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Feuilleton 16.03.12 / Nr. 64 / Seite 50 / Teil 01 NZZ AG Liberaler Populismus? Warum wir ein Kompendium transatlantischer Missverständnisse brauchen Gleichlautende politische Begriffe können in verschiedenen Sprachen Verschiedenes bedeuten. Insbesondere im transatlanti- schen Austausch kann es darum zu Miss- verständnissen kommen. «Populismus» etwa hat in den Vereinigten Staaten einen ganz anderen Klang als in der Alten Welt. Jan-Werner Müller Man hätte es eigentlich schon lange gern vorliegen, spätestens aber wohl, seit die Rede vom «gespalte- nen Westen» nach dem Irak-Krieg Mitte des ver- gangenen Jahrzehnts die Runde machte: ein kleines Kompendium transatlantischer Missverständnisse, eine Analyse all jener Wörter, welche man in vielen Sprachen als «falsche Freunde» bezeichnet. Sie klingen bekannt, ihre Bedeutung ist aber eine ganz andere, als man vermutet. Man denke an «federa- lism», das für kontinentaleuropäische Ohren sich wie «Dezentralisierung» anhört, aber genau das Gegenteil meint. Paradebeispiel ist aber «Liberalis- mus» – ein Begriff, der in Europa immer noch pri- mär mit Freiheit und Markt assoziiert wird, in den USA jedoch ein Synonym für eine dezidiert linke Spielart der Sozialdemokratie ist: «Limousine libe- rals» sind nicht Kapitalisten, die wie Mitt Romneys Gattin gleich mehrere Cadillacs besitzen, sondern diejenigen, welche man auf dem alten Kontinent «gutbetuchte Salonlinke» schelten würde. Die ersten «populists» Ein weniger bekannter, aber gewichtiger Unter- schied zwischen Alter und Neuer Welt betrifft den schillernden Begriff «Populismus». In Europa wird das Wort so gut wie gar nicht mehr in einem positi- ven Sinne gebraucht: Populisten, ob linker oder rechter Couleur, nennen sich selbst nie «Populis- ten»; und ihre politischen Gegner benutzen «Popu- lismus» als Schimpfwort für Politiker, welche man mit Jacob Burckhardt vor allem als terribles simpli- ficateurs verachtet. Indes mühen sich Politikwissen- schafter, dem Begriff Tiefenschärfe zu geben – bis jetzt ohne grossen Erfolg: Über die Klischees von den «Modernisierungs»- oder «Globalisierungs- verlierern», die für populistische Parolen anfällig seien, geht es selten hinaus. In den Vereinigten Staaten hingegen transpor- tiert «Populismus» eine ganz andere Bedeutung – vor dem Hintergrund einer ganz anderen Ge- schichte: Die ersten politischen Akteure, die sich «Populisten» nannten, waren Farmer aus dem Wes- ten und Mittleren Westen, die sich gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts zur People’s Party zu- sammenschlossen; ihre erklärten Gegner waren Business-Eliten an der Ostküste, welche während des von Mark Twain als «Gilded Age» – «Vergolde- tes Zeitalter» – bezeichneten Booms beispiellosen Reichtum anhäuften. Heute spricht man von die- sem Jahrzehnt als dem «ersten Zeitalter der Globa- lisierung»: Märkte wurden weltweit geöffnet, der Telegraf liess den Globus schrumpfen – und viele Amerikaner mussten von dem Ideal eines puritani- schen Agrarlandes Abschied nehmen. Ein Journalist, der Anfang der neunziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts mit Vertretern der People’s Party in einem Zug reiste, riet den Politi- kern, sich neben dem Parteinamen auch noch ein griffiges Adjektiv zuzulegen – und so ward «popu- list» geboren. Als «populistisch» galt alsbald die zentrale Forderung der Partei, die Geldmenge aus- zuweiten – was im Interesse hochverschuldeter Bauern lag, aber kaum Anklang fand bei Industrie- arbeitern, die Preiserhöhungen fürchteten. Ihre historischen Vorbilder fanden die Populisten in Thomas Jefferson und vor allem Andrew Jackson, dem Präsidenten, der in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts gegen «money power» und gegen die Proto-Zentralbank der USA ge- kämpft hatte (Jackson sprach stets nur von der «Monsterbank»). Viele amerikanische Historiker haben die Popu- listen als Hinterwäldler abgetan, einige sahen sie gar als Prototypen einer amerikanischen Variante von Faschismus. Auf jeden Fall war den Farmer- Aktivisten kein langfristiger Erfolg beschieden: Statt als «dritte Partei» ihren Weg zu machen, taten sich die Populisten mit den Demokraten zusam- men und verloren 1896 den bis dahin teuersten Wahlkampf in der Geschichte der USA. (Unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses der Wahl- kampfausgaben zum Bruttosozialprodukt gilt die damalige politische Auseinandersetzung auch heu- te noch als finanziell aufwendigste aller Zeiten.) Die People’s Party löste sich 1908 dann ganz auf. Doch auch im Jahre 2012 hat «Populismus» bei vie- len Amerikanern, rechten wie linken, noch einen guten Klang: In den Augen der einen ist die «Tea- Party» eine Bewegung, welche die USA an ihre ur- sprünglichen Ideale erinnern möchte und welche zu Recht den angeblichen Snobismus kultureller Eliten anprangert; aus der Sicht der anderen ist etwa die linke Harvard-Professorin und Hoch- finanz-Kritikerin Elizabeth Warren, welche Teil ebendieser Elite ist und sich derzeit um einen Senatssitz für Massachusetts bewirbt, eine populis- tische Heldin. Die Verbraucherschützerin und Prä- sidentenberaterin will, wie es immer wieder heisst, «Main Street» – also die Lebenswelt der einfachen Amerikaner – vor «Wall Street» schützen. Was zu lernen wäre Die Verwirrung der politischen Sprachen ist per- fekt, wenn Kritiker Barack Obamas den Präsiden- ten als «liberalen Populisten» beschimpfen: In Europa ist der Populismus per definitionem anti- liberal, da stets antipluralistisch und gegen jede Form von «checks and balances» gerichtet, also gegen Gewaltenteilung, die den «direkten» Aus- druck des authentischen Volkswillens verhindere – in den USA hingegen ist ein «liberaler Populist» ein sozialdemokratischer Volkstribun, der an

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Front 11.06.12 / Nr. 133 / Seite 1 / Teil 01

# NZZ AG

BÖRSEN UND MÄRKTE

Investoren wetten auf LockerungenInvestoren in den USA bringen sichzurzeit in Position, um von einer wei-teren quantitativen geldpolitischenLockerung zu profitieren.

Seite 21

Feuilleton 16.03.12 / Nr. 64 / Seite 50 / Teil 01

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Liberaler Populismus?Warum wir ein Kompendium transatlantischer Missverständnisse

brauchen

Gleichlautende politische Begriffe könnenin verschiedenen Sprachen Verschiedenesbedeuten. Insbesondere im transatlanti-schen Austausch kann es darum zu Miss-verständnissen kommen. «Populismus»etwa hat in den Vereinigten Staaten einenganz anderen Klang als in der Alten Welt.

Jan-Werner Müller

Man hätte es eigentlich schon lange gern vorliegen,spätestens aber wohl, seit die Rede vom «gespalte-nen Westen» nach dem Irak-Krieg Mitte des ver-gangenen Jahrzehnts die Runde machte: ein kleinesKompendium transatlantischer Missverständnisse,eine Analyse all jener Wörter, welche man in vielenSprachen als «falsche Freunde» bezeichnet. Sieklingen bekannt, ihre Bedeutung ist aber eine ganzandere, als man vermutet. Man denke an «federa-lism», das für kontinentaleuropäische Ohren sichwie «Dezentralisierung» anhört, aber genau dasGegenteil meint. Paradebeispiel ist aber «Liberalis-mus» – ein Begriff, der in Europa immer noch pri-mär mit Freiheit und Markt assoziiert wird, in denUSA jedoch ein Synonym für eine dezidiert linkeSpielart der Sozialdemokratie ist: «Limousine libe-rals» sind nicht Kapitalisten, die wie Mitt RomneysGattin gleich mehrere Cadillacs besitzen, sonderndiejenigen, welche man auf dem alten Kontinent«gutbetuchte Salonlinke» schelten würde.

Die ersten «populists»Ein weniger bekannter, aber gewichtiger Unter-schied zwischen Alter und Neuer Welt betrifft denschillernden Begriff «Populismus». In Europa wirddas Wort so gut wie gar nicht mehr in einem positi-ven Sinne gebraucht: Populisten, ob linker oderrechter Couleur, nennen sich selbst nie «Populis-ten»; und ihre politischen Gegner benutzen «Popu-lismus» als Schimpfwort für Politiker, welche manmit Jacob Burckhardt vor allem als terribles simpli-ficateurs verachtet. Indes mühen sich Politikwissen-schafter, dem Begriff Tiefenschärfe zu geben – bisjetzt ohne grossen Erfolg: Über die Klischees vonden «Modernisierungs»- oder «Globalisierungs-verlierern», die für populistische Parolen anfälligseien, geht es selten hinaus.

In den Vereinigten Staaten hingegen transpor-tiert «Populismus» eine ganz andere Bedeutung –vor dem Hintergrund einer ganz anderen Ge-schichte: Die ersten politischen Akteure, die sich«Populisten» nannten, waren Farmer aus dem Wes-ten und Mittleren Westen, die sich gegen Ende desneunzehnten Jahrhunderts zur People’s Party zu-sammenschlossen; ihre erklärten Gegner warenBusiness-Eliten an der Ostküste, welche währenddes von Mark Twain als «Gilded Age» – «Vergolde-tes Zeitalter» – bezeichneten Booms beispiellosenReichtum anhäuften. Heute spricht man von die-sem Jahrzehnt als dem «ersten Zeitalter der Globa-

lisierung»: Märkte wurden weltweit geöffnet, derTelegraf liess den Globus schrumpfen – und vieleAmerikaner mussten von dem Ideal eines puritani-schen Agrarlandes Abschied nehmen.

Ein Journalist, der Anfang der neunziger Jahredes neunzehnten Jahrhunderts mit Vertretern derPeople’s Party in einem Zug reiste, riet den Politi-kern, sich neben dem Parteinamen auch noch eingriffiges Adjektiv zuzulegen – und so ward «popu-list» geboren. Als «populistisch» galt alsbald diezentrale Forderung der Partei, die Geldmenge aus-zuweiten – was im Interesse hochverschuldeterBauern lag, aber kaum Anklang fand bei Industrie-arbeitern, die Preiserhöhungen fürchteten. Ihrehistorischen Vorbilder fanden die Populisten inThomas Jefferson und vor allem Andrew Jackson,dem Präsidenten, der in der ersten Hälfte desneunzehnten Jahrhunderts gegen «money power»und gegen die Proto-Zentralbank der USA ge-kämpft hatte (Jackson sprach stets nur von der«Monsterbank»).

Viele amerikanische Historiker haben die Popu-listen als Hinterwäldler abgetan, einige sahen siegar als Prototypen einer amerikanischen Variantevon Faschismus. Auf jeden Fall war den Farmer-Aktivisten kein langfristiger Erfolg beschieden:Statt als «dritte Partei» ihren Weg zu machen, tatensich die Populisten mit den Demokraten zusam-men und verloren 1896 den bis dahin teuerstenWahlkampf in der Geschichte der USA. (Unterdem Gesichtspunkt des Verhältnisses der Wahl-kampfausgaben zum Bruttosozialprodukt gilt diedamalige politische Auseinandersetzung auch heu-te noch als finanziell aufwendigste aller Zeiten.)Die People’s Party löste sich 1908 dann ganz auf.Doch auch im Jahre 2012 hat «Populismus» bei vie-len Amerikanern, rechten wie linken, noch einenguten Klang: In den Augen der einen ist die «Tea-Party» eine Bewegung, welche die USA an ihre ur-sprünglichen Ideale erinnern möchte und welchezu Recht den angeblichen Snobismus kulturellerEliten anprangert; aus der Sicht der anderen istetwa die linke Harvard-Professorin und Hoch-finanz-Kritikerin Elizabeth Warren, welche Teilebendieser Elite ist und sich derzeit um einenSenatssitz für Massachusetts bewirbt, eine populis-tische Heldin. Die Verbraucherschützerin und Prä-sidentenberaterin will, wie es immer wieder heisst,«Main Street» – also die Lebenswelt der einfachenAmerikaner – vor «Wall Street» schützen.

Was zu lernen wäreDie Verwirrung der politischen Sprachen ist per-fekt, wenn Kritiker Barack Obamas den Präsiden-ten als «liberalen Populisten» beschimpfen: InEuropa ist der Populismus per definitionem anti-liberal, da stets antipluralistisch und gegen jedeForm von «checks and balances» gerichtet, alsogegen Gewaltenteilung, die den «direkten» Aus-druck des authentischen Volkswillens verhindere –in den USA hingegen ist ein «liberaler Populist»ein sozialdemokratischer Volkstribun, der an

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BÖRSEN UND MÄRKTE

Investoren wetten auf LockerungenInvestoren in den USA bringen sichzurzeit in Position, um von einer wei-teren quantitativen geldpolitischenLockerung zu profitieren.

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«checks and balances» normalerweise gar nichtsauszusetzen hat. – Und was ist die Moral dieseskleinen Kapitels Begriffsgeschichte? Vielleichtdiese: Europäer sollten sich daran erinnern, dass esauch einmal einen populären Sozialliberalismusgab. Es war diese Spielart des Liberalismus, inGrossbritannien bekannt unter dem Namen «NewLiberalism», die in den zwanziger und dreissigerJahren des vergangenen Jahrhunderts von FranklinDelano Roosevelt zur Selbstetikettierung aufge-griffen wurde und ursprünglich populistische Ideenin sich aufnahm. Liberalismus ist mithin nicht not-wendigerweise exklusiv eine Angelegenheit vonErfolgreichen und «for elites only» (zumal Frei-heitssicherung – bis zu einem gewissen Grad – auchsoziale Sicherung sein muss).

Und Amerikaner könnten von Europa lernen,dass Populismus – so hehr seine Ziele bisweilensein mögen – eine Schattenseite hat: Es lauert darindie Vorstellung eines homogenen, moralisch «rei-nen» Volkskörpers, die immer suggeriert, dass sichalle Probleme lösen liessen, wenn man nur die gie-rigen und korrupten Eliten ausschaltete. So einfachaber sind die Dinge nie.

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Prof. Dr. Jan-Werner Müller lehrt politische Theorie und Ideen-geschichte in Princeton. Zuletzt ist von ihm das Buch «Verfassungs-patriotismus» (Suhrkamp, 2010) erschienen.