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„Artenschutz für Schönes – kul- tureller Protektionismus soll er- laubt sein“, schrieb Jürg Altwegg am 9. Juni 2005 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über eine Diskussion, die 500 Regierungsex- pertinnen und –experten aus über 130 Ländern Anfang Juni bei der UNESCO in Paris geführt haben. Ergebnis der Verhandlungen ist der Entwurf zu einem „Übereinkom- men zum Schutz und zur Förde- rung der Vielfalt kultureller Aus- drucksformen“. Mit diesem Über- einkommen wollen sich die UNESCO-Mitgliedstaaten gegen- über drohenden wettbewerbsrecht- lichen Einschränkungen ihren Ge- staltungsspielraum und die Legiti- mität nationaler Kulturpolitiken und öffentlicher Kulturförderung erhalten. Schon heute ist abzusehen, dass die Verabschiedung des Überein- kommens zum zentralen Ereignis der nahenden UNESCO-General- konferenz wird, die am 3. Oktober beginnt. Sollte es tatsächlich ver- abschiedet werden, verwirklicht sich für Frankreich der Jahrzehnte alte Traum von der Anerkennung der „exception culturelle“ von Pa- ris aus über die Landesgrenzen hi- naus. Dank der Vorarbeiten im Rahmen der UNESCO sieht Frankreich alle Mitgliedstaaten der EU und Kanada, aber auch Russ- land, China, Brasilien und Indien an seiner Seite. Die 25 Mitglieder der Europäischen Union sprachen bei den Verhandlungen mit einer Stimme. Die Bundesregierung hat sich mit Unterstützung der Deut- schen UNESCO-Kommission ak- tiv an der Abstimmung der ge- meinsamen EU-Positionen betei- ligt. Angesichts der bevorstehenden Debatten auf der Generalkonfe- renz haben wir uns entschlossen, UNESCO heute erstmalig einem einzigen Thema zu widmen. Als Autoren haben wir einige wichtige Akteure der bundesweiten Koaliti- on für kulturelle Vielfalt gewon- nen. Ihre Beiträge spiegeln das deutsche Engagement für das ge- plante Übereinkommen: Vor dem Hintergrund zuneh- mender Globalisierung und Han- delsliberalisierung betont Staats- ministerin Christina Weiss die Wichtigkeit einer politisch hand- lungsfähigen Kultur- und Medien- politik. Einen dezidiert europäi- schen Blick wirft Wilfried Grolig, Leiter der Kultur- und Bildungsab- teilung des Auswärtigen Amtes, auf die Debatte: Er teilt nicht die Befürchtung, die Globalisierung der Märkte führe zu einem kultu- rellen Einheitsbrei. Kulturelle Er- rungenschaften dürften aber nicht allein den freien Kräften des Marktes überlassen werden. Dem- gegenüber sieht Monika Grie- fahn, Vorsitzende des Bundestags- ausschusses für Kultur und Me- dien, die Gefahr einer Vereinheitli- chung der Kulturlandschaft zu einer Mainstream-Kultur. Aber auch für sie ist eine intensivere staatliche Reglementierung nicht wünschenswert. Vielmehr komme es darauf an, wirkungsvolle Impul- se zu geben. Laut Verena Metze-Mangold, Vizepräsidentin der DUK, beste- hen widersprüchliche Interessen nicht nur zwischen Ökonomie und Kultur, sondern auch zwischen konkurrierenden Kulturmodellen. Es mache einen Unterschied, ob et- was „Kulturförderung“ oder „Sub- vention“ und damit auch „handels- politische Barriere“ genannt wird. Metze-Mangold hebt die positive Wirkung der interdisziplinär und intellektuell vielfältig angelegten nationalen Koalitionen zur kultu- rellen Vielfalt hervor, die sich die- sen Fragen stellen und ihrerseits an der Meinungsbildung mitwirken. Weltweit haben sich mittlerweile 24 solcher Koalitionen gebildet. Eine Zwischenbilanz der Arbeit der Bundesweiten Koalition Kultu- relle Vielfalt in Deutschland zieht Christine M. Merkel, Kulturrefe- rentin der DUK. Um die Macht von Begriffen und Begriffsbildungen geht es in dem Beitrag von Max Fuchs, Vor- sitzender des Deutschen Kulturra- tes. Als „kulturpolitische Leitfor- mel“ ist für ihn der Begriff „Kultu- relle Vielfalt“ mitverantwortlich für den sich abzeichnenden Erfolg einer UNESCO-Konvention. Das zentrale Thema des Textes von Christoph Wulf, Vorsitzender des Fachausschusses Bildung der Deutschen UNESCO-Kommissi- on, ist die konstituierende Kraft von Alterität. Erst in der Differenz, individueller oder gesellschaftli- cher, kann sich Identität herausbil- den. Nach Wulf bedarf es für einen verantwortungsvollen Umgang mit UNESCO heute Nr. 1 2005 |1 Liebe Leserinnen, liebe Leser,

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„Artenschutz für Schönes – kul-tureller Protektionismus soll er-laubt sein“, schrieb Jürg Altweggam 9. Juni 2005 in der FrankfurterAllgemeinen Zeitung über eineDiskussion, die 500 Regierungsex-pertinnen und –experten aus über130 Ländern Anfang Juni bei derUNESCO in Paris geführt haben.Ergebnis der Verhandlungen ist derEntwurf zu einem „Übereinkom-men zum Schutz und zur Förde-rung der Vielfalt kultureller Aus-drucksformen“. Mit diesem Über-einkommen wollen sich dieUNESCO-Mitgliedstaaten gegen-über drohenden wettbewerbsrecht-lichen Einschränkungen ihren Ge-staltungsspielraum und die Legiti-mität nationaler Kulturpolitikenund öffentlicher Kulturförderungerhalten.

Schon heute ist abzusehen, dassdie Verabschiedung des Überein-kommens zum zentralen Ereignisder nahenden UNESCO-General-konferenz wird, die am 3. Oktoberbeginnt. Sollte es tatsächlich ver-abschiedet werden, verwirklichtsich für Frankreich der Jahrzehntealte Traum von der Anerkennungder „exception culturelle“ von Pa-ris aus über die Landesgrenzen hi-naus. Dank der Vorarbeiten imRahmen der UNESCO siehtFrankreich alle Mitgliedstaaten derEU und Kanada, aber auch Russ-land, China, Brasilien und Indienan seiner Seite. Die 25 Mitgliederder Europäischen Union sprachenbei den Verhandlungen mit einerStimme. Die Bundesregierung hatsich mit Unterstützung der Deut-

schen UNESCO-Kommission ak-tiv an der Abstimmung der ge-meinsamen EU-Positionen betei-ligt.

Angesichts der bevorstehendenDebatten auf der Generalkonfe-renz haben wir uns entschlossen,UNESCO heute erstmalig einemeinzigen Thema zu widmen. AlsAutoren haben wir einige wichtigeAkteure der bundesweiten Koaliti-on für kulturelle Vielfalt gewon-nen. Ihre Beiträge spiegeln dasdeutsche Engagement für das ge-plante Übereinkommen:

Vor dem Hintergrund zuneh-mender Globalisierung und Han-delsliberalisierung betont Staats-ministerin Christina Weiss dieWichtigkeit einer politisch hand-lungsfähigen Kultur- und Medien-politik. Einen dezidiert europäi-schen Blick wirft Wilfried Grolig,Leiter der Kultur- und Bildungsab-teilung des Auswärtigen Amtes,auf die Debatte: Er teilt nicht dieBefürchtung, die Globalisierungder Märkte führe zu einem kultu-rellen Einheitsbrei. Kulturelle Er-rungenschaften dürften aber nichtallein den freien Kräften desMarktes überlassen werden. Dem-gegenüber sieht Monika Grie-fahn, Vorsitzende des Bundestags-ausschusses für Kultur und Me-dien, die Gefahr einer Vereinheitli-chung der Kulturlandschaft zueiner Mainstream-Kultur. Aberauch für sie ist eine intensiverestaatliche Reglementierung nichtwünschenswert. Vielmehr kommees darauf an, wirkungsvolle Impul-se zu geben.

Laut Verena Metze-Mangold,Vizepräsidentin der DUK, beste-hen widersprüchliche Interessennicht nur zwischen Ökonomie undKultur, sondern auch zwischenkonkurrierenden Kulturmodellen.Es mache einen Unterschied, ob et-was „Kulturförderung“ oder „Sub-vention“ und damit auch „handels-politische Barriere“ genannt wird.Metze-Mangold hebt die positiveWirkung der interdisziplinär undintellektuell vielfältig angelegtennationalen Koalitionen zur kultu-rellen Vielfalt hervor, die sich die-sen Fragen stellen und ihrerseits ander Meinungsbildung mitwirken.Weltweit haben sich mittlerweile24 solcher Koalitionen gebildet.Eine Zwischenbilanz der Arbeitder Bundesweiten Koalition Kultu-relle Vielfalt in Deutschland ziehtChristine M. Merkel, Kulturrefe-rentin der DUK.

Um die Macht von Begriffenund Begriffsbildungen geht es indem Beitrag von Max Fuchs, Vor-sitzender des Deutschen Kulturra-tes. Als „kulturpolitische Leitfor-mel“ ist für ihn der Begriff „Kultu-relle Vielfalt“ mitverantwortlichfür den sich abzeichnenden Erfolgeiner UNESCO-Konvention. Daszentrale Thema des Textes vonChristoph Wulf, Vorsitzender desFachausschusses Bildung derDeutschen UNESCO-Kommissi-on, ist die konstituierende Kraftvon Alterität. Erst in der Differenz,individueller oder gesellschaftli-cher, kann sich Identität herausbil-den. Nach Wulf bedarf es für einenverantwortungsvollen Umgang mit

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Liebe Leserinnen, liebe Leser,

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kultureller Vielfalt heute mehrdenn je auch normativer Regelun-gen. Hartwig Lüdtke, Vorsitzen-der des Fachausschusses Kulturder DUK, beschäftigt sich mit kul-tureller Vielfalt vor allem unterdem Aspekt globaler Öffentlich-keit. Er warnt davor, die Förderungkultureller Vielfalt innerhalb voneinzelnen Gesellschaften zu ver-nachlässigen und plädiert für denErhalt und die Unterstützung his-torisch orientierter Institutionenwie Museen oder Archive. Vielfaltkönne nur dort bewahrt werden,wo kulturelle Traditionen nicht inVergessenheit geraten.

Mit den juristischen und völker-rechtlichen Aspekten der Konven-tion beschäftigen sich die Beiträgevon Sabine von Schorlemer undMarkus Krajewski. Von Schorle-mer, Professorin für Völkerrecht,Recht der Europäischen Union undInternationale Beziehungen an derTechnischen Universität Dresden,ist als deutsche Expertin vomUNESCO-Generaldirektor in dasKomitee zur Ausarbeitung desKonventionsentwurfs berufen wor-den. Ihre Ausführungen geben ei-nen fundierten Einblick in die ver-schiedenen Entwicklungsstadiendes Entwurfs. Das von der Deut-schen UNESCO-Kommission inAuftrag gegebene Gutachten vonMarkus Krajewski, Universität

Potsdam, untersucht die möglichenAuswirkungen des GATS auf dieKulturpolitik in Deutschland unddas Verhältnis der GATS- undWTO-Verhandlungen zu dem ge-planten UNESCO-Übereinkom-men.

Dieses Themenheft vonUNESCO heute beginnt mit einemBeitrag von Roland Bernecker.Der Generalsekretär der Deut-schen UNESCO-Kommission, dermit Sabine von Schorlemer an denVerhandlungen in Paris teilgenom-men hat, zeichnet die Entstehungs-geschichte des neuen Übereinkom-mens nach. Im Spannungsfeldzwischen deregulierten Märktenund staatlicher Intervention be-leuchtet er die Zielsetzung diesesvölkerrechtlichen Unternehmensim Sinne einer gerade in Deutsch-land bewährten Kulturpolitik der„öffentlichen Hand“ – eine Diffe-renzierung, die Delegationen an-derer Länder nicht ohne weitereszu vermitteln ist.

Vorbehalte gegen das neueUNESCO-Übereinkommen kom-men aus Australien und Japan. Ve-hemente Kritiker aber sind die Ver-einigten Staaten und Israel: In ei-ner ersten Reaktion auf die Exper-tenkonferenz hob der Vertreter derUSA am 3. Juni hervor, dass dasÜbereinkommen nicht von Kulturhandele, sondern auf den Handel

ausgerichtet sei und deshalb „deut-lich das Mandat der UNESCOüberschreite“. Um dem weit ver-breiteten Vorwurf zu begegnen, dieUSA seien Vorreiter einer weltwei-ten kulturellen Homogenisierung,betonte er, dass die VereinigtenStaaten „zu den kulturell vielfäl-tigsten Staaten der Welt“ zähltenund auf diese Vielfalt stolz seien.

Während in Deutschland das öf-fentliche Interesse für das Über-einkommen erst noch gewecktwerden musste, befindet sich der„Artenschutz fürs Schöne“ jenseitsdes Rheins schon längst in derPhase der Aufrüstung: EineSchlacht sei gewonnen, so LeMonde am 11. Juni 2005, nochnicht gewonnen sei der Krieg. An-gesichts solcher Kontroversen ver-spricht die nahende Generalkonfe-renz zu einem spannenden Ereig-nis zu werden. Beruhigend ist da-bei, dass die UNESCO nur eineWaffengattung kennt: die der Wor-te.

Ihr

(Dieter Offenhäußer, Pressesprecherund stellvertretender Generalsekretärder Deutschen UNESCO-Kommission)

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Inhaltsverzeichnis

1 Editorial

Dieter Offenhäußer

5 Zur Genese eines Völkerrechtsvertrags

Roland Bernecker

12 Das deutsche Interesse am

UNESCO-Übereinkommen zum

Schutz kultureller Vielfalt

Christina Weiss

16 Die kulturelle Vielfalt in der

Europäischen Union

Wilfried Grolig

20 Nationale Kulturpolitik auf dem

Prüfstand der Globalisierung

Monika Griefahn

24 Kulturelle Vielfalt: zur Karriere einer

kulturpolitischen Leitformel –

Ein theoretischer Versuch zu einem

praktischen Problem

Max Fuchs

29 Die Rolle der Deutschen UNESCO-

Kommission im Spannungsfeld

zwischenstaatlicher Verhandlungen und

zivilgesellschaftlicher Interessen

Verena Metze-Mangold

35 Kulturelle Vielfalt und Alterität

Christoph Wulf

39 Kulturelle Vielfalt und globale

Öffentlichkeit

Hartwig Lüdtke

44 Bundesweite Koalition Kulturelle Vielfalt

Eine Zwischenbilanz 2003-2005

Christine M. Merkel

49 Die Harmonisierung von GATS und dem

UNESCO-Übereinkommen zur

kulturellen Vielfalt als völkerrechtliche

Herausforderung

Sabine von Schorlemer

56 Rechtsgutachten „Auswirkungen des

GATS auf Instrumente der Kulturpolitik

und Kulturförderung in Deutschland“ –

Zusammenfassung der Ergebnisse

Markus Krajewski

60 In eigener Sache

UNESCO heuteZEITSCHRIFT DER DEUTSCHEN UNESCO-KOMMISSION

52. JAHRGANG AUSGABE 1, 2005

UNESCO-Übereinkommenzum Schutz der

kulturellen Vielfalt

UNESCO-Übereinkommenzum Schutz der

kulturellen Vielfalt

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Impressum

UNESCO heute (ISSN 0937-924X)Hrsg.: Deutsche UNESCO-Kommission e.V.,Präsident: Walter Hirche; Vizepräsidenten: Dr. Verena Metze-Mangold, Prof. Dr. Hermann SchäferGeneralsekretär: Dr. Roland Bernecker

Redaktionsanschrift:

Colmantstraße 15, D-53115 BonnTelefon (0228) 60 497-0, -11Fax (0228) 60 497 30E-Mail: [email protected]: www.unesco.de

Redaktion: Dieter Offenhäußer (verantwortlich) und Kurt Schlünkes; redaktionelle Mitarbeit: Markus Teglas.

UNESCO heute wird vom Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland unterstützt.

Redaktionelle Kürzungen, Bildauswahl, Überschriften und Veröffentlichung der eingesandten Artikel bleiben der Redaktion vorbehalten. Namentlich gezeichnete Artikel geben nicht immer die Meinung der Redaktion wieder.

Erscheint halbjährlich. Bezug und Abdruck frei. Quellenangabe: UNESCO heute. Belegexemplare erbeten. Kostenlose Abonnements an Privatanschriften werden auf ein Jahr befristet.

Layout, Satz und Druck: Köllen Druck+Verlag GmbH, Bonn+Berlin. Auflage: 5.500.

UNESCO heute wird auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt.

Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe ist der 1. August 2005.Später eingereichte Beiträge können nicht berücksichtigt werden.

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Als am 2. April 1998 in Stock-holm die Delegierten derUNESCO-Weltkulturkonferenzden Stockholmer Aktionsplan ver-abschiedeten, war nicht allen klar,dass sich die zentrale Themenstel-lung der Konferenz bereits erheb-lich verschoben hatte. Überschrie-ben war diese dritte Weltkultur-konferenz, an der 2000 Teilnehmeraus 140 Staaten zusammenkamen,noch mit klarem Fokus auf dieEntwicklungsdimension: „Cultural Policies for Development“. Es warein später Tribut an die Wirkung,die der Bericht der Weltkommissi-on für Umwelt und Entwicklung,der so genannte Brundtland-Be-richt „Unsere gemeinsame Zu-kunft“, bei seinem Erscheinen1987 entfaltet hatte. Es ging aberin der Kulturpolitik inzwischen umetwas anderes.

Ein neues Konzept

In dem 1995 vorgelegten Berichtder – analog zur Brundtland-Kom-mission eingerichteten – Weltkom-mission für Kultur und Entwick-lung ist, wenn man ihn aufmerksamliest, bereits weniger von Entwick-lung die Rede, als vielmehr von ei-nem neuen Konzept: Vielfalt. DerTitel des Berichts – „Unsere kreati-ve Vielfalt“ – spiegelt dies wider.Es lohnt sich auch heute noch, ihnaufmerksam zu lesen. Nicht zuletztdie Beteiligung des Anthropologen

Claude Lévi-Strauss an den Arbei-ten der Kommission dürfte dazubeigetragen haben, dass die Realitäteiner unvorstellbar reichen weltwei-ten Vielfalt kultureller Prägungenund die daraus sich ergebendenProbleme im Vordergrund standen:die oft unterentwickelte politischeBereitschaft, einen kulturinternenPluralismus zuzulassen und zu för-dern, die Notwendigkeit einer glo-balen Ethik, aus der das Recht fürdie Zurückweisung sich kulturelldefinierender Zwänge und Zumu-tungen ableitbar bleibt, sowieschließlich die Spannung zwischender Differenz kultureller Wertsyste-me und der Notwendigkeit des kon-struktiven und vertrauensvollenDialogs zwischen den unterschied-lichen Kulturen.

Diese Themen werden uns auchspäter wieder begegnen. Keines istim weiteren Verlauf der Debatteverloren gegangen.

Hoch anrechnen muss man derKommission, die unter Leitungdes ehemaligen UN-Generalsekre-tärs Javier Pérez de Cuéllar zur Er-stellung ihres Berichts eine welt-weite Enquête durchführte, dasssie im kulturellen Spannungsgefü-ge zwischen individueller Selbst-verortung und sozialer Kohäsionder individuellen Freiheit klarePriorität einräumte. In einer zen-tralen Formulierung fasst der Be-richt die Elemente zusammen, dieuns auch heute noch mit Blick auf

Roland Bernecker

Zur Genese eines Völkerrechtsvertrags„Derrière six il y a plus que sept“Afrikanisches Sprichwort

»Unser grundlegendstesBedürfnis ist die Freiheit, unsere

Bedürfnisse selbstdefinieren zu können«

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das neue UNESCO-Übereinkom-men beschäftigen:

„Finally, freedom is central toculture, and in particular the free-dom to decide what we have rea-son to value, and what lives wehave reason to seek. One of themost basic needs is to be left freeto define our own basic needs.This need is being threatened by acombination of global pressuresand global neglect.“

Verhandlungen von WTO

und OECD

Es ist angesichts der vielfachunsichtbaren Verstrebungen der in-ternationalen Agenda vielleichtkein Zufall, dass der Pérez de Cuéllar-Bericht im selben Jahr er-schien, in dem das GATS in Krafttrat, ein Abkommen, mit dem dieinternationale Dynamik von Dere-gulierung und Liberalisierung aufden Bereich der Dienstleistungenausgedehnt und damit öffentlicheInvestitionen zur Förderung undBelebung der nationalen Kultur-landschaft zur Verhandlungsmasseim Rahmen der WTO wurden. Si-cher kein Zufall ist, dass seit 1995sehr diskret geführte Verhandlun-gen bei der OECD stattfanden, diesich im französischen Kürzel„AMI“ (Accord multilatéral surl’investissement), nachdem eineöffentliche Debatte über die Aus-wirkungen der geplanten Regelun-gen möglich geworden war, baldals ein falscher Freund herausstel-len sollten. Wie es rückblickendscheint, kann man diesem Vorha-ben konspirative Züge nicht völligabsprechen.

Was war geschehen? Das Pro-jekt AMI (auch MAI, „Mutual

Agreement on Investment“) derOECD sah vor, internationalen In-vestoren im gesamten Anwen-dungsbereich gleiche Rechte zuzu-gestehen. Dies hätte eine „Diskri-minierung“ durch nationale Vor-zugsbehandlung ausgeschlossen,und zwar ohne jede Differenzie-rung für alle Bereiche und ohne dasim GATS vorgesehene Initiativ-recht der Staaten für entsprechendeAngebote (vgl. Serge Regourd:L’exception culturelle, Paris 2002).

Hier stellt sich in sehr drängen-der Weise die Frage der Transpa-renz und demokratischen Vermitt-lung solcher weitreichender Ent-scheidungen; diese Frage hat kürz-lich mit den Referenden zumEU-Verfassungsentwurf erneuteAufmerksamkeit gefunden. Bei Be-kanntwerden der OECD-Verhand-lungen war die Reaktion der betrof-fenen Berufsverbände in Frank-reich so heftig, dass die RegierungJospin im Oktober 1998 den Rück-zug ankündigte, was zu einem Endedes OECD-Projekts im Dezember1998 führte. (Inzwischen ist es derOECD gelungen, über die verglei-chende Evaluierung der Bildungs-systeme den Goodwill zu gewin-nen, den jeder einer guten Bil-dungsreform intuitiv entgegen-bringt, wie diskussionswürdig auchimmer die dahinter stehenden me-thodischen Ansätze sein mögen.)

Spätestens an dieser Stelle be-gegnen wir einem Problem, dassich als grundlegend erweist: demProblem der politischen Kohärenz.Zwar enthält § 151,4 des Vertragsder Europäischen Gemeinschaft ei-ne so genannte Kulturverträglich-keitsklausel, das heißt eine Quer-schnittsbestimmung, nach der dieEG in ihrer gesamten Tätigkeit den

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kulturellen Aspekten Rechnungtragen soll. Es ist aber ein Gemein-platz, an der Wirksamkeit dieserBestimmung zu zweifeln. Dasshandels- oder sicherheitspolitischeAspekte kulturpolitische Belangemeist überwiegen, mag angemes-sen sein; nicht zwingend erscheintjedoch, dass im Rahmen der WTOGrundsatzentscheidungen darübergetroffen werden, welche kulturpo-litischen Instrumente im Sinne ei-ner fortschreitenden Deregulierungüberflüssig sind. Politisches Han-deln wird bestimmt von der Not-wendigkeit, seine Auswirkungenmöglichst gut und vollständig vo-rauszusehen. Hier sollten im Zwei-felsfall auch die zuständigen Kul-turpolitiker in Parlament und Re-gierung einbezogen werden.

Ein zentrales Element

der Globalisierung

So kam es dazu, dass im Aktionsplan der StockholmerUNESCO-Weltkulturkonferenz1998 ein unscheinbarer Abschnittbesonders heftig diskutiert wurde,nämlich Absatz 12 in der Zielvor-gabe 3:

Die Konferenz empfiehlt denStaaten, „für die Auffassung zuwerben, dass der Unterschied zwi-schen kulturellen Gütern undDienstleistungen einerseits undsonstigen kommerziellen Güternandererseits voll anerkannt wirdund dass jene entsprechend anderszu behandeln sind.“

Für den Außenstehenden istnicht erkennbar, welche enorme

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Das Kutiyattam Sanskrit Theater in Indien ist eine der ältesten

theatralischen Erzählformen der Welt. Seit 2001 ist es in der

UNESCO-Liste des immateriellenKulturerbes der Menschheit

verzeichnet.

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Spannung in dieser Kompromiss-formel niedergelegt wurde. Hier,und nicht in der Entwicklungsdis-kussion, lag das aktuelle Problemder Stockholmer Konferenz. Esging um ein zentrales Element derGlobalisierung: Staaten ziehen sichzurück, um den Märkten größereFreiräume zu überlassen; nationaleSonderregeln, Qualitätsstandards,Zugangsbeschränkungen, aberauch gezielte öffentliche Förde-rung von ausgewählten Anbieternsind in der Dynamik der Globali-sierung wettbewerbsverzerrendeEingriffe in die immer umfassen-dere, weltweite Selbstregulierungder Märkte.

Den Hebel setzt die Kulturpoli-tik folglich bei der Feststellung an:kulturelle Güter und Dienstleistun-gen sind keine beliebigen Warenwie Kaffee, Schuhe oder leere Vi-deokassetten. Das sind sie gele-gentlich oder teilweise auch. Zu-gleich sind sie jedoch Träger vonWertvorstellungen und konstitutivfür die Identität von Menschen undGesellschaften und daher Gegen-stand öffentlicher, gesellschaftli-cher und staatlicher Aufmerksam-keit und Verantwortung. Es wirdalso hier nicht festgestellt: Libera-lisierung und Deregulierung seienschlecht, sondern nur: sie habenihre Grenzen dort, wo öffentliche,das heißt gemeinschaftliche Inte-ressen berührt werden.

Das war aber nur die mehr abs-trakte Fassung des Problems. Kon-kreter ging es um eine Reaktionauf die Gefahr einer „unilateralcommand of the thought of theworld“ – der mit der Kapitalmachtder US-Kulturindustrie einherge-henden Gefahr der Nivellierungdes weltweiten Kulturangebots auf

Kosten unzähliger lokal, regionaloder national agierender Akteure.

Schlussfolgerungen aus

der Stockholmer Debatte

Sheila Copps, zum Zeitpunkt derStockholmer Konferenz kanadischeKulturministerin, zog aus denStockholmer Diskussionen denSchluss, dass diese Debatte auf einanderes Niveau zu heben und nurdurch ein internationales Netzwerkder in den meisten Fällen zu Hauseeher machtlosen Kulturministerund -ministerinnen erfolgreich zuführen sei. Sie vertrat ein Land, dasin direkter geografischer und kultu-reller Nachbarschaft mit einer Welt-macht das Recht zur Förderung na-tionaler Initiativen für besondersdringlich hielt – und die wusste,wovon sie sprach. Sie gründete dasinformelle Netzwerk der Kulturmi-nister und -ministerinnen INCP (In-ternational Network on Cultural Policy), das schon bald zum Motoreiner internationalen Lobby für einUNESCO-Übereinkommen zurkulturellen Vielfalt werden sollte.

Das Thema gewann an Virulenzund Aufmerksamkeit, im Hinter-grund wurden eifrig die Fäden ge-zogen. Im Jahr 2000 verabschiedeteder Europarat einen mäßigen Textzur kulturellen Vielfalt, um schnel-ler als die UNESCO zu sein. Ersollte ebenso schnell von der Bild-fläche verschwinden, wie er auf ihrerschienen war. Die UNESCO wie-derum brachte auf ihrer General-konferenz 2001 eine „UniverselleErklärung zur kulturellen Vielfalt“hervor, die sogleich deutlich mach-te, dass die Organisation für die De-batte bestens gerüstet war: der Textder Erklärung hatte eine Qualität,

»Liberalisierung undDeregulierung habenihre Grenzen dort, woöffentliche Interessen berührt werden«

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die ihn sofort zu einem anerkanntenReferenzdokument machte undauch heute noch macht.

Die USA kehrten im Oktober2003 nach fast 20-jähriger Abwe-senheit in die UNESCO zurück.Mit dem Gewicht des größten Bei-tragszahlers erhofften sie sichauch, Einfluss auf das Projekt einesneuen Völkerrechtsvertrags zunehmen, dessen Beschluss sich fürdie 32. UNESCO-Generalkonfe-renz im Oktober 2003 abzeichnete.Hatte man noch 2001 von einemverbindlichen Text zur Frage derVielfalt Abstand genommen undsich für eine Variante im „soft law“entschieden, so zeigte die interna-tionale Lobbyarbeit des INCP ihreWirkung. Protestaktionen von Glo-balisierungsgegnern in Seattle ge-gen die WTO und in Genua gegenden G8-Gipfel sowie eine weltwei-te Sensibilisierungskampagne zuden Folgen der Globalisierung tru-gen die Diskussion verstärkt in dieZivilgesellschaften vieler Länder.

Als es im Oktober 2003 auf der32. UNESCO-Generalkonferenzzu der Debatte darüber kommt, obdie UNESCO ein völkerrechtlichverbindliches Übereinkommenzum Schutz der kulturellen Vielfaltausarbeiten soll, ist der Saal, indem die zuständige Kulturkommis-sion tagt, völlig überfüllt. Über 80Delegationen ergreifen das Wort,viele durch ihre Kulturminister und-ministerinnen, was ungewöhnlichist für eine Programmkommission.Über der Debatte schwebt das spür-bare Pathos großer Entschlossen-heit; auch das ist nicht immer derFall im eher diplomatisch gestimm-ten Diskurs der UNESCO. DieUSA, als Neuankömmling zu-gleich um goodwill bemüht und

um Erläuterung ihrer Ablehnungdes gesamten Vorhabens, zielten inihrer Intervention auf die notwen-dige Dissoziierung von Staat undKultur. Staatsgrenzen seien keineKulturgrenzen, und der Staat seikein Akteur im Medium der Kultur.Wo der Staat sich in die Kultur ein-mische, seien nicht selten Tragö-dien die Folge. Paradoxerweise istdiese Argumentation gerade ausunserer deutschen Erfahrungschlüssig, wenn im engeren Sinnvon Staat die Rede ist; dies kehrtsich jedoch um, wenn wir Staat mitÖffentlichkeit ersetzen. Wir sindim Deutschland der Nachkriegszeitdaran gewöhnt, dass staatliche In-tervention gemildert und gefiltertwird durch eine Vermittlung, derwir die allegorische Bezeichnung„öffentliche Hand“ zuerkennen.Der öffentliche Rundfunk ist keinStaatsfunk, und das ist gut so. Die-se Differenzierung ist Delegatio-nen anderer Länder nicht ohne wei-teres zu vermitteln. Sie berechtigtuns aber zu der nachdrücklichenBefürwortung eines Modells, indem Regierungen eine aktive Rolleübernehmen, um kulturelles Schaf-fen und Partizipation daran syste-matisch zu unterstützen und zu för-dern – wobei wir selbstverständlichvon demokratisch legitimierten Re-gierungen ausgehen.

Deutschland hatte sich bereitsim Frühjahr 2003 offensiv für dasÜbereinkommen positioniert undnahm, unter kluger, auf Ausgleichbedachter Leitung des Botschaf-ters Hans-Heinrich Wrede, aufder 32. Generalkonferenz derUNESCO eine Vermittlerrolle einzwischen den Delegationen, dieauf den Schutz kultureller Vielfaltdrängten, und denen, die eine

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Debatte zu den Folgen

der Globalisierung

Marokko: eine Tänzerin auf dem„Moussem“ in Tan Tan.

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grundsätzliche Öffnung desMarktes forderten. Die schließ-lich verabschiedete Resolutionspiegelt recht vollständig unserePosition wider: die Petita der US-amerikanischen Delegation wur-den in die ursprüngliche Be-schlussvorlage inkorporiert, wasan der Tatsache, dass nun dochmit der Ausarbeitung eines neuenVölkerrechtsvertrags begonnenwurde, nichts änderte, aber jedemProtektionismus aus Staatsräsoneine Absage erteilte.

Nun schlug die Stunde der Ex-pertinnen und Experten, die – vomUNESCO-Generaldirektor direktberufen – eine erste Vorlage erar-beiten sollten. Deutschland war inder Gruppe mit der Völkerrechts-expertin Prof. Sabine von Schorle-mer vertreten, die fachkundig anden Verhandlungen teilnahm unddie dann auch die Arbeit der offi-ziellen deutschen Verhandlungsde-legation maßgeblich verstärkensollte. Die deutsche Beteiligung andem geplanten Instrument standvon Anfang an unter einem gutenStern. Im September 2004 lag einErgebnis vor, das von der großenMehrheit der Regierungsdelegatio-nen auf der ersten, dem reinen In-formationsaustausch gewidmetenzwischenstaatlichen Verhandlungs-runde ungewohnt positiv aufge-nommen wurde. In der Phase derExperten, die ad personam vomUNESCO-Generaldirektor benanntwerden und weisungsunabhängigarbeiten, wächst bei den Regie-rungsdelegationen üblicherweiseschnell die kritische Ungeduld.Man drängt, selbst in das Gesche-hen einzugreifen. In diesem Falllohnte sich das Warten.

Das nächste Mirakel ereignetesich am 15. November 2004, ei-nem Montag, an dem es auf einerPariser EU-Sitzung zu der überra-schenden Einigung kam, die bis zudiesem Tag einzureichenden natio-nalen Stellungnahmen zu dem Ex-pertenentwurf für die 25 EU-Mit-gliedstaaten in einer einzigen euro-päischen Stellungnahme zu bün-deln. Damit war der Weg für einegemeinsame europäische Verhand-lungsführung geebnet, die derStimme der EU nicht nur größerenNachdruck verlieh, sondern sich inder Endphase der Verhandlungenals entscheidend für den Verhand-lungserfolg aus Sicht der EU er-weisen sollte.

Erfreulicherweise wuchs die EUder 25 UNESCO-Verhandlungsde-legationen immer mehr zusammenund erzielte den Höhepunkt ihrerEffektivität – von kundigen undgeschickten Vertreterinnen undVertretern der Kommission unter-stützt – im Rahmen der sehr kom-plexen UNESCO-Verhandlungenjust in dem Moment, als das fran-zösische Referendum zum EU-Verfassungsentwurf diesen ge-meinsamen Erfolg zu desavouierenschien. Das konzertierte Vorgehender EU war neu im Forum derUNESCO und stieß anfangs aufUnverständnis und Widerstand. Esbewährte sich bei den Verhandlun-gen zur kulturellen Vielfalt in ei-nem Maß, das alle überraschte.Wir hatten Gelegenheit, im kleinenMaßstab die EU der 25 – zuerstunter guter niederländischer, dannunter sympathischer und kompe-tenter agierender Luxemburgi-scher Präsidentschaft – an einerschwierigen und auch EU-internkontrovers diskutierten Thematik

Die deutsche Position

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innerhalb der UNESCO über vieleVerhandlungswochen hin zu ent-wickeln: in einer lebendigen, kri-senfesten und zuletzt von großemVertrauen geprägten Atmosphäre,die zu einem exzellenten Ergebnisfür die Gemeinschaft führte.

Seit dem 3. Juni 2005 liegt einErgebnis vor, das den Vorsätzen,die wir uns aus deutscher Sicht ge-steckt haben, in überraschend ho-hem Maße entspricht. Noch sindwir nicht am Ziel angelangt, da esstarke politische Widerstände ge-gen das Grundanliegen dieses neu-en völkerrechtlichen Instrumentsgibt. Wie ist das erzielte Ergebniszu bewerten? Es ist hier nicht derOrt, auf Einzelheiten des nun vor-liegenden Entwurfs und auf dieverzwickte und spannungsreicheGenese der unzähligen Kompro-misse einzugehen, die dem Text ei-ne durch bloße Lektüre schwernachvollziehbare Komplexität undAusgewogenheit verleihen. Wich-tiger erscheint mir eine abschlie-ßende Betrachtung für Ziel undSinn dieses völkerrechtlichen Un-ternehmens.

Freiheit ist die Freiheit nicht nurder Anbieter, sondern auch undinsbesondere all derer, die in derKultur Antworten suchen auf ihreFragen, oder auch die ursprüngli-chen Fragen suchen zu den Ant-worten, die ihnen ungefragt ser-viert werden. Die sich nicht ganzdavon abbringen lassen, dass Publikumserfolg in der Kulturnicht allein der Indikator sein kannfür den Wert, den ein Angebot hat.

Mit dem Problem der Nivellie-rung hat sich Kierkegaard in einembemerkenswerten Essay auseinan-dergesetzt. Man muss die Radika-lität des dänischen Philosophen

nicht teilen, wenn er das Publikumbezeichnet als „das abstrakte Ödeund Leere, welches alle und nie-mand ist“; alle für Kultur Zustän-digen sollten aber verstehen, wasmit folgendem Passus gemeintsein könnte:

„In der im wirklichen Augen-blick und in wirklicher Situationgegebenen Gleichzeitigkeit mitden wirklichen Menschen, die je-der etwas sind, liegt für den Ein-zelnen das Stützende. (...) Publi-kum kann Jahr und Tag brauchen,um gleichsam gesammelt zu wer-den, und wenn es dann gesammeltist, so ist es doch nicht da. DieAbstraktion, welche die Individu-en durch einen Paralogismus bil-den, stößt ganz richtig die Indivi-duen von sich ab anstatt ihnen zuhelfen“ (Publikum und sein Hund).

Kulturpolitik hat ebensosehr dieAufgabe, „Mainstream“ zu konter-karieren, wie ihn zu ermöglichen.Dass Politik nicht selbst Kulturhervorbringt, darf nicht zum Argu-ment dafür werden, dass man dieVerhältnisse und die Menschensich selbst überlässt.

Napoleon soll zu Goethe gesagthaben: „La politique, c’est le des-tin“ – Politik ist das Schicksal. Dieempfundene Ohnmacht der Kul-turpolitik angesichts einer teilwei-se absurden Zeitgeschichte sollteuns nicht soweit entmutigen, dasswir diese Ohnmacht zum politi-schen Leitmotiv erheben. DieUNESCO wird mit dem Überein-kommen zum Schutz der kulturel-len Vielfalt ein Angebot machen,politische Verantwortung für Kul-tur und ordnungspolitische Instru-mente für die Wahrnehmung die-ser Verantwortung zu stärken. Wirsollten das Angebot annehmen.

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»Das konzertierteVorgehen der EU

war neu im Forum der UNESCO«

»La politique, c’est le destin«

Dr. Roland Bernecker ist Generalsekre-tär der Deutschen UNESCO-Kommission.

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Deutschland hat sich entschie-den für die Erarbeitung einer Kon-vention zum Schutz der kulturellenVielfalt in der UNESCO einge-setzt. Die deutsche Bundesregie-rung gehörte insbesondere mit un-seren französischen Partnern zudenjenigen, die das Projekt in dieletzte Generalkonferenz im Herbst2003 eingebracht haben – und dasmit sehr guten Gründen!

Die deutsche Kultur- und Me-dienpolitik braucht ein Rechtsin-strument auf internationaler Ebe-ne, das den Doppelcharakter kultu-reller Waren und Dienstleistungenmit hinreichender Deutlichkeitzum Ausdruck bringt und der Ge-fahr vorbeugt, dass man diese Wa-ren und Dienstleistungen alleindurch die Brille des Handelsrechtsbetrachtet.

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Christina Weiss

Das deutsche Interesse am UNESCO-Übereinkommen zum Schutz kultureller Vielfalt

Straßenkünstler auf dem Djema el Fna in Marrakesch, Marokko

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In Deutschland treten wir tradi-tionell für den freien Austauschüber Grenzen hinweg ein. Der kul-turelle Austausch und der grenz-überschreitende freie Fluss der In-formationen, die Freizügigkeit vonKulturschaffenden und von Journa-listen, der faire Wettbewerb derMedienunternehmen und der freieWettbewerb von Künstlern gehörenzu den vornehmsten Traditionenunserer Kultur- und Medienpolitik.Diese Freiheiten lassen sich mit derSystematik handelspolitischer Li-beralisierung allein allerdings nursehr unzureichend erfassen. Diehandelspolitische Sicht setzt zurWettbewerbssicherung vielfachausschließlich oder im Schwer-punkt auf die Marktkräfte, wäh-rend wir in der Kultur- und Me-dienpolitik traditionell mit einemsehr vielfältigen Instrumentariumarbeiten: von der breiten Freiheits-gewährleistung nach Artikel 5 un-seres Grundgesetzes über finan-zielle Förderung bis hin zu rechtli-chem Schutz und gesetzlicher Ge-staltung.

Kultur- und

Medienpolitik braucht

Handlungsspielräume

Wenn diese Instrumente dannbei rein handelspolitischer Sichtunter Hinweis auf internationaleVerpflichtungen als Handels-hemmnisse in Zweifel gezogenwerden, verliert die Kultur- undMedienpolitik Handlungsspielräu-me, die wir zur Wahrung kulturel-ler Vielfalt in einem wirtschaftli-chen Umfeld und zunehmenderGlobalisierung dringend brauchen.Im kulturellen Sinne wohl durch-dachte Lösungen einzelner Sach-

verhalte erscheinen bei einer reinhandels- oder wettbewerbspoliti-schen Sichtweise plötzlich in ei-nem ganz anderen Licht:� aus einer staatlichen Förderung

einzelner kultureller Akteurewird eine staatliche Subvention,die Wettbewerber benachteiligt;

� aus der wohl überlegten Förde-rung einzelner Bevölkerungs-gruppen die Diskriminierunganderer;

� aus einem solidarischen Zusam-menwirken wird ein Kartell.Wir brauchen die politische

Handlungsfreiheit, die Organisati-ons- und Finanzierungsform des öf-fentlich-rechtlichen Rundfunks undseinen Programmauftrag inDeutschland definieren zu können.Bund, Länder und Kommunenmüssen dort gesetzlich oder finan-ziell eingreifen können, wo uns dieszum Schutz kultureller Vielfalt un-abdingbar erscheint.

Die Debatte, die wir in derUNESCO führen, flankiert dabeiauch unsere Diskussionen in denGremien und mit den Organen derEuropäischen Union. Auch in Brüs-sel wird darüber gesprochen, wel-che kultur- und medienpolitischenSpielräume die Mitgliedstaaten derUnion in einem gemeinsamen Bin-nenmarkt behalten. Die Erhaltungunseres deutschen Systems derFilmförderung sowohl auf Bundes-als auch auf Länderebene, die Frei-heit der Länder, den Auftrag derRundfunkanstalten und die Höheder Rundfunkgebühren selbst fest-zulegen, die Sicherung unserer be-währten Buchpreisbindung – alldas sind Stichworte aus der europa-politischen Debatte der letzten Jah-re. In all diesen Fällen hat sichDeutschland mit Nachdruck für den

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Indien: Kutiyattam Sanskrit Theater

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Erhalt der mitgliedstaatlichenHandlungsspielräume eingesetzt,die wir zur Sicherung unserer Iden-tität als Kulturnation für erforder-lich halten. Vor diesem Hintergrundist es nur folgerichtig, diese Argu-mente mit gleicher Entschiedenheitin die internationale Debatte einzu-bringen.

Das geplante UNESCO-Über-einkommen sollte dabei nicht als„Waffe“ gegen aus kulturpoliti-scher Sicht vielleicht missliebigeBestimmungen des internationalenHandelsrechtes missverstandenwerden. Hier geht es nicht darum,handelspolitische Regeln „auszu-hebeln“ – pacta sunt servanda.Auch die bei Beginn der interna-tionalen und auch unserer nationa-len Debatte emotional erörterteFrage, ob sich das künftige Über-einkommen dem internationalenHandelsrecht „unterordnen“ müs-se oder im Gegenteil diesem ge-genüber höheren Rang zu bean-spruchen habe, zielt am Kern desProblems vorbei. Hier kann esnicht um eine „Über“- oder „Un-ter“-Ordnung gehen, die wechsel-seitige Ergänzung ist gefragt. Dasinternationale Handelsrecht musszwangsläufig allgemein sein, kannauf kulturpolitische Besonderhei-ten allenfalls in groben Zügen ein-gehen. Hier ist die internationaleKulturpolitik gefordert, den Re-geln der WTO kulturspezifische

Regeln zur Seite zu stellen, die aufeinem ebenso breiten Konsens wiedas GATT oder das GATS beruhenund daher nicht nur völkerrecht-lich, sondern auch politisch glei-chen Rang beanspruchen können.Auch dies ist in unserem wohlver-standenen deutschen Interesse.Wir haben uns nicht nur als Kul-turnation und als Weltmeister imExport einen Namen gemacht, wirwollen auch unsere kulturellen Gü-ter und Dienstleistungen zu fairenBedingungen in den internationa-len Austausch einbringen können –im vollen Bewusstsein ihres dop-pelten Charakters als Träger wirt-schaftlicher und kultureller Werte.

Der Schutz kultureller

Vielfalt ist Teil der

Entwicklungspolitik

Internationaler Austausch undfaire Bedingungen – beide Stich-worte führen schließlich auch hinzu einem weiteren Aspekt desSchutzes der kulturellen Vielfalt:der entwicklungspolitischen Kom-ponente dieses Schutzes. Dass derSchutz kultureller Vielfalt, bessernoch der Schutz kultureller Wahl-möglichkeiten, ein wichtiger Teilder Entwicklungspolitik ist, wurdeuns im vergangenen Jahr durchden UN-Bericht zur menschlichenEntwicklung „Kulturelle Freiheitin unserer Welt der Vielfalt“ ein-drucksvoll vor Augen geführt. Dieentwicklungspolitischen Aussagendes Entwurfes der UNESCO-Kon-vention zum Schutz der kulturellenVielfalt haben daher eine sachpoli-tisch abgesicherte Basis – sie sindnicht allein dem Umstand geschul-det, dass die Entwicklungsländerund ihre Stimmen in der General-

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»Das UNESCO-Übereinkommen sollte nicht als„Waffe“ gegen missliebige Bestimmungen desinternationalen Handelsrechtes missverstandenwerden«

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konferenz der UNESCO für dieVerabschiedung des Entwurfes ge-braucht werden. Auch hier ist al-lerdings Realismus gefordert: Soberechtigt das Anliegen, die ent-wicklungspolitischen Aspekte imÜbereinkommen zu berücksichti-gen, ist, so unrealistisch erschie-nen Forderungen am Beginn derDebatte, das Abkommen, das Stan-dards setzen soll, um einen breitangelegten Fond für die Entwick-lung der kulturellen Vielfalt zu er-gänzen.

Auch andere Punkte im erstenVorentwurf sind in Deutschlandnicht auf uneingeschränkte Zu-stimmung gestoßen. So gibt es beimanchen Delegationen eine Ten-denz, durch das geplante Überein-kommen nicht nur die kulturellenRechte des Individuums zu beto-nen, sondern auch so genanntekulturelle „Gruppenrechte“ zu un-terstreichen - ein sehr zwiespälti-ger Ansatz. In Deutschland ist unsdie gedankliche Verbindung vonkultureller Vielfalt und Gruppen-bezug nicht fremd, man denke nuran den fast liebevoll gepflegten„Gegensatz“ zwischen Preußenund Bayern. Daraus jedoch grup-penbezogene Rechtspositionenherzuleiten, will mehr als gut über-legt sein: Gerade der zuvor ge-nannte UN-Bericht zur menschli-chen Entwicklung ruft in Erinne-rung, wie schnell das Individuum,das sich kulturell aus einer Gruppeheraus definiert, einer Gruppen-konformität, einem Gruppen-zwang unterworfen wird.

Noch können wir nicht sichersein, ob wir bei der Generalkonfe-renz der UNESCO im Herbst 2005den Grad an Konsens erreichen,der eine Verabschiedung ermög-

licht. Aber wir sind - wie die letz-te zwischenstaatliche Konferenzder Regierungsexperten in Parisim Mai/Juni 2005 gezeigt hat - aufeinem guten Wege. Die schnelleVerabschiedung eines wirkungs-vollen Übereinkommens ist im In-teresse der deutschen Kultur- undMedienpolitik, hoffen wir also aufden Erfolg und arbeiten wir ge-meinsam darauf hin!

Festival in Tan Tan, Marokko

Dr. Christina Weiss, Staatsministerinbeim Bundeskanzler, ist Beauftragte derBundesregierung für Kultur und Medien.

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Wilfried Grolig

Die kulturelle Vielfalt in der Europäischen Union

Die Verhandlungen über einÜbereinkommen zum Schutz undzur Förderung der Vielfalt kul-tureller Ausdrucksformen imUNESCO-Rahmen fallen in eineZeit, in der das Projekt Europa,nachdem es historische Fortschrittegemacht hat, in eine Phase ver-stärkter Debatten getreten ist. Voreinem Jahr, im Mai 2004, ist dieErweiterung der EuropäischenUnion Wirklichkeit geworden.Zehn neue Staaten sind beigetreten.Gleichzeitig wächst die Europäi-

sche Union enger zusammen. Be-reits zehn Mitgliedstaaten, darunterdie Bundesrepublik Deutschland,haben der Verfassung zugestimmt.

Der Ausgang der Referendenzur EU-Verfassung in Frankreichund den Niederlanden zeigt, dassfür die weitere Integration Europasvertiefte Diskussionen notwendigsind, insbesondere darüber, in wel-cher Weise Europa am wirkungs-vollsten Antworten auf die drän-genden Fragen der Zeit gebenkann.

Der Djema el Fna in Marrakesch ist eine öffentliche Bühne fürtraditionelle künstlerischeDarbietungen.

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Die Diskussionen der vergange-nen Wochen bedeuten auch eineAuseinandersetzung mit Schlüs-selfragen zur europäischen Identi-tät: „Was heißt es, Europäer zusein? Was verbindet uns? Worinbesteht die gemeinsame KulturEuropas?“. EU-Kommissionsprä-sident Barroso betonte anlässlichder Berliner Konferenz „Europaeine Seele geben“ im November2004: „Europa ist nicht nur gleich-bedeutend mit Märkten, sondernauch mit Werten und Kultur. Aufder Werteskala sind kulturelleWerte höher einzustufen als öko-nomische.“ Die Bedeutung derKultur für den europäischen Eini-gungsprozess kann gar nicht über-schätzt werden.

Schlüsselfragen zur

europäischen Identität

Für eine gemeinsame europäi-sche Identität spielen gemeinsameWerte eine zentrale Rolle. Genausowichtig ist, dass wir uns immer wie-der unsere gemeinsame Geschichtevor Augen führen – mit all ihrenBrüchen und Katastrophen. Wennwir uns fragen, worin unsere ge-meinsame Identität liegt, müssenwir uns aber vor allem anderen ei-nes klarmachen: Wir leben heute ineinem Europa, das tolerant undfriedlich mit seinen nationalen, eth-nischen und religiösen Unterschie-den umgeht; es gehört zu unseremSelbstverständnis, dass gerade dieVielfalt der Ideen und Lebenswei-sen Europas Reichtum ausmacht.

Diese Erkenntnis ist auch einGrund dafür, dass sich gerade dieeuropäischen Staaten intensiv fürdas UNESCO-Übereinkommenzur kulturellen Vielfalt einsetzen.

Zusammen mit Frankreich gehörtdie Bundesrepublik Deutschlandzu den ersten Befürwortern desUNESCO-Übereinkommens. Bun-

deskanzler Schröder und Staats-präsident Chirac hatten sich in ih-rer gemeinsamen Erklärung zum40. Jahrestag des Elysée-Vertragsim Januar 2003 für ein solchesÜbereinkommen ausgesprochen.

Dem gemeinsamen Wunschliegt die Überzeugung zu Grunde,dass Kultur nicht allein dem freienKräftespiel der Märkte überant-wortet werden darf. Ich teile zwarnicht die pauschale Befürchtung,dass die Globalisierung die Kultu-ren in kleineren Ländern und Re-gionen verdränge und alles zu ei-nem Einheitsbrei im Sinne einer„MacDonaldisierung“ oder „Coca-colization“ verschmelze. Denn dermit der Globalisierung verbundeneAustausch von Gütern und Dienst-leistungen, Ideen und Lebensstilensetzt Kreativität frei. WestlicheKultur wird in Asien ebenso krea-

tiv rezipiert und damit verwandelt,wie asiatische Kultur in den westli-chen Ländern. Der Erfolg von Ka-rikaturen, die Motive aus japani-schen Mangas aufgreifen, ohnediese jedoch zu imitieren, ist nurein Beispiel.

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»Die Bedeutung der Kultur für den europäischen Einigungsprozess kann gar

nicht überschätzt werden«

»Die Vielfalt der Ideen und Lebensweisen macht Europas Reichtum aus«

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Eine lebendige Kulturlandschaftbedarf aber auch einer aktiven För-derung. In Europa kommt demStaat dabei traditionell eine größe-re Rolle zu als beispielsweise inden Vereinigten Staaten. Dort be-ruht Kulturförderung vor allem aufprivatem Mäzenatentum und bür-gerschaftlichem Engagement, dasfreilich durch eine staatliche Steu-erpolitik begünstigt wird.

Gestaltungsmöglichkeiten

der öffentlichen

Kulturpolitik

Innerhalb der europäischen Staa-ten besteht ein breiter Konsens,dass die Gestaltungsmöglichkeitender öffentlichen Kulturpolitik mitallen Instrumenten und Mechanis-men auch im Rahmen der wirt-schaftlich gebotenen Liberalisie-rung uneingeschränkt erhalten blei-ben müssen. Dies gilt für die Mit-gliedstaaten selbst und auf demGebiet der Kulturförderung auchfür die Europäische Union, die denReichtum der kulturellen undsprachlichen Vielfalt in den Mit-gliedstaaten wahren und für denSchutz und die Entwicklung deskulturellen Erbes Europas sorgensoll.

Ein ganz wesentlicher Teil die-ses Reichtums liegt in der Vielfaltder Sprachen in Europa. Heute hatdie Europäische Union beeindru-ckende zwanzig Amtssprachen.Neben ihnen gibt es in Europaüber 200 andere Muttersprachen.

Zu ihnen gehören auch die so ge-nannten kleinen Sprachen wie dasGälische, das Baskische oder dasRätoromanische. Diese Sprachensind Teil des europäischen Kultur-erbes. Sprachenvielfalt ist abermehr als eine historische Erschei-nung. Im Gegenteil, heute ist dieMehrsprachigkeit in Europa aufdem Vormarsch.

Mehrsprachigkeit ist ein wichti-ger Bestandteil zur Wahrung derSprachenvielfalt. Zur Erhaltungdieses Reichtums müssen alleStaaten und Sprachgemeinschaf-ten in Europa ihren Beitrag leisten.Wir verstehen es deshalb als we-sentlichen Teil unserer Außenpoli-tik, für die deutsche Sprache zuwerben, ihren Erwerb zu fördern.

Die Mittlerorganisationen derAuswärtigen Kultur- und Bildungs-politik transportieren ein modernesDeutschlandbild und ermöglichenmit ihrer Kulturarbeit einen Ein-druck von aktuellen Entwicklungenund Strömungen. Gerade bilateraleInitiativen, die auf die Einbezie-hung eines breiten Publikums ab-zielen, wie das deutsch-polnischeJahr 2005, tragen zu einem frucht-baren Dialog bei.

Um dies auch künftig zu errei-chen, benötigen wir Gestaltungs-und Steuerungsmechanismen vonder finanziellen Zuwendung anMittlerorganisationen bis zur Ein-richtung von Sonderprogrammenund Wettbewerben. Diese dürfenbei der Liberalisierung des Dienst-leistungssektors nicht zur Disposi-tion stehen.

Seit September 2004 haben Re-gierungsexperten in drei schwieri-gen Verhandlungsrunden um denText des UNESCO-Übereinkom-mens zur kulturellen Vielfalt gerun-

»Sprachenvielfalt ist mehr als eine historische Erscheinung«

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gen, der das Recht der UNESCO-Vertragsstaaten bestätigt, Maßnah-men zum Schutz und zur Förderungkultureller Ausdrucksformen zu er-greifen. Der nun vorliegende Text,an dem von deutscher Seite auchder Generalsekretär der DeutschenUNESCO Kommission Dr. RolandBernecker und DUK-Mitglied FrauProf. Dr. Dr. Sabine von Schorle-mer mitgearbeitet haben, wird den191 UNESCO-Vertragsstaaten aufder 33. UNESCO-Generalkonfe-renz im Oktober 2005 zur Be-schlussfassung vorgelegt.

Für die Mitgliedstaaten der EUwaren die Verhandlungen eine Be-währungsprobe: Zum ersten Maltraten sie im UNESCO-Rahmenunter Vorsitz der Ratspräsident-schaft mit einer Stimme auf. Diekomplexe Abstimmung der ge-

meinsamen Positionen zeigte, dassdie 25 EU-Mitgliedstaaten auch immultilateralen Kontext hervorra-gend zusammenarbeiten. Der Ent-wurfstext spiegelt viele dieser Positionen wider. So wurdenPunkte wie die Betonung der Men-schenrechte, die Berücksichtigungder Medienvielfalt oder die Verein-barung schlanker, kostengünstigerVerwaltungsstrukturen in den Texteingebracht.

Durch Vereinbarung ganz un-terschiedlicher Sichtweisen undEinzelinteressen zu gemeinsamen Positionen haben die EU-Mitglied-staaten auch im Rahmen der Verhandlungen zum UNESCO-Übereinkommen zur kulturellenVielfalt zur Herausbildung der ge-meinsamen europäischen Identitätbeigetragen.

Der Schriftsteller György Kon-rad brachte vor einigen Monatenauf den Punkt, worin diese Identi-tät Europas nur liegen kann – inder „Verschiedenartigkeit der Indi-viduen, der persönlichen Ge-schichten, Anschauungen undLeistungen“ – kurz: in der Vielfalt.

Ministerialdirektor Wilfried Grolig istLeiter der Kultur- und Bildungsabteilungdes Auswärtigen Amts.

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Immaterielles Kulturerbe: die rituelle Musik des heiligen Instruments

„Sosso-Bala“, Guinea.

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Wie hoch ist eigentlich dieWahrscheinlichkeit, das Radio an-zudrehen und einen deutschspra-chigen Rock- oder Popsong oderzumindest einen, der in Deutsch-land produziert wurde, zu hören?Im besten Fall beträgt sie noch 15Prozent, doch meistens ist nichteinmal jeder zehnte Song von hier.Stattdessen regiert der Mainstreamvon Britney Spears über Coldplaybis Eminem. Diese Tatsache wäregerechtfertigt, wenn unsere Musikwirklich so einen schlechten Standhätte, wie das Radio es uns ‘vor-spielt’. Die Musik der zahlreichenKünstler aus Deutschland zeigtaber unter anderem durch die vie-len Fans, CD-Verkäufe und Aus-zeichnungen ihre hohe Qualität.

Dieses Beispiel macht deutlich,wie sehr die Wirkungen und Fol-gen der Globalisierung nicht nur inwirtschaftlichen Prozessen eineRolle spielen, sondern auch in kul-turpolitischen Zusammenhängenimmer mehr Bedeutung erlangen.Kultur kann nur stark sein, wennsie gelebt und praktiziert wird. Sieist erst dann tatsächlich kraft- undwirkungsvoll, wenn der kulturelleAustausch als Bereicherung ver-standen wird. Gerade im Zeitalterder Globalisierung werden Identi-täten immer wichtiger. Es finden

Monika Griefahn

Nationale Kulturpolitik auf demPrüfstand der Globalisierung

Tan Tan, Marokko: eine Tänzerin auf demVolksfest der nomadischen Berber.

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Rückbesinnungen statt, die mitTradition, Sprache, Religion, dasheißt mit Kultur im weitesten Sin-ne, zu tun haben. Es ist gar nichtwünschenswert, Grenzen dieserArt aufheben zu wollen, da nurdurch sie kulturelle Vielfalt unddie kulturelle Diversität erhaltenwerden können.

Welchen Stellenwert hat dieKulturpolitik in einer globalisier-ten Kunst und Kultur? WelcheMöglichkeiten hat sie, die nötigeBalance zwischen der Bewahrungder eigenen Identität und der Öff-nung für andere Kulturen zu erhal-ten? Hier liegt einerseits das Hand-lungsfeld der föderalen Kulturpoli-tik und andererseits das der Aus-wärtigen Kulturpolitik.

Auf Seiten der innerstaatlichenKulturförderung führen uns unserefranzösischen Nachbarn einenWeg vor Augen, der deutlichmacht, dass Globalisierung vonvielen Menschen überwiegend alsGefahr gesehen wird. Auch dieheftigen Diskussionen im Zusam-menhang des Referendums zurEU-Verfassung und deren letzt-endliche Ablehnung haben das ge-zeigt. Die französische Reaktions-weise auf kulturelle Einflüsse vonaußen ist unter dem Begriff „ex-ception culturelle“ bekannt gewor-den. Staatspräsident Chirac undviele andere haben erklärt, dassdieses Modell die Basis für einenlebendigen Kulturaustausch dar-stelle und das richtige Mittel sei, inder sich globalisierenden Welt dieDiversität der Sprachen und Kultu-ren zu bewahren. Ich glaube auch,dass Ausnahme und Vielfalt keineGegensätze darstellen, doch wirwollen in Deutschland keine inten-sive staatliche Beeinflussung der

Kultur, um unsere eigene Vielfaltzu erhalten. Ich muss zugeben,dass ich mir dessen vor einigenJahren noch sicherer war, doch ei-nige Ereignisse der letzten Zeit ha-ben wieder gezeigt, dass die Poli-tik sich nach wie vor stark und in

einigen Bereichen vielleicht zu-nehmend stärker für die Bewah-rung der kulturellen Vielfalt ein-setzen muss.

An dieser Stelle können wirwieder auf die im Rundfunk so we-nig beachtete deutsche Rock- undPopmusik zurückkommen. Andersals in Frankreich hat der Bundnicht die Möglichkeit per Gesetzzentralistisch vorzuschreiben, wiedie Rundfunkstaatsverträge dereinzelnen Länder auszusehen ha-ben. Doch ist in der Debatte imletzten Jahr deutlich geworden,dass sich bei globalisierten Radio-formaten in einer ebenso glo-balisierten Wirtschaftssituationnur schwerlich die Erkenntnisdurchsetzt, dass musikalische Viel-falt dem Radio längerfristig vielmehr Chancen gibt als ein Pro-gramm mit den gleichen 150 rotie-renden Mainstream-Titeln. Es istunsinnig, einerseits den Bedeu-tungsverlust des Radios zu bekla-gen und es andererseits mit demImmergleichen als Nebenbeimedi-um zu zementieren.

Der im Dezember 2004 verab-schiedete Bundestagsantrag, indem wir eine Selbstverpflichtungder Sender fordern, geht genau denrichtigen Weg. Nach dem Prinzip

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»Wir wollen in Deutschland keine intensivestaatliche Beeinflussung der Kultur«

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„so wenig Staat wie möglich, soviel Staat wie nötig“ geht es umden Schutz von nationaler Kultur,ohne sie jedoch in ihrer Entwick-lung auch im Austausch mit ande-ren Kulturen zu behindern. Wennunsere politische Initiative bei derRock- und Popmusik die erhofftenResultate zeigt, dann wird dies eingutes Beispiel für eine sensibleKulturpolitik sein, die sich an derrichtigen Stelle engagiert und hin-ter der ich stehe.

Der zweite ganz zentrale Be-reich ist die Auswärtige Kultur-und Bildungspolitik. Sie wird zwarvon Otto Normalverbraucher kaumdirekt wahrgenommen, ist aber einwichtiger Multiplikationsfaktor:Sie setzt sich für die deutsche Spra-che ein, vermittelt ein Bild vonDeutschland als europäische Kul-turnation und fördert Krisenprä-vention durch einen Dialog derKulturen, zum Beispiel durch einGoethe-Institut in Kabul. Die Be-gegnung der Kulturen ist die Chan-ce des 21. Jahrhunderts. Gerade imAngesicht der Globalisierung bie-tet die Kommunikation zwischenden Kulturen die Chance für fried-liche Kooperation, für Konfliktver-meidung und verständnisorientier-ten Dialog. Oder wie es schon im„Tutzinger Manifest“ steht: „Glo-balisierung braucht interkulturelleKompetenz im Dialog der Kultu-ren.“ Dies ist eine besondere Ver-pflichtung für die Politik. Der ge-genseitige Austausch, das Verste-hen des Anderen, der Respekt vor

anderen Kulturen, Gebräuchen undSitten, das gegenseitige Geben undNehmen, also die im Konzept 2000der Auswärtigen Kulturpolitik be-nannte „Zweibahnstraße“, ist einwichtiges Standbein für die inter-nationale Zusammenarbeit.

Ein weiteres wichtiges Stand-bein in der Auswärtigen Kultur-politik ist die Zivilgesellschaft, ih-re Institutionen und vielfältigenVerbindungen und Netzwerke alsBasis in den internationalen Kul-turbeziehungen. Beziehungen zwi-schen verschiedenen Ebenen derZivilgesellschaft können unterhalbder politischen und diplomatischenEbene Türen zum gegenseitigenVerständnis und zur verbessertenKommunikation öffnen und bereitsdort konfliktverhindernd wirken.

Die deutschen Auslandsschulenspielen hierbei eine wichtige Rolle.Hier kommen junge Menschen –vielfach zum ersten Mal – in Kon-takt mit Deutschland und seinerKultur. Die Schulen sind der Tür-öffner für die Auseinandersetzungmit Deutschland, seiner Geschichte,Kultur, seinen Lebensverhältnissenund wirken prägend für die Soziali-sation. Wenn Schüler auf einerdeutschen Schule waren, entschei-den sie sich viel eher für ein Studi-um in Europa statt in den USA.

Die Auswärtige Kulturpolitikmuss mehr sein als die berühmteDritte Säule der Außenpolitik. Na-türlich ist und bleibt sie integralerBestandteil der Außenpolitik. Siehat aber in Zeiten von wirtschaftli-cher und auch kultureller Globali-sierung ganz andere Aufgaben, alsdies ursprünglich einmal gedachtwar. Sie ist mehr als nur der Weg-bereiter für die deutsche Wirt-schaft im Ausland.

»Die Begegnung der Kulturen ist die Chance des 21. Jahrhunderts«

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»Kultur ist Lebensmittelund kein Luxus«

In den aktuellen Diskussionenum das GATS-Abkommen derWTO und die EU-Dienstleistungs-richtlinie sind zentrale Bereicheder Kulturpolitik berührt. Es istklar, dass bei beiden Vereinbarun-gen die wirtschaftliche Liberalisie-rung im Vordergrund steht. Des-halb kämpfen wir Kulturpolitikerfür die Bewahrung der kulturellenVielfalt, die durch die Einstufungvon kulturellen Dienstleistungenwie Rundfunk oder Bildung alsWirtschaftsgut schnell bedrohtsein kann. Kultur braucht einenmöglichst hohen Stellenwert imKanon der unterschiedlichen Poli-tikfelder, damit deren Belangeauch von den Wirtschafts- oder Finanzexperten wahrgenommenund respektiert werden. Kultur istLebensmittel und nicht vermeidba-rer Luxus.

Die Auswärtige Kulturpolitik er-möglicht die Lobbyarbeit für Kulturim Ausland und kann für eine star-ke Stellung in der Politik werben.Gleichzeitig befähigt dieses Enga-gement im Ausland Deutschlandzum Schmieden von gemeinsamenAllianzen, wie der momentan ein-gesetzten bilateralen deutsch-fran-zösischen Arbeitsgruppe zur kultu-rellen Vielfalt im Bundestag. Dabeiist die Erarbeitung der UNESCO-Konvention zum Schutz der kultu-rellen Vielfalt ein wichtiges Instru-ment. In den Verhandlungen müs-sen alle Partner darauf achten, dassdie Werkzeuge in der Konventionmit denen des GATS-Abkommensund der EU-Dienstleistungsrichtli-nie verschränkt werden. Erst sokönnen alle Ebenen dieselbe Spra-

che sprechen und vergleichbar han-deln.

Kulturelle Diversität in Europaund der Welt ist eine große Chan-ce. Eine gemeinsame europäischeKultur im Sinne einer Einheitskul-tur wird und soll es nicht geben.Wohl aber haben wir ein gemein-sames europäisches Erbe, das eszu pflegen gilt. Wir alle sind Ein-flüssen in einer globalisierten Weltunterworfen. Ich arbeite dafür,dass diese Einflüsse nicht zu einerHomogenisierung der europäi-schen Kulturen führen werden.

Die Globalisierung hält Chan-cen, aber auch einige Gefahren be-reit. Immer wieder sieht man, dassdie negativen wirtschaftlichen undpolitischen und auch kulturellenAuswirkungen die Menschen inihrem Lebensumfeld verunsichern,dass die Menschen ihre Wurzelnzu verlieren drohen. Ich bin über-zeugt, dass gerade Kultur in viel-fältiger Ausprägung bei diesemProblem eine besonders gute Hilfedarstellen kann. Individuelle wiegemeinschaftliche Identifikation –Theater, Literatur, Musik – bildendie Wurzeln. Es gilt, die kreativenMenschen, die dazu beitragen,dass es überhaupt noch Identifika-tionsmöglichkeiten gibt, mit allenKräften zu unterstützen.

Ministerin a.D. Monika Griefahn, MdB,ist Vorsitzende des Ausschusses für Kulturund Medien des Deutschen Bundestages.Sie ist Mitglied der Deutschen UNESCO-Kommission und des FachausschussesKultur.

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»Eine europäische Einheitskultur soll es nicht geben«

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Politik braucht Begriffe, die dieMenschen verstehen, die sie ak-zeptieren und die überzeugend diejeweiligen Gestaltungsabsichtentransportieren. Weil dies so ist,überlassen die Parteien die „Erfin-dung“ eingängiger Begriffe heuteimmer weniger dem Zufall, son-dern engagieren Agenturen, diedies für sie übernehmen. Der politi-sche Kampf wird so mitunter zu ei-nem Kampf zwischen Agenturenund ihren sprachlichen Neuschöp-

fungen. Inzwischen mehren sich al-lerdings die Beispiele, bei denen ei-ne solche Begriffspolitik nichtfunktioniert hat („Ich-AG“, „Hu-manvermögen“). So viel ist hierauszu lernen: Gute Begriffe tragen we-sentlich die Politik mit, weil sie dieMenschen überzeugen und die inden Begriffen erfassten Ziele legiti-mieren. Dies ist ihre erste systema-tische Funktion. Eine zweite Funk-tion solcher Begriffe besteht darin,dass sie sich sinnvoll auf eine Reali-

Max Fuchs

Kulturelle Vielfalt: zur Karriere einerkulturpolitischen LeitformelEin theoretischer Versuch zu einem praktischen Problem

Die Kunqu-Oper in China – „Meisterwerk des immateriellen Kulturerbes“Fo

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tät beziehen, die sich mit ihrer Hilfestrukturieren und verstehen lässt.So ähnlich meinte es Kant in sei-nem berühmten Diktum, dass Be-griffe ohne Anschauung leer, letzte-re aber ohne Begriffe blind seien.

Zu dieser Erkenntnisfunktiongehört auch, dass sie dies nicht al-leine und isoliert tun, sondern inVerbindung mit anderen Begriffen:in einer Theorie. Theorien sindNetzwerke von Begriffen, mit de-nen man „Welt“ einfangen will.Begriffe müssen daher zu den an-deren Begriffen der Theorie pas-sen. Dies ist eine dritte Dimension.Gerade in der Politik sind oft meh-rere Politikfelder mit demselben„Gegenstand“ befasst. Es ist daherwünschenswert, dass man Verbin-dungen zwischen den unterschied-lichen Politikfeldern und damitzwischen den jeweils tragendenBegrifflichkeiten herstellen kann:Begriffe und bereichsspezifischeTheorien sollten anschlussfähigsein. Dies ist eine vierte Dimensi-on, die zu erfüllen ist. Leisten Be-griffe alle vier Anforderungen inbesonders guter Weise, kann manvon „Leitformeln“ sprechen.

Was bedeutet diese kleine Theo-rie politischer Konzeptionen für dasKonzept der „kulturellen Vielfalt“?Offensichtlich leistet dieser Begriffdie erstgenannte Funktion, die Ak-zeptanz bei einer breiten Mehrheitder Menschen, in vorzüglicher Wei-se. Der Begriff ist sogar so eingän-gig, dass man sich fast gar nichtmehr daran erinnert, dass die Kul-turpolitik einmal ohne ihn auskom-men musste.

An dieser Stelle könnte ein Blickauf die Genese dieses Konzeptesnützlich sein. Allerdings führt dieUntersuchung der Genese eines ge-

genwärtig einflussreichen Konzep-tes leicht zu einer „teleologischen“Sichtweise, die die Vergangenheitals zielgerichteten Prozess hin zurGegenwart beschreibt. Bei „kultu-reller Vielfalt“ liegt eine solche Ge-fahr besonders nah. Dies liegt zumeinen daran, dass der Begriff denoben skizzierten vierdimensionalen

Tauglichkeitstest sehr gut besteht.Zum anderen macht die Hervorhe-bung der kulturellen Vielfalt etwasdeutlich, was von Anfang an fürden Kulturbegriff zentral war: Her-der als sein Begründer brauchte ihnzur Beschreibung seiner Erkennt-nis, dass der Mensch auf sehr vieleunterschiedliche Weisen sein Lebengestalten kann.

Wenn der Begriff der „Kultur“die Art und Weise des Menschseinsbeschreibt, dann ist dieser Begriffein Begriff des Unterscheidens, derDifferenz und damit der Vielfalt.Doch neigt man immer wieder da-zu, aus der eigenen Kultur etwasStatisches, Monolithisches und et-was besonders Gutes zu machen(„Leitkultur“), obwohl der Menschauf Vielfalt angelegt ist, obwohl eraufgrund seiner unglaublichenSelbstgestaltungsfähigkeit in derLage ist, fast überall auf spezifischeWeise „menschlich“ zu leben. Abervielleicht hat auch dies seine Grün-de: „Kultur ist nicht nur das, wovonwir leben“, so Terry Eagleton in sei-nem Essay „Was ist Kultur?“. „Inerheblichem Maße ist es auch das,

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»Wenn der Begriff der „Kultur“ die Art und Weise des Menschseins beschreibt, dann

ist dieser Begriff ein Begriff des Unterscheidens,der Differenz und damit der Vielfalt«

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wofür wir leben. Liebe, Beziehung,Erinnerung, Verwandtschaft, Hei-mat, Gemeinschaft, emotionale Er-füllung, geistiges Vermögen, dasGefühl einer letzten Sinnhaftigkeit– dies alles steht den meisten vonuns näher als die Charta der Men-schenrechte oder Handelsverträge“.

Die kulturtheoretische Diskus-sion hat dazu geführt, Abschiedvon allzu essentialistischen Vor-stellungen zu nehmen: „Kultur“wird heute als Prozess, als ständi-ger Mischvorgang unterschiedli-cher Strömungen verstanden. ImVorwort zum zweiten Weltkultur-bericht der UNESCO beschreibtLourdes Arizpe diese theoretischeWeiterentwicklung präzise undverwendet hierbei das Bild vonder Kultur als einem Fluss. Alldies entschuldigt vielleicht, dasseine Darstellung der Genese die-ses Begriffes aus der UNESCO-Zentrale von Katérina Stenou(UNESCO et la question de la di-versité culturelle) der oben ge-

nannten Gefahr nicht entgeht: dieGenese des Konzeptes als Er-folgsgeschichte zu beschreiben,die zwangsläufig in der heutigenSituation enden muss. Problema-tisch ist an der Darstellung, dasssie aufgrund ihrer UNESCO-im-manenten Sicht auf offizielle Do-kumente Kulturpolitikgeschichtegerade in der letzten Etappe so be-schreibt, als ob es keine äußerenEinflüsse gegeben hätte.

Menschenrecht

auf kulturellen

Selbstausdruck

Natürlich konnte sich der Dis-kurs über „kulturelle Vielfalt“ aufeine gut vorbereitete konzeptio-nelle Basis, auf konsensfähigeBeschlüsse, auf Ergebnisse derWeltkonferenz in Stockholm von1998, auf die Weltdekade fürkulturelle Entwicklung (1988-1997), auf die beiden Weltkultur-berichte der UNESCO und vor al-lem auf die „Universelle Erklä-rung zu kulturellen Vielfalt“ ausdem Jahre 2001 stützen. Die Kon-junktur des Pluralitätsthemaswurde zudem literarisch durchHuntingtons Bestseller über den„Kampf der Kulturen“, politischdurch den 11. September 2001unterstützt. All dies wäre durchdie „Universelle Erklärung“ vomNovember 2001 und durch dieEinführung eines Welttages derkulturellen Vielfalt (20. Mai) hin-reichend politisch gewürdigt.Dass kulturelle Vielfalt (wie bio-logische Vielfalt) auch noch durcheine „Konvention“ gewürdigtwerden soll, lässt sich UNESCO-immanent nicht mehr erklären.Ohne Berücksichtigung der öko-

Literatur

Lourdes Arizpe; Ann Belinda Preis: General Introducti-on. In: World culture report 2000: cultural diversity, conflictand pluralism. Paris: UNESCO Publishing, 2000. S. 14-19.

Terry Eagleton: Was ist Kultur? München: Beck, 2001.

Joost Smiers: Artistic Expression in a Corporate World: Do We Need Monopolistic Control? In: Culturelink (15),2004, S. 107-145.

Joost Smiers: Arts under Pressure: Promoting CulturalDiversity in the Age of Globalization. London: Zed Books,2003.

Katérina Stenou: L’UNESCO et la question de la diversitéculturelle: bilan et stratégies, 1946-2003. Paris: UNESCOPublishing, 2003.

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nomischen Globalisierung undinsbesondere der Ausdehnung derZuständigkeit der Welthandels-organisation (WTO) und ihremDienstleistungsabkommen GATSauch auf Bildung, Kultur, Sozia-les und Medien kann man denKarrierehöhepunkt dieses Kon-zeptes, nämlich Gegenstand einerKonvention zu werden, nicht ver-stehen (vgl. J. Smiers: Artistic Ex-pression in a Corporate World).

Gerade die letzte Etappe ist einegute Prüfmöglichkeit für unserKonzept und die oben vorgestell-ten vier Prüfdimensionen: „Viel-falt“ ist inzwischen in vielen Ge-sellschaften alltägliche Realität.Der kulturelle Selbstausdruck derunterschiedlichen gesellschaftli-chen Gruppen und Personen wirdals Menschenrecht akzeptiert undin einer Philosophie der Anerken-nung (u.a. Habermas, Taylor) un-terstützt. Verbreitet ist die Angstvor einer ökonomischen Globali-sierung mit ihrer vermuteten Aus-wirkung einer kulturellen Homo-genisierung. Erste Studien (J.Smiers: Arts under Pressure) zei-gen, dass diese Ängste nicht unbe-gründet sind.

Im Hinblick auf die Dimensio-nen „Realitätserfassung“ und „Ak-zeptanz/Legitimation“ ist der Be-griff also bestens eingeführt. Erwurde theoretisch insofern ge-adelt, als er in den letzten Jahrenzumindest gleichberechtigt nebendie gut eingeführten, bislang tra-genden Konzepte trat: Neben Frie-de und dem Bezug auf die anderenGrundkonzepte der Menschen-rechtserklärung sind es „kulturelleIdentität“, „Entwicklung“, „Völ-kerverständigung“ bzw. (kulturel-ler) Dialog und Toleranz.

Vier historische

Etappen und

Politik-Konzepte

Katérina Stenou un-terscheidet vier histo-rische Etappen, in de-nen jeweils bestimmtePolitik-Konzepte rele-vant wurden: die ersteEtappe mit der Bewäl-tigung der Spaltung inOst und West und demKalten Krieg (Erzie-hung als Schlüssel fürden Frieden); die zwei-te Etappe, in der ehe-malige Kolonien selb-ständig wurden (kultu-relle Identität); diedritte Phase als Suchenach eigenen Entwick-lungswegen (mensch-liche Entwicklung)und schließlich dievierte Phase, in der derDialog zwischen Kul-turen nicht bloß zwi-schen Staaten undVölkern, sondern auchinnerhalb derselbenGesellschaft notwen-dig wurde. Nicht zu-letzt war es der Bericht der Welt-kommission zu Kultur und Ent-wicklung „Our Creative Diversi-ty“, der dem Begriff der Vielfalteine gewisse Spitzenstellung ver-schafft hat. Nun stellt sich dieAufgabe, eine überzeugende ko-härente Begriffsstruktur zwischenden älteren Begriffen (Identität,Frieden etc.) und den Neuan-kömmlingen „Entwicklung“,„Nachhaltigkeit“ und „Vielfalt“herzustellen. Ein erster Schrittdürfte hierbei die systematische

Niagassola, Guinea: eine Musikerin mit dem heiligen Instrument „Sosso-Bala“

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Grundlegung im ersten Teil desKonventionsentwurfs sein.

Eine solche Theoriearbeit istnicht gering zu schätzen, auchwenn politisch andere Problemeim Vordergrund stehen. So fandspätestens bei der Stockholm-Kon-ferenz 1998 und der Weltdekade

für kulturelle Entwicklung eineAnnäherung zwischen Kultur undÖkonomie statt. „Ökonomie“ be-deutete in Stockholm noch diedurchaus humanitär zu verstehen-de Weltbank. Heute ist es dieWTO. Es geht nicht mehr um einehumanistische Menschenrechts-rhetorik, sondern um Märkte, umMacht und um viel Geld. Esscheint, dass die UNESCO sich indiesem harten Geschäft gewaltigerUmsatzzahlen noch unsicher fühlt.Die jetzt stattfindenden Verhand-lungen über die Konvention zeigendies sehr deutlich.

Die salomonische, allerdingsspätestens seit Marx bekannteWendung, kulturelle Waren undDienstleistungen hätten einenökonomischen und einen kulturel-len Doppelcharakter, ist das be-griffliche Bindeglied zwischenUNESCO und WTO. Leider gehtder „Doppelcharakter“ nicht so-fort in einem harmonischen Ne-beneinander auf. Die UNESCO istin diesen möglichen Konflikt mitder WTO deshalb hinein ge-rutscht, weil das Konzept der kul-turellen Vielfalt die hier vorge-stellte Prüfung so gut erfüllt.

Joost Smiers beschreibt, wieVertreter der kleinen und mittlerenKulturwirtschaften vor allem fran-kophoner Länder über Schutzmög-lichkeiten ihres Wirtschaftsfeldesnachdachten und eine UNESCO-Konvention zum Schutz kulturellerVielfalt als beste Waffe in dieserAuseinandersetzung betrachteten.Das diskreditiert die Konventionüberhaupt nicht, bringt sie aller-dings sofort als wirtschaftspoliti-sches Instrument in die Diskussi-on. In armen Ländern ist heute dieDiskussion über den Schutz derkulturellen Vielfalt die Fortfüh-rung der früheren Diskussion überkulturelle Identität. Speziell inDeutschland berührt diese Debattezudem entschieden den Diskursüber Kunst. Denn auch die alsSchutz gedachte Formel von demDoppelcharakter begreift Ergeb-nisse künstlerischen Ausdruckseben auch als ökonomische Güterund Dienstleistungen, was für vie-le Künstlerinnen und Künstlerschwer zu akzeptieren ist.

Die Debatte um die Konventionist – neben all ihrer praktischenRelevanz – insgesamt ein exzellen-tes Lehrstück in Sachen Theorieder Kulturpolitik. Es ist sehr wahr-scheinlich, dass für die UNESCOund ihr Selbstverständnis mit die-ser Konvention eine neue Etappebeginnt, so dass eine weiteremachtvolle Wirkung der Leitfor-mel „kulturelle Vielfalt“ die Verän-derung einer wichtigen Weltorga-nisation bedeutet. Die Macht vonBegriffen: Wer wollte sie bezwei-feln?

Prof. Dr. Max Fuchs ist Direktor derAkademie Remscheid und Vorsitzenderdes Deutschen Kulturrats.

»In armen Ländern ist heute die Diskussion überden Schutz der kulturellen Vielfalt die Fortführungder früheren Diskussion über kulturelle Identität«

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Insel Celebes, Indonesien: die Kultur der Torajas

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Kulturelle Vielfalt und univer-selle Werte – das Thema lag in die-sem Frühjahr auch den heftigenDebatten vor den Referenden zumeuropäischen Verfassungsvertragin Frankreich und den Niederlan-den zu Grunde. Das „Nee“ der Nie-derländer drei Tage nach dem„Non“ der Franzosen nahm jederArgumentation einer womöglichetatistischen Sonderrolle Frank-reichs den Wind aus den Segeln

und zeigte keine geringere Kluftzwischen der politischen Klasse inden Niederlanden und seinen ganzanders als in Frankreich von derTradition des Freihandels gepräg-ten Bürgern. Europa hat keine Ideevon sich selbst, so die FAZ bitter.Europa steht fassungslos vor demeingetretenen Abstand zwischenseinen Eliten und seinen Bürgern.

Ganz allgemein und auf kurzeSicht wird dieser bittere und maso-

Verena Metze-Mangold

Die Rolle der Deutschen UNESCO-Kommission im Spannungsfeldzwischenstaatlicher Verhandlungen und zivilgesellschaftlicher Interessen

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chistische Sieg der Neinsager nurdem von Globalisierungsgegnernso genannten Großkapital nützen,wie der politische Philosoph Ber-nard-Henri Lévy am Tag nach demfranzösischen Nein zum europäi-schen Verfassungsvertrag meinte.Doch mehr als diese Paradoxie il-lustriert die Debatte, wie fremdbe-stimmt unser Handeln längst istund wie verspätet wir das offenbarzur Kenntnis nehmen. Kultur undMedien sehen sich seit den neunzi-ger Jahren von einer Liberalisie-rungsdebatte überzogen, die ausdem „Allgemeinen Übereinkom-men über den Handel mit Dienst-leistungen“ (GATS) ebenso her-rührt wie aus dem Nachhinken derKultur im erweiterten europäischenBinnenmarkt und ihrer Rolle in dereuropäischen Verfassung.

Kultur unterliegt unterschiedli-chen gesellschaftlichen Konzep-ten, die ihrerseits kulturhistorischbedingt sind. Die Globalisierungvon Kultur aber annulliert ihrennationalen Rahmen. Im Völker-recht erleben wir verschiedeneStrategien des sich Aussetzensoder Abgrenzens im Umgang mitdiesem neuen Phänomen. ZuGrunde liegen diesen StrategienKonzeptionen, nach denen Mi-schung immer Anreicherung vonKultur impliziert, wie es die ro-mantische Weltsicht nahe legt,oder auch jene des kulturellen Kid-nappings, nach der alle KulturenImmunsysteme sind und die Be-gegnung mit Fremdem eine Verlet-

zungserfahrung bedeutet, eine mi-metische Infektion.

Im Ergebnis ist derzeit keinThema strittiger als die Frage, obder bereits eingeleitete weltweiteProzess der Öffnung von Märktenfür ausländische Güter und Dienst-leistungen kulturverträglich ge-staltet werden kann. Auch wenndie Frage nicht neu ist: Schon inseinen „Betrachtungen eines Un-politischen“ fauchte ein gereizterThomas Mann, der „römischeWesten“ – Amerika – sei schonfast überall: „Der Imperialismusder Zivilisation ist die letzte Formrömischer Vereinigungsgedan-ken“. Peter Sloterdijk erinnert dieausgelöste Vielfaltsdebatte in Re-aktion auf die Globalisierungser-fahrung an die „postbabylonischeZerstreuung als Reaktion auf einenbösartigen Vereinigungsprozess“.Und Arno Borst plädiert dafür,dass wir uns endlich über den „ba-bylonischen Mythos“ erheben.

Aber wie können wir das, wenndoch die Antworten auf die Frage,was des Staates, was des Marktessei, allein schon in unseren westli-chen Gesellschaften massiv diver-gieren und diese Divergenz wie-derum kulturellen Ursprungs ist,wie schon Karl Marx es in seinemEssay „Über die Juden“ in seinerUnterscheidung von Citoyen undBourgeois eindrucksvoll be-schrieb? Für die Verfechter desFreihandels bleibt die Ökonomieder Modus für die Organisationmenschlicher Bedürfnisse und dieBeschreibung menschlicher Ver-haltensweisen. Die Kultur ist hiernur ein Anwendungsfall unter an-deren. Im Gegenzug vertreten dieBefürworter einer politisch be-stimmten Demokratie – derzeit of-

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»Die Globalisierung von Kultur annulliert ihren nationalen Rahmen«

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fenbar die Mehrheit der UNESCO-Mitgliedstaaten – die Vorstellungvon Kultur als Inbegriff menschli-cher Verhaltensweisen, die damitauch den Kapitalismus und seineGebräuche einschließt – ohne die-sem freilich eine führende, allesregulierende Rolle einzuräumen(vgl. Mark Siemons: Vom Geist derKulturen). „Nähme er eine solcheein, würde sich nicht die Selbstbe-stimmung durchsetzen, sondern le-diglich dasjenige, was die wenigs-ten Voraussetzungen einfordertund so mit der größten Konsumen-tenzahl kompatibel ist“, so Sie-mons.

Parallel erfuhr Kultur in denletzten Jahren einen dramatischenBedeutungszuwachs. Die damiteinher gehenden ökonomischenInteressen tun das ihre, den Geistder Kulturen zuzuspitzen. Der in-ternationale Handel mit kulturel-len und audiovisuellen Produktio-nen ist ein Wirtschaftsfaktor erstenRanges, es geht um Hunderte vonMilliarden Euro bzw. Dollar jähr-lich, und zwar derzeit vor allemnoch im Westen. In den USA istdie Kulturindustrie nach der Luft-fahrtindustrie größte Exporteurindes Landes, in Europa ist sie derbeschäftigungs- und wachstumsin-tensivste Sektor. Dienstleistungentragen mit rund zwei Dritteln zumBruttoinlandsprodukt der Europäi-schen Union bei. 780 000 Kultur-berufler stehen 680 000 Beschäf-tigten der Automobilindustrie inDeutschland gegenüber, wobei derZuwachs nicht im öffentlichenSektor entstanden ist; (vgl.: Wil-helm Neufeldt; vgl. Schlussberichtder Enquete-Kommission desDeutschen Bundestages „Globali-sierung der Weltwirtschaft“; vgl.

auch Kulturfinanzbericht 2003).Europa deckt heute mehr als einViertel des gesamten Welthandelsmit Dienstleistungen ab, des einzi-gen wachsenden Sektors des Welt-handels überhaupt. Und gar nichtzu übersehen ist, dass diese Positi-on der Stärke längst durch Indien,China und Brasilien herausgefor-dert wurde.

Der Spannungsbogen besteht al-so nicht nur im Widerspruch derInteressen von Ökonomie und Kul-tur, sondern auch zwischen demGeist jener Kulturen, die in denmultilateralen Verhandlungsrun-den der Vereinten Nationen wieauch jenen der Welthandelsorgani-sation bis in die Semantik derKlassifizierungen hinein aufeinan-der stoßen. Letztere gehört be-kanntlich nicht den Vereinten Na-tionen an und ist somit ausschließ-lich ihrer eigenen Rechtspraxisverpflichtet. Christina Weiss hatvon den Parallelwelten gespro-chen, in denen wir uns längst be-wegen. Das trifft allein schonsprachlich zu, wenn kulturpoliti-sche Regelungen plötzlich zu„Subventionen“ werden, zu „han-delspolitischen Barrieren“, dienach Maßgabe internationaler Ver-träge mit Strafzöllen belegt werdenkönnen, und die aus Sicht nationa-ler Kulturpolitiker doch nichts an-deres als die Entsprechung der Re-gelungen unseres Grundgesetzessind, dass Zugänge zur Informati-

»Der internationale Handel mit kulturellen und audiovisuellen Produktionen ist ein

Wirtschaftsfaktor ersten Ranges, es geht umHunderte von Milliarden Euro jährlich«

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on, zum Wissen, zur Bildung, zurKultur offen und bezahlbar bleibenmüssen.

Parallelwelten existieren auchpolitisch munter nebeneinander her.Etwa im Lissabon-Prozess, mitdem Europa bis 2010 zur „schlag-kräftigsten Wettbewerbsregion derWelt“ werden will. Diesem Ziel istder Entwurf der EU-Dienstleis-tungsrichtlinie verpflichtet als Ent-sprechung zum internationalenGATS-Vertrag. Die EuropäischeKommission positioniert sich iminternationalen Abstimmungspro-zess zum Entwurf eines UNESCO-Übereinkommens zur kulturellenVielfalt hingegen ganz anders. Hiersieht man, dass der Grundsatz fort-gesetzter Liberalisierung unserer

internationalen Handelsverträgegeeignet ist, in vergleichsweise kur-zer Zeit ein Gesellschaftsmodell zuunterlaufen, das seit 200 Jahren,seit Beginn der Aufklärung und ih-rer Idee des „contrat social“, als Er-folgsmodell der Geschichte gilt inseiner immer wieder gefundenenBalance zwischen dem „Öffentli-chen“ und dem „Privaten“. Zivilisa-tionen zerfallen, so Hegel in seiner„Philosophie der Geschichte“,wenn sie einige Prinzipien morbideübersteigern. Und dazu sagen dieBürger nein.

Das traditionelle Verständnisdes Multilateralismus ist an seineGrenzen gestoßen. Dass Regierun-gen sich auf eine Politik einigenund diese dann umsetzen, ist of-

fenbar selbst bei regionalen Ge-meinsamkeiten unter dem gewach-senen globalen Druck in keinerHinsicht mehr Erfolg verspre-chend – mindestens dann nicht,wenn ein entscheidender Faktorpolitischer Wirksamkeit fehlt: derResonanzboden der öffentlichenMeinung.

Wer aber stellt es her, jenes „ho-he Gut“, das schlechthin konstitu-ierend für unsere Demokratie ist?Ein Blick auf die französische Ab-rechnung mit ihren ebenfalls vonden Eliten besetzten Medien er-nüchtert da ebenso wie die Karrie-re der Schmidt-Ikone vom deut-schen „Unterschichtenfernsehen“.Die Hoffnungen auf ein anbre-chendes Zeitalter der globalen Me-diendemokratie verpufften ange-sichts der auf vier globale Konglo-merate – Disney, Murdoch, TimeWarner und Viacom – zusammen-geschnurrten Branche. Und derBlick in die Regionen der so ge-nannten Dritten Welt erheitert dengetrübten Blick diesbezüglichauch nicht: Der Weltmarkt ist da,aber frei von staatlichem Einflusswurde die öffentliche Meinungdeshalb nicht. Es treiben vielmehrHybriden aus in Form zensurberei-ter globaler „Media Mergers“ inliebenswürdiger staatlicher Dul-dung.

Die Frage ist, wie wir uns mitdem, was der Fall ist, wie NiklasLuhmann gesagt hätte, auseinan-dersetzen. Unsere Aufgabe be-steht darin, aus den mehrschichti-gen Vorgängen „die politische undfachliche Essenz herauszuschälenund ihre Relevanz für die deut-sche VN-Politik zu erschließenund zur Geltung zu bringen“ (Ro-land Bernecker, Einleitung, Jah-

»Der Weltmarkt ist da, aber frei von staatlichemEinfluss wurde die öffentliche Meinung deshalbnicht«

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Literatur

Roland Bernecker: Einleitung. In: Deutsche UNESCO-Kommission (Hg.), Jahresbericht 2004. Kulturelle Vielfalt– universelle Werte. Bonn 2005, S. 6–7.

Deutscher Bundestag (Hg.): Schlussbericht der Enquete-Kommission: Globalisierung der Weltwirtschaft –Herausforderung und Antworten. Opladen, 2002.

Christine M. Merkel: UNESCO-Übereinkommen zumSchutz kultureller Vielfalt. Beratungen in Berlin, Brüsselund Madrid. In: unesco heute online, 5/2005.

Verena Metze-Mangold: Zur Begleitung der Entstehungeiner UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt.Arbeitspapiere des Instituts für Rundfunkökonomie an derUniversität zu Köln. Heft 192, 2004. (http://www.uni-koeln.de/wiso-fak/rundfunk/pdfs/19204)

Wilhelm Neufeldt: Konvention zum Schutz der kulturel-len Vielfalt. Bewertung des UNESCO-Abkommens ausSicht der Kultusministerkonferenz. In: Politik und Kultur,März – April 2005, S. 18.

Mark Siemons: Vom Geist der Kulturen. Der Kampf derUNESCO um globale Gewaltenteilung. In: FrankfurterAllgemeine Zeitung, 1. Februar 2005.

Statistische Ämter des Bundes und der Länder (Hg.):Kulturfinanzbericht 2003.

resbericht der DUK 2004, S. 6).Es ist die knappste Formel, aufdie die Arbeit der DeutschenUNESCO-Kommission je ge-bracht wurde. Sie beschreibt zu-gleich präzise die Übertragungdes im Juni 2004 von UNO-Gene-ralsekretär Kofi Annan vorgeleg-ten Berichts „We the Peoples: Ci-vil Society, the United Nationsand Global Governance“ in diepolitische Praxis in Deutschland.Für die von den Vereinten Natio-nen als notwendig angesehenestrategische Kooperation des zwi-schenstaatlichen Systems mit Ent-scheidungsträgern aus Wissen-schaft, Parlament und Parteien,Wirtschaft und Medien sind dieNationalkommissionen derUNESCO allein schon in ihrerZusammensetzung ein Modell.

Die Deutsche UNESCO-Kom-mission, als eine der ersten welt-weit, nutzte diese zentrale Funkti-on als intellektuelles Forum, um ander Nahtstelle von Ökonomie undKultur politische Normen undLeitlinien für die Zukunft unsererGesellschaft zu entwickeln. Diebundesweite Koalition für kultu-relle Vielfalt etablierte sich am 14.Juni 2004 als Plattform wechsel-seitiger Lernprozesse im nationa-len wie internationalen Austauschund hat sich selbstbestimmt dreiZielen verschrieben: der Beglei-tung der Ausarbeitung des interna-tionalen Übereinkommens zumSchutz und zur Förderung kultu-reller Vielfalt, der Erarbeitung vonVorschlägen zur konkreten Gestal-tung der dazu erforderlichen Rah-menbedingungen sowie der Bera-tung und Evaluation bei staatli-chen Maßnahmen und Marktrege-lungen.

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Die Orte des Geschehens sinddabei nicht nur Orte der Erinne-rung, sie bezeichnen auch denGang des Diskurses und seinewachsende Bedeutung, auch undgerade in der Ausstrahlung auf an-dere gesellschaftliche Gruppen,die teilnahmen. Sie nahmen dasThema ihrerseits auf, trieben esweiter und verbanden es sowohlmit den Ergebnissen der Plattformder bundesweiten Koalition alsauch mit jenen der internationalenKoalitionen dieses an Dynamikständig zunehmenden Prozesses.Das Museum für Kommunikationwar der Ausgangspunkt, der Gre-miensaal des WDR in Köln folgte,

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von dort ging es zum internationa-len Konferenzsaal im Bun-deskanzleramt und schließlich inden Großen Anhörungssaal des

Deutschen Bundestages (vgl.Christine M. Merkel: UNESCO-Übereinkommen zum Schutz kultu-reller Vielfalt; Verena Metze-Man-gold: Zur Begleitung der Entste-hung einer UNESCO-Konventionzur kulturellen Vielfalt).

Die Ergebnisse dieser Beratun-gen fanden Eingang in dieStellungnahmen des AuswärtigenAmtes und der Europäischen Kom-mission. Die wichtigsten Forderun-

gen der bundesweiten Koalition fürkulturelle Vielfalt sind in den Ent-wurf des UNESCO-Übereinkom-mens aufgenommen worden undwerden mit der „Draft Convention“der 33. Generalkonferenz derUNESCO im Herbst 2005 zur Be-ratung und Abstimmung vorliegen.

Luhmann hatte recht: Kommu-nikation findet statt. Ob daraus einKraftfeld der Verständigung wird,das geeignet ist, Spielregeln fürdas 21. Jahrhundert im Wege derkommunizierenden Röhren zu ge-nerieren, hängt von dem „wie“ ab.Trotz der Einschränkung, dass dieMedien sich nur zögerlich auf denDiskurs einließen: Spätestens seitletztem Jahr gibt es hierfür ein Er-folgsmodell.

Dr. Verena Metze-Mangold ist Vize-präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission und Leiterin der Abteilung„Koordination Öffentliche Veranstaltungen“beim Hessischen Rundfunk.

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»Die wichtigsten Forderungen der bundesweiten Koalition für kulturelle Vielfalt sind in den Entwurf des UNESCO-Übereinkommens aufgenommen worden«

Das Nô Theater in Japan. „Nô“ bedeutet Können und Begabung, ein Nô-Schauspieler muss ein jahrelangesTraining auf sich nehmen.

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Im Zusammenhang mit der Glo-balisierung lassen sich heute zweigegenläufige Entwicklungen unter-scheiden. Die eine zielt auf die Ver-einheitlichung, die andere betontdie Vielfalt biologischer und kultu-reller Entwicklungen sowie die Not-wendigkeit und Unvermeidbarkeitvon Differenz und Alterität.

So vollziehen sich einerseits Pro-zesse, die die Weltgesellschaft, dieverschiedenen Regionen der Welt,die Nationen und die örtlichen Kul-turen einander angleichen; unter de-nen sind die folgenden Globalisie-rungsprozesse besonders wichtig:

� Die Globalisierung internatio-naler Finanz- und Kapitalmärk-te, die von Kräften und Bewe-gungen bestimmt werden, dievon den realen Wirtschaftspro-zessen weitgehend unabhängigsind. Damit gehen einher derAbbau von Handelsschranken,die Steigerung der Kapitalmobi-lität und der Einflussgewinn derneoliberalen Wirtschaftstheorie.

� Die Globalisierung der Unter-nehmensstrategien und Märktemit global ausgerichteten Stra-tegien der Produktion, Distribu-tion und Kostenminimierungdurch Verlagerung.

� Die Globalisierung von For-schung und Entwicklung undTechnologien mit der Entwick-lung globaler Netzwerke, neuerInformations- und Kommunika-tionstechnologien sowie dieAusweitung der Neuen Ökono-mie.

� Die Globalisierung transnatio-naler politischer Strukturen mitder Abnahme des Einflusses derNationen, der Entwicklung in-ternationaler Organisationenund Strukturen und dem Bedeu-tungszuwachs von Nichtregie-rungsorganisationen.

� Die Globalisierung von Kon-summustern, Lebensstilen undkulturellen Stilen mit der Ten-denz zu ihrer Vereinheitlichung.

Die Ausbreitung des Einflussesder neuen Medien und des Tourismus und die Globalisie-rung von Wahrnehmungsweisenund Bewusstseinsstrukturen.Die Modellierung von Indivi-dualität und Gemeinschaft durchdie Wirkungen der Globalisie-rung sowie die Entstehung einerEine-Welt-Mentalität.

Christoph Wulf

Kulturelle Vielfalt und Alterität

Moussem in Tan Tan, Marokko: Musik und Tanz nomadischer Berber

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Mit dieser Entwicklung gehendie Herauslösung des Ökonomi-schen aus dem Politischen, die Glo-balisierung vieler Lebensformenund die Bedeutungszunahme derBilder im Rahmen eines iconic turneinher (Wulf 2001, Wulf/Merkel2002).

Andererseits regt sich Wider-stand gegen diese Entwicklung. Sowird die Notwendigkeit hervorge-hoben, die Vielfalt der Arten, dieVielfalt der Kulturen, kulturelle Di-versität und Alterität zu schützen.Im Artensterben und im Aussterben

vieler Kulturen wird eine Gefähr-dung der Vielfalt des Lebens undder Kulturen gesehen. Der Schutzder Vielfalt des Lebens und derKulturen wird daher als Aufgabeder gesamten Menschheit angese-hen. Die Forderung nach Solidaritätmit den gefährdeten Arten und Kul-turen ist daraus eine Folge. Aller-dings bestehen zwischen den Be-fürwortern und Gegnern des Schut-

zes kultureller Vielfalt unauflösba-re Differenzen, die sich in den Re-gionen der Welt unterschiedlichmanifestieren.

Historisch gesehen haben dieeuropäischen Kulturen drei Strate-gien entwickelt, Alterität auf Be-kanntes und Vertrautes zu reduzie-ren.

Die eine besteht in der europäi-schen Rationalität, dem Logozen-trismus, der dazu geführt hat,fremde Kulturen und Menschendaran zu messen, in wie weit sieden Normen dieses Logozentris-mus gerecht werden. Wenn andereKulturen diese Normen nicht er-füllten, wurden sie abgewertet undnicht als gleichwertig akzeptiert.

Die zweite Strategie besteht inder europäischen Individualitätund dem damit verbundenen Ego-zentrismus, der zu einer hohenWertschätzung des Einzelnen undzur Steigerung seiner Durchset-zungsfähigkeit auf Kosten der Ge-meinschaft führte.

Die dritte Strategie der Redukti-on von Alterität auf europäischeNormen und Wahrnehmungskrite-rien besteht im Ethnozentrismus,der ebenfalls zu einer Überbewer-tung europäischer Kulturen aufKosten anderer, insbesondere ora-ler Kulturen führte. Noch immerwerden die Auswirkungen dieserStrategien in der Dynamik derGlobalisierungsprozesse sichtbarund erschweren den produktivenUmgang mit kultureller Vielfalt.

Die Menschen leben heute in derGleichzeitigkeit des Ungleichen. Inden Gesellschaften der nördlichenHalbkugel leben viele Menschenim Wohlstand, in den Regionen dersüdlichen Halbkugel in Armut undNot. Sie nehmen an globalen Pro-

Literatur

Wulf, Ch.: Anthropologie. Geschichte, Kultur, Philoso-phie. Reinbek: Rowohlt, 2004.

Wulf, Ch.: Einführung in die Anthropologie der Erzie-hung. Weinheim/Basel: Beltz, 2001.

Wulf, Ch. (Hg.): Vom Menschen. Handbuch HistorischeAnthropologie. Weinheim/Basel: Beltz, 1997.

Wulf, Ch./Merkel, Ch. (Hg.): Globalisierung als Heraus-forderung der Erziehung. Theorien, Grundlagen, Fallstudi-en. Münster u. a.: Waxmann, 2002.

»Wenn andere Kulturen die eigenen Normen nicht erfüllten, wurden sie abgewertet«

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zessen teil, in denen sich Anglei-chung und Differenzierung, Anpas-sung und Widerstand gleichzeitigvollziehen und in denen für diemeisten von ihnen die Annäherungder Lebensbedingungen unter Bei-behaltung der kulturellen Vielfaltdas Ziel ist. Globalisierung istdurch das Zusammenwirken multi-dimensionaler Elemente und diesich daraus ergebende Komplexitätder Lebensbedingungen bestimmt;sie ist ein schwieriger, prinzipiellzukunftsoffener Prozess, dessenGestaltung viele unterschiedlicheHandlungskompetenzen erfordert.

»Kulturen undMenschen bilden sicherst durch Tausch«

Für einen kompetenten Um-gang mit kultureller Mannigfaltig-keit, in deren Rahmen weder dieErhaltung noch die Veränderungkultureller Vielfalt prinzipiell aus-geschlossen werden, spielt derUmgang mit dem Anderen bzw.mit Alterität eine wichtige Rolle.Weder Kulturen noch einzelneMenschen können sich entfalten,wenn sie sich nicht in anderenspiegeln, sich nicht mit ihnen aus-einandersetzen und sich nicht vonihnen beeinflussen lassen. Kultu-ren und Menschen bilden sich erstdurch den Tausch bzw. den Aus-tausch mit Anderen. MarcelMauss sah im Tausch eine Grund-bedingung menschlichen Lebens,eine conditio humana (Wulf 2004,1997). Mit Hilfe reziprokerTauschprozesse entwickeln Men-schen Beziehungen zu anderenMenschen und deren Alterität und

erweitern dadurch ihren Lebens-und Erfahrungsraum. Tauschpro-zesse umfassen Geben, Nehmenund Wiedergeben von Gegenstän-den, Zuwendungen und symboli-schen Gütern.

In vielen Bereichen wird dieserProzess heute durch die Zirkulati-on von Kapital, Waren, Arbeits-kräften und symbolischen Güternbestimmt. Seine Dynamik führtzur Begegnung von Menschen undKulturen und bewirkt, dass mate-rielle und immaterielle Beziehun-gen zwischen ihnen entwickeltwerden. Diese Austauschprozessevollziehen sich im Rahmen globa-ler Machtstrukturen und sindungleich; sie werden von histo-risch entstandenen und verfestig-ten Machtverhältnissen bestimmt.Doch trotz ihrer Abhängigkeit vonden Gesetzen des kapitalistisch organisierten Marktes und ihrerdaraus resultierenden Unausgewo-genheit führen sie zu Begegnun-gen mit der Alterität anderer Kul-turen und Menschen.

Gesellschaften und Menschenkonstituieren sich also in der Aus-einandersetzung mit Alterität. Be-reits in den Bildungsprozessen vonKindern und Jugendlichen spieltdie Erfahrung anderer Menschenund Kulturen eine zentrale Rolle.Bildung in Europa ist heute zu ei-ner interkulturellen Aufgabe ge-worden, in deren Rahmen der Um-gang mit dem Fremden weiter anBedeutung gewinnt. Nur im Spie-gel und in den Reaktionen fremderMenschen und Kulturen könnenMenschen sich selbst begreifen.Dies impliziert jedoch auch, dassSelbsterkenntnis das Verstehen desNichtverstehens von Alterität er-fordert.

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Wie kann es gelingen, die Er-fahrungen der Alterität andererMenschen und Kulturen zuzulas-sen, ohne Mechanismen in Gangzu setzen, mit denen sie auf bereitsBekanntes und Vertrautes reduziertwerden? Auf diese Frage gibt es

nicht eine, sondern viele Antwor-ten. Je nach Kontext werden sieunterschiedlich ausfallen. EinWeg, die Alterität fremder Men-schen auszuhalten, besteht darin,Erfahrungen der Selbstfremdheitmit sich zu machen, also zu erle-ben, wie man selbst von Gefühlenund Handlungen überrascht wer-den kann. Solche Ereignisse kön-nen zur Steigerung der Flexibilitätund zur Neugier auf die Andersar-tigkeit anderer Menschen und Kul-turen beitragen.

In der Erfahrung der Selbst-fremdheit liegt eine wichtige Vo-raussetzung für die Auseinander-setzung mit Alterität. Sie bildet ei-ne Grundlage für die Entwicklungder Fähigkeit eines Empfindensund Denkens vom Anderen her, ei-nes heterologischen Denkens, indessen Rahmen der Umgang mitdem Nichtidentischen von zentra-ler Bedeutung ist. Von solchen Er-fahrungen ist eine Erhöhung derSensibilität und der Bereitschaft zuerwarten, sich Neuem und Unbe-kanntem auszusetzten. Eine all-mähliche Steigerung der Kompe-tenz, komplexe Situationen emo-tional und mental auszuhalten undin ihnen nicht stereotyp zu han-deln, ist die Folge.

In der Auseinandersetzung mitder Unverfügbarkeit der Alteritätanderer Menschen und Kulturenliegt für die emotionale, soziale undgeistige Entwicklung jedes Men-schen eine Chance. Schon Heideg-ger hat davor gewarnt, dass demMenschen kaum etwas Schlimme-res geschehen könne, als dass ersich in der Welt nur noch selbst be-gegne. Auch aus dieser Perspektivebieten Erfahrungen der Fremdheitund Alterität, der Hybridität undTranskulturalität Aussichten auf einreiches und erfülltes Leben.

Dass diese Möglichkeitenmenschlicher Bildung immer auchin ihr Gegenteil umschlagen kön-nen, ist offensichtlich. In diesemFall entstehen in der Begegnung mitkultureller Vielfalt Gewalthandlun-gen, mit denen versucht wird, An-dersartigkeit auf Gleichheit zu redu-zieren. Da in den meisten Fällendiese Versuche fehlschlagen, ent-steht ein circulus vitiosus von Ge-walthandlungen, die sich in mimeti-schen Prozessen, in Formen wech-selseitiger Nachahmung, verstärkenund aus denen es nur schwer einenAusweg gibt.

Um zu vermeiden, dass die Be-gegnung mit kultureller Vielfalt undAlterität zu Rivalität und Gewaltführt, bedarf es daher normativerRegelungen, wie sie durch die Men-schenrechte gegeben sind, die trotzihrer Entstehung in der europäi-schen Kultur heute eine weit übersie hinausreichende Geltung bean-spruchen.

Prof. Dr. Christoph Wulf, Professor fürPädagogische Anthropologie an der FreienUniversität Berlin, ist Vorsitzender desFachausschusses Bildung der DeutschenUNESCO-Kommission.

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»Bildung in Europa ist heute zu einer interkulturellen Aufgabe geworden«

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Hartwig Lüdtke

Kulturelle Vielfalt und globale Öffentlichkeit

Candi Dasa road in Bali, Indonesien

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Eine Ausstellung zeitgenössi-scher Kunst, eines weniger bekann-ten Bildhauers oder einer wenigerbekannten Malerin, hat es in derRegel nicht leicht, ein breites Pub-likum zu erreichen. Die Museenund Ausstellungshäuser, die mitdem Erwartungsdruck hoher Be-suchszahlen konfrontiert sind,müssen deshalb immer wiedersorgfältig abwägen, ob eher eingängiges, dem allgemeinen „Ge-schmack“ entgegenkommendesThema zur Präsentation gelangensoll, oder ob eben auch die biswei-len sperrigen und schwieriger zuverdauenden, noch ungewohntenaktuellen Positionen in einer Aus-

stellung aufzubereiten sind. Trotzdieser schwierigen Situation,kommt die Mehrzahl der Museenund Ausstellungshäuser ihrem Auf-trag, ein breites Spektrum derKunstpositionen zu zeigen undauch die noch ungewohnten, zeit-genössischen Positionen nicht aus-zusparen, engagiert nach.

Noch schwerer hat es bisweilendie zeitgenössische Musik aus demE-Bereich. Doch auch hier gilt,dass Veranstalter und Konzerthäu-ser immer wieder mit eigenen Pro-grammlinien und sogar Festivals,diese Facette zeitgenössischenKunstschaffens für die Öffentlich-keit aufbereiten und anbieten.

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Auch wenn nur ein relativ klei-ner Prozentsatz der Gesellschaftunmittelbar und aktiv an diesenKunstpräsentationen und Darbie-tungen teilnimmt, so wird doch andiesen beiden Beispielen deutlich,

dass die Vielfalt unseres kulturel-len Lebens um wichtige Facettenärmer wäre, wenn nur die Haupt-richtungen, wenn nur das Gängigeden Ton angäbe. Es versteht sich,dass unter ausschließlich ökono-mischer Betrachtungsweise einederartige Präsentations- und Ver-anstaltungspolitik von Museums-direktionen und Konzertintendan-zen nicht möglich wäre.

Das breit gefächerte Angebot imKultursektor ist eine wesentlicheSäule des Pluralismus. Hieraus ge-neriert sich eine permanente Wei-terentwicklung von Gedanken und

Konzepten. Aus diesen Wurzelnspeisen sich mögliche neue Ant-worten auf neue Herausforderun-gen. Die kreative Vielfalt ist nichtzuletzt ein Gradmesser für die Er-neuerungsfähigkeit eines Landesund seiner Gesellschaft.

Wir haben uns daran gewöhnt,die bestehende und über langeZeiträume gewachsene kulturelleVielfalt unserer Welt als eineSelbstverständlichkeit zu betrach-ten. Tatsächlich aber wird es großerAnstrengungen und klarer Konzep-te im globalen Kontext bedürfen,um diese Vielfalt von kulturellenAusdrucksformen auch in der Zu-kunft zu erhalten. Die Vielfalt vonSprachen, die Fülle musikalischerAusdrucksformen, die künstleri-schen Arbeiten, die Theater, dieMuseen und viele andere Kulturin-stitutionen sind nicht von allein aufdieser Welt. Letztlich wird jede Ge-sellschaft in einem Land zu bestim-men haben, wie viel ihr die kultu-relle Vielfalt wert ist. Aber sie wirdgleichzeitig auch Spielregeln benö-

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Insel Celebes, Indonesien: Die Kultur der Torajasreicht über vier Jahrtausende zurück.

»Das breit gefächerte Angebot im Kultursektor ist eine Säule des Pluralismus«

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tigen, die festlegen, dass einerseitsein Zugang zu kulturellen Aktivi-täten und Inhalten weltweit mög-lich ist, dass anderseits aber einesich ungehindert weiterentwickeln-de Liberalisierung und Konzentra-tion nicht zu einer Verdrängungeinzelner Facetten des kulturellenLebens führen.

»Kulturgüter sind Träger von Werten und Bedeutungen«

Es ist eine rhetorische Frage, wa-rum etwa in Deutschland die Spra-chen Friesisch und Sorbisch erhal-ten und gepflegt werden sollten. ImHinblick auf die Alltagskommuni-kation, die zur Befriedigung dermenschlichen Grundbedürfnissenötig ist, sind diese Sprachen in un-serem Lande nicht mehr zwingenderforderlich. Aber welch ein An-satzpunkt für eine historische Ver-gewisserung und für eine regionaleIdentitätsentwicklung steckt in die-sen beiden -alten Sprachen! Auchdie Theaterlandschaft in Deutsch-land ist durch eine im internationa-len Vergleich kaum bekannte Viel-falt gekennzeichnet, die in dieserFülle nur möglich ist, da die Gesell-schaft bereit ist, diese reiche Thea-terlandschaft in ihrer Grundstrukturauch finanziell zu erhalten.

Kulturarbeit und Kulturinstitu-tionen sind weltweit gesehen insehr unterschiedlichen Formenstrukturiert und organisiert. In vie-len Bereichen sind diese auch kom-merziell ausgesprochen erfolg-reich; dies gilt beispielsweise fürden großen Bereich der U-Musik.Es könnte also nahe liegen, die Pro-

duktionen der Kulturwirtschaft aus-schließlich als Handelsgut zu ver-stehen und ausschließlich auf diegesunden Mechanismen eines frei-en Marktes zu vertrauen. Es wäreaber im Zuge eines globalen Wett-bewerbes mit einer Konzentrationauf wenige Hauptlinien der Kultur-arbeit und – automatisch daran ge-koppelt – mit einer Verdrängungvon „Nebenfacetten“ zu rechnen.Vor diesem Hintergrund ist dasStichwort der „Doppelnatur“ vonKulturgütern so relevant. Kulturgü-ter können eben sehr wohl ein Han-delsgut darstellen, andererseits sindsie aber darüber hinausgehend auchTräger von Werten und Bedeutun-gen. Eben dies macht ein kulturel-les Gut zu einem öffentlichen Gut.Gerade dieser Aspekt wäre akut be-droht, wenn ein rein ökonomischerBlick auf die Kulturindustrie Gül-tigkeit erlangen sollte. Vor diesemHintergrund ist die Initiative derUNESCO zu verstehen, eine Kon-vention zur kulturellen Vielfalt zuerarbeiten und für die Ratifizierungdurch möglichst viele Staaten zuwerben.

In diese Überlegungen sind auchdie Medien und besonders die öf-fentlichen Rundfunkanstalten ein-zubeziehen, geht es doch darum, ei-ner sachfremden Ökonomisierungdes kulturellen Lebens vorzubeu-gen, wie es der Initiativkreis Öf-fentlicher Rundfunk Köln einmalformuliert hat. Es geht dabei um dieSchaffung einer informativen Öf-

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»Es geht darum, einer sachfremdenÖkonomisierung des kulturellen Lebens

vorzubeugen«

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fentlichkeit und um die Sicherungeiner inhaltlichen Vielfalt, also umdie Förderung eines Medienplura-lismus, welcher in mehrfacher Hin-sicht Grundelement einer demokra-tisch verfassten Gesellschaft ist.

Wesentlich ist in diesem Zusam-menhang auch, die entsprechendenÜberlegungen technikneutral an-zustellen, so dass auch die Einbe-ziehung etwa des Internets undweiterer moderner Medien gewähr-leistet ist. Eine derartige, auf Plura-lismus zielende Kultur- und Me-dienpolitik setzt das Vorhandenseinvon öffentlichen Rundfunkanstal-ten überall dort voraus, wo andern-falls unter rein ökonomischen As-pekten die Berücksichtigung diver-ser kultureller Bereiche nicht mehrgewährleistet wäre. In Deutschlandist deshalb das funktionierendeduale System öffentlicher und pri-vater Rundfunkanstalten entwickeltworden. Es muss möglich sein, dieKultur aller Länder dieser Welt ken-nen zu lernen, die eigene Kulturdem gegenüber zu stellen und ausdiesem Dialog heraus neue Fragenund neue Ansätze für eine Weiter-entwicklung zu gewinnen.

Somit verbindet sich mit demAnliegen der kulturellen Vielfaltauch das Anliegen eines globalenZugangs zu Informationen und derGewährleistung einer globalen Öf-fentlichkeit! In diesen Zusammen-hang gehört auch der internationalzu beobachtende Trend des Aufkau-fens umfangreicher Bildrechte undderen Zusammenführung in kom-

merziell ausgerichtete Sammlun-gen. Wie wird im Falle einer weit-gehenden Monopolisierung einesTages mit der öffentlichen Bereit-stellung dieser Datenbanken ver-fahren? Bleibt der Zugang zu Teilendes kulturellen (Bild-) Gedächtnis-ses ökonomisch für alle erreichbar?

Die Reihe von Beispielen ließesich leicht fortführen. Schützens-wert und förderungswürdig ist imKontext von kultureller Vielfaltvieles. Dies kann nicht und sollteauch nicht in Form eines Katalogesbeschrieben oder gar kanonisiertwerden. Zu gewährleisten ist aberdie Option, dass jedes Land dieFreiheit behält, eine eigene Kultur-politik zu betreiben. Dies ist nichtnur unmittelbar in einer Politik ge-genüber Theatern, Museen und an-deren Kulturinstitutionen relevant,sondern in starkem Maße auch ineinem Bereich der „indirektenMaßnahmen“, die sich auf dasSteuerrecht, das Stiftungsrecht, dasUrheberrecht und weitere rahmen-bestimmende Aspekte dieser Artbeziehen.

In Fragen rund um die Entwick-lung und die weitere Zukunft derkulturellen Vielfalt kommt den Mu-seen in allen Ländern dieser Welteine besondere Bedeutung zu. Die-se auf Sammlungen hin angelegtenInstitutionen dokumentieren als einkollektives Gedächtnis die dingli-chen Hinterlassenschaften unter-schiedlichster kultureller Aktivitä-ten. Anhand der Museumssamm-lungen ist nicht nur die in einemheutigen Zeitschnitt gleichzeitigvorhandene kulturelle Vielfalt zuerkennen, sondern die Museen öff-nen zu dieser Thematik eine neueund weitere Dimension. Sie ermög-lichen auch den Blick in andere, zu-

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»Was schützenswert ist, kann nicht in einem Katalog kanonisiert werden«

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rückliegende Zeiten und damit auchdie Betrachtung von Entwicklun-gen kultureller Differenzierungen,von gegenseitigen Beeinflussungenund in manchen Fällen auch vongegenseitiger Verdrängung. Für dieMuseen gilt es, der Öffentlichkeitein breites Spektrum an möglichenkulturellen Aktivitäten anzubieten,um überhaupt darüber zu informie-ren, welche Vielfalt vorhanden istund welche Vielfalt grundsätzlichverloren gehen könnte.

Mit dem Slogan „Man vermisstnicht, was man nicht kennt“ lässtsich ein wichtiger Aspekt zur De-batte der kulturellen Vielfalt be-schreiben. Es ist die Aufgabe vonhistorisch orientierten Kulturinsti-tutionen, über die vorhandene Viel-falt zu informieren und diesesWissen der globalen Öffentlichkeitanzubieten. Es könnte bei denVerantwortlichen für diese Kultur-institutionen hin und wieder derEindruck entstehen, sie seien vonder aktuellen Debatte um die Zu-kunft der kulturellen Vielfalt kaumbetroffen. Tatsächlich aber ist dieseDebatte für viele weitere Entwick-lungen von nicht zu unterschätzen-der Relevanz. Insbesondere imKontext aktueller Sparzwänge deröffentlichen Haushalte (nicht nur inDeutschland) besteht die akute Ge-fahr einer nicht reflektierten, wohlaber de facto erfolgenden Ein-schränkung der Vielfalt. Hier gilt esdie Forderung zu untermauern undzu begründen, dass auf jeder natio-nalen Ebene nicht ein Abbau, son-dern eine Ausweitung der Unter-stützung von Kulturinstitutionen er-forderlich ist; verstehen wir diesdoch als eine hervorragende Inves-tition in eine Zukunft mit möglichstvielen Optionen!

Am Schluss seien zwei Aspekteaus der Debatte unterstrichen: Ers-tens ist stets deutlich zu machen,dass der Erhalt und die Förderungvon kultureller Vielfalt nicht nur dieVielfalt verschiedener Kulturen,Länder und Staaten nebeneinander

meint, sondern in gleicher Weiseauch die Vielfalt innerhalb einerGesellschaft und innerhalb einesStaates. Zweitens gilt, dass das An-liegen einer Förderung kulturellerVielfalt zu keiner Zeit als abge-schlossen betrachtet werden kann,sondern dass es sich hierbei letzt-lich um einen infiniten Prozesshandelt, an dem weiter zu denkenund weiter zu arbeiten Herausforde-rung einer jeden neuen Generationsein wird.

Dr. Hartwig Lüdtke, Kurator der Museumsstiftung Post und Tele-kommunikation, ist Vorsitzender desFachausschusses Kultur der DeutschenUNESCO-Kommission.

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»Die Unterstützung von Kulturinstitutionen ist eine hervorragende Investition in

eine Zukunft mit möglichst vielen Optionen«

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Am 17. Oktober 2003 erteilte die32. Generalkonferenz den Auftragan die UNESCO, eine Konventionzum Schutz und zur Förderung kul-tureller Vielfalt auszuarbeiten. Zieldes Übereinkommens ist die Erhal-tung kultureller Vielfalt unter denRahmenbedingungen von Globali-sierung und Liberalisierung imKontext des Allgemeinen Abkom-mens zum Handel mit Dienstleis-tungen (GATS). Spätestens seit1998 beschäftigten sich Kulturpoli-

tiker, Regierungen und die Zivilge-sellschaft gleichermaßen mit denveränderten Marktregeln und derEntwicklung der Kulturindustrien.Kulturelle Vielfalt bedeutet Reich-tum und ist eine Quelle sozialer undökonomischer Dynamik – so derG8-Gipfel im Juli 2000. Fragen derkulturellen Vielfalt im Kontext vonGlobalisierung und die wiederauf-lebende Debatte um kulturelleRechte bleiben auch bei einer er-folgreichen Verabschiedung des

Christine M. Merkel

Bundesweite Koalition Kulturelle VielfaltEine Zwischenbilanz 2003–2005

Der Karneval von Barranquilla aus Kolumbien gehört zum „immateriellen Kulturerbe der Menschheit“.Fo

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Internetplattform Kulturelle VielfaltDie Ergebnisse der vier Beratungsrunden der BundesweitenKoalition Kulturelle Vielfalt sind auf der Website der Deut-schen UNESCO-Kommission ausführlich dokumentiert: www.unesco.de/c_arbeitsgebiete/kulturelle_vielfalt.htm

Mitglieder der Enquête-Kommis-sion Kultur in Deutschland, (Par-tei-) Stiftungen, Kulturwirtschaft,Forschung und Publizistik, derstaatliche Bereich (Bund, Länderund die jeweiligen Zusammen-schlüsse) wie auch der nichtstaatli-che öffentliche Bereich (Kommu-nen und ihre Zusammenschlüsse),öffentlich-rechtliche Körperschaf-ten und Organisationen.

Zentrale Aufgabe der Bundes-weiten Koalition in der Phase derErarbeitung des UNESCO-Überein-kommens bis zu seiner Verabschie-dung (voraussichtlich im Oktober2005) ist die Schaffung öffentlicherResonanz für das kulturpolitischeAnliegen, die Regierungen zu einerRichtlinienkompetenz zu Erhalt undFörderung kultureller Vielfalt zu be-wegen.

An den bislang vier Konsultati-onsrunden der Koalition für Kultu-relle Vielfalt haben sich insgesamt150 Multiplikatoren beteiligt. DieDUK hat als Berater an den zwi-schenstaatlichen Verhandlungenmitgewirkt und den zivilgesell-schaftlichen Beratungsprozess be-gleitet. Als positiver Binneneffektder intensiven Beratungsrunden derBundesweiten Koalition war einehohe politische Geschlossenheitzwischen Bund und Ländern in ent-scheidenden Fragen des UNESCO-Übereinkommens zu verzeichnen.

UNESCO-Übereinkommens großeThemen für die kommenden Jahre.

Ein kulturpolitisches

Netzwerk

Mit dem Beschluss derUNESCO-Generalkonferenz, indem kurzen Zeitraum von nur zweiJahren ein internationales Überein-kommen zur kulturellen Vielfaltauszuarbeiten, war klar, dass auch inDeutschland ein Angebot zur Infor-mation, Orientierung und kritischenBeratung nötig war. Im Januar 2004hat der Fachausschuss Kultur derDeutschen UNESCO-Kommission(DUK) deshalb die BundesweiteKoalition Kulturelle Vielfalt initi-iert. Die zivilgesellschaftlichen Or-ganisationen und Kulturverbändesollten sich selbst eine Meinungüber die veränderten internationalenRahmenbedingungen von Kultur-politik bilden können.

Die Bundesweite Koalition be-gleitet in Deutschland die Arbeitan der UNESCO-Konvention. Siewählte einen umfassenden Ansatz,der kritische Diskussionen zwi-schen einzelnen Interessengruppenzuließ. Mehrheitlich wurde für einoffenes Forum optiert, das konzep-tionell und organisatorisch von derDUK moderiert wird.

Die Koalition arbeitet als plura-listische Arbeitsplattform undNetzwerk von Experten aus allenBereichen der Kultur. Darin vertre-ten sind: Künstler und ihre Verbän-de, Kulturproduzenten, Kulturver-bände und Einrichtungen des 3.Sektors, Kulturmittler (im Inlandund Mittler der Auswärtigen Kul-turpolitik), Kulturpolitiker, Mit-glieder des Deutschen Bundesta-ges und des Europaparlaments,

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Wesentliche Ergebnisse für dieVerhandlungen der Regierungsex-perten waren der Vorschlag einesMoratoriums (keine Angebote undForderungen zu kulturellen Dienst-leistungen im Rahmen der Doha-Runde der WTO), das Element dertechnologischen Neutralität derÜbermittlung kultureller Inhalte,der Akzent auf Schutz und Förde-rung kultureller Vielfalt sowie diewesentliche Bedeutung der öffent-lich geförderten Kultureinrichtun-gen, einschließlich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, für die Ziel-setzung des Übereinkommens.

Meilensteine der Arbeit

Die DUK hat eine Synthese derArgumente zum Arbeitsprozess andem UNESCO-Übereinkommenzum Schutz kultureller Vielfalt ineinem Argumentationsleitfaden zu-sammengestellt. Der Leitfaden ba-siert auf den Beiträgen von Exper-ten aus den Bereichen Musik, Lite-ratur, Theater, bildende Kunst, Mu-seen, Bibliotheken, Hochschulen,Film, Rundfunk, internationale undinterkulturelle Kulturarbeit, Völ-ker- und Medienrecht, Architektur.Er berücksichtigt auch die erstenReaktionen kulturpolitisch Verant-wortlicher aus Sicht der Kommu-nen, der Länder und des Bundes.

Als deutsche Expertin wurdeProf. Dr. Dr. Sabine von Schorle-mer, Lehrstuhl für Völkerrecht,Recht der Europäischen Union undInternationale Beziehungen an derTU Dresden und Mitglied derDUK, vom UNESCO-Generaldi-rektor in das Expertenkomitee zurAusarbeitung des Konventionsent-wurfs berufen. Sie informierte beider Konsultationsrunde der Bun-

desweiten Koalition im Oktober2004 in Köln über den Stand derArbeiten zum UNESCO-Überein-kommen nach der ersten Verhand-lungsrunde der Regierungsexper-ten. In ihrem Vortrag beleuchtetesie mögliche Konfliktfelder mit derWelthandelsorganisation (WTO).

Zur Frage der möglichen Auswir-kungen der GATS-Verträge auf dieInstrumente der Kulturpolitik undKulturförderung in Deutschland hatdie DUK ein Rechtsgutachten inAuftrag gegeben. Es wurde im Feb-ruar 2005 erstellt von Prof. Dr. Mar-kus Krajewski, Juniorprofessur fürÖffentliches und EuropäischesWirtschaftsrecht und Wirtschafts-völkerrecht an der Juristischen Fa-kultät der Universität Potsdam. DasRechtsgutachten liefert zahlreicheBeispiele aus den Bereichen audio-visuelle Medien, Kino und Rund-funk sowie zu bereits eingegange-nen Verpflichtungen der europäi-schen WTO-Mitgliedstaaten. DieDUK hat eine englische Zusam-menfassung des Gutachtens allen190 Nationalkommissionen derUNESCO zur Verfügung gestellt.

Orte und Partnerschaften

Die vier Tagungsorte der Kon-sultationen der Bundesweiten Ko-alition Kulturelle Vielfalt seit Juni2004 spiegeln die Akzentsetzungenund die dynamische Entwicklungder Partnerschaften der bundeswei-ten Beratungen wider: ausgehendvon der Auftaktkonferenz im Mu-seum für Kommunikation in Berlin(Juni 2004) in Zusammenarbeit mitdem Kurator der MuseumsstiftungPost und Telekommunikation, überdie Tagung im Nato-Saal des WDRin Köln (Oktober 2004), der Bera-

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tungsrunde im InternationalenKonferenzsaal des Bundeskanzler-amtes (Januar 2005) in Zusammen-arbeit mit der Staatsministerin fürKultur und Medien, bis hin zurKonsultationsrunde im Großen An-hörungssaal des Deutschen Bun-destages (April 2005) in Zusam-menarbeit mit der Vorsitzenden desBundestagsausschusses für Kulturund Medien. Abgeordnete desDeutschen Bundestages haben dasKonventionsprojekt fraktionsüber-greifend verfolgt und begleitet, un-ter anderem mit der Bundestagsde-batte vom 23. September 2004.

Öffentliche Veranstaltungen zurThematik der kulturellen Vielfaltfanden im Januar und Februar 2005in Bonn und Berlin statt, in Zusam-menarbeit mit dem AuswärtigenAmt, dem Regionalbüro der Euro-päischen Gemeinschaft, der Deut-schen Gesellschaft für die Verein-ten Nationen und der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie wurden von ins-gesamt 600 Teilnehmern besucht.

Internationalisierung

der Perspektiven

An den Beratungen der Bundes-weiten Koalition beteiligten sichExperten und Diplomaten aus denNiederlanden, Kanada, den USA,Neuseeland, der Schweiz, Finnland,Japan und Polen sowie Vertreter dereuropäischen Institutionen.

Seit September 2004 arbeitet dieBundesweite Koalition aktiv im In-ternationalen Liaisonkomitee derinzwischen weltweit 24 Koalitionenfür Kulturelle Vielfalt mit. Das In-ternationale Liaisonkomitee wirdgemeinschaftlich organisiert vonder französischen und der kanadi-schen Koalition. Seit April 2005 be-

teiligt sich die Bundesweite Koaliti-on auch an der Allianz EuropäischeKoalitionen für Kulturelle Vielfalt.Sie wurde auf deutsche und franzö-sische Initiative hin gegründet. DerAllianz gehören Vertreter der Ko-alitionen aus Belgien, Deutschland,Frankreich, Irland, Italien, der Slo-wakei und Spanien sowie ein finni-scher Beobachter an. Die Gesprä-che der Allianz in Brüssel am20./21. April 2005 mit Ján Figel,Kommissar für Bildung, Ausbil-dung, Kultur und Mehrsprachig-keit, MdEP Nikolaos Sifunakis,Vorsitzender des Ausschusses fürKultur und Bildung des Europäi-schen Parlamentes, und Peter Man-delson, Handelskommissar, wurdenseitens der Vertreter der europäi-schen Institutionen als Einstieg ineinen künftig regelmäßigen Dialogbetrachtet. Schutz und Förderungkultureller Vielfalt gehören zu denwesentlichen Handlungsfeldern derEuropäischen Union, sowohl imBinnenverhältnis als auch in ihreninternationalen Beziehungen.

Auf Einladung der neu gegründe-ten spanischen Koalition für Kultu-relle Vielfalt und mit Unterstützungdes spanischen Kultur- und Außen-ministeriums, der Regierung Katalo-niens und des spanischen Schriftstel-lerverbandes tagte das Vierte Inter-nationale Forum der Kulturorganisa-tionen vom 9. bis 11. April 2005 inMadrid zum Thema „Kulturelle Viel-falt als neuer Stützpfeiler des Völker-rechts“. Den Veranstaltern gelang es,200 Teilnehmer von 170 Kulturorga-nisationen aus 60 Ländern zu mobili-sieren. Vorläufer-Tagungen fanden inKanada (2002, mit 11 beteiligtenLändern), in Paris (2003, 35 beteilig-te Länder) und in Seoul (2004, 57 be-teiligte Länder) statt.

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Künftige Aufgaben der

Bundesweiten Koalition

Bei der dritten Regierungs-expertentagung zum UNESCO-Übereinkommen zum Schutz derkulturellen Vielfalt vom 23. Maibis 3. Juni 2005 in Paris haben 500Regierungsexpertinnen und -ex-perten aus über 130 Ländern denendgültigen Wortlaut des Vertrags-textes diskutiert. Der jetzt vorlie-gende Übereinkommensentwurfsoll auf der 33. UNESCO-Gene-ralkonferenz vom 3. bis 21. Okto-ber 2005 in Paris verabschiedetwerden. Dazu ist eine Zweidrittel-mehrheit der 191 UNESCO-Mit-gliedstaaten erforderlich. In Krafttreten wird das neue Übereinkom-men nach Eingang der 30. Ratifi-kationsurkunde bei der UNESCO.

Nach der Verabschiedung desÜbereinkommens wird es Aufgabeder Bundesweiten Koalition fürKulturelle Vielfalt sein, die Zeich-nung und Ratifizierung durch dieBundesregierung und das Parla-ment sowie durch die EuropäischeUnion zu begleiten. Hierbei ist esauch international wichtig, bis zurZeichnung und Ratifizierung denDialog mit den Kritikern des Über-einkommens zu suchen. Für dieBundesweite Koalition und die in-ternationalen Koalitionen für Kul-turelle Vielfalt stellt sich beson-ders auch die Aufgabe, aktiv dieVerbindungen mit den Zivilgesell-schaften derjenigen Länder zu su-chen, die dem Konventionsprozessablehnend gegenüber stehen, allenvoran die USA.

Auf der Basis des Rechtsgut-achtens zu GATS und Kulturför-derung in Deutschland von Prof.Krajewski ist eine vertiefte Analy-

se der einzelnen Kultursparten zurEntwicklung von möglichen Sze-narien im Rahmen des GATS nö-tig. Diese komplexe Materie ist inallen Details zu analysieren, etwaim Hinblick auf die Auswirkungenauf die ungesteuert privatisiertenöffentlichen Kultureinrichtungen,ein Prozess, der zugleich überfäl-lige Befreiungen aus bürokrati-scher Verkrustung ermöglicht.

Nach dem Inkrafttreten desÜbereinkommens (voraussichtlich2006/2007) wird die Frage der ak-tiven Nutzung dieses Instrumentesin der deutschen Kulturpolitik undin der internationalen Zusammen-arbeit zentral. Wichtig ist die sys-tematische Überprüfung der Ent-wicklung kultureller Vielfalt, ein-schließlich der wirtschaftlichenAnreize, wie in dem Argumentati-onsleitfaden der BundesweitenKoalition vom September 2004skizziert. Ein möglicher Weg istzum Beispiel die Aufnahme derArgumentation „Kultur und kultu-relle Vielfalt als Potenzial“ in denWirtschaftsbericht der Bundesre-gierung.

Ob das UNESCO-Übereinkom-men zum Schutz und zur Förde-rung kultureller Vielfalt mittelfris-tig ein Erfolg wird, hängt wesent-lich davon ab, ob auch die Nutzervon Kultur und die Kunden derKulturindustrien darin einen Sinnsehen können. Hierin liegt eine be-sondere Herausforderung für dieKoalitionen für Kulturelle Vielfalt.Nach dem Vorbild des UN-Jahres2001 zum Dialog zwischen denKulturen wäre ein Label „Beitragzur kulturellen Vielfalt“ zu kreie-ren, um eine breitere Verankerungder Ziele des UNESCO-Überein-kommens zu stimulieren.

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CHRISTINE M. MERKEL ist Kultur-referentin der Deutschen UNESCO-Kommission und ex officio Koordinatorin der Bundesweiten Koalition KulturelleVielfalt.

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Völkerrecht kann modellhaftals „Textur“ für geregeltes Verhal-ten bzw. als Verhaltensmuster aufinternationaler Ebene angesehenwerden. Erst durch seinen univer-sellen Geltungsanspruch jedochentstehen zwischen den Beteilig-ten veritable Rechtsbeziehungen.Das ausgehende 20. Jahrhunderthat dabei nicht nur zu einer be-trächtlichen Erweiterung des Krei-

ses der an den völkerrechtlichenBeziehungen Beteiligten, sondernauch zu einer Erweiterung der Re-gelungsgegenstände geführt. DieserProzess dauert noch an, wie an dervon der 32. UNESCO-Generalkon-ferenz im Herbst 2003 beschlosse-nen Kodifikation eines völlig neuenVölkerrechtsgebietes – desjenigender „kulturellen Vielfalt“ – exem-plarisch abzulesen ist.

Akte neuer Rechtsschöpfungbringen es naturgemäß mit sich,dass entstehende neue Normenmit bereits geltenden Normenkonfligieren können. Im vorlie-genden Fall steht das im Entste-hen begriffene „UNESCO-Übereinkommen zum Schutz undzur Förderung der kulturellenVielfalt“ bzw. der „kulturellenAusdrucksformen“ in einem of-

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Sabine Von Schorlemer

Die Harmonisierung von GATS und demUNESCO-Übereinkommen zur kulturellenVielfalt als völkerrechtliche Herausforderung

Auf der UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes verzeichnet: die Riten der königlichen Vorfahren derChoson-Dynastie und die rituelle Musik im Jongmyo-Schrein in Seoul

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fensichtlichen Spannungsverhält-nis zum Allgemeinen Dienst-leistungsabkommen (GATS) derGenfer Welthandelsorganisation

(WTO). In solchen Fällen stelltsich generell die Frage der „Har-monisierung“ und der Sicherstel-lung der Einheitlichkeit derRechtsanwendung. Denn nurwenn es gelingt, ein Mindestmaßan Kompatibilität verschiedenervölkerrechtlicher Regelungsma-terien sicherzustellen, werdensich die internationalen Bezie-hungen längerfristig in konstruk-tiver Atmosphäre und friedlichweiterentwickeln können.

Das UNESCO-Überein-

kommen zum Schutz der

kulturellen Vielfalt im

Spannungsfeld zu GATS

Immer dann, wenn zwei odermehrere Normen zueinander in Wi-derspruch geraten, stellt sich dasProblem der Rangordnung von Völ-kerrechtsquellen. Im konkreten Falldes Entwurfs der „Convention onthe protection of the diversity of cul-tural contents and artistic expressi-ons“ der UNESCO ergeben sich imHinblick auf eine Vereinbarkeit mitgeltendem GATS-Recht potenziellmehrere Konfliktpunkte (vgl. v.Schorlemer 2004). Einer der wich-tigsten Punkte betrifft das Kern-stück der Konvention, das Recht ei-nes jeden Staates, regulatorischeund finanzielle Maßnahmen zu er-greifen, die darauf abzielen, die

Vielfalt der kulturellen Ausdrucks-formen auf seinem Staatsgebiet zuschützen (vgl. Art. 6 des Überein-kommens, konsolidierte Version desEntwurfs vom April 2005).

Die davon umfasste Befugnis ei-nes jeden Staates, Schutzmaßnah-men zu ergreifen oder Subventionenzum Schutz der kulturellen Vielfaltbereitzustellen, kann zumindestdann mit GATS in Konflikt geraten,falls der betreffende Staat bereitsbestimmte Verpflichtungen (sog.spezifische Bindungen gemäß TeilIII des GATS, Listeneinträge) fürkulturelle Dienstleistungen im Be-reich des Marktzugangs (Art. XVIGATS), der Inländerbehandlung(Art. XVII GATS) oder der so ge-nannten „zusätzlichen Bindungen“(in Bezug auf Maßnahmen, die denHandel mit Dienstleistungen betref-fen, einschließlich Maßnahmen zuQualifikationen, Normen- oder Li-zenzangelegenheiten; Art. XVIIIGATS) übernommen hat.

Es handelt sich jedoch um einen„Kollisionsfall“, der nur virulentwird, wenn diesbezüglich bereitsbindende Liberalisierungszusagenin der WTO gemacht wurden. Nurdann wird es Staaten nicht mehrgestattet sein, vollumfänglich vonihrem, in dem UNESCO-Überein-kommen verankerten Recht aufregulatorische und finanzielleMaßnahmen Gebrauch zu machen.Solche bindenden Zusagen wurdenzwar von den EU-Staaten bislangfür das Gebiet der kulturellenDienstleistungen noch nicht abge-geben, doch ist nicht auszuschlie-ßen, dass diesbezüglich der Druckin den nächsten Jahren wachsenwird. Getreu dem WTO-Grundsatzder fortschreitenden Liberalisie-rung haben regelmäßig Verhand-

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»Es stellt sich das Problem der Rangordnung von Völkerrechtsquellen«

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lungen stattzufinden mit dem Ziel,„schrittweise einen höheren Standder Liberalisierung zu erreichen“(Art. XIX GATS). Im Gegensatzzu den oben genannten Verpflicht-ungen bezüglich Marktzutritt,Inländerbehandlung und zusätzli-chen Bindungen, über die jede Par-tei des GATS autonom in einemVerhandlungsprozess befindet, istder Grundsatz der progressiven Li-beralisierung von allen GATS-Un-terzeichnerstaaten von vornherein– mit Inkrafttreten des GATS – alsbindend angenommen worden. Sogesehen wird es wohl eine Frageder Zeit sein, bis die Forderungnach einer Liberalisierung desMarktes der kulturellen Dienstleis-tungen auf der WTO-Agenda steht,es sei denn, es gelänge in der Zwi-schenzeit, das UNESCO-Überein-kommen zu einem echten „Refe-renzabkommen“ des GATS auszu-gestalten (vgl. Krajewski).

Die Frage der

„Harmonisierung“:

Instrumentarien zur

Sicherstellung der

Einheitlichkeit der

Rechtsanwendung

Um eine frühzeitige Koordinie-rung zwischen UNESCO-Rechtund WTO-Recht zu erreichen, hatUNESCO-Generaldirektor Koïchi-ro Matsuura bereits im Herbst 2004auf der Grundlage des im Juni 2004vorgelegten Vor-Entwurfs der vonihm eingesetzten, unabhängigenExpertengruppe einen Konsultati-onsprozess innerhalb der WTO an-geregt. (Ein Ergebnis der WTO-Konsultation findet sich in dem vomWTO-Generaldirektor Supachai Pa-nitchpakdi im Januar 2005 den

Ständigen Vertretungen übermittel-ten Dokument mit dem Titel „Sum-mary of views expressed during theinformal discussions (heads of dele-

gations) on the preliminary draftUNESCO convention on the pro-tection of the diversity of culturalcontents and artistic expressions“vom 11. November 2004.) Darüberhinaus trat er an die Regierungenmit der Bitte heran, dass sie – soweitsie Mitglieder in der UNESCO undin der WTO sind – „will have plentyof time to express consistent andconcerted views...“ (Bericht des Ge-neraldirektors zum ersten Entwurf

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»Gebot der Kohärenz universellerVölkerrechtsregeln«

Eine der ältesten Operntraditionen Chinas: die Kunqu-Oper

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des Übereinkommens vom Juli2004, § 13).

Dieses Vorgehen spiegelt die Sor-ge wider, dass bei einer fehlendenHarmonisierung der beiden Rechts-gebiete – der WTO-Regelungen

zum ungehinderten kulturellenDienstleistungshandel einerseitsund der entsprechenden UNESCO-Regelungen zum Schutz der kultu-rellen Vielfalt andererseits – demGebot der Kohärenz universellerVölkerrechtsregeln nicht hinrei-chend Rechnung getragen würde.

Eine rechtliche Lösung des Ver-hältnisses von WTO-Recht undUNESCO-Recht erscheint deswe-gen schwierig, weil es an allgemeingültigen, auf alle Konfliktfälle an-wendbaren Kollisionsregeln fehlt.Lediglich im (hier nicht einschlägi-gen) Fall einer Norm des zwingen-den Rechts (ius cogens) ergibt sichein Normvorrang. Ansonsten istdem Völkerrecht eine Normenhie-rarchie – etwa nach dem Vorbild desinnerstaatlichen Rechts – fremd.

Für den Fall, dass zwei völker-rechtliche Verträge miteinander imWiderspruch stehen, können dieParteien jedoch in so genanntenKollisionsklauseln das Verhältnisder beiden Vertragswerke regeln.Fehlen solche speziellen Vorschrif-ten, gelten die Vorschriften des all-gemeinen Völkerrechts, wie sie spe-ziell in Art. 30 des Wiener Überein-kommens über das Recht der Verträ-ge (1969) Eingang gefunden haben.Sind gemäß dieser mit „Anwendungaufeinanderfolgender Verträge über

denselben Gegenstand“ überschrie-benen Vorschrift alle Vertragspartei-en eines früheren Vertrages zugleichVertragsparteien eines späteren, oh-ne dass der frühere beendet odersuspendiert wird, so findet der frü-here Vertrag nur insoweit Anwen-dung, als er mit dem späteren ver-einbar ist. Gehören nicht alle Ver-tragsparteien des früheren Vertrageszu den Vertragsparteien des späte-ren – was der wahrscheinlichere Fallist –, so findet zwischen einemStaat, der Vertragspartei beider Ver-träge ist, und einem Staat, der Ver-tragspartei nur eines der beiden Ver-träge ist, der Vertrag, dem beide an-gehören, Anwendung.

Um einen Rückgriff auf das all-gemeine Völkerrecht zu vermeiden,wurden im Rahmen der UNESCOim Vorfeld der dritten Regierungs-konferenz vom 25. Mai bis 3. Juni2005 drei Versuche unternommen,im Wege von Kollisionsklauselndas Verhältnis zwischen GATS undUNESCO-Übereinkommen zu har-monisieren. Sie zeigen das Bestre-ben der Rechtsgemeinschaft, die in-härente Kollisionsproblematikdurch vorab vereinbarte Rechtsre-geln zu entschärfen:� Nach dem von unabhängigen

Experten erstellten Vor-Entwurfdes Übereinkommens vom Juli2004, der Beratungsgegenstandder ersten und der zweitenUNESCO-Regierungskonferenz(Paris, September 2004, und Pa-ris, Januar/Februar 2005) war,sah eine erste Kollisionsklausel(Option A) vor, dass die Bestim-mungen des UNESCO-Überein-kommens in keiner Weise dieRechte und Pflichten eines Ver-tragsstaates aus anderen existie-renden internationalen Instru-

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»Harmonisierung von GATS und UNESCO-Übereinkommen durch Kollisionsklauseln«

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menten beeinträchtigen sollen, essei denn, dass die Ausübung die-ser Rechte und Pflichten die Viel-falt kultureller Ausdrucksformenernsthaft gefährden würde. DieseSchutzklausel im „Dringlich-keitsfall“ („serious damage orthreat“) hätte zu einem Vorrangder UNESCO-Konvention inspeziellen Fällen geführt.

� In einer alternativen Option (Op-tion B) desselben Dokumenteswurde der Grundsatz der Gleich-berechtigung aller Verträge da-hingehend formuliert, dass dieRegelungen des UNESCO-Über-einkommens in keinem Fall dieRechte und Pflichten der Ver-tragsstaaten aus anderen existie-renden internationalen Überein-kommen berühren sollen. DasUNESCO-Übereinkommen zumSchutz der kulturellen Vielfaltwürde sich dieser Bestimmungzufolge gegenüber bestehendenVerträgen neutral verhalten unddem Grundsatz des pacta suntservanda vollumfänglich Res-pekt zollen.

� Im Zuge der – mit Unterstützungdes UNESCO-Sekretariats durchden Vorsitzenden der UNESCO-Regierungskonferenz Kader As-mal – im April 2005 vorgenom-menen Überarbeitung des Ent-wurfs wurde ein dritter Textvor-schlag für eine Kollisionsklauselentwickelt (Art. 20). Danach solldie UNESCO-Konvention wederdie Rechte und Pflichten der Par-teien aus anderen internationalenÜbereinkommen beeinträchti-gen, noch sollen – umgekehrt –Rechte und Pflichten aus andereninternationalen Übereinkommendie Rechte und Pflichten derUNESCO-Konvention berühren.

Damit wurde getreu dem vomUNESCO-Rechtsberater Abdulqa-wi A. Yusuf im Zuge der Vorarbeitenauf der ersten Regierungskonferenzim September 2004 erwähntenGrundsatz der „mutual supportive-ness“ von Konventionen (speziellZiff. 17) eine Linie formuliert, dieauf den gegenseitigen Respekt derbeiden Rechtsgebiete (GATS/UNESCO-Übereinkommen) zielt.

Auf der dritten und letztenUNESCO-Regierungskonferenz imMai/Juni 2005 gelang es den Regie-rungsexperten nach langwierigenVerhandlungen in Arbeitgruppenerst kurz vor Konferenzende, eineFormulierung zu verabschieden(vgl. Art. 20 des revidierten Ent-wurfs vom 2. Juni 2005), die her-vorhebt, dass die Konvention zumSchutz der kulturellen Vielfalt ande-ren Verträgen nicht untergeordnetist, andere Verträge aber auch nichtmodifiziert. Bei Interpretation be-stehender oder Eingehen neuer Ver-pflichtungen (dazu gehören grund-sätzlich auch solche im Rahmen derWTO) ist den Bestimmungen derUNESCO-Konvention Rechnungzu tragen. Wörtlich lautet die ein-schlägige Passage:

„Art. 20 – Relationship to othertreaties; mutual supportiveness,compelementarity and non-subordi-nation1. Parties recognize that they shall

perform in good faith their obli-gations under this conventionand all other treaties to whichthey are parties. Accordingly,without subordinating this con-vention to any other treaty, they:(a) shall foster mutual supporti-veness between this conventionand the other treaties to whichthey are parties; and

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(b) when interpreting and apply-ing the other treaties to whichthey are parties or when enteringinto other international obligati-ons, parties shall take into ac-count the relevant provisions ofthis convention.

2. Nothing in this ponvention shallbe interpreted as modifyingrights and obligations of the par-ties under any other treaties towhich they are parties.”Die USA traten hingegen für eineFormulierung ein, wonach nichtsin dem UNESCO-Übereinkom-men so ausgelegt werden dürfe,dass Rechte und Pflichten aus an-deren internationalen Abkommenmodifiziert werden; insbesonde-re meldeten sie Widerspruch zuder Formulierung der Nicht-Un-terordnung der UNESCO-Kon-vention unter andere Abkommenan (Art. 20, Abs. 1 chapeau, S. 2)und monierten das Gebot zur Be-rücksichtigung der UNESCO-Konvention beim Eingehen bzw.der Interpretation neuer Ver-pflichtungen (Art. 20, Abs. 1b),scheiterten jedoch mit ihrem Ver-such, ihren eigenen Vorschlag alsAlternativtext an die UNESCO-Generalkonferenz im Herbst2005 zu überweisen. Auch Japan,Argentinien, Chile, Israel, Aust-ralien, Neuseeland und die Tür-kei meldeten Vorbehalte an undbehielten sich das Recht vor, er-neut auf Art. 20 zurückzukom-men.Die Kohärenz mit den WTO-Re-

geln wird darüber hinaus über eineauf den ursprünglichen Experten-entwurf zurückgehende Vorschrift(Art. 13 des Entwurfs des Überein-kommens vom Juli 2004) gefestigt,wonach die UNESCO-Vertragspar-

teien immer dann, wenn sie andereinternationale Instrumente ausle-gen oder anwenden oder auch neueVerpflichtungen eingehen (dazugehören grundsätzlich auch neue,den Marktzugang oder dieInländerbehandlung betreffendeGATS-Listeneinträge) die Zieleund Grundsätze der neuenUNESCO-Konvention zu berück-sichtigen haben (vgl. Art. 21 desrevidierten Entwurfs vom 2. Juni2005). Darüber hinaus werdenUNESCO-Vertragsparteien diePrinzipien und Ziele derUNESCO-Konvention in andereninternationalen Foren fördern undsich zu diesem Zweck konsultieren(Art. 21). Da zu den künftigen Ver-tragsparteien aller Wahrscheinlich-keit nach auch die EuropäischeUnion gehören wird, müsste dieEG-Kommission sich folglich imRahmen der WTO-Vertragsver-handlungen zur Liberalisierung derkulturellen Dienstleistungen nichtnur an den Vorgaben der neuenUNESCO-Konvention zum Schutzder kulturellen Vielfalt orientieren,sondern sich auch aktiv für derenZiele und Prinzipien einsetzen.

Fazit

Eine Lösung für konkrete Kon-fliktfälle – etwa wenn ein WTO-Pa-nel eine Entscheidung unter Miss-achtung von UNESCO-Schutzbe-stimmungen trifft und/ oder einegegenteilige Streitbeilegungsent-scheidung auf der Grundlage desUNESCO-Übereinkommens ergeht– existiert nach den derzeitigenTextentwürfen nicht. Die Chancenfür eine vorrangige Anwendung derUNESCO-Bestimmungen gegen-über geltendem WTO-Recht bzw.

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Quellen

Markus Krajewski: Auswirkungen des GATS auf Instru-mente der Kulturpolitik und Kulturförderung in Deutschland.Rechtsgutachten, erstellt im Auftrag der DeutschenUNESCO-Kommission. Potsdam, 2005. (Internet:http://www.unesco.de/c_arbeitsgebiete/kkv_gutachten.pdf)

Verena Metze-Mangold: Literatur und GATS. Die Bedeu-tung der GATS-Verhandlungen für den Erhalt der Vielfalt undQualität der deutschen Gegenwartsliteratur. In: Kulturpoliti-sche Mitteilungen, 2/2005.

Sabine von Schorlemer (2004): Impulsreferat zur zweitenFachkonsultation der bundesweiten Koalition Kulturelle Viel-falt über das UNESCO-Übereinkommen zum Schutz kultu-reller Vielfalt, Köln, 22. Oktober 2004. (Internet: http://www.unesco.de/c_arbeitsgebiete/kkv-meeting2-schorlemer.pdf)

Sabine von Schorlemer (2005): Kunst und Freihandel.Der UNESCO-Streit um kulturelle Vielfalt. In: Blätter fürdeutsche und internationale Politik, 5/2005, S. 619-626.

UNESCO: Preliminary draft convention on the protectionof the diversity of cultural contents and artistic expressions.Preliminary report of the Director-General. Doc.CLT/CPD/2004/CONF.201/1. Paris, July 2004. (Internet: http://www.unesco.de/pdf/cl3726eng.pdf)

UNESCO: Preliminary draft of a convention on the pro-tection of the diversity of cultural contents and artistic expres-sions. Doc. CLT/CPD/2004/CONF-201/2. Paris, July 2004.(Internet: http://www.unesco.de/pdf/cl3726eng.pdf)

UNESCO: Preliminary draft of a convention on the pro-tection of the diversity of cultural contents and artistic expres-sions. Consolidated text prepared by the chairperson of theintergovernmental meeting. Doc. 171 EX/INF.18, Appendix2. Paris, 21 April 2005. (Internet: http://www.unesco.de/c_arbeitsgebiete/171-ex-inf-18.pdf)

UNESCO: Preliminary draft convention on the protectionand promotion of the diversity of cultural expressions, revisedtext, 2 June 2005.

Presentation of Abdulqawi A.Yusuf, Director of the Officeof International Standards and Legal Affairs, UNESCO, onpossible ways of dealing with the question on the relationshipbetween successive conventions relating to the same subjectmatter and art. 19 (Relationship to other instruments) of thepreliminary draft convention on the protection of the diversityof cultural contents and artistic expressions. First session ofthe Intergovernmental Meeting of Experts on the draft conven-tion on the protection of the diversity of cultural contents andartistic expressions, UNESCO, September 23, 2004.

die Ausgestaltung der UNESCO-Konvention als eine Art „Anti-Glo-balisierungsabkommen“ sind ge-ring (vgl. v. Schorlemer 2005, S.625f., und Metze-Mangold 2005).

Nichtsdestotrotz handelt es sichbeim UNESCO-Übereinkommenzum Schutz und zur Förderung derkulturellen Vielfalt zweifelsohneum ein höchst bedeutsames völker-rechtliches Kodifikationsvorhaben.Im Falle seiner verbindlichen An-nahme, geplant für Oktober 2005,wird die Anerkennung der Beson-derheit kultureller Güter undDienstleistungen, die als Träger vonIdentitäten, Wertvorstellungen undSinn nicht als einfache Waren undKonsumgüter betrachtet werdenkönnen, auf eine solide Grundlagegestellt.

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Prof. Dr. Dr. Sabine Von Schorlemer,Lehrstuhl für Völkerrecht, Recht der Europäischen Union und InternationaleBeziehungen an der Technischen Univer-sität Dresden, ist Mitglied der DeutschenUNESCO-Kommission. Sie wurde vom UNESCO-Generaldirektor in das Expertenkomitee zur Ausarbeitung desÜbereinkommens zum Schutz kulturellerVielfalt berufen.

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Auswirkungen des GATS aufInstrumente der Kulturpolitik undKulturförderung in Deutschland

Rechtsgutachten – erstellt im Auftrag der Deutschen UNESCO-Kommission von Prof. Dr. Markus Krajewski, Universität Potsdam, unter Mitwirkung von Sarah Bormann und Christina Deckwirth

1. Grenzüberschreitende Angebo-te von und Nachfragen nachKulturdienstleistungen sind un-ter welthandelsrechtlichen Ge-sichtspunkten als Handel mitDienstleistungen einzuordnen.Maßnahmen, die diesen Handelfördern, einschränken, regulie-ren oder in sonstiger Weise be-rühren, fallen in den Anwen-dungsbereich des GATS. Auf-grund der Weite des Begriffs„Handel mit Dienstleistungen“,durch die vier Erbringungsartendes GATS sind potentiell auchMaßnahmen betroffen, dienicht in erster Linie den Handel

betreffen, sondern innerstaatli-che Regulierungen sind. DasSpannungsverhältnis der Prin-zipien der Handelsliberalisie-rung durch das GATS und derlegitimen Regulierung der Er-bringung und des Konsums vonDienstleistungen zählt zu denzentralen Herausforderungendes gegenwärtigen Welthan-delssystems.

2. Vom Geltungsbereich desGATS ausgenommen ist nurder Kernbereich hoheitlicherDienstleistungen, die ohnekommerzielle Grundlage undnicht im Wettbewerb mit ande-

Das von der Deutschen UNESCO-Kommission in Auftrag gegebene Gutachten untersucht die mögli-chen Auswirkungen des GATS (General Agreement on Trade in Services) auf die Kulturpolitik inDeutschland. Es behandelt auch das Verhältnis der GATS- und WTO-Verhandlungen zum geplantenUNESCO-Übereinkommen zur kulturellen Vielfalt, das im Oktober 2005 von der Generalkonferenzder UNESCO verabschiedet werden soll. Das Gutachten wurde vom Auswärtigen Amt und der Kultus-ministerkonferenz im Rahmen der Kommission für Europäische und Internationale Angelegenheiteninitiiert und von Prof. Dr. Markus Krajewski von der Universität Potsdam ausgearbeitet. Die DeutscheUNESCO-Kommission hat das Rechtsgutachten im Februar 2005 veröffentlicht. Im folgenden gibt derAutor des Rechtsgutachtens eine Zusammenfassung der Ergebnisse.

Der vollständige Text des Rechtsgutachtens ist auf der Website der Deutschen UNESCO-Kommissionveröffentlicht: www.unesco.de/c_arbeitsgebiete/kkv_gutachten.pdf

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ren Dienstleistungserbringernerbracht werden. Die Bereit-haltung kultureller Angebotedurch die öffentliche Handeinschließlich der öffentlich-rechtlichen Körperschaftenwird also grundsätzlich nichtvom Anwendungsbereich desGATS ausgenommen. Dies giltumso mehr, wenn die Erbrin-gung kultureller Dienstleistun-gen formell oder sogar mate-riell privatisiert wird.

3. Das GATS-Regelwerk zeichnetsich durch ein System von Ver-pflichtungen mit unterschiedli-chen Graden der Verbind-lichkeit und Geltung aus. Esbestehen allgemeine Verpflich-tungen, von denen es nur weni-ge generelle Ausnahmen gibt(z.B. das Transparenzgebot);allgemeine Verpflichtungen,von denen es spezielle Ausnah-men geben kann (z.B. dasMeistbegünstigungsprinzip),Verpflichtungen, die nur inso-weit gelten, als ihnen ausdrück-lich zugestimmt wurde (z.B.Marktzugang und Inländerbe-handlung), und Verpflichtun-gen, über die gegenwärtig in derWTO verhandelt wird (Subven-tionen, öffentliche Vergabe undDisziplinen für innerstaatlicheRegulierung).

4. Aufgrund dieser Komplexitätsind Aussagen über das Ver-hältnis spezifischer Politik-instrumente zum GATS oft hypothetisch und spekulativ.Dass Hypothesen und Speku-lationen jedoch sehr schnell zuharter Realität werden, muss-ten die USA im November ver-gangenen Jahres erfahren, alsein WTO-panel aufgrund der

GATS-Verpflichtungen derUSA das Verbot von Internet-Glücksspielen in den USA fürrechtswidrig erklärte. Ähnlicherfuhr Neuseeland – allerdingsohne eine Streitschlichtungs-entscheidung der WTO – Endeder 1990er, dass Quoten für lo-kale Inhalte im Rundfunk ge-gen Neuseelands GATS-Ver-pflichtungen verstoßen wür-den.

5. Unter den genannten Vorbehal-ten sind gleichwohl einigeAussagen zum Verhältnis vonGATS und Instrumenten derKulturpolitik und -förderungmöglich:a) Die Erbringung kulturellerLeistungen durch die öffent-lich Hand selbst widersprichtdem GATS nicht. Insbesonde-re enthält das GATS keineformelle Pflicht zur Privati-sierung. Allerdings könnenGATS-Verpflichtungen zuKommerzialisierung und Li-beralisierung führen, die einematerielle Privatisierung nachsich ziehen. Die Rückführungeines privatisierten Sektors inden öffentlichen Sektor kannallerdings Probleme aufwei-sen, wenn sie mit einer Ver-staatlichung einhergeht, dadies gegen eventuell bestehen-de Marktzugangsverpflichtun-gen verstoßen würde.b) Die Finanzierung und finan-zielle Unterstützung kulturellerDienstleistungen durch öffent-lich-rechtliche Gebühren, öf-fentliche Beihilfen und Stipen-dien sowie Steuernachlässe ver-stoßen ebenfalls nicht gegenGATS-Verpflichtungen, solan-ge sie nicht-diskriminierend

sind. Bei der Bewertung derdiskriminierenden Wirkung ei-ner Maßnahme ist im GATS aufdie „Gleichartigkeit“ einer aus-ländischen und inländischen(oder anderen ausländischen)Leistung bzw. eines Erbringersabzustellen. Außerdem sindauch Maßnahmen verboten, dieobwohl sie formell nicht-diskri-minierend sind, faktisch dieWettbewerbsbedingungen desausländischen Erbringers ver-schlechtern. c) Inhaltliche Quoten im Rund-funk- oder Kinobereich, diespeziell für nationale Angebotereserviert sind, verstoßengrundsätzlich gegen das Prinzipder Nicht-Diskriminierung. Siesind daher, wie alle diskrimi-nierenden Maßnahmen, nur zu-lässig, wenn entsprechendeAusnahmen bestehen bzw. kei-ne Verpflichtungen eingegan-gen wurden.d) Beihilfen sind – anders alsBeihilfen im Warenhandel –noch keinen allgemeinen Dis-ziplinen unterworfen. Über der-artige Disziplinen wird aller-dings derzeit verhandelt. Ähnli-ches gilt für allgemeine nicht-diskriminierende innerstaatlicheRegelungen (Qualifikationsan-forderungen, Zulassungsvor-aussetzungen und technischeStandards, wie z. B. die Buch-preisbindung). Auch hier sollenDisziplinen geschaffen werden,die garantieren, dass die Re-gelungen nicht mehr belastendals nötig sind. Die Vergabeöffentlicher Aufträge unterfälltderzeit nicht den zentralenGATS-Prinzipien (Nicht-Dis-kriminierung und Marktzu-

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gang). Allerdings wird auch hierüber weitere Regeln verhandelt.Alle drei Themenfelder sind fürden Kulturbereich von nicht un-erheblicher Relevanz.e) Das System der Künstlerso-zialversicherung dürfte – eben-so wie die anderen Elementeder gesetzlichen Sozialver-sicherung – gemäß der Anlagezu Finanzdienstleistungen vomGeltungsbereich des GATSnicht erfasst werden.

6. Die Mitgliedstaaten der Euro-päischen Gemeinschaft (EG)sind in der Uruguay Runde un-terschiedlich weitreichendeVerpflichtungen im kulturellenSektor eingegangen. Währendder audiovisuelle Sektor weit-gehend vom GATS ausgenom-men wurde, bestehen in andereSektoren (Theater, Musik, bil-dende Kunst und Unterhal-tung) zum Teil sehr umfängli-che Verpflichtungen. Ebenfallszu berücksichtigen sind Ver-pflichtungen bei freiberuf-lichen und Unternehmens-dienstleistungen (Architektur,Fotografie, Verlagswesen).

7. In den laufenden GATS-Ver-handlungen ist die EG von an-deren Handelspartnern zu wei-terer Liberalisierung aufgefor-dert worden. Insbesondere ha-ben eine Reihe von Staaten(u.a. Japan, Korea, USA, Bra-silien und Mexiko) die EGaufgefordert, auch den audio-visuellen Sektor zu liberalisie-ren. Die EG hat ihrerseits kei-ne Angebote zur Liberalisie-rung kultureller Dienstleistun-gen gemacht und ihreHandelspartner hierzu auchnicht aufgefordert. Während

nicht zu erwarten ist, dass dieEG von dieser Position abrü-cken wird, sind Reklassifizie-rungsbestrebungen der USA(wonach der Betrieb von Kinosnicht mehr zum audiovisuellenSektor gezählt werden sollte)von größerer Bedeutung. Dasgleiche gilt für die Abgrenzungdes audiovisuellen vom Tele-kommunikationssektor, dieaufgrund technischer Entwick-lungen immer schwierigerwird. Ebenfalls von Bedeutungist die zukünftige Behandlungdes e-commerce, auf die aller-dings im Gutachten aus Platz-gründen nicht eingegangenwerden konnte.

8. Das geplante UNESCO-Über-einkommen zum Schutz derkulturellen Vielfalt und dasGATS können in Konflikt zu-einander geraten, wenngleichdas tatsächliche Konflikt-potential eher gering sein dürf-te, da das UNESCO-Überein-kommen eher allgemeine Vor-gaben für Kulturpolitik enthält,während das GATS konkreteVerbote aufstellt. Ein Konfliktkönnte aber zwischen GATS-Verpflichtungen und der nachdem UNESCO-Übereinkom-men vorgesehenen Möglichkeitder Präferenzbehandlung be-stimmter Kooperationen mitausländischen Partnern (Art.14 und 17) und der u. U. mögli-chen Bevorzugung nationalerKulturgüter (Art. 6) entstehen.Zudem ist ein grundsätzlicherProgrammkonflikt zwischendem UNESCO-Übereinkom-men und dem GATS aus-zumachen, da das UNESCO-Übereinkommen den Doppel-

charakter kultureller Dienst-leistungen berücksichtigt,während das GATS sie nur alsHandelsgut ansieht.

9. Das Verhältnis des UNESCO-Übereinkommens zum GATSwird mangels anwendbarer all-gemeiner völkerrechtlicherRegeln von spezifischen Vor-schriften des GATS bzw. desUNESCO-Übereinkommensgeregelt werden. Die in Art. 19des UNESCO-Übereinkom-mens vorgesehenen Variantengehen grundsätzlich vom Prin-zip der Konfliktvermeidungaus. Eine Variante postuliertden Vorrang des UNESCO-Übereinkommens im Fall derernsthaften Bedrohung derkulturellen Vielfalt. Allerdingsist zu beachten, dass es nichtgenügt, das Verhältnis vonGATS und UNESCO-Überein-kommen nur in letzterem zubestimmen. Die Frage des Ver-hältnisses wird nämlich erstdann praktisch bedeutsam,wenn in einem Streitschlich-tungsverfahren ein Konfliktauftritt. Die WTO-Organe dür-fen direkt nur WTO-Recht an-wenden und können anderevölkerrechtliche Regeln allen-falls zur Interpretation und Er-gänzung des WTO-Rechts he-ranziehen, wobei hierzu auchkeine Pflicht besteht. Mangelsentsprechender interpretier-fähiger Begriffe z.B. in Art.XIV GATS, ist es erforderlich,die Berücksichtigung desUNESCO-Übereinkommensauch im GATS-Kontext zu ver-ankern. Dies kann durch eineVertragsänderung des GATS,ein ergänzendes Protokoll zum

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GATS, eine Ausnahmegeneh-migung (waiver) oder durchden konkreten Verweis auf dasÜbereinkommen in den Listender spezifischen Zugeständnis-se etwa in Form eines Refe-rence Papers geschehen.

10. Die materiell-rechtliche Be-rücksichtigung der Ziele undInstrumente des UNESCO-Übereinkommens im GATSkann durch eine institutionelle

Reform der WTO, insbesonde-re des Streitschlichtungsme-chanismus ergänzt und abgesi-chert werden. So können aufdie WTO-Liste möglicher Pa-nel-Mitglieder Personen auf-genommen werden, die für dieBesonderheiten des kulturellenSektors sensibel sind. Außer-dem sollten WTO-Organe undOrgane der UNESCO bzw. desÜbereinkommens formell mit-

einander kooperieren. Dieskann einen Beobachterstatutsder UNESCO bei der WTOeinschließen oder die Beteili-gung der UNESCO-Organe alsSachverständige in einemWTO-Streitfall mit kulturpoli-tischem Bezug.

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Das japanische Marionettentheater „Ningyo Johruri Bunraku“ hat eine tausendjährige Tradition.

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Wir begrüßen den Didacta Verband

als neues förderndes Mitglied derDeutschen UNESCO-Kommission.Der Didacta Verband e.V. – Verbandder Bildungswirtschaft unterstütztdie Ziele der Weltdekade der Verein-ten Nationen „Bildung für nachhalti-ge Entwicklung“ und trägt als Mit-

glied der „Allianz NachhaltigkeitLernen“ zur Umsetzung der Dekadein Deutschland bei. Mit finanziellerund organisatorischer Unterstützungdes Didacta Verbandes hat die Deut-sche UNESCO-Kommission auf dergrößten europäischen Bildungsmesse

didacta 2005 in Stuttgart am 1. März2005 einen „UNESCO-Tag“ organi-siert. Der UNESCO-Tag bot einerbreiten Fachöffentlichkeit die Mög-lichkeit, sich über die Ziele der Welt-dekade und das deutsche Aktionspro-gramm zu informieren.

Wir gratulieren Wolfgang Reuther

Der ehemalige StellvertretendeGeneralsekretär der DeutschenUNESCO-Kommission WolfgangReuther hat am 27. Juni 2005 in SanJosé, der Hauptstadt Costa Ricas,den Posten des Direktors des dorti-gen UNESCO-Büros übernommen.Reuther wird damit gleichzeitig

UNESCO-Vertreter für El Salvador,Honduras, Nicaragua, Panama undCosta Rica. Reuther war seit Mai2003 Direktor des UNESCO-Bürosin Amman und seit Februar 2004 vondort aus zuständig für den Aufbau ei-nes Büros im Irak. Davor leitete ervon Januar 1998 bis Mai 2003 das

UNESCO-Büro in Moskau. Wolf-gang Reuther war von 1976 bis 1990für die UNESCO-Kommission derDDR tätig, danach für die DeutscheUNESCO-Kommission in Bonn, von1993 bis Ende 1997 als stellvertre-tender Generalsekretär.

Wir danken Franz Herrmannfür sein großzügiges Vermächtnis.Franz Herrmann starb am 30. August1996 in Berlin im Alter von 85 Jah-ren. Es war sein Wunsch, mit seinemErbe die Ziele der UNESCO zu un-

terstützen. Die Deutsche UNESCO-Kommission hat im Sinne von FranzHerrmann einen Großteil des Geldeszur Förderung von Bildungsprojektenverwendet.

Ein Beispiel ist das Schulprojektin Malawi: Von den fast zwölf Mil-lionen Einwohnern Malawis sind 60Prozent Analphabeten. Für die Mehr-heit der Kinder endet nach derGrundschule der Bildungsweg, weilweiterführende Schulen ausserhalbder großen Städte kaum vorhandensind. Mit Unterstützung der Deut-schen UNESCO-Kommission wird indem Dorf Mpanada im Distrikt Blan-tyre eine weiterführende Schule auf-gebaut – ein Projekt der Christian-Liebig-Stiftung. Die Schule gibt jun-gen Leuten der Region eine Chanceauf eine gute berufliche Zukunft. ImJanuar 2005 begann für zunächst 160Kinder und Jugendliche der Unter-richt. Ab 2006 sollen insgesamt 400Schüler die Oberschule besuchen.