Leuchtkörper

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NR. 44 26. OKTOBER 2012 SIA: BEITRITTE IM 2. QUARTAL | STUDIENREISEN ARCHITEKTUR UND KULTUR | ZO-SITZUNG WETTBEWERBE: NEUES STADION UND WOHNSIEDLUNG HARDTURM IN ZÜRICH MAGAZIN: NEOPHYTENBEKÄMPFUNG | FORM FOLLOWS NATURE | POP-ART-DESIGN LEUCHTKÖRPER AN/AUS MODERN | «INDUSTRIEDESIGN IST TEAMARBEIT» | LICHTILLUSIONEN MIT SIA-FORM FORT- UND WEITERBILDUNG

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TEC21 – Fachzeitschrift für Architektur, Ingenieurwesen und Umwelt Ausgabe 44/2012

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NR. 44 26. OKTOBER 2012

SIA: BEITRITTE IM 2. QUARTAL | STUDIENREISEN ARCHITEKTUR UND KULTUR | ZO-SITZUNG

WETTBEWERBE: NEUES STADION UND WOHNSIEDLUNG HARDTURM IN ZÜRICH

MAGAZIN: NEOPHYTENBEKÄMPFUNG | FORM FOLLOWS NATURE | POP-ART-DESIGN

LEUCHTKÖRPERAN/AUS MODERN | «INDUSTRIEDESIGN IST TEAMARBEIT» | LICHTILLUSIONEN

MIT SIA-FORMFORT- UND WEITERBILDUNG

Editorial | 3TEC21 44 / 2012

lEuchtkörpErDie enge Wechselbeziehung von gestalterischen und technischen Aspekten stellt Industriedesignerinnen und -designer bei der Entwicklung von Leuchten vor eine gros se Herausforderung. Ein neues Objekt muss vielfältige technische und konstruk-tive Einflüsse und Ansprüche in sich vereinen. Ausserdem soll es gestalterisch über-zeugen, in grossen Stückzahlen produzierbar und am Ende auch verkaufbar sein. Bevor der elektrische Strom die Gestaltungs- und Einsatzmöglichkeiten vervielfachte, dienten Fackeln, Petroleum- und Gaslampen zur Beleuchtung, aber auch zur Insze-nierung von Orten und Räumen. Damit waren die Lichtquellen zugleich auch Objekte, die für den jeweiligen funktionalen oder repräsentativen Einsatz geformt wurden. Doch die Entwicklungsgeschichte verlief nicht ohne Brüche: Der Designer und Bauhaus-Experte Bernd Dicke beschreibt in seinem Beitrag «An/Aus Modern», wie unent-schlos sen die Protagonisten der Moderne den neuen Möglichkeiten noch gegenüber-standen. In den meisten ihrer bekannten Bauten zogen sie sich beim Kunstlichteinsatz auf ihre Kernkompetenz zurück und setzten gestalterisch reduzierte Leuchtkörper ein – vielfach bereits auf dem Markt erhältliche Industrieleuchten. In dieser Entwick-lungsreihe steht auch der Schweizer Industriedesigner Michel Charlot. Mit nur 28 Jah-ren hat er bereits zwei kommerzielle Leuchten gestaltet, deren Form konstruktiv und technisch begründet ist («Industriedesign ist Teamarbeit»). Offensichtlich ist die Hilf-losigkeit der elektrischen Anfangsjahre inzwischen einer selbstbewussten Gelassen-heit gewichen: Die Gestalter integrieren souverän die aktuellsten Leuchtmittel und planen im Sinn der Nachhaltigkeit die Weiterentwicklung der Technik in kurzen Inter-vallen ein. Das bestehende Design kann technisch nachgerüstet werden. Ebenfalls auf die aktuelle Lichttechnik setzt der junge Norweger Daniel Rybakken («Lichtillusionen»). Mithilfe zeitgemässer LED-Flächen greift er jedoch ein älteres Gestaltungsmittel wieder auf: Seine – oft geometrisch verzerrten – Lichtinstalla tionen täuschen dem Auge des Betrachters das Vorhandensein von Tageslicht vor. Mit diesen künstlerischen Leuchten verändert Rybakken den architektonischen Raum – ähnlich den Trompe-l’Œil-Malereien der Renaissance. Alexander Felix, [email protected]

Anmerkung1 www.urbanscreen.com/usc/323

5 wEttbEwErbENeues Hardturm-Stadion in Zürich | Wohnsiedlung Hardturm in Zürich

12 magazinSeit 100 Jahren über den Tellerrand | Neophytenbekämpfung an Gewässern | Form Follows Nature | Ämter und Ehren | Augenschmaus Pop-Art-Design | Neubauten – in Kürze

24 an/auS modErnbernd dicke Die Moderne opferte atmosphä-rische Zwischentöne des künstlichen Lichts der reduzierten Gestaltung. Es entstanden neue Leuchten, aber es fand keine kritische Auseinandersetzung mit der elektrischen Beleuchtung statt. 27 «induStriEdESign iSt tEamarbEit»katharina altemeier Der junge Schweizer Industriedesigner Michel Charlot hat bereits zwei Leuchten für Firmen entworfen. Im Gespräch wird deutlich, wie pragmatisch die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Designer, Industrie und Technikern funktioniert.

30 lichtilluSionEnkatharina altemeier Dem jungen norwegi-schen Designer Daniel Rybakken geht es nicht um Objekte, sondern um Licht als architektonisches Element zur Gestaltung von Räumen. Er hat sich auf Trompe-l’Œil- artige Installationen spezialisiert, die die Wirkung von Tageslicht imitieren.

35 SiaBeitritte zum SIA im 2. Quartal 2012 | Stu dienreisen Architektur und Kultur | Fort- und Weiterbildung | Sitzung der ZO 3/2012

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die projektion «kreisrot»1 der bremer lichtkünstler urbanscreen, die anlässlich des 12. Farbfestes in dessau das ateliergebäude des bauhauses (preller-haus) in einen tanzenden leuchtkörper verwandelte(Foto: Doreen Ritzau, Stiftung Bauhaus Dessau)

24 AN/AUS MODERN Bernd Dicke

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LEUCHTKÖRPER

27 «INDUSTRIEDESIGN IST TEAMARBEIT» Katharina Altemeier

30 LICHTILLUSIONEN Katharina Altemeier

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01 Werbefaltblatt für den Deckenstrahler Luminator (Bild: Luminator Licht GmbH, Berlin, 1934/Archiv des Autors) 02 Scheinwerferartige Spiegelleuchten, die der Architekt Marcel Breuer gern im Wohnraum einsetzte, die aber ursprünglich (unsichtbar ein-gebaut) Schaufensteranlagen beleuchten sollten (Bild: Katalogseite Zeiss Spiegellicht, 1938/ Archiv des Autors)

Seit seiner erfindung wurde das künstliche Licht vielfältig gestaltet und genutzt. Doch die Architekten und Gestalter der Moderne opferten atmo-sphärische Zwischentöne der reduzierten Gestaltung. So brachte das Neue Wohnen zwar neue Leuchten in den Wohnraum, aber eine kritische Auseinandersetzung mit der elektrischen Beleuchtung sucht man verge-bens. Das Licht der Moderne leuchtete vielmehr im öffentlichen Stadtraum.

Bereits in der Antike war der verschwenderische Umgang mit Licht ein Zeichen von Wohl­stand und die Wahl der Leuchte ein Ausdruck von Geschmack und Distinktion. Spätestens mit der auf die Gasbeleuchtung folgende Elektrifizierung der Haushalte entwickelten sich jedoch private Beleuchtungskulturen, die sich von den kultischen Inszenierungen früherer Zeiten abgrenzten. Das indirekte Licht, das Flächen erstrahlen und glühen, quasi von innen her leuchten liess, war trotz spektakulärer Inszenierungen im öffentlichen Raum, besonders wenn es um die suggestive Wirkung beleuchteter Architekturen ging, kein Vorbild für den Wohnraum. Die dafür erforderliche Technik stand bereit, aber besonders die Architekten der Moderne bestanden in der Wohnung auf der Sichtbarkeit der Lichtquelle, während sie die Nachtwirkung ihrer Architekturen lichtgrafisch hevorzuheben versuchten. Die Übergangs­phase vom Sonnenlicht des Tages zur neuen Helligkeit der Nacht wurde auf die Drehung eines Knebels reduziert, der nicht zufällig dem Gashahn ähnelte. So wurde das atmosphä­rische Potenzial wechselnder Lichtstärken einer mehr und mehr binären, auf Polaritäten reduzierten Empfindung angepasst: an/aus, hell/dunkel, ja/nein. Schattenreiche und Zwielicht überleben in der Moderne bestenfalls in literarischen und cineastischen Refugien, in der Wohnung aber schied man, nunmehr unabhängig vom Lauf der Gestirne, durch eine Handbewegung die Nacht vom Tag, ohne sich eines Verlustes bewusst zu werden.

eLektriSche SAchLichkeit StAtt MutiGer experiMeNteDas Zeigen der nackten Glühlampe war zwar ein euphorisches Bekenntnis des Neuen Wohnens zur Maschine, doch das Offenlegen technischer Strukturen erschöpfte sich in der puristischen Provokation und blieb in der Anwendung oft unzulänglich. So karg und be­scheiden oder kunstvoll und teuer die Leuchte auch gewesen sein mochte, sie blieb ein sichtbares Objekt und Teil der Einrichtung. Die Architekten des Neuen Bauens, dessen Ursprünge unter anderem in die Lebensreformbewegung zurückreichen, widmeten der natürlichen Belichtung der Wohnung besondere Aufmerksamkeit. Paradoxerweise kam die elektrische Beleuchtung als zeitgemässe Erweiterung der Möglichkeiten bei dieser Revo­lution zu kurz. Auch wenn Le Corbusier in der Villa Roche in Paris eine nackte Glühlampe an einem horizontalen Rohrausleger in den Raum auskragen liess, war die Lichtwirkung einer herkömmlichen Deckenleuchte vergleichbar, die ungewöhnliche Erscheinung beschränkte sich hauptsächlich auf die Tageswirkung. Der grosse, um mutige Experimente nicht ver­legene Innovator machte keine Hehl aus seinen Problemen mit dem elektrischen Licht: «Wir stammeln noch die allerersten Anfänge einer ganz neuen Erfindung.» Seine Unentschie­denheit zwischen Konvention und Innovation ist kennzeichnend für die meisten Architekten der jungen Moderne. Zu tief war das Misstrauen gegen pathetische Konzepte aus Kult, Kirche und Kino. Sachlich war anders – oft heller, aber selten besser.

AN/AuS MoDerN

Titelbild Faserzement-Leuchte «Mold» von Michel charlot fast in originalgrösse. Die Materialstärke des Schirms entspricht etwa der Dicke von hand-geschöpftem papier (Foto: Eternit)

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ZurÜckhALtuNG AM rANDe Der kArGheitEin «Lob des Schattens» gar, wie es Jun’ichiro Tanizaki in seinem langen Essay für die Architektur Japans zu kultivieren suchte, findet man in der westlichen Architektur kaum. In der Wohnung und bei der Arbeit blieb Licht eine technische Angelegenheit und wurde keine atmosphärische oder gar künstlerische. Eine Ausnahme bildeten die Mitte der 1920er­Jahre in Mode kommenden Deckenfluter, die, obwohl formal reduziert, die Form antiker Amphoren oder Kohlenbecken zitierten. Sie warfen einen hellen Lichtschein unter die Decke und sorg­ten so mit starkem Licht von unten für eine weiche, relativ gleichmässige Beleuchtung. Um dies zu erreichen, waren in den hohen Räumen der Gründer zeitbauten allerdings enorme Wattzahlen erforderlich. Sie blieben eine anachronistische, luxuriöse Referenz an feudale Inszenierungen, wie sie eher für die zeitlich parallele Art­déco­Strömung bezeichnend er­scheinen. Der häufig verwendete «Luminator» war ein patentierter, hochglanzpolierter, trich­terförmiger Aluminiumeinsatz, der das Licht einer kopfverspiegelten Glühlampe reflektierte (Abb. 01). Der Maharadscha von Indore kaufte Luminatoren für seinen Palast, Marcel Breuer setzte sie ein, und Ludwig Mies van der Rohe verwendete einen im eigenen Atelier. Letzten Endes aber waren auch die Deckenfluter Apparate zur möglichst schattenfreien Ausleuchtung und entsprachen dem Hang zum technisch­klinisch Klaren, das seinerseits für rationale Zweckmässigkeit stand. Zusammen mit dem Ornament sollte auch das dynamische Spiel von Licht und Schatten verschwinden, das Feuer und Flamme über Jahrtausende in die Wohnstätten gebracht hatten. Es erstaunt, dass die sonst um subtile Sensationen bemühte Avantgarde diesen Bereich weitgehend unbearbeitet liess. Selbst in Mies van der Rohes mit Haustechnik üppig aus­gestatteter Villa Tugendhat, der Apotheose des luxuriösen Purismus, blieb das Kunst licht­konzept hinter den Möglichkeiten zurück. Noble Zurückhaltung am Rande der Kargheit auch hier. Mies, der die Frage des Neuen Wohnens stets als baukünstlerisches Problem begriff und nicht vorrangig als technisch­ökonomisches, verwendete meist handelsübliche Deckenleuchten von Louis Poulsen, wie sie ansonsten in Schulräumen und Ladenlokalen anzutreffen waren. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich Soffittenröhren, eigentlich Glühlampen, die von Le Corbusier und Gropius als Ausweis einer bedingungslos avantgardistischen Haltung ohne jeden Blendschutz frei vor der Wand oder unter der Decke angebracht wurden. Vom Hersteller waren sie als verdeckte Leuchtmittel in Vitrinen, Schränken und im Ladenbau vorgesehen. Die Avantgarde liebte die Röhre um ihrer visuellen Reize willen, die höher ein­geschätzt wurden als die technischen Möglichkeiten. Breuer setzte gern scheinwerferartige Spiegelleuchten im Wohnraum ein, die für den nicht einsehbaren Teil einer Schaufensteranlage gedacht waren, um die Auslagen zu beleuchten (Abb. 02). Auch hier blieb es bei einer demonstrativen Zurschaustellung technischer Appa­rate, deren Licht jedoch bestenfalls zweckdienlich war. Obwohl der Reflektor der Schaufens­terstrahler gegen die Decke gerichtet wurde, vermied man die theatralische Wirkung selbst­leuchtend wirkender Flächen, indem die Leuchte stets als technische Ursache präsent blieb, als Beleg für Objektivität und Aufrichtigkeit. Ihre maschinenartige Erscheinung selbst war Ausweis fortschrittlicher Haltung und kam der verbreiteten Abneigung gegen lampen­loses Licht auf paradoxe Weise entgegen. Das eigentliche Licht der Moderne erstrahlte anderswo: auf der Strasse, in den Bars, Kinos, Varietés und Tanzdielen (Abb. 03). Die Lichter der Grossstadt waren die ästhetische Brücke zwischen Expressionismus und Sachlichkeit, aber sie folgten keinem Manifest und nicht ein­mal einem Konzept. Die keinem Plan gehorchende nächtliche Sensation der elektrischen Symphonie vereinte Verfechter und Kritiker der Moderne in ihrer scheinbar mühelosen Selbst­verständlichkeit. Sie war jedoch eher ein Gemeinschaftskunstwerk der städtischen Massen, zu dem alle mit dem Drehen eines Schalters beitrugen.

Bernd Dicke, Designer, Sammler, Ausstellungsmacher und Autor, [email protected]

03 Grossstadtlichter als ästhetische Brücke zwischen expressionismus und Sachlichkeit (Bild: Europahaus in Berlin, Otto Firle 1930, Postkarte 1930er-Jahre, Fotograf unbekannt/ Archiv des Autors)

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MicheL chArLot– 1984 geboren in Lausanne– 2010 Abschluss an der Ecole Cantonale d’Art

de Lausanne (ECAL) als Industriedesigner– Ausstellungen: Museum of Modern Art MU-

DAM, Luxemburg (2007), Design Miami/Basel (2007 und 2008)

– Auszeichnungen: Design Parade, Villa Noailles in Hyères (2008); Top ten designer of Géné-ration 2020, Maison & Objets und Philippe Starck (2010)

– Weitere Arbeiten: Jasper Morrison Ltd., Paris, London, Tokio; Tato Commuter Bicycles, Schweiz; NAVA.design, Mailand; Eternit Schweiz, Niederurnen; Musée des Arts Décoratifs de la Ville de Paris; Galerie Mica, Rennes

Webseite: www.michelcharlot.com

Der Schweizer industriedesigner Michel charlot hat in seiner noch jungen karriere bereits zwei Leuchten entworfen, die auf dem Markt erhältlich sind: Als Student an der ecole cantonale d’Art de Lausanne (ecAL) ent-wickelte er den Lampenschirm «Mold» aus Faserzement, der heute tatsäch-lich produziert wird. Jüngst hat er die LeD-Spotfamilie «u-turn» konzipiert. im Gespräch mit ihm wird deutlich, wie pragmatisch die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen einem jungen Designer, grossen industrieunter-nehmen und technikern funktioniert.

Katharina Altemeier: Herr Charlot, wie fühlt es sich an, wenn man als junger Designer nach dem Studium zum ersten Mal mit einem renommierten Hersteller zusammenarbeitet?Michel Charlot: Es ist sehr befriedigend, weil ich genau mit diesem Ziel Design studiert habe. Mir geht es darum, ein interessantes Produkt zu machen, das funktioniert und sich gut verkauft.

K. A.: Das klingt sehr pragmatisch. Haben Sie diese Einstellung an der Ecole Cantonale d’Art de Lausanne (ECAL) vermittelt bekommen? M. C.: Nach wie vor beenden an der ECAL im Schnitt etwa 30 Studierende pro Jahr ihr Stu dium. Nur sehr wenige von ihnen schaffen es, von ihrer Arbeit als Designer zu leben. Und noch weniger können ihr eigenes Büro eröffnen. Die Schule und das Studium sind eine Sache, aber man muss sich auch auf das Berufsleben vorbereiten.

K. A.: Wie ist Ihnen das gelungen? M. C.: Die ECAL bietet vieles an, was andere Schulen nicht im Programm haben – zum Beispiel Workshops mit externen Designern, in denen man die Chance hat, Erfahrungen zu sammeln und sich auszutauschen. Zusätzlich gibt es immer wieder Zusammenarbeiten mit Unternehmen, die einen bestärken und ermutigen. Dadurch bekommt man einen guten Einblick in den Alltag eines Herstellers, und manchmal ist es auch eine Gelegenheit, einen künftigen Kunden kennenzulernen.

K. A.: Wie ist die Leuchte «U­Turn» entstanden? M. C.: Die Grundidee stammt, ehrlich gesagt, gar nicht von mir. Das Unternehmen kam auf mich zu, als ein interner Techniker schon einen Prototypen entworfen hatte.1 Zu diesem Zeitpunkt wollten sie eine Leuchte mit zwei Spots und unterschiedlich grossen Leuchtköpfen entwickeln.

K. A.: Wie haben Sie sich als Designer in den Entwicklungsprozess eingebracht? M. C.: Die Firma bat mich, diese Idee weiterzuentwickeln. Das habe ich gern gemacht, weil ich den Ausgangspunkt interessant fand. Nach etlichen Skizzen in 3­D und gemeinsamen Besprechungen haben wir uns entschieden, mit einer wesentlich simpleren Struktur zu beginnen. Allein diese Entscheidung war schon ziemlich harte Arbeit. Industriedesign ist interdisziplinäre Teamarbeit; die Firma und der Designer teilen sich die Verantwortung.

«iNDuStrieDeSiGN iSt teAMArBeit»

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K. A.: Wie entwickelt man konkret eine Leuchte im Team? M. C.: Insgesamt waren drei bis fünf Personen involviert. Wir haben uns über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren mindestens einmal im Monat getroffen. Ideen konnte jeder einbringen: Designer, Techniker, Produktmanager und Geschäftsführer. Unser Ziel war es, ein Produkt zu gestalten, das ins Auge fällt, aber unaufdringlich ist und sich gut verkauft. Es ging vor allem immer darum, alle technischen Möglichkeiten auszuloten, um sicher zu sein, dass wir die beste wählen. Der grösste Durchbruch war das magnetische Kugelgelenk. Diese Konstruktion ermöglicht direktes und indirektes Licht – und das mit nur einer Lichtquelle.

K. A.: Welche Rolle spielte die Lichttechnik?M. C.: «U­Turn» wäre ohne LED­Technik so nicht möglich gewesen. Nur weil die Lichtquelle auf LED basiert und deshalb nicht so heiss wird, kann man den Leuchtenkopf einfach ab­nehmen und mit dem Licht spielen.

K. A.: Aber die Technik von heute wird morgen schon veraltet sein. M. C.: Deswegen haben wir darauf geachtet, dass sich die Leuchte bei Bedarf auch moder­nisieren lässt. Die LED­Scheibe im Leuchtenkopf könnte man relativ leicht austauschen, wenn die Technologie sich weiterentwickelt.

K. A.: Mit den runden Vertiefungen erinnert die Oberflächenstruktur des Leuchtkopfs von «U­Turn» an einen Golfball. M. C.: Das war eine Designentscheidung. Ich habe viele andere Optionen ausprobiert, bevor ich zu dieser kam. Ich finde, dass ein sportliches Design gut zu dieser Leuchte passt – auch weil der Benutzer mit ihr spielen soll. Ausserdem hat das Produkt so einen hohen Wiedererkennungswert.

K. A.: Wie wichtig waren Nachhaltigkeitsüberlegungen beim Design von «U­Turn»?M. C.: Es ist in erster Linie wichtig, ein Produkt zu entwickeln, das der Käufer viele Jahre besitzen und benutzen möchte. Im Entwicklungsprozess wählt man immer wieder zwischen der einen oder anderen Einzellösung, weil sie eine grössere Nachhaltigkeit verspricht.

01 «u-turn» als klammerlampe02 Aufbau des Leuchtenkopfs: 1 kühlkörper aus Aluminium, 2 LeD-platine, 3 Distanzhalter, 4 Fresnel-Linsen, 5 Verstellring, 6 Diffusor, 7 Magnetabdeckung03 Das magnetische kugelgelenk ermöglicht es, den Lampenkopf als Spot oder Deckenstrahler auf seinem untergestell zu befestigen(Fotos und Zeichnung: Belux)

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04 eine 5 mm dicke Faserzementplatte wird mit grossem Druck mittels einer innenform in eine zwölfteilige Negativform aus holz gepresst. So entsteht ein sehr dünner Lampenschirm, der seine Stabilität durch die rippen erhält, die sich entlang der Formteile bilden (Zeichnung: Michel Charlot)05 cafeteria der ecAL mit «Mold»-hänge lam-pen. Die unregelmässigkeiten und die kleinen Löcher in den Faserzementschirmen werden zum Gestaltungselement. Durchmesser der Leuchte ca. 27 cm, höhe 32 cm, Gewicht 2.5 kg (Foto: ECAL/Robert Greco)

Bei «U­Turn» haben wir uns für sehr dauerhafte Materialen entschieden und für die Möglich­keit, die Leuchte technisch nachrüsten zu können.

K. A.: Ihre Leuchte «Mold», die Sie während des Studiums in einem Workshop entworfen ha­ben, basiert in erster Linie auf einem ungewöhnlichen Umgang mit Faserzement. Wie wichtig sind Materialien für Sie? M. C.: Im Fall von «Mold» war es so, dass wir Studierenden in einem Workshop gebeten wurden, neue Ideen für die Verarbeitung von Faserzement zu entwickeln. Aber an sich gehe ich als Designer nicht von einem bestimmten Material aus, sondern begreife jedes Material einfach als ein Mittel. Bei «U­Turn» haben wir zum Beispiel Hochdruck­Aluminiumguss für den Leuchtkopf verwendet, weil das Bauteil durch die gute Wärmeleitfähigkeit des Materials wie ein Kühl element funktioniert.

K. A.: Wie beschreiben Sie Ihren Designansatz?M. C.: Zuerst braucht es ein zukunftsfähiges Konzept, dann entwerfe ich sozusagen von innen nach aussen. Ich arbeite nicht auf eine von vornherein feststehende Form hin, die finale Gestalt eines Produkts ist vielmehr das Ergebnis eines langen Prozesses. Ausserdem habe ich den Anspruch, dass meine Produkte nützlich, intuitiv verständlich und langlebig sein sollen. Der Kunde muss denken: «Natürlich ist das so und nicht anders!» – das ist gar nicht so leicht zu erreichen.

K. A.: Mit «Mold» ist es Ihnen gelungen, eine Leuchte zu entwerfen, die auf dem besten Weg ist, ein Klassiker zu werden. M. C.: Ich finde es wichtig, dass ein Produkt seine Zeit repräsentiert. An die Idee eines zeit­losen Klassikers glaube ich nicht. Ich habe das Gefühl, dass etwas, das einmal gut ist, auch über einen langen Zeitraum hinweg gut bleibt. Jean Prouvé hat gesagt, er gestalte lieber für eine Generation und nicht für die Ewigkeit, denn nur dann habe der Entwurf die Chance, den nachfolgenden Generationen standzuhalten.2

Katharina Altemeier, Journalistin für Kunst, Kultur und Design, [email protected]

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Anmerkungen1 Vor etwa eineinhalb Jahren entstand der Kon-takt des Designers zu Vitra, und wenige Wochen später kam die Anfrage von Belux, der zu Vitra gehörenden Leuchtenfirma.2 «Construisez pour l’éternité et ces objets deviendront peut-être des reliques du passé. Construisez pour une génération et ils serviront peut-être à plusieurs générations.» Aus einem Gespräch von Anniina Koivu mit Jean Prouvés Tochter Catherine; www.vitra.com/fr-fr/collage/design/catherine-prouv-ber-jean-prouv/

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01 «Daylight entrance»(Foto: Kalle Sanner und Daniel Rybakken)02 «Subconscious effect of Daylight»(Foto: Daniel Rybakken) 03 «Surface Daylight» (Foto: Kalle Sanner)

DANieL ryBAkkeN – 1984 geboren in Oslo– Studium an der Oslo School of Architecture

und der School of Arts&Crafts in Göteborg– 2008 Abschluss als Master of Fine Arts und

Gründung seines Designstudios in Oslo– Auszeichnungen: Best of the Best – Red Dot

Award, Singapur (2007); Anders Jahres pris for yngre kunstnere, Oslo (2008); Design Report Award für den besten Designer am Salone Satellite, Mailand (2009)

– Weitere Arbeiten: Layers installation, Paris (2012); Ricochet light/Coherence light, Mailand (2012); Counterbalance/Layers-light, Mailand (2011); Surface Daylight 1&2 (2009/2010); Subconscious Effect of Daylight, Mailand (2008); Daylight Comes Sideways (2007)

Webseite: www.danielrybakken.com

Die Arbeiten des jungen norwegischen Designers Daniel rybakken sind keine Leuchten im herkömmlichen Sinn. es geht ihm nicht um objekte, sondern um Licht als architektonisches element zur Gestaltung von räumen. er hat sich darauf spezialisiert, die Wirkung von tageslicht zu imitieren. Dass nicht im-mer natürliches Licht nötig ist, zeigt seine trompe-l’Œil-artige installation «Daylight entrance» in einem Stockholmer Bürogebäude.

Wie der sprichwörtliche Verbrecher kehrt auch Daniel Rybakken gern immer wieder an den Tatort zurück. Dieser befindet sich im gegebenen Fall im Eingangsbereich eines Büroge­bäudes mitten in Stockholm. Dort kann man seit gut zwei Jahren «Daylight Entrance», eine seiner Lichtinstallationen (Abb. 01), sehen – vorausgesetzt, man nimmt sie überhaupt als solche wahr. Denn als der norwegische Designer das letzte Mal vor Ort war und die Emp­fangsdame fragte, ob er das Kunstwerk – sein Kunstwerk! – fotografieren dürfe, reagierte diese irritiert: «Ich weiss nicht, was Sie meinen, hier gibt es keine Kunst!» Für Rybakken war das ein herrlicher Moment – der Beweis dafür, dass sein Konzept funktioniert: Die an den Wänden von Eingang und Treppenhaus installierten leuchtenden Stellen, die auf rätselhafte Weise den Einfall von Tageslicht imitieren, wirken so echt und fügen sich so selbstverständ­lich in die Architektur des Gebäudes ein, dass sie gar nicht auffallen. «Ich bin ein Fan des Subtilen», sagt der norwegische Designer, der mittlerweile sein eigenes Studio im schwe­dischen Göteborg hat.

tAGeSLicht, Wo keiNeS iStWas so unaufgeregt daherkommt wie «Daylight Entrance», ist das Ergebnis ausgeklügelter Studien und Experimente. 2008, als Rybakken sein Masterstudium an der Universität Göteborg abschloss und zum ersten Mal in Mailand ausstellte, wurde er von Vasakronan, dem grössten, halbstaatlichen Immobilienunternehmen aus Schweden angefragt, ein gestalterisches Konzept für den Eingangsbereich eines zu renovierenden Bürogebäudes im Zentrum Stockholms einzureichen. Mit ein paar simplen Skizzen überzeugte der junge Designer das Kunstkomitee der Institution. Sein Konzept sah vor, die dunkle, fensterlose Lobby in einen hellen, freundlicheren Ort zu verwandeln, indem künstlich erzeugtes Tages­licht in die Architektur des Gebäudes integriert wird. Die Idee basiert auf einer grundlegen­den Erfahrung, die er im Haus seiner Mutter in der Nähe von Oslo gemacht hatte. Dort nahm er am Beispiel eines bestimmten Zimmers zum ersten Mal bewusst wahr, wie Tageslicht den Raum verändert. «Unter dem Einfluss von natürlichem Licht wirkte der Raum gross und freundlich, während er bei künstlichem Licht klein wirkte und man sich regelrecht eingesperrt vorkam, auch weil es keinen sichtbaren Bezug nach draussen gab», schildert Rybakken (Abb. 08 und 09). Von da an beschloss er, sich mit der Wirkung und Imitation von Tageslicht zu beschäftigen. Dabei inspirierten ihn Künstler wie Edward Hopper, aber auch Architekten wie der Brite John Pawson, der es Rybakken zufolge versteht, «nur mit Licht aus einem Raum mehrere verschiedene Räume zu kreieren».

Licht AuS Der WANDWie er den düsteren Empfangsbereich des Stockholmer Bürogebäudes konkret in einen anderen Raum verwandeln wollte, wusste Daniel Rybakken anfangs selbst nicht. Dass man ihm dennoch vertraute, lag nicht zuletzt daran, dass er schon vorher durch Projekte mit Tageslicht­Mimikry auf sich aufmerksam gemacht hatte: mit «Surface Daylight» etwa, einer

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04 Die fünf Leuchtpaneele, bestückt mit über 6000 LeD, vor dem einbau 05 um den effekt der tageslichtflecken zu erzeugen, wird vor dem LeD-paneel eine transluzente corianscheibe befestigt06 raumeindruck von der Baustelle im dunklen eingangsbereich (Fotos 04–06: Kalle Sanner und Daniel Rybakken)07 Schnitt durch das treppenhaus mit den positionen der fünf Leuchtflächen (Zeichnung: Daniel Rybakken)08–09 einfluss des Lichts auf einen raum: Durch den einfall von tageslicht wirkt der raum grösser – mit künstlicher Beleuchtung erscheint er kleiner, auch weil der sichtbare Bezug nach draussen fehlt (Fotos 08–09: Daniel Rybakken)

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Installation aus einer hinter einer durchscheinenden Scheibe angebrachten LED­Fläche, die bereits im kleinen Massstab den Lichteinfall durch ein Fenster vortäuscht (Abb. 03); vor allem aber mit «Subconscious Effect of Daylight», einem schwarzen Tisch mit einem unter dem Tischblatt versteckt angebrachten Projektor, der eine geheimnisvolle Lichtfläche auf den Boden wirft (Abb. 02). «Die meisten Betrachter scannen erst mal den Raum, auf der Suche nach einer Lichtquelle», so Rybakken. Im Fall von «Daylight Entrance» forscht man danach allerdings vergebens. Denn anders als von vielen vermutet entstehen die Licht karrees hier nicht mit Hilfe von Projektoren. Das Geheimnis sind LED, die sich hinter den Paneelen aus Corian befinden und diese von hinten anleuchten (Abb. 05). Um die Lichtquellen perfekt in die Flächen einzupassen, sind an den entsprechenden Stellen Ein­kerbungen in das Material gefräst. Insgesamt besteht das Projekt aus über 6000 LED in fünf verzerrt viereckigen Flächen, die über drei Stockwerke verteilt sind (Abb. 04 und 07).

poeSie StAtt techNikRybakken sagt, er wäre auch mit einer anderen Lichtquelle zum selben Ergebnis gekom­men – zum Beispiel mit Fluoreszenzlicht, das er für seine Prototypen verwendet hatte. Da er in diesem Fall aber die Feuer­ und Sicherheitsvorschriften des Bürogebäudes be­rücksichtigen musste, waren LED die beste Wahl. Sie werden selbst im Dauerbetrieb nicht heiss, ver brauchen wenig Energie und sind verhältnismässig langlebig. Dennoch ist die Technik für Rybakken lediglich Mittel zum Zweck. «Eine neue Technologie würde ich nie zum Ausgangspunkt eines Projekts machen», sagt der Designer. «Sonst läuft man Gefahr, dass es schon bald überholt ist, wie viele LED­ oder OLED­Leuchten der ersten Genera­tion, deren Design auf einer Technologie basiert, die jetzt schon wieder veraltet ist.» Rybakkens Arbeiten hin gegen haben das Zeug, Klassiker zu werden. Nicht nur seine künstlerischen Werke wie die Installation «Subconscious Effect of Daylight», die vor Kurzem in die Sammlung des norwegischen Na tionalmuseums aufgenommen wurde, sondern auch seine in Serien hergestellten Lampen wie «Counterbalance» (2011), eine Wandleuchte, deren Form auf den ersten Blick an Jean Prouvés «Potence» erinnert und bei der eine Zahnradmechanik und ein Gegengewicht die Balance sichern (Abb. 10). Anders als vielen seiner Kollegen geht es Daniel Rybakken nicht um kurzfristige Effekt­hascherei. «Sie hängen irgendwas Verrücktes an die Wand, man muss kurz lachen, aber schon nach fünf Minuten ist der Spass vorbei, und man fängt an zu gähnen.» Weil die minimalistischen Arbeiten des Norwegers weder ironisch noch verrückt daherkommen und eine mysteriöse Aura haben, fallen sie sofort auf. «Wie hat er das gemacht?», fragt man sich bei vielen seiner Leuchtobjekte – so auch bei seiner aktuellen Arbeit «Ricochet light» (Abb. 11). Die Antwort findet man – wenn überhaupt – erst nach mehrmaligem, genauem Hinsehen. Katharina Altemeier, Journalistin für Kunst, Kultur und Design, [email protected]

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10 «counterbalance» (2011): Wandleuchte für den Leuchtenhersteller Luceplan. Der an einem langen Stahlrohr auskragende Leuchtenkopf wird durch ein Gegengewicht ausbalanciert, mit dem er über ein Getriebe aus zwei Zahnrädern verbunden ist (Lichtquelle 14.5-W-LeD mit 800 Lumen)11 ricochet light (2012): Die weisse kreisfläche erstrahlt durch das Licht aus der kleinen schwarzen Lampe, das über zwei Spiegel umge-lenkt wird (Lichtquelle 10-W-LeD) (Fotos 10–11: Kalle Sanner und Daniel Rybakken)