Literatur und Soziologie Themen : 1) Literatur in der Soziologie, Soziologie in der Literatur. Text:...

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Literatur und Soziologie Themen : 1) Literatur in der Soziologie, Soziologie in der Literatur. Text: Kuzmics/Mozetic, 9-34; Lepenies, 357-375 2) Klassische literatursoziologische Ansätze und Interpretation von Literatur Text: Kuzmics/Mozetic, 34-57; Link/Link-Heer, 216-217; Bourdieu, 75-115 3) Der soziale Hintergrund von Literatur Text: Williams 254-270; Kuzmics 31-48 4) Soziologische Methoden zwischen empiristischem Szientismus und textualistischer Herausforderung Text: Kuzmics/Mozetic 58-100; Geertz, 7-43 5) Literaturfreundliche Soziologien: Goffman, Elias Text: Kuzmics/Mozetic 101-121; 297-303; Goffman, 24-42

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Literatur und Soziologie

Themen : 1) Literatur in der Soziologie, Soziologie in der Literatur.

Text: Kuzmics/Mozetic, 9-34; Lepenies, 357-3752) Klassische literatursoziologische Ansätze und Interpretation von Literatur Text: Kuzmics/Mozetic, 34-57; Link/Link-Heer, 216-217;

Bourdieu, 75-1153) Der soziale Hintergrund von Literatur

Text: Williams 254-270; Kuzmics 31-484) Soziologische Methoden zwischen empiristischem Szientismus und

textualistischer Herausforderung Text: Kuzmics/Mozetic 58-100; Geertz, 7-43

5) Literaturfreundliche Soziologien: Goffman, EliasText: Kuzmics/Mozetic 101-121; 297-303; Goffman, 24-42

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Themen 2

6) Strukturalismus in der LiteraturwissenschaftText: Eagleton, 91-126; De Saussure, 76-

93; 147-1597) Poststrukturalismus und Dekonstruktionismus

Text: Eagleton, 127-150; Derrida, 9-488) Beispiele zur soziologischen Interpretation von Literatur 1 Text: Elias 1976, 26-36; Scheff/Retzinger 103-122; Elias 1989, 125-1519) Beispiele zur soziologischen Interpretation von Literatur 2 Text: Kuzmics/Mozetic 122-141; Hardy, 119-13510) Beispiele zur soziologischen Interpretation von Literatur 3: Text: Kuzmics/Mozetic 259-287

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Literatur in der Soziologie, Soziologie in der Literatur 1

• Das Nebeneinander von Roman und Soziologie im 19.Jahrhundert: „Deutungskonkurrenz“ hinsichtlich einer Lebenslehre der beginnenden Industriegesellschaft

• Vergleich Stendhal, Flaubert, Balzac mit Comte, dem Begründer der Soziologie: Empirische Fülle der Beobachtung gegen dürre begriffliche Abstraktion

• Zola versteht sich selbst als „Soziologe“: „Notizbücher“ als Ethnographie Frankreichs, Flaubert auf Landwirtschaftsausstellung

• Sinn und Grenzen des literarischen „Naturalismus“ in Faktendarstellung und theoretischer Interpretation

• Kritik des Naturalismus: wissenschaftlich zu grobschlächtig, schriftstellerisch zu schematisch

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Literatur in der Soziologie, Soziologie in der Literatur 2

• Wissenschaft kann langweilig sein, Roman muß interessant sein (Guyau 1987): was folgt für den Wahrheitsanspruch?

• Wissenschaftlicher Geist als Voraussetzung auch für literarische Beschreibung: Zwischen Beobachtung und „Phantasie“

• Broch: „Zwitterstellung des Romans“ zwischen Wirklichkeit und Kunst

• Musil: Dichtung ist das Herrschaftsgebiet des Nicht-Ratioiden; was sich nicht mit Exaktheit vorausberechnen läßt

• „Ästhetische“ Darstellungsprinzipien vs. reine Abbildung von Wirklichkeit

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Lepenies‘ „Die drei Kulturen“• Drei Länder: Frankreich, England, Deutschland• Spannung zwische „Szientismus“ und „Gefühl“

bzw. „Ästhetik“• E, F: Sozialwissenschaften nach dem Modell der

Naturwissenschaften, Literatur als Gegenüber• D: Soziologie zwischen Geschichtswissenschaft

und englischer Ökonomie; Literatur als „dritte Kultur“

• Lebensorientierung vs. Gestaltungs- und Anwendungswissen

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Literatur in der Soziologie, Soziologie in der Literatur 3

• Comtes Soziologie: Neue, positivwissenschaftliche Disziplin, die sich auf Beobachtung statt Phantasie gründet bzw. auf Gesetzmäßigkeiten des Sozialen wie in der Natur

• Historismus als Gegenprogramm: Vielfalt der Erscheinungen, keine Gesetze

• Lewis Coser: „We need to read Marx and Balzac, Max Weber and Proust. The understanding of one will be illuminated by the understanding of the other.“

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Mögliche Beziehungen zwischen Literatur und Soziologie in deskriptiver Hinsicht

Konkurrenz:Soziologie ist der Literatur überlegen, weil sie objektiv nachprüfbarer ist

Komplementarität:Literatur bedarf der Ergänzung durch Soziologie, weil sie theoretische bzw. empirische Defizite hat

Konkurrenz:Literatur ist der Soziologie überlegen, weil sie das abbildet, wozu letztere keinen Zutritt hat (z.B. Gefühle)

Komplementarität:Soziologie bedarf der Ergänzung durch Literatur, weil sie „Leben“ komplexer beschreibt

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Mögliche Beziehungen zwischen Literatur und Soziologie in nicht-deskriptiver Hinsicht

(Unterhaltung, Spannung, Rührung, Anklage, etc.)

Konkurrenz:Literatur ist der Soziologie überlegen, weil sie „spannender“ ist

Komplementarität:Literatur bedarf der Ergänzung durch Soziologie wegen des „Charmes des Faktischen“

Konkurrenz:Soziologie ist der Literatur überlegen, weil nichts spannender ist als die Wirklichkeit

Komplementarität:Soziologie bedarf der Ergänzung durch Literatur, weil diese Trockenes spannender macht

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Literatur in der Soziologie

1. Literatur als Illustration (Veranschaulichung der Soziologie); Bsp. Goffman, Coser, Dabaghian

2. Literatur als Quelle; Bsp. Gerschenkron zur SU, Löwenthal, Rockwell, Deegan, Bramsted

3. Literatur als Soziologie: als „Protosoziologie“ oder „Soziologie auch heute noch“; Bsp. Nisbet, Rockwell (Eliot, Jane Austen etc.), Lepenies (Th. Mann etc.)

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Lepenies zu T. Mann und M. Weber

• „Buddenbrooks“ als Vorwegnahme der Protestantischen Ethik von Max Weber und des Bürgers bei Sombart: asketischer Leistungsethiker als Heros der Moderne

• Der moderne Berufsmensch bei Weber: sparsam, fleißig, mäßig, demütig; Wahlverwandtschaft zur calvinistischen Ethik mit ihrer Gnadenwahlllehre; der Kaufmann in „Buddenbrooks“

• Thomas Manns „Betrachtungen eines Unpolitischen“ (1917) als Traktat gegen westliche Zivilisation, seinen Bruder Heinrich, gegen Zola und für deutsche gemütshafte Kultur und Kunst: zugleich auch antisoziologischer Affekt bei Mann

• Romain Rollands deutscher Held als Figur Mannscher Identifikation (Kritik an Frankreichs Dritter Republik)

• Seelisch-Menschliches vs. Soziologisch-Politisches• „der in Musik gesetzte Weber“ als Metapher für das Gefühl• Parallelen in der Gefühlsstruktur von Weber und Mann: heroischer

Kulturpessimismus• Mann später: Hinwendung zur Soziologie (Adorno, Weber); letzterer auch wegen

seines literarischen Stils• Webers „Judentum“ als Quelle für Manns „Joseph“

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Fragen:1. Was bedeutet die Idee, Soziologie wie Literatur könnten eine

„Lebenslehre der beginnenden Industriegesellschaft“ darstellen? Welche anderen praktischen Funktionen kann die Sozialwissenschaft noch haben und wie würde sich das auf Verwendung von Literatur auswirken?

2. Was könnte Musil meinen, wenn er von“Dichtung als dem Herrschaftsgebiet des Nicht-Ratioiden“ spricht?

3. Was gehört zum „Szientismus“ der Soziologie?4. Ist es gleichgültig, welche Art von Soziologieverständnis man hat,

wenn es um soziologische Fruchtbarkeit von Literatur geht?5. Was bedeutet „Literatur als Protosoziologie“?6. Was sind für Lepenies die wichtigsten Gemeinsamkeiten

zwischen Max Weber und Thomas Mann?

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Literatursoziologische Ansätze 1

• 2 empiristische Analysen: Griswold (1981): wie kann man Unterschiede zwischen amerikanischen und europäischen Romanen erklären? (130 Werke;1876-1910): Antwort: nicht durch andere Inhalte und Mentalitäten, sondern auf Grund des neuen Copy-Rights (1891), das amerikanische Romane schützt; Deegan 1981: Stereotyp der alleinstehenden Frau im US-Roman; Ergebnis: die meisten sind in untergeordneter Position; Schluß: Romane nehmen soziale Entwicklungen vorweg

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Marxistische Literatursoziologie• 2 gesellschaftstheoretische Analysen: Georg Lukacs‘

und Arnold Hausers marxistische Interpretation: Literatur als Überbau, der Licht auf Unterbau wirft (Lukacs 1961: Schriften zur Literatursoziologie; Realismus, nicht Naturalismus: Shakespeare, Goethe, Balzac, Tolstoi: Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft. Kritik: naiv und parteilich. Lukacs 1963: Die Eigenart des Äesthetischen: Signalsystem 1‘ – dichterische Sprache drückt das Unaussprechliche aus. Hauser 1988: Soziologie der Kunst: Kunst als Quelle der Erkenntnis; Wunsch- und Idealbild des Lebens; Kritik durch Zima 1995: literarische Texte kann man nicht in begriffliche Aussagen mit denotativem Charakter übersetzen

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Bourdieus Kunstsoziologie

• Jeder Schaffende steht in einem intellektuellen Kräftefeld

• Metapher des Feldes: Kraftlinien, kommunikativer Akt (Werk) erfolgt in eigenem „Feld“, definiert durch bestimmte Positionseigenschaften von Künstlern, Adressaten, Publikum, Mäzenen, Kritikern, Verlegern etc.

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Emanzipationsprozeß von Intellektuellen

• Mittelalter: Ritterhöfe• Renaissance, Höfische Gesellschaft:

Abhängigkeit von Aristokratie; Mäzene und Gönner; Lösung der Abhhängigkeit zuerst durch Theaterautoren (Publikum)

• Klassisches Zeitalter: Emanzipation der Bürger („Intelligentsia“); nun auch Emanzipation der Romanautoren: Verlagshäuser, Theater, kulturelle und wissenschaftliche Vereine; Verleger löst den „Patron“ ab

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19. Jahrhundert

• Romantik; Emanzipation des künstlerischen Wollens: l‘art pour l‘art

• Publikum als „anonyme Masse“ ersetzt kleinen, bekannten Kreis von Lesern

• = MARKT FÜR KUNST UND LITERATUR mit großer Konkurrenzdynamik

• Idealer Leser = alter ego• Entstehung institutionalisierter Kritik

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Neue Probleme der Künstler• Autonomisierung des literarischen Feldes• Autor hängt immer mehr vom Publikum ab• Konflikt zwischen künstlerischer, immanenter Notwendigkeit und

äußeren sozialen (=ökonomischen) Zwängen wird typisch• Genies werden sich ihrer Ausnahmestellung bewußt und

kommentieren sie (Marx, Flaubert): Neuer Raum der Kreativität• Innovation: Bsp. Robbe-Grillet („Letztes Jahr in Marienbad“):

Wandel vom Neo-Realisten zum Phantastisch-Imaginären; Definition der Bedeutung des Künstlers erfolgt immer mehr im autonomen kulturellen Feld: Propheten, Priester, Zauberer

• Rolle der Kritiker wird immer wichtiger• Auswahl des Verlegers wird immer wichtiger

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Künstlerische Öffentlichkeit

• Hierarchisch gegliederte kulturelle Legitimität: Theater (oben)……..Fernsehen (unten)

• Sanktionierte Produkte• Sakramentaler Zugang• Legitimation statt sachlicher Vermittlung

und Verbreitung: „höhere Weihe“ des Kunstbetriebs

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Schema der LegitimitätLegitimitätssphäre; Anspruch auf universelle Anerkennung; legitimierte Legitim.instanzen: Universität, Akademie: Orthodoxe Kultur vs. Häresie

Sphäre potentiellerLegi-timation

KonkurrierendeLegitimationsin-stanzen: Kritiker, literarische Gruppen

Sphäre sementarischer Legitimität

NichtlegitimierteLegitimationsin-stanzen:Modeschö-pfer, Werbung

Musik Film KleidungKosmetik

Malerei, Bildhauerei Foto KücheInneneinrichtung

Literatur, Theater Jazz Hobbies

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Künstlerische Autorität

• Autorität durch Persönlichkeit: Prophet• Autorität durch Institution: Priester• Autorität durch Magie/Charisma: Zauberer• Dialektik zwischen diesen Polen: Ordnung

vs. Kreativität und Innovation

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Fragen1. Versuchen Sie am Beispiel der Analyse von Schillers Glocke

(Link/Link-Heer) Stärken und Schwächen marxistischer Literaturinterpretation sichtbar zu machen! Inwieweit ist diese Interpretation realistisch, inwieweit trägt sie ästhetischen Eigenheiten des Genres Rechnung?

2. Überlegen Sie, inwieweit sich die literarischen Felder Österreichs und der USA unterscheiden mögen, je nach ihren wichtigsten Bestandteilen?

3. Warum sind – nach Bourdieu – die moderne Romanschriftsteller unter ständigem Innovationszwang? Und wer entscheidet über ihren Erfolg?

4. Warum unterscheiden sich – nach Bourdieu – die Zeitpunkte und das Ausmaß von bürgerlichen Emanzipationbemühungen in den Gattungen von Lyrik, Drama und Roman?

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Sozialer Hintergrund der Literatur (Williams)

• Was sind die Auswirkungen des sozialen Herkunftsstatus der Autoren auf ihre Literatur?

• Wie beeinflußt ihre Bildung die Literatur?• Wie beeinflußt die Art, wie sich Literaten

das Einkommen verdienen, ihre Literatur?• Welche Wirkungen haben ihre

Erwartungen über das Publikum auf ihre Literatur?

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Williams‘ Analyserahmen

• N = 350 Autoren, geb. von 1470 – 1920 • Soziale Herkunft:

– Adel– Gentry– Freie Berufe– Kaufleute– Händler– Bauern– Handwerker– Arbeiter

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Williams‘ Analyserahmen II

Bildung:• National Grammar (=Public School)• Local Grammar (Staatschule)• Dissenting Academy (religiöse Schule)• Privat (Hauslehrer)• Unis: Oxford, Cambridge, andere

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Williams‘ Analyserahmen III

• Einkünfte = „ways of living“– Unabhängig (Besitz)– Beschäftigt (außerhalb der Literatur)– Beruflich (auf dem Feld, auf dem Schriftsteller

bekannt ist)

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a) 1480-1530: Tudor-Literatur

• Literaten dieser Zeit sind fast ausnahmslos Adelige (18 von 21)

• Fast alle (17 von 21) kommen von den Universitäten Oxford und Cambridge

• Inhalt der Literatur: großteils Theologie, Pädagogik

• 10 von 21: Beruf in Kirche oder Universität

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b) 1530- 1580: Elisabethanische Literatur

• Weniger aristokratisch: 15 von 36: Adel und Gentry-Herkunft gg. 9: Freie Berufe und 12: Kaufleute, Händler, Handwerker

• Bildung: 27 von 36: Oxbridge• Einkünfte: 7 unabh., 11 beschäftigt als

Angehörige des Hofes, der Kirche, von Rechtsberufen, Universitäten, Privatlehrer; Rest: 18: Professionelle Schriftsteller (z.B. Shakespeare)

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1630-1680: Restaurationsperiode

• Adel, Gentry: 9 von 21• Freiberufliche Familien: 7• Handel und Handwerk: 5• Oxbridge: 13 von 21• Lebensunterhalt: einige Dramatiker an

Thatern, 8 abhängig Beschäftigte, 4 unabh. (Professionalisierung)

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Daniel Defoe

• Nach einem Stich in seinen "Gesammelten Werken" Daniel Foe (oder Defoe, wie er sich seit etwa 1703 nannte) wurde als Sohn eines Fleischers 1661 (oder 1660) zu London im Kirchspiel von St. Giles geboren. Sein Vater gehörte nicht der Hochkirche an, und auch der Sohn war eifriger Protestant (Nonkonformist). Da er schon früh gute Anlagen verriet, sollte er zum nonkonformistischen Geistlichen erzogen werden; allein er erkannte bald selbst, daß er zum Theologen nicht geeignet sei, und gab den Plan, zu studieren, umso mehr auf, als ihm seine religiöse Überzeugung Schwierigkeiten bereitete. Wegen Teilnahme an dem Aufstand des Herzogs von Monmouth gegen König Jakob II.war er für Jahre ins Ausland geflohen; nach seiner Rückkehr hatte er einen kaufmännischen Beruf ergriffen, hatte aber bald Bankrott gemacht und war bis über die Ohren in Schulden geraten. Derselbe Mann jedoch, der sich selbst nicht zu raten wusste, hatte gleichzeitig vortreffliche Projekte ausgearbeitet, die sich auf Errichtung oder Verbesserung nationaler Kreditanstalten, Banken und Sparkassen bezogen, hatte kluge Reformen des Versicherungs-, Schul-, Gerichts- und Gesundheitswesens befürwortet. Als man ihn nun wegen ironischer Verhöhnung kirchlicher Unduldsamkeit an den Pranger stellte, jubelte ihm das Volk zu, und kaum aus dem Gefängnis entlassen, gab er von 1704 ab eine einmal wöchentlich erscheinende Zeitschrift, "Die Rundschau" (Review), heraus.

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1780-1830: Viktorianische Periode

• Herkunft: - 25 von 57: Freie Berufe- 9 von 57: Adel und Gentry- 9 von 57: Kaufleute- 13 von 57: Händler, Handwerker, Bauern: höhere soziale Mobilität

• Bildung: 24 von 57: Oxbridge, 9 andere Unis

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1780-1830: Viktorianische Periode II

• Lebensunterhalt: Wandel: viele berufliche Schriftsteller, abh. von Markt; nur 9 von 57: unabh.; wenige Beruf außerhalb von literarischerArbeit

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1880-1930: Literatur des 20.Jh. (1.Hälfte)

• Herkunft:- 39 von 53: Oberschicht und Obere Mittelschicht (Gentry, Adel, Professionen)- 13 von 53: Unterschicht: Händler, Arbeiter, Bauern, Handwerker

• Bildung:– 32 von 53: Public School– 32 von 53: Oxbridge

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Williams‘ Schlußfolgerungen

• Wachstum einer nationalen Literatur ist nicht autonom, ohne Einfluß aus Gesellschaft und deren Institutionen

• Es verändert sich Art und Struktur des Publikums

• Die soziale Herkunft, Bildung und Art des Laebensunterhalts der Autoren hat einen Einfluß auf ihr Werk

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Veränderung in der sozialen Rekrutierung englischer Literaten

Tudor Klar aristokratisch

Elisabethanisch Öffnung

Jakobinische, Stuarts Rückschritt

Restauration Stark klassenzentriert

18. Jh. Mittelklassenliteratur

Ende des 18. Jh. Gemengelage; Individualisierung

19. Jh. Neue soziale Gruppen und Themen

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Veränderungen im Publikum

Elisabethanisch Indiv. Mittelklassenzuschauer; Opposition von kommerzieller Mittelklasse und Hof bzw. Adel

Stuart Verengung des Publikums

18. Jh. Organisiertes Mittelklassenpublikum

19. Jh. Fortsetzung, aber auch Schließung

20. Jh. Hauptströmung Mittelklasse, Unterschichteneinfluß; Amerikanisierung

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Defoes Moll Flanders• Individualisierung: 3 Aspekte (abgel. von Elias:

verschiedener, autonomer, abgetrennter• Ökonomisierung: homo oeconomicus als

Variante des „homo clausus“ • Bürgerliche utilitaristische Mittelklassenmoral• Rationalisierung als Haltung der Berechnung im

Alltag und auch bei nicht-ökonomischen Angelegenheiten (Liebe und Ehe; Zynismus der Midwife)

• Defoes sozialer Standort als Mittelklassenautor zwischen Gentry und Kommerz

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Fragen1. Was sind die Auswirkungen des sozialen

Herkunftsstatus der Autoren auf ihre Literatur? Versuchen Sie eine Interpretation am Beispiel von Defoes „Moll Flanders“

2. Wie beeinflußt ihre Bildung die Literatur? Diskutieren Sie das an einem Roman Ihrer Wahl!

3. Wie beeinflußt die Art, wie sich Literaten das Einkommen verdienen, ihre Literatur? Diskutieren Sie das an einem Roman Ihrer Wahl!

4. Welche Wirkungen haben ihre Erwartungen über das Publikum auf ihre Literatur? Versuchen Sie eine Interpretation am Beispiel von Defoes „Moll Flanders“!

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Soziologie zwischen empiristischen Szientismus und textualistischer Herausforderung

• Methodologischer Naturalismus (Modell der Naturwissenschaften verbindlich auch für Sozialwissenschaften)

• „Verstehender“, hermeneutischer Zugang: Orientierung am „Sinn“ von Handeln und Symbolen

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Merkmale des methodologischen Naturalismus

• Quantitative Variablen• Experimentelle Beobachtungen• Kausalaussagen über Zusammenhänge• Rückführung auf Gesetze• Methodologischer Holismus (z.B. Systemtheorie)

und Individualismus (z.B. Rational-Choice-Theorie) beide mit „Naturalismus“ verträglich

• Folge für soziologische Interpretation von Literatur: Geht nicht!

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Lasletts szientistische Kritik an soziologischer Literaturverwendung• Following Laslett, we need • to find a positive answer to these questions:• Since novels have also nondescriptive functions (to entertain, to

accuse, etc.), do they not distort reality by putting emphasis on these interests?

• Could the author not have invented what he describes?• Can literary evidence be confirmed by further, perhaps nonfictional

evidence?• Could the author have been in a position to know the social phenomena

from first-hand experience?• Fiction normally contains only vague, if any, statements of frequency (of

events, • properties, etc.) Are the proportions roughly accurate reflections of

reality?• A sociology of literary expression is needed which deals with the

problem: What kind of audience was addressed by what kind of message?

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Verstehende Soziologien• Verstehende Psychologien (mentale Zustände,

Emotionen, lebensweltliche Verstrickungen)• Webers „verstehende Soziologie“ : subjektiver Sinn als

zentrale Kategorie des Handelns• Schütz‘ Methode zur Erforschung der alltäglichen

Lebenswelt: Handlung als Entwurf, Selbst- und Fremdverstehen, Motiv und subjektiver Sínn

• Ethnomethodologie (Garfinkel): Alltagswissen und „Hervorbringung“ der sozialen Welt; Dokumentarische Interpretation; Konversationsanalyse (Sacks, Schegloff); Cicourel (Social Organization of Juvenile Justice 1968)

• Chicago-Schule: Teilnehmende Beobachtung, Feldforschung, Ethnographie: Robert E. Park, W.I. Thomas; Nähe zum Roman

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Textualistische Herausforderung

• Strukturalistische Strömungen, die Szientismus neu definieren wollen (De Saussure, Jakobson, Lévy-Strauss)

• Postmoderne „Dekonstruktion“ (sprachliches Relativitätsprinzip: Sprachform entspricht Lebensform (Wíttgenstein, Winch als Bezugsfiguren, Derrida, Hayden White, Clifford Geertz; R.H. Brown in Soziologie) – „Gesellschaft als Text“ - Brown

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Clifford Geertz: Dichte Beschreibung

• Kultur als Gewebe von Bedeutungen: semiotischer Kulturbegriff

• Deutung statt Gesetzen• Ryles Begriff der dichten Beschreibung am Beispiel des

Zuckens, Zwinkerns, Parodie des Zwinkerns, Üben der Parodie etc. – Rekonstruktion aller Bedeutungsschichten

• Anwendung auf ethnographisches Beispiel (Raub und Schadenersatz in Marokko)

• Deutung der Eingeborenen – Deutung von außen• Analogie zum Roman: Mme Bovarys Wissen - unseres

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Kriterien der Gültigkeit einer ethnographischen Beschreibung nach

Geerttz• Sie ist deutend• Was sie deutet, ist Ablauf eines sozialen

Diskurses• Das Gesagte wird dem vergänglichen

Augenblick entrissen und zum Typus erhoben• Sie ist mikroskopisch• Sie ist theoretisch (setzt Beschreibungen mit

existierendem Wissen in Beziehung)• Theorie ist Vokabular von relevanten Begriffen• Beschreibung ist nie abgeschlossen: zwischen

Subjektivismus und Kabbalismus

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Fragen:1. Wenden Sie Peter Lasletts Kanon auf Defoes „Moll

Flanders“ an. Was müßten wir idealerweise, was praktisch wissen, um unsere Interpretation als gültig erscheinen zu lassen?

2. Wo tauchen bei „Moll Flanders“ „Bedeutungen“ auf, die nach dem Verständnis etwa der Ethnomethodologie problematisiert werden müßten?

3. Wie sieht die „Heiratskultur“ in Defoes „Moll Flanders“ aus, und wie könnte man sich ihr mit Geertz nähern?

4. Wie kann man sich auch Makro-Gebilden (Staat, Markt) verstehend nähern?

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Literaturfreundliche Soziologien (Elias, Goffman, Scheff)

• Nicht jede Soziologie eignet sich für die soziologische Verwendung von Literatur

• Theorie: reicht von – Begrifflicher Analyse– Systematische Zudammenstellung von

Ergebnissen– Festlegung von „Variablen“– Deduktiv-nomologische Erklärungsmodelle

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Was sind „Daten“?

• Beiläufige Impressionen• Alltagsbeobachtungen• Vertextungen• Narrative Konstrukte• Quantitative Daten nach operationalen

Definitionen

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Ebenen soziologischer Analyse

• Makro: Staat, Markt, Arbeitsteilung, soziale Probleme auf gesamtgesellschaftlicher Ebene (z.B. Migration): Literatur keine gute Quelle

• Institutionen, Organisationen (z.B. Arbeitsamt, Schule, Polizei): Literatur schon eher geeignet

• Mikro: Face-to-face Kommunikation, Erfahrung und Erleben des einzelnen in Gruppen: Literatur hier legitime Quellen der Beobachtung

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Soziologien, die literaturfreundlich sind, müssen Beobachtungen über einzelne Menschen im Focus

haben• Interpretative Soziologien: Phänomenologie,

Ethnomethodologie, Interaktionismus: Goffman als Autor, der selbst viele literarische Beispiele verwendet (Preedy-Beispiel)

• Systemtheorie nur dann, wenn semantische Dimension (z.B. Luhmann: Liebe als „Code“) explizit für Beweisführung angesprochen wird

• Zivilisationstheorie als Verbindung von Makro- und Mikro-Perspektive: Staatsbildung und Entwicklung eines zivilisierteren Affekthaushalts

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Goffmans „Dramaturgisches Modell“

• Mensch als Schauspieler auf „Bühne“ (Vorder- und Hinterbühne)

• Erzeugt Ausdrücke, die beim anderen als „Publikum“ ankommen sollen (zum Zwecke von: verwirren, beleidigen, schmeicheln, verkaufen etc.)

• Er ist Teil eines kooperativen „Ensembles“• Im Publikum sitzen „Claqueure“ und „Spione“• Er/sie arbeitet an einer „Fassade“, die Teil des

„Bühnenbilds“ ist• Manöver können kooperativ sein („Takt“) oder verletzend

(„Punkte sammeln“)

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Elias‘ Zivilisationstheorie• Das Grundmodell von Zivilisationsprozessen: Zivilisierung

als gerichteter Strukturwandel von Psyche und Gesellschaft (Fremdzwang zu Selbstzwang)

• Empirische Indikatoren für den höfischen Zivilisationsprozeß (Elias) - Manieren, Etikettefibeln

• Makro-Modelle von Zivilisationsprozessen: Staatsbildung im Inneren und Äußeren: Zentrifugalmechanismus, Zentripetalmechanismus (=Monopolmechanismus), Königsmechanismus, Kollektivierung des Monopols von Gewalt und Steuern

• Nationale Varianten: Die Entwicklungsgänge Frankreichs, Englands und Deutschlands

• Die Übernahme von fremden Zivilisationsmodellen: Kolonisation, Diffusion oder Selbstbehauptung

• Die Informalisierung der Umgangsformen im 20.Jh.: Empirische Belege und theoretische Einordnung

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Realismusproblem der Soziologie per Literatur

1. Definiere das soziale bzw. soziologische Problem Deiner Arbeit2. Überlege, welche Theorie hilfreich ist3. Analysiere Literatur nach dem auch soziologisch „Typischen“ und

„Wichtigen“4. Stelle sicher, daß Literatur grundsätzlich „realistisch“ interpretiert werden

kann5. Absichten der Autoren, Eigentümlichkeiten von „Genres“ und literarischen

Stilmitteln müssen ermittelt werden und in Abzug gebracht werden (Lasletts Katalog)

6. Der Realismus muß sich auf das Wesentliche konzentrieren; z.B. ist ethnographische Korrektheit der Wiedergabe von Gesprächen nur selten nötig

7. „Beobachtung“ bedeutet nicht nur Wahrenhmung mit Auge, sondern umfassendere Schilderung von menschlichen Äußerungen und Artefakten auf allen sinnlichen Dimensionen, die der Beschreibung zugänglich sind

8. Checks der Gültigkeit umfassen: Verträglichkeit mit Alltagserfahrung, Überprüfung von Schauplätzen und historischen Daten

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Fragen:1. Diskutieren Sie das Goffman-Beispiel von „Preedy“

und seine Bedeutung für die Darstellung des Dramaturgischen Modells. Was macht seine Gültigkeit aus; illustriert oder erweitert es Goffmans Theorie?

2. Diskutieren Sie Goffmans Beispiele für die Analyse von „Asylen“. Was macht ihre Gültigkeit aus; illustrieren oder erweitern sie Goffmans Theorie?

3. Diskutieren Sie das Beispiel von Roths „Radetzkymarsch“. Welche Beschreibungs- und Erklärungsleistung gewinnen wir hier, welche Gültigkeitsprobleme tauchen auf?

4. Welche Probleme werfen Filme in Sachen „Realismus“ auf? Welche davon gelten auch für Literatur?

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Strukturalismus in der Literaturwissenschaft

• Eagletons Kritik am Strukturalismus: • Er ist idealistisch• Er erlaubt keine realistische Deutung von

Text oder Gesellschaft• Er reduziert alle Analyse auf synchrone

statt diachroner Strukturen und Vorgänge• Er analysiert Texte rein formal

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Aufbau des Kapitels: Eagletons Darstellung und Kritik des Strukturalismus

•Vor dem Strukturalismus: Fryes Theorie der „narrative modes“•Strukturalismus nach de Saussure, Jakobson, Lévy-Strauss, Greimas und Genette•Semiotik nach C. S. Peirce•Kritik durch Michail Bachtin•Nach dem Strukturalismus: Sprechakttheorie, Diskursanalyse

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Northrop Fryes „Anatomy of Criticism“ (1957

Vier narrative Kategorien:•Das Komische•Das Romantische•Das Tragische•Das Ironische

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Grundregeln des Strukturalismus

•Versucht, allgemeine Gesetze und Strukturen zu finden•Jedes Element hat nur Bedeutung durch Beziehung mit anderen•Struktur des Texts ist entscheidend, nicht die Wirklichkeit•Konträr zur klassischen Textinterpretation (Beispiel: Bub im Brunnen; konträr auch zu psychoanalyt. oder humanist, Deutungen)

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Strukturalistische Beziehungsformen

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Strukturalistische Beziehungsformen

• Parallele• Opposition• Inversion• Äquivalenz

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De Saussures Zeichentheorie

• Zeichen – Bezeichnung – Bezeichnetes• Bezeichnung als Verbindung zwischen

Lautbild und Vorstellung (kann auch vom Phonetischen abgelöst sein: nur im Kopf oder als Schriftbild)

• Zwei Grundeigenschaften: Beliebigkeit des Zeichens (abgekoppelt von Genese) und Linearer Charakter des Zeichens

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Linearer Charakter des Zeichens

• Verläuft in der Zeit• Hat Ausdehnung• Ist in einer Dimension (Linie) meßbar• Elemente treten nacheinander als Kette

auf

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Unveränderlichkeit des Zeichens

• Wie kommt es trotz Beliebigkeit des Zeichens zum fixen Charakter des Zeichens in der Sprachgemeinschaft?

• Kein bewußter Kontrakt• Der einzelne kann nichts ändern• Sprache hat Zwangscharakter• Gründe: 1)Beliebigkeit: Änderungen können sich

auf keine vernünftige Norm berufen; 2) Große Zahl der Zeichen kann nicht ersetzt werden; 3) Sprache ist ein kompliziertes System; 4) Beharrungsstreben des Volkes

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Veränderlichkeit der Zeichen

• Bei Saussure: Folge der Beliebigkeit der Zeichen!

• Zeit ändert alle Institutionen, daher auch Sprache

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Syntagmatische und assoziative Beziehungen

• Grundidee: In synchroner Betrachtung kommt es vor allem auf die Struktur der Beziehungen an; zwischen Elementen/Gliedern bestehen logische Verknüpfungen, die ein System bilden (= Struktur)

• Diachronische Betrachtung schrumpft zur Beziehung zwischen aufeinanderfolgenden Gliedern, ohne Bezug zur Realentwicklung von Wissen und Gesellschaft = Reduktion auf synchrone Perspektive

• Das Ausdrücken von Verschiedenheiten wird zur zentralen Aufgabe der Sprache

• Linearer Charakter: Syntagmen (Kombination durch Aneinanderreihung) und Assoziationen (z.B. Belehrung – Bekehrung)

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Syntagmen• Morpheme und Sätze werden zu Syntagmen

kombiniert (Bsp. Schmerz- lich, -los, etc.)• Völlige und relative Beliebigkeit vs. Motiviertheit

(elf vs. drei-zehn)• Jedes Glied wird durch Gesamtanordnung

kombiniert (innersprachlich, ohne Bezug zur Objektwelt)

• Zwei Pole: Organisation (grammatikalische Sprachen; Latein) und Beliebigkeit (lexikologische Sprachen; Englisch, Chinesisch

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Anwendungsfeld des Strukturalismus

• Sprache• Mythos• Institutionen (Verwandtschaft, Essen,

Malerei, Architektur – alles Zeichensysteme: Gesellschaft als Text)

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Einfluß des Strukturalismus

• Russische Formalisten (Jakobson; formale Analyse des Informationsprozesses durch Sprache: Adressant, Adressat, Botschaft, Code, Kontakt, Kontext, auf den Botschaft Bezug nimmt)

• Tschechische Strukturalisten• Lévy-Strauss (Verwandtschaft, Mythen;

Baudelaires Gedichte)

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Sprache ist....

• Emotiv – Konativ (wirkungsorientiert) – referentiell (bezüglich)

• Metalinguistisch (phatisch= refektiert den Akt der Kommunikation; poetisch=akzentuiert Botschaft durch Metaphern („Flamme“ für Leidenschaft)und Metonymie (Flugzeug – Flügel – Himmel; sportliche Zahnpasta

• Interpretation ist bestimmt durch strukturelle Einheit des Werks

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Semiotik - Sprachphilosophie• C. S. Peirce: Ikonische (Ähnlichkeit zwischen Zeichen

und Gegenstand), indexikalische (Rauch – Feuer) und symbolische Zeichen (willkürlich)

• Austin und Searle: Sprechakttheorie (performative; illokutionäre und perlokutionäre Sprechakte)

• Denotation – Konnotation (was mit Zeichen assoziiert wird)

• Codes, Nachrichten, paradigmatische (füreinander austauschbare)und syntagmatische (durch Kettenbeziehung definierte) Zeichen

• Metasprache: Abb. einer Sprachge in einer anderen• Polysemie: Zeichen mit Mehrdeutigkeit

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Folgen des Strukturalismus in Literaturwissenschschaft

• Bruch mit konventioneller, am Common-sense orientierten Deutung von Texten

• Ende des Wirklichkeitsbezugs• „De-centring the subject“ – es kommt nicht mehr auf Genese von

Texten und die Bedeutung in den Hirnen der Schreiber und Leser an; „Mythen denken sich durch Leute“

• Entmystifizierung• Suche nach Tiefenstruktur+• Alles ist ein Konstrukt• Alle Texte sind gleichwertig• Ende humanistischer Ästhetik• Philosophischer Idealismus

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Kritik des Strukturalismus

• Gesellschaftsbezogene Analyse von Michail Bachtin

• Rezeptionstheorie• Diskursanalyse • Post-Strukturalismus

(Dekonstruktionismus)• Wissenssoziologische Relationierung

(Elias: Symboltheorie)

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Fragen:

• 1) Versuchen Sie eine strukturalistische Interpretation eines Ihnen bekannten Märchens!

• 2) Bestimmen Sie metaphorische und metonymische Eigenschaften von Werbetexten!

• 3) Wie begründet Eagleton seine Kritik am Strukturalismus in der Literaturwissenschaft?

• 4) Was bedeutet der Strukturalismus für die Idee von Literatur als Soziologie?

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Poststrukturalismus in der Literaturwissenschaft (Eagleton)

• Probleme der strukturalistischen Interpretation:– Idee von der Bedeutung von Bezeichnungen durch Bestimmung

ihrer Differenzen scheitert an Offenheit von möglichen Bezeichnungen für jeweiliges „Bezeichnetes: wo sind klare Grenzen?

– Bedeutung ist im Zeichen nicht unmittelbar gegenwärtig/anwesend: Bestimmung durch Abwesendes und Veränderung im Prozeß der Entzifferung (Geschichte der Interpretation)

– Texte gewinnen ein Eigenleben,können von anderen verwendet und in der Bedeutung verändert werden: gegen „Logozentrismus“, Orientierung am definitiven „Wort“. (Insbesondere in transzendentaler Verankerung)

– Daher: Genese der Bedeutungen (Freiheit, Familie etc.) muß rekonstruiert werden, um sie verstehen zu können: Genealogie

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Poststrukturalismus bedeutet Interesse für die Diskurse, in denen Bedeutungen entstehen und

sich verändern

• Schreiben als Prozeß der Konstruktion von Bedeutungen (offen auch für nichttextliche Ursprünge)

• „Dekonstruktion“ als Mittel der Analyse• Autoren: Jacques Derrida und Paul de

Man, Michel Foucault, Jacques Lacan, Julia Kristeva

• Feindbild: „Realismus“ der literarischen Interpretation

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Anfänge des Poststrukturalismus• Roland Barthes: Vom Strukturalisten zum Poststrukturalisten; Bruch

mit Studie über Balzac‘s „Sarrasine“ (S/Z 1970) – der Leser wird selbst zum Produzenten, offen für alle Bedeutungen, plural und diffus

• Text wird zum Gewebe ohne Ende und Anfang• Texte zeugen wieder Texte; es gibt keine literarische „Originalität“:

alles ist „intertextual“• „Tod des Autors“ – seine Biographie ist auch nur ein Text unter vielen• Balzacs Geschichte wird in fünf Codes studiert: narrativ,

hermeneutisch, kulturell, „semisch“ (= Konnotationen), symbolisch• Beziehung des Texts zu Krise der literarischen Darstellung, der

sexuellen Beziehungen und des ökonomischen Austauschs• Poststrukturalismus als eine Antwort auf Krise des intellektuellen

Verständnisses von der Moderne im Jahre 1968:statt dem Staat wird die Sprache revolutioniert; Ergebnis: eine Art Anarchie und Philosophie des Zweifels: Nichts ist „wahr“

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Derrida: Dekonstruktionismus als politische Praxis (Text: Dem Archiv verschrieben)

• Ziel: Dekonstruktion Freudscher Begriffe• Mittel: Herstellung einer Beziehung zwischen

dem kanonisierten, „archivierten“ Verständnis von seiner Theorie und der „Spurensuche“ nach den verschiedensten Sichtweisen, Metaphern und ihren Entsehungsbedingungen bis zum Körper des jungen Freud (Beschneidung)

• „Die Archivierung bringt das Ereignis in gleichem Maße hervor, wie sie es aufzeichnet“

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Schritte Derridas• Arché = Anfang und Gebot; Abfolgeordnung vs.

Befehlsordnung• Bewahrung = Gesetz• „Archonten“ legen es aus• Ihre Macht: Vereinheitlichung, Identifizierung,

Einordnung• Anwendung auf Freud: Was ist Theorie, was

Korrespondenz? Was gehört zum System? Was gehört zu seiner (Auto-)Biographie? Sind seine eigenen Klassifikationen verbindlich?

• Zwei Orte der Einschreibung: Buchdruck und Beschneidung; durch sie wirken alle Einflüsse

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Problem: Todestrieb/Aggressionstrieb/Lustprinzip

• Destruktionstrieb: treibt in Vernichtung, auch des Gedächtnisses (=Archiv)

• „Wunderblock“ (=Gedächtnisstütze aus natürlichem Wachs, Bild für den „psychischen Apparat“)

• Von der Metapher zum geronnenen Begriff, zur Topik von Ich, Es, Über-Ich

• Archivübel (Destruktionstrieb) vs. Archivtrieb (Erhaltungstrieb)

• Beschneidung als Text in Freuds Körper und konstitutiv für seine Verankerung im Judentum, das auch seine Theorie prägt: Biographie als Text, dessen Sinnschichten dekonstruiert werden können.

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Fragen• 1. Was ist die Begründung der Poststrukturalisten

für die Abkehr vom Strukturalismus (nach Eagleton)?

• 2. Was bedeutet Dekonstruktionismus für die Analyse von Literatur als Soziologie?

• 3. Welche Folgen hat die Anerkennung von Intertextualität für die realistische Interpretation? (Überlegen Sie an einem literarischen Beispiel)

• 4. Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen dem Dekonstruktionismus und dem Kriterienkatalog von Peter Laslett?

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Beispiele: Scheff und Elias• Elias: Das Verhältnis zwischen der bürgerlichen

deutschen Intelligenz zu den höfisch-aristokratischen Gruppen (1. Text)

Wahrnehmung der Unterschiede im Verhalten und Gefühlsleben zwischen den Schichten, gesehen von „unten“Unterschiede der Wünsche, der MoralUnterschied zwischen deutscher „Kultur“ und französischer „Zivilisation“

• Elias: Deutsche Burschenschaften (2. Text)– Entstehung eines neuen deutschen Habitus– Härte, Mitleidlosigkeit– Formierung einer neuen „guten Gesellschaft“

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Scheffs Lektüre von Goethes „Werther“

• Themen: emotionssoziologische Deutung des Romans:– Nicht anerkannte (übergangene) Scham– Scham-Wut-Sequenzen als Grund für Werthers

Selbstmord– Unbewußte Rache– Liebe und Vernarrtheit– Konformität, Entfremdung und soziale Bindung– Goethes Rache

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Das Verhältnis zwischen der bürgerlichen deutschen Intelligenz zu den höfisch-

aristokratischen Gruppen (1. Text)

• Sophie de la Roche, Das Fräulein von Sternheim: Interpretation unter soziologischen Vorzeichen

• Sentimentalität und emotionale Ambivalenz gegenüber dem höfischen, sozial überlegenen Verführer

• Moralische Überlegenheit als Kompensation ständischer Unterlegenheit• Tugend vs. Laster (Putzsucht, Sex)• Bildung vs. Manieren• Universität und Pfarrei als Gegenstück zum Hof• Beginn des deutschen Nationalgefühls in Kontrast zum Franzosentum• Höfischer Bösewicht spricht mit Stimme der mittelständischen Tugend• Caroline von Wolzogen, Agnes von Lilien: Tugend vs. Ehre• Der Fürst und die höfische Hierarchie als Inkarnation höfischer Manieren vs.

Bildung und Tugend• Der soziale Formraum deutscher bürgerlicher Intelligenz: Stolz auf das

„Geistige“, Verachtung für die äußerliche Zivilisation

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Elias: Deutsche Burschenschaften (2. Text)

• Rigide Formalisierung als Ergebnis der Sozialisation in Burschenschaften

• Herausbildung einer „satisfaktionsfähigen“ neuen deutschen guten Gesellschaft: Neuer Habitus

• Fremdzwang statt Selbstzwang• Duell und Ehre statt Gewissen• Militarisierung des Bürgertums• Formalitäts-Informalitäts-Gefälle• Walter Bloem, Der krasse Fuchs: soziologische

Interpretation• Mensur als Erziehungsmittel: Härte

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Helen Lewis (1971) und die Entdeckung der nicht anerkannten Scham

• Scham als „low-visibility-emotion“• Scham als Teil einer prozessualen Abfolge

von Emotionen: Scham-Wut; Scham-Wut-Schuld

• Scham als Teil einer „Gefühlsfalle“• Scham und die soziale Bindung• Individualismus als Gefährdung sozialer

Bindung

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Goethes Werther, emotionssoziologisch interpretiert

• Gefühlsfalle -------- „shame – humiliated fury“• Haß- Ressentiment: Scham-Wut-Sequenz, nach außen gerichtet• Schuld: Scham-Wut-Sequenz, nach innen (auf einen selbst) gerichtet• Zurückweisung und Rache folgen dreifacher Scham-Wut-Spirale• Statt Liebe – Trauer wegen unerfüllter Liebe: Werthers Selbstmord ist Folge

von Demütigung und unbewußter Rache• Zwei Themen im Roman: Beziehung Werther-Lotte (Romanze), Beziehung

Werther-Graf (politisches Thema)• Grundlage des Romans: autobiographisch und biographisch (nicht fiktional)• Goethe als Meister der part-whole-Analyse, aber selbst unbewußt puncto

Scham: Unbewußte Rache• Werthers bewußte Gedanken sind Rationalisierungen unbewußter Gefühle:

Zurückweisung – Demütigung – Rache• Wirkung bei Lotte: Schuld• Entfremdung und Vernarrtheit bei beiden als Ergenbis von Täuschung und

Selbsttäuschung

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Fragen1. Was muß man soziologisch wissen, um die

Romane so interpretieren zu können, wie Elias es tut?

2. Was muß man soziologisch wissen, um Goethes Werther so interpretieren zu können, wie Scheff es tut?

3. Inwieweit profitiert Elias soziologisch von der Literatur, die er verwendet?

4. Inwieweit profitiert Scheff soziologisch von der Literatur, die er verwendet?

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Beispiele zur soziologischen Interpretation von Literatur: Fontanes „Effi Briest“

• 1. Chances and Limits of Female Individualisation in Fontane‘s „Effi Briest“2. Female Individualisation in Trollope: the example of Alice Vavasor3. Duel and Male Honour in Prussia and England4. A Critique of Realist Interpretations of Literature in the Social Sciencesand Literary Criticsm5. Fate, Honour and the Prusso-German Habitus

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Aspekte der Individualisierung

• Separation from others and oneself• Autonomy – opportunities of choice• Difference• Self-control, self-regulation, conscience

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Themen• Übergang von aristokratischer zu stärker bürgerlicher Lebensweise• Vergleich zweier Heldinnen in ähnlichen Konfliktlagen:• Zwischen konventioneller Pflicht und individueller Aspiration,• zwischen verschiedenen Typen von Männern, die wiederum schwierige Wahlen• auf einem breiten Kontinuum zwischen Ehre und Karriere zu treffen haben.• Soziale Beziehungen zwischen Gleich- und Höher- und Tiefergestellten im

Netzwerk aristokratischer und großbürgerlicher Familien• Emotionen der Frustration und Strategien der Manipulation sozialer Distanz bei

beiden Heldinnen• Vergleich von England und Preußen/Deutschland: Elias’ Einsichten aus „Studien

über die Deutschen“• England: Lange Geschichte der Kommerzialisierung, wechselseitige

Durchdringung von Mittel- und Oberschichten-Codes mit dem Akzent auf friedlichem Verhalten (reserve, privacy)

• Deutschland: Modernisierung unter dem Vorzeichen der Modelle einer alten Kriegerkaste (Duell); Feudalisierung des Bürgertums

• Effi wird von den Kräften des Schicksals zermalmt, Alice kann sich locker verbessern

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Realism“, sociological interpretation and the skepticism from Literary Studies in the case of „Effi Briest“

• No documentary realism: The real „Effi“ survived, the locations have been changed (Müller-Seidel 1975); no phonetically correct transscriptions of 19th century discourse

• Effi as Cinderella or Käthchen von Heilbronn (Gilbert 1979) or Efffi as Mermaid (Bindokat 1984)

• The novel‘s allusions and quotations from older texts (Brentano‘s „God‘s Wall) (Mhic Fhionbairr 1985)

• The symbolic use of colours (red, green, blue, yellow) as means to denote metaphors for passions (Structuralist interpretation by Faucher 1973)

• Between „mimetic and poetic realism“ : use of metaphors (the girdle of ice around the heart of Jenny Treibel‘s mother in law) (Mecklenburg 1991)

• Question: Does this destroy the claim that Fontane represents reality in a sociologically typifying way? – I think not!!!

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Literaturwissenschaftliche Interpretation:Barbara

Hardy,Tellers and Listeners in Effi Briest • Konzentration auf verschiedene

Geschichten, die in Fontanes Roman erzählt werden und ästhetische (mimetische) Stilmittel bilden:– Liebesgeschichten– Geistergeschichten (Kapitän, chinesischer

Diener, Braut, die am Hochzeitstag verschwindet)

– Viele verschiedene Erzähler im Roman– Viele verschiedene Zuhörer im Roman

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Wirkungen der Geister- und Liebesgeschichten in „Effi Briest“

• Sie sind reflexiv • haben psychische und soziale Funktionen im Roman

(dunkle Stimmung, Unausweichlichkeit)• betonen manche Themen (die Leiden von Frauen puncto

Sex, Liebe, Heirat, Mutterschaft)• verallgemeinern (Liebe bei Effi, ihrer Mutter, Frau Kruse,

der Tripelli, Roswitha)• dekonstruieren Formen und Figuren des Romans (z.B.

durch Zeitungsberichte)• kommentieren die im Roman erzählten Begebenheiten• ermöglichen Analogien und Kontraste• unterminieren Realismus

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Effis drei Geschichten nach Hardy

1. Direkt, naiv, enthüllend: junges Mädchen in Unschuld und Unwissenheit – Thema von Heirat, Liebe und Tragik, die anderswo spielt; Ende der Kindheit

2. Widerstand vor der Verführung: Gottesmauergeschichte: Effi ist reflexiv und beantwortet Literatur mit Literatur

3. Amüsierte, ironische, gebrochene Geschichte, die sie ihrer Mutter erzählt und die ihre Hinnahme eines frühen Todes ankündigt

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Fragen1. Überlegen Sie am Beispiel der Texte von Fontane und

Trollope, welche Informationen man braucht, um ihren sozial typisierbaren Figuren und Ereignissen Realismus zu attestieren.

2. Inwieweit schaden poetische Figuren und literarische Zitate (Beispiel „Gottesmauer“) dem realistischen Anspruch des Romans oder nutzen sie ihm sogar? (vgl. Hardys Kommentar)

3. Was muß man soziologisch-theoretisch wissen, um Fontanes Roman sinnvoll realistisch interpretieren zu können (Vergleich England – Deutschland etc.)

4. Inwieweit reduziert die Verwendung der Geistergeschichte als Stilmittel den realistischen Anspruch des Romans (nach welchen Kriterien)?

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Beispiele zur soziologischen Analyse von Literatur: Innerhofers „Schöne Tage“

• Vergleich eines „realistischen“, gesellschaftkritischen Romans (aus der Außenseiter-Perspektive) mit einem weiteren literarischen Text (Peter Rosegger; auch kritisch, aber Einfluß bürgerlicher Romatik) und sozialhistorischer Literatur

• Die ländliche Arbeit und Familie knapp vor der Umwälzung durch Markt und Technik (Salzburg, 50er Jahre)

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Soziologische Rätsel

• Zivilisierung bäuerlicher Arbeit• Kontrast zur weniger zivilisierten

Gesindewirtschaft• vormoderne Formen der Arbeit mit face-to-

face-Charakter der „Gemeinschaft“• Arbeit, Macht und Gewalt vor der

Industrialisierung: Ist die Industrialisierung in jeder Hinsicht „neu“?

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Ergebnisse

• Hohes Ausmaß von Gewalt, verbunden mit hohem Niveau körperlicher Anstrengung

• Kurze Handlungsketten, wenig Naturkontrolle, wenig Selbstkontrolle: niedriger Stand der Zivilisation

• Sozialisation von Kindern findet im Arbeitskontext statt• Komplexe Funktionshierarchie schon vor der modernen

Organisation erzeugt Angst und Demütigung in den Unterschichten• Einheit dörflicher Machtausübung durch lokale Elite: große Bauern,

Lehrer, Pfarrer erzeugen „totalitäres“ System• Neuer Blick auf das ländliche Naturerleben: Kerkermaschine,

Gegensatz zum Touristenblick • Psychisches Erleben der Dienstboten unter patrimonialer Herrschaft

(Maria Lichtmeß)

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Vergleich mit Roseggers „Jakob der Letzte“

• Verbindung von Gesellschaftskritik (Vermarktlichung und Bauernlegen) unter romantische-restaurativen Vorzeichen

• Positives Bild von patrimonialer Macht des Bauern als „Hausvater“

• Positive Schilderung von Religion und alten Bauernritualen

• Negatives Bild bäuerlicher Anomie (Bauernsterben, Schicksal der armen und alten Dienstboten)

• Soziologische Einsicht in die Dynamik von Abwanderung und Aufkaufen bäuerlicher Höfe und Gründe durch reiche Bürger („Monopolprozeß“)

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Vergleich mit sozialhistorischer Literatur (Ortmayr 1992)

• Bestätigt Innerhofers „Funktionshierarchie“• Gibt Kontextinformation über den

Zusammenhang zwischen Wirtschaftsformen im ländlichen Raum und der statistichenVerbreitung von unehelichen Dienstboten- und Pflegekindern (fehlt im Roman); 1934: 160.000 Ziehkinder in Österreich, Anteil in Murau: 23%)

• Jedoch: Emotionen (Demütigung-Scham) fehlen, ebenso Beschreibungen ländlicher Praktiken

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Belletristische Literatur und Kritik gängiger soziologischer Vorstellungen

• Smelsers „Differenzierung familiärer Aktivitäten“ im Kontext der Modernisierung verharmlost Begriffe von sozialer Kontrolle wie „Kontrolleinbuße“: Anschaulichkeit zwingt zur theoretischen Umformulierung

• Leere und Abstraktheit von Statistiken der Entwicklung der Erwerbsstruktur wird durch Darstellung von Lebenswelt und Emotionen gefüllt

• Korrektur der Vorstellung, daß Funktionshierarchien neu sind und nur mit „Bürokratie“ assoziiert werden können

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Fragen:1. Was sind übereinstimmende, was konfligierende

Befunde zur bäuerlichen Arbeitswelt bei Innerhofer und Rosegger?

2. Auf welche Leserschaften mit welchem Bewußtsein zielten beide Autoren? Wie hat das ihre Darstellungsabsichten bestimmt?

3. Wie müßten sozialhistorische Befunde zur bäuerlichen Familie aussehen, daß wir in ihnen eine Falsifizierung literarischer Darstellungen finden?

4. Was sind mögliche Verzerrungen der Sicht der bäuerlichen Familie bei Innerhofer und Rosegger?