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Libyen, das Elend der Flüchtlinge und die Politik der EU Veranstaltung am 28.11.2017 Conni Gunßer Flüchtlingsrat Hamburg und Watch the Med Alarmphone

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Libyen, das Elend der Flüchtlinge und die Politik der EU

Veranstaltung am 28.11.2017

Conni Gunßer Flüchtlingsrat Hamburg und Watch the Med

Alarmphone

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Arbeitsmigration nach Libyen

• In den 1990er Jahren: Einwanderung v.a. aus Subsahara-Afrika und Bangladesch nach Libyen (billige Arbeitskräfte willkommen)

• Wende seit Herbst 2000: Gewaltsame Ausein-andersetzungen zwischen Libyern und Subsahara-Afrikanern -> Tote und Abschiebungen

• Gespräche Italiens mit Gaddafi seit Ende 1990er Jahre -> erstes Abkommen im Dezember 2000, u.a. zur Eindämmung „illegaler“ Migration

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Kollaboration mit Gaddafi und Lagerpläne 2003/4

• 2003 UN hob Sanktionen gegen Libyen auf, 2004 auch die EU -> Zusammenarbeit u.a. gegen Migration

• März 2004: Libysches Gesetz schränkt Einwanderung ein und sieht Ausweisung arbeitsloser Einwander*innen vor

• Lagerpläne in Nordafrika (Schily, Pisanu, Blair) scheiterten, aber Italien schaffte Fakten:

• 2004/5 flog Italien über 4000 Migrant*innen von Lampedusa ohne Asylprüfung nach Libyen zurück

• Abfangen von Booten und Rücktransport in libysche Internierungslager in Tripolis und in der Wüste

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Frontex und Deals mit Libyen

• 1.5.2005 Gründung der EU-Grenzschutzagentur Frontex, aber Libyen verweigerte Patrouillen in seinen Gewässern und Rückschiebungen durch Frontex nach Libyen

• 2009 „Freundschaftsabkommen“Italien/Libyen

• Juni 2010 „Memorandum of Understanding“EU/Libyen: 50 Mio Euro für Abdichtung der libyschen Grenzen

• Kurz vorher: UNHCR aus Libyen geworfen

• Okt. 2010: EU verhandelte Rücknahmeabkommen und empfing noch im Febr. 2011 Gaddafis Innenminister

• Arabischer Frühling: Tausende per Boot nach Italien

• 2012: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte urteilt im „Fall Hirsi“ (6.5.2009): Zurückweisung von Flüchtlingen auf hoher See ist Menschenrechtsverstoß

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Frontex-Risikoanalyse 2011: „Flow of migration“ von Tunesien

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Mai 2011: Camp Choucha an der tunesisch-libyschen Grenze

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Voice of Choucha : Open borders – take in refugees!

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Juli 2012: Besuch einer internationalen Delegation in Choucha

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März-Sept. 2013: Hungerstreik und Sit-in vor dem UNHCR-Büro in Tunis für Resettlement

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Riskante Alternative: Bootsüberfahrt aus Libyen

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Operation Mare Nostrum („unser Meer“)

• Die italienische Marine-Operation „Mare Nostrum“ startete als Reaktion auf den Tod von über 360 Bootsflüchtlingen am 3. Oktober 2013 vor Lampedusa und rettete bis Dezember 2014 über 172.000 Menschen auf dem Weg von Libyen nach Italien das Leben.

• Ursprünglich geplant in Kooperation mit Libyen, um die Abfahrt weiterer Bootsflüchtlinge zu verhindern

• Überwiegend von Italien finanziert mit ca. 9 Mio. € pro Monat und beendet, weil andere EU-Regierungen sich nicht finanziell daran beteiligen wollten und sich über zu viele ankommende Boote beklagten (Mare Nostrum sei „eine Brücke nach Europa“)

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Frontex- Operation Triton

• Die Operation Triton startete im November 2014

• Budget anfangs nur 2,8 Millionen Euro pro Monat, aber im Mai 2015 verdreifacht

• Ursprünglich beschränkt auf die 30-Meilen-Zone um die italienische Küste

• Ziel von Triton ist nicht, Bootsflüchtlinge zu retten, sondern die Zahl der ankommenden Flüchtlinge zu verringern

• Tatsächlich blieben die Zahlen im zentralen Mittelmeer aber wie im Vorjahr bei ca. 140.000 Anlandungen von Januar bis Oktober 2015

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Tödliche Konsequenzen der Frontex-Operation Triton

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Oktober 2014: Gründung des Watch the Med Alarmphones For Boatpeople in Distress at Sea and in Cases of Pushback THIS NUMBER IS NOT A RESCUE NUMBER! But an ALARM NUMBER to support rescue operations! What to do if you are in distress at sea or getting pushed back: 1. Call first the coast guards and tell them about your situation of distress 2. Then call the Alarm Phone 3. Note that we cannot rescue, we do not have boats or helicopters 4. We will make sure that your distress call is noted and acted upon 5. If you are not promptly rescued by the coast guards we will inform the public media and politicians to put pressure on the rescue services. --------------------------------------------------------------------------------------------------- Alarm Phone Nr.: + 334 86 51 71 61 ---------------------------------------------------------------------------------------------------

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Zivilgesellschaftliche Organisationen, mit denen das Alarmphone v.a. im Zentralen Mittelmeer

zusammenarbeitet

JUGEND RETTET

Und andere…

SOS MEDITERRANEE

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Juni 2015: Start der Militäroperation EUNAVFOR-Med

• Seit 22.6.15: Erste Phase der von der EU beschlossenen Militäroperation gegen “Schmuggler”, EUNAVFOR Med (“Sophia”)

• Seit 1.10.15: Zweite Phase der Operation, die es erlaubt, Boote, die verdächtigt werden, Flüchtlinge an Bord zu haben, anzugreifen , zu entern und zu zerstören.

• Seit Oktober 2016: 3.Phase begann durch Kooperation mit der libyschen Küstenwache und deren Training, um auch in der libyschen 12-Meilen-Zone eingreifen zu können.

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2016/17: Zunahme der Bootsankünfte in Italien (fast 100.000 von Jan. bis Anf. Juli 2017)

Ankunft in Pozzallo / Sizilien (Juni 2016)

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Kollaboration der EU mit libyscher „Regierung“, „Küstenwache“ und Milizen

• Aug. 2017: Entsendung italienischer Kriegsschiffe in libysche Gewässer (dürfen aber nicht selbst Geflüchtete nach Libyen bringen – siehe Hirsi-Urteil)

• Lieferung von Ausrüstungsmaterial an Libyen • Geld an Milizen = Schlepper, um Flüchtende (für

befristete Zeit) zurückzuhalten • Einseitige Ausweitung der libyschen SAR-Zone • Angriffe auf zivile Rettungsboote und Militärschiff • Gewaltsame Intervention bei Rettungsaktionen • Rückschiebung von Geflüchteten in libysche Lager • Anheizen von Konflikten zwischen Milizen und

bewaffneten Auseinandersetzungen in Libyen

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Libysche Küste und SAR-Zone

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Kriminalisierung der und Angriffe auf die zivilen Rettungsorganisationen

• Frühjahr 2017: Frontex-Vorwurf der „Kooperation mit Schmugglern“

• Frühj./Sommer 2017: „Identitäre Bewegung“ greift Rettungsboote mit Schiff C-Star an, gerät aber selbst in Seenot

• Sommer 2017:Italien fordert Code of Conduct (Verhaltenskodex) von zivilen Rettungsorganisationen

• 2.8.2017: „Iuventa“ von Jugend rettet wird von Italien beschlagnahmt und Durchsuchung weiterer Schiffe

• Mitte August: Libysche „Küstenwache“ gibt Warnschüsse auf das Schiff von Pro Activa Open Arms ab

• Sept./Oktober: einige SAR-NGOs suspendieren nach weiteren Vorfällen ihre Operationen aus Sicherheitsgründen

• 6.11.17: Wahrscheinlich 50 Tote bei Intervention der „libyschen Küstenwache“ in Rettungsaktion von Sea Watch 3

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Vorfall vom 6. November 2017: Libysche „Küstenwache“ interveniert in Rettung

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Politik der IOM und des UNHCR in Libyen

• UNHCR kritisiert „illegale Tötungen im Namen des Migrations-

managements“ und Haftsystem, das Geflüchtete „ihrer menschlichen Würde beraubt“, hat aber keinen Zugang zu Lagern

• Teilweise Evakuierung von Geflüchteten aus Sabratha

• Aber: sie landen in anderen geschlossene Lagern ->

• „freiwillige“ Rückkehr wird organisiert (15.000-20.000 geplant) – aber Geflüchtete bekommen fast nichts von den EU-Geldern, die an ihre Regierungen gehen und protestieren (Beispiel Gambia)

• Rückschiebungen nach Niger (dort drei Camps für „Rückkehrer“ mehr Kontrollen in Bussen und Festnahmen von „Schleppern“)

• Ankündigung eines Resettlement (Umsiedlungs)-Programms, (50.000 über 2 Jahre), aber Aufnahme in EU-Staaten nur freiwillig

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Geflüchtete bei Kontrolle in Niger

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Folgen in anderen Transitländern

• Verlagerung von Fluchtrouten in der Wüste und auf dem Meer (gefährlicher und teurer)

• Tunesien: Zunahme von Bootsüberfahrten im Sept./Okt., aber nur von tunesischen Migrant*innen -> Abschiebungen und Hungerstreik auf Lampedusa

• Algerien: Rückschiebung von Tausenden in die Wüste und nach Niger

• Marokko: mehr Bootsüberfahrten, auch wieder Richtung Kanaren = noch gefährlicher

• Ägäis: wieder mehr Überfahrten auf die überfüllten Inseln, aber auch Rückschiebungen in die Türkei

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Proteste auf Lampedusa und Hungerstreik in libyschen Lagern (Okt./Nov. 2017)

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Unsere Forderungen und Unterstützungsmöglichkeiten

• Sofortige Beendigung der Unterstützung der „libyschen Küstenwache“ und der Rückschiebungen nach Libyen!

• Schluss mit der Kriminalisierung ziviler Seenotrettung!

• „Safe Passage“ = sichere und legale Einreise- und Fluchtwege! „Fähren statt Frontex!“

• Perspektive: Globale Bewegungsfreiheit und gleiche politische und soziale Rechte für alle!

• Finanzielle Unterstützung ziviler Rettungsorganisationen

• Mitmachen beim Alarmphone, z.B. zur Verbreitung der Nummer, bei Öffentlichkeitsarbeit und Schichten, beim Flüchtlingsrat und anderen Gruppen

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