Lineare Algebra

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Lineare Algebra I Marc A. Nieper-Wißkirchen Wintersemester 2008/09 – Sommersemester 2009

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Vorlesung Lineare Algebra i, WS2009

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Lineare Algebra I

Marc A. Nieper-Wißkirchen

Wintersemester 2008/09 – Sommersemester 2009

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Inhaltsverzeichnis

1 Grundlagen 51.1 Elemente, Mengen und Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51.2 Konstruktionsprinzipien von Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61.3 Die Sprache der Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81.4 Der Teilmengenverband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121.5 Injektivitat und Surjektivitat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131.6 Die Menge der naturlichen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161.7 Aquivalenzrelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

2 Ringe 212.1 Monoide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212.2 Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232.3 Ringe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262.4 Korper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282.5 Polynomringe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312.6 Ideale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372.7 Hauptidealringe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

3 Lineare Gleichungssysteme 473.1 Lineare Gleichungssysteme und Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473.2 Matrizen spezieller Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533.3 Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553.4 Determinanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573.5 Die LR-Zerlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

4 Vektorraume 674.1 Moduln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 674.2 Lineare Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 714.3 Untermoduln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 734.4 Direkte Summen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 764.5 Freie Moduln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 784.6 Endlich-dimensionale Vektorraume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 794.7 Affine Raume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 834.8 Quotientenraume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

5 Abbildungsraume 915.1 Der Abbildungsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

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Inhaltsverzeichnis

5.2 Der Dualraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 945.3 Annulatoren und Nullstellengebilde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 985.4 Das Tensorprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1045.5 Die Tensor- und die symmetrische Algebra . . . . . . . . . . . . . . . . . 1105.6 Die außere Algebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

6 Feinstruktur von Endomorphismen 1296.1 Die Smithsche Normalform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1296.2 Endlich prasentierte Moduln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1326.3 Torsionsmoduln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1356.4 Die Frobeniussche Normalform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1376.5 Eigenwerte und Eigenvektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1436.6 Die Weierstraßsche und Jordansche Normalform . . . . . . . . . . . . . . 1446.7 Die Jordan–Chevalley-Zerlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

7 Symmetrische Bilinearformen 1557.1 Polarbasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1557.2 Nicht ausgeartete symmetrische Bilinearformen . . . . . . . . . . . . . . 1587.3 Skalarprodukte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1607.4 Euklidische Normalformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

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1 Grundlagen

Die Lineare Algebra ist ein (wichtiges und grundlegendes) Teilgebiet der Mathematik,welches seinen Ausgangspunkt in der Untersuchung linearer Gleichungssysteme hat.

Bevor wir jedoch mit dem Studium des Themas dieser Vorlesung beginnen, sollten wiruns zunachst auf eine gemeinsame Sprache einigen — die Sprache der Mathematik.

1.1 Elemente, Mengen und Abbildungen

Grundlage einer jeden mathematischen Theorie ist das Studium gewisser Elemente, auchIndividuen oder Objekte genannt. In der elementaren Zahlentheorie zum Beispiel sinddie Elemente die naturlichen Zahlen 0, 1, 2, . . .1. In der ebenen Geometrie studieren wirPunkte und Geraden einer Ebene.

Die von uns studierten Elemente fassen wir naturlicherweise in Mengen zusammen.Jedes Element x gehort einer Menge X an. Wir schreiben dafur

x ∈ X

und nennen x ein Element von X.In der elementaren Zahlentheorie etwa sprechen wir von der Menge N0 der naturlichen

Zahlen. In der ebenen Geometrie gibt es die Menge der Punkte und die Menge derGeraden einer Ebene.

Ein weiterer wichtiger Grundbegriff der Mathematik ist der Begriff der Abbildungvon einer Menge X in eine Menge Y . Eine solche Abbildung ist eine Vorschrift, jedemElement von X ein Element von Y zuzuordnen. So ist zum Beispiel die Vorschrift, jedernaturlichen Zahl ihr Quadrat zuzuordnen, eine Abbildung von der Menge der naturlichenZahlen in sich selbst. Eine andere Abbildung ist etwa die Abbildung von den Hauserneiner Stadt in die naturlichen Zahlen, die jedem Haus seine Hausnummer zuordnet2.

Ist f eine Abbildung von X nach Y , so schreiben wir auch

f : X → Y.

Wir schreiben

f(x)

1Fur uns wird 0 eine naturliche Zahl sein. Es gibt auch Mathematiker, die nur 1, 2, 3, . . . als naturlicheZahlen bezeichnen.

2Dies ist jedenfalls unter der Voraussetzung, daß es keine Hausnummern der Form 3a oder 6 12 gibt,

eine wohldefinierte Abbildungsvorschrift.

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1 Grundlagen

fur das Element in Y , welches x durch die Abbildung f zugeordnet wird und nennen esden Wert von x unter f . Die Zuordnungsvorschrift schreiben wir dann auch als

f : X → Y, x 7→ f(x).

Die Quadrierungsabbildung wird also zum Beispiel durch

N0 → N0, n 7→ n2

notiert.Es gibt immer mindestens einer Abbildung von einer Menge in sich:

Definition 1.1.1. Sei X eine Menge. Die Abbildung

idX : X → X, x 7→ x

heißt die Identitat auf X.

Die Identitat ist also diejenige Abbildung, die nichts bewirkt. Jedes Element wird aufsich selbst abgebildet.

Definition 1.1.2. Seien X, Y und Z drei Mengen und f : X → Y und g : Y → Z zweiAbbildungen. Die Abbildung

g ◦ f : X → Z, x 7→ g(f(x))

heißt die Verknupfung von g mit f .

Aufgabe 1.1.3. Sei X eine Menge und seinen f, g : X → X zwei Abbildungen von X insich selbst. Zeige, daß in der Regel g ◦ f eine andere Abbildung als f ◦ g ist.

Beispiel 1.1.4. Sei f : X → Y eine Abbildung. Dann sind die Verknupfungen f ◦ idXund idY ◦f die gleiche Abbildung wie f .

1.2 Konstruktionsprinzipien von Mengen

Aus vorhandenen Elementen konnen wir neue Elemente konstruieren. Das machen wir,indem wir mengenweise vorgehen, also aus vorhandenen Mengen neue Mengen kon-struieren. Im folgenden geben wir ein paar Beispiele fur Mengen, welche zum Teil ausvorhandenen Mengen konstruiert worden sind:

Beispiel 1.2.1. Die leere Menge∅

ist die Menge, welche kein einziges Element besitzt.Ist X eine weitere Menge, so gibt es genau eine Abbildung

∅ → X,

namlich die leere Abbildungsvorschrift.

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1.2 Konstruktionsprinzipien von Mengen

Beispiel 1.2.2. Die Menge{∅}

ist die einelementige Menge der leeren Menge. Sie enthalt genau ein Element, namlichdie leere Menge. Sie ist damit nicht gleich der leeren Menge, denn diese enthalt keinElement.

Ist X eine weitere Menge, so gibt es genau eine Abbildung

X → {∅},

denn eine jede Abbildungsvorschrift muß zwangslaufig jedes Element von X auf daseinzige von {∅} abbilden, namlich ∅.

Sind a1, a2, . . . , an irgendwelche nicht weiter spezifizierten Objekte, so schreiben wirallgemeiner

{a1, . . . , an}

fur die Menge, welche als Elemente genau die Objekte a1, . . . , an besitzt.

Beispiel 1.2.3. Sind X und Y zwei Mengen, so konnen wir auch die Paarmenge

X × Y

von X und Y betrachten. Ihre Elemente sind Paare (x, y), bestehend aus einem Elementx ∈ X und einem Element y ∈ Y .

Jedem Paar von Elementen in X und Y konnen wir also ein Element in X×Y zuord-nen. Umgekehrt konnen wir jedem Paar (x, y) seine Komponenten x und y zuordnen.Dies definiert die zwei Abbildungen

prX : X × Y → X, (x, y) 7→ x

und

prY : X × Y → Y, (x, y) 7→ y,

welche wir Projektionen nennen. Haufig schreiben wir auch pr1 fur die Projektion aufden ersten Faktor und pr2 fur die Projektion auf den zweiten Faktor.

Beispiel 1.2.4. Jeder Menge X konnen wir schließlich ihre Potenzmenge

P(X)

zuordnen. Elemente der Potenzmenge von X sind gerade die Teilmengen von X, alsoMengen, die eine Auswahl von Elementen von X enthalten. Ist x ein Element von Xund T eine Teilmenge von X, also ein Element von P(X), so schreiben wir

x ∈ T,

wenn x in der Teilmenge T von X liegt.

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Page 8: Lineare Algebra

1 Grundlagen

Ist φ eine Eigenschaft von Elementen x von X, so schreiben wir

{x ∈ X | φ(x)}

fur die Teilmenge derjenigen x ∈ X, auf die die Eigenschaft φ zutrifft, also φ(x) erfulltist. Es gilt also

x′ ∈ {x ∈ X | φ(x)}genau dann, wenn φ(x′) erfullt ist.

Beispiele fur Teilmengen der naturlichen Zahlen sind etwa die Teilmenge der geradenZahlen oder die Teilmenge der Primzahlen.

Aufgabe 1.2.5. Sei X eine Menge, welche genau n Elemente umfaßt, n ∈ N0. Zeige: DieP(X) enthalt 2n verschiedene Elemente.

Bemerkung 1.2.6. Sind X und Y zwei Mengen, so bezeichnen wir mit Y X die Menge derAbbildungen von X nach Y . Diese konnen wir als Teilmenge von P(X×Y ) konstruieren(also als Element von P(P(X × Y ))): Dies machen wir, indem wir jeder Abbildungf : X → Y ihren Graphen

G(f) := {(x, f(x)) ∈ X × Y | x ∈ X} ∈ P(X × Y )

zuordnen. (Die Abbildung konnen wir aus dem Graphen wieder zuruckgewinnen, dennfur jedes x ∈ X ist f(x) das einzige y ∈ Y mit (x, y) ∈ G(f).) Ein Graph wiederum isteine Teilmenge G von X × Y , welche durch

∀x∈X (∃y∈Y (x, y) ∈ G ∧ ∀y,y′∈Y ((x, y), (x, y′) ∈ G =⇒ y = y′))

charakterisiert ist. Hierbei haben wir die Terminologie des nachsten Abschnitts verwen-det. Schreiben wir diese Aussage fur G ∈ P(X × Y ) als φ(G) erhalten wir also eineIdentifikation

Y X = {G ∈ P(X × Y ) | φ(G)}.

1.3 Die Sprache der Logik

Uber Elemente von Mengen treffen wir Aussagen. Eine Aussage uber eine naturliche Zahln ist etwa, daß n eine Quadratzahl ist. Eine Aussage kann wahr sein, etwa diejenige, daß9 eine Quadratzahl ist. Eine Aussage kann aber auch unwahr sein, etwa diejenige, daß 8eine Quadratzahl ist.

Eine Aussage wollen wir dann als wahr ansehen, wenn wir sie beweisen konnen. EinBeweis fur die Tatsache, daß 9 eine Quadratzahl ist, ist etwa die Angabe derjenigen Zahl,deren Quadrat 9 ist — in diesem Fall also 3.

Im Falle, daß es einen Beweis fur eine Aussage gibt, nennen wir die Aussage einenSatz.

Hangt eine Aussage von Elementen x1, x2, . . . , xn ab, schreiben wir sie in der Form

φ(x1, . . . , xn).

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Page 9: Lineare Algebra

1.3 Die Sprache der Logik

Die Aussage, daß eine naturliche Zahl n eine Quadratzahl ist, schreiben wir also in derForm φ(n). Die Aussage, daß 9 eine Quadratzahl ist, ist dann φ(9).

Im folgenden fuhren wir einige wichtige Abkurzungen fur Aussagen ein: Seien dazu φund ψ beliebige Aussagen.

Konjunktion Fur die Aussage, daß φ und ψ wahr sind, schreiben wir

φ ∧ ψ.

Disjunktion Fur die Aussage, daß φ oder ψ (oder beide) wahr sind, schreiben wir

φ ∨ ψ.

Implikation Fur die Aussage, daß ψ wahr ist, wenn immer φ wahr ist, schreiben wir

φ =⇒ ψ.

Falsum Wir schreiben⊥

fur die Aussage, die keinen Beweis besitzt, in jedem Falle also unwahr ist.

Allquantifikation Ist φ(x) eine Aussage uber Elemente x einer Menge X, so schreibenwir

∀x∈Xφ(x)

fur die Aussage, daß φ(x) fur alle Wahlen von x wahr ist.

Existenzquantifikation Ist φ(x) eine Aussage uber Elemente x einer Menge X, so schrei-ben wir

∃x∈Xφ(x)

fur die Aussage, daß ein x ∈ X existiert, fur das φ(x) wahr ist. Dabei bedeutet dieExistenz eines x fur uns, daß wir ein solches x angeben konnen.

Identitat Sind x und x′ zwei Elemente einer Menge X, so scheiben wir schließlich

x = x′

fur die Aussage, daß x gleich x′ ist.

Weitere logische Symbole fuhren wir ein, indem wir sie auf die eben definierten zuruckfuhren.

Verum Es sei>

die Aussage ⊥ =⇒ ⊥. Diese Aussage ist immer wahr. Sie zu beweisen bedeutet,aus einem Beweis von ⊥ einen Beweis von ⊥ zu konstruieren, eine triviale Aufgabe,insbesondere, da ⊥ gar keinen Beweis besitzt. (Anstelle von ⊥ hatten wir auch jedeandere Aussage nehmen konnen.)

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1 Grundlagen

Negation Sei φ eine Aussage. Dann sei¬φ

die Aussage φ =⇒ ⊥. Ein Beweis von ¬φ ist eine Vorschrift, aus einem Beweisvon φ einen Beweis von ⊥ zu konstruieren, welcher per definitionem aber gar nichtexistiert. Ein Beweis von ¬φ ist also ein Beweis der Tatsache, daß φ keinen Beweisbesitzt, also unwahr ist.

Aquivalenz Seien φ und ψ zwei Aussagen. Dann ist

φ ⇐⇒ ψ

die Aussage (φ =⇒ ψ)∧ (ψ =⇒ φ). Sie ist also genau dann wahr, wenn φ genaudann wahr ist, wenn ψ wahr ist.

Beispiel 1.3.1. Wir konnen jetzt beliebig komplizierte Aussagen formal aufschreiben. Istetwa φ(x) eine Aussage uber Elemente x einer Menge X, so ist

(∀x∈Xφ(x)) =⇒ (¬∃x∈X¬φ(x))

eine Aussage, namlich: Wenn φ(x) fur alle x ∈ X wahr ist, dann existiert kein x, fur dasφ(x) nicht wahr ist. Diese Aussage ist offensichtlich ein Satz.

Bemerkung 1.3.2. Stellen wir uns vor, wir ziehen eine Spielkarte verdeckt aus einemSkatspiel. Sei φ die Aussage, daß die gezogene Spielkarte ein As ist. Jetzt konnen wiruns die Frage stellen, ob

φ ∨ ¬φ

ein Satz, also eine wahre Aussage ist. Nach unserer Definition ist φ ∨ ¬φ wahr, alsobeweisbar, wenn wir einen Beweis fur φ oder einen Beweis fur ¬φ haben. Da wir dieSpielkarte aber verdeckt gezogen haben, haben wir offensichtlich weder einen Beweisdafur, daß die Spielkarte ein As zeigt, noch, daß sie kein As zeigt. Es folgt, daß φ ∨ ¬φkein Satz ist.

Aus der Sicht einer allwissenden Intelligenz ware φ ∨ ¬φ dagegen ein Satz und jedeandere Aussage dieser Form vielleicht auch. In der klassischen Logik wird diese Sichtweiseangenommen3. Wir werden uns diese Sichtweise allerdings nicht zu eigen machen, denndie Wahrheit von φ∨¬φ ware dann bedeutungslos, weil sie nichts fur die Wahrheit von φund fur die Wahrheit von ¬φ impliziert. Unsere Sichtweise ist die der intuistionistischenLogik, welche fur das konstruktive Wesen der Linearen Algebra besser geeignet scheint.

Aufgrund dieser Bemerkung ist folgende Definition sinnvoll:

Definition 1.3.3. Eine Aussage φ heißt entscheidbar, falls

φ ∨ ¬φ

gilt, also ein Satz ist.

3Die Forderung, daß φ ∨ ¬φ ein Satz ist, ist der sogenannte Satz vom ausgeschlossenen Dritten.

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Page 11: Lineare Algebra

1.3 Die Sprache der Logik

Beispiel 1.3.4. Sei X eine Menge. Dann heißt X diskret, wenn die Gleichheit in Xentscheidbar ist, wenn also

∀x,x′∈X (x = x′ ∨ x 6= x′) .

Ist eine Menge entscheidbar, so konnen wir fur je zwei ihrer Elemente x und x′ ent-scheiden, ob sie gleich sind oder nicht gleich sind. Im allgemeinen wird dies aber nichtder Fall sein: Ist etwa X = P(N0) die Menge der Teilmengen naturlicher Zahlen, so istX nicht diskret. Ansonsten hatten wir insbesondere ein Entscheidungsverfahren, ob eineTeilmenge naturlicher Zahlen leer ist oder nicht. Damit ware der tiefe mathematischeSatz, daß

{n ∈ N0 | n ≥ 3 ∧ ∃x,y,z∈Z(x, y, z 6= 0 ∧ xn + yn = zn} = ∅,namlich der Große Fermatsche Satz, eine Trivialitat.

Beispiel 1.3.5. Sei X eine Menge. Eine Teilmenge T von X heiße herauslosbar, falls dieElementbeziehung entscheidbar ist, falls also

∀x∈X (x ∈ T ∨ x /∈ T ) .

Bemerkung 1.3.6. Es gibt eine weitere Aussage, welche in klassischer Logik ein Satzist, in unserer Interpretation allerdings nicht: Wir betrachten wieder das Skatspiel undmischen es verdeckt. Sei φ(x) die Aussage, daß die x-te Karte ein As ist. (Die Variablex steht also fur eine Zahl von 1 bis 32.) Wir stellen uns die Frage, ob

¬∀x¬φ(x) =⇒ ∃xφ(x)

ein Satz ist. Die linke Seite der Implikation ist offensichtlich wahr: wir konnen keinenBeweis dafur angeben, daß jede Karte kein As ist. Die rechte Seite der Implikation istaber unwahr: da wir verdeckt gemischt haben, konnen wir keine einzige Karte nennen,welche ein As ist. Nach Definition der Wahrheit einer Implikation kann die Aussagedamit nicht beweisbar sein, ist also kein Satz.

Aufgabe 1.3.7. Seien φ und ψ Aussagen. Zeige, daß folgende Aussagen Satze sind:

1. φ =⇒ ¬¬φ.

2. (φ =⇒ ψ) =⇒ (¬ψ =⇒ ¬φ).

3. ¬¬¬φ =⇒ ¬φ.

Aufgabe 1.3.8. Seien φ und ψ zwei Aussagen. Zeige, daß

(φ ∨ ψ) =⇒ (¬φ =⇒ ψ)

ein Satz ist. Veranschauliche den Satz an einem Beispiel.

Aufgabe 1.3.9. Sei φ(x) eine Aussage uber Elemente einer Menge X. Zeige, daß

(∀x∈X ¬φ(x)) =⇒ (¬∃x∈X φ(x))

ein Satz ist. Veranschauliche den Satz an einem Beispiel.

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Page 12: Lineare Algebra

1 Grundlagen

1.4 Der Teilmengenverband

Dieser Abschnitt dient hauptsachlich der Definition der bekannten Operationen auf derMenge aller Teilmengen einer gegebenen Menge.

Definition 1.4.1. Sei X eine Menge. Seien T und U zwei Teilmengen von X. Dannheißt T eine Untermenge von U , geschrieben

T ⊂ U,

falls∀x∈X(x ∈ T =⇒ x ∈ U).

Beispiel 1.4.2. Sei X eine Menge. Dann ist die leere Teilmenge

∅ = {x ∈ X | ⊥}

eine Teilmenge von X.Die leere Teilmenge ist Untermenge einer jeder anderen Teilmenge.

Beispiel 1.4.3. Sei X eine Menge. Dann ist die ganze Menge

X = {x ∈ X | >}

eine Teilmenge von X. Es sei beachtet, daß wir das Symbol X hier auf zweierlei Weiseninterpretieren. Einmal als abstrakte Menge und einmal als Teilmenge dieser Menge.

Jede Teilmenge ist Untermenge der ganzen Menge.

Zwei Teilmengen T und U von X sind genau dann gleich, wenn T eine Untermengevon U und U eine Untermenge von T ist. Damit erhalten wir folgendes Beweisprinzip furdie Gleichheit zweier Teilmengen: Es gilt T = U genau dann, wenn wir zeigen konnen,daß

∀x∈X (x ∈ T =⇒ x ∈ U)

und daß∀x∈X (x ∈ U =⇒ x ∈ T ).

Definition 1.4.4. Sei X eine Menge. Seien T und U zwei Teilmengen von X. Dannheißt

T ∩ U := {x ∈ X | x ∈ T ∧ x ∈ U}die Schnittmenge von T und U .

Beispiel 1.4.5. Seien X eine Menge und T eine Teilmenge von X. Dann ist

T ∩ ∅ = ∅.

Definition 1.4.6. Sei X eine Menge. Seien T und U zwei Teilmengen von X. Dannheißt

T ∪ U := {x ∈ X | x ∈ T ∨ x ∈ U}die Vereinigungsmenge von T und U .

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Page 13: Lineare Algebra

1.5 Injektivitat und Surjektivitat

Beispiel 1.4.7. Seien X eine Menge und T eine Teilmenge von X. Dann ist

T ∪X = X.

Definition 1.4.8. Seien X eine Menge und T eine Teilmenge von X. Dann heißt

{T := {x ∈ X | x /∈ T},

wobei x /∈ T fur ¬x ∈ T steht, das Komplement von T .

Beispiel 1.4.9. Sei X eine Menge. Dann sind

{∅ = X

und

{X = ∅.

Bemerkung 1.4.10. Eine Teilmenge T einer Menge X ist genau dann herauslosbar, wennX = T ∪ {T , daher auch die Terminologie.

Aufgabe 1.4.11. Zeige, daß dann gilt: Sei X eine Menge. Seien T , U und V Teilmengenvon X.

1. T ∩ (U ∪ V ) = (T ∩ U) ∪ (T ∩ V ).

2. T ∪ (U ∩ V ) = (T ∪ U) ∩ (T ∪ V ).

3. T ∩ U = T ⇐⇒ T ⊂ U .

4. T ∪ U = T ⇐⇒ U ⊂ T .

1.5 Injektivitat und Surjektivitat

In diesem Abschnitt werden wir uns den Begriff der Abbildungen noch einmal genaueranschauen. Abbildungen konnen namlich von unterschiedlicher Qualitat sein.

Definition 1.5.1. Eine Abbildung f : X → Y heißt injektiv, falls

∀x,x′∈X(f(x) = f(x′) =⇒ x = x′).

Beispiel 1.5.2. Die Quadrierungsabbildung

N0 → N0, n→ n2

ist eine injektive Abbildung, denn jede Quadratzahl ist das Quadrat nur genau einernaturlichen Zahl.

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Page 14: Lineare Algebra

1 Grundlagen

Aufgabe 1.5.3. Seien f : X → Y und g : Y → Z zwei Abbildungen, so daß g ◦ f injektivist. Zeige, daß dann auch f injektiv ist.

Zeige weiter, daß g im allgemeinen nicht auch injektiv sein muß.

Definition 1.5.4. Eine Abbildung f : X → Y heißt surjektiv, falls

∀y∈Y ∃x∈Xf(x) = y.

Beispiel 1.5.5. Die Quadrierungsabbildung

N0 → N0, n→ n2

ist keine surjektive Abbildung, denn es gibt naturliche Zahlen, welche kein Quadrat eineranderen naturlichen Zahl sind.

Aufgabe 1.5.6. Seien f : X → Y und g : Y → Z zwei Abbildungen, so daß g ◦ f surjektivist. Zeige, daß dann auch g surjektiv ist.

Zeige weiter, daß f im allgemeinen nicht auch surjektiv sein muß.

Definition 1.5.7. Eine Abbildung f : X → Y heißt bijektiv oder eine Bijektion, fallssie injektiv und surjektiv ist.

Beispiel 1.5.8. Die Identitat einer jeden Menge X ist eine bijektive Abbildung, eineBijektion.

Kommen wir zu unserem ersten wesentlichen Satz:

Satz 1.5.9. Eine Abbildung f : X → Y ist genau dann bijektiv, falls eine Abbildungg : Y → X mit g ◦ f = idX und f ◦ g = idY existiert.

Da wir behaupten, daß diese Aussage ein Satz ist, mussen wir sie beweisen:

Beweis. Die zu beweisende Aussage ist von der Form φ ⇐⇒ ψ. Wir konnen daherzunachst φ annehmen, um daraus ψ zu beweisen und dann ψ annehmen, um daraus φzu beweisen:

Sei f : X → Y bijektiv. Wir konstruieren eine Abbildung g : Y → X wie folgt: Seiy ∈ Y . Da f surjektiv ist, existiert mindestens ein x ∈ X mit f(x) = y. Da f injektiv ist,ist dieses x eindeutig. Die Abbildung, die jedem y dasjenige x mit f(x) = y zuordnet,nennen wir g. Nach Konstruktion folgt, daß f ◦ g = idY und auch g ◦ f = idX .

Existiere eine Abbildung g : Y → X mit g ◦ f = idX und f ◦ g = idY . Um zu zeigen,daß f injektiv ist, wahlen wir x, x′ ∈ X mit f(x) = f(x′). Anwenden von g auf dieseGleichung liefert x = g(f(x)) = g(f(x′)) = x′ wegen g ◦ f = idX . Die Surjektivitat folgtaus der Tatsache, daß f(g(y)) = y fur alle y ∈ Y , da f ◦ g = idY .

Aufgabe 1.5.10. Sei f : X → Y eine Bijektion. Zeige, daß genau eine Abbildung

f−1 : Y → X

mit f−1 ◦ f = idX und f ◦ f−1 = idY existiert.

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Page 15: Lineare Algebra

1.5 Injektivitat und Surjektivitat

Wir nennen f−1 die inverse Abbildung zu f .

Beispiel 1.5.11. Sei X eine Menge. Dann ist die Identitat idX eine Bijektion, und es gilt

id−1X = idX .

Aufgabe 1.5.12. Seien f : X → Y und g : Y → Z zwei Bijektionen. Zeige, daß auchg ◦ f : X → Z eine Bijektion ist und daß gilt:

(g ◦ f)−1 = f−1 ◦ g−1.

Definition 1.5.13. Sei f : X → Y eine Abbildung. Ist dann T eine Teilmenge von X,so heißt die Teilmenge

f(T ) := {y ∈ Y | ∃x∈T y = f(x)}

von Y das Bild von T unter f .

Es heißt

im f := f(X)

das Bild von f .

Die Abbildung f ist also genau dann surjektiv, falls im f = Y .

Aufgabe 1.5.14. Sei f : X → Y eine Abbildung. Zeige, daß eine Menge Z, eine surjektiveAbbildung p : X → Z und eine injektive Abbildung i : Z → Y mit f = i ◦ p existieren.

(Tip: Betrachte im f .)

Definition 1.5.15. Sei f : X → Y eine Abbildung. Ist dann U eine Teilmenge von Y ,so heißt die Teilmenge

f−1(U) := {x ∈ X | f(x) ∈ U}

das Urbild von U unter f .

Aufgabe 1.5.16. Sei f : X → Y eine Abbildung. Seien T und T ′ zwei Teilmengen von Xund U und U ′ zwei Teilmengen von Y . Zeige, daß gilt:

1. f(T ∩ T ′) ⊂ f(T ) ∩ f(T ′).

2. f(T ∪ T ′) = f(T ) ∪ f(T ′).

3. f−1(U ∩ U ′) = f−1(U) ∩ f−1(U ′).

4. f−1(U ∪ U ′) = f−1(U) ∪ f−1(U ′).

5. f(T ∩ f−1(U)) = f(T ) ∩ U .

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Page 16: Lineare Algebra

1 Grundlagen

1.6 Die Menge der naturlichen Zahlen

In diesem Abschnitt betrachten wir die Menge N0 der naturlichen Zahlen etwas genauer.Diese Menge zeichnet sich durch folgende Eigenschaften aus:

1. Es ist 0 eine naturliche Zahl.

2. Es gibt eine Abbildungs : N0 → N0,

welche jeder naturlichen Zahl ihren Nachfolger zuordnet. (Dies ist also die Abbil-dung n 7→ n+ 1.)

3. Die naturliche Zahl 0 ist nicht Nachfolger einer anderen naturlichen Zahl.

4. Die Nachfolgerabbildung ist injektiv, das heißt, sind die Nachfolger zweier naturli-cher Zahlen gleich, sind die beiden Zahlen selbst gleich.

5. Sei T eine Teilmenge der naturlichen Zahlen, fur die gilt, daß

(0 ∈ T ) ∧ (∀n∈N0n ∈ T =⇒ s(n) ∈ T ).

Dann umfaßt T schon alle naturlichen Zahlen.

Diese funf Eigenschaften heißen auch die Dedekind–Peano-Axiome der naturlichenZahlen

Die Menge der naturlichen Zahlen ist diskret. Sind etwa n und m zwei naturlicheZahlen, so sind sie gleich, wenn n = m = 0 oder wenn n und m Nachfolger ein- undderselben naturlichen Zahl sind. Sie sind ungleich, wenn eine Zahl 0 und die andere einNachfolger ist oder wenn beide Nachfolger verschiedener naturlichen Zahlen sind.

Die bekannten Operationen wie Addition und Multiplikation auf den naturlichenZahlen konnen durch die Nachfolgerabbildung ausgedruckt werden. Die Summe zwei-er naturlicher Zahlen n und m ist zum Beispiel durch

n+m =

{n falls m = 0 und

s(n+ k) falls m = s(k).

gegeben.Das letzte Dedekind–Peano-Axiom heißt auch das Axiom der vollstandigen Indukti-

on. Dieses liefert uns das Beweisprinzip der vollstandigen Induktion: Angenommen wirwollen zeigen, daß eine Aussage φ fur alle naturlichen Zahlen wahr ist. Dazu betrachtenwir die Teilmenge

T := {n ∈ N0 | φ(n)}derjenigen naturlichen Zahlen, auf die φ zutrifft. Um zu zeigen, daß φ fur alle naturlichenZahlen erfullt ist, T also alle naturlichen Zahlen enthalt, mussen wir nach dem Axiomfur die vollstandige Induktion nachweisen, daß 0 die Eigenschaft φ hat und daß derNachfolger einer naturlichen Zahl n die Eigenschaft φ hat, wenn immer auch n dieEigenschaft φ hat.

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Page 17: Lineare Algebra

1.7 Aquivalenzrelationen

Beispiel 1.6.1. Fur eine naturliche Zahl n ∈ N0 ist ihre Fakultat

n! := 1 · 2 · · ·n

das Produkt der naturlichen Zahlen von 1 bis n. (Diese Definition schließt die Spezialfalle0! = 1! = 1 mit ein. Leere Produkte werden immer als 1 definiert.) Wir behaupten, daßfur alle n, k ∈ N0

n · (n− 1) · · · (n− k + 1)

durch k! teilbar ist. Wir schreiben(n

k

):=

n · (n− 1) · · · (n− k + 1)

k!

fur den Quotienten, und nennen ihn den Binomialkoeffizienten n uber k.Den Beweis fuhren wir uber vollstandige Induktion uber n. Der Fall n = 0 heißt

Induktionsanfang. In diesem Fall mussen wir beweisen, daß N := 0 · (−1) · · · (−k + 1)durch k! teilbar ist. Im Falle, daß k = 0, ist aber N = 1 und damit durch k! = 0! = 1teilbar. Im Falle, daß k 6= 0, ist N = 0, und 0 ist durch jede naturliche Zahl teilbar.

Es bleibt, den Induktionsschritt zu vollziehen. Dazu nehmen wir an, daß die Behaup-tung fur ein gewisses n gilt. Wir mussen sie fur s(n) = n + 1 zeigen. Der Fall k = 0ergibt sich wieder durch direkte Rechnung, so daß wir k 6= 0 annehmen konnen. Wirbehaupten, daß

(n+ 1) · n · · · (n− k + 2) = k! ·((

n

k − 1

)+

(n

k

)).

(Nach Induktionsvoraussetzung existieren die Quotienten auf der rechten Seite.) Ausdieser Gleichung, die sich durch elementare Umformung ergibt (Aufgabe!) folgt, daß dielinke Seite durch k! teilbar ist.

Aus dem Beispiel erhalten wir insbesondere folgende Berechnungsvorschrift fur denBinomialkoeffizienten

(nm

):

(n

k

)=

n fur k = 0,

0 fur n = 0 und k 6= 0 und(n−1k−1

)+(n−1k

)fur n 6= 0 und k 6= 0.

Aufgabe 1.6.2. Sei n eine naturliche Zahl. Zeige mittels vollstandiger Induktion, daß

1 + 2 + · · ·+ (n− 1) =n(n− 1)

2=

(n

2

).

1.7 Aquivalenzrelationen

In der Regel werden Elemente von Mengen nicht alleine betrachtet, sondern mit Ele-menten derselben oder anderer Mengen in Beziehung gesetzt. Eine Beziehung zwischen

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Page 18: Lineare Algebra

1 Grundlagen

der Menge der Punkte und der Menge der Geraden in der Ebene ist zum Beispiel dieAussage φ(p, g), daß ein Punkt p auf der Geraden g liegt. Ist die Aussage wahr, liegt derPunkt auf der Geraden; ist sie unwahr, liegt der Punkt nicht auf der Geraden.

Aussagen dieser Art bekommen einen speziellen Namen:

Definition 1.7.1. Seien X und Y Mengen. Eine Relation ∼ zwischen den Mengen Xund Y ist eine Aussage der Form φ(x, y) mit x ∈ X und y ∈ Y . Wir sagen, zwei Elementex ∈ X und y ∈ Y stehen in Relation ∼, geschrieben

x ∼ y,

falls φ(x, y) wahr ist. (Ist ¬φ(x, y) wahr, schreiben wir x 6∼ y.Falls Y = X, sagen wir auch, die Relation ist eine Relation in X.

Beispiel 1.7.2. Die Relation ∈ ist eine Relation zwischen einer Menge X und ihrer Po-tenzmenge P(X).

In diesem Abschnitt interessieren wir uns insbesondere fur spezielle Relationen, namlichdie Aquivalenzrelationen, die mit der nachsten Definition eingefuhrt werden. Der Grundliegt darin, daß sie uns eine Identifikationsvorschrift fur Elemente einer Menge geben.Dies erlaubt es uns, neue Mengen zu konstruieren, in denen die identifizierten Elementenicht mehr unterschieden werden: Sei etwa X die Menge der Punkte auf einer geradenSchnur. Identifizieren wir den einen Endpunkt der Schnur mit ihrem anderen Endpunkt,so bedeutet dies anschaulich, beide Endpunkte miteinander zu verkleben. Wir erhalteneinen Ring.

Definition 1.7.3. Seien X eine Menge und ∼ eine Relation in X.

1. Die Relation ∼ heißt reflexiv, falls

∀x∈X x ∼ x.

2. Die Relation ∼ heißt symmetrisch, falls

∀x,x′∈X (x ∼ x′ =⇒ x′ ∼ x) .

3. Die Relation ∼ heißt transitiv, falls

∀x,x′,x′′∈X ((x ∼ x′ ∧ x′ ∼ x′′) =⇒ x ∼ x′′) .

Schließlich heißt ∼ eine Aquivalenzrelation, falls ∼ reflexiv, symmetrisch und transitivist.

Beispiel 1.7.4. Die Gleichheitsrelation = auf den Elementen einer Menge X ist eineAquivalenzrelation auf dieser Menge.

Beispiel 1.7.5. Sei G die Menge der Geraden in der Ebene. Wir schreiben g ‖ g′, fallsdie Geraden g, g′ ∈ G parallel sind. Dann ist ‖ eine Aquivalenzrelation in G.

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Page 19: Lineare Algebra

1.7 Aquivalenzrelationen

Aufgabe 1.7.6. Sei f : X → Y eine Abbildung. Wir definieren eine Relation ∼ auf X, sodaß x ∼ x′ genau dann, wenn f(x) = f(x′). Zeige, daß ∼ eine Aquivalenzrelation ist.

Definition 1.7.7. Seien X eine Menge und ∼ eine Aquivalenzrelation in X. Fur jedesElement x ∈ X heißt dann

[x] := {x′ ∈ X | x′ ∼ x}die Aquivalenzklasse von x zu ∼.

Jede Teilmenge von X dieser Form heißt einfach eine Aquivalenzklasse zu ∼.Die Menge der Aquivalenzklassen zu ∼ wird mit

X/∼

bezeichnet.

Es sei beachtet, daß die Menge X/∼ eine Teilmenge der Potenzmenge von X ist, alsoein Element von P(P(X)).

Bemerkung 1.7.8. Die Menge X/∼ kommt zusammen mit einer Abbildung

p : X → X/∼, x 7→ [x].

Diese Abbildung hat folgende Eigenschaften:

1. Es ist p surjektiv.

2. ∀x,x′∈X (x ∼ x′ ⇐⇒ p(x) = p(x′)).

Wir konnen uns X/∼ als diejenige Menge vorstellen, die wir erhalten, wenn wir Ele-mente aus X, welche in der Relation ∼ stehen nicht mehr unterscheiden.

Beispiel 1.7.9. Sei G die Menge der Geraden in der Ebene. Dann konnen wir G/‖ alsdie Menge der Richtungen in der Ebene ansehen.

Aufgabe 1.7.10. Sei ∼ eine Aquivalenzrelation in der Menge X. Zeige, daß fur zweiElemente x, x′ ∈ X folgende Aussagen gleichwertig sind:

1. ∃x′′∈X x′′ ∈ [x] ∩ [x′].

2. x ∼ x′.

3. [x] = [x′].

Seien X eine Menge und ∼ eine Aquivalenzrelation in X. Eine Abbildung f von X/∼in eine weitere Menge Y geben wir haufig in der Form

f : X/∼ → Y, [x] 7→ F (x)

an, wobei F (x) ein von x ∈ X abhangiges Element in Y ist. An dieser Stelle mussen wiraber darauf achten, daß die so definierte Abbildung f wohldefiniert ist: Ist x ∼ x′ in X,so bezeichnen [x] und [x′] dasselbe Element in X/∼; sie sind Reprasentanten ein- undderselben Aquivalenzklasse. Damit muß auch f([x]) = f([x′]) gelten. Es folgt, daß wirzur Wohldefiniertheit von f nachrechnen mussen, daß fur den Ausdruck F gilt, daß

∀x,x′∈X (x ∼ x′ =⇒ F (x) = F (x′))

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Page 20: Lineare Algebra

1 Grundlagen

Aufgabe 1.7.11. In der Menge Z×Z der Paare ganzer Zahlen definieren wir die Relation∼ durch die Setzung, daß

∀(n,m),(n′,m′)∈Z×Z ((n,m) ∼ (n′,m′) ⇐⇒ n+m′ = m+ n′) .

Zeige:

1. Es ist ∼ eine Aquivalenzrelation.

2. Es gilt

∀(n,m),(n′,m′) ((n,m) ∼ (n′,m′) ⇐⇒ ∃k,k′∈Z (n+ k,m+ k) = (n′ + k′,m′ + k′)) .

3. Durch(Z× Z)/∼ → Z, [(n,m)] 7→ n−m

wird eine wohldefinierte Bijektion gegeben.

Damit endet dieses Kapitel uber diverse Grundlagen der Mathematik. Weitere grund-legende Dinge werden wir dann an den Stellen einfuhren, an denen wir sie brauchenwerden.

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Page 21: Lineare Algebra

2 Ringe

Die in der Mathematik betrachteten Mengen sind in der Regel nicht einfach nur An-sammlungen von Elementen, sondern tragen weitere Strukturen. (Elemente der Mengeder naturlichen Zahlen konnen wir zum Beispiel addieren und die Addition unterliegtgewissen Gesetzmaßigkeiten, etwa derjenigen, daß n + m = m + n.) Im vorliegendenKapitel werden wir die fur die Lineare Algebra wichtigen Strukturen angeben.

2.1 Monoide

Betrachten wir die Menge M aller Abbildungen X → X einer Menge X in sich selbst.(Ist X zum Beispiel die Menge {1, 2}, so enthalt M genau vier Abbildungen: fur jedesder beiden Elemente mussen wir entscheiden, auf welches der beiden wir es schicken.)

Sind g und g′ zwei Elemente aus M , also zwei Abbildungen, so ist ihre Kompositionwieder eine Abbildung, wir erhalten damit eine Abbildung

M ×M →M, (g, g′) 7→ g ◦ g′.

Diese Abbildung ist in folgendem Sinne assoziativ : Sind g, g′, g′′ ∈M , so gilt

(g ◦ g′) ◦ g′′ = g ◦ (g′ ◦ g′′).

Die Identitat e := idX erfullt die Bedingung

e ◦ g = g = g ◦ e

fur alle g ∈M .Eine Struktur wie sie die Menge M der Bijektionen von X tragt, taucht in der Ma-

thematik universell auf und wird mit dem Namen Monoid belegt:

Definition 2.1.1. Ein Monoid M ist eine Menge M zusammen mit einem ausgezeich-neten Element e, dem neutralen Element und einer Multiplikationsabbildung

· : M ×M →M, (g, g′) 7→ g · g′,

so daß folgende Axiome erfullt sind:

1. Die Operation · ist assoziativ : ∀g,g′,g′′∈M (g · g′) · g′′ = g · (g′ · g′′).

2. Die Operation · hat e als neutrales Element : ∀g∈M e · g = g = g · e.

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Page 22: Lineare Algebra

2 Ringe

Die Monoid M heißt kommutativ, wenn zudem folgendes Axiom erfullt ist:

3. Die Operation · ist kommutativ : ∀g,g′∈M g · g′ = g′ · g.

Um die Bezeichnungen der Operation und des neutralen Elementes anzugeben, wirdhaufig auch (M, ·, e) fur M geschrieben.

Wir konnen die Axiome auch als Rechenregeln fur das Rechnen mit den Operationenin einem Monoid auffassen.

Beispiel 2.1.2. Wir wir gesehen haben, bilden die Abbildungen einer Menge X in sichmit der Verknupfung als Multiplikation in naturlicher Weise ein Monoid.

Beispiel 2.1.3. Die Menge Q der rationalen Zahlen bildet bezuglich der Multiplikationein kommutatives Monoid (Q, ·).

Die Elemente des Monoids der Abbildungen von einer Menge X in sich selbst sindTransformationen von X. Die Multiplikation entspricht der Hintereinanderausfuhrungvon Transformationen, das neutrale Element ist die triviale Transformation, welche garnichts macht.

Ebenso wollen wir fur allgemeinere Monoide denken: ihre Elemente stellen wir unsals abstrakte Transformationen vor, ohne zu sagen, was eigentlich transformiert wird.Das Produkt zweier Monoideelemente ist dann die abstrakte Transformation, welche sichdurch Verknupfung zweier abstrakter Transformationen ergibt.

Abbildungen zwischen zwei Monoiden, also Zuordnungen von einem Satz abstrakterTransformationen zu einem anderen sind dann von großerem Interesse, wenn sie unteranderem die Verknupfungsoperation respektieren, in folgendem Sinne also strukturerhal-tend sind:

Definition 2.1.4. Ein Monoidhomomorphismus φ : M → N von einem Monoid M inein Monoid N ist eine Abbildung φ : M → N , welche folgende Axiome erfullt:

1. Die Abbildung φ respektiert die Multiplikation: ∀g,g′∈M φ(g · g′) = φ(g) · φ(g′).

2. Die Abbildung φ respektiert das neutrale Element: φ(e) = e. (Hierbei bezeichnete auf der linken Seite das neutrale Element in M und auf der rechten Seite dasneutrale Element in N .)

Haufig sprechen wir kurzer auch einfach von einem Homomorphismus oder einemHomomorphismus von Monoiden.

Ein Monoidhomomorphismus erlaubt es uns also, eine Rechnung in M in eine Rech-nung in N zu transformieren.

Beispiel 2.1.5. Sei M ein Monoid. Dann ist die Identitat idM ein Monoidhomomorphis-mus von M in sich selbst.

Beispiel 2.1.6. Seien φ : M → N und ψ : N → P zwei Monoidhomomorphismen zwischenden Monoiden M , N und P . Dann ist auch ψ ◦φ : M → P ein Monoidhomomorphismus.Die Vertraglichkeit mit der Multiplikation ergibt sich zum Beispiel durch

(ψ◦φ)(x ·x′) = ψ(φ(x ·x′)) = ψ(φ(x) ·φ(x′)) = ψ(φ(x)) ·ψ(φ(x′)) = (ψ◦φ)(x) ·(ψ◦φ)(x′)

fur alle x, x′ ∈M .

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Page 23: Lineare Algebra

2.2 Gruppen

Beispiel 2.1.7. Die Quadrierungsabbildung (Q, ·)→ (Q, ·), x 7→ x2 ist ein Monoidhomo-morphismus.

Beispiel 2.1.8. Die Rechenregeln der aus der Analysis bekannten Exponentialfunktionkonnen wir auch dadurch ausdrucken, daß exp: (R,+) → (R, ·) ein Monoidhomomor-phismus ist. Hierbei steht (R,+) fur das Monoid der reellen Zahlen, dessen Multiplika-tionsabbildung die Addition reeller Zahlen ist.

2.2 Gruppen

Erinnern wir uns daran, daß wir Elemente eines Monoids als Transformationen auffassenwollten. Von einigen Transformationen konnen wir sicherlich sagen, daß sie ruckgangiggemacht werden konnen, daß also auch eine Transformation in die umgekehrte Richtungexisitiert. Dies fuhrt auf folgenden Begriff:

Definition 2.2.1. Sei M ein Monoid. Ein Element x ∈ M heißt invertierbar, falls einy ∈M existiert, so daß y · x = e = x · y.

Die Menge der invertierbaren Elemente des Monoides M heißt die EinheitengruppeM× von M .

Beispiel 2.2.2. Sei M ein Monoid. Dann ist e ∈ R invertierbar, denn e = e · e.Aufgabe 2.2.3. Sei M ein Monoid. Zeige, daß mit x, y ∈ M invertierbar auch x · yinvertierbar ist.

Beispiel 2.2.4. Sei M das Monoid der Abbildungen einer Menge X in sich selbst. DieEinheitengruppe M× ist gerade die Menge der Bijektionen von X auf sich selbst.

Das Bilden der Einheitengruppe vertragt sich gut mit Ringhomomorphismen:

Aufgabe 2.2.5. Sei φ : M → N ein Monoidhomomorphismus. Dann ist

φ(M×) ⊂ N×,

das heißt, Bilder invertierbarer Elemente sind invertierbar.

Definition 2.2.6. Ein Monoid M heißt Gruppe, falls M = M×, falls also jedes Elementvon M invertierbar ist.

Einen Monoidhomomorphismus zwischen Gruppen nennen wir auch einen Gruppen-homomorphismus.

Beispiel 2.2.7. Sei M ein Monoid. Die Einschrankung der Multiplikation von M auf M×

macht M× zu einer Gruppe.

Bemerkung 2.2.8. Ist M ein Monoid und x ∈ M× ein invertierbares Element, so folgtaus y · x = e = x · y und y′ · x = e = x · y′ fur y, y′ ∈ M schon, daß y = y′. (Dies sehenwir, indem wir zum Beispiel y′ · x = e mit y von rechts multiplizieren.) Es folgt, daß xein eindeutig bestimmtes Inverses x−1 mit x−1 · x = e = x · x−1 besitzt.

Damit besitzt insbesondere jede Gruppe G eine Inversionsabbildung

(·)−1 : G→ G, x 7→ x−1.

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Page 24: Lineare Algebra

2 Ringe

Eine kommutative Gruppe wird auch abelsche Gruppe genannt. In diesem Falle wirddie Gruppenstruktur meist additiv geschrieben, das heißt die Gruppenmultiplikationwird

+: G×G→ G, (g, g′) 7→ g + g′,

die Inversionsabbildung wird

−(·) : G→ G, g 7→ −g

und das neutrale Element wird 0 geschrieben. Die Multiplikation heißt in diesem FalleAddition, das neutrale Element Null, und die Inversionsabbildung heißt Negation.

Beispiel 2.2.9. Die Bijektionen einer Menge X in sich bilden mit der Verknupfung alsMultiplikation in naturlicher Weise eine Gruppe.

Beispiel 2.2.10. Mit Sn bezeichnen wir Gruppe der Bijektionen der Menge {1, . . . , n} insich selbst. Diese Gruppe heißt die symmetrische Gruppe in n Buchstaben, ihre Elementewerden Permutationen genannt.

Ist σ ∈ Sn eine Permutation, also eine Abbildung {1, . . . , n} → {1, . . . , n}, so notierenwir σ auch durch (

1 2 . . . nσ(1) σ(2) . . . σ(n)

).

Zum Beispiel ist ( 1 2 32 1 3 ) diejenige Permutation in S3, welche 1 und 2 vertauscht und 3

auf sich selbst schickt.

Aufgabe 2.2.11. Zeige, daß die Gruppe Sn genau n! Elemente hat.

Aufgabe 2.2.12. Zeige, daß die Gruppe S2 kommutativ ist, die Gruppen Sn fur n > 2aber nicht.

(Tip: Betrachte ( 1 2 32 1 3 ) und ( 1 2 3

2 3 1 ).)

Beispiel 2.2.13. Die Menge Q× := (Q, ·)× ist die Menge der von Null verschiedenenrationalen Zahlen. Die Inversionsabbildung ist durch x 7→ 1

xgegeben.

Dies ist eine kommutative Gruppe.

Beispiel 2.2.14. Die Menge (Q,+) aller rationalen Zahlen bildet eine abelsche Gruppebezuglich der Addition.

Aufgabe 2.2.15. Zeige, daß auf der zweielementigen Menge

{±1} = {1,−1}

genau eine Struktur einer Gruppe existiert, so daß 1 das neutrale Element wird.

Daß eine Abbildung ein Gruppenhomomorphismus ist, folgt schon aus der Vertraglich-keit mit der Multiplikation:

Hilfssatz 2.2.16. Seien G und H zwei Gruppen. Sei φ : G→ H eine Abbildung mit

∀g,g′∈G φ(g · g′) = φ(g) · φ(g′).

Dann ist φ ein Gruppenhomomorphismus.

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Page 25: Lineare Algebra

2.2 Gruppen

Beweis. Wir zeigen, daß φ das neutrale Element e respektiert: Es ist

φ(e) = φ(e · e) = φ(e) · φ(e).

Multiplizieren wir die Gleichung mit φ(e)−1 von links, erhalten wir

e = φ(e),

wobei e auf der linken Seite fur das neutrale Element von H steht. Es folgt, daß φ dasneutrale Element auf das neutrale Element abbildet.

Gruppenhomomorphismen sind auch mit der Inversenbildung vertraglich:

Hilfssatz 2.2.17. Sei φ : G→ H ein Gruppenhomomorphismus. Dann gilt

∀g∈G φ(g−1) = φ(g)−1.

Beweis. Sei g ∈ G. Dann ist

e = φ(e) = φ(g−1 · g) = φ(g−1) · φ(g).

Multiplikation der Gleichung mit φ(g)−1 von rechts liefert

φ(g)−1 = φ(g−1),

also ist φ mit der Inversenbildung vertraglich.

Aufgabe 2.2.18. Sei G eine Gruppe. Dann ist das neutrale Element schon eindeutig durchdie Multiplikationsabbildung · bestimmt.

(Tip: Anwendung von Hilfssatz 2.2.16 auf idG.)

Aufgabe 2.2.19. Sei n ∈ N0. Auf der Gruppe Sn betrachten wir die Abbildung

sgn: Sn → {±1}, σ 7→∏

1≤i<j≤n

σ(j)− σ(i)

j − i,

Signum genannt. Dabei bezeichnen wir mit∏

1≤i<j≤n . . . das Produkt uber alle Moglich-keiten, i, j ∈ N0 mit 1 ≤ i < j ≤ n zu wahlen.

1. Zeige, daß sgn ein Gruppenhomomorphismus ist.

2. Zeige, daß

sgn

(1 2 . . . n− 1 n2 3 . . . n 1

)= (−1)n+1.

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Page 26: Lineare Algebra

2 Ringe

2.3 Ringe

Bekanntermaßen ist die Mathematik eine Wissenschaft, in der gerechnet wird. Einigeder in der Mathematik bekannten Rechenbereiche sind aus der Schule bekannt, etwa dieMenge Z der ganzen Zahlen oder die Menge R der reellen Zahlen. In dieser Vorlesungwerden wir viele weitere dieser Rechenbereiche kennenlernen. Die gemeinsamen Eigen-schaften dieser Rechenbereiche werden im Begriff des Ringes zusammengefaßt, welcherdurch folgende Definition gegeben ist:

Definition 2.3.1. Ein Ring R ist eine Menge R mit einem ausgezeichneten Element 0,der Null, einem ausgezeichneten Element 1, der Eins, einer Additionsabbildung

+: R×R→ R (x, y) 7→ x+ y,

und einer Multiplikationsabbildung

· : R×R→ R, (x, y) 7→ x · y,

so daß folgende Axiome erfullt sind:

1. Es ist (R,+, 0) eine abelsche Gruppe.

2. Es ist (R, ·, 1) ein Monoid.

3. Die Operation · ist distributiv uber +:

∀x,y,z∈R (x · (y + z) = x · y + x · z ∧ (y + z) · x = y · x+ z · x) .

Der Ring R heißt kommutativ, falls (R, ·, 1) ein kommutatives Monoid ist.

Wir sprechen insbesondere von der additiven Gruppe (R,+, 0) und des multiplikativenMonoids (R, ·, 1) von R.

Die Ringaxiome konnen wir als grundlegende Rechenregeln fur das Rechnen in einemRing ansehen. Aus den Axiomen folgen weitere grundlegende Regeln fur den Umgangmit Ringelementen:

Aufgabe 2.3.2. Sei R ein Ring. Dann ist

∀x∈R 0 · x = 0.

(Tip: 0 = 0 + 0 und Distributivitat.)

Aufgabe 2.3.3. Sei R ein Ring. Dann gilt

∀x,y∈R (−x) · y = −(x · y).

(Tip: Distributivitat und Aufgabe 2.3.2.)

Da eine Theorie ohne Beispiele aber recht witzlos ist, folgen schnell zwei Beispiele:

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Page 27: Lineare Algebra

2.3 Ringe

Beispiel 2.3.4. Der RingZ = {. . . ,−2,−1, 0, 1, . . . }

der ganzen Zahlen ist ein kommutativer Ring.

Beispiel 2.3.5. Ein Ring enthalt Elemente 0 und 1. Es wird allerdings nicht gefordert,daß diese Elemente unterschiedlich sind. Wir konnen also insbesondere Falle mit 0 = 1betrachten. Fur ein beliebiges Ringelement x ∈ R folgt dann, daß

x = 1 · x = 0 · x = 0,

ein solcher Ring enthalt also uberhaupt nur ein Element, namlich 0. Damit ware einsolcher Ring durch die einelementige Menge {0} gegeben. Und in der Tat wird durchdiese Menge ein kommutativer Ring definiert, der Nullring, welcher meist einfach mit 0bezeichnet wird.

Aufgabe 2.3.6. Seien R und S zwei Ringe. Dann wird R × S in kanonischer Weise zueinem Ring.

(Tip: Die Ringstruktur ist durch komponentenweise Zusammensetzung der Ringstruk-tur von R und von S gegeben.)

Aufgabe 2.3.7. SeiR := {0, 1}

eine Menge mit zwei Elementen, genannt 0 und 1. Zeige: Dann existiert genau eineAdditions- und genau eine Multiplikationsabbildung, welche R zu einem kommutativenRing machen, so daß 0 die Null und 1 die Eins dieses Ringes werden.

Dieser Ring wird auch mit F2 bezeichnet.

Wir haben Monoidhomomorphismen als strukturerhaltende Abbildungen zwischenMonoiden kennengelernt. Eine entsprechende Definition gibt es auch fur Abbildungenzwischen Ringen:

Definition 2.3.8. Seien R und S zwei Ringe. Eine Abbildung φ : R → S heißt einRinghomomorphismus, falls sie einen Gruppenhomomorphismus zwischen den additivenGruppen und einen Monoidhomomorphismus zwischen den multiplikativen Monoidenvon R und S induziert.

Bemerkung 2.3.9. Aus Hilfssatz 2.2.16 folgt, daß eine Abbildung φ : R → S zwischenRingen genau dann ein Ringhomomorphismus ist, falls gilt:

∀x,y∈R φ(x+ y) = φ(x) + φ(y),

∀x,y∈R φ(x · y) = φ(x) · φ(y) und

φ(1) = 1.

Beispiel 2.3.10. Sei R ein Ring. Dann ist die Identitat idX ein Ringhomomorphismus.

Aufgabe 2.3.11. Seien φ : R → S und ψ : S → T zwei Homomorphismen von Ringen.Dann ist auch ψ ◦ φ : R→ T ein Ringhomomorphismus.

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Page 28: Lineare Algebra

2 Ringe

Beispiel 2.3.12. Sei R ein Ring. Dann existiert genau ein Ringhomomorphismus φ : Z→R: Es mussen in jedem Falle 0 und 1 auf die Null beziehungsweise Eins von R geschicktwerden. Positive ganze Zahlen sind alle von der Form 1+1+· · ·+1. Nach Definition einesRinghomomorphismus muß diese Zahl auf φ(1)+φ(1)+· · ·+φ(1) geschickt werden. Damitist aber der Wert von φ auch auf den positiven ganzen Zahlen festgelegt. Schließlichnutzen wir fur eine negative ganze Zahl n aus, daß φ(n) = −φ(−n) gelten muß. Esbleibt, sich zu uberlegen, daß das so definierte φ in der Tat ein Ringhomomorphismusist (Aufgabe!).

Beispiel 2.3.13. Sei R ein Ring. Es existiert genau ein Ringhomomorphismus φ : R→ 0,namlich diejenige Abbildung, welche jedes Element aus R auf die Null (also auch dieEins) in R abbildet.

Definition 2.3.14. Ein Homomorphismus φ : R→ S von Ringen heißt ein Isomorphis-mus, falls φ bijektiv ist und die Umkehrfunktion φ−1 : S → R ebenfalls ein Ringhomo-morphismus ist.

Zwei Ringe heißen isomorph, wenn zwischen ihnen ein Ringisomorphismus existiert.

Isomorphismen von Monoiden werden in analoger Weise definiert.

Beispiel 2.3.15. Sei φ : R → S ein bijektiver Homomorphismus von Ringen. Zeige, daßφ schon ein Isomorphismus ist.

(Tip: Um eine Gleichheit nachzurechnen, konnen wir auch zunachst eine injektiveAbbildung auf beide Seiten der Gleichung anwenden und die Bildgleichung beweisen.)

2.4 Korper

Aus der Schule sind uns Rechenbereiche, das heißt Ringe, bekannt, in denen Divisionmoglich ist. Die Division ist die Umkehrung der Multiplikation. Wir betrachten alsowieder die Invertierbarkeit der Multiplikation genauer.

Definition 2.4.1. Sei R ein Ring. Die Einheitengruppe R× von R ist die Einheitengrup-pe des multiplikativen Monoids von R.

Beispiel 2.4.2. Die Einheitengruppe der ganzen Zahlen Z ist

Z× = {1,−1},

denn jede andere ganze Zahl hat kein multiplikatives Inverses, ist also im Sinne derDefinition nicht invertierbar.

Beispiel 2.4.3. Sei R ein Ring, in dem 0 invertierbar ist. Fur alle x ∈ R gilt dann

x = 1 · x = (0−1 · 0) · x = 0−1 · (0 · x) = 0−1 · 0 = 0.

Also sind alle Elemente von R gleich 0. Damit ist R zwangslaufig der Nullring.

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Page 29: Lineare Algebra

2.4 Korper

Wir konnen auch sagen, daß in allen anderen Ringen”nicht durch 0 dividiert werden

darf“. Ringe, in denen ansonsten eine Division beliebig moglich ist, bekommen eineneigenen Namen:

Definition 2.4.4. Ein Schiefkorper K ist ein Ring, dessen Einheitengruppe gerade R \{0} ist, in dem ein Element also genau dann invertierbar ist, wenn es ungleich Null ist.

Ein kommutativer Schiefkorper (das heißt, der zugrundeliegende Ring ist kommutativ)heißt Korper.

Bemerkung 2.4.5. In jedem Schiefkorper gilt also 0 6= 1.

Korper werden die Rechenbereiche sein, mit denen wir es in der Linearen Algebra amhaufigsten zu tun haben. Glucklicherweise sind es auch die, die uns am besten aus derSchule bekannt sind.

Offensichtlich ist Z kein (Schief-)Korper, aber:

Beispiel 2.4.6. Die Menge der rationalen Zahlen Q bildet einen Korper.

Aufgabe 2.4.7. Zeige, daß der Ring F2 aus Aufgabe 2.3.7 ein Korper ist.

Aus denen in der Schule betrachteten Rechenbereichen sind wir es gewohnt, daß

∀x,y (x · y = 0 =⇒ (x = 0 ∨ y = 0)) .

Wir werden aber (kommutative) Ringe kennenlernen, in denen diese Tatsache nicht mehrgilt: es gibt also Falle, in denen das Produkt zweier von Null verschiedener Elemente sehrwohl Null ergibt. Diese wollen wir in vielen Fallen ausschließen; wir definieren daher:

Definition 2.4.8. Ein Integritatsbereich R ist ein kommutativer Ring R, der zusatzlichfolgende Axiome erfullt:

1. Der Ring R ist nicht trivial: 0 6= 1.

2. Ist ein Produkt Null, so auch mindestens ein Faktor:

∀x,y∈R (x · y = 0 =⇒ (x = 0 ∨ y = 0)) .

Aufgabe 2.4.9. Zeige, daß ein kommutativer Ring R genau dann ein diskreter Integritats-bereich ist, wenn folgende Bedingungen erfullt sind:

0 6= 1 und ∀x,y∈R (x · y 6= 0 ∨ x = 0 ∨ y = 0) .

Beispiel 2.4.10. Jeder diskrete Korper K ist ein diskreter Integritatsbereich: Seien etwax, y ∈ K mit x · y = 0. Da K ein diskreter Korper ist, ist x = 0 oder invertierbar.Im Falle, daß x = 0 ist nichts mehr zu zeigen. Im Falle, daß x invertierbar ist, folgty = x−1 · x · y = x−1 · 0 = 0.

Beispiel 2.4.11. Die Menge Z der ganzen Zahlen bildet einen diskreten Integritatsbereich.

Aufgabe 2.4.12. Seien R und S zwei kommutative Ringe mit 0 6= 1. Zeige, daß R×S einkommutativer Ring ist, welcher kein Integritatsbereich ist.

29

Page 30: Lineare Algebra

2 Ringe

Integritatsbereiche sind deswegen von Interesse fur uns, weil sie in kanonischer Weisezu Korpern erweiterbar sind. Dies entspricht der Einfuhrung der Bruche in der Schule,deren Konstruktion wir fur einen beliebigen Integritatsbereich R nachmachen wollen:

Ein Bruch ist bekanntlich durch ein Paar von Zahler und Nenner gegeben, wobeider Nenner eine Zahl ungleich Null ist. Die Menge aller dieser Paare ist die MengeX := R × (R \ {0}). Verschiedene Paare konnen denselben Bruch beschreiben, wirwollen also gewisse Paare miteinander identifizieren (bei den aus der Schule bekanntenBruchen zum Beispiel die Paare (2, 4) und (3, 6)). Dazu definieren wir eine Relation ∼auf X durch

∀(p,q),(p′,q′)∈X ((p, q) ∼ (p′, q′) ⇐⇒ p · q′ = q · p′) .Zum Beispiel ist (p, q) ∼ (up, uq) fur alle u ∈ R \ {0}.

Es folgt sofort aus der Definition, daß diese Relation symmetrisch und reflexiv ist.Sie ist außerdem transitiv, also eine Aquivalenzrelation, wie folgendermaßen eingesehenwerden kann: Seien (p, q), (p′, q′), (p′′, q′′) ∈ X mit (p, q) ∼ (p′, q′) und (p′, q′) ∼ (p′′, q′′),also pq′ = qp′ und p′q′′ = q′p′′. Multiplizieren wir die erste Gleichung mit q′′ und diezweite Gleichung mit q, so erhalten wir pq′q′′ = qp′q′′ = qq′p′′, insbesondere also q′ (pq′′−qp′′) = 0. Jetzt nutzen wir aus, daß q′ 6= 0 und R ein Integritatsbereich ist: wir konnenfolgern, daß pq′′ − qp′′ = 0, also daß (p, q) ∼ (p′′, q′′).

Wir schreiben die Aquivalenzklasse des Paares p, q bezuglich ∼ als Bruch

p

q:= [(p, q)].

Es gilt genau dann pq

= p′

q′, falls u, u′ ∈ R \ {0} mit

(up, uq) = (u′p′, u′q′)

existieren (Warum ist das der Fall?). Diese Regel wollen wir die Kurzungsregel nennen.Die Menge der Aquivalenzklassen (also X/∼) bezeichnen wir mit Quot(R). Die Menge

Quot(R) machen wir durch folgende Definitionen zu einem kommutativen Ring:Die Addition zweier Bruche sei durch

p

q+p′

q′:=

pq′ + qp′

qq′

gegeben. Wir mussen nachrechnen, daß die Addition wohldefiniert ist. Dazu ersetzenwir auf der linken Seite die Bruchdarstellung p

qdurch up

uqmit u ∈ R \ {0}. Die rechte

Seite wird zu upq′+uqp′

uqq′, nach der Kurzungsregel ist dieser Bruch aber gleich dem Bruch

pq′+qp′

qq′. Genauso ist zu uberprufen, daß wir die zweite Bruchdarstellung auf der linken

Seite durch eine aquivalente ersetzen konnen.Auf ahnliche Weise wird nachgerechnet, daß Multiplikation

p

q· p′

q′:=

p p′

qq′

wohldefiniert ist. Die Null sei der Bruch 01. Die Eins sei der Bruch 1

1.

Nachrechnen der Ringaxiome (Aufgabe!) liefert, daß mit diesen Definitionen Quot(R)in der Tat ein kommutativer Ring ist.

30

Page 31: Lineare Algebra

2.5 Polynomringe

Aufgabe 2.4.13. Sei R ein Integritatsbereich. Zeige, daß die Abbildung

ι : R→ Quot(R), x 7→ x

1

ein injektiver Ringhomomorphismus ist.

Vermoge der Abbildung ι werden wir die Elemente aus R mit ihren Bildern unter ιin Quot(R) identifizieren, das heißt, einen Bruch der Form p

1werden wir auch haufig

einfach p schreiben. (Auf ahnliche Weise werden schon in der Schule die ganzen Zahlenmit gewissen rationalen Zahlen identifiziert.) Insbesondere schreiben wir die Null inQuot(R) als 0 und die Eins als 1.

Aufgabe 2.4.14. Sei R ein Integritatsbereich. Zeige: Ist pq∈ Quot(R), so gilt

p

q= 0 ⇐⇒ p = 0.

Bemerkung 2.4.15. Es folgt, daß QuotR diskret ist, wenn R diskret ist.

Hilfssatz 2.4.16. Sei R ein Integritatsbereich. Dann ist Quot(R) ein Korper.

Beweis. Da 0 6= 1 in R, gilt auch 0 6= 1 in Quot(R).Sei weiter p

q∈ Quot(R). Ist p

q6= 0, so gilt insbesondere q 6= 0. Damit ist q

pmultiplika-

tives Inverses zu pq.

Definition 2.4.17. Sei R ein Integritatsbereich. Dann heißt Quot(R) der Quotien-tenkorper von R.

Beispiel 2.4.18. Der Quotientenkorper der ganzen Zahlen ist der Korper Q der rationalenZahlen.

Wir werden spater weitere Integritatsbereiche kennenlernen, so daß die Konstruktiondes Quotientenkorpers viel allgemeiner als die Konstruktion von Q aus Z sein wird.

2.5 Polynomringe

Unser Repertoire an Ringen ist momentan noch sehr klein: Wir kennen den Nullringund den Ring der ganzen Zahlen. Aus letzterem konnen wir den Korper der rationalenZahlen bilden. Außerdem konnen wir das Produkt R×S von Ringen betrachten, die wirschon konstruiert haben.

In diesem Abschnitt werden wir ein weiteres wichtiges Konstruktionsprinzip fur kom-mutative Ringe kennenlernen, der Ubergang zum Polynomring, welcher eventuell schonaus der Schule bekannt ist.

Sei R ein kommutativer Ring. Ein Polynom in x uber R ist ein Ausdruck p der Form

anxn + an−1x

n−1 + · · ·+ a0

31

Page 32: Lineare Algebra

2 Ringe

mit ai ∈ R. Der Ausdruck

0 · xn+1 + anxn + an−1x

n−1 + · · ·+ a0

beschreibe dabei dasselbe Polynom. Das Ringelement ak, k ∈ N0, im obigen Polynomp heißt dabei der k-te Koeffizient von p. Dabei ist ak = 0 fur k > n. Die Menge allerPolynome in x uber R wird mit

R[x]

bezeichnet.

Beispiel 2.5.1. Es ist2x2 + 3x+ 1

ein Polynom uber Z. Die Folge seiner Koeffizienten ist durch 1, 3, 2, 0, . . . gegeben.

Formal ist ein Element aus R[x] durch die Folge seiner Koeffizienten gegeben, alsodurch eine Funktion

a· : N0 → R, k 7→ ak,

fur die gilt, daß ein n ∈ N0 existiert, so daß ak = 0 fur k > n. Die Menge R[x] kannalso als Teilmenge der Menge aller Funktionen N0 → R konstruiert werden. Die letzteBedingung formulieren wir auch so: Fast alle ak sind Null.

Beispiel 2.5.2. Sei R ein kommutativer Ring und a ∈ R ein Ringelement. Dann heißtdas Polynom a, also das Polynom dessen nullter Koeffizient a ist und dessen ubrigeKoeffizienten verschwinden, das konstante Polynom a.

Wir machen R[x] folgendermaßen zu einem kommutativen Ring: Die Addition zweierPolynome sei durch

(anxn + an−1x

n−1 + · · ·+ a0) + (a′nxn + a′n−1x

n−1 + · · ·+ a′0)

:= (an + an′)xn + · · ·+ (a0 + a′0)

gegeben. (Wir konnen durch Auffullen mit Nullmonomen 0·xk von links immer erreichen,daß beide Polynome diese Gestalt haben.) Die Multiplikation definieren wir uber dieDistributivitat, Assoziativitat und die Vorschrift, daß

xn · xn′ = xn+n′ .

Beispiel 2.5.3. In Z[x] ist

(2x2 +1) ·(x3−3x) = 2 ·x2 ·x3−6 ·x2 ·x+x3−3x = 2x5−6x3 +x3−3x = 2x5−5x3−3x.

Die Null ist das Nullpolynom 0 und die Eins das Einspolynom 1. Daß so in der Tatein kommutativer Ring definiert wird, das Nachrechnen der Ringaxiome also, ist eineleichte Aufgabe.

Definition 2.5.4. Sei R ein kommutativer Ring. Dann heißt R[x] der Polynomring inder Variablen x uber R.

32

Page 33: Lineare Algebra

2.5 Polynomringe

Aufgabe 2.5.5. Sei R ein kommutativer Ring. Dann ist R[x] genau dann ein (diskreter)Integritatsbereich, falls R ein (diskreter) Integritatsbereich ist.

Beispiel 2.5.6. Ist R ein Integritatsbereich, konnen wir also insbesondere den Korper

R(t) := Quot(R[t])

definieren. Dieser Korper heißt der Korper der rationalen Funktionen in der Variablen tuber R. Elemente dieses Korpers sind also Bruche der Form p

q, wobei p und q Polynome

in t uber R mit q 6= 0 sind.

Beispiel 2.5.7. Die Konstruktion des Polynomrings konnen wir iterieren. Ist R ein kom-mutativer Ring, so schreiben wir

R[x1, . . . , xn] := R[x1][x2] . . . [xn].

Elemente im Polynomring R[x1, . . . , xn] in den Variablen x1, . . . , xn sind also formaleSummen von formalen Produkten der xi mit Ringelementen aus R.

Um Homomorphismen aus Polynomringen besser verstehen zu konnen, benotigen wirnoch eine weitere Definition:

Definition 2.5.8. Sei R ein kommutativer Ring. Eine R-Algebra S ist ein Ring S zu-sammen mit einer Wirkung · : R× S → S von R auf S, welche folgende Axiome erfullt:

1. Die Eins 1R aus dem Ring R wirkt trivial : ∀y∈S 1R · y = y.

2. Die Wirkung von R auf S erfullt das Assoziativitatsgesetz : ∀x,x′∈R∀y∈S x · (x′ · y) =(x · x′) · y.

3. Die Wirkung vonR auf S ist mit der Multiplikation von S vertraglich: ∀x∈R∀y,y′∈S x·(y · y′) = (x · y) · y′.

4. Die Wirkung von R auf S ist distributiv : ∀x,x′∈R∀y∈S (x+ x′) · y = x · y+ x′ · y und∀x∈R∀y,y′∈S x · (y + y′) = x · y + x · y′.

5. Die Wirkung von R auf S vertauscht mit der Multiplikation auf S:

∀x∈R∀y,y′∈S y · (x · y′) = x · (y · y′)

.

Bemerkung 2.5.9. Sei S eine Algebra uber dem kommutativen Ring R. Dann wird durch

λ : R→ S x 7→ x · 1S

ein Homomorphismus von Ringen definiert, fur den

∀x∈R,y∈S λ(x) · y = y · λ(x).

Umgekehrt definiert jeder Homomorphismus R→ S von Ringen vermoge der Setzung

∀x∈R,y∈S x · y = λ(x) · y

die Struktur einer R-Algebra auf S.

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Page 34: Lineare Algebra

2 Ringe

Ist x ∈ R und sprechen wir von dem Element x ∈ S, so meinen wir damit das Elementx · 1S.

Definition 2.5.10. Sei R ein kommutativer Ring. Seien S und S ′ zwei R-Algebren.Ein Homomorphismus φ : S → S ′ von R-Algebren ist ein Ringhomomorphismus fur denzusatzlich gilt, daß

∀x∈R,y∈S φ(x · y) = x · φ(y).

Ein solcher Algebrenhomomorphismus heißt haufig auch nur Homomorphismus uberR.

Beispiel 2.5.11. Jeder kommutative Ring R ist in naturlicher Weise eine Algebra ubersich selbst: Die Wirkung · : R×R→ R von R auf R sei einfach gleich der Multiplikati-onsabbildung.

Beispiel 2.5.12. Sei S ein beliebiger Ring. Wir erinnern daran, daß ein eindeutiger Ring-homomorphismus Z→ S existiert, fur den außerdem gilt, daß

∀n∈Z,y∈S n · y = y · n.

Damit konnen wir jeden Ring in naturlicher Weise als Z-Algebra auffassen. Insbesonderekonnen wir jede ganze Zahl n auch als Element in S auffassen.

Ist n die kleinste naturliche Zahl großer als Null, so daß n = 0 in S, sagen wir,der Ring S habe Charakteristik n. Der Nullring hat Charakteristik 1, der Ring F2 ausAufgabe 2.3.7 hat Charakteristik 2.

Gilt fur alle naturlichen Zahlen n großer als Null, daß n 6= 0 in S, sagen wir, daß derRing S habe Charakteristik 0. Der Ring Z der ganzen Zahlen hat Charakteristik 0.

Aufgabe 2.5.13. Sei R ein Ring. Zeige, daß R auf hochstens eine Weise zu einer kommu-tativen Q-Algebra werden kann.

Zeige, daß im Falle, daß R ein Schiefkorper ist, R genau dann Charakteristik Null hat,wenn R die Struktur einer Q-Algebra erlaubt.

Beispiel 2.5.14. Sei R ein kommutativer Ring. Der Ringhomomorphismus R → R[x],welcher jedes Element a ∈ R auf das konstante Polynom a ∈ R[x] abbildet, macht R[x]in naturlicher Weise zu einer R-Algebra. Wenn nichts weiter dazu gesagt wird, fassenwir in Zukunft einen Polynomring uber R immer auf diese Art und Weise als R-Algebraauf.

Polynome konnen wir auf Elemente anderer Ringe folgendermaßen abbilden:

Hilfssatz 2.5.15. Sei R ein kommutativer Ring. Sei S eine R-Algebra. Ist dann y ∈ Sirgendein Element, so existiert genau ein Homomorphismus

y∗ : R[x]→ S

von R-Algebren, welcher x auf y abbildet.

34

Page 35: Lineare Algebra

2.5 Polynomringe

Beweis. Sei y∗ : R[x] → S der zu definierende Ringhomomorphismus. Ist dann p =anx

n + · · · + a0 ∈ R[x], muß aufgrund der Axiome fur einen Algebrenhomomorphismusoffensichtlich

y∗(p) = any∗(x)n + · · ·+ a1y

∗(x) + a0 = anyn + · · ·+ a1y + a0

gelten. Es folgt, daß y∗ auf genau eine Weise definiert werden kann, namlich durchErsetzen von x durch y im Polynom und Anwenden der Rechenoperationen in S.

Bemerkung 2.5.16. Ist f ∈ R[x], so schreiben wir auch

f(y) := y∗(f).

Wir nennen y∗ einen Einsetzungshomomorphismus oder die Auswertung an der Stelle y.Im Spezialfall S = R erhalten wir fur ein festes Polynom f ∈ R[x] durch Variation

von a ∈ R eine Abbildungf(·) : R→ R, a 7→ f(a).

Diese Abbildung ist die f zugehorige Polynomfunktion.

Beispiel 2.5.17. Sei R ein kommutativer Ring und p ∈ R[x] ein Polynom in der Variablenx. Dann ist p(y) ∈ R[y] das Polynom in y, welches dieselbe Koeffizientenfolge wie p hat.

Beispiel 2.5.18. Sei f = x2 + 4 ∈ Z[x]. Dann ist

f(3) = 32 + 4 = 9 + 4 = 13.

Bemerkung 2.5.19. Den Einsetzungshomomorphismus konnen wir auf Polynome in meh-reren Variablen verallgemeinern: Ist f ∈ R[x1, . . . , xn] ein Polynom uber dem kommuta-tiven Ring und sind a1, . . . , an Elemente in R, so ist f(a1, . . . , an) dasjenige Element inR, welches wir erhalten, wenn wir die xi in R durch die ai ersetzen, also

f(a1, . . . , an) = f(an)(an−1) · · · (a1)

unter der Beziehung R[x1, . . . , xn] = R[x1] · · · [xn].

Aufgabe 2.5.20. Sei φ : R[x] → S ein Homomorphismus von R-Algebren. Zeige, daßgenau ein y ∈ S mit φ = y∗ existiert.

(Tip: Es ist y = φ(x).)

Bemerkung 2.5.21. Die Angabe eines Homomorphismus R[x] → S von R-Algebren istalso aquivalent zur Angabe eines Elementes in S, namlich des Bildes von x.

Diese Tatsache konnen wir auf Polynomringe in mehreren Variablen verallgemeinern:Ist φ : R[x1, . . . , xn]→ S ein Homomorphismus von R-Algebren, so ist dieser schon durchdie Angabe der Bilder der xi unter φ festgelegt. Sind umgekehrt y1, . . . , yn Elemente inS, so existiert genau ein Homomorphismus

y∗ : R[x1, . . . , xn]→ S,

welcher xi auf yi fur i ∈ {1, . . . , n} schickt.

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Page 36: Lineare Algebra

2 Ringe

Definition 2.5.22. Sei p ∈ R[x] ein Polynom uber einem kommutativen Ring R. EinElement a ∈ R heißt Nullstelle von p, falls p(a) = 0.

Beispiel 2.5.23. Das Polynom x2 − 4 uber Z hat zwei Nullstellen, namlich 2 und −2.Das Polynom x2 + 4 uber Z hat gar keine Nullstelle.

Satz 2.5.24. Sei p ∈ R[x] ein Polynom uber dem kommutativen Ring R. Ist dann a ∈ Reine Nullstelle von p, so existiert ein Polynom q ∈ R[x] mit

p = (x− a) · q.

Beweis. Das Polynom p(x+a) hat 0 als Nullstelle. Es folgt, daß der konstante Koeffizientvon p(x+a) gleich Null sein muß, daß wir also p(x+a) = x·r(x) fur ein weiteres Polynomr schreiben konnen. Setzen wir x − a fur x ein, erhalten wir p(x) = (x − a) · r(x − a).Wir konnen also q = r(x− a) setzen.

Aufgabe 2.5.25. Es gibt kommutative Ringe R und Polynome f, g ∈ R[x] mit f 6= g, sodaß die zugehorigen Polynomfunktionen f(·) und g(·) ubereinstimmen.

(Tip: R = F2, f = x2 + x.)

Wir mussen also immer zwischen einem Polynom und der zugehorigen Polynomfunk-tion unterscheiden!

Aufgabe 2.5.26. Sei R ein diskreter Integritatsbereich. Der Grad1 deg f eines Polynomsf ∈ R[x] ist durch folgende Setzungen eindeutig definiert:

deg(anxn + · · ·+ a0) := n

falls an 6= 0 und

deg 0 =∞.

Zeige, daß unter der Konvention, daß∞+n =∞ = n+∞ fur alle naturlichen Zahlenn, folgt, daß

∀f,g∈R[x] deg(f · g) = deg f + deg g.

(Wo wird gebraucht, daß R ein diskreter Integritatsbereich ist?)

Aufgabe 2.5.27. Sei p ∈ R[x] ein Polynom uber einem diskreten Integritatsbereich R.Zeige, daß p hochstens deg p Nullstellen hat.

(Tip: Satz 2.5.24.)

1Wir ordnen dem Nullpolynom den Grad ∞ zu. Einige Mathematiker ordnen dem Nullpolynom auchden Grad −∞ zu.

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Page 37: Lineare Algebra

2.6 Ideale

2.6 Ideale

Schließlich kommen wir zum vorerst letzten Prinzip, Ringe zu konstruieren. Dazu benoti-gen wir zunachst eine Definition fur spezielle Teilmengen von Ringen:

Definition 2.6.1. Sei R ein Ring. Eine Teilmenge I von R heißt (beidseitiges) Ideal vonR, falls sie folgende Eigenschaften erfullt:

1. Die Teilmenge enthalt die Null: 0 ∈ I.

2. Die Teilmenge ist abgeschlossen bezuglich der Addition: ∀x,y∈I x+ y ∈ I.

3. Die Teilmenge ist abgeschlossen bezuglich Multiplikation mit beliebigen Ringele-menten: ∀x∈I,a∈R (a x ∈ I ∧ x a ∈ I).

Die folgende Aufgabe liefert ein gutes Kriterium, um nachzurechnen, ob eine Teilmengeeines kommutativen Ringes ein Ideal ist:

Aufgabe 2.6.2. Seien R ein kommutativer Ring und I eine Teilmenge von R. Dann ist Igenau dann ein Ideal von R, falls

∃x x ∈ I

und

∀a∈R∀x,y∈I ax+ y ∈ I.

Beispiel 2.6.3. Die Menge 2Z der geraden ganzen Zahlen bildet ein Ideal in Z. Fur dieMenge der ungeraden ganzen Zahlen gilt dies jedoch nicht, da ein ganzzahliges Vielfacheseiner ungeraden ganzen Zahl im allgemeinen nicht mehr ungerade ist.

Beispiel 2.6.4. Sei R ein Ring. Dann ist die Teilmenge {0} ein Ideal von R, das Nullidealvon R.

Beispiel 2.6.5. Sei R ein Ring. Dann ist der gesamte Ring R ein Ideal in R, das Einsidealvon R.

Ist I ein Ideal von R, welches eine Einheit x von R enthalt, so folgt fur alle a ∈ R,daß

a = (a · x−1) · x ∈ I.Damit ist schon I = R, es ist I also das Einsideal von R. Insbesondere ist ein Ideal dasEinsideal, wenn 1 ∈ I.

Beispiel 2.6.6. Sei R ein kommutativer Ring. Sei x ∈ R ein Ringelement. Dann heißt

(x) := {a · x | a ∈ R},

also die Teilmenge aller Vielfachen von x, das von x erzeugte Hauptideal.Die Teilmenge x ist in der Tat ein Ideal von R. Jedes Ideal dieser Form heißt allgemein

Hauptideal.Das Einsideal eines kommutativen Ringes ist das Hauptideal (1), das Nullideal das

Hauptideal (0).Die Teilmenge der geraden ganzen Zahlen ist das Hauptideal (2) in Z.

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Page 38: Lineare Algebra

2 Ringe

Aufgabe 2.6.7. Sei R ein kommutativer Ring.

1. Ein Element x ∈ R ist genau dann invertierbar, falls (x) = (1).

2. Sei R ein diskreter kommutativer Ring. Dann ist R genau dann ein Korper, wenner genau zwei Hauptideale hat, namlich das Null- und das Einsideal.

Beispiel 2.6.8. Wir konnen den Begriff des Hauptideals auch auf mehr als nur einenErzeuger ausweiten: Seien x1, . . . , xn Elemente aus einem kommutativen Ring R. Dannist

(x1, . . . , xn) := {a1 · b1 + . . .+ an · xn | ai ∈ R}

ein Ideal in R, das von den x1, . . . , xn erzeugte Ideal.Ein Ideal aus R, welches von dieser Form ist, heißt endlich erzeugt.

Gegeben ein Ring R und ein Ideal I, konnen wir in R eine Relation ≡I einfuhren, diedadurch gegeben ist, daß

∀x,y∈R (x ≡I y ⇐⇒ x− y ∈ I) .

Zwei Elemente stehen also genau dann in Relation ≡I , wenn ihre Differenz aus I ent-halten ist. Aus der Tatsache, daß 0 ∈ I folgt, daß die Relation reflexiv ist. Da I unterNegation abgeschlossen ist, ist die Relation symmetrisch. Aus der Abgeschlossenheit vonI unter der Addition folgt schließlich, daß die Relation auch transitiv ist. Es ist ≡I alsoeine Aquivalenzrelation auf R.

MitR/I := R/≡I

bezeichnen wir die Aquivalenzklassen von ≡I . Die Aquivalenzklasse von x ∈ R bezeich-nen wir mit [x]I , oder einfacher mit [x].

Beispiel 2.6.9. Die Menge Z/(2) enthalt genau zwei Elemente: Dem Element [0] ent-spricht die Menge der geraden ganzen Zahlen, dem anderen [1] die Menge der ungeradenganzen Zahlen.

Wir konnen R/I wie folgt zu einem Ring machen: Seien x, y ∈ R zwei Elemente. Danndefinieren wir die Addition ihrer Restklassen durch

[x] + [y] := [x+ y].

Die Multiplikation ist durch[x] [y] = [x y]

gegeben. Schließlich ist die Null [0] und die Eins [1].Die Wohldefiniertheit der Operationen folgt aus den Idealaxiomen. Fur die Multipli-

kation rechnen wir sie exemplarisch teilweise nach: Sei d ∈ I. Wir wollen zeigen, daß[(x+ d) · y] = [x · y], daß also

(x+ d) · y − x · y = d · y ∈ I.

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Page 39: Lineare Algebra

2.6 Ideale

Dies folgt aber aus der Abgeschlossenheit von I unter Multiplikation mit beliebigenRingelementen (hier y).

Daß R/I mit den so definierten Operationen die Ringaxiome erfullt, folgt unmittelbaraus der Tatsache, daß R die Ringaxiome erfullt.

Definition 2.6.10. SeienR ein Ring und I ein Ideal inR. Dann heißtR/I der Faktorringvon R nach I.

Nach Definition ist die naturliche Abbildung

π : R→ R/I, x 7→ [x]

ein Ringhomomorphismus. (Genau genommen ist die gewahlte Ringstruktur auf R/I dieeinzige, bezuglich der π ein Ringhomomorphismus ist.) Dieser Ringhomomorphismusmacht R/I in naturlicher Weise zu einer R-Algebra, falls R ein kommutativer Ringist. Ist der kommutative Ring R selbst eine A-Algebra, so wird R/I ebenfalls zu einerA-Algebra.

Beispiel 2.6.11. Sei R ein Ring. Dann ist R/(1) der Nullring.

Wenn wir in Zukunft in Ringen der Form R/I rechnen, schreiben wir haufig ein Ele-ment [x]I mit x ∈ R einfach als x, das heißt wir unterscheiden ein Element aus R undsein Bild unter π : R→ R/I nicht in der Notation. Da π ein Ringhomomorphismus ist,gelten alle Rechnungen in R auch in R/I. Zusatzlich haben wir in R/I weitere Rechen-regeln: Es gilt x = 0 in R/I, falls x ∈ I. (Im Hauptsatz des letzten Satzes haben wir xals Element in R/I aufgefaßt, im Nebensatz als Element aus R.) Aus dieser Regel folgtx = x′ in R/I, falls x− x′ ∈ I, denn x = x′ ⇐⇒ x− x′ = 0.

Beispiel 2.6.12. Sei R ein kommutativer Ring. Sei n ∈ N0. Im Ring A := R[x]/(xn+1)ist das Element 1− x invertierbar, und zwar gilt in A, daß:

(1− x)−1 = 1 + x+ · · ·+ xn,

denn

(1 + x+ · · ·+ xn) (1− x) = (1 + x+ · · ·+ xn)− (x+ x2 + · · ·+ xn+1) = 1− xn+1 = 1

in A.

Bemerkung 2.6.13. Seien R und S zwei Ringe, und sei I ein Ideal in R. Wir betrachtenRinghomomorphismen ψ : R/I → S. Verknupfen wir einen solchen Ringhomorphismusmit der naturlichen Surjektion π : R→ R/I, so erhalten wir einen Ringhomomorphismusφ := ψ ◦ π : R→ S. Umgekehrt konnen wir ψ aus φ zuruckgewinnen, denn es gilt

ψ : R/I → S, [x] 7→ φ(x).

Aufgrund der Forderung nach Wohldefiniertheit ist ψ aber nicht beliebig. Sind x, x′ ∈ Rmit x ≡I x′, also x − x′ ∈ I, so muß φ(x) = φ(x′) gelten. Das ist gleichbedeutend mitder Tatsache, daß phi(d) = 0 fur alle Elemente d ∈ I.

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Page 40: Lineare Algebra

2 Ringe

Wir erhalten also eine umkehrbare Beziehung zwischen den RinghomomorphismenR → S, welche die Elemente aus I auf Null abbilden, und den Ringhomomorphismenvon R/I → S. Wir konnen dies auch so ausdrucken: Ein Ringhomomorphismus R/I → Sist ein solcher Ringhomomorphismus R → S, welcher die zusatzlichen Rechenregeln inR/I, namlich d = 0 fur alle d ∈ I, erfullt.

Aufgabe 2.6.14. Seien R und S zwei Ringe und sei I das von den Elementen x1, . . . , xn ∈R erzeugte Ideal in R. Zeige, daß eine im Sinne der Bemerkung umkehrbare Beziehungzwischen den Ringhomomorphismen R → S, welche die xi auf Null abbilden, und denRinghomomorphismen R/I → S existiert.

Aufgabe 2.6.15. Seien R ein Ring und S eine R-Algebra. Seien f 1, . . . , fm ∈ R[x1, . . . , xn]Polynome in n Variablen uber R. Zeige, daß jede Familie y1, . . . , yn von Elementen in Smit

f 1(y1, . . . , yn) = · · · = fm(y1, . . . , yn) = 0

in naturlicher Weise einen Homomorphismus

y∗ : R[x1, . . . , xn]/(f 1, . . . , fm)→ S

von R-Algebren definiert un daß umgekehrt jeder Homomorphismus

R[x1, . . . , xn]/(f 1, . . . , fm)→ S

von R-Algebren von der Form y∗ ist.

(Tip: Setze xi 7→ yi und wende Aufgabe 2.6.14 an.)

Aufgabe 2.6.16. Seien R ein Integritatsbereich und a ∈ R \ {0}. Nach Aufgabe 2.6.15existiert genau ein Homomorphismus

R[a−1] := R[x]/(ax− 1)→ Quot(R)

von R-Algebren, welcher x auf 1a

schickt.

Zeige, daß dieser Homomorphismus injektiv ist und daß sein Bild durch

A :={ p

an∈ Quot(R) | p ∈ R, n ∈ N0

}gegeben ist.

(Tip zur Injektivitat: Fur alle b0, . . . , bn ∈ R gilt die Gleichheit

n∑k=0

bkxk = (1− ax) ·

n−1∑k=0

(k∑l=0

blak−l

)xk +

(n∑k=0

bkan−k

)xn

in R[x].)

40

Page 41: Lineare Algebra

2.7 Hauptidealringe

2.7 Hauptidealringe

In der Linearen Algebra sind neben Korpern Ringe die der folgenden Klasse angehorenam wichtigsten:

Definition 2.7.1. Ein diskreter Integritatsbereich R heißt Bezoutscher Bereich, fallsjedes seiner endlich erzeugten Ideale ein Hauptideal ist.

Ein Bezoutscher Bereich R, fur den gilt, daß fur jede aufsteigende Folge

(x0) ⊂ (x1) ⊂ (x2) ⊂ . . .

von Hauptidealen in R ein n ∈ N0 mit (xn) = (xn+1) existiert, heißt Hauptidealring.

Bemerkung 2.7.2. Ist R ein Bezoutscher Bereich, so existiert fur jede endliche Mengex1, . . . , xn ∈ R von Elementen insbesondere ein d ∈ R mit (d) = (x1, . . . , xn). Ein solchesd heißt ein großter gemeinsamer Teiler der x1, . . . , xn.

Beispiel 2.7.3. Jeder diskrete Korper ist ein Hauptidealring.

Um nachzuweisen, daß ein Integritatsbereich ein Hauptidealring ist, ist folgende starke-re Eigenschaft von Interesse: Ein Integritatsbereich R heißt euklidischer Ring, falls ereine Norm

|·| : R→ N0 ∪ {∞}besitzt, welche folgende Eigenschaften hat:

1. |0| =∞.

2. ∀a,b∈R |a · b| ≥ |b|.

3. Der Ring R erlaubt Division mit Rest:

∀a,b∈R∃q,r∈R (a = q · b+ r ∧ (|r| < |b| ∨ r = 0)) .

Bemerkung 2.7.4. Ist R ein euklidischer Ring mit der Norm |·|, so folgt sogar, daß

∀x∈R (x = 0 ⇐⇒ |x| =∞) .

Um das zu sehen, schreiben wir x = 0 · q + r mit |r| < |b| ∨ r = 0. Es muß offensichtlichr = x gelten, also |x| < ∞ ∨ x = 0. Damit ist jeder euklidische Ring diskret, dennwir konnen anhand der Norm feststellen, ob die Differenz zweier Elemente Null ist odernicht.

Beispiel 2.7.5. Der Ring Z der ganzen Zahlen ist mit der Norm

|·| : Z→ N0 ∪ {∞}, n 7→

n fur n > 0,

−n fur n < 0 und

∞ fur n = 0

ein euklidischer Ring.

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Page 42: Lineare Algebra

2 Ringe

Beispiel 2.7.6. Auch im Polynomring uber einem diskreten Korper K konnen wir Di-vision mit Rest bezuglich des Grades als Norm durchfuhren. Es folgt, daß K[x] eineuklidischer Ring ist, wenn wir als Norm den Grad wahlen.

Aufgabe 2.7.7. Definiere auf der Menge Z[i] := Z× Z die Struktur eines kommutativenRinges, so daß die Addition durch

(x, y) + (x′, y′) = (x+ x′, y + y′),

und die Multiplikation durch

(x, y) · (x′, y′) = (x · x′ − y · y′, x · y′ + x′ · y)

fur (x, y), (x′, y′) ∈ Z[i] gegeben ist.Zeige, daß dieser Ring ein euklidischer Ring ist.(Tip: Fur (x, y) 6= 0 setze |(x, y)| := a2 + b2.)

Hilfssatz 2.7.8. Ein euklidischer Ring R ist ein Hauptidealring.

Beweis. Sei I = (x1, . . . , xn) ein endlich erzeugtes Ideal von R. Wir mussen zeigen, daßein d ∈ R mit I = (d) existiert. Es reicht, den Fall zu beweisen, daß I von zwei Elementenerzeugt ist, etwa I = (x, y). Wir konnen weiter davon ausgehen, daß x 6= 0 und y 6= 0.Sei ohne Einschrankung |x| ≥ |y|. Ist x ∈ (y) sind wir fertig, dann ist namlich I = (y).Ansonsten werden wir zeigen, daß x′, y′ ∈ R mit I = (x′, y′) und |x′| , |y′| < |x| existieren.Dann wiederholen wir den Prozeß mit x′ und y′ anstelle von x und y. Dieser Prozeß mußirgendwann zu einem Abschluß kommen, weil die kleinste Norm 0 ist.

Zur Konstruktion von x′, y′: Wir schreiben x = q · y + y′ fur q, y′ ∈ R. Da wir denFall x ∈ (y) schon behandelt haben, konnen wir davon ausgehen, daß y′ 6= 0. Damit ist|y′| < |y|. Wir setzen x′ := y und erhalten I = (x, y) = (x′, y′). Damit wissen wir, daß Rzumindest ein Bezoutscher Bereich ist.

Sei weiter(x0) ⊂ (x1) ⊂ (x2) ⊂ . . .

eine Folge von Hauptidealen in R. Es folgt, daß a0, a1, a2, . . . ∈ R mit xi = ai · xi+1

existieren. Damit ist |x0| ≥ |x1| ≥ |x2| ≥ · · ·. Es folgt, daß ein n ∈ N0 mit |xi| = |xi+1|existiert.

Wir schreibenxi+1 = q · xi + r = q · ai · xi+1 + r

mit q ∈ R und r = 0 oder |r| < |xi|. Es folgt, daß

|r| = |(1− q · a) · xi+1| ≥ |xi+1| = |xi| .

Damit muß also r = 0, also (xi) = (xi+1) gelten.

Beispiel 2.7.9. Der Ring Z der ganzen Zahlen ist ein Hauptidealring. Die endlich erzeug-ten Ideale von Z sind

(0), (1), (2), (3), . . . .

42

Page 43: Lineare Algebra

2.7 Hauptidealringe

Aufgabe 2.7.10. Bestimme ein d ∈ Z mit (d) = (492, 396).

Beispiel 2.7.11. Sei K ein diskreter Korper. Dann ist der Polynomring K[t] ein diskreterHauptidealring.

Aufgabe 2.7.12. Bestimme einen großten gemeinsamen Teiler der Polynome x3 + 1 undx6 + x5 + x4 + x3 in F2[x].

Aufgabe 2.7.13. Zeige, daß Z[x] kein Bezoutscher Bereich ist.(Tip: Betrachte das Ideal (x, 2).)

Faktorringe von Hauptidealringen R nach endlich erzeugten Idealen sind also alle vonder Form R/(a) mit a ∈ R. Je nach a sind dieser von unterschiedlicher Gestalt. Fur unssind unzerlegbare a von Interesse:

Definition 2.7.14. Sei R ein Ring. Ein Element a ∈ R heißt unzerlegbar, falls

a /∈ R× ∧ ∀u,v∈R(a = u · v =⇒ (u ∈ R× ∨ v ∈ R×)

).

Beispiel 2.7.15. Die unzerlegbaren Elemente im Ring Z der ganzen Zahlen sind diePrimzahlen 2, 3, 5, . . . und ihre Negationen −2,−3,−5, . . ..

Hilfssatz 2.7.16. Sei R ein Hauptidealring. Fur ein a ∈ R \ {0} gilt dann: Ist dasElement a unzerlegbar, so ist der Faktorring R/(a) ein Korper. Ist umgekehrt R/(a) eindiskreter Korper, so ist a unzerlegbar.

Beweis. Sei a unzerlegbar. Dann ist a keine Einheit, also (a) 6= (1), also R/(a) nicht derNullring. Um zu zeigen, daß R/(a) ein Korper ist, bleibt zu zeigen, daß [x] mit x /∈ (a)ein Inverses in R/(a) besitzt. Dazu betrachten wir I := (a, x). Es ist I ein Ideal von R,also I = (d) fur ein d ∈ R. Aus a ∈ I folgt, daß a = u ·d fur ein u ∈ R. Da a unzerlegbarist, ist u eine Einheit oder d eine Einheit. Wegen x ∈ I existiert außerdem ein v ∈ Rmit x = v · d.

Ist u ein Einheit, so ist x = v · d = v · u−1 · a, ein Widerspruch zu x /∈ (a). Damit mußd ein Einheit sein. Also ist I = (1). Damit existieren r, s ∈ R mit 1 = r · a+ s · x, also

s · x = 1− r · a.

Es folgt, daß [s] ein Inverses zu [x] ist.Sei umgekehrt R/(a) ein diskreter Korper, insbesondere also nicht der Nullring. Damit

ist a keine Einheit. Sei a = u · v. Wir mussen zeigen, daß u oder v eine Einheit ist. Ist[u] 6= 0, also u ∈ (a), so existiert ein r ∈ R mit u = r ·s = r ·u·v. Da R als Hauptidealringein Integritatsbereich ist, folgt, daß r · v = 1, daß also v eine Einheit ist.

Anderfalls ist [u] = 0, also u /∈ (a). Damit besitzt [u] ein Inverses in R/(a), etwa[s] ∈ R/(a). Damit existiert ein t ∈ R mit 1 = s · u+ t · a = (s+ t · v) · u. Es folgt, daßu invertierbar ist.

Bemerkung 2.7.17. IstR ein euklidischer Ring und a ∈ R\{0} ein unzerlegbares Element,so ist R/(a) ein diskreter Korper: Wir mussen uns dazu uberlegen, warum die Tatsache,daß [u] = 0 in R/(a), also u ∈ (a) fur ein u ∈ R entscheidbar ist. Dazu fuhren wirDivision mit Rest durch: u = q · a+ r. Im Falle von r = 0 ist u ∈ (a). Andernfalls habenwir |r| < |a|, woraus folgt, daß u kein Vielfaches von a sein kann, also u /∈ (a).

43

Page 44: Lineare Algebra

2 Ringe

Beispiel 2.7.18. Sei p ∈ N ein Primzahl. Dann heißt

Fp := Z/(p)

der Korper mit p Elementen. In der Tat hat Fp genau p Elemente, namlich [0], [1], . . . , [p−1]. Nach dem Hilfssatz ist Fp außerdem ein Korper.

Aufgabe 2.7.19. SeiR ein Hauptidealring. Sei a ∈ R\{0} zerlegbar, das heißt, es existierenu, v ∈ R mit a = u · v, so daß weder u noch v eine Einheit ist.

Zeige, daß R/(a) kein Integritatsbereich ist.(Tip: Betrachte [u] und [v].)

Uber dem Korper Q der rationalen Zahlen betrachten wir das Polynom x2 − 2. Wirfragen, ob dieses Polynom eine Nullstelle in Q besitzt, das heißt, ob eine rationale Zahlt ∈ Q mit t2−2 = 0 existiert. Angenommen, das ist der Fall. Dann ist t = p

qmit p, q ∈ Z

und q 6= 0. Es folgt, daß p2

q2= 2, also

p2 = 2q2.

Diese Gleichung kann in den ganzen Zahlen aber keine Losung haben, wie an der Prim-faktorzerlegung beider Seiten zu sehen: Auf der linken Seite muß der Primfaktor 2 miteinem geraden Exponenten auftauchen, auf der rechten Seite mit einem ungeraden. (Diesist der Beweis der Irrationalitat von

√2.)

Wir konnen uns fragen, ob wir Q zu einem Korper erweitern konnen, der eine Losungvon x2 − 2 = 0 besitzt, in dem also eine Quadratwurzel von 2 existiert. Eine solcheErweiterung wird durch folgendes Beispiel geliefert:

Beispiel 2.7.20. Seien K ein diskreter Korper und p ∈ K[x] ein unzerlegbares Polynom.Dann ist L := K[x]/(p) ein diskreter Korper und

K → L, t 7→ [t]

eine injektiver Ringhomomorphismus. Wir konnen den Korper L also als eine Erweite-rung von K auffassen. In diesem Sinne werden wir die Elemente von K mit ihren Bildernin K[x]/(p) identifizieren. Insbesondere konnen wir p(y) ∈ K[y] auch als ein Element inL[y] auffassen.

Es hat p(y) in L eine Nullstelle, namlich x, denn p(x) = 0 in L.Ist p von der Form p = xn − t mit t ∈ K, so schreiben wir fur das Bild von x in L

auch n√t und fur L einfach K( n

√t).

Es ist K( n√t) also eine Korpererweiterung von K, in der t eine n-te Wurzel besitzt.

Aufgabe 2.7.21. Seien K ein diskreter Korper und d ∈ K. Es sei d kein Quadrat in K.Zeige, daß das Polynom x2 − d in K[x] unzerlegbar ist.

Zeige weiter, daß

K ×K → K(√

2), (x, y) 7→ x+ y ·√

2

eine Bijektion ist.

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Page 45: Lineare Algebra

2.7 Hauptidealringe

Aufgabe 2.7.22. Schreibe (1− 2√

2)−1 ∈ Q(√

2) in der Form a+ b√

2 mit a, b ∈ Q.

Damit sind wir am Ende dieses Kapitels angekommen. Wir haben eine Reihe vonverschiedenen Korpern kennengelernt, z.B. Q,Fp,Q(

√2),Fp(t), . . ., uber denen wir die

Lineare Algebra in den folgenden Kapiteln anwenden konnen.

Bemerkung 2.7.23. Wir erinnern außerdem an den inzwischen aus der Analysis bekann-ten

”Korper“ R. Wir haben Korper deswegen in Anfuhrungszeichen gesetzt, weil fur den

kommutativen Ring der reellen Zahlen nur gilt, daß

∀x∈R(x /∈ R× =⇒ x = 0

).

Einen kommutativen Ring, welcher dieses Axiom zusatzlich erfullt, wollen wir Restklas-senkorper nennen. Fur einen Ring, fur den fur jedes Element entscheidbar ist, ob es eineEinheit ist oder nicht, fallen die Begriffe Restklassenkorper und Korper zusammen. ImFalle von R konnen wir diese Voraussetzung allerdings nicht machen.

45

Page 46: Lineare Algebra

2 Ringe

46

Page 47: Lineare Algebra

3 Lineare Gleichungssysteme

3.1 Lineare Gleichungssysteme und Matrizen

Stellen wir uns vor, wir mochten eine Losung von 500 g 40-prozentigen Alkohols herstel-len. Zur Verfugung haben wir Losungen von 20-prozentigen und 80-prozentigen Alkohol.Wir fragen uns, welche Mengen dieser Losungen wir mischen mussen, um die gewunschteMenge der gewunschten Losung zu erhalten. Sei etwa x die benotigte Menge in Grammder 20-prozentigen Losung und y die benotigte Menge in Gramm der 40-prozentigenLosung. Wir erhalten folgende Gleichungen:

x+ y = 500

20 · x+ 80 · y = 40 · 500 = 20000.

Im folgenden wollen Gleichungssysteme dieser Art untersuchen, welche wir lineareGleichungssysteme nennen werden. Insbesondere werden wir die Struktur der Losungs-mengen und die Verfahren zur Losung dieser Gleichungssysteme angeben.

Aufgabe 3.1.1. Nehmen wir an, wir haben Losungen von p-prozentigen und q-prozentigenAlkohols. Daraus wollen wir eine Mischung von d Gramm z-prozentigen Alkohols herstel-len, wobei p ≤ z ≤ q. Berechne, wieviel Gramm des p-prozentigen mit wieviel Grammdes q-prozentigen Alkohols zusammengemischt werden muß.

Sei R ein kommutativer Ring. Unter einem linearen Gleichungssystem L in den Va-riablen x1, . . . , xm uber R verstehen wir ein Gleichungssystem der Form

A11 · x1 + A1

2 · x2 · · · + A1m · xm = c1

A21 · x1 + A2

2 · x2 · · · + A2m · xm = c2

......

...An1 · x1 + An2 · x2 · · · + Anm · xm = cn

mit A11, . . . , A

nm ∈ R und c1, . . . , cn ∈ R.

Eine Losung dieses Gleichungssystems ist dann durch Elemente b1, . . . , bn ∈ R gege-ben, so daß die Gleichungen erfullt werden, wenn wir bi fur xi setzen.

Aufgabe 3.1.2. Sei R ein diskreter Integritatsbereich. Seien p0, . . . , pn, q0, . . . , qn ∈ R.Zeige, daß die Menge aller Polynome f ∈ R[x] vom Grad n mit f(pi) = qi fur i ∈{0, . . . , n} durch die Losungen eines linearen Gleichungssystems gegeben sind.

Zeige, daß dieses Gleichungssystem im Falle, daß R ein Korper ist und daß pi 6= pj furi 6= j, eindeutig losbar ist.

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Page 48: Lineare Algebra

3 Lineare Gleichungssysteme

Zunachst entwickeln wir einen Formalismus, mit dem wir diese linearen Gleichungssy-steme in etwas kompakterer Form schreiben konnen. Dazu stellen wir zunachst fest, daßdas Gleichungssystem L durch die n ·m Elemente A1

1, . . . , Anm ∈ R und die n Elemente

c1, . . . , cn festgelegt ist. Die ersten n ·m Elemente fassen wir folgendermaßen zusammen:

Definition 3.1.3. Sei R ein kommutativer Ring. Seien n,m ∈ N0. Eine Matrix A uberR mit n Zeilen und m Spalten oder eine (n×m)-Matrix uber R ist ein Schema der Form

A11 A1

2 · · · A1m

A21 A2

2 · · · A2m

......

. . ....

An1 An2 · · · Anm

mit A1

1, . . . , Anm ∈ R. Die Matrix A kurzen wir auch haufig mit (Aij) ab.

Die Menge der Matrizen uber R mit n Zeilen und m Spalten bezeichnen wir mit Rnm.

Matrizen mit genau einer Spalte heißen Spaltenvektoren, Matrizen mit genau einerZeile heißen Zeilenvektoren. Wir schreiben

Rn := Rn1 und Rm := R1

m

fur die Menge der Spaltenvektoren mit n Zeilen, beziehungsweise fur die Menge derZeilenvektoren mit m Spalten.

Beispiel 3.1.4. Sei A = (Aij) ∈ Rnm eine Matrix. Dann heißt

A> :=

A11 · · · An1

......

A1m · · · Anm

∈ Rmn

die Transponierte von A. Diese entsteht also aus A durch Spiegelung an der Diagonalen(von oben links nach unten rechts).

Um Platz zu sparen, konnen wir einen Spaltenvektor der Forma1

a2

...an

,

wobei die ai irgendwelche Elemente in einem kommutativen Ring R sind, also auch als(a1 · · · an

)>schreiben.

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Page 49: Lineare Algebra

3.1 Lineare Gleichungssysteme und Matrizen

Beispiel 3.1.5. Sei R ein kommutativer Ring. Dann heißen die Matrizen0 · · · 0...

. . ....

0 · · · 0

mit n Zeilen und m Spalten Nullmatrizen. Speziell werden wir auch von Nullvektorensprechen. Wenn aus dem Zusammenhang die Zeilen- und Spaltenanzahlen klar sind,schreiben wir einfach 0 fur die Nullmatrizen.

Beispiel 3.1.6. Sei R ein kommutativer Ring. Seien n,m ∈ N0. Uber dem PolynomringA := R[x1

1, . . . , xnm] in n ·m Variablen gibt es eine naturliche Matrix mit n Zeilen und m

Spalten, namlich namlich

x :=

x11 · · · x1

m...

. . ....

xn1 · · · xnm

.

Diese Matrix heißt auch die universelle Matrix mit n Zeilen und m Spalten uber R.Wir weisen auf den Spezialfall m = 1 hin: Uber dem Polynomring A := R[x1, . . . , xn]

gibt es den naturlichen Spaltenvektor

x :=(x1 · · · xn

)>.

Beispiel 3.1.7. Sei R ein kommutativer Ring. Dann heißt fur i ∈ {1, . . . , n} der Spalten-vektor

ei :=

0...010...0

∈ Rn,

wobei die 1 in der i-ten Zeile steht, der i-te Einheitsvektor. Wir setzen außerdem

ei := e>i .

Beispiel 3.1.8. Seien R ein kommutativer Ring und A = (Aij) ∈ Rnm eine Matrix. Fur

jede Zeile i0 ∈ {1, . . . , n} erhalten wir einen Zeilenvektor

Ai0 := (Ai0j )j =(Ai01 · · · Ai0n

),

und fur jede Spalte j0 ∈ {1, . . . ,m} erhalten wir einen Spaltenvektor

Aj0 := (Aij0)i =

(A1j0· · · Anj0

)>.

Diese Vektoren nennen wir die i0-te Zeile und die j0-te Spalte der Matrix A.

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Page 50: Lineare Algebra

3 Lineare Gleichungssysteme

Dies konnen wir verallgemeinern: Seien I := {i1 < . . . < ip} eine endliche Teilmengevon {1, . . . , n} und J := {j1 < . . . < jq} eine endliche Teilmenge von {1, . . . ,m}. Dannheißt

AIJ :=

Ai1j1· · · Ai1jq

......

Aipj1· · · A

ipjq

∈ Rpq

eine Untermatrix von A. Fur den Fall, daß I := {1, . . . , i0 − 1, i0 + 1, . . . , n} und J :={1, . . . , j0 − 1, j0 + 1, . . . ,m} schreiben wir auch

Abı0b0 := AIJ .

Beispiel 3.1.9. Indem wir Zeilen und Spalten einer Matrix permutieren, erhalten wirneue Matrizen: Sei etwa A ∈ Rn

m fur einen kommutativen Ring R. Sind dann σ ∈ Sn

und τ ∈ Sm, so setzen wir

Aστ :=

Aσ(1)τ(1) · · · A

σ(1)τ(m)

.... . .

...

Aσ(n)τ(1) · · · A

σ(n)τ(m)

∈ Rnm.

Beispiel 3.1.10. Sind A ∈ Rnm und B ∈ Rn

k zwei Matrizen uber einem kommutativenRing R mit derselben Zeilenanzahl, so erhalten wir durch Aneinanderfugen der Zeilenvon A und B eine neue Matrix

(A|B) ∈ Rnm+k.

Sind A ∈ Rnm und B ∈ Rl

m zwei Matrizen mit derselben Spaltenanzahl, so erhaltenwir durch Aneinanderfugen der Spalten von A und B eine neue Matrix(

AB

)∈ Rn+l

m .

Beispiel 3.1.11. Schließlich konnen wir Matrizen unter Ringhomomorphismen φ : R→ Szwischen kommutativen Ringen abbilden: Sei A ∈ Rn

m eine Matrix. Dann heißt

φ(A) :=

φ(A11) · · · φ(A1

m)...

. . ....

φ(An1 ) · · · φ(Anm)

das Bild von A unter φ.

Wir haben oben geschrieben, daß wir den Begriff der Matrix eingefuhrt haben, umlineare Gleichungssysteme besonders kompakt schreiben zu konnen. Dazu fehlt noch dieDefinition des Produktes einer Matrix mit einem Spaltenvektor:

Ist R ein Ring, A = (Aij) eine Matrix uber R mit n Zeilen und m Spalten und istb = (bi) ein Spaltenvektor uber R mit m Zeilen, so nennen wir den Spaltenvektor

A · b :=

A11 · b1 + · · ·+ A1

m · bm...

An1 · b1 + · · ·+ Anm · bm

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Page 51: Lineare Algebra

3.1 Lineare Gleichungssysteme und Matrizen

uber R mit n Zeilen das Produkt der Matrix A mit dem Spaltenvektor b. (Offensichtlichergabe diese Definition keinen Sinn, wenn die Anzahl der Spalten von A nicht der Anzahlder Zeilen von b entsprache.)

Um die auftretenden Summen kurzer schreiben zu konnen, treffen wir folgende Ver-einbarung: Ist u = (ui) ∈ Rn ein Zeilenvektor mit n Spalten und v = (vi) ∈ Rn einSpaltenvektor mit ebenso vielen Zeilen, so definieren wir

ui · vi := u1 · v1 + · · ·+ un · vn,

das heißt uber gleichlautende Paare von Spalten- und Zeilenindizes wird automatischsummiert1. Unter Beachtung der Tatsache, daß beliebige Matrizen durch Festhalteneiner Zeile beziehungsweise Spalte Zeilen- und Spaltenvektoren liefern, konnen wir denSpaltenvektor A · b auf folgende Weise kompakt schreiben:

A · b = (Aijbj)i.

Beispiel 3.1.12. Seien R ein kommutativer Ring und A ∈ Rnn. Dann ist

A · ej = Aj.

die j-te Spalte von A.

Aufgabe 3.1.13. Berechne das Produkt2x −1 0

−3x2 + 2 0 −12x2 x3 − x −3x1 0 0

· x−2x2

uber dem Polynomring Z[x].

Ist A = (Aij) und c = (ci), so konnen wir unser Gleichungssystem L von oben damitin der Form

A · x = c

schreiben. Unter dem Losen des Gleichungssystems ist folgendes gemeint: Fur welcheErsetzungen der xi durch Elemente aus R wird diese Gleichung wahr?

Aufgabe 3.1.14. Gib alle Losungen des linearen Gleichungssystems(t t−1 0

1− t t2 −1

)· x =

(0

(1− t)−1

)uber dem Korper Q(t) an.

Aufgabe 3.1.15. Sei φ : R → S ein Homomorphismus kommutativer Ringe. Seien weiterA ∈ Rn

m und c ∈ Rn. Zeige dann: Ist b ∈ Rm eine Losung des Gleichungssystems A ·x = cuber R, so ist φ(b) eine Losung des Gleichungssystems φ(A) · x = φ(c) uber S.

1Diese Konvention ist auch unter dem Namen Einsteinsche Summenkonvention bekannt.

51

Page 52: Lineare Algebra

3 Lineare Gleichungssysteme

Permutationen der Matrixeintrage andern ein Gleichungssystem nur unwesentlich:

Aufgabe 3.1.16. Sei R ein kommutativer Ring. Seien weiter A ∈ Rnm und c ∈ Rn.

Zeige, daß dann fur jedes Paar σ ∈ Sn und τ ∈ Sm von Permutationen gilt, daß derSpaltenvektor b ∈ Rm genau dann eine Losung von A · x = b ist, wenn bτ eine Losungvon Aστ · x = cσ ist.

Bemerkung 3.1.17. Seien R ein kommutativer Ring, A ∈ Rnm eine Matrix und c ∈ Rn

ein Spaltenvektor. Das Losen des Gleichungssystems A ·x = c konnen wir auch wie folgtinterpretieren:

Im Polynomring S := R[x1, . . . , xm] ist die GleichungA·x = c im allgemeinen sicherlichnicht erfullt, denn auf der linken Seite tauchen die Variablen xj auf, auf der rechten Seiteallerdings nicht. Wir konnen jedoch folgende Beobachtung machen: Sei

g = (gi) := A · x− c =

A11 · x1 + · · ·+ A1

m · xm − c1

...An1 · b1 + · · ·+ Anm · xm − cn

∈ Sn.Dann ist g ein Spaltenvektor, dessen Eintrage gi ∈ S jeweils Polynome in den xj sind.Das ursprungliche Gleichungssystem ist durch g1 = · · · = gn = 0 gegeben. Mit A · x− cbezeichnen wir das von den g1, . . . , gn erzeugte Ideal in S. Der Quotientenring

T := S/(A · x− c)

ist derjenige kommutative Ring, welchen wir aus S erhalten, wenn wir die Rechenregelng1 = · · · = gn = 0 hinzufugen. Die naturliche Abbildung R→ S → T , welche jedes a ∈ Rauf die Aquivalenzklasse des konstanten Polynoms schickt, macht T zu einer R-Algebra.Nach Aufgabe 2.6.15 ist die Angabe eines Homomorphismus’ φ : T → R von R-Algebrengleichbedeutend mit der Angabe von Elementen b1, . . . , bm in R mit g1(b1, . . . , bm) =· · · = gn(b1, . . . , bm) = 0, also mit den Losungen b = (bj) des Gleichungssystems.

Wir erhalten damit: Die Losungen des Gleichungssystems A ·x = c stehen in umkehr-barer Beziehung mit den Homomorphismen

R[A · x = c] := R[x1, . . . , xm]/(A · x− c)→ R

von R-Algebren Damit konnen wir das Studium von A · x = c auch als Studium desQuotientenringes R[A · x = c] auffassen.

Aufgabe 3.1.18. Sei L das lineare Gleichungssystem

7x+ 3y = 4

−14x− 6y = −8

uber dem Korper Q der reellen Zahlen. Gib einen Ringisomorphismus

Q[z]→ Q[L]

an.

52

Page 53: Lineare Algebra

3.2 Matrizen spezieller Form

3.2 Matrizen spezieller Form

Um allgemeine lineare Gleichungssysteme zu losen, werden wir sie in den folgendenAbschnitten in lineare Gleichungssysteme mit speziellen Formen transformieren. Daßein lineares Gleichungssystem eine spezielle Form hat, heißt dabei, daß die definierendeMatrix von spezieller Form ist:

Definition 3.2.1. Sei R ein kommutativer Ring. Sei A = (Aij) ∈ Rnm eine Matrix uber

R.

1. Gilt n = m, so heißt A eine quadratische Matrix.

2. Ist A eine quadratische Matrix mit Aij = 0 fur i 6= j, so heißt A eine Diagonalma-trix.

3. Ist A die Diagonal-Matrix mit Aii = 1 fur alle i, so heißt A die Einheitsmatrix.

4. Gilt Aij = 0 fur i > j, so heißt A eine obere Dreiecksmatrix.

5. Gilt Aij = 0 fur i < j, so heißt A eine untere Dreiecksmatrix.

6. Ist A eine quadratische Dreiecksmatrix mit Aii = 1 fur alle i, so heißt A unipotenteDreiecksmatrix.

Beispiel 3.2.2. Die Matrix 1 0 0x 1 0y z 1

ist eine unipotente untere Dreiecksmatrix uber dem kommutativen Ring Z[x, y, z].

Satz 3.2.3. Sei R ein kommutativer Ring. Sei A ∈ Rnn eine unipotente untere Drei-

ecksmatrix. Dann hat das lineare Gleichungssystem A · x = c mit c ∈ Rn genau eineLosung.

Beweis. Die i-te Gleichung des Gleichungssystems ist durch

Ai1 · x1 + · · ·+ Aii−1 · xi−1 + xi = ci

gegeben. Auflosen nach xi liefert also

xi = ci − Ai1 · x1 − · · · − Aii−1 · xi−1.

Damit ist die i-te Gleichung bei gegebenen x1, . . . , xi−1 fur genau einen Wert von xi

erfullt. Es folgt, daß es genau eine Losung gibt: x1 ist durch die erste Gleichung, namlichx1 = c1 festgelegt, x2 durch diesen Wert von x1 und die zweite Gleichung, etc.

Bemerkung 3.2.4. Eine entsprechende Aussage gilt naturlich auch fur unipotente obereDreiecksmatrizen.

53

Page 54: Lineare Algebra

3 Lineare Gleichungssysteme

Aufgabe 3.2.5. Gib die Losung des linearen Gleichungssystems1 0 02 1 06 3 1

· x =

236

uber dem Ring Z/(8) an.

Definition 3.2.6. Sei R ein kommutativer Ring mit 0 6= 1. Wir sagen, daß eine obereDreiecksmatrix A = (Aij) ∈ Rn

m in Stufenform vom Rang r mit 0 ≤ r ≤ n,m ist, falls

∀1≤i≤r Aii ∈ R× und ∀ r<i≤n

1≤j≤mAij = 0.

Eine obere Dreiecksmatrix in Stufenform vom Rang r ist also von der Form

A11 ∗ · · · · · · · · · · · · ∗

0. . . . . .

......

. . . . . . . . ....

0 · · · 0 Arr ∗ · · · ∗0 · · · · · · · · · · · · · · · 0...

...0 · · · · · · · · · · · · · · · 0

,

wobei die Aii invertierbare Elemente in R sind und die ∗ fur beliebige Elemente stehen.

Satz 3.2.7. Sei R ein kommutativer Ring mit 0 6= 1. Sei A ∈ Rnm eine obere Drei-

ecksmatrix in Stufenform vom Rang r. Sei c ∈ Rn. Fur das lineare GleichungssystemA · x = c gilt dann:

1. Gilt (cr+1, . . . , cn)> = 0, so besitzt das lineare Gleichungssystem fur jede Wahlvon (br+1

0 , . . . , bm0 )> ∈ Rm−r genau eine Losung b ∈ Rm mit (br+1, . . . , bm)> =(br+1

0 , . . . , bm0 )>.

2. Gilt (cr+1, . . . , cn)> 6= 0, so hat das lineare Gleichungssystem keine Losung.

Beweis. Die letzten n− r Zeilen des linearen Gleichungssystems A · x = c lauten 0 = ci

fur i ∈ {r + 1, . . . , n}. Daher muß zwangslaufig (cr+1, . . . , cn)> = 0 gelten, soll dasGleichungssystem ein Losung haben. Wir konnen uns im folgenden daher auf diesen Fallbeschranken.

Die ubrigen r Zeilen des Gleichungssystems sehen wie folgt aus: Ist i ∈ {1, . . . , r}, solautet die i-te Gleichung:

Aii · xi + Aii+1 · xi+1 + · · ·+ Aim · xm = ci.

Da Aii in R invertierbar ist, ist diese Gleichung zu

xi = − 1

Aii· (Aii+1 · xi+1 + · · ·+ Aim · xm)

54

Page 55: Lineare Algebra

3.3 Produkte

aquivalent. Damit ist die i-te Gleichung bei gegebenen xi+1, . . . , xm fur genau einen Wertvon xi erfullt. Es folgt, daß es bei gegebenen xr+1, . . . , xm genau eine Losung gibt: xr istdurch die r-te Gleichung festgelegt, xr−1 durch diesen Wert von xr und die (r − 1)-teGleichung, etc.

Folgerung 3.2.8. Seien R ein kommutativer Ring mit 0 6= 1 und A ∈ Rnn eine qua-

dratische obere Dreiecksmatrix in Stufenform mit Maximalrang, das heißt mit Rang n.Dann besitzt die Gleichung A · x = c fur beliebiges c ∈ Rn genau eine Losung.

Aufgabe 3.2.9. Gib die Losungen des linearen Gleichungssystems1 0 −1√−1

0√−1 0 1

0 0 −2 3

· x =

02√−1−5

uber dem Korper Q(

√−1) an.

Aufgabe 3.2.10. Berechne alle Losungen des linearen Gleichungssystems(a b c0 d e

)· x =

(fg

)uber dem Ring Z[a, b, c, d, e, f, g, a−1, d−1] an.

3.3 Produkte

Sei R ein kommutativer Ring. Sei ein lineares Gleichungssystem

B · x = y

mit B ∈ Rml und y ∈ Rm in x gegeben. Stellen wir uns vor, daß der Spaltenvektor y

selbst Losung eines anderen Gleichungssystems

A · y = c

mit A ∈ Rnm und c ∈ Rn ist. Daraus erhalten wir das Gleichungssystem

A · (B · x) = c.

Ausgeschrieben lautet dieses Gleichungssystem L dann

Aij · (Bjk · x

k) = ci,

mit i ∈ {1, . . . , n}. Dies motiviert folgende Definition:Die Matrix A ·B ∈ Rn

k mit

A ·B := (Aij ·Bjk)ik ∈ Rn

k

55

Page 56: Lineare Algebra

3 Lineare Gleichungssysteme

heißt das Produkt der Matrizen A und B. (Dieses Produkt ist eine Verallgemeinerungdes Produktes zwischen einer Matrix mit einem Vektor. Auch hier ist wichtig, daß dieMatrix A genauso viele Spalten wie B Zeilen besitzt.)

Damit ist das Gleichungssystem L dann wieder ein lineares, namlich:

(A ·B) · x = c.

Beispiel 3.3.1. Uber dem Ring Z[x, y, z] gilt:x y z1 2 30 −1 0

·2 0

1 10 5

=

2x+ y y + 5z4 17−1 −1

Beispiel 3.3.2. Sei R ein kommutativer Ring. Fur A ∈ Rn

m ist damm

ei · A = Ai,

die i-te Zeile von A.

Beispiel 3.3.3. Sei R ein kommutativer Ring. Seien A ∈ Rnm, B ∈ Rn

k und C ∈ Rln. Dann

ist

C · (A|B) = (C · A|C ·B) ∈ Rlm+k.

Beispiel 3.3.4. Sei R ein kommutativer Ring. Seien A ∈ Rnm, B ∈ Rl

m und C ∈ Rmk .

Dann ist (AB

)· C =

(A · CB · C

)∈ Rn+l

k .

Aufgabe 3.3.5. Zeige, daß das Produkt von Matrizen im folgenden Sinne assoziativ ist:Seien A ∈ Rn

m, B ∈ Rmk und C ∈ Rk

l drei Matrizen uber einem kommutativen Ring R.Dann ist

A · (B · C) = (A ·B) · C.

Folgere daraus, daß die Menge Rnn der quadratischen Matrizen der Große n uber R

durch das Produkt von Matrizen als Multiplikationsabbildung und durch die Einheits-matrix als neutrales Element zu einem Monoid wird.

Das neutrale Element in diesem Monoid wird in der Regel als I geschrieben.

Aufgabe 3.3.6. Seien R ein kommutativer Ring mit 0 6= 1 und n > 0. Zeige, daß dasMonoid Rn

n keine Gruppe ist.

(Tip: Betrachte die Nullmatrix.)

Aufgabe 3.3.7. Seien R ein kommutativer Ring mit 0 6= 1 und n > 1. Zeige, daß dasMonoid Rn

n nicht kommutativ ist.

(Tip: Lose zunachst den Fall n = 2.)

56

Page 57: Lineare Algebra

3.4 Determinanten

Aufgabe 3.3.8. Sei R ein kommutativer Ring. Sei

N :=

0 1 0 · · · 0...

. . . . . . . . ....

.... . . . . . 0

.... . . 1

0 · · · · · · · · · 0

∈ Rnn.

Berechne die PotenzenNk := N · · ·N︸ ︷︷ ︸

k-mal

der Matrix fur k ∈ N0. (Die nullte Potenz ist per definitionem die Einheitsmatrix.)

Hilfssatz 3.3.9. Sei R ein kommutativer Ring. Ist dann A ∈ Rnn eine unipotente untere

Dreiecksmatrix uber R, so ist A im Monoid Rnn invertierbar, das heißt es existiert eine

Matrix A−1 ∈ Rnn mit

A · A−1 = I = A−1 · A.Beweis. Sei B ∈ Rn

n. Dann sind die n Spalten von A ·B durch A ·B1, . . . , A ·Bm gegeben,wobei B1, . . . , Bm die Spalten von B sind.

Soll fur B also A · B = I gelten, muß also A · Bi = ei fur alle i ∈ {1, . . . , n} gelten.Nach Satz 3.2.3 gibt es nun jeweils genau ein Bi ∈ Rn, welches die jeweilige Gleichungerfullt. Damit existiert also genau eine Matrix B ∈ Rn

n mit A ·B = I.Es bleibt zu zeigen, daß dann auch B ·A = I gilt. Sei Ci die i-te Spalte der Matrix B ·A.

Wir mussen zeigen, daß Ci = ei. Nun ist A ·Ci gleich der i-ten Spalte von A ·B ·A = A,also Ai. Damit lost Ci die Gleichung A · x = Ai. Nach Satz 3.2.3 ist diese Gleichungeindeutig losbar. Es ist ei eine Losung. Also muß Ci = ei gelten.

Aufgabe 3.3.10. Berechne die Inverse von1 0 0x 1 0y z 1

uber Z[x, y, z].

Bemerkung 3.3.11. Ist R ein kommutativer Ring mit 0 6= 1 und A ∈ Rnn eine obere

Dreiecksmatrix in Stufenform mit Maximalrang, so folgt analog aus Folgerung 3.2.8,daß A invertierbar ist.

3.4 Determinanten

Das Losungsverfahren fur lineare Gleichungssysteme, welches wir im nachsten Abschnittvorstellen wollen, kommt ohne den Begriff der Determinanten aus, wenn der zugrundelie-gende Ring ein diskreter Korper ist. Da wir aber auch etwas fur allgemeine kommutativeRinge aussagen zu wollen, mussen wir weiter ausholen und fuhren daher Determinantenin diesem Abschnitt ein.

57

Page 58: Lineare Algebra

3 Lineare Gleichungssysteme

Definition 3.4.1. Sei R ein kommutativer Ring. Fur eine quadratische Matrix A ∈ Rnn

heißtdetA :=

∑σ∈Sn

sgnσ∏i

Aiσ(i) ∈ R

die Determinante von A.Dabei bedeutet

∑σ∈Sn· · ·, daß die Summe des folgenden Ausdrucks fur alle Permu-

tationen σ zu bilden ist, und∏

i· · ·, daß das Produkt des folgenden Ausdrucks fur alleZeilenindizes zu bilden ist. (Das leere Produkt ist dabei als 1 definiert.)

Es sei beachtet, daß die Determinante nur fur quadratische Matrizen definiert ist!

Beispiel 3.4.2. Seien R ein kommutativer Ring und die Aij im folgenden beliebige Ele-mente aus R. Dann gelten

det

(A1

1 A12

A21 A2

2

)= A1

1 · A22 − A1

2 · A21

und

det

A11 A1

2 A13

A21 A2

2 A23

A31 A3

2 A33

=A1

1 · A22 · A3

3 + A12 · A2

3 · A31 + A1

3 · A21 · A3

2

−A11 · A2

3 · A32 − A1

2 · A21 · A3

3 − A13 · A2

2 · A31.

Die zweite Formel heißt auch Sarrussche Regel.

Beispiel 3.4.3. Seien R ein kommutativer Ring und a ∈ R. Dann ist

det(a) = a und det() = 1,

wobei () ∈ R00 fur die leere Matrix steht.

Bemerkung 3.4.4. Warum die Determinante ein sinnvoller Begriff ist, wird sich erstspater zeigen. Fur den Moment nehmen wir einfach hin, daß die Determinante ein ganzbestimmtes Polynom in den Eintragen der Matrix ist, welches im folgenden auftaucht.

Aufgabe 3.4.5. Sei R ein kommutativer Ring. Sei A ∈ Rnn eine quadratische Matrix uber

R. Sind dann σ, τ ∈ Sn zwei Permutationen, so gilt

detAστ = sgnσ · sgn τ · detA.

Hilfssatz 3.4.6. Sei A ∈ Rnn eine quadratische Matrix uber dem kommutativen Ring R.

Sei i0 ∈ {1, . . . , n} eine Zeile. Seien weiter w ∈ Rn ein Zeilenvektor und u ∈ R. Sei derZeilenvektor Ai0 + u · w ∈ Rn durch

(Ai0 + u · w)j := Ai0 + u · wjgegeben. Dann gilt

det

A1

...Ai0−1

Ai0 + u · wAi0+1

...An

= detA+ u · det

A1

...Ai0−1

wAi0+1

...An

,

58

Page 59: Lineare Algebra

3.4 Determinanten

das heißt die Determinante der Matrix, die wir Erhalten, in dem wir auf die i0-te Zeilevon A die u-fachen der Eintrage von w addieren erhalten wir, in dem wir die Deter-minante von A mit dem u-fachen der Determinante derjenigen Matrix addieren, welchewir erhalten, in dem wir die i0-te Zeile von A durch w ersetzen.

Beweis. Wegen Aufgabe 3.4.5 konnen wir der Einfachheit halber davon ausgehen, daßi0 = 1 ist. Sei

C :=

A1 + u · w

A2

...An

.

Dann ist

detC =∑σ∈Sn

sgnσ∏i

Ciσ(i)

=∑σ∈Sn

sgnσ · (A1σ(1) + u · wσ(1)) ·

∏i>1

Aiσ(i)

=∑σ∈Sn

sgnσ∏i

Aiσ(i) + u ·∑σ∈Sn

sgnσ · wσ(1) ·∏i>1

Aiσ(i)

= detA+ u · detB

mit

B :=

wA2

...An

.

Hilfssatz 3.4.7. Sei A ∈ Rnn eine quadratische Matrix uber dem kommutativen Ring R.

Seien i0, i1 ∈ {1, . . . , n} zwei Zeilen mit i0 6= i1. Sei weiter Ai0 = Ai1, das heißt, zweiZeilen von A stimmen uberein. Dann gilt

detA = 0.

Beweis. Wegen Aufgabe 3.4.5 konnen wir der Einfachheit halber davon ausgehen, daßi0 = 1 und i1 = 2 sind. Ist σ ∈ Sn eine Permutation, so setzen wir

σ :=

(1 2 3 · · · n

σ(2) σ(1) σ(3) · · · σ(n)

)∈ Sn.

Es ist sgn σ = − sgn σ.

59

Page 60: Lineare Algebra

3 Lineare Gleichungssysteme

Dann gilt

detA =∑σ∈Sn

sgnσ∏i

Aiσ(i)

=∑σ∈Sn

σ(1)<σ(2)

sgnσ

(∏i

Aiσ(i) −∏i

Aiσ(i)

)

=∑σ∈Sn

σ(1)<σ(2)

sgnσ(A1σ(1) · A2

σ(2) − A1σ(2) · A2

σ(1)

)·∏i>2

Aiσ(i).

Wegen A1 = A2 folgt damit detA = 0.

Die beiden letzten Hilfssatze konnen wir kombinieren und erhalten:

Folgerung 3.4.8. Sei A ∈ Rnn eine quadratische Matrix uber dem kommutativen Ring R.

Seien i0, i1 ∈ {1, . . . , n} zwei Zeilen mit i0 6= i1. Sei weiter u ∈ R. Sei der ZeilenvektorAi1 + u · Ai0 ∈ Rn durch

(Ai1 + u · Ai0)j = Ai1j + u · Ai0j

gegeben. Dann gilt

det

A1

...Ai1−1

Ai1 + u · Ai0Ai1+1

...An

= detA,

das heißt, die Determinante einer Matrix andert sich nicht, wenn wir ein Vielfacheseiner Zeile auf eine andere Zeile addieren.

Beweis. Nach den vorhergehenden Hilfssatzen ist

det

A1

...Ai1−1

Ai1 + u · Ai0Ai1+1

...An

= detA+ u · det

A1

...Ai1−1

Ai0

Ai1+1

...An

= detA+ u · 0 = detA.

60

Page 61: Lineare Algebra

3.5 Die LR-Zerlegung

Aufgabe 3.4.9. Sei A ∈ Rnn eine Matrix uber dem kommutativen Ring R. Zeige, daß

detA = detA>.

Aufgabe 3.4.10. Sei A ∈ Rnn eine Matrix uber dem kommutativen Ring R, welche zwei

gleiche Spalten besitzt. Zeige, daß detA = 0.

Aufgabe 3.4.11. Sei A = (Aij) ∈ Rnn eine quadratische Matrix uber dem kommutativen

Ring R mit Ai1 = 0 fur i > 1. Zeige, daß

detA = A11 · detA1

1.

Aufgabe 3.4.12. Berechne die Vandermondesche Determinante: Zeige, daß

det

x0

1 x02 · · · x0

n

x11 x1

2 · · · x1n

......

. . ....

xn−11 xn−1

2 · · · xn−1n

=∏i<j

(xj − xi)

uber dem Polynomring Z[x1, . . . , xn]. (Hier stehen die Exponenten fur Potenzen, nichtfur Variablenindizes.)

(Tip: Welchen Grad haben beide Seiten der Gleichung in xn? Welche Nullstellen habenbeide Seiten in xn?)

Schließlich benotigen wir noch folgende Definition:

Definition 3.4.13. Seien R ein kommutativer Ring mit 0 6= 1 und A ∈ Rnm. Die

Determinante einer quadratischen Untermatrix von A heißt ein Minor von A.

Die Matrix A heißt determiniert, falls jeder ihrer Minoren entweder invertierbar odergleich Null ist.

Insbesondere sind also die Matrixeintrage selbst Minoren, namlich (1× 1)-Minoren.

Beispiel 3.4.14. Ist K ein diskreter Korper, so ist jede Matrix uber K determiniert.

Beispiel 3.4.15. Ein Spaltenvektor uber einem kommutativen Ring mit 0 6= 1 ist genaudann determiniert, wenn jeder seiner Eintrage entweder invertierbar oder gleich Null ist.

Beispiel 3.4.16. Untermatrizen determinierter Matrizen sind wieder determiniert.

3.5 Die LR-Zerlegung

Wir haben gesehen, daß sich lineare Gleichungssystem explizit losen lassen, wenn diezugehorige Matrix eine unipotente ist oder in Stufenform vorliegt. Wir zeigen jetzt, daßuber diskreten Korpern jede beliebige Matrix in ein Produkt einer unipotenten und einerin Stufenform zerfallt. Dies wird uns ein Losungsverfahren fur beliebige Gleichungssy-steme liefern.

61

Page 62: Lineare Algebra

3 Lineare Gleichungssysteme

Satz 3.5.1. Sei R ein kommutativer Ring mit 0 6= 1. Sei A ∈ Rnm eine determinierte

Matrix. Dann existieren zwei Permutationen σ ∈ Sn und τ ∈ Sm, eine unipotenteuntere Dreiecksmatrix U ∈ Rn

n und eine obere Dreiecksmatrix B ∈ Rnm in Stufenform,

so daßAστ = U ·B.

Zusatz: Sei weiter c ∈ Rn eine Spaltenvektor und d ∈ Rn derjenige Vektor mit

cσ = U · d

(also d = U−1 · cσ). Ist dann (A|c) determiniert, so ist d ein determinierter Vektor.

Beweis. Wir beweisen den Satz uber Induktion uber n. Im Falle, daß n = 0, ist nichtszu zeigen.

Im weiteren Beweis gehen wir außerdem davon aus, daß ein Spaltenvektor c ∈ Rn wieim Zusatz gegeben ist (wir konnen immer c = 0 wahlen).

Gehen wir davon aus, daß wir den Satz fur n−1 anstelle von n schon gezeigt haben. IstA die Nullmatrix sind wir fertig: wir wahlen σ und τ als die identischen Permutationen,U als Einheitsmatrix und B := A, und es gilt dann d = c.

Ansonsten existieren p, q mit Apq ∈ R×, da A determiniert ist. Wir wahlen Permuta-

tionen σ′ ∈ Sn und τ ′ ∈ Sm mit σ(1) = p und τ(1) = q. Dann gilt A11 6= 0 mit A := Aσ

τ ′ .Angenommen wir haben den Satz fur A und c := cσ

′bewiesen, das heißt die Existenz

von σ′′ ∈ Sn und τ ′′ ∈ Sm, so daß (Aσ′′

τ ′′ |cσ′′) = U · (B|d) mit U , B und d wie in der

Behauptung. Dann folgt (Aστ |cσ) = U · (B|d) mit σ := σ′ ◦ σ′′ und τ := τ ′ ◦ τ ′′, das heißtder Satz ist damit auch fur A und d bewiesen.

Wir konnen daher im folgenden davon ausgehen, daß p = 1 und q = 1. Außerdemschreiben wir im folgenden wieder A fur A. Fur i ∈ {1, . . . , n} setzen wir

ui :=Ai1A1

1

.

(Es gilt also insbesondere u1 = 1.) Wir definieren die Matrizen E ∈ Rnm und f ∈ Rn

durch

Eij :=

{Aij − ui · A1

j fur i > 1

A1j fur i = 1

und

f i :=

{ci − ui · c1 fur i > 1

c1 fur i = 1,

das heißt, die i-te Zeile von E (beziehungsweise f) fur i > 1 erhalten wir, indem wirdas ui-fache der ersten Zeile von A (beziehungsweise von c) von der i-ten Zeile von A(beziehungsweise von c) subtrahieren. Nach Definition der ui folgt, daß Ei

1 = 0 fur i > 1.Sei V ∈ Rn

n die Matrix mit

V ij :=

ui fur j = 1

1 fur j = i

0 fur j 6= i ∧ j > 1,

62

Page 63: Lineare Algebra

3.5 Die LR-Zerlegung

das heißt, V ensteht aus der Einheitsmatrix, indem die erste Spalte durch ui ersetztwird. Aus der Definition des Produktes von Matrizen folgt, daß

(A|c) = V · (E|f).

Seien E ∈ Rn−1m−1 die Matrix, welche wir erhalten, indem wir die erste Spalte und erste

Zeile in E streichen und f ∈ Rn−1 der Spaltenvektor, welchen wir erhalten, indem wirerste Zeile von f streichen.

Wir behaupten, daß (E|f) eine determinierte Matrix ist. Sei dazu eine UntermatrixM dieser Matrix gegeben. Da (E|f) selber Untermatrix von (E|f) ist, konnen wir Mauch als eine Untermatrix von (E|f) auffassen. Wir mussen zeigen, daß detM = 0oder detM ∈ R×. Sei etwa M = (E|f)IJ fur gewisse Spalten I und Zeilen J . Seien

I := I ∪ {1} und J := J ∪ {1}. Wir betrachten M = (E|f)IJ. Dann entsteht M aus

(A|c)IJ

durch Addition von Vielfachen der ersten Zeile auf die ubrigen Zeilen. Damit

gilt det M = det(A|c)IJ

nach Folgerung 3.4.8. Nun ist (A|c) determiniert, also folgt,

daß det M = 0 oder det M ∈ R×. Schließlich gilt M i1 = 0 fur i > 0, so daß nach

Aufgabe 3.4.11 det M = A11·detM , so daß detM genau dann gleich Null beziehungsweise

invertierbar ist, wenn das entsprechende fur det M gilt, da A11 invertierbar ist.

Nach Induktionsvoraussetzung existieren Permutationen σ ∈ Sn−1, τ ∈ Sm−1, eineunipotente untere Dreiecksmatrix U ∈ Rn−1

n−1, eine Matrix B ∈ Rn−1m−1 in Stufenform und

ein determinierter Spaltenvektor d ∈ Rn−1, so daß

(Eστ |f σ) = U · (B|d).

Schließlich setzen wir

σ :=

(1 2 · · · n1 σ(1) · · · σ(n− 1)

)∈ Sn

und

τ :=

(1 2 · · · m1 τ(1) · · · τ(m− 1)

)∈ Sm

Sei schließlich U die Matrix, die wir erhalten, indem wir in V σ die letzten n− 1 Spaltenund Zeilen durch die Matrix U ersetzen, B die Matrix, die wir erhalten, indem wir inEτ die letzten m − 1 Spalten und n − 1 Zeilen durch die Matrix B ersetzen und d dieMatrix, die wir erhalten, indem wir in f die letzten n − 1 Zeilen durch die Matrix dersetzen. Es folgt

(Aστ |c) = U · (B|f)

und f ist determiniert.Aus dem Beweis ergibt sich offensichtlich, daß die Matrizen U und B und die Permu-

tationen σ und τ unabhangig von c gewahlt worden sind.

Der im Beweis beschriebene Algorithmus heißt der Gauß-Algorithmus.Die in der Folgerung beschriebene Zerlegung von A in ein Produkt einer unipoten-

ten unteren Dreiecksmatrix und einer oberen Dreiecksmatrix in Stufenform heißt LR-Zerlegung von A.

63

Page 64: Lineare Algebra

3 Lineare Gleichungssysteme

Bemerkung 3.5.2. Da jede Matrix uber einem diskreten Korper determiniert ist, konnenwir den Satz im Falle, daß R ein diskreter Korper ist, also immer anwenden.

Aufgabe 3.5.3. Berechne eine LR-Zerlegung von2 1 4 03 4 1 21 0 3 3

uber dem Korper F5.

Aufgabe 3.5.4. Zeige, daß der kommutative Ring

R := Z[a, b, c, d, a−1, b−1, c−1, d−1]/(ad− bc)

nicht der Nullring ist. Berechne dann eine LR-Zerlegung von(a bc d

)∈ R2

2.

Der eben angegebene Satz uber die LR-Zerlegung ist der zentrale Satz der LinearenAlgebra, und wir werden ihn an vielen Stellen benotigen. Die erste Anwendung wird dieBestimmung der Losungsmenge eines linearen Gleichungssystems sein:

Satz 3.5.5. Sei R ein kommutativer Ring. Seien A ∈ Rnm und c ∈ Rn, so daß (A|c)

determiniert ist. Fur das Gleichungssystem A ·x = c ist dann einer der beiden folgendenFalle wahr:

1. Das Gleichungssystem hat keine Losung.

2. Es existieren 1 ≤ j1 < j2 < · · · < jd ≤ m, so daß das lineare Gleichungssystemfur jede Wahl von f 1, . . . , fd ∈ R genau eine Losung b ∈ Rm mit bjk = fk fur allek ∈ {1, . . . , d} besitzt.

Beweis. Nach dem Satz uber die LR-Zerlegung existieren Permutationen σ ∈ Sn undτ ∈ Sm, eine unipotente untere Dreiecksmatrix U ∈ Rn

n und eine Matrix B ∈ Rnm vom

Rang r in Stufenform, so daß Aστ = U ·B.Das lineare Gleichungssystem ist damit aquivalent zum System

U ·B · xτ = cσ.

Da U unipotent ist, hat das Gleichungssystem U · y = cσ in y eine eindeutige Losung,etwa d ∈ Rn. Nach dem Satz uber die LR-Zerlegung ist der Spaltenvektor d außerdemdeterminiert, das heißt die Eintrage sind entweder Null oder invertierbar, in jedem Falleaber Null oder von Null verschieden.

Damit ist das originale Gleichungssystems zu

B · xτ = d

aquivalent. Da B in Stufenform vorliegt, kennen wir die Losungsmenge dieses Systems:Ist (dr+1, . . . , dn) 6= 0, so besitzt das System keine Losung. Andernfalls existiert fur jedeWahl von f 1, . . . , fm−r genau eine Losung b von B · xτ = a mit bτ(r+1) = f 1, . . . , bτ(m) =fm−r. Schließlich setze d := m− r und j1 := τ(r + 1), . . . , jd := τ(m).

64

Page 65: Lineare Algebra

3.5 Die LR-Zerlegung

Aufgabe 3.5.6. Gib die Losungen des linearen Gleichungssystems6 8 62 5 611 −6 −9−1 2 3

· x =

104−31

uber dem Korper Q an.

Aufgabe 3.5.7. Sei R ein kommutativer Ring. Seien A ∈ Rnm und c ∈ Rn, so daß (A|c)

determiniert ist. Zeige dann, daß einer der beiden folgenden Falle eintritt:

1. Die R-Algebra R[A · x = c] ist der Nullring.

2. Es existieren 1 ≤ j1 < j2 < · · · < jd < m, so daß der R-Algebrenhomomorphismus

R[xj1 , . . . , xjd ]→ R[A · x = c],

welcher xjk auf [xjk ](A·x−c) schickt, ein Isomorphismus ist.

65

Page 66: Lineare Algebra

3 Lineare Gleichungssysteme

66

Page 67: Lineare Algebra

4 Vektorraume

4.1 Moduln

Sei R ein kommutativer Ring. Ein lineares Gleichungssystem L der Form

A · x = 0

mit A ∈ Rnm heißt ein homogenes lineares Gleichungssystem. Wir stellen folgendes fest:

1. Der Nullvektor 0 ∈ Rm ist eine Losung des Gleichungssystems L.

2. Sind u, v ∈ Rm zwei Spaltenvektoren, so definieren wir ihre Summe u + v ∈ Rm

durch

u+ v :=

u1 + v1

...um + vm

.

Sind dann u und v beides Losungen von L, so ist auch u+ v eine Losung, denn diei-te Zeile von A · (u+ v) ist durch Aij(u

j + vj) = Aijuj +Aijv

j = 0 + 0 = 0 gegeben.

3. Ist u ∈ Rm ein Spaltenvektor und a ∈ R ein Ringelement, so definieren wir dasa-fache a · u von u durch

a · u :=

a · u1

...a · um

.

Ist dann u eine Losung von L, so fur jedes a ∈ R auch a · u eine Losung, denn diei-te Zeile von A · (a · u) ist durch Aij(a · uj) = a · Aijuj = a · 0 = 0 gegeben.

Sowohl auf der Menge aller Spaltenvektoren mit m Zeilen als auch auf der Menge derLosungen von L haben wir damit eine Struktur definiert, welche eine Null, eine Addi-tion und eine Multiplikation mit Ringelementen besitzt. Diese Operationen erfullen dieAxiome, welche beide Mengen zu R-Moduln im Sinne der folgenden Definition machen:

Definition 4.1.1. Sei R ein Ring. Ein R-Modul M ist eine abelsche Gruppe M zusam-men mit einer Operation · : R×M →M , so daß folgende Axiome erfullt sind:

1. Die Operation von R auf M ist assoziativ: ∀x,y∈R∀m∈M x · (y ·m) = (x y) ·m.

2. Die Operation von R auf M ist vertraglich mit der Eins: ∀m∈M , 1 ·m = m.

67

Page 68: Lineare Algebra

4 Vektorraume

3. Die Operation von R auf M ist distributiv in R:

∀x,y∈R∀m∈M (x+ y) ·m = x ·m+ y ·m.

4. Die Operation von R auf M ist distributiv in M :

∀x∈R∀m,n∈M x · (m+ n) = x ·m+ x · n.

Ist R ein (Schief-)Korper, so heißt ein R-Modul auch R-Vektorraum.Die zugrundeliegende abelsche Gruppe von M nennen wir die additive Gruppe von M .

Bemerkung 4.1.2. Um in Einklang mit der klassischen Terminologie zu bleiben, wer-den wir einen R-Modul teilweise auch dann R-Vektorraum nennen, auch wenn R keinKorper in unserem Sinne — wohl aber im Sinne der klassischen Logik — ist. Fur denFall des Restklassenkorpers R werden wir R-Moduln in jedem Falle als R-Vektorraumebezeichnen.

Mehr als eine Begrifflichkeit ist dies nicht. Die Axiome fur einen Vektorraum sinddieselben wie die fur einen Modul.

Beispiel 4.1.3. Sei R ein kommutativer Ring. Dann ist Rm mit den oben definiertenOperationen ein R-Modul. Auf analoge Weise wird die Menge der Zeilenvektoren Rm zueinem R-Modul.

(Offensichtlich konnen wir Spalten- und Zeilenvektoren auch fur einen beliebigen Ringdefinieren. Auch in diesem Falle werden Rm und Rm zu Moduln.)

Es besteht R0 aus genau einem Element, der Null 0. Dieser Modul heißt der Nullmodul.

Beispiel 4.1.4. In Verallgemeinerung des letzten Beispiels konnen wir auf der MengeRnm von Matrizen uber einem kommutativen Ring R wie folgt eine Struktur eines R-

Moduls definieren: Die Null ist durch die Nullmatrix 0 ∈ Rnm gegeben. Die Summe von

A,B ∈ Rnm ist durch

A+B := (Aij +Bij)

gegeben und die Multiplikation von A mit a ∈ R durch

a · A := (a · Aij).

Beispiel 4.1.5. Sei A · x = 0 ein homogenes lineares Gleichungssystem L uber demkommutativen Ring R. Dann ist die Losungsmenge von L mit den oben definiertenOperationen ein R-Modul.

Beispiel 4.1.6. Sei R ein kommutativer Ring. Indem wir die Multiplikation von Polyno-men vergessen, wird R[x] zu einer abelschen Gruppe. Zusammen mit der Multiplikati-onsoperation von R auf R[x] wird R[x] damit zu einem R-Modul.

In Verallgemeinerung des letzten Beispiels erhalten wir:

Beispiel 4.1.7. Sei R ein kommutativer Ring und S eine R-Algebra. Die additive Grup-penstruktur von S zusammen mit der Algebren-Operation von R auf S macht S zueinem R-Modul.

68

Page 69: Lineare Algebra

4.1 Moduln

Beispiel 4.1.8. Sei R ein kommutativer Ring und S eine R-Algebra. Sei weiter M einS-Modul. Wir erinnern daran, daß die R-Algebrenstruktur auf S den Ringhomomor-phismus

φ : R→ S, a 7→ a · 1definiert. Diesen nutzen wir, um auf der additiven Gruppe von M die Struktur einesR-Moduls zu definieren:

∀a∈R,m∈M a ·m := φ(a) ·m.Den R-Modul, den wir so erhalten, schreiben wir auch als MR und sagen, er entstehe

durch Einschrankung der S-Modulstruktur von M auf R. Umgekehrt sagen wir, derModul M sei eine Fortsetzung der R-Modulstruktur auf MR auf S.

Sei etwa M := Q(√−1)2 der Q(

√−1)-Vektorraum der zweizeiligen Spaltenvektoren.

Es ist Q(√−1) eine Q-Algebra. In dem wir die Multiplikation mit

√−1

”vergessen“,

konnen wir M auch als Q-Vektorraum MQ auffassen.

Beispiel 4.1.9. Sei E die Menge der Punkte in der Ebene. Mit P bezeichnen wir dieMenge der Pfeile in E, das sind Paare von Punkten in E bestehend aus der Pfeilspitzeund dem Pfeilende. Wir haben also P = E × E. Wir definieren eine Aquivalenzrelation∼ in P wie folgt: Es gelte p ∼ p′ mit p, p′ ∈ P genau dann, wenn p und p′ durch Paral-lelverschiebung auseinander hervorgehen. Mit V := P/∼ bezeichnen wir die Menge derAquivalenzklasse, deren Elemente wir Vektoren in E nennen wollen. Die Aquivalenzklas-se von (p0, p1) schreiben wir [p0, p1].

Wir behaupten, daß V in naturlicher Weise ein R-Vektorraum ist: Dazu definierenwir auf V zunachst die Struktur einer abelschen Gruppe wie folgt: Seien v, w ∈ V zweiVektoren, welche beide durch Pfeile p, q reprasentiert werden. Durch Parallelverschie-bung konnen wir erreichen, daß die Pfeilspitze von p gleich dem Pfeilende von q ist, etwap = [p0, p1] und q = [q0, q1] mit p0 = q1. Die Summe von v und w definieren wir dann als

v + w := [q0, p1],

also durch den Pfeil reprasentiert, welchen wir erhalten, indem wir den Pfeil zu w vorden Pfeil zu v hangen. Das neutrale Element ergibt sich dann durch einen Pfeil, beidem Spitze und Ende zusammenfallen. Die Negation eines Elements dadurch, indem wirSpitze und Ende vertauschen.

Sei weiter a ∈ R. Es bleibt a · v zu definieren. Sei dazu p = (p0, p1) ∈ P ein Re-prasentant von V . Ist dann (p2, p0) derjenige Pfeil, welchen wir erhalten, indem wir pbei Festhalten des Endpunktes um den Faktor a strecken (dabei sind negative Streck-faktoren durch Streckung in die gegenuberliegende Richtung definiert), so setzen wir

a · v = [p2, p0].

Wir uberlassen es als Aufgabe nachzurechnen, daß dadurch auf der Menge der Vekto-ren in der Ebene eine Vektorraumstruktur definiert wird.

Beispiel 4.1.10. Sei M ein R-Modul und X eine beliebige Menge. Auf der Menge MX

der Abbildungen von X nach M konnen wir durch die Setzung

∀f,g∈MX f + g : X →M, x 7→ f(x) + g(x)

69

Page 70: Lineare Algebra

4 Vektorraume

und

∀a∈R,f∈MX a · f : X →M, x 7→ a · f(x)

eine Vektorraumstruktur definieren. Summe und Multiplikation mit Ringelementen sindalso punktweise definiert.

Beispiel 4.1.11. Da die Menge C∞(R) der beliebig oft differenzierbaren FunktionenR → R abgeschlossen unter Summenbildung und Multiplikation mit Konstanten ist,erhalten wir, daß diese neben dem Vektorraum RR aller Funktionen auch einen R-Vektorraum bildet.

Aufgabe 4.1.12. Seien R ein Ring und M ein R-Modul. Zeige:

1. Es gilt: ∀m∈M 0 ·m = 0.

2. Es gilt: ∀m∈M −m = (−1) ·m.

3. Es gilt: ∀a∈R a · 0 = 0.

Aufgabe 4.1.13. Sei V ein Vektorraum uber einem diskreten Korper K. Zeige, daß

∀a∈K∀v∈V (a · v = 0 =⇒ a = 0 ∨ v = 0)

gilt.

Gib ein Beispiel fur einen Modul uber Z an, fur den die entsprechende Aussage falschist.

(Tip: Betrachte einen Ring mit Charakteristik großer als 1.)

Aufgabe 4.1.14. Sei R ein kommutativer Ring. Sei M ein R-Modul.

1. Zeige, daß

annM := {r ∈ R | ∀m∈M r ·m = 0}

ein Ideal von R ist. Dieses Ideal heißt das Annulatorideal von M .

2. Die additive Gruppe von Z/(7) wird durch die Setzung

Z/(49)× Z/(7)→ Z/(7), [x](49) · [y](7) := [x · y](7)

zu einem Z/(49)-Modul. Stelle das Annulatorideal in der Form (d) mit d ∈ Z/(49)dar.

3. Zeige, daß die additive Gruppe von M durch die (wohldefinierte?) Setzung

∀[a]∈R/ annM,m∈M [a] ·m := [a ·m]

zu einem R/ annM -Modul wird.

70

Page 71: Lineare Algebra

4.2 Lineare Abbildungen

4.2 Lineare Abbildungen

Wir haben Homomorphismen zwischen Monoiden, Ringen und Algebren als solche Ab-bildungen kennengelernt, welche die entsprechenden Operationen erhalten. Der passendeBegriff fur Moduln ist der folgende:

Definition 4.2.1. Sei R ein Ring. Seien M und N zwei R-Moduln. Eine lineare Abbil-dung φ : M → N ist eine Abbildung, welche ein Homomorphismus der additiven Gruppenvon M und N ist und außerdem mit der Operation von R auf M und N vertraglich ist:

∀a∈R∀m∈M φ(a ·m) = a · φ(m).

Anstelle lineare Abbildung konnte man auch Homomorphismus von R-Moduln sagen.

Beispiel 4.2.2. Seien R ein Ring und M ein R-Modul. Dann ist die Identitat idM einelineare Abbildung.

Beispiel 4.2.3. Sei R ein kommutativer Ring und A ∈ Rnm eine Matrix. Dann ist

Rm → Rn, v 7→ A · v

eine lineare Abbildung, welche wir wieder mit A bezeichnen wollen.Ist umgekehrt φ : Rm → Rn eine lineare Abbildung, so ist φ = A, wenn wir die Matrix

A ∈ Rnm durch

Aij := φ(ej)i

definieren.Damit entsprechen lineare Abbildungen von Rm nach Rn bijektiv den Matrizen in Rn

m.

Beispiel 4.2.4. Die Rechenregeln fur die Ableitung von Summen und Produkten mitKonstanten konnen wir dadurch zusammenfassen, indem wir sagen, daß die Differentia-tion

C∞(R)→ C∞(R), f 7→ f ′

eine lineare Abbildung ist.

Beispiel 4.2.5. Sei R ein kommutativer Ring. Wir betrachten die Menge Rnn der quadra-

tischen (n× n)-Matrizen als R-Modul. Dann ist die sogenannte Spur tr, welche durch

tr : Rnn → R, A = (Aij) 7→

n∑i=1

Aii

gegeben ist, eine lineare Abbildung.

Aufgabe 4.2.6. Seien R ein Ring und M,N zwei R-Moduln. Zeige, daß eine Abbildungφ : M → N genau dann linear ist, wenn

∀a∈R∀m1,m2∈M (φ(a ·m1 +m2) = a · φ(m1) + φ(m2)) .

Aufgabe 4.2.7. Seien R ein Ring und M , N und P drei R-Moduln. Seien φ : M → N undψ : N → P zwei lineare Abbildungen. Zeige, daß dann auch die Verknupfung ψ◦φ : M →P linear ist.

71

Page 72: Lineare Algebra

4 Vektorraume

Beispiel 4.2.8. Sei R ein kommutativer Ring und A ∈ Rnm und B ∈ Rm

k zwei Matrizen.Die Verknupfung A ◦ B der Abbildung A : Rm → Rn mit der Abbildung B : Rm → Rn

ist dann durch das Produkt A ·B ∈ Rnk gegeben, denn fur jeden Vektor v ∈ Rk gilt

(A ·B)(v) = (A ·B) · v = A · (B · v) = A(B(v)) = (A ◦B)(v),

und zwei Abbildungen sind gleich, wenn sie auf allen Elementen ubereinstimmen.

Wir erinnern an den Begriff eines Isomorphismus’ zwischen Ringen. In Analogie defi-nieren wir:

Definition 4.2.9. Sei R ein Ring. Eine lineare Abbildung φ : M → N zwischen R-Moduln heißt ein Isomorphismus, falls eine lineare Abbildung ψ : N →M mit ψ◦φ = idMund φ ◦ ψ = idN existiert.

Beispiel 4.2.10. Seien R ein kommutativer Ring und A ∈ Rnn eine invertierbare Matrix

(das heißt ein im Monoid Rnn invertierbares Element). Dann ist die lineare Abbildung

A : Rn → Rn ein Isomorphismus; ihre Inverse ist A−1 : Rn → Rn.

Aufgabe 4.2.11. Sei R ein Ring. Sei φ : M → N eine lineare Abbildung zwischen R-Moduln. Zeige, daß φ genau dann ein Isomorphismus ist, wenn φ bijektiv ist.

Eine lineare Abbildung von einem Modul auf sich selbst, nennen wir auch einen En-domorphismus. Endomorphismen konnen wir auch als Modulstruktur kodieren:

Bemerkung 4.2.12. Seien R ein Ring. Weiter betrachten wir den Polynomring R[X] uberR in einer Variablen. Ist φ : M →M ein Endomorphismus eines R-Moduls M , so konnenwir die additive Gruppe von M durch die Setzung

∀anXn+···+a1X+a0∈R[X],m∈M

(anXn + · · ·+ a1X + a0) ·m := an · An(m) + · · ·+ a1 · A(m) + a0 ·m

zu einem R[X]-Modul machen, welchen wir Mφ schreiben wollen. Es entsteht M danndurch Einschrankung der R[X]-Modulstruktur auf Mφ auf R.

Ist umgekehrt N ein R[X]-Modul, so konnen wir die Einschrankung NR der R[X]-Modulstruktur auf R betrachten (wir betrachten also nur die Multiplikation mit kon-stanten Polynomen). Weiter definiert die Multiplikation mit X eine R-lineare Abbildung

φ : NR → NR, m 7→ X ·m,

also einen Endomorphismus auf NR.Beide Konstruktionen sind invers zueinander.

Beispiel 4.2.13. Wir betrachten den Endomorphismus

φ :=

(0 1−1 0

): Q2 → Q2

des Q-Vektorraumes Q2. Vermoge dieses Endomorphismus konnen wir Q2 dann auch als

Vektorraum uber Q[X] ansehen. Fur den Vektor(1 0

)> ∈ Q2 gilt dann zum Beispiel:

(X2 −X + 1) ·(

10

)=

(0 1−1 0

)·(

0 1−1 0

)·(

10

)−(

0 1−1 0

)·(

10

)+

(10

)=

(01

).

72

Page 73: Lineare Algebra

4.3 Untermoduln

Aufgabe 4.2.14. Sei R ein kommutativer Ring. Sei M ein R-Modul. Zwei Endomorphis-men φ, ψ : M →M von M heißen kommutierend, falls ψ ◦ φ = φ ◦ ψ.

Gib eine naturliche, umkehrbare Beziehung zwischen Paaren (φ, ψ) kommutierenderEndomorphismen vom M und Fortsetzungen der R-Modulstruktur von M zu einerR[X, Y ]-Modulstruktur an.

4.3 Untermoduln

Sei R ein kommutativer Ring. Sei A · x = 0 ein homogenes lineares Gleichungssystemmit A ∈ Rn

m. Dann ist die Menge M der Losungen eine Teilmenge der Menge Rn. DieVektorraumstruktur von M und Rn sind im folgenden Sinne miteinander vertraglich:

Definition 4.3.1. Sei R ein Ring. Sei M ein R-Modul. Eine Teilmenge N von M heißtUntermodul von M , falls sie folgende Axiome erfullt:

1. Die Teilmenge enthalt die Null: 0 ∈ N .

2. Die Teilmenge ist abgeschlossen bezuglich der Addition:

∀x,y∈M (x, y ∈ N =⇒ x+ y ∈ N) .

3. Die Teilmenge ist abgeschlossen bezuglich Multiplikation mit Ringelementen:

∀a∈R,x∈M (x ∈ N =⇒ a · x ∈ N) .

Untermoduln von Vektorraumen heißen auch Untervektorraume.

Aufgabe 4.3.2. Seien M ein R-Modul und N eine Teilmenge von M . Zeige, daß N genaudann ein Untermodul von M ist, falls

∃x∈M x ∈ N

und∀a∈R∀x,y∈N a · x+ y ∈ N.

Wir erhalten also:

Beispiel 4.3.3. Seien R ein kommutativer Ring und A · x = 0 ein homogenes linearesGleichungssystem mit A ∈ Rn

m. Die Menge der Losungen M des Gleichungssystemesbilden einen Untermodul von Rm.

Beispiel 4.3.4. Ist M ein R-Modul, so sind die Unterraume M und {0} Untermodulnvon M .

Beispiel 4.3.5. Sei R ein kommutativer Ring. Sei I ⊂ {1, . . . , n} eine Teilmenge. Sei

RI :={v ∈ Rn | ∀i

(i /∈ I =⇒ vi = 0

)}⊂ Rn.

Dann ist RI ein Untermodul von Rn.

73

Page 74: Lineare Algebra

4 Vektorraume

Aufgabe 4.3.6. Sei R ein Ring und M ein R-Modul. Sei (Mi)i∈I eine Familie von Unter-moduln von M , das heißt fur jeden Index i aus einer Indexmenge I ist ein UntermodulMi gegeben. Zeige, daß dann auch der Schnitt⋂

i∈I

Mi = {m ∈M | ∀i∈I m ∈Mi}

ein Untermodul von M ist.

Gib ein Beispiel dafur an, daß die Vereinigung⋃i∈I

Mi = {m ∈M | ∃i∈I m ∈Mi}

im allgemeinen kein Untermodul von M ist.

(Tip: R{1} und R{2} in R2.)

Aufgabe 4.3.7. Seien R ein Ring und M ein R-Modul. Seien M1, . . . ,Mn Untermodulnvon M . Zeige, daß dann auch die Summe

M1 + · · ·+Mn := {m1 + · · ·+mn | m1 ∈M1, . . . ,mn ∈Mn}

ein Untermodul von M ist.

Beispiel 4.3.8. Sei R ein Ring, welchen wir auch als R-Modul uber sich selbst auffassen.Ist dann I ein Ideal von R, so wird I in naturlicher Weise zu einem R-Untermodul.Umgekehrt ist jeder Untermodul von R ein Ideal.

Beispiel 4.3.9. Seien R ein Ring und M ein R-Modul. Fur m1, . . . ,mn ∈M setzen wir

〈m1, . . . ,mn〉 := {a1 ·m1 + · · ·+ an ·mn | ai ∈ R} ⊂M.

Dann ist 〈m1, . . . ,mn〉 ein Untermodul von M . Untermoduln dieser Form heißen endlicherzeugt, die m1, . . . ,mn Erzeuger.

Den Modul M wollen wir als endlich erzeugt bezeichnen, wenn er als Untermodul vonsich selbst endlich erzeugt ist.

Einen Ausdruck der Form

a1 ·m1 + · · ·+ an ·mn

mit ai ∈ R nennen wir auch eine Linearkombination der mi.

Beispiele fur endlich erzeugte Moduln erhalten wir sofort:

Beispiel 4.3.10. Sei R ein (kommutativer) Ring. Dann sind die e1, . . . , en ∈ Rn Erzeugerdes Moduls Rn, denn ein beliebiger Spaltenvektor v = (vi) ∈ Rn hat die Form

v = vi · ei.

74

Page 75: Lineare Algebra

4.3 Untermoduln

Aufgabe 4.3.11. Sei R ein kommutativer Ring. Sei weiter A ∈ Rnm eine determinierte

Matrix. Zeige, daß der Losungsmodul des homogenen linearen Gleichungssystems A ·x =0 ein endlich erzeugter Untermodul von Rm ist.

(Tip: Es existieren 1 ≤ j1 < · · · < jd ≤ m und Losungen b1, . . . , bd ∈ Rm, fur die

bjkl =

{1 fur l = k

0 fur l 6= k

gilt. Jede andere Losung ist dann eine Linearkombination der bk.)

Beispiel 4.3.12. Sei E die Menge der Punkte in der Ebene und V der Raum der Vektorenin E. Wir wahlen zwei Vektoren v, w ∈ V , welche durch Pfeile dargestellt werden,welche nicht parallel sind. Durch Konstruktion ergibt sich dann, daß sich jeder Vektorals Linearkombination von v und w schreiben laßt.

Wir fahren mit weiteren Beispielen von Untermoduln fort:

Beispiel 4.3.13. Die Menge der beliebig oft differenzierbaren Funktionen C∞(R) bildeteinen R-Untermodul von RR.

Beispiel 4.3.14. Sei E die Menge der Punkte in der Ebene und g irgendeine Gerade inE. Mit V bezeichnen wir wieder die Menge der Vektoren in E. Die Menge der Vektoren,welche durch Pfeile parallel zu g dargestellt werden, bildet dann einen Untervektorraumvon V .

Mit einer linearen Abbildung sind immer zwei Untermoduln verknupft: Seien R einRing und φ : M → N eine lineare Abbildung. Wir erinnern an die Definition

imφ := {φ(m) | m ∈M} ⊂ N.

Wir behaupten, daß imφ ein Untermodul von N ist:

1. Es ist 0 = φ(0) ∈ imφ.

2. Seien m1,m2 ∈M . Dann ist φ(m1) + φ(m2) = φ(m1 +m2) ∈M .

3. Sei m ∈M und a ∈ R. Dann ist a · φ(m) = φ(a ·m) ∈ imφ.

Weiter setzen wir

kerφ := {m ∈M | φ(m) = 0} ⊂M.

Wir behaupten, daß kerφ ein Untermodul von M ist:

1. Es ist φ(0) = 0, also 0 ∈ kerφ.

2. Seien m1,m2 ∈ kerφ. Dann ist φ(m1 + m2) = φ(m1) + φ(m2) = 0 + 0 = 0, alsom1 +m2 ∈ kerφ.

3. Sei m ∈ kerφ und a ∈ R. Dann ist φ(a ·m) = a ·φ(m) = a ·0 = 0, also a ·m ∈ kerφ.

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Page 76: Lineare Algebra

4 Vektorraume

Definition 4.3.15. Sei R ein Ring. Sei φ : M → N eine lineare Abbildung. Dann heißtkerφ der Kern und imφ das Bild von φ.

Aufgabe 4.3.16. Seien R ein Ring und M und N zwei R-Moduln. Sei M endlich er-zeugt. Zeige, daß das Bild imφ einer linearen Abbildung φ : M → N endlich erzeugt alsUntermodul von N ist.

(Tip: Betrachte die Bilder der Erzeuger von M .)

Beispiel 4.3.17. Der Kern der linearen Abbildung

C∞(R)→ C∞(R), f 7→ f ′

ist der Untervektorraum der konstanten Funktionen auf R.

Aufgabe 4.3.18. Zeige, daß eine lineare Abbildung φ : M → N zwischen R-Moduln genaudann injektiv ist, falls kerφ der Nullmodul ist.

Beispiel 4.3.19. Seien R ein kommutativer Ring und A ∈ Rnm eine Matrix. Der Kern

der linearen Abbildung A : Rm → Rn ist gerade der Losungsmodul des homogenenGleichungssystem A · x = 0.

Aufgabe 4.3.20. Schreibe den Kern von−38 −135 −42 −2113 46 14 7−4 −14 −4 −2−5 −17 −4 −2

: Q4 → Q4

in der Form 〈v1, . . . , vk〉, wobei die vi Vektoren im Q-Vektorraum Q4 sind.

Aufgabe 4.3.21. Sei φ : M → N eine lineare Abbildung zwischen R-Moduln. Sei V einUntermodul von N . Zeige, daß φ−1(V ) ein Untermodul von M ist.

Warum ist dies eine Verallgemeinerung der Tatsache, daß der Kern einer linearenAbbildung ein Untermodul ist?

4.4 Direkte Summen

Sei R ein Ring und seien M und N zwei R-Moduln. Auf der Menge M ⊕N := M ×Nder Paare von Elementen aus M und N definieren wir die Struktur eines R-Moduls wiefolgt: Fur (m1, n1) ∈M ⊕N und (m2, n2) ∈M ⊕N setzen wir

(m1, n1) + (m2, n2) := (m1 +m2, n1 + n2)

und fur a ∈ R und (m,n) ∈M ⊕N setzen wir

a · (m,n) = (a ·m, a · n).

Weiter sei eine Null in M ⊕N durch

0 := (0, 0)

definiert. Die Axiome fur einen R-Modul sind schnell verifiziert.

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Page 77: Lineare Algebra

4.4 Direkte Summen

Definition 4.4.1. Sei R ein Ring. Seien M und N zwei R-Moduln. Der R-Modul M⊕Nheißt die direkte Summe von M und N .

Beispiel 4.4.2. Fur jeden Ring R gibt es einen naturlichen Isomorphismus

Rn ⊕Rm → Rn+m.

Aufgabe 4.4.3. Sei R ein Ring. Sei M ein Modul und seien N1 und N2 zwei Untermodulnvon M mit N1 ∩N2 = {0}. Zeige, daß

N1 ⊕N2 → N1 +N2, (n1, n2) 7→ n1 + n2

ein Isomorphismus ist.In diesem Falle sagen wir auch, daß die Summe N1 +N2 eine direkte ist.

Definition 4.4.4. Sei R ein Ring. Ein Untermodul A eines R-Moduls M heißt eindirekter Summand von M , falls ein Untermodul B existiert, so daß

A⊕B →M, (a, b) 7→ a+ b

ein Isomorphismus ist. In diesem Falle heißt B ein komplementarer Summand von A.

Beispiel 4.4.5. Seien R ein Ring und I ⊂ {1, . . . , n} eine herauslosbare Teilmenge. Dannist RI ein direkter Summand von Rn.

Beispiel 4.4.6. Der Untermodul (2) des Z-Moduls Z ist kein direkter Summand.

Hilfssatz 4.4.7. Sei R ein Ring. Sei A ein Untermodul eines R-Moduls M . Dann istA genau dann direkter Summand von M , wenn ein Endomorphismus φ : M → M mitφ2 = φ und A = imφ existieren. In diesem Falle ist

B := {m− φ(m) | m ∈M}

ein komplementarer Summand von A.

Der Endomorphismus φ heißt Projektion auf A langs B.

Beweis. Zunachst nehmen wir an, daß M = A ⊕ B. In diesem Falle konnen wir jedesm ∈ M eindeutig als m = a + b mit a ∈ A und b ∈ B schreiben. Wir definierenφ : M → M durch φ(m) = a. Aus der Eindeutigkeit der Darstellung folgt, daß φ linearsein muß. Es ist φ2 = φ und imφ = A.

Sei umgekehrt φ : M → M ein Endomorphismus mit φ2 = φ und imφ = A. Wirsetzen B wie in der letzten Behauptung im Hilfssatz. Jedes m ∈ M konnen wir alsm = φ(m) + (m−φ(m)) also als Summe von Elementen von A und von B schreiben. Esfolgt, daß M = A+B. Es bleibt zu zeigen, daß A ∩B = {0}. Dazu sei m ∈ A ∩B, alsom = φ(x) und m = y−φ(y) fur x, y ∈M . Es folgt φ(m) = φ(y−φ(y)) = φ(y)−φ2(y) = 0und φ(m) = φ2(x) = φ(x) = m, also m = 0.

Aufgabe 4.4.8. Sei R ein Ring. Sei A ein direkter Summand eines endlich erzeugten R-Moduls M . Zeige, daß A endlich erzeugt ist und einen endlich erzeugten komplementarenSummanden besitzt.

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Page 78: Lineare Algebra

4 Vektorraume

4.5 Freie Moduln

Die in der linearen Algebra behandelten Moduln sind in der Regel von besonders einfa-cher Form:

Definition 4.5.1. Seien R ein Ring und M ein R-Modul.

1. Ein Tupel (v1, . . . , vn) von Elementen in M heißt ein Erzeugendensystem von M ,falls

∀m∈M∃a1,...,an∈Rm = aivi,

falls also v1, . . . , vn den Modul M erzeugen.

2. Ein Tupel (v1, . . . , vn) von Elementen in M heißt linear unabhangig, falls

∀a1,...,an∈R,(aivi = 0 =⇒ a1 = · · · = an = 0

).

3. Ein linear unabhangiges Erzeugendensystem (v1, . . . , vn) von M heißt eine Basisder Lange n von M .

4. Der Modul M heißt frei vom Rang n, falls er eine Basis der Lange n besitzt.

Ist K ein Korper, so nennen wir einen freien Vektorraum V vom Rang n uber K einenendlich-dimensionalen Vektorraum der Dimension n und schreiben dimV = n.

Spater werden wir sehen, daß Rang und Dimension im allgemeinen wohldefiniert sind.

Aufgabe 4.5.2. Seien R ein kommutativer Ring und M ein freier R-Modul mit Basisv1, . . . , vn. Zeige, daß fur alle m ∈ M genau ein Zeilenvektor a ∈ Rn mit m = aiviexistiert.

Die Eintrage ai von a heißen die Koordinaten von m bezuglich der Basis v1, . . . , vn.

Beispiel 4.5.3. Sei R ein Ring. Der Modul Rn der Spaltenvektoren ist frei vom Rang nmit Basis e1, . . . , en.

Der Modul Rn der Zeilenvektoren ist frei vom Rang n mit Basis e1, . . . , en.

Bemerkung 4.5.4. Das letzte Beispiel konnen wir auch umkehren: Ist R ein Ring und Mein freier R-Modul mit Basis V := (v1, . . . , vn), so ist

V : Rn →M, a 7→ aivi

ein Isomorphismus. Bis auf Isomorphie sehen also alle freien Moduln wie Rn aus.Umgekehrt definiert ein Isomorphismus V : Rn →M eine Basis

V := (V (e1), . . . , V (en)).

Beispiel 4.5.5. Der Z-Modul Z/(3) ist nicht frei.

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Page 79: Lineare Algebra

4.6 Endlich-dimensionale Vektorraume

Bemerkung 4.5.6. Sei R ein kommutativer Ring. Sei φ : M → N eine lineare Abbildungzwischen R-Moduln M und N . Ist dann V := (v1, . . . , vm) eine Basis von M und W :=(w1, . . . , wn) eine Basis von N , so konnen wir der linearen Abbildung φ die lineareAbbildung W−1 ◦ φ ◦ V : Rm → Rn zuordnen, welche durch eine Matrix gegeben ist,welche wir wieder mit W−1 ◦ φ ◦ V ∈ Rn

m bezeichnen wollen. Diese Matrix heißt dieDarstellungsmatrix von φ bezuglich der Basen V und W .

Ist v ∈M ein Element mit v = ajvj fur a ∈ Rn, so gilt

φ(v) = aj · (W−1 ◦ φ ◦ V )ij · wi.

Ist umgekehrt A ∈ Rnm eine Matrix, so existiert genau eine lineare Abbildung φ : M →

N , namlich φ = W ◦ A ◦ V −1, mit W−1 ◦ φ ◦ V = A.Bei gewahlten Basen von M und N entsprechen die linearen Abbildungen M → N

also umkehrbar den Matrizen A ∈ Rnm.

Aufgabe 4.5.7. Sei R ein kommutativer Ring. Sei V := (v1, . . . , vn) eine Basis eines freienR-Moduls M . Dann ist die Darstellungsmatrix von idM durch die Einheitsmatrix I ∈ Rn

n

gegeben.

Aufgabe 4.5.8. Sei R ein kommutativer Ring. Sei φ : M → N eine lineare Abbildungzwischen den freien R-Moduln M und N . Seien V, V ′ Basen von M und W,W ′ Basenvon N . Sei A die Darstellungsmatrix von φ bezuglich der Basen V und W . Zeige, daß

A′ := W ′−1WAV −1V ′

die Darstellungsmatrix von φ bezuglich der Basen V ′ und W ′ ist.

4.6 Endlich-dimensionale Vektorraume

Satz 4.6.1. Sei K ein diskreter Korper. Seien V und W Vektorraume uber K derDimensionen m beziehungsweise n. Fur jede lineare Abbildung φ : V → W existierendann Basen T := (t1, . . . , tm) von V und U := (u1, . . . , un) von W und ein Index r ≤n,m, so daß

φ(ti) =

{ui fur 1 ≤ i ≤ r

0 fur r < i ≤ m,

das heißt es ist

U−1 ◦ φ ◦ T =

1 0 · · · · · · · · · · · · 0

0. . . . . .

......

. . . . . . . . ....

0 · · · 0 1 0 · · · 00 · · · · · · · · · · · · · · · 0...

...0 · · · · · · · · · · · · · · · 0

mit r Einsen auf der Hauptdiagonalen.

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Page 80: Lineare Algebra

4 Vektorraume

Wir sagen, daß die lineare Abbildung bezuglich der Basis T und U in Normalform mitRang r ist. Zwei lineare Abbildungen mit derselben Normalform heißen aquivalent.

Beweis. Seien R := (r1, . . . , rm) und S := (s1, . . . , sn) beliebige Basen von V beziehungs-weise W . Sei A := S−1 ◦ φ ◦R ∈ Kn

m.Es existieren dann Permutationen σ ∈ Sn und τ ∈ Sm, eine unipotente untere Drei-

ecksmatrix D und eine obere Dreiecksmatrix in Stufenform B von einem Rang r, so daßAστ = D · B. Indem wir die Basen R und S umindizieren, konnen wir davon ausgehen,daß σ und τ die identischen Permutationen sind, also A = D ·B, also B = (SD)−1◦φ◦R.Wir definieren die Basis U durch U := S ·D.

Das Gleichungssystem B · x = ei hat fur 1 ≤ i ≤ r genau eine Losung xi ∈ Rm mitxji = 0 fur j > r. Wir setzen ti := xjirj. Dann gilt

φ(ti) = φ(xjirj) = xjiφ(rj) = xjiU(B · ej) = U(B · xi) = U(ei) = ui.

Das Gleichungssystem B · x = 0 hat fur r < i ≤ m genau eine Losung xi ∈ Rm mit

xji =

{1 fur i = j, j > r

0 fur i 6= j, j > r.

Wir setzen ti := xjirj. Dann gilt

φ(ti) = φ(xjirj) = xjiφ(rj) = xjiU(B · ej) = U(B · xi) = U(0) = 0.

Es bleibt zu zeigen, daß T := (t1, . . . , tm) eine Basis ist. Da R ein Isomorphismus ist,reicht es zu zeigen, daß (x1, . . . , xm) eine Basis ist. Um die lineare Unabhangigkeit zuzeigen, betrachten wir eine Linearkombination aixi = 0 mit a ∈ Km, also aixji = 0 furalle j.

Betrachten wir ein j > r. Nach Konstruktion der xi ist xji 6= 0 nur fur i = j. Darausfolgt ai = 0 fur i > r.

Dann wenden wir B auf aixi = 0 an und erhalten∑r

i=1 aiei = 0. Da die ei linear

unabhangig sind, erhalten wir ai = 0 fur i ≤ r.Es bleibt zu zeigen, daß (x1, . . . , xm) den Modul Km erzeugt. Sei dazu a ∈ Km ein

beliebiger Vektor. Wir setzen

a′ := a−∑j>r

ajxj.

Da das Bild von B durch e1, . . . , er aufgespannt wird, existieren v1, . . . , vr ∈ K mit

B(a′) =∑j≤r

vjej = B(∑j≤r

vjxj).

Die Gleichung B · y = B(a′) hat genau eine Losung y ∈ Rm mit yj = 0 fur j > r. Dadies aber sowohl auf a′ also auch auf

∑j≤r v

jxj zutrifft, erhalten wir

a′ =∑j≤r

vjxj

80

Page 81: Lineare Algebra

4.6 Endlich-dimensionale Vektorraume

und damita ==

∑1≤r

vjxj +∑j>r

ajxj.

Aufgabe 4.6.2. Sei die Matrix

A :=

−6 −42 −105−4 −23 −602 12 31

∈ Q33

gegeben. Berechne zwei Basen T = (t1, t2, t3) und U = (u1, u2, u3) von Q3, so daß dielineare Abbildung A bezuglich dieser Basen in Normalform ist.

Aufgabe 4.6.3. SeiK ein diskreter Korper und V ein endlich-dimensionalerK-Vektorraum.Zeige, daß eine lineare Abbildung φ : V → V genau dann aquivalent zu idV : V → V ist,wenn φ invertierbar ist.

Wir konnen jetzt zeigen, daß die Dimension eines endlich-dimensionalen Vektorraumesuber einem diskreten Korper eine wohldefinierte Invariante ist:

Folgerung 4.6.4. Seien K ein diskreter Korper und V ein endlich-dimensionaler Vek-torraum uber K. Dann haben je zwei Basen von V dieselbe Lange.

Beweis. Sei eine Basis der Lange m und eine Basis der Lange n gegeben, das heißt dieDimension von V ist m und n. Nach Satz 4.6.1 angewendet auf die Identitat idV : V →V existieren Basen t1, . . . , tm und u1, . . . , un, so daß die Darstellungsmatrix von idVbezuglich dieser in Normalform von einem Rang r ist. Da idV injektiv ist, muß r = mgelten (kein Basisvektor ti darf auf 0 abgebildet werden). Da idV surjektiv ist, mußaußerdem r = n gelten (jeder Basisvektor uj muß getroffen werden). Es folgt also n =m.

Satz 4.6.5. Sei K ein diskreter Korper. Sei φ : V → W eine lineare Abbildung zwischenendlich-dimensionalen K-Vektorraumen. Dann sind kerφ und imφ endlich-dimensionaleSummanden von V beziehungsweise W , und es gilt die Rangformel

dim kerφ+ dim imφ = dimV.

Die Dimension imφ des Bildes heißt der Rang rkφ von φ.

Beweis. Nach dem letzten Satz existieren eine Basis T = (t1, . . . , tm) von V und U =(u1, . . . , un) und ein 1 ≤ r ≤ m,n mit

φ(ti) =

{ui fur 1 ≤ i ≤ r und

0 fur r < i ≤ n.

Es folgt, daß (tr+1, . . . , tm) eine Basis des Kerns und (u1, . . . , ur) eine Basis des Bildesvon φ ist, woraus insbesondere die Dimensionsformel folgt. Weiter ist (t1, . . . , tr) eineBasis eines komplementaren Summanden des Kernes und (ur+1, . . . , un) eine Basis eineskomplementaren Summanden des Bildes.

81

Page 82: Lineare Algebra

4 Vektorraume

Aufgabe 4.6.6. Berechne eine Basis von Kern und Bild der linearen Abbildung4t+ 1 −t −6t− 2

1 0 08t− 2 −2t 2− 12t

3 0 −2

: Q(t)3 → Q(t)4.

Satz 4.6.7. Sei K ein diskreter Korper. Ist dann W ein endlich erzeugter Untervek-torraum eines endlich-dimensionalen Vektorraumes V uber K, so ist W ein endlich-dimensionaler Summand von V .

Beweis. Sei W = 〈v1, . . . , vn〉. Dann ist

φ : Kn → V, a 7→ aivi

eine lineare Abbildung mit W = imφ. Es folgt, daß W ein endlich-dimensionaler Sum-mand von V ist.

Aufgabe 4.6.8. Sei der diskrete Korper (?) F4 := F2[x]/(x2 + x+ 1) mit vier Elementen(?) gegeben.

Sei der Untervektorraum

W :=

⟨1xx

x+ 1

,

1x

x+ 1x+ 1

,

x+ 1

101

,

x+ 1

1x+ 1x

von F44 gegeben.

Berechne eine Basis von W und eine eines komplementaren Summanden von W .

Aufgabe 4.6.9. Sei K ein diskreter Korper. Sind dann A und B endlich erzeugte Un-terraume eines endlich-dimensionalen Vektorraumes V uber K, so ist A∩B ein endlich-dimensionaler Summand von V .

(Tip: Ist C ein komplementarer Summand von B und π : V → C eine Projektion aufC langs B, so ist A ∩B = ker π|A.)

Aufgabe 4.6.10. Zeige den Basiserganzungssatz : SeiK ein diskreter Korper. Seien v1, . . . , vrlinear unabhangige Vektoren in einem endlich-dimensionalen Vektorraum V uber K. Zei-ge, daß Vektoren vr+1, . . . , vn ∈ V existieren, so daß (v1, . . . , vn) eine Basis von V ist.

Hilfssatz 4.6.11. Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber einem diskretenKorper K. Seien v1, . . . , vr ∈ V . Dann ist die Aussage, daß die Vektoren v1, . . . , vrlinear unabhangig sind, entscheidbar.

Beweis. Seiφ : Kr → V, a 7→ aivi

Dann sind v1, . . . , vr linear unabhangig genau dann, wenn dim kerφ = 0.

82

Page 83: Lineare Algebra

4.7 Affine Raume

Aufgabe 4.6.12. Zeige den Austauschsatz von Steinitz : Sei K ein diskreter Korper. Sei(v1, . . . , vn) eine Basis eines endlich-dimensionalen Vektorraumes V uber K. Sind dann(w1, . . . , wm) ∈ V linear unabhangige Vektoren, so existieren 1 ≤ j1 < · · · < jn−m ≤ n,so daß

(vj1 , . . . , vjn−m , w1, . . . , wm)

eine Basis von V ist.(Tip: Zwei Basen von V haben die gleiche Lange, namlich n. Zeige dann: Sind w1, . . . , wr

linear unabhangig mit r < n, so existiert ein j, so daß w1, . . . , wr, vj linear unabhangigsind.)

4.7 Affine Raume

Sei E die Ebene. Wir erinnern an die Konstruktion des Vektorraumes V der Vekto-ren in E. Mit Hilfe dieser Vektoren lassen sich Punkte in E verschieben. Der prazisemathematische Begriff hier ist der folgende:

Definition 4.7.1. Seien R ein Ring und M ein R-Modul. Ein affiner Raum A uberM ist eine Menge A zusammen mit einer Operation M × A → A, (v, p) 7→ v + p, derTranslation, so daß folgende Axiome erfullt sind:

1. Die Null ist das neutrale Element der Translation: ∀p∈A 0 + p = p.

2. Die Translation ist assoziativ: ∀v,w∈M∀p∈A v + (w + p) = (v + w) + p.

3. Die Translation ist transitiv: ∀p,q∈A∃v∈M q = v + p.

4. Die Translation ist eine freie Operation: ∀p∈A∀v∈M (p = v + p =⇒ v = 0).

5. Die Menge A enthalt mindestens ein Element: ∃a∈A>.

Ist M ein freier Modul vom Rang n, so nennen wir A auch einen n-dimensionalenaffinen Raum.

Elemente eines affinen Raumes nennen wir in der Regel Punkte.

Aufgabe 4.7.2. Seien R ein Ring und M ein R-Modul. Sei A ein affiner Raum uber M .Zeige, daß fur je zwei Punkte p, q ∈ A genau ein Vektor v ∈M mit q = v + p existiert.

Diesen Vektor bezeichnen wir mit q − p.Beispiel 4.7.3. Sei R ein Ring. Jeder R-Modul ist bezuglich seiner Addition M ×M →M, (v, w) 7→ v + w ein affiner Raum uber sich selbst.

Bemerkung 4.7.4. Seien R ein Ring und M ein R-Modul. Ist dann A ein affiner RaumuberM , so konnen wir die Menge P := A×A der Pfeile in A betrachten. Auf P definierenwir eine Aquivalenzrelation ∼ wie folgt: Sind p = (p0, p1) ∈ P und q = (q0, q1) ∈ P , sosei

p ∼ q ⇐⇒ q0 − p0 = q1 − p1.

83

Page 84: Lineare Algebra

4 Vektorraume

Sei a ∈ A. Dann ist die Abbildung

V 7→ P/ ∼ v 7→ [v + a, a]

eine Bijektion, welche unabhangig von der Wahl von a ist.

Diese Konstruktion verallgemeinert die Konstruktion der Menge der Vektoren V derEbene E.

Beispiel 4.7.5. Seien R ein kommutativer Ring, A ∈ Rnm und c ∈ Rn. Die Menge der

Losungen von A · x = c bildet dann einen affinen Raum uber der Menge der Losungendes homogenen Systems A · x = 0:

Sind b, b′ ∈ Rn zwei Losungen von A · x = c, so ist b − b′ eine Losung von A · x = 0.Ist b ∈ Rn eine Losung von A · x = c und ist v ∈ Rn eine Losung von A · v = 0, so istb+ v wieder eine Losung von A · x = c.

Beispiel 4.7.6. Seien R ein Ring und M ein R-Modul. Sei N ein Untermodul. Schließlichsei a ∈M . Die Menge

N + a := {p ∈M | p− a ∈ N}

wird vermoge der Operation N × (N + a) → N + a, (v, p) 7→ v + p zu einem affinenRaum uber N .

Ein solcher affiner Raum heißt ein affiner Unterraum von N .

Aufgabe 4.7.7. Seien R ein Ring und M ein R-Modul. Sei A eine Teilmenge von M . Sei2 in R invertierbar. Zeige, daß A genau dann ein affiner Unterraum von M ist, falls

∃a∈M a ∈ A

und

∀p,q∈M∀t∈R (p, q ∈ A =⇒ tp+ (1− t)q ∈ A) .

Aufgabe 4.7.8. Seien R ein Ring und M ein R-Modul. Seien A und B zwei affine Un-terraume von M . Zeige, daß A ∩ B ebenfalls ein affiner Unterraum von M ist, voraus-gesetzt, es existiert ein a ∈M mit a ∈ A ∩B.

Bemerkung 4.7.9. Sei R ein Ring und M ein freier Modul uber R. Sei A ein affiner Raumuber M . Unter einem affinen Koordinatensystem o; v1, . . . , vn von M wollen wir dann einTupel bestehend aus einem Punkt o ∈ A und einer Basis (v1, . . . , vn) von M verstehen.Der Punkt o heißt der Ursprung, die Vektoren vi die Achsen des Koordinatensystems.

Fur jeden Punkt p ∈ A existieren dann eindeutige a1, . . . , an ∈ R, so daß

p = o+ aivi.

Wir nennen die ai die affinen Koordinaten von p bezuglich des Koordinatensystems(o; v1, . . . , vn).

84

Page 85: Lineare Algebra

4.7 Affine Raume

Definition 4.7.10. Sei R ein Ring. Seien M und N zwei R-Moduln. Sei A ein affinerRaum uber M und B ein affiner Raum uber N .

Eine affine Abbildung f : A → B ist dann eine Abbildung f , so daß fur jedes a ∈ Adie Abbildung

M → N, v 7→ f(v + a)− f(a)

eine lineare ist.

Bemerkung 4.7.11. Sei R ein Ring. Seien M und N zwei R-Moduln. Sei A ein affinerRaum uber M und B ein affiner Raum uber N . Sei f : A→ B eine lineare Abbildung.

Wir setzenf# : M → N, v 7→ f(v + a)− f(a)

undf ′# : M → N, v 7→ f(v + a′)− f(a′).

Mit v ∈M gilt dann

f#(v) = f(v + a)− f(a) = f(v + (a− a′) + a′)− f((a− a′) + a′)

= f ′#(v + (a− a′)) + f(a′)− (f ′#(a− a′) + f(a′)) = f ′#(v).

aufgrund der Linearitat. Damit ist eine Abbildung f : A → B genau dann affin, wenneine lineare Abbildung f# : M → N existiert, so daß

∀p∈A∀v∈V f(v + p) = f#(v) + f(p).

Wir nennen f# den linearen Anteil von f .

Beispiel 4.7.12. Sei A ein affiner Raum uber einem Modul M . Dann ist idA eine affineAbbildung, deren linearer Anteil durch idM gegeben ist.

Aufgabe 4.7.13. Sei R ein Ring. Seien M , N und P drei R-Moduln. Seien A, B und Cdrei affine Raume uber M , N und P . Zeigen Sie, daß die Verknupfung g ◦ f : A → Czwei affiner Abbildungen f : A → B und g : B → C wieder affin ist. Berechnen Sie denlinearen Anteil von g ◦ f .

Aufgabe 4.7.14. Sei R ein Ring. Seien M ein R-Modul und A ein affiner Raum uber M .Sei v ∈M ein Vektor. Zeige, daß die Translation um v

f : M →M, p 7→ v + p

eine affine Abbildung ist, und gebe ihren linearen Anteil an.

Bemerkung 4.7.15. Sei R ein Ring. Seien M und N zwei R-Moduln. Sei A ein affinerRaum uber M , und sei B ein affiner Raum uber N . Seien schließlich a0 ∈ A und b0 ∈ B.

Es definiertg : A→M ⊕R, a 7→ (a− a0, 1)

einen Isomorphismus — das heißt eine affine Bijektion, deren Umkehrung wieder affinist — von A auf den affinen Unterraum (0, 1) + M von M ⊕ R. Analog ist h : B →

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Page 86: Lineare Algebra

4 Vektorraume

N ⊕ R, a 7→ (b − b0, 1) ein Isomorphismus auf den affinen Unterraum (0, 1) + N vonN ⊕R.

Ist dann f : A→ B eine affine Abbildung, so ist

f : M ⊕R→ N ⊕R, (m, r) 7→ (r · (f(a0)− b0) + f#(m), r)

eine lineare Abbildung, fur die

∀a∈A f(g(a)) = h(f(a))

gilt. In diesem Sinne konnen wir jeden affinen Raum als affinen Unterraum und jedeaffine Abbildung als lineare Abbildung ansehen.

4.8 Quotientenraume

Sei ein Modul M uber einem Ring R gegeben. Sei N ein Untermodul von M . Auf Mdefinieren wir eine Aquivalenzrelation ∼N durch

∀m,m′∈M m ∼N m′ ⇐⇒ m−m′ ∈ N.

Die Menge der Aquivalenzklassen wird mit

M/N := M/∼N

bezeichnet, die Aquivalenzklasse eines Elementes m mit [m]N oder auch nur mit [m]. Wirmachen die Menge M/N durch die folgenden Setzungen zu einem R-Modul. Zunachstist die Addition durch

[m]N + [m′]N := [m+m′]N

fur m,m′ ∈M gegeben. Das Nullelement ist durch

0 := [0]N

gegeben. Die Operation von R auf M/N ist schließlich durch

a · [m]N := [a ·m]N

fur a ∈ R und m ∈ M gegeben. Wir verzichten an dieser Stelle darauf, nachzurechnen,daß durch diese Setzungen in der Tat ein wohldefinierter R-Modul gegeben wird. Furdie Wohldefiniertheit geht entscheidend ein, daß N ein Untermodul und nicht irgendeineTeilmenge von M ist.

Definition 4.8.1. Seien R ein Ring, M ein R-Modul und N ein Untermodul von M .Der R-Modul M/N heißt der Quotientenmodul von M nach N .Im Falle, daß R ein Korper ist, sprechen wir auch von einem Quotientenvektorraum.

86

Page 87: Lineare Algebra

4.8 Quotientenraume

Bemerkung 4.8.2. Seien R ein Ring, M ein R-Modul und N ein Untermodul von M .Die naturliche Abbildung

π : M →M/N, m→ [m]N ,

welche jedes Element von M auf seine Aquivalenzklasse schickt, ist eine surjektive lineareAbbildung. (Die Modulstruktur auf M/N ist gerade so definiert worden, daß π linearist.)

Diese Abbildung wollen wir die Quotientenabbildung oder die Strukturabbildung vonM/N nennen.

Beispiel 4.8.3. Seien R ein Ring und I ein Ideal von R. Wir erinnern an die Konstruktiondes Faktorringes R/I, welcher als R-Algebra insbesondere ein R-Vektorraum ist.

Wir konnen das Ideal I aber auch als Untermodul des R-Moduls R auffassen. Damitkonnen wir nach der Vorschrift dieses Abschnittes den Quotientenmodul R/I definieren.Als R-Modul stimmt dieser mit dem Faktorring R/I uberein.

Bemerkung 4.8.4. Seien R ein Ring ein M ein R-Modul. Sei N ein Untermodul von M .Die Aquivalenzklassen [m]N in M/N sind genau die affinen Unterraume m+N langs N .

Beispiel 4.8.5. Seien R ein Ring und M ein R-Modul. Ist dann 0 der Nulluntermodulvon M — also derjenige Modul, welcher nur ein Element, namlich die Null, enthalt —,so ist M/0 ∼= M . Weiter ist M/M ∼= 0.

Aufgabe 4.8.6. Sei K ein diskreter Korper, V ein endlich-dimensionaler K-Vektorraumund U ein endlich-erzeugter Unterraum von V . Zeige, daß V/U diskret ist.

Ein wesentlicher Punkt, warum Quotientenvektorraume betrachtet werden, ist der,daß sie erlauben, Abbildungen in gewisser Weise injektiv zu machen. Dazu erinnern wirdaran, daß der Kern einer linearen Abbildung ein Maß dafur ist, daß diese nicht injektivist.

Der folgende Satz heißt der”Homomorphiesatz“:

Satz 4.8.7. Sei R ein Ring. Sei φ : M → N eine lineare Abbildung zwischen den R-Moduln M und N . Dann ist die Abbildung

φ : M/ kerφ→ imφ, [m] 7→ φ(m)

wohldefiniert und ein Isomorphismus von R-Moduln.

Beweis. Zunachst zeigen wir die Wohldefiniertheit: Seien etwa [m], [m′] ∈ M/ kerφ mit[m] = [m′], also m−m′ ∈ kerφ, also φ(m−m′) = 0. Daraus folgt: φ(m) = φ(m′).

Daß die Abbildung φ linear ist, folgt sofort aus der Linearitat von φ.Als nachstes zeigen wir die Injektivitat von φ: Sei dazu [m] ∈M/ kerφ mit φ([m]) = 0

gegeben, das heißt φ(m) = 0. Es folgt, daß m ∈ kerφ, also [m] = 0. Damit ist kerφ = 0,die lineare Abbildung φ also injektiv.

Es bleibt, die Surjektivitat zu zeigen. Dies folgt sofort aus der der Surjektivitat vonφ.

87

Page 88: Lineare Algebra

4 Vektorraume

Aufgabe 4.8.8. Sei R ein Ring, φ : M → N eine lineare Abbildung. Sei U ein Untermodulvon M . Zeige, daß die Abbildung

φ : M/U → N, [m]U 7→ φ(m)

genau dann wohldefiniert ist, wenn U ⊂ kerφ.Zeige weiter, daß in diesem Falle kerφ = kerφ/U gilt.

Definition 4.8.9. Sei R ein Ring. Eine Sequenz

Aφ−−−→ B

ψ−−−→ C

von R-Moduln und linearen Abbildungen zwischen ihnen heißt exakt (bei B), falls imφ =kerψ.

Eine Sequenz der Form

· · · −−−→ M i −−−→ M i+1 −−−→ · · ·

heißt exakt, wenn sie an jeder Stelle M i exakt ist, wenn also die Teilsequenzen

M i−1 −−−→ M i −−−→ M i+1

exakt sind.Eine kurze exakte Sequenz ist eine exakte Sequenz der Form

0 −−−→ M ′ −−−→ M −−−→ M ′′ −−−→ 0.

Beispiel 4.8.10. Sei R ein Ring.

1. Eine Sequenz von R-Moduln der Form

0 −−−→ Mφ−−−→ N

ist genau dann exakt (bei M), wenn φ injektiv ist.

2. Eine Sequenz von R-Moduln der Form

Mφ−−−→ N −−−→ 0

ist genau dann exakt (bei N), wenn φ surjektiv ist.

3. Eine Sequenz von R-Moduln der Form

0 −−−→ Mφ−−−→ N −−−→ 0

ist genau dann exakt (also bei M und N), wenn φ bijektiv ist.

Beispiel 4.8.11. Sei R ein Ring. Eine Sequenz von R-Moduln der Form

Mφ−−−→ N

ist genau dann exakt (bei M), wenn φ injektiv ist.

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Page 89: Lineare Algebra

4.8 Quotientenraume

Aufgabe 4.8.12. Sei R ein Ring und

0 −−−→ M ′ −−−→ M −−−→ M ′′ −−−→ 0

eine kurze exakte Sequenz von R-Moduln. Zeige, daß ein naturlicher IsomorphismusM ′′ ∼= M/M ′ existiert. (Dabei betrachten wir M ′ vermoge der injektiven AbbildungM ′ →M als Untermodul von M .

Beispiel 4.8.13. Sei R ein Ring. Sei φ : M → N eine lineare Abbildung. Dann sind dienaturlichen Sequenzen

0 −−−→ kerφ→M −−−→ imφ −−−→ 0

und0 −−−→ M/ kerφ −−−→ N −−−→ N/ imφ −−−→ 0

exakt.

Aufgabe 4.8.14. Sei K ein diskreter Korper. Sei

0 −−−→ V ′ −−−→ V −−−→ V ′′ −−−→ 0

eine kurze exakte Sequenz vonK-Vektorraumen. Seien zwei der drei Vektorraume endlich-dimensional. Zeige, daß dann auch der dritte Vektorraum endlich-dimensional ist unddaß

dimV = dimV ′ + dimV ′′

gilt.

Aufgabe 4.8.15. Betrachte die lineare Abbildung−1 3 47 −11 −6−5 5 −22 −1 3

: Q3 → Q4.

Berechne eine Basis von Q4/ imφ.

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Page 90: Lineare Algebra

4 Vektorraume

90

Page 91: Lineare Algebra

5 Abbildungsraume

5.1 Der Abbildungsraum

Sei R ein kommutativer Ring. In diesem Kapitel werden wir die Menge der linearenAbbildungen von einem R-Modul M in einen R-Modul N betrachten. Wir setzen

HomR(M,N) := {φ : M → N | φ ist R-linear}.

Wenn keine Mißverstandnisse zu erwarten sind, lassen wir den Index R auch weg undschreiben haufig einfach Hom(M,N).

Zunachst stellen wir fest, daß Hom(M,N) eine Teilmenge der Menge aller AbbildungenNM vonM nachN ist. Wir erinnern daran, daß wir die MengeNM mit der Struktur einesR-Moduls versehen haben, indem wir die R-Modulstruktur des Zielraumes N ausgenutzthaben. So haben wir die Summe von zwei Abbildungen f, g : M → N etwa durch

f + g : M → N, m 7→ f(m) + g(m)

definiert. Es rechnet sich schnell nach, daß f + g eine lineare Abbildung ist, sobald dieAbbildungen f und g linear sind. Außerdem ist die Null in NM , also die Nullabbildung,linear, und R-Vielfache von linearen Abbildungen sind wieder linear. Es folgt, daß dieMenge HomR(M,N) der R-linearen Abbildungen ein Untermodul des R-Moduls NM

aller Abbildungen ist.

Definition 5.1.1. Seien R ein kommutativer Ring und M und N zwei R-Moduln. DerR-Modul HomR(M,N) heißt der Abbildungsraum (der R-linearen Abbildungen) von Vnach W .

Bemerkung 5.1.2. Seien R ein kommutativer Ring, m,n ∈ N0. Wir erinnern daran, daßjede lineare Abbildung φ : Rm → Rn durch Multiplikation mit einer eindeutigen Matrixaus Rn

m gegeben ist. Wir konnen dies auch so ausdrucken, daß die Abbildung

Φ: Rnm → HomR(Rm, Rn), A 7→ (v 7→ A · v)

eine Bijektion von Mengen ist. Nun sind sowohl die linke als auch die rechte Seite R-Moduln. Die Matrizenaddition und Multiplikation von Matrizen mit Elementen aus Rsind gerade so gemacht, daß Φ eine lineare Abbildung wird. Damit ist Φ ein Isomorphis-mus, der Abbildungsraum von Rm nach Rn also isomorph zum R-Modul der (n ×m)-Matrizen.

91

Page 92: Lineare Algebra

5 Abbildungsraume

Beispiel 5.1.3. Seien R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Dann ist die Ab-bildung

Φ: M → HomR(R,M), m 7→ (a 7→ a ·m)

ein Isomorphismus von R-Moduln, dessen Umkehrung durch

Φ−1 : HomR(R,M)→M, φ 7→ φ(1)

gegeben ist.

Ist L ein dritter R-Modul, so konnen wir neben HomR(M,N) auch HomR(N,L) be-trachten. Sind dann φ ∈ HomR(M,N) und ψ ∈ HomR(N,L), so ist die Kompositionψ ◦ φ : M → L wieder linear, das heißt, wir haben eine wohldefinierte Abbildung

Υ: HomR(M,N)× HomR(N,L)→ HomR(M,L), (φ, ψ) 7→ ψ ◦ φ.

Hilfssatz 5.1.4. Seien R ein kommutativer Ring und M,N,L drei R-Moduln. Dann istdie Abbildung Υ: HomR(M,N)×HomR(N,L)→ HomR(M,L) eine bilineare Abbildung,das heißt linear in jedem Argument bei festgehaltenem anderen Argument.

Beweis. Wir rechnen die Linearitat im ersten Argument nach: Seien dazu φ, φ′ ∈ HomR(M,N),ψ ∈ HomR(N,L) und a ∈ R gegeben. Es genugt dann Υ(φ + a · φ′, ψ) = Υ(φ, ψ) + a ·Υ(φ′, ψ) zu zeigen. Dies ist eine Gleichheit von Abbildungen von M nach L. Die Gleich-heit zeigen wir durch Auswertung auf Elementen: Sei v ∈M beliebig. Dann ist

Υ(φ+ a · φ′, ψ)(v) = ψ((φ+ a · φ′)(v)) = ψ(φ(v) + a · φ′(v))

= ψ(φ(v)) + a · ψ(φ(v)) = Υ(φ, ψ)(v) + a ·Υ(φ′, ψ)(v) = (Υ(φ, ψ) + a ·Υ(φ′, ψ))(v).

Das Nachrechnen der Linearitat im zweiten Argument geht ganz analog.

Beispiel 5.1.5. Seien R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Wegen EndR(M) =HomR(M,M) folgt, daß auch die Menge der Endomorphismen von M die Struktur einesR-Moduls tragt. Mit der Verknupfung

◦ : EndR(M)× EndR(M)→ EndR(M), (ψ, φ) 7→ ψ ◦ φ

als Multiplikation wird EndR(M) sogar zu einer R-Algebra. Die Eins ist dabei durch dieidentische Abbildung idM gegeben.

Beispiel 5.1.6. Seien R ein kommutativer Ring und M,N,L drei R-Moduln. Jede lineareAbbildung φ : M → N definiert dann eine lineare Abbildung

φ∗ : HomR(N,L)→ HomR(M,L), ψ 7→ ψ ◦ φ

und jede lineare Abbildung ψ : N → L eine lineare Abbildung

ψ∗ : HomR(M,N)→ HomR(M,L), φ 7→ ψ ◦ φ.

92

Page 93: Lineare Algebra

5.1 Der Abbildungsraum

Aufgabe 5.1.7. SeienR ein kommutativer Ring undM,N,L dreiR-Moduln. Seien φ : M →N und ψ : N → L jeweils ein Isomorphism von R-Moduln. Zeige, daß dann auchφ∗ : HomR(N,L) → HomR(M,L) und ψ∗ : HomR(M,N) → HomR(M,L) zwei Isomor-phismen sind.

Aufgabe 5.1.8. Sei R ein kommutativer Ring. Sind M und N zwei freie R-Moduln vomRang m beziehungsweise n, so ist HomR(M,N) als R-Modul isomorph zu Rn

m.

Bemerkung 5.1.9. Aus der vorstehenden Aufgabe folgt: Ist R ein kommutativer Ring undsind M und N zwei freie R-Moduln vom Rang m beziehungweise n, so ist HomR(M,N)ein freier R-Modul vom Rang n ·m.

Im folgenden wollen wir eine Basis von HomR(M,N) konstruieren. Wir erinnern dazuan die Tatsache, daß eine Basis eines Moduls L nichts anderes als ein Isomorphismusder Form Rk → L von R-Moduln ist, welcher die Standardbasis (e1, . . . , ek) von Rk

auf die gegebene Basis von L schickt. Nun stellt es sich bei der Behandlung von Abbil-dungsraumen als sinnvoll heraus, auch mit Rk anstelle von Rk zu arbeiten. Eine Basisist also auch ein Isomorphismus Rk → L, welcher (e1, . . . , ek) auf die gegebene Basis vonL schickt.

Wir kombinieren beide Moglichkeiten auf folgende Weise: Eine Basis von HomR(M,N)laßt sich wie folgt konstruieren: Seien U := (u1, . . . , um) eine Basis von M und V :=(v1, . . . , vn) eine von N . Wir schreiben

U−1 = (u1, . . . , un)> : M → Rm

fur die m Komponenten der Umkehrung U−1 von U : Rm →M . Fur i ∈ {1, . . . ,m} undj ∈ {1, . . . , n} ist dann

vj · ui : M → N

eine lineare Abbildung.Es ist dann

V o U := (v1 · u1, . . . , vn · um)

eine Basis von HomR(M,N), welche wir als Isomorphismus

Rnm → HomR(M,N), ei · ej → vi · uj

von R-Moduln interpretieren.

Der Abbildungsraum hangt mit dem Quotientenraum wie folgt zusammen:

Beispiel 5.1.10. Sei R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Ist dann U einUntermodul von M , so gilt fur jeden weiteren R-Modul N , daß die Abbildung

HomR(M/U,N)→ {φ ∈ HomR(M,N)|φ|U = 0}, (φ 7→ (m 7→ φ([m]))

eine wohldefinierter Isomorphismen zwischen R-Moduln ist. (Dabei sei beachtet, daß dieMenge auf der rechten Seite ein Untermodul von HomR(M,N) ist.)

Diese Tatsache ist einfach eine Umformulierung des Homomorphiesatzes.

93

Page 94: Lineare Algebra

5 Abbildungsraume

Aufgabe 5.1.11. Sei R ein kommutativer Ring und

0 −−−→ Aφ−−−→ B

ψ−−−→ C −−−→ 0

eine exakte Sequenz von R-Moduln. Sei M ein weiterer R-Modul. Zeige, daß dann

0 −−−→ Hom(M,A)φ∗−−−→ Hom(M,B)

ψ∗−−−→ Hom(M,C)

ebenfalls eine exakte Sequenz von R-Moduln ist.

5.2 Der Dualraum

Seien R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Wir konnen außerdem R als R-Modul auffassen. Ein spezieller Abbildungsraum, den wir untersuchen konnen, ist durch

M∨ := Hom(M,R)

gegeben. In der linearen Algebra ist diese Konstruktion so wichtig, daß sie einen eigenenNamen bekommt:

Definition 5.2.1. Seien R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Der R-ModulM∨ heißt der Dualraum von M .

Elemente des Dualraums von M nennen wir Linearformen auf M und schreiben siein der Regel mit kleinen griechischen Buchstaben.

Beispiel 5.2.2. Sei R ein kommutativer Ring. Dann existiert ein naturlicher Isomorphis-mus

R∨ → R, λ→ λ(1)

von R-Moduln.

Beispiel 5.2.3. Sei n ∈ N1 eine positive, naturliche Zahl. Wir betrachten Z/(n) alsZ-Modul. Sei φ : Z/(n)→ Z eine lineare Abbildung. Fur alle k ∈ Z gilt dann:

n · φ([k]) = φ([n · k]) = φ([0]) = 0,

wegen n 6= 0 also φ([k]) = 0. Damit ist φ zwangslaufig die Nullabbildung. Folglich istder Dualraum von Z/(n), aufgefaßt als Z-Modul, der Nullmodul.

Beispiel 5.2.4. Sei R ein kommutativer Ring. Wir erinnern daran, daß fur m,n ∈ N0

eine naturlicher Isomorphismus

Rnm → HomR(Rm, Rn), A 7→ (v 7→ A · v)

existiert. Spezialisiert auf den Fall n = 1 erhalten wir also einen Isomorphismus

Rm → (Rm)∨, α 7→ (v 7→ α · v).

Wir sagen daher auch, daß der Raum der Zeilenvektoren der Dualraum zum Raumder Spaltenvektoren ist.

94

Page 95: Lineare Algebra

5.2 Der Dualraum

Beispiel 5.2.5. Sei R ein kommutativer Ring. Sei n ∈ N0. Fur jedes 1 ≤ i ≤ n ist danndie Abbildung

Rn → R, a 7→ ai,

welche einen Spaltenvektor auf seinen Eintrag in der i-ten Zeile abbildet, eine lineare unddamit ein Element im Dualraum von Rn. Unter der Identifikation (Rn)∨ ∼= Rn entsprichtdieser Linearform gerade der Zeilenvektor ei ∈ Rn, so daß wir die Linearform in Zukunftauch mit ei bezeichnen werden.

Jedem Paar bestehend aus einem Vektor v aus M und einer Linearform λ aus M∨

konnen wir ein Ringelement, einen Skalar, zuordnen, namlich λ(v). Um eine gewisseSymmetrie zwischen M und M∨ anzudeuten, die im Laufe dieses Kapitels aufgedecktwird, schreiben wir diese Zuordnung als

M∨ ×M → R, (λ, v) 7→ 〈λ, v〉M := λ(v).

Wenn keine Verwechslungsgefahr besteht, lassen wir den Index M auch haufig weg. Es istschnell nachgerechnet, daß der skalarwertige Ausdruck 〈·, ·〉 linear in jedem Argument,also bilinear, ist. Wir sprechen daher von einer Bilinearform.

Definition 5.2.6. Seien R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Dann heißt dieBilinearform

〈·, ·〉M : M∨ ×M → R

das Inzidenzprodukt auf M .

Bemerkung 5.2.7. Seien R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Das Inzidenz-produkt auf M ist im ersten Argument nicht ausgeartet. Damit ist folgendes gemeint:Sei λ ∈M∨ eine Linearform, fur die

∀v∈M 〈λ, v〉 = 0

gilt. Dann ist λ = 0. Das liegt einfach an der Tatsache, daß eine lineare Abbildung genaudann die Nullabbildung ist, wenn sie an jeder Stelle den Wert Null annimmt.

Unter geeigneten Voraussetzungen an den Modul ist das Inzidenzprodukt auch imzweiten Argument nicht ausgeartet:

Hilfssatz 5.2.8. Seien R ein kommutativer Ring und M ein freier R-Modul (endlichenRanges). Sei v ∈M ein Vektor, fur den

∀λ∈M∨ 〈λ, v〉 = 0

gilt. Dann ist v = 0.

Beweis. Da M ein freier R-Modul ist, existiert ein Isomorphismus φ : M → Rn vonR-Moduln. Sei v ∈ M ein Vektor, der die Voraussetzungen des Hilfssatzes erfullt. Wirmussen zeigen, daß v = 0 gilt. Es reicht dazu zu zeigen, daß φ(v) = 0. Es ist ei◦φ : M → Reine Linearform auf R. Damit ist

0 =⟨ei ◦ φ, v

⟩=⟨ei, φ(v)

⟩= (φ(v))i

fur alle 1 ≤ i ≤ n. Damit verschwinden alle Eintrage des Spaltenvektors φ(v), daher alsoφ(v) = 0.

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Page 96: Lineare Algebra

5 Abbildungsraume

Wir erinnern an die Konstruktion von Basen fur Abbildungsraume zwischen freienModuln. Diese Konstruktion werden wir auf den Dualraum spezialisieren. Sei etwa Mein freier R-Modul vom Rang n. Sei V := (v1, . . . , vn) eine Basis von M , also ein Iso-morphismus V : Rn →M, ei 7→ vi. Setzen wir dann

vi := ei ◦ V −1 : M → R,

so erhalten wir eine Basis V := (v1, . . . , vn)> : Rn →M∨ des Dualraums M∨ von M .

Definition 5.2.9. Seien R ein Ring und M ein R-Modul. Ist dann V = (v1, . . . , vn) eineBasis von M , so heißt die Basis V∗ = (v1, . . . , vn)> von M∨ die Dualbasis zur Basis V .

Dualbasen schreiben wir also immer in Spalten, deren Eintrage Linearformen sind.

Folgerung 5.2.10. Seien R ein Ring und M ein freier R-Modul vom Rang n ∈ N0.Dann ist auch M∨ ein freier R-Modul vom Rang n.

Aufgabe 5.2.11. Seien R ein Ring und M ein freier R-Modul. Sei V := (v1, . . . , vn) eineBasis von M . Zeige, daß (v1, . . . , vn)> genau dann die Dualbasis zu V ist, wenn

⟨vi, vj

⟩=

{1 fur i = j

0 sonst

fur alle 1 ≤ i, j ≤ n gilt.

Ist (v1, . . . , vn) eine Basis, wollen wir in Zukunft mit (v1, . . . , vn)> immer die Dualbasisbezeichnen.

Bemerkung 5.2.12. Sei R ein Ring. Sei M ein freier R-Modul mit Basis (v1, . . . , vn).Sei x ∈ M ein Vektor. Dann existieren nach Definition a1, . . . , an ∈ R mit x = aivi.Anwenden von vj auf diese Gleichung liefert: vj(x) = aivj(vi) = aj, also

x =⟨vi, x

⟩vi.

Analog gilt fur ξ ∈M∨, daß

ξ = 〈ξ, vi〉 vi.

Aufgabe 5.2.13. Seien

v1 :=

514

, v2 :=

2237

und v3 :=

625

∈ Z3.

Zeige, daß V := (v1, v2, v3) eine Basis des Z-Moduls Z3 ist, und berechne die zugehorigeDualbasis V∗.

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Page 97: Lineare Algebra

5.2 Der Dualraum

Sei φ : M → N eine lineare Abbildung zwischen zwei beliebigen R-Moduln. Wir erin-nern an die Definition von φ∗, welches durch

φ∗ : HomR(N, ·)→ HomR(M, ·), λ 7→ λ ◦ φ

gegeben ist, wobei wir fur den Punkt einen beliebigen weiteren R-Modul einsetzenkonnen, insbesondere also R selbst. Damit wird φ∗ zu einer Abbildung vom Dualraumvon N zum Dualraum von M und fur diese spezielle Abbildung schreiben wir

φ∨ : N∨ →M∨, λ 7→ λ ◦ φ.

Definition 5.2.14. Sei R ein Ring. Fur jede lineare Abbildung φ : M → N zwischenR-Moduln heißt φ∨ die duale (oder adjungierte) Abbildung zu φ.

Aufgabe 5.2.15. SeienR ein Ring undM undN zweiR-Moduln. Zeige, daß die Abbildung

Φ: HomR(M,N)→ HomR(N∨,M∨), φ 7→ φ∨

eine lineare ist.

Bemerkung 5.2.16. Den Zusammenhang zwischen einer linearen Abbildung und ihreradjungierten konnen wir auch uber das Inzidenzprodukt ausdrucken: Seien R ein Ringund φ : M → N eine lineare Abbildung. Dann gilt:

∀v∈M,µ∈N∨ 〈φ∨(µ), v〉M = 〈µ, φ(v)〉N .

Beispiel 5.2.17. Seien R ein kommutativer Ring und A ∈ Rnm eine Matrix uber R. Wir

interessieren uns fur die duale Abbildung zur linearen Abbildung A : Rm → Rn. Ausder Identifikation von (R·)∨ mit R· und der Tatsache, daß das Matrizenprodukt derKomposition von Abbildungen entspricht, folgt:

A∨ : Rn → Rm, α 7→ α · A.

(Es ist eine gute Ubung, sich zu uberlegen, daß wir hier Matrizen mit einer passendenZeilen- bzw. Spaltenanzahl miteinander multiplizieren.)

Die Abbildung A∨ ist in der obigen Darstellung durch eine Multiplikation (mit A) vonrechts gegeben. Soll die duale Abbildung (wie bei linearen Abbildungen ublich) durcheine Multiplikation mit einer Matrix von links dargestellt werden, so gelingt dies mitHilfe der Transposition von Vektoren und Matrizen. Es ist namlich

A∨(α) = A · α = (A> · α>)>

fur alle α ∈ Rn. Das bedeutet, daß die transponierte Matrix genau der Abbildungsmatrixder Dualisierung der Abbildung der nicht transponierten Matrix entspricht.

Beispiel 5.2.18. Seien R ein kommutativen Ring und N ein R-Modul. Sei ι : M → Ndie Inklusionsabbildung eines Untermoduls von M . Die duale Abbildung zu ι ist dann

ι∨ : N∨ →M∨, µ 7→ µ|M ,

das heißt die Einschrankung von N auf M .

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Page 98: Lineare Algebra

5 Abbildungsraume

Beispiel 5.2.19. Seien R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Dann ist

id∨M = idM∨ ,

was zum Beispiel schnell durch direkte Rechnung einzusehen ist. Eine andere Moglichkeitist die, das Inzidenzprodukt auszunutzen. Sei dazu λ ∈ M∨. Sei v ∈ M beliebig. Dannhaben wir

〈id∨M(λ), v〉 = 〈λ, idM(v)〉 = 〈λ, v〉 .

Aufgrund der Nichtausgeartetheit des Inzidenzproduktes im ersten Argument folgt dar-aus id∨M(λ) = λ, also die Behauptung.

Aufgabe 5.2.20. Seien R ein kommutativer Ring und φ : M → N und ψ : N → L zweilineare Abbildungen zwischen R-Moduln. Zeige, daß dann

(ψ ◦ φ)∨ = φ∨ ◦ ψ∨ : L∨ →M∨.

Aufgabe 5.2.21. Seien R ein kommutativer Ring und M und N zwei R-Moduln. Zeige,daß

(M ⊕N)∨ →M∨ ⊕N∨, λ 7→ (m 7→ λ((m, 0)), n 7→ λ((0, n)))

ein Isomorphismus von R-Moduln ist.

5.3 Annulatoren und Nullstellengebilde

Seien R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Es ist schnell nachgerechnet, daßfur jede Teilmenge U von R die Teilmenge

⊥U := {λ ∈M∨|∀v∈U 〈λ, v〉 = 0} ⊂M∨

von M∨ ein Untermodul von M∨ ist.

Definition 5.3.1. Seien R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Fur eine Teil-menge U ⊂M heißt der Untermodul ⊥U von M∨ der Annulator von U .

Der Annulator einer Teilmenge von Vektoren ist also die Menge derjenigen Linearfor-men, welche auf allen Elementen von U verschwinden.

Aufgabe 5.3.2. Sei R ein kommutativer Ring, und sei (v1, . . . , vn) eine Basis eines freienR-Moduls M . Sei

U := 〈v1, . . . , vm〉

der von den ersten m Vektoren aufgespannte Untervektorraum von M .Zeige, daß fur λ ∈M∨ dann gilt, daß

λ ∈ ⊥U ⇐⇒ λ ∈⟨vm+1, . . . , vn

⟩,

d.h.⊥U =

⟨vm+1, . . . , vn

⟩.

98

Page 99: Lineare Algebra

5.3 Annulatoren und Nullstellengebilde

Satz 5.3.3. Sei V ein endlich-dimensionaler Untervektorraum uber einem diskretenKorper K und sei U ein endlich erzeugter Untervektorraum von V . Dann ist ⊥U einendlich-dimensionaler Vektorraum und es gilt die Dimensionsformel

dimU + dim ⊥U = dimV.

Beweis. Nach dem Basiserganzungssatz, Aufgabe 4.6.10, existiert eine Basis v1, . . . , vmvon V , so daß U = 〈v1, . . . , vm〉. Dann folgt die Aussage aus Aufgabe 5.3.2.

Auch aus der folgenden Aussage laßt sich der vorhergehende Hilfssatz beweisen.

Aufgabe 5.3.4. Sei R ein kommutativer Ring. Seien A und B zwei R-Moduln. Sei V :=A⊕B, so daß wir A als Untermodul von V auffassen konnen. Insbesondere konnen wir⊥A ⊂ V ∨ bilden.

Zeige, daß⊥A→ B∨, λ 7→ (b 7→ λ((0, b))

ein Isomorphismus von R-Moduln ist.

Analog zum Annulator wird das Nullstellengebilde durch Vertauschung der Rollen vonRaum und Dualraum definiert:

Definition 5.3.5. Seien R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Fur eine Teil-menge S ⊂M∨ heißt der Untermodul

S⊥ := {v ∈M |∀λ∈S 〈λ, v〉 = 0}

von M das Nullstellengebilde von S.

Das Nullstellengebilde einer Menge von Linearformen ist also die Menge derjenigenVektoren, auf welchen alle Linearformen verschwinden.

Die Operation, den Annulator beziehungsweise das Nullstellengebilde zu formen, drehtInklusionen um. Damit ist folgendes gemeint:

Aufgabe 5.3.6. Seien R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Zeige: Fur U1, U2 ⊂M gilt dann:

U1 ⊂ U2 =⇒ ⊥U2 ⊂ ⊥U1.

Zeige anhand eines Beispiels, daß die umgekehrte Implikation im allgemeinen nichtgilt.

Formuliere und beweise eine entsprechende Aussage fur das Nullstellengebilde.

Ebenso werden Vereinigungen in Schnitte umgewandelt:

Aufgabe 5.3.7. Seien R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Zeige: Fur U1, U2 ⊂M gilt dann:

⊥(U1 + U2) = ⊥(U1 ∪ U2) = ⊥U1 ∩ ⊥U2.

Formuliere und beweise eine entsprechende Aussage fur das Nullstellengebilde.

Der Annulator einer Menge von Vektoren ist eine Menge von Linearformen. Insbeson-dere konnen wir sein Nullstellengebilde betrachen und erhalten:

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Page 100: Lineare Algebra

5 Abbildungsraume

Hilfssatz 5.3.8. Seien R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Fur jede Teil-menge U von M gilt dann:

U ⊂ (⊥U)⊥.

Beweis. Sei v ∈ U . Wir mussen zeigen, daß v ∈ (⊥U)⊥

, daß also 〈λ, v〉 = 0 fur alleλ ∈ ⊥U . Dies folgt aber aus der Definition von ⊥U , da v ∈ U .

Bemerkung 5.3.9. Eine entsprechende Aussage gilt auch fur den Annulator des Nullstel-lengebilde mit vertauschten Rollen von Raum und Dualraum.

Im Falle endlich-dimensionaler Raume gilt sogar:

Satz 5.3.10. Seien K ein diskreter Korper und V ein endlich-dimensionaler Vektorraumuber K. Sei U ein endlich-dimensionaler Untervektorraum von V . Dann gilt

U = (⊥U)⊥.

Beweis. Wir wahlen eine Basis (v1, . . . , vn) von V , so daß U = 〈v1, . . . , vm〉. Es bleibt

(⊥U)⊥ ⊂ U zu zeigen. Sei dazu ein x ∈ (⊥U)

⊥gewahlt. Es ist zu zeigen, daß vj(x) = 0

fur j > m. Dies ist nach Wahl von x aber der Fall, da vj ∈ ⊥U .

Bemerkung 5.3.11. Eine analoge Aussage gilt fur den Annulator des Nullstellengebildesmit vertauschten Rollen von Raum und Dualraum.

Schließlich beschaftigen wir uns noch mit dem Zusammenhang von Kern und Bild deradjungierten Abbildung mit dem Annulator.

Hilfssatz 5.3.12. Sei φ : M → N eine lineare Abbildung zwischen R-Moduln. Dann gilt

ker(φ∨) = ⊥(imφ).

Beweis. Beide Seiten der zu beweisenden Gleichung sind Teilmengen von N∨. Fur µ ∈N∨ gilt:

µ ∈ ker(φ∨) ⇐⇒ φ∨(µ) = 0

⇐⇒ ∀m∈M 〈φ∨(µ),m〉 = 0

⇐⇒ ∀m∈M 〈µ, φ(m)〉 = 0

⇐⇒ µ ∈ ⊥(imφ).

Wir konnen analog das Bild der adjungierten Abbildung berechnen, benotigen dazuaber weitere Voraussetzungen. Ohne diese zusatzlichen Voraussetzungen konnen wir aberimmerhin folgenden Hilfssatz beweisen:

Hilfssatz 5.3.13. Sei φ : M → N eine lineare Abbildung zwischen R-Moduln. Dann gilt

im(φ∨) ⊂ ⊥(kerφ).

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Page 101: Lineare Algebra

5.3 Annulatoren und Nullstellengebilde

Beweis. Sei λ ∈ im(φ∨) ⊂ V ∨ gegeben, das heißt λ = φ∨(µ) fur ein µ ∈ W∨. Furv ∈ kerφ ⊂ V gilt dann

〈λ, v〉 = 〈φ∨(µ), v〉 = 〈µ, φ(v)〉 = 〈µ, 0〉 = 0,

also λ ∈ ⊥(kerφ).

Satz 5.3.14. Sei φ : V → W eine lineare Abbildung zwischen endlich-dimensionalenVektorraumen uber einem diskreten Korper K. Dann gilt

im(φ∨) = ⊥(kerφ).

Beweis. Daß der linke Raum im rechten liegt folgt schon aus dem Hilfssatz. Weiter gilt

dim im(φ∨) = dimW∨ − dim ker(φ∨)

= dimW − dim ⊥(imφ)

= dimW − (dimW − dim imφ)

= dimV − dim kerφ

= dim ⊥(kerφ).

Damit ist im(φ∨) ⊂ ⊥(kerφ) eine Inklusion endlich-dimensionaler Vektorraume gleicherDimension und damit gilt Gleichheit.

Folgerung 5.3.15. Sei φ : V → W eine lineare Abbildung zwischen endlich-dimensionalenVektorraumen uber einem diskreten Korper K. Dann gelten (ker(φ∨))⊥ = imφ und(im(φ∨))⊥ = kerφ.

Beweis. Bilden des Nullstellengebildes auf beiden Seiten liefert die Folgerung aus derAussage des Hilfssatzes und des Satzes.

Sei R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Wenn wir auf M die Dualkonstruk-tion anwenden, erhalten wir wieder einen R-Modul, namlich M∨. Damit konnen wir aufdiesen Raum noch einmal die Dualkonstruktion anwenden und erhalten den R-ModulM∨∨.

Definition 5.3.16. Sei R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Dann heißt derR-Modul M∨∨ der Doppeldualraum von M .

Elemente des Moduls M∨∨ sind also lineare Abbildungen vom Raum der Linearformenauf M in den Ring R. Der Modul M∨∨ steht zu M∨ im Verhaltnis wie der Modul M∨ zuM . Insbesondere haben wir ein Inzidenzprodukt zwischen M∨∨ und M∨. Aus Grundendie spater klar werden werden, schreiben wir dieses Inzidenzprodukt in der umgekehrtenReihenfolge, das heißt

M 〈·, ·〉 : M∨ ×M∨∨, (λ, L) 7→ L(λ).

(Es ist also M 〈λ, L〉 = 〈L, λ〉M∨ in der alten Schreibweise.)

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Page 102: Lineare Algebra

5 Abbildungsraume

Mithilfe des Inzidenzproduktes auf M konnen wir leicht Elemente aus dem Doppel-dualraum konstruieren: Fur jedes v ∈M ist namlich

Lv : M∨ → R, λ 7→ 〈λ, v〉M

eine lineare Abbildung, also ein Element von M∨∨, fur das nach Definition M 〈λ, Lv〉 =〈λ, v〉M gilt.

Uber die AbbildungI : M →M∨∨, v 7→ Lv

laßt sich folgendes sagen:

Aufgabe 5.3.17. Sei R ein kommutativer Ring. Sei M ein R-Modul. Die kanonische Ab-bildung

I : M →M∨∨

ist eine lineare Abbildung.

Satz 5.3.18. Sei R ein kommutativer Ring und M ein freier Modul endlichen Ranges.Dann ist die Abbildung

I : M →M∨∨

ein Isomorphismus.

Beweis. Sei (v1, . . . , vn) eine Basis von M . Wir setzen vi := I(vi). Dann gilt 〈vi, vj〉 =〈vi, vj〉 = δij, und damit ist (v1, . . . , vn) die Dualbasis in M∨∨ zu (v1, . . . , vn), insbe-sondere eine Basis. Es folgt, daß I eine Basis auf eine Basis abbildet. Damit ist I einIsomorphismus.

Bemerkung 5.3.19. Die Tatsache, daß I zum Beispiel im Falle endlich-dimensionalerVektorraume uber diskreten Korpern ein Isomorphismus ist, ist erheblich. Sie erlaubtes uns namlich, in diesem Fall einen Vektorraum V mit seinem Doppeldual V ∨∨ zuidentifizieren. Unter dieser Identifikation geht insbesondere das Inzidenzprodukt V 〈·, ·〉in das Inzidenzprodukt 〈·, ·〉V uber — ein Grund, weswegen wir das Inzidenzprodukt aufV ∨ in der umgekehrten Reihenfolge geschrieben haben.

Ein Anwendung der Bemerkung ist durch folgende Aufgabe gegeben:

Aufgabe 5.3.20. Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber dem diskreten KorperK. Sei S ein Teilmenge von V ∨. Zeige, daß fur die beiden Raume ⊥S ⊂ V ∨∨ und S⊥ ⊂ Vgilt, daß

I(S⊥) = ⊥S.

Folgere dann analog: Ist U ⊂ V eine Teilmenge, so gilt

I(U)⊥ = ⊥U.

Im Falle, daß I ein Isomorphismus ist, ist also einer der beiden Begriffe von Annulatorund Nullstellengebilde redundant.

Die Aufgabe konnen wir zum Beispiel folgendermaßen ausnutzen:

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Page 103: Lineare Algebra

5.3 Annulatoren und Nullstellengebilde

Beispiel 5.3.21. Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber dem diskreten KorperK. Ist dann S eine Teilmenge von V ∨, so konnen wir S = ⊥(S⊥) aus der entsprechendenTatsache fur das Nullstellengebilde des Annulators herleiten:

S = (⊥S)⊥

= I(S⊥)⊥

= ⊥(S⊥).

Schließlich wollen wir uns noch den Dualraum von Quotientenraumen anschauen:

Beispiel 5.3.22. Sei R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Ist dann U einUntermodul von M , so ist

(M/U)∨ → ⊥U, λ 7→ (v 7→ λ([v]))

ein Isomorphismus von R-Moduln nach Hilfssatz 5.1.10.

Aufgabe 5.3.23. Sei K ein diskreter Korper und

0 −−−→ Aφ−−−→ B

ψ−−−→ C −−−→ 0

eine exakte Sequenz endlich-dimensionaler Vektorraume. Zeige, daß dann auch die Se-quenz

0 −−−→ C∨ψ∨−−−→ B∨

φ∨−−−→ A∨ −−−→ 0,

welche sich durch Dualisieren ergibt, eine exakte ist.

Definition 5.3.24. Sei R ein Ring und M ein R-Modul. Ist dann U ein Untermodulvon M , so daß M/U frei von Dimension q ist, so sagen wir, daß U ist ein Untermodulder Kodimension q ist und schreiben codimU = q.

Satz 5.3.25. Sei K ein diskreter Korper und V ein endlich-dimensionaler Vektorraumuber K. Fur einen endlich erzeugten Untervektorraum U von V und eine naturliche Zahlq ∈ N0 sind dann folgende Aussagen aquivalent:

1. Es existiert ein endlich-dimensionaler Untervektorraum W von V mit dimW = qund U +W = V und U ∩W = 0.

2. Es ist U ein Untervektorraum der Kodimension q.

3. Es existiert ein endlich-dimensionaler Untervektorraum S von V ∨ mit dimS = qund U = S⊥.

Beweis. Aus 1. folgt 2.: Sei φ : W → V/U,w 7→ [w]U die Komposition aus der Inklusionvon W in V und der Projektion von V auf V/U . Ist dann φ(w) = 0 fur ein w ∈ W , sofolgt w ∈ U und damit w = 0. Also ist φ injektiv. Ist weiter ein [v]U ∈ V/U ein Vektor,so existieren ein u ∈ U und ein w ∈ W mit v = u+w. Es folgt, daß φ(w) = [w]U = [v]U .Damit ist φ auch surjektiv. Es ist φ als lineare Abbildung damit ein Isomorphismuszwischen W und V/U , so daß die Behauptung folgt.

Aus 2. folgt 3.: Wir setzen S := ⊥U . Da (V/U)∨ isomorph zu ⊥U = S ist, folgt, daßS endlich-dimensional mit dimS = q ist. Weiter wissen wir, daß U ⊂ S⊥. Es bleibt, die

103

Page 104: Lineare Algebra

5 Abbildungsraume

umgekehrte Inklusion zu zeigen. Sei dazu ein u ∈ V mit u ∈ S⊥ gegeben. Wir mussenu ∈ U , also [u]U = 0 zeigen. Da V/U endlich-dimensional ist, ist das Inzidenzproduktnicht ausgeartet, das heißt es reicht, fur jede Linearform λ ∈ (V/U)∨ = S zu zeigen, daßλ(u) = 0. Dies ist aber gerade die Aussage, daß u ∈ S⊥.

Aus 3. folgt 1.: Da U ein direkter Summand ist, konnen wir ein W mit U + W = Vund U ∩W = 0 wahlen. Es bleibt zu zeigen, daß dimW = q. Wie eben ist W isomorphzu V/U . Weiter gilt dimV/U = dim (V/U)∨ = dim ⊥U = dim ⊥(S⊥) = dimS.

Aufgabe 5.3.26. Sei K ein diskreter Korper, V ein endlich-dimensionaler Vektorraumuber K.

1. Sei U ein endlich erzeugter Unterraum von V . Zeige, daß codimU = dimV −dimU .

2. Seien U1, U2 endlich erzeugte Unterraume von V . Zeige, daß

codim(U1 ∩ U2) = codimU1 + codimU2 − codim(U1 + U2).

Aufgabe 5.3.27. Seienv1 :=

(1− 1

z−1 −1

)∈ Q(z)3

undv2 :=

(1− z 1 + z z

)∈ Q(z)3

gegeben. Sei U := {v1, v2}⊥. Berechne eine Basis von Q3(z)/U .

Beispiel 5.3.28. Sei K ein diskreter Korper und V ein endlich-dimensionaler Vektorraumuber K. Ist dann H ein Unterraum der Kodimension eins, nennen wir H auch eineHyperebene in V . Grund fur diese Bezeichnung ist die Tatsache, daß Ursprungsebenenenim dreidimensionalen Raum gerade die Hyperebenen sind. Nach dem letzten Satz sinddie Hyperebenen gerade die Untervektorraume, welche Nullstellengebilde einer einzigennicht verschwindenden Linearform sind.

5.4 Das Tensorprodukt

Sind M,N,L drei R-Moduln, so haben wir den Begriff der bilinearen Abbildung vonM × N nach L eingefuhrt, also Abbildungen, welche getrennt im ersten und im zwei-ten Argument linear sind. In diesem Abschnitt werden wir erfahren, wie sich bilineareAbbildungen auf lineare Abbildungen zuruckfuhren lassen.

Dazu benotigen wir zunachst den Begriff des von einer Menge erzeugten Moduls: SeiR ein Ring, und sei I eine Menge. Unter einer formalen R-Linearkombination uber Iwollen wir einen Ausdruck der Form

ai1ei1 + · · ·+ ainein ,

verstehen, wobei i1, . . . , in ∈ I und ai1 , . . . , ain ∈ R. Weiter seien die ei einfach Symbole— analog zu den Symbolen xi bei der Definition eines Polynoms. Fur a, b ∈ R und i ∈ I

104

Page 105: Lineare Algebra

5.4 Das Tensorprodukt

beschreiben dabei die Ausdrucke aei+bei und (a+b)ei diesselbe formale Linearkombina-tion uber I. Weiter sei 0 ·ei die leere Linearkombination, also diejenige ohne Summanden(welche in der Regel 0 geschrieben wird).

Mit R(I) bezeichnen wir die Menge der formalen R-Linearkombinationen uber I. Wirmachen R(I) folgendermaßen zu einem R-Modul: Die Summe zweier Linearkombinatio-nen sei durch Aneinanderhangung gegeben. Die Null ist dabei die leere Linearkombina-tion. Ist a ∈ R, so wird schließlich

a · (ai1ei1 + · · ·+ ainein) = (aai1ei1) + · · ·+ (aainein)

gesetzt.

Definition 5.4.1. Sei R ein Ring. Sei I eine Menge. Der R-Modul R(I) heißt der von Ierzeugte R-Modul.

Bemerkung 5.4.2. Seien R ein Ring und I eine endliche Menge. Dann ist (ei)i∈I , wobeiei fur 1 · ei steht, eine Basis von R(I).

Wir definieren die Abbildung

ε : I → R(I), i 7→ ei.

Der eben definierte Modul erfullt folgende wichtige Eigenschaft:

Satz 5.4.3. Sei R ein Ring. Sei Z ein R-Modul und γ : I → Z eine Abbildung. Dannexistiert genau eine lineare Abbildung φ : R(I) → Z mit γ = φ ◦ ε.

Beweis. Es muß sicherlich φ(ei) = φ(ε(i)) = γ(i) gelten. Da jeder Vektor in R(I) eineLinearkombination der ei ist, gibt es hochstens ein lineares φ mit γ = φ ◦ ε. Auf deranderen Seite ist durch die Setzung

φ(aiei) := aiγ(i)

fur aiei ∈ R(I) eine solche Abbildung gegeben.

Seien M und N zwei R-Moduln, wobei wir R als kommutativ annehmen. Wir betrach-ten die Menge M × N der Paare von Vektoren aus M und aus N . Wir erhalten damitden R-Modul F := R(M×N). In diesem Spezialfall erlauben wir uns die Schreibweise

m ⊗ n := e(m×n)

aus Grunden, die spater klar werden sollten. Die Abbildung ε wird damit zu einer Ab-bildung

· ⊗ · : M ×N → F.

Diese Abbildung hat zwei vektorwertige Argumente und hat als Zielraum einen Modul.Es ist daher eine naturliche Frage, ob diese Abbildung bilinear ist. Betrachten wir dazuden Untermodul U von F , welcher von allen Vektoren der Form

(v + v′) ⊗ w − (v ⊗ w + v′ ⊗ w),

(av) ⊗ w − a(v ⊗ w), v ⊗ (w + w′)− (v ⊗ w + v ⊗ w′) und

v ⊗ (aw)− a(v ⊗ w)

105

Page 106: Lineare Algebra

5 Abbildungsraume

mit a ∈ R, v, v′ ∈ V und w,w′ ∈ W erzeugt ist. Nach Definition der Bilinearitat ist ⊗genau dann bilinear, wenn U der Nullmodul ist. Im allgemeinen ist dies nicht der Fall.

Wir haben aber ein Verfahren kennengelernt, um einen Untermodul mit dem Nullm-odul zu identifieren: die Quotientenbildung. Unter der kanonischen Projektion F → F/Ugehen genau die Vektoren aus U auf den Nullvektor. Wir schreiben

M ⊗R N := F/U.

Wenn der Ring aus dem Zusammenhang klar ist, lassen wir den Index R in dieserSchreibweise auch haufig weg.

Definition 5.4.4. Seien R ein kommutativer Ring und M,N zwei R-Moduln. Dannheißt der R-Modul M ⊗R N das Tensorprodukt von M und N .

Das Tensorprodukt kommt zusammen mit dem sogenannten Tensorprodukt, der Ab-bildung

· ⊗ · : M ×N →M ⊗N, (m,n) 7→ [m ⊗ n]U .

Im Gegensatz zu der Abbildung ⊗ ist das Tensorprodukt bilinear, namlich gerade weilwir modulo U rechnen.

Vektoren im Tensorprodukt nennen wir haufig Tensoren. Die Tensoren, die im Bild derAbbildung ⊗ liegen, heißen reine Tensoren. Es ist wichtig zu beachten, daß nicht jederTensor ein reiner Tensor ist. Es ist aber jeder Tensor eine endliche Linearkombinationreiner Tensoren.

Die Definition des Tensorproduktes scheint reichlich willkurlich und abstrakt. Daherist folgender Satz wichtig, der zum einen die Bedeutung des Tensorproduktes hervorhebt,als auch erlaubt, mit Tensoren zu arbeiten, ohne die explizite Definition zu benutzen:

Satz 5.4.5. Sei R ein kommutativer Ring. Sei β : M×N → Z eine bilineare Abbildung,wobei M,N,Z jeweils ein R-Modul sind. Dann existiert genau eine lineare Abbildungλ : M ⊗N → Z, so daß

∀(m,n)∈M×N β(m,n) = λ(m⊗ n).

Beweis. Seien F := R(M×N) und U ⊂ F wie oben. Zunachst existiert genau eine lineareAbbildung φ : F → Z mit φ(m ⊗ n) = β(m,n). Da β bilinear ist, folgt, daß φ auf demoben definierten Untermodul U verschwindet, denn φ verschwindet auf allen Erzeugernvon U . Nach dem Homomorphiesatz gibt es damit ein eindeutiges λ : M⊗N = F/U → Zmit λ(m⊗ n) = φ(m ⊗ n) = β(m,n).

Den Inhalt der Aussage des Satzes nennen wir auch die universelle Eigenschaft desTensorproduktes.

Die von einer bilinearen Abbildung β : M ×N → Z induzierte lineare Abbildung vonM ⊗N nach Z wollen wir

λ : M ⊗N → Z, m⊗ n→ β(m,n)

schreiben. Da das Tensorprodukt bilinear ist, ist eine Abbildungsvorschrift der Formm⊗ n→ F (m,n) genau dann eine wohldefinierte, wenn F bilinear in m und n ist.

106

Page 107: Lineare Algebra

5.4 Das Tensorprodukt

Beispiel 5.4.6. Sei R ein kommutativer Ring. Sind dann φ : M → M ′ und ψ : N → N ′,so wird durch

φ⊗ ψ : M ⊗N →M ′ ⊗N ′, m⊗ n→ φ(m)⊗ ψ(n)

eine lineare Abbildung definiert.

Aufgabe 5.4.7. Sei R ein kommutativer Ring. Seien M,M ′, N drei R-Moduln. Zeige: SindM und M ′ zueinander isomorph, so ist auch M ⊗N zu M ′ ⊗N isomorph.

Aufgabe 5.4.8. Sei R ein kommutativer Ring. Sei

M ′ −−−→ M −−−→ M ′′ −−−→ 0

eine exakte Sequenz von R-Moduln. Sei N ein weiterer R-Modul. Zeigen Sie, daß dieinduzierte Sequenz

M ′ ⊗N −−−→ M ⊗N −−−→ M ′′ ⊗N −−−→ 0

wieder exakt ist.

Beispiel 5.4.9. Sei R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Wir wollen zeigen,daß

φ : M ⊗R→M, m⊗ a 7→ am

ein Isomorphismus von R-Moduln ist. Dazu geben wir die Umkehrfunktion an, namlich

ψ : M →M ⊗R, m 7→ m⊗ 1.

Aufgrund der Bilinearitat des Tensorproduktes ist ψ in der Tat die Umkehrung von φ.

Aufgabe 5.4.10. Sei R ein kommutativer Ring, und seien f, g ∈ R mit (f, g) = (1)gegeben. Zeige, daß dann R/(f)⊗R R/(g) der Nullmodul ist.

Beispiel 5.4.11. Sei R ein kommutativer Ring, und sei S eine R-Algebra. Ist dann Mein R-Modul, so schreiben wir

MS := M ⊗R S.Diesen R-Modul konnen wir durch die Setzung

b · (m⊗ s) := m⊗ (sb)

fur b, s ∈ S und m ∈ M zu einem S-Modul machen, welchen wir die Skalarerweiterungvon M durch S nennen.

Jede lineare Abbildung φ : M → N zwischen R-Moduln induziert eine lineare Abbil-dung ψS : MS → NS,m⊗ s 7→ φ(m)⊗ s.

Das Tensorprodukt verhalt sich in bezug auf direkte Summen distributiv:

Aufgabe 5.4.12. Sei R ein kommutativer Ring, und seien M,N,L drei R-Moduln. Zeige,daß durch

(M ⊕N)⊗ L→ (M ⊗ L)⊕ (N ⊗ L), (m,n)⊗ ` 7→ (m⊗ `, n⊗ `),

ein Isomorphismus von R-Moduln definiert wird.

107

Page 108: Lineare Algebra

5 Abbildungsraume

Aus Symmetriegrunden gilt auch die Distributivtat im zweiten Argument des Tensor-produktes.

Hilfssatz 5.4.13. Sei R ein kommutativen Ring und seien M und N zwei endlicherzeugte R-Moduln. Dann ist auch M ⊗N ein endlich erzeugter R-Modul.

Beweis. Sei (v1, . . . , vm) ein Erzeugendensystem von M , und sei (w1, . . . , wn) ein Er-zeugendensystem von N . Dann ist (v1 ⊗ w1, . . . , vn ⊗ wm) ein Erzeugendensystem vonM ⊗N .

Im Falle freier Moduln gilt sogar mehr:

Satz 5.4.14. Sei R ein kommutativer Ring. Sei M ein freier R-Modul vom Rang m,und sei N ein freier R-Modul vom Rang n. Dann ist M ⊗ N ein freier R-Modul vomRang m · n.

Beweis. Es gibt folgende Kette von Isomorphismen:

M ⊗N ∼= Rm ⊗Rn ∼= (Rm ⊗R)n ∼= (Rm)n ∼= Rm·n.

Bemerkung 5.4.15. Aus dem Beweis des Satzes folgt also: Ist V := (v1, . . . , vm) eineBasis eines R-Moduls M und W := (w1, . . . , wn) eine Basis des R-Moduln N , so ist

V ⊗W := (v1 ⊗ w1, . . . , vm ⊗ wn)

eine Basis des R-Moduls M ⊗N .

Aufgabe 5.4.16. Erganze ((1z

)⊗(−1z − 1

),

(20

)⊗(

3z2

))zu einer Basis des F7(z)-Vektorraumes (F7(z))2 ⊗ (F7(z))2.

Beispiel 5.4.17. Sei R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Fur das Tensorpro-dukt mit dem Nullmodul gilt dann:

M ⊗ 0 ∼= 0.

Mithilfe des Tensorproduktes und des Konzeptes des Dualraumes konnen wir lineareAbbildungen konstruieren:

Beispiel 5.4.18. Sei R ein kommutativer Ring, und seien M und N zwei R-Moduln.Dann ist

M: N ⊗M∨ → Hom(M,N), w ⊗ λ 7→ (wλ : v 7→ w 〈λ, v〉)

eine wohldefinierte lineare Abbildung.

Im Falle freier Moduln gilt sogar folgender Satz:

108

Page 109: Lineare Algebra

5.4 Das Tensorprodukt

Satz 5.4.19. Sei R ein kommutativer Ring, und seien M und N freie Moduln endlichenRanges. Dann ist die kanonische lineare Abbildung M: N ⊗ M∨ → Hom(M,N) einIsomorphismus.

Beweis. Sei V := (v1, . . . , vm) eine Basis von M , und sei W := (w1, . . . , wn) eine Basisvon N . Dann ist W ⊗ V = (. . . , wi ⊗ vj, . . . ) eine Basis von N ⊗M . Weiter ist W o V =(. . . , wi o vj·, . . . ) eine Basis von Hom(M,N). Damit bildet M eine Basis auf eine Basisab, ist damit also ein Isomorphismus.

Aufgabe 5.4.20. Sei K ein diskreter Korper. Seien V und W zwei endlich-dimensionaleK-Vektorraume. Sei t ∈ N ⊗M∨. Zeige, daß t genau dann ein reiner Tensor ist, wennM(t) : M → N eine lineare Abbildung vom Rang Null oder Eins ist.

Der Satz laßt sich zum Beispiel auf die Spur anwenden:

Definition 5.4.21. Sei R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Dann heißt dielineare Abbildung

tr : M∨ ⊗M → R, λ⊗ v 7→ 〈λ, v〉die Spur auf M .

Bemerkung 5.4.22. Ist R ein kommutativer Ring und M ein freier R-Modul endlichenRanges. Wir konnen die Spur mit dem Inversen des Isomorphismus

M: M∨ ⊗M → EndR(M), λ⊗ v 7→ v · λ

komponieren und erhalten eine Abbildung tr ◦M−1 : End(M) → R, welche wir wiederals Spur tr bezeichnen wollen.

Diese Spur paßt mit der vorher definierten Spur quadratischer Matrizen uberein: Seietwa φ ∈ End(M) ein Endomorphismus. Sei A die Abbildungsmatrix von φ bezuglicheiner Basis (v1, . . . , vn) von M . Dann gilt

φ = viAijvj = M(Aijv

j ⊗ vi),

wie durch Einsetzen der Basisvektoren festzustellen. Damit ist also

trφ = Aij⟨vj, vi

⟩= Aii = trA.

Beispiel 5.4.23. Sei R ein kommutativer Ring. Sei M ein freier R-Modul vom Rang n.Dann ist tr idM = n.

Aufgabe 5.4.24. Sei R ein kommutativer Ring und M ein freier R-Modul endlichen Ran-ges. Seien φ, ψ ∈ End(M) zwei Endomorphismen. Wir setzen [φ, ψ] := φ ◦ ψ − ψ ◦ φ ∈End(M). Zeige, daß tr[φ, ψ] = 0.

Aufgabe 5.4.25 (s). Sei R ein kommutativer Ring, und sei φ : M →M ein Endomorphis-mus eines freien R-Moduls endlichen Ranges. Sei ρ : R → S ein Homomorphismus vonRingen, welcher S zu einer kommutativen R-Algebra macht. Zeige, daß

tr(φS) = ρ(trφ).

109

Page 110: Lineare Algebra

5 Abbildungsraume

5.5 Die Tensor- und die symmetrische Algebra

Seien M,N,L drei Moduln uber dem kommutativen Ring R. Wir vereinbaren, daß dasTensorprodukt zwischen Moduln linksassoziativ ist. Damit meinen wir, daß wir unterdem Ausdruch M ⊗N ⊗ L den Ausdruck (M ⊗N)⊗ L verstehen wollen. Analoges sollauch fur das Tensorprodukt zwischen Vektoren gelten, also etwa m⊗n⊗ l = (m⊗n)⊗ lfur m ∈M,n ∈ N, l ∈ L.

Wir konnen auch den restgeklammerten Ausdruck M ⊗ (N ⊗ L) betrachten. DieserModul ist durch

(M ⊗N)⊗ L→M ⊗ (N ⊗ L), (m⊗ n)⊗ ` 7→ m⊗ (n⊗ `)

kanonisch isomorph zu M⊗N⊗L. Vermoge dieses Isomorphismus’ wollen wir in ZukunftVektoren aus M ⊗ (N ⊗L) als Vektoren aus M ⊗N ⊗L ansehen. Analoge Uberlegungengelten auch fur Tensorprodukte mit mehr als drei Faktoren, und fur diese vereinbarenanaloge Identifikationen.

Es zeigt sich dabei, daß die Identifikationen untereinander alle kompatibel sind. Damitmussen wir uns ab sofort nicht mehr um die Identifikationen explizit kummern.

Das Tensorprodukt mit mehreren Faktoren besitzt auch eine universelle Eigenschaft,namlich fur multilineare Abbildungen. Dabei heißt eine Abbildung multilinear, falls sielinear in jedem Element ist.

Hilfssatz 5.5.1. Seien R ein kommutativer Ring und M1, . . . ,Mn eine Folge von R-Moduln. Sei µ : M1 × · · · × Mn → Z eine multilineare Abbildung in einen weiterenR-Modul Z. Dann existiert genau eine lineare Abbildung φ : M1⊗· · ·⊗Mn → Z, so daß

∀m1,...,mn φ(m1 ⊗ · · · ⊗mn) = µ(m1, . . . ,mn).

Bemerkung 5.5.2. In dem wir vereinbaren, daß das leere Tensorprodukt durch den zu-grundeliegende Ring und eine 0-lineare Abbildung einfach durch ein Element im Ziel-modul gegben ist, gilt das Lemma auch fur n = 0.

Beweis. Wir zeigen die Aussage des Lemmas mit Induktion uber n. Der Fall n = 0ist klar. Sei daher n > 0 und die Aussage fur alle kleineren n schon bewiesen. NachInduktionsvoraussetzung existiert fur jedes mn ∈Mn eine lineare Abbildung φmn : M1⊗. . .⊗Mn−1 → Z mit

φmn(m1 ⊗ . . .⊗mn−1) = µmn(m1, . . . ,mn−1) = µ(m1, . . . ,mn),

mit mi ∈ Mi, da µmn eine multilineare Abbildung ist. Aufgrund der Eindeutigkeit vonφmn fur jedes mn ist die Zuordnung

(M1 ⊗ · · · ⊗Mn−1)⊗Mn → Z, t⊗mn 7→ φmn(t)

nicht nur im ersten, sondern auch im zweiten Argument linear. Daher existiert einelineare Abbildung φ : M1 ⊗ . . .⊗Mn = (M1 ⊗ . . .⊗Mn−1)⊗Mn → Z mit φ(t⊗mn) =φmn(t) mit t ∈ M1 ⊗ . . . ⊗Mn−1. Diese Abbildung ist die Losung unseres universellenProblems.

110

Page 111: Lineare Algebra

5.5 Die Tensor- und die symmetrische Algebra

Fur jede naturliche Zahl n ∈ N0 konnen wir insbesondere M⊗n := M ⊗ · · · ⊗M︸ ︷︷ ︸n-mal

betrachten. Hierbei ist M⊗0 = R und M⊗1 = M .

Definition 5.5.3. Sei R ein kommutativer Ring. Sei n ∈ N0. Der R-Modul M⊗n heißtdie n-te Tensorpotenz von M .

Beispiel 5.5.4. Sei R ein kommutativer Ring. Sei weiter M ein freier R-Modul vom Rangm. Dann gibt es eine Kette von Isomorphismen: M⊗n ∼= (Rm)⊗n = Rmn . Damit folgt,daß M⊗n ein freier R-Modul vom Rang mn ist.

Sind t ∈M⊗m und u ∈M⊗n zwei Tensoren in beliebigen Tensorpotenzen von M , so istt⊗u ∈M⊗m⊗M⊗n. Vermoge des kanonischen Isomorphismus M⊗m⊗M⊗n ∼= M⊗(m+n),welcher alle Klammern nach links schiebt, konnen wir t ⊗ u als Element in M⊗(m+n)

auffassen. Wir erhalten also eine Abbildung

µ : M⊗m ×M⊗n →M⊗m+n, (t, u) 7→ t⊗ u.

Diese Abbildung ist bilinear.Um diese Abbildungen fur alle m,n gemeinsam behandeln zu konnen, brauchen wir

ein weiteres Konzept.

Definition 5.5.5. Sei R ein Ring. Ein (positiv) gewichteter Modul M ist ein R-ModulM zusammen mit Untermoduln (Mn)n∈N0 mit Mn ∩Mk = 0 fur n 6= k, so daß jederVektor m ∈M Summe homogener Vektoren ist. Dabei heißt ein Vektor m ∈M homogenvom Grad n, falls m ∈Mn.

Falls alle Mn endlich erzeugte Moduln sind, heißt M vom endlichen Typ.

Beispiel 5.5.6. Sei R ein Ring. Sei weiter (Mn)n∈N0 eine Familie von R-Moduln. Mit

M :=∞⊕n=0

Mn

bezeichnen wir dann folgenden R-Modul: Elemente von M sind formale Summen mi1 +. . .+mir mit mij ∈Mij mit den offensichtlichen Identifikationen und der offensichtlichenStruktur als R-Modul.

Wir konnen jeden Modul Mn kanonisch als Untermodul von M ansehen. Damit wirdM zu einem gewichteten Modul.

Definition 5.5.7. Sei R ein kommutativer Ring. Fur jeden R-Modul M heißt

TM :=∞⊕n=0

M⊗n

die Tensoralgebra uber M .

111

Page 112: Lineare Algebra

5 Abbildungsraume

Aufgabe 5.5.8. Sei R ein kommutativer Ring undM ein freier R-Modul endlichen Ranges.Zeige, daß ∑

n≥0

(dimM⊗n)tn =1

1−m · t.

Elemente der Tensoralgebra sind also endliche Linearkombinationen von reinen Ten-soren in den Raumen M⊗n. Die bilinearen Abbildungen µ : M⊗m ×M⊗n → M⊗(m+n)

setzen sich zu einer bilinearen Abbildung µ : TM × TM → TM zusammen.

Bemerkung 5.5.9. Sei R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Die universelle Ei-genschaft des Tensorproduktes liefert uns, daß die bilineare Abbildung µ : TM ×TM →TM genau eine lineare Abbildung : TM ⊗ TM → TM induziert.

Indem wir µ als Multiplikation ansehen, wird der gewichtete R-Modul TM zu einem(gewichteten) Ring. Da außerdem M⊗0 = R haben wir eine naturliche Abbildung R →TM . Es laßt sich schnell uberprufen, daß dadurch die Tensoralgebra TM in der Tat zueiner Algebra uber R wird.

Beispiel 5.5.10. Sei R ein kommutativer Ring. Wir fassen R als Modul uber sich selbstauf. Dann ist R⊗n ∼= R fur alle n ∈ N0. Es folgt, daß TR =

⊕n∈N0

R. Sei η : R → TRdie Inklusion von R als Untermodul der Elemente vom Gewicht 1. Dann ist

R[x]→ TR, x 7→ η(1)

ein Isomorphismus kommutativer R-Algebren. Wir konnen also den Polynomring R[x]als spezielle Tensoralgebra auffassen.

Die Tensoralgebra ist eine ganz besondere Algebra:

Satz 5.5.11. Sei R ein kommutativer Ring. Sei M ein R-Modul. Sei S eine R-Algebra.Ist dann φ : M → S eine R-lineare Abbildung, so existiert genau ein Homomorphismusα : TM → S von R-Algebren mit

∀m∈M α(m) = φ(m).

Die Aussage im Satz wird die universelle Eigenschaft der Tensoralgebra genannt.

Beweis. Jeder Tensor in TM ist eine R-Linearkombinationen von Produkten von Ele-menten aus M . Damit folgt sofort die Eindeutigkeit von α im Falle der Existenz.

Andererseits gibt es aufgrund der universellen Eigenschaft der Tensorpotenz eine li-neare Abbildung mit

αn : M⊗n → S, m1 ⊗ . . .⊗mn 7→ φ(m1) · · ·φ(mn).

Diese Abbildungen setzen sich zu einer linearen Abbildung

α : TM → S

zusammen, welche auf den homogenen Tensoren vom Gewicht n mit αn ubereinstimmtund welche die gesuchte ist.

112

Page 113: Lineare Algebra

5.5 Die Tensor- und die symmetrische Algebra

Aufgabe 5.5.12. Seien R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Auf dem R-ModulTM ⊗ TM definieren wir die Struktur einer R-Algebra durch

∀a,b,a′,b′∈TM (a⊗ b) · (a′ ⊗ b′) = (aa′)⊗ (bb′).

Definiere einen Homomorphismus

∆: TM → TM ⊗ TM

von R-Algebren, so daß∀v∈M ∆(v) = v ⊗ 1 + 1⊗ v.

Beschreibe ∆(v1 ⊗ · · · ⊗ vn) ∈ TM ⊗ TM fur v1, . . . , vn ∈M .Zeige, daß

(∆⊗ idTM) ◦∆ = (idTM ⊗∆) ◦∆: TM → TM ⊗ TM ⊗ TM.

Wir wollen jetzt untersuchen, inwiefern die Tensoralgebra eines beliebigen R-Modulseine kommutative R-Algebra ist. Dazu betrachten wir den Untermodul U von TM ,welcher von allen Tensoren der Form

m1 ⊗ · · · ⊗mn −mσ(1) ⊗ · · · ⊗mσ(n)

mit n ∈ N0, m1, · · · ,mn ∈ M und σ ∈ Sn aufgespannt wird. Es ist TM genau dannkommutativ, wenn U der Nullmodul ist, denn sind t, u ∈ TM , so laßt sich tu − ut alsLinearkombination der Vektoren schreiben, welche U aufspannen:

Aufgabe 5.5.13. Sei R ein kommutativer Ring und S eine R-Algebra. Sei S ′ eine Teil-menge von S, welche S als R-Algebra erzeugt, das heißt jedes Element von S laßt sichals R-Linearkombination von Produkten von Elementen aus S ′ schreiben.

Sei U der R-Untermodul von S, welcher von allen Elementen der Form

s1 · · · sn − sσ(1) · · · sσ(n)

erzeugt wird, wobei n ∈ N0, s1, . . . , sn ∈ S ′ und σ ∈ Sn.Zeige, daß tu− ut ∈ U fur alle t, u ∈ S.

Im allgemeinen ist das Produkt auf TM nicht kommutativ. Das Rezept, um das Pro-dukt auf TM kommutativ zu machen, heißt wieder Quotientenraum. Wir setzen

SM := TM/U.

Das Produkt eines Tensors t ∈ TM unter der kanonischen Projektionsabbildung π : TM →SM bezeichnen wir wie ublich mit [t]. Ist u ∈ U , so folgt fur jedes t ∈ TM , daßt⊗u, u⊗t ∈ U . Daraus folgt, daß die R-bilineare Multiplikationsabbildung TM×TM →TM genau eine bilineare Abbildung β : SM × SM → SM induziert, so daß

∀s,t∈TM β([s], [t]) = [s⊗ t],

113

Page 114: Lineare Algebra

5 Abbildungsraume

denn sind zum Beispiel s, s′ ∈ TM mit [s] = [s′], also s− s′ ∈ U gegeben, so folgt

s⊗ t− s′ ⊗ t = (s− s′)⊗ t ∈ U,

das heißt [s⊗ t] = [s′ ⊗ t].Es folgt fur alle u, v ∈ SM , daß β(u, v) = β(v, u), denn gilt zum Beispiel u = [s] und

v = [t] mit s, t ∈ TM , so folgt

β(u, v) = [s⊗ t] = [t⊗ s]− [s⊗ t− t⊗ s︸ ︷︷ ︸∈U

] = [t⊗ s] = β(v, u).

Es zeigt sich, daß durch die Setzung

u · v := β(u, v)

der R-Modul SM zu einer kommutativen R-Algebra wird. Die kanonische Projektionπ : TM → SM ist ein Homomorphismus von R-Algebren.

Definition 5.5.14. Sei R ein kommutativer Ring. Ist M ein R-Modul, so heißt SM diesymmetrische Algebra uber M .

Aufgabe 5.5.15. Sei R ein kommutativer Ring. Ist dann M ein R-Modul, so haben wirdie kanonische Inklusion M → TM , namlich als homogene Elemente vom Gewicht 1.Zeige, daß die kanonische Projektion π : TM → SM auf M injektiv ist, so daß wir Mauch als R-Untermodul von SM auffassen konnen.

Aufgabe 5.5.16. Sei R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul, welcher von einemeinzigen Vektor erzeugt wird. Zeige, daß dann die Projektion TM → SM ein Isomor-phismus ist.

Folgere, daß ein kanonischer Isomorphismus SR ∼= R[t] existiert.

Durch ihre Definition erfullt die symmetrische Algebra eine analoge Eigenschaft wiedas Tensorprodukt:

Satz 5.5.17. Sei R ein kommutativer Ring. Sei M ein R-Modul. Sei S eine kommutativeR-Algebra. Ist dann φ : M → S ein Homomorphismus von R-Moduln, so existiert genauein Homomorphismus α : SM → S von R-Algebren mit

∀m∈M α(m) = φ(m).

Beweis. Da die kommutative R-Algebra S insbesondere eine R-Algebra ist, existiertnach der universellen Eigenschaft der Tensoralgebra genau ein Homomorphismus β : TM →S von R-Algebren mit β(m) = φ(m) fur alle m ∈M . Aufgrund der Kommutativitat vonS liegt der Unterraum U , welcher SM als Quotient von TM definiert, im Kern von π. Da-mit existiert nach dem Homomorphiesatz genau eine R-lineare Abbildung α : SM → Smit α ◦ π = β, wobei π : TM → SM die kanonische Projektion ist. Da π ein surjektiverHomomorphismus von R-Algebren ist, folgt, daß mit β auch α ein Homomorphismusvon R-Algebren.

114

Page 115: Lineare Algebra

5.5 Die Tensor- und die symmetrische Algebra

Bemerkung 5.5.18. Sei R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Wir schreibenSnM fur das Bild von M⊗n unter der kanonischen Projektion π : TM → SM . Damitwird SM zu einem gewichteten R-Modul.

Aufgabe 5.5.19. Sei R ein kommutativer Ring und M eine R-Algebra. Sei n ∈ N0.Formuliere und beweise eine universelle Eigenschaft fur den R-Modul SnM in bezug aufsymmetrische multilineare Abbildungen mit n Argumenten.

Beispiel 5.5.20. Sei R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Sei x ∈ M einElement. Dann wird durch

Φx : Sn(M∨)→ R, λ1 · · ·λn 7→ λ1(x) · · ·λn(x)

eine wohldefinierte lineare Abbildung gegeben. Damit konnen wir fur jedes b ∈ Sn(M∨)die Abbildung

b : M → R, x 7→ Φx(b)

definieren. Elemente in SnM∨ heißen n-Formen auf M . Eine 2-Form heißt auch quadra-tische Form auf M .

Aufgabe 5.5.21. Seien R ein kommutativer Ring, M ein R-Modul und q ∈ S2(M∨) einequadratische Form auf M . Zeige, daß unter der Voraussetzung, daß 2 eine Einheit in Rist, genau eine symmetrische bilineare Abbildung β : M ×M → R mit

∀m∈M q(m) = β(m,m)

existiert.

Aufgabe 5.5.22. Seien R eine Q-Algebra und M ein R-Modul. Sei weiter n ∈ N0. AufM⊗n operiert die symmetrische Gruppe Sn linear durch

∀σ∈Sn∀m1,...,mn∈M σ · (m1 ⊗ · · · ⊗mn) = mσ−1(1) ⊗ · · · ⊗mσ−1(n).

Ein Tensor t ∈M⊗n heißt symmetrisch, falls

∀σ∈Sn σ · t = t.

Wir schreiben SnM fur den Untermodul von M⊗n aller symmetrischen Tensoren.Zeige, daß die Komposition der Inklusion mit der kanonischen Projektion

SnM →M⊗n → SnM

ein Isomorphismus ist.

Aufgabe 5.5.23. Sei R ein kommutativer Ring. Sei M ein R-Modul. Sei q ∈ S2(M∨)eine quadratische Form auf M . Konstruiere eine R-Algebra C zusammen mit einer R-linearen Abbildung ι : M → C mit ι(m)2 = q(m) fur alle m ∈M , so daß fur jede weitereR-Algebra C ′ zusammen mit einer R-linearen Abbildung ι′ : M → C ′ mit ι′(m)2 = q(m)fur alle m ∈ M genau ein Homomorphismus α : C → C ′ von R-Algebren mit ι′ = α ◦ ιexistiert.

Die R-Algebra C heißt die Cliffordsche Algebra zum Paar (M, q).

115

Page 116: Lineare Algebra

5 Abbildungsraume

Seien A und B zwei R-Algebren. Auf dem Tensorprodukt A⊗RB definieren wir durchdie Setzung

(a⊗ b) · (a′ ⊗ b′) := (aa′) · (bb′)

die Struktur einer R-Algebra.

Definition 5.5.24. Seien A und B zwei Algebren uber dem kommutativen Ring R.Dann heißt A⊗R B das Tensorprodukt der kommutativen R-Algebren A und B.

Beispiel 5.5.25. Sei R ein kommutativer Ring. Dann wird durch

R[x1, . . . , xn]⊗R[y1, . . . , ym]→ R[x1, . . . , xn, y1, . . . , ym], f ⊗ g 7→ fg

ein Isomorphismus kommutativer R-Algebren definiert.

Vor dem Hintergrund, daß R[t] ∼= TR ∼= SR, laßt sich dieses Beispiel wie folgt verall-gemeinern:

Satz 5.5.26. Sei R ein kommutative Ring, und seien M und N zwei R-Moduln. Wirfassen Vektoren aus M und N vermoge der kanonischen Inklusionen als Vektoren inM ⊕N auf. Dann wird durch

SM ⊗ SN → S(M ⊕N), u⊗ v 7→ uv

ein Isomorphismus von R-Algebren definiert.

Beweis. Die Abbildung α : SM⊗SN → S(M⊕N) wird uber die universelle Eigenschaftdes Tensorprodukts definiert.

Es sei dann die R-lineare Abbildung

α : M ⊕N → SM ⊗ SN, (m,n) 7→ m⊗ 1 + 1⊗ n

betrachtet. Diese induziert einen Homomorphismus α : S(M ⊕ N) → SM ⊗ SN vonR-Algebren, fur den α(m,n) = m⊗ 1 + 1⊗ n fur (m,n) ∈M ⊕N gilt.

Dieser Homomorphismus ist das Inverse der Abbildung α.

Beispiel 5.5.27. Sei R ein kommutativer Ring. Sei n ∈ N0. Dann gibt es folgende Kettevon Isomorphismen von R-Algebren:

S(Rn) ∼= S(R⊕ · · · ⊕R︸ ︷︷ ︸n-mal

) ∼= SR⊗ · · · ⊗ SR︸ ︷︷ ︸n-mal

∼= R[t]⊗ · · · ⊗R[t]︸ ︷︷ ︸n-mal

∼= R[t1, . . . , tn].

Aufgabe 5.5.28. Sei R ein kommutativer Ring und M ein freier R-Modul vom Rang n.Zeige, daß SmM ein freier R-Modul vom Rang

(n+m−1

m

)ist.

116

Page 117: Lineare Algebra

5.6 Die außere Algebra

5.6 Die außere Algebra

Wir erinnern uns an den Untermodul U , mit dem wir die symmetrische Algebra ausder Tensoralgebra gewonnen haben. Indem wir den Untermodul U ein wenig verandern,bekommen wir eine andere Algebra als Quotientenraum der Tensoralgebra:

Seien R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Sei V der Untermodul derTensoralgebra TM , welcher von allen Tensoren der Form

m1 ⊗ · · · ⊗mn

mit mi ∈M und mi = mj fur mindestens ein Paar i 6= j aufgespannt wird.Dann ist V ein Ideal der Tensoralgebra: Zunachst einmal ist V als R-Modul naturlich

unter der Addition abgeschlossen (und enthalt die 0). Sind dann t ∈ T und v ∈ V , somussen wir noch zeigen, daß t⊗ v, v ⊗ t ∈ V . Dazu konnen wir annehmen, daß t und vjeweils reine Tensoren sind, wobei in v ein Tensorfaktor doppelt auftritt. Es folgt, daßauch in t⊗ v und v ⊗ t ein Tensorfaktor doppelt auftritt. Damit also t⊗ v, v ⊗ t ∈ V .

Damit konnen wir eine R-Algebra durch

ΛM := TM/V

definieren.

Definition 5.6.1. Seien R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Die R-AlgebraΛM heißt die außere Algebra uber M .

Das Produkt auf ΛM schreiben wir

ΛM × ΛM → ΛM, (u, v) 7→ u ∧ v.

Die außere Algebra ist also ganz analog zur symmetrischen Algebra als Quotient derTensoralgebra nach einem Ideal definiert.

Aufgabe 5.6.2. Seien R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Mit V bezeichnenwir den Kern der Projektion TM → ΛM .

Seien m1, . . . ,mn ∈M . Zeige, daß dann

m1 ⊗ · · · ⊗mn − sgn(σ) ·mσ(1) ⊗ · · · ⊗mσ(n) ∈ V

fur alle σ ∈ Sn.

Analog zur symmetrischen Algebra haben wir hier auch wieder:

Bemerkung 5.6.3. Seien R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Sei π : TM →ΛM die kanonische Projektion. Wir schreiben ΛnM fur das Bild von M⊗n unter π. Damitgilt

ΛM =∞⊕n=0

ΛnM.

Außerdem istΛ0M = R und Λ1M = M.

117

Page 118: Lineare Algebra

5 Abbildungsraume

Daher konnen (und werden) wir die Vektoren in M auch als Elemente der außerenAlgebra auffassen, namlich als diejenigen Elemente, die homogen vom Gewicht 1 sind.

Der R-Modul ΛdM heißt die d-te außere Potenz von M .

Da wir die außere Algebra anders als die symmetrische Algebra definiert haben, konnenwir naturlich nicht erwarten, daß die außere Algebra auch kommutativ ist. Vielmehrhaben wir folgendes:

Hilfssatz 5.6.4. Seien R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Ist dann u ∈M ,so gilt

u ∧ u = 0 ∈ Λ2M.

Sind weiter v ∈ ΛpM und w ∈ ΛqM homogene Elemente, so gilt

v ∧ w − (−1)pqw ∧ v = 0.

Beweis. Die erste Aussage uber u ∧ u folgt aus der Tatsache, daß der Tensor u ⊗ u imKern der Projektion TM → ΛM liegt.

Fur die zweite Aussage nehmen wir zunachst p = q = 1 an. In diesem Falle gilt:

v ∧ w + w ∧ v = (v + w) ∧ (v + w)− v ∧ v − w ∧ w = 0

nach der ersten Aussage. Damit ist dieser Fall vollstandig bewiesen.Fur den allgemeinen Fall konnen wir aufgrund der R-Bilinearitat des Dachproduktes∧ davon ausgehen, daß

v = v1 ∧ · · · ∧ vp und w = w1 ∧ · · · ∧ wq

mit vi, wj ∈M . Dann gilt

v ∧ w = v1 ∧ · · · ∧ vp ∧ w1 · · · ∧ wq= (−1)pw1 ∧ v1 ∧ · · · ∧ vp ∧ w2 · · · ∧ wq= · · ·= (−1)pqw1 ∧ · · · ∧ wq ∧ v1 ∧ · · · ∧ vp = (−1)pqw ∧ v.

Beispiel 5.6.5. Sei R ein kommutativer Ring. Dann gilt

ΛR = R⊕R

mit jeweils einer Kopie von R im Gewicht 0 und 1. Mit anderen Worten ist ΛnR = 0 furn ≥ 2.

Auch die außere Algebra erfullt eine universelle Eigenschaft:

Satz 5.6.6. Seien R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Sei S eine R-Algebra.Ist dann φ : M → S eine R-lineare Abbildung mit φ(m) · φ(m) = 0 fur alle m ∈ M , soexistiert genau ein Homomorphismus α : ΛM → S von R-Algebren, so daß

∀m∈M α(m) = φ(m).

118

Page 119: Lineare Algebra

5.6 Die außere Algebra

Beweis. Der Beweis ist vollkommen analog zum entsprechenden Beweis fur die univer-selle Eigenschaft der symmetrischen Algebra, so daß wir ihn hier auslassen.

Als nachstes mochten wir die außere Algebra einer direkten Summe zweier Modulnstudieren. Seien A und B zwei gewichtete Algebren uber dem kommutativen Ring R.Dann konnen wir auf dem Tensorprodukt A⊗RB die Struktur einerR-Algebra definieren,indem wir

(a⊗ b) · (a′ ⊗ b′) := (−1)p′q · (aa′)⊗ (bb′)

setzen, wobei a, a′ ∈ A und b, b′ ∈ B und a′ homogen vom Grad p′ und b homogen vomGrad q ist. Wir schreiben A ⊗RB fur die so definierte R-Algebra.

Definition 5.6.7. Sei R ein kommutativer Ring. Seien A und B zwei gewichtete R-Algebren. Dann heißt A ⊗RB das Supertensorprodukt der beiden R-Algebren A undB.

Satz 5.6.8. Seien R ein kommutativer Ring und M und N zwei R-Moduln. Dann wirddurch

ΛM ⊗ΛN → Λ(M ⊕N), (u⊗ v) 7→ u ∧ v

ein Isomorphismus von R-Algebren definiert.

Beweis. Wir geben eine Inverse zur Abbildung α : ΛM ⊗ΛN → Λ(M ⊕N) an.Dazu betrachten wir zunachst die R-lineare Abbildung

α : M ⊕N → ΛM ⊗ΛN, (m,n) 7→ m⊗ 1 + 1⊗ n.

Es folgt

α(m,n)2 = (m⊗ 1 + 1⊗ n)2 = (m ∧m)⊗ 1 +m⊗ n−m⊗ n+ 1⊗ (n ∧ n) = 0.

Nach universeller Eigenschaft der außeren Algebra wird also ein Algebrenhomomorphis-mus

α : Λ(M ⊕N)→ ΛM ⊗ΛN

induziert. Dieser ist die gesuchte Umkehrung zu α.

Beispiel 5.6.9. Sei R ein kommutativer Ring. Sei n ∈ N0. Dann gibt es folgende Kettevon Isomorphismen:

Λ(Rn) ∼= Λ(Re1 ⊕ · · · ⊕Ren) ∼= Λ(Re1)⊗ · · · ⊗Λ(Ren) ∼= (R⊕Re1)⊗ · · · ⊗(R⊕Ren).

Aus diesem Beispiel folgt sofort:

Folgerung 5.6.10. Sei R ein kommutativer Ring. Sei M ein freier R-Modul mit BasisV := (v1, . . . , vn). Dann ist

ΛkV := (vi1 ∧ · · · ∧ vik)i1<···<ik

eine Basis des R-Moduls ΛkM . Insbesondere ist(nk

)der Rang von ΛkM .

119

Page 120: Lineare Algebra

5 Abbildungsraume

Beispiel 5.6.11. Sei R ein kommutativer Ring. Ist M ein freier R-Modul vom Rang n,so ist ΛnM ein freier R-Modul vom Rang 1, also isomorph zu R als R-Modul.

Aufgabe 5.6.12. Sei R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul, welcher von denElementen m1, . . . ,mn ∈M erzeugt wird. Zeige, daß ΛkM = 0, falls k > n.

Aufgabe 5.6.13 (m). Gib ein Beispiel fur einen kommutativen Ring R, einen R-ModulM und einen Vektor f ∈ Λ2M an, so daß

f ∧ f 6= 0 ∈ Λ4M.

Aufgabe 5.6.14 (m). Sei der Vektorraum V := (F5)3 gegeben. Wie ublich bezeichnen wirmit (e1, e2, e3) seine Standardbasis.

Berechne die Dimension des von den Vektoren

3, 9− e1, e2 ∧ e3 ∧ (e2 − 3e3), e1 ∧ (4− e1 + 2e3), e2 ∧ e3 ∧ (1 + e1) + 4e1 ∧ e2 ∧ e3

in ΛV aufgespannten Untervektorraumes.

Folgerung 5.6.15. Sei R 6= 0 ein nicht trivialer kommutativer Ring und M ein R-Modul, welcher frei vom Rang m und frei vom Rang n ist. Dann ist n = m.

Beweis. Angenommen, n 6= m. Dann ist eine Zahl großer als die andere, etwa n > m.Auf der einen Seite haben wir ΛnM = 0, da M von m Elementen erzeugt wird. Auf deranderen Seite haben wir ΛnM = R, da M frei vom Rang n ist, ein Widerspruch.

Satz 5.6.16. Sei K ein diskreter Korper und V ein endlich-dimensionaler Vektorraumuber K. Sind dann v1, . . . , vd ∈ V , so gilt

(v1, . . . , vd) linear unabhangig ⇐⇒ v1 ∧ · · · ∧ vd 6= 0.

Beweis. Sind (v1, . . . , vd) linear unabhangig, konnen wir die gegebenen Vektoren zu ei-ner Basis B := (v1, . . . , vn) erganzen. Dann ist v1 ∧ · · · ∧ vd ein Basisvektor in ΛdB,insbesondere also nicht der Nullvektor.

Sei umgekehrt v1∧· · ·∧vd 6= 0. Da in endlich-dimensionalen Vektorraumen entscheid-bar ist, ob Vektoren linear unabhangig sind, durfen wir annehmen, daß (v1, . . . , vd) linearabhangig sind und dies zu einem Widerspruch fuhren: Aufgrund der linearen Abhangig-keit gibt es ein 0 6= a ∈ Rn mit aivi = 0. Sei etwa aj 6= 0 fur ein j ∈ {1, . . . , n}. Dannkonnen wir

ajvj = −∑i 6=j

aivi

schreiben. Nach den Rechenregeln fur das Dachprodukt folgt, daß

ajv1 ∧ · · · ∧ vn = 0,

also v1 ∧ · · · ∧ vn = 0, ein Widerspruch.

120

Page 121: Lineare Algebra

5.6 Die außere Algebra

Definition 5.6.17. Sei R kommutativer Ring. Seien weiter R-Moduln M und N gege-ben. Eine multilineare Abbildung µ : V n := V × · · · × V︸ ︷︷ ︸

n-mal

→ N heißt alternierend, falls

µ(v1, . . . , vn) = 0 fur alle vi ∈M , wenn immer i 6= j mit vi = vj existieren.

Beispiel 5.6.18. Sei R ein kommutativer Ring. Dann ist die n-lineare Abbildung

Rn × · · · ×Rn → R, (v1, . . . , vn) 7→ det(v1| · · · |vn)

nach den nachgerechneten Eigenschaften der Determinante eine alternierende Abbil-dung.

Beispiel 5.6.19. Sei R ein kommutativer Ring. Sei M ein R-Modul. Die Abbildung

Mn = M × · · · ×M → ΛnM, (m1, . . . ,mn) 7→ m1 ∧ · · · ∧mn

ist alternierend.

In gewisser Weise ist dies die universelle alternierende Abbildung, denn es gilt:

Satz 5.6.20. Seien R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Ist dann µ : Mn → Neine alternierende multilineare Abbildung in einen weiteren R-Modul, so existiert genaueine lineare Abbildung λ : ΛnM → N mit

∀v1,...,vn∈M λ(v1 ∧ · · · ∧ vn) = µ(v1, . . . , vn).

Beweis. Sei V n der Kern der kanonischen Projektion M⊗n → ΛnM , das heißt, V n wirdaufgespannt von Tensoren der Form v1⊗· · ·⊗vn mit vi ∈M und vi = vj fur mindestensein Paar i 6= j. Nach der universellen Eigenschaft des Tensorproduktes existiert zunachstgenau eine lineare Abbildung φ : M⊗n → N mit φ(v1 ⊗ · · · ⊗ vn) = µ(v1, . . . , vn). NachVoraussetzung an µ folgt,daß φ auf V n verschwindet. Daher folgt die eindeutige Existenzder linearen Abbildung λ dann aus dem Homomorphiesatz.

Mit Hilfe dieses Satzes erhalten wir als Anwendung eine Beschreibung des Dualraumseiner außeren Potenz:

Hilfssatz 5.6.21. Sei R ein kommutativer Ring. Sei M ein R-Modul. Fur jedes d ∈ N0

ist dann

ΛdM∨ → (ΛdM)∨, λ1 ∧ · · · ∧ λd 7→

(v1 ∧ · · · ∧ vd 7→

∑σ∈Sd

sgn(σ)d∏i=1

⟨λi, vσ(i)

⟩)

ein wohldefinierter Homomorphismus von R-Moduln.

Ist M ein freier R-Modul endlichen Ranges, so ist die Abbildung sogar ein Isomor-phismus.

121

Page 122: Lineare Algebra

5 Abbildungsraume

Beweis. Auf der rechten Seite steht nichts anderes als die Determinante von (〈λi, vj〉),welche insbesondere alternierend in den Zeilen und Spalten ist. Daher folgt aus zweima-liger Anwendung des Satzes, daß die Abbildung wohldefiniert ist.

Sei jetzt M frei mit Basis V := (v1, · · · , vn). Um zu zeigen, daß die Abbildung einIsomorphismus ist, geben wir eine Umkehrabbildung an, namlich:

(ΛdM)∨ → ΛdM∨, α 7→

∑i1<···<id

α(vi1 ∧ · · · ∧ vid) · vi1 ∧ · · · ∧ vid .

Bemerkung 5.6.22. Seien R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Eine alter-nierende Abbildung Md → R heißt auch d-Form. Die Menge der d-Formen wird durch(ΛdM)

∨gegeben. Ist M frei vom endlichem Rang n, so ist die Menge der d-Formen nach

dem Hilfssatz damit durch ΛdM gegeben.Eine n-Form, welche den Modul ΛnM∨ aufspannt, bezeichnen wir in diesem Falle auch

als Determinantenform. Es folgt, daß es immer Determinantenformen auf M gibt undsich je zwei Determinantenformen durch eine Einheit in R unterscheiden.

Ein andere Anwendung der universellen Eigenschaft der außeren Potenz ist:

Definition 5.6.23. Sei R ein kommutativer Ring. Sei d ∈ N0. Ist dann φ : M → N einelineare Abbildung, so heißt die lineare Abbildung

Λdφ : ΛdM → ΛdN, m1 ∧ · · · ∧md 7→ φ(m1) ∧ · · · ∧ φ(md)

die d-te außere Potenz von φ.

Beispiel 5.6.24. Sei R ein kommutativer Ring. Sei d ∈ N0. Ist dann M ein R-Modul, soist

Λd idM = idΛdM .

Beispiel 5.6.25. Sei R ein kommutativer Ring. Sei d ∈ N0. Sind dann φ : M → N undψ : N → L lineare Abbildungen zwischen R-Moduln, so ist

Λd(ψ ◦ φ) = Λdψ ◦ Λdφ.

Beispiel 5.6.26. Seien R ein kommutativer Ring und M und N freie R-Moduln mitBasen V := (v1, . . . , vm) und W := (w1, . . . , wn). Sei φ : M → N eine lineare Abbildung.Sei A = (aij) ∈ Rn

m die Darstellungsmatrix von φ bezuglich V und W .Fur jedes d ∈ N0 ist dann

ΛdA := (detAj1,...,jdi1,...,id)j1<...<jdi1<...<id

,

die Matrix der d-Minoren, die Darstellungsmatrix der d-ten außeren Potenz Λdφ von φbezuglich der Basen ΛdV und ΛdW . (Es sei beachtet, daß die Zeilen und Spalten derMatrix ΛdA nicht durch naturliche Zahlen, sondern durch streng monoton steigendeFolgen naturlicher Zahlen indiziert werden, genauso wie die Basisvektoren von ΛdV .)

122

Page 123: Lineare Algebra

5.6 Die außere Algebra

Um die Behauptung einzusehen, mussen wir Λdφ auf Basisvektoren anwenden: Es gilt

(Λdφ)(vi1 ∧ · · · ∧ vid) = φ(vi1) ∧ · · · ∧ φ(vid)

=n∑

j1,...,jd=1

(aj1i1wj1) ∧ · · · ∧ (ajdidwjd)

=∑

j1<···<jd

∑σ∈Sn

sgnσ ·d∏

k=1

ajkiσ(k)· wj1 ∧ · · · ∧ wjd

=∑

j1<···<jd

detA{j1,...,jd}{i1,...,id} · wj1 ∧ · · · ∧ wjd .

Aufgabe 5.6.27. Sei K ein diskreter Korper. Sei

0 −−−→ V ′α−−−→ V

β−−−→ V ′′ −−−→ 0

eine exakte Sequenz endlich-dimensionaler Vektorraume der Dimensionen n′ = dimV ′, n =dimV, n′′ = dimV ′′, also n′ + n′′ = n.

Zeige, daß die Vorschrift

Φ: Λn′V ′ ⊗ Λn′′V ′′ → ΛnV, (v′1 ∧ · · · ∧ v′n′)⊗ (β(v1) ∧ · · · ∧ β(vn′′))

7→ α(v′1) ∧ · · · ∧ α(v′n′) ∧ v1 ∧ · · · ∧ vn′′

einen wohldefinierten Isomorphismus ein-dimensionaler Vektorraume liefert.

Hilfssatz 5.6.28. Sei K ein diskreter Korper. Sei φ : V → W eine lineare Abbildungzwischen endlich-dimensionalen Vektorraumen. Ist dann Λdφ = 0: ΛdV → ΛdW , so istφ eine Abbildung, deren Rang kleiner als d ist.

Beweis. Seien v1, · · · , vd in V . Dann ist φ(v1)∧· · ·φ(vd) = 0. Damit ist (φ(v1), · · · , φ(vd))nicht linear unabhangig.

Aufgabe 5.6.29. SeiK ein diskreter Korper. Sei V ein endlich-dimensionalerK-Vektorraum.Ein Quotientenvektorraum von V ist ein endlich-dimensionaler Vektorraum Q zusam-

men mit einer surjektiven linearen Abbildung πQ : V → Q. Ist ein weiterer Quotienten-vektorraum Q′ gegeben, so sei Q = Q′ als Quotientenvektorraume genau dann, wennkerπQ = ker πQ′ ⊂ V .

Wir bezeichnen mit GdV (K) die Menge der d-dimensionalen Quotientenvektorraume

von V . Diese Menge ist eine sogenannte Graßmannsche Varietat.Im Falle von d = 1 schreiben wir PV (K) := G1

V (K). Dann heißt die Varietat projek-tiver Raum.

Zeige, daß

i : GdV (K)→ PΛdV (K), (π : V → Q) 7→ (Λdπ : ΛdV → ΛdQ)

eine wohldefinierte injektive Abbildung ist. Diese Injektion ist die sogenannte Plucker-einbettung.

123

Page 124: Lineare Algebra

5 Abbildungsraume

(Tip: Zeige, daß ein v ∈ V genau dann in ker π liegt, falls fur alle w ∈ Λd−1V gilt, daßΛdπ(v ∧ w) = 0.)

Zusatzaufgabe: Wir wollen das Bild der Pluckereinbettung beschreiben. Zeige zunachst,daß durch

µ : Λd−1V ⊗ Λd+1V → S2(ΛdV ), (x1 ∧ · · · ∧ xd−1)⊗ (y1 ∧ · · · ∧ yd+1)

7→d+1∑i=1

(−1)i−1(x1 ∧ · · · ∧ xd−1 ∧ yi) · (y1 ∧ · · · ∧ yi−1 ∧ yi+1 ∧ · · · ∧ yd+1)

eine wohldefinierte lineare Abbildung gegeben wird.Ist λ : ΛdV → L ein Element in PV (K), so sei

S2λ : S2(ΛdV )→ S2L, v · w 7→ λ(v) · λ(w).

Zeige dann, daß λ genau dann im Bild der Pluckereinbettung i liegt, falls

∀α∈Λd−1V ∀β∈Λd+1V (S2λ)(µ(α, β)) = 0.

Definition 5.6.30. Sei R ein kommutativer Ring. Sei φ : M →M ein Endomorphismuseines freien R-Moduls vom Rang n. Dann heißt

detφ := tr Λnφ

die Determinante von φ.

Bemerkung 5.6.31. Die so definierte Determinante stimmt mit der Determinanten vonMatrizen im folgenden Sinne uberein:

Sei V := (v1, . . . , vn) eine Basis von M . Sei dann die Matrix A = (aij) ∈ Rnn durch

φ(vj) = aijvi definiert. Dann ist detA = detφ. Dies folgt aus Beispiel 5.6.26.Damit folgt, daß die Determinante eines Endomorphismus gleich der Determinanten

einer Darstellungsmatrix von φ bezuglich einer beliebigen Basis (welche allerdings furDefinitions- und Zielraum gleich gewahlt sein muß) ist.

Beispiel 5.6.32. Sei R ein kommutativer Ring. Ist dann M ein freier R-Modul endlichenRanges, so gilt

det idM = 1.

Beispiel 5.6.33. Sei R ein kommutativer Ring. Seien φ, ψ : M → M zwei Endomorphis-men von R. Dann gilt

det(ψ ◦ φ) = (detψ) · (detφ).

Fur den folgenden Hilfssatz rufen wir in Erinnerung, daß ΛdM∨ = (ΛdM)∨.

Hilfssatz 5.6.34. Seien R ein kommutativer Ring und M ein freier R-Modul vom Rangn. Fur jedes d ∈ {0, . . . , n} ist dann

ΛnM∨ ⊗ ΛdM → Λn−dM∨, ε⊗ x 7→ (y 7→ 〈ε, x ∧ y〉)

ein Isomorphismus von R-Moduln.

124

Page 125: Lineare Algebra

5.6 Die außere Algebra

Beweis. Wir geben eine Umkehrung der Abbildung an: Dazu definieren wir folgendes:Sei I ⊂ {1, . . . , n} eine endliche Teilmenge. Wir setzen I := {1, . . . , n} \ I. Weiter sei

sgn I := sgn

(1 . . . d d+ 1 . . . ni1 . . . id j1 . . . jn−d

), I = {i1 < · · · < id}, J = {j1 < · · · < jn−d}.

Sei V = (v1, . . . , vn) eine Basis von M . Wir setzen weiter

vI := vi1 ∧ · · · ∧ vid ∈ ΛdM

und analog vI ∈ ΛdM∨.

Mit diesen Definition ist die Abbildung durch

ΛnM∨ ⊗ ΛdM → Λn−dM∨, v{1,...,n} ⊗ vI 7→ sgn I · vI

und ihre Umkehrabbildung damit durch

Λn−dM∨ 7→ ΛnM∨ ⊗ ΛdM, vI 7→ sgn I · v{1,...,n} ⊗ vI

gegeben.

Weiter vereinbaren wir, daß ein oben stehender gequerter Index I als unten stehenderIndex aufzufassen ist und daß entsprechend ein unten stehender gequerter Index als obenstehender Index aufzufassen ist. In diesem Sinne wechselt kein Index seine Position inden oben angegeben Abbildungsvorschriften.

Sei φ : M → M ein Endomorphismus eines freien R-Moduls M vom Rang n. Wirwahlen eine Determinantenform ε ∈ ΛnM∨. (Bis auf ein Element in R× ist diese eindeu-tig.) Sei d ∈ {0, . . . , n}. Seien v ∈ Λn−dM . Seien w ∈ ΛdM . Der Ausdruck ε((Λn−dφ)(v)∧w) ∈ R ist linear in v. Nach dem letzten Hilfssatz existiert damit genau ein (Vdφ)w ∈ΛdM mit

∀v∈Λn−dM ε((Λn−dφ)v ∧ w) = ε(v ∧ (Vdφ)w).

Der Ausdruck Vd(φ)(w) ist unabhangig von der Wahl von ε. Aus der Eindeutigkeit folgtweiter, daß Vd(φ)(w) linear ist. Wir erhalten also einen Endomorphismus

Vdφ : ΛdM → ΛdM, w 7→ (Vdφ)w.

Definition 5.6.35. Sei R ein kommutativer Ring. Sei φ : M →M ein Endomorphismuseines freien R-Moduls M vom Rang n. Sei d ∈ {0, . . . , n}. Dann heißt Vdφ : ΛdM → ΛdMdie d-te Adjunkte von φ.

Im Falle d = 1 schreiben wir

adjφ := V1φ

und nennen adjφ einfach die Adjunkte von φ.

125

Page 126: Lineare Algebra

5 Abbildungsraume

Bemerkung 5.6.36. Sei R ein kommutativer Ring. Sei φ : M →M ein Endomorphismuseines freien R-Moduls M vom Rang n. Sei d ∈ {0, . . . , n}. Dann ist Vdφ homogen vonGewicht n− d in φ, das heißt

Sn−d End(M)→ End(ΛdM), φ⊗(n−d) 7→ Vdφ

ist eine wohldefinierte R-lineare Abbildung.

Beispiel 5.6.37. Sei R ein kommutativer Ring. Sei φ : M → M ein Endomorphismuseines freien R-Moduls vom Rang n. Sei V := (v1, . . . , vn) eine Basis von M . Die Abbil-dungsmatrix von φ bezuglich der Basis V nennen wir A = (aji ) ∈ Rn

n. Wir haben alsoφ(vi) = ajivj.

Wir wollen die Abbildungsmatrix B := (bIJ) von Vdφ bestimmen. Dazu wahlen wirε := v1 ∧ · · · ∧ vn. Seien weiter I, J ⊂ {1, . . . , n} zwei endliche Mengen mit d Elementen.Dann gilt:

bIJ :=⟨vI , (Vdφ)(vJ)

⟩= sgn I · 〈ε, vI ∧ (Vdφ)vJ〉= sgn I ·

⟨ε, (Λn−dφ)(vI) ∧ vJ

⟩= sgn I · sgn J ·

⟨vJ , (Λn−dφ)vI

⟩= sgn I · sgn J · detAJI

= sgn I · sgn J · detAJI .

Bis auf Vorzeichen sind die Matrixeintrage der d-ten Adjunkten durch die (n−d)-Minorengegeben. Dies gibt insbesondere eine Interpretation der Minoren in geometrischen Ter-men.

Satz 5.6.38. Sei R ein kommutativer Ring. Sei φ : M →M ein Endomorphismus einesfreien R-Moduls endlichen Ranges. Dann gilt

(Vdφ) ◦ (Λdφ) = (detφ) · idΛdM = (Λdφ) ◦ (Vdφ).

Beweis. Wir zeigen zunachst die erste Gleichheit. Dazu wahlen wir eine Determinanten-form ε ∈ ΛnM∨. Seien x ∈ ΛdM und y ∈ Λn−dM beliebig. Dann gilt

ε((Vdφ ◦ Λdφ)(x) ∧ y) = ε((Λdφ)(x) ∧ (Λn−dφ)(y)) = ε((Λnφ)(x ∧ y) = detφ · ε(x ∧ y).

Da die Paarung ε(· ∧ ·) nicht ausgeartet ist, folgt daraus (Vdφ ◦ Λd)(x) = detφ · x, alsodie erste Gleichheit.

Fur die zweite Gleichheit betrachten wir zunachst den Spezialfall, daß R der diskreteKorper K := Q(a1

1, . . . , ann), M der Modul Kn und φ der durch die universelle Matrix

A := (aij) gegebene Endomorphismus Kn → Kn ist. Es ist detA 6= 0, also ein invertier-bares Element in K. Aus der schon bewiesenen Gleichheit (Vdφ)◦(Λdφ) = (detA)·idΛdKn

folgt damit schon, daß Λdφ injektiv sein muß. Nach Rangsatz istΛdφ damit auch surjek-tiv, also auch invertierbar. Es folgt, daß Vdφ = detφ · (Λdφ)−1. Insbesondere folgt, daßVdφ und Λdφ vertauschen, woraus die zweite Gleichheit fur diesen Spezialfall folgt.

Da die zweite Gleichheit uber K richtig ist, folgt, daß sie auch uber R = Z[a11, . . . , a

nn],

wieder mit der universellen Matrix, richtig ist.

126

Page 127: Lineare Algebra

5.6 Die außere Algebra

Fur einen beliebigen kommutativen Ring und einen beliebigen Endomorphismus be-kommen wir die Aussage dann durch Spezialisierung der aij.

Folgerung 5.6.39. Sei R ein kommutativer Ring. Sei φ : M →M ein Endomorphismuseines freien R-Moduls endlichen Ranges. Dann gilt

φ ◦ (adjφ) = (detφ) · idM = (adjφ) ◦ φ.Diese Folgerung ist auch unter dem Namen

”Cramersche Regel“ bekannt.

Beweis. Die Folgerung ist der Spezialfall des Satzes fur d = 1.

Folgerung 5.6.40. Sei R ein kommutativer Ring. Dann ist ein Endomorphismus φ : M →M eines freien R-Moduls genau dann invertierbar, wenn detφ eine Einheit in R ist.

Beweis. Sei zunachst φ ∈ End(M) invertierbar. Dann existiert ein ψ ∈ End(M) mitφ ◦ ψ = idM . Anwenden der Determinanten liefert (detφ) · (detψ) = 1, also detφ ∈ R×.

Sei umgekehrt detφ ∈ R×. Dann folgt aus der letzten Folgerung, daß φ invertierbarmit Inverse

φ−1 =adjφ

detφ.

Bemerkung 5.6.41. Der letzte Satz erlaubt es uns, die Determinante einer Matrix A ∈ Rnn

uber einem kommutativen Ring R auf folgende Art zu berechnen: Seien dazu endlicheTeilmengen I, L ⊂ {1, . . . , n} mit d Elementen gegeben. Dann gilt

detA · δLI =⟨eL, detA · idΛdRn(eI)

⟩=⟨eL, (VdA)(ΛdA)(eI)

⟩= detAJI

⟨eL, (VdA)(eJ)

⟩= sgn J sgnK · detAJI detAJK

⟨eL, eK

⟩= sgn J sgnL · detAJI detAJL,

wobei nach unseren Konventionen uber J zu summieren ist.Damit konnen wir die Berechnung der Determinanten von A auf Determinanten von

Untermatrizen zuruckfuhren. Diese Methode heißt der”Laplacesche Entwicklungssatz“.

Beispiel 5.6.42. Wir wollen die Determinante der Matrix

A =

0 3 0 11 2 −1 00 2 4 −10 0 3 −2

∈ Z44

nach dem Laplaceschen Entwicklungssatz berechnen. Dazu wahlen wir mit den Bezeich-nungen der Bemerkung I = L = {1}. Dann haben wir

detA = sgn J · detAJ1 · detAJ2,3,4

= 0 · detA2,3,42,3,4 − 1 · detA1,3,4

2,3,4 + 0 · detA1,2,42,3,4 − 0 · detA1,2,3

2,3,4

= − det

3 0 12 4 −10 3 −2

= 9.

127

Page 128: Lineare Algebra

5 Abbildungsraume

128

Page 129: Lineare Algebra

6 Feinstruktur von Endomorphismen

6.1 Die Smithsche Normalform

In diesem Kapitel wollen wir uns mit dem sogenannten Normalformenproblem fur En-domorphismen endlich-dimensionalen Vektorraumen beschaftigen. Es ist also die Frage,ob die Darstellungsmatrix eines Endomorphismus bezuglich einer bestimmten Basis einebesonders einfache Gestalt hat.

Dazu beginnen wir zunachst mit linearen Abbildungen uber Hauptidealringen:

Hilfssatz 6.1.1. Seien R ein Hauptidealring und M und N zwei freie R-Moduln vomRang m beziehungsweise n. Ist dann φ : M → N eine lineare Abbildung, so existiereneine Basis V := (v1, . . . , vm) von M und eine Basis W := (w1, . . . , wn) von N , so daßfur die Darstellungsmatrix A := W−1φV von φ bezuglich V und W gilt, daß A eineDiagonalmatrix ist, daß also Aji = 0, falls i 6= j.

Beweis. Seien V := (v1, . . . , vm) und W := (w1, . . . , wn) Basen von M und N . SeiA := W−1φV ∈ Rn

m. Im Falle A = 0 sind wir fertig. Ansonsten konnen wir durchVertauschen der Basisvektoren erreichen, daß a1

1 6= 0.Wir wollen V und W nun soweit abandern, daß A in der behaupteten Form ist. Da R

ein Hauptidealring ist, existiert ein d ∈ R mit (d) = (A11, A

12). Damit existieren s, t ∈ R

mit d = sA11 + tA1

2. Sei

A′ := (sA1 + tA2 | (−A12A1 + A1

1A2)/d | A3 | · · · | Am) ∈ Rnm.

Sei weiter

V ′ := (sV1 + tV2 | (−A12V1 + A1

1V2)/d | V3 | · · · | Vm) : Rm →M.

Da det(V −1 ◦ V ′) = 1, ist V ′ invertierbar, also wieder eine Basis. Wir haben weiter

A′ = W−1φV ′

Die neue Matrix stimmt mit der Matrix A in allen Spalten außer den ersten und zweitenuberein. Außerdem haben wir (A′)1

1 = d und (A′)12 = 0. Wir ersetzen schließlich V durch

V ′ und dementsprechend A durch A′.Spielen wir das gleiche Spiel mit den den Spalten 3, . . . ,m anstelle von 2, konnen wir

schließlich annehmen, daß V derart ist, daß die erste Zeile von A nur Nullen enthaltaußer dem ersten Element. Dieses ist gleich einem großten gemeinsamen Teiler d1 derElemente in der ersten Zeile der ursprunglichen Matrix A.

129

Page 130: Lineare Algebra

6 Feinstruktur von Endomorphismen

Als nachstes machen wir dieselben Umformungsschritte mit den Vektoren aus W :Dazu betrachten wir wieder ein d ∈ R mit (d) = (A1

1, A21). Damit existeren s, t ∈ R mit

d = sA11 + tA2

1. Sei

A′ := (sA1 + tA2 | (−A21A

1 + A11A

2)/d | A3 | · · · | An)> ∈ Rnm.

Sei weiter

W ′ := ((A11W1 + A2

1W2)/d | −tW1 + sW2 | W3 | · · · | Wn) : Rn → N.

Da det(W−1 ◦W ′) = 1, ist W ′ invertierbar, also wieder eine Basis. Es ist leicht nachge-rechnet, daß W ′A′ = φV , also

A′ = W ′−1φV.

Die neue Matrix stimmt mit der Matrix A in allen Zeilen außer der ersten und zweitenuberein. Außerdem haben wir (A′)1

1 = d und (A′)21 = 0. Wir ersetzen schließlich W durch

W ′ und dementsprechend A durch A′.Spielen wir das gleiche Spiel mit den Zeilen 3, . . . , n anstelle von 2, konnen wir schließ-

lich annehmen, daß W derart ist, daß die erste Spalte von A nur Nullen enthalt außerdemdem ersten Element. Dieses ist gleich einem großten gemeinsamen Teiler d2 der Elementein der ersten Spalte der Matrix aus dem letzten Schritt. Insbesondere gilt d2|d1.

Bei dem Wechsel der Basis in W wird in der Regel die spezielle Form der ersten Zeilenicht erhalten. Daher fuhren wir einen erneuten Wechsel der Basis V durch, so daß dieerste Zeile wieder nur aus Nullen besteht, außer einem ersten Element, d3. Wir habendann d3|d2.

Wir machen so weiter und erhalten eine Folge d1, d2, . . . mit di+1|di. Da R ein Haupt-idealring ist, existiert ein n mit d := dn = dn+1 bis auf Einheiten in R. Das bedeutetaber, daß wir irgendwann eine Matrix erhalten, deren z.B. erste Spalte bis auf das ersteElement d nur aus Nullen besteht und deren erste Zeile nur Elemente, welche assoziiertzu d sind, enthalt. Dann konnen wir im folgenden Schritt jeweils t = 0 wahlen. Dadurcherreichen wir am Ende dieses Schrittes, daß A in der ersten Zeile und Spalte nur Nullenenthalt, außer dem Element A1

1.

Dann wenden wir das selbe Verfahren auf die Matrix A{2,...,n}{2,...,n} an und so weiter.

Satz 6.1.2. Seien R ein Hauptidealring und M und N zwei freie R-Moduln vom Rangm beziehungsweise n. Ist dann φ : M → N eine lineare Abbildung, so existieren eineBasis V := (v1, . . . , vm) von M und eine Basis W := (w1, . . . , wn) von N , so daß furdie Darstellungsmatrix A = (aji ) := W−1φV von φ bezuglich V und W gilt, daß aji = 0,falls i 6= j und aii|ai+1

i+1 fur alle i.In diesem Falle sagen wir, daß φ bezuglich der Basen V und W in Smithscher Normal-

form ist. Die Elemente a11|a2

2| · · · |akk mit k = min{m,n} heißen die invarianten Faktorender Normalform.

Beweis. Zunachst konnen wir nach dem Hilfssatz annehmen, daß Basen V und W vonM und N existieren, so daß φ in Diagonalgestalt ist.

130

Page 131: Lineare Algebra

6.1 Die Smithsche Normalform

Dann konnen wir durch elementare Zeilen- und Spaltenumformungen wie im Hilfssatzerreichen, daß das Element a1

1 alle ubrigen Elemente auf der Diagonalen teilt (und eingroßter gemeinsamer Teiler aller ehemaligen Diagonalelemente ist). Dann machen wirmit dem Verfahren mit a2

2 und allen ubrigen Diagonalelementen weiter und so fort.

Sei A ∈ Rnm eine Matrix uber einem Hauptidealbereich R. Mit (ΛdA) bezeichnen wir

das Ideal, welches von allen d-Minoren von A aufgespannt wird.

Hilfssatz 6.1.3. Seien R ein Hauptidealbereich und A ∈ Rnm eine Matrix uber R. Sind

dann S ∈ Rnn und T ∈ Rm

m invertierbare Matrizen, gilt

(Λd(SAT )) = (ΛdA)

fur alle d.

Beweis. Die Zeilen von SA sind Linearkombination der Zeilen von A. Daraus folgt,daß die Minoren von SA Linearkombinationen der Minoren von A sind. Es folgt also,daß (Λd(SA)) ⊂ (ΛdA). Da S invertierbar ist, folgt analog, daß (ΛdA) ⊂ Λd(SA), alsoGleichheit.

Auf analoge Weise folgt schließlich die Behauptung.

Bemerkung 6.1.4. Sei R ein Hauptidealring. Sei φ : M → N eine lineare Abbildungzwischen freien R-Moduln endlichen Ranges. Nach dem Hilfssatz konnen wir damit

(Λdφ) := (ΛdA)

setzen, wobei A eine Darstellungsmatrix von φ bezuglich beliebiger Basen von M undN ist.

Satz 6.1.5. Sei R ein Hauptidealring. Sei φ : M → N eine lineare Abbildung zwischenfreien R-Moduln endlichen Ranges. Sind dann (a1, . . . , ak) und (a′1, . . . , a

′k) die invari-

anten Faktoren zweier Smithscher Normalformen von φ, so gilt

∀i∈I (ai) = (a′i).

Beweis. Nach dem Hilfssatz gilt offensichtlich (Λdφ) = (a1, . . . , ad) = (a′1, . . . , a′d), wor-

aus die Behauptung durch Induktion uber d folgt.

Aufgabe 6.1.6 (m). Berechne die invarianten Faktoren der linearen Abbildung2 −6 84 −4 160 −8 8

: Z3 → Z3.

Aufgabe 6.1.7 (m). Berechne zwei Basen V und W von Q[x]4 und Q[x]3, so daß dielineare Abbildung x2 + 1 3x3 − 3x2 x3 − x2 x3 − 2x2 − 1

x+ 2 3x2 − 2x x2 − x x2 − 3x− 2x 3x2 − 3x x2 − x x2 − 2x

von Q[x]4 nach Q[x]3 bezuglich V und W in Smithscher Normalform ist. Gib ihre inva-rianten Faktoren an.

131

Page 132: Lineare Algebra

6 Feinstruktur von Endomorphismen

Aufgabe 6.1.8. Ein Bewertungsring R ist ein Integritatsbereich R, so daß

∀a,b∈R ((a) ⊂ (b) ∨ (b) ⊂ (a)) .

Zeige: Sei R ein Bewertungsring, und sei φ : M → N eine lineare Abbildung zwischenfreien R-Moduln endlichen Ranges. Dann existieren Basen V von M und W von N , sodaß φ bezuglich der Basen V und W in Smithscher Normalform ist.

Aufgabe 6.1.9. Sei R ein Bewertungsring. Zeige, daß R ein lokaler Ring ist, das heißt, esgilt 0 6= 1 in R und daß aus s+ t = 1 fur s, t ∈ R folgt, daß s ∈ R× oder t ∈ R×.

Aufgabe 6.1.10. Sei R ein Hauptidealring. Seien φ : M → N und φ′ : M ′ → N ′ zweilineare Abbildungen. Gib ein Verfahren an, die invarianten Faktoren von φ ⊗ φ′ : M ⊗M ′ → N ⊗N ′ aus denen von φ und ψ zu berechnen.

6.2 Endlich prasentierte Moduln

Definition 6.2.1. Sei R ein kommutativer Ring. Ein R-Modul M heißt endlich prasen-tiert, falls eine exakte Sequenz der Form

Rm ψ−−−→ Rn φ−−−→ M −−−→ 0

gibt.Eine solche Sequenz heißt dann Prasentation von M . Die Bilder der e1, . . . , en ∈ Rn

unter φ heißen dann die Erzeuger der Prasentation von M und die Bilder der e1, . . . , emunter ψ heißen die Relationen der Prasentation von M . Die Darstellungsmatrix von ψheißt die Prasentationsmatrix von M .

Bemerkung 6.2.2. Bis auf Isomorphie ist ein endlich prasentierter Modul uber einemkommutativen Ring offensichtlich durch seine Prasentationsmatrix A bestimmt. Wirschreiben dann cokerA fur den Modul.

Bemerkung 6.2.3. Ein endlich prasentierter Modul uber einem kommutativen Ring istinsbesondere endlich erzeugt.

Aufgabe 6.2.4. Seien R ein kommutativer Ring und M und N zwei endlich prasentierteR-Moduln. Zeige, daß dann auch M ⊕N und M ⊗N endlich prasentiert sind.

Beispiel 6.2.5. Sei R ein kommutativer Ring und M ein R-Modul. Dann besitzt M genaudann eine endliche Prasentation der Form

0 −−−→ Rn −−−→ M −−−→ 0,

wenn M ein freier R-Modul endlichen Ranges ist.

Beispiel 6.2.6. Sei R ein kommutativer Ring, und sei A ∈ Rnm eine (nicht notwendiger-

weise quadratische) Diagonalmatrix (also Aij = 0 fur i 6= j). Dann ist

cokerA ∼= R/(A11)⊕ · · · ⊕R/(Ann),

132

Page 133: Lineare Algebra

6.2 Endlich prasentierte Moduln

wobei wir Akk = 0 fur k > m setzen. Einen R-Modul der Form R/(a) mit a ∈ R wollenwir zyklisch nennen.

Umgekehrt besitzt jeder Modul, welcher isomorph zu einer endlichen direkten Summezyklischer Moduln ist, eine Prasentation durch eine Diagonalmatrix.

Hilfssatz 6.2.7. Seien R ein kommutativer Ring und M ein endlich prasentierter R-Modul mit Darstellungsmatrix A ∈ Rn

m. Sind dann S ∈ Rnn und T ∈ Rm

m invertierbareMatrizen, ist auch SAT ∈ Rn

m eine Darstellungsmatrix von M .

Beweis. Sei

Rm A−−−→ Rn φ−−−→ M −−−→ 0

eine exakte Sequenz. Dann ist auch

Rm SAT−−−→ Rn φ◦S−1

−−−→ M −−−→ 0

eine exakte Sequenz.

Schließlich konnen wir das Hauptresultat dieses Abschnittes formulieren, der Struk-tursatz uber endlich prasentierte Moduln uber Hauptidealringen:

Satz 6.2.8. Sei M ein endlich prasentierter Modul uber einem Hauptidealbereich. Dannexistieren Hauptideale a1 ⊃ a2 ⊃ · · · ⊃ an, so daß ein Isomorphismus

M ∼= R/a1 ⊕ · · · ⊕R/an

von R-Moduln existiert.

Beweis. Sei

Rm A−−−→ Rn −−−→ M −−−→ 0

eine endliche Prasentation von M . Nach dem Satz uber die Smithsche Normalform exi-stieren invertierbare Matrizen S ∈ Rm

m und T ∈ Rnn, so daß SAT in Smithscher Normal-

form ist.Damit folgt die Aussage des Satzes aus dem Form von SAT , dem Hilfssatz und dem

letzten Beispiel.

Die Zerlegung in zyklische Moduln, die im letzten Satz beschrieben wird, ist im we-sentlichen eindeutig:

Satz 6.2.9. Sei R ein kommutativer Ring. Seien p1 ⊃ · · · ⊃ pm und q1 ⊃ · · · ⊃ qnIdeale von R mit m ≤ n. Es existiere ein Isomorphismus

R/p1 ⊕ · · · ⊕R/pm ∼= R/q1 ⊕ · · · ⊕R/qn.

Dann gilt:q1 = · · · = qn−m = (1)

und weiterpi = qn−m+i

fur alle i ∈ {1, . . . ,m}.

133

Page 134: Lineare Algebra

6 Feinstruktur von Endomorphismen

Beweis. Um die erste Behauptung zu zeigen, reicht es, q1 = (1) zu zeigen, falls n > m.Sei S := R/q1. Dann haben wir Isomorphismen

S⊕n ∼=n⊕j=1

R/(qj + q1) ∼= M/q1M ∼=m⊕i=1

R/(pi + q1)

als S-Moduln. Wir konnen Sm surjektiv auf die rechte Seite abbilden. Damit existiertauch eine Surjektion φ : Sm → Sn. Damit muß Λnφ : ΛnSm → ΛnSn ∼= S surjektiv sein.Es ist ΛnSm wegen n > m der Nullmodul. Damit ist S = 0, also q1 = (1).

Um den zweiten Teil zu zeigen, konnen wir ohne Einschrankung annehmen, daß n = m.Aus Symmetriegrunden reicht es zu zeigen, daß pk ⊂ qk fur alle k. Sei x ∈ pk. Fur einIdeal r von R setzen wir

(r : x) = {r ∈ R | rx ∈ r}.

Dann haben wirn⊕j=1

R/(qj : x) ∼= xM ∼=n⊕

i=k+1

R/(pi : x).

Wenden wir die schon bewiesene erste Behauptung auf xM an, erhalten wir (q1 : x) =· · · = (qk : x) = (1), also x ∈ qk.

Beispiel 6.2.10. Wir konnen jede abelsche Gruppe insbesondere als Z-Modul auffassen.Damit erhalten wir, daß jede endlich prasentierte abelsche Gruppe A isomorph zu einerGruppe der Form

Z/(d1)⊕ · · · ⊕ Z/(dn)

ist, wobei die di eindeutig sind unter der Voraussetzung, daß d1|d2| · · · |dn und d1, d2, . . . >1.

Aufgabe 6.2.11. Sei die abelsche Gruppe

A = 〈a, b, c | 15a+ 12b− 3c, 3a+ 6b+ 3c, 9a+ 24b+ 15c〉

gegeben, das heißt A wird als Z-Modul von den drei Elementen a, b, c modulo einemIdeal erzeugt, welches durch drei Elemente gegeben ist.

Gib drei Erzeuger x, y, z von A und drei ganze Zahlen d, e, f mit d|e|f an, so daß

A = 〈x, y, z | dx, ey, fz〉 .

Aufgabe 6.2.12. Sei R ein kommutativer Ring. Sei M ∈ Rnm eine Matrix uber R, welche

eine Linksinverse besitzt, das heißt, fur die ein A ∈ Rmn existiert, so daß AM = I ∈ Rm

m

die Einheitsmatrix ist. Zeige, daß im Falle n < m der Ring R der Nullring ist.

134

Page 135: Lineare Algebra

6.3 Torsionsmoduln

6.3 Torsionsmoduln

Sei R ein diskreter Integritatsbereich. Sei M ein R-Modul. Wir setzen

Mtor := {m ∈M | ∃a∈R (a 6= 0 ∧ am = 0)}.

Es ist leicht einzusehen, daß Mtor ein Untermodul von M ist.Weiter setzen wir

annM := {a ∈ R | ∀m∈M am = 0}.

Es ist annM offensichtlich ein Ideal von R.

Definition 6.3.1. Sei R ein diskreter Integritatsbereich. Sei M ein R-Modul. Der ModulMtor heißt der Torsionsuntermodul von M . Das Ideal annM heißt der Annulator vonM .

Gilt M = Mtor, heißt M ein Torsionsmodul.

Satz 6.3.2. Sei M ein endlich prasentierter Modul uber einem Hauptidealring R. Dannist Mtor ein endlich prasentierter direkter Summand von M , welcher ein freies Komple-ment besitzt.

Weiter ist annMtor ein nicht triviales Hauptideal von R.

Beweis. Zunachst existieren Ideale p1 ⊃ · · · ⊃ pm, so daß M ∼= R/p1 ⊕ · · · ⊕R/pm. Wirsetzen p0 := (1). Wir wahlen ein k ∈ N0 mit pk 6= (0) und pi = (0) fur i > k. Dann istMtor

∼= R/p1 ⊕ · · · ⊕R/pk und M ∼= Mtor ⊕Rm−k.Weiter ist pk = annMtor.

Sei jetzt R allgemeiner ein kommutativer Ring. Sei d ∈ R. Wir setzen

M [d] := {m ∈M | dm = 0}.

und

M [d∞] :=∞⋃k=0

M [dk].

Beide Teilmengen von M sind Untermoduln von M . Weiter stellen wir fest, daß M [d] +M [d′] ⊂M [dd′] fur d, d′ ∈ R.

Definition 6.3.3. Sei R ein diskreter Integritatsbereich. Sei M ein R-Modul. Sei d ∈ R.Der Untermodul M [d∞] heißt die d-Komponente von M .

Hilfssatz 6.3.4. Sei R ein kommutativer Ring. Sei M ein R-Modul. Seien a, b ∈ R, sodaß (a, b) = (1). Dann gilt M [(ab)∞] = M [a∞]⊕M [b∞].

Ist M [(ab)∞] außerdem endlich erzeugt, so ist die Projektion von M [(ab)∞] auf M [a∞]durch Multiplikation mit einem Element von R gegeben.

Schließlich gilt: der Modul M [(ab)∞] ist genau dann zyklisch, das heißt von einemElement erzeugt, wenn M [a∞] und M [b∞] zyklisch sind.

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Page 136: Lineare Algebra

6 Feinstruktur von Endomorphismen

Beweis. Um M [(ab)∞] = M [a∞] ⊕ M [b∞] zu zeigen, reicht es zu zeigen, daß K =K[a∞]⊕K[b∞] fur jeden endlich erzeugten Untermodul K von M [(ab)∞], das heißt, wirkonnen davon ausgehen, daß T := M [(ab)∞] endlich erzeugt ist.

In diesem Falle existiert ein k ∈ N0 mit akbkT = 0, also T = M [(ab)k]. Da (a, b) = (1),existieren s, t ∈ R mit sa+ tb = 1. Entwickeln wir 1 = (sa+ tb)2k−1 nach Potenzen von aund b sehen wir, daß s′, t′ ∈ R mit s′ak + t′bk = 1 existieren. Sei p := t′bk und q := s′ak,also p+ q = 1.

Fur x ∈ T ist pqx = 0. Daraus folgt insbesondere p2x = p(p + q)x = px und analogq2x = qx fur x ∈ T . Es folgt, daß

pT ⊕ qT → T, (px, qx) 7→ px+ qx

ein Isomorphismus mit Umkehrung

T → pT ⊕ qT, x 7→ (px, qx).

Wir wollen jetzt zeigen, daß pT = T [a∞]. (Analog folgt dann, daß qT = T [b∞].) Dazuuberlegen wir uns zunachst, daß pT ⊂ T [ak] ⊂ T [a∞]. Sei umgekehrt x ∈ T [a∞]. Esfolgt, daß qnx = 0 fur genugend großes n. Damit konnen wir

x = (1− q)(1 + q + q2 + · · ·+ qn−1)x = p(1 + q + · · ·+ qn−1)x

schreiben; insbesondere ist also x ∈ pT .Ist schließlich T = 〈x〉 zyklisch, so ist T [a∞] = 〈px〉 und T [b∞] = 〈qx〉. Ist umgekehrt

T [a∞] = 〈y〉 und T [b∞] = 〈z〉, so setze x := y + z. Dann ist y = px ∈ 〈x〉 undz = qx ∈ 〈x〉. Damit ist T = 〈x〉.

Satz 6.3.5. Sei R ein kommutativer Ring. Sei M ein R-Modul. Sei a ∈ R mit a =pe11 · · · pemm mit pi ∈ R und ei ∈ N0, wobei (pi, pj) = (1) fur alle Paare i 6= j. Dann gilt

M [a∞] = M [p∞1 ]⊕ · · · ⊕M [p∞m ].

Ist M außerdem endlich erzeugt, ist die Projektion von M [a∞] auf M [p∞i ] durch Mul-tiplikation mit einem Element von R gegeben.

Beweis. Wir wenden den Hilfssatz einfach mehrfach hintereinander an. Hierbei nut-zen wir aus: Gilt (p, q) = 1 und (p, r) = 1, so folgt auch (p, qr) = 1. Außerdem giltM [(dk)∞] = M [d∞] fur eine beliebige Potenz k > 0.

Fur die folgende Definition mussen wir den Begriff der Primzahl auf beliebige diskreteIntegritatsbereiche R verallgemeinern: Ein Element p ∈ R von R heißt prim, falls eskeine Einheit in R ist und aus ab ∈ (p) schon a ∈ (p) oder b ∈ (p) folgt, wenn alsoaus der Tatsache, daß p ein Produkt teilt schon folgt, daß p auch mindestens einen derFaktoren teilt.

Die Primelemente in Z sind genau die Primzahlen und ihre Negativen.

Definition 6.3.6. Sei R ein diskreter Hauptidealring und p ∈ R ein Primelement. EinR-Modul M heißt p-primar, falls M [p∞] = M .

136

Page 137: Lineare Algebra

6.4 Die Frobeniussche Normalform

Gilt fur einen Modul M uber R also, daß dM = 0 fur ein d ∈ R, welches einePrimfaktorzerlegung der Form d = pe11 · · · pemm mit (pi, pj) = (1) fur i 6= j und pi primzulaßt, so ist M die direkte Summe primarer Untermoduln.

Satz 6.3.7. Sei R ein Hauptidealbereich. Sei p ∈ R ein Primelement. Sei weiter M einendlich prasentierter p-primarer R-Modul. Dann existiert ein Isomorphismus

M ∼= R/(pe1)⊕ · · · ⊕R/(pem)

mit ei ∈ N0.

Beweis. Nach dem Struktursatz ist M isomorph zu einer direkten Summe von R-Modulnder Form R/p mit p ein Hauptideal von R. Da M nach Voraussetzung p-primar ist, mußpm ∈ p fur ein m gelten. Sei p = (a) fur a ∈ R. Dann existiert ein b ∈ R mit pm = ab.Da p prim ist, folgt, daß eine Einheit u ∈ R× mit a = upn und 0 ≤ n ≤ m existiert.Damit ist p = (pn).

Die Primpotenzen pei , die im Satz auftauchen, heißen die Elementarteiler von M . IstM allgemeiner eine direkte Summe p-primarer Untermoduln, heißen die Elementarteilerder primaren Untermoduln die Elementarteiler von M .

6.4 Die Frobeniussche Normalform

Seien K ein diskreter Korper und V ein Vektorraum uber K. Sei weiter φ : V → Vein Endomorphismus von V . Wir erinnern an die Definition des K[X]-Moduls Vφ: Dieadditive Gruppe von Vφ stimmt mit der additiven Gruppen von V uberein. Weiter habenwir die Multiplikation von K auf K[X] durch die Setzung X · v := φ(v) fur v ∈ Vdefiniert.

Da K[X] ein Hauptidealring ist, konnen wir unter anderem alle unsere Ergebnisseuber Moduln uber Hauptidealringen auf den K[X]-Modul Vφ anwenden. Da der K[X]-Modul aber nichts anderes als den Endomorphismus φ kodiert, werden wir sehen, daßwir Informationen uber die Feinstruktur von φ bekommen.

Dazu mussen wir aber zunachst zeigen, daß Vφ ein endlich prasentierter K[X]-Modulist.

Hilfssatz 6.4.1. Sei V ein n-dimensionaler Vektorraum uber dem diskreten Korper K.Sei weiter φ : V → V ein Endomorphismus. Dann existiert eine exakte Sequenz vonK[X]-Moduln der Form

0 −−−→ K[X]nA−−−→ K[X]n

ψ−−−→ Vφ −−−→ 0.

Insbesondere ist Vφ ein endlich prasentierter K[X]-Modul mit Prasentationsmatrix A ∈K[X]nn.

137

Page 138: Lineare Algebra

6 Feinstruktur von Endomorphismen

Beweis. Wir wahlen eine Basis U := (u1, . . . , un) von V . Dann sei B ∈ Rnn mit φ(ui) =

Bji uj. Wir definieren die Abbildung ψ : K[X]n → Vφ durch ψ(f) = f iui. Wir definieren

dann di ∈ K[X]n durch di := Xei −Bji ej, ei ∈ K[X]n.

Es reicht zu zeigen, daß kerψ ein freier K[X]-Modul mit Basis d1, . . . , dn ist. Dazuhalten wir zunachst fest, daß d1, . . . , dn ∈ kerψ.

Sei weiter g ∈ kerψ. Aufgrund der Relation Xei = di−Bji ej konnen wir g in der Form

g = hidi + ciei schreiben, so daß ci ∈ K. Es folgt ciei ∈ kerψ, also ciui = 0. Da die uieine Basis von V bilden, folgt ci = 0. Damit ist g = hidi, also erzeugen die di den Kernvon ψ.

Es bleibt zu zeigen, daß die di linear unabhangig sind. Sei dazu hidi = 0. Also hiXei =hiBj

i ej. Angenommen, ein hi 6= 0. Dann konnen wir annehmen, daß der Grad von X inh1 maximal ist. Aber h1X = hiB1

i , ein Widerspruch. Also sind alle hi = 0. Damit sinddie di linear unabhangig.

Bemerkung 6.4.2. Sei K ein diskreter Korper und φ : Kn → Kn ein Endomorphismus,gegeben durch die Matrix B ∈ Kn

n . Mit A := (δjiX −Bji ) ∈ K[X]nn ist dann die Sequenz

0 −−−→ K[X]nA−−−→ K[X]n −−−→ (Kn)B −−−→ 0

eine exakte Sequenz von K[X]-Moduln (hierbei operiert X auf Kn durch Multiplikationmit B). Der vorletzte Pfeil ist durch die Zuordnung ei 7→ ei gegeben.

Beispiel 6.4.3. Betrachten wir den Q-Vektorraum V := Q2. Sei der Endomorphismus

B =

(1 10 1

): V → V

gegeben. Dann ist eine Prasentationsmatrix des K[X]-Moduls von VB durch

A =

(X − 1 −1

0 X − 1

)gegeben.

Folgerung 6.4.4. Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber dem diskretenKorper K. Sei φ : V → V ein Endomorphismus. Dann ist

Vφ ∼= K[X]/(f1)⊕ · · · ⊕K[X]/(fs),

wobei die fi ∈ K[X] normierte, nicht konstante Polynome mit f1|f2| · · · sind.Weiter ist annVφ = {g ∈ K[X] | g(φ) = 0} ein nicht triviales Hauptideal von K[X],

namlich das von fs aufgespannte.

Beweis. Nach dem Hilfssatz existiert eine exakte Sequenz der Form

0 −−−→ K[X]nA−−−→ K[X]n −−−→ Vφ −−−→ 0

mit A ∈ K[X]nn. Nach dem Satz uber die Smithsche Normalform konnen wir annehmen,daß A in Smithscher Normalform ist, also eine Diagonalmatrix, auf deren Diagonale

138

Page 139: Lineare Algebra

6.4 Die Frobeniussche Normalform

Polynome g1, . . . , gn ∈ K[X] mit g1|g2| . . . stehen. Da A injektiv ist, ist gi 6= 0 fur allei. Damit konnen wir durch Multiplikation mit Einheiten erreichen, daß die gi normiertePolynome sind.

Es folgt weiter, daß Vφ ∼= K[X]/(g1)⊕· · ·⊕K[X]/(gn). Die K[X]/(gi) mit konstantemgi geben keinen Beitrag, so daß wir sie in der Darstellung weglassen konnen. Damitkommen wir auf eine Darstellung wie die behauptete.

Definition 6.4.5. Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber dem diskretenKorper K. Sei φ : V → V ein Endomorphismus. Dann heißt das normierte Polynomg ∈ K[X] mit (g) = annVφ das Minimalpolynom von φ.

Beispiel 6.4.6. Sei der Q-Vektorraum V := Q3 gegeben. Sei ein Endomorphismus

B :=

2 −3 3−1 4 −3−1 3 −2

: V → V

gegeben. Der Q[X]-Modul VB besitzt dann

A :=

X − 2 3 −31 X − 4 31 −3 X + 2

als Darstellungsmatrix. Nach elementaren Spalten und Zeilenumformungen uber demPolynomring erhalten wir, daß auch

A′ :=

1 0 00 X − 1 00 0 X2 − 3X + 2

eine Darstellungsmatrix von VB ist. Da X2− 3X + 2 = (X − 1)(X − 2) ist das Minimal-polynom von B durch X2 − 3X + 2 gegeben. Weiter ist

VB ∼= K[X]/(X − 1)⊕K[X]/(X2 − 3X + 2).

Fur die folgende Definition erinnern wir an die Skalarerweiterung eines Moduls.

Definition 6.4.7. Seien R ein kommutativer Ring und M ein freier R-Modul endlichenRanges. Sei φ : M →M ein Endomorphismus. Dann heißt

pφ := det(x(idM)R[x] − φR[x]) ∈ R[x]

das charakteristische Polynom von φ.

Das charakteristische Polynom ist ein normiertes Polynom, dessen Grad der Rang desModuls ist.

In Zukunft schreiben wir einfach x− φ ∈ End(MR[x]) anstelle von x(idM)R[x] − φR[x].

139

Page 140: Lineare Algebra

6 Feinstruktur von Endomorphismen

Beispiel 6.4.8. Sei R ein kommutativer Ring. Sei M ein freier R-Modul mit Basisv1, . . . , vn. Ist dann φ : M → M ein Endomorphismus mit φvi = Ajivj fur A ∈ Rn

n,so gilt fur sein charakteristisches Polynom

pφ = det((xδji − Aji )ji ) ∈ R[x].

Fur das charakteristische Polynom gilt der Satz von Cayley–Hamilton:

Satz 6.4.9. Seien R ein kommutativer Ring und M ein freier R-Modul endlichen Ran-ges. Ist dann φ : M →M ein Endomorphismus, so ist er Nullstelle seines charakteristi-schen Polynoms, das heißt pφ(φ) = 0, also pφ ∈ annMφ.

Beweis. Wir wenden das auf x− φ an, was wir uber die Adjunkte wissen und erhalten(x− φ) ◦ adj(x− φ) = pφ · idMR[x]

. Setzen wir ein beliebiges v ∈M , welches wir vermogev 7→ v ⊗ 1 als Element in MR[x] auffassen, in die Gleichung ein, erhalten wir

x adj(x− φ)(v)− φ(adj(x− φ)(v)) = pφ · v ∈MR[x].

Schließlich definieren wir eine R-lineare Abbildung MR[x] →Mφ,m⊗f → f ·m. Wendenwir diese Abbildung auf beide Seiten der Gleichung an, erhalten wir, daß die linke SeiteNull wird. Die rechte Seite wird zu pφ(φ)(v).

Beispiel 6.4.10. Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber einem diskreten KorperK. Dann ist das Minimalpolynom mφ eines Endomorphismus φ : V → V ein Teiler descharakteristischen Polynoms pφ von φ, denn pφ ∈ annVφ = (mφ).

Beispiel 6.4.11. Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber einem diskreten KorperK. Sei φ : V → V ein Endomorphismus. Dann ist das charakteristische Polynom vonφ genau dann das Minimalpolynom von φ, falls Vφ ein zyklischer Modul ist, wenn alsoVφ ∼= K[X]/(f) fur ein normiertes Polynom f ∈ K[X].

Was bedeutet es fur einen Endomorphismus, wenn Vφ von der Form K[X]/(f) ist?Der folgende Hilfssatz gibt Aufschluß.

Hilfssatz 6.4.12. Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber einem diskretenKorper K. Sei φ : V → V ein Endomorphismus, so daß Vφ ∼= K[X]/(f) fur ein nor-miertes Polynom f = Xn + an−1X

n−1 + · · · + a0 ∈ K[X]. (Wir sagen dann, der En-domorphismus sei zyklisch.) Dann existiert eine Basis (v1, · · · , vn) von V , so daß dieDarstellungsmatrix A ∈ Kn

n von φ bezuglich dieser Basis (also φ(vi) = Ajivj) die Gestalt

B(f) =

0 . . . . . . 0 −a0

1. . .

......

0. . . . . .

......

......

. . . 00 . . . 0 1 −an−1

hat.

140

Page 141: Lineare Algebra

6.4 Die Frobeniussche Normalform

Die Matrix B(f) ∈ Rnn heißt die Begleitmatrix zu f .

Beweis. Sei ψ : K[X]/(f)→ Vφ ein Isomorphismus vonK[X]-Moduln. AlsK-Vektorraumbesitzt K[X]/(f) die Basis ([1](f), [X](f), . . . , [X

n−1](f)). Es folgt, daß v1, . . . , vn mitvi := ψ([X i−1]) eine Basis des K-Vektorraumes V ist. Fur i < n gilt weiter

φ(vi) = φ(ψ([X i−1]) = ψ(X[X i−1]) = ψ([X i]) = vi+1.

Schließlich ist

φ(vn) = φ(ψ([Xn−1])) = φ(−a0ψ([1])− · · · − an−1ψ([Xn−1])) = −a0v1 − · · · − an−1vn.

Damit folgt, daß B(f) die Darstellungsmatrix von φ bezuglich der Basis (v1, . . . , vn)ist.

Aufgabe 6.4.13. Sei f ∈ K[X] ein normiertes Polynom vom Grade n uber einem diskretenKorper K. Berechne das charakteristische Polynom der Begleitmatrix B(f) ∈ Kn

n , dasheißt, der durch B(f) induzierten linearen Abbildung Kn → Kn.

(Tip: Entwicklung nach der ersten Zeile und Induktion uber n.)

Bemerkung 6.4.14. Sei f ∈ K[X] ein normiertes Polynom vom Grad n uber einemKorper K. Dann ist die Begleitmatrix zu B(f) ∈ Kn

n Nullstelle des Polynoms f , alsof(B(f)) = 0.

Dies folgt aus der Tatsache, daß fur den durch B(f) beschriebenen Endomorphismusφ : Kn → Kn gilt, daß (Kn)φ ∼= K[X]/(f).

Aufgabe 6.4.15. Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber dem diskreten KorperK. Sei φ : V → V ein Endomorphismus. Wir nennen einen Unterraum U von V invariantunter φ, falls φ(U) ⊂ U .

Zeigen Sie, daß ein Unterraum U genau dann invariant unter φ ist, wenn U ein Un-termodul von Vφ ist.

Satz 6.4.16. Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber einem diskreten KorperK. Sei φ : V → V ein Endomorphismus mit charakteristischem Polynom pφ ∈ K[X] undMinimalpolynom mφ. Dann existieren nicht-konstante, normierte Polynome f1, . . . , fs ∈K[X] mit f1| · · · |fs, f1 · · · fs = pφ und fs = mφ und eine Basis (v1, . . . , vn) von V ,bezuglich der die Darstellungsmatrix A ∈ Rn

n von φ (also φ(vi) = Ajivj) die Form

B(f1, . . . , fs) :=

B(f1). . .

B(fs)

hat. (Die nicht angegebenen Eintrage sind alle 0.)

Die Polynome f1, . . . , fs sind dadurch eindeutig bestimmt und heißen die invariantenFaktoren von φ.

Wir sagen, daß der Endomorphismus φ bezuglich der Basis (v1, . . . , vn) in Frobenius-scher Normalform A ist.

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Page 142: Lineare Algebra

6 Feinstruktur von Endomorphismen

Beweis. Zunachst existieren normierte, nicht konstante Polynome f1, . . . , fs mit f1|f2| · · ·und ein Isomorphismus

ψ : K[X]/(f1)⊕ · · · ⊕K[X]/(fs)→ Vφ

von K[X]-Moduln. Es folgt zunachst, daß Vφ als K[X]-Modul eine direkte Summen-zerlegung Vφ = V1 ⊕ · · · ⊕ Vs in K[X]-Untermoduln Vi mit Vi ∼= K[X]/(fi) besitzt.Insbesondere gilt φ(Vi) ⊂ Vi. Nach dem Hilfssatz wissen wir, daß Basen Ui der Vi alsK-Vektorraume existieren, so daß φ|Vi : Vi → Vi bezuglich der Basis Ui durch die Be-gleitmatrix B(fi) dargestellt wird. Aneinanderfugen der Basen Ui zu einer Basis von Vliefert, daß φ durch B(f1, . . . , fs) dargestellt wird.

Es bleibt, die Eindeutigkeit der fi zu zeigen. Dies folgt aber aus der Eindeutigkeit derDarstellung von Vφ als direkte Summe zyklischer Moduln und der Tatsache, daß die fieindeutig sind, wenn sie normiert sind und f1|f2| · · · gilt.

Bemerkung 6.4.17. Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber einem diskretenKorper K. Sei φ : V → V ein Endomorphismus. Seien die invarianten Faktoren von φdurch f1| · · · |fs ∈ K[X] gegeben. Dann ist das Minimalpolynom von φ gerade durch fsgegben.

Wegen fi(B(fi)) = 0 sehen wir außerdem, daß B = B(f1, . . . , fs) Nullstelle des cha-rakteristischen Polynoms pφ = f1 · · · fs von φ ist. Da B eine Darstellungsmatrix vonφ ist, ist damit auch pφ(φ) = 0. Wir haben also einen weiteren Beweis des Satzes vonCayley–Hamilton gefunden.

Aufgabe 6.4.18. Sei A ∈ Knn die Frobeniussche Normalform eines Endomorphismus

φ : V → V eines endlich-dimensionalen Vektorraums uber einem diskreten Korper K.Sei L ein Erweiterungskorper von K (das heißt L ist ein Korper mit Unterkorper K).Zeige, daß die Frobeniusnormalform von φL : VL → VL wieder durch A gegeben ist, wennwir die Eintrage von A als Elemente von L auffassen.

Aufgabe 6.4.19. Seien A,B ∈ Knn zwei Matrizen uber einem diskreten Korper. Sei I ∈ Kn

n

die Einheitsmatrix. Wir nennen A und B ahnlich, wenn eine invertierbare Matrix S ∈ Knn

mit B = SAS−1 existiert.

Zeigen Sie, daß Ahnlichkeit eine Aquivalenzrelation ist.

Zeigen Sie, daß A und B genau dann ahnlich sind, wenn die Folge der normierteninvarianten Faktoren von X · I−A ∈ K[X]nn gleich der Folge der normierten invariantenFaktoren von X · I −B ist.

Aufgabe 6.4.20. Sei der Q-Vektorraum V := Q3 gegeben. Sei ein Endomorphismus

B :=

2 −3 3−1 4 −3−1 3 −2

: V → V

gegeben. Berechne eine Basis von V bezuglich der B in Frobeniusscher Normalform ist.

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Page 143: Lineare Algebra

6.5 Eigenwerte und Eigenvektoren

6.5 Eigenwerte und Eigenvektoren

Definition 6.5.1. Seien R ein kommutativer Ring und M ein freier R-Modul endlichenRanges. Sei φ : M → M ein Endomorphismus. Die Nullstellen des charakteristischenPolynoms pφ heißen die Eigenwerte von φ.

Definition 6.5.2. Sei R ein diskreter Integritatsbereich. Sei φ : M →M ein Endomor-phismus eines freien R-Moduls M endlichen Ranges. Ist dann v ∈ M \ {0} ein nichttrivialer Vektor, fur den ein a ∈ R mit φ(v) = av existiert, heißt v ein Eigenvektor zumEigenwert a von φ.

Hilfssatz 6.5.3. Sei R ein diskreter Integritatsbereich. Sei φ : M → M ein Endomor-phismus eines freien R-Moduls M endlichen Ranges. Ist dann v ∈ M \ {0} ein Eigen-vektor von φ zum Eigenwert a ∈ R, so ist a insbesondere ein Eigenwert von φ, das heißtpφ(a) = 0.

Beweis. Es ist pφ(a) · v = adj(a − φ)(av − φ(v)) = adj(a − φ)(0) = 0. Da M ein freierModul ist (und damit außer 0 keine Torsionselemente besitzt), folgt wegen v 6= 0 schonpφ(a) = 0.

Es gilt auch die umgekehrte Richtung:

Hilfssatz 6.5.4. Seien R ein diskreter Integritatsbereich und M ein freier R-Modulendlichen Ranges. Sei φ : M →M ein Endomorphismus. Ist dann a ∈ R ein Eigenwertvon φ, also pφ(a) = 0, existiert ein v ∈M \ {0}, so daß v Eigenvektor zum Eigenwert aist.

Beweis. Sei K der Quotientenkorper von R. Wir konnen das charakteristische Polynompφ ∈ R[X] auch als Polynom in K auffassen. Es ist dann das charakteristische Polynomvon φK : MK →MK . Dieses besitzt bei a ∈ R ⊂ K eine Nullstelle, damit ist a−φK nichtinvertierbar. Nach dem Satz uber die LR-Zerlegung besitzt a − φK damit einen nichttrivialen Kern, also etwa ein v ∈MK \{0} mit φK(v) = av. Es ist also v ein Eigenvektorvon φK zum Eigenwert a.

Nach Definition von MK existiert ein r ∈ R \ {0}, so daß v := rv ∈M (Multiplizierenmit dem Hauptnenner!). Damit ist auch φ(v) = av, also ist v der gesuchte Eigenvektorzum Eigenwert a.

Bemerkung 6.5.5. Seien R ein diskreter Integritatsbereich und M ein freier R-Modulendlichen Ranges. Ist dann φ : M → M ein Endomorphismus, sind die Eigenvektorenvon φ zu einem Eigenwert a ∈ R genau die von Null verschiedenen Vektoren in

Mφ[X − a] = {v ∈M | (X − a)v = 0}.

Der Untermodul Mφ[X − a] heißt der Eigenraum von φ zum Eigenwert a.

Aufgabe 6.5.6. Seien R ein diskreter Integritatsbereich und M ein freier R-Modul. Seienv1, . . . , vs Eigenvektoren zu paarweise verschiedenen Eigenwerten eines Endomorphismusφ : M →M . Zeige, daß das System (v1, . . . , vs) linear unabhangig ist.

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Page 144: Lineare Algebra

6 Feinstruktur von Endomorphismen

Definition 6.5.7. Seien R ein diskreter Integritatsbereich und M ein freier R-Modul.Sei φ : M → M ein Endomorphismus. Eine Eigenbasis (v1, . . . , vn) zu φ ist eine Basisaus Eigenvektoren von φ.

Bemerkung 6.5.8. Seien R ein diskreter Integritatsbereich und M ein freier R-Modul.Sei φ : M → M ein Endomorphismus. Ist (v1, . . . , vn) eine Eigenbasis zu φ von M , istdie Darstellungsmatrix von φ bezuglich dieser Basis diagonal. Auf der Diagonalen stehendie Eigenwerte zu den Eigenvektoren vi.

Ist umgekehrt φ ein diagonalisierbarer Endomorphismus, das heißt, es existiert ei-ne Basis (v1, . . . , vn) bezuglich der φ durch eine diagonale Matrix dargestellt wird, ist(v1, . . . , vn) eine Eigenbasis von φ. Die Eigenwerte von der vi sind die Eintrage auf derDiagonalen der Darstellungsmatrix.

6.6 Die Weierstraßsche und Jordansche Normalform

Wir erinnern daran, daß der Polynomring K[X] in einer Variablen uber einem diskretenKorper K ein euklidischer Ring ist. Daraus folgt insbesondere, daß die Primelemente inK[X] genau die irreduziblen Polynome sind, also solche, welche sich nicht in ein Produktvon Polynomen kleineren Grades zerlegen lassen.

Ist m ∈ K[X] ein normiertes Polynom, wollen wir ein Produkt m = pe11 · · · pemm ∈K[X] im folgenden eine Primfaktorzerlegung von m nennen, wenn die pi jeweils nicht-konstante, normierte, irreduzible (d.h. prime) Polynome mit pi 6= pj (d.h. (pi, pj) = (1)fur i 6= j sind.

Satz 6.6.1. Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber dem diskreten Korper K.Sei φ : V → V ein Endomorphismus. Sei mφ = pe11 · · · pemm eine Primfaktorzerlegung desMinimalpolynoms von φ. Dann existiert eine eindeutige direkte Summenzerlegung

V = Vp1 ⊕ · · · ⊕ Vpm

von V in φ-invariante Summanden, so daß das Minimalpolynom von φ|Vpi : Vpi → Vpidurch peii gegeben ist.

Weiter vertauschen die Projektionen πi : V → Vpi auf die invarianten Summandenmit allen Endomorphismen ψ : V → V , welche mit φ vertauchen.

Dabei sagen wir, daß zwei Endomorphismen φ, ψ : V → V vertauschen, wenn [φ, ψ] :=φ ◦ ψ − ψ ◦ φ = 0.

Beweis. Es ist Vφ = Vφ[mφ]. Damit zerfallt Vφ in seine primaren Komponenten, wirerhalten also eine direkte Summenzerlegung

Vφ = Vp1 ⊕ · · · ⊕ Vpm

von K[X]-Moduln mit Vpi = Vφ[p∞i ]. (Die primaren Komponenten sind genau die, derenAnnulator eine Potenz eines pi ist.) Genauer ist sogar Vpi = Vφ[peii ].

144

Page 145: Lineare Algebra

6.6 Die Weierstraßsche und Jordansche Normalform

Die Projektionen Vφ → Vpi sind durch Multiplikation mit Polynomen fi ∈ K[X] gege-ben. Damit sind die Projektionen πi durch den Endomorphismus fi(φ) gegeben. Da einEndomorphismus, welcher mit φ vertauscht auch mit allen Polynomen in φ vertauschen,folgt schließlich der Zusatz.

Hilfssatz 6.6.2. Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber dem diskreten KorperK. Sei φ : V → V ein zyklischer Endomorphismus, dessen Minimalpolynom von derForm mφ = f e mit f = Xn + an−1X

n−1 + · · · + a0 ∈ K[X] ist. Dann existiert eineBasis (v1, . . . , ven) von V , so daß die Darstellungsmatrix von φ bezuglich dieser Basisdie Gestalt

C(f (n)) :=

B(f)

N. . .. . . . . .

N B(f)

∈ Renen

hat, wobei

N :=

0 . . . 0 10 . . . . . . 0...

...0 . . . . . . 0.

∈ Rnn.

Beweis. Es existiert ein Isomorphismus

ψ : K[X]/(f e)→ Vφ

vonK[X]-Moduln. Es ist ([1], . . . , [Xn−1], [f ], . . . , [fXn−1], . . . , [f e−1Xn−1] eine Basis vonK[X]/(f e) alsK-Vektorraum. Damit bilden die Bilder dieser Elemente unter ψ eine Basisvon Vφ als K-Vektorraum. Ist etwa v1 := ψ([1]), folgt, daß

v1, φ(v1), . . . , φn−1(v1), f(φ)(v1), . . . , f(φ)(φn−1)(v1), . . . , f e−1(φ)(φn−1(v1))

eine Basis des K-Vektorraumes V bilden. Bezuglich dieser Basis hat φ die angegebeneDarstellungsmatrix C(f (n)).

Satz 6.6.3. Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber dem diskreten Korper K.Sei φ : V → V ein Endomorphismus. Sei pφ = pe11 · · · pemm eine Primfaktorzerlegung descharakteristischen Polynoms von φ. Dann existieren Partitionen (d.h. additive Zerlegun-gen) ei = ni1 + · · · + niri mit 1 ≤ ni1 ≤ . . . ≤ niri und eine Basis (v1, . . . , vn) von V ,bezuglich der die Darstellungsmatrix A ∈ Rn

n von φ (also φ(vi) = Ajivj) durch

C(p(n11)1 , . . . , p

(n1r1 )1 , . . . , p(nmrm )

m ) =

C(p(n11)1 )

. . .

C(p(nmrm )m )

gegeben ist.

Die Primpotenzen pn111 , . . . , p

nmrmm ∈ K[X] sind dadurch eindeutig bestimmt und heißen

die Elementarteiler von φ.

145

Page 146: Lineare Algebra

6 Feinstruktur von Endomorphismen

Wir sagen, daß der Endomorphismus φ bezuglich der Basis (v1, . . . , vn) in Weierstraß-scher Normalform A gegeben ist.

Beweis. Zunachst zerfallt V in eine direkte Summe V = Vp1 ⊕ · · ·Vpm von φ-invariantenUntermoduln, so daß das Minimalpolynom auf Vpi eine Potenz von pi ist. Es folgt, daß dascharakteristische Polynom auf Vpi durch peii gegeben ist. Weiter existieren IsomorphismenVpi∼= K[X]/(pni1i )⊕· · ·⊕K[X]/(p

nirii ) vonK[X]-Moduln. Damit zerfallt V in eine direkte

Summe zyklischer φ-invarianter Untermoduln, deren Minimalpolynom jeweils von derForm p

niji ist. Mit dem letzten Hilfssatz folgt dann die Behauptung. Die Eindeutigkeit

der Elementarteiler ergibt sich aus der Eindeutigkeit der Elementarteiler fur p-primareModuln uber beliebigen kommutativen Ringen oder zum Beispiel aus der folgendenAufgabe.

Aufgabe 6.6.4. Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber dem diskreten KorperK. Sei φ : V → V ein Endomorphismus mit den invarianten Faktoren f1, . . . , fs ∈ K[X].

Seien weiter p1, . . . , pm ∈ K[X] irreduzible normierte Polynome, so daß fj = ph1j

1 · · · phmjm

fur hij ∈ N0 existieren. Zeigen Sie, daß die Elementarteiler von φ dann durch phiji mit

hij 6= 0 gegeben sind.

Beispiel 6.6.5. Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber dem diskreten KorperK. Sei φ : V → V ein Endomorphismus. Zerfalle das Minimalpolynom von φ vollstandigin Linearfaktoren, das heißt wir haben eine Primfaktorzerlegung mφ = pe11 · · · pemm mitpi = X − ai und ai 6= aj fur i 6= j. Da B(X − ai) = (ai), folgt aus dem letzten Satz, daßeine Basis von V existiert, bezuglich der φ durch eine Matrix A der Form

J(a(n11)1 , . . . , a

(n1r1 )1 , . . . , a(nmrm )

m ) =

J(a(n11)1 )

. . .

J(a(nmrm )m )

gegeben ist. Hierbei ist

J(an) :=

a 0 . . . . . . 0

1. . . . . .

...

0. . . . . . . . .

......

. . . . . . . . . 0

0. . . 0 1 a.

In diesem Falle sagen wir, φ besitze eine Jordansche Normalform und nennen die

Matrix A auch Jordansche Normalform von φ.

Aufgabe 6.6.6. Wir betrachten den Q-Vektorraum Q3. Sei der Endomorphismus

A :=

28 −8 1265 −18 30−13 4 −4

: Q3 → Q3

gegeben. Zeigen Sie, daß A eine Jordansche Normalform besitzt und geben Sie sie an.

146

Page 147: Lineare Algebra

6.7 Die Jordan–Chevalley-Zerlegung

Aufgabe 6.6.7 (m). Wir betrachten den Q-Vektorraum Q4. Sei der Endomorphismus

A :=

−2 1 −2 01 0 −4 25 −2 2 18 −3 1 2

: Q4 → Q4

gegeben. Berechnen Sie eine Basis (v1, . . . , v4) von Q4, so daß A bezuglich dieser Basisin Weierstraßscher Normalform B ist. Geben Sie die Matrix B an.

Aufgabe 6.6.8. Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber einem diskreten KorperK. Sei φ : V → V ein Endomorphismus mit invarianten Faktoren f1| · · · |fs ∈ K[X]. Seid := dimVφ[X−a] fur ein a ∈ K. Sei X−a ein Teiler von fk+1, aber nicht von fk. Zeige,daß d = s− k.

Aufgabe 6.6.9. Sei der Q-Vektorraum V := Q4 gegeben. Berechne die Eigenwerte undEigenraume der linearen Abbildung

A :=

−1 4 2 −2−2 5 2 −2−5 6 6 −3−5 6 5 −2

: V → V.

Wie sehen die Frobeniussche und die Weierstraßsche Normalform von A aus?

Aufgabe 6.6.10. Seien K ein diskreter Korper und V ein endlich-dimensionaler Vektor-raum uber K. Sei φ : V → V ein idempotenter Endomorphismus, das heißt φ2 = φ.Zeige, daß jeder Eigenwert von φ entweder 0 oder 1 ist und φ diagonalisierbar ist.

Aufgabe 6.6.11. Seien K ein diskreter Korper und V ein endlich-dimensionaler Vektor-raum uber K. Sei a ∈ K kein Eigenwert des Endomorphismus φ : V → V . Zeige, daßein Polynom f ∈ K[X] mit f(φ) · (a− φ) = idV existiert.

(Tip: Betrachte zunachst den Fall a = 0 und den Satz von Cayley–Hamilton fur φ.)

6.7 Die Jordan–Chevalley-Zerlegung

Fur das folgende benotigen wir den Begriff der Abzahlbarkeit: Eine Menge X heißtabzahlbar, wenn wir ihre Elemente aufzahlen konnen: x1, x2, . . ..

Bemerkung 6.7.1. Sei K ein Korper. Unter einem Oberkorper L von K wollen wir einenKorper mit K ⊂ L verstehen, welcher die Rechenoperationen von K fortsetzt.

Ist ι : K → E irgendein Homomorphismus diskreter Korper, so folgt aus ι(x) = 0mit x ∈ K, daß ι(x) nicht invertierbar ist. Damit kann aber auch x nicht invertierbarsein. Damit ist x = 0, also ι eine injektive Abbildung. Vermoge ι konnen wir also K alsUnterkorper von E ansehen und E als Oberkorper von K. Homomorphismen diskreterKorper definieren also Oberkorper.

147

Page 148: Lineare Algebra

6 Feinstruktur von Endomorphismen

Hilfssatz 6.7.2. Sei K ein abzahlbarer, diskreter Korper. Sei f ∈ K[X] ein nicht kon-stantes Polynom. Dann existiert ein abzahlbarer diskreter Oberkorper L von K und eina ∈ L mit f(a) = 0.

Beweis. Sei x1, x2, . . . eine Aufzahlung der Elemente von K[X]. Wir konstruieren eineFolge a1 ⊂ a2 ⊂ · · · endlich erzeugter Ideale wie folgt:

Zunachst sei a1 = (f). Ist aj konstruiert, konstruieren wir aj+1 wie folgt: Sei a dasvon aj und xj in K[X] erzeugte Ideal. Ist 1 ∈ a, setzen wir aj+1 = aj. Ansonsten setzenwir aj+1 = a.

Sei m die Vereinigung der Ideale aj. Die Menge m ist herauslosbar auf K[X], dennxi ∈ m genau dann, wenn xj ∈ aj+1. Damit ist L := K[X]/m ein diskreter kommutativerRing. In diesem Ring hat f eine Nullstelle, namlich a = [X]m, da f ∈ m.

Es bleibt zu zeigen, daß L ein Korper ist. Da 1 /∈ m ist zunachst 0 6= 1 in L. Sei jetzt[x] ∈ L \ m, also x /∈ m. Dann ist x = xj fur ein j, so daß 1 in dem von m und xjerzeugten Ideal liegt. Damit ist [x] in L invertierbar.

Folgerung 6.7.3. Sei K ein abzahlbarer, diskreter Korper. Sei f ∈ K[X] ein nichtkonstantes Polynom. Dann existiert ein abzahlbarer diskreter Oberkorper L von K, indem f in Linearfaktoren zerfallt.

Wir nennen den Oberkorper L einen Zerfallungskorper von f .Als nachsten benotigen wir eine Reihe weiterer Definitionen aus der Algebra, welche

das Vorkommen mehrfacher Nullstellen von Polynomen betreffen:Sei R ein kommutativer Ring. Fur jedes Polynom f = anx

n+an−1xn−1+· · ·+a0 ∈ R[x]

und k ∈ N0 definieren wir

∂(k)x f :=

∑i≥0

(i

k

)aix

i−k.

Im Spezialfall k = 1 setzen wir weiter

f ′ := ∂(1)x f

und nennen f ′ die Ableitung von f .

Aufgabe 6.7.4. Sei R ein kommutativer Ring. Zeige, daß die Ableitung

R[x]→ R[x], f 7→ f ′

eine lineare Abbildung mit(fg)′ = f ′g + fg′

ist.

Beispiel 6.7.5. Sei f ∈ R[x] ein Polynom uber den reellen Zahlen. Dann gilt

1

k!

∂k

∂xkf = ∂(k)

x f,

wobei der Ausdruck auf der linken Seite die aus der Analysis bekannte k-te Ableitungist.

148

Page 149: Lineare Algebra

6.7 Die Jordan–Chevalley-Zerlegung

Beispiel 6.7.6. Sei f ∈ R[x] ein Polynom uber einem diskreten Integritatsbereich R. Es

ist ∂(k)x f = 0, falls k > deg f .

Wir erinnern daran, daß a ∈ R genau dann eine Nullstelle eines Polynoms f ∈ R[x] ist,wenn f = (x− a)g fur ein g ∈ R[x]. Entsprechend nennen wir a ∈ R eine (mindestens)doppelte Nullstelle, falls f = (x− a)2g fur ein g ∈ R[x].

Hilfssatz 6.7.7. Sei f ∈ R[x] ein Polynom uber einem kommutativen Ring R. Dannhat f in a ∈ R genau dann eine doppelte Nullstelle, wenn f(a) = f ′(a) = 0.

Beweis. Sei zunachst f = (x− a)2g fur ein g ∈ R. Dann ist sicherlich f(a) = 0. Weiterist f ′ = 2(x− a)g + (x− a)2g′, also gilt auch f ′(a) = 0.

Sei umgekehrt f(a) = f ′(a) = 0. Aus f(a) = 0 folgt zunachst, daß ein Polynomh ∈ R[x] mit f = (x − a)h existiert. Es ist f ′ = h + (x − a)h′. Einsetzen von a liefert0 = f ′(a) = h(a). Also ist a eine Nullstelle von h, und damit haben wir h = (x− a)g furein g ∈ R[x]. Also ist f = (x− a)2h.

Außerdem besitzt die aus der Analysis bekannte Taylorformel ein algebraisches Aqui-valent:

Hilfssatz 6.7.8. Sei f ∈ R[x] ein Polynom uber einem kommutativen Ring R. Danngilt fur h ∈ R, daß

f(x+ h) =∞∑k=0

∂(k)x f · hk.

Beweis. Es reicht, die Gleichheit fur f = xn zu zeigen, da beide Seiten linear in f sind.In diesem Falle haben wir (x+h)n =

∑nk=0

(nk

)xn−khk nach der binomischen Formel.

Schließlich definieren wir den Begriff der Separabilitat fur ein Polynom:

Definition 6.7.9. Sei K ein diskreter Korper. Ein Polynom f ∈ K[x] heißt separabel,falls (f, f ′) = (1).

Eine alternative Charakterisierung ist durch den folgenden Hilfssatz gegeben.

Hilfssatz 6.7.10. Sei K ein abzahlbarer diskreter Korper. Ein Polynom f ∈ K[x] istgenau dann separabel, wenn es in einem Zerfallungskorper L keine mehrfache Nullstellebesitzt.

Beweis. Sei zunachst f separabel. Besaße f uber L eine doppelte Nullstelle a ∈ L, waref(a) = f ′(a) = 0, also ware x−a Teiler von f und f ′. Damit ware aber nicht (f, f ′) = (1).

Besitze umgekehrt f in seinem Zerfallungskorper keine mehrfache Nullstelle. Ware(f, f ′) = (g) fur ein nicht konstantes Polynom g ∈ K[x], so ware ein Linearfaktor x− avon g in L[x] ein gemeinsamer Teiler von f und f ′, also hatten f und f ′ eine gemeinsameNullstelle in L.

Bemerkung 6.7.11. Daß der Korper im letzten Hilfssatz als abzahlbar vorausgesetztworden ist, ist keine große Einschrankung, da die (endlich vielen) Koeffizienten einesjeden Polynoms in einem abzahlbaren Korper liegen.

149

Page 150: Lineare Algebra

6 Feinstruktur von Endomorphismen

Hilfssatz 6.7.12. Sei K ein diskreter Korper. Seien f, g ∈ K[x] zwei separable Polyno-me mit (f, g) = (1). Dann ist auch fg separabel.

Beweis. Wir konnen davon ausgehen, daß K abzahlbar ist. Besaße fg eine doppelteNullstelle in einem Oberkorper L von K, wurden f und g in L eine gemeinsame Nullstellebesitzen. Damit hatten f und g aber einen gemeinsamen Teiler.

Aufgabe 6.7.13. Sei K ein diskreter Korper der Charakteristik 0. Zeige, daß jedes unzer-legbare Polynom uber K separabel ist.

Aufgabe 6.7.14. Sei K ein diskreter Korper. Sei g ∈ K[X] ein separables Polynom undf ∈ K[X] ein Teiler von g. Zeige, daß auch f separabel ist.

Schließlich werden wir noch den folgenden Hilfssatz benotigen:

Hilfssatz 6.7.15. Sei K ein diskreter Korper. Sei f ∈ K[x] ein separables Polynom.Dann existiert eine Folge von Polynomen g1, g2, . . . ∈ K[x], so daß fur alle n ∈ N0 dasPolynom f(x−

∑nj=1 gjf

j) von der Potenz fn+1 geteilt wird.

Beweis. Die gi konstruieren wir rekursiv. Nehmen wir also an, daß schon g1, . . . , gn−1

konstruiert sind. Wir konstruieren gn wie folgt:Sei h := x −

∑n−1j=1 gjf

j. Nach Konstruktion teilt fn das Polynom f(h). Wir suchen

also ein Polynom gn, so daß f(h− gnfn) von fn+1 geteilt wird. Um einen Ansatz fur gnzu finden, untersuchen wir zunachst f(h− gnfn) fur ein beliebiges Polynom gn:

Die Taylorentwicklung von f(h− gnfn) um h liefert uns

f(h− gnfn) = f(h)− f ′(h) · gnfn + · · · = f(h)− f ′(h) · gnfn + bfn+1,

fur ein Polynom b ∈ K[x], welches die fehlenden Terme aufsammelt. Die Taylorentwick-lung von f ′(h) um x liefert uns

f ′(h) = f ′ + (∂2f)(h− x) + · · · = f ′ + pf

fur ein Polynom p ∈ K[x], da h− x durch f teilbar ist.Nach Konstruktion existiert ein Polynom q ∈ K[x] mit f(h) = qfn. Damit ergibt

unsere kurze Rechnung von oben, daß

f(h− gnfn) = (q − gnf ′)fn + (b− pgn)fn+1.

Um den Term auf der linken Seite durch fn+1 teilbar zu machen, reicht es dahergn so zu wahlen, daß q − gnf ′ durch f teilbar ist. Da f nach Voraussetzung separabelist, existieren Polynome r, s ∈ K[x] mit rf + sf ′ = 1. Setzen wir gn := sq, so folgtq − gnf ′ = qrf , also ist q − gnf ′ durch f teilbar.

Nach diesem Ausflug in die Algebra der Polynome kommen wir zum eigentlichenGegenstand dieses Abschnitts:

Definition 6.7.16. Sei φ : M →M ein Endomorphimus eines endlich erzeugten ModulsM uber einem kommutativen Ring R. Dann heißt φ nilpotent, falls φn = 0 fur ein n ∈ N0.

150

Page 151: Lineare Algebra

6.7 Die Jordan–Chevalley-Zerlegung

Bemerkung 6.7.17. Sei φ : M →M ein Endomorphimus eines endlich erzeugten ModulsM uber einem kommutativen Ring R. Dann ist φ offensichtlich genau dann nilpotent,falls Mφ = Mφ[x∞].

Hilfssatz 6.7.18. Seien φ, ψ : M → M zwei kommutierende nilpotente Endomorphis-men eines endlich erzeugten Moduls M uber einem kommutativen Ring R. Dann ist auchφ+ ψ nilpotent.

Beweis. Gelte φr = 0 und ψs = 0. Wir konnen r = s annehmen. Da φψ = ψφ gilt derbinomische Lehrsatz fur (φ+ ψ)2r−1, also

(φ+ ψ)2r−1 =2r−1∑k=0

(2r − 1

k

)φkψ2r−1−k = 0,

denn entweder ist k oder 2r − 1− k großer oder gleich r.

Aufgabe 6.7.19. Gib zwei nicht kommutierende Endomorphismen eines endlich-dimensionalenVektorraumes uber einem diskreten Korper an, welche nilpotent sind, deren Summe abernicht nilpotent ist.

Satz 6.7.20. Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber dem diskreten KorperK. Dann ist ein Endomorphismus φ : V → V genau dann nilpotent, wenn eine Basis(v1, . . . , vn) von V existiert, so daß die Darstellungsmatrix von φ bezuglich dieser Basisvon der Form

0 . . . . . . 0

∗ . . ....

0. . . . . .

......

. . . . . . . . ....

0 . . . 0 ∗ 0

ist, wobei das Symbol

”∗“ jeweils fur eine Null oder eine Eins steht.

Beweis. Zunachst halten wir fest, daß φ genau dann nilpotent ist, wenn sein Mininmal-polynom von der Form mφ = Xk ist.

Die oben angegebene Matrix ist in Frobeniusscher Normalform mit einem Minimalpo-lynom der Form Xk. Umgekehrt ist die Frobeniussche Normalform zu einem Endomor-phismus mit Minimalpolynom der Form mφ = Xk von dieser Form.

Definition 6.7.21. Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber einem diskretenKorper K. Dann heißt ein Endomorphismus φ : V → V halbeinfach, falls das Minimal-polynom von φ separabel ist.

Hilfssatz 6.7.22. Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber einem diskretenKorper K. Seien φ, ψ : V → V zwei kommutierende diagonalisierbare Endomorphismen.Dann existiert eine gemeinsame Eigenbasis (v1, . . . , vn) von φ und ψ.

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Page 152: Lineare Algebra

6 Feinstruktur von Endomorphismen

Beweis. Sei v ∈ Vφ[X − a] fur a ∈ K. Dann ist φ(ψ(v)) = ψ(φ(v)) = ψ(av) = aψ(v),also auch ψ(v) ∈ Vφ[X − a]. Damit sind die Eigenraume von φ unter ψ invariant. Dadie Einschrankung von ψ auf diese Eigenraume jeweils wieder diagonalisierbar ist (denndas jeweilige Minimalpolynom kann nur disjunkte Linearfaktoren enthalten), gibt es eineEigenbasis von ψ auf jedem der Eigenraume von φ. Zusammensetzen dieser Eigenbasenliefert die gesuchte Basis (v1, . . . , vn).

Analog wie bei nilpotenten Endomorphismen haben wir hier auch:

Hilfssatz 6.7.23. Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber einem diskretenKorper K. Seien φ, ψ : V → V zwei kommutierende halbeinfache Endomorphismen vonV . Dann ist auch φ+ ψ halbeinfach.

Beweis. Indem wir eine Basis wahlen, konnen wir davon ausgehen, daß V = Kn fur einn ∈ N0. In diesem Falle werden φ und ψ durch zwei Matrizen dargestellt mit jeweilsendlich vielen Elementen. Dann konnen wir ohne Einschrankung der Allgemeinheit denKorper K durch den von diesen Elementen erzeugten (abzahlbaren!) Unterkorper vonK ersetzen.

Damit existiert ein Oberkorper L von K, indem die Minimalpolynome von φ und ψ injeweils disjunkte Linearfaktoren zerfallen. Daraus folgt durch Betrachtung der Jordan-schen Normalform, daß φL und ψL beide diagonalisierbar sind, also Eigenbasen besitzen.Da sie vertauschen, gibt es eine gemeinsame Eigenbasis. Diese ist dann auch Eigenba-sis von (φ + ψ)L. Damit zerfallt das Minimalpolynom von φ + ψ uber L in disjunkteLinearfaktoren, ist also separabel.

Aus dem Beweis des letzten Lemmas konnen wir also folgendes ablesen:

Bemerkung 6.7.24. Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber einem abzahlbaren,diskreten Korper K. Ein Endomorphismus φ : V → V von V ist genau dann halbeinfach,wenn eine Korpererweiterung L von K existiert, so daß φL diagonalisierbar ist.

Beispiel 6.7.25. Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber einem diskreten KorperK. Sei φ : V → V ein Endomorphismus von V , welcher zugleich nilpotent und halbein-fach ist. Dann ist φ notwendigerweise die Nullabbildung, denn aus der Nilpotenz vonφ folgt, daß das Minimalpolynom von der Form Xk ist. Aus der Halbeinfachheit folgt,daß k = 1 sein muß. Damit ist X im Annulator von Vφ, also operiert φ auf V trivial,d.h. φ = 0.

Die Tatsache, daß sich nilpotente und halbeinfache Endomorphismen nur in der Nul-labbildung uberlappen, fuhrt auf folgenden Zerlegungssatz, die sogenannte additive Jordan–Chevalley–Zerlegung :

Satz 6.7.26. Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber einem diskreten KorperK. Sei φ : V → V ein Endomorphismus und sei

mφ =s∏i=1

peii

152

Page 153: Lineare Algebra

6.7 Die Jordan–Chevalley-Zerlegung

eine Primfaktorzerlegung des Minimalpolynoms von φ. Sind die unzerlegbaren Polyno-me pi jeweils separabel (etwa wenn die Charakteristik von K Null ist), existiert genauein Paar bestehend aus einem halbeinfachen Endomorphismus δ : V → V und einemnilpotenten Endomorphismus ν : V → V , so daß φ = δ + ν und [δ, ν] = 0.

Weiter gilt

δ =k∑i=1

aiφi und ν =

∑j=1

bjφj

fur gewisse a1, . . . , ak, b1, . . . , b` ∈ K.

Beweis. Wir beweisen zunachst die Existenz eines solchen Paares aus δ und ν. Tauchtdas irreduzible Polynom X unter den pi auf, setzen wir p0 = 1. Ansonsten setzen wirp0 = X. Dann istm :=

∏si=0 pi ein separables Polynom, welches nach Konstruktion durch

x teilbar ist. Weiter existiert sicherlich ein r ∈ N0, so daß mr vom charakteristischenPolynom pφ von φ geteilt wird. Nach dem Satz von Cayley–Hamilton ist damit mr(φ) =0.

Da m separabel ist, existieren weiter Polynome g1, . . . , gr−1 ∈ K[X], so daß das Poly-nom m(X−

∑r−1i=1 gim

i) durch mr teilbar ist. Wir setzen n :=∑r−1

i=1 gimi ∈ K[X]. Dieses

ist ein durch m teilbares Polynom, so daß m(X − n) durch mr geteilt wird.Betrachten wir nun den Endomorphismus ν := n(φ) : V → V . Da n durch m teilbar

ist, ist nr durch mr teilbar, liegt also im Annulator von Vφ. Damit ist νr = 0, also ist νnilpotent. Außerdem laßt sich ν in der angegebenen Form als Polynom in φ schreiben,welches in der Tat keinen konstanten Term besitzt, da n durch m und dies wiederumdurch X teilbar ist.

Schließlich setzen wir δ := φ − ν = φ − n(φ) : V → V . Da m(X − n) durch mr

teilbar ist, also im Annulator von Vφ liegt, ist m(ν) die Nullabbildung. Damit ist dasMinimalpolynom mν von ν ein Teiler von m. Da m separabel ist, ist damit auch mν

separabel, also ν halbeinfach. Da sowohl δ und ν Polynome in φ sind, folgt, daß beidekommutieren.

Es bleibt, die Eindeutigkeit zu zeigen. Sei dazu φ = δ′+ ν ′ eine weitere Zerlegung vonφ in einen halbeinfachen und einen nilpotenten Endomorphismus mit [δ′, ν ′] = 0. Da δund ν Polynome in φ sind, kommutieren δ′ und ν ′ auch mit δ und ν. Betrachten wir dieGleichheit δ− δ′ = ν − ν ′ sehen wir, daß wegen der Kommutativitat links ein halbeinfa-cher und rechts ein nilpotenter Endomorphismus steht. Aber nur die Nullabbildung istzugleich halbeinfach und nilpotent, so daß δ = δ′ und ν = ν ′ folgen.

Aufgabe 6.7.27. Seien K ein diskreter Korper und V ein endlich-dimensionaler Vektor-raum uber K. Ein Endomorphismus φ : V → V heißt unipotent, falls φ − idV nilpotentist.

Zeige: Ist φ ein Isomorphismus, existiert genau ein Paar bestehend aus einem unipo-tenten Endomorphismus υ : V → V und einem halbeinfachen δ : V → V , so daß υ undδ vertauschen und φ = υ ◦ δ.

(Diese Zerlegung heißt die multiplikative Jordan–Chevalley-Zerlegung. Tip: Die Sum-me eines invertierbaren mit einem nilpotenten Endomorphismus ist wieder invertierbar.)

153

Page 154: Lineare Algebra

6 Feinstruktur von Endomorphismen

Aufgabe 6.7.28. Sei der Endomorphismus

A =

4 0 21 4 10 0 2

: Q3 → Q3

des Q-Vektorraumes Q3 gegeben. Bestimme zwei Polynome n, d ∈ Q[X] ohne konstantenTerm, so daß N = n(A) nilpotent ist, D = d(A) halbeinfach ist und A = N +D gilt.

154

Page 155: Lineare Algebra

7 Symmetrische Bilinearformen

7.1 Polarbasen

Im folgenden werden wir eine Reihe von Moduln betrachten, in denen wir wie beiDualraumen die Indizes von Vektoren oben schreiben. Solche Moduln wollen wir derUbersichtlichkeit halber mit großen griechischen Buchstaben benennen.

Definition 7.1.1. Seien R ein kommutativer Ring und Γ ein R-Modul. Eine symmetri-sche Bilinearform β in Γ ist ein Element β ∈ S2Γ.

Wir erinnern daran, daß S2Γ der Raum der symmetrischen Tensoren in Γ⊗2 ist, alsoder Raum derjenigen Tensoren, welche durch Vertauschen beider Faktoren in sich selbstubergehen. Wenn wir im folgenden Elemente in S2Γ angeben, lassen wir aus Grundender Ubersichtlichkeit das Tensorzeichen haufig weg.

Beispiel 7.1.2. Sei Γ := Z 〈ξ, η〉. Dann sind ξ2 + η2 und ξη + ηξ zwei Beispiele fursymmetrische Bilinearformen in Γ. Das Element ξη ∈ Γ⊗2 ist nicht symmetrisch unddaher keine symmetrische Bilinearform.

Ist β ∈ S2Γ eine symmetrische Bilinearform, so existieren also Elemente β′i, β′′i ∈ Γ

mit β =∑

i β′i ⊗ β′′i . Die rechte Seite werden wir im folgenden symbolisch β(1) ⊗ β(2)

schreiben.

Bemerkung 7.1.3. Seien R ein kommutativer Ring und Γ ein R-Modul. Sei M := Γ∨

der Dualraum von Γ (damit bekommen Vektoren in M unten stehende Indizes.) Jedesymmetrische Bilinearform β ∈ S2Γ induziert eine symmetrische bilineare Abbildung

β : M ×M → R, (m,n) 7→⟨β(1),m

⟩·⟨β(2), n

⟩,

also ein Element in (S2M)∨, welches wir wieder mit β bezeichnen wollen:

β : S2M → R,mn 7→⟨β(1),m

⟩·⟨β(2), n

⟩.

Ein solches Element nennen wir eine symmetrische Bilinearform auf M .

Beispiel 7.1.4. Seien R ein kommutativer Ring und Γ ein freier R-Modul mit Basis(v1, . . . , vn). Die zugehorige Dualbasis von M := Γ∨ bezeichnen wir mit V = (v1, . . . , vn).

Ist β ∈ S2Γ eine symmetrische Bilinearform in Γ, ist

β = Aıjvivj ∈ Γ⊗ Γ

fur eine ganz bestimmte Matrix A = (Aıj) ∈ Rnn. (Hierbei deutet der Querbalken uber

den Indizes an, daß die Indizes eigentlich unten stehen.)

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Page 156: Lineare Algebra

7 Symmetrische Bilinearformen

Da β symmetrisch ist, folgt, daß A eine symmetrische Matrix ist, also A> = A.Die Matrix A heißt die Darstellungsmatrix von β zur Basis V , und wir schreiben auchA = V >βV .

Es gilt weiterβ(vi, vj) = Aıj,

im Falle, daß Γ frei und vom endlichen Rang ist, ist β also durch β bestimmt.Allgemein ist die Abbildung β durch

β : (v, w) 7→ (V −1v)>(AV −1w)

gegeben.

Bemerkung 7.1.5. Seien R ein kommutativer Ring und Γ ein freier R-Modul. Sei M :=Γ∨. Sei β ∈ S2Γ eine symmetrische Bilinearform in Γ. Seien V : Rn →M und W : Rn →M zwei Basen. Die Darstellungsmatrizen von β bezuglich der beiden Basen rechnen sichdann wie folgt um:

W>βW = (V −1W )>(V >βV )(V −1W ),

das heißt, es geht die Transponierte der Basiswechselmatrix ein.

Definition 7.1.6. Seien R ein kommutativer Ring und Γ ein R-Modul. Sei M := Γ∨.Sei β ∈ S2Γ eine symmetrische Bilinearform. Wir nennen zwei Vektoren v, w ∈ Msenkrecht bezuglich β, falls β(v, w) = 0. (Diese Relation ist offensichtlich symmetrischund abgeschlossen unter Linearkombinationen.)

Ist U eine Teilmenge von M , bezeichnen wir mit

⊥U = {v ∈M | ∀w∈U β(v, w) = 0}

die Teilmenge aller Vektoren von M , welche senkrecht auf allen Vektoren aus U stehen.Diese Teilmenge heißt orthogonales Komplement von U .

Schließlich heißtker β := ⊥M ⊂M

der Kern von β.

Es ist leicht einzusehen, daß ⊥U und ker β jeweils Untermoduln von M sind.

Beispiel 7.1.7. Seien R ein kommutativer Ring und Γ ein freier R-Modul mit Basis(v1, . . . , vn). Sei V = (v1, . . . , vn) die Dualbasis von M := Γ∨. Sei β ∈ S2M . Sei B :=V >βV ∈ Rn

n die Darstellungsmatrix von β bezuglich V . Dann ist V (kerB) der Kern vonβ.

Satz 7.1.8. Sei K ein diskreter Korper mit charK 6= 2. Sei V ein endlich-dimensionalerVektorraum uber K. Fur jede Bilinearform β ∈ S2V

∨ existiert dann eine Basis U =(u1, . . . , un) von V , so daß die Darstellungsmatrix B := U>βU ∈ Rn

n eine Diago-nalmatrix mit B i

i 6= 0 fur 1 ≤ i ≤ r und B ii = 0 fur r + 1 ≤ i ≤ n. Hierbei ist

r = dimV − dim ker β und heißt der Rang von β.Weiter heißt die Restklasse von B1

1 · · ·B rr in K×/(K×)2 die Diskrimante von β und

hangt nicht von der Basis U ab.

156

Page 157: Lineare Algebra

7.1 Polarbasen

Eine Basis wie im Satz heißt Polarbasis von β.

Beweis. Daß r in der Darstellungsmatrix der Rang sein muß, folgt aus dem vorhergehen-den Beispiel. Die Unabhangigkeit der Diskrimanten folgt aus der folgenden Beobachtung:Seien B,B′ beides Diagonalmatrizen und es gelte B′ = A>BA fur eine weitere Matrix A.Dann ist detB′ = detB(detA)2, also modulo Quadraten in K gleich detB. (In unseremFall betrachten wir nur die ersten r Spalten und Zeilen von A.)

Zunachst sei U eine beliebige Basis von V . Sei A = U>bU ∈ Rnn. Gesucht ist eine

invertierbare Matrix S ∈ Rnn, so daß S>AS in der angegebenen Diagonalform ist. Dann

ist US die gesuchte Basis von A.Nennen wir zwei Matrizen A,A′ kongruent, wenn ein invertierbares S mit S>AS =

A′ existiert, sehen wir, daß die folgende Operation aus einer Matrix eine kongruentemacht: Addition eines Vielfachens einer Spalte auf eine andere Spalte und Addition desgleichen Vielfachens der einen entsprechenden Zeile auf die andere entsprechende Zeile.Wir mussen zeigen, daß A kongruent zu einer Diagonalmatrix ist.

Ist A = 0 die Nullmatrix sind wir fertig. Wir zeigen ansonsten, daß wir annehmenkonnen, daß A1

1 6= 0. Sei etwa A11 = 0. Es gibt i, j, so daß Aij 6= 0. Durch eine Zeilen-

und die entsprechende Spaltenpermutation (welche die Kongruenzklasse nicht andern)konnen wir davon ausgehen, daß etwa i = 1. Dann addieren wir die j-te Spalte auf dieerste Spalte und die j-Zeile auf die erste Zeile. Wir erhalten eine kongruente Matrix mitA1

1 = 2A1i 6= 0, da charK 6= 2.

Jetzt konnen wir durch entsprechendes Addieren der ersten Spalte beziehungsweiseder erste Zeile auf die ubrigen Spalten beziehungsweise Zeile erreichen, daß wir einekongruente Matrix erhalten, welche in der ersten Spalte und ersten Zeile außer bei A1

1

nur Nullen enthalt.Dann machen wir genauso weiter mit der verbleibenden unteren rechten (n−1)×(n−

1)-Matrix und so weiter.

Aufgabe 7.1.9. Sei die symmetrische Bilinearform

A =

2 2 42 1 04 0 −10

∈ Q33

in dem Q-Vektorraum Q3 gegeben, das heißt A ist die Darstellungsmatrix der symme-trischen Bilinearform bezuglich der Standardbasis (e1, e2, e3). Berechne eine Polarbasisvon A, den Rang von A und die Diskrimante von A.

Folgerung 7.1.10. Sei K ein diskreter Korper mit charK 6= 2 und K×/(K×)2 = {1}.Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber K. Fur jede Bilinearform β ∈ S2V

existiert dann eine Basis U = (u1, . . . , un) von V , so daß die Darstellungsmatrix B :=U>bU ∈ Rn

n eine Diagonalmatrix mit B ii = 1 fur 1 ≤ i ≤ r und B i

i = 0 fur r+1 ≤ i ≤ n,wobei r der Rang von β ist.

(Fur die komplexen Zahlen gilt zum Beispiel C×/(C×)2 = {1}.)

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Page 158: Lineare Algebra

7 Symmetrische Bilinearformen

Beweis. Da K× = (K×)2, ist jede Zahl eine Quadratzahl. Sei zunachst U = (u1, . . . , un)eine beliebige Polarbasis und B die Darstellungsmatrix von β bezuglich U . Ist dann etwa` := B i

i 6= 0, konnen wir ui durch ui/√` ersetzen. Bezuglich der neuen Basis ist dann

B ii = 1.

Aufgabe 7.1.11. Sei R ein diskreter, reell abgeschlossener Korper. Sei C = R(√−1). Wir

setzen i :=√−1. Wir nennen C den komplexen Abschluß von R.

Zeige, daß genau ein Korperautomorphismus (ein Isomorphismus eines Korpers in sichselbst) C → C, z 7→ z existiert, welcher auf R die Identitat ist und i auf −i abbildet.Dieser Automorphismus heißt komplexe Konjugation.

Zeige weiter, daß in C jedes Element eine Quadratwurzel besitzt. Zeige schließlich,daß fur alle z ∈ C gilt, daß zz ∈ R und zz ≥ 0.

Aufgabe 7.1.12. Sei R ein diskreter, reell abgeschlossener Korper mit komplexem Ab-schluß C. Sei V ein endlich-dimensionaler C-Vektorraum. Wir definieren einen C-VektorraumV wie folgt: Als abelsche Gruppe sei V gleich V . Zur Unterscheidung schreiben wir Ele-mente aus V aufgefaßt als Elemente in V mit einem Querstrich. Die Multiplikation einesElementes v ∈ V mit einem Element z ∈ C ist durch z · v := z · v gegeben. Insbesondereerhalten wir eine R-lineare Abbildung V → V , v 7→ v.

Eine hermitesche Sesquilinearform in V ist ein Element in b ∈ V ⊗ V , so daß b unter

der Abbildung V ⊗ V → V ⊗ V , v ⊗ w 7→ w ⊗ v in sich selbst ubergeht.Zeige, daß b eine bilineare Abbildung

b : V ∨ × V ∨ → C

definiert. Sei U := (v1, . . . , vn) eine Basis von V . Zeige weiter, daß fur die Matrix A :=(b(vi, vj)) ∈ C n

n gilt, daß A> = A. (Der Querstrich uber einer Matrix bedeutet, daß jedesElement zu konjugieren ist.) Die Matrix A heißt die Darstellungsmatrix von b bezuglichder Basis U .

7.2 Nicht ausgeartete symmetrische Bilinearformen

Seien R ein kommutativer Ring und Γ ein R-Modul. Sei M := Γ∨. Sei β ∈ S2Γ einesymmetrische Bilinearform in Γ. Wir definieren die lineare Abbildung

Iβ : M → Γ, v 7→ β(1) ⊗⟨β(2), v

⟩.

Fur v, w ∈M haben wir also

〈Iβ(v), w〉 = β(v, w).

Aufgabe 7.2.1. Seien R ein kommutativer Ring und M ein freier R-Modul endlichenRanges. Wir identifizieren M mit M∨∨ bezuglich der kanonischen linearen AbbildungI : M →M∨∨.

Sei b ∈ S2M eine symmetrische Bilinearform in M . Zeige, daß Ib = I∨b : M∨ →M∨∨ =M .

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Page 159: Lineare Algebra

7.2 Nicht ausgeartete symmetrische Bilinearformen

Hilfssatz 7.2.2. Seien R ein kommutativer Ring und Γ ein freier R-Modul endlichenRanges. Ist dann β ∈ S2Γ eine symmetrische Bilinearform in Γ, folgt

ker Iβ = ker β.

Beweis. Sei v ∈ ker Iβ ⊂ M := Γ∨. Fur w ∈ M beliebig haben wir dann β(v, w) =〈Iβ(v), w〉 = 0, also v ∈ ker β.

Sei umgekehrt v ∈ ker β. Dann folgt analog, daß 〈Iβ(v), w〉 = 0 fur alle w ∈M . Da Mfrei ist, folgt damit Iβ(v) = 0, also v ∈ ker Iβ.

Definition 7.2.3. Seien K ein diskreter Korper und V ein endlich-dimensionaler Vek-torraum. Eine symmetrische Bilinearform β ∈ S2(V ∨) heißt nicht ausgeartete symmetri-sche Bilinearform auf V , falls die lineare Abbildung Iβ : V → V ∨ ein Isomorphismus ist.(Hierbei verwenden wir den kanonischen Isomorphismus V → V ∨∨.)

Ist β eine fest gewahlte, nicht ausgeartete Bilinearform in V ∨, schreiben wir in Zukunftin der Regel 〈v, w〉 fur β(v, w), wenn v, w ∈ V .

Hilfssatz 7.2.4. Seien K ein diskreter Korper und V,W zwei endlich-dimensionaleVektorraume, uber denen nicht ausgeartete Bilinearformen definiert sind.

Ist φ : V → W eine lineare Abbildung, existiert genau eine lineare Abbildung φ∗ : W →V mit

∀v∈V ∀w∈W 〈w, φ(v)〉 = 〈φ∗(w), v〉

Die Abbildung φ∗ heißt die zu φ adjungierte Abbildung.

Beweis. Wir schreiben IV : V → V ∨ und IW : W → W∨ fur die von den nicht entartetenBilinearformen auf V und W induzierten Isomorphismen. Dann gilt

〈w, φ(v)〉 = 〈IW (w), φ(v)〉W = 〈φ∨(IW (w)), v〉V =⟨I−1V (φ∨(IW (w)), v

⟩,

woraus folgt, daß φ∗ = I−1V ◦ φ∨ ◦ IW gesetzt werden muß.

Beispiel 7.2.5. Seien K ein diskreter Korper und φ : V → W eine Abbildung zwischenzwei endlich-dimensionalen Vektorraumen mit Basis U = (u1, . . . , un) beziehungsweiseT = (t1, . . . , tn). Weiter seien auf V und W nicht ausgeartete symmetrische Bilinearfor-men durch Darstellungsmatrizen A beziehungsweise B bezuglich U beziehungsweise Tgegeben.

Sei etwa D die Darstellungsmatrix von φ. Wir wollen die Darstellungsmatrix D∗ vonφ∗ bestimmen. Dazu seien v ∈ V und w ∈ W . Dann haben wir

〈w, φ(v)〉 = ((T−1w)>BT−1)(TDU−1)v = w>(T−1)>BDU−1v.

Auf der anderen Seite ist

〈φ∗(w), v〉 = (U−1(UD∗T−1)w)>AU−1v = w>(T−1)>(D∗)>AU−1v.

Da v und w beliebig sind, folgt, daß BD = (D∗)>A, also D∗ = (BDA−1)>.

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Page 160: Lineare Algebra

7 Symmetrische Bilinearformen

7.3 Skalarprodukte

Definition 7.3.1. Ein reell abgeschlossener Korper K ist ein KorperK mitK×/(K×)2 ={±1}, in dem −1 keine Summe von Quadraten ist und uber dem jedes Polynom unge-raden Grades eine Nullstelle besitzt.

Bemerkung 7.3.2. Der in der Analysis eingefuhrte”Korper“ der reellen Zahlen erfullt

die Eigenschaften eines reell abgeschlossenen Korpers.

Bemerkung 7.3.3. Sei K ein reell abgeschlossener Korper. Fur jede Zahl ` ∈ K \ {0} giltdann, daß entweder ` oder −` eine Quadratwurzel besitzt. Definieren wir ` > 0, wenn `eine Quadratwurzel besitzt, so wird K zu einem angeordneten Korper. Dazu uberlegenwir uns folgendes:

Sind a, b > 0. Angenommen, a + b besitze keine Quadratwurzel. Dann konnen wirc2 = −a− b fur ein c ∈ K× schreiben. Nach Voraussetzung sind a, b Quadrate, also gibtes d, e ∈ K× mit c2 + d2 + e2 = 0. Losen wir die Gleichung nach −e2 auf und dividierendurch e2 erhalten wir, daß −1 eine Summe von Quadraten ware. Damit muß also a+ beine Quadratwurzel besitzen. Es folgt, daß a+ b > 0.

Daraus folgt insbesondere, daß endliche Summen von 1 positiv sein mussen. Also istdie Charakteristik eines reell abgeschlossen Korpers immer 0.

Der nachste Satz ist der Sylvestersche Tragheitssatz

Satz 7.3.4. Sei K ein diskreter reell abgeschlossener Korper. Sei V ein endlich-dimensionalerVektorraum uber K. Fur jede Bilinearform β ∈ S2V

∨ existieren dann r, s ∈ N0 und eineBasis U = (u1, . . . , un) von V , so daß die Darstellungsmatrix B := U>βU ∈ Rn

n eineDiagonalmatrix mit B i

i = 1 fur 1 ≤ i ≤ r, B ii = −1 fur r+1 ≤ i ≤ r+s und und B i

i = 0fur r + s+ 1 ≤ i ≤ n.

Die Zahlen r, s hangen hierbei nur von β ab, und r − s heißt der Tragheitsindex vonβ.

Beweis. Zunachst wahlen wir eine Polarbasis von β. Da die Elemente oder ihre Negatio-nen auf der Diagonalen der Darstellungsmatrix von β Quadratwurzeln besitzen, konnenwir die Polarbasis zu umnormieren, so daß B von der gewunschten Form ist, also nur1,−1, 0 auf der Diagonalen enthalt.

Es ist offensichtlich r+ s der Rang von β. Es bleibt damit zu zeigen, daß r nur von βabhangt.

Dazu nennen wir ein System v1, . . . , vk ∈ V ∨ linear unabhangiger Vektoren positiv,falls die vi paarweise senkrecht bezuglich β sind und β(vi, vi) > 0. Wir behaupten, daßdie Zahl r die maximale Lange m eines positiven Systems ist. Da die ersten r Vektorenin U offensichtlich ein positives System bilden, sehen wir, daß m ≥ r.

Angenommen, es existiert ein positives System der Lange r + 1, etwa v1, . . . , vr+1.Ist dann v eine Linearkombination der Vektoren v1, . . . , vr+1, folgt, daß β(v, v) > 0.Ist umgekehrt v eine Linearkombination der Vektoren ur+1, . . . , un, so folt β(v, v) ≤0. Damit muß aber das System v1, . . . , vr+1, ur+1, . . . , un linear unabhangig sein — einWiderspruch zur Dimension von V .

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Page 161: Lineare Algebra

7.3 Skalarprodukte

Definition 7.3.5. Sei K ein diskreter reell abgeschlossener Korper. Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum. Ein Skalarprodukt auf V ist eine nicht-entartete symmetri-sche Bilinearform β ∈ S2V

∨ mit maximalem Tragheitsindex (also Tragheitsindex gleichRang).

Ein euklidischer Vektorraum uber K ist ein endlich-dimensionaler Vektorraum V zu-sammen mit einem Skalarprodukt auf V .

Sind u, v ∈ V zwei Vektoren, nennen wir den Skalar 〈u, v〉 das Skalarprodukt von vund w.

Bemerkung 7.3.6. Seien K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper und V ein endlich-dimensionaler K-Vektorraum. Ein Skalarprodukt auf V ist also eine solche symmetrischeBilinearform β ∈ S2V

∨ fur die eine Basis (u1, . . . , un) von V existiert, so daß

β = (u1)2 + . . .+ (un)2 = uiui

Eine solche Basis heißt Orthonormalbasis von β. Die Darstellungsmatrix von β bezuglichdieser Basis ist die Diagonalmatrix, die auf der Diagonalen nur 1 enthalt.

Sind U also eine Orthonormalbasis und a = aiui und b = biui zwei Vektoren in V , gilt

〈a, b〉 = aibi.

Beispiel 7.3.7. Seien K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper. Das Skalarproduktauf Kn, welches durch

β = eiei

gegeben ist, heißt das Standardskalarprodukt. Wenn nichts anderes gesagt wird, werdenwir in Zukunft Kn immer mit diesem Skalarprodukt versehen als euklidischen Vektor-raum betrachten.

Aufgabe 7.3.8. Sei R ein diskreter, reell abgeschlossener Korper mit komplexem Ab-schluß C. Sei V ein endlich-dimensionaler C-Vektorraum. Beweise den SylvesterschenTragheitssatz fur eine hermitesche Sesquilinearform in V .

Aufgabe 7.3.9. Sei K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper. Sei φ : V → W einelineare Abbildung zwischen euklidischen Vektorraumen uber K. Sei A die Darstellungs-matrix von φ bezuglich zweier Orthonormalbasen von V und W . Berechne die Darstel-lungsmatrix der adjungierten Abbildung φ∗ : W → V bezuglich derselben Basen.

Aufgabe 7.3.10. Sei K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper. Sei V ein endlich-dimensionaler Vektorraum. Zeige, daß eine symmetrische Matrix A ∈ K n

n genau danndie Darstellungsmatrix eines Skalarproduktes auf V ist, wenn alle Minoren von A positivsind.

Satz 7.3.11. Sei K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper. Sei V ein euklidischerK-Vektorraum. Ist dann U ein endlich-erzeugter Untervektorraum von V , so existierteine Basis von U , welche zu einer Orthonormalbasis von V erweitert werden kann.

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Page 162: Lineare Algebra

7 Symmetrische Bilinearformen

Beweis. Sei u1, . . . , uk eine Basis von U . Diese konnen wir zu einer Basis u1, . . . , un vonV erweitern. Daraus bilden wir neue Vektoren durch die rekursive Setzung

u′i := ui −i−1∑j=1

⟨ui, u

′j

⟩⟨u′j, u

′j

⟩u′j.Diese Vektoren bilden eine Basis von V , wobei u′1, . . . , u

′k eine Basis von U bilden. Weiter

stehen die Vektoren paarweise orthogonal aufeinander. Damit wird durch

ui :=1√〈u′i, u′i〉

u′i

die gewunschte Basis definiert.

Das Konstruktionsverfahren im Beweis ist auch unter dem Namen Gram–Schmidt–Orthonormalisierung bekannt.

Aufgabe 7.3.12. Sei K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper. Sei ein Skalarproduktauf K3 durch die Matrix 4 0 1

0 6 01 0 5

bezuglich der Standardbasis (e1, e2, e3) gegeben.

Gib eine Orthonormalbasis (u1, u2, u3) dieses Skalarproduktes an, so daß (u1, u2) eineBasis des von 1

0−2

und

−210

aufgespannten Unterraumes U von K3.

Aufgabe 7.3.13. Sei K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper. Sei V ein euklidi-scher K-Vektorraum. Sei U ein endlich-erzeugter Untervektorraum von V . Folgere ausder Gram–Schmidt–Orthonormalisierung, daß U genau eine Struktur eines euklidischenVektorraumes besitzt, so daß das Skalarprodukt von zwei Vektoren in U dasselbe wiedas Skalarprodukt der Vektoren in V ist.

7.4 Euklidische Normalformen

Sei K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper. Sei φ : V → V ein Endomorphismuseines euklidischen K-Vektorraumes V . In diesem Abschnitt wollen wir das Verhaltniszwischen φ und seiner adjungierten Abbildung φ∗ bezuglich des Skalarproduktes auf Vuntersuchen.

Dazu definieren wir zunachst:

Definition 7.4.1. Sei K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper. Eine Endomorphis-mus φ : V → V eines euklidischen Vektorraumes heißt symmetrisch, falls φ = φ∗.

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Page 163: Lineare Algebra

7.4 Euklidische Normalformen

Die Bedingung φ = φ∗ ist nach Definition der adjungierten Abbildung offensichtlichzu der Bedingung

∀u,v∈V 〈u, φ(v)〉 = 〈φ(u), v〉

aquivalent. Es sei beachtet, daß die Bedingung (wie auch die Definition von φ∗) vomgewahlten Skalarprodukt abhangt.

Beispiel 7.4.2. Sei K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper und φ : V → V einEndomorphismus eines euklidischen K-Vektorraumes. Zunachst bemerken wir, daß of-fensichtlich φ∗∗ = φ und (φ◦ψ)∗ = ψ∗◦φ∗ fur einen beliebigen weiteren Endomorphismusψ : V → V gilt.

Daraus konnen wir folgern, daß fur jeden beliebigen Endomorphismus φ : V → V derEndomorphismus φ ◦ φ∗ : V → V symmetrisch ist, denn

(φ ◦ φ∗)∗ = φ∗∗ ◦ φ∗ = φ ◦ φ∗.

Wie konnen wir an der Matrixdarstellung eines Endomorphismus ablesen, ob er sym-metrisch ist? Das folgende Beispiel gibt Auskunft:

Beispiel 7.4.3. Seien K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper und φ : V → V einEndomorphismus eines euklidischen K-Vektorraumes V . Sei U : Kn → V eine Orthonor-malbasis von V . Ist dann A ∈ Kn

n die Darstellungsmatrix von φ bezuglich V , so wissenwir nach Aufgabe 7.3.9, daß die Darstellungsmatrix von φ∗ durch A> ∈ Rn

n gegeben ist.Damit folgt, daß ein Endomorphismus zwischen euklidischen Vektorraumen genau dannsymmetrisch ist, wenn seine Darstellungsmatrix A bezuglich einer Orthonormalbasissymmetrisch ist, also A = A> gilt.

Wir wollen zeigen, daß sich symmetrische Endomorphismen immer diagonalisierenlassen.

Satz 7.4.4. Seien K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper und φ : V → V einsymmetrischer Endomorphismus eines euklidischen K-Vektorraumes V . Dann existierteine orthonormale Eigenbasis zu φ.

Beweis. Zunachst folgt den Eigenschaften eines reell abgeschlossenen Korpers, daß jedesPolynom uber K in lineare und quadratische Faktoren zerfallt. (Das ist im wesentlichendie Aussage des Fundamentalsatzes der Algebra.)

Damit zerfallt insbesondere das charakteristische Polynom von φ in lineare und qua-dratische Faktoren. Nach dem Satz uber die Weierstraßsche Normalform zerfallt V da-mit in eine direkte Summe ein- und zweidimensionaler φ-invarianter Unterraume. SeiU ⊂ V ein solcher zweidimensionaler Unterraum. Wahlen wir eine Orthonormalba-sis von U , wird die Einschrankung von φ auf diesen Unterraum durch eine Matrixder Form ( a bb d ) dargestellt. Das charakteristische Polynom von φ|U : U → U ist da-mit durch (X − a)(X − d) − b2 = X2 − (a + d)X + ad − b2 ∈ K[X] gegeben. Da(a + d)2 − 4ad + 4b2 = (a − d)2 + 4b2 ≥ 0 hat die zugehorige quadratische Gleichungzwei (beziehungsweise eine doppelte) Losungen. Damit zerfallt U auch weiter in zweiφ-invariante Unterraume der Dimension 1. Damit ist φ diagonalisierbar.

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Page 164: Lineare Algebra

7 Symmetrische Bilinearformen

Sind v, w ∈ V zwei Eigenvektoren zu verschiedenen Eigenwerten, etwa a, b, so folgt:

(a− b) 〈v, w〉 = 〈av, w〉 − 〈v, bw〉 = 〈φ(v), w〉 − 〈v, φ(w)〉 = 〈φ(v), w〉 − 〈φ(v), w〉 = 0.

Aus a 6= b folgt, daß v und w senkrecht aufeinander stehen. Damit stehen die Vekto-ren aus verschiedenen Eigenraumen von φ senkrecht aufeinander. In dem wir fur jedenEigenraum eine Orthonormalbasis wahlen, erhalten wir die gesuchte Basis von V .

Der Satz ist auch unter dem Namen Spektralsatz oder Hauptachsentransformations-satz bekannt. Die Eigenwerte von φ heißen auch die Tragheitsmomente von φ.

Aufgabe 7.4.5. Sei K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper. Wir betrachten Kn mitdem Standardskalarprodukt. Berechne eine orthogonale Eigenbasis des symmetrischenEndomorphismus

A :=

5 −3 −6−3 2 4−6 4 8

: Kn → Kn.

Eine weitere Klasse von Endomorphismen euklischer Vektorraume ist interessant:

Definition 7.4.6. Sei K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper. Ein Endomorphis-mus φ : V → V eines euklidischen K-Vektorraumes heißt orthogonal, falls φ◦φ∗ = idV =φ∗ ◦ φ gilt, also

∀v,w∈V 〈φ(v), φ(w)〉 = 〈v, w〉 .Die Menge der orthogonalen Endomorphismen wird mit O(V ) bezeichnet.

Betrachten wir Kn als euklidischen Vektorraum mit Standardskalarprodukt, schreibenwir auch O(n,K) := O(Kn).

Bemerkung 7.4.7. Sei K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper. Ist dann φ : V → Vein orthogonaler Endomorphismus eines euklidischen K-Vektorraumes, so ist der Endo-morphismus φ+φ∗ = φ+φ−1 offensichtlich symmetrisch. Wir werden auf diese Tatsachezuruckkommen.

Beispiel 7.4.8. Sei K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper. Ein Endomorphismusφ : V → V eines euklidischen K-Vektorraumes ist genau dann orthogonal, wenn fur dieDarstellungsmatrix A von φ bezuglich irgendeiner Orthonormalbasis gilt, daß AA> = I,wobei I fur die Einheitsmatrix steht.

Beispiel 7.4.9. Sei K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper. Sei V ein euklidischerK-Vektorraum mit Orthonormalbasis U . Dann ist eine weitere Basis U ′ von V genaudann eine Orthonormalbasis, wenn fur die Basiswechselmatrix S := U ′−1 ◦ U ∈ Kn

n gilt,daß S ∈ O(n).

Beispiel 7.4.10. Sei K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper. Sind dann c, s ∈ Kzwei Elemente in K mit c2 + s2 = 1 wird durch

D(c, s) =

(c −ss c

): K2 → K2

ein orthogonaler Endomorphismus von K2 definiert. Wir nennen D(c, s) eine (eigentli-che) Drehung um den

”Winkel (c, s)“.

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Page 165: Lineare Algebra

7.4 Euklidische Normalformen

Satz 7.4.11. Seien K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper und φ : V → V einorthogonaler Endomorphismus eines euklidischen K-Vektorraumes V . Dann existierteine orthonormale Basis U = (u1, . . . , un) von V , so daß die Darstellungsmatrix A vonφ bezuglich U die Form

A =

D(c1, s1). . .

D(ck, sk)1

. . .

1−1

. . .

−1

mit c2

i + s2i = 1 hat, wobei die fehlenden Eintrage fur 0 stehen.

Eine Darstellungsmatrix dieser Form nennen wir eine Normalform des orthogonalenEndomorphismus φ.

Beweis. Wir beweisen den Satz durch Induktion uber die Dimension von V . Die Idee istdabei die folgende: Haben wir einen φ-invarianten Unterraum U von V gefunden, so istsein orthogonales Komplement ⊥U = {v ∈ V | ∀u∈U 〈v, u〉 = 0} wieder φ-invariant. IstU nicht der Nullvektorraum, reicht es daher, den Satz fur φ|U zu beweisen, da fur ⊥Udie Induktionsvoraussetzung greift.

Außerdem folgt aus dieser Tatsache, daß φ ein halbeinfacher Endomorphismus ist,denn jeder φ-invariante Unterraum von V besitzt ein φ-invariantes Komplement.

Da das charakteristische Polynom von φ in lineare und quadratische Faktoren zerfallt,existiert ein ein- oder ein zweidimensionaler φ-invarianter Unterraum U . Nach denVoruberlegungen konnen wir V = U , also dimV = 1 oder dimV = 2 annehmen.

Im Falle, daß dimV = 1 ist, existiert sicherlich eine orthonormale Eigenbasis. Es bleibtzu zeigen, daß der Eigenwert ±1 ist. Dies folgt aber aus der Tatsache, daß in diesemFalle φ = φ∗ gilt und damit φ2 = id.

Betrachten wir jetzt den Fall, daß dimV = 2. Sei (u, v) eine Orthonormalbasis vonV . Sei D = ( a bc d ) die Darstellungsmatrix von φ bezuglich dieser Basis. Wir konnenannehmen, daß das charakteristische Polynom (X − a)(X − d) − bc nicht zerfallt, also(a − d)2 + 4bc < 0. Insbesondere haben b und c unterschiedliches Vorzeichen. Aus derOrthogonalitat von φ folgt weiter DD> = 1 = D>D, also a2 + b2 = c2 + d2 = a2 + c2 =b2 + d2 = 1 und ac+ bd = ab+ cd = 1. Eine Reihe von Fallunterscheidungen liefert jetzt,daß D von der Form D(c, s) ist.

Beispiel 7.4.12. Sei K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper. Sei V ein dreidimen-sionaler euklidischer Vektorraum uber K. Ist dann φ : V → V eine eigentliche Drehung,

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Page 166: Lineare Algebra

7 Symmetrische Bilinearformen

daß heißt ein orthogonaler Endomorphismus mit detφ = 1, so existiert immer eine Basis(u, v, w) von V , bezuglich der die Darstellungsmatrix von φ von der Formc −s 0

s c 00 0 1

mit c, s ∈ K und c2 + s2 = 1 gegeben ist. (Es sei beachtet, daß hier s = 0 und c = ±1erlaubt ist.) Die durch den Ursprung und w laufende Gerade ist eine Drehachse von φ.

Aufgabe 7.4.13. Seien K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper. Gib eine ortho-normale Basis von K3 an, bezuglich der die Darstellungsmatrix des orthogonalen (?)Endomorphismus

A =

0 −4/5 −3/54/5 −9/25 12/253/5 12/25 −16/25

in Normalform ist.

Aufgabe 7.4.14. Sei R ein diskreter, reell abgeschlossener Korper mit komplexem Ab-schluß C. Sei V ein endlich-dimensionaler C-Vektorraum. Ein hermitesches Skalarpro-dukt auf V ist eine hermitesche Sesquilinearform β ∈ S2V

∨, fur die eine Basis (u1, . . . , un)von V existiert, so daß β = u∗ıu

i. (Hierbei ist u∗ı = (ui)∗ ∈ (V ∨)∗. Eine solche Basis heißtunitar

Ein unitarer C-Vektorraum ist ein endlich-dimensionaler Vektorraum V uber C zu-sammen mit einem hermiteschen Skalarprodukt. Die induzierte Bilinearform auf V schrei-ben wir als

〈·, ·〉 : V ∗ ⊗ V → C, u∗ ⊗ v 7→⟨β∗(1), u

∗⟩ ⟨β(2), v⟩

mit β = β∗(1) ⊗ β(2).Sei V ein solcher unitarer Vektorraum uber C. Sei φ : V → V ein Endomorphismus

mit∀u,v∈V 〈u∗, φ(v)〉 = 〈φ(u)∗, v〉 ,

ein symmetrischer Endomorphismus. Zeige, daß eine unitare Eigenbasis von φ existiert.

Aufgabe 7.4.15. Sei R ein diskreter, reell abgeschlossener Korper mit komplexem Ab-schluß C. Sei V ein unitarer C-Vektorraum. Sei φ : V → V ein Endomorphismus mit

∀u,v∈V 〈u∗, φ(v)〉 =⟨(φ−1(u))∗, v

⟩.

Zeige, daß eine unitare Eigenbasis von φ existiert und fur alle Eigenwerte z von φ gilt,daß zz∗ = 1.

Schließlich definieren wir einen letzten Begriff fur an die euklidische Struktur ange-paßte Endomorphismen:

Definition 7.4.16. Sei K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper. Ein Endomor-phismus φ : V → V eines euklidischen K-Vektorraumes heißt normal, falls φφ∗ = φ∗φ.

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Page 167: Lineare Algebra

7.4 Euklidische Normalformen

Beispiel 7.4.17. Symmetrische und orthogonale Endomorphismen euklidischer Vektorraumesind normal.

Hilfssatz 7.4.18. Sei K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper und φ : V → V einnormaler Endomorphismus eines euklidischen K-Vektorraumes V mit φ2 = φ. Dann istφ symmetrisch.

Solche Endomorphismen heißen orthogonale Projektionen.

Beweis. Seien u, v ∈ V . Wir schreiben x = φ(x) + z, wobei z ∈ kerφ. Dann gilt:

〈φ∗(z), φ∗(z)〉 = 〈z, φφ∗(z)〉 = 〈z, φ∗φ(z)〉 = 〈φ(z), φ(z)〉 = 0,

also z ∈ kerφ∗.Damit ist

〈x, φ(y)〉 = 〈φ(x) + z, φ(y)〉 = 〈φ(x), φ(y)〉+ 〈φ∗(z), y〉 = 〈φ(x), φ(y)〉 .

Aus Symmetriegrunden ist damit 〈x, φ(y)〉 = 〈φ(x), y〉.

Hilfssatz 7.4.19. Seien K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper und φ : V → Vein normaler Endomorphismus eines euklidischen K-Vektorraumes V . Ist φ nilpotent,folgt φ = 0.

Beweis. Aus dem Abschnitt uber die duale Abbildung wissen wir, daß das Bild derdualen Abbildung der Annulator des Kernes ist. Wir konnen im Falle der adjungiertenAbbildung ganz analog schließen und erhalten eine orthogonale Zerlegung

V = kerφ∗ ⊕ imφ.

Da kerφ∗ = kerφ, da φ normal ist, folgt also, daß V = kerφ⊕ imφ fur einen normalenEndomorphismus. Damit ist φ|imφ injektiv. Es folgt, daß φ nur dann nilpotent sein kann,wenn V = kerφ, also φ = 0.

Satz 7.4.20. Seien K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper und φ : V → V einnormaler Endomorphismus eines euklidischen K-Vektorraumes V . Dann ist φ halbein-fach und die primaren Unterraume von Vφ sind paarweise orthogonal.

Beweis. Sei V = V1⊕· · ·⊕Vr die Zerlegung von V in primare φ-invariante Unterraume.Sei πi : V → Vi die Projektion von V auf Vi, welche ein Polynom in φ ist. Damit istπi wieder normal. Da π2

i = πi folgt weiter, daß die πi jeweils symmetrisch sind. Seienui ∈ Vi, uj ∈ Vj mit i 6= j. Dann gilt

〈ui, uj〉 = 〈ui, πj(uj)〉 = 〈πj(ui), uj〉 = 0.

Damit ist V = V1 ⊕ · · · ⊕ Vr eine Zerlegung in paarweise orthogonale Unterraume.Damit konnen wir annehmen, daß V = V1, daß also das Minimalpolynom von φ von

der Form pk mit einem irreduziblen Polynom k ist. Es ist p(φ) nilpotent. Damit istp(φ) = 0. Also ist k = 1.

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Page 168: Lineare Algebra

7 Symmetrische Bilinearformen

Folgerung 7.4.21. Seien K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper und φ : V → Vein normaler Endomorphismus eines euklidischen K-Vektorraumes V . Ist dann U einendlich-dimensionaler φ-invarianter Unterraum von V , so auch ⊥U .

Beweis. Sei V = V1 ⊕ · · · ⊕ Vr die Zerlegung von Vφ in die paarweise orthogonalenprimaren Unterraume. Seien die πi : V → Vi die Projektionen. Ist dann x ∈ U , so istx = π1(x) + · · · + πr(x) mit πi(x) ∈ Vi. Da πi ein Polynom in φ ist, folgt außerdemπi(x) ∈ U . Damit ist also U = (V1 ∩ U) ⊕ · · · ⊕ (Vr ∩ U). Damit konnen wir davonausgehen, daß V = V1, daß also das Minimalpolynom φ linear oder quadratisch ist. Imlineare Fall ist φ einfach eine Streckung und damit ist ⊥U sicherlich invariant unter φ.

Im quadratischen Fall haben wir φ2 + pφ+ q = 0 mit p2 − 4q < 0. Wir uberlegen unsals erstes, daß φ∗ − φ invertierbar ist.

Dazu sei K der Kern von φ∗ − φ. Es ist K invariant unter φ und φ∗. Insbesondereist die Einschrankung von φ auf K symmetrisch. Ware K nicht der Nullvektorraum,hatte φ damit einen Eigenvektor, im Widerspruch zur Tatsache, daß X2 + pX + q keineNullstellen hat. Damit ist also K = 0, also φ∗ − φ invertierbar.

Aus (φ∗)2 + pφ∗ + q = 0 und der entsprechenden Gleichung fur φ folgt

(φ∗φ− q)(φ∗ − φ) = 0.

Damit ist φ∗φ = q > 0. Also ist φ =√qψ, wobei ψ =

1√q

ψ. Damit ist φ eine Dreh-

streckung. Es folgt, daß φ dann den zu U orthogonalen Unterraum in sich uberfuhrt.

Satz 7.4.22. Seien K ein diskreter, reell abgeschlossener Korper und φ : V → V einnormaler Endomorphismus eines euklidischen K-Vektorraumes V . Dann existiert eineorthonormale Basis U = (u1, . . . , un) von V , so daß die Darstellungsmatrix A von φbezuglich U die Form

A =

D(p1, q1). . .

D(pk, qk)r1

. . .

rn−k

mit pi, qi, rj ∈ K hat, wobei die fehlenden Eintrage fur 0 stehen. (Hierbei setzen wir alsonicht p2

i + q2i = 1 voraus.)

Beweis. Der Beweis ist analog zu dem fur orthogonale Endomorphismen.

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