Economic, and Political Factors on Sixteenth Century Galley Warfare, in: Craig L. Symonds (Hrsg.): New Aspects of Naval History. Selected Papers Presented at the Fourth Naval History Symposium, United States Naval Academy, 25-26 October 1979, Annapolis/MD 1981. S. 41-65; Michel Lesure, Lepante. La crise de l'empire Ottoman, Paris 1972; Hugh Bicheno, Crescent and Cross: The Battle of Lepanto 1571, Detroit/MI 2005; Niccolò Capponi, Victory of the West:

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Lepanto - Die Ordnung der Schlacht und die Ordnung der Erinnerung

HARRIET RUDOLPH

Im März 2007 ließ der Präsident der italienischen Abgeordnetenkammer, Fausto Bertinotti, in der Sala del Cavaliere, dem Empfangsraum im Palazzo Montecitorio in Rom, ein Gemälde mit einer Darstellung der Seeschlacht von Lepanto abhängen, das explizit an den Triumph der »Christen« über die »Barbaren« erinnerte. Zu dieser als Geste der Rücksichtnahme gegenüber muslimischen Besuchern des Hauses gedachten Aktion kam es allerdings erst, nachdem die Lega Nord die gesellschaftliche Erinnerung an die Seeschlacht von Lepanto wiederholt für ihren Kampf gegen den Beitritt der Türkei zur EU instrumentalisiert hatte. Die dadurch ausgelöste öffentliche Diskussion belegt die Brisanz, welche diesem Ereignis und den damit verbundenen Erinnerungspraktiken aktuell beigemessen wird.

Der Begriff Lepanto steht im kollektiven Gedächtnis vor allem des katholischen Europas für den triumphalen Sieg der Heiligen Liga gegen die Türken am 7. Oktober 1571, der zugleich als entscheidender Wendepunkt im Hinblick auf die osmanische Seeherrschaft im östlichen Mittelmeer betrachtet wird, weil dieses Ereignis angeblich den Niedergang des Osmanischen Reiches als Großmacht einleitete.1 In der historischen Forschung wurde hingegen die Bedeutung dieser Niederlage für das machtpolitische Kräfteverhältnis in Europa schon früh relativiert; die Reichweite dieser veränderten Sichtweise beschränkt sich jedoch auf einen wissenschaftsinternen Diskurs.2 Außerhalb der Geschichtswissenschaft demonstrieren immer noch jene

1 Zum Themenkomplex Erinnerung und Gedächtnis stellvertretend für die inzwischen

unüberschaubare Menge der Literatur: Jan Assmann, Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, in: Ders., Tonio Hölscher (Hrsg.), Kultur und Gedächtnis, Frankfurt/M 1988, S. 9-19; Aleida Assmann (Hrsg.), Medien des Gedächtnisses, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 72, Sonderheft, Stuttgart 1998; Christian Emden, David R. Midgley (Hrsg.), Cultural Memory and Historical Consciousness in the German-speaking World since 1500. Papers from the Conference »The Fragile Tradition«, Cambridge 2002, in: Cultural History and Literary Imagination 1, Oxford 2004; Harald Welzer (Hrsg.), Das soziale Gedächtnis. Geschichte, Erinnerung, Tradierung Hamburg 2001; Astrid Erll (Hrsg.), Gedächtniskonzepte der Literaturwissenschaft. Theoretische Grundlegung und Anwendungsperspektiven, in: Media and Cultural Memory 2, Berlin 2005; dies., Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Eine Einführung, Stuttgart 2005.

2 Vgl. dazu schon Fernand Braudel, The Mediterranean and the Mediterranean world in the age of Philip II, Berkeley/CA, 1995, S. 1088-1105, hier S. 1103; Andrew C. Hess, The Battle of Lepanto and its Place in Mediterranean History, in: Past and Present 57 (1972), S. 53-73; John Francis Guilmartin, Gunpowder and Galleys. Changing Technology and Mediterranean Warfare at Sea in the 16th Century, Cambridge 1974; ders., The Tactics of the Battle of Lepanto Clarified: The Impact of Social, Economic, and Political Factors on Sixteenth Century Galley Warfare, in: Craig L. Symonds (Hrsg.): New Aspects of Naval History. Selected Papers Presented at the Fourth Naval History Symposium, United States Naval Academy, 25-26 October 1979, Annapolis/MD 1981. S. 41-65; Michel Lesure, Lepante. La crise de l'empire Ottoman, Paris 1972; Hugh Bicheno, Crescent and Cross: The Battle of Lepanto 1571, Detroit/MI 2005; Niccolò Capponi, Victory of the West:

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triumphalischen Interpretationsmuster, welche schon die zeitnah produzierten Medien der Erinnerungskultur propagieren, ihre langfristige Geltungsdominanz, denn die Artefakte und Praktiken dieser Erinnerungskultur sind vorzugsweise in katholischen Regionen Europas noch sehr präsent.4

Die im Zuge eines historischen Ereignisses noch nie dagewesene Intensität der Erinnerungsproduktion dürfte im Wesentlichen auf vier Faktoren zurückzuführen sein, welche die Prozesse der Fixierung dieses Ereignisses ganz wesentlich beeinflussten: Erstens waren mit dem Königreich Spanien, dem Papst, den Republiken Venedig und Genua, Maltesern und Jesuiten zahlreiche Akteure an der Schlacht beteiligt, wobei in der Folge nicht nur die obersten Repräsentanten der beteiligten Mächte um die Verantwortung für den Sieg konkurrierten, sondern auch einzelne Admiräle oder Galeerenkommandanten. An die Seeschlacht von Lepanto schloss sich eine Medienschlacht um die Erinnerung von Lepanto an, bei der einzelne Personen oder Institutionen eine ihren Repräsentationsinteressen dienende Lesart der Abläufe durchzusetzen versuchten.5 Zweitens ließ sich das Ereignis hervorragend im Kampf

the Great Christian-Muslim Clash at the Battle of Lepanto, Cambridge/MA 2007; Roger Crowley, Empires of the Sea. The Siege of Malta, the Battle of Lepanto, and the Contest for the Center of the World, London 2008; allgemein auch Palmira Brummett, Ottoman Seapower and Levantine Diplomacy in the Age of Discovery, New York 1994; Jonathan Grant, Rethinking the Ottoman »Decline«: Military Technology Diffusion in the Ottoman Empire, Fifteenth to Eighteenth Centuries, in: Journal of World History 10 (1999), S. 179-201; sowie die bei Wolfgang Harms zitierte ältere Literatur, vgl. Wolfgang Harms (Hrsg.), Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts, Bd. 4: Die Sammlungen der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek in Darmstadt, Tübingen 1987, S. 92, Anm. B2.

4 Vgl. dazu Iain Fenlon, Ceremonial City. History, Memory and Myth in Renaissance Venice, New Haven/CT 2007, S. 173-175. Diese Lesart ist im Internet als einem neuen und im Hinblick auf seine soziale und geographische Reichweite den traditionellen Medien des kollektiven Gedächtnisses überlegenen Medium dominant. So versuchen katholische Organisationen mit der Erinnerung an den Sieg von Lepanto zum Kampf gegen den Islam in der Gegenwart zu motivieren. Vgl. zum Beispiel http://www.traditioninaction.org; http://www.ewtn.com; http://www.olvs.org; http://maryvictrix.wordpress.com/category/knights-of-lepanto.

5 Siehe dazu stellvertretend und mit weiterführender Literatur Iain Fenlon, Lepanto. The Arts of Celebration in Renaissance Venice, in: Proceedings of the British Academy 73 (1987), S. 201-236; ders., Lepanto and the Arts of Creation, in: History Today 45 (1995), S. 24-49; Jenny Jordan, Imagined Lepanto: Turks, Mapbooks, Intrigue, and Spectacular in the Sixteenth Century Construction of 1571, Los Angeles/CA 2004; Franco Cardini (Hrsg.): Monaci in armi: gli ordini religioso-militari dai Templari alla battaglia di Lepanto, storia ed arte, Roma 2004; Iris Contant, Kruisbeeld tegen kromzwaard: de neerslag van de zeeslag van Lepanto in de Italiaanse kunst ten tijde van de Contrareformatie, Rotterdam 2005; Cecilia Gibellini, L’immagine di Lepanto. La celebrazione della vittoria nella letteratura e nell’arte veneziana, Venedig 2008; Guy Le Thiec, Enjeux iconographiques et artistiques de la représentation de Lépante dans la culture italienne, in: Studiolo, revue de l'Académie de France à Rome 5 (2007), S. 29-45; Ruth Schilling, Die ganze Stadt und die Christenheit? Feiern und Gedenken an die Schlacht von Lepanto im frühneuzeitlichen Venedig und Rom, in: Vera Isaiasz u. a. (Hrsg.), Stadt und Religion in der frühen Neuzeit. Soziale Ordnungen und ihre Repräsentationen, Frankfurt 2007, S. 103-124.

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gegen Reformkonfessionen instrumentalisieren. Denn die himmlische Unterstützung der allein aus katholischen Mächten bestehenden Heiligen Liga ließ sich als Gottesurteil zugunsten des katholischen Glaubens interpretieren.6 Es waren deshalb die Hauptakteure der Gegenreformation, welche sich in besonderem Maße der Erinnerungskultur von Lepanto annahmen. Drittens fiel die Seeschlacht in eine historische Phase, in der alle beteiligten Mächte den Zenit ihrer politischen Macht überschritten oder sich mit inneren Krisen auseinander zu setzen hatten, wobei die glanzvolle Inszenierung des glorreichen Sieges von außen- und innenpolitischen Problemen ablenken sollte.7 Schließlich fiel Lepanto viertens mit der Etablierung des Druckes als Kommunikationsmedium zusammen, was nicht nur die Menge der Artefakte, sondern auch die sozialen Kanäle, in denen bestimmte Argumentationsfiguren verbreitet und tradiert wurden, entscheidend beeinflusste.

Innerhalb der interdisziplinär ausgerichteten Forschung zu Gedächtnis und Memoria steht Lepanto deshalb für einen Kulminationspunkt von ereignisgebundenen Erinnerungskulturen. Dabei wirkten Artefakte, die von vornherein als Medien der Erinnerungskultur produziert worden waren, und solche, die zunächst eher als Medien der Information und damit gar nicht unbedingt für eine längerfristige Aufbewahrung gedacht gewesen waren, zusammen. Lepanto fungierte als eine Art Erinnerungslaboratorium, in dem die Akteure der Erinnerungskultur das gesamte gesellschaftlich verfügbare Vokabular an memorativen Strategien durchdeklinierten, um durch das Gedächtnis der Schlacht ihre eigenen politischen, sozialen und ökonomischen Interessen zu bedienen.8 Dies gilt nicht nur für die vielfältigen Erinnerungspraktiken unmittelbar im Anschluss an das Ereignis, sondern auch noch für jene im 17. und 18. Jahrhundert.

Die inhaltliche und formale Spannweite dieser Erinnerungspraktiken bewegte sich dabei zwischen unterschiedlichen Polen. So lassen sich lokal begrenzte, überregionale und sogar transterritoriale Aktivitäten beobachten. Einen transterritorialen Charakter 6 Dazu auch Ruth Schilling, Osmanische Bedrohung, christliche Identität? Konfessionelle und

politische Repräsentationen von Gruppenzugehörigkeit in den Reaktionen auf den Sieg von Lepanto in Venedig um 1600, in: Christoph Dartmann, Carla Meyer (Hrsg.), Identität und Krise? Zur Deutung vormoderner Selbst-, Welt- und Fremderfahrungen, Münster 2007, S. 137-154.

7 In Venedig kam es Ende der 1560er und zu Beginn der 1570er zu Hungersnöten und Pestepidemien sowie 1574 und 1577 zu Großbränden des Dogenpalastes – Ereignisse, die sich trefflich als Strafen Gottes interpretieren ließen, zumal die Republik durch ihren 1573 geschlossenen Waffenstillstandsvertrag mit dem Osmanischen Reich ohnehin nicht wirklich von ihrem Sieg bei Lepanto profitieren konnte. Zur Reaktion der einheimischen Bevölkerung vgl. Fenlon, Ceremonial City, S. 190; zu inneren Krisen ebd., S. 228 f. und 315 f. Umso wichtiger war die Feier des Triumphes von 1571 in den Medien der Erinnerungskultur. Spanien erlebte mehrere Staatsbankrotte und schließlich 1588 den Untergang der spanischen Armada, weshalb die Erinnerung an den Seesieg bei Lepanto ebenfalls in besonders starkem Maße bewahrt werden sollte.

8 So wurden nicht nur zahlreiche Einblattdrucke, Flugschriften, Chroniken, Ölgemälde, Fresken oder auch Skulpturen angefertigt, sondern auch Triumphzüge, Dankgebete oder Prozessionen durchgeführt, Triumphbögen errichtet bzw. religiöse und weltliche Feiertage eingeführt.

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konnten sowohl die Produktion, als auch die Rezeption von Erinnerungsmedien annehmen – etwa indem Nürnberger Holzschneider venezianische Vorlagen kopierten oder diese überhaupt mehr oder minder europaweit rezipiert wurden. Es traten sowohl individuelle als auch institutionelle Praktiken auf. Institutionalisiert im Sinne einer organisatorischen Verfestigung wurde die Erinnerung an Lepanto zum Beispiel durch die Gründung der Rosenkranzbruderschaft. Außerdem wurde der 7. Oktober in der Folge zum Staatsfeiertag der Republik Venedig erhoben.9 An der Produktion von Erinnerungsmedien waren führende Künstler der Zeit wie Tizian, El Greco oder Veronese beteiligt.10 Ihre Werke waren vorwiegend für eine soziale und politische Elite bestimmt, während sich die Flut von Einblattdrucken und Flugschriften, die aus Anlass dieses Ereignisses erschien, an einen deutlich breiteren Rezipientenkreis richtete. Manche Formen der Fixierung wiesen einen narrativ exemplifizierenden Charakter auf, andere verdichteten das Ereignis im Abbild einer bestimmten Person, die bei der Schlacht eine herausragende Rolle gespielt hatte, oder einem bestimmten Symbol – so in einem erbeuteten Schlachtbanner, das demonstrativ ausgestellt wurde.

Im Zentrum meines Beitrages steht eine Gruppe von Erinnerungsmedien, die eine besondere Art der Visualisierung jener Seeschlacht tradieren – man kann hier auch von einer visuellen Argumentationsfigur sprechen – und die ich als eine Ausdrucksform einer spezifisch militärischen Erinnerungskultur begreife. Unter diesem Begriff fasse ich jene Erinnerungspraktiken, die entweder durch militärische Funktionsträger initiiert und gesteuert werden, oder die speziell militärische, auf Kampftaktik und Strategie bezogene Sachverhalte tradieren – was in der Regel dazu führt, dass sie in der Folge nicht nur, aber in besonderem Ausmaß in militärischen Kontexten und durch militärische Akteure rezipiert und damit erinnert werden.11 Dabei geht es besonders um eine Gruppe von Artefakten, welche vor allem das zweite Kriterium erfüllen, indem sie die Seeschlacht selbst darstellen. Inwiefern für diese Erinnerungserzeugnisse auch

9 Man kann hier zwischen ereignisgebundenen und ereignisungebundenen Aktivitäten unterscheiden.

So wurde dem Sieg von Lepanto in Venedig als einem wesentlichen Bestandteil des übergreifenden Themas des »Triumphs Venedigs« gehuldigt. Vgl. dazu ausführlicher: Fenlon, Ceremonial City, insb. S. 173-176.

10 Dazu u. a. Ernst H. Gombrich: Celebrations in Venice of the Holy League and the Victory of Lepanto, in: Studies in Renaissance & Baroque Art: Presented to Anthony Blunt on his 60th birthday. London 1967, S. 62-68; Isolde Döbele, Die Künstler und die Seeschlacht von Lepanto (1571) im 16. und 17. Jahrhundert, in: Gereon Sievernich, Hendrik Budde (Hrsg.), Europa und der Orient: 800-1900 (Ausstellungskatalog), Berlin 1989, S. 68-75; Blida Heynold-von Graefe, Kriegerisches Venedig im Spiegel der Kunst: Venedig Palazzo Ducale.Venezio e la difesa del Levante: da Lepanto a Candia, 1570-1670 (Ausstellungskatalog), Venedig 1986; Kristine Kolrud, Titian's »Allegory of the Victory of Lepanto« and Habsburg Family Portraiture, in: Clare Lapraik Guest (Hrsg.), Rhetoric, Theatre and the Arts of Design: Essays Presented to Roy Eriksen, Oslo 2008, S. 57-68; Rosemarie Mulcahy, Celebrar o no celebrar: Felipe II y las representaciones de la Batalla de Lepanto, in: Reales sitios 43 (2006), S. 2-15.

11 Diese Kriterien treffen allesamt für die gebräuchliche Taufe von Schlachtschiffen mit dem Namen Lepanto zu, für die es in der zweiten Hälfte des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Reihe von Beispielen von Zerstörern in der italienischen oder spanischen Flotte gab.

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die anderen Definitionskriterien Geltung beanspruchen können, wird der vorliegende Beitrag zeigen.

1. Idealbilder – Die Ästhetik der Schlacht

Das Schlachtgeschehen wurde auf Ölgemälden, Fresken, Tapisserien, Reliefs und Druckgraphiken in unterschiedlicher Form dargestellt. Mitunter diente es nur als Attribut – wie auf zahlreichen Porträts von Admirälen oder Galeerenkommandanten – oder es stellte den zentralen bzw. einzigen Bildgegenstand dar.12 Dabei lassen sich zwei inhaltlich und formal gegensätzliche Formen der Visualisierung unterscheiden. Sie können vereinfachend mit den Begriffen »Chaos« versus »Ordnung« umschrieben werden und stehen zugleich für unterschiedliche Phasen des Geschehens. Den dramatischen Höhepunkt der Schlacht mit den beiden ineinander verkeilten Flotten von »Christen« und »Heiden« und einzelnen Kampfszenen stellten vor allem zahlreiche großformatige Ölgemälde dar.13 Die hier vielfach gewählte Nahsicht auf das Kampfgeschehen erlaubte die Abbildung von Leid, Tod und Gewalt als unvermeidliche Folgen des Krieges, wobei diese Inhalte und die den Beteiligten im Rahmen dieses Ereignisses zugeschriebenen Emotionen in der Darstellung einzelner Personen konkretisiert werden konnten.

Eine andere Form der Schlachtvisualisierung findet sich hingegen besonders häufig in zeitgenössischen Druckgraphiken, die nicht die Schlacht selbst, sondern vielmehr die Aufstellung der beiden Flottenverbände vor Ausbruch des Kampfes visualisieren. Ich konzentriere mich im Folgenden auf diesen Bildtypus, weil hier die Schlacht in starkem Maße als strategisch-taktisches Ereignis im militärischen Sinne memoriert wird. Ein einschlägiges Beispiel dafür ist ein 1571 anonym in Venedig erschienener Einblattdruck (Abb. 1).14

12 Attributiv taucht die Schlacht z. B. auf bei: Tintoretto, Sebastiano Venier, um 1575, Öl / Leinwand,

Kunsthistorisches Museum Wien; ders. Votivbild des Dogen Sebastiano Venier, 1578-1582, Öl / Leinwand, Dogenpalast, Sala del Collegio, Venedig; Anonym, Die Sieger der Seeschlacht von Lepanto (Don Juan d’Austria, Sebastiano Venier und Marcantonio Colonna), Schloss Ambras, Portraitgalerie; Tizian, Allegorie auf den Sieg von Lepanto, Öl/Leinwand, vor 1575, Prado, Madrid.

13 Siehe z. B. Andrea Vicentino, Die Seeschlacht von Lepanto, Öl / Leinwand, 1603, Dogenpalast, Venedig; Anonym, Die Seeschlacht von Lepanto, Öl / Leinwand, National Maritime Museum, Greenwich / London. Veronese stellte in seinem bekannten Lepanto-Altarbild kontrastierend das Chaos der Seeschlacht im unteren Teil des Bildes der Ordnung jener überirdischen Mächte im oberen Teil gegenüber: Veronese, Seeschlacht von Lepanto, 1572, Öl / Leinwand, Gallerie dell'Accademia, Venedig. Für Kirchenräume bestimmte Werke bilden häufig die Schlacht überhaupt nicht ab, sondern huldigen dem Ereignis in allegorischer Form. So z. B. Grazio Cossali, Pius V. schreibt Maria den Sieg bei Lepanto zu, 1597, Öl / Leinwand, Santa Croce in Bosco Marengo.

14 Anonym, Die Seeschlacht von Lepanto, Kupferstich, 1571, Museo Civico Correr, Museo di Storia Navale, Venedig; diesem Typus entsprechen weitgehend: Vero retratto del armata Christiana et Turchesca in ordinanza […] dove li nostri ebero la gloriosa vitoria tra Lepanto […], o. O. 1571; Il

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Abb. 1

Die in diesem Kupferstich gezeigte Formation der christlichen Flotte mit ihrem verstärkten Schiffsverband in der Mitte, einem linken und einem rechten Flügel sowie der dahinter angeordneten Reserve wurde auch in Texten vielfach überliefert. Visuelle Quelle dieser Darstellung dürfte jedoch eine im Vorfeld vom Oberbefehlshaber Don Juan d’Austria erstellte Schlachtordnung sein, die überliefert ist und in ihren Grundzügen eine ähnliche Struktur aufweist.15 So zeigt sie bereits die Position der sechs venezianischen Galeassen vor der Flotte der Liga. Lediglich die türkische Flotte ist als einheitlicher Flottenverband dargestellt. Durch die Integration der angeblich am Ende entkommenen sieben Galeeren des Uluç Ali, welche gerade im Begriff sind, die noch geordneten christlichen Reihen zu durchbrechen, wird allerdings im Einblattdruck in die ansonsten statische Darstellung eine Zeitstruktur eingeführt, welche zumindest für den informierten Betrachter den Schlachtausgang vorwegnimmt.

vero ordine et modo tenuto dalle Chistiana et turchescha nella bataglia, che fu all. 7. Ottobrio […], [Venedig 1571], Museo di Storia Navale, Venedig; Agostino Barberigo, L' ultimo Et vero Ritrato Di la vitoria de L'armata Cristiana de la santissima liga Contre a L'armata Turcheschà […], Kupferstich, o. O. 1571. Weitere Beispiele in: Wolfgang Harms (Hrsg.), Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts, Bd. 7: Die Sammlung der Zentralbibliothek Zürich. Teil 2: Die Wickiana II (1570-1588), Tübingen 1997, S. 9-11; Harms, Deutsche illustrierte Flugblätter, Bd. 4 (wie Anm. 2), S. 66; Contant, Kruisbeeld tegen kromzwaard (wie Anm. 4), S. 89, 383, 390 und 401. Vgl. zudem die Abbildung in Ekhart Berckenhagen, Lepanto 7.10.1571 – Blutigster Tag globaler Marinehistorie, in: Deutsches Schiffahrtsarchiv 19 (1996), S. 111.

15 Auf diesem Plan finden sich allerdings keine geographischen Angaben, da der Ereignisort der Auseinandersetzung zur Entstehungszeit des Planes freilich noch nicht bekannt war.

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Abb. 2

Ein weiterer Einblattdruck dieser Art (Abb. 2), wohl ebenfalls bereits 1571 erschienen, zeigt fast dieselbe Aufstellung im Querformat, wobei aus Platzgründen die Anzahl der Schiffe allerdings deutlich reduziert wurde.17 Links oben sind zusätzlich die drei Wappen der verbündeten Mächte Spanien, Papst und Venedig als Sinnbild der Heiligen Liga dargestellt. Als szenische Momente der Schlacht sind außerdem der »Begrüßungsschuss« der beiden Oberkommandierenden Don Juan d’Austria und Ali Pascha sowie als weiße Linie im unteren Drittel dieser Radierung die Fluchtroute einiger Schiffe aus dem linken Flügel der Türken eingefügt.

Eine elaboriertere Version desselben Geschehens bietet ein großformatiger Holzschnitt von Bernhart Jobin (Abb. 3), auf dem die Schlachtordnung deutlich komplexer erscheint, wobei die Achse der auch hier symmetrisch angeordneten Schiffsverbände nun um 90 Grad gedreht wird:18

17 L’ordine tenuto dall’armata della santa Lega Christiana contro il Turcho […], n'e seguita la

felicissima Vittoria li sette d'Ottobre MDLXXI […], [Rom]: Antonio Lafreri 1571. Lediglich den türkischen Flügeln sind hier noch Reserveeinheiten zusätzlich zugeordnet. Derselbe Drucker brachte unter einem ähnlichen Titel einen weiteren Druck heraus, welcher allerdings die Flottenordnung im unteren Teil des Bildes leicht verändert wiedergibt.

18 Mercklicher Schiffstreit /und Schlachtordnung beyder Christlichjen / und Türckischen Armada /wie sich die jüngst den 7. Oktob. 71. Jar verloffen / eigentlich fürgerissen / und warhafftig beschrieben, Straßburg: Bernhard Jobin 1572. Vgl. dazu die Beschreibung des Blattes bei Harms, Deutsche illustrierte Flugblätter, Bd. 4 (wie Anm. 4), S. 92. Im Text des Druckes wird anders als in den meisten katholischen Drucken auch auf Differenzen zum militärischen Vorgehen zwischen den Befehlshabern hingewiesen. Diese Abbildung war offensichtlich das Vorbild für die

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Abb. 3

Die wesentlichen militärischen Einheiten und ihre jeweiligen Kommandanten sind mit Buchstaben bezeichnet, die in einer in das Bild eingefügten Legende aufgelöst werden. Schlachtordnung und dreispaltiger Typendruck sind von einer aufwendig gestalteten

Schlachtordnung bei Joseph Furttenbach, Architectura Navalis. Das ist: Von dem Schiff-Gebäw. Auff dem Meer und Seekusten zugebrauchen. […] Neben kurtz-widerholter Fürbildung, der in Anno 1571. zwischen den Christen und Türcken fürgegangenen, hochernstlichen, Ansehnlichen Meerschlacht, Ulm 1629, Kupferstich Nr. 19.

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Rahmenleiste von Tobias Stimmer umgeben, deren musizierende Putti eine Art Siegeskonzert veranstalten. Die ästhetische Gestaltung des gesamten Blattes deutet darauf hin, dass es ganz offensichtlich als Wandschmuck gedacht war, wobei Werken dieser Art sowohl dekorative als auch informative und nicht zuletzt eben auch memorative Funktionen im Hinblick auf das dargestellte Ereignis zukamen.

Drucke dieser Art erschaffen eine Art ideellen Kompensationsraum, in dessen Interpretation der Ereignisraum als klar begrenzt, wohlgeordnet und in seiner ästhetisch ausgerichteten Struktur vollkommen erscheint. Ein schönes Beispiel für diese Tendenz ist eine anonym erschienene Radierung im Museo di Storia Navale, Venedig, welche die beiden Schlachtordnungen horizontal abbildet, wobei die türkische Flotte wie schon im Plan Don Juans in Form eines Halbmondes dargestellt wird, während die christliche Flotte hier zahlenmäßig stark überlegen, zudem anders als in der Mehrheit der Darstellungen mehrfach gestaffelt und flankiert von zwei riesigen venezianischen Galeassen, erscheint.19 Ein wesentlicher Bestandteil dieses Kompensationsraumes ist die Illusion von Lepanto als »Turning Point« der Geschichte, durch welchen eine bis dato aktuelle Bedrohung der Christenheit Vergangenheit zu werden schien: Auch wenn die Türken bereits zuvor in wichtigen Schlachten geschlagen worden waren, mit Lepanto endete in der zeitgenössischen Wahrnehmung der jahrhundertealte Mythos ihrer Unbezwingbarkeit auf dem Meer.20 Lepanto wurde als zentrales Element eines heilsgeschichtlichen Weltenplanes lesbar, bei dem – wie bei einem Chronotopos – räumliche und zeitliche Perspektive in Eins fielen.21 Damit zeichnet auch diese Darstellung, bei welcher im Unterschied zu den meisten anderen explizite religiöse Bezüge fehlen, letztlich ein transzendenter Charakter aus.

Was aber leistete diese visuelle Argumentationsfigur im Rahmen der schon bald ausufernden Erinnerungskultur von Lepanto? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich die besonderen Rahmenbedingungen einer Seeschlacht in dieser historischen Phase vergegenwärtigen. Eine Seeschlacht war prinzipiell ein höchst riskantes Unternehmen, da für das Kampfgeschehen auf See Witterungsfaktoren wie Wind und Regen eine ungleich größere Rolle spielten als auf dem Land. Komplexe militärische Manöver waren aufgrund der schlechten Manövrierbarkeit der 1571 noch eingesetzten Galeeren ausgesprochen schwierig. Das galt erst recht für das Ziel, größere Schiffsverbände zu einem konzertierten Vorgehen gegen den Feind zu bringen. Nicht zuletzt war ein derart weiträumiger Kampfschauplatz, der sich in der Nord-Süd-Ausstreckung ungefähr über 10 km erstreckte, nur schwer zu kontrollieren. Diese Bedingungen setzten ein hohes Maß an Kampferfahrung voraus, weshalb meist ältere

19 Die Seeschlacht von Lepanto, Radierung, [Venedig] 1571/2, Museo di Storia Navale, Venedig. 20 Diese Sichtweise bestärken die in den meisten Drucken in den beigefügten Texten detailliert

aufgeführten enormen Verluste der Türken im Hinblick auf Schiffe, Waffen und Manpower. 21 Siehe zu diesem Begriff Michail M. Bachtin, Chronotopos. Frankfurt/M. 2008 (zuerst 1975), S. 7-

9, zu unterschiedlichen Spielarten des Chronotopos ebd., S. 205-207, hier besonders 206.

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Personen mit dem Amt des Oberbefehlshabers betraut wurden. Don Juan d’Austria, der Oberbefehlshaber der Heiligen Liga, war zum Zeitpunkt der Schlacht gerade 24 Jahre alt und verfügte über keine Kampferfahrung auf See. Auch der von Pius V. ernannte päpstliche Oberbefehlshaber Marcantonio Colonna verfügte über wenig Erfahrung, weshalb auch diese Entscheidung öffentlich kritisiert wurde.22

Mit der Veröffentlichung seines Schlachtplanes, dessen militärische Strategie sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits als erfolgreich erwiesen hatte, wurde das Kompetenzdefizit – und in den Augen anderer Hauptakteure wie Gian Andrea Doria, Agostino Barbarigo oder Francesco Duodo sicher auch Legitimationsdefizit – Don Juans demonstrativ konterkariert.23 Darstellungen dieser Art suggerierten eine Planbarkeit der militärischen Abläufe, welche bei einem Seekrieg in der Regel ganz besonders wenig gegeben war. Dabei erscheint die Schlachtordnung als wohlgeordneter Ausgangspunkt des Kampfes, so als ob zunächst beide Flotten voreinander Aufstellung bezogen hätten, bevor das Signal zum Kampfbeginn gegeben wurde. Tatsächlich traten die einzelnen Schiffsverbände genau in dem Moment in die Schlacht ein, als sie das »Schlachtfeld« erreichten, die im Süden operierenden also deutlich später als jene im Norden. Die in diesen und anderen Druckgraphiken gezeigte Schlachtordnung hat also so nie existiert.24

Zugleich wird auf diese Weise eine Gleichheit der militärischen Gegner postuliert, obwohl eine Vielzahl von zeitgenössischen Texten auf die militärische Überlegenheit der Türken abhebt, um den Sieg der Liga auf diese Weise noch grandioser erscheinen zu lassen.25 In den visuellen Darstellungen sind es jedoch vor allem ästhetische Grundprinzipien, welche die Bildkompositionen bestimmen. Dabei gilt die Symmetrie der Schlachtordnung offenbar als Abbild einer idealen Ordnung, welche dem aus der Sicht der Christen idealen Ausgang der Schlacht als besonders angemessen erscheint.26 Dabei wird das Geschehen aus der Vogelperspektive gezeigt, so dass der Betrachter die Schlacht in einer Weise zu überblicken vermag, in der keiner der Beteiligten dazu in der Lage war. Er schaut gleichsam mit dem Auge Gottes von oben auf das Geschehen, das dadurch in seinen beträchtlichen Ausmaßen erkennbar wird. Durch die große Distanz des Betrachters erscheint die Seeschlacht seltsam abstrakt und anders 22 Fenlon, Ceremonial City (wie Anm. 3), S. 162. 23 Guilmartin, Tactics (wie Anm. 2), S. 43. 24 Vgl. dazu die Darstellung bei Guilmartin, Gunpowder (wie Anm. 2), S. 246. 25 Außerdem spielen Konstruktionen des Fremden, welche die Inhalte anderer Turcica sowie auch

visuelle Darstellungen des Enterkampfes der Schlacht bei Lepanto stark bestimmen, hier nur eine untergeordnete Rolle. Fremdheit vermitteln lediglich die z. T. angegebenen Namen der türkischen Befehlshaber oder die Herkunftsangaben bestimmter Flottenkontingente, zumal die unterschiedlichen Schiffstypen in den meisten Fällen nur angedeutet wurden.

26 Die Ordnung der Flotten war nach übereinstimmender Ansicht zeitgenössischer Quellen nachweislich unsymmetrisch, da der rechte Flügel der heiligen Liga und der linke Flügel der Türken deutlich umfangreicher waren. Außerdem konnte der Ausgang der Schlacht auch nicht wirklich als ideal betrachtet werden, da ein Teil der osmanischen Flotte entkam. Vgl. Guilmartin, Gunpowder ( wie Anm. 2), S. 240.

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als die bereits angesprochenen Visualisierungen des Enterkampfes vollkommen gereinigt von Blut, Schweiß und Tränen der Kämpfenden und Sterbenden.

Abb. 4

Ein kurz danach entstandener Einblattdruck von Jost Amman (Abb. 4) bildet die Schlachtordnung in der üblichen mehrgliedrigen Grundstruktur, jedoch nun in der Idealform eines Kreises ab.27 Dennoch bleibt das Schema der dreigliedrigen, symmetrischen Schlachtordnung erkennbar, obwohl Amman im Vordergrund bereits den Enterkampf abbildet, welcher auf das Beschießen aus der Distanz folgte. Sein handkolorierter, großformatiger Holzschnitt verdeutlicht zudem die Weite des Ereignisraumes, in dem er auch die Erdkrümmung sichtbar macht. Ammans Schlachtengemälde verweist wie schon Albrecht Altdorfers Alexanderschlacht auf die

27 Jost Amman, Die Seeschlacht von Lepanto, Nürnberg 1571, Die Anordnung in Kreisform findet

sich auch bei: Eigentliche Contrafactur und verzeichnis der grossen gewaltigen Niderlage und Schlacht / so die Christen mit dem Erbfeinde dem Türcken gehalten haben […], Leipzig: Nickel Nerlich [1571], Aigentliche Contrafactur der gewaltigen Niderlag deß Türcken Armada / so ausser deß Mörhafens Lepoto (!) […], Augsburg: Hans Rogel d.Ä. [1571]. Abb. in: Walter L. Strauss (Hrsg.), The German Single-Leaf Woodcut 1550-1600. A Pictorial Catalogue, Bd. 2: K-R, New York 1975, S. 812 f. und 873. Vgl. auch den Kupferstich italienischer Provenienz mit einer Darstellung des Kampfes in Kreisform in: Angus Konstam, Lepanto 1571: The Greatest Naval Battle of the Renaissance, Oxford 2005, S. 11. Zudem exisitiert eine Darstellung in ovaler Form, auf der die gesamte Kampfhandlung in einem Netz gefangen wiedergegeben wird, welches Papst, spanischer König und Doge auf einem Boot fahrend gemeinsam halten. Auf diese Weise wurde die Schlacht ikonographisch mit dem Fischzug Petri gleichgesetzt; Abb. in Bicheno, Crescent (wie Anm. 2), Nr. 5b.

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Kugelform der Welt und damit auf den universalen Charakter des geschilderten Ereignisses.28 Lepanto gerät so zum Weltenspektakel, zur symbolischen Evokation des Kampfes des christlichen Abendlandes gegen das heidnische Morgenland, in welchem den Christen am Ende der Sieg beschieden ist. Dabei ersetzt der Protestant Amman die Figur Marias, die auf italienischen Drucken zumeist das Kampfgeschehen dirigiert, durch die Siegesgöttin Victoria, wodurch er den Sieg der katholischen Verbündeten in gewisser Weise entkatholisiert. Zudem schreibt er ihn allein der Republik Venedig zu, denn es ist der Markuslöwe, den Victoria bekrönt. Dieses Vorgehen erscheint schon deshalb naheliegend, weil die Republik Venedig den Einwohnern der Reichsstadt Nürnberg von allen am Sieg beteiligten Mächten sicher die größte Identifikationsmöglichkeit bot.

Die Aufstellung der Flotten übernahm in der Folge die Funktion eines Schlagbildes im Verständnis Aby Warburgs, das den zentralen Bedeutungsgehalt dieser Seeschlacht evozierte und dabei eine im Bezug auf das Ereignis ordnende wie im Bezug auf den Betrachter orientierende Funktion übernahm.29 Die Zeichenhaftigkeit der Schlachtordnung korrespondierte mit der Zeichenhaftigkeit, die dem gesamten Ereignis als Bestandteil eines göttlichen Heilsplanes zugeschrieben wurde. Jedes Bildzeichen stand deshalb nicht mehr für sich selbst, sondern verwies primär auf die dargestellte Ordnung insgesamt. Auf diese Weise wurde die prekäre »ikonische Differenz« als kaum vermeidbare Diskrepanz zwischen den Binnenereignissen in einem Bild und dem Gesamtereignis des Bildes aufgelöst.30 Das einmal eingeführte Schlagbild ließ sich aufgrund seiner hohen Geltungskraft als Ab- und zugleich Sinnbild des Ereignisses auf andere Medien der Erinnerungskultur übertragen, wodurch die mit ihm verbundenen Semantiken im Zeichenvorrat der politischen Deutungskultur zusätzlich verankert wurden.31

28 Vgl. dazu allgemein Andreas Gormans, Geometria et Ars memorativa. Studien zur Bedeutung von

Kreis und Quadrat als Bestandteile mittelalterlicher Mnemonik und ihrer Wirkungsgeschichte an ausgewählten Beispielen, Aachen 2003.

29 Vgl. dazu weiterführend Martin Warnke, Vier Stichworte: Ikonologie, Pathosformel, Polarität und Ausgleich – Schlagbilder und Bilderfahrzeuge, in: Werner Hofmann u. a. (Hrsg.), Die Menschenrechte des Auges. Über Aby Warburg, Frankfurt/M 1980, S. 53-83 sowie Michael Diers, Schlagbilder. Zur politischen Ikonographie der Gegenwart, Frankfurt/M. 1997.

30 Zum Begriff der »ikonischen Differenz« siehe Gottfried Boehm, Jenseits der Sprache? Anmerkungen zur Logik der Bilder, in: Christa Maar, Hubert Burda (Hrsg.), Iconic turn. Die neue Macht der Bilder, Köln 2004, S. 28-43, hier S. 32.

31 So finden sich ähnliche Darstellungen zum Beispiel als Bronzerelief auf dem Sockel des Denkmals für Don Juan d’Austria in Messina von Andrea Calamech aus dem Jahr 1572 (dessen Kopie auch in Regensburg errichtet wurde) oder auch auf einem ebenfalls 1572 angefertigten Fresko von Ignazio Danti an einer Schmalseite der Kartengalerie des Vatikans. Vgl. dazu auch die im folgenden Abschnitt besprochenen Werke von Vasari und Cambiaso. Ein spätes Beispiel ist ein Stuckrelief von Giacomo Serpotta im Oratorio del Rosario di Santa Cita in San Mamiliano (entstanden nach 1688), auf dem die Flottenordnung in reduzierter Form wiedergeben wird.

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Abb. 5

Darstellungen dieser Art suggerieren die Einheit des Christentums als entscheidende Voraussetzung für einen erfolgreichen Kampf gegen den heidnischen Erzfeind. Sie visualisieren die Unterordnung des Einzelnen unter einen Masterplan, dem persönliche Interessen oder Eitelkeiten zu opfern sind. Die Betonung der Einheit musste umso wichtiger erscheinen, als es an dieser sowohl im Vorfeld der Schlacht, als auch in deren Verlauf in vielerlei Hinsicht gefehlt hatte. Die zahlreichen Querelen auf der obersten Ebene der beteiligten Machthaber und ihrer Admiräle, aber auch auf unteren Ebenen wurden auf diese Weise visuell negiert. Besonders deutlich wird dieser Sachverhalt in einem Kupferstich von Giacomo Franco, der über 100 Namen von Beteiligten anführt und dabei die »nationale« Vermischung der einzelnen Flottenabschnitte nachvollziehbar macht, wodurch das angeblich konzertierte Handeln aller Beteiligten noch erstaunlicher wird (Abb. 5).32 Bei Franco wird die ideelle

32 Giacomo Franco, Miraculosa victoria a‘Deo christianis contra turcas tributa, um 1572, o. O. Vgl.

die Beschreibung des Blattes in: Contant, Kruisbeeld tegen kromzwaard (wie Anm. 4), S. 420-422. Die Darstellung von Franco war Vorbild für eine Abbildung der Schlachtordnung in Furttenbach, Architektura navalis (wie Anm. 16), Kupferstich Nr. 20. Die Angabe der Namen bei Franco soll das ansonsten sehr abstrakte Geschehen individualisieren und die Genannten sicher auch zum Kauf des Druckes animieren. Dabei handelte es sich bei der »nationalen« Vermischung der Flottenabschnitte um ein tatsächlich angewendetes strategisches Mittel, durch welches Don Juan d’Austria kollektive Fluchtbestrebungen einzelner Nationes in brisanten Phasen des Kampfes verhindern wollte. Guilmartin, Gunpowder (wie Anm. 2), S. 243.

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Verknüpfung zwischen einer die göttliche Ordnung spiegelnden Schlachtordnung und dem christlichen Sieg dadurch verdeutlicht, dass er der christlichen Flotte das Prinzip Ordnung, der türkischen aber als Zeichen für die drohende Niederlage das Prinzip Unordnung zumisst.

2. Verortungen – Ereignisräume und Erinnerungsräume

Eine zentrale Leistung solcher Darstellungen bestand in der geographischen Verortung der Schlacht.33 Denn das besondere Problem einer Seeschlacht besteht in der Regel darin, dass kein Schlachtfeld im Sinne eines durch natürliche Gegebenheiten mehr oder weniger klar umgrenzten Raumes existiert. Viele Druckgraphiken versuchten deshalb das Geschehen räumlich zu fixieren und damit die Spezifik des Ereignisses, die sich nicht zuletzt in seiner räumlichen Verortung dokumentierte, zu verdeutlichen. Dies belegen mehrere zeitgenössische Holzschnitte deutscher Provenienz, welche die Schlachtordnung in einem nur an der Südseite nicht von Inseln oder Festland umgebenen Raum anordnen, wobei rechts oben als topografisches Erkennungsmerkmal die an der Meerenge liegenden Festungen von Rio und Antirio und darüber der Ort Lepanto sichtbar werden.34

In der künstlich hergestellten Enge des Bildraumes, der von den Flotten fast völlig ausgefüllt wird, wäre eine Schlacht solchen Ausmaßes gar nicht austragbar gewesen. Tatsächlich fand die Seeschlacht südlich der Insel Oxia und westlich vom Eingang zum Golf von Patras statt. Während in einigen frühen Drucken als Ereignisort noch die Insel Curzolari oder die Echinaden genannt wurden, setzte sich schon bald die Bezeichnung »Seeschlacht von Lepanto« durch, obwohl dieser Ort mehr als siebzig Kilometer vom Schlachtgeschehen entfernt war.35 Denn Lepanto war die venezianische Bezeichnung des ehemals byzantinischen Nafpaktos, das bereits in der Antike ein wichtiger strategischer Hafen gewesen war. Im Spätmittelalter errichteten die Venezianer hier einen stark befestigten Handelsstützpunkt, der allerdings 1499 durch Bajezid II. erobert wurde. Mit der Bezeichnung der Schlacht nach diesem Ort und

33 Vgl. dazu allgemein Bernd Hüppauf, Das Schlachtfeld als Raum im Kopf. Mit einen Postscriptum

nach dem 11. September 2001, in: Steffen Martus u. a. (Hrsg.), Schlachtfelder. Codierung von Gewalt im medialen Wandel; Berlin 2003, S. 207-233. Die Seeschlacht wird hier allerdings nicht thematisiert, obwohl bei derartigen Ereignissen der Raum eine besondere Brisanz besaß.

34 So bei dem Einblattdruck von Nickel Nerlich (wie Anm. 27). Auch für diesen Druck gab es offenbar ein italienisches Vorbild, denn die Flottenaufstellung ähnelt einem allegorisch verbrämten Kupferstich zur Seeschlacht von Lepanto von Andrea Marelli von 1572. Vgl. dazu die Abbildung sowie die Beschreibung in Contant, Kruisbeeld tegen kromzwaard (wie Anm. 4), S. 401 f,.

35 Früh findet sich diese Verortung z. B. bei Martino Rota, der zwar auch von den Echinaden spricht, aber deren (in Wirklichkeit nicht gerade große) Nähe zu Naupactum betont: Martino Rota, Navalis Victoriae exemplar, qua Nonis Octobris ad scopulos Echinadum in Jonio. no longe ab oppido Naupacto. Anno ab Incarnatione Dominica. MDLXXI. Christiani in Turcas positi sunt Ducibus Siimis Princibus Marco Antonio Columna Romano, Ioanne Austriaco Caroli Quinti Imperatoris filio, et Sebastiano Venerio Nobili Veneto […], Venedig: Donato Bertelli 1572.

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dessen Abbildung im Druck meldete man nicht zuletzt Herrschaftsansprüche auf dieses Hoheitsgebiet an. Der Schlachtraum wurde somit erst durch die Medien der Erinnerungskultur unter Rückgriff auf bekannte topografische Punkte konstruiert und somit für den Betrachter erleb- und zugleich deutbar gemacht.36

Mit der starken Verengung des Raumes reagierten die Bildproduzenten auf eine weitere Besonderheit bei Seeschlachten: Der Ereignisraum weist in der Regel keinerlei topographische Binnendifferenzierung auf. Es gibt keine natürlichen oder zivilisatorischen Besonderheiten, welche ihn strukturieren oder als Maßstab für das Geschehen der Schlacht dienen könnten. Während das Gelände eines Schlachtfeldes auf dem Land zumeist auch noch lange Zeit nach dem Ende der Schlacht Spuren des Kampfes aufweist, die an diesen erinnern, reinigt sich das Schlachtfeld auf See von selbst. Überreste des Kampfes mögen eine Weile auf der Oberfläche schwimmen, sie bewegen sich jedoch mit den Meeresströmungen und sind nach kurzer Zeit dem Geschehen nicht mehr eindeutig zurechenbar. Den visuellen Darstellungen kommt somit in stärkerem Maße als bei Landschlachten eine Evidenzfunktion zu. Sie belegen, dass genau an dieser Stelle ein Kampf stattgefunden hat, obwohl davon keinerlei Spuren mehr erhalten sind.37 Dies ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil bei einer Seeschlacht ausschließlich Kombattanten oder auf jeden Fall direkt am Geschehen beteiligte Personen anwesend sind. Es gibt somit keine nichtmilitärischen Zeugen des Ereignisses.

Indem die Künstler die Schlacht in eine geographische Karte hineinprojizieren, verorten sie das Geschehen nicht nur räumlich, sondern übertragen auch den Exaktheitsanspruch des Mediums Kartographie auf das Medium Historienmalerei.38 Nicht zufällig fällt die Visualisierung der Topographie des Krieges in jenen Zeitraum, im dem die Kartographie einen starken Aufschwung erlebte. Die gesellschaftliche Verfügbarkeit von Karten förderte das Bemühen um einen geographisch exakten Blick auf das Schlachtgeschehen. Ein überzeugendes Beispiel für diese Entwicklung ist ein Fresko der Flottenordnung von Giorgio Vasari in der Sala Regia des Vatikanspalastes.39 Die geografische Verortung leistet eine in das Bild integrierte

36 Bei der häufigen Verlagerung des Ereignisses nach Osten handelt es sich nicht notwendigerweise

um eine bewusste Manipulation der Erinnerungsproduzenten. Die Künstler, welche derartige Druckvorlagen entwarfen, dürften über den tatsächlichen Ort der Schlacht selten präzise informiert gewesen sein, zumal das Kartenmaterial zu diesem Raum zumeist auch noch wenig genau war. 2007 wurde die Seeschlacht von Lepanto im heutigen Nafpaktos nachgestellt, wodurch der Erinnerungsort Lepanto tatsächlich mit dem Ereignisort dieser Seeschlacht zusammenfiel.

37 Vgl. dazu weiterführend den Sammelband von Gabriele Wimböck u. a. (Hrsg.), Evidentia. Reichweiten visueller Wahrnehmung in der Frühen Neuzeit, Münster 2007.

38 Vgl. Hüppauf, Schlachtfeld (wie Anm. 31), S. 215. 39 Vgl. dazu Angela Böck, Die Sala Regia im Vatikan als Beispiel der Selbstdarstellung des

Papsttums in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Hildesheim 1997, S. 75-81 sowie die Abbildung in ebd. S. 254. Vgl. außerdem Loren Partridge, Randolph Starn, Triumphalism and the Sala Regia in the Vatican, in: Barbara Wisch, Susan Scott Munshower (Hrsg.), »All the world's a stage ...« art and pageantry in the Renaissance and baroque, University Park/PA. 1990, S. 22-81;

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Giebelarchitektur, durch die der Betrachter auf einen Kartenausschnitt des östlichen Ionischen Meeres schaut, der im Norden bis Prevesa reicht, wodurch implizit die schmerzliche Niederlage der christlichen Flotte 1538 an diesem Ort durch den alles entscheidenden Sieg bei Lepanto 1571 ausgemerzt wird. Die geographische Erfassung des Raumes ist erstaunlich genau; Vasari muss eine sehr gute Karte vorgelegen haben, die er als Bild im Bild wiedergab. Seinen Anspruch mathematischer Genauigkeit vertritt der Künstler explizit, denn der Engel, welcher den Betrachter auf die Karte hinweist, trägt Zirkel und Winkel in der Hand.40

Dieses Motiv erscheint wie eine visuelle Replik auf die Aussage Jan Vermeyens auf der ersten Tapisserie zum Tunisfeldzug Karls V. 1535:

Und da es zum besseren Verständnis ratsam ist, von den Regionen und Provinzen Kenntnis zu haben, in denen diese Ereignisse stattfanden und die Vorbereitungen getroffen wurden, wird die in diesem Werk so der Natur entsprechend behandelt, daß nichts, was die Kosmographie betrifft, zu wünschen übrigbleibt, weder an den Küsten und Grenzen Afrikas, noch an denen Europas. Ihre Gestalt wird mit ihren wichtigsten Häfen, Buchten, Inseln und Winden in denselben Distanzen gezeigt, in denen sie sich befinden. Dabei wurde weitaus mehr Wert auf die Präzision ihrer Lage, als auf die Erfordernisse der Malerei gelegt.41

Die zunehmende Vermessung der bekannten Welt förderte offenbar das Bedürfnis nach einer Vermessung der Schlacht im Sinne ihrer Verortung in geographischen Räumen, die zumindest einem Teil der Rezipienten bekannt vorkamen.42 In einer möglichst genauen Information des Betrachters über den Ereignisort geht die Funktion der Karte in Vasaris Fresko allerdings nicht auf. Denn im Verlauf der Frühen Neuzeit wurden die vermeintliche Präzision und Objektivität der Kartographie zum demonstrativen Abzeichen von Herrschaftsansprüchen, zum gern gewählten Attribut der Herrschaftsrepräsentation politischer Machthaber.43 Dabei vermitteln

Anna Maria de Strobel, Fabrizio Mancinelli, La Sala Regia e la Sala Ducale, in: II Palazzo Apostolico Vaticano. Florenz 1992, S. 73-79; allgemein auch Herwarth Röttgen, Zeitgeschichtliche Bildprogramme der katholischen Restauration unter Gregor XIII. 1575-1585, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Künste XXVI (1975), S. 89-122, hier S. 96. Pius V. ließ eine Medaille mit demselben Motiv anfertigen.

40 Das Bemühen, Exaktheit in der Darstellung von Akteuren, Waffen und Schiffen zu erreichen, ist durch den Briefwechsel Vasaris dokumentiert, der sich unter anderem aus Venedig Zeichnungen mit venezianischen Galeeren bzw. Galeassen und offenbar auch einen Plan der Schlacht kommen ließ. Nachweiß bei Böck, Sala Regia (wie Anm. 37), S. 184, Anm. 375.

41 Zit. nach Wolfgang Brassat, Das Historienbild im Zeitalter der Eloquenz. Von Raffael bis Le Brun, Berlin 2003, S. 317. Die dort befindlichen spanischen Einfügungen im Zitat wurden hier weggelassen.

42 Dazu weiterführend John H. Pryor, Geography, Technology, and War: Studies in the Maritime History of the Mediterranean, 649-1571, Cambrigde 1987.

43 Dies ist auch eine zentrale Aussage der Kartengalerie im Vatikan, die u. a. ein Fresko von Ignazio Danti enthält, das ebenfalls die übliche Schlachtordnung abbildet. Das Hochformat zeigt im oberen Teil eine Ansicht der Insel Corfu und im unteren die Schlachtordnung. Es befindet sich gemeinsam mit einer Darstellung der gescheiterten Belagerung Maltas durch die Türken von 1565 an einer

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kartographische Darstellungen dieser Art nicht zuletzt Herrschaftswissen. So betonte bereits Thomas Elyot:

Mittels des Konterfeiens oder Malens nun kann ein Kriegesmann das Land seines Gegners darstellen; dadurch kann er gefährliche Wege mit Heer und Flotte vermeiden. Auch kennt er günstige Stellen und die Form der Schlachtordnung seiner Feinde, wie unter dem Gesichtspunkt größter Sicherheit den Platz für sein Lager und Stärker oder Schwächte der Festung, die er angreifen will.44

Bei Vasari gehen somit Landschaftsmalerei, Kartographie und Schlachtenplan eine Synthese ein, um den nicht nur durch die Türken in diesem geographischen Raum bestrittenen Autoritätsanspruch des Papsttums überzeugend zu demonstrieren und durch die allegorische Verbrämung der Darstellung zugleich zu legitimieren.

Die Flottenordnung erscheint im Mittel- und Hintergrund der Darstellung, während im Vordergrund links (in der Logik des Bildes rechts) in einträchtiger Verbundenheit drei weibliche Personifikationen Spaniens (mit Krone und Adlerwappenschild), Venedigs (mit Hermelinmantel, Dogenmütze und Markuslöwe) sowie des Papsttums (mit Tiara, Kreuzesstrab, Schlüssel und Lamm Christi) stehen.45 Sie verkörpern keine Personen, sondern Institutionen und Herrschaftsbereiche, wodurch ein überzeitlicher Geltungsanspruch dieses Bildes formuliert wird. Das Papsttum erscheint als Stifter des ihm vom Heiligen Geist eingeflüsterten Bündnisses der Heiligen Liga und als Stifter aller weltlichen Ordnung überhaupt, nicht zuletzt der diese widerspiegelnden Flottenordnung. Die Personifikationen der rechten (linken) Seite, welche als Seite der Verdammten der türkischen Flotte zugeordnet ist, verkörpern dagegen Tod, Furcht und Schwäche, welche durch ihre ausdrucksstarken Gebärden betont werden. Aus ihren Helmen lugen Hasen und Ratten, während zwei Putti weitere niedere Tiere aus einer

Schmalseite der Galerie, deren Gesamtkonzeption ebenfalls die Inszenierung des Triumphes der »Ecclesia militans« ist. Durch die Parallelisierung der Ereignisse von Lepanto und Malta wird allerdings die historische Bedeutung Lepantos eher relativiert. Vgl. Fenlon, Ceremonial City (wie Anm. 3), S. 301 f.; allgemein John B. Harley, Deconstructing the Map, in: Trevor J. Barnes, James S. Duncan (Hrsg.), Writing Worlds: Discourse, Text and Metaphor in the Representation of Landscape, London 1992, S. 231-247; Doreen Massey, John Allen (Hrsg.), Geographical Worlds, Oxford 1995; Denis Wood, The Power of Maps, New York 1992; Jürg Glauser (Hrsg.), Text, Bild, Karte. Kartographien der Vormoderne, Freiburg/Brsg. 2007; Tanja Michalsky u. a. (Hrsg.), Aufsicht – Ansicht – Einsicht. Neue Perspektiven auf die Kartographie an der Schwelle zur Frühen Neuzeit, Berlin 2009.

44 Zit. nach Nils Büttner, Die Erfindung der Landschaft. Kosmographie und Landschaftskunst im Zeitalter Bruegels, Göttingen 2000, S. 469; vgl. für das 18. Jahrhundert auch Uta Lindgren, Schlachtenpläne und Kartographie im 18. Jahrhundert: Das Beispiel Hastenbeck (1757), in: dies. (Hrsg.), Sine ira et studio: Militärhistorische Studien zur Erinnerung an Hans Schmidt, Kallmünz 2001, S. 127-154.

45 Das British Museum besitzt eine Medaille von Giovanni Antonio Rossi mit demselben Motiv aus dem Jahr 1570, s. die Abb. in: Fenlon, Ceremonial City (wie Anm. 3), S. 170.

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Amphora über ihnen entleeren.46 Damit wird der Ausgang der Schlacht implizit vorweggenommen und das Handeln der Beteiligten moralisierend kommentiert.

Der Lepanto-Zyklus in der Sala Regia kann als die bis dato schnellste Umsetzung eines aktuellen Ereignisses in dieser Größenordnung und in einem derart repräsentativen Ambiente betrachtet werden, die sich erhalten hat.47 Spätestens im Dezember 1571 beauftragte Papst Pius V. Vasari mit der Anfertigung von drei großformatigen Fresken über die Seeschlacht von Lepanto. Die Thematik dieses Zyklus’ reiht sich ein in eine Gesamtkonzeption, mit welcher Pius V. und sein Nachfolger Gregor XIII., unter dem die Ausmalung der Sala Regia fertig gestellt wurde, entscheidende Wendepunkte in der Geschichte von Papsttum und Christenheit memorieren und künstlerisch feiern wollten.48 Geplant waren zunächst die Darstellung der Flottenformation, des Enterkampfes und der Übergabe des Kreuzesbanners durch Pius V. an Don Juan d’Austria im Vorfeld der Schlacht.49 Ausgeführt wurden nur die beiden ersten Szenen, wobei die Darstellung der Schlacht dem Fresco Andrea Vicentinos in der Sala dello Scrutinio des Dogenpalastes in Venedig ähnelt, der sich seinerseits schon an einem verbrannten Vorgängerbild Tintorettos an derselben Stelle orientiert hatte.50 Bereits im Februar 1572 hatte Vasari den Karton für das Fresko der Flottenschau fertig gestellt.

Abweichend von anderen Schlachtenbildern im Vatikanspalast, so in den Stanzen des Raphael, wird hier Zeitgeschichte dargestellt. Dies zeigt die hohe Bedeutung, welche die Päpste dieser Seeschlacht als einer überzeugenden Manifestation der durch Gottes Hilfe siegreichen katholischen Kirche im Zeitalter der Gegenreformation

46 Vgl. Böck, Sala Regia (wie Anm. 37), S. 78. 47 Ebenso schnell hatte die Serenissima diesen Sieg durch das 1572 fertig gestellte, großformatige

Ölgemälde Jacopos Tintorettos zur Seeschlacht von Lepanto in der Sala dello Scrutinio des Dogenpalastes feiern lassen. Das Werk verbrannte jedoch bereits 1577. Vgl. dazu Contant, Kruisbeeld tegen kromzwaard (wie Anm. 4), S. 310.

48 Dargestellt sind neben der Seeschlacht von Lepanto die Eroberung von Tunis durch Karl V. 1535 (südliche Schmalseite des Raumes), die Versöhnung zwischen Kaiser Friedrich Barbarossa und Papst Alexander III. sowie die Rückführung des Heiligen Stuhls von Avignon nach Rom durch Gregor XI. (beide östliche Längsseite) und die Bartholomäusnacht von 1572 (nördliche Schmalseite, wo der Thron des Papstes stand, und das erste Bildfeld der westlichen Längsseite, dessen zwei übrige Bildfelder von der Seeschlacht von Lepanto eingenommen werden).

49 Ein Entwurf der Szene mit der Standartenübergabe, welche eigentlich durch Kardinal Granvella am 14. August in Neapel geschah, ist erhalten. Abb. in: Gianni Carlo Sciolla (Hrsg.), Da Leonardo a Rembrandt: Disegni della Biblioteca Reale di Torino: Atti del Convegno Internazionale di Studi, Turin 1991, S. 132, Abb. 52; Fenlon, Ceremonial City (wie Anm. 3), S. 171 f. Auf diese Weise sollte nicht nur an Pius V. als Initiator des Feldzuges, sondern mit der In Hoc signo vinces Episode auch die im Vorfeld der Schlacht von Lepanto instrumentalisierte Erinnerung an die Schlacht an der Milvischen Brücke verbildlicht werden. Vgl. dazu die motivisch ähnlichen Medaillen bei Fenlon, Ceremonial City (wie Anm. 3), S. 171, sowie das Marmorrelief am Grabmahl Papst Pius V. in Sta. Maria Maggiore in Rom.

50 Vgl. dazu mit weiterführender Literatur Contant, Kruisbeeld tegen kromzwaard (wie Anm. 4), S. 310 f.

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beimaßen.51 Wie bei einer Militärparade zielt die Darstellung der Schlachtordnung auf die Visualisierung der militärischen Potenz des Papsttums, welches ihren geistlichen und weltlichen Herrschaftsanspruch mit Waffengewalt und der Hilfe mächtiger militärischer Verbündeter durchzusetzen weiß. Dass sich diese Botschaft auch an die Adresse der Reformkonfessionen richtete, zeigt die Tatsache, dass mit den drei Szenen der Bartholomäusnacht kurz danach ein weiteres Ereignis der Zeitgeschichte in der Sala Regia verbildlicht wurde, in dem die den Protestanten zuvor an dieser Stelle nur implizit angedrohte militärische Gewalt exemplarisch realisiert wurde.52

Durch die Einbeziehung dieses Raumes in das päpstliche Zeremoniell gewann die Erinnerung an Lepanto eine performative Qualität. Durch die Sala Regia zogen zum Beispiel die Kardinäle in das Wahlkonklave. Gerade im fragilen Schwellenzustand des Herrschaftswechsels wurde ihnen der Suprematieanspruch des Papsttums über alle anderen irdischern Herrschaftsträger, der die Gesamtkonzeption des Raumes prägt, anhand historischer Exempla der jüngeren Vergangenheit, darunter Lepanto, ostentativ vor Augen geführt. Hier empfing der Papst die diplomatischen Gesandten auswärtiger Herrschaftsträger. Hier konnte er mit Gesten oder Blicken einzelne, im Raum gezeigte Szenen in den diplomatischen Kommunikationsprozess einbeziehen – und auf diese Weise implizit Argumente formulieren, die explizit besser ungesagt blieben. Für die auswärtigen Besucher bestimmte auf diese Weise nicht zuletzt die Art ihres Empfanges durch den Papst die Formen, in denen die Erinnerung an diese Seeschlacht in ihrem Gedächtnis während der eigenen Anwesenheit in diesem Raum aktualisiert wurde.

Aber nicht nur die Päpste gaben repräsentative Bildzyklen in Auftrag, um die eigene Rolle bei diesem Ereignis der Nachwelt zu überliefern. So ließ der Befehlshaber des linken Flügels der Liga, Gian Andrea Doria, nach 1580 für seinen Stadtpalast in Genua sechs Tapisserien zu diesem Ereignis anfertigen.53 Die

51 Gregor XIII. ließ allerdings gegenüber dem französischen Botschafter verlauten, dass ihm die

Bartholomäusnacht wichtiger erscheine als fünfzig Seeschlachten von Lepanto, dennoch hielt er an Darstellung der Thematik in der Sala Regia fest, wenn auch in reduziertem Umfang. Böck, Sala Regia (wie Anm. 37), S. 84.

52 Vgl. dazu ebd., S. 83-92. 53 Dazu ausführlich Laura Stagno, Le »Tapessarie dell'Armata« disegnate da Luca Cambiaso, gli

arazzi della »Battaglia di Lepanto« per Giovanni Andrea I Doria, in: Lauro Magnani e Giorgio Rossini (Hrsg.), La »Maniera« di Luca Cambiaso: confronti, spazio decorativo, tecniche, Genua 2008; vgl. auch die Abbildung in ebd., Tafel XI-XIII. 1581-1582; außerdem Contant, Kruisbeeld tegen kromzwaard (wie Anm. 4), S. 424-428. Ein weiteres Beispiel für eine solche Serie ist eine Deckenausmalung im Palazzo Angelo Giovanni und Giulio Spinola in Genua. Giulio Spinola, der als Kommandant einer Galeere an der Seeschlacht von Lepanto teilgenommen hatte, ließ die Szenen zwischen 1592 und 1594 durch Lazzaro Calvi und seine Schüler ausführen. Gezeigt werden insgesamt fünf Szenen: die Ausfahrt der christlichen Flotte aus dem Hafen von Messina oben, ihre Reise entlang der Küste von Kalabrien links, die Schlacht selbst unten und der Sieg der Christen samt der Flucht der sieben türkischen Galeeren rechts. Das Zentrum dieses Zyklus bildet jedoch die Schlachtordnung in der Mitte der Decke, deren Format auch deutlich größer ausfällt als das der anderen Szenen oder das der in das Gesamtensemble integrierten acht Tugenden. Contant gibt

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Schlachtordnung stellt hier nur eine Szene aus einer ganzen Serie dar, die sich als geknüpftes Kriegstheater in eine lange Tradition historischer Ereignisbildserien im damaligen Leitmedium der Tapisserie einordnet.54 Die 1591 aus Brüssel gelieferten Teppiche wurden nach Vorlagen der beiden wichtigsten genuesischen Künstler des späten 16. Jahrhunderts, Luca Cambiaso und Lazzaro Calvi, geschaffen.55 Sie zeigen die Abreise der christlichen Flotte am 16. September 1571 aus dem Hafen von Messina, deren Fahrt an der Küste von Kalabrien durch die Straße von Otranto, die Schlachtordnung, den Enterkampf, die geschlagene türkische Flotte und schließlich die Rückkehr der siegreichen christlichen Flotte nach Korfu. Ergänzt werden die Szenen durch zwei flankierende Tugenden, so im Kontext der Schlachtordnung Spes und Prudentia, womit sowohl auf die Siegeshoffnungen zu Beginn als auch auf die Klugheit der beteiligten Feldherrn, in diesem Fall besonders Gian Andrea Dorias, verwiesen werden sollte.56

Mit der demonstrativen Selbstinszenierung als Türkensieger wollte Gian Andrea Doria sicher nicht zuletzt den mehrfachen Anschuldigungen von päpstlicher und venezianischer Seite entgegentreten, er habe durch die Verlagerung seines Schiffsverbandes nach Süden dem linken Flügel der türkischen Flotte unter dem aus Kalabrien stammenden Renegaten Uluç Ali das Durchbrechen durch die christliche Linie ermöglicht. Denn dieser konnte dadurch angeblich von der Seite das christliche Zentrum angreifen und nach der Niederlage mit einigen Galeeren fliehen.57 Diese Vorwürfe erschienen umso schmerzlicher, da sie eigentlich unberechtigt waren. Da sich Doria im Unterschied zu den anderen beiden christlichen Flottenabschnitten einer deutlichen Übermacht von türkischen Schiffen gegenübersah, wäre er auf jeden Fall

sechs Darstellungen bei dieser Serie an, schreibt sie Cristoforo Grassi zu und datiert sie 1572-1585. In diesem Fall würde das Deckenfresko den Tapisserien Gian Andrea Dorias vorausgehen, was aber nicht wahrscheinlich ist, vgl. ebd., S. 422-424. Vgl. hier auch die beiden Fresken mit einer Darstellung der Flottenaufstellung und des Enterkampfes im Palazzo Lodron in Trient, ebd., S. 439.

54 Vgl. dazu allgemein Wolfgang Brassat, Tapisserien und Politik. Funktionen, Kontexte und Rezeption eines repräsentativen Mediums, Berlin 1992; Roger-A. d́Hulst, Flämische Bildteppiche des XIV. bis XVIII. Jahrhunderts, Brüssel 1961.

55 Die Teppiche, für die auch Ölskizzen und Kartonentwürfe überliefert sind, hängen heute noch an Ort und Stelle im Salone nel Naufragio der Villa del Principe in Genua. Der größte dieser Wandteppiche ist 415x500 cm groß. Zu dieser Serie gehören außerdem zwei schmale hochformatige Teppiche mit Darstellungen der Roma und der Venezia. Für die Personifikation Spaniens existiert ein Entwurf. Vgl. dazu auch Contant, Kruisbeeld tegen kromzwaard (wie Anm. 4), S. 424-426, welche zudem zwei nicht erhaltene Teppiche mit Wappenemblemen nennt. Cambiaso schuf außerdem zwischen 1581-82 einen Zyklus mit sechs großformatigen Ölgemälden zu denselben Teilakten der Schlacht, der allerdings im Detail gelegentlich abweicht, so durch die Einfügung von Tugenden im oberen Teil der Darstellung. Der Zyklus befindet sich heute im Klostergang des Klosters El Escorial. Möglicherweise handelt es sich um ein Geschenk Gian Andrea Dorias an Philipp II.

56 Im oberen Teil des Wandteppichs verweist der durch Putti gehaltene habsburgische Adlerschild auf den Dienstherrn Gian Andrea Dorias.

57 Als Anerkennung für diese Leistung wurde Uluç Ali von Sultan Selim II. zum nächsten Oberbefehlshaber der osmanischen Flotte ernannt.

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überrundet worden, ob nun im Süden oder Norden, zumal ihm die in seinem Kontingent befindlichen Venezianer auch noch zu allem Überfluss die Gefolgschaft verweigerten.58

Gerade durch die Darstellung der Flottenaufstellung hätte dieser Auftraggeber allen Anschuldigungen entgegentreten können, indem er den türkischen Flottenverband im Süden der Überlieferung entsprechend umfangreicher und die ihm zugeordneten beiden venezianischen Galeassen nicht vor, sondern hinter der eigenen Linie hätte darstellen lassen. Die Aufgabe dieser Großkampfschiffe war es nämlich gewesen, durch ihr massives Kanonenfeuer die türkische Flottenlinie entscheidend zu lichten, bevor diese im Nahkampf die christlichen Schiffe erreichte. Dies gelang auch, nur erreichten ausgerechnet jene beiden Galeassen, die Doria zugeteilt worden waren, das Schlachtfeld deutlich zu spät, so dass sie gar nicht mehr in den Kampf eingreifen konnten. Trotzdem ließ Doria bei dem von ihm selbst in Auftrag gegebenen Lepanto-Zyklus die übliche Form der Darstellung beibehalten. Die Ästhetik der symmetrisch arrangierten Schlachtordnung erschien diesem Feldherrn offenbar wichtiger als eine Rechtfertigung seines militärischen Agierens.59

3. Nachwirkungen – Die Erinnerung der Erinnerungen

Die Darstellung der Schlachtordnung mit ihrer als spezifisch für dieses Ereignis begriffenen Struktur erwies sich langfristig für die gesellschaftliche Wahrnehmung als ungemein prägend. So heißt es bei Joseph von Hammer-Purgstall, einem ausgezeichneten Kenner der osmanischen Geschichte:

Eine Weile lang betrachteten sich die beyden Flotten, die christlichen über zweyhundert, die türkische gegen dreyhundert Segel stark, mit gegenseitiger Bewunderung. Den Türken blitzten die im hellen Sonnenscheine funkelnden Helme, Panzer und Schilder von geglättetem Stahl in die Augen; die Verbündeten bestaunten die vielfältigen und lebhaften Farben der Schiffe und der Rüstungen, die goldenen Fanale. die purpurnen Fahnen mit den goldenen und silbernen Inschriften, die Flaggen der türkischen Capitana, Patrona und Reale, mit dem zweyschneidigen Schwerte Ali’s, mit Stern und Monde, mit dem verschlungenen Nahmenszuge des Sultans.60

Was der Autor hier beschreibt, ist nicht der Ablauf der Schlacht – es ist ein Bild, das die Zeitgenossen so ganz sicher nicht gesehen haben. Denn diesen Moment einer Versenkung in die Ästhetik der Flottenaufstellung, wie sie besonders eindrücklich Vasaris Fresko verbildlicht, gab es nicht. Außerdem waren die Flotten, anders als auf

58 Vgl. Bicheno, Crescent (wie Anm. 2), S. 253. 59 Nur im oberen Teil der Flotte hat sich die Schlachtordnung als Zeichen für den bereits begonnen

Kampf schon gelichtet. 60 Joseph von Hammer-Purgstall, Geschichte des osmanischen Reiches, Bd. III: Vom

Regierungsantritte Suleiman des Ersten bis zum Tode Selim’s III. (1520-1574), Wien 1828, S. 595.

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den zeitgenössischen Darstellungen des Ereignisses anfangs zu weit von einander entfernt, um derartige Details wahrnehmen zu können.

Der oben beschriebene Bildtypus der Flottenordnung, welcher in den folgenden Jahrhunderten auch durch Werke der Fachliteratur wie Joseph Furttenbachs Architectura Navalis tradiert wurde, prägt in hohem Maße noch historiographische Darstellungen der Gegenwart.61 Kaum eine aus der Masse der in jüngerer Zeit erschienenen historischen Studien, die sich dem Ereignis Lepanto wissenschaftlich oder auch populärwissenschaftlich nähern, kommt ohne ein Schema des Schlachtplanes aus, das die Ordnung der Flottenabschnitte allerdings nun reduziert in Form einzelner Blöcke und nicht mehr als Reihung erkennbarer Schiffe wiedergibt, obwohl derartige Darstellungen für sich genommen wenig erklären.62

Abb. 6 Abb. 7

Eine besondere Rolle spielen solche Schemata in der traditionellen Militärgeschichte (Abb. 6), deren Vertreter generell dazu neigen, die Ausgangslage und das Kampfgeschehen bei großen Schlachten zu visualisieren, wobei ihnen häufig

61 Joseph Furttenbach, Architectura Navalis (wie Anm. 19), Kupferstiche 19 und 20. 62 So bei Capponi, Victory (wie Anm. 2), Tafel XXI; Bicheno, Crescent (wie Anm. 2), S. 252 und

260; Konstam, Lepanto (wie Anm. 25), Cover Rückseite. Auch im Internet finden sich zahlreiche Visualisierungsversuche dieser Art. Vgl. z.B. http://www.emersonkent.com/images/lepanto.jpg; : http://tlukovic.de/Neue_Dateien/battle_of_lepanto4.gif; http://www.conservapedia.com/images/ thumb/c/c3/Lepanto1.jpg/330px-Lepanto1.jpg (alle Websites zuletzt eingesehen am 15.06.2010).

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zeitgenössische Abbildungen als Quelle dienen.63 Das hier abgebildete Beispiel zeigt die übliche Konstellation der in drei Glieder aufgeteilten Flotten, wobei nur hinter der türkischen Flotte eine Reserveeinheit angeordnet ist und die beiden zu spät am Kampfort eingetroffenen venezianischen Galeassen nun hinter dem rechten Flügel Gian Andrea Dorias erscheinen. Obwohl der amerikanische Militärhistoriker John Francis Guilmartin den Galeerenkrieg als chancy business kennzeichnet und einräumt, dass der zeitliche Beginn der Schlacht für beide Seiten überraschend kam, geht er von einer weitgehenden Umsetzung des auch bei ihm abgebildeten Schlachtplanes (Abb. 7) aus, auf dem mit Hilfe von Pfeilen die Flottenbewegungen in der ersten Phase des Kampfes dargestellt werden.64

Den Sieg schreibt Guilmartin deshalb primär der strategischen Überlegenheit der Heiligen Liga zu.65 Dabei hatte diese offenbar in mehrfacher Hinsicht einfach Glück. In der wichtigen Phase der Annäherung beider Flotten legte sich nach zeitgenössischen Berichten nämlich plötzlich der bis dato wehende Ostwind. Dadurch wurde die Geschwindigkeit der osmanischen Flotte verringert und diese viel länger dem verheerenden Kanonenfeuer der Liga ausgesetzt, welche ohnehin über die zweieinhalbfache Anzahl an Kanonen verfügte. Während Don Juan von vornherein auf einen Distanzkampf gesetzt hatte, zielte die Strategie seines Gegenübers Ali Pascha auf den Enterkampf, dazu kam dieser aber erst, nachdem seine Flotte bereits reduziert worden war. Außerdem wurde der osmanische Oberbefehlshaber auf dem Höhepunkt der Schlacht von einer Musketenkugel getroffen – ein Ereignis, welches weite Teile der türkischen Flotte paralysierte und somit den Schlachtausgang in wesentlichem Maße mitbestimmte.66 Als Belege für seine These einer strategischen Überlegenheit der Liga zieht Guilmartin offizielle Berichte heran, so den Rechenschaftsbericht, welchen der venezianische »Capitano del Mar« Sebastiano Venier am 29. Dezember 1571 vor der Serenissima

63 William O. Stevens, Allan Westcott, A History of Sea Power, Garden City/NY, 1929, S. 125; vgl.

auch Elmar B. Potter, Chester Nimitz, Seemacht – Eine Seekriegsgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, Herrsching 1982, S. 29; Helmut Pemsel, Von Salamis bis Okinawa; Seeschlachten von der Antike bis zur Gegenwart, München 1975, S. 63.

64 To a surprising extent the battle went according to plan – a particularly remarkable outcome given that it was a surprise encounter […]. Guilmartin, Gunpowder (wie Anm. 2), S. 246, Schlachtplan, S. 247.

65 Vgl. ebd., S. 250. 66 Da eine derartige Schusswaffe in diesem Zeitraum noch keine hohe Treffgenauigkeit besaß, schon

gar nicht, wenn sie auf einem schwankenden Schiff abgefeuert wurde, kann auch diese Tatsache kaum als taktische Meisterleistung dargestellt werden. Der vielfach gelobte Oberbefehlshaber Don Juan d’Austria, der seine königliche Galeere kurz zuvor in eine aussichtslose Lage manövriert hatte und beinahe geentert worden wäre, konnte hingegen gerade noch durch das Eingreifen Marcantonio Colonnas gerettet werden. Dagegen wird der mangelnde Erfolg Gian Andrea Dorias damit begründet, dass dieser seinem unmittelbaren Gegenspieler Uluç Ali einfach taktisch unterlegen gewesen wäre. Ebd., S. 249.

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hielt.67 Das es sich bei dieser Quelle vor allem um ein Medium der Selbstdarstellung eines Feldherrn handelt, der erst kurz zuvor in dieses Amt berufen worden war und seine Fähigkeit auf diesem Gebiet erst beweisen musste, wird nicht problematisiert. Dass die Inszenierung Sebastiano Veniers als Sieger von Lepanto ausgesprochen erfolgreich war, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass dieser 1577 der nächste Doge wurde. Besonderes Lob erhält allerdings nicht Venier, sondern Don Juan d’Austria, dessen taktische Genialität auch ältere militärhistorische Darstellungen rühmen. Wie heißt es bei Hans Delbrück treffend: Die bequemste Art dem Publikum das Genie des Feldherrn einleuchtend zu machen, ist immer, ihm zu zeigen, wie es alles vorausgesehen und vorausbestimmt hat.69 Diese Botschaft wurde durch die Semantik der Flottenaufstellung in ihrer Qualität als Schlagbild visuell bestärkt.

Schluss

Die vorliegende Beitrag demonstriert, in welcher Weise sich ein bestimmter Bildtypus im Rahmen der Erinnerungskultur der Seeschlacht von Lepanto zu einem visuellen Topos entwickelte, der oft stellvertretend für das gesamte Ereignis mit seinen vielfältigen, über diese konkrete militärische Auseinandersetzung hinausweisenden Bedeutungsdimensionen stehen sollte. Dabei war die in den zeitgenössischen Druckwerken und in anderen Medien der Erinnerungskultur wiedergegebene Schlachtordnung keineswegs spezifisch für die Seeschlacht von Lepanto gewesen, denn sie wird schon für die Seeschlachten der Antike beschrieben. Sie kann nicht einmal als typisch für Seeschlachten allgemein betrachtet werden, denn auch die Heeresaufstellung bei Landschlachten wies traditionell eine meist ähnliche Anordnung mit einem verstärkten Zentrum und zwei Flügeln auf.70 Weshalb aber verband sich dann gerade diese Erinnerungsfigur in der gesellschaftlichen Wahrnehmung mit dem Ereignis von Lepanto? Und warum lässt sich dies in besonders starkem Maße im Rahmen militärischer Erinnerungskulturen im oben definierten Sinne beobachten?

Während Altarbilder, Dankprozessionen, religiöse Feste wie das Rosenkranzfest und andere religiöse Praktiken, welche die Erinnerung an diesen Sieg der Christenheit über die »Heiden« im Gedächtnis bestimmter sozialer Gruppen oder städtischer bzw. ländlicher Gesellschaften zu bewahren suchten, den Ausgang der Schlacht vor allem dem Eingreifen Gottes zuschrieben, den Fürbitten Marias und der Heiligen zugunsten der bedrohten Christen, erschien dieses Deutungsmuster den beteiligten militärischen Befehlshabern sowie späteren Vertretern dieses Berufsstandes offenbar als weniger

67 Ebd., S. 246. Vgl. dazu auch Fenlon, Ceremonial City (wie Anm. 3), S. 177. 69 Hans Delbrück, Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte, Tl. 1: Das

Altertum. Von den Perserkriegen bis Caesar, Berlin 2000 (zuerst Berlin 1900) S. 252. 70 Guilmartin, Gunpowder (wie Anm. 2), S. 241.

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befriedigend, denn wenn allein Gott den Ausgang der Schlacht bestimmt hatte, dann minderte dies letztlich die Bedeutung, welche der eigenen Leistung für den erreichten Sieg zugeschrieben werden konnte. Admiräle und Galeerenkommandanten versuchten deshalb, ihre strategisch-taktische Kompetenz als Ursache des Sieges herauszustellen. Hierzu eignete sich die Darstellung der Flottenaufstellung in besonderem Maße, zumal diese eine genaue räumliche Verortung der Schlacht ermöglichte und in ihren ästhetischen Dimensionen durchaus auch religiös deutbare Semantiken inkorporierte.

Anders als bei Landschlachten, deren visuelle Repräsentation der kartographische Blick bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu prägen vermochte, war dies bei Seeschlachten in dieser Phase noch nicht der Fall. Überhaupt konnten Künstler bei dieser Thematik zunächst auf wenige Vorbilder zurückgreifen. Darstellungen antiker oder mittelalterlicher Seeschlachten wie jene der Seeschlacht von Ostia im Jahr 849 in den Stanzen des Papstpalastes sowie solche auf Tapisserien oder in Chroniken erwiesen sich als Inspirationsquelle meist wenig tauglich. Dies gilt auch für das heute in der Galleria Doria-Phamphili in Rom befindliche Gemälde mit einem Seegefecht gegen die Türken im Golf von Neapel 1558 von Pieter Bruegel d. Ä., entstanden um 1560 und damit zeitlich und thematisch einschlägig.71 Allerdings bildete Bruegel nur einzelne Abwehrgefechte gegen kleinere türkische Schiffsverbände ab – und keine Seeschlacht im eigentlichen Sinne. Die Hochzeit der Darstellung von Seeschlachten setzte vielmehr erst im 17. Jahrhundert ein und damit in einer historischen Phase, als sich die Seekriegsführung bereits entscheidend verändert hatte.

Lepanto war die letzte Seeschlacht, welche mit geruderten Galeeren ausgetragen wurde. Lepanto war damit auch die letzte Schlacht, in welcher die in den Erinnerungsmedien fixierte Flottenaufstellung überhaupt einen Sinn ergab. Das heißt, genau in dem Moment, in dem der militärstrategische Blick die Formen der Visualisierung von Seeschlachten zu prägen begann, war diese Art der Seekriegsführung auch schon historisch überholt. Da mit Lepanto die Tradition der antiken Seeschlachttaktik endete, brach auch die in diesem Kontext erst neu entwickelte Darstellungsform der Schlachtordnung ab. Genau deshalb wurde sie zum Gesicht gerade dieser Seeschlacht, zu einem besonders durch Druckgraphiken tradierten visuellen Topos, während spätere Seekriege andere Repräsentationsformen zeitigen sollten, die auf anderen Darstellungsprinzipien basierten und den Rezipienten dadurch auch andere Interpretationsmuster nahelegten. Die Darstellung des chaotischen Kampfgeschehens in der Nahsicht, wie sie sich vielfach auf Ölgemälden der Seeschlacht von Lepanto findet, konnte diese Rolle nicht ausfüllen, da ähnliche Bildmotive auch für die Erinnerung an andere Seeschlachten instrumentalisiert wurden und somit keine eindeutige Zuschreibung an das Ereignis Lepanto erlaubten.

71 Vgl. die Abbildung in: Bicheno, Crescent (wie Anm. 2), S. 4.

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Abbildungsnachweis

Abb. 1: Fenlon, Ceremonial City, S. 264; Abb. 2: Philippe Masson, Histoire de la Marine, Paris 1992, 2 Bde., Bd. 1, S. 135; Abb. 3: Harms, Deutsche illustrierte Flugblätter, Bd. IV, S. 93; Abb. 4: Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Hrsg.), Im Lichte des Halbmonds. Das Abendland und der türkische Orient, Albertinum, 20. August bis 12. November 1995 und Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 15. Dezember 1995 bis 17. März 1996, Dresden 1995; Nr. 8; Abb. 5: Contant, Kruisbeeld tegen kromzwaard, S. 421; 5; Abb. 6: Stevens / Westcott, Sea Power, S. 125; Abb. 7: Guilmartin, Gunpowder, S. 247 (Ausschnitt).