LgnerhabenwarmeNasen - Dirk Eilert · 2020. 4. 24. · Jack Nasher, der als Professor an der Munich...
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„Die Lüge ist ein Winkelgang, von dem man durch eine Hintertreppe zur Wahrheit gelangen kann.“ Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799), deutscher Aphoristiker
Weisheiten zurLüge und was siebedeuten Teil IIVon Markus Brauer
„Wenn man über jemanden die Wahrheiterfahren will, ist dieser Jemand meinerErfahrung nach der Letzte, den ich fragenwürde.“
Dr. Gregory House, von dem dieses Zitatstammt, ist der schmerzmittelsüchtigeWunderheiler aus der USFernsehserie„Dr. House“, ein Spezialist für Diagnostikund leidenschaftlicher Zyniker. Er lügtwie gedruckt, wenn es ihm in den Krampasst und er damit seine meist etwas verqueren Ziele erreichen kann. Seine Patienten hält er generell für notorischeLügner und setzt sie nicht zuletzt deshalbseinen erbarmungslosen Diagnosen aus.
„Wer findig genug ist, eine Lüge glaubhaftdarzustellen, mag lieber geradezu dieWahrheit sagen.“
Der irische Schriftsteller Oscar Wilde(1854–1900) legte mit seinem scharfsinnigen Humor die Kehrseiten und Vorurteile,das Verhalten und die unbequemen Wahrheiten der viktorianischen Gesellschaftoffen. 1891 veröffentlichte der bekennende Homosexuelle einen satirischen Dialogmit dem Titel „Der Verfall der Lüge“, indem er für eine schnörkellose Lüge mitbestem Gewissen plädiert.
„Die Lüge ist ein Winkelgang, von demmandurcheineHintertreppezurWahrheitgelangenkann.“
Michel de Montaigne (1533–1592) warein französischer Politiker und Philosoph,der mit seinem Hauptwerk, den „Essais“,die literarische Form des Essay begründete. Als Skeptiker bezweifelte er, dass derMensch Wahrheiten mit Gewissheit erkennen könne. Weder die Sinneswahrnehmung biete absolute Sicherheit, noch gebees ein allgemein gültiges Kriterium für rationale Urteile. Die Unwahrheit zu sagenund der Lüge erlegen zu sein liegt ihm zufolge in der begrenzten Erkenntnisfähigkeit des Menschen begründet.
„Es wird niemals so viel gelogen wie vorder Wahl, während des Krieges und nachder Jagd.“
Otto Eduard Leopold Fürst von Bismarck (1815–1898), der Erste Kanzler desDeutschen Kaiserreiches, musste es wissen. Als preußischer Staatsmann und„Eiserner Kanzler“ kannte er sich wiekein Zweiter in den Fallstricken derDiplomatie und Politik aus. Die politischeLüge war für ihn Mittel zum Zweck, derbekanntlich die Mittel heiligt.
„Die Strafe des Lügners ist nicht, dass ihmniemand mehr glaubt, sondern dass erselbst niemandemmehrglaubenkann.“
George Bernhard Shaw (1856–1950)war ein irischbritischer Dramatiker undSatiriker, der 1925 den Nobelpreis für Literatur und 1939 den Oscar für das besteadaptierte Drehbuch erhielt. Er griff häufig zum Stilmittel der satirischen Überspitzung und Groteske, was auch in diesem Zitat deutlich herauszulesen ist.
„WennalleMenschen immerdieWahrheitsagten,wäredasdieHölle auf Erden.“
Jean Gabin (1904–1976) zählt zu dengroßen Charakterdarstellern des französischen Kinos. In seinem Spätwerk „DieKatze“ von 1971 glänzte er an der Seitevon Simone Signoret. In dem Film spielensie ein altes Ehepaar, das eine trostlose,von Lügen und Verbitterung erfüllte Eheführt. Er empfindet nur noch etwas fürseine Katze, seine Frau dagegen ist ihmnach über 20 Jahren Ehe so ziemlich egal.
„Der Politik ist eine bestimmte Form derLüge fast zwangsläufig zugeordnet: dasAusgeben des für eine Partei Nützlichenals dasGerechte.“
Carl Friedrich von Weizsäcker(1912–2007) war ein deutscher Physiker,Philosoph und Friedensforscher. Als junger Wissenschaftler forschte er begeistertim Atomprogramm der Nationalsozialisten an der Uranbombe, bis er die ganzeLüge und Unmenschlichkeit des Terrorregimes durchschaute.
„Männer, die behaupten, sie seien die un-eingeschränktenHerrscher imHaus, lügenauchbei andererGelegenheit.“
Der USSchriftsteller Mark Twain(1835–1910) ist als Autor der Bücher überdie Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn weltberühmt geworden.Zugleich war er ein scharfzüngiger Kritiker der amerikanischen Gesellschaft, derauch die Rolle der selbst ernannten „Herren der Schöpfung“ satirisch aufs Kornnahm. Ernest Hemingway sagte einmalüber ihn: „Die gesamte amerikanische Literatur stammt von einem Buch von MarkTwain namens ‚Huckleberry Finn‘ ab. Vorher gab es nichts. Seitdem gab es nichts,was dem gleichkommt.“
Von Markus Brauer
Kriminalisten bekämpfen Straftaten unddas Verbrecherunwesen durch vorbeugendeund strafverfolgende Maßnahmen. Einezentrale Methode hierbei ist die Vernehmung, bei der Beschuldigte, Betroffene, Verdächtige oder Zeugen durch Polizeibeamteoder Staatsanwälte befragt werden. In denKursen des PsychologieProfessors MaxHermanutz an der Polizeihochschule in VillingenSchwenningen lernen angehendeKommissare, welche Merkmale auf dieWahrheit hinweisen.
Hermanutz setzt dabei ausschließlich aufverbale Hinweise. In der modernen Vernehmungspsychologie sei man von nonverbalenMerkmalen wie Mimik, Gestik oder Körperhaltung vielfach abgekommen, weil sie nurstören und zu Falschurteilen führen würden.„In der polizeilichen Praxis in BadenWürttemberg hat sich diese Erkenntnis aber nochnicht ganz durchgesetzt.“ In einem Leitfaden hat Hermanutz 19 Glaubhaftigkeits
merkmale aufgelistet, die auch von Rechtspsychologen vor Gericht verwendet werden.
Eine polizeiliche Vernehmung läuft lautLehrbuch folgendermaßen ab: In gravierenderen Fällen beschreibt die Aussagepersonausführlich, was ihr zu einem entsprechenden Vorfall oder Vorwurf einfällt. Anhanddieses freien Berichts suchen die Beamten
nach bestimmten Merkmalen, die dieGlaubwürdigkeit des Schreibers untermauern oder infrage stellen. Enthält der Berichtbeispielsweise überflüssige oder ungewöhnliche Details? Gibt es Widersprüche, Querverbindungen zu ähnlichen Vorgängen oderErinnerungslücken? Ist die Erzählweiseungeordnet oder frei von Widersprüchenund Selbstbelastungen?
„Die Studenten lernen so zu vernehmen,dass sie diese verbalen Wahrheitsmerkmalesehen und finden. Nonverbale Hinweise wieMimik, Gestik oder Körperhaltung solltensie am besten komplett ignorieren“, betontder Psychologe. Neuere Studien hätten ergeben, dass die Trefferquoten bei Lügenschlechter seien, wenn man verbale Inhalteund nonverbale Hinweise kombiniert, alswenn man nur liest oder zuhört. „Wenn jemandzucktodernervöswird,achtetderVernehmungsbeamte vielleicht auf diese nonverbalen Hinweise und wird abgelenkt undauf eine falsche Fährte geführt.“
Das ausgeklügelte MimikSystem des
amerikanischen Psychologen Paul Ekmansei fürdiePolizeinichtanwendbar,weil eszukompliziert sei. „Wenn ich jemanden vernehme und ihn im Verhör mit seinem Berichtkonfrontiere, kann derjenige vielleichtAngst bekommen oder sich schämen. Aberdas bedeutet noch lange nicht, dass er lügt.“
In der Polizeiarbeit spielen Lügendetektoren keine Rolle. Weil der Apparat verschiedene Reaktionen des Körpers, aberkeine Lügen misst, nennen Experten ihnauch Polygraf – Vielschreiber. Der Bundesgerichtshof lehnte ihn 1998 in einem UrteilalsBeweismittelwegenmangelnderVerlässlichkeit der Ergebnisse ab.
Während einer Befragung misst und registriert das Instrument Veränderungen beiBlutdruck und Puls sowie bei der Atmungund elektrischen Leitfähigkeit der Haut.Das Verfahren ist umstritten, weil gewiefteProbanden die Lügendetektoren überlistensowie Emotionen wie Wut, Enttäuschungoder Überraschung das Ergebnis verfälschen können.
Lügendetektoren sagen nichts über die LügePolizeipsychologe setzt auf verbaleWarnsignale bei Vernehmungen – Polygraf als Beweismittel in Deutschland nicht zulässig
Wer verbirgt sich hinter derMaske?Mimik-Forscher versuchen ausminimalen Veränderungen vonGesichtsausdrückenherauszufinden, ob jemand lügt oder dieWahrheit sagt Foto: Fotolia
Von Markus Brauer
Bei Dr. Carl Lightman ist Lügen zwecklos.Lightman ist Ermittler und Held der USFernsehserie „Lie To Me“, der in den Mienender Menschen abliest, ob sie lügen. Die Krimiserie basiert auf den Forschungen des USEmotionspsychologen Paul Ekman, der sichseit über 40 Jahren mit Lügnern beschäftigt.
Ekman hat ein System erfunden, mit demselbst kleinste Veränderungen im Gesichtsausdruck gedeutet werden können. Sein„Facial Action Coding System“ (FACS)umfasst rund 10 000 Gesichtsausdrücke –darunter „MicroExpressions“, winzige mimische Veränderungen, die in Sekundenbruchteilen übers Gesicht huschen: einehochgezogene Augenbraue, Unterbrechungder Atmung, ein aufgesetztes Lächeln oderBlinzeln. MikroExpressionen sind unwillkürliche, nicht bewusst gesteuerte Bewegungen der Gesichtsmuskeln, die auf unterdrückte Emotionen hindeuten. Mit ihrerHilfe können Experten herausfinden, objemand lügt oder die Wahrheit sagt.
Doch wie erkennt man versteckte Signale?Gibt es Tricks, um Betrüger, Lügner undTäuscher zu entlarven?
Gesichtsveränderung: Lügner undTrickser können sich durch plötzliche Veränderungen der Mimik ver
raten. „Diese MikroAusdrücke sind unbewusst und zeigen, was jemand wirklichfühlt“, sagt der Münchner Wirtschaftspsychologe Jack Nasher. „Die wenigsten können sie kontrollieren. Sie erstrecken sich aufdasganzeGesicht.“BeimLügen könnendreizentrale Emotionen auftreten: Angst, Freude und Schuld. Angst etwa kann ein Gefühl
sein, das auf eine Lüge hinweist, wenn derGefühlsausdruck im Widerspruch zu demsteht, was jemand sagt. Ein Zucken imMundwinkel oder eine hochgezogene Augenbraue sind aber noch kein sicheres Indiz.„Im Gesicht sehen wir keine Lügen, sondernnur Emotionen. Wichtig dabei ist: Wirwissen nie, warum eine bestimmte Emotionauftritt“, erklärt der MimikExperte, Emotionscoach und Autor Dirk Eilert („Mimikresonanz. Gefühle sehen. Menschen verstehen“, JunfermannVerlag). „Indem wir dieEmotionen hinterfragen, sammeln wir Hinweise, ob eine Aussage wahr oder falsch ist.“
Stress: Am Gesicht kann man sehen,ob jemand gestresst ist. Ein Beispiel:Normalerweise blinzelt der Mensch
zehn bis 15mal pro Minute, bei Stresssteigt die Frequenz auf bis zu 60mal. Eilert:„Dies kann niemand kontrollieren. DieAtmung beschleunigt sich, die Berührungsgesten nehmen zu: Man spielt mehr mit denFingern, kratzt sich im Gesicht oder lecktsich über die Lippen.“ Auch die Gesichtsfarbe könne sich schlagartig verändern.„Wir werden rot, wenn wir verlegen sind,und blass, wenn wir Angst haben. Das lässtsich nicht bewusst steuern.“ Der Grund: „Dadas Emotionszentrum direkt mit der mimischen Muskulatur verbunden ist, zuckenwir, bevor der Verstand reagieren kann.“
Gestik: Oft passt die Körpersprachenicht zum Inhalt des Gesagten, odersie stimmt nicht mit der Mimik über
ein. Jack Nasher, der als Professor an derMunich Business School lehrt, nennt dasDisharmonie: „Lügner sind eher steif undhölzern, sie versuchen kontrolliert zu seinund nicht aufzufallen“, erklärt der Buchautor („Durchschaut! Das Geheimnis, kleine und große Lügen zu entlarven“, HeyneVerlag). Allerdings gebe es keine bestimmteBewegung, die untrüglich auf eine Lügehinweise. „Es gibt keine typische Lügnerhaltung.“ Das bestätigt auch der Würzburger Medienpsychologe Frank Schwab, der
Ekmans System bei einem seiner Schüler erlernt hat. „Das sind nur Hinweise, der Sachenoch mal genauer nachzugehen.“
Verhaltensänderung: Menschen, diedie Unwahrheit sagen, neigen dazu,ihr Verhalten plötzlich zu ändern, um
ihre Gefühle zu verbergen. Mitunter tritt dasGegenteil auf, wenn jemand seine Freudekaum unterdrücken kann, weil er seinemGegenüber eine Bären aufgebunden hat.Auch das geschehe meist unbewusst, wodurch sich viele Lügner verraten, so Nasher.
Kontext: Es kommt immer auf denZusammenhang an, in dem etwas gesagt wird oder sich eine Mimik zeigt.
So ist es in einem Polizeiverhör für die meisten völlig normal, wenn sie nervös sind undschwitzen, selbst wenn sie nichts verbrochenhaben. Deshalb sei es wichtig, Vergleiche zuhaben, um Abweichungen vom Normalverhalten festzustellen, sagt Eilert. „Manmuss erst ein bisschen mit der Person plaudern, um einen Eindruck von ihrem Normalverhalten zu bekommen. Dann lassen sichVeränderungen in Gestik und Mimik leichter und vor allem zuverlässiger erkennen.“
Sprache:Es ist vor allem die Sprache ,die einen Lügner verrät, wobei gerade Politiker als RhetorikProfis dies
bezüglich oft schwer zu durchschauen sind.Spätestens wenn sie etwas inbrünstig betonen oder überzeugend klingen wollen, sollteman misstrauisch werden. Der PsychologeMax Hermanutz von der Hochschule fürPolizei in VillingenSchwenningen listet 19verbale Glaubhaftigkeitsmerkmale auf, dieangehende Kommissare lernen müssen – wieüberflüssige, ungewöhnliche Details, unverstandene Handlungsstränge oder spontaneVerbesserungen der Rede.
Einer Lüge fehle es an sprachlichen Details und Ausschmückungen, erklärt Nasher.„Lügner haben Angst, sich zu verraten, undgeben deshalb so wenig Details wie möglichpreis. Außerdem sind sie zögerlich und ver
suchen, Zeit zu schinden.“ Ein anderes Indizkönnen Sprachhülsen und Floskeln sein, diedie Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit betonen und mit denen man sich von moralischverwerflichen Praktiken distanzieren will.
Starrer Blick:Die obere Gesichtshälfte mit der Augenpartie ist Eilert zufolge eher unbewusst gesteuert, wes
halb sie zuverlässiger ist als die Mundpartie,wenn es um die Deutung von Gefühlen geht.Lügner können ihrem Gegenüber nicht indie Augen schauen, lautet ein gängiges Klischee. Das sei grober Unfug, das Gegenteilsei der Fall, erklärt Eilert. Statt verlegen aufden zu Boden oder an die Decke zu blicken,starre der Täuscher einen eher an und fixiereihn, um glaubhaft zu wirken und herauszufinden, ob er schon enttarnt sei. Allerdingsgibt es laut Nasher eine Ausnahme: WennLügner große Schuldgefühle hätten, würdensie dem direkten Augenkontakt ausweichen.
Nase: Gibt es die PinocchioNase,die, wenn sie schon nicht wie bei derHolzpuppe in Carlo Collodis Kinder
buch beim Lügen wächst, sich doch zumindest verfärbt? Studien der beiden USForscher Alan Hirsch und Charles Wolf zeigen,dass beim Lügen Hormone freigesetzt werden, die den Blutfluss in der Nase verstärken. Deshalb würden sich Lügner häufig andie juckende Nase fassen – wie Bill Clinton.Der frühere USPräsident hatte sich im Jahr1988 vor der Grand Jury wegen seiner Affäremit der Praktikantin im Weißen Haus, Monika Lewinsky, zu verantworten. 26mal fassteer sich an sein Riechorgan, als Staatsanwälte ihn fragten, ob er Sex mit Lewinsky hatte.
Mimikexperten halten diesen „PinocchioEffekt“ für ein Ammenmärchen. Forscherder spanischen Universität von Granadahaben allerdings mit Hilfe von Wärmebildkameras nachgewiesen, dass sich bei Lügnern die Durchblutung und Temperatureines Muskels an der Innenseite der Augenerhöht. Lügner haben zwar keine langen,aber zumindest warme Nasen.
Lügner haben warme NasenMimik-Experten verraten achtMerkmale, an denenman Betrüger und Tricksermit etwas Übung erkennen kann
Es gibt viele Signale, die einen Lügnerentlarven: Mimik, Gestik, Körperspra-che. Die Kunst besteht darin, sie zuerkennen und zu einem stimmigenCharakterbild zusammenzufügen.
Polygraf bei der Arbeit Foto: Archiv
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V3Nummer 130 • Samstag, 7. Juni 2014Solo