Leseprobe Ruth Weiss "Die Löws Band 1"

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Ruth Weiss

Die LöWs

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Der Judenweg

Die Nottaufe

Verlag André Thiele

Leseauszug

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T Verlag Mainz

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ainz.de

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© VAT Verlag André iele, 2014Alle Rechte vorbehalten.Lektorat: sabine Krieger-Mattila, Königswintersatz: Felix Bartels, eberbachUmschlag: Jürgen Meyer, HamburgDruck: ANROP Ltd., JerusalemPrinted in israel.

www.vat-mainz.de

isbn 978-3-95518-026-5

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DeR JUDeNWeG

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es regnete. Rötlich schimmerten die grob behauenensteine der scheune im letzten Tageslicht. Wasser lief vomstrohdach an den Mauern herab und vermischte sich mitdem Blut, das im innern des Gebäudes von einem Kadavertropfte. Dicht daneben stand ein ärmliches Holzhaus, indem eine Frau geschäftig hantierte. Der Hof lag am endeeiner sich windenden straße hinter einigen Bäumen, zehnMinuten Weges entfernt von dem fränkischen Dorf Neu-stein, zu dem es gehörte. er war bewusst abgesondert wegendes Gestanks der Misthaufen, gesammelt von mehrerenWiesen, auf denen Vieh weidete, das aus anderen Länderneingeführt worden war. Vierzehn Tage mussten die Tieredort bleiben, ehe die Händler sie zum Markt treiben durften.Man hatte Angst vor Krankheiten, die fremdes Vieh ein-schleppen könnte.

Über den Bergen ballten sich Wolken zusammen, derHimmel verdunkelte sich mehr und mehr. Raoul von Wes -ternau, ein zierlicher Mann mittleren Alters, der als ersterden Fuß eines Berghangs erreicht hatte, riss an den Zügelnseines schwarzen Hengstes und hob den Arm, um seinemGefolge das Zeichen zum Anhalten zu geben. er musste sichentscheiden. Wie weit wollte er noch reiten an diesem spätenNachmittag? Das Ziel war heute kaum mehr zu erreichen.Hinter sich hatte er das Murren der Landsknechte vernom-men. sie wollten nicht mehr weiterreiten. sie und die Pferdewaren erschöpft, brauchten Nahrung und Ruhe.

Der Ritter überlegte: Wie sicher war die Gegend? Nochimmer herrschten überall im Land nackter Hunger undtiefe Armut. Vieles war zerstört, nicht nur in den Kriegs -gebieten, sondern überall, wo die Armeen durchmarschiertwaren. Das Rheinland, das häufig durchquert worden war,

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lag nach den dreißig grausamen Kriegsjahren völlig darnie-der, die Äcker waren verwildert, die Dörfer verlassen. inPreußen waren ganze Landstriche menschenleer. Vor allemdort, wo die Heere Winterquartier bezogen hatten, warennur schutt und Asche geblieben. es würde Jahre dauern,bis alles wieder aufgebaut war. Das ende des Krieges vorwenigen Tagen deutete einen Anfang an. Westernau war beiden endlosen Verhandlungen und beim Unterzeichnen derFriedensverträge in Münster und Osnabrück dabei gewesen.Ruhe hatte er seitdem noch nicht gefunden und würde esauch in nächster Zeit nicht. er war mit einem wichtigenAuftrag seines Landesherrn in diese entlegene Gegend gereist.Der Fürst seines Heimatlandes wollte mit den katholischenHerren in Franken Bündnisse schließen, um die Gegen -reformation zu stärken.

Der edelmann war auf Umwegen gereist. er hatte esweitgehend vermieden, durch die Berge zu reiten. An derensteilen Hängen lagen Burgen von Adligen, die durch dieschier endlosen Kriegsjahre verarmt waren. Manche Ritter,befürchtete Westernau, könnten trotz des Friedens nochimmer Reisende überfallen, ausrauben, sie festnehmen undtöten, wenn die Familie oder der Lehnsherr nicht gewilltwaren Lösegeld zu zahlen. Der Krieg hatte schlechte Ge-wohnheiten längst vergangener Zeiten aufgefrischt. in somancher schlucht könnte man in eine Falle geraten, daswusste Westernau. Das Gebiet, das vor ihm lag, schien zwarnicht so verwüstet zu sein wie viele andere, durch die er inden Kriegsjahren mit seiner Truppe gekommen war, aberüberall lauerten Gefahren. er musste mit Rotten von Vaga-bunden rechnen, die in den tiefen Wäldern ihr Unwesentrieben. Auf dem Weg war er mit seinen Männern täglichan scharen elender Bettler vorbeigeritten, die auf der Land-straße umherirrten, zerlumpt, halb verhungert, stinkend.sicher hatten sich Gauner unter sie gemischt, die sich sogut verstecken konnten. seit römischen Zeiten trieben sich

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fahrende Gesellen auf den straßen umher, sie gehörten zumAlltag. im Laufe des Krieges waren es zusehends mehr ge-worden.

Westernau war gut gerüstet. Der Fürst hatte ihm elf Mus-ketiere zum Geleit mitgegeben. Die Truppe war müde, dieMänner hatten einen beschwerlichen Weg hinter sich. AndereAdlige waren aus Osnabrück und Münster in ihre Heimatzurückgekehrt, doch Westernau nicht. er hatte diesen Auftragauszuführen. Unterwegs hatte er gelegentlich Herbergen ge-funden, meist konnte er sich mit seinen Männern jedoch inHöfen einquartieren. Aber er sehnte sich nach seinem eigenenHof. Und nach Ruhe. im Laufe der Reise hatte er gemerkt,wie schwer es seinen Männern fiel, sich mit dem Frieden an-zufreunden. sie waren es gewohnt zu furagieren, nahmen,was sie brauchten, ohne den Besitzer zu fragen. Gewalt wardie Münze des Krieges. Westernau musste sein Gefolge er-mahnen, alles zu bezahlen. schließlich hatte er eine schwereGeldstange dabei, die ihm sein Herr für die Reise mitgegebenhatte. es sollte ordentlich zugehen, denn sie ritten unterdem Banner des Fürsten. in den sattelsäcken trugen sie wert-volle Geschenke für ihre Gastgeber.

Westernau fragte sich, ob es nicht ratsam sei, die Reisezu unterbrechen, um Unterkunft für die Nacht zu suchen.er zögerte noch, als er plötzlich Laute vernahm und seinscharfes Auge eine feste scheune erspähte. Nahe des Wegesstanden einige magere Kühe zusammengedrängt auf eineroffenen Weide. An den langen Hörnern erkannte Westernau,dass es ungarisches Vieh war. ein drahtiger Junge hütete diekleine Herde. sein Hund rannte japsend um die Tiereherum, trieb sie enger zusammen. Die Kühe sollten zurNacht in die scheune.

Der Junge mochte etwa zehn Jahre alt sein. er bewegtesich behände, die kalte Nässe störte ihn nicht. im Gegenteil,er hüpfte fröhlich umher trotz der beißenden Kälte, die denRitter erschauern ließ. Der Knabe rief den Tieren laute

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Worte zu, stieß vergnügte Pfiffe aus und schlug aus Übermuteinen Purzelbaum, der seine braunen Beine bloß legte undden hellen Oberkörper zeigte.

Westernau ließ die Zügel hängen, sein Mund verkniffsich, die kleinen Augen glänzten. Angelus Torna, ein Bene-diktinerpater, der den Zug begleitete und an Westernausseite ritt, folgte besorgt dem Blick des Ritters. er wusste,warum dessen Adlernase plötzlich weiß wurde, räuspertesich und tätschelte seinen Rappen.

»Die Herberge ›Zum Hirsch‹, sagte man in Bamberg,liege hier in der Nähe, Herr. Das Haus hat den Ruf einerguten Bierschenke«, erklärte der Mönch mit heiserer stimme.er kannte Westernaus lüsterne Triebe. sanft schmeichelndfügte er hinzu: »Von dort könnte man dem Fürstbischofeine Nachricht senden mit der Bitte um Audienz, ehe derHerr aufbricht zur letzten etappe. Der Kirchenmann würdedie Reisenden gut bewirten. Vor allem, wenn sie aus Münsterzuverlässige Nachricht aus erster Hand bringen.« Der Mönchsprach französisch, Westernaus deutscher Dialekt war ihmfremd und das Latein des Ritters miserabel.

»Bamberg liegt nicht auf dem Weg«, bemerkte Peter vonHebelein, der neben dem Pater ritt, grimmig. »Was kümmertunseren Herrn der Fürstbischof!« Der breitschultrige edel-mann, der an Westernaus seite in etlichen blutigen schlach-ten gekämpft, in mancher elendshütte geschlafen und ihnzu guter Letzt in die Paläste begleitet hatte, war dem Mönchnicht gut gesinnt. er hielt ihn für einen ehrgeizigen intri-ganten, einen, der zu viele fromme Reden hielt, die Wester-nau um seine gute Laune brachten.

Hebelein wollte Westernau, der unberechenbar und lau-nisch war, in bester stimmung halten. »Außerdem hat derFürstbischof wie jeder Geistliche seine eigenen spione zuden Verhandlungen geschickt«, erklärte er hämisch. »Warennicht viele von eurem Orden, auch aus Bamberg, beim Frie-densschluss in Westfalen, selbst beim Vorfrieden mit schwe-

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den?« Der edelmann zog seinen linken Lederhandschuhaus, so dass ein siegelring mit Wappen zu sehen war. DieHand tat ihm weh, der schmerz kam von dem Zipperlein,nicht von einer seiner Kriegsverletzungen.

»es ist kein harter Regen, es nieselt nur«, bemerkte He-belein spöttisch. »Hier ist noch nicht mal schnee gefallen!Wär’ besser, voranzukommen. Wir könnten vielleicht nochvor der Dunkelheit das Gut der Herren von stiebar errei-chen.«

Raoul von Westernau kümmerte sich nicht um das Ge-rede. er war streit unter seinen Leuten gewöhnt. er förderteihn sogar. Der Ritter verstand es, Männer zu führen. Wiemanch anderer Herr hatte er im Krieg ein eigenes Regimentaufgestellt, gerüstet, finanziert und es dem kaiserlichen Heergegen ein entgelt zur Verfügung gestellt. Das Unternehmenhatte sich ausgezahlt, er hatte sein erbe nicht verschuldenmüssen wie viele andere Ritter. streitende verbünden sichnicht, hatte er gelernt. in seiner Abwesenheit sahen sichseine Männer stets gegenseitig auf die Finger. somit war esums stehlen schlecht bestellt. Aber was Hebelein anging,war Westernau unbesorgt, denn der war kein Vasall, sondernein Kampfgenosse, er war Oberst einer seiner Truppen ge-wesen. Und heilige Brüder wie Angelus Torna stahlen nicht.Jedenfalls nicht offen. Außerdem hatte der Mönch sich derReisegesellschaft lediglich aus sicherheitsgründen angeschlos-sen. Westernau erhob seinen behandschuhten Arm und deu-tete damit auf den Bach, der längs des Weges plätscherteund unter dem Peitschen des Regens kleine Wellen schlug.»Dort werden wir die Pferde tränken. im Dorf können wirUnterkunft für die Nacht bekommen.«

Der hagere Mönch hatte bereits nach Hebeleins erstenWorten seinen Rappen in Trab gesetzt und war vorausgerit-ten. Nun kam er zurück und berichtete, was er gesehenhatte: »Herr, da steht nur ein einziges Haus! es gehört einemHirten, denke ich. Durch die scheunentür sah ich, wie ein

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Mann Fleisch zerteilte. es hängt ein Kadaver im Raum, undes stinkt wie die Pest! in der Hütte wird kaum Platz für unssein.«

Westernau vermied es, dem Pater ins Gesicht zu blicken.»Gut. ihr könnt weiterreiten, gibt’s einen Hirten, werdendie Bauern nicht weit weg ihr Dorf haben, dort findet ihrsicher, was ihr braucht. Auch Wasser für die Tiere, der Bachfließt an der straße entlang. ich bleib hier.« er zögerte, sagteknapp: »Hebelein wird bei mir bleiben.«

Dem wuchtigen Mann stieg vor Freude die Röte ins Ge-sicht. er hatte schon seit Wochen überlegt, was er tunsollte. er war im elsass geboren, doch der Krieg hatte ihnentwurzelt und ihm trotz des vielen Plünderns wenig ge-bracht. es war nicht viel zu holen gewesen. Nun waren imZuge des Westfälischen Friedens östliche Ländereien imelsass an Frankreich gegangen, sowie mit Verdun, Metzund weitere Gebiete. Hebelein hatte nicht vor, unter einemminderjährigen König zu leben. er hatte sich zu lange alssöldner verdingt und wollte sich lieber mit Westernau ar-rangieren. Die Nacht würde ihm die Gelegenheit geben,das Gespräch in diese Richtung zu lenken. Zufrieden zoger sein Pferd beiseite, um hinter Westernau im Trab überdie Wiesen zu reiten.

Betrübt, aber etwas erleichtert, dass Westernau nichtallein sein würde, führte der Mönch das übrige Gefolge an.einen Augenblick lang hatte er gezögert, wollte darauf be-stehen, mit den Herren zu reiten. Doch er war müde, seinAlter machte sich in letzter Zeit bemerkbar. Wozu einenstreit beginnen? sie waren zu zweit. Außerdem war er nachdem beschwerlichen Tagesritt erschöpft. er beruhigte sich.Westernau hatte ein langes Gespräch mit seinem Abt geführt,er war ein Mann, den die Kirche brauchte. Warum sollteman sich sorgen machen? Westernau wollte sich schließlichnur ausruhen, ein warmes essen und ein Bett erbitten, bis-lang war jede Nacht nicht anders verlaufen.

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Die Gefolgsmänner waren ebenfalls zufrieden. es warZeit, ein Lager zu suchen und die Pferde zu versorgen.

Der Mann, den der Mönch erblickt hatte, bemerkte dasAnhalten der Reiter mit schrecken. er schob seine Arbeitbeiseite, winkte dem Jungen durch die offene Tür hastig zu,er solle kommen. er eilte über den Hof ins Haus, merkte,dass er sein Messer noch in der Hand hielt. Flugs legte er esauf die Lehne der hölzernen Bank, die fast die Länge derWand des kleinen balkenüberdeckten Raumes einnahm.seine Frau hatte die Reiter ebenfalls gehört, den Topf schnellvom Feuer genommen und nach ihrem Tuch gegriffen. Beidewussten, wie viel Unheil Reiter mit sich bringen konnten.Zu oft hatten sie erlebt, dass versprengte söldnerbandenwie Heuschrecken über Dörfer hergefallen und bei armenLeuten eingedrungen waren, um nach Wertvollem zu su-chen. selbst wenn sie etwas fanden, hatten sie dann meistalles mutwillig zertrümmert. Und sich die Frauen geholt.

Nur wenige Menschen hatten diesen Krieg unbeschadetüberstanden. Das Volk hatte drei grausame Jahrzehnte hintersich, auch die jüdischen Gemeinden in dieser Gegend zwi-schen der Reichsstadt Nürnberg, den zollerschen Markgraf-schaften, der Oberpfalz und dem Bistum Bamberg. Nach-dem Herzog Albrecht im Jahr 1553 alle Juden aus Bayernausgewiesen hatte, waren in fränkischen und schwäbischenDörfern eine Reihe kleiner jüdischer Niederlassungen ent-standen. Natürlich gestatteten das die Obrigkeiten nichtaus purer Menschenliebe, sondern wegen der vielfältigenZahlungen, die sie Juden auferlegen konnten.

Löw ben simon war dreißig Jahre alt. er verrichtete ver-schiedene Dienste für die kleine jüdische Gemeinde der vierbenachbarten Orte im Rittergut des Ulrich von seckeling.Unter anderem war er Mohel und Schächter. seine Furchtvor den Reitern war nicht grundlos, mit derartigen Besu-chern hatte er schlechte erfahrungen gemacht. Löw kanntenichts anderes als Krieg. schon vor seiner Hochzeit mit

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esther, der Tochter des Hausierers Gideon aus schnaittach,hatte er genau gewusst, wo man sich am besten im Waldverstecken konnte. Dort hatte er sich mit anderen Juden ausder Gegend aufgehalten, als sich kaiserliche und schwedischeTruppen gegenüberstanden und der schwedenkönig sich inFürth einquartiert und Nürnberg belagert hatte. ein Teil derstadt war dem erdboden gleichgemacht worden. Viele Ju-denhäuser waren zerstört, die synagoge hatten Kroaten alsPferdestall benutzt. Während den furchtbaren Kriegsjahrewaren viele stadtbewohner in die Wälder geflüchtet.

Juden wurden nicht in die Armeen aufgenommen. Abersie mussten sonderabgaben für die Kriegsführung leisten.Viele Juden waren von soldaten erschlagen worden, ihr Be-sitz war gestohlen, ihre Häuser geplündert und abgebranntworden. Mehrmals waren sie von den Herren des Landesvertrieben und der Not ausgesetzt worden. Doch einigeHerrschaften merkten, dass Juden nützlich waren, weil siees verstanden, Waren aus anderen Ländern zu holen. siekonnten sich bei ausländischen Glaubensgenossen Kreditebeschaffen, Wechsel ausstellen. Trotz der unruhigen Zeitenhatten es Juden geschafft, geregelte Geschäfte mit Tierenund Textilien aus Böhmen, Korn aus Polen und selbst mitWaffen zu machen.

Der Viehhändler Nathan hatte Geld zusammengekratztund seinem Bruder Löw einen schutzbrief erkauft, so dassdieser heiraten durfte. ihre ersparnisse konnten Juden nurin Geld anlegen, Landbesitz war ihnen seit Jahrhundertenverboten. Mit der Zeit hatten immer mehr Obrigkeiten denJuden erlaubt, sich wieder in ihren Fürstentümern nieder-zulassen. Dieses Recht hatten sich die Herren jedoch gutbezahlen lassen. Überhaupt ließen sie sich keine Gelegenheitentgehen, Juden zu besteuern.

»Frau, verschwind! schnell!« Der schächter brauchte nichtzu drängen, esther war sich der Gefahr bewusst. Löw legteseinem sohn die Hand auf die schulter. »Geh, Daniel! Lauf

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mit der Mame fort! Beeilt euch!« Der Junge, gewohnt zugehorchen, fasste die Hand seiner Mutter. Aber er ging nurunwillig. Gern hätte er die Pferde und die fremde Kleidungder Herren aus der Nähe gesehen. Als er aber die Furcht inden Augen der eltern sah, wurde er selbst ängstlich.

Pippin, Daniels junger Hund, war von der Furcht derMenschen angesteckt und bellte nicht. er schien zu wissen,dass sie zum Wald wollten und rannte schnurstracks daraufzu. esther und Daniel hatten die ersten Bäume am Waldrandkaum erreicht, da waren die Reiter bereits an der Hütte ange-kommen. sie schwangen sich von ihren Pferden, banden dieZügel an den schlagbaum und stießen grölend die Tür auf.Beide mussten sich bücken, um durch den niedrigen eingangzu treten. Löw kam ihnen entgegen und verbeugte sich höflich.»eine ehr, die Herren, willkommen in meinem bescheidenenHaus!« er sprach fränkisch, wenn auch mit jiddischem Tonfall,er war unter den Bauern groß geworden.

»ein Jud, Kreuzdonnerwetter!« Verärgert betrachtete Wes -ternau den Bart, die schläfenlocken und den gelben Fleckam Kittel des Mannes, war erstaunt über dessen starke Figur.Löw war breit und schwer, sein Kopf stieß fast an die Balken.Die stärke hatte sich in seiner Familie vererbt. Von seinemGroßvater erzählte man sich Geschichten, die dessen Kraftund Zähigkeit rühmten. Die Legende sagte, er hätte einmaleinen wütenden stier ganz allein gebändigt, während alleBauern auf dem Markt auseinandergestoben waren. er hättedas Tier mit bloßen Händen an den Hörnern gefasst und esniedergerungen. Mit Kühen konnte er es leicht aufnehmen,wie nun auch seine söhne und sein enkel.

Hebelein erinnerte sich an den jüdischen Pferdehändler,der ihm seinen Hengst besorgt hatte, als Pferde kaum zuhaben waren. »Wir werden hier übernachten, Jud! sieh zu,dass man uns auftischt!«, brummte er etwas freundlicher.er deutete zur scheune, an der sie vorbeigekommen waren.»An Fleisch sollt’s wohl nicht fehlen!«

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»sofort, Herr! ich …« er wurde von Westernau unter-brochen, der bereits während des kurzen Ritts nach demJungen Ausschau gehalten und ihn nicht mehr auf demFeld gesehen hatte. er befand sich auch nicht in diesemRaum, der als Küche und stube diente. ein schlecht geho-belter eichentisch, der den meisten Platz einnahm, war be-reits mit drei Tellern und Löffeln gedeckt. Westernau schrittdurch das Zimmer, schlug mit dem stiefel gegen den Ver-schlag, hinter dem er im Dunkeln strohmatten und einegroße Federdecke erkennen konnte. er konnte nicht wissen,dass Löws kleine Familie nur vorübergehend hier wohnteund eigentlich im nahen Dorf bei Nathan lebte. Der Herrdieser Gegend, Ulrich von seckeling, hatte Nathan erlaubt,seinen Bruder mehrere Wochen in der Hütte eines krankenHirten unterzubringen, damit er auf die ausländischen Tiereachtgebe, ehe sie zum Markt gebracht wurden. Hier drau-ßen durfte Löw auch schächten. es gefiel der Familie aufdem kleinen Hof, vor allem Daniel fühlte sich äußerst wohlin der ungewohnten Freiheit. im Familienhaus im Dorflebten, so wie überall, zahlreiche Menschen auf engstemRaum.

»Wo ist die Frau?«, schrie der kleinere der beiden Ritterwütend.

Löw erbleichte. »ins Dorf muss sie gegangen sein«, stot-terte er. »ich war in der scheune.«

»Lügenmaul!« Westernau versetzte dem schächter einenharten schlag ins Gesicht, so dass seine Nase zu bluten be-gann. »Und der Junge? Wo ist der geblieben? Wo hält erden versteckt?«

Löw hielt den Arm vor die Nase und antwortete nicht.Was wollten sie von dem Kleinen? ihn als Diener entführen?Flüsternd erflehte er die Hilfe des ewigen, des einzigen.

Westernau wandte sich an seinen Begleiter. »Weit könnendie nicht gekommen sein. sicher sind sie zum Wald gelau-fen«, sagte er bissig. »Hol sie!«

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»Nein!« Löw stürzte sich auf Hebelein, umklammertemit seinen großen Händen dessen Arm, wurde aber wie einkleiner Hund abgeschüttelt. Hebeleins Fausthieb ließ ihnzu Boden taumeln. Der Ritter war ein erfahrenerer Kämpferals der große Metzger. Ohne einen Blick zurückzuwerfen,verließ Hebelein das Haus, schwang sich auf sein Pferd ga-loppierte zum Wald.

Der Knecht des Bauern eisner, der am Waldrand Reisiggesammelt hatte und gerade auf einen kleinen Karren lud,drehte sich erschrocken um, als er laute stimmen aus demkleinen Holzhaus hörte. er zog schnell den Karren an. eswar besser, nicht hinzugehen. er wusste vom Ärger seinesHerrn darüber, dass der Amtsherr dem Juden Nathan dasWeide- und Tränkrecht für die Wiesen gegeben hatte. DessenBruder versorgte dort das auswärtige Vieh, ehe der Händleres zu den Viehmärkten trieb. eisner gab vor allem samstag-abends beim Gerstenbier im Wirtshaus laut zu verstehen,dass der Jud ihn betrogen hätte. War nicht er der größteBauer im Ort? Hatten nicht nur ansässige Bauern das Rechtauf Land? ein Jude durfte nicht mal eine Harke in die Handnehmen! Wieso besaß der dreckige Jude Nathan das Weid-recht? einer, der wie alle Juden den Heiland hasste!

Der Knecht war erleichtert, als er im eisner-Hof eintraf.Der Reiter gehörte offensichtlich zu der Truppe söldner,die gerade mit dem Bauern verhandelten, sie suchten einNachtquartier. Der Knecht tat, wie ihm sein Herr in bar-schem Ton befahl und kümmerte sich um die Pferde. DerTruppenführer, ein grobschlächtiger schwabe, lachte dröh-nend, als er abstieg. Der Knecht beeilte sich, die Anord-nungen auszuführen und dachte nicht mehr an das Geschreiin der Hirtenhütte.

Löw versuchte sich aufzurichten, doch Westernau versetzteihm einen heftigen Tritt, so dass er hilflos zusammensackte.Der Ritter traktierte ihn mit weiteren Tritten, bis einer ihnam Kopf traf und er bewusstlos zusammenbrach. Verächtlich

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stieß der Adlige den schlaffen Körper beiseite, schritt gemäch-lich zum Herd und stocherte in esthers Kochtopf herum. erhatte gerade den Löffel an den Mund gesetzt, als Hebeleinzurückkam. Den zappelnden Jungen hatte unter dem Arm,während die Frau jammernd hinter ihm herlief. Der Ritterhatte die beiden ohne schwierigkeit eingeholt. Zuerst hatteer den Jungen eingefangen und zum Pferd gezerrt, woraufesther ihm nachgerannt war. es war ihm ein Leichtes, beideaufs Pferd zu werfen und zum Haus zu bringen.

Als esther ihren Mann auf dem gestampften Lehmbodenliegen sah, schrie sie laut auf und rannte zum Bach, umWasser zu holen. Peter von Hebelein war sich ihrer sicher.Die würde weder sohn noch Mann allein lassen. »Hier, dieBeute!« Wie einen Ball warf er Westernau den Jungen zu.

»Gut gemacht, Hebelein!« Westernau fing den Kleinenmit einer Hand. Als dieser schrie und sich zu befreien ver-suchte, ließ der Ritter den Löffel fallen und schlug demJungen mit der flachen Hand ins Gesicht. Grinsend be-trachtete er das Kind.

Hebelein machte sich an den Topf. esther war zurück -gekehrt, hatte den Wasserkübel auf den Boden gestellt undwar zu ihrem Mann geeilt. Vorsichtig benetzte sie seinenKopf und versuchte, das Blut zu stillen. sie hatte aufgehörtzu jammern, es würde niemandem etwas nützen. »Lass ihnnicht sterben, Allmächtiger!«, betete sie und beugte sichüber Löw, dessen Atem kaum zu spüren war.

Während Hebelein die Rübensuppe löffelte, beobachteteer das Kind, das Westernau noch immer mit einem Armfest umschlungen hielt. seine Kappe hatte der Junge bereitsverloren, nun wurden ihm trotz seines Widerstands das ge-wobene Hemd und die derbe Hose ausgezogen, bis er nacktvor den Männern stand, noch immer von eiserner Handgehalten. »Nicht schlecht für ’ne Judenbrut!«, lachte Hebe-lein. »Gut gewachsen! Hübsches Gesicht, die dunklen Augen

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passen zum Haar, was? sieh mal, der könnt so groß werdenwie der Metzger! Wird wohl schon zehn sein.« Wenigstensnicht jünger, dachte er erleichtert. er hatte wenig übrig fürWesternaus Geschmack.

Raoul von Westernau antwortete nicht. er schlang beideArme um den Jungen und trug ihn zum Verschlag. WenigeMinuten später hörte esther einen gellenden schrei, gefolgtvon lautem Wimmern. sie ließ von Löw ab, sprang entsetztauf und rannte auf den Verschlag zu.

»Lass schon gut sein, Weib!« Peter von Hebelein hielt dieFrau mit einer Hand fest. Wie der Mönch kannte er We-sternaus Laster, auch wenn er nicht verstand, was an einemzarten Jungenkörper so reizvoll sein sollte. er wischte sichdie Lippen ab, riss die Frau an sich. es schien ihm fastselbstverständlich, sie zu nehmen. im Krieg war es nie andersgewesen. esther wehrte sich, hämmerte mit ihren Fäustenauf den breit gebauten Ritter. Das reizte ihn, gern nahm erein Weib gegen ihren Willen. er warf sie zu Boden, öffnetesofort seinen Hosenlatz, zerriss der Frau den langen Rockund warf sich gierig auf sie, um seine Lust befriedigen. esstörte ihn nicht, als er merkte, dass sie ohnmächtig gewordenwar. schwer atmend erhob er sich und ging hinaus zumBrunnen, um sich zu erfrischen. Der Regen war stärker ge-worden. Gut, dass sie Halt gemacht hatten. sie würden dieNacht über in der Hütte im Trockenen sein.

Als Löw langsam wieder zu sich kam, sah er den geschun-denen Körper seiner Frau neben sich, hörte das Wimmerndes Kindes. er klammerte sich ans Tischbein und zog sichmühsam in die Höhe. Da erblickte er sein schlachtmesserauf der Bank, ergriff es in dem Moment, als Raoul von We-sternau mit einem Lächeln um die schmalen Lippen ausdem Verschlag trat. Löw zögerte nicht, er warf sich auf denAdligen, wusste, wohin man zielte, um die Halsschlagaderzu erwischen. ein heller strahl spritzte aus Westernaus Kehle,dem Ritter war nicht mehr zu helfen.

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Als Hebelein vom Brunnen zurückkam, sah er, was ge-schehen war. Blitzschnell zog er seinen Dolch und stieß ihnin den Rücken des Juden, der röchelnd zusammensank.

Kopfschüttelnd betrachtete Hebelein die leblosen Ge-stalten. Nun war bei Westernau nichts mehr zu holen außerder Geldstange. Hebelein nahm sie an sich und steckte siein seine Tasche. er verließ das Haus, band rasch die Pferdelos, schwang sich in den sattel und führte Westernausschwarzen Hengst mit den kostbaren Geschenken hintersich her. sicher waren sie ein Vermögen wert.

Den Weg nach Neustein nahm er nicht. er wollte hoch-näsigen Amtsherren keine erklärungen abgeben. sein neuerReichtum würde ihm Ansehen und Gehör verschaffen. ermusste ihn nur in sicherheit bringen! endlich hatte er etwasaus dem Krieg errungen. er fühlte sein Herz klopfen beidem Gedanken, dass er nun bei der Frau, die er im letztenKriegsjahr kennengelernt hatte, als Bewerber erscheinenkönnte. eine schöne, selbstbewusste Frau war sie, Witweeines bayrischen Ritters. eine teure Frau, sagte er sich. Jetztendlich würde er sie sich leisten können.

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esther kam langsam zur Besinnung. sie versuchte sichzu bewegen, verspürte starke stiche im Unterleib undschmerzen im Bauch, wusste, dass sie verletzt war. sie erin-nerte sich an die schmach, die ihr der Reiter zugefügt hatte.es war dunkel, sie konnte nicht an sich hinabsehen. Abersie merkte, dass ihr Rock und das Mieder zerrissen waren.sie stöhnte laut, fühlte scham und Verzweiflung bei demGedanken an das, was geschehen war, an den breiten Körper,der sich auf sie geworfen und ihr das angetan hatte. sie er-brach sich, das Würgen schien sie fast zu ersticken, erst nacheiniger Zeit beruhigte sich ihr schlucken und sie konnte

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wieder leichter atmen. es war ruhig im Raum. Zu ruhig.Die Tür war geschlossen, sie hörte Pippin jaulen und an derTür kratzen. Waren sie fort, die Missetäter?

esther bewegte sich, stieß an ein Tischbein, erinnertesich an den Topf Wasser, seufzte. es musste ihr gelingen, soweit zu kriechen, dass sie ihn erreichen und sich säubernkonnte! sie erfasste die Tischkante, erhob sich, stolperte,entdeckte eine der beiden Kerzen, die auf der Banklehnefür den Schabbat aufbewahrt wurden. Das Herdfeuerschwelte noch, sie konnte die Kerze anzünden, hielt sie indie Höhe. Da erst sah sie das entsetzliche: den blutendenKörper ihres Mannes und daneben den des Ritters.

Jetzt hatte sie nur einen Gedanken: Daniel! Wo war derJunge? Was war ihm geschehen? sie schleppte sich zum Ver-schlag. im Licht der Kerze sah sie ihren sohn nackt aufdem strohbett liegen, zusammengekrümmt wie im Mutter-leib. er schien leblos, das stroh war von Blut befleckt. Vor-sichtig stellte sie die Kerze ab und nahm seine kleine Handin die ihre. erleichtert spürte sie seinen schwachen Puls.

Wut verdrängte scham und Angst. Langsam begannesther, klarer zu denken. sie musste handeln. es gelang ihr,das Kind zu bewegen. Daniel öffnete die Augen, sah seineMutter fragend an und schloss die Augen wieder. ermutigtkleidete sie ihn an, sie tat es schnell und geschickt. sie ver-schwendete keine Zeit, riss sich voller Abscheu den be-schmutzten Rock vom Leib, zog sich den anderen an, densie nur am schabbat und an den Feiertagen trug, und warfsich ihren Umhang über die schultern. Die harten stiefel,die sie stets beim Arbeiten an ihren nackten Füßen trug,behielt sie an.

Dann blickte sie sich um, überlegte, was sie mitnehmensollte. sie bündelte einige sachen: Brot und Wurst, Talg-lichter, ein Messer und die kleine schatulle mit ihremschmuck. Werte, die leicht zu tragen waren, schätzte jederJude. Geld war keines in der Hütte, sie suchte nichts mehr,

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wollte keine Zeit verlieren. Als sie die Tür öffnete, brachteder jaulende Hund sie fast zu Fall. sie griff auf die Fenster-bank, warf ihm einige Knochen hin, die sie beiseitegelegthatte, ehe die Männer gekommen waren. Bei dem Gedankenwurde ihr erneut übel, sie rannte zum Bach, wusch sich mitdem klaren Wasser, ehe sie einen schlauch füllte. sie mussteDaniel retten, musste weg vom Haus, ehe andere kamen,den Ritter zu suchen, den ihr Löw umgebracht hatte. Dochwie sollte die Nachricht von Löws Tod zu ihrem schwagerNathan gelangen, damit er den ermordeten würde raschbeerdigen können, wie es die Tora vorschrieb? in ihrer Notbetete sie zum einzigen, nur er konnte helfen, dass Nathanbald von dem Unglück erfuhr.

Noch einmal hielt sie die Kerze hoch für einen letztenBlick, ehe sie den dicken schafspelz über ihr Kind zog. DasFell hatte Löw gehört, nun würde er es nicht mehr brauchen.esther band sich das Bündel um die Hüften, nahm behutsamihren sohn auf den Rücken, löschte die Kerze, steckte sieein und lief zum Wald. Das schwache Licht des Mondes,der sich bemühte, die Wolken zu durchbrechen, half ihr.Pippin trottete voran.

Nach einiger Zeit begann es zu schneien, der Mond warnun verdeckt, die Frau musste vorsichtig sein, damit dieniedrigen Äste und das Gestrüpp ihr Kind nicht verletzten.Der Hund verhielt sich ruhig, nur wenn er ein Tier witterte,bellte er kurz. er schien zu verstehen, dass es um Lebenund Tod ging. Vorsichtig schlich er sich voran, das halfesther auf ihrem Weg. sie erinnerte sich, wie Daniel einstgebettelt hatte, sein Vater möge doch eine Ausnahme machenund das kleine Tier behalten. Halb verhungert hatte derWelpe in der Nähe ihrer Hütte gelegen.

esther wusste, was sie suchte. sie kannte ein Versteck, ein-mal hatte sie es auch dem Jungen gezeigt. Mehrmals war sieim Wald gewesen, hatte sich mit anderen vor umherziehendenTruppen verstecken müssen. Die hohen Herren hatten zwar

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um der Religion willen gekämpft, doch die schlimmen Kriegs-jahre hatten ihre Vasallen und söldner verroht und verdorben,sodass sie die göttlichen Gebote vergessen hatten. es schienesther, einer einfachen Frau, als ob es neue Gebote gäbe, diebefahlen: Du sollst töten, du sollst stehlen und rauben, nie-manden sollst du lieben, nur dich selbst. Juden zu töten undzu bestehlen schien besonders lohnenswert in dieser neuenOrdnung. esther hatte nie gehört, dass Vergehen an Judenvon den Heerführern bestraft worden waren.

Das Kind auf ihrem Rücken bewegte sich, schien immerschwerer zu werden. Wie lange würde sie diese Last tragenkönnen? es wurde ihr schwindlig, mehrmals musste sie sichan einem Baumstamm festhalten, ihr Kopf schmerzte, malüberlief es sie heiß, dann wieder zitterte sie vor Kälte. sieverlor den Ortssinn, wusste nicht mehr, ob sie den richtigenPfad genommen hatte, sie konnte das Bächlein nicht hören,dem sie folgen wollte. sie merkte, wie ihre Kräfte nachließen.Doch wenn sie jetzt anhielt, wäre sie verloren. sie würdesich nicht mehr hochraffen können.

stolpernd ging sie weiter, hörte ihren Hund bellen, dannLaute, die sie nicht deuten konnte. sie blickte wild um sich,konnte in der Dunkelheit nichts erkennen, die Angstschnürte ihr den Hals zu. sie sah, wie eine Gestalt aus demDickicht auf sie zutrat, ihr Herz klopfte laut, sie hielt denJungen noch fester. Doch dann stolperte sie und Danielentglitt ihr. sie fiel ungeschickt, ihr Kopf schlug hart gegeneinen stein, sie spürte, wie sie einen Abhang hinunterstürzteund verlor erneut das Bewusstsein.

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Der Benediktinerpater Angelus Torna, gewohnt an dieRegeln seines Klosterordens, stand um Mitternacht auf, umdie Matutin zu beten, so wie es im Kloster gehalten wurde.

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Das Dorf, in dem er übernachtete, war arm und hatte erstvor wenigen Wochen wieder einen Pfarrer anziehen können,einen jungen scholaren, von dem der Pater annahm, dasser nicht lange in diesem vergessenen Ort bleiben würde.Jahrelang hatte das Pfarrhaus leer gestanden, war von einemDiener und dessen Frau instand gehalten worden. Ulrichvon seckeling, der Herr dieser Gegend, verstand es als seinePflicht, kirchliches Gut ordentlich verwalten zu lassen.

Der Pfarrer hatte eine Flasche sauren Frankenwein mitdem Pater geteilt und ihm geklagt, dass täglich Bettler durchsDorf kämen, denen Almosen gegeben werden müssten.

»Dabei haben meine eigenen schäflein selbst kaum genugzu essen, vor allem im Winter. sie ernähren sich von ge-trockneten Rüben, Fleisch bekommen sie nur einmal imJahr, zur Kirchweih«, erklärte er traurig. »Die Bauern pflügenwegen des Kriegs nur mit Ochsen, nicht mit Pferden, dasist harte Arbeit. Aber sie sagen, die Ochsen pflügen tiefer,also ist es doch zum Guten. Vielleicht wird alles besser, nun,da der Krieg beendet ist.«

Der Pater bezweifelte das. er hielt es für einen segen,dass der Krieg viele Menschen getötet hatte. Das Landkonnte nicht alle ernähren, die geboren wurden. Der Friedenkönnte katastrophal für die Armen werden, wenn sie weiterso viele Kinder bekämen. Der Mönch hütete sich jedochdavor, diesen Gedanken auszusprechen. er murmelte einGebet, denn er wusste, dass diese ese nicht im sinne derKirche war. Unter den Bettlerscharen, denen sie begegnetwaren, hatte er Frauen gesehen, die zwei Kinder auf demArm und schon wieder eins im Bauch trugen. Die Fürstenwürden es nicht leicht haben, ihren Untertanen ein anstän-diges Leben zu ermöglichen. Doch das war nicht seine sache.er musste sich um das seelenheil kümmern.

er hatte in der Nacht schlecht geschlafen. Mit bleiernenGliedern war er zum Gebet aufgestanden und dankte demerlöser, seinem Herrn, dass es in dieser fränkischen Gegend

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noch katholische Regenten gab. Hatte doch der WestfälischeFrieden bestimmt, dass Fürsten ihr eigenes Bekenntnis wäh-len durften und ihre Untertanen sich diesem anschließenmussten. Hier in Franken waren die Herren konfessionellgespalten. ein großer Teil war katholisch geblieben, aber inden städten war man abtrünnig geworden.

Pater Angelus, klug und besonnen, hatte den Krieg vonAnfang an erlebt und begleitet. er stammte aus einer adligen,kinderreichen Familie, die ihn als Kleinkind der Kircheübergeben hatte. Gehorsam, intelligent und zuverlässig hatteer sich einen Platz erkämpfen können, galt als ein treuerund angesehener Diener der Kirche. sein Wissen und seinesprachkenntnisse wurden geschätzt.

Die Kirchenfürsten mussten ihre Macht stets verteidigen.Nun war ihnen viel daran gelegen, den Frieden zu bewahren.Neue Machtverhältnisse zeichneten sich ab, es galt, sie genauzu beobachten. Die Vorgesetzten des Paters, sein Abt undder Bischof, hatten es gebilligt, dass er Westernau auf seinerReise begleitete. Der Auftrag des Fürsten war mit beidenabgestimmt worden, auch wenn der Ritter dachte, nur ersei für die Ausführung der Anordnung verantwortlich.

Nach dem Gebet erhob sich der Mönch von den Knienund legte sich wieder auf die Matratze. Doch er schlief nichtein, der Gedanke an den Jungen ließ ihn nicht los. DasBeichtgeheimnis war heilig, aber oft lästig, und niemandwusste besser als der Beichtvater eines sünders, ob diesernicht eigentlich dem weltlichen Gericht ausgeliefert werdenmüsste. Raoul von Westernau genoss den Beischlaf nur mitjungen Knaben. Jünglinge, die anfingen, Männer zu werden,begehrte der Ritter nicht mehr. er liebte die sanfte Haut,die unschuldige schönheit männlicher Kinder. selten warendie Knaben willig. Auch das reizte ihn, wie er gebeichtethatte.

Pater Angelus’ Augenlider zuckten nervös. er wusste, dasseinige seiner Brüder in heiligen Orden ebenfalls eine Vorliebe

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für Knaben hatten, sie waren gerne bei Chorübungen an-wesend, wenn die ungebrochenen stimmen der Kloster-schüler so herrlich Psalmen sangen. Als junger Mann hatteder Pater schwer gelitten, nachdem er etwas Ähnliches emp-funden hatte. er hatte sich in einen jungen Klosterschülerverliebt, einen schönen Jüngling von achtzehn Jahren mitblitzenden, dunklen, fast schwarzen Augen und gutem Ver-stand. seine Anmut hatte den Mönch betört.

Doch jener war ein junger Mann gewesen, kein Kindl.Die Befriedigung seiner Triebe, die Westernau durch Kinderfand, war für den Mönch der abscheuliche Auswuchs desBösen. Pater Angelus hatte sehnsüchtig die Nähe des Ge-liebten gesucht, hatte sich ihm aber niemals wirklich genä-hert, ihm seine Liebe nie gestanden. Trotzdem glaubte er,dass Jesus selbst seine eigene Herrlichkeit in dem vollkom-menen Körper eines Jugendlichen offenbarte. Der Paterhatte sein Verlangen mit Fasten und Bußübungen bekämpft.er dankte Gott, dass mit der Zeit der saft in seinen Gliedernvertrocknet war. seit vielen Jahren hatte ihn keine sündigesehnsucht mehr getrieben. sein Bestreben hatte sich geän-dert, er hatte seine erheblichen Talente ganz in den Dienstder Kirchenobrigkeit gestellt, genoss den Ruf eines klugenDiplomaten, der selten von weltlichen Gegnern geschlagenwurde. Kalt und berechnend war er in der kirchlichen Hier-archie nach oben gestiegen. Diesen Weg wollte er weiterbeschreiten.

er konnte sich selbst nicht erklären, warum der dunkel-äugige Junge auf dem Hof, den er nur mit einem Blick ge-streift hatte, ihn so rührte. erinnerte er ihn an jenen Klo-sterschüler, den er so oft heimlich beobachtet hatte, wenner mit seinem Jagdhündchen spielte? er schob den Gedankenbeiseite. Jener Jüngling war längst zum Mann geworden,war eine standesgemäße ehe eingegangen, zum harten Hee-resführer geworden und in einer schlacht gegen die schwe-den ehrenvoll gefallen. Pater Angelus hatte um den Jüngling,

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nicht um den Feldherrn, getrauert, auch wenn er inbrünstigeGebete für Letzteren verrichtete.

Noch ehe das erste Licht des Tages die Farben aus den sicherhellenden Wolken lockte, saß der Mönch auf seinem Pferd,gefolgt von einem Laienbruder, der ihm zu Diensten stand.sie verließen das kleine Dorf mit seiner einfachen Kirche undden Häusern, hinter denen sich Misthaufen aneinanderreih-ten. Wie so oft schauderte es ihn bei dem Gedanken, wiearmselig die Bauern lebten, von den Tagelöhnern gar nichtzu sprechen. Die kleinen Holzhäuser waren eng aneinander-gedrückt, manche sogar ohne ställe, so dass die Tiere ebenfallsim Haus untergebracht waren. Der Mönch sehnte sich nachder Ruhe seines Klosters, in dessen hohen Hallen und einsa-men Zellen weltliche sorgen nicht drangen.

er verscheuchte die Gedanken und kam mit seinem Lai-endiener Paulus auf die Landstraße, die zu der Hirtenhütteführte. in dieser Gegend hatten die schweden im Jahr 1632viel schlimmes angerichtet. Und auch die kaiserlichen Trup-pen waren beim Furagieren nicht zimperlich gewesen. Dochin diesem Jahr hatten die Bauern anpflanzen können, undwie er gesehen hatte, gab es Vieh. Die herzhafte suppe mitgrobem Brot, die Pater Angelus am Abend zuvor gereichtworden war, hatte Rindfleischstücke enthalten. Der jungePfarrer hatte erzählt, dass man in dieser Gegend kaumschweine halte. Die Bauern hier hätten ihr normales Lebenwieder aufgenommen, man hoffte nun auf gute ernten. Zuseckelings Rittergut gehörten sechs Dörfer mit jeweils zwan-zig Untertanen und dreißig Lehnsleuten. Auch Juden, ins-gesamt dreiundzwanzig Familien, lebten im Umkreis derseckelingdörfer. Die wohlhabendsten unter ihnen seienViehhändler, einige gingen hausieren, die anderen seien zumgroßen Teil Verwandte, die als Diener arbeiteten. einer seischächter, der lebe zurzeit außerhalb des Dorfes.

Der Pater war erschrocken, als er das gehört hatte. Warder große Mann, den er erblickt hatte, ein Jude? Möglich.

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sicher schlachtete der Mann für alle Familien, überlegtesich der Pater. Juden hatten ihre eigenen Vorschriften, sieverzehrten kein Blut, deswegen hing der Kadaver dort, dasBlut musste ganz aus dem Fleisch tropfen. Wie kam es aberdann, dass man sie anschuldigte, Christenblut für ihr Pas-sahbrot zu gebrauchen? er runzelte die stirn bei dem Ge-danken. Doch ehe er weiter nachdenken konnte, hatten siedie Hütte schon erreicht. Der Pater blickte sich um. ihmschwante nichts Gutes, als er die Pferde der beiden Ritternirgends entdecken konnte.

Als er durch die offene Tür eintrat, erblickte er dieLeichname. er bekreuzigte sich, betrachtete entsetzt diebeiden Toten, deren Blut den Boden rot gefärbt hatte. erkniete sich neben den Ritter und murmelte Gebete, dieseele des Toten sollte nicht verloren umherirren. Für dieletzte ölung war es zu spät, aber als sein Beichtvater mussteer um die sündenvergebung des Ritters flehen, das warseine Pflicht. schwer atmend erhob er sich, befahl demBruder, den Leichnam auf sein Pferd zu binden und ihnins Dorf zu bringen. Der Tote sollte in der Kirche aufge-bahrt werden.

Danach untersuchte Angelus Torna den Tatort. Geschultdurch die Jahre des Krieges, konnte er die ereignisse desvorherigen Abends nachvollziehen. Der Ritter war zuerstgestorben, das blutige Messer des Metzgers lag neben ihm.Das Vergehen des Mannes, der den Ritter erstochen hatte,war mit einem Dolchstoß gerächt worden. Das muss Hebe-lein verrichtet haben, wer sonst? Danach war er weggeritten.Mit beiden Pferden. Dem Mönch entfuhr unwillkürlich einschrei des entsetzens, als er feststellte, dass der Geldgürtelebenfalls fehlte.

im Verschlag fand er nur das strohbett, zerwühlt und rotbefleckt. Die Frau und der Junge waren verschwunden. DerMönch glaubte nicht, dass Hebelein sie entführt hatte. ersuchte nach spuren, fand Blutstropfen entlang des Weges

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und Fußtritte, die sich im Matsch abzeichneten, sie führtenzum Wald. er sah, dass die Frau kleine schritte gegangenwar. Das könnte daher rühren, dass sie schwer beladen war,als sie flüchtete. Der Gedanke erleichterte seine dumpfeTrauer kaum. sie hatte das Kind tragen müssen. er hoffte,dass sie stark genug gewesen war und Kost und warme Klei-dung mitgenommen hatte.

Nein, er hätte die Tragödie nicht verhindern können,sagte er sich und schlug nochmals ein Kreuz. er verließ dasHaus, dort hatte er nichts mehr zu verrichten. Die Flücht-linge waren nicht seine sache, entschied der Pater. er hattegenug zu tun, musste den Leichnam des Ritters bergen unddanach die Männer beschwichtigen, vor allem wegen derfehlenden Geldstange.

im Dorf angekommen, fand er die Truppe bereits vordem Pfarrhaus versammelt. Paulus, ein dürrer, ängstlicherMann, der wenig beachtet wurde und sich nun daran er-freute, dass er Wichtiges mitzuteilen hatte, beschrieb aus-führlich alles, was er gesehen hatte, sowie einiges, was ersich einbildete, gesehen zu haben. Der Körper des armenRitters sei übel zugerichtet, gewiss hatte er sich tapfer gegenden hinterlistigen Angriff verteidigt, das blutige Messer desMörders hatte neben ihm gelegen. Der Jud war auch tot,seine Frau geflüchtet. Der Laienbruder blähte sich auf,protzte damit, dass sein Herr das Rätsel, wie die beiden um-gekommen seien, lösen werde, Pater Angelus sei bekanntfür seine Klugheit.

»Wo ist das Geld?«, schrie Konrad, der schwäbische An-führer der söldner.

Paulus stotterte, das wisse er nicht. Aus den Gewänderndes Ritters hatte der ehrwürdige Pater keine Geldstange her-vorgezogen. Konrad trat näher an den Burschen heran undfragte drohend, ob er nicht lüge und ob der Mönch nichtden schatz in den eigenen tiefen Gewändern hatte ver-schwinden lassen. in diesem Moment hielt Torna an.

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»Nein, Konrad, das hat der Mönch nicht!«, sagte derPater mit seiner hohen stimme. Konrad senkte den Kopf,blieb stehen, wo er war, bewegte nicht die gespreiztenBeine in den hohen stiefeln, die er auf einem schlacht -feld erworben hatte. Wie andere söldner hatte er sichdurch die Jahre mit Federn der Gefallenen schmückenkönnen.

»stimmt’s, Pater, dass das Geld weg ist?«, fragte der söld-nerführer. er hob den Kopf und starrte dem Geistlichenfrech ins Gesicht. »Dann haben’s die Juden gestohlen!«

»ich dachte, mein Diener hat euch Bericht erstattet«,sagte Angelus spöttisch. »Der Jud ist tot.«

»Aber die Jüdin ist fort, hat er gesagt!«, rief ein andereraus der Menge erhitzt.

»es gibt noch andere Juden im Dorf. Zu denen hat sie’ssicher gebracht!«, schrie Konrad. »Wer hat den Ritter ersto-chen? Und wer den Jud? Weibern ist nicht zu trauen!«

Dem Pater schien, als ob sich mehrere Bauern zu densöldnern gesellt hatten: einer schwang eine sense, ein an-derer trug eine große Gabel. Angelus war bewusst, wie leichtGemüter zu erhitzen waren, er wollte verhindern, dass sichdie Unruhe ausbreitete.

»Wer weiß, was dort draußen los war!«, rief ein söldnerheiser, noch alkoholisiert von einem saufgelage in der Nachtzuvor. »Juden sind doch alle Halsabschneider. Und Diebedazu!«

»Möglich«, antwortete der Mönch geduldig. »Aber Män-ner, es ist wichtiger, dem Fürst Meldung zu machen, dasssein Vasall tot und die Aufgabe unerledigt ist! ich warneeuch! Wehe dem Mann, der versucht, sich an den Juden zuvergehen! Der Krieg ist beendet! selbst Juden besitzen dasRecht, sich vor Gericht zu verteidigen. es muss bewiesenwerden, dass sie verantwortlich sind für das, was geschehenist!« er räusperte sich, erhob beschwörend die feinen Hände.»Vor allem bedenkt, dass dies die sache der Gerichtsbarkeit

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ist, hier am Ort! sie werden es euch nicht danken, wenn ihreuch an ihren schutzjuden vergreift.«

er wandte sich an Konrad, sagte etwas leiser, er werdealle mit Kostgeld versorgen, sie sollten zurückreiten unddem Fürsten sofortige Meldung machen. »er soll einige derMänner zurücklassen. ich werde sie brauchen, sie könnenmir zusammen mit dem Laienbruder behilflich sein.« Gernhätte er Paulus ebenfalls weggeschickt, doch es ziemte sichnicht, einen kirchlichen Diener vor diesen rauen Männernzu erniedrigen.

Das Murren verhallte. Die Bauern gingen ihrer Wege,die Drohung hatte sie verschreckt. Keiner wollte vor demAmtsherrn erscheinen müssen. Konrad wählte drei Männeraus und befahl ihnen, zu bleiben. sie sollten dem Geistlichengehorchen und ihm zu Diensten stehen.

Der Pater hatte zwar eigene Mittel in einem Beutel unterseiner Kutte versteckt, bat jedoch den Pfarrer, ihm einenordentlichen Betrag zu leihen. er würde ihm im Namenseiner Obrigkeit einen schuldschein ausstellen, dieser könnebald eingelöst werden. Konrad nahm das Kostgeld des Patersentgegen und zog mit seinen Männern ab. er selbst hättegern Rache an den Juden genommen, auch wenn er seineTreue dem Fürsten und nicht Westernau geschworen hatte.Doch weil seine Gefolgsmänner Furcht vor den Drohungendes Paters hatten, beschloss er, dem Befehl des Mönches zufolgen.

Die drei Männer, die beim Pater blieben, waren bald zubeschäftigt, um an anderes zu denken als an die Vorberei-tungen für das feierliche Begräbnis des Ritters. es würdestattfinden, sobald die Familie und der Lehnsherr des Totenbenachrichtigt worden waren. inzwischen sah sich der Pateran, wie der Verstorbene in der Dorfkirche aufgebahrt wurde,verordnete die Anzahl der Kerzen, die ihn umgeben sollten,war zufrieden mit dem Leinentuch, in das der Leichnamgehüllt war. Der Mönch hatte bereits alle Kosten ausgerech-

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net, einschließlich denen für einen gut gehobelten, samt -beschlagenen sarg sowie für die Wachen, die drei söldnerund deren Bedürfnisse. Den Gottesdienst besprach er mitdem jungen Pfarrer, der sich sofort bereit erklärt hatte, alleszu tun, damit dem Toten die ihm gebührende ehre zuteil-würde. Der tote Jude ging ihn nichts an.

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Die Nachricht eines schlimmen Vorfalls verbreitete sichschnell im Dorf. Löws älterer Bruder Nathan, Vieh- undPferdehändler am Ort, der Kopf der Familie, stand am sei-tentor seines Hauses, als er sah, wie einige Bauern, darunterder mürrische eisner, in Richtung Kirche eilten. erst nach-dem eisner um die ecke verschwunden war und Nathangerade ins Haus gehen wollte, schlich sich des eisners Knechtzu ihm und berichtete stockend, dass beim Löw draußenetwas passiert sei.

»Die soldaten, die auf unserem Heuboden geschlafen ha-ben, sind beim Pfarrer, die wissen, was los war!«

sofort holte Nathan seinen Umhang und eilte zum Pfarr-haus, kam gerade noch zeitig genug, um den Ausgang derKonfrontation zwischen dem Mönch und dem Gefolge zuhören. er stockte, entschied, dass er sich am besten nichtmit den Fremden einlassen sollte, stapfte zur Hintertür undbat die verwirrte Magd, den Pfarrer sprechen zu dürfen.

Nathan war dem jüngeren Bruder recht ähnlich, war nurer etwas schwerer, behäbiger, sein Bart fing bereits an zu er-grauen. er war ein angesehener Mann, man schätzte ihnwegen seiner Umsicht. seit Langem war er Parnes, ein Mit-glied des Rates der ortsansässigen Judenschaft. Dank seinervielen Reisen sprach er mehrere sprachen, war wie die mei-sten Juden schriftkundig und wurde gelegentlich vom Amts-verwalter konsultiert, wenn es um Angelegenheiten der jü-

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dischen Gemeinde ging. Nathan bewohnte mit seiner Groß-familie ein dreistöckiges Fachwerkhaus hinter der Dorfstraße.Die seitentür, an der Nathan sich mit dem Knecht unter-halten hatte, war in einen Flügel des schweren Tors einge-lassen, das zum Hof mit den scheunen, dem stall und demWohnhaus führte. Jeder, der daran vorbeiging, war sich be-wusst, dass es um den eigentümer besser bestellt war alsum einen Kleinbauern. es wohnten jedoch zwei Familieneng zusammen – mit Löws waren es sogar drei. Denn Herrvon seckeling bestimmte, wie viele Juden in seinen Lände-reien leben durften und wo. im Vorderhaus wohnte Nathanmit seiner Frau und seinen Kindern. Jettei und er hattenzwei erwachsene söhne, Jakob und David, die ihm im Ge-schäft halfen, die vierzehnjährige Tochter Naomi, für dieJettei bereits Ausschau nach einem guten ehemann hielt,und den fünährigen Nachkömmling Gideon. Außerdemlebten zwei von Jetteis schwestern im Haus. sie waren ledigund galten als Hausangestellte, ebenso wie Nathans verwit-weter Onkel. im Hinterhof lebte in zwei oberen kleinenZimmern die fünfköpfige Familie des Hausierers Aaron Für-ther, der ebenfalls eine unverheiratete schwester seiner Frauals Hausmagd anstellen durfte. Und unter ihnen lag LöwsWohnung.

Während der Kriegsjahre hatte Nathan, wie andere jü -dische Händler auch, gute Geschäfte gemacht. Truppen bei-der seiten mussten versorgt werden, viele Pferde fielen inden blutigen schlachten oder kamen durch Unfälle auf denschlechten Wegen um. Oft konnten die Bauern in Kriegs-gebieten wenig anbauen. emsige Händler verdienten daran,indem sie Waren aus anderen Ländern anboten. Nathanhatte sein Geld dem Geldwechsler Joschua Rubens zur Ver-fügung gestellt. Dieser kannte jeden Kleinbauern und seineNöte, er war bekannt für sein Geschick, mit Geld umzu -gehen. seckeling hatte gemerkt, dass seine Bauern ohne Ru-bens nicht auskommen würden, denn dieser streckte ihnen

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»Die Löws« schildert in fünf Romanen dieGeschichte einer jüdischen Familie in Deutschland

vom 17. bis ins 21. Jahrhundert.

Dieser erste von insgesamt drei Bänden umfaßtzwei Romane: In »Der Judenweg« steht der Familien-gründer Daniel Löw im Mittelpunkt. Löw gründetim 17. Jahrhundert als Waise nach Pogromen undVerfolgungen eine »Chawrusse«, eine der Räuber-

banden, die auf der untersten gesellschaftlichen Stufestanden und denen verelendete Juden angehörten.

Sie entwickelten ihre eigenen sozialen Strukturen undbenutzten die Geheimsprache Rotwelsch. Dank seinerEhe mit der Witwe eines fränkischen Hofjuden steigt

Daniel Löw in die soziale Elite auf.

»Die Nottaufe« spielt im 18. Jahrhundert und erzähltdie Geschichte der direkten Nachkommen des DanielLöw, vor allem die der jüngsten Enkelin Hanna, die

nach einer Nottaufe in ein Kloster entführt wird, sowieihres älteren Bruders, dem Arzt Menachem.

»Ruth Weiss gelingt es, die 350 Jahre zurückliegendenEreignisse gegenwartsnah zu gestalten.«

Die Zeit

24.90 EUR [D]ISBN 978-3-95518-025-6