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Nr. 66 2. Quartal 2003 ISSN 0945-4586 Einzelpreis 3 B 4280 Kooperation mit Ärzte für das Leben e.V. und Treffen Christlicher Lebensrechtgruppen e.V. (TCLG) Wunder Mensch Claudia Kaminski Veronika Blasel Was die Embryologie über den Menschen weiß Embryonen zwischen Kühlfach und Mutterleib Matthias Lochner Im Porträt LebensForum stellt neue Enquete-Kommission vor Volker Herzog „Zellhaufen ein Unwort“ Georg Eble Heißer EU-Herbst: Brüssel und die Embryonen Stefan Rehder Stelldichein der Klonforscher in Berlin Familien - Lastesel der Kinderlosen Clemens Christmann (K)ein Mensch?

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Nr. 662. Quartal 2003ISSN 0945-4586Einzelpreis 3 €

B 4280

Kooperation mit Ärzte für das Leben e.V. und

Treffen Christlicher Lebensrechtgruppen e.V. (TCLG)

Wunder MenschClaudia Kaminski

Veronika BlaselWas die Embryologie überden Menschen weiß

Embryonen zwischenKühlfach und Mutterleib

Matthias Lochner

Im PorträtLebensForum stellt neueEnquete-Kommission vor

Volker Herzog„Zellhaufen ein Unwort“

Georg EbleHeißer EU-Herbst: Brüsselund die Embryonen

Stefan RehderStelldichein derKlonforscher in Berlin

Familien - Lastesel derKinderlosen

Clemens Christmann (K)ein Mensch?

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2 LEBENSFORUM 2/2003

„Chancen und Werte“Die CDU im Internet

Inhalt

IMPRESSUM

LEBENSFORUMAusgabe Nr. 66, 2. Quartal 2003ISSN 0945-4586

VerlagAktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V.Ottmarsgäßchen 8, 86152 AugsburgTel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07http://www.alfa-ev.de, Email: [email protected]

HerausgeberAktion Lebensrecht für Alle e.V.Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminski(V.i.S.d.P.)

KooperationÄrzte für das Leben e.V.Perusastr. 3, 80333 MünchenTel.: 0 89 / 29 57 90, Fax: 0 89 / 29 29 74http://www.aerzte-fuer-das-leben.de

Treffen Christlicher Lebensrechtgruppen e.V. (TCLG)Olgastr. 57a, 70182 StuttgartTel.: 0711 / 237 19 53-12, Fax 0711 / 237 19 53-53http//www.tclg.de

RedaktionsleitungStefan BrandmaierStefan Rehder

RedaktionDr. med. Maria Overdick-Gulden, Alexandra Linder,Prof. Dr. Ingolf Schmid-Tannwald (Ärzte für dasLeben e.V.), Kurt Hönscheidt (Fotos)

AnzeigenverwaltungAktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V.Ottmarsgäßchen 8, 86152 AugsburgTel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07http://www.alfa-ev.de, Email: [email protected]

Satz / LayoutRehder & Partner Medienagentur, Aachen

Auflage8.000 Exemplare

AnzeigenEs gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 5 vom 01.01.2003

ErscheinungweiseVierteljährlich, Lebensforum Nr. 67 erscheint am17.09.2003, Redaktionsschluss ist der 31.08.2003

Jahresbezugspreis€ 12 (für ordentliche Mitglieder der ALfA und derÄrzte für das Leben im Beitrag enthalten)

BankverbindungAugusta-BankKonto Nr. 50 40 990 - BLZ 720 900 00Spenden erwünscht

DruckBrimberg Druck und Verlag GmbHDresdner Straße 1, 52068 Aachen

TitelbildRehder & Partner Medienagentur, Aachenwww.rehder-partner.de

Das Lebensforum ist auf umweltfreundlichemchlorfrei gebleichtem Papier gedruckt.

Mit vollem Namen gekennzeichnete Artikel gebennicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder derALfA wieder und stehen in der Verantwortung desjeweiligen Autors.

Fotomechanische Wiedergabe und Nachdruck - auchauszugsweise - nur mit schriftlicher Genehmigung derRedaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträgekönnen wir keine Haftung übernehmen. Unverlangteingesandte Rezensionsexemplare werden nichtzurückgesandt. Die Redaktion behält sich vor,Leserbriefe zu kürzen.

Editorial 3

Wunder MenschClaudia Kaminski

Leserforum 33

Kurz & bündig 34

Letzte Seite 36

Gesellschaft 9

Abtreibungen in der Statistik

Ausland 12

Brüssel und die EmbryonenGeorg Eble

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Ohne Zäsuren entwickelt sich der Embryo alsMensch ............................................... Seite 4

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Erfolgreich protestieren: Lebensrechtler de-monstrieren bei Klonkonferenz ...... Seite 36

Titel

Interview mit Prof. Dr. Herzog„Zellhaufen ist ein Unwort“

Titel 4

Über den Stand der EmbryologieVeronika Blasel

Ausland 10

Embryonenadoption in den USAMatthias Lochner

Bioethik 14

Internationale KlonkonferenzStefan Rehder

Essay 16

Familien - Lastesel der GesellschaftClemens Christmann

EU sucht wirtschaftliches Heil in verbrau-chender Embryonenforschung ....... Seite 12

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Bücherforum 30

Im Porträt 22

Die neue Enquete-Kommission

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LEBENSFORUM 2/2003 3

Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser

Wunder MenschDr. Claudia KaminskiBundesvorsitzende der ALfA

Bundesvorsitzende der ALfA unddes Bundesverbandes Lebensrecht

Foto: Archiv

„Vor lauter Bäumen, den Wald nichtsehen“, lautet eine der geläufigsten Re-densarten. Und der Volksmund sagt: „Wernicht sehen will, dem hilft auch keineBrille.“ Kalenderweisheiten, die jedochtreffend jene beiden Pole beschreiben,zwischen denen sich die Frage nach demStatus des Embryos immer noch bewegt.So manchem Forscher wird zugestandenwerden müssen, dass die ständige Sichtdurch das Mikroskop, den Blick auf dasWunder Mensch beinah wie von selbstversperrt. Wer – begünstigt durch die Spe-zialisierung der Wissenschaften unddie Fragmentierung des Wissens – seinLeben ausschließlich der Erforschung vonTeilaspekten widmet, weiß sicher viel,aber nicht immer auch schon Entscheiden-des.

Für das Titelbild der vorliegenden Aus-gabe wurde dieses beklagenswerte Phä-nomen grafisch umgesetzt. Wer sich dieTitelseite nah genug vors Gesicht hält,erkennt nur einzelne Zellen und sonstnichts. Erst mit dem richtigen Abstandvermag er unter der kristallinen Strukturden Embryo zu entdecken.

Dass das Ganze mehr ist, als bloß dieSumme seiner Teile, ist weder ein opti-scher Trick, noch eine Einsicht, zu der nurPhilosophen gelangen können. Es ist eineErfahrung, die jeder macht und die auchdurch noch so geschickte Dekonstruktionnicht aus der Welt geschaffen wird: Werwollte bestreiten, dass ein Gemälde mehrist, als die Summe der Farbpigmente, dieeinen Untergrund zieren? Oder dass eineStatue etwas ganz anderes ist, als nur einBlock Material, der zuvor um eine be-stimmte Menge erleichtert wurde? Undgestehen wir nicht auch Tieren zu, dasssie mehr sind, als die Summe ihrer Geneund Reflexe?

Warum fällt dies vielen dann beim Em-bryo so schwer? Die Titelgeschichte (S. 4ff) von Veronika Blasel fächert in ein-drucksvoller Weise auf, was Wissen-schaftler längst alles über die Entwicklung

des Menschen in Erfahrung gebracht ha-ben. Das Interview, das wir mit dem re-nommierten Zellbiologen Volker Herzogführten (S. 8), belegt zudem, dass die Be-schäftigung mit biologischen Abläufennicht automatisch dazu führen muss, dassForscher die Achtung vor dem Menschenin seinen frühen Stadien verliert.

Doch nicht nur das Nicht–sehen–kön-nen sondern auch das Nicht–sehen–wol-len hat für den Embryo immer häufigertödliche Konsequenzen – in und außer-halb des Mutterleibes. Das läßt sich we-der durch eine trickreiche Abtreibungs-statistik (S. 9) noch durch die geschickteFormulierung von Patentanträgen – Oli-ver Brüstle lässt grüßen – verbergen. Prak-tiken wie diese fordern den entschiede-nen Widerspruch von Lebensrechtlern, andem es inzwischen in Deutschland eben-so wenig fehlt, wie an gezielter Aufklä-rungsarbeit.

Der Wirtschaftsredakteur Georg Ebledeckt in seinem Beitrag (S. 12) auf, wel-che wirtschaftspolitischen Interessen aufeuropäischer Ebene mit dafür verantwort-lich sind, dass Politiker wie der belgischeEU-Forschungskommissar PhilippeBusquin oder der Vorsitzende des For-schungsausschusses des EU-ParlamentsCarlos Westendorp y Cabeza die Augendavor verschließen, was jedem ins Gesichtspringt, der den Blick nicht nur auf dieeigenen Interessen richtet. Wer weiß, dassdie EU–Kommission derzeit alle Hebel inBewegung setzt, damit Forscher nach demAuslaufen des Moratoriums im Herbst,auch den sogenannten überzähligen Em-bryonen zu Leibe rücken können, der magbei der Rede vom „alten Europa“ an diebarbarischen Bräuche denken, die zu Zei-ten der Völkerwanderung geherrscht ha-ben. Da wundert es dann auch kaum, dassder EU–Kommissiar für Entwicklung undhumanitäre Hilfe, Poul Nielson, geradeein Büro einrichten lässt, das die Lebens-rechtsbewegungen in den VereinigtenStaaten von Amerika überwachen soll.

Begründung: diese seien „mächtig, gutkonsolidiert und fest entschlossen“ undhätten sich „von den USA inzwischen bisnach Europa ausgebreitet“.

Dass Lebensrechtler nicht unbedingtmächtig sein müssen, um Sand in das Ge-triebe der Biobastler und Menschen-vernutzer zu streuen, hat die Internatio-nale Klonkonferenz in Berlin gezeigt (S.14). Gut informierte und engagierte Teil-nehmer reichen aus, um selbst den Fahr-plan eines strategisch vorbereiteten „Stell-dichein von Klonforschern“ empfindlichzu stören. Auch die Demo der Initiative„Stoppt PID & Klonen“, die vom Bun-desverband Lebensrecht und seinen Mit-gliedsverbänden unterstützt wird, mussals Erfolg gewertet werden.

Damit sind die noch vor uns liegendenAufgaben weder schon gelöst oder auchnur angegangen. Aber nach den Nieder-lagen der Vergangenheit vermag ein sol-cher Lichtblick sicher manchem neuenAuftrieb zu geben. Genau das ist auch dasZiel dieser Ausgabe. Aufzuzeigen wofüres sich zu streiten lohnt: Das WunderMensch. Und klar zur Sprache zu brin-gen, wo ihm derzeit überall Gefahr droht.

Beides sehen–zu–können und sehen–zu–wollen oder anders formuliert, sich derWahrheit über den Menschen zu stellen,seinem Anfang und dem, wozu er er-schreckender Weise später auch fähig ist,zeichnet Lebensrechtler in besondererWeise aus. Seien wir darauf nicht stolz,sondern betrachten wir das als besondereVerpflichtung: Sorgen wir dafür, dassimmer mehr Menschen, für das Wunder,welches der Mensch ist, sensibilisiertwerden.

Ihre Claudia Kaminski

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Titel

„Zellhaufen“ und „Gewebeklumpen“oder „ungeborenes Kind“ und „Menschin einem frühen Entwicklungsstadi-um“. Der Embryo hat viele Namen undwirft noch mehr Fragen auf. Die funda-mentalste — ab wann ist der Menschein Mensch? — ist bis heute Gegen-stand zahlreicher Diskurse in Politik–,Geistes– und Rechtswissenschaften.Der folgende Beitrag versteht sich alsHilfe zu einer begründeten Meinung.Mit ihm soll gezeigt werden, was dieEmbryologie alles über den Embryo inErfahrung gebracht hat und welcheSchlüsse daraus zu ziehen sind.

Die häufigsten Thesen zur Datierungdes Beginns von menschlichem Lebenlauten: Der Mensch existiert ab…

1) der Verschmelzung von Ei- und Samen-zelle, bei der ein neues, einmaliges Ge-nom entsteht,

2) dem Verlust der Totipotenz der Zellen.Danach ist keine Bildung von eineiigenZwillingen mehr möglich,

3) der Nidation in die Gebärmutter,4) der einsetzenden Gehirnbildung in der

5. Woche,5) den ersten spürbaren Bewegungen des

Fötus im Mutterleib in der 16. – 18.Schwangerschaftswoche,

6) der Geburt,7) dem – angenommenen – Erwachen des

Selbstbewusstseins, wenn das Kind imAlter von 2-3 Jahren zum ersten Mal„ich“ sagt.

Lassen sich diese Thesen durch biolo-gisch-embryologische Argumente unter-mauern? Oder führen die wissenschaftli-chen Befunde auf dem Feld der Embryo-nologie vielmehr dazu, dass einige deroben genannten Thesen sich als derart in-konsistent erweisen, dass sich die Frage,wann der Mensch ein Mensch ist, mit ih-nen unmöglich beantworten lässt?

besitzt, verformt sie sich zur hügelig-rauen Morula, die ihren Namen von derähnlich aussehenden Maulbeere bekom-men hat. 0,2 mm ist die Morula in etwagroß, die meist am dritten Tag die Gebär-mutter erreicht. In der Gebärmutter ange-kommen, beginnen sich die Zellen nachaußen zu bewegen. Die Morula höhlt sichaus und heißt nun Blastozyste. In ihr tei-len sich die Zellen in zwei Gruppen. Dieeine bildet den innen liegenden Embryo-blasten, die andere den Trophoblasten, dieKugelhülle, die für Einnistung und Ver-sorgung des Embryos zuständig ist.

So entwickelt, steht am fünften Tag dieEinnistung in die Gebärmutter bevor. DerTrophoblast stellt dazu Enzyme her, diedie Gebärmutterschleimhaut aufweichen.So kann die Blastozyste eindringen undsich dann festsetzen. Die Einnistungsstelle

von Veronika Blasel

Was die Embryologieüber den Menschen weiß

Wie alles anfängt. Der Befruchtungs-vorgang beginnt damit, dass sich Spermi-um und Eizelle aneinanderlagern und en-det mit der Verschmelzung der Kerne bei-der Zellen. 200 bis 300 Millionen Sper-mien bewegen sich auf die Eizelle zu, diesich auf dem circa 5 Tage dauernden Wegzur Gebärmutter befindet.

Das Spermium, das als erstes dort in-takt eintrifft, dockt an einem Eiweiß-rezeptor an, der die Membran der Eizelleöffnet. So kann das Spermium eindringen.Gleichzeitig werden Mechanismen frei-gesetzt, die die Eizelle für weitere Sper-mien undurchdringlich macht. Danachorganisiert sich die genetische Informati-on neu. Die Kernmembranen lösen sichauf, väterliche und mütterliche Chromo-somen lagern sich aneinander und verei-nigen sich zu einem neuen, 46-teiligenChromosomensatz. Die befruchte-te Eizelle enthält somit als eige-nen Bauplan eine vollständigeNeukombination aus dem Erbgutder Eltern. Schon bei der Befruch-tung wird auch das Geschlecht desKindes. Befruchtet nämlich einSpermium die Eizelle, das ein X-Chromosom enthält, so entstehteine XX-Zygote. Aus dieser ent-wickelt sich ein weiblicher Orga-nismus. Dagegen bildet sich durchdie Befruchtung mit einem ein Y-Chromosom enthaltenden Spermi-um eine XY-Zygote, d. h. einmännlicher Embryo.

Mit der Kernverschmelzung istdie Befruchtung abgeschlossen.Die befruchtete Eizelle heißt „Zy-gote“ und ist etwa 0,15 mm groß.Innerhalb der nächsten zwei bisdrei Tage finden im Abstand vonje 20 Stunden mehrere Zellteilun-gen statt, wobei die Zellen zu-nächst nicht wachsen, sondern beijeder Teilung kleiner werden.Wenn die Zygote etwa 16 Zellen

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wird von der Gebärmutter mit neuen Blut-gefäßen umgeben. Kurze Zeit später be-ginnt die Anlage der Plazenta, die als ge-meinsames Organ von Mutter und Em-bryo dessen Versorgung übernimmt. Inder Plazenta werden alle Hormone gebil-det, die für die Schwangerschaft benötigtwerden. Dort befindet sich auch der Dot-tersack, der dem Embryo selbstpro-duzierte Blutstammzellen zuführt. Etwaeine Woche nach der Befruchtung ist diePlazenta das erste Mal in der Lage, demEmbryo Nährstoffe und Sauerstoff zuzu-leiten, so dass sich die inneren Zellen nunschnell teilen und wachsen.

In der zweiten Woche entwickelt derEmbryo eine innere und eine äußereScheibe, die beiden ersten Keimblätter. Indem Zwischenraum der beiden Schichtenbildet sich das dritte Keimblatt. JedeSchicht enthält Anlagen für diverseOrgansysteme: Das äußere Keimblatt, dasEktoderm, bildet die Sinnesorgane mitdem Nervensystem und die Haut. Ausdem mittleren Keimblatt, dem Mesoderm,geht vor allem die Muskulatur hervor. Ausdem inneren Keimblatt, dem Entoderm,entstehen die inneren Organe. Bis zum 19.Tag wächst der Embryo auf etwa 2,5 mm.

In der dritten Woche besitzt das unge-borene Kind ein s-förmiges Herz, das zuschlagen beginnt. Es ist noch nicht in Vor-höfe und Kammern unterteilt, schlägt un-gefähr doppelt so schnell wie das derMutter und kann so die Blutzirkulationvom Embryo bis zur Plazenta und zurückselber antreiben. Die inneren Organe, Le-

ber, Lunge, Magen, Darm und Nieren be-ginnen sich zu bilden. Zu diesem Zeit-punkt erfährt die Mutter durch Ausblei-ben der Regelblutung, dass sie schwan-ger ist.

Am Ende der dritten Woche sind alleOrgansysteme angelegt. Auch bildet sichlangsam die erste Anlage zum Gehirn her-aus, das von der vierten bis zur achten Wo-che rapide wachsen wird. Die Nervenzel-len haben kleine Andeutungen von Aus-wüchsen. Arme und Beine werden er-kennbar, die Ohren sichtbar, der Mundöffnet sich und die Zunge beginnt sich zu

entwickeln. Auch bilden sich Ansätze derAugen heraus und erste Anzeichen einerHautfläche bedecken den Embryo.

Zwischen dem Embryo und der Plazen-ta hat sich eine Nabelschnur herausgebil-det, die hauptsächlich aus einem großenBlutgefäß besteht, das das Ungeborenemit Sauerstoff und Nährstoffen versorgtsowie aus zwei kleineren Blutgefäßen, diedas sauerstoffarme Blut sowie die Schlak-kenprodukte an die Plazenta zurückfüh-ren. Die Plazenta ist wiederum mit demGewebe der Gebärmutter verzahnt undvollzieht diesen Austausch durch dasBlutkapillarensystem des Gewebes.

In der 5. Woche können die Herztöneschon mit einem Elektro-Kardiogrammgehört werden. Luftröhre und Bauchspei-cheldrüse werden sichtbar. Das Gesichtdes Kindes ist jetzt deutlich als menschli-ches Antlitz erkennbar. Kurze Zeit später

nimmt das ungeborene Kind nachweislichbereits erste Informationen aus seinerUmgebung auf: etwa die Lage in der Ge-bärmutter, den Druck auf den Körper oderTemperaturunterschiede. Die Gehirn-ströme sind mit einem Elektroenze-phalogramm messbar. Das Skelett ist inKnorpeln vorhanden, die Bildung derMuskulatur ist weit fortgeschritten. JedeMinute bilden sich etwa 100.000 neueNervenzellen. In der sechsten Woche istder Embryo etwa 1,5 cm groß.

In der 8. Woche, also mit dem Ende derEmbryonalzeit, sind alle Organe vorhan-den. Das Kind braucht nur noch Zeit undNahrung, um zu wachsen und zu reifen.Im Kiefer bilden sich Knospen für dieMilchzähne, die Zehenstrahlen und dieBrustwarzen werden sichtbar. Die Grund-lage des Sehens ist gelegt, indem die Netz-haut der Augen mit dem Gehirn verbun-den ist. Der Gleichgewichtssinn im Ohrist bereits vorhanden und auch der Trop-fen Urin wird durch die Nieren ausge-schieden.

Seinen unverwechselbaren Fingerab-druck erhält das Kind in der 8. Woche.Auf der Handinnenfläche entsteht die zar-te Zeichnung von Handlinien. Das Unge-borene macht Atembewegungen und kannschon schlucken, wenn es das Fruchtwas-ser trinkt. Die Knorpel beginnen sich zuverdichten und wandeln sich in Knochenum. Dieser Prozess wird sich bis zum Al-ter von zwei Jahren hinziehen, wenn zu-letzt die Fontanellen (Schädeldach) inKnochen umgewandelt werden. Ihre end-gültige Form werden die 210 Knochen desSkeletts aber erst viel später, nämlich beimÜbergang ins Erwachsenenalter, errei-chen. Das ungeborene Kind beginnt,Arme und Beine zu bewegen.

In der 9. Woche schon versucht es zugreifen und eine Faust zu machen, wennseine Handfläche berührt wird. Das Kinddreht den Kopf, der noch fast die Hälfteder gesamten Körpergröße ausmacht,weg, um Störungen zu vermeiden. ZarteFingernägel zeigen sich an den Fingern.Werden die Wangen oder Lippen berührt,zuckt das Ungeborene, als wolle es lä-cheln. Mit einer Größe von 6 cm ist derFötus in der 10. Woche 60.000 mal so großwie das Ei, aus dem er stammt. Das Kindkann schon am Daumen lutschen und klei-ne Purzelbäume schlagen. Nach der Handund der Fußsohle wird nun nachfolgendder ganze Körper berührungsempfindlich.Ab der 11. Woche trinkt das Kind regel-mäßig Fruchtwasser, um es anschließendüber die Nieren wieder auszuscheiden.

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Kurz vor dem dritten Monat können Kno-chenmark, Leber und Milz die Produkti-on der Blutstammzellen selber durchfüh-ren.

In der 12. Woche (hier endet die Fristfür die in Deutschland geltende Abtrei-bungsregelung) sind sämtliche innerenOrgane voll funktionsfähig. Das Kindschluckt, atmet, verdaut und uriniert. Esreagiert auf Lärm, es schläft, wenn seineMutter schläft. Auf dem Kopf wachsen dieersten Haare.

Im dritten Monat schließen sich dieAugenlieder des Ungeborenen und öffnensich erst wieder im 7. Monat, wenn dasAuge bereits lichtempfindlich ist undWimpern besitzt. Der Geschmacksinn ist

voll ausgereift, der Gleichgewichtssinnvervollkommnet sich. Das Gehör entwik-kelt sich und das Herz pumpt etwa 30 Li-ter Blut am Tag. Etwa ab dem viertenMonat kann der Fötus hören. Melodien,die er im Mutterleib gehört hat, wird ernach der Geburt wiedererkennen können.Um die Haut des Kindes vor dem Frucht-wasser zu schützen, hat sich eine weißli-che Fettschicht ausgebildet.

Im 5. Monat werden seine Bewegun-gen, die inzwischen auch von der Mutterwahrgenommen werden können, be-wusster und koordinierter – ein Zeichendafür, dass seine Nervenbahnen begonnenhaben, sich zu verbinden. Ein Schlaf-Wach-Rhythmus bildet sich aus, das Kind

sucht eine bevorzugte Schlafposition. Esbeginnt die Phase des schnellsten Gehirn-wachstums, die bis zum fünften Lebens-jahr des Kindes anhalten wird. Kinder, dieim 6. Monat geboren werden, haben mitintensiv-medizinischer Versorgung Chan-cen, zu überleben.

In der 24. bis 27. Woche lässt sich an-hand des Hirnstrommusters beweisen,dass das Seh- und Hörzentrum aktiv ist.Die Gefäße der Lungen bilden sich, umdas Kind auf das Leben an der Luft vor-zubereiten. Der Fötus ist jetzt außerhalbdes Mutterleibes lebensfähig, weil seinAtemsystem funktioniert. Die Wirbelsäu-le ist komplett und die Augen öffnen sich.In der 27. Woche erreichen die Hirnstrom-

muster Geburtsreife. Das Kinddreht sich, so dass es mit dem Kopfnach unten liegt. Es ist jetzt bereitsgut 37 cm lang. Die regelmäßigeAtmung und die Kontrolle der Kör-pertemperatur werden nun vom Ge-hirn übernommen.

Ab der 30. Woche werden unzäh-lige Verbindungen zwischen Ner-venzellen des Gehirns hergestellt.Die Iris des Auges nimmt Farbe an,die Pupille reagiert auf Helligkeits-unterschiede. In der Gebärmutterwird es jetzt so eng für das Kind,dass es die typische „Fötalposition“einnimmt. Ab der 32. Woche sinddie Augen beim Wachsein offen undschließen sich im Schlaf.Langsam bildet sich auch dasImmunsystem des Kindesaus.

Der Körper hat in der 36.Woche die typisch rundlicheBabyform angenommen, dieHaut ist rosig und glatt. Wäh-rend der letzten Wochen la-

gern sich jeden Tag ca. 14 g Fettge-webe ein. Mit 70 komplexen Refle-xen ist das Kind in der 38. Wochegeburtsreif. Es ist etwa 50 cm großund hat über 300 Knochen, von de-nen durch die Verschmelzung biszum Erwachsenenalter nur gut 200übrig bleiben werden. Aus der Zy-gote sind durch Zellteilung etwa200 Millionen Zellen entstanden.

Die vorgeburtliche Entwicklungist unbestreitbar eine kontinuierli-che. Biologisch betrachtet lässt siesich zwar in einzelne Stadien ein-teilen, jedoch lassen sich keinerleiBrüche ausmachen. Trotzdem ist esvielen suspekt, einem nur wenige

Stunden oder Tage alten Embryo Men-schenwürde zuzugestehen, wie u.a. dieDiskussion um die verbrauchende Em-bryonenforschung zeigt. „Wir habenSchwierigkeiten, Stellung zu dem zu be-ziehen, was als früher Embryo bezeich-net wird, einem Etwas, das noch wenigForm besitzt, kein Gesicht, keine mensch-liche Gestalt hat, uns daher visuell weniganspricht, sich noch nicht selbst bewegt,nicht sichtbar auf Reize reagiert“, erklärtder Essener Stammzellforscher undEmbryologe Hans-Werner Denker aufNachfrage des LebensForums. „DiesesEtwas ist voll von Potenz, ein potentiel-les Wesen, aber das ist eine abstrakte Qua-lität, der die Anschaulichkeit fehlt. DieEthik des Umgangs mit Abstrakta ist im-mer schwierig und überfordert uns.“ DochDenker ist der Überzeugung, „dass die Zu-schreibung von Menschenwürde schonmit dem Zeitpunkt der Bildung der Zy-gote beginnen muss.“ Die Menschenwür-de sei ein so hoch angesiedeltes und ge-schütztes Gut, dass sie sich jeder Abwä-gung entziehe.

Ebenso wie Denker warnen viele For-scher und nicht zuletzt auch Psychologenimmer wieder davor, das menschlicheLeben in seinem Anfangsstadium verfüg-bar zu machen. So betont der HamburgerPsychologe Michael Wunder, Mitglied derBundestag-Enquete-Kommission „Ethikund Recht der modernen Medizin“, es sei„äußerst gefährlich“, die Position aufzu-

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geben, „dass ein Embryo von Anfang anMensch ist“. Konzepte einer abgestuftenMenschenwürde seien nicht schlüssig.Die Folge sei, dass „je nach Forschungs-bedarf immer ältere Embryos zu Noch-Nicht-Menschen“ degradiert würden.

In den letzten Jahren haben sich dieUntersuchungsmöglichkeiten an Unge-borenen stark verbessert. Durch modern-ste Verfahren ist es möglich, Einblick indie Entwicklung verschiedenster Stadienund Bereiche zu nehmen. Dabei scheinendie neuen Erkenntnisse oft nur das zu be-stätigen, was schon vor Jahren gelehrtwurde. Ulrich Drews, Embryologe und

Autor des 1993 erschienen und jedenMedizinstudenten durchs Studium beglei-tenden „Taschenatlas der Embryologie“macht gegenüber dem LebensForum klar,dass die embryonale Forschung auch inanderer Hinsicht zu einem begründetenSchutz des Embryos führen kann. „Dieweitgehende Analyse des Genoms vonEukaryonten, darunter auch des Genomsdes Menschen, hat gezeigt, dass die Prin-zipien der Entwicklung, die in der expe-rimentellen Embryologie erarbeitet wer-den, auf die Spezies Mensch übertragenwerden können. Das im Taschenatlas ent-wickelte Konzept der Prinzipien der Ent-wicklung hat an Aktualität gewonnen.

Veronika Blasel M.A.,Jahrgang 1978, stu-dierte Musikwissen-schaft, Germanistiksowie Theater-, Film-und Fernsehwissen-schaft in Köln. Diegebürtige Aachenerinist freie Mitarbeiterinvon LebensForum.

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Dies macht Experimente mit menschli-chen Embryonen oder Eingriffe in diemenschliche Keimbahn vollkommenüberflüssig“, so Drews. Als einen Bereich,der in der vorgeburtlichen Entwicklungnoch im dunkeln liegt, nennt der Embryo-loge folgenden: „Noch nicht bekannt istder Mechanismus der schrittweisen De-termination durch Methylierung der DNSund Methylierung und Acetylisierung derHistone.“ Anders ausgedrückt: Noch istnicht in alle Einzelheiten geklärt, wie aufmolekularer Ebene die Struktur der DNSso verändert wird, dass die Zelle „weiß“,zu was sie sich entwickeln soll. Doch auchauf Gebieten, die Laien leichter zugäng-lich erscheinen, werden immer wiederEntdeckungen gemacht, die es erforder-lich machen, lange als Tatsachen Ange-nommenes über Bord zu werfen.

So überraschte etwa vor einigen Wo-chen Susan Greenfield, Oxford-Professo-rin und wohl führende HirnforscherinGroßbritanniens, mit der These, dassungeborene Kinder schon lange vor der25. Woche ein Bewusstsein entwickelthaben könnten. Nicht immer werden aussolchen Erkenntnissen freilich die richti-gen Schlüsse gezogen. So gießt Green-fields These auch Öl auf das Feuer derForscher und Mediziner, die schon seitlangem fordern, Kinder bei Abtreibungenjenseits der 17. Woche zu narkotisieren,als wäre damit allein der Humanität schonGenüge getan.

Schon 1984 schrieb der hochange-sehene Embryologe Erich Blechschmidt,„dass mit der Befruchtung das Wesen desMenschen in seiner individuellen Eigen-art gegeben ist und als Voraussetzung derOntogenese betrachtet werden muß. Dennentwickeln kann sich nur, was dem We-sen nach bereits existiert. Anders ausge-drückt: Der Mensch entwickelt sich alsMensch und nicht zum Menschen.“ Sei-ne bislang unwiderlegten und methodischausschließlich naturwissenschaftlichenBetrachtungen sind die einzigen, die insich konsistent erscheinen.

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LebensForum: Herr Professor Herzog,wann wird der Mensch zum Menschen?

Prof. Volker Herzog: Der Mensch ent-wickelt sich nicht zum Menschen, sondernimmer als Mensch. Die Begründung da-für ist folgende: Bei der Befruchtung ver-schmelzen die Vorkerne von Ei- und Sa-menzelle miteinander, wodurch ein neu-es Genom entsteht. Wichtig ist hierbei,dass dies rein zufällig und bisher nichtsteuerbar geschieht. Dieses neue Genomverleiht der befruchteten Eizelle alle Po-tenzen für die Entfaltung des Individu-ums. Der Mensch und seine Individuali-tät ergeben sich daher aus dem neuenGenom. Nach der Befruchtung unterliegter zusätzlich Einflüssen äußerer Faktoren.

LebensForum: Gibt es Brüche in die-ser Entwicklung, die das Setzen von Zä-suren rechtfertigen, wie dies bei den Dis-kussionen um die Forschung an embryo-nalen Stammzellen und um Abtreibungengetan wird?

Herzog: Diese Befruchtung ist derStartpunkt, von ihm an muss von einemneuen Menschen gesprochen werden. Dienachfolgende Entwicklung verläuft kon-tinuierlich, wobei zwar verschiedene Sta-dien in der Entwicklung, etwa die Zygo-te, die Morula, die Blastozyste, der Vor-gang der Nidation in die Uterusschleim-haut oder die Entwicklung des Zentral-nervensystems unterschieden werdenkönnen. Aber aus der Aufeinanderfolgeder verschiedenen Stadien ergibt sich bio-logisch ein Kontinuum der Entwicklung.Jede Zäsur, die von Menschen gesetztwird, ist daher willkürlich und sie ist frag-würdig, weil sie vermeintlichen Bedürf-nissen der Gesellschaft, nicht aber derBiologie der Entwicklung Rechnung trägt.

LebensForum: Oft wird in Diskussio-nen vorgebracht, dass befruchtete Eizel-len sich nicht dauerhaft in den Körper derMutter einnisten können und unbemerktabsterben. Dass also sehr viele Frauennach Ihrer Definition Kinder gehabt ha-ben, von denen sie gar nichts wissen.

Herzog: Natürlich kommt es vor, dassEmbryonen in der Frühphase der Schwan-

gerschaft unbemerkt absterben, aber dasändert nichts daran, dass es sich dabei umeinen Menschen in einem – wenn auchsehr frühen – Entwicklungsstadium han-delt. Dies rechtfertigt vor allem keines-falls ein Eingreifen des Menschen und diewillkürliche Gefährdung oder Beendi-gung ungeborenen Lebens.

LebensForum: Wie erklären Sie einemSkeptiker, dass es sich bei einem „winzi-gen Zellhaufen“, wie manche das gerneausdrücken, um einen Menschen handelt?

Herzog: Hier muss ich wieder mit derKontinuität der Entwicklung argumentie-ren: Die innere Zellmasse der Blastozysteist zeitlich eingebettet in ein Kontinuumder Entwicklung, aus der unter günstigenUmständen ein Mensch mit voller körper-licher und geistiger Leistungsfähigkeiterwächst. Der Mensch in diesem Frühsta-dium der Entwicklung verfügt über alleEntfaltungsmöglichkeiten und genießtdaher vollen Schutz. Der Ausdruck„Zellhaufen“ ist ein Unwort, das geeig-net ist, die Bedeutung dieses Entwick-lungsstadiums zu minimieren.

LebensForum: Heute ist das Leben derUngeborenen im ganz frühen Stadium sobedroht wie nie. Neben der Forschung anembryonalen Stammzellen – Sie habensich in der öffentlichen Debatte für einVerbot ausgesprochen – wird es auch beiEltern mit Kinderwunsch immer wiederaufs Spiel gesetzt. Sei es bei der künstli-chen Befruchtung, die in vielen Fällennicht erfolgreich ist, sei es bei der Präim-plantationsdiagnostik (PID), um derenEinführung in Deutschland gestrittenwird.

Herzog: Wir sollten von der PID lieberdie Finger lassen. Neben der Tatsache,dass hier eine Selektion von Menschenvorgenommen wird, ist es auch nicht ab-sehbar, welche Schäden die Entnahmeeiner Zelle zur Überprüfung mit sichbringt. Es wird oft behauptet, dass die PIDharmlos sei, doch die Kinder, die durcheine Präimplanationsdiagnostik gechecktzur Welt gekommen sind, sind heute nochnicht alt genug, als dass mögliche Folgenüberprüft werden können.

Wir wissen aber bereits, dass andereMaßnahmen der modernen Reproduk-tionsmedizin Schäden verursachen, dieanfangs noch nicht zu erkennen sind. Beider als ICSI-Methode bekannten Spermi-eninjektion in die Eizelle ergibt sich z.B.ein vielfach höheres Risiko der Entste-hung von Fehlbildungen. Die In-vitro-Fertilisation stürzt außerdem die beteilig-ten Ärzte in Konflikte, die unzumutbarsind. So zum Beispiel, wenn eine Fraunach erfolgreicher künstlichen Befruch-tung mit Zwillingen schwanger gewordenist und die Eltern dem Arzt mitteilen: „Dashaben wir uns anders vorgestellt, wir woll-ten nur ein Kind. Sehen Sie zu, wie Sieeines von beiden wegbekommen.“ DerArzt steht jedoch im Dienste der Lebens-erhaltung, und Tötung von ungeborenenLeben aus nicht-medizinischer Indikati-on ist unärztlich. Es mag Ärzte geben,die so etwas freiwillig tun, aber für vieleentstehen unmögliche Situationen.

LebensForum: Oft wird das Erlangenvom Bewusstsein als Kriterium für einschützenswertes menschliches Leben de-finiert…

Herzog: Der Zeitpunkt einer möglichenvorgeburtlichen Bewusstseinsbildung istnoch unbekannt. Der Zweifel an derBewusstseinsbildung als Kriterium giltauch für das Leben nach der Geburt.

Ich halte die Bewusstseinsbildung nichtfür den entscheidenden Punkt. Menschenmit Behinderung genießen selbstverständ-lich den vollen Schutz der Gesellschaft.Es gibt außerdem viele Situationen inunserem Leben, in denen unser Bewusst-sein eingeschränkt sein kann. Nehmen Siez.B. einen Alkoholiker im tiefen Deliri-um – er ist nicht orientiert und besitzt si-cher kein vollständig erhaltenes Bewusst-sein, aber ist er deshalb kein Mensch? Wirmüssen aufpassen, dass wir nicht in eineHybris verfallen, die uns glauben lässt, dieklügsten oder die am besten gebildetenMenschen seien auch die wertvollsten undschutzbedürftigsten.

Das Interview mit Professor Dr. VolkerHerzog, Geschäftsführender Direktor desInstituts für Zellbiologie der UniversitätBonn, führte Veronika Blasel

„Zellhaufen ein Unwort“LebensForum sprach mit Professor Dr. Herzog über den Beginn des Menschseins

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LEBENSFORUM 2/2003 9

Gesellschaft

Ein Mitte März in der „FrankfurterAllgemeinen Zeitung“ veröffentlichterBericht „Weniger Abtreibungen inDeutschland“ sorgte unter Lesern füreine lang anhaltende Kontroverse überdie Aussagekraft der Abtreibungs-statistik. Dabei wurden auf zahlreicheUngereimtheiten hingewiesen, die er-neut Anlass zu der von Lebensrechtlernseit langem geäußerten Vermutung ge-ben, die tatsächliche Zahl der Abtrei-bungen sei mindestens doppelt so hochwie die gemeldete.

So wies etwa Manfred Spieker, Profes-sor für Christliche Sozialwissenschaftenan der Universität Osnabrück, (F.A.Z.vom 28. März) darauf hin, dass der in demBeitrag erweckte Eindruck, das Statisti-sche Bundesamt könne inzwischen kon-trollieren, ob die Krankenhäuser und Arzt-praxen, in denen Abtreibungen vorgenom-men werden, ihre Berichtspflicht einhal-ten würden, unzutreffen sei.Vielmehr seidie Abtreibungsstatistik „auch heute über-aus lückenhaft“. Spieker begründete dassdamit, dass das Schwangeren- undFamilienhilfeänderungsgesetz in § 18Abs. 3 zwar festlege, dass dem Statisti-schen Bundesamt durch die Landesärzte-kammern die Anschriften von jenen Ärz-ten zu schicken seien, in deren Einrich-tungen „nach ihren Kenntnissen“ Abtrei-bungen vorgenommen worden sind odervorgenommen werden sollen. Die gleicheMitteilungspflicht sei auch den zuständi-gen Gesundheitsbehörden im Hinblick aufdie einschlägigen Krankenhäuser aufer-legt worden. Auf dieser Grundlage lassedas Statistische Bundesamt den Ärztenund Krankenhäusern dann den Erhe-bungsbogen zukommen. Da es aber „inden Bundesländern kein einheitliches Ver-fahren zur Erfassung der Ärzte und Kran-kenhäuser, in deren Einrichtungen Abtrei-bungen durchgeführt werden“ gebe, exi-stiere „auch kein einheitliches Verfahrenbei der Meldung der Anschriften an dasStatistische Bundesamt“. Die Meldepraxisaus den einzelnen Ländern sei deshalbsehr unterschiedlich zu bewerten. Spieker:Mit der Formel „nach ihren Erkenntnis-sen“ habe sich der Gesetzgeber 1995 „ausseiner Regelungspflicht herausgemogelt“.

Trau keiner Statistik…Von 1996 bis zum Jahr 2000 habe das

Statistische Bundesamt deshalb auch je-des Jahr selbst davor gewarnt: die von ihmveröffentlichten Zahlen als zuverlässiganzusehen. Häufig lägen bei den Landes-ärztekammern „keine oder nur unzurei-chende Erkenntnisse vor. Eine Vor-befragung von ambulant niedergelassenenGynäkologinnen und Gynäkologen aus-gewählter Bundesländer zur Klärung desKreises der Auskunftspflichtigen durchdas Statistische Bundesamt führte eben-falls nicht zur sicheren Abgrenzung, dadie Wahrhaftigkeit der Antwort nicht über-prüfbar ist. Auch Antwortverweigerungenwaren zu verzeichnen. So ist nicht auszu-schließen, dass ambulante Einrichtungen,in denen Schwangerschaftsabbrüchedurchgeführt werden, weder den Landes-ärztekammern noch dem StatistischenBundesamt bekannt sind. Außerdem sindin den Zahlen der Schwangerschafts-abbruchstatistik die unter einer anderenDiagnose abgerechneten und die im Aus-land vorgenommenen Schwangerschafts-abbrüche nicht enthalten“, zitiert Spiekerdas Amt.

Seit 2001 fehlten diese Warnungen unddies, „obwohl sich weder die Rechts-grundlagen der Abtreibungsstatistik nochdie Meldeverfahren geändert haben“. Daeine Begründung für diese Änderungnicht gegeben wurde, müsse man davonausgehen, dass die Bundesregierung demStatistischen Bundesamt „eine Anweisunggab, diese Warnungen zu eliminieren, weilsie es für inopportun hielt, der eigenenStatistik mit derartiger Skepsis zu begeg-nen.“ Auch sei die für die Abtreibungs-statistik zuständige Referatsleiterin inzwi-schen aus dem Amt geschieden. Nun er-kläre das Statistische Bundesamt, es seiihm möglich, „die Einhaltung der Aus-kunftspflicht zu kontrollieren“. Da sichaber an den Bedingungen der Datenerhe-bung nichts geändert habe, könne „dieseZuversicht nur als Irreführung bezeichnetwerden“, so Spieker weiter.

Damit nicht genug: Laut Spieker lässtsich beispielsweise für das Jahr 1996 „einMeldedefizit von rund 55 Prozent“ beiAbtreibungen „nach medizinischer undkriminologischer Indikation nachweisen“.„Während das Statistische Bundesamt4874 Abtreibungen verzeichnete, wurden

allein bei den gesetzlichen Krankenkas-sen (…) 7530 Fälle abgerechnet.“ Neh-me man dieses Meldedefizit auch für dieAbtreibungen nach der Beratungsrege-lung an, komme man bereits auf rund200 000 Abtreibungen jährlich, „die dannnoch um die unter anderen Ziffern derärztlichen Gebührenordnung abgerechne-ten, um die von Privatkassen bezahlten,um die nach wie vor im Ausland vorge-nommenen, um die Mehrlingsreduktionennach In-vitro-Fertilisation und um dieheimlichen Abtreibungen“ zu ergänzenseien. Dass letztere auch noch nach der„Freigabe“ der Abtreibung noch in erheb-lichem Maße vorkomme „kommt mannicht umhin, auch nach einer restriktivenSchätzung die Zahl der vom StatistischenBundesamt gemeldeten jährlichen Abtrei-bungen zu verdoppeln.“

Der Präsident des Statistischen Bundes-amtes, Johann Hahlen, sah sich darauf hinzu einer Stellungnahme genötigt (F.A.Z.von 12. April). Darin konnte er jedochnicht nur nicht die von Spieker erhobe-nen Einwände entkräften, er räumte viel-mehr ein, dass die Regelung des § 18 Abs.3 „für sich genommen noch keine voll-ständige Erfassung der Schwangerschafts-abbrüche gewährleistet.“ Allerdings habesein Haus „in den letzten Jahren mit be-trächtlichem Erfolg durch eigene Recher-chen“ den, „wie wir Statistiker sagen,Berichtskreis im wesentlichen vervoll-ständigen können.“ So seien zwischen1998 und 2002 zu rund 1600 Ärzte undKrankenhäuser, die rund 350 hinzuge-kommen, schrieb Hahlen.

Bedenkt man jedoch, dass in Deutsch-land ein flächendeckes Abtreibungsnetzexistiert, erscheint die Zahl der Abtreibun-gen vornehmenden Einrichtungen nochimmer viel zu gering. Die Richterin RuthReimann wies in der F.A.Z vom 5. Maidarauf hin, dass sämtliche Abtreibungen,die in Deutschland lebende Frauen imAusland durchgeführt würden, von derStatistik überhaupt nicht erfasst würden.Zwar könne dies nicht dem StatistischenBundesamt angelastet werden, bei derFrage, ob die Reform des § 218 zu weni-ger Abtreibungen geführt habe oder ob dievom Bundesverfassungsgericht aufgetra-gene „Nachbesserungspflicht“ zu Tragenkomme, spiele das durchaus eine Rolle.

von Stefan Rehder

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Ausland

Was in Deutschland erstmals diskutiertwird, ist in den USA schon weit verbrei-tet: Die Embryonen-Adoption. In denVereinigten Staaten gibt es inzwischenAdoptions-Agenturen, die tiefgefro-renen Embryonen an Paare vermitteln,welche diese adoptieren wollen. So auchdie Agentur „SNOWFLAKES“ inFullerton/Kalifornien.

„Wie Schneeflocken ist jeder Embryoschwach, einzigartig und am schönstenvon Gottes Erschaffungen“, lautet der Ein-führungssatz auf der Homepage der Agen-tur „Snowflakes“. Der Slogan verrät nichtnur deren Namensherkunft, sondern lässtauch vermuten, dass es sich um eine Or-ganisation handelt, die religiöse Idealebesitzt. „Snowflakes“ ist eine Tochter-Agentur der seit über 40 Jahren in denUSA arbeitenden Agentur „NightlightChristian Adoptions“ (NCA). Die 1959von christlichen Lebensrechtlern gegrün-dete Organisation ist staatlich anerkanntund hat schon über 1500 Adoptionen ver-mittelt.

„Wir glauben daran, dass jeder Menschals Geschöpf Gottes, von Beginn seinerExistenz an, also der Verschmelzung vonEi- und Samenzelle, die Würde einer Per-son besitzt“, heißt es in einer Selbstdar-

stellung, der die christlichen Motive derAgentur zu entnehmen sind. Über NCAverliefen zunächst nur traditionelle Adop-tionen im In- und Ausland, ehe 1997 auchdie Embryonen-Adoptionen unter derTochter-Agentur „Snowflakes“ hinzuka-men.

„Snowflakes“ ist für zwei Arten vonKlienten interessant: Auf der einen Seite

für Eltern, die künstliche Befruchtungendurchgeführt haben und ihre „überzähli-gen“, tiefgefrorenen Embryonen zur Ad-option freigeben möchten, auf der ande-ren Seite für Paare, deren Kinderwunschunerfüllt ist und die gerne Embryonenadoptieren würden.

Den ersten Schritt macht ein Paar, dassEmbryonen über die Agentur adoptierenmöchte, indem es verschiedene Unterla-gen an „Snowflakes“ sendet. Dazu zäh-len nicht nur der Adoptions-Antrag, dasGutachten eines Arztes, welches beschei-nigt, dass keine Kontraindikationen füreine Schwangerschaft vorliegen, und dieKopie eines Trauscheins für die Agentur,sondern auch ein Brief, ein Lebenslaufund Fotos, die später an mögliche Spen-der-Paare weitergeschickt werden. Außer-dem muss das Paar eine Anzahlung lei-sten und eine so genannte „Homestudy“durchführen. Die „Homestudy“ ist eine inden USA verpflichtende Prüfung, die einEhepaar ablegen muss, wenn es ein ge-borenes Kind oder einen ungeborenenEmbryo adoptieren möchte.

Zu dieser Prüfung gehören das Verfas-sen eines Lebenslaufs, ein Interview, dieBefragung von Verwandten, Freundenund Arbeitskollegen des Ehepaares, sowiedie Überprüfung ihres Gesundheitszustan-des und der finanziellen Verhältnisse. AmEnde einer erfolgreichen „Homestudy“erhält das Paar ein Zertifikat, das ihreTauglichkeit als Adoptiveltern beschei-nigt. Dazu erklärt Katherine Bertrand, dieselber „Homestudies“ mit Paaren vor-nimmt: „In der ‚Homestudy‘ werden diepotentiellen Eltern nicht nur überprüft,sondern auch, und das ist viel wichtiger,auf Konflikte vorbereitet, die ein Lebenlang mit einer Adoption verbunden sind.“

Hat ein Paar die nötigen Schritte füreine Embryonen-Adoption eingeleitet,übernimmt „Snowflakes“ die Vermittlung,bei der darauf geachtet wird, dass Spen-der- und Empfänger-Paar zusammenpas-sen. Die Spender-Familie kann das Paar,

das ihre Embryonen erhalten soll, nacheigenem Ermessen unter Berücksichti-gung verschiedener Aspekte auswählen.Dazu zählen laut der Agentur: Alter, Ein-kommen, Berufsaussichten, Religion,Familienstand und Herkunft des Empfän-ger-Paars. Auch die Intensität des Kon-taktes zwischen den beiden Familien istnicht unerheblich. „Snowflakes“ vermit-telt keine anonymen Adoptionen und legtWert auf einen minimalen Kontakt. Inwie-weit dieser jedoch ausgebaut wird, bleibtden Familien selbst überlassen.

Hat die Agentur Klienten gefunden, diezusammen passen könnten, so leitet siedie Informationen (Brief, Lebenslauf,Fotos) des in Frage kommenden Empfän-ger-Paars an die genetischen Eltern desEmbryos weiter. Normalerweise erhalten

sie diese Unterlagen von verschiedenenPaaren, so dass sie dann selbst wählenkönnen, wer ihre Embryonen adoptierensoll. Hat sich das Spender-Paar für eineFamilie entschieden, so werden deren In-formationen im Gegenzug an das ausge-suchte Empfänger-Paar weitergeleitet. Istdann auch das Empfänger-Paar mit derSpender-Familie einverstanden, geht dieVermittlung in die Endphase.

Um die Embryonen-Adoption rechtlichabzusichern, unterschreiben die Klienteneinen Vertrag, in dem die genetischen El-tern ihre Eigentumsrechte auf die Em-bryonen an die Adoptiveltern abgetreten.Da bisher auch in den USA noch keineGesetze existieren, die die Embryonen-Adoption regeln, müssen die Embryonenin den Verträgen wie Eigentum behandeltwerden. Auf den Vertragsabschluss folgtder Transport der Embryonen in eine vonden Adoptiveltern ausgesuchte Klinik, inder die Implantation von tiefgefrorenen

von Matthias Lochner

Embryonen zwischenKühlfach und Mutterleib

Interessenten werden aufTauglichkeit geprüft

Alle implantierten Embryonenmüssen ausgetragen werden

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LEBENSFORUM 2/2003 11

Ausland

Embryonen durchgeführt werden kann.Dabei begrenzt „Snowflakes“ jedoch dieAnzahl der Embryonen. So erhalten dieAdoptiveltern höchstens sechs Embryo-nen, von denen erst einmal drei einge-pflanzt werden und die übrigen eingefro-ren bleiben. Nur in dem Falle, dass dieerste Implantation erfolglos geblieben ist,werden auch die weiteren drei Embryo-nen eingepflanzt. Verlief die erste Implan-

tation hingegen erfolgreich, so können dieAdoptiveltern entscheiden, ob sie die dreinoch tiefgefrorenen Embryonen für spä-tere Schwangerschaften aufbewahrenoder sie an die genetischen Eltern zurück-geben wollen.

Die Zahl sechs als Obergrenze begrün-det „Snowflakes“ mit dem Verweis auf diestatistischen Erfolgsaussichten. Demnachlägen die Überlebenschancen der Em-bryonen beim Auftauen bei 50 Prozentund die Chancen für eine erfolgreiche an-schließende Implantation bei 30 Prozent.Die Garantie, dass pro sechs Embryonenin jedem Fall ein Kind geboren wird, kanndie Agentur jedoch nicht geben. Außer-dem besteht das Risiko einer Mehrlings-schwangerschaft. Aus diesem Grund müs-sen sich die Adoptiveltern dazu verpflich-ten, alle Föten auszutragen, die nach ei-ner erfolgreichen Implantation weiter her-anreifen. Da nicht alle Spender-Paare übersechs eingefrorene Embryonen verfügen,kann es auch vorkommen, das ein Emp-fänger-Paar Embryonen von verschiede-nen Familien erhält.

Laut „Snowflakes“ vergeht zwischender Antragsstellung und der Einpflanzungder Embryonen in der Regel ein Zeitraumvon neun bis zwölf Monaten. Die Em-bryonen-Adoption ist de facto jedoch nureine Alternative für finanzstarke Ehepaa-re. Während für die genetischen Elternkeinerlei Kosten anfallen, müssen die Ad-optiveltern zwischen 5.800 und 9.000 US-Dollar für eine Embryonen-Adoption ein-kalkulieren. Für die Vermittlung berech-net „Snowflakes“ zwischen 4.000 und5.600 US-Dollar, weitere 1.800 bis 5.000US-Dollar entfallen für die „Homestudy“sowie den Transport und die Implantati-on der Embryonen.

Trotz der hohen Kosten ist es für dieVerantwortlichen von „Snowflakes“ nicht

verwunderlich, dass sich Paare nicht füreine traditionelle Adoption, sondern füreine Embryonen-Adoption entscheiden.So hätten die genetischen Eltern, die ihreEmbryonen zur Adoption freigeben, in derRegel ihre Familienplanung abgeschlos-sen und wollten keine weiteren Kinder.Die Gefahr, dass sie Jahre später ihre zurAdoption freigegebenen Kinder zurück-haben wollten, sei daher ausgeschlossen.Dadurch, dass die Adoptionen nicht an-onym sind, sei außerdem gewährleistet,dass die Embryonen nicht durch Drogen-oder Alkoholkonsum geschädigt seien.

Bis zum Juli 2002 ließen 37 FamilienEmbryonen-Adoptionen über „Snow-flakes“ laufen. Das Klientel, darunter auchPaare, die noch keine Adoption durchge-führt hatten, bestand aber schon aus 70Spender- und 48 Empfänger-Paaren. Biszum Sommer 2002 hatte die Agentur über400 der etwa 750 zur Verfügung stehen-den Embryonen vermittelt. Dabei konntedie Agentur 29 erfolgreiche Implantatio-nen und die Geburt von 18 Kindern ver-buchen, darunter fünf mal Zwillinge.

Während wohl kaum jemand etwas ge-gen traditionelle Adoptionen einzuwen-den hat, stößt die Embryonen-Adoptionbei Kritikern auf Widerstand. Auf den er-sten Blick entsteht der Eindruck, dass„Snowflakes“ die Produktion von Em-bryonen zu Zwecken der Adoption undsomit aus kommerziellen Gründen unter-stütze. Dies weist die Agentur jedoch ent-schieden zurück. Auf der Homepage heißtes: „Wir versuchen, eine Lösung für einProblem zu bieten, das bereits existiert.Wir hoffen, dass die Anzahl der produ-zierten Embryonen begrenzt wird, so dasskein Überschuss entsteht.“

Sieht man sich die Statistiken überkünstliche Befruchtungen an, so mussman der Agentur zustimmen: Einer Stu-die zufolge liegen mittlerweile allein inden USA über 400.000 Embryonen aufEis. Ihr Schicksal ist meist der Tod: Ent-weder sie gelangen direkt auf den Mülloder sie werden vorher noch zu For-schungszwecken missbraucht.

Um dies zu verhindern, unterstützeneine Reihe von amerikanischen Ärzten dieEmbryonen-Adoption, indem sie die Im-plantation von tiefgefrorenen Embryonendurchführen. So auch Joel H. Batzofin,Direktor der „Huntington Reproduktions-klinik“ in Pasadena/Kalifornien, der fürviele Ärzte spricht, wenn er sagt: „Kei-ner befürwortet die Möglichkeiten, dieuns zur Verfügung stehen, um eingefro-

rene Embryonen zu beseitigen. Deshalbist dies [die Embryonen-Adoption] eineaufregende Möglichkeit für ein anderesPaar, eine Familie zu gründen.“

In Deutschland hat die künstliche Be-fruchtung vor allem dank des restriktivenEmbryonen-Schutz-Gesetzes (ESchG)noch nicht zur Massenproduktion vonEmbryonen geführt. In der Bundesrepu-blik dürfen höchstens drei Eizellen proZyklus befruchtet und auch nur drei Em-bryonen pro Zyklus implantiert werden.Außerdem verbietet das ESchG das Ein-frieren von Embryonen. Trotz dieser strik-ten Regelung können bei der In-Vitro-Fertilisation (IVF) überzählige Embryo-nen entstehen. Deshalb forderte der stell-vertretende Vorsitzende der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der mo-dernen Medizin“ des Deutschen Bundes-tages, Hubert Hüppe (CDU) schon vorzwei Jahren dazu auf, die Embryonen-Adoption für derartige Fälle zu überden-ken. „Die Embryonen-Adoption ist einehumane und ethisch akzeptable Alterna-tive zur dauerhaften Kryokonservierung(Tiefkühlen) des Embryos oder gar zuseiner ‚Verwertung‘ als Objekt medizini-scher Grundlagenforschung“, heißt es ineiner Pressemitteilung des Parlamentari-ers. Darin macht Hüppe jedoch deutlich,

dass die Adoption eines Embryos die ab-solute Ausnahme bleiben müsse. Siekönne nur dann stattfinden, wenn etwa ausmedizinischen Gründen die ursprünglichangestrebte Übertragung des Embryos aufseine leibliche Mutter nicht mehr mög-lich sei. Finanzielle Interessen müsstenausgeschlossen sein.

„Der Argumentation, für diese Embryo-nen bestehe ohnehin keine Chance, gebo-ren zu werden und aufzuwachsen, istdurch die Möglichkeit ihrer Adoption dieGrundlage entzogen“, betonte Hüppe imBezug auf die Forscher, die die Freigabeder „überzähligen“ Embryonen zu For-schungszwecken fordern.

Weitere Informationen:www.snowflakes.orgwww.nightlight.org

Embryonenadoption stößt beiKritikern auf Widerstand

Hüppe: „Embryonen-Adoptionmuss Ausnahme bleiben“

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12 LEBENSFORUM 2/2003

Europa

Der heiße EU-HerbstBrüssel. Europa steht ein heißer Herbst

in Sachen Menschenrechte für Embryo-nen bevor. Es droht ein Dammbruch: FürSeptember hat die EU-Kommission eine neueethische Grenzziehung fürihr 6. Forschungsrahmen-programm (FRP) von 2003bis 2006 angekündigt.Doch schon seit langem be-tätigt Brüssel alle Propa-ganda-Hebel, damit siekünftig „verbrauchende“,also tötende Embryonen-forschung fördern darf. DieEU-Fetischisten der For-schungsfreiheit muten alsoden strikten Ländern wiedem HauptnettozahlerDeutschland zu, mit derenSteuergeldern Forschungenzu fördern, die im eigenenLand strafbar sind.

Im September 2002 hat-ten sich Ministerrat undKommission überraschendauf ein Moratorium bei derverbrauchenden Embryo-nenforschung geeinigt. Esbesagt unter anderem, dassdie EU aus dem 6. FRP nurdie Forschung an bereitsvorhandenen embryonalenStammzelllinien förderndarf. Doch das Moratoriumläuft Ende diesen Jahresaus.

Die Kommission, derdiese Atempause ein Dorn

im Auge ist, misst der Stammzellen-forschung eine fast heilsgeschichtlicheBedeutung für das Schicksal Europas bei

und legt einen erstaunlichen missionari-schen Eifer an den Tag, um mit ihremAnsatz Terrain zu gewinnen. In einem Be-

richt vom April wird dieStammzellenforschung als„eines der vielversprech-endsten Gebiete der Biotech-nologie“ beschrieben, weilsie die Heilung chronischerKrankheiten, wie Diabetes,Parkinson oder Herzschwä-che in Aussicht stellt. DasForschungsgebiet (allerdingsan allen Stammzellen, auchden ethisch unbedenklichenvon Erwachsenen und ausNabelschnurblut), fällt im 6.FRP unter den vorrangigenThemenbereich 1 „Biowis-senschaften, Genomik undBiotechnologie im Diensteder Gesundheit“. Für ihnsind allein 2,5 der 17,5 Mil-liarden Euro vorgesehen. Esgehe um einen Markt, der bis2005 allein in Europa 100Milliarden Euro umfasse undder bis 2010 die USA über-hole. Der Europäische Ratversprach sich vom 6. FRPim März 2000, die EU „zumwettbewerbsfähigsten unddynamischsten wissensba-sierten Wirtschaftsraum derWelt zu machen, der fähigist, ein dauerhaftes Wirt-schaftswachstum mit mehrund besseren Arbeitsplätzenund einem größeren sozialen

von Georg Eble

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2000 2001 2002MärzDer Europäische Ratbeschließt in Lissabondas 6. Forschungsrah-menprogramm (FRP)

HerbstDie National Institutesof Health (USA) legenein Register für humaneembryonale Stammzel-len an

JanuarDeutschland führteine Stichtagsrege-lung bei der em-bryonalen Stamm-zellenforschung ein

FebruarDie ersten Lizenzender britischen Hu-man Fertilizationand Embryology Au-thority (HFEA) fürdie Forschung anEmbryonen an dasImperial College(London) und dieUniversität Edinburg

SeptemberEU-Moratorium zur For-schungsförderung für ver-brauchende (tötende) Em-bryonenforschung

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LEBENSFORUM 2/2003 13

Europa

Zusammenhalt (!) zu erzielen“. Tatsäch-lich entfielen bis diesen April nur 9 der15000 Förderanträge aus dem 6. FRP aufdie embryonale Stammzellenforschung.

Mit allerhand Tricks und viel Schaumvor dem Mund versuchte die EU-Kom-mission bislang, den Schwerpunkt auf em-bryonalen statt auf adulten Stammzellendurchzudrücken. Einen ersten „Dis-kussionsentwurf“ zog sie im März zurück,nachdem ihr nicht nur der stellvertreten-de Vorsitzende der Bundestags-Enquete-kommission „Recht und Ethik der moder-nen Medizin“, Hubert Hüppe, „euphori-sche“ Einseitigkeit vorgeworfen hatte.

Im März versuchte die Kommissionglauben zu machen, eine breite Mehrheitin jedem Mitgliedsland, auch in denen mitstrenger Regelung, stehe hinter dem Gen-Check vor der Einpflanzung von Embryo-nen (PID) und dem „therapeutischen Klo-nen“ (Schaffung von Embryos alsmenschliches Ersatzteillager). Hierbeiberiefen sich die Eurokraten auf ihrEurobarometer. Was Lebensschützer her-ausfanden: Die Kommission hatte in derUmfrage allgemein nach dem „therapeu-tischen Klonen von Zellen“ gefragt.

Doch das Europäische Parlament fuhrder Kommission im selben Monat in dieParade: Es forderte nicht nur das Aus-klammern jeder Art des Klonens von derFörderung, sondern dessen totales Verbotin der EU. So erfreulich diese Stellung-nahme für Lebensschützer war, so gefähr-lich wäre mittelfristig ihre 1:1-Umset-zung. Damit hätte nämlich die EU neuer-dings ein rechtspolitisches Mandat in die-ser Materie. Dieses könnte allzu leichtstrenge einzelstaatliche Gesetze wie inDeutschland oder Irland aushebeln, wenndie Stimmung in Straßburg kippt. For-schungskommissar Philippe Busquin hat-te ja gerade versucht, die Kritiker in ei-nem Bericht seiner Generaldirektion For-

schung zu beruhigen: „Die Regulierungethischer Angelegenheiten fällt unter denZuständigkeitsbereich der Mitgliedsstaa-ten.“

Dagegen scheiterte in dieser ersten Le-sung ein Antrag auf ein völliges Verbotder Forschung an „überzähligen“ Em-bryonen, die nach den auch in Deutsch-land erlaubten künstlichen Befruchtungen(In-vitro-Fertilisation, IVF) verworfenwerden, denkbar knapp mit einem Patt:232 Abgeordnete stimmten mit Ja, eben-so viele mit Nein.

Im selben Monat inszenierte die EU-Kommission ein „interinstitutionellesSeminar“, auf dem drei von vier Wissen-schaftlern die embryonale Stammzellen-forschung forderten. In einem Bericht,den die Kommission dazu reichte, heißtes dann: „Die Stammzellforschung dürf-te sich (...) ebenso bedeutend für dieGrundlagenforschung wie für andere spe-zifische Anwendungen erweisen.“ Mitkaum verhohlener Sympathie lobt dieKommission die beiden Länder mit denbeliebigsten Vorschriften als aufkläre-risch: „Sowohl in Schweden wie auch imVereinigten Königreich wurde die Not-wendigkeit erkannt, öffentliche Stamm-zellbanken, auch für humane embryona-le Stammzellen, aufzubauen.“

Und EU-Forschungskommissar Philip-pe Busquin, ein Belgier, vergisst bei derPropagierung seiner Forschungsförderunggern mal die Regeln der Toleranz: Erkanzelte die Gegner als „Taliban“ ab, aufdie Europa gut verzichten könne. Der Vor-sitzende des Forschungsausschusses imEuropäischen Parlament, der spanischeSozialist Carlos Westendorp y Cabeza,versuchte ebenfalls, die Kritiker in eineSchublade zu drücken: Es gebe in derDiskussion „extreme Standpunkte“, sag-te er und meinte damit freilich nicht sei-ne eigenen. Die Skeptiker verglich er mit

Georg Eble (33) ist Wirtschaftsredakteurfür das Monatsmagazin „Business in Ba-den“ und das „Offenburger Tageblatt“sowie ALfA-Bundesdelegierter.

der Seite der Religion und der Inquisitiongegenüber der Wissenschaft im Fall Ga-lilei. Busquins Kollege für Entwicklungund humanitäre Hilfe, Poul Nielson, hatlaut der Organisation C-Fam eine Infor-mations-Sammelstelle eingerichtet, dasdie US-Lebensrechtsbewegungen beob-achten soll. Lebensschützer beeinflusstenauch EU-Politiker negativ.

Nach Redaktionsschluss beriet der EU-Ministerrat einen neuen Entwurf derDurchführungsbestimmungen. Die EU-Forschungsförderung für embryonaleStammzellenprojekte indes lässt sich nachEinschätzung des Arbeitsgruppen-Vorsit-zenden Bioethik der EVP-Fraktion imEuropäischen Parlament, Dr. Peter Liese,nicht ganz verhindern. Der über jedenVerdacht erhabene Lebensschützer sprichtsich aus pragmatischen Gründen dafüraus, die deutsche Stichtagsregelung fürdie Verwendung von Stammzelllinien aufdas 6. FRP zu übertragen. Das würde eserschweren, weitere Embryonen ihrerStammzellen zu berauben und sie damitzu töten. Der Ratsbeschluss geht voraus-sichtlich zur zweiten Lesung ins Parla-ment, das vermutlich den Vermittlungs-ausschuss anrufen wird. Für Lobbyarbeitvon Lebensschützern in Straßburg und ge-genüber der Bundesregierung, die dasEmbryonenschutzgesetz angeblich eben-falls verwässern will, gibt es also genugzu tun.

2003JanuarBeim britischen National In-stitute for Biological Stan-dards and Control (NIBSC)nimmt die weltweit erste um-fangreiche öffentlich finan-zierte Stammzellenbank ihreArbeit auf.

AprilEU-Parlament fordert völli-ges Klonverbot. Antrag aufVerbot der Forschung an"überzähligen" Embryonenscheitert knapp. Die EU-Kommission inszeniert einSeminar zur Stammzellen-forschung. Belgien erlaubt"therapeutisches" Klonenund die Forschung an "über-zähligen" Embryonen

MärzDie EU-Kommission veröf-fentlicht ihre Umfrage "Euro-peans and Biotechnology2002": Mehrheit für Klonenund verbrauchende (töten-de) Embryonenforschung

JuniDer EU-Ministerrat berätüber einen "GemeinsamenStandpunkt" zu den FRP-Durchführungsbestimmun-gen

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Vom 14. bis 16. Mai beherbergte dasHotel Estrel in Berlin eine der illu-stresten Gesellschaften, die sich der ge-wöhnliche Erdenbürger vorstellenkann. Denn in „Europas größtemConvention–, Entertainment– und Ho-tel–Komplex“ mit seinen 1.125 Zim-mern, fünf Restaurants, zwei Bars, ei-nem Schiffsanleger und der täglichenLive-Show „Stars in Concert“ hatteBundesforschungsministerin EdelgardBulmahn (SPD) zur „InternationalenKlonkonferenz“ geladen. Neue Er-kenntnisse hat die Konferenz, die meh-rere hundert Forscher zusammenführ-te, kaum gebracht. Welchen Erfolg manihr beimisst, hängt daher vom Stand-punkt ab, den der Beobachter ein-nimmt.

„Vergnügen sucht der Mann sich inGefahren“, heißt es bei Goethe. Unter-stellt, das Ausmaß des Vergnügens wach-se noch mit dem der Gefahren, dann dürftedie Konferenz „Klonen in biomedizini-scher Forschung und Reproduktion“ zu-mindest Ludger Honnefelder ein kaum zubeschreibendes Vergnügen bereitet haben.Denn der emeritierte Philosophiepro-fessor und renommierte Bioethiker, indessen Vita regelmäßig nur fehlt, dass erauch Priester der römisch-katholischenKirche ist, hatte es unternommen, im Auf-trag des Bundesministeriums für Bildung,Wissenschaft, Forschung und Technolo-gie eine dreitägige internationale Konfe-renz zu organisieren, welche die „ethi-schen, rechtlichen und gesellschaftlichenGrenzen“ des Klonens aufzeigen sollte.Auch für den Leiter des „DeutschenReferenzzentrums für Ethik in denBiowissenschaften“ (DRZE) kann daskein einfaches Unterfangen gewesen sein;bereitet doch die Biopolitik der RegierungSchröder seit Jahren all jenen erheblichesKopfzerbrechen, die sich nicht bereit fin-den, im vermeintlich Nützlichen immerauch schon gleich das Sittliche mit erblik-

von Stefan Rehder

Stelldichein derKlonforscher in Berlin

ken zu wollen. Und weil bekanntlich auchmalt, wer zahlt — 300.000 Euro, heißt esaus dem Ministerium, sollen für die Kon-ferenz veranschlagt worden sein — konn-ten das Programm und das Tableau derRedner eigentlich nur diejenigen überra-schen, die erwartet hätten, dass die Hin-terlist der Ministerialbürokraten ihrenHochmut noch zu übertreffen in der Lagewäre. Dabei hätten sich die Verantwortli-chen eigentlich ausrechnen können, dassein derart einseitig besetztes Podium, wiees in Berlin aufgefahren wurde, nicht nurden Widerstand von Lebensrechtlern inund außerhalb des Parlaments hervorru-fen würde (vgl. auch S. 36). Auch bei denJournalisten, die fast ein Fünftel der rund400 Teilnehmer ausmachten, sorgte dieAuswahl der Referenten für spürbarenArgwohn.

Zu ihnen gehörten Stammzellforscherwie Rudolf Jaenisch, Detlev Ganten, JensReich oder Axel Kahn. Mit von der Partiewaren auch Harry Griffin, Chef desRoslin-Instituts, das Dolly geklont und voreinem Monat den Beginn des Klonens

menschlicher Embryonen angekündigthat, und Ulf Rapp, der sich bereits Ende2000 vor dem „Würzburger Kreis“ für dieZulassung des Klonens stark gemacht hat,um aus Klonembryonen Stammzell-Lini-en herstellen zu können. Unter den imKonferenzprogramm ausgewiesenen 41Referenten, verträten, so die „SüddeutscheZeitung“ lediglich fünf eine „abwägendebis skeptische Haltung“. Die berechtigtmassive Kritik von Abgeordneten wie demStellvertetenden Vorsitzenden der En-quete-Kommission „Ethik und Recht dermodernen Medizin“ Hubert Hüppe sowieder Stellvertretenden Vorsitzenden derCDU/CSU-Bundestagsfraktion Maria

Böhmer (beide CDU) oder dem Stellver-tretenden Grünen-Fraktionschef ReinhardLoske und seiner Parteifreundin ChristaNickels, Obfrau der Bündnisgrünen in derEnquete-Kommission sowie Lebens-rechtsorganisationen wie der Initiative„Stoppt PID und Klonen“, ließen die Kon-ferenz noch vor ihrem Beginn in einemunvorteilhaften Licht erscheinen.

Daher hängt auch die Beurteilung derLichtverhältnisse, die während der Kon-ferenz geherrscht haben, ganz davon ab,welchen Ausgangspunkt der Beobachterfür seine Betrachtungen wählt. Stellt ersich auf einen idealen Standpunkt undmisst Verlauf und Erfolg der Konferenzan Maßstäben, nach denen eine halbwegsausgewogene Veranstaltung zu organisie-ren gewesen wäre, dann hat die Interna-tionale Konferenz, an der Experten ver-schiedener Disziplinen aus 23 Staaten ausEuropa, Asien, Nord– und Südamerikasowie Australien teilnahmen, nur wenigLicht und viel Schatten verbreitet. Vondieser Warte aus wäre nicht nur kritischanzumerken, dass auf den Stand der For-schung mit den als ethisch unproblema-tisch geltenden adulten Stammzellen in-haltlich überhaupt nicht eingegangenwurde. Das muss insofern besonders be-fremden, als die wenigen therapeutischenErfolge, die bislang erzielt werden konn-ten, ausnahmslos mit adulten Stamm-zellen realisiert wurden. Anders als beiden embryonalen Stammzellen, die aussogenannten überzähligen Embryonenoder aus eigens durch Klonierung erzeug-ten Embryonen, gewonnen werden, mussfür die Gewinnung adulter Stammzellenkein Embryo sein Leben lassen. Vielmehrlassen sich diese aus unterschiedlichenQuellen, wie Nabelschnurblut, dem Rük-kenmark oder sogar aus Fettgewebe iso-lieren. Allein der australische PhilosophNicholas Tonti-Filippini von der Univer-sität Melbourne wies am letzten Tag derKonferenz darauf hin, dass es inzwischenrund 1.500 wissenschaftliche Veröffent-lichungen auf diesem Gebiet gebe. Doch

Nationale Gesetzgebung vonWeltanschauung geprägt

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LEBENSFORUM 2/2003 15

Bioethik

Foto: dpa

ein Experte, der im Verlauf der Konferenzden Teilnehmern einen Überblick über denStand der Forschungen hätte geben könn-te, fehlte. Auch dass in der Runde am Frei-tag vormittag, in der die Vertreter ver-schiedener Staaten die nationalen rechtli-chen Regeln über den Umgang mit demEmbryo in vitro vorstellten und diskutie-ren, allein die deutsche Vertreterin,Kristiane Weber-Hassemer, Mitglied inSchröders Nationalem Ethikrat, die eige-ne Gesetzgebung scharf kritisierte, mussvom idealen Standpunkt aus mehr als be-fremden. Das deutsche Embryonen-schutzgesetz (ESchG) geißelte Weber-Hassemer als in seiner „Rigorosität inter-national unerreicht“ und verstieg sich zuder Behauptung, dass ein „Verbot jegli-chen Klonens“ ohnehin „verfassungs-rechtlich problematisch“ sei.

Immerhin wurde in dieser Runde deut-lich, dass keine nationale Gesetzgebungfrei von weltanschaulichen Implikationenist. Völlig ungeniert nahm der JapanerRihito Kimura vom Internationalen Insti-tut für Bioethik und Biorecht der WasedaUniversität in Tokio Zuflucht bei der„Harmonie“. Sein chinesischer KollegeRen-Zong Qiu vom Institute für Philoso-phie der Chinesischen Akademie für So-zialwissenschaften berief sich in seinenAusführungen frank und frei auf Yin undYang. Und der bereits erwähnte Tonti-Filippini schloss sein Statement, indem erein Bild Johannes Paul II. auf die Lein-wand projizierte. Da fiel es schon fastpeinlich auf, dass nur die Vertreter des„alten Europas“ auf derartige Grundlagen– etwa die Bezugnahme auf die Gottes-ebendbildlichkeit des Menschen, als dietiefreichendste Begründung einer Kon-zeption der Menschenwürde – verzichtenzu können glaubten.

Vom idealen Standpunkt aus wäre wei-ter zu bemängeln, dass auf der Konferenzoffensichtlich weniger eine Rolle spielte,was gesagt wurde, als wer etwas sagte. Sowurde etwa der kurzfristig ins Programmaufgenommene Beitrag einer attraktivenisraelischen Wissenschaftlerin — im üb-rigen eine der ganz wenigen Frauen — diedas Podium betraten, mit Applaus be-dacht, obgleich sie das sogenannte thera-peutische Klonen mit Sätzen anpries, wie:„Gott hat das Unkraut geschaffen, aberden Menschen, um das Unkraut zu jäten.“Hätten Otmar Wiestler, der gemeinsammit Oliver Brüstle in Bonn an aus Israelimportierten embryonalen Stammzellenforscht, und für den die Israelin ins Pro-gramm genommen wurde oder ihr Vorred-ner Rudolf Jaenisch sich einer deratigen

Wortwahl befleißigt, wäre es wohl zumEklat gekommen.

Die Thesen, die der Deutsche, der amWhitehead Institute für biomedizinischeForschung arbeitet, in gleich zwei Vorträ-gen entfaltete, und mit denen er sowohldas Klonen von Menschen zum Zweckeder Geburt ablehnte als auch die Klo-nierung menschlicher Embryonen zuForschungszwecken befürwortete, lassensich kurz so zusammenfassen: Beim Klo-nen, bei dem im Labor ein Wesen geschaf-fen wird, dessen Erbgut mit dem einesbereits existierenden oder eines frühereinmal existenten Wesens identisch ist,handele es sich gar nicht um ein einzigar-tiges Individuum. Weiter seien die durchdie manipulierte Form der Erzeugung insLeben gerufenen Wesen biologisch be-trachtet nicht normal. Vielmehr wiesen sie— eine Ausnahme stellt nur das Rind dar— so schwere Schädigungen auf, dass es,sofern es sich um menschliche Klone han-delt, ein Verbrechen wäre, sie zu gebären.Da sie aber keine einzigartigen Menschenseien, könnten sie statt dessen als Stamm-zelllieferanten, den ihnen zugedachtenNutzen erfüllen. Was Jaenisch also vor-schlägt, ist folgendes: Manipulation der

menschlichen Fortpflanzung mit demZiel, Kreaturen — oder wie Jaenisch sichausdrückt „Artefakte“ — zu erzeugen, dienicht im üblichen Ausmaß lebensfähigsind und denen man deshalb nicht denSchutz des Lebens schulde, den jene ge-nießen, die ohne solche Manipulation insLeben gerufen wurden. Vom idealenStandpunkt aus hat die Konferenz „Jae-nisch et al.“ eine Plattform geboten, die-se Konzeption ohne Alternative bewerbenzu können, und das von der Bühne einesLandes aus, in dem jegliches Klonen ver-boten ist.

Wie aber sieht nun die Bilanz der Kon-ferenz aus, wenn der Betrachter nicht denidealen Beobachtungsstandpunkt wähltund sich statt dessen auf das von den Ver-anstaltern arrangierte Szenario einlässt?Überraschend anders. So dürfte etwa dieeinseitige Besetzung des Podiums mitverantwortlich dafür gewesen sein, dassviele von denen, die mit dem Schutz desLebens nicht zu geizen bereit sind, sichnach Berlin aufgemacht haben, um durchfachkundige Wortmeldungen die Referen-

ten in die Schranken zu weisen undSchlimmeres zu verhüten. Damit nichtgenug: Die intellektuelle Dünnbrüstigkeit,mit der bisweilen Argumente für das Klo-nen vorgebracht wurden, trat offen zuTage. Besonders hervorzuheben sind hieretwa die Ausführungen von Dan Brockvom National Institutes of Health (NIH),der die „Sozialverträglichkeit von repro-duktiven Klonverfahren“ anhand einerkurzen Checkliste von Vor- und Nachtei-len (benefits and harms) abhandeln zukönnen glaubte. Ähnliches galt auch fürden Versuch von Christoph Rehmann-Sutter, mittels Sprachspielereien den Be-griff der Totipotenz aufzulösen. Dabeischied der Präsident der „NationalenEthikkommission im Bereich Humanme-dizin“ (NEK) der Schweiz die „Potenz“in „passive“ und „aktive“ und verwieserstere mir-nichts-dir-nichts einfach inden Bereich des Nichts.

Immerhin hat die Konferenz, bei der diewenigen Kritiker auf dem Podium, zudenen neben Dietmar Mieth auch OttfriedHöffe, Friedo Ricken sowie der Münche-ner Molekularbiologe Eckard Wolf gehör-ten, an dieser Stelle deutlich gemacht, auswelcher Richtung in der Status-DebatteGefahr droht. Störende Befunde, wie dender Totipotenz sollen einfach unter denLabortisch gekehrt werden und sich nurnoch mit leicht operationalisierbaren Be-griffen begnügt werden.

Als Rudolf Jaenisch dieses beinah imVerlauf der Konferenz gelungen wäre,wechselte Ludger Honnefelder flugs dieRollen. Dem Stammzellforscher hieltnicht mehr der Konferenzmanager son-dern der Bioethiker plötzlich scharfentgegegen: Ein Problem gäbe es nurdann nicht, falls Jaenisch zeigen könne,dass der Klon eines Menschen keinMensch sei. Sofern er aber nur belegenkönne, dass der Klon eines Menschen„kein normaler“ Mensch sei — zitierteHonnefelder Jaenisch — bekäme man einProblem. Weil im Verlauf der Internatio-nalen Klonkonferenz Biobastler wieDetlev Ganten, Harry Griffin, RudolfJaenisch und Anna Wobus derart demas-kiert wurden, dass sie am Ende wie un-vernünftige Kinder darstanden, die vonder Gesellschaft die Lösung von Proble-men verlangten, die diese ohne sie garnicht hätte, kann die Konferenz jenseitsdes idealen Standpunkts als Erfolg gewer-tet werden.

Störende Befunde unter denLabortisch gekehrt

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Essay

von Clemens Christmann

„Familien – Lastesel der Gesellschaft“lautet das Thema, das Sie mir aufgetra-gen haben und über das ich mit Ihnen heu-te nachdenken möchte. Es ist eine Fest-stellung - ohne Fragezeichen und ohneanklagendes Ausrufezeichen. Einverstan-den. Bis auf eine Kleinigkeit. Wenn von„Gesellschaft“ die Rede ist, kommt mirdie ehemalige britische Premierministe-rin Margaret Thatcher in den Sinn. „Thereis no such thing as a society“ sagte sie.Ihr ging es um die Befreiung des einzel-nen Bürgers von dem Joch angeblichwichtiger kollektiver Belange, also ausdem sozialistischen Gesellschafts-Ge-fängnis, wo Gewerkschaftsführer undBürokraten die Wächter sind. Thatcherbewirkte – trotz aller Fehler und Misser-folge - einen heilsamen Perspektiv-wechsel. Das freiheitsberechtigte undverantwortungsfähige Individuum undseine Interessen, kamen in den Mittel-punkt der politischen Diskussion.

Es erscheint mir als nicht ganz präzise,wenn Familien als Lastesel der Gesell-schaft bezeichnet werden. Familienange-hörige sind wie alle anderen Individuenauch Teile der Gesellschaft. Sein eigenerLastesel kann man aber nicht sein. Tref-fender wäre die Aussage: „Familien —Lastesel der Nicht-Familien.“ Diese Be-griffsbestimmung ist weit mehr als eineSprachübung. Wenn wir Familien besserstellen wollen, ist es ein großer Unter-schied, ob wir ungenau an „die Gesell-schaft“ appellieren, oder ob wir fordern,dass Familien zu Lasten von Nicht-Fami-lien besser gestellt werden. Der erste Wegbringt uns lediglich die Sympathie undZustimmung aller Sonntagsredner und dermeist politisch halb oder falsch informier-

Familien - Lasteselder Kinderlosen

ten Bürger ein. Geholfen hat der Appellan die nebulöse „Gesellschaft“ den Fami-lien bislang fast nicht.

Der zweite Weg ist zielführender, abersteiniger. Denn er erfordert die „politischunkorrekte“ Unterscheidung von Lebens-stilen. Es gleicht einem Tabubruch, wennman konkretisiert, wer zu den Nicht-Fa-milien gehört: Es geht um Paare und umAlleinstehende, die weder mit Kindernnoch mit den eigenen Eltern oder anderenAngehörigen im eigenen Haushalt zusam-menleben. Natürlich gehören sie auch zuFamilien, aber sie leben zumeist nicht alsFamilie. Und gerade weil sie zumeist nichtals Familie leben, vermögen sie völliganders zu leben als Familien, in denen Tagund Nacht „Eltern für Kinder oder Kin-der für Eltern Verantwortung tragen“ – wiees die CDU treffend definiert hat. Ich hal-te es für politisch zielführender, den im-mer sichtbareren Konflikt zwischen Fa-milien und Nicht-Familien klar zu benen-nen und nichts zu beschönigen. Es deutetvieles darauf hin: Familien sind die Last-esel der Kinderlosen.

Wohlgemerkt: Dies ist eine statistischeAussage. Statistik macht Aussagen überalle, aber nicht über jeden. Familien sinddie Lastesel der Kinderlosen - dies ist auchkeine moralische Aussage, die „Schuldi-ge“ identifiziert. Diese These beschreibtdie kollektive Beziehung zwischen denFamilienhaushalten mit Kindern und je-nen Haushalten ohne Kinder. Sie sagtnichts aus, warum jemand in einer Fami-lie oder kinderlos lebt. Erst recht werdendie Motive für die Lebensformentschei-dung nicht bewertet. Und dennoch ziehtman sich den erbitterten Zorn vieler Kin-

derloser, gerade der wegen Unfruchtbar-keit unfreiwillig Kinderlosen zu, wennman dieses tabuisierte Thema anschnei-det. Deshalb noch eine letzte Klarstellung:Selbstverständlich ist derjenige, der ineiner Familie lebt, nicht der bessereMensch. Und es gibt hunderttausendfachBeispiele von Kinderlosen, die einen auf-opferungsvollen Dienst am Nächsten, ander Gemeinschaft leisten. Und – leider –wird das Versagen vieler Eltern in der Er-ziehungsaufgabe immer sichtbarer. Abertrotzdem lässt sich die These formulieren:In Deutschland stellt der Staat Kinderlo-se systematisch besser als Familien, ja,wir können sogar sagen, der Staat diskri-miniert Eltern und Kinder mit der Wir-kung, dass Familien die Lastesel der Kin-derlosen sind. Dies möchte ich in diesemReferat zeigen.

Der Text ist wie folgt gegliedert: Zu-nächst geht es um die wirtschaftliche Lageder Familien. Danach werden drei Krite-rien formuliert, um die „Lastesel-These“zu analysieren. Zur Überprüfung der The-se lade ich Sie dann ein, mit mir einenkritischen Blick auf die gesetzlichen So-zialversicherungen zu werfen. Danach –der Abdruck erfolgt in der nächsten Aus-gabe des Lebensforums - werde ich unserSteuersystem, und zwar sowohl die Ein-kommensteuer als auch die Verbrauch-steuern, beleuchten. Anschließend geht esum die Ausgaben von Staat und Kommu-nen, dass heisst um Lug und Trug bei denviel zu hoch ausgewiesenen Leistungender Familienförderung. Eine Bilanz derbedeutendsten Benachteiligungen vonFamilien und ein familienpolitischer Aus-blick bilden den Schluss.

LebensForum veröffentlicht in dieser und der nächstenAusgabe einen Vortrag, den der Autor auf der diesjähri-gen Bundesdelegiertenversammlung der ALfA in Königs-winter am 02./03. Mai gehalten hat. Der erste Teil behan-delt die wirtschaftliche Lage der Familien im Vergleichzu Kinderlosen sowie den Reformbedarf zugunsten von

Familien in den gesetzlichen Alterssicherungssystemen.Der zweite Teil wird in der Ausgabe Nr. 67 erscheinen.Darin kritisiert der Autor, wie Familien im Steuerrechtbenachteiligt werden und wie durch eine zu hoch ausge-wiesene finanzielle Familienförderung Lug und Trug inder Familienpolitik betrieben wird.

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LEBENSFORUM 2/2003 17

Essay

Wagen wir also nun den Ritt durch dieGeisterbahn unseres Sozialstaats. Ichmöchte Sie gleich warnen. Es wird ausSicht der Familien nicht nur eine schreck-liche Fahrt, sondern auch ein anstrengen-der Ausflug, da wir es sowohl mit der gan-zen Komplexität des Steuer- und Sozial-rechts zu tun haben werden als auch mitder ermüdenden Trockenheit statistischerDaten.

Gerade mal das Existenzmini-mum verbleibt einer Familie

Wirtschaftlich geht es der Durch-schnittsfamilie so gut wie nie zuvor – inabsoluten Zahlen. Im Vergleich zu denHaushalten ohne Kinder - in relativenZahlen - haben Familien aber eine deut-lich reduzierte wirtschaftliche Position.Betrachten wir dazu das Nettoeinkommenpro Kopf der Mitglieder eines Haushalts.

Eltern mit Kindern werden durch Sozi-alversicherungsbeiträge und Steuern sostark belastet, dass vom Bruttoeinkom-

men nur ein Betrag übrig bleibt, der proKopf eines Haushaltsmitglieds meistensnoch nicht einmal das Existenzminimumerreicht: Schon eine vierköpfige Familiemit 30.678 Euro Jahresbruttoeinkommen,das ist mehr als der Lohn eines durch-schnittlich verdienenden Alleinverdieners(27.316 Euro) lebt im Jahr 2003 unterhalbdes steuerrechtlichen Existenzminimums(26.086 Euro): Das frei verfügbare Pro-Kopf-Nettoeinkommen eines solchenEhepaars mit zwei Kindern, also das, wasjedes Familienmitglied nach Abzug vonSteuern und Sozialbeiträgen und nach Er-halt des Kindergelds vom Bruttoeinkom-men übrig behält, liegt pro Monat um 10Euro unter dem Existenzminimum desSteuerrechts. Im Gegensatz dazu hat einkinderloser Alleinstehender mit gleichemBruttoeinkommen 10.559 Euro pro Jahroder 880 Euro monatlich mehr als dasExistenzminimum zur freien Verfügung.Das zeigt die folgende Tabelle.

Da jeder weiß, dass man nur der Stati-stik trauen darf, die man selbst gefälschthat, ist jeder Statistik gegenüber mit Skep-sis zu begegnen. Daher möchte ich vor-

weg zwei Einwänden vorbeugen. Erstens:Nicht aufgenommen sind das Bundeser-ziehungsgeld und die in einigen Länderngezahlten Landeserziehungsgelder. Siewerden in den ersten zwei Jahren bzw. imdritten Lebensjahr des Kindes gewährt.Maximal erhalten Eltern 307 Euro proKind und Monat. Jede zweite Familie er-hält aber nur das Bundeserziehungsgeldund auch nur sechs Monate lang, da dieseLeistungen einkommens- und erwerbs-tätigkeitsabhängig sind. Diese Familienbekommen insgesamt 1.842 Euro proKind, was umgerechnet auf den Zeitraumder Kindheit und Jugend eine Leistungvon 102 Euro pro Kind und Jahr bedeu-tet. Die Bundes- und Landeserziehungs-gelder sind in Relation zu dem hohen Ein-kommensnachteil von Eltern gegenüberKinderlosen also sehr gering und dahervernachlässigbar.

Zweitens: In der Tabelle werden Haus-halt mit jeweils nur einer erwerbstätigenPerson verglichen. Tatsächlich haben diemeisten kinderlosen Ehepaare zwei Ein-kommen, während in den meisten Fami-lien der zweite Elternteil wegen derFamilienaufgaben oftmals „nur“ in Teil-zeit erwerbstätig sein kann oder will. We-gen der eingeschränkten Möglichkeit zurErwerbstätigkeit von Eltern ist der abso-lute Unterschied der verfügbaren Pro-Kopf-Einkommen zwischen Haushaltenmit und ohne Kinder noch größer als indieser Tabelle ausgewiesen. Jedoch über-sieht die oft daraus geschlussfolgerte For-derung, Eltern - insbesondere Mütter -sollten stärker erwerbstätig sein, denUmstand, dass das Sozialversicherungs-und Steuerrecht durch die hohe Abgaben-belastung Familien zwangsweise benach-teiligt, während die Entscheidung überden Umfang der Erwerbstätigkeit freiwil-lig, d. h. frei von staatlichem Zwang, er-folgen kann und muss. Politisch relevantist nur jener Teil des Einkommensnach-teils, der aufgrund einer Diskriminierungerfolgt. Denn die Frage der Aufgabenver-teilung zwischen den Eltern und die Formund der Umfang ihrer Erwerbstätigkeitund damit ihres Bruttoeinkommens sindnicht von der Politik, sondern individuellin den Familien zu entscheiden. Ob undwann beide Eltern arbeiten, soll allein ihreSache sein. Deshalb können hier verschie-dene Haus-haltstypen mit gleichem Haus-haltseinkommen verglichen werden.

Es bleibt festzuhalten: Familien habenein deutlich geringeres Pro-Kopf-Ein-kommen als kinderlose Haushalte. Die-ser Befund zeigt sich seit vielen Jahren inDeutschland. In Baden-Württemberg hatdas Statistische Landesamt die Entwick-

Einkommen/Abzüge Euro

Personenzahl

Jahreseinkommen Brutto

abzg. Lohnsteuer

abzg. Soli 5,5 %

abzg. Kirchensteuer

abzg. Sozialversicherung

zzgl. Kindergeld

Jahreseinkommen Netto

abzg. steuerrechtlichesExistenzminimum:

für Erwachsene

für Kinder

Existenzminimum

Frei verfügbaresJahreseinkommenNetto pro Haushalt

Frei verfügbaresJahreseinkommenNetto pro Person

ledigohne Kind

Ehepaarohne Kind

Ehepaar1 Kind

Ehepaar2 Kinder

Ehepaar3 Kinder

Ehepaar4 Kinder

1

30.678 30.678 30.678 30.678 30.678 30.678

2 3 4 5 6

-5.612

-309

-505

-6.458

-2.332

-78

-210

-6.458

-2.332

0

-84

-6.458

-2.332

0

0

-6.458

-2.332

0

0

-6.458

-2.332

0

0

-6.458

0 0 1.848 3.696 5.544 7.692

17.794 21.600 23.652 25.584 27.432 29.580

-7.235

0

-14.470

0

-14.470

-5.808

-14.470

-11.616

-14.470

-17.424

-14.470

-23.232

-7.235 -14.470 -20.278 -26.086 -31.894 -37.702

10.559 7.130 3.374 -502 -4.462 -8.122

10.559 3.565 1.125 -126 -892 -1.354

30.678 30.678 30.678 30.678

Berechnung anhand Allgemeiner Jahreslohnsteuertabelle 2002. Existenzminimum für Kin-der: Sächliches Existenzminimum 3.648 Euro, Freibetrag für Betreuung, Erziehung, Ausbil-dung 2.160 Euro. Kindergeld: Für das 1., 2. und 3. Kind jeweils 154 Euro monatlich, für das 4.und weitere Kinder 179 Euro.

Quelle: Eigene Berechnungen basierend auf BORCHERT, JÜRGEN (2003): Der „WiesbadenerEntwurf“ in: HESSISCHE STAATSKANZLEI: Die Familienpolitik muss neue Wege gehen. DerWiesbadener Entwurf zur Familienpolitik. Referate und Diskussionbeiträge, Wiesbaden, S. 36.

Vergleich der frei verfügbaren Pro-Kopf-Netto Einkommenverschiedener Haushaltstypen

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18 LEBENSFORUM 2/2003

Essay

lung der Pro-Kopf-Einkommen in Haus-halten junger Ehepaare von 1982 bis 2000untersucht, in denen der Ehemann zwi-schen 25 und 35 Jahre alt war. Demnacherreichten Ehepaare mit einem Kind nurgut 60 Prozent des Pro-Kopf-Einkom-mens von kinderlosen jungen Ehepaaren.Ehepaare mit zwei Kindern kamen nur aufrund 50 Prozent und Ehepaare mit 3 Kin-dern auf gut 40 Prozent des Pro-Kopf-Ein-kommens kinderloser Ehen. Dieser hoheEinkommensnachteil ist seit zwanzig Jah-ren konstant.

Allerdings erheben Ökonomen den Ein-wand, der relative Wohlstand der Famili-en sei größer als es hier der Nachteil desPro-Kopf-Einkommens suggeriere. DennMehrpersonenhaushalte hätten Vorteiledurch das gemeinsame Wirtschaften. Fer-ner wird unterstellt, Kinder hätten einengeringeren Bedarf als Erwachsene. Aus-sagekräftig sei erst ein bedarfsgewichtetesPro-Kopf-Einkommen. Um das bedarfs-gewichtete Pro-Kopf-Einkommen zu er-mitteln, wird beispielsweise bei einer Fa-milie mit zwei kleinen Kindern das Ein-kommen nicht durch vier dividiert, son-dern durch eine niedrigere Zahl. Im aktu-ellen Modell der OECD sogar nur durch2,1. (Haushaltsvorstand = 1 Einheit, wei-tere Personen über 15 Jahren = 0,5, Kin-der unter 15 Jahren = 0,3). Dadurch er-scheint diese Familie fast als doppelt soreich wie bei der Methode ohne Bedarfs-gewichtung.

Wissenschaftler streiten allerdings, wel-che Gewichtungen anzuwenden sind, undje nach Interesse zitieren Politiker dieseoder jene Statistik. In einer jüngst erschie-nenen Broschüre des Bundesfamilien-ministeriums („Die Familie im Spiegelder amtlichen Statistik“) wird die ebenerwähnte, neueste OECD-Skala verwen-det. Das Ergebnis für das Jahr 1998: Paa-re ohne Kinder erzielten 114 Prozent desbedarfsgewichteten Pro-Kopf-Einkom-mens aller Haushalte in Deutschland. Paa-re mit einem Kind kamen auf 97 Prozent,Paare mit zwei oder drei Kindern auf 95bzw. 96 Prozent und auch Paare mit 4 undmehr Kindern erreichten noch 88 Prozent.Lediglich Alleinerziehende fielen ab: Sieerreichten im Durchschnitt nur gut zweiDrittel (68%) des bedarfsgewichteten Pro-Kopf-Einkommens aller Haushalte. EinDrittel der Alleinerziehenden kam nochnicht mal auf 50 Prozent.

Ich fürchte allerdings, die OECD-Ge-wichtung überschätzt die Einsparpoten-ziale der gemeinsamen Haushaltung undsie unterschätzt die Kosten des Kindes-unterhalts. Ich vermute, wer Kinder gutversorgen sowie verantwortlich erziehenund ausbilden lassen will, wird Kosten

tragen, die den Unterhaltskosten für ei-nen Erwachsenen nahe kommen. Dasheisst, Familien, vor allem verheirate El-tern sind ärmer, als es die OECD berech-net und als es das Bundesfamilien-ministerium gerne zitiert. Insofern liefertdie vorstehende Tabelle einen meines Er-achtens zutreffenden Eindruck vom Ein-kommensnachteil der Familien gegenüberkinderlosen Haushalten.

Aus Sicht eines liberalen Ökonoms, derFreiheit, Pluralität und Verantwortungschätzt, entsteht aber noch lange keinstaatlicher Handlungsbedarf, wenn sichFamilien weniger leisten können als Kin-derlose. Niemand ist gezwungen, zu hei-raten und / oder Kinder zu kriegen. Undwer es doch tut, weis um die finanziellenund zeitlichen Einschränkungen, die dieElternverantwortung mit sich bringt. Im-merhin haben die meisten Eltern Freudean ihren Kindern und an der Erziehungs-aufgabe, sie schätzen es, in späteren Jah-ren von den erwachsenen Kindern undvon Enkeln besucht zu werden. Da Elterneinen Großteil der Vorteile der Kinderer-ziehung haben, ist es gerechtfertigt undallgemein unstrittig, dass sie auch zumin-dest einen Anteil der Kosten der Kinder-erziehung tragen. Doch spricht leider vie-les für die These, dass den Eltern nichtnur ein zu hoher Anteil an den Kinder-erziehungskosten zugemutet wird, son-dern dass sie darüber hinaus noch durchstaatliche Regelungen benachteiligt wer-den. Das gilt es im folgenden zu analy-sieren.

Drei Prinzipien für Gerechtig-keit für Familien

Die allgemeine wirtschaftliche Schlech-terstellung von Familien und teilweiseauch die Armut eines wachsenden Teilsder Familien wird auch durch staatlicheRahmenbedingungen verursacht, die spe-ziell Familien mit Kindern benachteiligen.Welche Kriterien gibt es, um diese Thesebelegen zu können? Umgekehrt: WelchePrinzipien müssen verwirklicht sein, umeine Benachteiligung von Familien aus-zuschließen? Es liegt nahe, jene Prinzipi-en heranzuziehen, die die große Mehrheitder Bevölkerung und der Politiker akzep-tiert hat und die in der Rechtsprechungetabliert sind. Ich möchte dabei ganzbewusst nicht mit Artikel 6 des Grundge-setzes argumentieren und Ehe und Fami-lie als die schutzwürdige und sogar als dieförderungswürdige Lebensform darstel-len. Zwar bin ich aus christlicher Über-zeugung dieser Auffassung, zumal sie unsdie Bibel vorgibt, doch möchte ich versu-

chen, in einer Weise zu argumentieren, diein der heutigen zunehmend areligiösenZeit leichter nachvollzogen werden kann.

Hier also die drei Kriterien: Erstens gehtes um das wichtige Prinzip der Leistungs-fähigkeit, das aus dem Gleichheitsgrund-satz in Artikel 3 des Grundgesetzes folgt:Wirtschaftlich gleich leistungsfähige Per-sonen sollen gleich viel zur Finanzierungvon staatlichen Aufgaben und von Soli-darsystemen beitragen. Das gewährleistethorizontale Gerechtigkeit. Wer hingegenwirtschaftlich leistungsfähiger ist als an-dere, der soll auch mehr zur Finanzierungöffentlicher Aufgaben beitragen. Das ge-währleistet vertikale Gerechtigkeit. Amehesten ist das Einkommen als Indikatorfür die Leistungsfähigkeit geeignet. Beider Bewertung der wirtschaftlichen Lei-stungsfähigkeit werden diejenigen Ein-kommensteile nicht berücksichtigt, die einBürger zur Sicherung der Existenzminimafür sich selbst und für weitere unterhalts-berechtigte Personen aufwenden muss, inder Regel für den Ehepartner und für Kin-der. Bis zur Höhe des Existenzminimumssoll niemand zur Finanzierung öffentli-cher Aufgaben herangezogen werden.Deswegen gibt es beispielsweise in derEinkommensteuer den Grundfreibetragfür Erwachsenen sowie Kinderfreibeträ-ge.

Das zweite Prinzip ist die Leistungsge-rechtigkeit, also die Vorstellung, dass der-jenige, der eine Leistung erbringt, An-spruch auf eine Gegenleistung hat. In derFamilienpolitik müssen wir fragen, obFamilien Leistungen erbringen, die denKinderlosen heute oder in Zukunft nut-zen, ohne dass sich diese an den Kostender Leistungserbringung beteiligen?

Das dritte Prinzip ist die Wahlfreiheit.Es ist das Recht eines Individuums, seinLeben nach eigenen Vorstellungen zu füh-ren, solange es nicht die Freiheit Dritterbeschädigt. Die Wahlfreiheit und derSchutz Dritter gelten sowohl innerhalb derheute lebenden Generation wie auch ge-genüber kommenden Generationen. Diestaatlichen und kommunalen Rahmenbe-dingungen sollen dem einzelnen einemöglichst freie Wahl der Lebensform er-lauben, d.h. Wahlfreiheit beinhaltet einDiskriminierungsverbot, nicht aber einFördergebot für eine bestimmte Lebens-form.

Ich glaube, dass eine Verwirklichungdieser drei Prinzipien die größten Benach-teiligungen von Familien abbauen könn-te. Dies wäre auch eine notwendige, wohlaber noch keine hinreichende Vorausset-zung für ein Ende des demographischenAbwärtstrends in Deutschland. Prüfen wirnun, ob und wie diese drei Prinzipien in

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Essay

wichtigen Bereichen des Sozialstaats ver-wirklicht sind. Es geht um die gesetzli-chen Sozialversicherungen, dann - imzweiten Teil - um die Besteuerung undschließlich um die öffentlichen Ausgabenzur Familienförderung.

Die gesetzliche Alterssiche-rung prämiert Kinderlosigkeit

Im größten Bereich des Sozialstaats,den gesetzlichen Sozialversicherungen,werden Benachteiligungen von Familienvor allem in der gesetzlichen Renten-,Kranken- und Pflegeversicherung, also inder gesetzlichen Alterssicherung, disku-tiert. Betrachten wir den Aufbau des staat-lichen Alterssicherungssystems näher.

Jahrhunderte lang wurde der Leistungs-austausch zwischen Jungen und Alten,Gesunden und Kranken hauptsächlich in-nerhalb der Ehen und Familien garantiertund nur teilweise durch öffentliche Hilfe-systeme ersetzt. Eltern hatten einen An-reiz, genügend Kindern das Leben zuschenken und sie gut auszubilden. Dennsie profitierten wirtschaftlich nicht erst imAlter von ihren Kindern. Heute haben derallzuständige Wohlfahrtsstaat und insbe-sondere die gesetzlichen Sozialversiche-rungen Ehe und Familie scheinbar alsPartner des Sozialstaats verdrängt. Einkollektiver „Generationenvertrag“ wurdeorganisiert.

Während früher in erster Linie die El-tern und andere Angehörige Anspruch aufUnterstützung durch die von ihnen groß-gezogenen Kinder hatten, werden heutedurch die gesetzlichen Sozialversicherun-gen die Früchte der Arbeit der Kinder-generation kollektiviert. Mittels Umlage-verfahren der Sozialversicherungen sowieüber den steuerfinanzierten Bundeszu-schuss zur gesetzlichen Rentenversiche-rung bemächtigen sich anonyme Zwangs-versicherungen fast der Hälfte der Lohn-einkommen der jungen Generation. DieEltern haben weiterhin den größten Teilder Kosten der Erziehung der Kinder zutragen, wofür sie aber - im Unterschiedzu früher – in späteren Lebensphasen fastgar nicht mehr wirtschaftlich honoriertwerden.

Entgegen der weit verbreiteten Fehl-annahme beruhen die gesetzliche Alters-sicherung nicht alleine auf den finanziel-len Beiträgen, sondern auf zwei Säulen:Nur die erste Säule umfasst die finanzi-ellen Sozialversicherungsbeiträge sowiedie Steuern, mit denen der Bundeszu-schuss zur Rentenversicherung finanziertwird. Diese Zahlungen werden vollstän-

dig für die Versorgung der heutigen Al-ten, Kranken und Pflegebedürftigen aus-gegeben und nicht für später angespart.Die Sprachbilder vom „in die Rentenkasseeinzahlen“ oder der „Verzinsung meinerRentenbeiträge“ sind irreführend. Es wirdnichts angespart. Im Angelsächsischen istviel zutreffender von „Sozialversiche-rungssteuern“ die Rede, was auch denSolidarcharakter der gesetzlichen Alters-sicherungssysteme unterstreicht.

Die zweite Säule wird oft vergessen: Siebesteht aus den Leistungen der Eltern inForm der Geburt, Versorgung und Erzie-hung der Kinder. Diese Leistungen vonEltern sind die Voraussetzung dafür, dasses auch in Zukunft genügend Beitragszah-ler geben kann. Selbstverständlich sindgute Schul- und Ausbildungssysteme wei-tere Voraussetzungen für spätere Beitrags-zahlungen. Doch Bildungseinrichtungensind alleine nicht hinreichend, es bedarfMillionen von Kindern und Jugendlichen,die niemand anderes als ihre Eltern guterziehen kann. Auch Zuwanderung istkeine Alternative. Zuwanderung kannschon aus rechnerischen Gründen keinErsatz für Geburten und eigene Er-ziehungsleistungen sein, wie es jüngsteine UN-Studie zeigte: Um in Deutsch-land den Altenquotienten, d. h. das Ver-hältnis der Über-64-Jährigen zu den 15-64-Jährigen auf heutigem Niveau konstantzu halten, müssten bis zum Jahr 2050mehr als 180 Millionen (in Worten: ein-hundertachtzig Millionen) Menschen zu-wandern. Angesichts der Integrations-schwierigkeiten wird deshalb zurechtZuwanderung im Zusammenhang mit dendemographisch bedingten Gefahren fürdie gesetzliche Alterssicherung immerseltener diskutiert.

Halten wir fest: Geburten sowie dieVersorgung und Erziehung von Kindernsichern die Zukunft des umlagefinanzier-ten Sozialversicherungssystems, tragenaber nichts zur Versorgung der Alten inder Gegenwart bei. Das Bezahlen von fi-nanziellen Sozialversicherungsbeiträgenund Steuern finanziert hingegen die La-sten der Gegenwart, leistet jedoch nichtsfür die eigene und für die kollektive Al-tersvorsorge in der Zukunft. Wer sowohlKinder erzieht als auch Sozialversiche-rungsbeiträge und Steuern zahlt, trägt bei-des: die Lasten der heutigen als auch derkünftigen Alten. Dieser Wirkungsmecha-nismus, der die Anforderungen an Lei-stungsgerechtigkeit beschreibt, wird in derÖffentlichkeit leider viel zu selten er-wähnt.

Wenn künftig immer weniger Jungeimmer mehr Alte versorgen müssen, sinddie Konsequenzen fatal: Die gesetzliche

Rentenversicherung wird keine ausrei-chende Absicherung für den Lebensabendgarantieren können. Weitere Steigerungender Beiträge oder der Steuern für einenhöheren Bundeszuschuss sind volkswirt-schaftlich nicht vertretbar. Auch die um-lagefinanzierte Pflegeversicherung wird -trotz noch vorhandener Rücklagen - ihrderzeitiges Leistungsniveau in Zukunftnicht halten können. Die demographischeAlterung bedroht schließlich auch die ge-setzlichen Krankenversicherungen. Jenach Berechnungsverfahren kommen ihreLeistungen rund zur Hälfte ausschließlichder alten Generation zugute. Stets gilt:Kinder, die nicht geboren werden, kön-nen später niemanden versorgen.

Keine Leistungsgerechtigkeitbeachtet

Wie steht es also um die eingangs ge-nannten drei Prinzipien in der gesetzlichenAlterssicherung? Bei der Beantwortunggreife ich auf die wertvollen Überlegun-gen zurück, die der Richter am Darmstäd-ter Landessozialgericht, Dr. JürgenBorchert, unlängst im so genannten„Wiesbadener Entwurf“ vorgelegt hat.Zunächst zur Leistungsgerechtigkeit. Objemand in der gesetzlichen Alterssiche-rung nur Geldbeiträge einzahlt oder - zu-sätzlich oder ausschließlich - generativeBeiträge zum Umlageverfahren erbringt,findet bei der Bemessung der Finanz-beiträge und der Leistungen weitest ge-hend keine Beachtung. Kinderlose undEltern bekommen die gleichen Gesund-heits- und Pflegeleistungen. Das ist - zu-mindest im Umfang der medizinischenGrundversorgung - nahezu unstrittig. Pro-blematisch ist aber, dass die Kinder-erziehungsleistungen der Eltern bei denBeiträgen nicht berücksichtigt werden,was auch durch die beitragsfreie Mitver-sicherung von nicht abhängig beschäftig-ten Familienangehörigen nicht kompen-siert wird. Diese unzureichende Berück-sichtigung der Kindererziehungsleis-tun-gen der Eltern hat das Bundesverfassungs-gericht in seinem “Pflegeurteil” vom03.04.2001 kritisiert. Dem Gesetzgeberwurde aufgetragen, in der sozialen Pflege-versicherung ab 01.01.2005 die Kinder-erziehungsleistungen der Eltern auf derBeitragsseite zu berücksichtigen. Das Par-lament muss zudem die Anwendbarkeitdieses Prinzips in den übrigen Teilen desgesetzlichen Alterssicherungssystemsprüfen. Erst dann könnten Familien aufeine spürbare Entlastung hoffen, denn dasFinanzvolumen der gesetzlichen Renten-und Krankenversicherung ist ein vielfa-

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ches höher als das der gesetzlichenPflegeversicherung.

Dass die gesetzliche Rentenversiche-rung familienfeindlich konzipiert ist, istleicht erkennbar. Kinderlose erreichen inaller Regel im Vergleich zu Eltern einMehrfaches an gesetzlicher - und erstrecht an privat gesparter - Rente. Wer kei-ne Kinder erzieht, kann meist länger er-werbstätig sein und nebenbei vorsorgen.Die Erziehungsleistung der Eltern, im-merhin die konstitutive zweite Säule desUmlagesystems der Rentenversicherung,wird in der gesetzlichen Rente in nur mi-nimalem Umfang honoriert: Wer bei-spielsweise zwanzig Jahre lang zwei Kin-der großzieht, erhält dafür im Alter einenmonatlichen Rentenanspruch von 152Euro. Wenn die Kinder vor 1992 gebo-ren wurden, gibt es nur 51 Euro. Eindurchschnittlich verdienender Arbeitneh-mer erwirbt im gleichen Zeitraum gesetz-liche Rentenansprüche in Höhe von 507Euro pro Monat. Leistungsgerechtigkeitwird in allen drei gesetzlichen Alters-sicherungssystemen also nur ungenügendbeachtet.

Wie steht es im Alterssicherungssystemum das zweite Prinzip, die Beachtung derLeistungsfähigkeit? Werden die Versi-cherten gemäß ihrer individuellen wirt-schaftlichen Leistungsfähigkeit belastet?Auf der Seite der Finanzbeiträge wird dasExistenzminimum der Versicherten nichtgeschont, was ein Verstoß gegen dasLeistungsfähigkeitsprinzip ist. Im Unter-schied zur Einkommensteuer gewährendie Renten- und die Pflegeversicherungkeine Freibeträge, um die Einkommens-teile, die zur Sicherung des Existenzmi-nimums nötig sind, zu schonen. Etwasmehr Beachtung erfährt das Leistungsfä-higkeitsprinzip in der gesetzlichen Kran-kenversicherung: Zwar wird den gesetz-lich krankenversicherten Beschäftigtenebenfalls kein Freibetrag gewährt, wohlaber ihren Familienangehörigen, dieentgeltfrei mitversichert sind. In allen dreiAlterssicherungssystemen ist darüber hin-aus die Beitragsbemessungsgrenze einVerstoß gegen das Leistungsfähigkeits-prinzip: Hohe Einkommensanteile, dieoberhalb der Beitragsbemessungsgrenzenliegen, werden in allen drei Ästen der Al-terssicherung verschont. Allerdings isteinschränkend der Bundeszuschuss zurgesetzlichen Rentenversicherung zu er-wähnen. Er wird aus dem allgemeinenBundeshaushalt finanziert, zu dem Bezie-her hoher Einkommen durch den progres-siven Einkommensteuertarif überpropor-tional viel beitragen.

Insgesamt rechtfertigt diese Konstruk-tion kaum das Etikett „Solidarsystem“.

Aber nur als Solidarsystem lassen sich diegesetzlichen Alterssicherungssystemeeuroparechtlich aufrecht erhalten. Immer-hin stellen sie öffentliche Monopole dar,also Ausnahmen vom Wettbewerbsprinzipund zugleich eine Verletzung des dritten,oben postulierten Prinzips, nämlich derWahlfreiheit. Dies ist nur dann zu recht-fertigen, wenn man erstens den Solidarge-danken im Sinne des Leistungsfähigkeits-prinzips höher bewertet als das Prinzip derWahlfreiheit und zweitens das gesetzli-chen Alterssicherungssystem auch tat-sächlich nach dem Leistungsfähigkeits-prinzip ausgestaltet. Zumindest letzteresist in Deutschland nicht verwirklicht.

Elternrente und Kürzung derRentenansprüche Kinderloser

Wie können die Benachteiligungen vonFamilien in der gesetzlichen Alterssiche-rung abgebaut werden? Das ist eine Fra-ge, die in der aktuellen Diskussion prak-tisch nicht vorkommt – leider. Statt des-sen halten Rentenpolitiker eine allgemei-ne Reduktion der Rentenleistungen fürunumgänglich. Ökonomisch berechtigtsind pauschale Einschnitte aber nur dort,wo die Belastungen auch von allenRentenversicherten verursacht werden,beispielsweise durch eine längere Renten-bezugsdauer wegen der steigenden Le-benserwartung. Die von der Rürup-Kom-mission jüngst vorgeschlagene Erhöhungdes gesetzlichen Renteneintrittsalters auf67 Jahre ab dem Jahr 2030 wäre da einrichtiger Schritt.

Blind für die Gefahren des Renten-systems ist jedoch der zweite Vorschlagder Rürup-Kommission: Sie will den An-stieg der Rentenansprüche für alle Versi-cherten pauschal begrenzen, da ansonstenein Beitragszahler künftig immer größe-re Alterslasten zu finanzieren hätte. Dochdieser Vorschlag missachtet die Leistungs-gerechtigkeit und missbraucht den Solid-argedanken: Eltern, die den Bestand derkünftigen Beitragszahlergeneration si-chern, würden in gleicher Weise schlech-ter gestellt wie Kinderlose.

Richtig wäre vielmehr: Wer keine Kin-der hat – egal, ob freiwillig oder unfrei-willig - und deshalb keine Kindererzie-hung leistet wie es Eltern tun, trägt nichtbei zum Erhalt der zweiten Säule des ge-setzlichen Alterssicherungssystems unddarf deshalb nur Rentenansprüche für dieerste Säule, die Finanzbeiträge, erwerben.Somit lässt sich eine Kürzung der künftigentstehenden Rentenansprüche kinderlo-ser Versicherter begründen. Denn Lei-stungsgerechtigkeit im Umlageverfahren

würde es gebieten, dass die Kindererzie-hung zu einem Rentenanspruch führt: derElternrente. Würde man für die Kinder-erziehung den gleichen Wert wie die fi-nanziellen Beiträge der Erwerbstätigen fürdas Rentensystem ansetzen, dann wäredas gesamte finanzielle Beitragsvolumenje zur Hälfte auf die Rentenansprücheaufgrund von finanziellen Beitragsleistun-gen und auf die neuen Rentenansprüchewegen Kindererziehungsleistungen auf-zuteilen. Wer zwei Kinder aufzieht, be-käme eine volle Durchschnittsrente.

Ein Faktor für die demographischeStruktur müsste dafür sorgen, dass dieElternrente um so höher ist, je niedrigerdie Zahl der Beitragszahler und je größerdie Anzahl an Rentenempfängern ist. Fallses umgekehrt immer mehr Junge und im-mer weniger Alte gäbe, würde die Eltern-rente sinken.

Für Kinderlose hätte dieses System - beikonstantem finanziellem Beitragsvolu-men - eine leistungsgerechte Halbierungihrer Rentenansprüche zur Folge. Werkeine Kindererziehungskosten zu tragenhat, kann und muss diese Einkommens-teile für das Alter sparen. Ein abhängigBeschäftigter würde in einem solchenSystem über seine Finanzbeiträge (undSteuern) die heutigen Alten, Kranken undPflegebedürftigen finanzieren. Zusätzlichmüsste er oder sie entscheiden, ob er odersie Altersvorsorge innerhalb des gesetzli-chen Alterssicherungssystems betreibt,nämlich durch Humankapitalbildung,sprich Kindererziehung, oder privat durchzusätzliche Sachkapitalbildung.

Wohlgemerkt: Die bislang erworbenenAnsprüche der Alten und Jungen bliebenerhalten. Erst ab dem Reformzeitpunktwürden Kinderlose weniger Rentenan-sprüche erwerben. Dass es nicht um eine„Bestrafung“ von Kinderlosigkeit geht, istoffensichtlich. Ohne eine Differenzierungder Rentenansprüche danach, ob jemandKindererziehungskosten getragen hat odernicht, bleibt das Rentensystem eine un-gerechtfertigte Prämierung von Kinderlo-sigkeit. Die bisherige minimale Anerken-nung der Kindererziehungszeiten ist un-genügend, zumal sie die Eltern auf Ko-sten ihrer Kinder besser stellt, nicht aberzu einen leistungsgerechten Ausgleich derAnsprüche zwischen Versicherten mit undohne Kindern führt.

Freibeträge in Höhe derExistenzminima

Schließlich muss das Leistungsfähig-keitsprinzip Einzug halten in der gesetz-lichen Alterssicherung. In allen drei Ästen

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sollten Freibeträge für die Existenz-minima von Erwachsenen und Kinderngewährt werden. Um das gleiche Beitrags-volumen zu erzielen, wären erheblicheSteigerungen der Beitragssätze erforder-lich. Was würde das für eine vierköpfigeFamilie bedeuten, in der ein Allein-verdieners einen im Jahr 2003 durch-schnittlichen Jahresarbeitslohn in Höhevon 27.316 Euro erzielt? Bisher werdendem Alleinverdiener 2.895 Euro anFinanzbeiträgen für die Renten- und diePflegeversicherung und 1.967 Euro für dieKrankenkasse abgezogen. Die Familiekommt nur auf ein frei verfügbares Net-toeinkommen in Höhe von 23.734 Euro.Das liegt 2.352 Euro unter dem steuer-rechtlichen Existenzminimum. Würdennach einer familienorientierten Reformder gesetzlichen Alterssicherung Freibe-träge gewährt und die Beitragssätze starkangehoben, dann würde die Familie zu-mindest nicht mehr unter dem steuerrecht-lichen Existenzminimum liegen. In derFamilienkasse wären so allein wegen derAnwendung des Leistungsfähigkeits-prinzips mindestens diese 2.352 Euromehr pro Jahr. Sofern die Existenzminimafür Erwachsene und Kinder gleich hochbewertet würden - z. B. in Höhe des ge-genwärtigen steuerrechtlichen Grundfrei-betrags für Erwachsene von 7.235 Euro -dann läge das Bruttoeinkommen der Fa-milie mit 27.316 Euro unter dem abga-benfreien Existenzminimum von 28.940Euro. Konsequenz: Diese Familie müsstekeine Finanzbeiträge mehr zu den Alters-sicherungssystemen entrichten und hätte4.862 Euro pro Jahr mehr zur Verfügung.Dann würde eine vierköpfige Familie mitmittlerem Einkommen sowohl in der Ge-genwart als auch über die Elternrente inder Zukunft spürbar besser gestellt wer-den.

Demgegenüber würde das frei verfüg-bare Einkommen kinderloser Versicher-ter deutlich – im Durchschnitt schätzungs-weise um mehrere tausend Euro im Jahr– verringert. Doch das Pro-Kopf-Einkom-men eines kinderlosen Durchschnitts-verdieners läge nach wie vor deutlich –etwa mehrere hundert Euro monatlich –über dem, was einer durchschnittlich ver-dienenden Familie verbliebe. Auch man-che sehr einkommenstarke Familien hät-ten mitunter finanzielle Einbußen durchhöhere Beiträge hinzunehmen, würdenaber über die Elternrente profitieren.

Die Zahlen können nur eine Orientie-rung geben. Um belastbare Aussagen überGewinner und Verlierer zu treffen, wärenumfassende Berechnungen erforderlich.Die Handlungsempfehlungen (Elternrenteund Freibeträge) sollten nicht als Umver-

teilung zwischen Familien und Singleskritisiert oder gar als „Familienförderung“missverstanden werden. Es geht aus-schließlich um die Anwendung der Prin-zips der Leistungsgerechtigkeit und derLeistungsfähigkeit. Erst dann hätte derEinzelne zudem die Wahlfreiheit, ob erfinanzielle, generative oder beide Artenvon Altersvorsorgeleistungen erbringenmöchte, was sich in der Höhe der Ren-tenansprüche niederschlagen würde. Dieindividuelle Entscheidung zwischen Er-werbs- und Familienarbeit würde nichtlänger zugunsten der Erwerbsarbeit ver-zerrt werden. Das Alterssicherungssystemkäme nicht länger einer Prämierung vonKinderlosigkeit gleich.

Mehr Geburten

Doch wäre die Umsetzung der beidengenannten Handlungsempfehlungen le-diglich eine Reform der gesetzlichen Al-terssicherung, die Leistungsgerechtigkeitzwischen den Generationen sowie inner-halb einer Generation herstellen und dasLeistungsfähigkeitsprinzip und die Wahl-freiheit beachten würde. Das gesetzlicheAlterssicherungssystem wäre bei weitemnicht gerettet, die Lastenverteilung wäh-rend seines Untergang würde lediglichverursachungsgerechter erfolgen. Will dieBevölkerung am Umlageverfahren fest-halten, wovon zumindest für ein Grund-sicherungsniveau in Deutschland mehr-heitlich auszugehen ist, und will die Be-völkerung der jeweils jungen Generationnicht dauerhaft hohe Alterslasten zumu-ten, dann liegt die einzige Rettung diesesAlterssicherungssystems in einer höherenAnzahl von in Deutschland geborenenKindern. Konkret: Die Geburtenrate mussum die Hälfte erhöht werden - von der-zeit gut 1,3 Kindern je Frau auf ein nach-haltiges Niveau von 2,1 Kindern je Frau.Welche Optionen gibt es für einen solchenbevölkerungspolitischen Paradigmen-wechsel, der ja voraussetzte, dass zu-nächst die demographische Entwicklungund die Bevölkerungspolitik an sich ent-tabuisiert würden?

Am Anfang müsste eine tiefgreifende,politische und kulturelle Neuorientierungstehen, die zu der - primär ethisch zu be-gründenden - Forderung nach einem Endeder massenhaften Tötungen von Kindernim Mutterleib führt. Danach ist zu ent-scheiden, wie die Geburtenrate zusätzlichgesteigert werden kann, wozu differen-zierte Ansätze erforderlich sind. Derzeitbleiben in der jungen Generation (Ge-burtsjahrgang 1965 und später) rund einDrittel kinderlos, während die übrigen alsEltern im Durchschnitt zwei Kinder ha-

ben. Kinderlosigkeit ist mit einer Quotevon mehr als vierzig Prozent überpropor-tional stark bei Akademikern in West-deutschland anzutreffen. Wie sieht einerichtige Strategie zur Erhöhung derGeburtenzahl aus? Ist es anzustreben, dassmöglichst viele Kinderlose Eltern werdenoder sollen diejenigen, die sich schon heu-te trotz der Benachteiligungen für eine El-ternschaft entscheiden, ein drittes oderviertes Kind bekommen? Sollen pro-natalistische Maßnahmen auf mehr Ge-burten in allen Bildungsschichten abzie-len oder verstärkt bei Akademikern oder,weil es vielleicht einfacher wäre, beiNicht-Akademikern? Fragen über Fragen,die eine breite, wohl jahrelange Grund-satzdebatte in der Bevölkerung nötig ma-chen, gerade dann, wenn am Postulat derWahlfreiheit festgehalten werden soll.

Wie viel einfacher als die Therapie istda die Diagnose, also das Fazit zur Fra-ge, wie es Familien in der gesetzlichenAlterssicherung ergeht: Hier sind Famili-en eindeutig die Lastesel der Kinderlosen,da die Prinzipien der Leistungsgerechtig-keit, der Leistungsfähigkeit und der Wahl-freiheit nicht oder nur ungenügend ver-wirklicht sind. Eine wirtschaftlicheBesserstellung der Familien, die nach die-sen Prinzipien ausgerichtet ist, würdeBenachteiligungen abbauen und mehrGerechtigkeit schaffen und damit aucheinen Beitrag leisten, um die negativeBevölkerungspolitik im heutigen Sozial-staat, die Anreize zur Kinderlosigkeitsetzt, zu beenden.

Clemens Christ-mann, geb. 1973,schreibt als freierMitarbeiter u.a. für„Die Tagespost“aus Würzburg. Erstudierte Volks-wirtschaftslehre inBayreuth, Berlin,Mainz und in St.Andrews (Schott-

land). Nach dem Studium arbeitete er alsAssistent der Geschäftsleitung in einemTageszeitungsverlag in Mainz. 2001wechselte er ins Forschungsinstitut fürWirtschaftspolitik an der Universität Mainze.V., um sich mit Fragen der Liberalisie-rung von Monopolmärkten zu beschäfti-gen. Im Frühjahr 2003 hat er eine Doktor-arbeit in Volkswirtschaftslehre eingereicht.Ab August ist er Pressesprecher im hes-sischen Wirtschaftsministerium.

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Im Porträt

Die Mitglieder derEnquete-Kommission

Weil die Enquete-Kommission „Recht und Ethik dermodernen Medizin“ des Deutschen Bundestags in dervergangenen Wahlperiode nicht alle ihr aufgegebenenFragestellungen bearbeiten konnte und neue hinzuge-kommen sind, soll sie auch in der 15. Legislaturperiodeden Gesetzgeber in wichtigen medizinethischen Fragenberaten. (vgl. Einsetzungsbeschluss in Ausgabe Nr. 65)Auf ihrer Klausurtagung am 01./02. Juni haben sich die

Mitglieder der neuen Enquete-Kommission zunächst auffolgende Schwerpunkte geeinigt: „Menschenwürdig le-ben bis zuletzt“, „Neueste Entwicklungen in denBiowissenschaften“, „Transplantationsmedizin“ sowie„Ethik in der klinischen Forschung“. Beginnen wird dieKommission mit dem Thema Menschenwürde. Lebens-Forum stellt hier die 13 Parlamentarier und die 13 Sach-verständigen, die dem Gremium angehören, vor.

Foto: Archiv

René Röspel, Vorsitzender derEnquete-Kommission

Der 38jährige gehörte schon derletzten Enquete an, blieb jedochim Hintergrund, statt Vorgänge-rin Margot von Renesse (SPD)die Schau zu stehlen. Das Zeugdazu hätte der Vater dreier Kin-der schon gehabt. Denn derDiplombiologe hat Forschungs-

berichte nicht nur gelesen. Als Mitarbeiter am Institutdes Essener Stammzellforschers Hans-Werner Denkererforschte er auf molekularer Ebene, wie sich Embryo-nen in der Gebärmutter einnisten. Den Respekt vor demEmbryo hat er dabei nicht verloren. Im Gegenteil: ImBundestag votierte er gegen den Stammzellimport. PIDund Klonen, egal zu welchem Zweck, lehnt er ab. reh

PD Dr. Marion Albers,Sachverständige (SPD)

Die Privatdozentin lehrt im Rah-men einer LehrstuhlvertretungStaats– und Verwaltungsrechtan der Humboldt–Universität zuBerlin. Die Vorsitzende der Kom-mission Gentechnologie desDeutschen Juristinnenbund(djb) hat sich in der Biopolitik

bislang vor allem mit internationalen Rechtsfragen be-schäftigt, so etwa mit dem Zusatzprotokoll zum Über-einkommen über Menschenrechte und Biomedizin desEuroparates oder der sogenannten Biopatentrichtlinieder Europäischen Union, deren Umsetzung in deutschesRecht von der Vorgänger–Enquete klar abgelehnt wur-de. reh

Hubert Hüppe, Stellv. Vorsit-zender der Enquete-Kommission

Der Lebensrechts-Experte unterden Parlamentariern. Das machtden Sprecher der Initiativgruppe„Schutz des menschlichen Le-bens“ und „Beauftragten für dieMenschen mit Behinderungender CDU/CSU-Bundestagsfrak-tion“ für alle unbequem, die

meinen, man könne es mit dem Lebensschutz auch zugenau nehmen. Unerschrocken bringt der 46jährige dieDinge auf den Punkt: Würde das Forschungsklonen er-laubt, handele nur noch gesetzeskonform wer sicher-stelle, dass der Embryo auch getötet werde. Auch beim§ 218, der PID und dem Stammzellimport hatte der Va-ter dreier Kinder stets die besseren Argumente. reh

Sabine Bätzing, Mitglied desDeutschen Bundestages (SPD)

Die Diplom-Verwaltungswirtinist mit 27 Jahren das jüngsteMitglied der Enquete–Kommis-sion. Die bei der letzten Wahldirekt gewählte Abgeordnete istMitglied des Rechtsausschus-ses sowie des Ausschusses fürFamilie, Senioren, Frauen und

Jugend und fungiert darüber hinaus auch als Spreche-rin der „Youngsters“ der SPD-Bundestagsfraktion. ZuFragen der Biopolitik hat sie bislang noch keine wahr-nehmbaren Positionen bezogen. Von „großer Bedeu-tung“ ist für sie jedoch der „Fragenkomplex zur For-schung an nichteinwilligungsfähigen Menschen“. DerAntwortenkomplex wird mit Spannung erwartet. reh

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Im Porträt

Foto: Archiv

Rainer Beckmann,Sachverständiger (CDU/CSU)

Der Richter am AmtsgerichtKitzingen zählt zu den profilier-testen Medizinrechtsexperten inDeutschland. Der Vater von vierKindern trat 1992 in den bay-rischen Justizdienst ein. AlsStaatsanwalt war er bis 2000 inNürnberg und Würzburg tätig.

Als Sachverständiger gehörte der 42jährige bereits derEnquete–Kommission der vergangenen Legislaturperi-ode an. Der Katholik, der für einen stufenlosen Lebens-schutz und die konsequente Achtung der Menschen-würde eintritt, ist Stellvertretender Vorsitzender der „Ju-risten–Vereinigung Lebensrecht“ (JVL) und Redaktions-leiter der „Zeitschrift für Lebensrecht“ (ZfL). reh

Prof. Dr. Linus Geisler,Sachverständiger (SPD)

Der Senior des Gremiums, Jahr-gang 1934, lebt seit 1999 imUnruhestand. Das Verhältnisvon Arzt und Patient ist nur ei-ner der Schwerpunkte des Bon-ner Hochschullehrers. Fungier-te schon bei den Anhörungenzum Transplantationsgesetz

1995/96 als Sachverständiger. Als Mitglied der Enquete-Kommission der vergangenen Legislaturperiode hat sichder frühere Chefarzt der Medizinischen Klinik in Gladbecksowohl gegen die Forschung an embryonalen Stamm-zellen als auch gegen die PID ausgesprochen. In seinerumfangreichen publizistischen Arbeit bezieht er stetspointiert zu aktuellen Fragen der Bioethik Stellung. reh

Prof. Dr. Wilfried Härle,Sachverständiger (CDU/CSU)

Der evangelische Theologe lehrtSystematische Theologie undEthik an der Universität Heidel-berg und ist Vorsitzender derKammer für Öffentliche Verant-wortung der EKD. Als solcherhat er sich den letzten Jahrenmit zahlreichen Fragen der

Bioethik und des christlichen Menschenbildes beschäf-tigt. Der 62jährige ist kein Förderer des Vereins für einedeutliche Aussprache, was nicht heißt, dass er keineeindeutigen Position bezöge. Im Gegensatz zu seinemKollegen Richard Schröder, Mitglied im Nationalen Ethik-rat des Kanzlers, kommt laut Härle auch dem in-vitrogezeugten Embryo Menschenwürde zu. reh

Prof. Dr. Bärbel Friedrich,Sachverständige (CDU/CSU)

Die Professorin lehrt Mikrobio-logie an der Humboldt-Univer-sität zu Berlin und ist auch Vize-präsidentin der Deutschen For-schungsgemeinschaft (DFG).Als solche hat sie in der bioethi-schen Debatte stets die Interes-sen der Forscher verfochten. Die

Pragmatikerin, die die Macht des Faktischen einzukal-kulieren versteht, rückt dem Embryonenschutz andersals viele Kollegen nicht mit der Brechstange zu Leibe. Inder Sache ändert das freilich nur wenig: Befürwortet dieForschung an embryonalen Stammzellen und setzt beimKlonen zu Forschungszwecken aufs Abwarten. Setztdarauf, dass Erfolg unwiderstehlich macht. reh

Dr. Sigrid Graumann,Sachverständige (SPD)

Die verheiratete Mutter zweierKinder studierte Biologie undPhilosophie und promovierte miteiner Arbeit zur SomatischenGentherapie. Bearbeitete dasvon der DFG geförderte For-schungsprojekt „In-vitro-Techni-ken am Beginn des menschli-

chen Lebens: ein Vergleich von Folgeanalysen undBewertungsdiskursen“. Schwerpunkt ihrer Forschungensind die ethischen Fragen der Humangenetik und derReproduktionsmedizin und ihrer gesellschaftlichen Fol-gen. Seit 2002 Mitarbeiterin am Institut Mensch, Ethikund Wissenschaft in Berlin. Hat sich wiederholt gegendie Zulassung der PID ausgesprochen. bla

Prof. Dr. Eberhard Klaschik,Sachverständiger (CDU/CSU)

Der ärztliche Leiter des Zen-trums für Palliativmedizin imMalteser Krankenhaus Bonn-Hardtberg und Chefarzt der Ab-teilung für Anästhesiologie, In-tensivmedizin, Palliativmedizinund Schmerztherapie ist zu-gleich Inhaber von Deutsch-

lands erstem Lehrstuhl für Palliativmedizin an der Uni-versität Bonn. In zahlreichen Veröffentlichungen kritisiertder Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativ-medizin, die „extrem schlechten“ Bedingungen inDeutschland und wirbt für eine Stärkung der Palliativ-medizin, nicht zuletzt weil sie „die Frage nach der Eu-thanasie überflüssig macht“. bla

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Im Porträt

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Foto: Archiv

Julia Klöckner, Mitglied desDeutschen Bundestags (CDU)

Noch keine dreißig und schonim Bundestag. Die aus BadKreuznach stammende Katho-likin studierte Sozialkunde,Theologie, Politikwissenschaf-ten und Pädagogik und befasstesich dabei schwerpunktmäßigmit Internationaler Politik, Wirt-

schafts- und Bioethik. Alles Themen, die auch in derArbeit der Enquete-Kommission breiten Raum einneh-men dürften. Die junge CDU-Politikerin hält mit ihrenAnsichten nicht hinter dem Berg, sondern bezieht offenPosition: Gegen den Import embryonaler Stammzellen,gegen die PID und gegen jegliches Klonen, befürwortetallerdings die Zulassung aktiver Sterbehilfe. reh

Hilde Mattheis, Mitglied desDeutschen Bundestags (CDU)

Die verheiratete Mutter zweiererwachsener Töchter ist zumersten Mal in den DeutschenBundestag gewählt worden. VonBeruf Hauptschullehrerin siehtsie die Schwerpunkte ihrer poli-tischen Arbeit auf den Feldernvon Bildung und Wissenschaft

sowie in Fragen der Gleichstellung und der sozialen Si-cherheit. Im Bundestag gehört sie dem Ausschuss fürGesundheit und Soziale Sicherung und dem Petitions-ausschuss aus. In bioethischen Fragen ist sie bislangnoch nicht in Erscheinung getreten. Damit dürfte es nunfreilich bald ein Ende haben. Mit welchen Positionenmuss abgewartet werden. reh

Christa Nickels, Mitglied desDeutschen Bundestags (GRÜNE)

Die Fachkrankenschwester undMutter zweier Kinder gehört zuden Gründungsmitgliedern dernordrhein-westfälischen Grü-nen. Dem Bundestag gehört dieehemalige ParlamentarischeStaatssekretärin im Bundesge-sundheitsministerium und frü-

here Parlamentarische Geschäftsführerin der grünenBundestagsfraktion mit Unterbrechungen seit 1983 an.Das Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katho-liken (ZdK) vertritt in der Biopolitik klare Standpunkte.Forschung an embryonalen Stammzellen, die Zulassungder PID lehnt sie eben so ab, wie jegliches Klonen. Den§ 218 würde sie dagegen gerne gestrichen sehen. reh

Barbara Lanzinger, Mitglieddes Deutschen Bundestags (CSU)

Trat 1979 in Amberg in die CSUein. Als Beruf gibt die Mutterdreier Kinder “Sozialpädagogin/Hausfrau” an. Auch sonst schertsich die Landesvorsitzende desBayerischen Hospizverbandes,die für den Bayerischen Innen-minister Günther Beckstein in

den Bundestag nachrückte, nur wenig um den Main-stream. Rahmenbedingungen so zu schaffen, „dassGedanken an bezahlbar oder nicht bezahlbar, wert oderunwert gar nicht erst aufkommen“ können, betrachtetsie als „eine der zentralen politischen und gesamt-gesellschaftlichen Aufgaben“. Die Katholikin stellt zwei-fellos einen Gewinn für das Gremium dar. reh

Prof. Dr. Dietmar Mieth,Sachverständiger (GRÜNE)

Der katholische Theologe grün-dete das Zentrum „Ethik in denWissenschaften“ der UniversitätTübingen und war Mitglied derEthikkommission der Europäi-schen Union. Als Stellvertreten-der Vorsitzender des Ethik-beirates des Bundesgesund-

heitsministeriums, der durch den von BundeskanzlerGerhard Schröder in Leben gerufenen Nationalen Ethik-rat kaltgestellt wurde, begleitet er die bioethische De-batte in Deutschland von Anfang an. Plädiert in seinenwissenschaftlichen Beiträgen dafür, nie die Moralität derHandlung unter den Tisch fallen zu lassen. Gut gemeint,sei eben noch lange nicht auch gut gemacht. reh

Detlef Parr, Mitglied des Deut-schen Bundestags (FDP)

Der Realschulrektor mit Fußball-trainerlizenz gehört dem Bun-destag seit zwölf Jahren an. Ve-hement hatte sich der Protestantund Vater von fünf Kindern in derVergangenheit für die Zulassungder Abtreibungspille „Mifegyne“ausgesprochen. Bei der Abstim-

mung über den Import embryonaler Stammzellen stimm-te er für den weitreichendsten Antrag. Mehrfach forder-te er auch die Zulassung der PID. Sein besonderes In-teresse im Rahmen der Kommissionarbeit gilt der Frageder Schutzwürdigkeit genetischer Daten. Sorgen berei-tet ihm zudem, dass Deutschland „als ethisch-morali-sche Insel betrachtet“ werden könne. bla

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Foto: Comece

Im Porträt

Foto: Archiv

Thomas Rachel, Mitglied desDeutschen Bundestags (CDU)

Der Forschungspolitiker ist derWunschkandidat von CDU-Par-teichefin Angela Merkel in derEnquete-Kommission und wur-de daher von seiner Fraktionauch zum Obmann gewählt. DerProtestant ist Vater einer Toch-ter und gehört dem Bundestag

bereits seit drei Legislaturperioden an. Der Senator derHelmholtz Gemeinschaft Deutscher Forschungszentrenhat sich in den bioethischen Debatten gegen das Klo-nen zu Forschungszwecken ausgesprochen und favori-siert stattdessen den Aufbau von Stammzell-Banken.Plädiert für die Zulassung der PID. Setzt sich für denAusbau der Palliativmedizin in Deutschland ein. reh

Heiner Raspe,Sachverständiger (SPD)

Der Direktor des Instituts fürSozialmedizin der Medizini-schen Universität Lübeck (MUL)wurde gleich zweimal promo-viert: in Medizin und in Sozio-logie. Außerdem ist er Sprecherdes deutschen Netzwerks Evi-denzbasierter Medizin und Mit-

glied der „Zentralen Kommission zur Wahrung ethischerGrundsätze in der Medizin und ihren Grenzgebieten“ derBundesärztekammer (BÄK). Mit den Grenzgebieten derMedizin wird sich auch die neue Enquete-Kommissionbeschäftigten. Auf den Beitrag des Professors zur Wah-rung ethischer Grundsätze darf man daher mit Rechtgespannt sein. reh

Ulrike Riedel,Sachverständige (SPD)

Unter Ex–Bundesgesundheits-ministerin Andrea Fischer Leite-rin der Abteilung Gesundheits-vorsorge und Krankheitsbe-kämpfung und deren rechteHand bei der Arbeit für einFortpflanzungsmedizingesetz,dessen Eckpunkte nach dem

Rücktritt Fischers wegen der BSE–Krise und dem an-schließenden Ressorttausch von der SPD kassiert wur-de. Gehörte schon der letzten Enquete–Kommission an.Zuletzt hat sich die Juristin, die in der Debatte um denEmbryonenschutz mit dem Rechtsphilosph ReinhardMerkel hart ins Gericht ging, ausführlich mit der „Kindals Schaden“–Rechtssprechung befasst. reh

Carola Reimann, Mitglied desDeutschen Bundestags (SPD)

Die 35jährige gehört dem Bun-destag seit Februar 2000 an.Davor: Studium der Biotechno-logie und Promotion. Die Ent-scheidung des Parlaments zumImport embryonaler Stamm-zellen begrüßte sie als positivesSignal für die Forschung. Unter

dem Motto, das „eine tun, ohne das andere zu unterlas-sen“ tritt sie für die Förderung der Forschung sowohl anadulten als auch an embryonalen Stammzellen ein. Eineweltweite Ächtung hat sie bislang nur für das repro-duktive, nicht für das Klonen zu Forschungszweckengefordert. Einführung der PID steht sie derzeit eher kri-tisch gegenüber. reh

Prof. Dr. Johannes Reiter,Sachverständiger (CDU/CSU)

Der katholische Theologe, derauch noch über ein abgeschlos-senes Ingenieurstudium verfügt,lehrt seit 1984 Moraltheologiean der Johannes–Gutenberg–Universität in Mainz. Er gehörtebereits der Vorgänger–Enqueteals Sachverständiger an. Seit

vielen Jahren ist er auch Mitglied der Zentralen Ethik–Kommission der Bundesärztekammer (BÄK). Unter-zeichnete 2001 mit anderen den „Aufruf gegen dieVerroh(stofflich)ung des Menschen“. Lehnt nicht nur je-des Klonen von Menschen, sondern auch die Zulassungder PID strikt ab. Ist Autor zahlreicher Bücher und un-zähliger Fachaufsätze zu Streitfragen der Bioethik. reh

Prof. Dr. E. Schmidt-Jortzig,Sachverständiger (FDP)

Der frühere Bundesjustizmini-ster gehörte dem Bundestagzwei Legislaturperioden an. Inder Hirntod–Diskussion war derVater von vier Kindern einer dermaßgeblichen Akteure, als imParlament um ein neues Trans-plantationsgesetz gerungen

wurde. Bei der Entscheidung über den Import embryo-naler Stammzellen unterstützte der Professor für öffent-liches Recht den weitreichsten Antrag. Der Protestantbegründete dies mit der Ablehnung einer „emsigenDogmaverkündigung“ die die Menschenwürde jedermenschlichen Zelle zusprechen wolle. Als Liberaler lässter auch andere Meinungen als die eigene zu. reh

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26 LEBENSFORUM 2/2003

Im Porträt

Foto: Comece

Foto: Archiv

Christoph Strässer, Mitglieddes Deutschen Bundestags (SPD)

Der 54jährige Jurist ist ein ehe-maliger Liberaler, wo er bis inden Bundesvorstand der Parteigebracht hatte. Verließ die FDP1982, als diese die soziallibera-le Koalition aufkündigte und tratzwei Jahre später in die SPD ein.Schaffte bei der Wahl 2002 als

Direktkandidat in Münster den Einzug ins Parlament. HatSitz und Stimme im Rechtsausschuss und im Ausschussfür Menschenrechte und Humanitäre Hilfe des DeutschenBundestags. Welchen Schutz er für den Embryo für an-gemessen hält, hat der frührere Gebirgsjäger, der sichin der Umwelt- und Friedensbewegung engagierte, nochnicht erkennen lassen. reh

Dr. Wolfgang Wodarg, Mitglieddes Deutschen Bundestags (SPD)

Der Mediziner hat schon in ver-gangenen Legislaturperiodedem Kanzler getrotzt. Der 56jäh-rige übt nicht nur scharfe Kritikam „Kind als Schaden“-Recht-sprechung, sondern setzt sichauch für eine internationale Äch-tung des reproduktiven wie des

Klonens zu Forschungszwecken ein. In der Stamm-zellfrage gehörte er zu den Initiatoren eines Gesetz-antrages, der Import und Forschung an embryonalenStammzellen ausnahmslos verbieten wollte. Wurde, ob-wohl er auch gegen die Zulassung der PID und gegendie aktive Sterbehilfe auftritt, von der seiner Fraktion zumObmann in der Enquete–Kommission gewählt. reh

Andrea Astrid Voßhoff,MdB (CDU)

Die 44jährige Juristin ist in derbioethischen Debatte bislangkaum in Erscheinung getreten.Bei der Abstimmung über denImport embryonaler Stamm-zellen stimmte die verheirateteKatholikin, die zum zweiten Malin den Deutschen Bundestag

gewählt wurde, jedoch gegen den Import embryonalerStammzellen. Ihr Jurastudium absolvierte die in Bran-denburg lebende CDU-Politikerin in Münster und Lau-sanne. Ihre politische Arbeit galt bisher schwerpunkt-mäßig u.a. Themen wie der Stärkung der Rechte derOpfer im Strafprozess, dem Schutz der Privatsphäresowie der Stadtentwicklung. bla

Dr. Michael Wunder,Sachverständiger (SPD)

Der Diplom-Psychologe undPsychotherapeut leitet das Zen-trum für Beratung, Diagnostikund Psychotherapie der Evan-gelischen Stiftung Alsterdorf inHamburg, eine Einrichtung fürMenschen mit geistiger Behin-derung. Schwerpunkte seiner

Forschungen sind die Medizin im Nationalsozialismus,die Hilfe für Menschen mit Behinderungen sowie dieGesundheitspolitik, Biomedizin und Bioethik. Hat sichvehement gegen die Zulassung der PID sowie gegendie Freigabe von aktiver Sterbehilfe ausgesprochen. Trittfür die Beachtung der Schutzwürdigkeit von Embryo-nen ein. bla

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LEBENSFORUM 2/2003 27

Dokumentation

Am 28. Mai 2003 jährt sich zum zehn-ten Mal der Tag der Verkündung des zwei-ten Abtreibungsurteils des Bundesverfas-sungsgerichts (BVerfG). Am 16. Juni1993 trat die in diesem Urteil getroffenenAnordnung des Gerichts in Kraft. Auf-grund dieser Anordnung sowie des im We-sentlichen am 1.Oktober 1995 in Kraft ge-tretenen Schwangeren- und Familienhilfe-änderungsgesetzes gilt bezüglich der Ab-treibung in Deutschland seit nunmehr baldzehn Jahren eine als „Beratungsschutz-konzept” etikettierte Regelung, die nahe-zu unbestritten der Sache nach einerFristenregelung mit Beratungspflichtgleichkommt. Genau genommen handeltes sich um eine Fristenregelung mit derPflicht der Schwangeren zum Besuch ei-ner anerkannten Beratungsstelle und de-ren Pflicht zum Angebot einer Beratungsowie auf Wunsch zu deren Bescheini-gung.

Die Neuregelung zum so gennantenSchwangerschaftsabbruch geht zurück aufden Einigungsvertrag von 1990, der demgesamtdeutschen Gesetzgeber aufgege-ben hatte, spätestens bis Ende 1992 eineRegelung zu treffen, „die den Schutz desvorgeburtlichen Lebens und die verfas-sungskonforme Bewältigung von Kon-fliktsituationen schwangerer Frauen bes-ser gewährleistet“ als in den beiden Tei-len Deutschlands bisher. Der Erfüllungdieses Auftrags sollte ein Schwangeren-und Familienhilfegesetz dienen, das je-doch aufgrund von Entscheidungen desBVerfG nicht in Kraft trat und letztlichals nicht verfassungskonform befundenwurde.

In seinem Urteil von 1993 hatte dasBVerfG das vom Gesetzgeber gewählteso genannte Beratungskonzept allerdingsgrundsätzlich gebilligt. Demnach findetder Straftatbestand des Schwangerschafts-abbruchs befristet keine Anwendung. BeiVorliegen eines Indikationstatbestandessollen Abtreibungen sogar „nicht rechts-widrig“ sein. Die bessere Schutzwirkung

einer Beratungsregelung, so das Gericht,sei allerdings umstritten und ungewiss.Dies hindere den Gesetzgeber zwar nichtgrundsätzlich daran, eine solche Regelungeinzuführen. Er sei jedoch „gehalten, dieAuswirkungen seines neuen Schutz-konzepts im Auge zu behalten“ (Beobach-tungspflicht). Stelle sich nach hinreichen-der Beobachtungszeit heraus, dass dasGesetz das von der Verfassung geforder-te Maß an Schutz nicht gewährleistenkönne, so sei der Gesetzgeber verpflich-tet, durch Änderung oder Ergänzung derbestehenden Vorschriften auf die Beseiti-gung der Mängel und die Sicherstellungeines dem Untermaßverbot genügendenSchutzes hinzuwirken (Korrektur- oderNachbesserungspflicht). Diese Pflichtenbestünden auch und gerade nach einemKonzeptwechsel, der nur einen Versuchdarstelle (309 f.).

Beobachtungspflichtmissachtet

Nach bisheriger Erfahrung drängt sichder Eindruck auf, dass die verantwortli-chen Organe nicht ernsthaft daran inter-essiert sind, die Auswirkungen des Geset-zes in der Praxis zur Kenntnis zu nehmen,geschweige denn bereit sind, aus demErgebnis einer Beobachtung Konsequen-zen zu ziehen. Die Verteidigung eines„gesellschaftlichen Kompromisses“ alsSelbstzweck genießt offenbar Vorranggegenüber dem Gebot eines wirksamenLebensschutzes. Die gesetzliche Grund-lage für eine den Vorgaben des BVerfG(310) entsprechende, aussagekräftige Sta-tistik, anhand derer sich die Entwicklungder Abtreibungszahlen zuverlässig verfol-gen ließe, wurde nicht geschaffen. Die zurBundesstatistik getroffene Regelung istdeshalb verfassungswidrig und bedarffolglich der Nachbesserung. PeriodischeBerichte der Bundesregierung über dieAuswirkungen des Gesetzes, wie sie dasBVerfG (310) angeregt hatte, wurden trotzAnmahnung, z.B. durch die Deutsche Bi-

schofskonferenz, nie vorgelegt. Antwor-ten der Bundesregierung auf Anfragen ausdem Bundestag dokumentieren derenDesinteresse an einer genauen Auswer-tung des vorliegenden statistischen Ma-terials.

Reformziel verfehlt

Selbst zufolge der unzureichendenDatengrundlage, die nur Schätzungenzulässt, ist davon auszugehen, dass daserklärte Reformziel einer Verbesserungdes Schutzes vorgeburtlichen Lebens ver-fehlt worden ist. Für den verfassungs-rechtlich gebotenen Lebensschutz des ein-zelnen ungeborenen Kindes, auf welchesdas BVerfG die staatliche Schutzpflichtprimär bezogen sieht (Leitsatz 2), war diegeltende Regelung, die eine straffreieAbtreibung aus beliebigen Gründen er-möglicht, von vornherein ungeeignet.Aber auch die erhoffte Verminderung derGesamtzahl der Abtreibungen ist ausge-blieben. Niemand hat bisher ernsthaft dasGegenteil behauptet oder gar bewiesen.Deutliche Anzeichen sprechen vielmehrfür eine Zunahme seit der Gesetzesände-rung.

Das Scheitern des gewählten „Schutz-konzepts“ belegt dessen Nichteignung.Manche halten dieses Konzept zwar fürdas bestmögliche und allemal für besserals eine „reine“ Fristenregelung, wie siein anderen Ländern gilt. Sie verkennenoder verdrängen dabei allerdings wesent-liche kontraproduktive Aspekte des

10 Jahre Fristenregelungin Deutschland

Eine Bilanz der Juristen-Vereinigung Lebensrecht e.V. (Mai 2003)

1 Urteil v. 28.5.1993, BVerfGE 88, 203 ff. Die im folgendenText in Klammer gesetzten Ziffern bezeichnen die Sei-tenzahl in der amtlichen EntscheidungssammlungBVerfGE 88.

2 Thomas Giesen, Wie oft wird in Deutschland abgetrie-ben? in: Zeitschrift für Lebensrecht 1997, S. 57 ff.

3 Vgl. §§ 15 ff SchKG.

4 Vgl. zuletzt die Antwort der Bundesregierung vom27.9.2002 auf eine Kleine Anfrage von Abgeordneten undder Fraktion der CDU/CSU, BT-Drucks. 14/9985.

5 Manfred Spieker, Kirche und Abtreibung in Deutschland,Schöningh 2001, S. 52 ff..

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28 LEBENSFORUM 2/2003

Dokumentation

„Beratungskonzepts“. Dieses legt insbe-sondere den Gedanken an eine „Recht-fertigung durch Verfahren“ nahe und ver-nebelt dadurch das Rechtsbewusstsein.Indem das Konzept Hilfe zum Leben undHilfe zum Töten durch Erteilung desBeratungsscheins untrennbar miteinanderverknüpft, mindert es die Glaubwürdig-keit des Bemühens um die Rettung jedeseinzelnen ungeborenen Kindes. Um derRettung der einen Kinder willen nimmtes ferner zwangsläufig die Tötung ande-rer bewusst in Kauf. Damit bricht es mitdem bisher – insbesondere vom BVerfGund vom BGH – anerkannten Rechts-grundsatz, nach welchem sich, wo es ummenschliches Leben geht, jede zahlenmä-ßige Abwägung verbietet.

Wesentliche Mängel

Von diesen konzeptbedingten Zweifelnabgesehen, ist das Ausbleiben eines aus-reichenden Schutzeffekts der gesetzlichenRegelung für das Leben Ungeborener ins-besondere auf folgende Mängel zurück-zuführen, auf welche die Juristen-Verei-nigung Lebensrecht schon seit Jahrenwiederholt hingewiesen hat.

1. Überlebenschance stattLebensrecht

Dem ungeborenen Kind steht in jedemStadium der Schwangerschaft auch ge-genüber seiner Mutter ein eigenes Rechtauf Leben zu. Davon sind das BVerfG(Leitsatz 1 und S. 252) sowie der Gesetz-geber übereinstimmend ausgegangen.Lebensrecht aber bedeutet seinem Wesennach, dass das Lebendürfen nicht von derEntscheidung anderer abhängig ist. Inkrassem Widerspruch hierzu überlässt das„Beratungskonzept“ der Schwangeren dieLetztverantwortung zur Entscheidungüber Leben oder Tod ihres Kindes. Da-durch bleibt ihm lediglich eine Überle-benschance, die häufig gleich null ist.

2. Verfall desRechtsbewusstseins

Das BVerfG ist grundsätzlich von ei-nem „verfassungsrechtlichen Verbot desSchwangerschaftsabbruchs“ ausgegan-gen, das im Gesetz bestätigt und verdeut-licht werden müsse (255, 262, 273). Eineauch nur annähernd deutliche Kennzeich-nung der Tötung Ungeborener als Unrechtist im Gesetz jedoch nirgendwo zu fin-den. Unrechtsfolgen wurden überdies —angeblich „konzeptbedingt“ — ausge-schlossen. Deshalb sowie aufgrund derDurchführung in einem ausreichenden

und flächendeckenden Netz ambulanterwie stationärer Einrichtungen als „Staat-saufgabe“ (328) können „beratene“ Ab-treibungen nach geltendem Gesetz kaummehr als verboten, d.h. rechtswidrig er-kannt werden. Dementsprechend geltensie inzwischen in der Rechtsprechung,Rechtslehre und in der öffentlichen Mei-nung vielfach als rechtmäßig. Der Bera-tung und ihrer Bescheinigung wird alsonicht bloß eine strafbefreiende, sonderndarüber hinaus eine rechtfertigende Wir-kung beigemessen. Der darin zu sehendeVerfall des Rechtsbewusstseins stellt denSchutzeffekt des „Beratungskonzepts“grundlegend in Frage. In der Erhaltungund Stärkung des Rechtsbewussteins hataber das BVerfG – ohne weiteres ein-leuchtend – gerade die Grundvorausset-zung für einen wirksamen Lebensschutzdurch Beratung gesehen (268, 273, 278,320). Diese bleibt unerfüllt.

3. Schutzdienliche Beratungnicht gewährleistet

Besseren Lebensschutz erhofft sich derGesetzgeber von einer Pflichtberatung.Deren tatsächliche Durchführung ist je-doch nicht gesichert. Das Gesetz geht le-diglich von der Gesprächs- und Mitwir-kungsbereitschaft der Schwangeren aus.Es verlangt eine solche Mitwirkung aberletztlich nicht als Voraussetzung für dieErteilung eines Beratungsscheins. Diesermuss vielmehr, wenn sonst der Ablauf dergesetzlichen Fristen droht, sogar dannausgestellt werden, wenn die Schwange-re sich weigert, Gründe für ihren Abbruch-wunsch anzugeben.

Eine Beratung, die dem LebensschutzUngeborener tatsächlich dient, ist auchdeshalb nicht gewährleistet, weil der Staatdiese eigene Aufgabe meist anderen Trä-gern überlässt, ohne in Gesetz und Praxisausreichend dafür Sorge zu tragen, dassdiese die den Vorgaben des BVerfG (287)entsprechende Eignung besitzen.

Infolgedessen wird die Beratung auchsolchen Trägern überlassen, deren Grund-einstellung zum Schutz ungeborenen Le-bens zweifelhaft ist. Weil sich die Bera-tungstätigkeit zudem einer wirksamenKontrolle weitgehend entzieht, verkommtBeratung vielfach zur bloßen Formalität.

Lebensschutz durch Beratung verlangtzudem eine ausreichende Überlegungs-frist. Bei Anwendung herkömmlicherAbtreibungsmethoden dauert sie praktischnur acht Wochen. Bei der vom Gesetz in-zwischen ermöglichten Abtreibung mitMifegyne beträgt sie wegen der verlang-ten sicheren Feststellung der Schwanger-schaft und der zeitlich begrenzten An-

wendbarkeit dieses Mittels jedoch nurwenige Tage. Es erscheint illusorisch,dass eine oft genug unter dem Druck ih-res Umfeldes stehende Schwangere in ei-ner derart kurzen Zeit noch zum Austra-gen des Kindes bewogen werden kann.Indem der Gesetzgeber die Voraussetzun-gen für die Zulassung von Mifegyne ge-schaffen hat, hat er deshalb eine Schutz-wirkung seiner Regelung für das unge-borene Kind selbst unmöglich gemacht.

Obwohl die Beratung Aufgabe desStaates ist, hat dieser bisher nicht für einezuverlässige Ermittlung der Zahlen der inden einzelnen Ländern und Beratungsstel-len stattgefundenen Beratungen sowie derausgestellten Bescheinigungen Sorge ge-tragen. Diese ist für eine Erfolgskontrol-le jedoch unverzichtbar. Eine entspre-chende Ergänzung der Bundesstatistik istdeshalb geboten.

4. Mitwirkung des Arztes ohneSchutzeffekt

Nach dem Urteil des BVerfG (289) ob-liegt auch und gerade dem Arzt eineSchutzaufgabe für das ungeborene Leben.Der Staat müsse sicherstellen, dass derArzt diese Schutzaufgabe bei der ärztli-chen Beratung und der Entscheidung überdie Mitwirkung am Schwangerschaftsab-bruch wahrnehmen könne. Der Arzt dür-fe einen verlangten Schwangerschaftsab-bruch nicht lediglich vollziehen, sondernhabe sein ärztliches Handeln zu verant-worten.

Die Erfüllung dieser Aufgabe ist bereitsdadurch nachhaltig in Frage gestellt, dassdas BVerfG selbst auf die Mitwirkung derÄrzte am „Beratungskonzept” setzt unddamit von der Verantwortbarkeit auch

6 Die These von der Rechtfertigung (einer Abtreibung) durchVerfahren wird in der Rechtslehre teilweise vertreten(Nachweise bei Bernward Büchner, Ist abtreiben wirklichnoch Unrecht? Schriftenreihe der Juristen-VereinigungLebensrecht Nr. 17 <2000>, S. 9 ff., 14.).

7 BVerfG, Urteil v. 25.2.1975, BVerfGE 39, 1 ff., 59; BGH,Urteil v. 28.11.1952, Neue Juristische Wochenschrift 1953,S. 513 f.

8 So z.B. in der Erklärung zum 1.10.2000 „Nachbesserungs-pflicht ernst nehmen“, veröffentlicht in: Die Tagespost vom28.9.2000; „Beratungsschutzkonzept“ und Mitwirkung derKirche, Memorandum vom November 1998, in: Zeitschriftfür Lebensrecht 1998, S. 41 ff; jeweils nachzulesen unterwww.juristen-vereinigung-lebensrecht.de.

9 § 219 Absatz 1 Satz 3 StGB

10 BVerfGE 88, 203 ff., 268 ff., 318 f.; § 219 Absatz 1 Satz 1StGB

11 Hierzu Christian Starck, Neue Juristische Wochenschrift2000, S. 2714 ff.

12 Hierzu Peter J. Tettinger, Schutz des werdenden Lebensin Deutschland, in: Festschrift für Knut Ipsen zum 65. Ge-burtstag, Beck/München 2000, S. 779.

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LEBENSFORUM 2/2003 29

Dokumentation

solcher Abtreibungen ausgeht, die nacheigener Auffassung grundsätzlich einemverfassungsrechtlichen Verbot unterlie-gen. Zudem hat das BVerfG den ärztli-chen, auf eine rechtswidrige Abtreibungzielenden Behandlungsvertrag als recht-mäßig bewertet und sogar in den grund-rechtlichen Schutz der Berufsfreiheit ein-bezogen.

Davon abgesehen hat der Gesetzgeberdie Wahrnehmung der ärztlichen Schutz-aufgabe nicht in der gebotenen Weise si-chergestellt. Insbesondere gebietet dasGesetz dem Arzt lediglich, der Frau Ge-legenheit zur Darlegung der Gründe fürihr Verlangen nach Abbruch der Schwan-gerschaft zu geben. Sich diese Gründestets darlegen zu lassen, ist der Arzt ge-setzlich nicht verpflichtet, obwohl dies dieMindestvoraussetzung einer verantwort-baren Entscheidung zum Abbruch wäre.

Ferner hat der Gesetzgeber die Forde-rung des BVerfG (295) missachtet, denGefahren zu begegnen, welche von Ein-richtungen ausgehen, die auf Abtreibun-gen spezialisiert sind. In solchen ist einLebensschutz Ungeborener durch ärztli-ches Handeln schon gar nicht zu erwar-ten.

5. Mangelnder Schutz derSchwangeren vor Pressionen

Der laut BVerfG (296) gebotene Schutzvor Gefahren, die von Dritten ausgehen,insbesondere von Personen aus demfamiliären und sozialen Umfeld derSchwangeren, ist nicht gewährleistet. Ins-besondere fehlt es an strafbewehrtenVerhaltensgeboten und -verboten über diepraktisch wirkungslose Strafdrohung imFall der Nötigung hinaus.

6. Diskriminierung Behinderterbei Spätabtreibung

Die weite Fassung der medizinischenIndikation ist, soweit mit ihr auch die Fälleder früheren embryopathischen Indikati-on „aufgefangen“ werden sollen, mit demgrundgesetzlichen Verbot einer Diskrimi-nierung Behinderter nicht zu vereinba-ren. Sie ermöglicht es, ungeborene Kin-der ohne zeitliche Befristung „nichtrechtswidrig“ zu töten. Dies hat in derPraxis dazu geführt, dass in Deutschlandjährlich etwa 800 Ungeborene wegennicht selten unsicher diagnostizierter,mehr oder weniger schwerwiegender Be-hinderungen selbst noch nach Erreichender extrauterinen Lebensfähigkeit abge-trieben werden. Oft genug geschieht dies

unter dem auf dem Arzt lastenden Druckeiner nach der Rechtsprechung drohendenSchadensersatzpflicht wegen der Geburteines behinderten Kindes. Manche derAbgetriebenen überleben den Eingriff undwerden in der Erwartung ihres baldigenTodes unversorgt liegen gelassen. Ein sol-ches Überleben wird inzwischen zuneh-mend durch eine – ethisch unverantwort-liche – Tötung des Kindes im Mutterleibmittels einer Kaliumchlorid-Spritze insHerz verhindert. Der Gesetzgeber hat esbisher nicht für nötig befunden, der skan-dalösen Praxis solcher Spätabtreibungendurch eine dem grundgesetzlichen Diskri-minierungsverbot Rechnung tragendeEinschränkung der medizinischen Indika-tion zu begegnen.

Aufgrund des inzwischen zerrüttetenRechtsbewusstseins mag eine Verbesse-rung des Lebensschutzes mittels des Straf-rechts derzeit nicht erreichbar sein. DieSchutzpflicht des Staates für das LebenUngeborener gebietet jedoch zumindest,Abtreibungen, auch wenn sie nach Bera-tung erfolgen, klar als Unrecht zu kenn-zeichnen, als solches zu behandeln undnicht länger staatlich zu fördern.

Die Juristen-Vereinigung Lebensrechte.V. appelliert erneut an den DeutschenBundestag, endlich seiner Beobachtungs-pflicht nachzukommen und aus der offen-kundigen Schutzuntauglichkeit der gel-tenden Gesetze zum Schwangerschaftsab-bruch die gebotenen Konsequenzen zuziehen.

Juristen-Vereinigung Lebensrecht e.V.,Postfach 50 13 30, 50973 Köln

Telefon (0221) 13 44 78Telefax (0221) 222 59 57

www.juristen-vereinigung-lebensrecht.deinfo@juristen-vereinigung-lebensrecht.de

13 § 218c Absatz 1 Nr. 1 StGB

14 § 240 Absatz 4 Satz 2 Nr. 2 StGB

15 § 218a Absatz 2 StGB

16 Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 GG

17 Zu weiteren verfassungsrechtlichen Mängeln der gesetz-lichen Regelung vgl. Christian Starck, Verfassungsrecht-liche Probleme der deutschen Abtreibungsgesetzgebung,in: Die Macht des Geistes, Festschrift für HartmutSchiedermair, Müller/Heidelberg 2001, S. 377 ff.

BVL fordertReform des § 218

Am 28. Mai 1993 wurde das Zwei-te Abtreibungsurteil des Bundes-verfassungsgerichts verkündet,das zur geltenden Regelung vonAbtreibungen geführt hat. Ausdiesem Anlass erklärte die Vorsit-zende des Bundesverband Le-bensrecht (BVL), Dr. med. Clau-dia Kaminski, am 27. Mai 2003:

Das sogenannte „Beratungs-schutzkonzept“ ist gescheitert. Dasden derzeit geltenden rechtlichenRegelungen der Abtreibung zugrun-de liegende Konzept hat kein einzi-ges der mit ihm gemachten Verspre-chen erfüllt. Weder ist die Zahl derAbtreibungen spürbar zurückgegan-gen, noch hat die juristische Kon-struktion „rechtswidrig“, aber unterAuflagen „straffrei“ die gewünsch-te Wirkung gezeigt. In Teilen derBevölkerung ist inzwischen gar voneinem „Recht auf Abtreibung“ dieRede. Die grausame Praxis vonSpätabtreibungen und die sogenann-te „Kind als Schaden“-Rechtspre-chung machen das Scheitern dergeltenden gesetzlichen Bestimmun-gen überdeutlich.

Gleichwohl weigert sich der Ge-setzgeber bislang der ihm vom BVGzur Auflage gemachten Nachbes-serungspflicht nachzukommen. Derdamals unter den Parteien erreichteKonsens wird wie eine „heiligeKuh“ behandelt, an der offensicht-lich nicht gerührt werden soll. Die-se künstliche Ruhe ist jedoch eineFriedhofsruhe, die jedes Jahr hun-derttausende unschuldige Men-schen in Deutschland das Lebenkostet und die Art. 1 bis 3 unsererVerfassung als „pure Lyrik“ ver-höhnt. Der BVL fordert daher alleim Deutschen Bundestag vertrete-nen Parteien auf, diesen unwürdigenZustand zu beenden und der Wirk-lichkeit endlich ins Gesicht zu se-hen: Die jetzigen gesetzlichen Re-gelungen sind ungeeignet, Leibund Leben unschuldiger und wehr-loser Menschen zu schützen undgehören daher reformiert.

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30 LEBENSFORUM 2/2003

Bücherforum

Menschenwürde – einMenschenleben lang!

Gleich zu Beginn des Bandes, der eininterdisziplinäres Symposium dokumen-tiert, verdeutlicht Walter Schweidler, Pro-fessor für Philosophie in Bochum, diefundamentalen Unterschiede zwischendem ethischen und dem naturwissen-schaftlichen Diskurs sowie juristischenDezisionen und politischen Kompromis-sen. Naturwissenschaft versucht dieStrukturen der Wirklichkeit zu erklären,so auch die Medizin – bis zu dem Punkt,wo es um die Verantwortung für Gesund-heit, um Leben und Tod geht, d.h., woHandeln (oder Unterlassen) zu rechtfer-tigen sind. Denn Menschenwürde ist „kei-ne Leerformel, kein versteckter Appellund keine Glaubensgröße“. Vielmehr be-stimmt sie das Miteinander von Men-schen. Der Mensch, an dem eine würde-verletzende Handlung begangen wird,verliert seine Würde nicht, auch dannnicht, wenn er die „Misshandlung“ selbstgar nicht begreift (z.B. bei Demenz). Viel-mehr ist die Würde „unantastbar“ (Art. 1GG), weil sie ein Verhältnis ausdrückt, dasjeder konkreten Beeinträchtigung gegen-über unversehrt bleibt. Aufgabe des Staa-tes ist es, jede Abwägung des „Wertes“von Menschenleben gegen andere Güterkategorisch zu verbieten. Es hat nichts mit„Speziezismus“ noch unmittelbar mit der„Heiligkeit des Lebens“ zu tun, wenn dersäkular-neutrale Staat die Grenze aner-kennt, welche die Natur setzt; denn alleindie Natur entscheidet darüber, werMensch ist.

Durch den derzeitigen „bioethischen“Diskurs werde der „Verbotscharakter“ derDefinition von Menschenwürde aller-dings relativiert. Ist mit „Bioethik“ denneine „Neue Ethik“ entstanden? Keines-wegs! Denn alle Dehnungen und Verren-kungen, die man in Kauf nimmt, „um denfaktischen Zusammenbruch des ursprüng-lichen Konzepts einer unteilbaren Men-schenwürde juristisch zu kompensieren“(rechtswidrige, aber straffreie Abtreibung;verbotene Herstellung, aber erlaubterImport embryonaler Stammzellen; „Scha-densfall“ bei kindlicher Behinderung),deuten darauf hin, dass wir weit davonentfernt sind, eine ethische Alternative zuihm für akzeptabel zu halten“ (S. 20).Offensichtlich sind juristische Konkreti-sierungen durch politische Kompromis-se aber „gezwungen“, Menschenwürde zu„relativieren“. In diesem gesellschaftli-chen Prozess ist mehr und mehr die Stra-tegie zu erkennen, die Entscheidung dar-über, wer Mensch ist, allein in den natur-

wissenschaftlichen Bereich zu verlagern.Die Debatte um den Begriff der Person,die so kontroverse Auslegungen wie dievon Robert Spaemann einerseits (dazu R.Spaemann S. 46ff.) und Peter Singer an-dererseits gestattet (dazu Näheres bei D.Birnbacher , S. 31ff.), werde nun subtilerweitergeführt, indem man zwischen„Menschenleben“ und „menschlichemLeben“ differenziere (S. 21). Doch das„Leben von Zellen“ und das von Orga-nen, die beforscht, gezüchtet oder ver-pflanzt werden, ist und bleibt das „Lebenvon Menschen“, selbst wenn es offenbleibt, welche Menschen dies gewesensind. Lebende Organe, einem sog. Hirn-toten entnommen, sind „menschlichesLeben“, und die embryonale Stammzelleist es auch. Ihrer naturwissenschaftlichen„Versachlichung“ hält Schweidler entge-gen: „Die entscheidende Frage lautetnicht, was Stammzellen sind“, welchen„moralischen status“ der menschlicheEmbryo hat oder ob „endgültig“ nichtmehr für Fortpflanzungszwecke in Fragekommende „überzählige“ Embryonendenn als „menschliche Wesen“ zu betrach-ten sind, „sondern was für Handlungennötig sind, um an Stammzellen zu kom-men“, und wie die „Handlungen ethischzu beurteilen sind“, aufgrund derer wir zu„überzähligen“ Embryonen kommen.Kurz: es kommt nicht darauf an, „ob wireine Differenz zwischen menschlichemLeben und dem Leben von Menschen er-zeugen können, sondern ob wir es dürfen.Nicht ob menschliches Leben jenseits le-bender Menschen, sondern ob es auf de-ren Kosten existiert, ist entscheidend.Wenn vom Menschen abstammendes„menschliches Leben“ geopfert, ge- oderverbraucht wird, ist Kritik angesagt. Manmuss sich konkret, so R. Spaemann, „derungeheuren Obszönität“ embryonalerStammzelltherapie stellen, „die darinliegt, dass Menschen... ihre eigene Nach-kommenschaft in frühem Stadium konsu-mieren, um daraus gesundheitlichen Nut-zen zu ziehen“(S.46)!

Weder Medizin, noch Gesellschaft, Ju-stiz oder Politik haben Definitionsmachtdarüber, wer zum Kreis der Träger vonMenschenwürde gehört. Die Menschen-würde bleibt ein Tabu. Das Prinzip ihrerUnantastbarkeit ist der Regelungsgewaltdes modernen Staates entzogen, nicht ausirgendeiner metaphysischen Ableitungheraus, sondern schlicht aus dem Fakt,dass sich die Staatsgewalt selbst auf siegründet: als Korrektiv gegenüber denFreiheitsansprüchen seiner Bürger kannsich der Rechtsstaat allein auf das Prin-zip des Respekts vor der gleichen Würde

aller Menschen berufen. Anders geratenWürde und Lebensrecht zu „Funktionender gesellschaftlichen Vereinbarung übererwünschte Ausdehnung von Freiheits-und Eigentumsspielräumen“, was die all-gemeine Sicherheit der Bürger, Kultur undZivilität aufkündigt. Dazu Eduard Picker:Die auf die Angsterfahrung zurückgeführ-te, damit (!) „durch ihren Zweck definierteund legitimierte ‚Würde‘ des Menschensetzt diese als das Medium ein, das dentechnisch wissenschaftlichen Verstand derGesellschaft mit deren moralisch-rechtli-cher Vernunft in Übereinstimmung hält.Die Bedeutung dieser vielfach als störendempfundenen ‚Würde’ nimmt damit zu,

je mehr die moderne Gesellschaft Gefahrläuft, von ihren eigenen Schöpfungenüberwältigt zu werden“ (S. 197ff).

Dabei ist der zweifellos komplexePersonbegriff unverzichtbar, so JosefSeifert, Professor an der InternationalenAkademie für Philosophie des Fürsten-tums Liechtenstein: „Wenn Personen mitdem Gehirn identisch oder Wirkungenvon Hirnprozessen wären, könnten ausrein ontologischen und logischen Grün-den weder das Personsein des Embryosnoch die personale Würde des ‚Hirntoten’oder bewusstlosen Sterbenden anerkanntwerden“ (S. 91). Nur das angemesseneVerstehen des Menschen als Person undSubjekt, lässt die Würde des Ungeborenenund permanent Unbewussten hervortre-ten; „Personwürde“ in ihrer Komplexitätmeint das Geschenk der Schöpfung/Na-tur an den Menschen, ihren unverlierba-ren Besitz, zugleich auch ihre gefährde-te, weil kontingente Aktualisierung und

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letztlich ihre „Eroberung“: es ist die un-veräußerliche „ontologische“ (intrin-sische) Würde, die sich als „personale“Würde in der freien sittlichen Entschei-dung erfüllt.

Weil für Hans-Martin Sass die Idee derEinheit der Menschheit und die Idee derMenschenwürde zusammengehören, solldiesem Konzept auch „die Vermutung aufeine Universalität menschlicher Werte undmenschlicher Würde jenseits aller kultu-rellen oder religiösen Ausprägungen“ fol-gen. In dem ihm eigenen „historisie-renden“ Stil zieht Sass den Schluss: „DieMissachtung der Menschenwürde unter-scheidet die Unkultur von der Kultur, ins-besondere auch dort, wo Unkultur sich imGewande religiöser oder philosophischerSprache und Ziele versteckt. Toleranzgegenüber der Unkultur ist ethisch undkulturell kontraproduktiv und nicht akzep-tabel.“ Stimmt so! Aber wer bestimmt,was Kultur oder Unkultur ist, wo ist derMaßstab? Da wird es für den „Pluralisten“Sass schwer: er zieht sich zurück auf di-verse Weltanschauungen und das „Gewis-sen“ des Einzelnen, dem sich Recht undGesetz offenbar anzupassen haben. Diesaber verkürzt die Perspektive.

Denn „Menschenwürde“ wird von vie-len aufgerufen, von Befürwortern der ak-tiven Euthanasie ebenso wie von derPalliativmedizin. „Universalität“ und„Personalität“ der Menschenwürde kannman nur zugleich haben, entgegnet Tho-mas S. Hoffmann mit Verweis auf I. Kant(Metaphysik der Sitten, Rechtslehre,AAVI, 281). „Personalität bedeutet nichtzuletzt die Bestreitung des Rechts desAllgemeinen, über den individuellenWürdeanspruch hinwegzugehen“. Hoff-mann bedauert, dass in Europa inzwischenWürdekonsense „zusammen mit Legisla-turen bestehen, die den Wert des mensch-lichen Lebens an seinem Anfang, in sei-ner ‚defizitären‘ Gestalt und an seinemEnde erheblich relativieren, indem sie ihnan einem gesellschaftlich fixierten Nor-malmaß messen, das sich selbst auf demScheitel der Lebenskurve wähnt“. Viel-mehr ist „Menschenwürde“ ein „Begriffdes Verzichts“, des Verzichts nämlich, denMenschen definieren zu wollen. Erschränkt somit das Handeln an einanderdurch die „konstatierende“ Logik derAnerkennung ein, die gerade das „Sein-können“ gegen das schon bestimmte Sein,die Optionen der Freiheit gegen die „Sach-zwänge“ schützt: „Eine Menschenwürde,die keine konkreten – was auch heißt:keine empfindlichen – Grenzen zieht,wäre... der Mühe nicht wert, sich ihrer zu

erinnern. Eine Würde indes, die es tut, istder Schlüssel zur sittlichen Welt.“

„Über verfassungsrechtliche Miss-verständnisse und moralische Grundlagenim Streit um die Forschung an embryo-nalen Stammzellen“ referiert der Hambur-ger Rechtsphilosoph Reinhart Merkel. Ererklärt den Embryonenschutz als „Poten-tialitätsschutz“ und damit für „abwägbar“z.B. im Hinblick auf „Therapiepflichten“gegenüber Kranken. Zum „Beweis“ fürdas faktisch „geringere moralische Ge-wicht des Embryonenschutzes“ beruftsich Merkel detailliert auf die Judikaturdes Bundesverfassungsgerichts zur Ab-treibung und zum Hirntod. Dem wider-sprechen der Strafrechtler Wolfram Höf-ling und der Sozialrechtler Dietmar vonder Pfordten entschieden. Nach Höflingist festzuhalten: das zentrale Interpreta-ment des Grundgesetzes ist der Begriffder Würde, die „wie das Wesen des Men-schen nicht... zu definieren“ ist (CarloSchmid). Das Menschenbild des Grund-gesetzes ist ein „offenes“: „Schutzgut derNorm ist nicht weniger und nicht mehrals das körperliche Dasein eines Mitgliedsder menschlichen Gattung“, allein das„Lebendigsein“ eines menschlichen Or-ganismus (S. 170).

Das bereits von Merkel zitierte Hirn-todkonzept wird auch von W. Höfling kri-tisiert, wobei er das Transplantations-gesetz – im Gegensatz zum Embryonen-schutzgesetz – als „misslungenes Beispiellegislativer ‚Lebensdefinition’“ anführt;denn der Hirntote ist „gewiss keine Lei-che“.

Unter der Überschrift „Die Grenzen desMenschseins“ werden im 2. Teil des Ban-des verschiedene Themen aufgenommen,z.B. die ethischen Grenzen neuer Thera-pien. Hier und bei den Deutungen des„moralischen Status“ des Embryos blei-ben Medizin und Naturwissenschaft auf-gerufen, aus gängigen Interpretations-schemen auszubrechen und in das Gebietvon „Geist“, „Sprache“ und „Kultur“ zuwechseln. Die Eigenart des apallischenSyndroms wird ebenso reflektiert (W.Schlaegel und B. Lipp) wie die behaup-tete (!) Äquivalenz von „Hirnstammtod“,„Hirntod“ und Tod (Alan Shewmon). DerTransplantationsmediziner J. F. Spittlerkann nicht einsehen, dass „Herzschlagund maschinelle Beatmung allein... denhirntoten, überlebenden Körper... zu ei-nem Menschen machen“, für ihn ist deraller geistig-seelischen Fähigkeiten voll-ständig entbehrende „überlebende übrigeKörper“ nicht mehr sinnvoll als lebendi-ger Mensch zu bezeichnen (S. 326). In-teressant ist demgegenüber, von den Be-

denken japanischer Philosophie gegen-über der Organtransplantationsethik zuerfahren: dort gilt der Rezipient weitge-hend als Kannibale. Denn die „Bedeutungeiner Organtransplantation ist... nicht aufSpender, Patient und Arzt begrenzt; mandarf die betreffenden Entscheidungennicht nur auf die Frage nach der Hilfe fürden einzelnen Patienten auf der unmittel-bar begegnenden Szene einschränken. DieSache, die zu entscheiden ist, bezieht sichin der Tat auf unsere ganze Zivilisation“(Awaya 1998)!

Eugen Brysch, Vorstand der deutschenHospiz Stiftung, warnt vor niederländi-schen Verhältnissen in Bezug auf eineZulassung der aktiven Sterbehilfe als „Le-benshilfe für ein unwürdiges Gesundheits-system“. Betroffen wären bei uns jährlichetwa 850.000 Sterbende und die Millio-nen ihrer Angehörigen. Vielmehr sei esPflicht des Staates, jedem ein menschen-würdiges Sterben zu ermöglichen, eineüberbordende Intensivmedizin aufWunsch des Patienten ebenso abzuweh-ren wie eine als Autonomie „getarnte“Fremdbestimmung durch ungeduldigeAngehörige oder „Pflegedienste“. „Esmuss uns aufrütteln, wenn Philosophen,Ethiker und Politiker anstelle eines Rech-tes auf menschenwürdiges Sterben dasTöten bereithalten wollen.“

Das „Aufrütteln“ ist dem vorliegendenBand durch seine Kontroversen gelungen.Lesenswert!

Dr. Maria Overdick-Gulden

Walter Schweidler, Herbert A. Neumann,Eugen Brysch (Hg.): Menschenleben –Menschenwürde. Interdisziplinäres Sym-posium zur Bioethik. Mit Beiträgen vonR. Spaemann, D. Birnbacher, W. Höfling,H. M. Sass, A. Shewmon u. a. LIT VerlagMünster-Hamburg-London 2003. 341 Sei-ten

Für jede Familie eineigenes „Drehbuch“

Alles wäre kein Problem, wenn man dieKinder „zwischenzeitlich in den Rauch-fang hängen“ könnte. Da dies aber nichtdie ideale Lösung ist, bietet ConsueloGräfin Ballestrem in ihrem jüngst erschie-nenen Buch „Familie contra Beruf?“ vie-le Alternativen dazu. Was die Fragestel-lung impliziert, wird auf jeder Seite deut-

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lich: es kostet etwas Aufwand, Phantasieund Mühe, diese beiden Bereiche in Ein-klang zu bringen, aber wenn man gewis-se grundsätzliche Regeln beachtet, kanndie im Titel gestellte Frage eindeutig mit„nein“ beantwortet werden.

Warum eigentlich stehen wir heute vordiesem Problem? Gräfin Ballestrem stelltzu Beginn wesentliche Faktoren glasklarheraus: die vermeintliche „Individualität“und „Selbstverwirklichung“, die denMenschen zum Herdentier degradieren,das von Markt und Werbung bestimmtwerden soll. Das betriebswirtschaftlicheDenken hat alle Lebensbereiche infiltriert,es geht zunehmend um Kosten-Nutzen-Modelle, selbst in der Ehe – was dazuführt, daß Paare zuerst „zurückrechnen,nachrechnen, aufrechnen und schließlichwomöglich miteinander endgültig abrech-nen“. Dann das – auch durch die negati-ven Auswirkungen der Emanzipationsbe-wegung verursachte – schlechte Ansehendes Berufes „Mutter“, die als Parasit derGesellschaft diffamiert wird, weil sie kei-ne Leistung bringt (sprich kein Geld ver-dient), das Image von Kindern als „Fes-sel“, die die Frauen davon abhält, sichselbst zu verwirklichen. Kinder, vor al-lem deren “Herstellung”, wird mehr undmehr zu einem technischen Prozess her-abgewürdigt, durch künstliche und tech-nisierte Familienplanung, In-Vitro-Fertilisation, PID, Stammzellforschung,Klonen, Abtreibung. Kinder kann man amBeginn ihres Lebens produzieren und„wegmachen“ oder „verbrauchen“ (Eu-phemismen für töten). Damit möchte derMensch seine Abhängigkeit von der Na-tur überwinden, die das einzige ist, wasihn noch von der völligen, rücksichtslo-sen Selbstverwirklichung abhalten könn-te. Eingehend legt die Autorin dar, daß esdringend notwendig ist, diesen „biome-dizinischen Zerlegungsprozeß“ rückgän-gig zu machen. Hinzu kommt, dass nie-mand mehr „dienen“ (unentgeltlich fürandere etwas tun) möchte, weil dieserBegriff den Beigeschmack von niederer,unterwürfiger Tätigkeit hat. Definiertwird er im allgemeinen so: ein Ehepart-ner (fast immer die Ehefrau) ist jahrzehn-telang der Fußabtreter des anderen. Allediese Erscheinungen verbindet die Auto-rin mit grundsätzlichen Betrachtungen zurheutigen Gesellschaft, die z.B. darankrankt, dass das Leben zwar häufig gutdurchorganisiert ist, viele Menschen aberimmer unglücklicher werden.

Der Ansatz, den Gräfin Ballestrem an-bietet, ist ein ganz anderer: die Ehe be-steht aus lebenslangem, gegenseitigem

Dienen, das aus der Liebe entspringt undweder mit Unterwürfigkeit noch mit nie-derem Ansehen zu tun hat, sondern ganzim Gegenteil zu den wichtigsten undhöchststehenden Aufgaben überhauptzählt, damit eine Familie und damit eineGesellschaft funktionieren kann. Dienenheißt Rücksicht nehmen, auf den anderenhören, ihn ernst nehmen, ihm selbstloshelfen; es bedeutet, keine Gegenleistungzu verlangen, eben nicht auf-, ab- odervorzurechnen. Dieses gegenseitige Die-nen, das natürlich nur funktionieren kann,wenn beide Ehepartner dieses Prinzip re-spektieren, sei die Grundlage dafür, dasseine Frau sich eben nicht in jeder Hinsichtzerreißen müsse, wenn sie versuche, dieDoppelbelastung Familie/Beruf zu orga-nisieren und beiden Bereichen gerecht zuwerden. Denn in einer solchen Ehe habenbeide Partner ein großes Interesse daran,den anderen in jeder Hinsicht zu unter-stützen, zu entlasten und eine für beidezufriedenstellende Lösung zu suchen. JedeFrau, die Kinder habe und trotzdem ge-gen Entgelt außerhalb des Hauses arbei-te, stehe ständig unter (Zeit-) Druck undmüsse sich anhören, sie sei eine Raben-mutter, weil sie nicht den ganzen Tag zuHause verbringe. Aber ist sie denn wirk-lich eine? Gräfin Ballestrem sagt „ja“,wenn die Sache so organisiert ist, dass aufdie Kinder keine Rücksicht genommenwird, sie keine dauerhaften festen Bezugs-personen haben und nur so nebenher lau-fen. Andererseits gibt es Mütter, die denganzen Tag zu Hause sind und sich trotz-dem nicht wirklich um die Kinder küm-mern – was bedeutet, dass die reine Zeit-berechnung zwar wichtig, aber nicht dasentscheidende Kriterium ist.

Consuelo Ballestrem versucht in keinerWeise zu verdrängen, dass der Spagat zwi-schen Beruf und Familie schwierig ist undmanchmal fast unüberwindbar erscheint.Die äußeren Einflüsse und Beurteilungen,die Problematik der alleinerziehendenMütter und Väter und andere extremeFamiliensituationen erfordern von Frau-en und Männern besondere persönlicheKraft. Ihr Buch richtet sich aber vor al-lem an die „normalen“ Familien, die je-den Tag aufs neue vor der Frage stehen,wie das Leben trotz Stress und widrigerUmstände weiter für alle Familienmitglie-der lebenswert bleiben kann. Dazu gehörtzuerst einmal die Akzeptanz, dass alleMitglieder der Familie nicht gleichartig,aber absolut gleichwertig sind. Frauensollten nicht nörgeln, dass Männer nichtwie sie fünf Dinge gleichzeitig tun kön-nen, Männer sollten nicht denken, dassFamilienarbeit ohne Bezahlung weniger

wert ist als die bezahlte Tätigkeit außerHaus. Hier schleicht sich bei der Autorineine Anmerkung ein, die Ursache dafürist, dass Männer und die Öffentlichkeit ge-rade diesen letzten Punkt nicht einsehen.Sie konstatiert, dass die „finanzielle Ab-hängigkeit vom Hausherrn“ ein gemein-sames Interesse war und teilweise nochist, als Familie zusammenzubleiben. Ge-rade hier ist es immens wichtig, diesesDenken folgendermaßen zu korrigieren:was jeder der beiden Ehepartner in dieFamilie einbringt, muss als gleichwertigbetrachtet werden, da es gleichwertig ist.Geld, das einer der beiden verdient, istFamiliengeld, Arbeit, die einer der beidenim Haus und für die Familie leistet, istFamilienarbeit. Dabei können Ehepartner

Erwerbs- und Familienarbeit flexibel un-ter sich aufteilen. Nur auf diese Weisekann man davon abkommen, dass Sätzewie: „Meine Frau/meine Mama arbeitetnicht, die ist immer nur zu Hause.“ im-mer noch gängig sind, oder dass Ehefrau-en keinen Kontozugang haben und ihrenMann um Geld bitten müssen, oder dasssich im Extremfall das gemeinsame In-teresse auf die Geldmenge beschränkt.Denn vollkommen zutreffend ist die The-se der Autorin, daß die Familie heute un-ter dem Mangel gemeinsamer Interessenleidet: jeder arbeitet für sich, spielt fürsich, hat eigene Hobbies. Es fehlt wie infrüheren Zeiten der gemeinsame Grundund Boden, die gemeinsame Arbeit imHaus und ums Haus, die gemeinsameVerantwortung für den „Betrieb Familie“.Für ein funktionierendes Familienmodellist eine entscheidende Voraussetzung,dass die Familie sich in solchen grundle-genden Dingen einig wird, was oft unzäh-

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Leserforum

lige Diskussionen erfordert. Aber nurdann kann die Familie gemeinsam das fürsie beste und wirklich individuelle Mo-dell finden.

Das Phänomen, dass Eltern beginnen,für ihre Erziehungsleistung Entgelt zu for-dern, hat nichts mit einer betriebswirt-schaftlichen Auffassung zu tun. Elternbekommen Kinder, weil sie Kinder habenmöchten. Aber sie sehen sich zunehmendDiffamierungen und der Gefahr ausge-setzt, materiell zu verarmen. Die Müttererhalten keine Anerkennung, jedes Kindist ein Armutsrisiko, die „dinks“ (doubleincome, no kids: amerikanischer Begrifffür Doppelverdiener ohne Kinder) sonnensich als Rentner an der Costa Blanca,während die fünffache Mutter als Rent-nerin mit 300,- Euro nicht einmal ein Exi-stenzminimum erhält. Die Familienpolitikder letzten Jahrzehnte hat nur hier und dortein wenig herumkuriert, aber keine wirk-lichen und gerechten Lösungen angebo-ten. Gräfin Ballestrem fordert, dass dieErziehungsleistung zu Hause gesell-schaftspolitisch einen höheren Stellenwerthaben müsse als eine Berufstätigkeit.Denn einen Beruf ausüben könne jeder,jeder normale Angestellte sei ersetzbar.Kinder bekommen können nur eine Mut-ter und ein Vater. Eine Mutter sei für einKind im Grunde in den ersten Jahren nie-mals ganz ersetzbar, die Familie für dasAufwachsen des Kindes das beste Biotop.Dies müsse auch durch ein Familiengeldüber mindestens drei Jahre unterstütztwerden (so sehen dies auch über 60 % derjungen Eltern). Statt dessen werden Mil-lionen verschleudert, um ideologischeKinder-Verwahranstalten zu forcieren (dieIdee hatte Karl Marx), was nicht nur psy-chologisch aus Sicht der Kinder und El-tern problematisch ist, sondern auch amwirklichen Bedarf und Willen der Fami-lien komplett vorbeigeht.

Doch ist auch Positives zu vermelden:Wirtschaft und Volkswirschaft werdenaufmerksam auf die Bedeutung der Fami-lie für eine leistungsfähige Gesellschaft.Immer mehr wird von „Humankapital“gesprochen, im Arbeitsleben „SozialeKompetenz“ gefordert, eben jene Eigen-schaften, die in einer Familie früher ganznormal gelebt wurden und heute so rarsind, dass man sie im Beruf wieder neueinführen muss. Kinder aus intakten Fa-milien sind nicht immer, aber durch-schnittlich leistungsfähiger, sozialer, zu-verlässiger, haben also genau die Wesens-züge, die in Betrieben benötigt werden.Überdies hat sich gezeigt, dass Eltern imDurchschnitt deutlich motivierter in allen

ihren Tätigkeiten sind als Singles – siesehen viel eher einen Sinn in ihrem Tun,da sie wissen, für wen sie tätig sind. Kin-der können also ein Antrieb in positiverHinsicht sein. Erschwert wird die Ent-scheidung für Kinder, wenn „Alternativenlocken“, die die „Mütterlichkeit“ (dennatürlichen Kinderwunsch) in den Hinter-grund drängen. Auch der Aspekt der fi-nanziellen Unabhängigkeit kann eineRolle spielen, der aber seine Wirkung ver-liert, wenn die Bewertung von Geld unddas Verhältnis Geld/Arbeit zurechtgerücktwerden.

Zudem verändert sich die Arbeitswelt,so daß das Prinzip „8 Stunden im Büro“zum Auslaufmodell wird, eine großeChance für Mütter, ihre hervorragendenpersönlichen und dann auch beruflichenFähigkeiten gerecht aufteilen zu können,ohne unentwegt hin- und herzuhetzen.Das Zuhause könnte wieder das werden,was es einmal war: nicht eine reine Schlaf-und Bedienungsstätte, sondern das Zen-trum von Familie und Arbeit. Ein Indizfür diese Entwicklung zeigt sich bereits:Möbelhersteller und Hausbaufirmen ha-ben teilweise ihr Angebot neuesten Kun-denwünschen angepasst – der BereichKüche/Eßzimmer soll groß und gemütlichsein, weil diese Räume als zentraler Le-bensbereich der Familie wiederentdecktwerden.

Über die deutliche Präferenz über dasgesamte Buch hinweg für die Mutter-schaft mit (vorübergehendem) Ausstiegaus dem Beruf kann man streiten, unbe-streitbar ist der von der Autorin verfoch-tene Ansatz „im Zweifel für die Kinder“.In sehr flüssiger und angenehm zu lesen-der Form stellt sie auf objektive WeiseLösungsansätze für Familienmodelle dar,die alle Familienmitglieder berücksichti-gen, und sie veranschaulicht dies durchFallbeispiele, die mit Zitaten von Mütternin der jeweiligen Situation untermalt wer-den. So ist dieses Buch ein guter Ratge-ber: für Familien, die gerade „in Grün-dung“ sind und nach einem für sie trag-baren Modell suchen, aber auch für sol-che, die ihr Modell längst gefunden ha-ben, zur Überprüfung und als Anregungfür Verbesserungen.

Alexandra Maria Linder M.A.

Consuelo Gräfin Ballestrem; Familie con-tra Beruf? : mit gutem Gewissen die rich-tigen Entscheidungen treffen; Augsburg,Sankt Ulrich Verlag (life) 2002; ISBN 3-936484-04-X

Leserbriefe

Therapiemöglichkeiten

Ich möchte Ihnen für die hervor-ragende Ausgabe des letzten „Le-bensForums“ danken. Ich bin vonGeburt an querschnittgelähmt undmir ist bewusst, dass man meineBehinderung heutzutage vorge-burtlich erkennen könnte. In ihremArtikel über die Therapiemög-lichkeiten mit adulten Stammzellenist es Frau Veronika Blasel in be-wundernswerter Weise gelungen,sachlich und objektiv über derenMöglichkeiten und Grenzen zu be-richten. Ihre Ausführungen könnenvielen Personen, die von den von ihrangesprochenen Krankheiten be-troffen sind, Mut machen, ohne ver-antwortungslos unerfüllbare Hoff-nungen zu schüren. Vielen, herzli-chen Dank!

Antonia Egger, München

Natürlich ist es Ihre Pflicht, dasschreiende Unrecht zu thema-tisieren, das wehrlosen Embryonenin- und außerhalb des Mutterleibeswiederfährt. Trotzdem habe ichmich gefreut, dass Sie über Alter-nativen zur embryonalen Stamm-zellforschung berichtet haben. Es istschön, dass Sie auch über das Posi-tive berichtet, auch und gerade weildas Negative so klar überwiegt.

Roman Schneider, Düsseldorf

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Kurz & bündig

Gesundheitsreform: Abtreibungist keine Kassenleistung

Köln (ALfA). Die ALfA hat ausdrück-lich begrüßt, dass nach den jüngsten Vor-stellungen der rot-grünen Koalition,versicherungsfremde Leistungen wie Ste-rilisationen und künstliche Befruchtungenendlich aus dem Leistungskatalog derKrankenkassen gestrichen werden sollen.„Fruchtbarkeit ist keine Krankheit. Wertrotzdem davon ‚befreit‘ zu werdenwünscht, hat kein Anrecht, die Solidar-gemeinschaft zur Finanzierung diesesWunsches heranzuziehen“, erklärte dieBundesvorsitzende der Aktion Lebens-recht für Alle (ALfA), Dr. med. ClaudiaKaminski. Wer daraus im Umkehrschlussfolgere, dann seien jedoch die Kosten fürdie Bekämpfung der Unfruchtbarkeit vonden Krankenkassen zu erstatten, greife zukurz. Und zwar aus mehreren Gründen,so Kaminski. „Erstens: So wenig, wie esein Recht auf gesunde Kinder gibt, sowenig gibt es überhaupt ein Recht aufKinder. Zweitens: Die Zeugung von Kin-dern, ob sie nun auf natürlichem oder aufkünstlichem Wege erfolgt, ist eine inti-me, zumindest aber eine private Angele-genheit, jedenfalls niemals eine staatliche.Drittens: Mit staatlich gewährten Trans-ferleistungen wie dem Kinder- und demErziehungsgeld sollen auch nicht die Zeu-gung eines Kindes durch seine Eltern ‚ho-noriert‘ werden. Vielmehr stellen dieseLeistungen den Versuch dar, einen halb-wegs gerechten Ausgleich zwischen demsozialen Nutzen, den Kinder als Beitrags-zahler in spe für die Solidargemeinschaftbedeuten und den privatisierten Kosten(Unterhalt und Erziehungsleistungen) derEltern zu erzielen. Es gibt also keinenGrund, neben der Sterilisation, nicht auchdie künstliche Befruchtung aus demLeistungskatalog zu streichen. Darüberhinaus gelten Männer und Frauen laut derjüngsten befremdlichen Definition derWeltgesundheitsorganisation (WHO) in-zwischen dann als unfruchtbar, wenn derregelmäßige ungeschützte Geschlechts-verkehr nicht binnen eines halben Jahreszum gewünschten Erfolg führt, was imErgebnis beinah auf ‚Infertilität für alle‘hinausläuft“, so die Ärztin weiter.

So sehr die ALfA den oben zitiertenSchritt der rot-grünen Koalition auch be-grüße, so sehr fordert sie die im Bundes-tag vertretenen Parteien auf, den hier zu-grundeliegenden Gedanken konsequentzu Ende zu denken. „Das bedeutet: AuchAbtreibungen stellen — nach welchenZiffern auch immer abgerechnet — kei-ne Kassenleistungen dar. Das gilt umsomehr, als es sich bei der vorgeburtlichen

Kindstötung bekanntlich um eine ‚rechts-widrige‘ Tat handelt, bei welcher der Ge-setzgeber lediglich von Strafe absieht,wenn zuvor bestimmte Bedingungen er-füllt wurden. Selbst wenn der Staat tat-sächlich außer Stande wäre, das Leben desungeborenen Kindes auch gegen denWunsch der Eltern zu schützen (z.B. durchdie strafrechtliche Verfolgung der Abtrei-bungsärzte), so verhöhnen doch die vonder Solidargemeinschaft getragenen Ko-sten vorgeburtlicher Kindstötungen denvon der Verfassung garantierten Lebens-schutz. Darüber hinaus verursachen Ab-treibungen bislang noch gar nicht bezif-ferte Folgekosten, da unzählige Frauennach einer Abtreibung am sogenannten‚Post Abortion Syndrom‘ (PAS) erkran-ken und dann – bisweilen sogar für denRest ihres Lebens – therapiebedürftigsind. Daher fordert die ALfA die im Bun-destag vertretenen Parteien auf, die durcheine Herausnahme von Abtreibungen ausdem Leistungskatalog freiwerdenden Mit-tel in ähnlicher Höhe an anderer Stelle fürdie Aufklärung über und weitere Erfor-schung von PAS einzusetzen“.

Mach uns doch nicht so nervös:Nielson überprüft Lebensschützer

Brüssel (ALfA). Die Europäische Uni-on hat ein Büro eingerichtet, das die ame-rikanischen Lebensrechtsbewegungenuntersuchen soll. Das berichtet die Orga-nisation „Catholic Familiy and HumanRights Institute“ (C-FAM) in ihrem Rund-brief „Friday Fax“ (30. Mai). In eineminternen Papier missbillige Poul Nielson,EU-Kommissar für Entwicklung und hu-manitäre Hilfe, die Bemühungen dieser„kleinen Gruppe von Extremisten. DieUS-Lebensrechtsgruppem sind mächtig,gut konsolidiert und fest entschlossen.Einige dieser Gruppen haben sich auch bisnach Europa ausgebreitet“, zitiert C-FAMden EU-Kommissar.

Die EU wolle nun rasch auf solcheGruppen antworten. In der Kommissionmüsste man wachsam sein, damit die ei-gene Arbeit in den Bereichen der repro-duktiven Gesundheit nicht durch neueKampagnen untergraben werde, so Niel-son. Es sei ein Brennpunkt eingerichtetworden, an dem Informationen gesammeltwürden und die Widerlegung der Vorwür-fe koordiniert werden könnten.

Nielson habe seinen Schritt damit recht-fertigt, die Lebensrechtsgruppen würdenzu großen Einfluss erlangen. Das Um-schwenken der US-Regierung, vor allemdie Entscheidung, den UN PopulationFund (UNFPA) wegen seiner Unterstüt-

zung von Abtreibungen in China nichtmehr zu fördern, sei das Ergebnis der Ar-beit der Lebensrechtsbewegungen. Diesehätten unter der jetzigen US-Verwaltung„Legitimation und Glaubwürdigkeit“ er-langt. Zu fürchten sei nun, dass sich auchEU-Politiker von solchen Gruppen beein-flussen ließen. Schon jetzt sei ein wach-sender Widerstand gegen den UNFPA zubeobachten.

„Überaus milde“: BGH bestätigtUrteil gegen Abtreibungsarzt

Leipzig (ALfA). In einem Aufsehenerregenden Prozess um die Tötung einesNeugeborenen hat der Bundesgerichtshof(BGH) das Urteil gegen einen früherenZittauer Chefarzt bestätigt. Das meldetedie F.A.Z. am 21. Mai. Der BGH habe ent-schieden, dass der Mediziner zu Rechtwegen versuchten Totschlags, versuchtenSchwangerschaftsabbruchs in einem min-der schweren Fall sowie wegen vorsätz-licher Körperverletzung verurteilt wordensei. Das Landgericht Görlitz hatte den Gy-näkologen im Juni 2002 zu einer zwei-jährigen Bewährungsstrafe verurteilt. So-wohl Verteidigung als auch Staatsanwalt-schaft hatten gegen dieses Urteil Revisi-on eingelegt.

Der Arzt hatte eine Schwangere in der29. Schwangerschaftswoche von ihremmissgebildeten Kind per Kaiserschnittentbunden. Die Kindsmutter hatte zuvorschon in zwei anderen Kliniken vergeb-lich nach einer Abtreibung verlangt. LautUrteil drückte der Arzt während der Ge-burt ein Tuch auf das Gesicht des Säug-lings. Als das Kind dennoch Lebenszei-chen zeigte, hielt er ihm Mund und Nasezu, bis es tot war. Die SenatsvorsitzendeMonika Harms bezeichnete das Urteil als„überaus milde, aber gerade noch hinzu-nehmen“. Unterdessen hat Papst Johan-nes Paul II. erneut die Abtreibung als „Ge-fahr für den Weltfrieden“ gegeißelt. Lautdpa sagte der Papst: „Es kann keinen ech-ten Frieden ohne den Respekt für das Le-ben geben, vor allem wenn es sich um dasunschuldige und wehrlose Leben unge-borener Kinder handelt“. Erneut wandtesich das Oberhaupt der katholischen Kir-che auch gegen die Embryonenforschung.Der Papst habe betont, es sei nur allzukonsequent zu verlangen, dass jene, dieden Frieden suchten, auch das Leben ver-teidigten. „Keine Initiative für den Frie-den kann Wirkung zeigen, wenn man sichnicht mit der selben Kraft den Angriffengegen das Leben in jedem Abschnitt ent-gegenstellt, von seinem Beginn bis zu sei-nem natürlichen Ende.“

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Kurz & bündig

Ärzte fordern Klonverbot vonEU-Komission und Regierung

Köln (ALfA). Der 106. Deutsche Ärz-tetag, der vom 20. bis 23. Mai in Kölnstattfand, hat die Ablehnung des repro-duktiven und des so genannten therapeu-tischen Klonens von Menschen durch denDeutschen Bundestag und das Europäi-sche Parlament begrüßt.

Bundesregierung und EuropäischeKommission forderte der Deutsche Ärz-tetag auf, die von ihren Parlamenten ge-äußerte Ablehnung gegen das repro-duktive und das Klonen zu Forschungs-zwecken nicht weiter zu unterlaufen, zurelativieren oder in Frage zu stellen. Essei an der Zeit, dass sowohl die Bundes-regierung als auch EU-Gremien eine kon-sequente Haltung gegen das Klonen vonMenschen einnähmen, heißt es im Be-schlussprotokoll. Bundesregierung undEU-Kommission drückten sich um eineklare Positionsbestimmung herum undverhinderten somit auf der internationa-len Ebene das Zustandekommen einesweltweiten Bannes gegen das Klonen.

Mutter versteigert Kind alslebende „Organbank“ im Internet

Rom (ALfA). Die italienische Regie-rung will den Verkauf menschlicher Or-gane schnellstmöglich gesetzlich verbie-ten. Das berichtet die Zeitung „Telegraph“(Online-Ausgabe vom 18. Mai). Anlasssei das Ausheben einer dreiköpfigenGang, die im Internet ein noch ungebo-renes Kind versteigert hatte. Wahrschein-lich hätten seine Organe für Transplanta-tionen genutzt werden sollen, so die ita-lienische Polizei. Die drei ukrainischenFrauen, eine davon die Kindsmutter, hät-ten den ungeborenen Jungen für 350.000Euro verkauft, nicht wissend, dass es sichbei den Meistbietenden um verdeckt ar-beitende Polizisten handelte. Im Januar seidas Kind mit einem Startpreis von 50.000Euro zur Versteigerung im Internet ange-boten worden. Der Preis sei aber rasch vonden Bietern in die Höhe getrieben wor-den. Nach der Geburt Anfang Mai sei derJunge gegen Bargeld den Polizisten über-geben worden. Daraufhin hätten diese diedrei Frauen sowie deren Bodyguard ver-haftet.

Kein Klinikmüll: Bayern willAbtreibungsopfer beisetzen

München (ALfA). In Bayern sollenvom nächsten Jahr an alle Fehlgeburtenund Opfer von Abtreibungen auf Fried-höfen beigesetzt werden. Das berichtetdas „Handelsblatt“ (Online-Ausgabe vom5. Mai). Wie die CSU-Landtagsfraktionmitgeteilt habe, solle die bisher in vielenFällen übliche Entsorgung mit demKlinikmüll durch eine Änderung desBayerischen Bestattungsgesetzes unmög-lich gemacht werden.

Die bisherige Regelung werde der Wür-de des menschlichen Lebens nicht ge-recht, so die stellvertretende CSU-Frak-tionsvorsitzende Ingrid Fickler. WennFehlgeburten und Föten mit dem Klinik-müll entsorgt würden, sei nicht einmalauszuschliessen, dass sie mit den Abfäl-len zum Bau von Lärmschutzwänden ge-braucht würden. Wenn die Eltern nacheiner Fehlgeburt oder Abtreibung keineBestattung wünschten, solle eine Beiset-zung auf einem anonymen Gräberfeld dieRegel werden.

Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V.Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg

Telefon (08 21) 51 20 31,Fax (08 21) 156407, http://www.alfa-ev.deSpendenkonto: Augusta-Bank eG (BLZ 720 900 00), Konto Nr. 50 40 990

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Kto.-Nr.: _______________________________________BLZ: __________________________________________Institut: ________________________________________

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Erfolgreichprotestiert

Stoppt PID & Klonen in den Medien

Mit Stop-Schildern, Transparenten undKlon–Masken demonstrierten Mitgliederder Initiative „Stoppt PID & Klonen“ am14. Mai zum Auftakt der InternationalenKlonkonferenz „Klonen in biomedizini-scher Forschung und Reproduktion“ vordem Tagungshotel in der Berliner Sonnen-allee. Teilnehmer und Journalisten, die zurKonferenz wollten, mussten an den stra-tegisch geschickt plazierten engagiertenLebensrechtler vorbei und waren sichtlichbeeindruckt. Kamera–Teams verschiede-ner Fernsehsender filmten die angemeldeteDemonstration. Der Nachrichtensender„ntv“ berichtete ausführlich, Zei-tungen wie der Berliner „Tages-spiegel“, der „Kölner Stadtan-zeiger“ oder die „Tagespost“ il-lustrierten Beiträge über die Kon-ferenz mit Bildern der Demon-stranten, die dafür sorgten, dassBundeskanzler Gerhard Schröderdort gleich mehrfach zugegenwar. Die Bundesvorsitzende derAktion Lebensrecht für Alle, Dr.med. Claudia Kaminski, die auchVorsitzende des „Bundesver-bands Lebensrecht“ (BVL) ist,stand den Journalisten über eineStunde Rede und Antwort. Tagszuvor hatte sie gemeinsam mitRobert Antretter, dem Schirm-herrn der Initiative „Stoppt PID & Klo-nen“ und Mitglied des Bayerischen Ethik-rates, sowie Mechthild Löhr, Bundesvor-sitzende der „Christdemokraten für dasLeben“ (CDL) die Klonkonferenz in ei-ner gemeinsamen Erklärung scharf kriti-siert: Sofern das alleinige Ziel der Klon-konferenz die Information über den inter-nationalen Sachstand der Forschung aufdem Gebiet des Klonens sei, könne mandies begrüßen. Sowohl die „bemerkens-wert einseitige Zusammensetzung derReferenten als auch die bisherigen Äuße-rungen von Mitgliedern der Bundesregie-rung“ gäben jedoch „Anlass zu der Ver-mutung, dass dies weder der einzige, nochder vorrangige Zweck ist“, den das Bun-

desministerium für Bildung, Wissen-schaft, Forschung und Technologie alsVeranstalter der Konferenz verfolge.Antretter, Kaminski und Löhr stelltendaher klar: „Wer mit Hilfe von Medizinund Gentechnik menschliches Leben se-lektiert, zu Forschungszwecken züchtetoder ver-nutzt, macht menschliches Le-bens verfügbar und legt Hand an die un-antastbare Würde des Menschen.“

Im offiziellen Konferenz-Programmseien diejenigen Forscher, die einen Fort-schritt propagieren, der am Menschenvorbei führt und ethische Normen in Fra-

ge stellt, deutlich überrepräsentiert. „Esist eine Sache, dass es Wissenschaftlergeben mag, die überzeugt scheinen, kei-ne Gründe gegen das Klonen menschli-cher Embryonen zu Forschungszweckenzu besitzen. Eine ganze andere Sache istes, diesen Wissenschaftlern auf einerKonferenz ein solches Forum zu bieten“,kritisierte Antretter. Vermutungen, dieKonferenz solle auch einen Beitrag lei-sten, um das in Deutschland verboteneForschungsklonen salonfähig zu machen,erhielten daher bereits durch das Pro-gramm zusätzliche Nahrung. Keine nochso einfallsreiche Semantik (Zellver-mehrung) könne darüber hinweg täu-schen, „dass beim Klonen zu Forschungs-

zwecken ein Mensch erzeugt und im Früh-stadium seiner Entwicklung getötet wird“,stellte Kaminski klar. „Unabhängig davon,welches Klonverfahren verwendet wird,wird jedes Mal ein Embryo erzeugt.“ Wäh-rend dieser beim reproduktiven Klonen indie Gebärmutter transferiert werde, werdeer beim Klonen zu Forschungszwecken biszu einem bestimmten Entwicklungsstadiumkultiviert und danach ‚ausgeschlachtet‘.„Dabei geht es um die Gewinnung embryo-naler Stammzellen. Die durch Klonierungerzeugten Embryonen werden also zuZelllieferanten degradiert und dann getötet.

Und das, obwohl ihre Potenz, sichzu einem ausgewachsenen Men-schen zu entwickeln, genau so großist, wie die normal gezeugter Em-bryos“, so die Ärztin weiter.

„Die Bundesregierung miss-achtet das eindeutige Votum desDeutschen Bundestages für ein to-tales internationales Klonverbot“,kritisierte Löhr. Mit seinem Be-schluss vom 20. Februar habe derDeutsche Bundestag mit überwäl-tigender Mehrheit hierzu einen in-terfraktionellen Antrag von CDU/CSU, SPD und Grünen verabschie-det und der Regierung einen kla-ren Handlungsauftrag gegeben.„Die Einberufung einer Klon-

konferenz konterkariert den Parlamentsbe-schluß, wirft ein schlechtes Licht auf denZustand der demokratisch-parlamentari-schen Kultur unseres Landes und wider-spricht eindeutig der geltenden Gesetzes-lage“, so Löhr weiter. Einzige Erklärung fürdie aus Steuergeldern finanzierte teure Kon-ferenz sei daher der Versuch, die Zulassungdes verbotenen Klonens zu Forschungs-zwecken, in dem Wissenschaftler die „logi-sche Folge“ der Forschung mit embryona-len Stammzellen erblickten, vorzubereiten.

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Mehr dazu:www.stoppt–pid–und–klonen.de

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