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1 Jan A. Fuhse (Stuttgart) Links oder rechts oder ganz woanders? Zur Konstruktion der politischen Landschaft Politische Akteure verorten sich seit der französischen Revolution mit Hilfe der Unterscheidung zwischen „links“ und „rechts“. Allerdings platzieren sie sich zunehmend in der „Mitte“ oder gleich „jenseits von links und rechts“. Sind die beiden Kategorien damit überflüssig geworden? Oder behindern sie sogar eine neue Sicht auf die politische Landschaft? Der Beitrag diskutiert zunächst die Funktion des Links- Rechts-Schemas als Orientierungshilfe für politische Akteure und Wähler. Anschließend wird die inhalt- liche Aussagekraft des Schemas ausgelotet und mit anderen Kategorisierungen verglichen: der dreipoligen Typologie der Cultural Theory und das zweidimensionale Modell von Herbert Kitschelt. Abschließend wird eine Netzwerktheorie des Parteiensystems skizziert, in der die politische Landschaft als symbolische Matrix der Identitätskonstruktion und Abgrenzung von Parteien fungiert. Das Links-Rechts-Schema re- duziert diese politische Landschaft auf eine einzige Dimension und leistet damit eine wichtige Überset- zung politischer Positionen in die Logik des politischen Systems mit dem Wechselspiel zwischen Regie- rung und Opposition. Bei dieser Reduktion werden aber auch wichtige inhaltliche Unterschiede ausge- blendet. Keywords: to be added Keywords: to be added Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft (ÖZP), 33 Jg. (2004) H. 2, ??1–?? Einleitung Das Links-Rechts-Schema steht unter Druck. Die wenigsten politischen Akteure ver- orten sich selbst inzwischen als eindeutig links oder rechts. Meist spricht man in der politischen Rhetorik von der Mitte – linke Mitte, rechte Mitte oder einfach Mitte. Oder man propagiert dritte Wege, die jenseits der etablierten Zuwei- sungen lägen. „Wir haben jenseits des eindimen- sionalen Rechts-Links-Schemas zu einer eigen- ständigen politischen und gesellschaftlichen Perspektive zusammengefunden“, hieß es im Entwurf für das neue Grundsatzprogramm der deutschen Grünen (Grundsatzprogramm- kommission 2001, 9). Ähnlich hatten zuvor schon Anthony Giddens, Tony Blair und Gerhard Schröder, aber auch Jörg Haider und der französische Rechtspopulist Jean-Marie Le Pen eine Position jenseits von links und rechts proklamiert. Gibt es dann so etwas wie eine mehrdimensionale politische Landschaft? Kann es überhaupt Positionen geben, die nicht im ein- dimensionalen Rechts-Links-Schema unterzu- bringen sind? Diese Fragen sind Gegenstand des folgenden Essays. Zunächst werde ich dafür verschiedene Sichtweisen auf das Links-Rechts-Schema dis- kutieren. Im zweiten Teil geht es um komple- xere Modelle der politischen Landschaft: die dreipolige Unterscheidung der Cultural Theory von Hierarchikern, Egalitariern und Individua- listen und das zweidimensionale Modell von Herbert Kitschelt. Der dritte abschließende Teil versucht schließlich die Argumente zusammen zu ziehen und in Ansätzen eine Theorie über das Zusammenwirken von symbolischer politi- scher Landschaft und der Operationsweise des politischen Systems zu entwerfen. Die dem Es- say zugrunde liegende Perspektive zieht Moti- ve aus der Systemtheorie von Niklas Luhmann und der phänomenologischen Netzwerktheorie zusammen. Im Sinne des operativen Konstrukti- vismus geht es zum einen um die Dekonstruk-

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Links oder rechts oder ganz woanders? 1

Jan A. Fuhse (Stuttgart)

Links oder rechts oder ganz woanders? ZurKonstruktion der politischen Landschaft

Politische Akteure verorten sich seit der französischen Revolution mit Hilfe der Unterscheidung zwischen„links“ und „rechts“. Allerdings platzieren sie sich zunehmend in der „Mitte“ oder gleich „jenseits vonlinks und rechts“. Sind die beiden Kategorien damit überflüssig geworden? Oder behindern sie sogareine neue Sicht auf die politische Landschaft? Der Beitrag diskutiert zunächst die Funktion des Links-Rechts-Schemas als Orientierungshilfe für politische Akteure und Wähler. Anschließend wird die inhalt-liche Aussagekraft des Schemas ausgelotet und mit anderen Kategorisierungen verglichen: der dreipoligenTypologie der Cultural Theory und das zweidimensionale Modell von Herbert Kitschelt. Abschließendwird eine Netzwerktheorie des Parteiensystems skizziert, in der die politische Landschaft als symbolischeMatrix der Identitätskonstruktion und Abgrenzung von Parteien fungiert. Das Links-Rechts-Schema re-duziert diese politische Landschaft auf eine einzige Dimension und leistet damit eine wichtige Überset-zung politischer Positionen in die Logik des politischen Systems mit dem Wechselspiel zwischen Regie-rung und Opposition. Bei dieser Reduktion werden aber auch wichtige inhaltliche Unterschiede ausge-blendet.

Keywords: to be addedKeywords: to be added

Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft (ÖZP), 33 Jg. (2004) H. 2, ??1–??

Einleitung

Das Links-Rechts-Schema steht unterDruck. Die wenigsten politischen Akteure ver-orten sich selbst inzwischen als eindeutig linksoder rechts. Meist spricht man in der politischenRhetorik von der Mitte – linke Mitte, rechteMitte oder einfach Mitte. Oder man propagiertdritte Wege, die jenseits der etablierten Zuwei-sungen lägen. „Wir haben jenseits des eindimen-sionalen Rechts-Links-Schemas zu einer eigen-ständigen politischen und gesellschaftlichenPerspektive zusammengefunden“, hieß es imEntwurf für das neue Grundsatzprogramm derdeutschen Grünen (Grundsatzprogramm-kommission 2001, 9). Ähnlich hatten zuvorschon Anthony Giddens, Tony Blair undGerhard Schröder, aber auch Jörg Haider undder französische Rechtspopulist Jean-Marie LePen eine Position jenseits von links und rechtsproklamiert. Gibt es dann so etwas wie einemehrdimensionale politische Landschaft? Kann

es überhaupt Positionen geben, die nicht im ein-dimensionalen Rechts-Links-Schema unterzu-bringen sind? Diese Fragen sind Gegenstand desfolgenden Essays.

Zunächst werde ich dafür verschiedeneSichtweisen auf das Links-Rechts-Schema dis-kutieren. Im zweiten Teil geht es um komple-xere Modelle der politischen Landschaft: diedreipolige Unterscheidung der Cultural Theoryvon Hierarchikern, Egalitariern und Individua-listen und das zweidimensionale Modell vonHerbert Kitschelt. Der dritte abschließende Teilversucht schließlich die Argumente zusammenzu ziehen und in Ansätzen eine Theorie überdas Zusammenwirken von symbolischer politi-scher Landschaft und der Operationsweise despolitischen Systems zu entwerfen. Die dem Es-say zugrunde liegende Perspektive zieht Moti-ve aus der Systemtheorie von Niklas Luhmannund der phänomenologischen Netzwerktheoriezusammen. Im Sinne des operativen Konstrukti-vismus geht es zum einen um die Dekonstruk-

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tion von Selbstbeschreibungsformeln wie„links“ und „rechts“, zum anderen aber auch umderen Rekonstruktion: Warum verorten sichsoziale Akteure mit Hilfe solcher Metaphern?Auch wenn „links“ und „rechts“ und eine aufdiesen und anderen Dimensionen aufbauendepolitische Landschaft konstruiert sind, so sindsie doch soziale Realitäten, an denen sich Ak-teure orientieren.

1. Links und rechts

Wohl kaum ein anderes Begriffspaar okku-piert so sehr die politische Kommunikation wiedie Unterscheidung zwischen „links“ und„rechts“. Diese Unterscheidung ist zunächstunberührt von inhaltlichen Fragen. Und damiterlaubt sie die abstrakte Verortung von politi-schen Positionen auf einer ebenso anschaulichenwie nichtssagenden Skala. Unter links und rechtskann sich jeder etwas vorstellen. Und damit istes auch leicht, Abstufungen vorzunehmen. Dielinke Mitte steht – in der Verbildlichung deut-lich sichtbar – etwas rechts von der extremenLinken, aber doch deutlich weiter links als dieRechte.

Mit dieser Skala erlaubt das Links-Rechts-Schema die Reduktion politischer Positionen aufeine einzige Dimension. Diese ist zugleich in-haltlich unbestimmt und höchst verbreitet. Mankann wegen dieser Verbreitung davon ausgehen,dass das Links-Rechts-Schema eine Funktionfür das politische System erfüllt. Ganz allgemein– diese Ansicht setzt sich in der Literatur durch– ist das Schema ein „Hilfsmittel der Orientie-rung“ für politische Akteure wie Parteien undVerbände, aber auch für das Publikum der Poli-tik (Murphy et al. 1981, 399f.). Hans-DieterKlingemann und Dieter Fuchs haben das Links-Rechts-Schema in Anlehnung an NiklasLuhmann als einen Code bezeichnet (1990).Dieser diene gerade in seiner symbolischenGeneralisierung, seiner Limitation und seinerbinären Schematisierung als Medium in politi-scher Kommunikation. Die Autoren beziehensich dabei auf einen frühen Text von Luhmann,in dem er den Gegensatz zwischen konservativund progressiv als politischen Code vorschlägt.

Dabei formuliert Luhmann, „die Unterschei-dung zwischen progressiven und konservativenEinstellungen“ wäre „der wohl verbreitetsteAnsatz zu politischer Dichotomisierung“ (1974,273f.). Das ist angesichts der rhetorischen Do-minanz des Links-rechts-Schemas zu bezwei-feln. Und Klingemann und Fuchs liefern auchüberzeugende empirische Beweise für eineumfassende Verbreitung des Links-Rechts-Schemas in der Bundesrepublik und in den Nie-derlanden.

Ein Code im Sinne der Systemtheorie ist dasLinks-Rechts-Schema allerdings nicht – undmeines Erachtens genau so wenig wie die Un-terscheidung zwischen progressiv und konser-vativ. Nach Luhmann liegt die herausragendeEigenschaft eines Codes darin, dass er im je-weiligen System Kommunikation variiert undauf beiden Seiten anschlussfähig hält (1997,359–367). Ein Code ist dafür zweiwertig auf-gebaut (binarisiert) und erlaubt keine Positio-nen zwischen den beiden Werten oder außer-halb dieser Binarisierung: Die Wirtschaft pro-zessiert nur Zahlungen und Nicht-Zahlungen,keine anderen Operationen, aber auch nichtsdazwischen. Dabei kann auf eine Zahlung wieauf eine Nicht-Zahlung sowohl eine Zahlung alsauch eine Nicht-Zahlung folgen. Ähnlich imRechtssystem: Ein Gericht muss klar zwischenRecht und Unrecht entscheiden. Auch hier gibtes kein dazwischen und keine dritten Werte. Unddie Anschlussfähigkeit ist auf beiden Seitengegeben, ohne dass die weitere Kommunikati-on schon festgelegt wäre: Jedes Unrecht musswieder rechtmäßig bearbeitet werden. Und jedeRechtsentscheidung kann in der nächsten In-stanz als Unrecht beobachtet werden. Dabeidient die eine Seite als zu erreichenderPräferenzwert (Zahlung, Recht), und die ande-re Seite als Reflexionswert (Nicht-Zahlung,Unrecht). Der Reflexionswert stimuliert dabeiweitere Kommunikation, um wieder auf dieSeite des Präferenzwertes zu gelangen.

Das Links-Rechts-Schema besitzt drei ent-scheidende Eigenschaften eines Codes nicht.Erstens erlaubt er Zwischentöne. Man kann sichals Mitte bezeichnen. Man kann sogar seineGültigkeit ablehnen (wie die Grünen), und trotz-dem läuft Politik weiter. Zwar hat Norberto

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Bobbio recht: Auch wer eine Position in derMitte oder jenseits des Links-Rechts-Dualismusreklamiert, denkt immer noch in der Logik desLinks-Rechts-Schemas (Bobbio 1994, 7–9).Aber die politische Kommunikation prozessiertdann nicht innerhalb eines solchen binären Co-des, sondern umspielt den Gegensatz nur undnutzt ihn als losen Orientierungspunkt.

Zweitens weist das Links-Rechts-Schemakeine seiner zwei Seiten als Präferenzwert oderReflexionswert aus. Möglich, dass innerhalb derLinken Linkssein eine Tugend ist. Genau so gilt„Links“ aber bei bürgerlichen Kräften alsSchimpfwort. Wenn überhaupt eine Präferenzzu beobachten ist, so ist es derzeit wohl die nachder Mitte oder nach dritten Wegen mit Positio-nen jenseits des Links-Rechts-Schemas. Auchdie Begründung Luhmanns dafür, dass progres-siv der Präferenzwert des politischen Codes sei(was eher links wäre) und konservativ derReflexionswert, überzeugt nicht (1974, 280).

Drittens fehlt es dem Links-Rechts-Schemaan den flexiblen Anschlussmöglichkeiten, dieCodes aufweisen. Auf eine Zahlung kann so-wohl eine Zahlung als auch eine Nicht-Zahlungfolgen – und damit erlaubt dieser Code eineenorme Flexibilität des Wirtschaftssystems imUmgang mit Informationen. Links und rechtslegen demgegenüber als politische Verortungenviel zu sehr fest. Man kann nicht einfach dieSeiten wechseln (im Sinne eines „crossing“ beiLuhmann).

Die meisten dieser Probleme gelten sowohlfür das Links-Rechts-Schema, als auch für dieUnterscheidung zwischen progressiv und kon-servativ, die Luhmann favorisiert hatte.Vielleicht auch deshalb hat sich Luhmann spä-ter umentschieden. Seit den Achtzigern bezeich-net er den Gegensatz zwischen Regierung undOpposition als den Code des politischen Sys-tems (1986; 1989). Dabei bezeichnete erzunächst noch progressiv-konservativ als Zweit-code (1986b, 20). Die Unterscheidung zwischenRegierung und Opposition liegt auf einer deut-lich anderen Ebene: Konservativ und progres-siv, links und rechts sind Ortsbestimmungen derpolitischen Landschaft. Sie sind damit auf ei-ner Beobachtungsebene angesiedelt. Regierungund Opposition hingegen liegen viel näher bei

der Logik des Formulierens politischer Entschei-dungen. Sie sind – wie alle Codes von Funk-tionssystemen – auf der operativen Ebene zufinden. Beide Ebenen sind nicht direkt aneinander gekoppelt. So konnten in Deutschland1998 Opposition und Regierung die Plätze tau-schen, ohne dass dabei auch konservativ undprogressiv, links und rechts ihre Bedeutungengetauscht hätten.

Aber auch auf der rein symbolischen Ebeneist der Aussagegehalt des Links-Rechts-Sche-mas begrenzt. Gerade wegen seiner Anschau-lichkeit und in seiner Allgegenwärtigkeit ersetztdas Links-Rechts-Schema meist die Frage, wasdahinter steht. In Konflikten genügt es oft aus-zumachen, welche Position rechts und welchelinks steht. Luhmann formulierte in diesem Sin-ne: „Was bleibt, ist das links/rechts-Schema, dases erlaubt bei wechselnden Themen politischeKonflikte zu inszenieren und dabei eine gewis-se Linientreue zu bewahren“ (2000, 95).Luhmann bemerkt in diesem Zusammenhangauch, „daß das links/rechts-Schema mitsamtseinen Erinnerungen an die französische Revo-lution oder die sozialistischen Ambitionen einrein politisches Schema ist ohne genaue Korre-late in der gesellschaftlichen Umwelt“ (Hervor-hebung im Original). Es handelt sich mithin umein Mittel des politischen Systems, seine Um-welt nach eigener Maßgabe zu betrachten unddabei intern Varietät zu erzeugen und Komple-xität zu reduzieren – wenn es auch kein Codeist.

Nach Dieter Fuchs und Hans-Dieter Klinge-mann (1990) stellt das Links-Rechts-Schemaeine Metakategorie dar. Das heißt, alle Diffe-renzen in politischen Einstellungen, Sachfragen,Werten und Parteipräferenzen werden an derLinks-Rechts-Dimension gemessen und ausge-richtet. Damit einher geht die Feststellung, dassdas Links-Rechts-Schema keinen festgelegtenInhalt hat, sondern in der Geschichte erhebli-chem Wandel unterworfen ist – je nachdem,welche Unterscheidungen gerade die politischeLandschaft dominieren und das Links-Rechts-Schema mit Inhalt füllen. So stand etwa inWesteuropa zu Beginn des 19. Jahrhunderts„links“ für die liberalen, republikanischen Kräf-te. Seit dem Aufstieg der Arbeiterbewegung

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hingegen rückten liberale Kräfte im Schemanach rechts. Und auf der linken Seite standennun sozialdemokratische, sozialistische undkommunistische Parteien. Damit erwies sich dasSchema als enorm anpassungsfähig und in derLage, immer neue Konfliktlinien zu repräsen-tieren – so lange sich diese einer eindimensio-nalen Reduktion fügen.

Der Ursprung des Schemas liegt in den Kon-flikten während und nach der französischenRevolution (Raschke 1998). Aus einer ursprüng-lich ungeordneten Sitzanordnung in der Natio-nalversammlung des Dritten Standes herausentwickelte sich bei einigen wenigen inhaltli-chen Auseinandersetzungen eine politische Ord-nung. Schon im Sommer 1789 setzten sich dieAbgeordneten in die Nähe ihrer Gesinnungsge-nossen, sodass eher konservativ gesinnte Ab-geordnete auf der rechten Seite des Parlamentssaßen und eher Progressive auf der linken Sei-te. In der Folge tauchten Links und Rechts alsIdentifizierungen im politischen Sprachge-brauch auf. 1791 lassen sich dann interne Dif-ferenzierungen in extreme und gemäßigte Ver-treter der jeweiligen Richtung ausmachen(Gauchet 1992). In den Ausführungen vonMarcel Gauchet lassen sich vor allem zweiFunktionen dieser Ordnungsbildung ausma-chen: Zunächst beschreibt Gauchet die Erleich-terung der Abgeordneten darüber, Gleichgesinn-te zu erkennen. Die Abgeordneten waren ur-sprünglich als Honoratioren ins Parlament ge-kommen und konnten mit Hilfe der Links-Rechts-Einordnung eine Identifikation des ei-genen politischen Standpunktes vornehmen.Und diese Identifikation lässt sich dann auchvon außen beobachten – von anderen Honora-tioren, aber auch von politischen Journalen undvon Wählern. In dieser Identifikations-möglichkeit liegt die erste Funktion des Links-Rechts-Schemas. Es erlaubt eine immense Re-duktion von Komplexität, indem Politik alleinauf ein Kontinuum zwischen zwei Extremwer-ten reduziert wird. Auf diesem Kontinuum sindPositionen eindeutig auszumachen – geradeauch in ihrem Verhältnis zu einander.

Eine solche Komplexitätsreduktion wäreprinzipiell ebenfalls mit einer komplexerenKonstruktion der politischen Landschaft mög-

lich, etwa mit einer Konstruktion von drei Ide-altypen oder in einer zweidimensionalen Ebene(solche Möglichkeiten sind Gegenstand deszweiten Abschnitts). Allerdings legt die zweiteFunktion des Links-Rechts-Schemas eine Re-duktion auf zwei Extremwerte nahe: BeiGauchet finden sich Hinweise darauf, dass sichdas Links-Rechts-Schema schon während derfranzösischen Revolution mit einer Zuordnungvon Mehrheit und Minderheit, nach 1815 auchmit der Gegenüberstellung von Regierung undOpposition verband. Da die Demokratie vonMehrheitsentscheidungen lebt, scheint sie vonihrer operativen Konstruktion eine Tendenz zurDichotomisierung der politischen Landschaftinne zu haben. Maurice Duverger nannte diesden „natürlichen politischen Dualismus“ (1951:303–305).

Schon die Operativität des politischen Sys-tems mit seinem Leitcode „Regierung/Opposi-tion“ fördert mithin eine eindimensionale Re-duktion der politischen Landschaft. An dieserStelle kommt es zu einer Kopplung zwischenden oben angesprochenen zwei Ebenen: deroperativen Ebene des politischen Systems undder davor liegenden Ebene einer symbolischenRepräsentation des politischen Systems. DieIdentitäten der politischen Akteure (Parteien,Strömungen, zum Teil auch Verbände) müssenin die Leitunterscheidung von Regierung undOpposition eingeordnet werden. Und dadurchkommt es fast natürlich zu einer Reduktion dersymbolischen Repräsentation auf eine Skala mitzwei Extremwerten. Dass dabei nicht alle Un-terschiede zwischen politischen Positionen an-gemessen dargestellt werden können, ist klar.Mit der Reduktion auf die Links-Rechts-Orien-tierung geht enorm viel Information verloren.Aber erst diese Komplexitätsreduktion erlaubtdie Identifikation von Identitäten im politischenRaum – in Differenz zu anderen Identitäten.

Das Links-Rechts-Schema ist nach alledemeine moderne Form der symbolischenOrdnungsbildung. Sie entsteht – darauf deutetGauchets Analyse, nachdem die hierarchischeOrdnung der Politik in feudal organisiertenMonarchien zusammen bricht. Die ersten Geh-versuche der demokratischen Selbstorganisationzeigen noch viel Verwirrung. Das Links-Rechts-

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Schema übernimmt in der Folge die symboli-sche Bestimmung des Gegensatzes zwischenRegierung und Opposition. In seiner extremenReduktion der politischen Positionen in eineDimension erleichtert es dem Publikum denBlick auf das politische System – und nichtzuletzt auch die Wahlentscheidung. Das Links-Rechts-Schema entsteht als emergentes Phäno-men im politischen System. „Darunter“ liegen-de vor- oder apolitische Prozesse spielen dabeieine untergeordnete Rolle. Wie Luhmannschreibt: Das Links-Rechts-Schema besitzt keinKorrelat in der gesellschaftlichen Umwelt (s.o.).Es ist allein der Operationsweise politischerKommunikation geschuldet.

2. Politische Landschaft

Wofür steht heute das Links-Rechts-Sche-ma? Und kann es die politischen Landschaftender Gegenwart angemessen repräsentieren?Oder besser gefragt: Welche Differenzen kannman mit der Unterscheidung zwischen Linksund Rechts nicht sehen? Am Ende des 20. Jahr-hunderts wurde einerseits das Links-Rechts-Schema für tot erklärt. Auf der anderen Seitewurden dritte Wege und andere Positionen jen-seits des Links-Rechts-Schemas propagiert.Diese Tendenzen sprechen dafür, dass die poli-tische Landschaft komplexer strukturiert ist,dass sie sich nicht von vorne herein einer eindi-mensionalen Reduktion fügt. Erleben wir da-mit heute den Abschied von links und rechts?Oder gibt es weiterhin einen validen Kern derUnterscheidung? Im Folgenden werden ver-schiedene Modelle der Rekonstruktion politi-scher Landschaften in westlichen Demokratienvorgestellt, beginnend mit dem Links-Rechts-Schema über die Dreiertypologie der CulturalTheory bis hin zu komplexeren zweidimensio-nalen Modellen. Als Fallbeispiele werden dieitalienische Erste Republik und das gegenwär-tige Parteiensystem Deutschlands herangezo-gen. „Politische Landschaft“ wird hier verstan-den als eine symbolische Matrix wechselseiti-ger Beobachtung mit Beziehungen der Anleh-nung und der Abgrenzung zwischen den Par-teien. Die theoretischen Grundlagen dieser

Sichtweise werden im letzten Abschnitt genauerausformuliert.

Die prominenteste inhaltliche Bestimmungdes Links-Rechts-Schemas stammt vonNorberto Bobbio (1994). Ihm zufolge steht„Links“ für die Überzeugung, dass Menschengrundsätzlich gleich sind und Strukturen sozia-ler Ungleichheit mit guten Gründen legitimiertwerden müssen. „Rechts“ hingegen sei die um-gekehrte Auffassung, dass Menschen grundsätz-lich ungleich sind. Hier stehen Versuche struk-tureller „Gleichmacherei“ – wie etwa im Wohl-fahrtsstaat – unter Legitimationsdruck. Anderepopuläre Vorschläge für eine ontisch-inhaltli-che Definition des Links-Rechts-Schemas sinddie Unterscheidungen zwischen progressiv undkonservativ, zwischen Kollektivismus und In-dividualismus, zwischen Sozialismus und Ka-pitalismus. Hiervon erscheint jedoch der Vor-schlag von Norberto Bobbio am überzeugends-ten – vor allem, weil er die historische Variabi-lität des Schemas unter einem sehr abstraktenLeitgesichtspunkt interpretiert. Auch deswegenist diese Fassung von anderen Autoren übernom-men worden (Giddens 1994, 251).

Allerdings hätte Bobbio leicht in seinem ei-genen Land sehen können, dass es sehr unter-schiedliche Vorstellungen der Ungleichheit vonMenschen gibt. In Italien war bis 1994 die Rech-te in die laizistischen Liberalen und die traditi-onell hierarchisch und katholisch geprägtenNeofaschisten und Monarchisten gespalten. InUmfragen wurden beide als rechts im politi-schen Spektrum verortet. Aber offenbar warenbeide auf sehr unterschiedliche Weise rechts.Giovanni Sartori versuchte diesem UmstandRechnung zu tragen, indem er das Parteien-spektrum Italiens zweidimensional darzustellenversuchte – mit den Dimensionen links-rechtsund konfessionell-laizistisch (Abb. 1).

Wenn aber das Links-Rechts-Schema nachKlingemann und Fuchs eine Metakate-gorisierung vornimmt – wie kann dann einepolitisch-weltanschauliche Dimension quer zumLinks-Rechts-Schema stehen? Im Sinne vonKlingemann und Fuchs müsste auch die Frageder Religiosität bzw. des Laizismus bereits indie Unterscheidung zwischen links und rechtseingehen. Dies geschah auch in Italien. Wie man

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in der Darstellung von Sartori ablesen kann, sindreligiöse Parteien tendenziell rechts und laizis-tische Parteien tendenziell links verortet. Aus-nahmen bilden lediglich die linke Strömung inder DC und die streng laizistische und antikom-munistische liberale Partei (PLI). Hier sind an-scheinend andere politisch-weltanschaulicheFaktoren stärker als die Position in der religiö-sen Frage.

Da in das Links-Rechts-Schema alle politi-schen Fragen eingehen, darf sie schon rein me-thodisch nicht eine Dimension in einer mehrdi-mensionale Darstellung der politischen Land-schaft darstellen. Denn keine andere Dimensi-on könnte unabhängig von der Global-schematisierung von links und rechts sein. Ei-nen solchen Fehler macht auch OddbjørnKnutsen, der das Links-Rechts-Schema hin-sichtlich seiner Erklärungskraft für Partei-Prä-ferenzen mit anderen Dimensionen wie Religi-osität, Materialismus/Postmaterialismus undStadt-Land vergleicht (1988). Wenig verwun-derlich ist denn auch sein Ergebnis: Die Unter-scheidung zwischen links und rechts seiweiterhin die wichtigste politische ‚Konflikt-

linie‘ in westeuropäischen Ländern. Denn in dasLinks-Rechts-Schema gehen ja als Meta-Unter-scheidung alle anderen Konfliktlinien mit ein –wie könnte da eine andere Dimension allein einehöhere Erklärungskraft haben? Besser verstehtman deshalb politische Landschaften, wenn mandie politischen Parteien alleine aufgrund ihrerPositionen zu politischen Fragen verortet, an-statt die Links-Rechts-Einordnung zu benutzen.Dies geschieht etwa in Abbildung 2 – einemalternativen Schema zur Rekonstruktion der ita-lienischen Parteienlandschaft bis 1994.DiesesSchema beruht auf drei Achsen. Die erste ver-läuft von oben nach unten und differenziert diekonfessionellen Parteien MSI (Neofaschisten)und die DC (Christdemokraten) von den Lai-zistischen. Eine zweite verläuft von rechts untennach links oben und unterscheidet Parteien, dieauf das Individuum vertrauen – v.a. Liberale(PLI) und Republikaner (PRI) – von Parteien,die für eine starke Rolle des Staates in der Ge-sellschaft eintreten wie die Kommunisten (PCI),der MSI und die DC. Die Positionen auf derdritten Achse bestimmen sich durch diewirtschafts- und sozialpolitischen Forderungen

Abbildung 1: Das Parteiensystem der Ersten Italienischen Republik (1946-1994) nach Giovanni Sartori

Sartori 1982: 22

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der Parteien. Links unten stehen die Kommu-nisten und die Sozialisten (PSI), die für sozial-staatliche Leistungen und Verstaatlichung vonBetrieben stehen. Auf der gegenüberliegendenSeite stehen PLI und MSI, die beide gegen denWohlfahrtsstaat und für freie Marktwirtschaftsprechen. Diese dritte Achse entspricht weitge-hend der konventionellen Einordnung der Par-teien in links und rechts. Da die drei Achsendes Modells in nur zwei Dimensionen liegen,sind sie nicht inhaltlich unabhängig von-einander. So treten individualistische Parteienauch für eine Trennung von Politik und Religi-on und für die freie Marktwirtschaft ein. Undstarke Befürworter des Sozialstaats sind tenden-ziell für einen starken Staat und laizistisch.

An diesem Schema kann man – in Verbin-dung mit den in Befragungen erhobenen Ein-stufungen der Parteien nach links und rechts –ablesen, dass das Links-Rechts-Schema im Ita-lien während des Kalten Krieges vor allem derPosition der Parteien zur Frage des Wohlfahrts-staates und staatlicher Eingriffe in die Wirtschaftfolgt – entlang der dritten Achse zwischen So-zialstaat und Marktwirtschaft. Damit verbunden

ist etwa die Frage der außenpolitischen Orien-tierung an den beiden Weltmächten USA undUdSSR. Dies spricht dafür, dass – zumindestwährend des Kalten Krieges – vor allem dieEinstellungen zur Klassenfrage, zu Sozialismusund Marktwirtschaft das Links-Rechts-Schemamit Inhalt gefüllt haben (Della Porta 2001, 51).Die Auseinandersetzung zwischen an Traditi-on, Ordnung und Hierarchie orientierten Kräf-ten wie den Neofaschisten (MSI) und solchen,die vor allem auf die Freiheit des Individuums(auch vor dem Staat) pochen (Liberale – PLI),wurde damit an den (rechten) Rand gedrängt.Dadurch wurden in Italien die Liberalen, dieChristdemokraten und die Neofaschisten alsähnlich rechts eingeordnet – obwohl sie etwa inder Frage der Religion in der Politik und desVerhältnisses zwischen Staat und Individuumvollkommen unterschiedliche Auffassungenhatten. Im 19. Jahrhundert noch hätten die Li-beralen als links und fortschrittlich gegolten. Einähnlicher Fall ist Großbritannien, wo dieLabour-Partei zu Beginn des 20. Jahrhundertsdie liberalen Whigs als Hauptgegenspieler derKonservativen ablöste.

Abbildung 2: Alternatives Modell des italienischen Parteiensystems 1946-1994

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Abbildung 3:Politik als Wechselspiel von Individualisten,Hierarchikern und Egalitariern

Sowohl in Großbritannien als auch in Itali-en war (bzw. ist) die politische Landschaft alsoeher an drei als an zwei Extremwerten orien-tiert. Damit deckt sich die Typisierung vonEgalitariern, Hierarchikern und Individualistenin der Cultural Theory von Mary Douglas undAaron Wildavsky (Douglas 1986; Thompson/Ellis/Wildavsky 1990). Die Egalitarier stehendabei für die Betonung der Gleichheit von Men-schen und die Ablehnung von Unterschieden inEinkommen und Status. Die Individualistenbetonen hingegen die Chancengleichheit und dieFreiheit des Individuums. Und die Hierarchikerstehen für eine Orientierung an Ordnung undTradition in Hierarchien. Neben diesen drei ak-tiven politischen „modes of life“ existieren derCultural Theory zufolge noch Fatalisten undEremiten, die aber beide in der politischen Öf-fentlichkeit keine aktive Rolle spielen – die Fa-talisten nicht, weil sie meinen, dass Politiksowieso keinen Unterschied in ihrem Lebenmachen könnte; und die Eremiten nicht, weilsie ständig alle Positionen nur hinterfragen, abernie eine eigene vertreten können. Dieser Ana-lyse zufolge wäre jede der drei Ecken im obi-gen Schema (Abb. 2) von einer der drei aktiven„modes of life“ ausgefüllt: Die Christdemo-kraten (DC) und die Neofaschisten (MSI) ver-treten vor allem hierarchische Werte. Die Libe-ralen (PLI) und die Republikaner (PRI) stehenfür Individualismus. Und die Kommunisten

(PCI) und die Sozialisten (PSI) sind eindeutigEgalitarier. Das oben dargestellte italienischenParteiensystems ließe sich damit verstehen alsein Ergebnis des Wechselspiels von Individua-listen, Hierarchikern und Egalitariern, in demdie Parteien Kristallisationspunkte von spezifi-schen Kombinationen wären (Abbildung 3).DenArbeiten der Cultural Theory zufolge ist diePolitik von wechselnden Allianzen zwischenEgalitariern, Hierarchikern und Individualistengeprägt. So verbündeten sich in den USA nachder Unabhängigkeitserklärung die Individualis-ten mit den schwächeren Egalitariern gegen dieHierarchiker. Die heutige Politik sei hingegendurch den Gegensatz von Individualisten undEgalitariern bestimmt, mit den schwächerenHierarchikern an der Seite der Individualisten(Wildavsky 1991). In Großbritannien und Itali-en steht eher das Gegeneinander zwischenHierarchikern und Egalitariern im Vordergrund– die Individualisten stellen hier schwächereParteien, die wenig Einfluss auf die Politik ha-ben. In Verbindung mit der Frage des Links-Rechts-Schemas müsste man diagnostizieren,dass heute Individualisten und Hierarchikermeist gleichermaßen als rechts eingestuft wer-den – im Gegensatz allein zu den linkenEgalitariern.

Es gibt also verschiedene Arten, rechts zusein und (im Sinne von Bobbio) die Ungleich-heit von Menschen zu betonen: Die Hierarchikerbauen auf die ordnungsbildende Kraft von tra-ditionell geprägten Statusunterschieden. DieIndividualisten hingegen fordern die Abwesen-heit von vorgängigen Ordnungen und die Chan-cengleichheit von Menschen, damit diese dannfür ihre Fähigkeiten und ihre Anstrengungen mitStatusunterschieden belohnt werden. DieserUnterschied zwischen Hierarchikern und Indi-vidualisten bleibt im heute dominierendenLinks-Rechts-Gegensatz außen vor. Die unzu-reichende Repräsentatitivität des Links-Rechts-Schemas bereitet dann vor allem den kleinerenPartnern in den Allianzen Schwierigkeiten: Siehaben alleine die Chance, sich in ihrer Politikeiner der dominierenden Gruppen anzuschlie-ßen, um so Mehrheiten zu erreichen. DieseJuniorpartner in Koalitionen (die nicht unbe-dingt als Koalitionen von Parteien geformt wer-

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den) können dann jedoch kaum die Eigen-ständigkeit ihrer Position deutlich machen. Diesgilt für die Egalitarier im 19. Jahrhundert, imheutigen Großbritannien und Italien für dieIndividualisten und in den USA für dieHierarchiker.

So viel an Erkenntnisgewinn die Dreier-typologie der Cultural Theory auch zulässt – siehat auch ihre Schwächen. Hier wird die Vielfaltpolitischer Positionen auf drei (bzw. fünf) Ty-pen reduziert. Thompson, Ellis und Wildavskyvermuten, dass allein diese Typen logisch-welt-anschaulich möglich sind – alleine sie entwi-ckeln ein konsistentes Weltbild. Deswegen seieine Clusterbildung um die fünf Typen Indivi-dualisten, Hierarchiker, Egalitarier, Fatalistenund Eremiten zu erwarten (1990, 13) – wobeija nur die ersten drei eine aktive Rolle in derpolitischen Meinungsbildung übernehmen.Doch wo finden sich in dieser Typologie dieNeuen Sozialen Bewegungen und die seit 1980in vielen Ländern gebildeten Grünen Parteien?Aaron Wildavsky subsumiert diese Phänomeneunter dem Stichwort „Radical Egalitarianism“.Dabei vermutet er, dass Engagement für ökolo-gische und emanzipatorische Belange einen Pro-test gegen die Logiken von Hierarchien undMärkten darstellen (Wildavsky 1991: 22, 74–94). Dadurch seien sie logisch mit einem Ein-satz für mehr soziale Gleichheit verbunden.Grüne politische Kräfte müssten demnachimmer auch für den Wohlfahrtsstaat und andereThemen der Arbeiterbewegung eintreten.

Zwar werden Grüne Parteien und die NeuenSozialen Bewegungen meist als links eingeord-net – auch die Mitglieder und Unterstützer ord-nen sich selbst als links ein. Aber hier zeigt sich,dass es auch unterschiedliche Arten der Beto-nung von Gleichheit der Menschen und damitdes Linksseins gibt. Die traditionelle Arbeiter-bewegung formulierte meist Forderungen nachmehr materieller Gleichheit – in Form von Lohn-anhebungen für die sozial Schwächeren und vonsozialer Sicherung. Das emanzipatorische En-gagement der Frauenbewegung, der Bürger-rechtsbewegung und der Grünen Parteien zieltjedoch auf Gleichheit von Chancen und auf dieAnerkennung kultureller Unterschiede und ver-schiedener Lebensweisen. Damit sind sie den

Individualisten der Cultural Theory näher alsden Egalitariern. Und die Ökologiebewegunghat durchaus ein eigenständiges Ziel, das sichnicht logisch auf Gleichheit der Menschen re-duzieren lässt. Hier steht der Protest gegen dieBlindheit der individualistischen Märkte und derstaatlichen Hierarchien gegenüber Nebenfolgenin ihrer Umwelt im Vordergrund. Daraus resul-tiert aber nicht zwingend die Forderung nachmaterieller Gleichheit oder Angleichung.

Vielfach haben Beobachter, die mit demLinks-Rechts-Schema arbeiten, deswegen zwi-schen zwei „linken“ Positionen unterschieden:Die „alte“ Linke wäre demnach durch Betonungvon ökonomischer Gleichheit und durch dieForderung staatlicher Eingriffe in die Wirtschaftcharakterisiert. Hier wären etwa die Kommu-nisten und die Sozialisten in der Ersten italieni-schen Republik oder die Sozialdemokraten unddie PDS in der Bundesrepublik einzuordnen. Die„neue“ Linke umfasse grüne und andere ökolo-gische und libertäre Parteien und die NeuenSozialen Bewegungen (Markovits / Gorski1993). Diese Kräfte zeichnen sich durch eineprinzipielle Skepsis gegenüber Machtstrukturenund staatlichen Eingriffen aus, durch die Beto-nung von Toleranz gegenüber kulturellen Un-terschieden und durch die Forderungen nachChancengleichheit (etwa der Geschlechter) undeiner ökologischen Ausrichtung von Politik.

Detlef Murphy und seine Mitautoren habendeswegen vermutet, dass sich die „linke Positi-on“ im politischen Kräftefeld verschiebt – wegvom traditionellen Kampf der Arbeiterbewe-gung hin zu einer fortschrittskritischen, eman-zipatorischen, ökologischen Position mit Beto-nung sozio-kultureller Unterschiede, wie sie vonden Neuen Sozialen Bewegungen und den grü-nen Parteien vertreten wird (1981, 405f.). Hin-ter einer solchen These steckt die Annahme, dasses tatsächlich nur eine linke und eine rechtePosition im „politischen Kräftefeld“ gibt. Die-se beiden Positionen könnten neu definiert wer-den (etwa durch eine „Neue Linke“ und eine„Neue Rechte“) – aber nicht aufgefächert inverschiedene „linke“ oder „rechte“ Positionen.Diese Annahme ist jedoch nicht haltbar. Genauso wenig, wie die Unterschiede zwischen derliberalen marktorientierten Rechten und der

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konservativen staatsorientierten Rechten durcheine Synthese ersetzt worden sind, müssen tra-ditionelle Linke und ökologisch-libertäre Lin-ke in einer gemeinsamen Position aufgehen (essei denn, ein Mehrheitswahlsystem erzwängeeine Reduktion auf zwei mehrheitsfähige Posi-tionen, wie in den USA, Großbritannien oderder Zweiten Italienischen Republik seit 1994).

Damit bleibt festzustellen, dass das Aufkom-men neuer ökologisch-libertärer Kräfte in derPolitik nicht zu einer Neuformierung zweierpolitischer Lager führen muss. Vielmehr sorgendie neuen Themen und Akteure für eine gestie-gene Komplexität der politischen Landschaft,die nun noch weniger als zuvor im eindimensi-onalen Links-Rechts-Schema einzufangen ist.Denn nun bestehen nicht nur mehrere „rechte“weltanschauliche Richtungen, sondern auchmehrere „linke“. Die Dreier-Typologie derCultural Theory ist demnach ein überholtesSchema, das zwar das alte Kräftefeld von egali-tärer Arbeiterbewegung, hierarchisch orientier-ten Konservativen und marktorientierten Libe-ralen abbilden kann. Aber das Aufkommen ei-ner neuen eigenständigen ökologisch-libertärenPosition kann mit ihr nicht erfasst werden. Fürdas Links-Rechts-Schema bedeutet diese Ent-wicklung aber nicht nur, dass seine Fähigkeit,die politische Landschaft abzubilden, schwin-det. Daneben ist auch eine Neuausrichtung desSchemas an den neuen politischen Themen zubeobachten: „Links“ steht jetzt zunehmend nichtnur für die Themen der traditionellen Arbeiter-bewegung, sondern auch für ökologische undemanzipatorische Belange – Post-Materialismusim Sinne Ronald Ingleharts (1997, 240–256,318–320; Kitschelt/Hellemans 1990). Materia-lismus und traditionelle autoritäre Werte hinge-gen (Individualisten und Hierarchiker in denBegriffen der Cultural Theory) wären eher„rechts“ zu verorten.

Wenn damit weder das Links-Rechts-Sche-ma, noch die Dreier-Typologie der CulturalTheory ausreichen, um die politische Landschaftangemessen wiederzugeben, regiert dannmöglicherweise die totale politische Ungeord-netheit (und damit Unübersichtlichkeit undBeliebigkeit politischer Positionen)? NachLipset und Rokkan könnte der politische Raum

von vier grundsätzlich verschiedenen Cleavagesdurchzogen werden (1967). Dabei geht es umdie Gegensätze zwischen Regionen, zwischenIdeologien, zwischen Interessen und zwischenEliten. Diese vier Konfliktlinien könnten prin-zipiell vier verschiedene Dimensionen aufspan-nen, in denen es allein sechzehn verschiedeneExtrempositionen gäbe. Vermutlich bereitete dieUnübersichtlichkeit eines solchen vierdi-mensionalen Raumes nicht nur der Darstellungs-fähigkeit von Politikwissenschaftlern Probleme,sondern auch den nach Orientierung suchendenWählern und politischen Akteuren selbst. DerKommunikation fehlte es in einem solchen Ar-rangement an Engführung, an Komplexitäts-reduktion. Politik würde damit zumindest erheb-lich erschwert.

Es spricht also einiges dafür, dass politischePositionen zwar nicht völlig ungeordnet vor-kommen, aber derzeit auch nicht einfach entlangdes eindimensionalen Links-Rechts-Schemasoder der Dreiertypologie der Cultural Theorydifferenziert sind. Ein komplexeres Bild ließesich etwa in einem zweidimensionalen Schemaeinfangen. Politikwissenschaftler arbeiten seitlängerem mit solchen Schemata, da vor allemdie Neuen Sozialen Bewegungen und die daraushervorgegangenen Grünen Parteien demParteienwettbewerb eine neue Komponente ge-geben haben (Wessels 1991). So gingen etwaWilhelm Bürklin, Claus Offe und HerbertKitschelt von einer Ansiedelung der Grünen aufeiner zweiten Dimension aus (Bürklin 1981;Offe 1985; Kitschelt 1988). Aber auch die ein-gangs zitierte Selbsteinschätzung der Grünenpostuliert eine neue Konfliktdimension. NachKitschelt sind die beiden Achsen der neuenParteienkonkurrenz auf der einen Seite im eta-blierten Gegensatz zwischen Arbeit und Kapi-tal, zwischen Verteilungsgerechtigkeit und frei-em Markt zu finden. Auf der anderen Seite kon-trastieren konservativ-autoritäre Einstellungen(Hierarchismus im Modell der Cultural Theory)mit libertären Werten wie Umweltschutz, Men-schenrechte und Emanzipation (Abb. 4).

Gegenüber der Typologie der CulturalTheory differenziert dieses Modell zwischen li-bertären Positionen und den Forderungen nachVerteilungsgerechtigkeit. Außerdem wird hier

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nicht von Clustern, sondern von Dimensionenausgegangen. Auch das oben vorgestellte drei-achsige Modell der Parteienlandschaft der Ers-ten italienischen Republik ist zweidimensionalaufgebaut und insofern mit Kitschelts Modellkompatibel. Für den Fall Deutschland hatRichard Stöss in einer empirischen Untersu-chung der Bundestagswahl von 1994 das Mo-dell von Kitschelt operationalisiert und getes-tet. Abbildung 5 stellt das Ergebnis seiner Un-tersuchung dar. Hier lässt sich leicht sehen, dasssich die Parteienkonkurrenz in Deutschlandkeinem eindimensionalen Schema fügt. Bei ei-ner Reduktion auf die Links-Rechts-Unterschei-dung gehen etwa wichtige Unterschiede zwi-schen SPD und Grünen, zwischen FDP undCDU/CSU verloren. Zugleich wird deutlich,dass sich mit dem Aufkommen neuer Wert-orientierungen die Parteienkonkurrenz verscho-ben hat.1 Auch eine Cluster-Bildung findet Stössempirisch nicht. Die Befragten sind tatsächlichrecht gut normalvertreilt um den mit „Alle“markierten Punkt (Stöss 1997, 169).

An diesem Schema lässt sich auch ablesen,dass die deutschen Grünen mit ihrer reklamier-ten Position jenseits des etablierten Links-Rechts-Schemas nicht unrecht haben: DasLinks-Rechts-Schema folgte früher alleine derFrage des Verhältnisses zwischen sozialer Ge-rechtigkeit und Marktfreiheit. Diese spielt je-doch für die Position der Grünen kaum eineRolle. Inzwischen sind libertäre und autoritäreWerte mit in die Bewertung als links oder rechtseingegangen (della Porta 2001, 103, 190). AlsFolge liegt die Links-Rechts-Dimension heuteetwa entlang der im Schema abgebildetenRegressionsgeraden. So wie sich die Haupt-gebiete der Parteienkonkurrenz verschoben ha-ben (Abb. 4), so haben sich auch die Inhalte vonlinks und rechts gewandelt. Aber auch von derneuen Links-Rechts-Dimension liegen die Grü-nen noch deutlich entfernt – sie fügen (wie auchin gewissem Sinne die Republikaner als „NeueRechte“ zu Beginn der Neunziger) der Parteien-konkurrenz in Deutschland eine neue Dimensi-on hinzu.

Kitschelt 1995: 15

Abbildung 4: Modell der Parteienkonkurrenz in Europa nach Herbert Kitschelt

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Abbildung 5: Die politische Landschaft in Deutschland 1994 nach Richard Stöss

Stöss 1997: 176

Links oder rechts oder ganz woanders? 13

3. Links, rechts, Regierung, Oppositionund die politische Landschaft

Die Funktion der Politik in der modernenGesellschaft liegt im Treffen und Durchsetzenvon kollektiv bindenden Entscheidungen. Aufdem Weg dahin müssen aber Forderungen andie Politik gebündelt und zu einander in Bezie-hung gesetzt werden, Allianzen geformt undAntagonismen formuliert werden. Denn in derfunktional differenzierten Gesellschaft ist vorjede Entscheidungsfindung eine symbolischeEbene geschaltet, auf der Inhalte den politischenAkteuren zugeordnet und die Akteure in ihrenAffinitäten und Abgrenzungen verortet werden.Hier werden Konflikpositionen formuliert unddie nötigen Bündnisse für die politischeEntscheidungsfindung geschmiedet.

Eine solche politisch-kulturelle Landschaftlässt sich gegenwärtig am ehesten zweidimen-sional denken. Das ist keine eherne Wahrheit,sondern lediglich der derzeitige Stand der For-schung. Auch kann sich diese Struktur über dieZeit hinweg radikal ändern. Dies geschah etwain der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mitdem Auftauchen und Erstarken der Arbeiterbe-wegung und am Ende des 20. Jahrhunderts mitdem zunehmenden Gegensatz zwischen liber-tären und autoritären Werten. Da auf dieser Ebe-ne aber bereits eine gewaltige Komplexität sym-bolisch geordnet werden muss, kann die poli-tisch-kulturelle Landschaft weder allzu komplexnoch völlig unstrukturiert sein. Es spricht alsoeiniges dafür, dass politische Landschaften amehesten ein- oder zweidimensional aufgebautsind. Um die Rahmenbedingungen und die Aus-prägung solcher politischer Landschaften bes-ser zu verstehen, soll im Folgenden ein kurzerBlick auf die Prozesse der symbolischen Kon-struktion von Parteienkonstellationen geworfenwerden (a). Abschließend sollen vor diesemHintergrund die eingangs formulierten Fragenbeantwortet werden (b).

(a) Parteien sind als politische Akteure inein soziales Feld mit spezifischen Rahmen-bedingungen eingebettet.2 In Mehrparteien-systemen steht gewissermaßen „über“ den Par-teien die Logik des politischen Entscheidens mitdem Gegensatz zwischen Regierung und Op-

position und der Notwendigkeit, politischeMehrheiten zu organisieren. Auf der anderenSeite konkurrieren Parteien um Wähler. DasPublikum bildet im Verhältnis zur Parteien-konkurrenz im Sinne Georg Simmels den „la-chenden Dritten“ – es kann zwar nicht selbstpolitisch tätig werden, profitiert aber vom Wi-derstreit der Parteien um Wählerstimmen(Simmel 1908: 135, 327f; Luhmann 1989: 21).Und nur in diesem Sinne kann man von einerParteiendemokratie als einer „Herrschaft desVolkes“ sprechen: Das Volk herrscht nicht di-rekt, sondern nur als Zünglein an der Waage inder Parteienkonkurrenz.

Das Verhältnis der Parteien untereinanderwird zunächst durch die Konkurrenz um daswählende Publikum bestimmt. In dieser Situa-tion versuchen die Parteien, sich von ihren Kon-kurrenzen abzugrenzen und dadurch ihre eige-ne unverwechselbare „Identität“ zu definieren.Parteien sind damit keine prädefinierten Einhei-ten, sondern müssen ihre Identitäten als politi-sche Akteure erst mühsam in ihrem Wechsel-spiel aushandeln. Dazu gehören natürlich Partei-programme und konkrete Vorschläge für politi-sche Entscheidungen. Aber diese Identitätsset-zungen von Parteien müssen immer flankiertwerden durch eine Verortung im Verhältnis zuanderen Parteien im Sinne von „Differenzset-zungen“. Wie Charles Tilly deutlich macht: Po-litische Identitäten bilden sich immer relationalzu anderen politischen Identitäten (1998: 7f,14f). Parteien sollten deshalb nicht als isolierteAkteure mit feststehenden Eigenschaften be-trachtet werden – sondern immer im Rahmendes Netzwerks anderer politischer Parteien, mitdenen sie um Wählerstimmen konkurrieren undvon denen sie sich abgrenzen müssen. Dennsoziale Identitäten als Zurechnungspunkte fürKommunikation entstehen immer in einemWechselspiel zwischen internen Prozessen undProzessen der Selbst- und Fremdzuschreibungim übergeordneten Netzwerk – seien es nun dieIdentitäten von Personen, von Parteien oder vonStaaten (Ikegami 2000; Fuhse 2003).

Die politische Landschaft ist nun die sym-bolische Repräsentation dieses Wechselspielsvon Parteien, in das sich andere politische Ak-teure (Intellektuelle, Verbände, soziale Bewe-

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gungen) zusätzlich einordnen können. Wiebereits angedeutet, brauchen sowohl die Akteureselbst, als auch das Publikum Anhaltspunkte fürdie Verortung der Parteien im Verhältniszueinander. Und dafür bedarf es einer symboli-schen Matrix politischer Identitäten, auf derenBasis Wahlentscheidungen getroffen und poli-tische Forderungen formuliert werden können.Für die Bundesrepublik Deutschland sieht die-se symbolische Matrix in Anlehnung an die obenvorgestellten empirischen Ergebnisse von Stössin etwa aus wie in Abbildung 6 dargestellt.

Dabei wird zum einen sichtbar, dass die Par-teien versuchen, den gesamten zur Verfügung

stehenden Raum relativ gut abzudecken. Wennsich irgendwo Lücken ergäben, müssten Partei-en versuchen, durch programmatische Änderun-gen oder durch auf diese Themen zielende Vor-schläge die dort mobilisierbaren Wähler zu er-reichen. Oder es könnte sich eine neue Parteibilden – wie die Grünen um 1980 herum, alsdie Neuen Sozialen Bewegungen einen Bedarfan Bearbeitung libertärer Themen aufzeigten.Gerade solche Dynamiken kann das vorliegen-de zweidimensionale Modell weit besser erklä-ren, als am Links-Rechts-Schema orientierte ein-dimensionale Modelle wie bei Anthony Downs(1957) und Giovanni Sartori (1982, 45–62).

Abbildung 6: Parteienkonkurrenz in Deutschland

Links oder rechts oder ganz woanders? 15

Zweitens fällt der relativ große Bereich auf,in dem sich SPD und die CDU/CSU (und ingeringerem Maße auch die FDP) Konkurrenzmachen. Der Grund hierfür ist, dass hier dieWähler zu finden sind, die über die Zusammen-setzung von Regierung und Opposition entschei-den. Denn auch wenn es gelingt, über die For-mulierung eines Politikangebots (als „Identität“einer Partei) Wähler an sich zu binden, müssenimmer noch politische Mehrheiten organisiertwerden. Dafür sind vor allem die Wähler in der„Mitte“ entscheidend, woraus sich auch die der-zeitige Popularität von Metaphern der „Mitte“in der Selbstverortung politischer Parteien er-klären lässt (Guggenberger/Hansen 1993). Wäh-rend es den Parteien auf der einen Seite um eineOrientierung am Publikum (und an den eige-nen Mitgliedern) geht, müssen sie sichandererseits auch an den Erfordernissen despolitischen Systems ausrichten.

Zu diesen Erfordernissen gehört vor allemder Gegensatz zwischen Regierung und Oppo-sition, der das eigentliche politische Entschei-den prägt. Alle Information aus der Umwelt despolitischen Systems wird immer daraufhin be-obachtet, was sie für einen Unterschied bei derVerteilung von Regierung und Oppositionmacht. Und auch die Kommunikation im poli-tischen System wird immer entweder auf dieRegierung oder auf die Opposition zugerech-net – oder an diese andressiert. Diese Code-orientierung des politischen Systems legt nahe,dass auch auf der davor geschalteten symboli-schen Ebene eine eindimensionale Struktu-rierung vorgenommen wird. An dieser Stelleliegt die Funktion des Links-Rechts-Schemas.Es erlaubt bei wechselnden Konflikten und The-men eine Vermittlung zwischen der komplexe-ren politischen Landschaft und dem Gegen-einander von Regierung und Opposition. Dafürfolgt das Links-Rechts-Schema dem Gegensatzvon regierungsbildenden und opponierendenParteien, der die Hauptlinie der Parteienkon-kurrenz bildet. Konstellationen, in denen aufdem Links-Rechts-Schema disparat verorteteParteien koalieren (etwa in Großen Koalitionen),müssten dieser Argumentation folgend eher dieAusnahme bleiben. Tendenziell werden Regie-rungskoalitionen aus Parteien gebildet, die zwi-

schen links und rechts ähnlich verortet werden.Das Links-Rechts-Schema ist damit eine wei-tere Reduktion der politischen Landschaft, diestärker an der Logik des Gegensatzes zwischenRegierung und Opposition orientiert ist.

Die eingangs formulierten Fragen sind dem-nach durchaus widersprüchlich zu beantworten:Ja, es gibt eine mehrdimensionale politischeLandschaft. Genau genommen ist diese ange-sichts der präsentierten Fallbeispiele gegenwär-tig am ehesten zweidimensional strukturiert.Und andererseits nein – es kann keine Positio-nen außerhalb des eindimensionalen Links-Rechts-Schema geben. Denn jede politischePosition bekommt auch nach der Reduktion aufeine Dimension einen Ort auf der Links-Rechts-Skala. Mittels der Unterscheidung von links undrechts (und Mittelpositionen) übersetzt das po-litische System die symbolische politische Land-schaft in seine operative Logik des Gegenübersvon Regierung und Opposition. Dies wird auchdie deutschen Grünen dazu gebracht haben, dieanfangs zitierte Reklamierung einer Position„jenseits des eindimensionalen Rechts-Links-Schemas“ nicht in das schließlich verabschie-dete Grundsatzprogramm aufzunehmen. Auchwenn die Grünen eine neue, eigene Perspektivein die Politik gebracht haben – eine politischeVerortung ohne die herkömmlichen Labels„links“ und „rechts“ fällt schwer.

Die Ironie dieses Arrangements liegteinerseits in dem damit verbundenen Informa-tionsverlust. Andererseits verlieren im Zuge die-ses Informationsverlustes die verschiedenenAkteure auch ein Stück weit ihre Identität imSinne der symbolisch formulierten Positionenim zweidimensionalen Raum. Dies stellt vorallem für Positionen jenseits der dominierendenRichtung der Parteienkonkurrenz ein Problemdar. Das galt etwa für die Liberalen in Italien,die im Gegensatz zwischen Christdemokratenund Kommunisten kaum je ihre eigenständigenInhalte verfolgen konnten. Sie galten in der po-litischen Kommunikation einfach als ebensorechts wie Neofaschisten und Christdemokraten.Ähnliches gilt für die Liberalen in Großbritan-nien und die FDP in Deutschland. Aber auchgrüne Parteien in Deutschland und anderswohaben noch immer damit zu kämpfen, dass die

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Hauptlinie der Parteienkonkurrenz an ihnenvorbei geht.

Dies scheint ein Grundproblem vonParteiendemokratien zu sein: Die politischenLandschaften erlauben sehr viel mehr an Kom-plexität, als sich im operativen Gegenüber vonRegierung und Opposition wieder finden lässt.Beide werden also mit inkonsistenten Erwartun-gen konfrontiert, weil etwa SPD-Wähler vonihrer Partei ganz andere Entscheidungen erwar-ten als Grün-Wähler von ihrer. Eine Überbrü-ckung dieses Problems läge im „talk“ – in derrhetorischen Befriedigung von Erwartungen, diedurch Entscheidungen nicht erfüllt werden kön-nen (Brunsson 1989, 26–31). Aber dass Partei-en – gerade Regierungsparteien – ihre Wählermit politischer Rhetorik wirklich zufrieden stel-len können, ist zu bezweifeln. Hier – so lässtsich vermuten – besitzen Oppositionsparteieneinen klaren strukturellen Vorteil: Sie müssennur gemeinsam opponieren, nicht gemeinsamentscheiden.

ANMERKUNGEN

1 In einem jüngst erschienenen Artikel vermutetKitschelt, dass sich die Hauptachse der Parteien-konkurrenz inzwischen noch weiter verschoben hat– bis hin zu einer Dominanz des Gegensatzes zwi-schen libertären und autoritären Orientierungen(2003, 129–131). Eine empirische Untermauerungdieser These fehlt aber.

2 Das setzt voraus, dass man überhaupt bereit ist, vonorganisierten Korporativen wie Parteien oder Ver-bänden als „Akteuren“ zu sprechen (Hindess 1986).„Akteure“ werden hier nicht verstanden als quasi-unabhängige handelnde Subjekte, sondern als Zu-rechnungspunkte für Handeln in sozialen Netzwer-ken (Schneider 1994; White 1992: 16, 196–199).Im sozialen Bereich „gibt“ es keine Subjekte undkeine Objekte, sondern immer nur Wechsel-wirkungen zwischen interdependenten Akteuren alsden Kristallisationspunkten zirkulärer Kom-munikationsprozesse (Elias 1980).

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AUTOR

Jan A. Fuhse, Studium der Politikwissenschaften ander FU Berlin und der Gesellschaftstheorie an derWarwick University (GB), wissenschaftlicher Mitarbei-ter für soziologische Theorie an der Universität Stuttgart.Forschungsschwerpunkte: to be added

Kontakt: to be addedE-mail: [email protected]

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Abstract

Jan A. Fuhse (Stuttgart)LINKS ODER RECHTS ODER GANZ WOANDERS?ZUR KONSTRUKTION DER POLITISCHENLANDSCHAFT

Ever since the French Revolution, political actorslocate themselves by distinguishing “left” and “right”.But increasingly, the emphasis is on middle positions ornew directions “beyond left and right”. Does this trendmark the two categories obsolete? Or does their persist-ence blind us from new perspectives on the political land-scape? The essay starts by discussing the role of the left-right scheme as a tool for orientation of political actorsand voters. Then, the content of the scheme is comparedto other means of categorising politics: the CulturalTheory triangle of Hierarchists, Egalitarians, and Indi-vidualists, and the two-dimensional mapping of HerbertKitschelt. In conclusion, a network theory of party sys-tems is presented, with the political landscape as a sym-bolic matrix of identity construction and mutual distanc-ing of political parties. The left-right scheme reducesthis political landscape to one dimension. Thus, thescheme accomplishes an important translation of politi-cal positions into the logics of the political system withits interplay between government and opposition. Onthe other hand, this reduction also makes for the blind-ing of certain political issues.