Lernen, Walter Edelmann (4); Funk-Kolleg … · Persönlichkeit durch Aneignung der menschlichen...
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Lernen, Lehren, Wissen
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Lernen, Walter Edelmann (4); Funk-Kolleg Pädagogisc he Psychologie, F.E. Weinert (24)
Lehren, Renkel (17); Training, Stadler & Strobel (2 3); Unterweisung, Stadler & Strobel (22)
Päd. Psych. Unterricht, Wild & Möller (12)
Wissen, Reinmann-Rothmeier und Mandl (15); Wissense rwerb, Renkl (18)
Fähigkeiten, Sonntag (20); Selbstregulation (11) L andmann, Perels, Otto und Schmitz
(4) Der Lernbegriff
Pädagogische Interaktion oder unmittelbare Erfahrung: In der Umgangssprache wird der Begriff des Lernens
besonders im Zusammenhang mit der Schule gebraucht oder auch der Erwerb bestimmter sozialer Um-
gangsformen wird in diesem Verständnis gelernt.
Im Mittelpunkt dieser Auffassung von Lernen steht die pädagogische Situation. Prototypen sind der vom
Lehrer organisierte Unterricht und die erziehenden Eltern.
Der psychologische Lernbegriff: hier sprechen wir auch vom Lernen von Angst und Sicherheit, vom Er-
werb von Vorlieben und Abneigungen, der Ausbildung von Gewohnheiten, der Befähigung zu planvollem
Handeln und problemlösendem Denken. Ein solches Lernen findet im Alltag außerordentlich häufig statt.
Gemeinsames Merkmal aller Lernprozesse ist die (unmittelbare oder sozial vermittelte) Erfahrungsbildung .
Von Lernprozessen abzuheben sind die weitgehend durch Vererbung festgelegten und im Verlauf der Rei-
fung auftretenden Verhaltensmöglichkeiten.
Außensteuerung und Innensteuerung: Der Zusammenhang zwischen Person und Umwelt ist am besten als
Interaktion (Wechselwirkung) aufzufassen. Menschliche Aktivität kann sich entweder mehr auf Anpassung
an die Umwelt oder mehr auf aktive Gestaltung der Umwelt beziehen.
• Außensteuerung des Verhaltens: das Verhalten wird in starkem Maße durch Umweltreize kontrol-
liert.
• Innensteuerung des Verhaltens: beim kognitiven Lernen geht die Aktivität schwerpunktmäßig von
der Person aus
Es erscheint vorteilhaft, im Zusammenhang mit Lernen nicht mehr von Anpassung, sondern von Auseinan-
dersetzung mit der Umwelt zu sprechen. Im Zuge dieser mehr außen- oder mehr innengesteuerten Ausei-
nandersetzung mit der Umwelt kommt es zur Bildung von Erfahrungen , die in der Zukunft neue Aktivitäten
beeinflussen. Dies ist das wesentlichste Merkmal des Lernens. Lernen ist dispositionell : Der Prozeß des
Lernens führt zu dem Produkt des Neuerwerbs oder Veränderung psychischer Dispositionen, d. h. zur Be-
reitschaft und Fähigkeit, bestimmte seelische oder körperliche Leistungen zu erbringen � Erwerb eines
"Verhaltenspotentials".
Lernen ist durch relativ überdauernde Veränderung im Organismus gekennzeichnet, während die Leis-
tung (Performanz) von momentanen Bedingungen (z.B. Motivation, Ermüdung) abhängt. Das eigentliche
Lernen besteht also im Erwerb von Dispositionen, d. h. von Verhaltens- und Handlungsmöglichkeiten. Der
psychologische Begriff des Lernens schließt nicht nur das durch Unterricht absichtlich und planvoll organi-
sierte Lernen ein.
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Lernen meint nicht nur den Erwerb einzelner, isolierter Dispositionen, sondern auch Aufbau einer komplexen
Persönlichkeit durch Aneignung der menschlichen Kultur in einem individuellen Lebensweg.
Grundformen des Lernens
Im Folgenden gehen wir von vier Grundformen des Lernens aus.
1. Das Reiz-Reaktions-Lernen � Klassische Konditionierung nach Iwan Petrowitsch Pawlow
Ausgangssituation:
Glockenton (neutraler Reiz/ Stimulus) � führt zu Ohren spitzen (unspezifische Reaktion)
Futter (unbedingter Reiz, UCS) � führt zu Speichelfluss (unbedingte Reaktion, UCR)
Lernprozess (Akquisition):
Kontiguität: Ton (neutraler S) + Futter (UCS) = (neutraler Reiz – kurze
differenz - UCS)
Lernergebnis: Ton (bedingter Reiz, CS) führt zu Speichelfluss (beding-
te Reaktion, CR)
Der neue Reiz löst die gleiche oder eine sehr ähnliche (bedingte) Reak-
tion aus wie der ursprüngliche Stimulus. Dies ist dann eine gelernte
Reiz-Reaktions-Verbindung.
Die Gedankengänge der russischen Reflexologen (Pawlow, Setschenow) wurden in Amerika bald von den
Behavioristen um Watson aufgegriffen (Behaviorismus ). Das Reiz-Reaktions-Lernen (weitere Bezeich-
nungen: Klassisches Konditionieren oder Bedingen, Signal-Lernen, reaktives Lernen) wird ursprünglich
streng bewußtseinsunabhängig als Verknüpfung von Reiz und Reaktion erklärt.
� Unter pädagogischen Gesichtspunkten ist die Auslösung einer emotional-motivationalen Reaktion (z.
B. Angst, Attraktivität) bedeutsamer als die Auslösung von Reflex-Reaktionen.
Das Modell des Reiz-Reaktions-Lernens spielt eine bedeutende Rolle in behavioristisch orientierten Theo-
rien der Angst, in der Verhaltenstherapie, in anreiztheoreti schen Auffassungen von Motivation, in der
Werbepsychologie .
2. Das instrumentelle Lernen � Thorndike, "Lernen am Erfolg"
Nachdem Thorndike das Prinzip der Verstärkungstheorien entdeckt hatte, beschreibt Skinner etwa ab 1930
die operante Konditionierung, die heute instrumente lles Lernen genannt wird. Beim instrumentellen
Lernen entscheiden die Konsequen-
zen, die dem Verhalten folgen, über
dessen zukünftiges Auftreten Von
instrumentellem Verhalten (IV) spre-
chen wir, weil das Verhalten das
Instrument oder Mittel ist, das die
entsprechende Konsequenz hervor-
ruft. In der Regel wird erst durch häufig wiederkehrende, gleichförmige Konsequenzen allmählich ein stabiles
IV gelernt. Nach der Art der Konsequenzen unterscheiden wir vier Formen des instrumentellen Lernens:
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a) positive Verstärkung: Dem Verhalten folgt ein positives Ereignis.
b) negative Verstärkung: Dem Verhalten folgt das Verschwin-
den eines aversiven (unangenehmen) Ereignisses.
c) Bestrafung: Dem Verhalten folgt ein unangenehmes Ereig-
nis.
d) Löschung: Dem Verhalten folgt weder ein angenehmes
noch ein unangenehmes Ereignis.
Positive und negative Verstärkung führen zum Aufbau eines Verhaltens, Bestrafung und Löschung zum Ab-
bau eines Verhaltens. Die Tatsache, dass beim instrumentellen Lernen Außenreize ausschlaggebend sind,
wird als Verhaltenskontrolle bezeichnet. Instrumentelles Lernen ist motivationsabhängig und situationsab-
hängig. Der Lernprozeß findet unter bestimmten situativen Bedingungen statt, und das Verhalten wird später
nur in ähnlichen Situationen gezeigt.
Das instrumentelle Lernen führt zu einem gewohnheitsmäßigen Verhalten. Im Gegensatz dazu ist das plan-
volle Handeln durch Flexibilität gekennzeichnet und kann in neuartigen Situationen angewandt werden.
3. Kognitives Lernen: Unter Kognitionen versteht man jene Vorgänge, durch die ein Organismus
Kenntnis von seiner Umwelt erlangt. Im menschlichen Bereich sind dies besonders: Wahrnehmung,
Vorstellung, Denken, Urteilen, Sprache. Man könnte auch sagen: Durch Kognition wird Wissen
erworben .
In der Regel sind auf Erkenntnis bezogene (= kognitive) Prozesse eng mit emotionalen und motivationalen
verbunden. Durch kognitive Prozesse werden kognitive Strukturen (Wissensstrukturen) aufgebaut. Begriffs-
bildung und Wissenserwerb sind zentrale Bestandteile der Kognitionspsychologie. Es findet häufig kein völli-
ges Neulernen, sondern ein Umlernen statt. Hierbei handelt es sich um aktive, subjektive Strukturierungs-
prozesse. Kognitive Strukturen sind kein Abbild der Umwelt. Sie sind mentale (geistige) Konstruktionen.
Begriffsbildung: Man unterscheidet zwei Hauptklassen von Begriffen:
• Die Eigenschaftsbegriffe (Kategorien) und
• die Erklärungsbegriffe (Theorien).
Bei den Eigenschaftsbegriffen gibt es zwei Auffassungen:
o die klassische Theorie: nach der klassischen The-
orie ist der Inhalt des Begriffs seine logische Struk-
tur (die Kombination der kritischen Attribute),
o nach der Prototypentheorie wird der Begriff durch
einen Prototyp (idealer Vertreter) repräsentiert.
Begriffsbildung ist ein aktiver Vorgang. Begriffe sind nicht nur eine abstrahierte Abbildung der Realität. Be-
griffe sind Strukturen unseres Denkens. Dies ist auch der Grund für die oft zu beobachtende Willkürlichkeit
und Subjektivität der Begriffsbildung.
Wissenserwerb: Es gibt unterschiedliche Konzepte von Wissen. Meine Auffassung von Sachwissen läßt
sich unter neun Gesichtspunkten darstellen.
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� Begriffsbildung: Fein- oder Grobstrukturierung
� Assimilation: sinnvoll (Gegenteil: mechanisch)
� Repräsentation: aussagenartig, analog, handlungsmäßig
� Vernetztheit propositionale und semantische Netze
� Art der Erfahrung: unmittelbar oder sozial vermittelt
� Verwendungszweck: Alltag oder Experte
� Bewußtheit: analytisch oder intuitiv
� Ausmaß der Lenkung: Selbststeuerung oder rezeptiv
� Motivation: Kognitionen verbunden mit Motivation.
Der ausschlaggebende Gesichtspunkt beim Lernen größerer Wissensgebiete ist die Vernetz theit . Hier-
bei sind sowohl das ganze System, wie auch die einzelnen Elemente in einem für die Adressaten optimalen
Ausmaß an Differenzierung zu strukturieren. Ein isoliertes, lexikalisches Wissen ist in dieser Sichtweise ab-
solut unbefriedigend.
4. Handeln und Problemlösen
Modell-Lernen: Es gibt verschiedene Theorien des Modell-Lernens, deren wichtigste heute die sozial-
kognitive Theorie von Bandura ist. Die Theorie des Modell-Lernens kann als Vorläufer der Handlungstheo-
rien aufgefasst werden.
Planvolles Handeln: Bei Begriffsbildung und Wissenserwerb wurden vorwiegend (statische) Strukturen
beschrieben, während Handeln und Problemlösen als (dynamische) Prozesse aufzufassen sind.
Bei der Willenshandlung (Gollwitzer) lassen sich zwei Schwerpunkte unterscheiden:
� die Entscheidung: die Entscheidung beinhaltet die Ausbildung einer Intention sowie die Entwick-
lung eines flexiblen Handlungskonzeptes (Planes), und
� die Handlungsregulation: Handlungsregulation bedeutet die Realisierung des Handlungskonzep-
tes bis zur Zielerreichung.
Problemlösen: Problemlösen ist ein Sonderfall des planvollen Handelns. Ein Problem ist durch drei Kom-
ponenten gekennzeichnet:
1. Unerwünschter Anfangszustand;
2. Erwünschter Zielzustand;
3. Barriere, die die Überführung des Anfangszustandes in den Zielzustand im Augenblick verhindert.
Problemlösen bedeutet Überwindung der Barriere durch Anwendung spezifischer Problemlöseverfahren. Die
wichtigsten Formen des problemlösenden Denkens (Problemlö-
setheorien) sind:
• Problemlösen durch Versuch und Irrtum,
• durch Umstrukturieren,
• durch Anwendung von Strategien,
• durch Kreativität,
• durch Systemdenken.
Der Problemlöseprozeß läßt sich als Umstrukturierung in vier Phasen beschreiben.
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Zusammenfassung und Ausblick
Dualistische Lerntheorie: Es lassen sich zwei Hauptkategorien von Lernprozessen unterscheiden:
1) Außensteuerung
a. Reiz-Reaktions-Lernen, oder
b. instrumentelles Lernen.
2) Innensteuerung
a. Begriffsbildung und Wissenserwerb, kognitives Lernen im engeren Sinn, oder
b. Handeln und Problemlösen
Lernpsychologie, die nur eine der beiden Hauptkategorien für menschliches Lernen als relevant unterstellt,
ist defizitär. Als wesentlichstes Merkmal des Lernens wurde die Erfahrungsbildung herausgestellt. Dies be-
deutet, daß der Lerner nach Abschluß des Lernprozesses sich anders verhalten, anders denken, anders
wollen, anders handeln kann. Es wird die Forderung erhoben, zukünftig häufiger ein (relativ) selbstgesteuer-
tes, kooperatives, problemlösendes, in authentischen Lernsituationen stattfindendes und lebenslanges Ler-
nen (Erwachsenenbildung) zu initiieren.
Außensteuerung Innensteuerung
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Instruktion als Optimierung von Lernprozessen (24)
Allgemeine Einführung
Erst wenn die Lernziele in begründeter Weise festgelegt worden sind kann über eine angemessene Lehrme-
thode entschieden werden.
Bedeutet das zugleich, daß die Lehrmethoden lernzielspezifisch sind? Wie ist überhaupt das Verhältnis
zwischen Lehrmethoden, Lernzielen, Lehrinhalten, Lehrenden und Lernenden zu sehen? Gibt es ein optima-
les Lehrverfahren, unabhängig von beteiligten Personen und behandelten Themen? Oder ist die Wirksam-
keit jeder Unterrichtsmethode abhängig von einer Vielzahl konkreter Bedingungen?
Das alles sind Fragen, die gegenwärtig in der Pädagogischen Psychologie intensiv diskutiert werden; es sind
aber zugleich Probleme, die in der Geschichte der Pädagogik eine lange Tradition haben. Charakteristisch
dafür ist z. B. die Kontroverse zwischen den Herbartianern (deren Formalstufen des Unterrichts: Vorberei-
tung - Darbietung - Verknüpfung – Zusammenfassung - Anwendung bis in unser Jahrhundert hinein von
größter schulpraktischer Bedeutung waren) und den Vertretern der sog. Reformpädagogik .
Herbartianer: praktisch orientierte Gruppe von Pädagogen die Herbarts Konzeption des erziehenden Unter-
richts für den Klassenunterricht handhabbar machten. Es ging ihnen um eine rationale Organisation des
Lehrens, um die Ordnung des Lehrplans und des Schullebens insgesamt.
Erziehung ist die absichtliche und planmäßige „Einwirkung auf den Zögling, nach der sich sein geistiges
Interesse gestalten soll.“ Erziehung ist also eine Handlung, denn sie seztt Absicht und Plan des Erziehers
voraus. Kernpunkt ist auch „..das geistige Interesse des Zöglings zu gestalten“.
(Geschichte des pädagogischen Denkens, Musoloff & Hellekamps, S. 105 ff)
Reformpädagogik (1890 – 1933 ): ….handlungs- und erfahrungsorientiertes Lernen und erhält Ende des
19. Jh. Auftrieb durch die Reformpädagogik. Ursprung war die Kulturkritik:
- gegen die soziale und kulturelle Verarmung der Gesellschaft durch die ungebremste Industrialisierung
- Kritik an der traditionellen Schule (zu arm an Erlebnissen, zu wenig kulturelle Aspekte …)
Reformpädagogik ist keine homogene Bewegung und hat eine Unterteilung in viele Strömungen.
Das gemeinsames Ziel: Veränderung der traditionellen Schule hin zu einer ganzheitlichen Erziehung.
Kunsterziehungsbewegung: Betont den Mangel an künstlerisch-musisch-kreativen Aspekten. Fordert das
selbständige Lernen mittels Erfahrungen in eigenen Aufsätzen, Liedern, Zeichnungen und gymnastischen
Bewegungen.
Arbeitsschulbewegung: Fordert die Unterweisung der Schüler in verschiedenen handwerklichen Formen
durch schöpferische Tätigkeiten in Werkstätten.
Jugendbewegung: Wendet sich gegen bürgerliche Werte, städtische Enge und die Bevormundung durch
das Elternhaus. Fordert die Anerkennung der Jugend als eigene Erziehungsphase.
Landschulheimbewegung: Neue Schulform durch Integration unterschiedlicher erlebnis- und reformpäda-
gogischer Elemente in den normalen Schulalltag (Erste Schule in England1889: Abbotsholme, dann auch in
Deutschland)
Bis zum Beginn des 1. Weltkriegs hat die Reformpädagogik viele ganzheitliche und erlebnisorientierte An-
sätze hervorgebracht. Teilweise gelang es sogar, diese in die regulären Schulen zu integrieren. Eine gene-
relle Veränderung der traditionellen Schule und ihres Erziehungskanons gelang jedoch nicht. Die einfache
Dorfschule und das städtische Gymnasium blieben von diesen Entwicklungen unberührt.
(Uni Düsseldorf, Folien von Dr. Peter Wastl)
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Der Streit über die Möglichkeit und Nützlichkeit relativ allgemeiner, d. h. gegenstands- und person unabhän-
giger Lehrmethoden, hat sich bis zum heutigen Tag fortgesetzt. Natürlich hat es nicht an Versuchen gefehlt,
die angedeuteten Gegensätze zu überwinden und eine vermittelnde theoretische Position einzunehmen. Ein
Beispiel dafür ist die Konzeption von Paul Heimann und Wolfgang Schulz (HEIMANN, OTTO &
SCHULZ1968), die häufig mißverständlich als »lerntheoretisches Modell« bezeichnet wird. Unter Berück-
sichtigung der individuellen und soziokulturellen Voraussetzungen und der individuellen und sozialen Ziele
(Folgen) der Schule sind bei der Planung des Unterrichts vier aufeinander bezogene Entscheidungsebenen
zu beachten:
1. Intentionen � kognitive, affektive und psychomotorische Lernziele, die durch den Unterricht vermit-
telt werden sollen.
2. Themen � Gemeint sind die konkreten Inhalte des Unterrichts.
3. Verfahren (Methoden) � Gemeint ist der Weg mit Hilfe der ausgewählten Themen die gesetzten
Lernziele zu erreichen. Unterschieden werden insgesamt 5 Ebenen des Methodenproblems :
� die Verfahrensweisen (z. B.: elementenhaft-synthetisches gegenüber ganzheitlich-analytischem
Vorgehen);
� die Artikulation des Unterrichts (z. B. : psychologische Lernphasen und Unterrichtsstufen)
� Sozialformen des Unterrichts (z. B. : Frontalunterricht, Gruppenunterricht, individualisierte In-
struktion);
� Aktionsformen des Unterrichts (z. B.: Lehrervortrag, Gespräch, Demonstration, Stillarbeit, Schü-
lerexperiment);
� Unterrichtsstile (z. B. : dominativer versus sozial-integrativer Unterrichtsstil).
Notwendig sind Entscheidungen auf allen 5 Ebenen, wenngleich mannigfache gegenseitige Abhän-
gigkeiten bestehen
Medien (Unterrichtsmittel) � Für viele Autoren ist die Medi-
enwahl Teil der unterrichtsmethodischen Entscheidungen.
Das didaktische Modell von Heimann al. betrachtet also Unter-
richtsplanung als ein System miteinander zusammenhän-
gender Entscheidungen , die hinsichtlich ihrer Gültigkeit pä-
dagogisch legitimiert und im Hinblick auf ihre Wirksamkeit em-
pirisch überprüft werden müssen.
Es lassen sich didaktische Analysen des Unterrichts nicht auf
die Darstellung der lernpsychologischen Gesetzmäßigkeiten
reduzieren, und zum anderen müssen auch lernpsychologisch
orientierte Bemühungen zur Verbesserung der Unterrichtsme-
thoden mit einer Vielzahl relevanter Bedingungen rechnen.
Lehren stellt in gewisser Hinsicht immer einen Vermittlungsver-
such zwischen der Struktur des zu lernenden Gegenstandes
und der jeweiligen Struktur des Lernenden bzw. des Lernens
dar. Es ist unmittelbar einsichtig, daß die Art der berücksichtig-
ten psychologischen Variablen einen wesentlichen Teil der
didaktischen Entscheidungen beeinflussen wird. Schematische Darstellung. Aus: W. Schulz „Umriß einer didaktischen Theorie der Schule“ . In: Die Deutsche Schule, '969,6" S. 63.)
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Was heißt es nun, ein guter Lehrer zu sein. Bewertet man damit seine Absichten, sein Verhalten oder
seine Wirkungen?
Eine eindeutige Antwort auf diese einfach erscheinende Frage dürfte schwerfallen.
Wie immer man sich im einzelnen entscheiden mag - stets beurteilt man den Lehrer und seine Erfolge auf-
grund eines meist kaum bewußten Maßstabes und häufig mit Hilfe eines Katalogs von Gütekriterien. Die
amerikanische Gesellschaft für Erziehungswissenscha ftliche Forschung hat einen solchen Kriterien-
katalog zur Beurteilung von Lehrern aufgestellt. Das Modell reicht von sehr einfachen, naheliegenden bis zu
komplizierten, weitreichenden Kriterien, die hierarchisch angeordnet sind. Im einzelnen (Auszug):
Zensuren des Lehrers, die er während seiner theoretischen Ausbildung erhalten hat;
• Interesse des Lehrers am Lehrstoff;
• Fähigkeit des Lehrers, .einen Lehrplan zu organisieren;
• Methodisches Geschick des Lehrers;
• Emotionale und soziale Angepasstheit des Lehrers;
• Positive pädagogische Überzeugungen und wertende Einstellungen;
• Zufriedenheit der Eltern mit dem Lehrer;
• Zufriedenheit der Schüler mit dem Lehrer;
• Einfluss des Lehrers auf die momentanen Leistungen und Verhaltensweisen der Schüler;
• Einfluss des Lehrers auf Leistungen, Erfahrungen und Glück der Schüler im späteren Leben (nach
GAGE 1972, S. 75)
Vergleicht man die verschiedenen Kriterien, so wird deutlich, daß bei der Beurteilung von Lehrern stets we-
nigstens zwei Gesichtspunkte eine Rolle spielen: Was hat er bewirkt und wie hat er es bewirkt?
Notwendigerweise stoßen wir also bei einer Analyse des Lehrerfolgs wiederum auf das Problem der Lehr-
methode.
Eine Konzeption, die davon ausgeht, daß dem Lehrer jeweils alle notwendigen Informationen verfügbar sind
und daß er seine Entscheidungen völlig rational trifft, ist jedenfalls eine empirisch nicht zu belegende An-
nahme. So kann z. B. die Bevorzugung oder Ablehnung bestimmter Lehrmethoden durch Lehrer von folgen-
den Bedingungen abhängen:
a) von Lehrtraditionen (z. B. : Ein Lehrer lehrt so, wie er selbst unterrichtet wurde);
b) von sozialen Lernerfahrungen des Lehrers
c) von pädagogischen Traditionen
d) von den persönlichen Bedürfnissen des Lehrers (z. B.: Ein Lehrer praktiziert ein Lehrverfahren,
durch das er sich besonders gut selbst bekräftigen kann);
e) von den Bedingungen der Schule (z. B.: Ein Lehrer führt einen sehr strengen Unterricht, weil vom
Rektor und von den Kollegen ein diszipliniertes Verhalten der Schüler erwartet wird);
f) von Forschungsergebnissen der Lernpsychologie.
Dieses Kapitel beschäftigt sich weitgehend mit den didaktischen Konsequenzen, die sich aus lernpsycholo-
gischen Forschungen ergeben. Dabei handelt es sich um die Konzeptualisierung und Entwicklung von Un-
terrichtsmethoden, die im Einklang mit den Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Lernens stehen.
Eine lernpsychologisch fundierte Verbesserung der Lehrmethoden wird damit zu einer ungemein komplizier-
ten Aufgabe, bei der Lernart, Lerninhalt, Merkmale des Lernenden und der Lehrenden sowie übergreifende
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und situative Kontextbedingungen berücksichtigt werden müssen. Wir sprechen deshalb im Folgenden auch
nicht von Lehren und von Unterricht, sondern vorwiegend von Instruktion und verstehen darunter in Anleh-
nung an COREY(1967):
a) die genaue Beschreibung des Verhaltens, das gele rnt werden soll, und die präzise Angabe
der Bedingungen, unter denen das Lernen stattfindet ;
b) das Ausmaß der vom Lehrer (oder von einem Progra mm) ausgeübten Kontrolle über die äu-
ßeren Bedingungen des Lernens und
c) die zeitliche Begrenztheit eines Lernvorgangs.
In der gegenwärtigen psychologischen Diskussion über Möglichkeiten einer Verbesserung der Instruktions-
verfahren besteht Übereinstimmung, daß eine Optimierung
der äußeren Lernbedingungen abhängt von der möglichst
genauen Beschreibung der Lernziele, von der Berücksichti-
gung der individuellen Lernvoraussetzungen und von der
Auswertung der mit Hilfe bestimmter Methoden erzielten Lernleistungen.
Acht Schritte zur Instruktionsoptimierung.
Jede Verbesserung von Lehrmethoden, also auch jede psychologische Instruktionsoptimierung, erfordert die
Nennung der Bewertungskriterien für »besser« und »schlechter«. Es geht darum, nicht nur die beabsichtig-
ten Lernziele zu sehen, sondern auch die unbeabsichtigten Effekte des Unterrichts zu berücksichtigen:
� nicht nur die Durchschnittsleistung der Klasse zu bewerten, sondern auch die Lernfortschritte be-
stimmter Schülergruppen zu erfassen,
� nicht nur den Leistungsaspekt zu beachten, sondern auch die Veränderung von Einstellungen, Moti-
ven und Interessen zu gewichten.
Im Folgenden wird immer dann von Instruktionsoptimierung gesprochen, wenn durch die geplanten Ver-
änderungen des Unterrichts möglichst viele Schüler die gesetzten Lernziele in einer möglichst entspannten
Lernatmosphäre, d. h. also ohne schädliche Nebenwirkungen erreichen. Dieses Instruktionsmodell wendet
sich also bewußt gegen die Ideologie der Normalverteilung von Schulleistungen.
Danach muß angenommen werden, daß dieses Ziel nur durch Individualisierung der Instruktion erreich-
bar ist. Gleiche Lernzeit, gleiche Lehrmethoden und gleiche Lernhilfen führen bei unterschiedlichen Lernvor-
aussetzungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu unterschiedlichen Lernleistungen. Daran
kann auch ein gelegentliches, meist intuitives Eingehen des Lehrers auf die individuellen Lernprobleme ei-
nes Schülers wenig ändern.
Voraussetzung dafür ist, daß die Schule oder der Lehrer zwischen
� Basiscurricula und
� Differenzierungscurricula zu unterscheiden bereit ist.
Die Basiscurricula bestehen aus Lernzielen, die möglichst von allen Schülern einer Klasse erreicht werden
sollen.
Bei unterschiedlichen Fähigkeiten wäre es aber andererseits auch absurd anzunehmen, alle Schüler könn-
ten die Basiscurricula in gleicher Zeit durchlaufen. Besonders befähigte Schüler werden das Pensum in we-
sentlich kürzerer Zeit bewältigen. Will man diese Kinder nicht in ihrer Leistungsentwicklung blockieren - und
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das scheint mir eine pädagogisch und psychologisch völlig indiskutable, wenn auch manchmal versteckt
diskutierte Vorstellung zu sein -, so muss man ihnen neue, erweiterte Lernziele anbieten.
Dabei ist kurz auf ein Problem hinzuweisen, für das hier keine befriedigende Lösung angeboten werden
kann:
� Die leistungsschwächeren Schüler müssen sich verständlicherweise sehr viel länger mit ein und
demselben Lernziel auseinandersetzen. Trotz der dadurch gesteigerten Erfolgswahrscheinlichkeit
können dabei im Vergleich zu leistungstüchtigen Schülern Sättigungserlebnisse auftreten. Auch der
subjektive Eindruck einer Diskriminierung lässt sich nicht ausschließen.
Das individualisierende Instruktionsmodell ist also nur begrenzt anwendbar.
Es setzt voraus, dass der größere Teil des Unterrichts gemeinsam in heterogen zusammengesetzten Grup-
pen erfolgt und dass auch die leistungsschwächeren Schüler gelegentlich Differenzierungscurricula bearbei-
ten können. Weitere Voraussetzungen für die Anwendung des Modells sind
• äußere Schulbedingungen, die eine innere Differenzierung überhaupt erst ermöglichen.
• Zu fordern sind: kleine Klassen, Verfügbarkeit über didaktische Hilfsmittel zur Individualisierung und
• möglichst die Berücksichtigung von Zusatz- und Nachhilfeunterricht im Deputat des Lehrers.
Folgende acht Schritte bei der Planung und Durchführung des Unterrichts berücksichtigt werden:
� das Lernziel (I) und die damit gemeinten Verhaltensweisen,
� die individuellen Lernvoraussetzungen (II),
� die Angleichung der Lernvoraussetzungen vor Beginn des eigentlichen Lernprozesses (III)
� die Analyse der Lernaufgabe (IV),
� die Motivierung der Lernenden (V),
� die Steuerung und Unterstützung des Lernvorgangs durch geeignete Instruktionsverfahren (VI),
� die Erfassung der Lernergebnisse durch lernzielorientierte Tests (VII),
� die zusätzlich zur Verfügung gestellte Lernzeit und die zusätzlichen Lernhilfen bei Nichterreichung
des Lernziels (VIII).
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1. Schritt: Konkretisierung der Lernziele
Schwierigkeit der Lernzieloperationalisierung: wie kann der Lehrer erkennen, dass sein Schüler ein Mu-
sikverständnis erworben hat? Der Lernende seufzt ekstatisch, wenn er Bach hört oder der Lernende kauft
eine Hi-Fi-Einrichtung und Schallplatten im Wert von 1500 Mark?
Lernzieloperationalisierung nach MAGER (1965):
I. "Unter einem Lernziel versteht man eine Aussage, in der die beabsichtigten Ergebnisse des Unter-
richts beschrieben werden.
II. Ein Lernziel ist in dem Maße brauchbar, wie es die Unterrichtsabsicht verdeutlicht und das vom Ler-
nenden erwartete Endverhalten beschreibt oder definiert.
III. Das Endverhalten ist definiert durch
a. Bestimmung und Bezeichnung des beobachtbaren Verhaltens, das als Hinweis dafür gelten
kann, daß der Lernende das Lernziel erreicht hat;
b. Beschreibung der notwendigen Bedingungen, aufgrund derer Verhaltensweisen auszu-
schließen sind, die nicht als Hinweise für den Lernerfolg gelten sollen.« (1965, S. 93).
Die Schwierigkeiten bei der Operationalisierung nehmen offensichtlich zu, wenn es sich um langfristige,
komplexe und nichtkognitive Lernziele handelt. Bedenkt man die möglichen Vorteile der Operationalisierung
von Lernzielen (Orientierung des Unterrichts an konkreten Zielen, Differenzierung und Präzisierung der
Lehrabsichten, Ermöglichung der Evaluation des Unterrichts usw.) und berücksichtigt man die Nachteile
(leichtere Operationalisierbarkeit relativ trivialer Lernziele, Gefahr einer Schematisierung des Unterrichts,
Vernachlässigung komplexer Zielbereiche, Ersetzung der Legitimation eines Lernziels durch dessen Opera-
tionalisierung, Problem der Herleitung konkreter Lernziele aus relativ allgemeinen usw.), so wird man darin
ein nützliches, wenn auch nur begrenzt brauchbares Instrument zur besseren Organisation des Unterrichts
erkennen müssen.
Lernziel-Taxonomien bieten sowohl dem Erziehungswissenschaftler wie dem Praktiker formale Orientie-
rungshilfen bei der Erschließung, Systematisierung und Hierarchisierung der möglichen Lernziele.
Klassifikationsmuster nach Bloom et al.
Unterschieden wird dabei zwischen kognitiven, affektiven und psychomotorischen Bereichen. Der kognitive
Bereich wiederum umfaßt in aufsteigender Reihe Lernziele auf den Stufen
• Kenntnisse,
• Verständnis,
• Anwendung,
• Analyse,
• Synthese,
• Beurteilung.
Anzumerken ist lediglich gegenüber manchen Kritikern, dass es sich bei Lernziel- Taxonomien um ein psy-
chologisch-didaktisches Hilfs- und nicht um ein pädagogisches Allheilmittel handelt.
Fassen wir zusammen: Schritt I unseres Instruktionsmodells verlangt die Lösung zweier Aufgaben:
a) Inhaltlich begründete Lernzielentscheidungen zu treffen, die Ziele zu konkretisieren, zu hierarchisie-
ren und aufgrund der von MAGER formulierten Kriterien soweit wie möglich zu operationalisieren;
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b) die so definierten Lernziele sind aufgrund ihrer Bedeutung und ihres Schwierigkeitsgrades in Basis-
curricula (für alle Schüler) und in Differenzierungscurricula (für Gruppen von Schülern) zu untertei-
len.
2. Schritt: Diagnose relevanter Lernvoraussetzungen bei den Schülern
Die für möglichst alle Schüler verbindliche Festlegung von Basiscurricula ist nur möglich, wenn der betref-
fende Lehrer die Lernvoraussetzungen aller Schüler kennt. Deshalb sollten bei der Diagnose der Lernvor-
aussetzungen wenigstens vier instruktionspsychologisch bedeutsame Aspekte Berücksichtigung finden:
a) Der Intelligenzquotient oder ein anderer durchschnittlicher Wert für die allgemeine kognitive Leis-
tungsfähigkeit des Schülers
b) Die aufgabenrelevanten Vorkenntnisse
c) Die aufgabenrelevanten Fähigkeiten: Dabei geht es in erster Linie um die Erfassung besonderer Fä-
higkeitsunterschiede beim gleichen Schüler. Viele Lehrer bevorzugen in ihrem alltäglichen Unterricht
einen Lehrstil, der bestimmte Fähigkeiten der Schüler erfordert. Kinder mit anderen Fähigkeits-
schwerpunkten können dadurch benachteiligt werden
d) Präferenzen für bestimmte Unterrichtsinhalte und -stile
Wir können also festhalten: Es gibt mindestens vier verschiedene Formen individualisierter Instruktion:
nämlich leistungsorientierte, vorkenntnisorientierte, fähigkeitsorientierte und neigungsorientierte Unterrichts-
programme.
3. Schritt: Abbau von interindividuellen Unterschieden in den Lernvoraussetzungen der Schüler
Erweisen sich die Unterschiede in den Lernvoraussetzungen im Hinblick auf die Anforderungen der Basis-
curricula als zu groß, so gibt es zwei Möglichkeiten eines frühzeitigen Ausgleichs: zum einen ein zusätzlicher
Nachhilfeunterricht zum Abbau vorhandener Kenntnislücken. In Schulversuchen, die nach dem sog. Mas-
tery leaming-Modell arbeiteten, hat sich dieser vorausgehende »Nachhilfeunterricht « bewährt; denn er
verringert die Gefahr kumulativer Lerndefizite (vgl. BLOCK 1971). Als zweite Möglichkeit kommt eine teil-
und zeitweise Leistungsgruppierung in Frage.
4. Schritt: Analyse der Lernaufgaben
Man erhält auf diesem Weg Informationen darüber, wie viele Lernschritte notwendig sind, in welcher Reihen-
folge sie zweckmäßigerweise angeordnet werden sollten und welche Lernprozesse eingeleitet und organi-
siert werden müssen. Die Analyse umfasst vier Schritte :
a) die inhaltliche Beschreibung der Lernaufgabe;
b) die Differenzierung der Lernzielkomponenten, d. h. die Identifikation kognitiver, affektiver, kommuni-
kativer und psychomotorischer Teillernziele;
c) die Beschreibung der für die Lösung der Aufgaben notwendigen untergeordneten Kenntnisse und
Fähigkeiten;
d) die Bestimmung der typischen Lernprozesse zum Erwerb der fehlenden Vorkenntnisse und zur Lö-
sung der Kriteriumsaufgaben.
Die beiden zuletzt genannten Schritte können mit Hilfe der von Gagne (1969; 1974) entwickelten Lern-
komponentetn-und Lernprozeß-Modelle geplant und vorgenommen werden. Gagne geht davon aus, dass
die Wahrscheinlichkeit, mit der ein bestimmtes Lernziel erreicht wird, von der Verfügbarkeit der relevanten
Vorkenntnisse und von der Art des Unterrichts abhängt.
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Erste Vorkenntnisebene: über welche Fähigkeiten (zur Lösung einer Klasse von Aufgaben) und
Kenntnisse (zur Lösung einer bestimmten Aufgabe) muss jemand verfügen, um ein Lernziel zu erreichen
�man erhält so eine Gruppe kognitiver Voraussetzungen, die sich durch Testaufgaben überprüfen
lässt.
• Für jede dieser Aufgaben kann man die Ausgangsfrage erneut stellen und identifiziert auf diese
Weise jeweils untergeordnete Fähigkeiten (z. bis nt" Vorkenntnisebene), die notwendigerweise
nach unten immer elementarer und allgemeiner werden.
So ergibt sich für jedes Lernkriterium eine Hierarchie relevanter Vorkenntnisse. Sie sind ergebnis-, nicht
prozesshaft definiert. GAGNE hat daneben auch verschiedene (ebenfalls hierarchisch angeordnete) Typen
von Lernprozessen unterschieden. Im Einzelnen differenziert er zwischen
• Lernen von Signalen,
• Reiz-Reaktions-Verbindungen,
• Kettenbildungen (mehrere Reiz-Reaktions- Verbindungen),
• multiplen Diskriminationen,
• Begriffslernen,
• Regellernen,
• Problemlösen.
Die jeweils niedrigere Lernart wird als eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung zur
Erklärung der höheren Lernformen angenommen. Es versteht sich fast von selbst, dass es sich bei den
Gagneschen Analysemodellen nicht um ausdifferenzierte, valide Klassifikationssysteme handeln kann; denn
die Forschung steht hier praktisch noch am Anfang. So ist es z. B. bis jetzt weitgehend ungeklärt, ob fach-
wissenschaftlich orientierte Strukturanalysen der Lerninhalte und lernpsychologische Analysen mit anschlie-
ßender empirischer Überprüfung zu gleichen oder ähnlichen Aufgabenkomponenten Führen.
5. Schritt: Motivierung der Schüler
Bei der nachgewiesenen Bedeutung dieser Aufgabe für den Erfolg jeglicher Instruktionsoptimierung sollte
bei der Darstellung des Modells lediglich noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen werden. Zu beachten
ist, daß neben der aktuellen Motivierung (durch die Anregungs- und Anreizbedingungen der Lernsituation)
dem langfristigen Aufbau stabiler Motivsysteme (z. B. von Interessen) besondere Aufmerksamkeit gewidmet
werden sollte.
6. Schritt: Steuerung und Unterstützung der individuellen Lernprozesse
Die Bereitstellung günstiger äußerer Lernbedingungen ri chtet sich nach der Art der erforderlichen
Lernprozesse . D. h. die Bedingungen und Hilfen müssen unterschiedlich sein, je nachdem, ob es sich um
das Lernen von Signalen, um einfache Reiz-Reaktions-Verbindungen, um den Erwerb assoziativer Ketten,
um multiples Diskriminationslernen, um den Begriffserwerb, um das Lernen von Prinzipien oder um das Lö-
sen von Problemen handelt.
Zweites Bezugssystem sind instruktionsrelevante Mer kmale des Lernenden . Der Instruktion kommt
dabei die Funktion der Abstimmung zwischen internen Lernbedingungen und äußeren Lernanforderungen
und Lernmöglichkeiten zu.
Lernen, Lehren, Wissen
14
7. Schritt: Diagnose der Lernergebnisse
Gemeint ist damit die kontinuierliche, möglichst informelle Überprüfung des individuellen Lernfort-
schritts . Konventionelle Schulleistungstests eignen sich dafür kaum. Erforderlich sind vielmehr Testverfah-
ren, die erkennen lassen, ob ein bestimmtes Lernziel vom Lernenden erreicht worden ist oder nicht. Wenn
nein, müßte der Test zusätzliche Informationen über die Leistungen bei den einzelnen Teilzielen sicherstel-
len.
8. Schritt: Bereitstellung zusätzlicher Lernmöglichkeiten und Lernhilfen
Die lernzielorientierte Diagnose des individuellen Lernfortschritts gestattet die möglichst unmittelbare Be-
reitstellung zusätzlicher Lernmöglichkeiten und Ler nhilfen für diejenigen Schüler, die ein bestimmtes
Lernziel in der zur Verfügung stehenden Zeit und mit Hilfe der vorgesehenen Instruktion nicht erreicht haben.
Es handelt sich dabei um Lernschleifen unterschiedlicher Größe.
Ein Zusatzunterricht , der beginnende Lernleistungsunterschiede frühzeitig ausgleicht, ist deshalb für jedes
»mastery-Modell« charakteristisch. Damit schließt sich unser Kreis. Lernziele sind dazu da, um von den
Schülern erreicht zu werden, nicht aber als mehr oder minder wahrscheinliche Anlässe für Lernschwierigkei-
ten und Misserfolgs Erlebnisse.
Ziel des beschriebenen Instruktionsmodells ist es, unterschiedliche Lernvoraussetzungen, Lernfähigkeiten
und Lernstile bei der Planung des Unterrichts so zu berücksichtigen, dass möglichst viele Schüler die ge-
setzten Lernziele erreichen. Dieser Gegensatz zwischen rigider Optimierungsper fektion und weitge-
hender Beseitigung effektiver Instruktionssysteme b eherrscht gegenwärtig tatsächlich viele pädago-
gische Diskussionen . Mir scheint, dass bei dieser Debatte übersehen wird, dass Erziehung und Unterricht
eine Vielzahl unterschiedlicher Ziele haben, dass zu ihrer Erreichung sehr unterschiedliche Lernprozesse
erforderlich sind und dass zu deren Optimierung ebenso viele verschiedene Lehr- und Erziehungsstrategien
angemessen erscheinen. Das lässt sich am Beispiel des Begriffes »Individualisierung« gut verdeutlichen.
Individualisierung als Mittel der Instruktionsoptimierung
Was ist Individualisierung des Unterrichts?
• Das Lehrangebot von den Lernvoraussetzungen der einzelnen Schüler ausgeht?
• Auf die unterschiedlichen Lerngeschwindigkeiten Rücksicht nimmt?
• Wenn einzelnen Schülern ein großes Maß an Selbstbestimmung bei der Auswahl der Lernziele und
bei der Organisation der Lernprozesse einräumt wird?
Einigkeit besteht eigentlich nur darüber, Individualisierung als eine Alternative zum herkömmlichen, frontalen
Klassenunterricht anzusehen. Insofern hat man Kleingruppen-Unterricht, Einzelinstruktion, Korrespondenz-
studium, den Verzicht auf Jahrgangsklassen, Nachhilfestunden, Projektarbeit, die Verwendung von Lehrpro-
grammen und die verschiedenen Formen einer nichtdirektiven, mehr oder minder freien Gestaltung des Un-
terrichts durch die Schüler als Individualisierung bezeichnet. Bei dieser Sprachverwirrung scheint eine
kurze Begriffsklärung erforderlich zu sein, wie sie z. B. von M. Gibbons(1970; 1971) vorgelegt wurde :
� Unter individualisierter Instruktion verstehen wir die zunehmende Anpassung des Unterrichts an
die internen Bedingungen des lernenden Individuums. Berücksichtigt werden dabei z. B.
Lernen, Lehren, Wissen
15
� intellektuelle Fähigkeiten,
� kognitive Stile,
� Entwicklungsbedingungen,
� spezielle Vorkenntnisse,
� Motive,
� Interessen;
� aber auch die Art, Schnelligkeit und Stabilität der zu beeinflussenden Lernvorgänge.
Dies geschieht durch Variation der Lernziele, der Lehrmethoden, der Lernhilfen, des Lernmaterials und der
Lernzeit.
Systematisiert man diese Bemühungen, so lassen sich vier Grundformen unterscheiden:
a) Die Bildung relativ homogener Lerngruppen durch Berücksichtigung bestimmter Leistungsmerk-
male der Schüler (Intelligenzquotienten o. ä./ oder Berücksichtigung fachspezifischer Leistungen)
b) Das individuelle Durchlaufen eines Lehrgangs durch Berücksichtigung der jeweils .relevanten
Vorkenntnisse (Fähigkeiten und Kenntnisse). Voraussetzung dafür ist eine sorgfältige Analyse der
Lernaufgabe, ein darauf aufbauendes Instruktionsmodell und ein System von Testverfahren zur dif-
ferenzierten Diagnose von Anfangsleistungen und Lernfortschritten.
c) Die Verwendung unterschiedlicher Lehrmethoden durch Berücksichtigung bestimmter Fähigkeits-
schwerpunkte bei gleichzeitiger Kompensation von Fähigkeitsmängeln.
So kommt Flammer (1973) aufgrund einer Analyse der einschlägigen Literatur zu folgenden didaktischen
Schlussfolgerungen:
� »Deduktiver Unterricht eignet sich im allgemeinen für ältere und intelligentere Schüler besser, wäh-
rend schwächere Schüler auf induktiven Unterricht mehr ansprechen.«
� »Klare und relativ detaillierte Strukturierung des Unterrichts durch den Lehrer hilft vor allem den un-
sicheren, ängstlichen und schwächeren Schülern, aber auch den wenig leistungsmotivierten ; mehr
erfolgsgewohnte, angstfreie, hochleistungsmotivierte Kinder profitieren auf kurze und längere Frist
hingegen mehr in einem Unterricht, der ihnen größere Freiheit läßt, einen Lernweg zu suchen und
auch einen eigenen zu gehen.«
� »Das Erarbeiten und Behalten eines Sachtextes wird mit eingefügten, ordnungstiftenden Fragen er-
leichtert für Personen mit einem schwachen assoziativen Gedächtnis, kann jedoch erschwert wer-
den für Lernende mit gutem assoziativem Gedächtnis. Letztere scheinen verläßliche eigene Memo-
rierungsstrategien entwickelt zu haben und „Einmischung“ von außen eher schwer zu ertragen.« (S.
138 f)
»Individualisierung« im hier gebrauchten Verständnis bestünde also in diesem Fall darin, verschiedene Me-
thoden bewußt zu kombinieren, um möglichst vielen Schülern gerecht zu werden.
Aus: Köck, P./ Ott H., Wörterbuch für Erziehung und Unterricht, 5. Auflage, Donauwörth, 1994:
Induktion (S. 322)
Als wissenschaftliche Methode schließt sie vom bekannten Einzelfall oder von mehreren Einzelfällen auf das
Allgemeine bzw. ein generelles Gesetz. Dieser Weg des logischen Schließens führt zu Festlegung von Re-
geln und Gesetzmäßigkeiten. Er stellt eine Umkehrung der Deduktion dar.
Lernen, Lehren, Wissen
16
Induktive Unterrichtsmethode (S. 322)
Durch die induktive Unterrichtsmethode wird die Wahrnehmungswelt des Schülers verarbeitet. Sie ist ein
Verfahren, das Einzelerfahrungen durch weitere Elemente, durch negative und positive Beispiele vermehrt,
um eine Grundeinsicht zu vermitteln. Besonders bei Kindern und Jugendlichen ist das induktive Verfahren,
das zugleich den Weg des entwickelnden Unterrichts darstellt, vorzuziehen, da es von Erfahrung und dem
jeweiligen Einzelfall ausgeht und zur Regel, Definition oder anderen Gesetzmäßigkeiten führt. In der
Übungsphase wird die Induktion wiederum durch die Deduktion ergänzt, wenn der Beweis für die Richtigkeit
der gefundenen Regel durch Übungsaufgaben angetreten wird.
Deduktion (S. 126)
geht von einer bereits bewiesenen Gesetzmäßigkeit oder Regel aus und erklärt mit ihr Einzelphänomene der
Alltagserfahrung. Es handelt sich also bei der Deduktion um einen Schluss vom Allgemeinen auf das Be-
sondere, Konkrete...
Deduktive Unterrichtsmethode (S. 126)
Der deduktiven Unterricht führt im Gegensatz zur induktiven Unterrichtsmethode von der Regel zum Bei-
spiel, vom Gesetz zur Fallentscheidung. Der Schüler wird vom Allgemeinen zum Besonderen geleitet.
d) Die Ermöglichung individueller Wahlen zwischen verschiedenen Instruktionsformen, um auf diese
Weise besondere Präferenzen der Schüler berücksichtigen zu können: Offenbar ist die Vorlesung für
manche Studenten eine günstige Form der Informationsaufnahme, für andere eine weniger gute.
Ähnliches gilt für Programmierte Instruktion, Fernsehunterricht, Arbeit in Gruppen oder Studium an-
hand von Lehrbüchern. Es hat sich durchweg als besonders vorteilhaft erwiesen, wenn die Studen-
ten eine ihnen besonders zusagende Form der Instruktion aus einer Reihe frei verfügbarer Instrukti-
onsangebote selbständig oder aufgrund von Beratung wählen können.
Schon diese kurze Aufzählung verschiedener Individualisierungsmöglichkeiten hat deutlich gezeigt, dass
jede Form der Individualisierung im Vergleich zum konventionellen Unterricht zusätzliche methodische Prob-
leme mit sich bringt. Benötigt werden z. B.
• geeignete Tests der Schüler um die individuellen Lernfortschritte ersichtlich zu machen.
• Voraussetzung ist ferner eine Unterrichtsplanung, die die Anpassung der Instruktion an die Bedin-
gungen des einzelnen Schülers ermöglicht.
• Notwendig sind schließlich Lehrmaterialien, die es erlauben, dass verschiedene Schüler zum glei-
chen Zeitpunkt an unterschiedlichen Lernaufgaben arbeiten.
Dies alles läßt sich unter den heutigen Schulbedingungen nur z. T. verwirklichen. Die notwendige Individua-
lisierung wird also einerseits vorwiegend intuitiv durch Anpassung des Lehrerverhaltens an unterschiedliche
Schüler geleistet werden müssen; andererseits dürften intensive Bemühungen für kleinere Unterrichtsab-
schnitte möglich sein.
Eines der umfassendsten systematischen Individualisierungspro gramme wurde im „Learning Research
and Development Center“ an der Universität Pittsburgh unter Leitung von Robert Glaser (1968) entwickelt
und unter dem Namen „Individualisierte Vorgeschriebene Instruktion“ (In dividualized Prescribed In-
struction: IPI) bekannt. Ausgangspunkt dieser Arbeiten ist die Überzeugung, dass Lernen letztlich immer
Lernen, Lehren, Wissen
17
individuell erfolgt, auch wenn es in der Gruppe stattfindet. Ein optimales Lehrverfahren müsste demnach
diese individuellen Bedingungen berücksichtigen. Nach Meinung von Glaser und seinen Mitarbeitern eignet
sich dafür die Programmierte Unterweisung, wenn sie nicht in das starre Jahrgangssystem herkömmlicher
Schulen gepreßt wird, sondern als ein verfeinertes, flexibles Lehrverfahren zum Einsatz kommt.
� Bei der Individualisierten Vorgeschriebenen Instruktion handelt es sich um ein Lehrverfahren, bei
dem die individuellen Unterschiede zwischen den Schülern berücksichtigt werden.
Zu diesem Zweck bestimmt ein umfassender Placierungstest für jeden Schüler und jedes Fach die Unter-
richtseinheit, mit der begonnen werden kann. Beherrscht das Kind bereits einige der geforderten Lernziele,
so erhält es nur jenes Lernmaterial, das zum Erwerb der fehlenden Kenntnisse notwendig ist. Dieses Lern-
material besteht in der Regel aus Lehrprogrammen , die der Schüler bearbeiten muss. Eingestreute
Testverfahren erlauben eine Überprüfung des Lernfortschritts und notfalls die Bereitstellung zusätzlicher
Hilfen. Nur wenn im Abschluss Test mindestens 85% richtige Lösungen erzielt wurden, kann der Schüler zur
nächsten Lerneinheit übergehen.
Dem Programm liegen also folgende theoretischen Ann ahmen zugrunde:
1) Schüler unterscheiden sich in der erforderlichen Zeit und Übung, um ein bestimmtes Instruktions-
ziel zu erreichen.
2) Ein wichtiger Gesichtspunkt bei der Berücksichtigung individueller Unterschiede ist die Schaffung
von Bedingungen , damit jeder Schüler die aufeinanderfolgenden Lerneinheiten in der ihm gemä-
ßen Schnelligkeit und mit dem für ihn notwendigen Maß an Übung durchlaufen kann.
3) Wenn eine Schule über geeignetes Lernmaterial verfügt, und wenn die Lehrer das selbständige Ler-
nen der Schüler besonders betonen, dann können auch Grundschüler mit einem Minimum an di-
rekter Instruktion durch den Lehrer auskommen.
4) Bei der Arbeit innerhalb einer Sequenz von Lernschritten sollte keinem Schüler erlaubt werden, mit
einer neuen Lerneinheit zu beginnen, wenn er nicht zuvor jene Lernschritte gemeistert hat, die als
Voraussetzungen für die nachfolgenden Einheiten identifiziert wurden.
5) Wenn es dem Schüler ermöglicht wird und er dazu ermuntert wird, individuell zu lernen, dann ist für
ihn und für den Lehrer wichtig, daß das Programm regelmäßige Beurteilungen des Lernfort-
schrittes vorsieht.
Diese Diagnosen bilden gleichzeitig die Basis für die Entwicklung der individualisierten Instruktionsvorschrif-
ten (Gibbson 1970, S. 43 f)
Das Programm hat sich offensichtlich bereits in vielen amerikanischen Schulen bewährt. Allerdings erfolgte
die Beurteilung lediglich aufgrund der Messung einiger genau umschriebener Leistungskriterien. Dabei
schrieb Glaser schon 1968:
"Es ist leicht einsehbar, daß die individualisierte Instruktion ihren Hauptwert nicht im Errei-
chen bestimmter Leistungskriterien sieht, sondern in der Vermittlung anderer Erziehungs-
ziele, z. B. Selbständigkeit, Selbstinitiierung des eigenen Lernens und das Gefühl der Ver-
antwortlichkeit über die Lernumwelt.« (S. 6)
Und auch zwei Mitarbeiter Glasers betonen, daß es "das eigentliche Ziel jeder individualisierten Instruktion
ist, dem Schüler ein Maximum an Fähigkeiten zur Planung und Steuerung des eigenen Lernens zu vermit-
teln“ (Linovall & Cox 1970, S. 68).
Inwieweit solche Ziele durch das Programm erreicht werden, ist gegenwärtig nicht exakt zu beantworten.
Lernen, Lehren, Wissen
18
Wir stoßen damit wieder auf den bereits erwähnten Gegensatz. Heißt Individualisierung des Unterrichts die
zunehmende Kontrolle einzelner Schüler durch die Instruktion oder die Kontrolle der Instruktion durch den
einzelnen Schüler? Unterricht sollte immer und auf jeder Altersstufe Möglichkeiten der Selbstorganisation
des Lernens durch die Schüler enthalten; Unterricht sollte aber auch immer und auf jeder Altersstufe effektiv
vorgeplante Lehrprogramme anbieten. Und noch ein Zweites: Zunehmende Individualisierung darf nicht als
Ersatz, sondern muß als Ergänzung des Gruppenunterrichts verstanden werden. Beispielhaft dafür ist der
sog. WINNETKA-Plan . Darin heißt es nämlich:
"Wenn irgendein Gesichtspunkt der Erziehung legitimerweise als Winnetka-Plan bezeichnet werden kann,
dann ist es das Prinzip der Unterscheidung zwischen
a) der individuellen Beherrschung von Fertigkeiten und
b) Gruppen- und kreativen Aktivitäten, sowie die Vermittlung der Techniken, um beide Aspekte zu ent-
wickeln und ihre Interaktion zu sichern.“ (Washburne & Marland 1963, S. 107)
Diese Formulierung scheint mir als Forderung für jede Form modernen Unterrichts Gültigkeit zu besitzen.
Die Berücksichtigung lernprychologischer Gesetzmäßigkeiten als Mittel der Instruktionsoptimierung
Die Unterscheidung verschiedener Arten des Lernens und die Berücksichtigung individueller Unterschiede
bei den Lernenden haben das Problem der Instruktionsoptimierung außerordentlich kompliziert.
Lassen sich für das kognitive Lernen unter schulischen Bedingungen einige allgemeine Prinzipien der In-
struktionsoptimierung benennen? Das ist nach meiner Meinung möglich, wenn man akzeptiert, daß sich
daraus keine konkreten Handlungsanweisungen zur Gestaltung der Instruktion bei bestimmten Lernzielen,
Lerninhalten und Gruppen von Lernenden ableiten lassen. Die folgenden Regeln erlauben also lediglich eine
sehr grobe Orientierung; sie dürfen keinesfalls als formale Instruktions- oder Lehrstufen verstanden werden.
Die Artikulation des Unterrichts kann also nicht in der Aufeinanderfolge von fünf oder sechs großen Lern-
schritten
bestehen, sondern umfaßt eine Vielzahl immer wiederkehrender und sich verändernder Anregungen, Anwei-
sungen,
Erklärungen, Hilfen, Übungen, Überprüfungen, Rückmeldungen usw. Im Verhältnis dazu stellen die Instrukti-
onsprinzipien, wie gesagt, nur eine sehr grobe Orientierungshilfe dar.
a) Der Lernende muß auf die Lernaufgabe eingestelltwer den . Eine besonders interessante metho-
dische Verfahrensweise stellen die von Ausubel (1974) eingeführten, advance organizers dar.
Meist handelt es sich um einen kürzeren sprachlichen Text, der vor der eigentlichen Lernaufgabe
dargeboten wird und die wichtigsten und umfassendsten Begriffe des Lernstoffs enthält. Nach Ausu-
bel wird das Aufnehmen und Behalten neuer Informationen in zweifacher Weise begünstigt:
I. stützen sie sich ausdrücklich auf jegliche, beim Lernenden schon vorhandene und für den
Lerninhalt relevanten Schlüsselbegriffe und mobilisieren diese, indem sie sie in die über-
geordnete kognitive Gesamtstruktur eingliedern .
II. Sorgen advance organizers durch Bereitstellung übergeordneter Begriffe für optimale Ver-
ankerung. Dies erleichtert nicht nur die anfängliche Einordnung von Begriffen, sondern
stärkt auch die spätere Widerstandskraft gegen Lösc hung . (Ausubel 1974, S. 223 f)
Eine ähnliche Funktion wie »advance organizers« können eingestreute Fragen, Zusammenfassungen und
Abbildungen erfüllen.
b) Bei der Vermittlung des Lerninhalts sollten aufnehm end-rezeptive und entdeckende Lernver-
fahren kombiniert werden � größere Transfereffekte. Dabei erwiesen sich allerdings viele Anga-
Lernen, Lehren, Wissen
19
ben zum entdeckenden Lernen als relativ ungenau und didaktisch wenig ergiebig. In seiner kürzlich
publizierten Dissertation hat nun Klaus Riedel (1973) zwei Lehrstrategien zum entdeckenden Ler-
nen unterschieden und miteinander verglichen. Es handelt sich dabei um ergebnisorientierte und
um problemorientierte Lehrhilfen.
� Bei ergebnisorientierter Instruktion
Lehrhilfe beruht das Erfassen auf
einer Regelmäßigkeit in einer Viel-
zahl strukturverwandter Situatio-
nen.
� Bei problemorientierten Hilfen dar-
über hinaus auf das Verstehen die-
ses regelhaften Beziehungszu-
sammenhangs zielt. (S, 89)
Bei einer ergab sich, »daß die um Organisierung und Strukturierung des Lernprozesses bemühten problem-orientierten Hilfen bei ähnlichen Aufgaben zu erheblich höheren Transferleistungen befähigen als die zum analytischen, schlussfolgernden und prüfenden Denken weniger herausfordernden ergebnisorientierten Hil-fen« (S. 295).
c) Durch die Instruktion muß die aufgabenbezogene Akti vität des Lernenden gefördert und er-
halten werden. Fragen beantworten, lautes Lesen, Erarbeiten einer Gliederung oder Zusammen-
fassung, Unterstreichen wichtiger TextsteIlen, selbständiges Lösen von Aufgaben sind einige der
verwendeten Methoden, um die äußere Aktivität des Lernenden zu kontrollieren.
d) Regelmäßige, verteilte und möglichst variable Übung ist eine Voraussetzung für den langfris-
tigen Lernerfolg. Bedingungen für das Erlernen und Behalten der Informationen dar. Obwohl die
Zahl der Wiederholungen beim Auswendiglernen eine besonders große Rolle spielt, kommt der
Übung auch beim einsichtigen, sinngemäßen Lernen eine wichtige, im Unterricht häufig unterschätz-
te Funktion zu.
e) Jeder Unterricht bemüht sich um die Vermittlung von Einsicht, um die Erschließung von
Sinn . Nach Ausubel (I968) hängt nämlich sinnvolles Lernen nicht so sehr von Zahl, Verteilung und
Konsequenzen einzelner Wiederholungen des Lernstoffes ab, sondern von der logischen Bedeutung
des zu lernenden Inhalts, von der kognitiven Struktur des Lernenden und von seiner LerneinsteI-
lung. Sinnvolles Lernen ist also dadurch charakterisiert, daß neue Informationen in die kognitive
Struktur des Lernenden eingegliedert werden. Dies wiederum ist abhängig von der Verfügbarkeit kla-
rer, stabiler und möglichst allgemeiner Ankerbegriffe. Günstig ist deshalb nach Ausubel die Benut-
zung eines Lehrverfahrens, das zuerst die allgemeinste und umfassendste Konzeption vermittelt,
diese im weiteren Verlauf differenziert, ihre wechselseitigen Bezüge bewußt werden läßt und
schließlich dafür sorgt, daß sich das so Verstandene konsolidieren kann.
f) Durch Instruktion ist dafür zu sorgen, daß jeder Le rnende möglichst unmittelbar über seine
Lernfortschritte informiert wird . Das ist besonders dann instruktionsrelevant, wenn der Lernende
selbst über keine eigenen Beurteilungs- und Bewertungsmaßstäbe verfügt. Erinnert werden darf in
Lernen, Lehren, Wissen
20
diesem Zusammenhang an die Beziehung zwischen der Rückmeldung der Lernergebnisse auf der
einen und Lob bzw. Tadel auf der anderen Seite.
I. Die Rückmeldung über das erzielte Handlungsergebnis sollte ganz von Lob und Tadel ge-
trennt werden.
II. Jeder Schüler sollte möglichst umgehend Rückmeldung erhalten. Das genügt für eine Reihe
von Schülern, sie benötigen keine Fremdbekräftigung, sondern bekräftigen sich selbst, so-
bald sie das Handlungsergebnis kennen.
III. Bei Schülern dagegen, die extrinsisch, d. h. vorwiegend um der Fremdbekräftigung willen
motiviert sind, oder bei solchen, die ihrer Selbstbekräftigung einen unrealistischen Güte-
standard zugrunde legen, kann Lob und Tadel dann zur besseren Motivierung und zur wei-
teren Motiventwicklung beitragen, wenn
IV. der Lehrer den Gütestandard jeweils auf die individuelle Bezugsnorm, d. h. auf den erreich-
ten Leistungsstand des betreffenden Schülers stützt und wenn er
V. eine Kausalattribuierung vornimmt, indem er Tadel an ungenügende Anstrengung und Lob
an realisierte Fähigkeiten knüpft.
Eine alte, aber falsch gestellte Frage: Bessere Lehrmethoden oder bessere Lehrer?
Die Erforschung effektiver Instruktionsbedingungen wurde häufig als ein Gegensatz zur Würdigung der
Lehrerpersönlichkeit angesehen. Stolurov (1965) hat dazu den einprägsamen Satz formuliert: »Model the
master teacher or master the teaching model?« Frei übersetzt könnte man sagen: »Modellieren wir den
Meisterlehrer, oder meistern wir das Lehrmodell?« Diese Frage halte ich für völlig falsch gestellt. Mit der
Verwissenschaftlichung der Lehrmethoden wird der Lehrer nicht unwichtig oder gar überflüssig, sondern es
wird eine erweiterte pädagogische Qualifikation erforderlich.
� Um es kurz zusammenzufassen: Die Rollen des Lehrers als Erzieher, als Unterrichtender, als Beur-
teilender, als Beratender und als Verhaltensmodell werden durch die Erforschung der Instruktions-
bedingungen nicht abgebaut, sondern z. T. erst pädagogisch ermöglicht. Bessere Lehrmethoden er-
fordern deshalb auch bessere und besser ausgebildete Lehrer.
Unterricht (12)
Begriffliche und theoretische Grundlagen.
Definition: Unterricht kann als langfristig organisierte Abfolge von Lehr- und Lernsituationen verstanden
werden, die von ausgebildeten Lehrpersonen absichtsvoll geplant und initiiert werden und die dem Aufbau
von Wissen sowie dem Erwerb von Fertigkeiten und Fähigkeiten der Lernenden dienen. Sie finden in der
Regel in bestimmten dafür vorgesehenen Institutionen unter regelhaften Bedingungen statt (Terhart, 1994).
Wenn in diesem Abschnitt von Unterricht oder unterrichtlichem Lehren und Lernen die Rede ist, dann ist
primär der Unterricht in der Schule gemeint.
Didaktische Theorien – Modelle für die Planung und Analyse von Unterricht.
Bekannt geworden sind vor allem die didaktischen Modelle von Klafki (1963, 1996) und Heimann, Otto und
Schulz (1965), auf die hier kurz eingegangen werden soll.
� Klafki (1963, 1996) akzentuiert in seiner bildungstheoretischen, später zur kritisch-
konstruktiven Didaktik weiterentwickelten Konzeption die Auswahl und Begründung von Unter-
Lernen, Lehren, Wissen
21
richtsinhalten. Dem Bedeutungsgehalt eines Themas misst Klafki die zentrale Rolle für die Bildung
der Lernenden bei. Die Lehrperson vorrangig die Aufgabe, die Inhalte auf ihren gegenwärtigen und
zukünftigen Bedeutungsgehalt zu analysieren. Hierzu entwickelt Klafki die sog. Didaktische Analy-
se, die der Lehrperson Leitfragen zur Vorbereitung ihres Unterrichts an die Hand gibt.
� In ihrer Berliner Didaktik unterscheiden Heimann, Otto und Schulz (1965) vier Entscheidungs-
felder (Ziele, Inhalte, Verfahren und Medien des Un terrichts) und zwei Bedingungsfelder
(anthroprogene und soziokulturelle Lernvoraussetzun gen der Lernenden) und betonen deren
Interdependenz. Das Berliner Modell hatte großen Einfluss auf die Ausbildung ganzer Lehrergenera-
tionen und akzentuiert vor allem die Frage nach der sinnvollen und kohärenten Beziehung zwischen
Zielen, Inhalten und Methoden des Unterrichts.
� Von Schulz (1980) wurde es zur Hamburger Didaktik weite rentwickel t, wobei er vor allem an den
wissenschaftstheoretischen Prämissen des Berliner Modells Änderungen vornahm.
Die Modellen und Theorien der allgemeinen Didaktik geben der Lehrperson wichtige Leitfragen zur Planung
von Unterricht an die Hand, sensibilisieren für bestehende Zusammenhange zwischen den verschiedenen
Entscheidungsfeldern, regen zur Reduzierung und Strukturierung des Unterrichtsgegenstands an und bilden
damit ein Gerüst für die Planung und Analyse von Unterricht.
Kritik: die mangelnden Integration empirischer Forschungsbefunde und an der Abstraktheit der Modelle.
Aeblis Entwurf einer kognitionspsychologischen Didaktik.
Hans Aebli Schweizer: als Schüler Piagets entwickelt er eine stark auf kognitionspsychologischen Erkennt-
nissen beruhende Didaktik und legt den Schwerpunkt auf die Lern- und Verstehensprozesse der Ler-
nenden. Er akzentuiert die „kognitive Tiefengrammatik“ des Unterrichts (Operations- und Begriffsbildung).
Aebli geht davon aus, dass Lernende ihr Wissen selbst aufbauen müssen und dass die Auseinandersetzung
mit Problemen besonders geeignet ist, diesen Wissensaufbau zu befördern.
Die Lernprozesse im Unterricht sollten nach Aebli (1983) bestimmte Schritte durchlaufen:
• Problemlösendes Aufbauen � das Problem muss geeignet sein, die sachlichen Beziehungen und
Strukturen zu verdeutlichen und in lebenspraktische Zusammenhange eingekleidet sein.
• Durcharbeiten von Handlungen, Begriffe und Operatio nen � vertieftes Verständnis der Zusam-
menhänge erreichen und bewegliches Denken fördern.
• Übungs- und Wiederholungsphasen � dienen der Automatisierung und Konsolidierung des Ge-
lernten (Gesetz des verteilten Übens).
• Anwenden � Handlungen, Operationen und Begriffe sollen in vielfaltiger Weise angewendet wer-
den, um sie transferierbar für neue Kontexte und Situationen zu machen.
Aeblis Entwurf einer kognitionspsychologischen Didaktik erfreut sich in Deutschland in jungster Zeit wach-
sender Beliebtheit:
a) sein Entwurf als anschlussfähig an die aktuelle Unterrichtsforschung, und
b) richtet Aebli seinen Fokus nicht, wie die meisten didaktischen Theorien, auf Oberflächenmerkmale
von Unterricht, sondern eher auf die konkreten Lern- und Verstehensprozesse der Lernenden.
Lernen, Lehren, Wissen
22
Instructional-Design-Modelle
Angloamerikanische Lehr- und Lernforschung � „instructional design“
Diese Modelle fokussieren die Instruktionsdesignmodelle konkreter auf die eigentlichen Lehr- und Lernpro-
zesse und beschäftigen sich intensiver mit der Frage nach deren Wirksamkeit. Im Folgenden werden
exemplarisch Modelle vorgestellt, die sich auf behavioristische Ansätze stutzen, eine deutliche Affinität zu
kognitiven Theorien aufweisen oder an konstruktivistischen Grundannahmen orientiert sind.
Kritik: frühe Instructional-Design-Modelle haben den Unterricht sehr technologisch betrachteten und vertra-
ten ein aus heutiger Sicht vergleichsweise naives mechanistisches Verständnis des Lehrens und Lernens.
Behavioristisch orientierte Instructional-Design-Modelle.
Im Mittelpunkt des einflussreichen Modells von Carroll (1963) steht die Lernzeit . Carroll betrachtet den
Lernerfolg eines Schulers als eine Funktion des Verhältnisses von tatsachlich aufgewendeter aktiver Lern-
zeit und benötigter Lernzeit
� Lernerfolg = aktive Lernzeit / benötigte Lernzeit
Die benötigte Lernzeit wird aufseiten der Lernenden beeinflusst von deren Lernvoraussetzungen , genauer
von den aufgabenspezifischen Begabungen und den allgemeinen kognitiven Fähigkeiten . Diese wir-
ken sich auf die Fähigkeit aus, dem Unterricht zu
folgen, was wiederum Auswirkungen auf die be-
nötigte Lernzeit hat. Die Fähigkeit und Bereit-
schaft, dem Unterricht zu folgen, hängt allerdings
auch von der Qualität des Unterrichts ab:
Ist die Qualität des Unterrichts gering, benötigt
der Lernende mehr Zeit und günstigere kognitive
Lernvoraussetzungen, um dem Unterricht zu
folgen.
Als Merkmale guten Unterrichts nennt Carroll
Aspekte wie die Klarheit der Begriffe und Erklä-
rungen, die vernünftige Anordnung der Inhalte,
das Ausmaß an Wiederholungen und Anwen-
dungen, die Klarheit der Anforderungen sowie
die Bekräftigungen, Verstärkungen und Ruckmeldungen seitens der Lehrperson.
Bloom (1976) räumt der Lernzeit ebenfalls eine bedeutsame Rolle ein: 90% der Lernenden einer Klasse
können gute Leistungen erreichen, wenn ihnen ausreichend Zeit zum zielerreichenden Lernen („mastery
Learning“) zugestanden wird und wenn sich der Unterricht an den speziellen Lernbedürfnissen und Lernvo-
raussetzungen der Lernenden orientiert.
Nach Bloom zeichnet sich ein qualitativ hochwertiger Unterricht dadurch aus, dass die Lehrkraft den Un-
terrichtsstoff schrittweise darbietet und nach jeder Unterrichtssequenz den Lernenden Ruckmeldungen gibt,
ob diese die Leistungsanforderungen erfüllt haben oder nicht. Zu den weiteren Komponenten der Unterrichts
Qualität gehören die Bekräftigung der Lernenden und ein effektives Unterrichtsmanagement, das sich in
einem hohen Anteil aktiv genutzter Lernzeit widerspiegelt.
In Blooms Verständnis von Unterrichts Qualität kommt deutlich das Konzept des zielerreichenden Lernens
Lernen, Lehren, Wissen
23
zum Ausdruck (Bloom, 1971). Die Wirksamkeit ist jedoch in erheblichem Ausmaß von der Qualität des
Lehrerfeedbacks, den spezifischen Leistungsanforderungen und den eingesetzten Tests abhängig.
Unterrichtspraktisch erwies sich die Zergliederung des Lernstoffs in kleine „Häppchen“.
Problematisch sind die passive Rolle der Lernenden und die großen zeitlichen Beanspruchungen durch die
remediale Instruktionen (besonders stärkere Schuler werden durch die zahlreichen remedialen Schleifen in
ihrer Entwicklung eher gehemmt).
Kognitionspsychologisch fundierte Instructional-Design-Modelle.
� Ausubel ordnet die zentrale Rolle den Lehrenden zu.
Die kognitive Struktur des Menschen ist nach Ansicht von Ausubel (1974) hierarchisch geordnet. Sie um-
fasst auf einer höheren Ebene allgemeinere Begriffe und Konzepte, die sich nach unten in spezifischere
Begriffe und Konzepte auffalten. Damit es Lernern gelingt, neue Wissenselemente in die bestehende kogni-
tive Struktur zu integrieren, sollte die Darbietung des Unterrichtsgegenstands (Exposition) bestimmten Prin-
zipien genügen:
a) Advance Organizer als Strukturierungshinweise � gedankliche Verankerung.
b) Ein eher deduktiven Vorgehen � von allgemeinen Begriffen zu spezifischen Details, da es dem
Lernenden so leichter gelingt, neues Wissen in seine kognitive Struktur zu integrieren.
c) Integrativer Aussöhnung � Beziehungen, Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen inhaltlichen
Aspekten zu verdeutlichen und herausstellen.
d) Sequenzielle Organisation � Kohärenz des unterrichtlichen Stoffs. Lernen und Behalten werden
befördert.
e) Verfestigung � damit sind vor allem Übungen und Wiederholungenmit fortschreitenden Variationen
gemeint.
Insbesondere schwächere Schüler bedürfen aus seiner Sicht darbietender Verfahren und einer Vorstruktu-
rierung des Unterrichtsgegenstands durch die Lehrperson.
Bruner (1961) hält es für erfolgversprechender, wenn die Lernenden zunächst mit Einzelfällen bzw. b e-
stimmten Problemen konfrontiert werden, um daraus a uf übergreifende gesetzmäßige Zusammen-
hänge zu schließen . Die Lernenden sollen sich dabei aktiv und selbstständig mit den Lernaufgaben ausei-
nander setzen und so zu Konstrukteuren ihres eigenen Lernprozesses werden.
� Den Lehrenden versteht Bruner als zurückhaltenden Moderator, der für die Auswahl geeigneter
Probleme und Aufgabenstellungen sorgt und die Lernenden zum Entdecken anleitet.
Zwischen Bruner und Ausubel entspann sich seinerzeit eine anhaltende Kontroverse, die letztlich – wenn-
gleich unter Verwendung unterschiedlicher Termini – bis heute andauert.
Die Forschung zeigt zusammenfassend, dass entdeckende Lernumgebungen lehrergelenkten Settings
nicht zwangsläufig unter- oder überlegen sind, sondern dass es auf die Lernvoraussetzungen der Lernen-
den, auf Merkmale der Lernumgebung und ihrer Implementierung, und dabei insbesondere auf den Grad der
Strukturierung und auf die intendierten Kompetenzen ankommt.
Lernen, Lehren, Wissen
24
Konstruktivistische Ansätze.
Aus konstruktivistischer Sicht wird Lernen als ein konstruktiver, kumulativer, selbstgesteuerter, situativer,
individuell unterschiedlicher, gleichzeitig auf die Interaktion mit anderen angewiesener Prozess des Aufbaus
von Wissen und der Konstruktion von Bedeutung verstanden.
Die auf konstruktivistischen Annahmen beruhenden Lernumgebungen werden häufig unter dem Begriff des
situierten oder problemorientierten Lernens zusammengefasst, Situierte Lernumgebungen konfrontieren
die Lernenden in der Regel mit komplexen Aufgaben und authentischen Problemen und setzen bei der Be-
arbeitung auf ein hohes Maß der Selbststeuerung.
Zu den bekanntesten konstruktivistisch-orientierten Instruktionsmodellen zahlen das Modell der „anchored
Instruction“ und der Ansatz des “cognitive apprenticechip“. Mitunter werden auch offene Unterrichts-
formen als eine Form konstruktivistisch orientierten Unterrichts betrachtet, da man in den Wahlfreiheiten des
Unterrichts wesentliche Elemente eines konstruktivistischen Lernverständnisses berücksichtigt. Dabei wird
jedoch übersehen, dass sich aus konstruktivistischen Positionen keine direkten Schlussfolgerungen für kon-
kretes didaktisches Handeln ableiten lassen.
Anchored Instruction und Cognitive Apprenticeship
� Der Anchored-Instruction-Ansatz wurde von einer Gruppe an der Vanderbilt-Universitat in Nashvil-
le, USA (Cognition and Technology Group at Vanderbilt – CTGV) entwickelt. Die zentrale Kompo-
nente der von dieser Gruppe entwickelten Lernumgebungen sind sogenannte narrative „Anker “,
komplexe Geschichten, die den Lernenden z. B. mittels Videofilm präsentiert werden und deren Lö-
sung sie selbstständig erarbeiten sollen. Die Lehrkraft übernimmt in diesen Lernumgebungen die
Rolle eines Moderators und zurückhaltenden Betreuers.
� Der Cognitive-Apprenticeship-Ansatz (kognitive Meisterlehre) geht auf Collins, Brown und
Newman (1989) zurück. Ausgangspunkt sind Prinzipien der Handwerkslehre , die auf den Erwerb
kognitiver Fähigkeiten übertragen werden. Im Unterschied zum Anchored-Instruction-Ansatz fordert
der Cognitive-Apprenticeship-Ansatz eine aktivere Rolle der Lehrperson und eine stärkere Anlei-
tung der Lernenden, da insbesondere bei komplexeren Problemen die Gefahr der Überforderung
besteht. Ein weiteres Kernelement: Lehrende explizieren ihr Wissen durch „lautes Denken“ verbal.
Zur Gestaltung des Unterrichts nach den Grundsätzen des „cognitive apprenticeship“ werden ver-
schiedene Strategien empfohlen:
o Modeling � meint das Vorzeigen und Vormachen und das laute Denken der Lehrperson.
o Coaching � umfasst die Begleitung der Lernenden während der Problembearbeitung.
o Scaffolding � Vermittlung der Lehrperson zwischen dem bestehenden Wissen der Lernen-
den und den Anforderungen der Aufgabensituation.
o Fading � meint, dass die Lehrperson nach und nach ihre Unterstützung zurückfahrt.
o Articulation � Lernenden werden angeregt, ihre Gedanken, Ideen und Lösungen wiederzu-
geben.
o Cooperation � umfasst die kooperative Bearbeitung von Aufgaben und Problemen.
o Reflection � impliziert den Vergleich von Lösungen und Strategien im Austausch mit ande-
ren.
Lernen, Lehren, Wissen
25
Die bislang vorliegenden Studien zeichnen insgesamt ein uneinheitliches Bil d. Dies durfte teilweise
Unterschieden in der Operationalisierung der Lernumgebungen geschuldet sein, teilweise aber auch auf
eine unzureichende Erfassung und Kontrolle wichtiger Merkmale des Unterrichts und der Lernenden zurück-
zuführen sein:
• Dochy et al. (2003) gelangen in ihrer Metaanalyse zu dem Fazit, dass problemorientierte Lernum-
gebungen höhere Lernerfolge nach sich ziehen, wenn es um den Erwerb von Problemlose- und An-
wendungsfähigkeiten geht.
• Lipowsky (2002): Konstruktivistische und offene Lernumgebungen erfordern ein Mindestmaß an
Selbstregulationskompetenzen, weshalb Lernende mit günstigeren Voraussetzungen starker von
diesen Ansätzen profitieren durften.
• Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1997; Hickey, Moore, & Pellegrino, (2001):
Studienergebnisse verweisen darauf, dass sich die Art und Weise, wie konstruktivistische Lernum-
gebungen realisiert werden, erheblich unterscheiden kann und dass die Unterschiede in der Imple-
mentierung auch die Starke der Effekte der Lernumgebungen beeinflussen.
• Hardy, Jonen, Moller & Stern (2006); Lipowsky (2002 ): Offenere Lernumgebungen sind offenbar
vor allem dann lernwirksam, wenn die Lehrperson den Unterrichtsgegenstand strukturiert und die
Lernenden kognitiv aktiviert (neues Wissen mit Vorwissen verknüpfen und erweitern).
Die Diskussion über das Für und Wider von Lernumgebungen, die sich explizit auf konstruktivistische Ansät-
ze und Theorien berufen, spiegelt sich auch in der Diskussion über Vor- und Nachteile direkter und indirekter
Instruktion wider, zwei Begriffe, die vor allem in der angloamerikanischen Literatur Verwendung finden (siehe
auch oben schulische Lehre).
� Direkte Instruktion beschreibt einen Unterricht, der durch klare Zielvorgaben, , ein schrittweises
Vorgehen, Lehrerfragen mit unterschiedlicher Schwierigkeit, Phasen angeleiteten und selbstständi-
gen Übens, häufiges Lehrerfeedback und eine regelmäßige Überprüfung der Lernfortschritte der
Lernenden charakterisiert ist.
� Indirekte Instruktion wird als Sammelbegriff für unterschiedliche Ansätze und Konzepte benutzt,
wo bei die Lernenden den Unterrichtsgegenstand und das Lernmaterial partiell selbst strukturieren,
transformieren oder konstruieren (Borich, 2007) und die demzufolge mit einem geringeren Ausmaß
an Lehrerlenkung verbunden sind.
o Hierzu zählen: das entdeckende Lernen („discovery learning“), das forschende Lernen („in-
quiry based learning“), das problemorientierte Lernen, offene Unterrichtsformen und kon-
struktivistisch-orientierte Lernumgebungen.
� Die empirischen Befundlage legt nahe, dass Formen indirekter Instruktion auf der einen Seite und For-
men direkter Instruktion auf der anderen Seite komplementäre Ansätze sind, die es zu verbinden gilt.
Fokussiert man auf affektiv-motivationale Zielkriterien, so muss lehrergelenkter Unterricht nicht zwangsläufig
mit einer Belastung der Schülermotivation einhergehen, genauso wenig wie objektiv vorhandene Hand-
lungsoptionen immer mit dem Erleben von Selbstbestimmung und intrinsischer Motivation verbunden sein
müssen.
Lernen, Lehren, Wissen
26
Motivationsförderung durch offenen Unterricht?
Nach bislang vorliegenden Befunden greift aber die Annahme, dass mit dem Ausmaß an Wahlfreiheiten
auch das Autonomieerleben und als Folge die intrinsische Motivation und das Interesse linear zunehmen, zu
kurz. Zwar deuten einige Befunde auf einen Zusammenhang zwischen Wahlfreiheiten im Unterricht und dem
Autonomieerleben bzw. der Ausbildung von Interesse hin (Hartinger, 2005; Grolnick & Ryan, 1987).
� Die Schlussfolgerung „je offener der Unterricht, desto motivierter sind die Lernenden“ ist jedoch weder
empirisch haltbar, noch theoretisch zu erwarten, denn ein hohes Mas an Wahlfreiheiten kann im Sinne der
Choice-Overload-Hypothese auch zu Überforderung, Frustration, Unzufriedenheit und Lernabbrüchen fuh-
ren.
Angebots-Nutzungs-Modell.
In der deutschen Unterrichtsforschung hat sich in den letzten Jahren ein integratives systemisches Modell
zur Erklärung von Schulerfolg etabliert, das vor allem auf die Arbeiten von Fend (1981) und Helmke (2003)
zurückgeht.
Im Angebots-Nutzungs-Modell werden schulische und außerschulische Determinanten des Schulerfolgs zu
komplexen Variablengruppen auf einem höheren Abstraktionsniveau gebündelt. Dadurch entsteht eine Art
Metamodell , das aufgrund seines hohen Abstraktionsniveaus als Rahmenmodell verstanden werden kann,
welches mit spezifischeren Konstrukten und theoriegeleiteten Hypothesen „gefüllt“ werden muss.
Schulerfolg - wird in diesem Modell als Ergebnis des Zusammenspiels unterschiedlicher Faktoren betrach-
tet und umfasst dabei nicht nur die Lern- und Leistungsentwicklung, sondern auch die affektiv-motivationale
und persönlichkeitsbezogene Entwicklung der Lernenden.
Unterricht - das Modell unterscheidet zwischen dem Bildungsangebot und der Nutzung dieses Angebots
durch die Lernenden. Im Mittelpunkt des Modells steht der Unterricht, der als Angebot an Lerngelegenheiten
betrachtet wird, die von den Lernenden in unterschiedlicher Weise wahrgenommen und genutzt werden
können. Entsprechend werden Quantität und Qualität unterrichtlicher Lerngelegenheiten nicht mehr nur in
ihren Wirkungen auf den Schulerfolg untersucht, sondern auch in ihren Wirkungen auf die Wahrnehmung
und Nutzung unterrichtlicher Lerngelegenheiten.
Lehrer –Lehrerkompetenzen und Lehrermerkmale werden als wesentliche Determinanten für die Qualität
und Quantität unterrichtlicher Angebote. Fachliche und fachdidaktische Wissen und die Überzeugungen von
Lehrpersonen können sich positiv auf die Qualität und Quantität der Lerngelegenheiten und auch positiv auf
den Schulerfolg auswirken. Bei den motivationalen und persönlichkeitsbezogene Aspekte der Lehrperson
geht man heute eher von indirekten Effekten aus.
Lernende - die Entwicklung der Lernenden wird in erster Linie von deren spezifischen Voraussetzungen
determiniert. Während sich die affektiv-motivationale Entwicklung vor allem durch die affektiv-motivationalen
Voraussetzungen der Lernenden vorhersagen lässt, spielen für die kognitive Entwicklung vor allem das Vor-
wissen und die Intelligenz der Lernenden eine entscheidende Rolle. Darüber hinaus belegt eine Vielzahl
von Studien die Bedeutung der sozialen Herkunft der Lernenden für den Schulerfolg.
Klassenzusammensetzung - auch die mittlere Leistungsfähigkeit einer Klasse beeinflusst die Leistungs-
entwicklung eines Lernenden, und zwar unabhängig davon, über welche individuellen Voraussetzungen der
einzelne Lernende verfugt. Das heißt, mit einem Anstieg der Leistungsfähigkeit einer Klasse sind bessere
individuelle Leistungen der Lernenden verbunden. Mögliche Erklärungen für diesen Effekt sind, dass sich
Lernen, Lehren, Wissen
27
die Lernenden in leistungsfähigeren Klassen starker gegenseitig anregen und dass die Lehrpersonen in
leistungsstärkeren Klassen einen fachlich anspruchsvolleren Unterricht halten, schneller voranschreiten und
höhere Erwartungen an die Lernenden stellen, was sich insgesamt positiv auf die Verarbeitungstiefe aus-
wirkt.
Merkmale der Schule - Merkmale der Schule kommt im Vergleich zu Merkmalen des Unterrichts eine ge-
ringere Bedeutung für die Entwicklung der Lernenden zu. Die Schuleffektivitätsforschung gelangt zusam-
menfassend zu dem Ergebnis, dass sich lernwirksame Schulen durch hohe Leistungserwartungen an die
Lernenden, durch eine effektive und verantwortungsvolle Schulleitung, durch Konsens und Kooperation in-
nerhalb des Kollegiums, durch ein positives, störungsarmes Schulklima, durch die systematische Überprü-
fung und Bewertung von Lernfortschritten der Lernenden und durch eine intensive Zusammenarbeit mit den
Eltern auszeichnen.
Die Bedeutung der Schüler-, Klassen- und Schulebene.
Mehrebenenanalytische Auswertungsverfahren ermöglichen es, jene Anteile am Schulerfolg (Leistung,
Motivation etc.) eines Lernenden zu bestimmen, die auf Unterschiede zwischen einzelnen Schülern (Schü-
lerebene), zwischen Klassen (Klassenebene) und zwischen Schulen (Schulebene) zurückzuführen sind.
Es zeigt sich, dass sich der größte Teil der Schulleistungsvarianz mit
• individuellen Schülermerkmalen erklären lasst.
• An zweiter Stelle folgen Merkmale, die mit der Klassenzugehörigkeit eines Schulers zusammenhan-
gen,
• an dritter Stelle Merkmale, in denen sich Schulen voneinander unterscheiden
– allerdings unterscheiden sich die mittleren Varianzen teilweise erheblich!
Die Ergebnisse amerikanischer „Value-added“-Studien deuten darauf hin, dass der Klassenebene, d. h.
Merkmalen der Klasse , des Lehrers und des Unterrichts, eine größere Bedeutung eingeräumt werden
muss als bislang angenommen, wenn man nicht den Leistungsstand, sondern die Leistungsentwicklung
untersucht, und dass demgegenüber die Bedeutung der individuellen Lernvoraussetzungen eher abnimmt.
Darüber hinaus konnte mehrfach nachgewiesen werden, dass Merkmale von Schule und Unterricht für
Schuler mit ungünstigen Startvoraussetzungen eine größere Bedeutung haben als für Lernende mit günsti-
geren Startvoraussetzungen.
Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts.
Als Zielvariablen von Schulerfolg werden in den folgenden Abschnitten die kognitive und die affektiv-
motivationale Entwicklung der Lernenden untersucht.
� Grundsätzlich ist dabei zu beachten, dass die motivationale Entwicklung deutlich starker durch individuel-
le Determinanten der Lernenden bestimmt wird als die kognitive Entwicklung.
Strukturiertheit des Unterrichts.
Die Strukturiertheit des Unterrichts gilt als zentrales Merkmal effektiven Unterrichts. Bei naherer Betrach-
tung zeigt sich jedoch, dass dieses Merkmal in der Unterrichtsforschung teilweise sehr unterschiedlich ope-
rationalisiert und verwendet wird.
Bedeutungsfacetten von Strukturiertheit:
a) Strukturiertheit als eine klare erkennbare Gliederung des Unterrichts in einzelne Phasen und Ab-
schnitte und die Zerlegung des Unterrichtsinhalts in einzelne Komponenten bedeuten. Diese Bedeu-
Lernen, Lehren, Wissen
28
tung von Strukturiertheit bezieht sich also vor allem auf didaktische Aspekte des Unterrichts � Di-
daktik des Unterrichts.
b) Strukturiertheit als Konsistenz von Regeln, Erwartungen und Grenzen interpretiert. Diese Facette
von Strukturiertheit fokussiert eher auf das Verhalten der Lernenden und auf die Aufrechterhaltung
der Disziplin im Klassenzimmer � Verhaltensebene.
c) Strukturiertheit von Unterricht der stärker kognitionspsychologisch verstanden wird. Das sind ge-
eignete Maßnahmen die eine Verbindung zwischen dem Vorwissen der Lernenden und neuen Wis-
senselementen herzustellen und den Aufbau einer komplexen und geordneten Wissensstruktur beim
Lernenden zu erleichtern � kognitive Ebene.
� Kognitive Zielvariablen.
Die drei Bedeutungsfacetten implizieren unterschiedliche Annahmen über die angenommenen Wirkungspfa-
de.
• Die didaktische Strukturierung des Unterrichts setzt einen sorgfältig geplanten Unterricht voraus
und kann somit als wichtige Voraussetzung für angemessene Anforderungen an die Lernenden be-
griffen werden.
• Eine Strukturierung auf der Verhaltensebene begünstigt eine störungsfreie Lernumgebung, fordert
die Aufmerksamkeit der Lernenden und sorgt dafür, dass mehr Unterrichtszeit für die Auseinander-
setzung mit den Unterrichtsthemen zur Verfügung steht.
• Auf der Basis einer kognitionspsychologisch verstandenen Strukturiertheit lasst sich annehmen,
dass Fragen und Strukturierungshinweise der Lehrperson die Aufmerksamkeit der Schüler auf die
relevanten Aspekte des Unterrichtsgegenstands lenken, einen Überblick über den Unterrichtsgegen-
stand erleichtern und gedankliche Verankerungsmöglichkeiten bieten.
Forschungsergebnisse:
� Die didaktische Strukturierung , also die Gliederung und Sequenzierung des Unterrichts, hat sich
in Studien zum „mastery learning“ und zur „direkten Instruktion“ als lernförderlich erwiesen.
� Beleuchtet man Strukturierung auf der Verhaltensebene und fragt nach deren Bedeutung, so lasst
sich eine Reihe von Studien heranziehen, die zeigen können, dass ein störungsarmer, reibungsloser
Unterricht und ein funktionierendes Regelsystem mit einem höheren Lernerfolg der Lernenden ein-
hergehen � Häufig werden die beschriebenen Merkmale mit dem Begriff der effektiven Klassen-
führung überschrieben.
o Eine effektive Klassenführung geht mit einem aufgabenbezogeneren Verhalten der Lernen-
den und einem Mehr an inhaltsbezogenen Lerngelegenheiten – „opportunity to learn“ – ein-
her.
� Eine Reihe von Forschungsarbeiten weist nach, dass sich „time on task“, also die aufgabenbezo-
gene Nutzung der Lernzeit – sowohl der einzelnen Schüler als auch der ganzen Klasse – positiv
auf den Lernerfolg auswirkt.
� Kognitionspsychologische Ebene – hier zeigen Studien, das die Effekte von Strukturierungshilfen,
wie z. B. Advance Organizers eine mittlere Effektstarke von 0,21 aufweisen, was einem kleinen,
aber bedeutsamen positiven Effekt entspricht. Eine aktuellere Metaanalyse kann die positiven Effek-
te von mündlichen Advance Organizers bestätigen, wobei die Effekstärken jedoch in Abhängigkeit
vom Alter der Lernenden und dem untersuchten Fach variieren.
Lernen, Lehren, Wissen
29
� Zielvariable Affektiv-motivationale Aspekte des Ler nens.
Studien die sich auf die Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan fokussiert und als Zielvariablen
das Autonomie-und Kompetenzerleben der Lernenden in den Blick genommen.
Deci, E. L. & Ryan, R. M. (1985): „Intrinsic motiva tion and selfdetermination in human behavior“
����„Self-Determination Theory“ (SDT)
Intrinsische Motivation in der SDT:
1. Bedürfnis nach Kompetenz � Das Gefühl, kompetent und effektiv in der eigenen Umwelt zu wirken,
fördert intrinsische Motivation (z.B. Heckhausen 1989, Bandura 1977). Reicht zur Erklärung aber nicht
aus…
2. Bedürfnis nach Selbstbestimmung � Die Person muss sich zusätzlich frei von äußerem Druck fühlen,
d.h. Initiator des eigenen Verhaltens sein, damit intrinsische Motivation gefördert wird (z.B. DeCharms
1968)
3. Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit
� Intrinsisch motivierte Handlungen sind per definitionem selbstbestimmt.
Extrinsische Motivation in der SDT:
Auch extrinsisch motivierte Handlungen können selbstbestimmt sein. Sie lassen sich nach dem Grad ihrer
Selbstbestimmung bzw. nach dem Ausmaß ihrer Kontrolliertheit unterscheiden. Fremdbestimmte Hand-
lungsziele können im Rahmen eines Interalisierungsprozesses zu eigenen Zielen transformiert werden. Der
Grad der Selbstbestimmung steigt mit dem Grad der Internalisierung.
Zur Förderung aktiver und selbstbestimmter Formen extrinsischer Motivation müssen günstige Rahmenbe-
dingungen zur Befriedigung aller drei Bedürfnisse geschaffen werden.
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Pädagogische Psychologie
Dr. Tabea Sporer, 9. Juni 2008
Referentinnen: Doris Heise; Janine Saupe; Anja Johenning
Studien zu Autonomie- und Kompetenzerleben SDT):
• Aktuelle Studien zeigen, dass eine effektive Klassenführung und ein störungsarmer, disziplinier-
ter Unterricht positive Wirkungen auf das Autonomieerleben und auf das Kompetenzerleben der
Lernenden haben.
• Deutsch-schweizerischen Studie „Unterrichtsqualität, Lernverhalten und mathematisches Verständ-
nis „ � die Auswirkungen einer effektiven Klassenführung auf die drei sog. „basic needs“ nach Deci
und Ryan. Sie wies nach, dass je disziplinierter und störungsfreier der Unterricht verlief, desto star-
ker fühlten sich die Lernenden in ihrem Streben nach Kompetenz und Autonomie unterstützt.
o Es wurde über höhere Intensität kognitiver Aktivitäten und positivere emotionale Erfahrun-
gen berichten.
• Auch eine kognitionspsychologisch orientierte Strukturierthei t wirkt sich offenbar positiv auf mo-
tivationale Aspekte des Lernens aus, wie die Studie von Blumberg und Kollegen (2004) für das
Kompetenzerleben und die Erfolgszuversicht von schwächeren Schülern nachweisen kann.
Weitere Studien:
• Kunter und Baumert (2006): ein geringes Ausmaß an Unterrichtsstörungen positiv auf die von
Schülern erlebte Herausforderung auswirkt, die wiederum positive Effekte auf die Interessensent-
wicklung hat.
Lernen, Lehren, Wissen
30
• Helmke, Schneider & Weinert (1986): /Münchener Hauptschulstudie), eine effektive Klassenführung
einen positiven Einfluss auf das Engagement der Lernenden ausübte, das wiederum mit günstigeren
Einstellungen der Lernenden zum Fach Mathematik und mit einem günstigeren mathematischen
Selbstkonzept der Lernenden einherging.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass ein strukturierter, störungsarmer und effektiv geführter
Unterricht die affektiv-
motivationale Entwicklung der
Lernenden befördern kann. Es
kann angenommen werden,
dass ein Mindestmaß an di-
daktischer Strukturierung eine
notwendige Voraussetzung für
eine wirksame Klassenführung
darstellt, die wiederum als
wichtige Voraussetzung dafür
angesehen werden kann, dass
inhaltsbezogene Strukturie-
rungen und Hinweise Wirkun-
gen entfalten können.
Exkurs: Strukturierung des Unterrichts durch Lehrer fragen.
Lehrerfragen dienen dazu, den Unterricht zu strukturieren und zu steuern, die Aufmerksamkeit der Lernen-
den auf relevante Aspekte des Unterrichts zu lenken, das Vorwissen zu aktivieren, die Lernenden anzuregen
und herauszufordern, Lernwege, (Miss-)Konzepte und (Fehl-)Vorstellungen offenzulegen, den Wissensstand
der Lernenden zu ermitteln, Unterrichtsergebnisse zu sichern, oder manchmal auch dazu, die Lernenden zu
disziplinieren.
Kriterium kognitives Niveau der Fragen: „low-level-questions“ und „high-levelquestions „ unterschieden, wo-
bei sich „level“ meist auf die Lernzielebenen – Wissen, Verstehen, Anwenden, Analysieren, Synthetisieren
und Bewerten – nach Bloom (1974) bezieht.
Low-Level-Fragen �Fragen, deren Beantwortung auf die Wiedergabe von Informationen, Faktenwissen
und Definitionen abzielen (Ebenen Wissen und Verstehen)
High-Level-Fragen �Denkfragen, die die Verknüpfung von Informationen, Konzepten, Wissensbausteinen
etc. erfordern.
Die vorliegenden Studien beziffern den Anteil an High-Level-Fragen, je nach Definition, auf 4–20%, wahrend
sich dem gegenüber der Anteil an Low-Level-Fragen zwischen 40 und 90%. Dieser hohe Anteil an Low-
Level-Fragen wird allgemein als kritisch betrachtet. Die Forschungslage zu den Wirkungen des kognitiven
Niveaus von Lehrerfragen ist jedoch insgesamt uneinheitlich.
Als eine weitere moderierende Drittvariable für den Zusammenhang zwischen Fragenniveau und Lerner-
folg kommt der Zeitraum in Betracht, der den Lernenden zum Nachdenken nach einer gestellten Lehrerfra-
ge eingeräumt wird. Als optimal wird eine Wartezeit von 3–5 Sekunden betrachtet. In vielen Studien stellte
sich jedoch heraus, dass die tatsachliche Wartezeit im Unterricht deutlich kurzer ist. Wird die Wartezeit auf
Förderung
affektiv-
motivationale
Entwicklung
der Lernenden
didaktischer
Strukturierung
Voraussetzung für
wirksame Klassenführung
(störungsarm +
effektiv)
wirksame
Klassenführung
Voraussetzung
inhaltsbezogene Strukturierungen
Lernen, Lehren, Wissen
31
3–5 Sekunden verlängert, führt dies in der Regel zu elaborierteren Schulerbeitragen, zu einer höheren An-
zahl von Meldungen, zu häufigeren Schulerfragen und insgesamt zu einer aktiveren und niveauvolleren Be-
teiligung von Schülern am Unterricht.
Weiteres Kriterium: Offenheit der Lehrerfrage.
Inhaltliche Klarheit und Kohärenz des Unterrichts.
Kognitive Zielvariablen.
Inhaltliche Klarheit beschreibt einen Unterricht, in dem die inhaltlichen Aspekte des Unterrichtsgegenstan-
des sprachlich prägnant und verständlich, fachlich korrekt und inhaltlich kohärent dargestellt und/oder entwi-
ckelt werden.
Die Forschungslage ist trotz der weiten Bedeutung des Begriffs inhaltliche Klarheit relativ konsistent. Die
inhaltliche Klarheit des Unterrichts hat positive Effekte auf das Lernen der Schüler , unabhängig vom Alter
der Lernenden, unabhängig davon, ob die Klarheit mittels niedrig- oder hochinferenter Verfahren (hochin-
ferent: intuitive Schätzurteile - hier ist nicht expliziert was unter einem bestimmten beobachteten Aspekt zu
verstehen sei. Es sind keine definierten Kriterien zur Beurteilung angegeben sondern die Kriterien sind will-
kürlich (alltagspsychologisch) gewählt. Niedriginferent: Kriterien sind empirisch begründet, meist mehrdi-
mensionale Verfahren) erfasst wird, unabhängig davon, welche Dimensionen von Klarheit tatsachlich unter-
sucht werden und unabhängig davon, ob es sich um experimentelle oder quasi-experimentelle Studien han-
delt.
Studie Hines, Cruickshank und Kennedy (1985): niedrig und hochinferenter Verfahren - die Ergebnisse
zeigten, dass die Klarheit des Unterrichts, unabhängig von dem Verfahren der Erfassung, positive Effekte
auf den Lernerfolg und die Zufriedenheit der Lernenden hatte.
Lehrstrategien zur inhaltlichen Klarheit des Unterrichts: Einsatz und die Verbindung unterschiedlicher Reprä-
sentationsformen. So ergab die Metaanalyse von Marzano und Kollegen (2000), dass der Einsatz „nicht-
sprachlicher Repräsentationsformen“ deutliche leistungssteigernde Effekte hat, und zwar vor allem dann,
wenn sprachliche und nichtsprachliche miteinander v erknüpft wurden.
Die inhaltliche Klarheit des Unterrichts – so lasst sich annehmen – sorgt dafür, dass die wichtigsten inhaltli-
chen Aspekte klar und deutlich hervortreten und als kennzeichnende Elemente von den Lernenden identifi-
ziert, diskriminiert und verarbeitet werden. Auf der Basis der Cognitive-Load-Theorie lasst sich argumentie-
ren, dass die Betonung relevanter Informationen, der Verzicht auf irrelevante und überflüssige Informatio-
nen, die didaktische Reduktion der Komplexität des Inhalts sowie die angemessene Verbindung unterschied-
licher Repräsentationsformen das Arbeitsgedächtnis entlasten und die Informationsverarbeitung erleichtern
Die Cognitive Load Theorie (CLT) von John Sweller und seinen Mitarbeitern (Sweller, 1988, 2005a) stellt
einen weit verbreiteten, kognitionspsychologischen Erklärungsansatz zum multimedialen Lernen dar.
Bezüglich des Arbeitsgedächtnisses sei für die Gestaltung von Lernmaterialien von zentraler Bedeutung,
beide Einschränkungen (Zeitliche und Verarbeitungsbegrenzung) des Arbeitsspeichers zu überwinden. In
der Cognitive Load Theorie wird dementsprechend Verständnis definiert als Fähigkeit, die zu verstehenden
Informationselemente simultan im Arbeitsgedächtnis verarbeiten zu können (Sweller, 2005a).
(http://www.elearning-psychologie.de/clt.html)
Lernen, Lehren, Wissen
32
Motivational-affektive Zielvariablen.
Die Forschungslage hinsichtlich affektiv-motivationaler Zielkriterien ist ähnlich deutlich. Hines, Cruickshank
und Kennedy (1985) konnten in ihrer Studie nachweisen, dass eine höhere Klarheit des Unterrichts mit
einer höheren Zufriedenheit der Lernenden einhergeht Mehrerer Studien zeigen durch die eingeschätzte
Klarheit des Unterrichts einen positiven Zusammenhang mit der affektiven Entwicklung der Lernenden.
Feedback
Definition: Feedback wird als jede Art von Rückmeldung verstanden, die den Lernenden über die Richtigkeit
seiner Antwort bzw. seiner Aufgabenlosung informiert (Mory, 2004) oder die dem Lernenden inhaltliche
und/oder strategische Hilfen und Informationen zu dessen Bearbeitungsprozess zur Verfügung stellt.
Bloße Bekräftigungen (Belohnungen, Lob, Tadel) ohne Bezug auf die erbrachte Leistung werden in der Re-
gel nicht zum Feedback gezahlt.
Kognitive Zielvariablen.
Feedback gilt als zentrale Komponente im Lehr und Lernprozess.
Forschungslage: Bei naherer Betrachtung ergibt sich ein recht uneinheitliches Bild, das die Notwendigkeit
einer weiteren Differenzierung aufzeigt und die Frage aufwirft, welche Merkmale von Feedback, aber auch
welche Merkmale des Kontexts und des Lernenden dazu beitragen, dass sich Ruckmeldungen lernförderlich
auswirken. Die Feedbackforschung beschäftigt sich vor allem mit dem Lehrerfeedback auf Aufgaben, bei
denen es eine richtige Antwort bzw. Lösung gibt.
• Die einfachen Rückmeldungen informieren den Lernenden, ob seine Lösung bzw. seine Antwort
richtig oder falsch war („knowledge of results“, KOR) und ggf. noch darüber, wie die richtige Antwort
lautet („knowledge of correct results“, KCR).
• Zu den komplexen und elaborierteren Rückmeldeformen werden Hinweise gezählt, die über die
Nennung des richtigen Ergebnisses hinausgehen und weitere Informationen und Erklärungen bein-
halten, die für das Verständnis der Aufgabe von Bedeutung sind und die Lösung bzw. richtige Ant-
wort verständlich machen.
Fasst man die Vielzahl von Studien zusammen und differenziert zusätzlich nach den Formen des Feed-
backs, so zeigt sich ein konsistenteres Bild.
� Einfache Rückmeldungen , die lediglich darüber informieren, ob eine Antwort bzw. ein Ergebnis
falsch oder richtig ist, in der Regel keinen Effekt auf die Lernleistung.
� Rückmeldung die mit Informationen verbunden sind, wie die korrekte Lösung lautet bzw. ist mit
der Ruckmeldung eine Fehlerkorrektur verbunden, lassen eher ein Effekt auf den Lernerfolg be-
obachten.
Heute geht man davon aus, dass für die positiven Effekte elaborierter Feedbackformen weitere Variablen
eine Rolle spielen, über deren Zusammenspiel noch wenig bekannt ist. Hierzu zählen z. B.
o die Komplexität der Aufgabe und
o verschiedene Merkmale des Lernenden, wie z. B. dessen Vorwissen und dessen Umgang mit dem
gegebenen Feedback.
Komplexität der Aufgabe: bei einfachen Aufgabenstellungen, die lediglich die Wiedergabe von Fakten
erfordern, ist elaboriertes und komplexes Feedback eher schädlich (Mory, 2004), da es mehr Informationen
enthalt als zur Korrektur eigentlich notwendig ( � Belastung des Arbeitsgedächtnisses).
Lernen, Lehren, Wissen
33
Elaborierteres Feedback scheint vor allem bei Aufgabenstellungen, die den Erwerb von Regeln und Konzep-
ten intendieren und komplexeres Denken erfordern, wirksamer zu sein als wenig informatives Feedback
Merkmale der Lernenden: der Lernerfolg als Folge von Feedback abhängig ist vom Vorwissensstand des
Lernenden. Insbesondere bei geringerem Vorwissen sind höhere Effekte von Feedback zu erwarten (Ja-
cobs, 2002). Für leistungsstärkere Schüler kann unvollständiges Feedback (sogenannten suggestiven
Feedbacks) effektiver sein kann als für schwächere, die dem gegenüber eher von vollständigem Feedback
profitieren.
Aus einer konstruktivistischen Perspektive sind der Umgang mit und die Nutzung von Feedback relevante
mediierende Faktoren für die Wirkungen von Feedback. Aktuellere Feedbackmodelle und Forschungsbe-
funde im Kontext des selbstgesteuerten Lernens lassen erkennen, dass die Nutzung von Feedback nicht nur
von kognitiven, sondern auch von metakognitiven und aff ektiv-motivationalen Voraussetzungen der
Lernenden, wie z. B. den Zielorientierungen und den Kontroll- und Kompetenzüberzeugungen abhängig ist.
Auch der Zeitpunkt der Rückmeldung kann offenbar die Wirkungsweise des elaborierten Feedbacks beein-
flussen. In einigen Studien zeigte sich, dass sofortige Lehrerruckmeldungen im Unterricht grundsätzlich
wirksamer sind als aufgeschobene bzw. verzögerte Ruckmeldungen. Allerdings kann bei anspruchsvollen
Aufgabenstellungen verzögertes Feedback wirksamer sein als bei einfachen Aufgabenstellungen.
Motivationale Zielvariablen.
Aus theoretischer Sicht kann angenommen werden, dass insbesondere informationshaltigere Rückmeldun-
gen, die über eine reine Ergebnisruckmeldung hinausgehen, positive Effekte auf affektiv-motivationale Vari-
ablen haben (Würdigung ihre Anstrengungen, Steigerung von Kompetenzgefühl und Lernfreude).
Forschungslage � fällt uneinheitlich aus.
Auch wenn man verschiedene Feedbackformen miteinander vergleicht, wird die Befundlage nicht klarer.
Offenbar wird der Zusammenhang zwischen Feedback und Motivation von weiteren Drittvariablen mode-
riert.
Narciss (2002, 2004): die motivationsförderlichen Wirkungen eines elaborierteren informativen Feedbacks
werden nicht salient, wenn die Lernenden einer intensiven Aufgabenbearbeitung aus dem Weg gehen kön-
nen.
Elawar und Corno (1985): Mathelehrer wurde einem Training unterzogen und gaben dann Unterricht - das
ausführlichere Feedback zeigte positive Effekte sowohl auf die Leistungen als auch auf das Selbstkonzept,
die Lernfreude und auf die Einstellungen der Lernenden zur Lehrperson und zur Schule.
Kooperatives Lernen.
Kognitive Zielvariablen.
Definition kooperatives Lernen bzw. “cooperative learning“: Lernarrangements, die eine ..koordinierte,
ko-konstruktive Aktivität der Teilnehmer/innen verlangen, um eine gemeinsame Lösung eines Problems oder
ein gemeinsam geteiltes Verständnis einer Situation zu entwickeln. (Pauli und Reusser, 2000).
Ko-Konstruktion = Lernende bauen durch den gegenseitigen Austausch neues Wissen auf, entwickeln ein
neues Verständnis oder neue Aufgaben- oder Problemlösungen, die vorher in dieser Form bei keinem der
Lernenden verfügbar waren.
Lernen, Lehren, Wissen
34
Kooperatives Lernen nicht einfach gleichzusetzen ist mit jeder x-beliebigen Form von Gruppenarbeit.
Zentrale Bestimmungsmerkmale
• Positive Interdependenz (wechseitige Abhangigkeit) der Lernenden. Das bedeutet: Den Lernenden
sollte bewusst sein, dass sie die Aufgabe nur zusammen losen können.
• Dies impliziert auch, dass jedes Gruppenmitglied eine individuelle Verantwortung für den Arbeits-
prozess in der Gruppe übernimmt.
• Kooperatives Lernen lebt von der Face-to-Face-Kommunikation zwischen den Lernenden, von
Formen gegenseitiger Unterstützung und wechselseitiger Rückmeldung.
• Soziale Fähigkeiten sind gleichsam Voraussetzung und Ziel kooperativen Lernens. Ohne ein Mini-
mum an vorhandenen Fertigkeiten und Fähigkeiten ist kooperatives Lernen kaum realisierbar,
gleichzeitig dient kooperatives Lernen jedoch auch dem Aufbau sozialer Kompetenzen.
• Die fünfte Komponente bezieht sich auf metakognitive und reflexive Tätigkeiten der Lernenden (Kon-
trolle, Prüfung und Modifikation der Tätigkeiten und Arbeitsschritte).
Systematisierung nach Belohnungs-/Bewertungsstruktur und Aufgabenstruktur
• Belohnungs-/Bewertungsstruktur � Unterteilung nach individuelle Leistung der Mitglieder in der
Gruppe, nur der Gruppenleistung oder keine Belohnung/Bewertung.
• Aufgabenstruktur � nach Vorstrukturierung und Aufgabenteilung.
Zwei Bedeutsame Konzepte des kooperativen Lernens:
Student Teams -Achievement Divisions, (Slavin, 1996) -
STAD
Jigsaw (Aronson, Blaney, Stephan, Sikes, & Snapp,
1978) – „Gruppenpuzzle“
� Gruppenbelohnung aufgrund individueller Leis-
tungen der Gruppenmitglieder
� Keine Vorstrukturierung der Aufgaben
� Keine Belohnung der Leistungen
� Aufgaben sind vorstrukturiert
STAD ist eine Kombination aus Gruppenarbeit, regelmäßi-
ger Leistungsüberprüfung und Gruppenbelohnung. Es
umfasst mehrere Phasen:
1. Einführung des Themas durch Lehrer
2. Arbeiten der Schüler in Leistungsheterogenen
Gruppen
3. individuelle Leistungsüberprüfung mit einem Quiz
bzw. Test
4. Die Punkte werden pro Gruppe aufsummiert, die
Gruppe mit den meisten Punkten gewinnt. Eine
Gruppe kann also nur dann erfolgreich sein, wenn
nach der kooperativen Phase alle eine bessere
Leistungen zeigen als vorher
4 Phasen:
1. Unterteilung der Klasse in Stammgruppen mit 4–5
Mitgliedern
2. Von Seiten der Lehrperson werden Expertengruppen
gebildet auf der Basis thematischer Vorstrukturierung
3. Vermittlungsphase: „Experte“ vermittelte sein Wissen
an seine Stammgruppe
4. Gemeinsame Reflexion im Klassenverband
� individuellen Leistungsüberprüfung wird in diesem
Modell große Bedeutung eingeräumt
� Metaanalyse zeigen eine mittlere Effektstärke,
was einem schwachen, aber bedeutsamen Effekt
entspricht
� Die Befunde fallen, was den Lernerfolg anbe-
langt, uneinheitlich aus
� Einhellig weisen die Studien jedoch auf differen-
zielle Effekte innerhalb der Gruppenpuzzlegrup-
pen hin: In ihren Expertenthemen schneiden die
Lernen, Lehren, Wissen
35
� Gruppenleistung alleine ergab geringere Effekte Lernenden in der Regel besser ab als in jenen
Themen, die ihnen von ihren Mitlernenden prä-
sentiert wurden
Forschungsstand � zunächst ein relativ konsistentes Bild, aber mittleren Effektstarken in den verschiede-
nen Metaanalysen variieren erheblich.
Dies legt die Vermutung nahe, dass die Effekte kooperativen Lernens von weiteren Bedingungen beeinflusst
werden.
Rohrbeck et al. (2003) – Identifizierung mehrerer Drittvariablen: beim „peer-assisted learning“ (PAL –
Schüler unterrichten sich gegenseitig) günstiger aus, wenn die Lernenden in gleichgeschlechtlichen Gruppen
zusammenarbeiten, wenn das Ziel der Arbeit von den Lernenden festgelegt wird und wenn die Arbeit Frei-
heitsgrade für die Lernenden eröffnet. Besonders sozial benachteiligte Kinder scheinen von dieser Art des
Lernens profitieren.
Lou et al., 1996 & Webb et al., 1998: Gruppenzusammensetzung - eine heterogene Zusammensetzung
der Gruppe kommt offenbar insbesondere den schwächeren Schülern zugute. Für leistungsdurchschnittliche
Schuler zeichnet sich dagegen ab, dass ihr Lernerfolg in heterogenen Gruppen eher geringer ausfällt als in
homogenen Gruppen, für leistungsstarke Schuler differieren die Befunde � in heterogenen haben sie Grup-
pen offenbar dann einen vergleichsweise hohen Lerngewinn, wenn eine intensive, freundliche und von ge-
genseitiger Unterstützung geprägte Arbeitsatmosphäre vorherrscht. Das letztgenannte Ergebnis zeigt, dass
für das Gelingen kooperativen Lernens die Interaktionsqualität eine wichtige Rolle spielt.
Ob auch Strukturierungsmaßnahmen die Qualität kooperativen Arbeitens befördern können, ist nicht restlos
geklärt.
Theoretische Erklärungen für die Befunde:
• Aus kognitiv-konstruktivistischer Perspektive kann angenommen werden, dass kooperatives
Lernen insbesondere dann zu einer Weiterentwicklung kognitiver Schemata und Strukturen beitragt,
wenn es zu einem vertieften Austausch von Meinungen, Ideen und Konzepten zwischen den Ler-
nenden kommt, wenn widersprüchliche Meinungen aufeinandertreffen und kognitive Konflikte ent-
stehen, die zu einem inhaltlich intensiven Diskurs fuhren (Piaget, 1985).
• Soziokulturelle Perspektive - Vygotsky geht davon aus, dass die kognitive Entwicklung ein Pro-
zess ist, der vor allem durch die Aushandlungs- und Interaktionsprozesse mit (kompetenteren) Per-
sonen befördert und unterstützt wird. Lernende profitieren vor allem dann von dieser Interaktion,
wenn Anleitung und Unterstützung in der „Zone der nächsten Entwicklung“ angesiedelt sind, also
etwas über den aktuellen Entwicklungsstand des Lernenden hinausreichen.
Motivationale Zielvariablen
• individuelle Verantwortlichkeit der Lernenden gefördert wird
• sozialen Kohäsion � kommt dem Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit entgegen
Aktuelle Einzelstudien:
• Die erwarteten Effekte kooperativen Lernens auf motivationale Variablen, wie die Selbstwirksamkeit,
die erlebte Kompetenz, die wahrgenommene Anstrengung sowie die Akzeptanz der Lernumgebung,
blieben allesamt aus.
• Positive Ergebnisse ergeben sich dagegen aus zwei Studien, die die Wirkungen der STAD-Methode
und des Gruppenpuzzles untersuchten.
Lernen, Lehren, Wissen
36
o STAD-Methode: positive Auswirkung auf die Entwicklung der Selbstwirksamkeit, der intrinsi-
schen Motivation sowie auf die Zielorientierungen der Lernenden.
o Gruppenpuzzles positive Ergebnisse auf die drei „basic needs“ nach Deci und Ryan (1985),
also auf das Kompetenzerleben, die soziale Eingebundenheit und das Autonomieerleben.
Fazit: es kann nicht automatisch von positiven Effekten des kooperativen Lernens ausgehen kann. Vielmehr
deuten die uneinheitlichen Ergebnisse darauf hin, dass es auch für den affektiv-motivationalen Bereich mo-
derierende Faktoren gibt, die die Stärke der Effekte kooperativen Lernens beeinflussen.
Übungen.
Übung und Wiederholung sind wichtige Komponenten im Lern- bzw. Wissenserwerbsprozess und spielen in
vielen Instruktionstheorien und -modellen eine wichtige Rolle.Üben dient der Speicherung und Festigung von
deklarativem und prozeduralem Wissen und damit der Entlastung des kognitiven Systems. Als allgemein
anerkannt gilt, dass Training und Übung mangelnde Fähigkeiten und Begabung zumindest partiell kompen-
sieren können.
• Unterrichtsqualität: Metaanalyse für das Merkmal „Hausaufgaben und Übungen“ zeigte eine Effekt-
starke von d=0,77, was einen beträchtlichen Effekt darstellt.
• Fachdidaktik: Dabei wird meist darauf verwiesen, dass positive Effekte von Übungen am ehesten
dann zu erwarten sind, wenn ein ausreichendes konzeptionelles Verständnis beim Lernenden vor-
handen ist. Dieser weit verbreiteten Ansicht widersprechen allerdings die Befunde von Rittle-
Johnson, Siegler und Alibali (2001), die wechselseitige Zusammenhange zwischen der Entwicklung
konzeptuellen Verständnisses und prozeduraler Fertigkeiten nachweisen konnten.
• Als empirisch gut bestätigt gilt, dass verteilte Übungen grundsätzlich effektiver sind als massierte.
• Zeitraume zwischen den Übungseinheiten: uneinheitlicher Befundlage! Zu lange können den
Übungserfolg schmälern. Einer Vergrößerung der Zeitraume ist mit ein höherer Lernzuwachs ver-
bunden ist, andere Studien gelangen zu dem Ergebnis, dass gleich lange Zeitraume vorteilhafter
sind.
• Effekte des sog. Overlearning (Weiterüben einer Tätigkeit, die man eigentlich schon beherrscht):
Das Overlearning, also zusätzliche Übungsphasen, hat weder einen kurz- noch einen langfristigen
Effekt. Dieses Ergebnis widerspricht früheren Studien, die positive Effekte für das Overlearning
nachweisen konnten.
Fazit: Insgesamt verweisen die Ergebnisse darauf, dass Übungen dann vergleichsweise wirkungslos verpuf-
fen, wenn die Lernenden die auszuführenden Tätigkeiten schon beherrschen und wenn die Übungsaufgaben
keine Variationen und Herausforderungen beinhalten, sodass es den Lernenden nicht oder nur unzu-
reichend gelingt, die kennzeichnenden Bestandteile des relevanten Konzepts zu diskriminieren und zu gene-
ralisieren.
Kognitive Aktivierung.
Aus einer kognitiv-konstruktivistischen Sicht verspricht Unterricht dann erfolgreich eines vertieften Ver-
ständnisses – zu sein, wenn er Lernende zum vertieften Nachdenken und zu einer elaborierten Auseinan-
dersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand Anregt � kognitiven Aktivierung.
Inwieweit Lernende kognitiv aktiviert und stimuliert werden, lasst sich nicht direkt beobachten, sondern wird
in der Regel über verschiedene Indikatoren approximativ zu erfassen versucht.
Lernen, Lehren, Wissen
37
• Unterrichtsangebot
• Nutzung dieses Angebots durch die Lernenden
• Aspekte des Lehrerverhaltens
Die Lehrperson kann den Prozess der kognitiven Aktivierung initiieren und befördern, indem sie
� die Lernenden mit kognitiv herausfordernden Aufgaben konfrontiert,
� kognitive Konflikte provoziert,
� auf Unterschiede in inhaltsbezogenen Ideen, Konzepten, Positionen, Interpretationen und Losungen
hinweist,
� die Lernenden anregt, ihre Gedanken, Konzepte, Ideen und Losungswege darzulegen und zu erläu-
tern,
� anregende, wohl überlegte Fragen stellt und
� allgemein gesprochen eine diskursive Unterrichtskultur pflegt, in der sich die Lernenden intensiv
über inhaltliche Konzepte und Ideen austauschen.
Theoretisch weist das Konstrukt der kognitiven Aktivierung u. a. Bezüge zu den Theorien von Vygotsky
und Piaget und zu konstruktivistischen Theorien des Wissenserwerbs auf. Der inhaltliche Austausch
mit anderen Menschen, insbesondere mit kompetenteren Mitlernenden und Erwachsenen, wird von Vygo -
tsky (1978) als zentrale Voraussetzung für die allmähliche Verinnerlichung von neuen Konzepten, Strategien
und fur den Aufbau von neuem Wissen verstanden. Die Konfrontation der Schuler mit anderen Standpunk-
ten und Sichtweisen bzw. die Initiierung von Widersprüchen stellt eine Voraussetzung für das Entstehen
kognitiver Konflikte dar, die im Sinne Piagets (1985) als Motor für die Weiterentwicklung kognitiver Struktu-
ren betrachtet werden � Äquilibrationskonzept (Herstellung des Gleichgewichts von neuem und altem
Wissen, Erfahrungen, Konzepten).
Die Forschungslage (Mathematikunterricht): ein positiver, wenngleich schwachen Effekt der von externen
Beobachtern hochinferent eingeschätzten kognitiven Aktivierung auf den Lernerfolg der Schuler während
einer dreistündigen Unterrichtseinheit (TIMSS-Videostudie 1995).
QUASAR-Projekts und CAME-Projekt verweisen auf die positiven Effekte eines Unterrichts, der sich durch
eine höhere Anzahl kognitiv anspruchsvoller Aufgaben und durch die kognitiv anspruchsvolle Auseinander-
setzung mit zentralen mathematischen Kernideen auszeichnet. Ähnliche Befunde liegen für die Leseleistun-
gen vor.
Unterstützendes Unterrichtsklima
In der Schul- und Unterrichtsforschung zahlt der Klimabegriff zu den undeutlichsten Konstrukten überhaupt
� Emotionale Grundtonung der Lehrer-Schuler-Beziehung,
� die Grundorientierungen und Werthaltungen der am Schulleben beteiligten Personen oder
� die von den Lernenden wahrgenommene Lernumwelt .
Als wahrgenommene Lernumwelt kann Klima wiederum die Wahrnehmungen der einzelnen Schuler (indi-
vidual Klima) oder die Wahrnehmungen einer ganzen Klasse repräsentieren (kollektives Klima).
Die uneinheitliche Konzeptualisierung des Begriffs Klima findet auch in inkonsistenten Forschungsergebnis-
sen ihren Niederschlag.
Auch aus theoretischer Sicht lassen sich eher indirekte Effekte des Unterrichtsklimas auf den Lernerfolg
annehmen: In Klassen mit einem positiv ausgeprägten Klima, das von gegenseitiger Wertschatzung und
Respekt geprägt ist, fühlen sich die Lernenden wohler. Für diesen indirekten Effekt des Unterrichtsklimas auf
Lernen, Lehren, Wissen
38
den Lernerfolg – über das Erleben sozialer Eingebundenheit, das aktivere Engagement und eine höhere
Lernmotivation – sprechen vergleichsweise viele empirische Befunde. Darüber hinaus belegen Studien, dass
ein wertschätzender Umgang miteinander, eine warme und fürsorgliche Atmosphäre sowie ein unterstutzen-
des Lehrerverhalten das Engagement und die Anstrengungsbereitschaft, das Verhalten im Unterricht, das
Selbstkonzept, die Selbstwirksamkeit und die Zielorientierungen der Lernenden fordern können.
Fazit: Die Qualität der Lehrer-Schuler-Beziehung hat demzufolge offenbar das Potenzial, die affektiv-
motivationale Entwicklung der Lernenden zu fordern und darüber auch den Lernerfolg zu beeinflussen. Zu
beachten ist jedoch, dass die Schaffung eines guten Unterrichtsklimas nicht nur von der Lehrperson, son-
dern auch von der Klassenzusammensetzung abhängig ist.
Leistungsförderung und Leistungsausgleich – Unverei nbare Ziele des Unterrichts?
Mitunter wird die Effektivität von Schule und Unterricht nicht an der individuellen Forderung der Lernenden,
sondern an einer überdurchschnittlichen Forderung ganzer Klassen bei gleichzeitiger klassenbezogener
Verringerung der Leistungsunterschiede zwischen stärkeren und schwächeren Schülern festgemacht.
Einige Studien verweisen darauf, dass spätestens ab dem Übergang von der Grundschule in die Sekundar-
stufe Schereneffekte evident werden: Schuler, die das Gymnasium besuchen, erzielen größere Lernfort-
schritte als jene einer niedrigeren Schulform. Ditton (2007) weist bereits für die Grundschule Schereneffekte
nach: Demnach öffnet sich die Leistungsschere zwischen Kindern mit günstigeren und ungünstigeren famili-
ären und sozialen Voraussetzungen bereits am Ende der Grundschulzeit.
Als mögliche Erklärungen für Schereneffekte kommen
• Unterschiede zwischen den Schülergruppen, die sich im Zeitverlauf verstärken,
• Unterschiede in der Zusammensetzung der Klassen und dadurch ausgelöste Beeinflussungen des
Unterrichtstempos und der Unterrichtsqualität sowie
• bezogen auf die Sekundarstufe – Besonderheiten der jeweiligen Schulform in Frage.
Unterschiedliche Schulformen stellen offenbar differenzielle Entwicklungsmilieus mit spezifischen Förderbe-
dingungen dar. Nach einer aktuellen amerikanischen Studie gelingt es auch guten Lehrpersonen nicht ohne
Weiteres, die Leistungsdivergenz in Klassen zu verringern. Das bedeutet: Die besser evaluierten Lehrperso-
nen erzielten zwar höhere Lernzuwachse bei ihren Schülern, vermochten es aber nicht, die Leistungsdiver-
genz in ihren Klassen zu reduzieren.
Fazit: Zusammenfassend weisen die hier angeführten Studien darauf hin, dass es zwar in Einzelfallen gelin-
gen kann, die beiden Zielkriterien Leistungsforderung und Leistungsausgleich zu realisieren. Insbesondere
die Studie von Baumert und Kollegen (1986) macht aber deutlich, dass die Leistungsgewinne der stärkeren
Schuler in leistungsegalisierenden Klassen häufig geringer ausfallen als man aufgrund der Leistungsstarke
dieser Schuler hatte erwarten können. In der Breite zeigen sich zudem eher Schereneffekte, d. h., die Leis-
tungskurven von schwächeren und stärkeren Schülern gehen, zumindest unter den herrschenden schuli-
schen und unterrichtlichen Bedingungen, im Zeitverlauf eher auseinander als zusammen.
Optimalklassenstudien.
Lange Zeit ging man in der Unterrichtsforschung von einer prinzipiellen Unvereinbarkeit leistungs- und moti-
vationsförderlichen Unterrichts aus: Unterrichtsmerkmale, die sich positiv auf die kognitive Entwicklung aus-
wirken, ziehen Einbußen bei der affektiv-motivationalen Entwicklung nach sich und umgekehrt. In den letzten
Lernen, Lehren, Wissen
39
Jahren mehren sich jedoch die empirischen Hinweise, dass es durchaus gelingen kann, mit dem gleichen
Unterricht sowohl die Leistungsentwicklung als auch die affektiv-motivationale Entwicklung der Lernenden zu
fördern.
Optimalklassenstudien � Sie untersuchen, durch welche Merkmale sich jene Klassen auszeichnen, die
vergleichsweise hohe Zuwachse im kognitiven und affektiv-motivationalen Bereich erzielen.
Studienergebnisse im Fach Mathematik: „Positivklassen“ unterschieden sich von den restlichen Klassen
• eine intensive und effektive Lernzeitnutzung
• hohe Anteile von Kleingruppenunterricht und
• individueller Hilfestellungen sowie
• ““““Langsamkeitstoleranz ““““ ���� Tendenz der Lehrperson, den Lernenden Zeit zum Überlegen zu las-
sen.
• Sie zeichneten sich durch eine effiziente Klassenführung ,
• durch ein niedriges Interaktionstempo ,
• einen klar verständlichen Unterricht und
• eher geringe Mitbestimmungsmöglichkeiten aus.
• Eine hohe Klarheit und Strukturiertheit des Unterrichts,
• durch die Variabilität von Unterrichtsformen aus.
Allerdings: den „Königsweg“ bzw. das Muster erfolgreichen Unterrichts gibt es nicht!
Erfolgreicher Unterricht lässt sich offenbar unterschiedlich, wenngleich nicht beliebig realisieren.
Grenzen.
Bei dem hier vorgenommenen variablenzentrierten Review des Forschungsstands ist Folgendes zu beach-
ten:
1. Zwischen den dargestellten Merkmalen guten Unterrichts ergeben sich teilweise inhaltliche Über-
schneidungen . Diese Überschneidungen bedeuten auch, dass sich die Effekte mehrerer Merkmale
nicht einfach addieren lassen.
2. Guter Unterricht lässt sich somit nicht zwangsläufig an der Anzahl der überdurchschnittlich ausge-
prägten Merkmale festmachen. Unterricht kann demnach auf verschiedene Weisen erfolgreich
durchgeführt und gestaltet werden.
3. Die dargestellten Merkmale unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Komplexitat und hinsichtlich ihres
Inferenzgrades.
4. Die für diesen Beitrag herangezogenen Studien beziehen sich auf unterschiedliche curriculare Kon-
texte. Die identifizierten Merkmale sind also eher domänenübergreifender Natur.
5. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass durch den Einbezug domänenspezifischer Merkmale
noch bedeutsamere Effekte des Unterrichts zu erwarten sind (Seidel & Shavelson, 2007).
Die dargestellten Merkmale lernwirksamen und motivationsförderlichen Unterrichts lassen sich zu drei über-
geordneten Dimensionen von Unterrichtsqualität verdichten:
1. Zeit zum Lernen: Eine effektive Unterrichts- und Klassenführung und ein gut strukturierter Unter-
richt sind wichtige Voraussetzungen für eine intensive Be- und Verarbeitung der Unterrichtsinhalte
und für das Erleben eigener Wirksamkeit aufseiten der Lernenden.
Lernen, Lehren, Wissen
40
2. Klarheit und Kohärenz der Darstellung und Niveau de r Verarbeitung von Informationen: damit
wird ein Unterricht beschriebe, in dem neu zu lernenden Konzepte und Aspekte des Unterrichtsge-
genstands klar und verständlich er- und bearbeitet werden und die Lernenden zu einer vertieften in-
haltlichen Verarbeitung angeregt werden.
3. Unterstutzendes Unterrichtsklima: Eine vertiefte inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Unter-
richtsgegenstand erfordert ein hohes Engagement der Lernenden. Eine positiv ausgeprägte Lehrer-
Schuler-Beziehung und ein unterstutzendes Unterrichtsklima sind wichtige Voraussetzungen fur die-
ses Engagement der Lernenden, für das Erleben sozialer Eingebundenheit und die Forderung der
Motivation.
Diese verdichteten Dimensionen lernwirksamen und motivationsförderlichen Unterrichts weisen große Ähn-
lichkeiten mit den auf empirischer Basis gewonnenen Faktoren zweiter Ordnung auf, die mit den Begriffen
• effektive Unterrichts- und Klassenführung,
• kognitive Aktivierung bzw. kognitives Potenzial und
• Lernunterstützung bzw. unterstützendes Unterrichtsklima überschrieben werden (Brunner et al.,
2006, Klieme et al., 2006).
Offen ist gegenwärtig noch, inwieweit sich fachdidaktische und damit domänenspezifischere Merkmale von
Unterrichtsqualität in diese eher fachunabhängigen Basisdimensionen guten Unterrichts empirisch integrie-
ren lassen.
Lehren (4)
Lehren gilt als zentrales Thema der Erziehungswisse nschaft . Es hat sich aber auch die pädagogisch-
psychologische Forschung damit befasst intensiv. Drei wichtige Forschungsbereiche sind dabei
• die schulische Lehre,
• die Hochschullehre und
• die Lehre in der Erwachsenenbildung
Schulische Lehre
Die Forschung zum schulischen Lernen wurde in den 60er-, 70er- und 80er-Jahren primär im Rahmen des
sog. Prozeß-Produkt-Paradigmas durchgeführt. Die Forschungsfrage war: welche Unterrichtsprozesse
diejenigen Lehrer initiieren, deren Schüler hohe Lernzuwächse erzielten. Aus den Befunden formulierte man
das Modell der "Direkten Instruktion" (stark strukturierter, lehrergesteuerter Unterricht mit reichlichen
Übungsgelegenheiten), das sich für den Erwerb von Faktenwissen und grundlegenden Fertigkei ten ,
etwa des Rechnens, als sehr effektiv erwies.
In den letzten Jahren wandte sich die schulbezogene Forschung stärker innovativen Formen der Lehre zu, in
denen Schüler ein tieferes Verständnis und ein für das Lösen komplexer Probleme (Problemlösen) an-
wendbares Wissen erwerben sollen; für letztgenannte Lernziele eignet sich Direkte Instruktion nur sehr ein-
geschränkt.
Lernen, Lehren, Wissen
41
Hochschullehre
Im Bereich der Hochschullehre wird vor allem diskutiert, wie ihre Qualität sinnvollerweise beurteilt und ge-
steigert werden kann (Hochschulpsychologie). Eine wichtige und kontrovers diskutierte Frage bezieht sich
dabei auf den Wert studentischer Lehrveranstaltungsevaluation (Evaluation, Lehrevaluation).
Erwachsenenbildung
Hinsichtlich des Lehrens in der Erwachsenenbildung wird vor allem thematisiert, dass Modelle des schuli-
schen Lehrens für Erwachsene nur sehr eingeschränkt tauglich sind . Dies liegt daran, dass Erwachse-
ne im Vergleich zu Schülern meist andere Lernvoraussetzungen mitbringen (z.B. mehr lernstoffbezogene
Erfahrung bzw. Vorwissen) und dass in der Erwachsenenbildung sehr viel stärker als beim schulischen Ler-
nen der Erwerb von Kenntnissen im Vordergrund steht, die unmittelbar im Berufs- oder Alltagsleben ange-
wandt werden sollen. Vor diesem Hintergrund werden erwachsenenspezifische Lehrmodelle entwickelt und
evaluiert.
Prozess-Produkt-Paradigma
� Direkte Instruktion = stark strukturiert, viel Übung und vom Lehrer gesteuert
� geeignet für Faktenwissen und Fähigkeiten wie Rechnen und Schreiben
� ungeeignet für Problemlösen und Wissenserwerb
Training (23)
Training ist die planmäßige Durchführung eines Programms mit dem Ziel, Kenntnisse, Fähigkeiten und
Handlungskompetenzen von Beschäftigten zu verbessern und Verhaltensweisen zu verändern.
Der Terminus “lifelong learning” bringt zum Ausdruck, daß sich die Beschäftigten im Unterschied zu früher
während ihres gesamten Arbeitslebens weiterqualifizieren müssen, um den sich ändernden Arbeitsanforde-
rungen gerecht zu werden.
� Training überlappt sich stark mit Unterweisung, wobei Training zumeist im Zusammenhang mit kom-
plexeren Lernzielen und Verhaltensänderungen verwendet wird.
Generell unterscheidet man zwischen fachlichen und sozialen Trainingsinhalten und -zielen, wobei letzteren
eine immer stärkere Bedeutung zukommt. Training unterteilt sich idealiter in vier Phasen:
1. Soll-Ist-Abgleich . Zur Ermittlung des Trainingsbedarfs müssen einerseits die Sollziele bestimmt
werden, die für die Aufgabenerfüllung nötig sind, zum anderen die bereits vorhandenen Qualifikatio-
nen derer ermittelt werden, für die die Trainingsmaßnahmen gedacht sind. Resultat des Soll-Ist-
Abgleichs sind die verbleibenden Qualifizierungserfordernisse.
2. Lernziele festlegen. Überprüfbare Trainingsziele lassen sich auf der Wissensebene, der Hand-
lungsebene und der emotional/motivationalen Ebene unterscheiden. Die Lernziele sind die Grundla-
ge für Entwicklung und Ausgestaltung der Qualifizierungs- und Trainingsmodule.
3. Methoden und Materialen festlegen. Vor Durchführung der Trainingsmaßnahme sind auch Metho-
den und lernunterstützende Materialien festzulegen, die sich für die jeweilige Zielgruppe und die An-
Lernen, Lehren, Wissen
42
eignung der Lerninhalte am besten eignen. Je nach Trainingsinhalt sind die fachlichen, methodi-
schen und sozialen Anforderungen an die Person des Trainers zu bestimmen (train the trainer).
4. Evaluation. Zu kurz kommt in aller Regel die Evaluation der Trainingsmaßnahme (Trainings-Erfolgs-
Kontrolle). Verbreitet sind Zufriedenheitseinschätzungen der Teilnehmer, die jedoch eher den Unter-
haltungswert des Dozenten bewerten als den Erfolg der Maßnahme im Sinne höherer Kompetenzen
zur Aufgabenerfüllung. Generell lassen sich für die Evaluation interne und externe Kriterien her-
anziehen, d.h. die Leistungs-, Einstellungs- und Verhaltensmessung findet innerhalb der Trainingssi-
tuation oder am Arbeitsplatz statt. Eine weitere Unterscheidung betrifft die Evaluationsfelder :
a. Kontextevaluation zielt auf den Trainingsbedarf,
b. die Zielevaluation auf die Zieldefinition,
c. die Input- und die Prozeßevaluation konzentrieren sich auf verschiedene Aspekte der Ent-
wicklung und Durchführung der Trainingsmaßnahmen,
d. die Produktevaluation ist die bedeutungsvollste, sie ermittelt den Lernerfolg und den Trans-
fererfolg aus der Lern- in die Arbeitssituation.
� Mentales Training legt das Schwergewicht auf Denk- und Vorstellungsprozesse. Die Vermittlung
von heuristischen Regeln.
� Demgegenüber wird unter observativem Training die planmäßig wiederholte Beobachtung der Tä-
tigkeitsausführung anderer Personen in actu oder medienvermittelt verstanden (Lernen durch Be-
obachtung, Modell-Lernen).
� Beim verbalen Training stehen die Sprechprozesse im Mittelpunkt.
Bestandteil jeder Trainingsmaßnahme ist das aktive Üben (die wiederholte Ausführung der zu erlernenden
Fertigkeit). Bei schwierigen und sicherheitskritischen Tätigkeiten (Steuerung von Flugzeugen, Bedienung
chemischer Anlagen etc.) hat sich der Einsatz von Simulatoren bewährt.
Unterweisung (22)
Unterweisung: in der Arbeitspädagogik das nachdrückliche Lehren zur Vermittlung von Kenntnissen und
Erfahrungen, die Voraussetzung für die erfolgreiche Bewältigung von Arbeitsanforderungen sind.
Unterschieden wird zwischen
• einer einführenden Unterweisung , die zu neuen Aufgaben anleitet,
• der begleitenden Unterweisung , die Rückmeldung über die vollzogenen Handlungsschritte gibt,
diese gegebenenfalls korrigiert und Lernschritte bewusst macht, und
• der abschließenden Unterweisung , in der das gezeigte Verhalten kontrolliert und bewertet wird.
Gängige Methode für das Erlernen einfacher Arbeitstätigkeiten in der Praxis ist die Vier-Stufen-Methode
(auch REFA-Methode ):
• Vorbereitung auf eine Tätigkeit,
• Vorführung einer Arbeitshandlung (was, wie, warum),
• Ausführung durch die Lernenden und
• Abschluss in Form des selbständigen Weiterarbeitens mit Kontrollen und gegebenenfalls Hilfestel-
lung durch den Unterweiser.
Lernen, Lehren, Wissen
43
Unterweisungen zum Thema betrieblicher Arbeits- und Gesundheitsschutz haben das Ziel, Mitarbeiter über
Gefährdungen und Gesundheitsrisiken zu informieren, Anforderungen an sicherheits- und gesundheitsge-
rechtes Verhalten aufzuzeigen und entsprechende Verhaltensweisen einzuüben.
Moderne Unterweisungsansätze legen verstärkt Wert auf eine Berücksichtigung psychologisch-
didaktischer Kriterien der Mitarbeiterinformation und -motivation bei Vorbereitung, Durchführung und
Nachbereitung einer Unterweisung.
1. Vorbereitung: Ableitung von Unterweisungsinhalten, Zusammenstellung einer Unterweisungsgrup-
pe nach Gesichtspunkten der Organisationshomogenität (z.B. Abteilung), Aufgaben- und Situations-
homogenität (z.B. Betriebselektriker) oder Defizithomogenität (z.B. Arbeitsplatzneulinge) und indivi-
duellen Lernvoraussetzungen (Qualifikation, berufliche Erfahrung); Zeitpunkt zu Beginn der Arbeit
oder nach einer Pause, wenn möglich nicht am Ende eines Arbeitstages.
2. Durchführung: teilnehmerorientiertes Vorgehen, das aktives Lernen ermöglicht; aktives Training für
das Beherrschen von Bewegungen und Bewegungsabläufen; gedankliche Auseinandersetzung mit
theoretischen Lerninhalten; Einbindung der Mitarbeiter (“Betroffene zu Beteiligten machen”) und
Nutzung des Erfahrungswissens und der Kreativität der Teilnehmer; anschauliche Demonstrationen
durch visuelle Unterstützung ( Filme, Dias).
3. Nachbereitung: Überprüfung von Lernzielen durch Gespräche, schriftliche Abfrage oder Verhal-
tensbeobachtung zur Rückmeldung über den Lernfortschritt. Dem Lernenden (und dem Unterweiser)
selbst wird dadurch erkennbar, ob die Lernziele bereits erreicht sind oder wie weit die Unterwiese-
nen noch davon entfernt sind. Anerkennung von positivem Verhalten (Öffentlich machen von Erfol-
gen, Lob etc.), unterstützt durch Vorbildverhalten von Führungskräften, und konsequente Kritik an
nicht erwünschtem Verhalten dienen dazu, erreichte Lernerfolge zu festigen und als Verhaltensge-
wohnheiten zu etablieren.
Wissen (15)
Epistemologische Grundlagen.
Die Frage, was Wissen ist und wie es entsteht, gehört zu den grundlegenden Fragestellungen der Philoso-
phie.
In der westlichen Epistemologie ist der Begriff des Wissens seit jeher eng mit der Suche nach der „Wahrheit“
verknüpft; dies prädestiniert das Thema für eine kontroverse Debatte, die sich bis auf die antike Auseinan-
dersetzung zwischen Platon und Aristoteles zurückverfolgen läßt:
Platon(428 – 347 v.Chr.): Es existiert ein apriorisches Wissen, das nicht durch Sinneswahrnehmungen er-
klärt werden muss. Wissen wird folglich deduktiv erlangt, die absolute Wahrheit entsprechend durch logi-
sches Denken erschlossen. Damit war der Rationalismus geboren, der in der ersten Hälfte des 17. Jahr-
hunderts mit René Descartes seinen wichtigsten Vertreter fand.
Aristoteles (384 – 322 v.Chr.): konterte - es gibt kein apriorisches Wissen, er sah in der Sinneserfahrung die
einzig wahre Wissensquelle. Wissen, so sein Fazit, wird induktiv erlangt, Erkenntnis aus Sinneserfahrungen
abgeleitet. Aristoteles schuf auf diese Weise den Gegenspieler des Rationalismus – den Empirismus , der
in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts am prominentesten von John Locke repräsentiert wurde.
Lernen, Lehren, Wissen
44
Kant und Hegel (18. Jahrhundert): sie versuchten vor allem, Rationalismus und Empirismus zu „versöhnen“,
etwa mit der Annahme eines Zusammenwirkens von logischem Denken und Sinneswahr nehmung .
Im Laufe des 20. Jahrhunderts gesellten sich weitere Strömungen hinzu (z.B. Phänomenologie, Pragmatis-
mus etc.), die das Wissen in enger Verbindung etwa mit Handeln, Körpererfahrung oder Sprache sahen. In
der Folge verwischten die Grenzen der beiden „alten Lager Rationalismus und Empirismus“ ein wenig, ohne
aber zu verschwinden. Im Gegenteil: Wer sich mit Wissen auseinandersetzt und nach seinem „Wesen“
sucht, den beschäftigt die zugrundeliegende Kontroverse auch heute noch.
Verschiedene Sichtweisen von Wissen.
� Es gibt bis dato keine einheitliche Definition dessen, was Wissen ist.
Aus behavioristischer Sicht , die im Kern die Tradition des Empirismus fortsetzt, wird Wissen als Besitz von
Reiz-Reaktions-Verbindungen (Assoziationstheorie) und/oder Aktivitätsmustern (Konnektionismus) im
Gedächtnis verstanden.
Aus kognitiver Sicht , die eher rationalistischen Prinzipien folgt, entspricht Wissen dem Besitz von Konzep-
ten und kognitiven Fähigkeiten zur Wiedererkennung und Konstruktion von Symbolmustern. Wissen gilt hier
als Grundlage für so allgemeine Fähigkeiten wie Sprechen und Sprachverstehen oder Problemlösen und
Denken. Aus einer neueren „situativen“ Sicht wird Wissen als in der Welt verteilt interpretiert. Im Gegen-
satz zu den beiden vorangegangenen Sichtweisen liegt hier der Fokus weniger auf der Frage nach der Be-
schaffenheit von Wissen als vielmehr auf der Suche nach der Art, wie Wissen unter Individuen, Gemein-
schaften und deren Artefakten verteilt ist � Pragmatismus und soziohistorischen Herangehensweise.
Wissen in verschiedenen historischen Kontexten.
Was die Menschen unter Wissen verstehen und wie sie damit umgehen, ist in hohem Maße von den gesell-
schaftlichen Rahmenbedingungen abhängig � Wissenssysteme unterliegen einem historischen Wan-
del :
• In schriftlosen Kulturen wurde Wissen ausschließlich interaktiv und über die gesprochene Sprache
von Generation zu Generation tradiert und war entsprechend situativ gebunden .
• Mit den frühen Schriftkulturen wurde die symbolische Repräsentation von Wissen möglich, was dazu
führte, dass bislang allgemein zugängliches Wissen zu einem Wissen von Experten und Eliten
wurde.
• Antike und im Mittelalter: Wissensträger waren nun immer mehr die Gelehrten.
• Erst mit dem Buchdruck veränderten sich die soziale Wissensverteilung und die Art der Wissenstra-
dierung: Wissenschaftliches Denken und Handeln prägten die europäische Neuzeit und forcierten
eine systematische Produktion von „Erfahrungswissen“.
• Industriezeitalters: Spezialisierung und Kanonisierung von Wissen, die in eine historisch neuartige
Kluft zwischen wissenschaftlichem Wissen und Alltagswissen mündeten.
• Heute - exponentiellen Wachstum des Wissens und einem enormen Fortschritt auf dem Sektor der
neuen Informations- und Kommunikationstechnologien . Vor allem letztere führen zu prinzipiellen
Veränderungen in
o der Repräsentation von Wissen (multimedial präsentiertes Wissen in Hypertextformat),
o im Zugriff auf Wissen (orts- und zeitunabhängiger sekundenschneller „Wissenstransport“)
Lernen, Lehren, Wissen
45
o sowie in der Verteilung von Wissen (disperses Wissen in weltweiten Netzen).
Die Psychologie des Wissens.
Hoher Aktualität Wissen als Gegenstand der psychologischen Forschung.
Im Rahmen der Kognitionspsychologie (Kognition) hat sich seit Mitte der 80er Jahre die Wissenspsy-
chologie (Mandl & Spada, 1988) entwickelt, die verschiedene Forschungsinhalte wie Modelle der Wissens-
repräsentation (Gedächtnis), Erwerb von Wissen (Lernen), Anwendung von Wissen (Denken; Entscheidung;
Handlung) und Wissensveränderung beinhaltet.
Wissenstypen.
Aristoteles
Fortgeführt und modernisiert wurde diese antike Einteilung mit der organisationspsychologisch geprägten
Unterscheidung zwischen
• Kennen–Wissen als Kenntnis von Theorie und Forschung,
• Können–Wissen als praktische Kenntnisse von Produkten und Prozessen und
• Wollen–Wissen als handlungsleitende Vision.
Die in der Tradition der cognitive science stehende Forschung der Wissenspsychologie unterscheidet
• das deklarative Wissen (Faktenwissen)
• vom prozeduralen Wissen (Handlungswissen) und
• Kontrollwissen (Wissen um die Vorgehensweise die zum gewünschten Ergebnis führen).
Vor allem in der Praxis weit verbreitet ist die Trennung zwischen
• Explizitem � wenn es sprachlich artikuliert werden kann, im weitesten Sinne verstandesabhängig
ist und sich mit der Eigenschaft „sequentiell“ charakterisieren lässt,
• implizitem Wissen � ist nicht direkt artikulierbar, im hohen Maß von Erfahrungen abhängig und
hat das Merkmal der Gleichzeitigkeit.
Diese Gegenüberstellung lässt sich auf Polanyi (1966 ) zurückführen: Er Unterschied zwischen
• focal knowledge – Wissen über ein Objekt oder Phänomen, das gerade im Mittelpunkt der Auf-
merksamkeit steht – und
• tacit knowledge – Wissen, das als „Werkzeug“ für den Umgang mit dem im Fokus stehenden Wis-
sen zu verstehen ist.
So unterschiedlich akzentuiert diese Einteilungen auch sein mögen, so liegt doch überall die Idee zugrunde,
daß es, vereinfacht ausgedrückt,
praktischem Wissen = resultiert aus Erfahrung
theoretischem Wissen = Ergebnis des Denkens
Lernen, Lehren, Wissen
46
� ein erfahrungsabhängiges, schwer artikulierbares Kn ow-how und ein
� erwerbsabhängiges, leichter explizierbares Know-tha t gibt.
Aus organisationstheoretischer Sicht ist die Unterscheidung zwischen
• individuellem ist in den Köpfen der Menschen gespeichert,
• organisationalem Wissen zentral � Wissen, das in sozialen Systemen (Organisationen) bzw. in
deren Regelsystemen.
In diesem Zusammenhang wird etwa auch das
• geteilte Wissen als Kern der organisationalen Wissensbasis
• dem verfügbaren Wissen und
• dem erreichbaren Wissen gegenübergestellt.
Die Merkmale implizit und explizit, die ursprünglich auf das Individuum bezogen waren, können auch auf das
organisationale Wissen angewandt werden, woraus die Unterscheidung zwischen
• objektiviertem (expliziten) Wissen und
• kollektivem (impliziten) Wissen resultiert.
Was Wissen von Information unterscheidet.
In der Alltagssprache wird selten zwischen Wissen und Information unterschieden: Wer über etwas „infor-
miert“ ist, „weiß“ Bescheid; wer das „Wissen“ hat, kann „Informationen“ weitergeben.
In der Psychologie aber wird durchaus zwischen Information und Wissen unterschieden. Man geht sogar
noch weiter und ordnet Zeichen, Daten, Information und Wissen in einer Art „Wissensleiter“ an: Zeichen
(etwa in Form von Buchstaben, Ziffern oder Sonderzeichen) bilden als die kleinsten Einheiten die unterste
Stufe der Leiter.
� Information ist der Rohstoff für die Bildung von Wissen
Damit aus Information Wissen wird, muss die Information in einem bedeutungshaltigen Kontext mit der Er-
fahrung einer Person und ihrem Vorwissen verknüpft werden. Wissen ist demnach mehr als die Ansamm-
lung von Information.
Damit aus Information Wissen wird, muß der Mensch auswählen, vergleichen, bewerten, Konsequenzen
ziehen, verknüpfen, aushandeln und sich mit anderen austauschen (Informationsverarbeitung).
Im Gegensatz zu Informationen dreht sich Wissen um persönliche Vorstellungen und individuelles Engage-
ment; dabei ist es kontext- und beziehungsspezifisch und letztlich am (sozialen) Handeln orientiert. Die-
se sich zunehmend verbreitende Interpretation von Wissen entspricht einer (gemäßigt) konstruktivisti-
schen Auffassung , der zufolge Wissen kein Reservoir objektiver wissenschaftlicher Resultate, sondern
Ausgangspunkt, Weg und Ziel menschlicher Realitätskonstruktionen zugleich ist. Gestützt wird die Annahme
vom Wissen als kontextabhängigen kognitiven und sozialen Konstruktionsprozess unter anderem von der
Expertiseforschung, die die Besonderheiten des Expertenwissens und seine Entstehung untersucht.
Lernen, Lehren, Wissen
47
Wissenserwerb (18)
Lernen = Wissenserwerb
Hier werden nur die proximal am Wissenserwerb beteiligten Faktoren und Prozesse werden betrachtet – das
WAS und WIE.
Deklaratives Wissen bezieht sich auf „Wissen, dass“ � Faktenwissen (Geschichtsdaten, Grammatikregeln)
als auch komplexes Zusammenhangswissen (z. B. Verständnis der Wechselwirkung von volkswirtschaftli-
chen Faktoren). Konzeptuellen Wissens bedeutet deklaratives Wissen welches tieferes Verständnis konstitu-
iert.
Prozedurales Wissen bezeichnet „Wissen, � etwas Können. Beispiele das Ausrechnen von Aufgaben aus
der Mathematik oder auch das Schreiben einer Erörterung in Deutsch.
Es gibt verschiedene Theorie die diese Wissensarten unterschiedlich abgrenzen:
ACT-Theorie von Anderson : prozedurales Wissen wird in der Form von Wenn-dann-Produktionsregeln
konzeptualisiert. Ein menschliches Können (prozedurales Wissen) nachbildendes System von solchen Be-
dingungs-Aktions-Paaren wird Produktionssystem genannt.
Deklaratives Wissen � kann verbalisiert werden
Prozedurales Wissen � kann nicht (direkt) verbalisiert werden
Deklaratives und prozedurales Wissen kann sich auf fachliches (domanenspezifisches) Wissen beziehen (z.
B. Wissen über den Satz des Pythagoras) oder auf Inhalte oder Vorgehensweisen (Strategien), die von
fachübergreifender Relevanz sind.
Als weitere wichtige Art von Wissen, die es zu erwerben gilt, sei metakognitives Wissen genannt.
Beim metakognitiven Wissen geht es um Wissen über Wissen bzw. um eng mit Wissen verbundene Phä-
nomene (z. B. Wissen über Wissenserwerb, Wissen um den Sinn einer Lernstrategie oder das Planen des
eigenen Vorgehens). Dabei können deklarative und prozedurale Aspekte unterschieden werden.
Einteilung von Flavell
� deklarativen Metawissens: Wissen über (eigene) Personenmerkale (Angewohnheiten, Eigenschaften),
von Aufgaben (sehen leicht aus – sind es aber vielleicht nicht) und Strategien (wie lerne ich was am besten).
� Prozedurales metakognitives Wissen : Planen und Überwachen des eigenen Vorgehens, Verständnis-
ses das „remediale“ Regulieren (wenn z. B. etwas noch nicht verstanden wurde oder eine Losung selbst als
ungenügend erkannt wurde).
Epistemologischen Überzeugungen: Nach Kuhn (2005) sehen Lernenden nur dann einen Sinn, sich mit
komplexen Sachverhalten auseinanderzusetzen, zu denen es verschiedene Positionen gibt (z. B. Stammzel-
lenforschung, Klimaerwarmung), wenn sie nicht mehr an „einfaches“ absolutes Wissen bzw. Wahrheiten
glauben (Absolutismus) und auch nicht mehr alle Positionen als willkürliche Meinungen ansehen (Multiplis-
mus; oft im Jugendalter anzutreffen).
Lernen, Lehren, Wissen
48
Wichtig beim Wissenserwerb: die Qualität des Wissens ist, wobei insbesondere der Grad der Vernetzung
relevant ist.
Ein wichtiges Konzept vernetzter Wissensstrukturen ist der Begriff
Schema.
Schemata beinhalten die Erfahrungen in bestimmten, wiederholt vor-
kommenden (Problem) Situationen in abstrahierter Weise (z. B. Drei-
satzaufgaben). Sie stellen skelettartige Wissensstrukturen dar, die mit
den Spezifika einer aktuellen Problemstellung angereichert werden,
wenn die Person einem passenden Problemtyp begegnet (z. B. die abs-
trakten Variablen des Dreisatzes werden mit den konkreten Zahlen und
Gegenstanden ausgefüllt).
In Schemata können deklaratives Wissen und prozedurales Wissen
integriert sein. Die Expertiseforschung verdeutlicht dabei, dass für effek-
tives Problemlösen eine hierarchische, durch Schemata geordnete Wis-
sensstruktur von Bedeutung ist.
Begriff der Kompetenz � Anwendungsqualität von Wissen.
Was sind bedeutende theoretische Perspektiven?
Drei prototypischen Positionen:
Perspektiven 1) und 2) wurden von Mayer und Kollegen als grundlegende Orientierungen identifiziert
1) Die Perspektive des aktiven Tuns misst vor allem aktivem Problemlösen und aktivem Diskurs eine
besondere Bedeutung beim Erwerb von Wissen zu.
2) Bei der Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung wird argumentiert, dass nicht unbe-
dingt sichtbares aktives Tun ausschlaggebend ist, sondern die aktive mentale Auseinandersetzung
mit dem Lerngegenstand.
3) Die Perspektive der fokussierten Informationsverarbeitung (Renkl & Atkinson; 2007) differenziert
die Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung insofern aus, als sie betont, dass nicht mentale
Aktivität an sich zu gelungenem Wissenserwerb fuhrt, sondern mentale Aktivität, die die zentralen
Konzepte (z. B. Begriffe) und Prinzipien (z. B. Gesetze, mathematische Satze) in einem Lernbereich
fokussiert.
Perspektive des aktiven Tuns.
Notwendige Bedingung für erfolgreichen Wissenserwerb: das aktive Tun.
Klassisches Beispiel � operanten Konditionierens von Skinner (1954)- erwünschtes Verhalten wird
verstärkt. Z. Bsp. Lernmaschinen – in der Art moderner computerbasierter Drill-and-Pratice-Lernprogramme.
Moderne Versionen: Konstruktivismus (im Sinne Piagets) oder Sozialkonstruktivismus (unter Bezug auf
Vygotsky) gibt es eine Vielzahl von Ansätzen, die als Voraussetzung gelungenen Wissenserwerbs offenes
Lernen, Lehren, Wissen
49
Verhalten betonen, wie etwa Manipulieren von Lerngegenständen, gemeinsames Problemlosen oder aktive
Teilnahme an fachlichem Diskurs.
Situiertheitsansatz: lehnt die Annahme, dass Wissen („knowledge“) als etwas zu betrachten ist, das unab-
hängig von situativen Kontexten in den Köpfen abgespeichert ist, ab = träges Wissen. Bsp. Wissen, das für
die Prüfung gelernt wird, aber nicht angewendet werden kann (kein Transfer).
Beispielsweise konstituiert sich Wissen beim Kooperieren mit anderen Lernenden, wobei die Art der Interak-
tion bestimmt, welches Wissen dabei entsteht = Wissen ist situiert zu konzipieren.
Kritik an der Theorie des aktiven Tuns:
Fischer und Mandl (2005) sowie Renkl (1997b): In kooperativen Lernarrangements, in denen ja auf der
sozialen/ offenen Ebene auf den ersten Blick für alle Vergleichbares passiert, können die Kooperations-
partner dennoch sehr verschiedenartige Erfahrungen machen und unterschiedliches Wissen erwerben.
Pauli und Lipowsky (2007): untersuchten die verbale Beteiligung der Schüler am Unterricht, welche man
als prototypisches aktives Lernverhalten ansehen kann. Sie fanden nicht, dass aktive Schuler mehr lernen.
Renkl (1997b): Er fand, dass Lernen durch Lehren – vielfach ein „Paradebeispiel“ für aktives Lernen – die
Lernenden in Stress versetzen und sie überfordern kann, wenn sie sich in einem Lernbereich noch in an-
fänglichen Lernstadien befinden.
Renkl,(2005): Es ist lernförderlicher, mehrere Losungsbeispiele zu bearbeiten, statt bald (z. B. nach einem
Beispiel) zum Bearbeiten von Aufgaben überzugehen.
Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung
Es kommt nicht auf die offen sichtbare Aktivität an, sondern auf die mentale stoffbezogene Aktivität � kogni-
tiv orientierten Lehr-Lern-Forschung mit konstruktivistischer Grundauffassung.
Lernrelevante Informationsverarbeitung findet im Arbeitsgedächtnis (auch Arbeitsspeicher genannt) statt.
Daten von außen treffen im Arbeitsgedächtnis als erstes auf das Ultrakurzzeitgedächtnis (Millisekundenbe-
reich) � optische und akustische Signale.
• Die ins Arbeitsgedächtnis aufgenommenen Daten erst dadurch zur Information werden, dass sie
auf der Basis des Vorwissens des Einzelnen (aus dem Langzeitspeicher) interpretiert werden, ihnen
also Bedeutung verliehen wird � konstruktivistische Auffassung. Wir nehmen die Dinge nicht „so
wie sie sind“ (was das auch immer sein mag), sondern wir interpretieren sie immer und belegen sie
damit erst mit Bedeutung.
Zusätzlich können wir Informationen aus dem Langzeitgedächtnis in den Arbeitsspeicher holen � Interpre-
tation und Gedächtnisabruf – sind vielfach eng verwoben. Kapazitätsgrenzen des Arbeitsgedächtnisses
werden so überwunden: wenn wir unser Vorwissen nutzen, können wir – etwas vereinfacht gesprochen –
aus vielen Informationseinheiten eine einzige machen („Chunking“). Das sinnvolle Zusammenfassen von
Einzelheiten zu einer umfassenden Informationseinheit („Chunk“), für das im Übrigen insbesondere komple-
xe Schemata hilfreich sein können.
Lernen, Lehren, Wissen
50
Aus der Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung wird Wissen im Langzeitgedächtnis abgelegt. Eine
Annahme ist dabei, dass Wissen im Langzeitspeicher eine überdauernde, wenngleich unter Umstanden
schwache Spur hinterlasst. Das „Vergessen“ von Information, die schon mal gewusst wurde, ist damit primär
ein Problem des Nicht-mehr-Auffindens (ähnlich wie bei einem in einer Bibliothek verstellten Buch).
Prozesse des Wissenserwerbs.
Der eigentliche Lernprozess findet aber im Arbeitsgedächtnis statt. Im Folgenden wird eine Taxonomie lern-
bezogener Funktionen der Informationsverarbeitung im Arbeitsgedächtnis vorgestellt. Für effektiven Wis-
senserwerb sollen die Informationsverarbeitungsprozesse im Arbeitsgedächtnis insbesondere die folgenden
Funktionen erfüllen:
Betreffen direkt auf den Erwerb oder die Stärkung deklarativen oder prozeduralen Wissens:
• Interpretieren: Die Art der Interpretation ist vom Vorwissen und dessen Aktivierung abhängig. Die
Qualität der Interpretation einer Problemstellung (Problemrepräsentation) ist in vielen Fallen für wei-
tere Lern- und Problemloseprozesse entscheidend. Zu beachten ist dabei, dass relevantes Vorwis-
sen, das helfen wurde, einkommende Daten mit Bedeutung zu versehen, nicht immer automatisch
aktiviert wird. Dies muss vielmehr oft absichtsvoll und insofern strategisch erfolgen oder von außen,
etwa von einem Lehrer, angestoßen werden.
• Selegieren: wichtiges von unwichtigen trennen können (entlastet Arbeitsspeicher).
• Organisieren: Bewusstmachung von Zusammenhängen, ordnen von Wissen (Unterstreichen von
Textpassagen)
• Elaborieren: neues Wissen mit Vorwissen in Verbindung bringen und integrieren.
• Stärken: Wiederholen von Lerneinheiten in unterschiedlicher Form.
• Generieren: beim Lernen neues Wissen „schaffen“ � entdeckendes Lernen. Die Konstruktion abs-
trahierter Wissensstrukturen, z. B. wenn aus mehreren Beispielen zu einem bestimmten Problemtyp
ein Schema für eben diesen Typ konstruiert wird.
Steuert die Überwachung der kognitiven Prozesse:
Metakognitives Planen, Überwachen und Regulieren: von Lernvorgängen, Strategien und Wiederholungen
Perspektive der fokussierten Informationsverarbeitu ng.
Die Perspektive der fokussierten Informationsverarbeitung widerspricht der Perspektive der aktiven Informa-
tionsverarbeitung nicht grundsätzlich, sondern baut auf ihr auf und differenziert sie.
Basaler Unterschied: dass der Lernende nicht nur den Lernstoff und die Lernmaterialen aktiv verarbeiten,
sondern vor allem auf die zentralen Konzepte und Prinzipien fokussieren soll.
Drei negative Beispiele dazu:
Interaktivität: Bei computerbasierten Lernumgebungen wird Interaktivität – die Möglichkeit, dass Lernende
aktiv Eingaben machen oder eine Auswahl treffen können und die Lernumgebung darauf reagiert – vielfach
als ein wichtiges Kriterium gesehen, das Lernen fördert. Es zeigt sich empirisch jedoch, dass Interaktivität,
auch wenn sie auf aktive Informationsverarbeitung abzielt, vielfach nicht den Lernerfolg fördert.
Lernen, Lehren, Wissen
51
Berthold und Renkl: Die Leitfragen führten zu vermehrter aktiver Stoffverarbeitung, hatten aber im Endeffekt
negative Folgen für das „Wissen, wie“.
Fehlpriorisierte Konzepte: � bestimmten Aspekten des Lernstoffes wird eine viel höhere Bedeutung als
angemessen zugewiesen (Computerspiel „Jeans-Fabrik“). Das suboptimale Lernen lag nicht an der fehlen-
den aktiven Verarbeitung, sondern an einer suboptimalen Verteilung des Fokusses.
Verführerische Details: die in Texte oftmals integriert werden, damit die Leser interessiert werden und den
Text aktiv verarbeiten. Sollen zwar Interesse wecken, lenken aber vom wesentlichen ab. Tatsachlich haben
solche verführerischen Details meist negative Effekte auf den Lernerfolg, etwa im Sinne der Identifizierung
der Hauptideen eines Textes.
Ein positives Beispiel:
Vorausgehende Fokussierung: es zeigte sich, dass eine zunächst unfokussierte Aktivierung durchaus
sinnvoll sein kann, aber nur wenn sie einen sinnvollen Fokus für die Hauptphase des Lernens induziert.
Zusammengefasst besagt die Perspektive der fokussierten Verarbeitung, dass man Lernprozesse in ihrer
Aktivität nicht allein danach beurteilen kann, ob eine mehr oder weniger aktive Verarbeitung des Lernstoffes
und der Lernmaterialien erfolgt. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass die zentralen Konzepte und Prinzipien
fokussiert und in korrekter Weise erworben werden.
Wahl der Perspektive: Implikationen zur Gestaltung von Lehr-Lern-Arrangements.
Die diskutierten Befunde zu den drei Perspektiven zeigen, dass die grundlegende Auffassung Konsequen-
zen dafür hat, wie man Lehr-Lern-Umgebungen gestaltet Als Fazit kann festgehalten werden, dass die
grundlegende theoretische Perspektive wichtige Implikationen hat, wie Unterricht bzw. Lehr-Lern-
Arrangements gestaltet werden. Es wird dafür plädiert, künftig explizit die Perspe ktive der fokussierten
Verarbeitung einzunehmen.
Wie kann Wissen erworben werden? – Wichtige Lernfor men.
Lernen aus Texten (auch Vorlesungen kann man dazu zählen).
Die drei wichtigsten Ebenen sind (van Dijk & Kintsch, 1983) die
• Die Textoberfläche � bezieht sich auf die sprachlichen Details, d. h. auf das wörtliche „Abbild“.
Wenn Lernende einen Text lesen, um einen Gegenstandbereich zu verstehen, wird in der Regel al-
lerdings keine wörtliche Repräsentation angestrebt.
• Die Textbasis � beinhaltet die gegebenen Textaussagen – unabhängig davon ob etwas z. B. in ei-
nem Passiv- oder Aktivsatz gesagt wurde, welche von zwei möglichen Synonymen verwendet wurde
etc.
• Das Situationsmodells. � das eigentliche (tiefere) Verstehen des Textes, das z. B. Implikationen
des Gesagten umfassen kann, wird im Situationsmodell repräsentiert.
Textoberfläche.
Es ist von untergeordneter Bedeutung, mit welchen spezifischen Formulierungen ein Sachverhalt ausge-
druckt wird. Situationen, in denen ein Erlernen der Textoberfläche wichtig ist: klassisches Gedicht, ein griffi-
ges Zitat oder den Text für einer Schauspielrolle auswendig lernen.
Lernen, Lehren, Wissen
52
Textbasis.
Die Textbasis beinhaltet die Aussagen, die die Leser aus einem Text entnehmen sollen. Diese von der kon-
kreten Formulierung unabhängig zu denkenden Aussagen werden Propositionen genannt. Verschiedene
Propositionen können nun in einem Netzwerk organisiert werden, wenn sie sich überlappen, so etwa bei den
Sätzen „Hitler verfolgte eine sog. Endlosung der Judenfrage. Er wollte alle Juden vernichten“. “Er“ und „Hit-
ler“ überlagern sich beispielsweise in den vorstehenden Sätzen.
� Diese Art der lokalen Kohärenzbildung gelingt den Lernenden zumeist weitgehend automatisch.
Die globale Kohärenzbildung, also eine sinnvolle Organisation der einzelnen Textaussagen, die es etwa
erlaubt den „roten Faden“ einer komplexen Argumentation nachzuvollziehen, gelingt Lernenden hingegen
nicht immer.
Ursachen: wenig leserfreundlichen Text, an der geringen Motivation der Lernenden oder an ihrem unzu-
reichenden Vorwissen.
Die globale Kohärenzbildung beinhaltet typischerweise die Konstruktion von sog. Makropropositionen, die
umgangssprachlich den Kern von Textabschnitten repräsentieren. Sie werden aus den Einzelpropositionen
„verdichtet“ durch
a) Auslassung unwichtiger Propositionen,
b) Verallgemeinerung von Einzelpropositionen auf einem höheren Abstraktionsgrad oder
c) Konstruktion einer neuen Proposition für eine Kette von Propositionen (das Ausdehnen und Zusam-
menziehen des Herzmuskels wird als Pumpen repräsentiert).
Situationsmodell.
� eine substanziell mit Vorwissen angereicherte, reichhaltige Repräsentation eines Textes. Kintsch und
Kintsch (1996) sprechen sogar erst dann von bedeutungshaltigem Lernen („deep learning“), wenn ein Situa-
tionsmodell aufgebaut wird.
Vielfach wird das Ausmaß einer situationalen Repräsentation sogar darüber gemessen, ob die Lernenden
gültige von ungültigen Schlussfolgerungen unterscheiden können. Weiterhin ist zu beachten, dass eine situ-
ationale Repräsentation der geringsten Vergessenrate unterliegt, während die Textoberflache am schnells-
ten vergessen wird.
Was beeinflusst die Qualität des Textlernens?
Welche Art der Repräsentation aufgebaut wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab, vor allem von
• der Qualität des Textes: Länge und Einfachheit der Sätze, Hervorhebung zentraler Begriffe oder
Aussagen, semantische Kohärenz
• dem Vorwissen der Lernenden: je mehr Vorwissen vorhanden ist, umso mehr wird aus Texten ge-
lernt. Das Vorwissen ist auch deshalb von so großer Relevanz, da es „hochwertigen“ Lernstrategie-
einsatz ermöglicht, wie etwa ein Netzwerk-Diagramm („concept map“) zeichnen (Organisation) oder
sich selbst den Kern eines Abschnittes erklären oder Fragen zum Text formulieren
• den mentalen Aktivitäten der Lernenden (Lesestrateg ien)
Lernen, Lehren, Wissen
53
Lernen aus Beispielen und Modellen.
Das Lernen aus Lösungsbeispielen beim anfänglichen Erwerb von kognitiven Fertigkeiten ist, wie bereits
erwähnt, eine sehr effektive und effiziente Lernart � Lösungsbeispieleffekt („Worked-Example„-Effekt). Sie
bestehen dann aus einer Problemstellung, Lösungsschritten und der endgültigen Lösung selbst.
Komplexe Beispiele werden zum Teil auch als Modelle bezeichnet. Im Folgenden wird für das Lernen aus
Beispielen und das Lernen von Modellen auch der Begriff des beispielbasierten Lernens gebraucht.
Beispielbasiertes Lernen meint, dass mehrere Beispiele bearbeitet werden, um so Verstehen herzustellen,
bevor die Lernenden dann „verstehensorientiert“ selbstständig Aufgaben bearbeiten.
Die Erklärung für die Effektivität des beispielbasierten Lernens ergibt sich daraus, dass Lernende erst dann
Aufgaben bearbeiten sollten, wenn sie ein grundlegendes Verständnis der zugrunde liegenden Prinzipien (z.
B. physikalisches Gesetz) und deren Anwendung erworben haben.
� Beispielbasiertes Lernen kann ineffektiv sein wenn Lösungsbeispiele grafische und textuelle In-
formationen können schlecht zugeordnet werden.
Um ein Verstehen der Beispiele weitgehend sicherzustellen, ist es sinnvoll, die Lernenden mit sog. Prompts
(Leitfragen, Aufforderungen) aufzufordern, sich die Logik der Beispiellösung bewusst zu machen. Man be-
zeichnet es üblicherweise als Selbsterklärung , wenn Lernende sich die Logik von Beispielen bewusst ma-
chen („Self-Explanation“-Effekt).
Die Effektivität beispielbasierten Lernens beschränkt sich auf den anfänglichen Erwerb kognitiver Fertigkei-
ten. Gesteigert werden kann dies durch zunächst vollständige präsentierte Beispiele, in die dann allmählich
immer mehr Lücken und damit Anforderungen der Aufgabenbearbeitung integrieren – bis am Ende die Ler-
nenden die Aufgaben komplett selbstständig gelöst wird. Diese Ausblendprozedur ist besonders effektiv,
wenn sie an den individuellen Lernfortschritt der einzelnen Lernenden angepasst wird.
Lernen durch Aufgabenbearbeiten.
Werden beispielsweise Lernende beim Bearbeiten von Aufgaben durch Selbsterklärungs-Prompts dazu auf-
gefordert, die zugrunde liegenden Prinzipien zu beachten, führt dies zu besserem Verständnis.
Lernen durch unterstütztes Aufgabenbearbeiten.
Eine technisch zwar aufwendige, aber durchaus bewahrte Möglichkeit besteht darin, computerbasierte intel-
ligente tutorielle System einzusetzen.
Cognitive Tutors: wurden auf der Grundlage der bereits genannten ACT-Theorie von Anderson konstruiert.
Diese Theorie konzipiert kognitive Fertigkeiten (prozedurales Wissen) als eine Menge von Produktionsregeln
(sog. Produktionssystem), die einen Wenn-Teil (Bedingung für eine Aktion) und einen Dann-Teil (Aktion)
beinhalten.
Die Intelligenz dieses Systems besteht vor allem aus zwei Mechanismen:
� model tracing: für das Model Tracing wurde auf der Basis der ACT-Theorie ein System von Produk-
tionsregeln erstellt, das korrektes Aufgabenbearbeiten, aber auch typische Fehler beinhaltet. Bei fal-
Lernen, Lehren, Wissen
54
schen, aber typischen Eingaben kann nicht nur ein Fehler angezeigt werden, sondern es können
sogleich „maßgeschneiderte“ Hilfen gegeben werden.
� knowledge tracing: sorgt dafür, dass Wahrscheinlichkeitsschätzungen vorgenommen werden, ob
ein Lernender eine Produktionsregel bereits erlernt hat. Diese Wahrscheinlichkeit wird bei jedem
Aufgabenschritt, bei dem eine Regel relevant wäre, aktualisiert. Damit kann den Lernenden ihr aktu-
eller Wissensstand und Lernfortschrift mit sog. „skill bars“ rückgemeldet werden. Noch bedeutsamer
ist, dass das System den Lernenden (zusätzliche) Aufgaben vorgeben kann, die den Erwerb von
noch nicht beherrschten Regeln fordern – bis das Lernziel erreicht ist („Mastery“-Prinzip).
Zu beachten ist, dass Cogntive Tutors keine „Standalone“-Anwendung sind, sondern in den Unterricht inte-
griert werden müssen. Ein derartiger Einsatz fordert sowohl Verstehen (konzeptuelles Wissen) als auch pro-
zedurales Wissen effektiver als traditioneller Unterricht.
Üben.
� Stärkung, Automatisierung und ggf. noch um die Feinabstimmung von schon erlernten Fertigkeiten.
Entlastet Arbeitsgedächtnis und es können mehr Res-
sourcen für anspruchsvolle Aufgaben freigestellt werden.
Eine grundlegende Gesetzmäßigkeit besagt zu Übungsef-
fekten (z. B. Zuwachs der Geschwindigkeit korrekter Aus-
führung), dass sie zu Beginn sehr stark sind und mit der
Zeit immer schwacher werden; die Fertigkeit strebt dabei
einer Leistungsobergrenze zu. Dies wird im Potenzgesetz
der Übung („power law of practice“) wiedergegeben.
Effektive Übung zeichnet sich mindestens durch die folgenden vier Prinzipien aus:
Überlernen: Soll ein bestimmtes Niveau mittelfristig sichergestellt werden, muss über das „Ziel“ hinaus ge-
übt, also überlernt werden. Nur in diesem Fall kann erwartet werden, dass die Leistung auch nach einiger
Zeit nicht unter das gewünschte Niveau fallt. zu langes Einüben keine substanziellen Effekte mehr hat.
Verteilte Übung: Vergleicht man bei konstanter Gesamtübungszeit den Lernerfolg bei wenigen größeren
Blocken mit demjenigen bei mehreren kleineren Einheiten, erweist sich verteilte Übung als effektiver.
Übung im Kontext des „Ganzen“: es ist wichtig, dass Lernende ein Bild der Gesamtaufgabe bzw. des
Gesamtvorgehens haben. Ist dies vorhanden, ist es sinnvoll, einzelne Teilablaufe, wenn diese z. B. beson-
dere Schwierigkeiten bereiten, separat und damit gezielt zu üben
Reflektierte Übung: ist es sinnvoll, beim Einüben von Vorgehensweisen immer wieder auf die zugrunde
liegenden Prinzipien einzugehen. Neben Phasen des reinen Einübens sollten also Elemente reflektierter
Übung („deliberate practice“) eingesetzt werden.
Lernen durch Erkunden.
Die Lernenden haben hierbei die Aufgabe, sich die zentralen Konzepte und Prinzipien selbst zu generieren.
Damit soll erreicht werden, dass das „neue“ Wissen gut in der Wissensbasis der Lernenden verankert ist.
Darüber hinaus werden vielfach noch weitere Ziele verfolgt, etwa die Erhöhung der Lernmotivation, Forde-
Lernen, Lehren, Wissen
55
rung von Wissenserwerbsstrategien (Lernen lernen) und Metakognition sowie Erwerb fachspezifischer wis-
senschaftlicher Vorgehensweisen.
Auch epistemologische Überzeugungen können durch den Nachvollzug des Erkenntnisprozesses in einem
Fachgebiet ausdifferenziert werden.
� Erkundendes Lernen und rezeptives Lernen vielfach dichotom gegenübergestellt. Dabei durfte
es sich hierbei eher um ein Kontinuum handeln, bei dem eine Reinform die absolute Ausnahme ist.
Schwierig vom entdeckenden Lernen abzugrenzen sind, so etwa projektorientiertes Lernen, problembasier-
tes Lernen oder erforschendes Lernen („inquiry learning“). Weitgehender Konsens herrscht zwischen den
Vertretern dieser Ansätze jedoch bezüglich der Überzeugung, dass ein direktes Vermitteln („rezeptives Ler-
nen“) bei den Lernenden in sehr vielen Fallen nur zu oberflächlichem Wissen fuhrt und es deshalb besser
ist, die Lernenden die zentralen Konzepte und Prinzipien selbst generieren zu lassen. Vor dem Hintergrund
der Bedeutung der Unterstützung beim entdeckenden bzw. erkundenden Lernen wird inzwischen meist eine
Konzeption des „Lernens durch gelenktes Erkunden“ vertreten.
Lernen durch Gruppenarbeit.
� kooperatives Lernen oder kollaboratives Lernen.
Der Einsatz von Gruppenarbeit wird vor allem damit begründet, dass man eine aktivere Verarbeitung des
Lernstoffes induzieren will, als dies typischerweise bei rezeptiven Lernformen der Fall ist. Es wird Raum
gegeben, dass die Lernenden neue Inhalte mit ihrem Vorwissen und ihrer subjektiven Erfahrungswelt in
Verbindung bringen können.
Weitere Ziele: Stärkung des Selbstkonzepts, der Erwerb sozialer Fertigkeiten oder die Integration von Min-
derheiten.
Aus kognitiver Perspektive können für erfolgreiches Lernen in Gruppen folgende wichtige Faktoren ver-
antwortlich gemacht werden, die jeweils einer theoretischen Perspektive entsprechen:
� Soziokognitive Konflikte (Neo-Piagetsche Perspektiv e) können durch sich widersprechende
Sichtweisen, die während einer Kooperation auftreten können, entstehen. Diese können eine Um-
strukturierung von Wissensstrukturen initiieren, wenn der kognitive Konflikt produktiv aufgelöst wer-
den kann.
� Aus Neo-Vygotsky ’’’’scher Perspektive (Vygotsky, 1978) ist Gruppenarbeit dann erfolgreich,
wenn durch die Zusammenarbeit ein Agieren (z. B. Problemlosen oder Argumentieren) auf höherem
Niveau gelingt, als dies den Lernenden alleine möglich wäre � Zone der nächst höhere Entwick-
lung .
� Die Perspektive der kognitiven Elaboration und Metakogn ition sieht kooperative Lernformen
dann als effektiv an, wenn kognitive und metakognitive Lernaktivitäten ausgelöst werden.
� Nach der Perspektive des argumentativen Diskurses (Fischer, 2002) kann Gruppenarbeit zum
Erwerb differenzierten Wissens fuhren, wenn die Lernpartner nach Evidenz und Gegenevidenz für
die im Raum stehenden Behauptungen suchen, Letztgenannte hinsichtlich der positiven und negati-
ven Evidenz gewichten und die eigenen Sichtweisen entsprechend ausdifferenzieren.
Lernen, Lehren, Wissen
56
Fähigkeiten (20)
Fähigkeiten (abilities) stellen nach Hacker (1998) verfestigte Systeme verallgemeinerter psychischer Pro-
zesse dar, die den Tätigkeitsvollzug steuern, also Leistung ermöglichen.
Sie betreffen hauptsächlich kognitive Vorgänge bei der Signalaufnahme und -verarbeitung, mnestische als
Gedächtnisleistungen sowie gedanklich analysierende und synthetisierende Vorgänge.
� Sie sind somit nicht beobachtbar, allenfalls können sie erschlossen werden.
Diese geistigen Fähigkeiten regulieren Handlungen auf drei Ebenen:
• Auf der sensumotorischen Regulationsebene stehen Fertigkeiten , also die Beherrschung
von eingeübten und automatisierten Bewegungsabläufen im Vordergrund.
• Formen des Könnens, d.h. des regelbasierten Verhaltens in vertrauten Situationen, sind Ge-
genstand der Handlungsregulation auf der perzeptiv-begrifflichen Ebene.
• Bei der Bewältigung komplexer Situationen und Aufgaben bedarf es hingegen verallgemeiner-
ter Verfahren in Form von Plänen, Strategien oder Heuristiken , die auf der intellektuellen
Ebene reguliert werden.
• Erweiterte Betrachtungen dieses Ebenenmodells schließen generalisierte und routinisierte
Vorgehensweisen zur metakognitiven Regulation von Planungs-, Zielsetzungs- und Rückmel-
dungsprozessen mit ein. Auf dieser Ebene spielen Expertise (Expertiseforschung) und Erfah-
rung eine wesentliche Rolle.
Neben diesen eher auf spezifische Tätigkeiten orientierten Fähigkeitsaspekten spielen auch allgemeine kog-
nitive Fähigkeiten wie Intelligenz bei der Aufgabenbewältigung eine wichtige Rolle. Von der Bedeutung um-
fasst dieses Konstrukt sowohl Basisfähigkeiten des Denkens (z.B. Beziehungen erfassen), kulturbezoge-
ne kognitive Fähigkeiten (vor allem verbale Fähigkeiten wie Sprachverständnis) und die Fähigkeit, (kom-
plexe) Probleme zu lösen . In erweiterten Ansätzen werden darüber hinaus auch "soziale" und "praktische"
Intelligenzleistungen miteinbezogen.
Selbstregulation (11)
Insgesamt lasst sich aufgrund umfänglicher empirischer Studien (z. B. Zimmerman, 1994) festhalten, dass
der Selbstregulation als Schlüsselkompetenz eine bedeutende Rolle in jeglichen Lernsituationen zukommt.
Im Folgenden werden zunächst ausgewählte Modelle selbstregulierten Lernens vorgestellt. Es folgt eine
Darstellung von Verfahren zur Diagnostik von Selbstregulation und, daran anschließend, von Ansätzen zur
Forderung selbstregulierten Lernens. Das Kapitel endet mit einem Ausblick auf zukünftige Forschungsfelder
und praktische Herausforderungen.
Begriffsbestimmung.
In der Literatur wird der Begriff des selbstregulierten Lernens („self-regulated learning“) häufig synonym ver-
wendet mit Begriffen wie
• selbstgesteuertes Lernen („self-directed learning“),
• selbstbestimmtes Lernen („self-determined learning“),
• selbstorganisiertes Lernen oder autonomes Lernen.
Lernen, Lehren, Wissen
57
Ihnen ist gemeinsam, dass drei Komponenten selbstregulierten Lernens unterschieden werden:
1. kognitive Komponenten: konzeptionelles und strategisches Wissen, sowie die Fähigkeit, entspre-
chende Strategien anzuwenden.
2. motivationale Komponenten: Aktivitäten, die der Initiierung (z. B. Selbstmotivierung) und dem Auf-
rechterhalten (volitionale Steuerung) des Lernens dienen, sowie handlungsfordernde Attributionen
von Erfolgen und Misserfolgen und Selbstwirksamkeitsüberzeugung;
3. metakognitive Komponenten: Planung, Selbstbeobachtung, Reflexion und adaptive Anpassung
des Lernverhaltens in Bezug auf das angestrebte Lernziel.
Exkurs: Effekte von Interventionen zur Förderung selbstregulierten Lernens.
Dignath, Buttner und Langfeldt (2008): Ergebnisse einer Metaanalyse � Interventionsprogramme, die darauf
abzielen, das selbstregulierte Lernen in der Grundschule zu fordern. Sie sowohl hinsichtlich des Anstiegs der
Selbstregulationskompetenz (d = 0,71–0,76) als auch hinsichtlich der Lernleistung (d = 0,62–0,78) ver-
gleichsweise hohe Effektstarken. Die Interventionsprogramme insbesondere dann erfolgreich waren, wenn
sie nicht von der regulären Lehrkraft, sondern von Forschern durchgeführt wurden.
Modelle zur Selbstregulation.
� Ansätze mit phasen- oder prozessbezogenem Fokus
� Modelle die verschiedene Regulationsebenen thematisieren: Hierarchiemodell des Self-Monitoring
und das Modell des adaptiven Lernens
Prozessorientierte Modelle der Selbstregulation.
Prozessorientierten oder phasenbezogenen Modellen ist das Verständnis von Selbstregulation als einem
(iterativen) Prozess gemeinsam, der sich in verschiedene Etappen gliedern lässt. Dieser Prozess folgt letzt-
lich einem Grundmuster, das bereits 1948 im allgemeinen kybernetischen Modell von Wiener (1948 ) be-
schrieben wurde.
Exkurs: ein Anwendungsbeispiel ist das TOTE-Modell von Miller, Galanter & Pribram oder die erweiterte
„Vergleichs-Veränderungs-Rückkoppelungseinheit“ (Ha cker) - Hauptsächlicher Unterschied zur TOTE-
Einheit ist die Bedeutsamkeit konkreter
Ziele relativ zum Zustand, statt ledig-
lich Zustandskongruenz wie im TOTE-
Modell. In enger Beziehung zur Infor-
mationstheorie und zu psychologi-
schen Regelkreis-Modellen steht
die kybernetische Lerntheorie, die Ein-
gang in die kybernetische Pädagogik
fand.
Quelle: http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/WISSENSCHAFTPAEDAGOGIK/ModelleInformattheorie.shtml , 20.12.2012
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In neueren prozessorientierten oder phasenbezogenen Modellen werden meist drei Phasen differenziert, die
beispielsweise Schmitz in Anlehnung an Heckhausen (1989) und Gollwitzer (1990) als präakti onal, akti-
onal und postaktional bezeichnet. Diese Phasen sind letztlich als Bestandteil eines iterativen Prozesses zu
sehen.
1. Die präaktionale Phase ( „„„„forethought phase“) dient der Handlungsplanung bzw. der Lernvor-
bereitung . Diese Phase ist geprägt von der Aufgabe, den Situationsbedingungen, den kognitiven
und emotional-motivationalen Voraussetzungen des Lernenden. Zwei grundlegende Aspekte dieser
Phase sind die Aufgabenanalyse und das Herausbilden selbstmotivierender Überzeugungen für
die bevorstehende Lernhandlung (etwa im Sinne von Selbstwirksamkeit). Der resultierende Soll-
Wert wird als Referenzgroße fur zukünftiges Regulationsverhalten herangezogen.
2. Aktionale Phase ( „„„„performanceor volitional control phase“) - entspricht der eigentlichen Lern-
handlung. Hauptkomponenten sind: Strategien umgesetzt, das Handeln überwachen und kontrollie-
ren. Kernaspekte dieser Phase sind volitionale Prozesse , die der Aufrechterhaltung und Optimie-
rung der Handlungsausführung dienen, und der Selbstbeobachtung. Erfolgreiches Lernen kann in
dieser Phase an einer ausreichenden und effektiv genutzten Lernzeit festgemacht werden sowie an
einem situationsangemessenen Einsatz von allgemeinen (z. B. volitionalen) und aufgabenspezifi-
schen Strategien.
3. Postaktionale Phase ( „„„„self-reflectionphase ““““) - dient zum einen der Einschätzung der Handlungs-
ergebnisse und zum anderen dem Bilden von Schlussfolgerungen für zukünftiges Handeln. Haupt-
komponenten dieser Phase sind also die Bewertung der erbrachten Leistung und der Abgleich
mit dem in der Planungsphase gesetzten Ziel (Ist-So ll-Vergleich ), die Reflexion über Ergebnis-
ursachen und den gesamten Handlungsverlauf, sowie das Bilden von Schlussfolgerungen und Vors-
ätzen (im Sinne der Strategie- oder Zielmodifikation) im Hinblick auf die nächste Handlungsphase
bzw. Lernsequenz.
Das Prozessmodell der Selbstregulation von Schmitz (Schmitz, Landmann & Perels, 2007) wiederum
basiert auf den Überlegungen von Zimmerman (2000), führt diese jedoch in verschiedener Hinsicht weiter
und tragt insbesondere der Beobachtung Rechnung, dass nicht bei jeder Aufgabenstellung (z. B. bei sehr
einfachen Aufgaben) explizite
Selbstregulation notwendig ist
und die Vollständigkeit der Be-
arbeitung von Aufgaben variiert.
In dem Modell wird postuliert,
dass Filter in der präaktiona-
len Phase zu diesen Unter-
schieden fuhren. Relevant für
die Entscheidung sind Merkma-
le der Aufgabe (interessant,
aufwändig), der Situation (Anti-
zipation möglicher Störungen)
und personelle Faktoren (z. B. verfügbare Zeit, Befindlichkeit, Anstrengungsbereitschaft).
Lernen, Lehren, Wissen
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Pintrich (2000) differenziert vier statt drei Phase n, da er dem Akt der Selbstüberwachung oder Selbstbe-
obachtung eine separate Phase widmet: die Überwachungs- oder Monitoringphase. Bezogen auf jede der
vier Phasen werden vier Regulationsaspekte bzw. Regulationsbereiche unterschieden:
1. Kognition,
2. Motivation/Affekt,
3. Verhalten und
4. Kontext.
Hieraus ergibt sich ein 16-zelliges Kategorisierungsschema, das zur Einordnung spezifischer Regulations-
strategien dient.
Schichtenmodelle der Selbstregulation.
Sie fokussieren nicht auf den Verlauf der Regulation, sondern verschiedene Ebenen der Regulation. Bei-
spielsweise grenzen Leopold und Leutner (2004) eine Mikroebene der Regulation, die der korrekten Strate-
gieausführung dient, von einer Makroebene ab, die sich auf die Regulation der Zielsetzung und des Lernre-
sultats bezieht.
Drei-Schichten-Modell von Boekaerts (1999): Boekaerts definiert selbstreguliertes Lernen als eine kom-
plexe Interaktion zwischen kognitiven und motivationalen Regulationsprozessen , die sich jeweils auf
drei unterschiedliche Regulationsgegenstande beziehen können.
Mit jeder Schicht wird somit eine weitere („höhere“) Ebene der Regulation erschlossen.
Lernen, Lehren, Wissen
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Modell des adaptiven Lernens (Boekaerts & Niemivirt a, 2000): Hier ist zwischen zwei prinzipiell unter-
schiedlichen „Pfaden“ oder Modi der Selbstregulation zu differenzieren. Der Lerner kann bei der Verhaltens-
regulation zweigrundlegende Ziele verfolgen:
• Erweiterung des eigenen Wissens und der persönlichen Fähigkeiten (Steigerung persönlicher
Ressourcen) � ist handlungsleitend, solange keine grundlegenden Lernschwierigkeiten vorhanden
sind.
• Vermeidung von Ressourcenverlust oder Beeinträchtigungen des Wohlbefindens � gewinnt an
Bedeutung bei (wiederholten) Misserfolgen um das eigene Selbstwertgefühl zu schützen und den
Status Quo zu erhalten.
Hierarchiemodell von Landmann und Schmitz (2007a): neben den verschiedene, aufeinander aufbauen-
de Ebenen der Regulation wird darüber hinaus wird jedoch dem Self-Monitoring eine besondere Rolle zuge-
wiesen. In diesem Ansatz wird
der Gegenstand der Selbstbe-
obachtung sukzessive erwei-
tert, wobei jeder Ebene ein
spezifischer Beobachtungsge-
genstand zugeordnet wird.
Kognitive Primä rstrategie: Regu-lationsgegenstand ist der Informati-onsverarbeitungsprozess.
Metakognitives Wissen und me-takognitive Strategien : Überwachung der Strategien
Regulation des Selbstkonzepts
a)
b)
c)
d)
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a) untersten Ebene : überwachen der Ausführung einer ausgewählten Strategie (z. B. Auswendigler-
nen) in Bezug auf die zuvor definierte Aufgabe (1. Ausführungsregulation). Wird die ausgewählte
Strategie nicht korrekt ausgeführt, erfolgt eine Ausführungsregulation. Dies wäre etwa der Fall, wenn
ein Schuler die Zahl der Durchgänge zur Einprägung von Fakten erhöht.
b) Kein Erfolg � auf nächst höherer Ebene kann die Strategieauswahl beobachtet bzw. reguliert und
ein Strategiewechsel vollzogen werden (2. Strategieregulation). Beispielsweise statt Lernkarten auf
andere Gedächtnisstrategien (sog. Mnemotechniken) zurückzugreifen.
c) Führt das korrekte Ausfuhren der neuen Strategie zum Erfolg, ist mit der Zielerreichung die Lernepi-
sode abgeschlossen. Ist jedoch weiterhin kein Erfolg zu verzeichnen, wurden weitere verfügbare
Strategien (z. B. Lernen mit Klassenkameraden) ausprobiert.
d) Sollte es trotz der Strategieregulation nicht möglich sein, die Aufgabe zu bewältigen, ist es funktional
die Beobachtungsebenen erneut zu wechseln (3. Zielregulation) und das Ziel zu regulieren (d. h. in
diesem Fall z. B. das eigene Anspruchsniveau herabzusetzen).
Prinzipiell kann – anders als in dem gerade beschriebenen Beispiel – auf die Ebene der Zielregulation auch
im Falle eines Erfolges gewechselt werden. So konnte sich der Lernende beispielsweise in Bezug auf die
nächste Lernsequenz anspruchsvollere Ziele setzen und sein Aufgabenniveau langfristig anheben.
Diagnostik von Selbstregulation.
Verfahren zur Erfassung von Selbstregulation : Fragebogen, Lerntagebuchern, Beobachtungsverfahren,
Interviews sowie Denkprotokolle.
Fragebogen.
In fast allen Fragebogen werden kognitive und metakognitive Strategien abgefragt, in einigen auch Strate-
gien zum Umgang mit inneren und äußeren Ressourcen oder der Motivation.
Englischsprachige Fragebogen:
• Motivated Strategies for Learning Questionnaire (MSLQ; Pintrich, Smith, Garcia & McKeachie, 1991)
• Learning and Study Strategies Inventory (LASSI ; Weinstein, Zimmerman & Palmer, 1988)
Etablierte Deutschsprachiger Fragebogen:
• Lernstrategien im Studium (LIST; Wild & Schiefele, 1994)
• Kieler Lernstrategien-Inventar (KSI; Baumert, 1993)
Beim LIST wird zwischen kognitiven, metakognitiven und ressourcenbezogenen Lernstrategien unterschie-
den.
• Kognitiven Strategien � Lernstrategien wie Wiederholen, Elaborieren und Organisieren.
• Metakognitive Strategien � beziehen sich auf die Überwachung des Lernens., z. B. Selbstreflexion
und Selbstbewertung
Lernen, Lehren, Wissen
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• Ressourcenbezogene Strategien � werden in interne und externe Ressourcen differenziert, wobei
es sich bei den internen Ressourcen beispielsweise um Anstrengung und Konzentration handelt,
während bei externen Ressourcen z. B. die soziale Unterstützung erfasst wird.
Lerntagebücher.
Im Unterschied zu den im vorherigen Abschnitt beschriebenen Fragebogen wird mit Tagebüchern der mo-
mentane Zustand bzw. der aktuelle Strategieeinsatz abgefragt . Lerntagebücher erlauben so eine konti-
nuierliche und zeitnahe Erhebung der eingesetzten Strategien und der den Lernprozess begleitenden Emo-
tionen. Mit dem Einsatz standardisierter Lerntagebücher als Evaluationsinstrumente sind bestimmte pro-
zessbezogene Auswertungsmethoden verbunden, die im Sinne zeitreihenanalytischer Verfahren durchge-
führt werden.
Da der Lernende das Tagebuch über einen festgelegten Zeitraum regelmäßig ausfüllen muss, hangt das
Ausfüllverhalten in starkem Maße von der Motivation des Lernenden ab. Daher ist es wichtig, das Tagebuch
so zu gestalten, dass es für die entsprechende Zielgruppe ansprechend ist und deren Motivation zur Durch-
führung erhöht.
� Fragebögen und Lerntagebücher können erst ab Ende der Grundschule eingesetzt werden da die Pro-
banden dafür lesen und schreiben können müssen. Außerdem werden nur Selbstauskünfte der Teilnehmer
erfasst und diese können von der Realität abweichen.
Exkurs: Zeitreihenanalytische Auswertungen: Durch die Anwendung zeitreihenanalytischer Auswertun-
gen können Veränderungen gemessen werden, indem der Verlauf der Veränderung naher betrachtet wird.
Eine Zeitreihe wird in diesem Zusammenhang als eine zeitliche Folge von Zustandserhebungen (States) zu
aufeinander folgenden Zeitpunkten beschrieben. Bei genügend genauen Messung dieser Verlaufe, kann
nicht nur die Änderungen (Vorher- Nachher-Vergleich) festgestellt werden, sondern auch Annahmen uber
die Form des Verlaufs gemacht werden. Analyse von Gruppendaten wie auch idiografische Analysen, d. h.
einzelfallanalytische Untersuchungen sind möglich.
Für Veränderungs- und Prozessanalysen stehen hautsächlich zwei Verfahren zur Verfügung: die Trendana-
lyse und die Interventionsanalyse . Mithilfe von Trendanalysen wird überprüft, ob der Verlauf einer be-
stimmten Variable durch eine (z. B. lineare oder quadratische) Funktion beschrieben werden kann (Gruppen
und Idiografisch). Mithilfe einer Interventionsanalyse wird untersucht, ob eine bestimmte Intervention (z. B.
ein Lernstrategietraining) eine Wirkung hat und wie diese Intervention wirkt.
Beobachtungsverfahren.
Beobachtungsverfahren werden zur Erfassung selbstregulativer Kompetenzen vor allem in Untersuchungen
mit jüngeren Kindern eingesetzt. Im CINDLE-Projekt (Anderson, Coltman, Page & Whitebread, 2003) wird
ein Beobachtungsinstrument für Erzieherinnen entwickelt, das der Erfassung des „independent learning“
dient. Die CHILD-Checklist besteht aus insgesamt 22 Items, die von dem Beobachter auf einer vierstufigen
Skala dahingehend einzuschätzen sind, wie häufig die beschriebenen Strategien angewendet werden. Zu-
sätzlich besteht für die Beobachter die Möglichkeit, Kommentare einzutragen. Die Korrelation dieser Be-
obachtungsdaten mit einem Kinderinterview zum selbstregulierten Verhalten im Vorschulalter ist hochsigni-
fikant und liegt bei r=0,31.
Lernen, Lehren, Wissen
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Beobachtungsverfahren werden häufig mit Videoanalysen verknüpft. Dabei wird die zu beobachtende Se-
quenz videografiert und im Nachhinein von verschiedenen Beurteilern unabhängig voneinander bewertet.
Interviews.
Interviews bieten die Möglichkeit, sowohl retrospektiv über eingesetzte Strategien berichten zu lassen, als
auch prospektiv den geplanten Einsatz der Strategien zu erfragen. Die Fragen können in Interviews sowohl
offen als auch geschlossen gestellt werden. O
Offenen Fragen haben den Vorteil, dass sie es dem Lernenden nicht nur ermöglichen, vorgegebene Strate-
gien als hilfreich für diese Situation zu beurteilen, sondern er kann durch die Beschreibung seines eigenen
Vorgehens deutlich machen, über welches Strategierepertoire er verfügt. Ein deutschsprachiges Interview
für Schüler zur Erfassung von Merkmalen selbstregulierten Lernens stammt von Sporer (2004). Bei diesem
Verfahren erfolgt die Befragung individuell und in vertraulicher Atmosphäre. Der Ablauf des Interviews lasst
sich in vier Bestandteile unterteilen:
1. Einführung
2. Der Interviewer liest die erste Situation vor und fragt den Schuler, wie er üblicherweise in einer sol-
chen Situation vorgeht. Folgende Situationen werden im Rahmen des Interviews thematisiert:
a. Anfertigen von Hausaufgaben/ Aufsätzen
b. Vorbereitung für Klassenarbeiten
c. Was wird bei geringer Motivation getan
d. Umgang mit schlechten Noten
e. Hobby, Umgang mit Misserfolgen
f. Freundschaften, Umgang mit Streit
3. Ungewertete schriftliche Dokumentation der Schülerantworten
4. Bewertung der angegebenen Strategien: Auf einer vierstufigen Skala (von „sehr selten“ bis „immer“)
soll der Schuler einschätzen, wie häufig er ein bestimmtes Verhalten zeigt bzw. eine bestimmte Stra-
tegie anwendet.
Denkprotokolle.
Winne und Perry (2000): Bei sog. „Denkprotokollen“ werden die Teilnehmer der Studie aufgefordert, alle
Gedanken auszusprechen, die sie während der Bearbeitung einer Aufgabe beschäftigen. Dies erlaubt einen
spezifischen und spontanen Einsatz von Strategien zu erfassen.
Exkurs: Warum gibt es nur geringe Zusammenhänge zwi schen verschiedenen Instrumenten zur Er-
fassung des selbstregulierten Lernens?
Sporer und Brunstein (2006) diskutieren eingehend die Frage, warum die Zusammenhange zwischen den
verschiedenen Instrumenten zur Erfassung des selbstregulierten Lernens zumeist sehr gering ausfallen und
Selbstauskünfte häufig nicht oder schwach mit Leistungsmaßen korrelieren.
1. Globalität des erfassten Merkmals: Der Grad der Spezifität bei Selbstberichts- und Beobach-
tungsdaten ist häufig nicht derselbe. Zur Erhöhung der gemeinsamen Varianz zwischen Instrumen-
Lernen, Lehren, Wissen
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ten wäre es daher möglich, entweder die Fragen in Selbstberichtsverfahren spezifischer zu formulie-
ren oder mehrere Beobachtungen in verschiedenen Situationen durchzufuhren und die Selbstbe-
richtsdaten mit den aggregierten Beobachtungsdaten zu korrelieren.
2. Mit Beobachtungsverfahren wird kein Strategiewissen erhoben: Schüler kennen möglicher-
weise eine Strategien, setzten sie aber in der Beobachtungssituation nicht ein, weil sie nicht not-
wendig sind.
3. Selbstberichte erfassen kein konditionales Wissen: Selbstberichtsverfahren erfragen zumeist
nur, ob Schuler eine bestimmte Strategie kennen bzw. ob sie diese auch anwenden. Sie erfragen
aber nicht, ob der Schuler einzuschätzen weiß, bei welcher Aufgabe und in welcher Situation welche
Strategie am besten eingesetzt werden sollte (konditionales Wissen). Bei Beobachtung wird dies in-
direkt mit erfasst.
4. Erfassung einer unterschiedlichen Strategiereife: Mit den verschiedenen Instrumenten konnte
möglicherweise eine unterschiedliche Strategiereife (vgl. Hasselhorn, 1996) erfasst werden. Wah-
rend Selbstberichtsverfahren hauptsachlich die Strategiekenntnis erfassen, auch wenn die erworbe-
nen Strategien noch nicht effizient eingesetzt werden können, werden durch Beobachtungen Daten
gewonnen, die belegen, ob Lernstrategien effektiv eingesetzt werden.
Insgesamt ziehen Sporer und Brunstein (2006) den Schluss, dass es für die Prognose von Verhalten und
Leistung von Vorteil ist, die Instrumente kombiniert Einzusetzen.
Förderung von Selbstregulation.
Selbstreguliert lernen zu können, stellt eine wesentliche Voraussetzung für den Lernerfolg dar. Dass den-
noch nicht alle Schuler im Verlauf der Schulzeit zu kompetenten selbstregulierten Lernern werden kann ver-
schiedene Grunde haben: Manchen fehlt die Praxis, andere wurden nie richtig angeleitet. Im folgenden Ab-
schnitt werden einige Gesichtspunkte benannt, nach denen vorliegende Interventionsprogramme eingeord-
net werden können.
Klassifikation von Trainings zur Förderung von Selb stregulation.
Inhaltliche Gesichtspunkte, nach denen die Förderprogramme differenziert werden können, betreffen den
Bereich der zu trainierenden Komponenten, das methodische Vorgehen und die Adressaten.
• Inhalte der Maßnahme: Vorliegende Interventionen lassen sich danach unterscheiden, ob eine
ganzheitliche Forderung im Vordergrund steht und somit alle Regulationsphasen betrachtet wer-
den oder ob ausgewählte kognitive, motivationale oder metakogni tive Aspekte einzelner Pha-
sen (z. B. Zielsetzung, Attribution) trainiert werden.
• Direkte vs. indirekte Maßnahmen: Eine direkte Forderung setzt beim Lernenden selbst an, wie
dies beispielsweise bei Schülertrainings der Fall ist. Indirekte Interventionen sehen hingegen eine
Optimierung des Lernverhaltens dadurch vor, dass durch eine gezielte (Um-) Gestaltung der Ler-
numgebung selbstreguliertes Lernen ermöglicht und angeregt wird. In solchen Förderprogrammen
geht es demnach vor allem darum, dass die zentralen Gestalter der Lernumwelt Methoden erlernen,
wie sie das selbstregulierte Lernverhalten von Schülern unterstutzen können.
• Altersstufe: die Fähigkeit zum selbstregulierten Lernen wichtiger, je älter der Lernende wird, da sich
ältere Schüler oder auch Studierende zunehmend komplexeres Material selbstständig aneignen
müssen. Daher liegen auch verschiedene Interventionsprogramme zur Forderung von Selbstregula-
Lernen, Lehren, Wissen
65
tion vor, die sich an Personen fast aller Altersstufen richten. Allerdings sollte selbstreguliertes Lernen
möglichst früh gefordert werden, um günstige Lerngewohnheiten zu etablieren und dysfunktionale
Lerngewohnheiten zu vermeiden.
Allgemeine Prinzipien effektiver Trainingsgestaltun g.
Der Metaanalyse von Dignath, Buttner und Langfeldt (2008) zufolge sind Interventionen durch externe Trai-
ner effektiver als Trainings, die durch die regulären (instruierten) Lehrkräfte angeboten werden.
Direkte Förderung.
Bei der direkten Forderung des selbstregulierten Lernens wird bei dem Lernenden selbst angesetzt, um eine
Optimierung des Lernverhaltens zu erzielen. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass sich die Effektivität
solcher direkter Maßnahmen durch günstige Trainingsbedingungen steigern lässt.
� Kombination der selbstregulativen mit fachspezifisc hen Inhalten. Es zeigte sich immer wieder,
dass die Vermittlung selbstregulatorischer Strategien dann besonders wirksam ist, wenn nicht nur
Selbstregulation an sich vermittelt wird, sondern wenn diese mit fachspezifischen Inhalten verknüpft
wird.
� Selbstbeobachtung � zentrales Element des selbstregulierten Lernens. Schon die alleinige konti-
nuierliche Selbstbeobachtung kann zu Reaktivität führen, d. h., das Verhalten kann sich bereits
durch die bloße Selbstbeobachtung in die gewünschte Richtung verändern � Monitoring-Effekt.
Dass die Wirksamkeit der Selbstbeobachtung etwa über den Einsatz von Lerntagebüchern gefordert
wird, konnte in verschiedenen Studien nachgewiesen werden.
� Transfersicherung. Vorteilhaft ist, verschiedene Anwendungskontexte für die Strategien zu thema-
tisieren und deren Gebrauch in diesen Bereichen ein zu üben.
Indirekte Förderung.
Bei der indirekten Förderung des selbstregulierten Lernens geht es in der Regel darum, die Lernumwelt so
zu optimieren, dass diese eine günstige Voraussetzung zur Entwicklung des selbstregulierten Lernens dar-
stellt � Trainings der zentralen Gestalter der Lernumwelt, wie z. B. Lehrkräfte und Eltern. Otto (2007a, b)
postuliert, dass die zentralen Gestalter der Lernumwelt insgesamt drei verschiedene Möglichkeiten haben,
wie sie auf das selbstregulierte Lernen der Schüler Einfluss nehmen können:
� Schaffung günstiger Lernbedingungen. Lehrkräfte und Eltern können beispielsweise günstige
(motivationsförderliche) Lernbedingungen schaffen, indem sie Aufgaben stellen, die an den Interes-
sen der Schuler orientiert sind und die Schuler bei einer autonomen Aufgabenbearbeitung unterstüt-
zen (das selbstständige und selbstgesteuerte Erkunden, Planen, Handeln und Lernen ermöglichen
und fördern). So bieten sich Projektarbeiten oder Wochenplane zur Autonomieunterstützung an,
aber auch das Gruppenpuzzle oder das Stationenlernen fördern die Autonomie des Schulers beim
Erlernen neuer Unterrichtsinhalte. Daneben ist auch die Kompetenzunterstützung von Bedeutung.
Gut geeignet ist vor allem das informative und motivationsförderliche Feedback. Dabei ist es wichtig,
dass nicht nur die Bewertung des Lernergebnisses kommuniziert wird, sondern auch Lernprozesse
und Lernergebnisse mit den positiven wie verbesserungswürdigen Anteilen thematisiert werden. Bei
solchen Ruckmeldungen ist zudem von Bedeutung, dass günstige Attributionen nahegelegt werden.
Lernen, Lehren, Wissen
66
� Direkte Strategievermittlung. Lehrkräfte und Eltern können die Schuler z. B. darin schulen, ihre
Zeit effektiv zu planen, wie sie sich für ihre Hausaufgaben motivieren können, wenn sie keine Lust
haben, oder wie sie störende Ablenkungen vermeiden können.
� Modellverhalten (Bandura, 1991). Schüler können ein günstiges Lernverhalten erlernen, indem sie
dieses zunächst an einem positiven Modell beobachten und später imitieren. Im Unterrichtsalltag
sollte die Lehrkraft daher die Selbstregulationsstrategien, die sie bei den Schülern gerne sehen wur-
de, auch selbst zeigen. Allerdings ist immer wieder ersichtlich, dass direkte Trainingsangebote an
Schüler effektiver sind als indirekte Interventionen (Otto, 2007a). Insofern wäre optimal, eine kombi-
nierte Intervention für die Schuler selbst sowie für die Gestalter der Lernumwelt durchzufuhren.
Exemplarische Beschreibung von Trainingsmaßnahmen.
Im Folgenden soll exemplarisch ein Schülertraining zur Vermittlung mathematischer Problemlosestrategien,
ein computerbasiertes Training zur Forderung einzelner kognitiver Lernstrategien, ein webbasiertes Training
zur Vermittlung metakognitiver Lernstrategien mit einem Tagebuch und ein Training zur Forderung von
Selbstregulation bei Erwachsenen vorgestellt werden.
Förderung von mathematischen Problemlösestrategien bei Schülern � direkte Intervention in Form eines
Schülertrainings, das fachliche mit fachübergreifenden Inhalten kombiniert. Zielsetzung ist es, die Selbstre-
gulationsfähigkeit der Schuler zu verbessern. Das Training basiert auf dem Prozessmodell der Selbstregu-
lation und besteht aus insgesamt 10 wöchentlichen Trainingssitzungen im Umfang von jeweils 2 Schulstun-
den. Die 1., 9. und 10. Stunde dienen dem Kennenlernen und der Wiederholung der Inhalte. Die verblei-
benden 7 Sitzungen werden den drei Phasen der Selbstregulation zugeordnet; dabei werden chronolo-
gisch entsprechende Strategien vermittelt.
• Präaktionale Phase: in 3 Sitzungen werden sowohl die Selbstregulationsstrategien � Zielset-
zung und Planung, als auch die handlungsvorbereitenden Strategien des mathematischen Prob-
lemlösen � Skizze, Selektion und Überschlag, vermittelt.
• Aktionalen Phase: in 2 Sitzungen werden einerseits Strategien zu Förderung von Konzentration ,
Motivation und Willensstrategien trainiert und andererseits wird auf die Zerlegung beim Prob-
lemlösen eingegangen.
• Postaktionale Phase: 2 Sitzungen vermitteln die Reflexion und den Umgang mit Fehlern .
Das Training wird von zwei externen Trainern nachmittags in den Räumen der Schule durchgeführt. Die
Gruppengröße besteht jeweils aus maximal 15 Schülern. Weiterhin führen die Schuler täglich ein standardi-
siertes Lerntagebuch bestehend aus 4 Seiten aus. Zielsetzung des Lerntagebuchs ist es zum einen die
strukturierte Selbstbeobachtung im Hinblick auf das individuelle Lernverhalten zu fördern und Reflexions-
und Regulationsprozesse anzuregen.
Die Auswahl der Trainingsmethoden zeichnet sich durch Variation und Aktivierung aus. Weiterhin fungieren
die Trainer und der Trainingsaufbau explizit als Modell für selbstregulatives Vorgehen.
� Vorteile dieses Trainings sind sicherlich die massierte Förderung ganzheitlicher Selbstregulations-
strategien und deren Kombination mit fachspezifischen Inhalten.
� Als nachteilig könnten sich die zeitlichen und personellen Kosten des Trainings erweisen, die durch
die 10 außercurricularen Sitzungen, die Leitung durch zwei Trainer, die relativ kleinen Gruppengö-
ßen und das begleitende Lerntagebuch gegeben sind.
Lernen, Lehren, Wissen
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Die Evaluationsergebnisse bestätigen jedoch die Wirksamkeit des Trainings und rechtfertigen den Aufwand.
Förderung kognitiver Lernstrategien mit einem computerbasierten Training (10. Jahrgangsstufe).
Zielsetzung dieses Programms ist es, den Einsatz einer Mapping-Strategie (Globales Organisieren und
sprachliches Integrieren gelesener Information) im Kontext naturwissenschaftlicher Sachtexte zu optimieren,
wobei die Besonderheit darin liegt, dass der qualitätsvolle Einsatz dieser Lernstrategien reguliert werden
soll.
EPOS-Modell (Essener prozessorientiertes Selbstregulationsmodell nach Leutner & Leopold, 2005): hier
wird damit vor allem auf die Mikroebene der Lernprozessregulation fokussiert. Der Lernende bekommt Wis-
sen darüber vermittelt, warum und wie er einzelne Schritte der Mapping- Strategie einbringen und sich selbst
beim Strategieeinsatz beobachten, einschätzen und angemessen reagieren kann. Vergleichsstandard bei
der Selbstregulation ist in diesem Fall also nicht das Gesamtziel, sondern die Erreichung zuvor festgelegter
Qualitätsanforderungen bei der Strategieumsetzung. Didaktisch unterteilt sich das Training in drei Teile:
1. Fallbeispiel,
2. Lernstrategieteil und
3. Selbstregulationsteil.
Die Bearbeitungszeit kann individuell variieren, ist jedoch auf 90 Minuten ausgerichtet. Die Wirksamkeit des
computerbasierten Trainings konnte in Trainingsexperimenten in Bezug auf das Lernverhalten und den
Lernerfolg beim Lesen von Sachtexten belegt werden.
Vermittlung metakognitiver Strategien mit einem webbasierten Lerntagebuch.
Winter (2007; Winter & Hofer, 2007) konzipierte ein webbasiertes Lerntagebuch, das Studierende bei der
Planung und Regulation des universitären Lernverhaltens unterstutzen soll.
• Dieses Programm ist prinzipiell unabhängig von den Inhalten einzelner Lehrveranstaltungen
• Es zielt auf metakognitive und ressourcenbezogene Regulationsstrategien ab
Der Lernende wird durch dieses Tool über einen längeren Zeitraum angehalten, sein Lernverhalten in re-
gelmäßigen Zeitabstanden zu planen, zu beobachten, zu protokollieren und zu reflektieren. Dies geschieht
anhand von Leitfragen , die sich entweder auf einen einzelnen Lerntag oder eine ganze Lernwoche bezie-
hen. Darüber hinaus hat er die Möglichkeit, die Entwicklung seines Lernverhaltens über die Zeit grafisch
darstellen zu lassen. Dieses elektronische Lerntagebuch wurde an der Universität Mannheim erprobt und die
Ergebnisse zeigen, dass eine sorgfältige und kontinuierliche Nutzung die Selbstregulation beim Lernen (z. B.
Zeit zur Prüfungsvorbereitung, Wissenstest) verbessert.
Förderung von Selbstregulation bei Erwachsenen.
Dass Selbstregulation auch im Erwachsenenalter erfolgreich gefordert werden kann und diese Strategien
auch für den beruflichen Kontext hilfreich sein konnten, zeigt das im Folgenden beschriebene Training von
Landmann (2005; Landmann, Pohnl & Schmitz, 2005).
Das Training richtet sich an Personen, die sich in Phasen beruflicher Neuorientierung oder des berufli-
chen Wiedereinstiegs befinden. Es besteht aus 7 wöchentlichen Trainingssitzungen von jeweils 2,5 Stun-
den. Die Strukturierung und Auswahl der vermittelten Inhalte orientiert sich am Handlungsphasenmodell
(Gollwitzer, 1990; Heckhausen, 1989).
Lernen, Lehren, Wissen
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Es werden wesentliche Strategien jeder einzelnen Handlungsphase (prädezisionale, präaktionale, aktionale,
postaktionale Phase) vermittelt, um hierdurch einen vollständigen Handlungsablauf zu fordern und somit die
Zielerreichung zu ermöglichen. Die vermittelten Strategien
sind
1. Zielsetzung,
2. Handlungsplanung,
3. Selbstmotivierung,
4. Selbstbeobachtung,
5. Handlungsregulation,
6. Volition,
7. Attribution und
8. Reflexion
Zu Beginn werden in der Gruppe die Erfahrungen mit dem
Tagebuch und bei der Umsetzung der Inhalte seit der
letzten Trainingssitzung besprochen. Bevor neue Inhalte
vermittelt werden, erfolgt die Aktivierung von Vorwissen.
Theoretische Inhalte werden in kurzen, interaktiven Vor-
tragssequenzen dargeboten und in anschließenden Ein-
zel- oder Gruppenübungen vertieft. Das Training wird in
Kleingruppen von maximal 15 Personen durchgeführt.
Wesentliche weitere konzeptionelle Bestandteile des Trai-
nings sind
a) ein Trainingsprojekt (in der Regel das berufliche
Ziel) der Teilnehmer, das zu Beginn des Trainings
gesetzt und an dem sukzessive die vermittelten
Strategien umgesetzt/erprobt werden,
b) ein Trainingsvertrag zwischen den Teilnehmern
und dem Trainer und
c) ein Selbstbeobachtungstagebuch, das täglich
ausgefüllt wird und das der strukturierten Umset-
zung und Beobachtung der im Training vermittel-
ten Strategien im Alltag dient.
Ergebnisse belegen die Wirksamkeit des Trainings sowohl
im Hinblick auf die Vermittlung von Selbstregulationsstra-
tegien als auch in Bezug auf die berufliche Zielerreichung
wobei sich das Tagebuch als besonders wirkungsvolle
Trainingskomponente erwiesen hat.
Lernen, Lehren, Wissen
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Ausblick.
Mögliche zukünftige Fragestellungen:
� Integrierung der verschiedenen Selbstregulationsmodellen, da es z.T. starke Überlappungen gibt
� Klärung des Verhältnisses von Selbst- und Fremdsteuerung
� Klärung der Rolle der Peers
� Messung von Selbstregulationskompetenzen: Klärung der geringen Korrelation von erhobenen
Selbstregulationskompetenzen und gezeigtem Regulationsverhalten
� Verstärkte Forschung auf Selbstbeobachtungstagebüchern, da das Self-Monitoring eine wesentli-
che Voraussetzung für Regulationsverhalten ist. Die bisherigen Methoden zur Unterstützung sind
vergleichsweise aufwendig und wenig alltagstauglich
� Klärung ab welchem Alter Selbstregulationskompetenzen gefördert werden können
Fazit: Ungeachtet des umfangreichen Kenntnisstands und der Tatsache, dass selbstreguliertes Lernen als
ein wichtiges Qualitätskriterium von Schulqualität angesehen wird, ist jedoch die Vermittlung von Selbstre-
gulationsstrategien weder in der Schule, noch im Studium oder im Berufsleben selbstverständlich. Dieses
Ungleichgewicht verweist letztlich auf allgemeine Probleme der praktischen Umsetzung von Forschungser-
gebnissen, die (auch) in der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften und Hochschullehrern zu verorten sind.