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PARTIELLE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN II Variationsmethoden Karl-Heinz Hoffmann SS 2006 TUM

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PARTIELLEDIFFERENTIALGLEICHUNGEN II

Variationsmethoden

Karl-Heinz Hoffmann

SS 2006

TUM

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Literaturverzeichnis

[1] K.-H. Hoffmann: Partielle Differentialgleichungen I. Vorlesungsskript WS 2005/06,TUM, Internet, URL: http://www-m6.ma.tum.de/hoffmann/teaching/lectures/PDGL1.ps.gz .

[2] H.W. Alt: Lineare Funktionalanalysis. Springer-Verlag 1999 (4. Auflage).

[3] G. Schlichting: Lineare Funktionalanalysis. Vorlesungsskript WS 2005/06, TUM.

[4] D. Werner: Funktionalanalysis. Springer-Verlag 2000.

[5] L.C. Evans: Partial Differential Equations. American Mathematical Society, GraduateStudies in Mathematics, Vol. 19, 1998.

[6] S. Mizohata: The Theory of Partial Differential Equations. Cambridge University 1973.

[7] J. Wloka: Partielle Differentialgleichungen. Teubner Verlag 1982.

[8] R. Dautray und J.-L. Lions: Mathematical Analysis and Numerical Methods forScience and Technology, Vol. 2. Functional and Variational Methods, Springer-Verlag1988.

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Inhaltsverzeichnis

0 Einfuhrung, allgemeine Satze der Funktionalanalysis, Beispiele 1§1 Grundprinzipien der Variationsrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1§2 Funktionalanalytische Hilfsmittel und schwache Ableitungen . . . . . . . . . . 5§3 Schwache Losung von Lu = f . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

1 Sobolev-Raume 24§1 Lp-Raume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24§2 Schwache Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34§3 W k,p(Ω)-Raume (Sobolev-Raume) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39§4 Einbettungssatze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47§5 Randwerte von W k,p

0 (Ω)-Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62§6 Fortsetzung von W 1,p(Ω)-Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71§7 Differenzenquotienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74§8 Die Poincare-Ungleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

2 Elliptische Randwertprobleme 79§1 Elliptische Differentialoperatoren 2. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79§2 Das Dirichlet-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81§3 Der Satz von Lax-Milgram . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83§4 Existenz schwacher Losungen des Dirichlet-Problems . . . . . . . . . . . . . . 87§5 Regularitat schwacher Losungen im Inneren von Ω . . . . . . . . . . . . . . . 92§6 Regularitat am Rand von Ω . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

3 Zeitabhangige Probleme 106§1 Nochmals Sobolev-Raume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106§2 Sobolev-Raume fur zeitabhangige Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108§3 Parabolische Differentialgleichungen 2. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 112§4 Hyperbolische Differentialgleichungen 2. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 119

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Kapitel 0

Einfuhrung, allgemeine Satze derFunktionalanalysis, Beispiele

§1 Grundprinzipien der Variationsrechnung

Wir betrachten ganz allgemein Operatorgleichungen der Art

Lu = f.

Hierbei ist L ein linearer Operator, der auf einer Teilmenge D eines (komplexen) Hilbertrau-mes H mit dem Skalarprodukt 〈·, ·〉 erklart ist und dessen Wertebereich wieder in H liegt;also

L : D ⊂ H → H.

D ist eine lineare Mannigfaltigkeit, die dicht in H liegt und f ∈ H.

Daneben betrachten wir auf D ein lineares Funktional

Φ(v) := 〈Lv, v〉 − 〈v, f〉 − 〈f, v〉 == 〈Lv, v〉 − 2 Re 〈v, f〉 .

Der Variationsrechnung (direkte Methoden der Variationsrechnung) liegt das folgende Lemmazugrunde.

Lemma 0.1.1. Es sei L ein selbstadjungierter, positiv semidefiniter Operator. Dann gilt:w ∈ D ist genau dann eine Losung von Lu = f , wenn

Φ(w) = infv∈D

Φ(v)

gilt. (Dirichlet-Prinzip!)

Bemerkung 0.1.2. Das Lemma 0.1.1 macht keine Aussage zur Existenz einer Losung derGleichung Lu = f noch macht es eine Aussage zur Existenz eines w ∈ D, in dem Φ seinInfimum auf D annimmt. Es wurde lediglich die Gleichwertigkeit der beiden Aufgaben be-hauptet.

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Kapitel 0 Einfuhrung, allgemeine Satze der Funktionalanalysis, Beispiele

Beweis (von Lemma 0.1.1):

”⇒ “: Sei w ∈ D und Lw = f . Wegen der Selbstadjungiertheit von L gilt

〈Lv, v〉 = 〈v, Lv〉 = 〈Lv, v〉 ∀v ∈ D.

Also ist 〈Lv, v〉 stets reell.Seien nun v, z ∈ D beliebige Elemente und η := v − z,

⇒ Φ(v) = Φ(z + η) = 〈L(z + η), (z + η)〉 − 〈(z + η), f〉 − 〈f, (z + η)〉

= Φ(z) + 〈Lη, (z + η)〉+ 〈Lz, η〉 − 〈η, f〉 − 〈f, η〉 (0.1)

da L selbst-=adjungiert

Φ(z) + 〈Lη, η〉+ 〈Lz − f, η〉+ 〈η, Lz − f〉 .

Setze: z := w

⇒ Φ(v) = Φ(w) + 〈Lη, η〉da L positiv≥

semidefinitΦ(w) ∀v ∈ D

⇒ w lost die Minimalaufgabe.

”⇐ “: Sei w ∈ D Losung der Minimalaufgabe. Sei ε ∈ D und s ∈ R beliebig.

⇒ Φ(w + sε) ≥ Φ(w). (0.2)

Setze in der Darstellung (0.1)

z := w, η := sε.

Dann gilt:

Φ(w + sε) = Φ(w) + s2 〈Lε, ε〉+ 2sRe 〈(Lw − f), ε〉(0.2)⇒ 0 ≤ s2 〈Lε, ε〉+ 2sRe 〈(Lw − f), ε〉 ∀s ∈ R⇒ Re 〈(Lw − f), ε〉 = 0.

Ersetze ε durch iε.

⇒ Im 〈(Lw − f), ε〉 = 0⇒ 〈(Lw − f), ε〉 = 0 ∀ε ∈ D.

Aber D liegt dicht in H. Somit folgt

Lw − f = 0.

D.h. w lost die Operatorgleichung.

Bemerkung 0.1.3. Man kann also entweder die Operatorgleichung losen (indirekte Methodender Variationsrechnung) oder das Minimierungsproblem (direkte Methode der Variationsrech-nung). Wir befassen uns in dieser Vorlesung ausschließlich mit letzterer.Es stellen sich dann die grundsatzlichen Fragen:

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§1 Grundprinzipien der Variationsrechnung

(i) In welchen Raumen hat das Minimierungsproblem eine Losung (Sobolev-Raume)?

(ii) Wenn das Minimierungsproblem eine Losung hat, lost dann der Minimierer auch dieOperatorgleichung (Regularitat)?

(iii) Wie kann man das Minimierungsproblem losen (Numerik, z.B. Finite Elemente)?

Wir fragen zunachst nach einer Charakterisierung der Minimierer und bauen dann daraufunsere ganze Theorie auf.

Bemerkung 0.1.4. Sei H ein reeller Hilbertraum. Wir machen folgende Beobachtungen

(i) Durch 〈Lu, v〉 wird eine positive symmetrische Bilinearform a(u, v) auf D×D definiert;denn durch

a(u, u) = 〈Lu, u〉 ≥ 0 ∀u ∈ Dwird eine positive Bilinearform definiert.Außerdem gilt:

a(u, v) = 〈Lu, v〉 = 〈u, Lv〉 = 〈Lv, u〉 = a(v, u);

d.h. a ist symmetrisch.

(ii) Durch 2 〈v, f〉 wird eine Linearform l auf D erklart.

Satz 0.1.5. (Charakterisierungssatz)Sei V ein linearer Raum, a : V ×V → R eine symmetrische, positiv semidefinite Bilinearformund l : V → R ein lineares Funktional. Dann gilt:

w = arg minv∈V

Φ(v), Φ(v) :=12a(v, v)− l(v)

⇔a(w, v) = l(v) ∀v ∈ V.

Die Losung ist eindeutig.

Beweis: Seien w, v ∈ V und s ∈ R, dann gilt:

Φ(w + sv) =12a(w + sv, w + sv)− l(w + sv)

=12a(w,w) + sa(w, v) +

12s2a(v, v)− l(w)− sl(v)

= Φ(w) +12s2a(v, v) + s(a(w, v)− l(v)).

”⇐ “:

a(w, v) = l(v) ∀v ∈ V

⇒ Φ(w + sv) = Φ(w) +12s2a(v, v) ∀v ∈ V

⇒s:=1

Φ(w + v) = Φ(w) +12a(v, v) > Φ(w) ∀v 6= 0

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Kapitel 0 Einfuhrung, allgemeine Satze der Funktionalanalysis, Beispiele

”⇒ “:

w = arg minv∈V

Φ(v)

⇒ 0 =d

dsΦ(w + sv)

∣∣∣∣s=0

s.o.= [sa(v, v) + a(w, v)− l(v)]|s=0

= a(w, v)− l(v) ∀v ∈ V

Beispiel 0.1.6. Wir betrachten die Laplace Gleichung fur reelle Funktionen u = u(x1, . . . , xn):

Lu = −4u = f ∈ Ω,

Ω ∈ Rn ein beschranktes Gebiet mit Rand Γ := ∂Ω. Die Randbedingungen lauten

u = 0 auf Γ.

Dann ist

D =u ∈ C2(Ω) ∩ C(Ω) | u|Γ = 0

H = L2(Ω).

Dann ist D dicht in H.Ferner sei f ∈ L2(Ω).

⇒ 〈Lv, v〉 :=∫

Ω(−4v)vdτ Greensche=

Formel

∫Ω|∇v|2 dτ

⇒ 〈Lv, v〉 = 0 ⇔ ∇v = 0 in Ω ⇔ v ≡ const

⇒ 〈Lv, v〉 = 0 ⇔ v = 0, d.h. L positiv definit

L ist auch selbstadjungiert (zweimalige Anwendung der Greenschen Formel).Dann lautet die Extremalaufgabe:

Φ(v) =∫

Ω

[|∇v|2 − 2vf

]dτ

!= min auf D.

Im allgemeinen besitzt Φ auf D kein Minimum.Ausgehend von der Extremalaufgabe sucht man daher in ”großeren“ Raumen nach einemMinimum. Zur Konstruktion dieser Raume verwendet man den Charakterisierungssatz 0.1.5:

Finde eine Funktion w ∈ V mit∫Ω∇w · ∇ϕdτ =

∫Ωf · ϕdτ ∀ϕ ∈ V.

Es reicht, einen in V dichten Teilraum fur die ”Testfunktionen“ ϕ zu nehmen.Das Problem besteht darin, einen geeigneten Raum V zu finden.

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§2 Funktionalanalytische Hilfsmittel und schwache Ableitungen

Weitere Beispiele fur Differentialgleichungen und ihre dazugehorigen Extremalaufgaben sind:

Beispiel 0.1.7. Lasst sich zu folgenden Gleichungen eine aquivalente Extremalaufgabe for-mulieren?

a.) −div(a∇u+ h) = f , fur aij , hi ∈ C1(Ω) mitn∑

i,j=1aij(x)ξiξj ≥ c0|ξ|2, ∀x ∈ Ω, ξ ∈ Rn fur ein positives c0.

Losung: ϕ ∈ D := C∞0 (Ω)

−∫

Ω

div(a∇u+ h)ϕdx =

∫Ω

fϕdx

Mit dem Satz von Gauß-Green∫Ω

(a∇u+ h)∇ϕdx =

∫Ω

fϕdx∫Ω

a∇u∇ϕdx︸ ︷︷ ︸=:a(u,ϕ)

=

∫Ω

(−h∇ϕ+ fϕ)dx︸ ︷︷ ︸=:l(ϕ)

⇒ a(u, ϕ) nach Voraussetzung eine positiv definite, symmetrische Bilinearform

l(ϕ) lineares Funktional.

b.) 4u− u = f .

Losung: ϕ ∈ D := C∞0 (Ω) ∫Ω

(4u− u)ϕdx =

∫Ω

fϕdx

⇒∫

Ω

(−∇u∇ϕ− uϕ)dx =

∫Ω

fϕdx∫Ω

(∇u∇ϕ+ uϕ)dx︸ ︷︷ ︸=:a(u,ϕ)

=

∫Ω

−fϕdx︸ ︷︷ ︸=:l(ϕ)

,

wobei nach Voraussetzung wieder a(u, ϕ) eine symmetrische, positiv definite Bilinearform und l(ϕ) ein

lineares Funktional ist.

§2 Funktionalanalytische Hilfsmittel und schwache Ableitungen

Betrachtung im Eindimensionalen

Wir betrachten zur Einfuhrung die folgende Differentialgleichung mit f : R→ R stetig:

u′(x) = f(x), x ∈ R. (0.3)

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Kapitel 0 Einfuhrung, allgemeine Satze der Funktionalanalysis, Beispiele

Die Differentialgleichung (0.3) ist gleichbedeutend mit

u′ · ϕ = f · ϕ ∀ϕ ∈ C∞0 (R) =ϕ ∈ C∞(R) | supp(ϕ) kompakt

. (0.4)

Wir integrieren (0.4) uber [a, b] ⊂ (−∞,+∞):∫ b

au′(x)ϕ(x)dx =

∫ b

af(x)ϕ(x)dx =

↑fur supp(ϕ) ⊂ (a, b)

∫ +∞

−∞f(x)ϕ(x)dx.

Mit partieller Integration und supp(ϕ) ⊂ (a, b) folgt:

−∫ +∞

−∞u(x)ϕ′(x)dx =

∫ +∞

−∞f(x)ϕ(x)dx ∀ϕ ∈ C∞0 (R).

Anders ausgedruckt:

−(u, ϕ′) = (f, ϕ), wobei (u, v) :=∫ +∞

−∞u(x)v(x)dx

das Skalarprodukt in L2(R) ist.

Die Aufgabe lautet also:

Gesucht

u ∈ L1loc(R) :=

u : R→ R messbar |

∫K|u(t)| dt <∞ fur alle K ⊂⊂ R

1

fur das gilt:

−(u, ϕ′) = (f, ϕ) ∀ϕ ∈ C∞0 (R).

Dabei bedeutet K ⊂⊂ R : K ist relativ kompakte Teilmenge von R.

Bei der ursprunglichen Differentialgleichung wurde eine Funktion u ∈ C1(R) mit u′ = fgesucht.Wir nennen dxu ∈ L1

loc(R) eine schwache Ableitung von u ∈ L1loc(R), wenn gilt:

(dxu, ϕ) = −(u, ϕ′) ∀ϕ ∈ C∞0 (R).

In Analogie zur klassischen Differentialgleichung schreiben wir:

dxu = f.

1 Lploc(Ω) := f : Ω → K | ∀D ⊂⊂ Ω : f |D ∈ Lp(Ω)

D prakompakt und D ⊂ Ω

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§2 Funktionalanalytische Hilfsmittel und schwache Ableitungen

Wenn diese Gleichung eine schwache Losung u ∈ L1loc(R) besitzt, so gilt mit der Bemerkung

0.2.5 fur fast alle x, x0 ∫ x

x0

dxu(ξ)dξ = u(x)− u(x0).

Aus der Gleichung selber folgt weiter∫ x

x0

f(ξ)dξ =∫ x

x0

dxu(ξ)dξ = u(x)− u(x0).

Da f eine stetige Funktion ist, so besitzt u aufgrund der letzten Identitat einen Reprasentantenin C1(R). D.h. es existiert u′ und es gilt u′(x) = f(x). Damit ist die schwache Losung aucheine klassische Losung.

Folgerung: u′ = f klassisch losbar ⇐⇒ dxu = f schwach losbar.

In einer Raumdimension gilt, fur stetige f :

klassische Losung = schwache Losung.

Zwei weitere Beispiele zur Existenz und Nichtexistenz schwacher Ableitungen:

Beispiel 0.2.1. Sei Ω := (0, 2) ⊂ R und

u(x) :=x fur 0 < x ≤ 1,1 fur 1 ≤ x < 2.

Die schwache Ableitung dxu =: v von u existiert und ist

v(x) :=

1 fur 0 < x ≤ 1,0 fur 1 < x < 2.

Sei namlich ϕ ∈ C∞0 (0, 2).Wir zeigen ∫ 2

0uϕ′dx = −

∫ 2

0vϕdx.

∫ 2

0uϕ′dx =

∫ 1

0xϕ′dx+

∫ 2

11 · ϕ′dx = −

∫ 1

0ϕdx+ [xϕ]10 + ϕ(2)− ϕ(1) = −

∫ 2

0vϕdx.

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Kapitel 0 Einfuhrung, allgemeine Satze der Funktionalanalysis, Beispiele

Beispiel 0.2.2. Sei Ω := (0, 2) ⊂ R und

u(x) :=x fur 0 < x ≤ 1,2 fur 1 < x < 2.

Die Funktion u hat keine schwache Ableitung.Wir zeigen: 6 ∃v ∈ L1

loc(0, 2):∫ 2

0uϕ′dx = −

∫ 2

0vϕdx ∀ϕ ∈ C∞0 (0, 2). (0.5)

Annahme: ∃v ∈ L1loc(0, 2), das (0.5) erfullt.

⇒ −∫ 2

0vϕdx =

∫ 2

0uϕ′dx =

∫ 1

0xϕ′dx+

∫ 2

12ϕ′dx = −

∫ 1

0ϕdx− ϕ(1).

Wahle ϕm∞m=1 ⊂ C∞0 (0, 2) mit

∀m : 0 ≤ ϕm ≤ 1, ϕm(1) = 1; ϕm(x) −→m→∞

0 fur x 6= 1.

⇒s.o.

1 = limm→∞

ϕm(1) = limm→∞

[∫ 2

0vϕmdx−

∫ 1

0ϕmdx

]= 0

Beispiel 0.2.3. Berechnen Sie die schwachen Ableitungen von

a.) f(x) = |x| fur x ∈ R

Losung: ϕ ∈ C∞0 (R)

−∫

Rf(x)ϕ′(x)dx =

∫ 0

−∞xϕ′(x)dx−

∫ ∞

0

xϕ′(x)dx

= −∫ 0

−∞ϕ(x)dx+

∫ ∞

0

ϕ(x)dx

=

∫ 0

−∞(−1)ϕ(x)dx+

∫ ∞

0

1 · ϕ(x)dx

Schwache Ableitung

v(x) = sign(x) =

−1 fur x < 0

1 fur x > 0

v ∈ L1

loc(R).

b.) f(x) =

1 + x fur x > 0,2 fur x = 0,1− x2 fur x < 0.

Losung: Rechnung wie bei a.).Schwache Ableitung

v(x) =

1 fur x > 0

−2x fur x < 0

v ∈ L1

loc(R).

Der Punkt f(0) = 2 spielt bei der Lebesgue-Integration keine Rolle.

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§2 Funktionalanalytische Hilfsmittel und schwache Ableitungen

Im nachsten Beispiel berechnen wir die distributionelle Ableitung, welche eine Verallgemei-nerung der schwachen Ableitung darstellt.

Beispiel 0.2.4. Distributionelle Ableitung

−∫

Rsign(x)ϕ′(x)dx =

∫ 0

−∞ϕ′(x)dx−

∫ ∞

0ϕ(x)dx ϕ ∈ C∞0 (R)

=part. Int.

ϕ(0)− (−ϕ(0)) = 2ϕ(0) = 2 ·δ(0)︸︷︷︸Diracsches

Delta-Funktional

(ϕ)

Definition des Diracschen Delta-Funktionals δ(x0)(ϕ) (s. auch PDGl I, [1], Bemerkung zuKapitel 2.1):

δ(x0)(ϕ) =∫

Rϕ dδx0 ,

also das Lebesgue-Integral uber das Punkt-Maß δx0

δx0(A) :=

1 falls x0 ∈ A0 falls x0 6∈ A.

Die distributionelle Ableitung von sign(x) lautet

[v](x) = 2δ(0) ⇒ [v] 6∈ L1loc(R),

und deshalb keine schwache Ableitung.

Wir zeigen nun, dass der Fundamentalsatz der Differential- und Integralrechnung auch furschwache Ableitungen gilt:

Bemerkung 0.2.5. Gegeben sei h ∈ L1((0, 1)), deren schwache Ableitung h′ ∈ L1loc((0, 1))

existiert. Betrachte o.B.d.A. x1, x2 ∈ (0, 1) mit x1 < x2 und h(x1) <∞ und h(x2) <∞. Diesgilt fur fast alle x1, x2. Berechne die distributionelle Ableitung zu h · χ(x1,x2), dann gilt

−∫ 1

0(h · χ(x1,x2)) · ϕ′(x)dx =

∫ 1

0(h · χ(x1,x2))

′ · ϕ(x)dx (0.6)

Die formale Anwendung der Produktregel ergibt

(h · χ(x1,x2))′ = h′χ(x1,x2) + hχ′(x1,x2) = h′χ(x1,x2) + hδ(x1)− hδ(x2)

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Kapitel 0 Einfuhrung, allgemeine Satze der Funktionalanalysis, Beispiele

Aus (0.6) folgt

−∫ x2

x1

hϕ′(x)dx = −∫ x2

x1

h′ϕ(x)dx+∫ 1

0hϕ dδx1 −

∫ 1

0hϕ dδx2

= −∫ x2

x1

h′ϕ(x)dx+ h(x1)ϕ(x1)− h(x2)ϕ(x2)

Wahle nun geeignete Testfunktion: ϕ ∈ C∞0 ((0, 1)) : ϕ|[x1,x2] ≡ 1 ⇒ ϕ|[x1,x2] ≡ 0

⇒ 0 =∫ x2

x1

h′(x)dx+ h(x1)− h(x2) fur fast alle x1, x2 ∈ (0, 1)

und damit fur fast alle x1, x2 ∈ (0, 1)

h(x2)− h(x1) =∫ x2

x1

h′(x)dx

Es sei weiter h′ ≡ 0

⇒ h(x2)− h(x1) = 0 fur fast alle x1, x2 ∈ (0, 1)⇒ h fast uberall konstant.

Betrachtung im Mehrdimensionalen

Wir stellen fest, dass zur Definition der schwachen Losung (der schwachen Ableitung) diepartielle Integration entscheidend ist. Wie sieht das Analogon im Rn aus?

Sei Ω ⊂ Rn ein offenes beschranktes Gebiet mit Lipschitzrand ∂Ω. Ferner seien u, v ∈ C1(Ω)mit u · v|∂Ω = 0.Dann gilt: ∫

Ωu(x)

∂xjv(x)dx = −

∫Ω

∂xju(x)v(x)dx.

(Achtung: Wegen u · v|∂Ω = 0 fallen die Randterme weg!)

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§2 Funktionalanalytische Hilfsmittel und schwache Ableitungen

Beweis: Anwendung des Gaußschen Divergenzsatzes auf ω : Ω→ Rn, ω ∈ C1(Ω) und

ω =

0...0

u · v0...0

← j-te Stelle

⇒ divω = u∂v

∂xj+ v

∂u

∂xj(Produktregel!)

⇒∫

Ωdivω =

∫∂Ω〈ω, n〉 dσ =

da ω|∂Ω=00.

Sei u ∈ C1(Ω) und ϕ ∈ C∞0 (Ω).Dann gilt die Formel der partiellen Integration fur beliebige offene Ω ⊂ Rn:∫

Ω

∂u

∂xjϕdx = −

∫Ωu∂ϕ

∂xjdx ∀u ∈ C1(Ω) ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω)

Begrundung: dist(supp(ϕ), ∂Ω) > 0, da supp(ϕ) kompakt.⇒ ∃Ω ⊂ Rn mit supp(ϕ) ⊂ Ω ⊂ Ω und Ω erfullt die Voraussetzungen des GaußschenSatzes.

Verallgemeinerung:Sei u ∈ Cm(Ω), ϕ ∈ C∞0 (Ω) mit Ω offen. Dann gilt:∫

Ω(Dαu)ϕdx = (−1)|α|

∫ΩuDαϕdx ∀ |α| ≤ m

Hierbei ist:

α = (α1, . . . , αn) ∈ Nn0 , |α| := α1 + . . .+ αn, Dα := Dα1 . . . Dαn , Dαi :=

∂αi

(∂xi)αi.

Mit dieser Vorbereitung betrachten wir lineare Differentialgleichungen m-ter Ordnung uberΩ ⊂ Rn:

Lu :=∑|α|≤m

aα(x)Dαu, x ∈ Ω, aα : Ω→ R.

Gesucht wird eine Losung von

Lu = f, f : Ω→ R.

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Kapitel 0 Einfuhrung, allgemeine Satze der Funktionalanalysis, Beispiele

Wir setzen jetzt voraus aα ∈ C |α|(Ω) und definieren den zu L formal adjungierten OperatorL∗.

Definition 0.2.6. Es sei L der oben erklarte lineare Differentialoperator mit aα ∈ C |α|(Ω).Der zu L formal adjungierte Operator L∗ wird definiert durch

(Lu, ϕ) :=∫

Ω(Lu)ϕdx =

∑|α|≤m

∫Ωaα(x)Dαuϕdx =

part. Int.

=∑|α|≤m

(−1)|α|∫

ΩuDα(aαϕ)dx =

=∫

Ωu

∑|α|≤m

(−1)|α|Dα(aαϕ)

dx =

=: (u, L∗ϕ) ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω).

d.h. L∗ mit

L∗v :=∑|α|≤m

(−1)|α|Dα(aαv), v ∈ Cm(Ω),

ist ein linearer Differentialoperator m-ter Ordnung, und es gilt:

(Lu, ϕ) = (u, L∗ϕ) ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω) ∀u ∈ Cm(Ω).

§3 Schwache Losung von Lu = f

Wir definieren eine schwache Losung der Gleichung Lu = f folgendermaßen:

Definition 0.3.1. Sei f ∈ L1loc(Ω) (z.B. f ∈ C(Ω)). Dann heißt u ∈ L1

loc(Ω) schwache Losungvon Lu = f , wenn

(u, L∗ϕ) = (f, ϕ) ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω).

Bemerkung 0.3.2. Falls u schwache Losung von Lu = f ist und u ∈ Cm(Ω), sowie f ∈ C(Ω)gilt, so folgt:

(u, L∗ϕ) = (Lu, ϕ) = (f, ϕ) ϕ in C∞0 (Ω).

⇒ Lu = f ; d.h. u ist klassische Losung.

Es ist namlich C∞0 (Ω′) dicht in L2(Ω′) fur alle Ω′ ⊂⊂ Ω.

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§3 Schwache Losung von Lu = f

Ware namlich Lu 6= f , dann ∃Ω′ ⊂⊂ Ω : Lu− f |Ω′ 6≡ 0.

⇒ ∃(ϕn) ⊂ C∞0 (Ω′) : ϕn −→ Lu− f in L2(Ω′).

⇒ 0 = (Lu− f, ϕn) −→n→∞

‖Lu− f‖2L2(Ω′)

⇒ Lu− f = 0 a.e. in Ω′

⇒Lu−f stetig

Lu = f in Ω′.

Beispiel 0.3.3.

a.) Finden Sie eine allgemeine schwache Losung von dnydxn = δ(0) auf R, wobei y Funda-

mentallosung heißt.

Losung: Ruckwartsbetrachtung zu Beispiel 0.2.4. Mit dem Ansatz aus der Vorlesung gilt:(dny

dxn, ϕ

)= (δ(0), ϕ)(

d

dx

(dn−1y

dxn−1

), ϕ

)= (δ(0), ϕ)

⇒(dn−1y

dxn−1,−ϕ′

)= ϕ(0)(

dn−1y

dxn−1, ϕ′)

= −ϕ(0) =

∫ 0

−∞aϕ′(x)dx+

∫ ∞

0

(a+ 1)ϕ′(x)dx a Konstante

(dn−1y

dxn−1, ϕ′)

=

(a fur x < 0

a+ 1 fur x ≥ 0

, ϕ′)

∀ϕ ∈ C∞0 (Ω)

Dann wahledn−1

dxn−1y =

a fur x < 0,

a+ 1 fur x ≥ 0.

denn aus Beispiel 0.2.4 wissen wir: Die distributionelle Ableitung einer Sprungfunktion mit Sprung der

Große 1 in x = 0 ist δ(0). Aus dem gleichen Grund muss dn−2ydxn−2 stetig gewahlt werden.

⇒ dn−2y

dxn−2=

ax+ C1 fur x < 0

(a+ 1)x+ C2 fur x ≥ 0

.

Die Stetigkeit gilt, falls C1 = C2. Bei weiteren Integrationen bleibt die Stetigkeit erhalten.

y(x) =

a

(n−1)!xn−1 + b

(n−2)!xn−2 + c

(n−3)!xn−3 + · · · fur x < 0

a+1(n−1)!

xn−1 + b(n−2)!

xn−2 + c(n−3)!

xn−3 + · · · fur x ≥ 0

.

Eine allgemeine Losung lautet:

y(x) =

p(x) fur x < 0

p(x) + xn−1

(n−1)!fur x ≥ 0

p beliebiges Polynom vom Grad n− 1 in x.

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Kapitel 0 Einfuhrung, allgemeine Satze der Funktionalanalysis, Beispiele

b.) Finden Sie die schwache Losung von y′′(x) = c δ(x0), y(0) = 0 und y′(0) = 1.

Losung: y′′(x) = cδ(x0) ⇒ Argumentation mit Sprungfunktion, wie oben.1. Fall: x0 ≥ 0:

y′(x) =

1 fur x ≤ x0

c+ 1 fur x > x0,

dann sind die Anfangsbedingungen erfullt und weil die Funktion y in x0 stetig sein muss:

y(x) =

x fur x ≤ x0

(c+ 1)(x− x0) + x0 fur x > x0

2. Fall: x0 < 0:

y′(x) =

1− c fur x < x0

1 fur x ≥ x0

erfullt die Anfangsbedingungen und weil die Funktion y in x0 stetig sein muss:

y(x) =

(1− c)(x− x0) + x0 fur x < x0

x fur x ≥ x0.

Das nachste Beispiel zeigt, dass man zwei starke Losungen auf disjunkten Gebieten nichteinfach aneinander hangen kann um eine schwache Losung zu erhalten. Es muss eine gewisse

”Ubergangsbedingung“ gelten.

Beispiel 0.3.4. Sprungbedingung:Sei Ω ⊂ R3 offen, Ω = Ω1 ∪Ω2 ∪ Γ disjunkt, wobei Ωi offen fur i = 1, 2 und Γ eine C1-Flachesei. Es seien ui ∈ C1(Ωi; R3) und fi ∈ C0(Ωi; R3) fur i = 1, 2 gegeben. Setze

u(x) :=u1(x) fur x ∈ Ω1

u2(x) fur x ∈ Ω2

und f(x) :=

f1(x) fur x ∈ Ω1

f2(x) fur x ∈ Ω2

.

Zeigen Sie, dass die Gleichungrot u = f

im schwachen Sinne erfullt ist, wenn giltrot u1(x) = f1(x) fur x ∈ Ω1

rot u2(x) = f2(x) fur x ∈ Ω2∑2i=1(ui × ~nΩi) = 0 fur x ∈ Γ

.

14

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§3 Schwache Losung von Lu = f

Losung: Sei u1 = (u11, u

21, u

31) und u2 = (u1

2, u22, u

32). Dann lasst sich schreiben

rot(u1) = ∇× u1 =

∂u31/∂x2 − ∂u2

1/∂x3

−∂u31/∂x1 + ∂u1

1/∂x3

∂u21/∂x1 − ∂u1

1/∂x2

.

Sei ϕ ∈ C∞0 (Ω; R3)

rot(u1) · ϕ =

(∂

∂x2u3

1 −∂

∂x3u2

1

)ϕ1 +

(− ∂

∂x1u3

1 +∂

∂x3u1

1

)ϕ2 +

(∂

∂x1u2

1 −∂

∂x2u1

1

)ϕ3

∫Ω1

rot ·ϕdx =

∫Ω1

3∑i,j,k=1

εijk∂

∂xjuk

1ϕidx,

mit dem ε-Tensor

εijk =

+1 , falls i, j, k gerade Permutation von 1, 2, 3,−1 , falls i, j, k ungerade Permutation von 1, 2, 3,0 , sonst

.

Mit partieller Integration (Gaußscher Satz)∫Ω1

(rotu1) · ϕdx =

∫Ω1

3∑i,j,k=1

εijk∂

∂xjuk

1ϕidx

= −∫

Ω1

3∑i,j,k=1

εijkuk1∂

∂xjϕidx+

∫∂Ω1

3∑i,j,k=1

εijkuk1ϕi ~nj︸︷︷︸ dσ

j-te Komponente der

außeren Normalen an Ω1

=

∫Ω1

3∑i,j,k=1

εkijuk1∂

∂xjϕidx+

∫∂Ω1

3∑i,j,k=1

εijkuk1ϕi~njdσ

=

∫Ω1u1 · (rotϕ)︸ ︷︷ ︸

=: L∗ϕ

dx+

∫∂Ω1

(u1 × ~nΩ1) · ϕdσ︸ ︷︷ ︸=∫Γ(~n× u1) · ϕdσ

.

Fur∫Ω2(rotu2) · ϕdx ebenso.

∫Ω

fϕdx =

∫Ω

(rotu) · ϕdx =

∫Ω1

(rotu1) · ϕdx+

∫Ω2

(rotu2) · ϕdx+

∫Γ

(rotu) · ϕdx︸ ︷︷ ︸= 0

(n − 1)–dim. Flache

Dann gilt, wenn ∫Γ(u1 × ~nΩ1) · ϕdσ +

∫Γ(u2 × ~nΩ2) · ϕdσ = 0

⇒ (f, ϕ) = (u, L∗ϕ) ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω; R3) erfullt.

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Kapitel 0 Einfuhrung, allgemeine Satze der Funktionalanalysis, Beispiele

Beispiel 0.3.5. Springender Koeffizient:Wir berechnen die allgemeine schwache Losung zu

(a(x)u′)′ = 0 auf R

mit a(x) =a0 fur x < ξa1 fur x > ξ

, wobei a0 > 0, a1 > 0, a0 6= a1.

Losung: Mit a(x) ist ein unstetiger Koeffizient im Differentialoperator Lu = (a(x)u′)′ gegeben. Nach Vorlesunglasst sich daher nicht daraus L∗ bestimmen.Betrachte daher L1v = v′ ⇒ L∗1ϕ = −ϕ′

⇒ (v, L∗1ϕ) = (0, ϕ) ∀ϕ ∈ C∞0 (R)(a(x)u′,−ϕ′

)= 0(

a(x)u′, ϕ′)

= c

∫ ∞

−∞ϕ′(x)dx fur c ∈ R beliebige Konstante

⇒ a(x)u′(x) = c

⇒ u′(x) =

ca0

fur x < ξc

a1fur x > ξ

⇒ (u, L∗1ϕ) =

( ca0

fur x < ξc

a1fur x > ξ

, ϕ

)∀ϕ ∈ C∞0 (R)

⇒ u(x) =

ca0

(x− ξ) + b fur x ≤ ξc

a1(x− ξ) + b fur x > ξ

fur b ∈ R beliebige Konstante,

denn u muss stetig in ξ sein.

Die wesentlichen Fragen sind jetzt:

1. Wann existiert eine schwache Losung

2. Wie regular ist eine schwache Losung?

=⇒ Existenz einer starken (klassischen) Losung!

Bemerkung 0.3.6. Sei u ∈ L2(Ω) eine schwache Losung, dann gilt

|(f, ϕ)| ≤ C ‖L∗ϕ‖ ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω), C ≥ 0 (notwendige Bedingung)

Beweis:

|(f, ϕ)| = |(u, L∗ϕ)| ≤CSU‖u‖ ‖L∗ϕ‖ ≤ C ‖L∗ϕ‖

fur ein C > 0.

Satz 0.3.7. Die Bedingung

∃C > 0 ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω) : |(f, ϕ)| ≤ C ‖L∗ϕ‖

ist notwendig und hinreichend fur die Existenz einer schwachen Losung u ∈ L2(Ω) von Lu =f , f ∈ L2(Ω).

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§3 Schwache Losung von Lu = f

Zusatz:Wenn W := L∗(C∞0 (Ω)) ein dichter Unterraum von L2(Ω) ist, so ist u auch eindeutig be-stimmt.

Beweis (des Satzes): Es gelte

|(f, ϕ)| ≤ C ‖L∗ϕ‖ ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω), C > 0.

Da L∗ linear ist, ist W ein linearer Unterraum von C∞0 (Ω).

Wir definieren ein lineares Funktional l : W → R durch l(w) := (ϕ, f), wenn L∗ϕ = w ist.

(i) l ist ein wohldefiniertes Funktional auf W :Sei L∗ϕ1 = L∗ϕ2 = w.

⇒s.o.

|(f, ϕ1 − ϕ2)| ≤ C ‖L∗(ϕ1 − ϕ2)‖ = 0

⇒ (f, ϕ1) = (f, ϕ2).

(ii) l ist linear (klar, da L∗ linear!)

(iii) l ist stetig:

|l(w)| = |(ϕ, f)| ≤s.o.

C ‖L∗ϕ‖ = C ‖w‖ Beschranktheit!

Der Satz von Hahn-Banach liefert:

∃l : L2(Ω)→ R, l|W = l, l linear

stetige lineare Fortsetzung!

Darstellungssatz von Riesz:Zu l gibt es ein eindeutig bestimmtes u ∈ L2(Ω) mit

l(w) = (w, u) ∀w ∈ L2(Ω).

Insbesondere gilt das fur alle w ∈W , d.h. wo w = L∗ϕ mit einem ϕ ∈ C∞0 (Ω) gilt.

⇒ ∃u ∈ L2(Ω) : (u, L∗ϕ) = (f, ϕ) ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω).

Zusatz:Wenn W dicht ist, ist die Fortsetzung eindeutig bestimmt.

Beispiel 0.3.8. Betrachte Lu = 4u = f , Ω ⊂ Rn beschrankt und f ∈ L2(Ω). Dann gilt:

L = L∗ = 4 =∂2

∂x21

+ . . .+∂2

∂x2n

.

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Kapitel 0 Einfuhrung, allgemeine Satze der Funktionalanalysis, Beispiele

Man muss zeigen:

|(f, ϕ)| ≤ C ‖4ϕ‖ ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω), C > 0.

Es gilt:

(−4ϕ,ϕ) =part. Int.

n∑i=1

∫Ω

(∂ϕ

∂xi

)2

dx ≥Poincare Ungl.

C1 ‖ϕ‖2 , ϕ ∈ C∞0 (Ω), C1 > 0.

⇒ C1 ‖ϕ‖2 ≤CSU‖4ϕ‖ ‖ϕ‖ ; d.h. ‖ϕ‖ ≤ C−1

1 ‖4ϕ‖ .

⇒ |(f, ϕ)| ≤CSU‖f‖ · ‖ϕ‖ ≤ C ‖4ϕ‖ mit C := C−1

1 ‖f‖ .

Beispiel 0.3.9. Prufen Sie ob folgende Gleichung fur f ∈ L2(Ω), Ω := [1, 2]× [1, 2]

div (a(x)∇u)− u = f,

mit a(x) :=(x2 00 x1

)eine schwache Losung besitzt?

Losung: Ja, falls sich die hinreichende Bedingung aus Satz 0.3.7 zeigen lasst.

div(a(x)∇u)− u = div

(x2

∂∂x1

u

x1∂

∂x2u

)− u = x2

∂2

∂x21

u+ x1∂2

∂x22

u− u =: L(u)

⇒ L∗ϕ = x2∂2

∂x21

ϕ+ x1∂2

∂x22

ϕ− ϕ

Da Ω = [1, 2]× [1, 2], so gilt

(−L∗ϕ,ϕ) =

(−x2

∂2

∂x21

ϕ− x1∂2

∂x22

ϕ+ ϕ,ϕ

)=

∫Ω

x2

∣∣∣∣ ∂∂x1ϕ

∣∣∣∣2 + x1

∣∣∣∣ ∂∂x2ϕ

∣∣∣∣2 + |ϕ|2 dx ≥∫

Ω

|ϕ|2 dx = ‖ϕ‖2

‖ϕ‖2 ≤ |(−L∗ϕ,ϕ)| ≤ ‖L∗ϕ‖ ‖ϕ‖

⇒ |(f, ϕ)| ≤ ‖f‖ ‖ϕ‖ ≤ C ‖L∗ϕ‖

Satz 0.3.10. (L. Hormander)Ist L ein linearer Differentialoperator m-ter Ordnung mit konstanten Koeffizienten aα ∈ R, sobesitzt die Differentialgleichung Lu = f fur jedes f ∈ L2(Ω) uber einem beschrankten offenenGebiet Ω ∈ Rn eine schwache Losung.

Beweis: Sei

Lu =∑|α|≤m

aαDαu, aα ∈ R

und

L∗u =∑|α|≤m

(−1)|α|aαDαu

der zu L adjungierte Differentialoperator.

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§3 Schwache Losung von Lu = f

Wir betrachten die Differentialgleichung Lu = f , f ∈ L2(Ω) und zeigen:

|(f, ϕ)| ≤ C ‖L∗ϕ‖ ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω) mit Ω ⊂ Rn beschranktes Gebiet.

Wir zeigen: ‖ϕ‖ ≤ C ‖L∗ϕ‖ fur L 6= 0 und L ein beliebiger Differentialoperator mit konstantenKoeffizienten. Dabei hangt C > 0 nur von L ab.

Dann gilt namlich:

|(f, ϕ)| ≤CSU‖f‖ ‖ϕ‖ ≤ ‖f‖ · C︸ ︷︷ ︸

=:C

‖4ϕ‖ q.e.d.

Sei nun L :=∑

|α|≤m aαDα und P (ξ) :=

∑|α|≤m aαξ

α mit

D = (D1, . . . , Dn), Dα = Dα11 Dα2

2 · · ·Dαnn , D

αj

j :=∂αj

(∂xj)αj

und

ξ = (ξ1, . . . , ξn), ξα = ξα11 · ξ

α22 · · · ξ

αnn .

Wir fuhren eine abkurzende Schreibweise ein:

D1j (uv) = uD1

j v + vD1ju =:

(Duj +Dv

j

)(uv)

wobei Duj nur auf u

bzw. Dvj nur auf v wirkt.

D2j (uv) = uD2

j v + 2D1juD

1j v + vD2

ju =(Duj +Dv

j

)2 (uv)

D3j (uv) = · · · =

(Duj +Dv

j

)3 (uv)

......

Dαj

j (uv) = · · · =(Duj +Dv

j

)αj (uv)

Also:

Dα(uv) = (Dα11 Dα2

2 · · ·Dαnn ) (uv) = (Du +Dv)α (uv)

Dann folgt:

L(uv) = P (D)(uv) =∑|α|≤m

aαDα(uv) =

∑|α|≤m

aα (Du +Dv)α (uv) = P (Du +Dv) (uv).

Wir konnen nun die Taylorentwicklung zu P betrachten.

P (ξ + η) =∑|β|≤m

1β!DβP (η)ξβ; β! = β1!β2! · · ·βn!

⇒ L(uv) = P (Du +Dv) (uv) =∑|β|≤m

1β!

[DβP (Du)

](Dv)β(uv)

=∑|β|≤m

1β!

[DβP (D)u

]Dβv.

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Kapitel 0 Einfuhrung, allgemeine Satze der Funktionalanalysis, Beispiele

Der Ausdruck DβP (D)ϕ ist folgendermaßen zu verstehen:Differenziere zunachst P formal als Polynom nach der Gestalt von Dβ . In das erhaltene Po-lynom setzt man D als Argument ein. Den daraus gewonnenen Differentialoperator wendetman auf ϕ an.

Wir wahlen jetzt speziell v(x) := xj und u := ϕ. Dann gilt:

L(xjϕ) = xjP (D)ϕ+ (DjP )(D)ϕ. (0.7)

Es gilt:

P (ξ) =∑|α|≤m

aαξα ⇒ DjP (ξ) =

∑|α|≤m

aααjξα, mit α = (α1, . . . , αj − 1, . . . , αn).

Sei ϕ,ψ ∈ C∞0 (Ω), dann gilt:

(P (D)ϕ,DjP (D)ψ) = −(DjP∗(D)ϕ, P ∗(D)ψ), (0.8)

wobei (·, ·) das Skalarprodukt im L2(Ω) und

P ∗(ξ) :=∑|α|≤m

(−1)|α|aαξα.

Denn:

(P (D)ϕ,DjP (D)ψ) =∫

Ω

∑|α|≤m

aαDαϕ

· ∑|α|≤m

aααjDαψ

dx =

=part. Int.

∫Ω

∑|α|≤m

((−1)|α|aααjDα) ∑

|α|≤m

aαDαϕ

ψdx =

=part. Int.

∫Ω

∑|α|≤m

(−1)|α|aααjDαϕ

︸ ︷︷ ︸

=−DjP ∗(D)ϕ

∑|α|≤m

(−1)|α|aαDαψ

︸ ︷︷ ︸

=P ∗(D)ψ

dx =

= −(DjP∗(D)ϕ, P ∗(D)ψ)

Es gilt:

‖P (D)ϕ‖ = ‖P ∗(D)ϕ‖ wegen (P (D)ϕ, P (D)ϕ) =2× part. Int.

(P ∗(D)ϕ, P ∗(D)ϕ)

Analog: ‖DjP (D)ϕ‖ = ‖DjP∗(D)ϕ‖ .

Wir behaupten: Sei Ω ⊂x ∈ Rn | |xj | > Mj

2 , j = 1, 2, . . . , n

Dann gilt:

‖ DjP (D)︸ ︷︷ ︸Ordnung m−1

ϕ ‖ ≤ mMj‖ P (D)︸ ︷︷ ︸Ordnung m

ϕ ‖ ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω).

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§3 Schwache Losung von Lu = f

Der Beweis hierfur erfolgt durch Induktion uber m:

Zwischenbetrachtung:

‖DjP (D)ϕ‖2 = (DjP (D)ϕ,DjP (D)ϕ)(0.7)= (P (D)(xjϕ)− xjP (D)ϕ,DjP (D)ϕ) =

= (P (D)(xjϕ), DjP (D)ϕ)− (xjP (D)ϕ,DjP (D)ϕ) =

(0.8)= −(DjP

∗(D)(xjϕ), P ∗(D)ϕ)− (xjP (D)ϕ,DjP (D)ϕ) =

(0.7)= −(xjDjP

∗(D)ϕ+D2jP

∗(D)ϕ, P ∗(D)ϕ)− (xjP (D)ϕ,DjP (D)ϕ) =

≤CSU

Mj

2‖DjP

∗(D)ϕ‖ · ‖P ∗(D)ϕ‖+∥∥D2

jP∗(D)ϕ

∥∥ · ‖P ∗(D)ϕ‖

+Mj

2‖P (D)ϕ‖ · ‖DjP (D)ϕ‖

Hierbei erhalt man den 4. Schritt durch die Anwendung der Gleichung (0.7) auf das Differential-Polynom DjP

∗(D).

⇒ ‖DjP (D)ϕ‖2 ≤ Mj ‖DjP (D)ϕ‖ · ‖P (D)ϕ‖+∥∥D2

jP (D)ϕ∥∥ · ‖P (D)ϕ‖

= ‖P (D)ϕ‖(Mj ‖DjP (D)ϕ‖+

∥∥D2jP (D)ϕ

∥∥)Beweis der Behauptung:

m = 1: D2jP (D) = 0

⇒ ‖DjP (D)ϕ‖ ≤Mj ‖P (D)ϕ‖ nach Zwischenbehauptung!

(m− 1)→ m: Die Ordnung von DjP (D) ist (m− 1).

Also gilt nach Induktionsannahme:∥∥D2jP (D)ϕ

∥∥ ≤ (m− 1)Mj ‖DjP (D)ϕ‖

⇒Zwischenbeh.

‖DjP (D)ϕ‖2 ≤ ‖P (D)ϕ‖ (Mj ‖DjP (D)ϕ‖+ (m− 1)Mj ‖DjP (D)ϕ‖)

⇒ ‖DjP (D)ϕ‖ ≤ ‖P (D)ϕ‖ (Mj + (m− 1)Mj)

⇒ Beh.

Wir haben also bewiesen:‖DjP (D)ϕ‖ ≤ mMj ‖P (D)ϕ‖ (0.9)

⇒ ‖DkDjP (D)ϕ‖ ≤ (m− 1)Mk ‖DjP (D)ϕ‖ ≤ (m− 1)mMkMj ‖P (D)ϕ‖

oder allgemein:∥∥∥DβP (D)ϕ∥∥∥ ≤ m(m− 1) · · · (m− |β|+ 1)Mβ ‖P (D)ϕ‖ , M := (M1,M2, . . . ,Mm).

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Kapitel 0 Einfuhrung, allgemeine Satze der Funktionalanalysis, Beispiele

Es gilt:

P (D)6=0

=∑|α|≤m

aαDα

⇒ ∃Dβ , |β| ≤ m : DβP (D) = C0 6= 0.

⇒ |C0| ‖ϕ‖ ≤ m(m− 1) · · · (m− |β|+ 1)Mβ ‖P (D)ϕ‖ ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω)

⇒ ‖ϕ‖ ≤[|C0|−1m(m− 1) · · · (m− |β|+ 1)Mβ

]‖P (D)ϕ‖ .

Bemerkung 0.3.11. Poincare-Ungleichung.Die Poincare-Ungleichung fur ϕ ∈ C∞0 ((0, π)) lautet

‖∇ϕ‖L2(0,π) ≥1π‖ϕ‖L2(0,π) .

Sie ist ein einfacher Spezialfall aus dem Beweis des Satzes 0.3.10: Mj = π, j = 1,∣∣xj − π

2

∣∣ < π2 ,

Verschiebung im Raum.

Beispiel 0.3.12. Bi-harmonischer OperatorBeweisen Sie fur ϕ ∈ C∞0 (Ω) mit Ω := (−1, 1)× (−π, π), so dass gilt:∥∥42ϕ

∥∥L2(Ω)

≥ 116‖ϕ‖L2(Ω) .

Losung: Wir benutzen die Rechnung aus dem Beweis des Satzes von Hormander um die Konstante exakt zubestimmen.

42ϕ = 4(4ϕ) = 4(

∂2

∂x21ϕ+ ∂2

∂x22ϕ)

= ∂4

∂x41ϕ+ 2 ∂2

∂x21ϕ ∂2

∂x22ϕ+ ∂4

∂x42ϕ =: Lϕ

−→ P (ξ) = ξ41 + 2ξ21ξ22 + ξ42 , m = 4.

Es existieren nur 3 β mit |β| ≤ m, so dass DβP (D) = C0 6= 0 ist.

β1 = (4, 0), β2 = (0, 4), β3 = (2, 2)

Dβ1P (ξ) = D4

1D02P (ξ) = D4

1P (ξ) = D31(4ξ

31 + 4ξ1ξ

22) = . . . = 24 6= 0

⇒ Dβ1P (D) = 24 6= 0.

Ebenso Dβ2P (D) = 24 6= 0 und Dβ3

P (D) = 8 6= 0.Fall β1:

‖ϕ‖ ≤ [|C0|−1m(m− 1) · · · (m− |β|+ 1)

Mβ=Mβ11 M

β22 =M4

1︷ ︸︸ ︷M1 ·M1 ·M1 ·M1]︸ ︷︷ ︸

= 124· 4 · 3 · 2 · 1 · 24 = 16

‖P (D)ϕ‖

⇒∥∥42ϕ

∥∥ ≥ 1

16‖ϕ‖

Durch β2, β3 wurde die Konstante nur kleiner gemacht werden.

22

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§3 Schwache Losung von Lu = f

Beispiel 0.3.13. Existenz schwacher LosungenSei Ω := [−1, 1]×(−π, π). Prufen Sie ob folgende Gleichungen eine schwache Losung besitzen.

a.) 42u = f fur f ∈ L2(Ω) beliebig.

b.) 4u =

1, auf [−1, 0]× (−π, π)2, auf (0, 1]× (−π, π)

.

Losung: a.) und b.) erfullen beide die Voraussetzung des Satzes von Hormander, d.h. die schwache Losung

existiert. Fur a.) wurde obendrein die wesentliche Abschatzung in Beispiel 0.3.12 schon gezeigt. Die teilweise

Abgeschlossenheit des Intervalls stort nicht die schwache Losung, welche bisher nur ein Element aus dem L2(Ω)

ist.

Frage: Ist eine schwache Losung auch stets eine starke (klassische) Losung?

Nein!

Beispiel 0.3.14. Betrachte das Cauchy-Problem fur die eindimensionale Wellengleichung:

utt − uxx = 0 in (t1, t2)× R

u(0, x) = f(x), ut(0, x) = g(x) in R.

Hierbei seien f und g glatte Funktionen uber R. Dann gilt fur die klassische Losung u dieDarstellung (PDG I):

u(t, x) =12

[f(x+ t) + g(x− t)] +12

∫ x+t

x−tg(ξ)dξ. (0.10)

Dieses u (zu den glatten Daten) f und g erfullt auch die Beziehung∫ t2

t1

∫ +∞

−∞u(ϕtt − ϕxx)dxdt = 0 ∀C∞0 (R). (0.11)

Seien jetzt f, g nicht glatt (z.B. f ∈ W 1(−∞,+∞) ∩ C(−∞,+∞) und g ∈ L2(−∞,+∞)).Dann ist das nach (0.10) konstruierte u keine klassische Losung mehr. Aber es ist eine schwacheim Sinne von (0.11); denn seien (fn), (gn) Folgen von glatten Funktionen, die gegen f bzw. gkonvergieren:

fn −→ f gleichmaßig auf jeder beschrankten Teilmenge von R

gn −→ g in L2(−∞,∞).

Dann gilt: ∫ t2

t1

∫ +∞

−∞u(ϕtt − ϕxx)dx dt = 0,

d.h. u ist schwache Losung des Cauchy-Anfangswertproblems.

23

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Kapitel 1

Sobolev-Raume

§1 Lp-Raume

Wir beginnen mit einigen bekannten Definitionen.

Definition 1.1.1. Fur 1 ≤ p <∞ sei Lp(Ω), Ω ⊂ Rn eine offene Teilmenge, definiert durch

Lp(Ω) :=u : Ω→ R | u messbar,

∫Ω|u(x)|p dx <∞

.

Jedes u ∈ Lp(Ω) definiert eine Aquivalenzklasse von fast uberall gleichen Funktionen. Durch

‖u‖Lp = ‖u‖p :=(∫

Ω|u(x)|p dx

) 1p

wird auf Lp(Ω) eine Norm definiert.

Definition 1.1.2. Sei u : Ω→ [−∞,+∞] messbar, sei Ω offene Menge. Die Funktion u heißtwesentlich beschrankt ⇐⇒

∃K > 0 : |u(x)| ≤ K fast uberall.

Wir definieren:

‖u‖L∞ := ess supx∈Ω

|u(x)| := inf K ∈ R | |u(x)| ≤ K fast uberall in Ω

und

L∞(Ω) := u : Ω→ R | u messbar, ‖u‖L∞ <∞ .↑

Aquivalenzklasse!

L∞(Ω) ist vermittels ‖·‖L∞ ein normierter Raum.

Satz 1.1.3. Fur 1 ≤ p ≤ ∞ ist Lp(Ω) versehen mit ‖·‖Lp vollstandig, d.h. ein Banachraum.

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§1 Lp-Raume

Beweis:(i) 1 ≤ p <∞: (Satz von Fischer-Riesz).(ii) p =∞: Sei (fk) Cauchy-Folge in Lp(Ω).

⇒ ∃C > 0 ∃N ⊂ Ω Nullmenge ∀x ∈ Ω \N

|fk(x)| ≤ ‖fk‖L∞ ≤ C <∞ ∀k ∈ N

|fk(x)− fl(x)| ≤ ‖fk − fl‖L∞ −→ 0 fur k, l→∞

⇒ ∃ f(x) :=

limk→∞ fk(x) , x ∈ Ω \N0 , x ∈ N.

f ist messbar und beschrankt und

|f(x)− fk(x)| = liml→∞|fl(x)− fk(x)| ≤ lim

l→∞‖fl − fk‖L∞ ∀x ∈ Ω \N. 1

⇒ ‖f − fk‖L∞ ≤ liml→∞‖fl − fk‖L∞ −→

k→∞0.

Korollar 1.1.4. Jede Cauchy-Folge in Lp(Ω) enthalt eine Teilfolge, die punktweise fast uberallin Ω gegen den Lp-Limes konvergiert.

Satz 1.1.5. 2 Sei Ω ⊂ Rn beschrankt. Dann gilt:

(i) µ(Ω)−1/p ‖u‖p ≤ µ(Ω)−1/q ‖u‖q ∀u ∈ Lq(Ω), 1 ≤ p ≤ q <∞,wobei µ das herkommliche Lebesgue-Maß uber dem Rn bezeichnet.Insbesondere gilt die stetige Einbettung Lq → Lp, p ≤ q.

(ii) u ∈ L∞(Ω)⇒ limp→∞ ‖u‖p = ‖u‖∞.

(iii) u ∈ Lp(Ω) und ‖u‖p ≤ K ∀ 1 ≤ p <∞ ⇒ u ∈ L∞(Ω).

Beweis:(i) Sei u ∈ Lq(Ω). Dann ist |u|p ∈ Lq/p(Ω). Wahle r so, dass 1

q/p + 1r = 1 gilt. Da Ω

beschrankt, so ist 1 ∈ Lr(Ω). Wir wenden die Holdersche Ungleichung auf |u|p und 1 an:(∫Ω

1 · |u|p dx) 1

p

= (‖1 · |u|p‖L1)1p ≤ (‖1‖Lr ‖|u|p‖Lq/p)

1p ≤

(∫Ω

1rdx) 1

p· 1r(∫

Ωu6p· q6pdx

) 16p6pq

.

⇒ ‖u‖Lp ≤ µ(Ω)1/p−1/q ‖u‖Lq .

1lim = lim inf und lim = lim sup.2Wir schreiben auch ‖·‖Lp = ‖·‖p, wenn keine Verwechslung moglich ist.

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

(ii) ∫Ω|u(x)|p dx ≤ µ(Ω) ‖u‖p∞ wegen |u(x)| ≤ ‖u‖∞ f.u.

⇒ ‖u‖p ≤ µ(Ω)1/p ‖u‖∞

⇒ limp→∞

‖u‖p ≤ ‖u‖∞ .

Andererseits gilt aus der Definition von ‖.‖∞:

∀ε > 0 ∃A ⊂ Ω, µ(A) > 0 ∀x ∈ A : |u(x)| ≥ ‖u‖∞ − ε

⇒∫

Ω|u(x)|p dx ≥

∫A|u(x)|p dx ≥ µ(A) (‖u‖∞ − ε)

p

⇒ ‖u‖p ≥ µ(A)1/p (‖u‖∞ − ε)

⇒ limp→∞

‖u‖p ≥ ‖u‖∞ − ε

⇒ limp→∞

‖u‖p ≥ ‖u‖∞ .

(iii) Sei ‖u‖p ≤ K ∀p <∞.Annahme: u 6∈ L∞(Ω).

⇒ ∃K1 > K ∃A ⊂ Ω, µ(A) > 0 ∀x ∈ A : |u(x)| ≥ K1

⇒ limp→∞

‖u‖p ≥ K1 Teilfolge ‖u‖pj> K.

Ziel: C∞0 (Ω) ist dicht in Lp(Ω) fur alle 1 ≤ p <∞.

Satz 1.1.6. Es sei f ∈ Lp(Ω), Ω ⊂ Rn eine offene Menge. Dann gilt: ∃ (fj)j∈N ⊂ Lp(Ω) mit

(i) supp(fj) ⊂⊂ Ω,

(ii) limj→∞ ‖f − fj‖Lp = 0.

Beweis: Sei Ω =⋃∞j=1Kj eine kompakte Ausschopfung von Ω (Ω ist offen in Rn) mit

Kj ⊂⊂ Ω,

Kj ⊂ Kj+1, Kj :=x ∈ Ω | |x| ≤ j, dist(x, ∂Ω) ≥ 1

j

.

Setze fj := f · χKj , wobei χKj die charakteristische Funktion von Kj ist, also

χKj :=

1 auf Kj ,0 auf Ω \Kj ,

.

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§1 Lp-Raume

Dann gilt:

(i) fj −→j→∞

f punktweise fast uberall,

(ii) |fj |p ≤ |f |p und |f |p ∈ L(Ω). (L(Ω) Lebesgue integrierbare Funktionen)

⇒ |fj − f |p ≤ (2 max(|fj | , |f |))p ≤ 2p (|fj |p + |f |p) ≤ 2p+1 |f |p .

Dann folgt nach dem Konvergenzsatz von Lebesgue:

limj→∞

∫Ω|fj(x)− f(x)|p dx =

∫Ω

limj→∞

|fj(x)− f(x)|p dx = 0.

Wir definieren jetzt Glattungsfunktionen (“Mollifier”).

Definition 1.1.7. Es sei

g(x) :=

C exp(− 1

1−|x|2 ) fur |x| < 1,

0 fur |x| ≥ 1.

Die Konstante C > 0 sei so gewahlt, dass∫

Rn g(x)dx = 1 ist.

Es gilt fur diese Funktion g:

(i) g ∈ C∞0 (Rn), g ≥ 0,

(ii) supp(g) = K1(0) (K1(0) bezeichnet die offene Kugel um ”0“ mit Radius 1).

Setzen wir gε(x) := 1εn g(xε ), so folgt:

(iε) g ∈ C∞0 (Rn),∫

Rn gε(x)dx = 1,

(iiε) supp(gε) = Kε(0).

Definition 1.1.8. Es sei f ∈ L1loc(Rn). Die Funktion

(gε ∗ f)(x) :=∫

Rn

gε(x− y)f(y)dy

ist fur jedes x ∈ Rn definiert und heißt Faltung von f .

Anmerkung: Eigentlich wird nur uber Kε(x) integriert.

Im folgenden sei f ∈ Lp(Ω) und werde in Rn \Ω durch ”0“ fortgesetzt. Dann ist f ∈ L1loc(Rn).

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

Satz 1.1.9. K.O. FriedrichsEs gelten folgende Aussagen:

(i) gε ∗ f ∈ C∞(Rn) ∀f ∈ L1loc(Rn).

(ii) Falls supp(f) ⊂⊂ Ω und 0 < 2ε < dist(supp(f), ∂Ω) gilt, folgt

gε ∗ f ∈ C∞0 (Ω).

(iii) Fur f ∈ Lp(Ω), 1 ≤ p <∞ gilt:

gε ∗ f ∈ Lp(Ω), ‖gε ∗ f‖Lp ≤ ‖f‖Lp und limε>0ε→0

‖(gε ∗ f)− f‖Lp = 0.

Beweis:(i) Zeige gε ∗ f ∈ C∞(Rn) ∀f ∈ L1

loc(Rn).Es gilt:

1h

[gε(x+ hej − y)− gε(x− y)] f(y) −→h→0

∂xjgε(x− y)f(y) ∀y ∈ Rn,

und nach dem Mittelwertsatz1h

[gε(x+ hej − y)− gε(x− y)] f(y) ≤ sup0<ϑ<1

∣∣∣∣ ∂∂xj gε(x+ ϑej − y)∣∣∣∣ |f(y)| ≤ K(ε) |f(y)|

fur |h| < 1 und eine Konstante K(ε).

⇒ ∂

∂xj(gε ∗ f)(x) := lim

h→0

∫Rn

1h

[gε(x+ hej − y)− gε(x− y)] f(y)dy

Satz von=Lebesgue

∫Rn

∂xjgε(x− y)f(y)dy

existiert (und ist stetig).

Das gleiche Argument sichert die Existenz aller partiellen Ableitungen von Dα(gε ∗ f).Wir zeigen die Stetigkeit von Dα(gε ∗ f):Sei h ∈ Rn. Dann gilt wegen der Stetigkeit von Dαgε:

Dαgε(x+ h− y)f(y) −→h→∞

Dαgε(x− y)f(y) ∀y ∈ Rn;

und

|Dαgε(x+ h− y)f(y)| ≤ K(α, ε) |f(y)| ,

da gε ∈ C∞0 (Rn) und damit alle Ableitungen von gε beschrankt sind.Der Satz von Lebesgue liefert dann wieder:

limh→0

(Dα(gε ∗ f)(x+ h)) = limh→0

∫Rn

Dαgε(x+ h− y)f(y)dy

=∫

Rn

limh→0

Dαgε(x+ h− y)f(y)dy

=∫

Rn

Dαgε(x− y)f(y)dy = Dα(gε ∗ f)(x).

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§1 Lp-Raume

(ii) Aus supp(f) ⊂⊂ Ω und 0 < 2ε < dist(supp(f), ∂Ω)

⇒ gε ∗ f ∈ C∞0 (Ω).

Das ist offensichtlich (siehe nachfolgende Skizze):

(iii) Sei f ∈ Lp(Ω).

⇒ |(gε ∗ f)(x)| =∣∣∣∣∫

Rn

gε(x− y)1p+ 1

q f(y)dy∣∣∣∣ mit

1p

+1q

= 1

≤Holdersche

Ungl.

(∫Rn

gε(x− y)dy) 1

q

︸ ︷︷ ︸=11/q=1

(∫Rn

gε(x− y) |f(y)|p dy) 1

p

.

Da f außerhalb von Ω durch 0 fortgesetzt wird, gilt

⇒∫

Ω((gε ∗ f)(x))p dx ≤

∫Rn

(∫Rn

gε(x− y) |f(y)|p dy)dx

=∫

Rn

(∫Rn

gε(x− y)dx)

︸ ︷︷ ︸=1

|f(y)|p dy

=∫

Rn

|f(y)|p dy =∫

Ω|f(y)|p dy.

Das heißt

‖gε ∗ f‖Lp ≤ ‖f‖Lp ,

und damit gε ∗ f ∈ Lp(Ω).

Es wird jetzt limε0 ‖(gε ∗ f)− f‖Lp in mehreren Schritten gezeigt:

(iii)1 Es sei ψ ∈ C0(Rn), d.h. ψ ist stetige Funktion mit kompaktem Trager. Dann folgt:

|(gε ∗ ψ)(x)− ψ(x)| =∣∣∣∣∫

Rn

(gε(x− y)ψ(y)− gε(x− y)ψ(x)) dy∣∣∣∣

≤∫Kε(x)

gε(x− y) |ψ(y)− ψ(x)| dy

≤ supy∈Kε(x)

|ψ(y)− ψ(x)| .

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

⇒∫

Rn

|(gε ∗ ψ)(x)− ψ(x)|p dx ≤∫Sε

supy∈Kε(x)

|ψ(y)− ψ(x)|p dx < η,

wenn ε < ε0(η) mit Sε := x | dist(x, supp(ψ)) ≤ ε, da ψ gleichmaßig stetig auf dem Kom-paktum Sε ist.

⇒ limε0‖gε ∗ ψ − ψ‖Lp = 0.

(iii)2 Es sei jetzt s eine ”einfache“ Funktion (Treppenfunktion) mit supp(s) kompakt. Diesess lasst sich darstellen durch

s =N∑k=1

ck χMk

wobei Mk kompakt.

1) Nun lassen sich umgebende Mengen Uk wahlen mit Mk ⊂ Uk und µ(Uk \Mk) < η furbeliebiges η > 0 und Uk offen.

2) Mit Satz 1.1.9 (ii) lassen sich Funktionen ψk konstruieren mit ψk ∈ C∞0 (Rn):

2)i ψk(x) ≡ 1 fur x ∈Mk,2)ii 0 ≤ ψk(x) ≤ 1,2)iii supp(ψk(x)) ⊂ Uk.

Setze ψ :=∑N

k=1 ckψk ∈ C∞0 (Rn).

⇒ ‖ψ − s‖Lp =(∫

Rn

|ψ(x)− s(x)|p dx)1/p

≤N∑k=1

|ck| ‖ψk − χMk‖Lp .

Die Mengen Uk lassen sich nun so beliebig klein wahlen, so dass fur vorgegebenes ηk folgendeUngleichung gilt

‖ψk − χMk‖Lp =

(∫Uk\Mk

|ψk(x)|p dx

)1/p

≤ ηk.

Diese ηk werden so klein gewahlt, so dass fur vorgegebenes η gilt

‖ψ − s‖Lp ≤N∑k=1

|ckηk| ≤η

5.

⇒ ‖gε ∗ s− s‖Lp ≤ ‖(gε ∗ (s− ψ))‖Lp + ‖(gε ∗ ψ)− ψ‖Lp + ‖ψ − s‖Lp

≤Schritt (iii)

2 ‖s− ψ‖Lp + ‖(gε ∗ ψ)− ψ‖Lp︸ ︷︷ ︸< η

5

falls nur ε klein genug (Schritt (iii)1!)

Das heisst die rechte Seite lasst sich beliebig klein machen.(iii)3 Sei jetzt f ∈ Lp(Ω) beliebig und setze f(x) := 0 fur x ∈ Rn \ Ω.Sei η > 0 beliebig. Zu f ∈ Lp(Ω) gibt es ein f ∈ Lp(Ω) mit

supp(f) ⊂⊂ Ω und∥∥∥f − f∥∥∥

Lp<η

5nach Satz 1.1.6.

30

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§1 Lp-Raume

Zu f ∈ Lp(Ω) gibt es ein einfaches s mit

supp(s) ⊂⊂ Ω und∥∥∥f − s∥∥∥

Lp<η

5

nach Analysis 2 (s |f | f.u.).

Zu s gibt es ein ε > 0 mit ‖(gε ∗ s)− s‖Lp <η5 nach Schritt (iii)2.

Nach (iii) gilt: ∥∥∥gε ∗ (s− f)∥∥∥Lp<η

5.

Ebenfalls nach (iii) gilt: ∥∥∥gε ∗ (f − f)∥∥∥Lp<η

5.

Zusammengefasst folgt:

‖(gε ∗ f)− f‖Lp ≤∥∥∥gε ∗ (f − f)

∥∥∥Lp︸ ︷︷ ︸

<η/5

+∥∥∥gε ∗ (f − s)

∥∥∥Lp︸ ︷︷ ︸

<η/5

+ ‖(gε ∗ s)− s‖Lp︸ ︷︷ ︸<η/5

+

+∥∥∥s− f∥∥∥

Lp︸ ︷︷ ︸<η/5

+∥∥∥f − f∥∥∥

Lp︸ ︷︷ ︸<η/5

< η fur ε > 0 klein genug.

Korollar 1.1.10. C∞0 (Ω) ist dicht in Lp(Ω), 1 ≤ p <∞.

Beweis: Sei η > 0 beliebig und f ∈ Lp(Ω).

⇒ ∃ f ∈ Lp(Ω): supp(f) ⊂⊂ Ω und∥∥∥f − f∥∥∥

Lp<η

2(Satz 1.1.6).

(gε ∗ f) ∈ C∞0 (Ω) fur 0 < 2ε < dist(supp(f), ∂Ω) (Satz 1.1.9).

⇒∥∥∥(gε ∗ f)− f

∥∥∥Lp≤∥∥∥(gε ∗ f)− f

∥∥∥Lp︸ ︷︷ ︸

< η/2falls ε klein genug!

+∥∥∥f − f∥∥∥

Lp< η.

Satz 1.1.11. Sei u ∈ C(Ω) und M ⊂⊂ Ω. Dann gilt:

limε0

(gε ∗ u) = u gleichmaßig auf M.

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

Beweis:

supx∈M|(gε ∗ u)(x)− u(x)| ≤ sup

x∈M

∫Kε(x)

gε(x− y) |u(x)− u(y)| dy ≤ supx∈M

supy∈Kε(x)

|u(x)− u(y)| < η,

da u gleichmaßig stetig auf der kompakten Menge Mε := x | d(x,M) ≤ ε.

Lemma 1.1.12. Sei Ω ⊂ Rn offen und ϕ ∈ C∞(Ω). Zeigen Sie fur jedes x ∈ Ω die punktweiseKonvergenz: ∫

Ω

1|Kε(x)|

χKε(x)(y)ϕ(y)dy −→ ϕ(x) fur ε→ 0.

Beweis: Punktweise Konvergenz fur jedes x.∫Ω

1

|Kε(x)|χKε(x)(y)ϕ(y)dy ≤ 1

|Kε(x)|

∫Kε(x)

1dy maxy∈Kε(x)

ϕ(y)ε → 0−→

da ϕ glattϕ(x)

und ∫Ω

1

|Kε(x)|χKε(x)(y)ϕ(y)dy ≥ 1

|Kε(x)|

∫Kε(x)

1dy miny∈Kε(x)

ϕ(y)ε → 0−→

da ϕ glattϕ(x)

Lemma 1.1.13.Sei Ω ⊂ Rn offen und f ∈ L1(Ω). Zeigen Sie fur jedes ε→ 0 gilt∫

Ω

1|Kε(x)|

χKε(x)(y) f(y)dy −→ f(x) fur fast alle x ∈ Ω.

Beweis: In Erweiterung zu Lemma 1.1.12 ist hier f ∈ L1(Ω), anstatt C∞(Ω). Dann lasst sich eine fastuberall Konvergenz zeigen.

Betrachte gδ ∗ f ∈ C∞(Rn) nach Satz 1.1.9(i) folgt mit Lemma 1.1.12∫Ω

1

|Kε(x)|χKε(x)(y) (gδ ∗ f) (y)dy

ε → 0 (*)−→fur jedes x

gδ ∗ f(x)

(**)

yδi → 0, gleichmaßig in ε f.u. (***)

yδi → 0, fast uberall∫Ω

1

|Kε(x)|χKε(x)(y)f(y)dy f(x)

(*) folgt aus Lemma 1.1.12

(**) aus Satz 1.1.9(iii) gilt gδ ∗ f → f in L1(Ω), δ → 0

⇒ nach Korollar 1.1.4 existiert eine Teilfolge δi → 0 mit gδi ∗ f(x) → f(x) fast uberall(***) zuerst lasst sich die Konvergenz der beiden Integrale gleichmaßig fur |ε| < η1 in L1(Ω) zeigen, darausfolgt fur eine Teilfolge die punktweise fast uberall Konvergenz∣∣∣∣∫

Ω

∫Ω

1

|Kε(x)|χKε(x)(y) (gδ ∗ f(y)− f(y)) dy dx

∣∣∣∣ =

=

∣∣∣∣∫Ω

∫Ω

1

|Kε(0)|χKε(0)(x− y) (gδ ∗ f(y)− f(y)) dy dx

∣∣∣∣=

∣∣∣∣∫Ω

∫Ω

1

|Kε(0)|χKε(0)(y) (gδ ∗ f(x− y)− f(x− y)) dy dx

∣∣∣∣

32

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§1 Lp-Raume

≤∣∣∣∣∫

Ω

1

|Kε(0)|χKε(0)(y)dy

∣∣∣∣︸ ︷︷ ︸=1

· sup|y|<ε

‖gδ ∗ f(· − y)− f(· − y)‖L1(Ω)︸ ︷︷ ︸= ‖gδ ∗ f − f‖L1(Ω)︸ ︷︷ ︸

nach Satz 1.1.9(iii)→0 fur δ→0

Damit ist die Konvergenz der Integrale in L1(Ω) gezeigt, gleichmaßig fur ε beliebig nahe an 0. Daraus folgt

die fast uberall Konvergenz fur eine Teilfolge.

Die nachfolgende Aussage beinhaltet, dass falls u = f fast uberall in Ω ⇔ (u, ϕ) =(f, ϕ) ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω) gilt. Die Hinrichtung ist trivial, die Ruckrichtung nicht. Betrachtet manU(ϕ) := (u, ϕ) und F (ϕ) := (f, ϕ) als Funktionale so besagt die Folgerung, dass aus derGleichheit der Funktionale die fast uberall Gleichheit der sie definierenden Funktionen folgt.

Folgerung 1.1.14. Sei f ∈ L1(Ω), Ω ⊂ Rn offen. Dann gilt die Aquivalenz folgender Aus-sagen:

(1)∫

Ωf ϕ dx = 0 fur alle ϕ ∈ C∞0 (Ω).

(2)∫Kfdx = 0 fur alle K ⊂ Ω, K kompakt.

(3) f = 0 fast uberall in Ω.

Beweis:(1)⇒ (2): Sei K ⊂⊂ Ω beliebig. Betrachte

ξε := gε ∗ χK =∫Kgε(x− y)dy

Aus Satz 1.1.9 (ii) folgt fur hinreichend kleine ε, dass ξε ∈ C∞0 (Ω), da χK kompakten Tragerbesitzt. Außerdem gilt nach Konstruktion 0 ≤ ξε ≤ 1. Aus Satz 1.1.9 (iii) folgt ξε → χK inL1(Rn). Dann gibt es eine Teilfolge, fur welche ξεi → χK fast uberall in Rn.Da f ∈ L1(Ω), so folgt mit dem Konvergenzsatz von Lebesgue

ξεif → χKf in L1(Ω),

und somit

0 =∫

Ωξεifdx→

∫ΩχKfdx =

∫Kfdx.

(2)⇒ (3) : Betrachte fε(x) := 1|Kε(x)|

∫Kε(x)

f(y)dy. Nach Lemma 1.1.13 folgt

fε −→ f fast uberall,

da nach Voraussetzung fε = 0, so folgt f = 0 fast uberall.(3)⇒ (1) : Trivial.

33

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

§2 Schwache Ableitung

Wir hatten im Kapitel 0 bereits die Formel∫ΩDαu(x)ϕ(x)dx = (−1)|α|

∫Ωu(x)Dαϕ(x)dx, ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω), u ∈ C |α|(Ω)

mit Ω ⊂ Rn offen, kennengelernt.

Definition 1.2.1. Sei u ∈ L1loc(Ω). Dann heißt v ∈ L1

loc(Ω) die α-te schwache Ableitung vonu in Ω, wenn ∫

Ωu(x)Dαϕ(x)dx = (−1)|α|

∫Ωv(x)ϕ(x)dx

fur alle ϕ ∈ C∞0 (Ω) gilt.

Satz 1.2.2. Die schwache Ableitung ist eindeutig bestimmt.

Beweis: Seien v1, v2 schwache Ableitungen von u.

⇒ 0 = (−1)|α|∫

Ω(v2 − v1)ϕ(x)dx ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω)

⇒Folg.1.1.14

v = 0 f.u. in Ω.

Definition 1.2.3. Der Sobolev-Raum W k(Ω) wird definiert durch

W k(Ω) :=u ∈ L1

loc(Ω) | u besitzt schwache Ableitungen Dαu ∈ L1loc(Ω) ∀ |α| ≤ k

.

Speziell gilt: Ck(Ω) ⊂W k(Ω).

Lemma 1.2.4. Es sei u ∈W k(Ω) und ε < dist(x, ∂Ω). Dann gilt fur alle |α| ≤ k:

D↑α(gε ∗ u)(x) = (gε ∗D

↑αu)(x).

starke Ableitung schwache Ableitung

Beweis:

Dα(gε ∗ u)(x) = (Satz von Lebesgue, vgl. Beweis zu Satz 1.1.9) =

=∫

ΩDαxgε(x− y)u(y)dy

34

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§2 Schwache Ableitung

=∫

Ω(−1)|α|Dα

y (gε(x− y))u(y)dy

=part. Int.

∫Ωgε(x− y)Dαu(y)dy

= (gε ∗Dαu) (x).

Lemma 1.2.5. Es seien u, v ∈ L1loc(Ω). Dann gilt:

v = Dαu ⇐⇒ ∃(uk) ⊂ C∞(Ω) mit

limk→∞ ‖uk − u‖L1(Ω′) = 0limk→∞ ‖Dαuk − v‖L1(Ω′) = 0

fur Ω′ ⊂⊂ Ω beliebig.

Beweis: ”⇒“: Sei Ω′ ⊂⊂ Ω beliebig, v = Dαu die schwache Ableitung.Es sei εk < dist(Ω′, ∂Ω). Setze uk := (gεk

∗ u).

⇒ uk ∈ C∞(Ω) und limεk0

‖uk − u‖L1(Ω′) = 0

nach Satz 1.1.9 (iii).Nach Lemma 1.2.4 folgt:

Dαuk = gεk∗Dαu = gεk

∗ v −→εk0

v in L1(Ω′).

”⇐“: Sei (uk) ∈ C∞(Ω)

⇒ uk ∈W l(Ω) fur alle k und beliebige l.

Sei Ω′ ⊂⊂ Ω.

⇒∫

Ω′uk(x)Dαϕ(x)dx = (−1)|α|

∫Ω′Dαuk(x)ϕ(x)dx ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω)

↓ k →∞ ↓ k →∞

(Voraussetzungen)∫Ω′u(x)Dαϕ(x)dx = (−1)|α|

∫Ω′v(x)ϕ(x)dx.

Fur die schwache Ableitung gilt die Produktregel:Seien u ∈ C1(Ω), v ∈W 1(Ω). Dann gilt:

u · v ∈W 1(Ω) und Dj(u · v) = vDju+ uDjv, Dj :=∂

∂xj

35

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

Beweis hierfur: Sei v ∈W 1(Ω). Nach Lemma 1.2.5 gilt fur beliebiges Ω′ ⊂⊂ Ω

⇒ ∃(vk) ⊂ C∞(Ω) : vk → v in L1(Ω′)

Djvk → Djv in L1(Ω′).

Dann gilt ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω) :∫ΩDjϕvku dx = −

∫ΩϕDj(vk · u)dx = −

∫Ωϕ (Djvk · u+ vkDju) dx

↓ k →∞ ↓ k →∞∫ΩDjϕv u dx −

∫Ωϕ (Dj v · u+ v Dju) dx.

Dann folgt

−∫

ΩDjϕv u dx =

∫Ωϕ (Dj v · u+ v Dju) dx

⇒ Dj(uv) = Dj v u+ v Dju.

Bemerkung 1.2.6 (Erweiterung der Produktregel).Sei h ∈W 1(R). Zeigen Sie dass gilt:

(hχ(x1,x2))′ = h′ χ(x1,x2) + h δ(x1)− h δ(x2).

Wir haben diese Produktregel in Bemerkung 0.2.5 angewendet, um den 1. Hauptsatz derDifferential- und Integralrechnung fur Sobolev-Funktionen zu zeigen. Zum Beweis konnen wirdaher hier nicht Bemerkung 0.2.5 anwenden.

Herleitung dieser Produktregel als Approximation:Es ist χ(x1,x2) 6∈W 1(R), aber fε ∈W 1(R) mit fε, wie im Bild definiert

fε stetig mit kompaktem Trager, fε → χ(x1,x2) punktweise fur ε→ 0.⇒ mit Faltung gδ ∗ fε ∈ C∞0 (R)Wende entweder Lemma 1.3.9 an (kommt noch) oder die Anmerkung zu Lemma 1.2.5,

(h · (gδ ∗ fε))′ = h′ (gδ ∗ fε) + h · (gδ ∗ fε)

′ .

36

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§2 Schwache Ableitung

Fur alle ϕ ∈ C∞0 (R) gilt

−∫

Rh · (gδ ∗ fε)ϕ

′dx =

∫R

(h · (gδ ∗ fε))′ ϕdx =

∫Rh′ (gδ ∗ fε)ϕdx+

(∗)︷ ︸︸ ︷∫Rh · (gδ ∗ fε)

′ ϕdxyδ, ε → 0 (Satz 1.1.9)

yδ, ε → 0 (Satz 1.1.9)

−∫

Rh · χ(x1,x2)ϕ

′dx

∫Rh′χ(x1,x2)ϕdx

Betrachte nun (∗): Wir wissen:

(gδ ∗ fε)′ =

(gδ ∗ f ′ε

) δ→0−→Satz 1.1.9

f ′ε↑ ↑

starke Abl. schwache Abl.

∫Rh · (gδ ∗ fε)

′ ϕdx −→∫

Rhf ′εϕdx

(3)=

∫ x1

x1−ε

1

εhϕdx −

∫ x2+ε

x2

1

εhϕdx

↓ Lemma 1.1.13 ↓ Lemma 1.1.13

h(x1)ϕ(x1) h(x2)ϕ(x2)

= (hδx1) (ϕ) = (hδx2) (ϕ),

wobei (3) wegen

f ′ε(x) =

1/ε, x ∈ (x1 − ε, x1)

−1/ε, x ∈ (x2, x2 + ε)0 sonst

.

δx1 bezeichnet die Diracsche-Deltadistribution im Punkt x1.

Achtung: Auf der linken Seite steht eine distributionelle Ableitung, auf der rechten Seite Maße!

⇒ Die Gleichung der Produktregel ist keine Gleichheit fast uberall von Funktionen, sondern nur eine distribu-

tionelle Gleichheit!

Satz 1.2.7. (Kettenregel)Es seien f ∈ C1(R), f ′ ∈ L∞(R) und u ∈W 1(Ω). Dann gelten:

(i) f u ∈W 1(Ω),

(ii) Dj(f u) = f ′(u)Dju.

Beweis: Wir wenden Lemma 1.2.5 an.Es sei Ω′ ⊂⊂ Ω beliebig. Nach Lemma 1.2.5 gibt es eine Folge (um) ⊂ C∞(Ω) mit

um −→m→∞

u

Djum −→m→∞

Dju

in L1(Ω′).

‖f um − f u‖L1(Ω′) =∫

Ω′|f(um(x))− f(u(x))| dx

≤Mittelwertsatz

supw∈R

∣∣f ′(w)∣∣ ∫

Ω′|um(x)− u(x)| dx

=∥∥f ′∥∥

L∞(R)‖um − u‖L1(Ω′)

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

⇒ ‖f um − f u‖L1(Ω′) −→m→∞0.

Weil um −→m→∞

u in L1(Ω′), folgt nach Korollar 1.1.4:

∃(umk) ⊂ (um) Teilfolge : umk

(x) −→k→∞

u(x) punktweise fur fast alle x.

⇒∥∥f ′(umk

)Djumk− f ′(u)Dju

∥∥L1(Ω′)

≤∫

Ω′

∣∣f ′(umk(x))− f ′(u(x))

∣∣ |Dju(x)| dx︸ ︷︷ ︸(1)

+∫

Ω′

∣∣f ′(umk(x))

∣∣ |Djumk(x)−Dju(x)| dx︸ ︷︷ ︸

(2)

.

Es lasst sich abschatzen:

(1) ≤ 2∥∥f ′∥∥

L∞(R)

∫Ω′|Dju(x)| dx <∞, d.h.

∣∣f ′(umk)− f ′(u)

∣∣ · |Dju| ∈ L1(Ω′).

Aus f ′ stetig und umk→ u punktweise fast uberall folgt damit:∫

Ω′

∣∣f ′(umk(x))− f ′(u(x))

∣∣ |Dju(x)| dx −→k→∞

0. (Satz von Lebesgue!)

(2) ≤∥∥f ′∥∥

L∞(R)‖Djumk

−Dju‖L1(Ω′) −→k→∞0.

Folglich hat man:

f umk−→ f u

Dj(f umk) −→ f ′(u)Dju

⇒ (Lemma 1.2.5) Beh.

Bezeichung: Fur u ∈ L1loc(Ω) bezeichnen wir:

u+(x) := max(u(x), 0)

u−(x) := −min(u(x), 0)

Folgerung: u(x) = u+(x)− u−(x), |u(x)| = u+(x) + u−(x)

Lemma 1.2.8. Sei u ∈W 1(Ω). Dann gilt:

u+, u−, |u| ∈W 1(Ω).

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§3 W k,p(Ω)-Raume (Sobolev-Raume)

Beweis (fur u+): Sei u ∈W 1(Ω)

⇒ Du+ =Du f.u. in u > 00 f.u. in u ≤ 0

, Du+ ∈W 1(Ω) (Lemma von Sard).

Anmerkung: Man kann es auch als Approximation betrachten. Es gilt

limε→0

Fε(u) = u+ punktweise

mit

Fε(z) = √

z2 + ε2 − ε, z ≥ 00, z < 0

.

Dann ist Fε ∈ C1(R), Fε ∈ L∞(R) und nach Satz 1.2.7 ist Fε(u) ∈ W 1 ∀ε > 0. Es lasst sichzeigen, dass Fε(u) in W 1 konvergiert. Damit folgt u+ ∈W 1.

§3 W k,p(Ω)-Raume (Sobolev-Raume)

Definition 1.3.1. Es seien 1 ≤ p < ∞, Ω ⊂ Rn offen und k ∈ N0. Der Sobolev-RaumW k,p(Ω) wird dann definiert durch

W k,p(Ω) :=u ∈W k(Ω) | Dαu ∈ Lp(Ω) ∀ |α| ≤ k

.

Mit

‖u‖k,p := ‖u‖Wk,p :=

∑0≤|α|≤k

∫Ω|Dαu(x)|p dx

1/p

ist W k,p(Ω) ein normierter linearer Raum.

Anmerkung: Es gilt naturlich Lp(Ω) ⊂ L1loc(Ω) ∀1 ≤ p <∞.

Satz 1.3.2. Mit der Norm ‖·‖Wk,p ist W k,p(Ω) ein Banach-Raum.

Beweis: Sei (um) ⊂ W k,p(Ω) eine Cauchy-Folge. ⇔ (Dαum) ist Cauchy-Folge in Lp(Ω) furalle |α| ≤ k. Lp(Ω) ist aber vollstandig.=⇒ ∃u, vα ∈ Lp(Ω) mit:

um −→m→∞

u und Dαum −→m→∞

vα in Lp(Ω).

=⇒Lp⊂L1

loc

um −→ u und Dαum −→ vα in L1loc(Ω).

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

Wegen: ∫Ω′um(x)Dαϕ(x)dx = (−1)|α|

∫Ω′Dαum(x)ϕ(x)dx ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω′)

↓ m→∞ ↓ m→∞∫Ω′u(x)Dαϕ(x)dx = (−1)|α|

∫Ω′vα(x)ϕ(x)dx.

⇒ vα = Dαu, d.h. ‖um − u‖Wk,p(Ω′) −→m→∞0 ∀Ω′ ⊂ Ω,Ω′ kompakt.

Korollar 1.3.3. Fur p = 2 ist W k,2(Ω) =: Hk(Ω) ein Hilbert-Raum mit dem Skalarprodukt

(u, v)k :=∑|α|≤k

∫ΩDαu(x)Dαv(x)dx.

Anmerkung: Es gilt selbstverstandlich die Inklusion

Ck0 (Ω) ⊂W 1,p(Ω) ∀1 ≤ p <∞ fur ein beliebiges k.

Definition 1.3.4. Wir definieren

W k,p0 (Ω) := Ck0 (Ω)

‖·‖k,p 3 und entsprechend

W k,20 (Ω) =: Hk

0 (Ω).

Anmerkung: W k,p0 (Ω) ist ein Banachraum. Hk

0 (Ω) ist mit dem Skalarprodukt in Korollar1.3.3 ein Hilbertraum.

Bemerkung 1.3.5. Sei Ω ein beschranktes Gebiet. Dann gelten:

(i) f : R→ R stetig differenzierbar, f ′ ∈ L∞(R), u ∈W 1,p(Ω)

⇒ (f u) ∈W 1,p(Ω)

(ii) Gilt zusatzlich zu (i) noch f(0) = 0 und u ∈W 1,p0 (Ω),

⇒ (f u) ∈W 1,p0 (Ω)

(iii) u ∈W k,p0 (Ω), v ∈W k,q

0 (Ω) und 1p + 1

q = 1

⇒∫

ΩDαu(x)v(x)dx = (−1)|α|

∫Ωu(x)Dαv(x)dx ∀|α| ≤ k.

3Der Abschluss ist bezuglich der Norm ‖·‖k,p zu verstehen.

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§3 W k,p(Ω)-Raume (Sobolev-Raume)

Der Beweis zu (i) geht ahnlich, wie der Beweis zu Lemma 1.2.8. (ii) ist trivial. Die Beziehung(iii) folgert man indem man u und v durch Folgen aus dem Ck0 (Ω) approximiert. Denn furjedes Folgenglied gilt die Gleichung aus der partieller Integration. Den Grenzubergang zeigtman mit der Holderschen Ungleichung (und damit auch Existenz der Integrale).

Beispiel 1.3.6 (Sobolev-Funktionen).Es seien in Ω := K1(0) ⊂ Rn, n ≥ 2, folgende Funktionen gegeben:

uα(x) = |x|−α (x ∈ Ω, x 6= 0).

a.) Fur welche Werte α liegt uα in W 1,p(Ω) ?

b.) Konstruiere mit dem Wissen um uα eine Funktion u ∈ W 1,p(Ω), die auf jeder offenenTeilmenge von Ω unbeschrankt ist.(Tip: Gehe von einer abzahlbar dichten Teilmenge von Ω aus.)

Beweis:

a.) Der Gradient von uα berechnet sich zu

∇uα(x) = −α |x|−(α+1) x

|x| = − αx

|x|α+2 , x 6= 0

Fur die Berechnung der Lp-Normen von uα und ∇uα auf K1(0) sind Polarkoordinaten sinnvoll. Es gilt:

(I) ∫K1(0)

|uα|p dx =

∫ 1

0

∫∂Kr(0)

r−αpdσ dr

=

∫ 1

0

∫∂K1(0)

r−αp rn−1︸ ︷︷ ︸ dσ drFunktionaldet. bei T : ∂Kr(0) → ∂K1(0)

= |∂K1(0)|∫ 1

0

rn−1−αpdr

(II) ∫K1(0)

|∇uα|p dx = |α|p∫ 1

0

∫∂Kr(0)

r−(α+1)pdσ dr

Transfo.=

wie oben|α|p |∂K1(0)|

∫ 1

0

rn−1−(α+1)pdr

Damit die Integrale (I) und (II) endlich sind, muss der Gesamtexponent von r jeweils großer als −1 sein:

n− 1− αp > −1 und n− 1− (α+ 1)p > −1.

Die zweite Bedingung ist die restriktivere. Es ergibt sich fur α

α <n

p− 1.

(Anmerkung:Handelt es sich bei den starken Ableitungen außer einem singularen Punkt, welche in Lp(Ω) beschranktsind, auch tatsachlich um schwachen Ableitungen ? z.z.:∫

K1(0)

uα(x)∇ϕ(x)dx = −∫

K1(0)

∇uα(x)ϕ(x)dx .

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

Wir machen die gleiche Konvergenzbetrachtung, wie in PDGL I (Kap.2.1). Mit dem Satz von Gauß-Green gilt fur ε < 0

∫K1(0)\Kε(0)

1

|x|α∇ϕ(x)dx =

∫∂Kε(0)

1

|x|αϕ ·

=~n∂Kε(0)︷︸︸︷x

εdσ︸ ︷︷ ︸

≤∫

∂K1(0)‖ϕ‖∞

1εα ε

n−1dσ

−∫

K1(0)\Kε(0)

− αx

|x|α+2ϕdx

yε → 0, denn α < n − 1

yε → 0, denn α < n − 1

yε → 0, denn α < n − 1∫K1(0)

1

|x|α∇ϕ(x)dx = 0 −∫

K1(0)

− αx

|x|α+2ϕdx )

b.) Im Falle n > p ist es moglich, positive Werte von α zu wahlen, die entsprechenden uα sind dann imUrsprung unbeschrankt, dennoch in W 1,p(K1(0)) (siehe a.) ). Wahlt man eine Folge xnn∈N, die dichtin K1(0) ist, so kann man Funktionen un definieren

un(x) := |x− xn|−α

⇒ un ∈W 1,p(K1(0)), und un unbeschrankt in xn.Setze die un mit einer konvergenten Reihe zusammen. Definiere

u(x) :=∑n∈N

2−nun(x)

⇒ u(x) bleibt ein Element in W 1,p(K1(0)) (denn nach Satz 1.3.2 W 1,p(Ω) ist vollstandig und ‖u‖1,p

hangt nicht von xn ab). u ∈W 1,p(K1(0)), ist jedoch auf jeder offenen Teilmenge unbeschrankt.

Bemerkung im voraus: In diesem Fall unter b.) ist die Bedingung des Satzes 1.4.4 (Sobolev) 1 >np

nicht erfullt. Damit zeigt sich, man kann nicht auf diese Bedingung verzichten und an Ω weitereeinschrankende Forderungen stellen.

Ziel: Wir wollen zeigen, dass C∞(Ω) ∩W k,p(Ω) dicht in W k,p(Ω) bezuglich der Norm ‖·‖k,pliegt, d.h. insbesondere Ck,p(Ω) ist dicht in W k,p(Ω), wobei die Funktionen in Ck,p(Ω) k-malstetig differenzierbar sind und samt aller Ableitungen beschrankte Lp-Norm haben.

Lemma 1.3.7. Sei u ∈W k,p(Ω), 1 ≤ p <∞. Dann gilt:

‖gε ∗ u− u‖Wk,p(Ω′) −→ε0

0 ∀Ω′ ⊂⊂ Ω.

Beweis: Nach dem Satz 1.1.9 (K.O. Friedrichs) folgt fur ein beliebiges Ω′ ⊂⊂ Ω

gε ∗ u −→ε0

u in Lp(Ω′).

Nach Lemma 1.2.4 gilt:

Dα(gε ∗ u) = gε ∗Dαu, 0 < ε < dist(Ω′, ∂Ω)

gε ∗Dαu −→ε0

Dαu in Lp(Ω′) nach Satz 1.1.9

⇒ Dα(gε ∗ u) −→ε0

Dαu in Lp(Ω′) ∀ |α| ≤ k.

Anmerkung: Setzt man u ∈ W k,p(Ω) in Rn \ Ω durch ”0“ fort, so ist diese Fortsetzung inLp(Rn), aber nicht notwendigerweise in W k,p(Rn).

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§3 W k,p(Ω)-Raume (Sobolev-Raume)

Definition 1.3.8. Wir definieren

CkB(Ω) :=u ∈ Ck(Ω) | Dαu beschrankt fur alle 0 ≤ |α| < k

.

Lemma 1.3.9. (Leibnizformel)Es sei ψ ∈ C∞(Ω) ∩ CkB(Ω), u ∈W k,p(Ω). Dann folgt:

ψ · u ∈W k,p(Ω)

und

Dα(ψ · u) =∑β≤α

(αβ

)DβψDα−βu, |α| ≤ k.

Hierbei ist (αβ

):=

α!β!(α− β)!

=n∏i=1

αi!βi!(αi − βi)!

und unter β ≤ α verstehen wir βi ≤ αi fur alle i = 1, 2, . . . , n.

Beweis: (Vollstandige Induktion uber |α|):|α| = 1 : D(ψ · u) =

ProduktregelψDu+ uDψ siehe Anmerkung nach Lemma 1.2.5.

|α| → |α| + 1 : Die Leibnizformel sei richtig fur alle |α| ≤ l und l < k. Wir wahlen einenMultiindex α mit |α| = l+ 1. Dann ist α = β + γ fur ein β mit |β| = l und γ mit |γ| = 1. Seiϕ ∈ C∞0 (Ω).

⇒∫

Ωψ · uDαϕdx =

∫Ωψ · uDβ+γϕdx =

=(Induktionsvor.)

(−1)|β|∫

Ω

∑σ≤β

(βσ

)DσψDβ−σu

Dγϕdx

= (−1)

|α|︷ ︸︸ ︷|β|+ |γ|

∫Ω

∑σ≤β

(βσ

)Dγ(DσψDβ−σu

)ϕdx

(Induktionsvor.)=

ρ := σ + γα = β + γ

(−1)|α|∫

Ω

∑σ≤β

(βσ

)D =:ρ︷ ︸︸ ︷σ + γψD

=α−ρ︷ ︸︸ ︷β − σu+DσψD

=α−σ︷ ︸︸ ︷β − σ + γu

ϕdx

= (−1)|α|∫

Ω

∑σ≤β

(βσ

)[DρψDα−ρu+DσψDα−σu

]ϕdx

= (−1)|α|∫

Ω

∑σ≤α

[(β

σ − γ

)DσψDα−σu+

(βσ

)DσψDα−σu

]ϕdx

= (−1)|α|∫

Ω

∑σ≤α

(ασ

)DσψDα−σu

ϕdx

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

mit (β

σ − γ

)+(βσ

)=(β + γσ

)=(ασ

).

Bemerkung 1.3.10 (Existenz einer Abschneidefunktion).Sei Ω ⊂ Rn offen und K ⊂ Rn kompakt mit Kδ(K) ⊂ Ω, wobei δ > 0. Dann gibt es eineAbschneidefunktion ψ ∈ C∞0 (Ω) mit

0 ≤ ψ ≤ 1, ψ = 1 auf K,|Dαψ| ≤ Cn,α · δ−|α| fur alle Multiindizes α.

Beweis: Nehme gε wie aus Definition 1.1.7 fur ε := δ/4 definiere:

ψ := gδ/4 ∗ χKδ/2(K).

Da χKδ/2(K) kompakten Trager besitzt und in L1(Ω) liegt, so folgt mit Satz 1.1.9 (ii) ψ ∈ C∞0 (Ω).

• x ∈ K

ψ(x) =

∫Rn

gδ/4(x− y)χKδ/2(K)(y)dy

=

∫Kδ/4(x)

gδ/4(x− y)χKδ/2(K)(y)dy wobei χKδ/2(K)(y) = 1 auf Kδ/4(x)

=

∫Kδ/4(x)

gδ/4(x− y)dy = 1

• x ∈ Ω \K 34 δ(K)

ψ(x) =

∫Rn

gδ/4(x− y)χKδ/2(K)(y)︸ ︷︷ ︸=0

dy = 0

44

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§3 W k,p(Ω)-Raume (Sobolev-Raume)

• 0 ≤ ψ ≤ 1 direkt nach Definition

• Z.z.: |Dαψ| ≤ Cn,α · δ−|α|.

|Dαψ(x)| =

∣∣∣∣∫Rn

Dαx gδ/4(x− y)χKδ/2(K)(y)dy

∣∣∣∣=

∣∣∣∣∣∫

Rn

1

(δ/4)n· g(|α|)

(x− y

δ/4

)·(

1

δ/4

)|α|χKδ/2(K)(y)dy

∣∣∣∣∣ ,wobei g(|α|) die |α|-te Ableitung von g bezeichnet. Mit der Variablentransformation

z =x− y

δ/4⇒ dy = (δ/4)ndz

folgt

|Dαψ(x)| =

∣∣∣∣∣∫

Rn

g(|α|)(z) ·(

1

δ/4

)|α|· χKδ/2(K)(x− (δ/4)z)dz

∣∣∣∣∣≤ Cn,α ·

1

(δ/4)|α|= Cn,α · δ−|α|

da g ∈ C∞0 (K1(0)), daher ist die Integralabschatzung beschrankt.

• Im Beweis von Satz 1.4.4 und Lemma 1.4.16 ist das jeweilige δ fest gewahlt.

• Man kann obige Konstruktion scharfer machen, wenn man χKδ/4(K) benutzt.

Lemma 1.3.11. (Zerlegung der Eins)Es sei Ω ⊂

⋃∞j=1 Ωj eine offene Uberdeckung von Ω mit:

(i) Ωj ⊂⊂ Ω, d.h. Ωj ist offen und beschrankt,

(ii) ∀K ⊂⊂ Ω ⇒ K ∩ Ωj = ∅ fur fast alle j (lokal endliche Uberdeckung).

Dann gilt: ∃ (ψj)j∈N ⊂ C∞0 (Ω) :

(i) 0 ≤ ψj(x) ≤ 1, ∀x ∈ Ω, j = 1, 2, . . .,

(ii) supp(ψj) ⊂ Ωj , ∀j ∈ N,

(iii)∑

j∈N ψj(x) = 1, ∀x ∈ Ω.

Beweis: O.B.d.A. Ωj 6= ∅ ⇒ es existiert Kj ⊆ Ωj kompakt. Wahle um x ∈ Ωj eine Kugel undverkleinere sie, damit ihr Abschluss auch noch in Ωj enthalten ist. Nach Bemerkung 1.3.10existiert ψj ∈ C∞0 (Ωj) mit 0 ≤ ψj ≤ 1, supp(ψj) ⊆ Ωj . Definiere nun

ψj(x) :=ψj(x)∑j∈N ψj(x)

.

Da Ωj lokal endliche Uberdeckung, so sind fur jedes x nur endlich viele Summanden aus∑j∈N ψj(x) von Null verschieden. Damit ist fur jedes x, ψj(x) wohldefiniert mit ψj ∈ C∞0 (Ω)

und erfullt (i) - (iii).

Definition 1.3.12. Wir fuhren den Raum Ck,p(Ω) ein durch:

Ck,p(Ω) :=u ∈ Ck(Ω) | Dαu ∈ Lp(Ω), |α| ≤ k

.

Naturlich gilt Ck,p(Ω) ⊂W k,p(Ω).

45

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

Satz 1.3.13. (Meyers, Serrin 1964): Es gilt:

C∞(Ω) ∩W k,p(Ω)(⊂ Ck,p(Ω)

)ist dicht in W k,p(Ω).

Beweis: Setze

Kj :=x ∈ Ω | |x| ≤ j,dist(x, ∂Ω) ≥ 1

j

.

Kj ist kompakt und Kj ⊂⊂ Ω fur alle j ∈ N, sowie Ω =⋃j∈NKj . (Ω offene Menge!)

Definiere: Ωj :=Kj+1 \Kj−1 fur j ∈ N0, wobei K0,K−1 := ∅.

Ω =⋃∞j=0 Ωj ist eine offene, lokal endliche Uberdeckung von Ω.

=⇒Lemma 1.3.11

∃(ψj) ⊂ C∞0 (Ω) Zerlegung der ”1“.

Sei nun u ∈W k,p(Ω). =⇒Lemma 1.3.9

ψj · u ∈W k,p(Ω). Ferner ist supp(ψj · u) ⊂ Ωj ⊂Kj+1.

Sei 0 < εj < dist(Kj+1, ∂Kj+2). Nach dem Satz von Friedrichs (Satz 1.1.9) folgt:

gεj ∗ (ψj · u) ∈ C∞0 (Uj), wobei Uj :=Kj+2 \Kj−2.

Es gilt: Uj ⊂⊂ Ω,Ωj ⊂⊂ Uj .Sei nun ε > 0 beliebig vorgegeben. Nach Lemma 1.3.7 wahlen wir εj > 0 so klein, so dass∥∥gεj ∗ (ψj · u)− ψju

∥∥Wk,p(Uj)

2j

gilt.

=⇒Trager von ψj ·u

∥∥gεj ∗ (ψj · u)− ψju∥∥Wk,p(Ω)

2j.

46

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§4 Einbettungssatze

Sei vj := gεj ∗ (ψj · u).⇒ ∀x ∈ Ω ist die Summe v :=

∑∞j=1 vj ∈ C∞(Ω) endlich, dann (Ωj) ist lokal endliche

Uberdeckung und Ωj ⊂⊂ Uj , Uj ⊂⊂ Ω.Es ist u(x) =

∑∞j=1 ψj(x)u(x).

⇒ ‖v − u‖Wk,p(Ω) =

∥∥∥∥∥∥∞∑j=1

vj −∞∑j=1

ψju

∥∥∥∥∥∥Wk,p(Ω)

≤∞∑j=1

‖vj − ψju‖Wk,p(Ω) <∞∑j=1

ε

2j= 2ε.

Außerdem ist v ∈ C∞(Ω), siehe oben, und wegen v = v − u︸ ︷︷ ︸∈Wk,p(Ω)

+ u︸︷︷︸∈Wk,p(Ω)

aus W k,p(Ω).

⇒ ∀u ∈W k,p(Ω) ∀ε > 0 ∃v ∈ C∞(Ω) ∩W k,p(Ω) :

‖u− v‖Wk,p(Ω) < ε.

§4 Einbettungssatze

Aus der Definition der Raume folgt unmittelbar die stetige Einbettung

. . . →W 2,p(Ω) →W 1,p(Ω) → Lp(Ω)

bzw.

. . . →W 2,p0 (Ω) →W 1,p

0 (Ω) → Lp(Ω).

Wir beweisen jetzt

Satz 1.4.1. (F. Rellich): Sei Ω ⊂ Rn offen und beschrankt. Dann ist die Einbettung

W k+1,p0 (Ω) →W k,p

0 (Ω)

kompakt, d.h. die Einheitskugel in W k+1,p0 (Ω) ist relativ kompakt in W k,p

0 (Ω) oder andersausgedruckt: Die Identitat i : W k+1,p

0 (Ω)→W k,p0 (Ω) ist stetig und kompakt.

Beweis: Nach Definition von W k+1,p0 (Ω) ist C∞0 (Ω) dort dicht. Sei nun u ∈ C∞0 (Ω) ⊂

C∞0 (Rn).

Dαu(x+ y)−Dαu(x) =∫ 1

0

d

dtDαu(x+ ty)dt =

∫ 1

0〈∇Dαu(x+ ty), y〉 dt,

wobei 〈·, ·〉 das Skalarprodukt im Rn ist.

47

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

⇒∫

Ω|Dαu(x+ y)−Dαu(x)|p dx =

∫Ω

∣∣∣∣∫ 1

0〈∇Dαu(x+ ty), y〉 dt

∣∣∣∣p dxfur

1p

+1q

= 1Holder-Ungl.≤

im Rn

∫Ω

(∫ 1

0|∇Dαu(x+ ty)|p · |y|q dt

)pdx

≤Holder-Ungl.

|y|pq∫

Ω

∫ 1

0|∇Dαu(x+ ty)|pp dt dx

≤ |y|pq∫ 1

0

∫Rn

∑|α|≤k+1

|Dαu(x+ ty)|p dx

︸ ︷︷ ︸unabhangig von t, da uber

Rn integriert wird!

dt

≤ |y|pq∑

|α|≤k+1

∫Rn

|Dαu(x+ ty)|p dx.

Hierbei bezeichnet |y|q := (yq1 + . . .+ yqn)1/q die q-Norm im Rn.

Zusammenfassend:(∫Ω|Dαu(x+ y)−Dαu(x)|p dx

)1/p

≤ |y|q ‖u‖Wk+1,p(Rn) = |y|q ‖u‖Wk+1,p(Ω) ∀u ∈ C∞0 (Ω).

Dann gilt diese Abschatzung fur alle u ∈ W k+1,p0 (Ω), da C∞0 (Ω) dicht in W k+1,p

0 (Ω) liegt(Korollar 1.1.10). Es sei jetzt u ∈W k+1,p

0 (Ω) mit ‖u‖Wk+1,p

0 (Ω)≤ 1.

⇒∫

Ω|Dαu(x+ y)−Dαu(x)|p dx ≤ |y|pq ∀y ∈ Rn, |α| ≤ k. (1.1)

Die Menge Mα :=Dαu | ‖u‖

Wk+1,p0 (Ω)

≤ 1

ist fur |α| ≤ k beschrankt in Lp(Ω).Wegen (1.1) besteht die Menge Mα aus im p-Mittel gleichgradig stetigen Funktionen (Ω istbeschrankt!)

⇒ Mα ist relativ kompakt in Lp(Ω) fur alle |α| ≤ k nach dem Kompaktheitskriteriumvon Kolmogorov in Lp(Ω).

Sei jetzt (un)n∈N ⊂W k+1,p0 (Ω) mit ‖un‖Wk+1,p

0 (Ω)≤ 1. Nach Ubergang zu (endlich vielen) Teil-

folgen fur jedes α, |α| ≤ k, lasst sich aus diesen endlich vielen Teilfolgen eine (Teil-)Teilfolgeauswahlen fur welche gilt: ∃(unk

) ⊂ (un) : (Dαunk) konvergiert in Lp(Ω) fur alle |α| ≤ k.

⇒ (unk) konvergiert in W k,p

0 (Ω).

⇒u ∈W k+1,p

0 (Ω) | ‖un‖Wk+1,p0 (Ω)

≤ 1

ist relativ kompakt in W k,p0 (Ω),

(un) war beliebig.

Der Satz von Rellich setzt nichts uber den Rand von Ω voraus. Fur die nachfolgenden Aussagenbenotigen wir Voraussetzungen uber ∂Ω.

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§4 Einbettungssatze

Definition 1.4.2. Es sei Kr[z] := Kr(z) ⊂ Rn eine abgeschlossene Kugel um z mit Radiusr und C0 := λx | x ∈ Kr[z], λ ≥ 0 ∩KR[0] ein Kegel mit Spitze ”0“ und ”Hohe“ R. Eineoffene Menge Ω genugt der (“inneren”) Kegelbedingung 4, wenn zu jedem x0 ∈ Ω ein zu einemfesten C0 kongruenter Kegel mit Spitze x0 existiert, der ganz in Ω liegt.

Beispiel 1.4.3. Es sei α > 1. Betrachte

Xα := x ∈ R3 : 0 < x1 < 1,√x2

2 + x23 < xα1 .

Xα ist ein Beispiel fur ein Gebiet, welches nicht die Kegelbedingung erfullt.

4 In PDG I hatten wir in Kapitel 2.3 (Beispiele zu Satz 2.3.11) die “aussere” Kegelbedingung kennengelernt.

49

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

Sei Γ der Offnungswinkel eines beliebigen Kegels C0 mit der Spitze im Punkt 0 = (0, 0, 0).

C0 = 0 + g(r, θ1, θ2), (θ1, θ2) ∈ Γ

Xα ist rotationssymmetrisch. Betrachte einen Schnitt Xα ∩(R2 × 0

). Wenn es einen Kegel mit Γ 6= ∅ gibt

⇒ gibt es ein C > 0 mit

xα1 > Cx1 ⇒ xα−1

1 > C ∀x1 ∈ (0, 1).

Es lasst sich nun aber ein beliebig kleines x1 finden, wofur die Ungleichung nicht gilt. ⇒ Xα erfullt nicht die Kegelbedingung im Punkt 0.

Satz 1.4.4. (Sobolev 1938): Die offene Menge Ω ⊂ Rn genuge der Kegelbedingung. Fernersei k > n

p . Dann gilt: Jedes u ∈ W k,p(Ω) ist fast uberall gleich einer stetigen Funktion unddiese ist auf Ω beschrankt. Insbesondere gilt die stetige Einbettung W k,p(Ω) → C0

B(Ω). DieAussage ist scharf !

Beweis: Es sei x0 ∈ Ω fest gewahlt und Cx0 fester Referenzkegel mit Spitze in x0.Wir stellen den Kegel Cx0 in (n-dimensionalen) Polarkoordinaten g(r, θ1, θ2, . . . , θn−1), |g(r, θ)| =r, g(0, θ) = 0 dar:

Cx0 := x0 + g(r, θ) | 0 ≤ r ≤ R, θ = (θ1, θ2, . . . , θn−1) ∈ Γ .

Γ stellt den Offnungswinkel des Kegels dar.

Es sei Σ := g(1, θ) | θ ∈ Γ und |Σ|n−1 der (n − 1)-dimensionale Flacheninhalt von Σ,|Σ|n−1 > 0.

Die Integration einer Funktion f uber Cx0 lasst sich folgendermaßen schreiben:∫Cx0

f(x)dx =∫ R

0

∫Γf(x0 + g(r, θ)) rn−1ω(θ)︸ ︷︷ ︸ dθ

dr, (1.2)

= Funktionaldet.|detDg(r, θ)|

wobei ∫Γω(θ)dθ = |Σ|n−1 .

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§4 Einbettungssatze

Wir betrachten jetzt die ”Abschneidefunktion“ ψ ∈ C∞0 (Rn),

ψ(x) :=

1 fur |x− x0| < R/2,

0 fur |x− x0| ≥ R.

⇒ |Dαψ(x)| ≤ K fur alle |α| ≤ k, x ∈ Rn und eine Zahl K > 0.

Sei nun u ∈ C∞(Ω) ∩W k,p(Ω), θ ∈ Γ:

u(x0)Hauptsatz d. Diff.-

=Integr.-Rechnung

−∫ R

0

d

dr(ψ · u)(x0 + g(r, θ))dr

= −∫ R

0

d

dr(ψ · u)(x0 + g(r, θ)) · d

dr(r) dr

=part. Int.

∫ R

0

d2

dr2(ψ · u)(x0 + g(r, θ)) · r︸︷︷︸ dr

=1

2

d

dr(r2)

= . . .

= (−1)k1

(k − 1)!

∫ R

0

dk

drk(ψ · u)(x0 + g(r, θ))rk−1 dr.

⇒ |Σ|n−1 u(x0) =∫

Γu(x0)ω(θ)dθ

= (−1)k1

(k − 1)!

∫ R

0

∫Γ

dk

drk(ψ · u)(x0 + g(r, θ))rk−1ω(θ) dθ dr.

Beachte:

rk−1 = rk−n+(n−1)( 1

p+ 1

q), ω(θ) = ω(θ)

1p · ω(θ)

1q mit

1p

+1q

= 1.

⇒ |u(x0)|Holder-Ungl.≤ 1

(k − 1)! |Σ|n−1

(∫ R

0

∫Γr(k−n)q+(n−1)ω(θ) dθ dr

) 1q

·

·(∫ R

0

∫Γ

∣∣∣∣ dkdrk (ψ · u)(x0 + g(r, θ))∣∣∣∣p rn−1ω(θ) dθ dr

) 1p

(1.2)

≤|Σ|

1q−1

n−1

(k − 1)!︸ ︷︷ ︸|Σ|n−1ist fest!

(∫ R

0r(k−n)q+(n−1)dr

) 1q

︸ ︷︷ ︸<∞ fur (k − n)q + n > 0

(R > 0 ist fest!)

·

∫Cx0

K1

∑|α|≤k

|Dαu(x)|p dx

1p

︸ ︷︷ ︸≤

(K1 ‖u‖W k,p(Ω)

) 1p

wegen Cx0 ⊂ Ω

,

mit K1 > 0. Dieses K1 wird gebildet aus K und den Koeffzienten der Leibnitzregel. Es hangt,durch die Wahl der Abschneidefunktion, von 1/R ab (siehe Bemerkung 1.3.10).

51

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

Es ist: (k − n)q + n > 0 ⇐⇒ k > np .

=⇒ |u(x0)| ≤ K0 ‖u‖Wk,p(Ω) fur k >n

p(1.3)

und K0 > 0 ist unabhangig von u und hangt nur vom gewahlten Referrenz-Kegel ab.Mit der Anderung des Kegels andert sich die Konstante K0:

(i) Verkleinerung des Offnungswinkels Γ fuhrt zur Vergroßerung von |Σ|1q−1

n−1 , denn 1q−1 < 0.

(ii) Verkleinerung von R fuhrt zur Vergroßerung von K1 (siehe Bemerkung 1.3.10).

x0 ∈ Ω war ein beliebiger Punkt.

(1.3)⇒ supx∈Ω|u(x)| ≤ K0 ‖u‖Wk,p(Ω) fur u ∈ C∞(Ω) ∩W k,p(Ω) und k >

n

p.

Sei u ∈W k,p(Ω) beliebig.

=⇒ ∃(un) ⊂ C∞(Ω) ∩W k,p(Ω) : un −→n→∞

u in W k,p(Ω) (Satz von Meyer-Serrin!)

(1.3)=⇒ (un) ist Cauchy-Folge in C0

B(Ω), versehen mit der Norm supx∈Ω|u(x)| .

C0B(Ω) ist ein Banach-Raum.

=⇒ un → u ∈ C0B(Ω) gleichmaßig in Ω.

un → u in W k,p(Ω) s.o. ⇒ ∃(unk) ⊂ (un) : unk

(x)→ u(x) fast uberall in Ω.

=⇒ u = u fast uberall in Ω, d.h. u ∈ C0B(Ω) (als Aquivalenzklasse!)

Wir haben dann das folgende Diagramm:

‖un‖C0B(Ω) ≤ K0 ‖un‖Wk,p(Ω)

↓ n→∞ ↓ n→∞

‖u‖C0B(Ω) ≤ K0 ‖u‖Wk,p(Ω)

⇒ W k,p(Ω) → C0B(Ω).

Als Gegenbeispiel zu obigen Satz 1.4.4 betrachten wir

Beispiel 1.4.5 (W1,2(Ω) 6→ L∞(Ω)).Betrachte auf Ω := K1(0) ⊂ R2 die Funktion

f(x) := log log(

4|x|

).

Zeige, dass f ∈W 1,2(Ω), aber f 6∈ L∞(Ω).

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§4 Einbettungssatze

Beweis: Es gilt f ∈ L2(Ω), denn da log(x) ≤ x gilt nach Transformation auf Polarkoordinaten wie unterBeispiel 1.3.6 a.): ∫

Ω

|f |2 dx = 2π

∫ 1

0

[log log

(4

r

)]2r dr

≤ 2π

∫ 1

0

[log

(4

r

)]2r dr = 2π

∫ 1

0

[log( r

4

)]2· r dr

= 32π

∫ 1/4

0

l log2(l)dl

part.Int.= 16π

[l2 log2(l)

]1/4

0− 32π

∫ 1/4

0

l log(l)dl

= π log2(4)− 32π

[l2

2log(l)− l2

4

]1/4

0

= π log2(4) + π log(4) +π

2<∞ .

Weiterhin gilt fur den Gradienten von f (∇f(x) = 1log(4/|x|) ·

14/|x| · 4(−1) 1

|x|2 ·x|x| ):∫

Ω

|∇f |2 dx = 2π

∫ 1

0

[−r log

(4

r

)]−2

r dr

= 2π

∫ 1

0

1

r log2(

4r

)dr = 2π

∫ ∞

4

1

l log2(l)dl

= 2π

[− 1

log(l)

]∞4

= 2π1

log(4)<∞ .

Andererseits ist die Funktion selbst stetig, monoton und in Null unbeschrankt, somit also nicht in L∞(Ω).

Korollar 1.4.6. Es sei k− l > np . Dann gilt fur jedes Ω, welches der Kegelbedingung genugt:

W k,p(Ω) → C lB(Ω) (Verlust von dn/pe Ableitungen).

Beispiel 1.4.7. Ω = (a, b) ⊂ R, d.h. n = 1, d1/pe = 1.

⇒ W k+1,p(a, b) → CkB(a, b).

Anmerkung: W k,p0 (Ω) → C lB(Ω), k − l > n/p fur jedes Ω ⊂ Rn.

Wir werden uns jetzt den Randeigenschaften von Sobolev-Funktionen zuwenden, denn es istunser

Ziel: Losung eines Randwertproblems

Lu = f in Ω,

u = g auf ∂Ω,

wobei f, g ∈ CB(Ω) und die Losung u ∈W k,p(Ω) sind.

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

Die Forderung u = g auf ∂Ω ist bei W k,p-Funktionen nicht sinnvoll.

Die Aufgabenstellung ware sinnvoll, wenn

W k,p(Ω) → CB(Ω),

d.h. wenn jede Aquivalenzklasse in W k,p(Ω) eine CB(Ω)-Funktion (bis zum Rand ∂Ω stetig)enthielte, fur die

‖u‖CB(Ω) ≤ K ‖u‖Wk,p(Ω)

gilt.

Dies ist aber nicht unbedingt der Fall.

Beispiel 1.4.8. Sei Ω = Ω1 ∪ Ω2,Ω1,Ω2 offen, z.B.

Betrachte:

u(x) :=

1 fur x ∈ Ω1

0 fur x ∈ Ω2

⇒ u ∈ C∞(Ω) aber u 6∈ C(Ω), u ∈W k,p(Ω) ∀k, p.

Also: u ∈ CB(Ω) aber nicht zu einer Funktion aus CB(Ω) erweiterbar.

Ebenso: u ∈W k,p(Ω) ist i.a. nicht zu einer Funktion aus W k,p(Rn) erweiterbar.

Um Randwertaufgaben wie oben beschrieben behandeln zu konnen, befassen wir uns genauermit den Randern der Gebiete Ω.

Definition 1.4.9. Es sei Ω ⊂ Rn offen. Wir sagen:Ω hat die Segmenteigenschaft :⇔

∀x ∈ ∂Ω ∃Ux 3 x offen ∃yx 6= 0, yx ∈ Rn ∀t ∈ (0, 1) ∀z ∈ Ux ∩ Ω : z + tyx ∈ Ω.

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§4 Einbettungssatze

Skizze:

d.h. ”Ω liegt nicht auf beiden Seiten eines Randstuckes“, oder anders ausgedruckt: zu jedemx ∈ ∂Ω existiert ein umgebendes Randsegment, das ins Innere von Ω in Richtung von yxverschiebbar ist, ohne dabei Ω zu verlassen.

Beispiel 1.4.10 (Notwendigkeit der Segmenteigenschaft).Es sei Ω := (x, y) ∈ R2 : 0 < |x| < 1, 0 < y < 1. Zeigen Sie, dass die Annahme, man konnejedes u ∈ W 1,2(Ω) in W 1,2(Ω) durch Restriktionen von C∞0 (R2)–Funktionen approximieren,auf einen Widerspruch fuhrt.

Beweis:

Wahle ahnlich wie in Beispiel 1.4.8

u(x) :=

1 falls x > 00 falls x < 0

.

⇒ u ∈ W 1,2(Ω), denn dort, wo der Sprung stattfindet, liegen keine x-Argumente in Ω. Ω erfullt nicht dieSegmenteigenschaft.

Fur ein beliebiges ε > 0 nehmen wir an, dass es ein ϕ ∈ C∞0 (R2)|Ω gabe mit ‖u− ϕ‖1,2 < ε.

⇒ ε2 > ‖u− ϕ‖21,2

≥∫

Ω

|u− ϕ|2 dx dy +

∫Ω

∣∣∣∣ ∂∂xu− ∂

∂xϕ

∣∣∣∣2 dx dy=

∫ 1

0

∫ 0

−1

|ϕ|2 dx dy︸ ︷︷ ︸≥0

+

∫ 1

0

∫ 1

0

|1− ϕ|2 dx dy︸ ︷︷ ︸≥0

+

∫ 1

0

∫ 1

−1

∣∣∣∣ ∂∂xϕ∣∣∣∣2 dx dy︸ ︷︷ ︸

≥0

.

Fall 1:

ε2 >

∫ 1

0

∫ 1

0

|1− ϕ|2 dx dy ⇐⇒ ε > ‖1− ϕ‖L2(Ω2) ≥ 1− ‖ϕ‖L2(Ω2)

↑Dreiecksungleichung fur Lp-Normen

fur Ω2 := (x, y) : 0 < x < 1, 0 < y < 1.

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

Fall 2:

ε2 >

∫ 1

0

∫ 0

−1

|ϕ|2 dx dy +

∫ 1

0

∫ 1

−1

∣∣∣∣ ∂∂xϕ∣∣∣∣2 dx dy

=

∫ 1

0

∫ 0

−1

|ϕ|2 dx dy +

∫ 1

0

∫ 0

−1

∣∣∣∣ ∂∂xϕ∣∣∣∣2 dx dy︸ ︷︷ ︸+

∫ 1

0

∫ 1

0

∣∣∣∣ ∂∂xϕ∣∣∣∣2 dx dy

(∗)≥ 1

2

∫ 1

0

|ϕ(0, y)|2 dy +

∫ 1

0

∫ 1

0

∣∣∣∣ ∂∂xϕ∣∣∣∣2 dx dy

≥ 1

2

(∫ 1

0

|ϕ(0, y)|2 dy +

∫ 1

0

∫ 1

0

∣∣∣∣ ∂∂xϕ∣∣∣∣2 dx dy

)(∗∗)≥ C

∫ 1

0

∫ 1

0

|ϕ|2 dx dy .

⇐⇒ Cε > ‖ϕ‖L2(Ω2) .

Fall 1 und Fall 2: Cε > ‖ϕ‖L2(Ω2) > 1− ε fur beliebiges ε.

Nachweis von (∗): 1. Hauptsatz: ϕ(0, y) = ϕ(−x, y) +∫ 0

−x∂∂rϕ(r, y)dr .

⇒ |ϕ(0, y)| ≤ |ϕ(−x, y)|+∫ 0

−x

∣∣∣∣ ∂∂rϕ(r, y)

∣∣∣∣ dr ≤ |ϕ(−x, y)|+∫ 0

−1

∣∣∣∣ ∂∂rϕ(r, y)

∣∣∣∣ drHolder-

≤ungl.

|ϕ(−x, y)|+

(∫ 0

−1

∣∣∣∣ ∂∂rϕ(r, y)

∣∣∣∣2 dr)1/2

⇒ |ϕ(0, y)|2 ≤ 2

(|ϕ(−x, y)|2 +

∫ 0

−1

∣∣∣∣ ∂∂rϕ(r, y)

∣∣∣∣2 dr)

Integration uber [0, 1]× [0, 1]:∫ 1

0

∫ 1

0

|ϕ(0, y)|2 dx dy ≤ 2

∫ 1

0

∫ 1

0

|ϕ(−x, y)|2 dx︸ ︷︷ ︸∫ 0−1|ϕ(x,y)|2dx

dy + 2

∫ 1

0

∫ 1

0

∫ 0

−1

∣∣∣∣ ∂∂rϕ(r, y)

∣∣∣∣2 dr dx dy

⇒∫ 1

0

|ϕ(0, y)|2 dy ≤ 2

(∫ 1

0

∫ 0

−1

|ϕ|2 dx dy +

∫ 1

0

∫ 0

−1

∣∣∣∣ ∂∂rϕ(r, y)

∣∣∣∣2 dr dy)

Nachweis von (∗∗): 1. Hauptsatz: ϕ(x, y) = ϕ(0, y) +∫ x

0∂∂rϕ(r, y)dr

⇒ |ϕ(x, y)| ≤ |ϕ(0, y)|+∫ 1

0

∣∣∣∣ ∂∂rϕ(r, y)

∣∣∣∣ dr Holder-

≤ungl.

|ϕ(0, y)|+

(∫ 1

0

∣∣∣∣ ∂∂rϕ(r, y)

∣∣∣∣2 dr)1/2

⇒ |ϕ(x, y)|2 ≤ 2

(|ϕ(0, y)|2 +

∫ 1

0

∣∣∣∣ ∂∂rϕ(r, y)

∣∣∣∣2 dr)

Integriere dies uber (x, y) ∈ [0, 1]× [0, 1] ⇒ (∗∗).

Fur alle Gebiete Ω, die die Segmenteigenschaft erfullen, laßt sich die gewunschte Approxi-mierbarkeit durch C∞0 (Rn)|Ω–Funktionen aber zeigen.

56

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§4 Einbettungssatze

Satz 1.4.11. Wenn Ω die Segmenteigenschaft hat, so ist

C∞0 (Rn)|Ω dicht in W k,p(Ω).

Wir schicken dem Beweis einige Lemmata voraus. Zunachst folgt aber aus Satz 1.4.11 das

Korollar 1.4.12. Es habe Ω die Segmenteigenschaft und genuge der Kegelbedingung. Danngilt: Falls k − l > n

p ist, gilt die stetige Einbettung

W k,p(Ω) → C lB(Ω).

Beweis: Nach Satz 1.4.11 ist C∞0 (Rn)|Ω dicht in W k,p(Ω). Sei u ∈ C∞0 (Rn). Ω genuge derKegelbedingung. Nach Satz 1.4.4 gilt dann:

‖u‖CB(Ω) ≤ K0 ‖u‖Wk,p(Ω) (k >n

p)

fur ein K0 > 0. Es ist u|Ω ∈ CB(Ω), da u kompakten Trager in Rn hat.

⇒ ‖u‖CB(Ω) = ‖u‖CB(Ω) ,

d.h.

C∞0 (Rn)|Ω → C lB(Ω) (k − l > n

p),

aber C∞0 (Rn)|Ω liegt dicht in W k,p(Ω). =⇒ Behauptung.

Beispiel 1.4.13 (Gegenbeispiel zum Korollar).

Sei α > 1 und Xα := x ∈ R3 : 0 < x1 < 1,√x2

2 + x23 < xα1 . Konnen Sie p > 3 so wahlen,

dass fur die Funktion u(x) := ln(|x|) gilt

u ∈W 1,p(Xα) \ C(Xα).

Widerspricht diese Aussage damit dem Korollar 1.4.12 ?(Tip: Nutzen Sie weiter

∫∞0tpe−tβdt <∞ mit β > 0.)

Beweis:

Es gilt fur unser Gebiet

x21 ≤ x2

1 + x22 + x2

3︸ ︷︷ ︸=|x|2

< x21 + xα2

1 = x21(1 + x

2(α−1)1 )︸ ︷︷ ︸

≤2x21

⇒ x1 ≤ |x| ≤√

2x1 (1.4)

⇒ Monotonie der ln-Funktion: lnx1 ≤ ln |x| ≤ ln√

2 + lnx1

⇒ 0 ≤ ln |x| − lnx1 ≤ ln√

2

⇒ Dreiecksungleichung: ||ln |x|| − |lnx1||︸ ︷︷ ︸|ln|x||−|ln x1|≤

≤ |ln |x| − lnx1| ≤ ln√

2

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

⇒ |ln |x|| ≤ ln√

2 + |lnx1|⇒ |ln |x||p ≤ 2p−1((ln

√2)p + |lnx1|p)∫

|u(x)|p dx Satz von=

Fubini

∫ 1

0

∫Kxα

1(0)

|ln |x||p d(x2, x3) dx1, Kxα1(0) ⊆ R2

≤ C1 + C2

∫ 1

0

∫Kxα

1(0)

|lnx1|p d(x2, x3)︸ ︷︷ ︸=

∫K1(0)|ln x1|p·(xα

1 )2d(x2,x3)

dx1

= C1 + C2π

∫ 1

0

|lnx1|p︸ ︷︷ ︸ ·x2α1 dx1

= (− ln x1)p

= (ln1

x1)p

da 0 < x1 < 1

= C1 + C2π

∫ 1

0

(ln

1

x1

)px2α

1 dx1

(∗)= C1 + C2π

∫ 0

∞tp exp(−2αt)(− exp(−t))dt

= C1 + C2π

∫ ∞

0

tp exp(−t(2α+ 1))dt︸ ︷︷ ︸<∞ fur bel. p,α>1, denn β:=2α+1<0.

wobei bei (∗) die folgende Substitution erfolgte:

t = lnx−11 , x1 = exp(−t), dx1 = − exp(−t)dt.

Dann ∫Xα

∣∣∣∣ ∂∂xiu(x)

∣∣∣∣p dx (∗∗)≤ C1

∫ 1

0

∫Kxα

1(0)

x−p1 d(x2, x3) dx1

=

∫ 1

0

∫K1(0)

x−p+2αd(x2, x3) dx1

= π

∫ 1

0

x−p+2αdx1︸ ︷︷ ︸:=I(p,α)

<∞,

mit (∗∗): aus (1.4) folgt |x|−1 ≤ x−11 ⇒ C1 = 1.

Es gilt

I(p, α) <∞ ⇔ −p+ 2α > −1

⇔ p < 1 + 2α

Fur α > 1 findet man immer ein p > 3, p ∈ Q, so dass nicht alle Funktionen aus W 1,p(Xα) bis zum Rand vonXα stetig sind, obwohl die numerische Voraussetzung (des Korollar 1.4.12)

k − 1 >3

p=n

p

erfullt ist. Xα erfullt eben nicht die Kegelbedingung.

Bemerkung: Auf solchen Gebieten lassen sich Randwertbedingungen um x = (0, 0, 0) nicht betrachten!

Bemerkung 1.4.14. Wir machen nochmals auf die folgende Tatsache aufmerksam:

1964 (Meyers, Serrin): C∞(Ω) ∩W k,p(Ω) ist dicht in W k,p(Ω), ohne Voraussetzung an Ω.

1950: C∞0 (Rn)|Ω ist dicht in W k,p(Ω) gilt nur mit der Segmenteigenschaft von Ω.

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§4 Einbettungssatze

Lemma 1.4.15. Es sei Ω =⋃Ni=0 Ui eine offene Uberdeckung von Ω und K ⊂⊂ Ω. Dann

gilt: ∃ ψj ∈ C∞0 (Ω) mit

(i) 0 ≤ ψj ≤ 1, 0 ≤ j ≤ N,(ii) supp(ψj) ⊂⊂ Uj , 0 ≤ j ≤ N,

(iii)∑N

j=0 ψj(x) = 1 ∀x ∈ K.

(Variante der Zerlegung der Eins!)

Beweis: Sei Kj :=x ∈ Ω | |x| ≤ j und dist(x, ∂Ω) ≥ 1

j

. Setze: Ωj :=

Kj \Kj−1, K0 = ∅.

⇒ Ω =∞⋃j=1

Ωj ist eine offene, lokal endliche Uberdeckung von Ω, Ωj beschrankt.

⇒ Ω =∞⋃j=1

N⋃i=0

(Ωj ∩ Ui)

=∞⋃j=1

(Ωj ∩ Ω) =∞⋃j=1

Ωj = Ω

erfullt die Voraussetzungen von Lemma 1.3.11.

⇒ ∃ψij ∈ C∞0 (Ω) : supp(ψij) ⊂⊂ Ω,∞∑j=1

N∑i=0

ψij(x) = 1 fur alle x ∈ Ω.

Setze: ψi :=∑

j∈Ii ψij mit Ii := j | supp(ψij) ∩K 6= ∅.Fur jedes i = 0, 1, 2, . . . , N ist Ii endlich, weil die Uberdeckung lokal endlich ist.

⇒N∑i=0

ψi(x) =N∑i=0

∑j∈Ii

ψij(x) =∞∑j=1

N∑i=0

ψij(x) = 1 ∀x ∈ K.

Lemma 1.4.16. Sei Ω eine beliebige offene Menge in Rn. Dann gilt:u ∈W k,p(Ω) | supp(u) ⊂ Ω und beschrankt

ist dicht in W k,p(Ω).

Beweis: Sei ψ ∈ C∞0 (Rn) eine ”Abschneidefunktion“ mit

ψ(x) =

1 fur |x| ≤ 10 fur |x| ≥ 2

und |Dαψ(x)| ≤ K1

fur alle x ∈ Rn und |α| ≤ k.

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

Setze ψε(x) := ψ(εx).

⇒ ψε(x) =

1 fur |x| ≤ 1/ε0 fur |x| ≥ 2/ε

und |Dαψε(x)| = ε|α| |Dαψ(εx)| ≤ k

fur ein ε ∈ (0, 1),∀x ∈ Rn.

Setze uε(x) := (u · ψε)(x).

Nach Lemma 1.3.9 (Leibniz-Formel) ist uε ∈W k,p(Ω), wenn u ∈W k,p(Ω) ist. Nach Konstruk-tion ist ferner supp(uε) beschrankt. Fur beliebiges Ωε ⊂ Ω gilt die Abschatzung:

‖Dαuε‖Lp(Ωε)=

∥∥∥∥∥∥∑β≤α

(αβ

)DβuDα−βψε

∥∥∥∥∥∥Lp(Ωε)

≤s.o.

K2 ‖u‖Wk,p(Ωε), |α| ≤ k.

Wir wahlen Ωε :=x ∈ Ω | |x| > 1

ε

.

⇒ u(x) = uε(x) ∀x ∈ Ω \ Ωε.

⇒ ‖u− uε‖Wk,p(Ω) = ‖u− uε‖Wk,p(Ωε)≤ ‖u‖Wk,p(Ωε)

+ ‖uε‖Wk,p(Ωε)

≤ (1 +K3) ‖u‖Wk,p(Ωε)−→ε0

0

Beweis: (von Satz 1.4.11)Wegen Lemma 1.4.16 reicht es, die Approximation von u ∈W k,p(Ω) mit supp(u) beschranktdurch Funktionen aus C∞0 (Rn)|Ω zu zeigen.

Sei also u ∈ W k,p(Ω) und supp(u) beschrankt, sowie η > 0 beliebig. Wir konstruieren eineFunktion ϕ ∈ C∞0 (Rn) mit

‖u− ϕ‖Wk,p(Ω) < η.

S := supp(u) ist kompakt (abgeschlossen und beschrankt s.o.). Das Gebiet Ω erfullt dieSegmenteigenschaft.

⇒ ∀x ∈ ∂Ω ∃Ux offen, wie in Definition 1.4.9.

Sei x ∈ Ux ⊂⊂ Ux, Ux offen und ∂Ω ⊂⋃x∈∂Ω Ux. Wir betrachten K0 := S \ (

⋃x∈∂Ω Ux). Es

ist K0 ⊂⊂ Ω. Sei U0 offen mit K0 ⊂⊂ U0 ⊂⊂ Ω und

S ⊂ U0 ∪ (⋃x∈∂Ω

Ux)

eine offene Uberdeckung von S.

60

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§4 Einbettungssatze

Da S kompakt ist, gibt es eine endliche Uberdeckung:

S ⊂ U0 ∪ Ux1 ∪ · · · ∪ UxN .

Nach Lemma 1.4.15 (Variante der Zerlegung der Eins!) gibt es Funktionen ψj ∈ C∞0 (Ω),(j = 0, 1, 2, . . . , n) mit supp(ψj) ⊂⊂ Uxj , Ux0 := U0, und

∑Nj=0 ψj(x) = 1 fur alle x ∈ S.

⇒ u(x) =N∑j=0

(ψj · u)︸ ︷︷ ︸=: uj

(x) ∀x ∈ Ω, wobei u(x) := 0 fur alle x ∈ Ω \ S.

Mit Lemma 1.3.9 gilt uj ∈W k,p(Ω). Fur j = 0 folgt: supp(u0) ⊂⊂ U0 ⊂⊂ Ω.Setze ϕ0 := gε∗u0 ∈ C∞0 (Ω) ⊂ C∞0 (Rn) und fur ε > 0 klein genug, so dass ‖ϕ0 − u0‖Wk,p(Ω) <η

N+1 gilt.Sei weiter fur j = 1, . . . , N

uj(x) :=uj(x) fur x ∈ Ω,

0 fur x 6∈ Ω.

Im allgemeinen ist uj 6∈W k,p(Rn).

Aber es ist uj ∈W k,p(Rn \ Γ), wobei Γ := ∂Ω ∩ Uxj .

yxj =: yj sei jetzt ein Vektor, den es nach der Segmenteigenschaft (Def. 1.4.9) gibt. Wirsetzen Γt := Γ − tyj mit 0 < t < t0 ≤ 1, wobei t0 so gewahlt wird, dass Γt ⊂⊂ Uxj gilt(Segmenteigenschaft!) und behaupten:

Γt ∩ Ω = ∅ 0 < t < t0,

denn: Angenommen: ∃z ∈ Γt ∩ Ω ⊂ Uxj ∩ Ω.

⇒ ∃γ ∈ Γ ⊂ ∂Ω : z = γ − tyj⇒ z + tyj ∈ ∂Ω ∀t ∈ (0, 1) Segmenteigenschaft.

⇒ Ω ⊂ Rn \ Γt fur alle 0 < t < t0.

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

Wir definieren:

uj,t := uj(·+ tyj) ∈W k,p(Rn \ Γt), uj,t|Ω ∈W k,p(Ω).

Dαuj ist stetig im p-ten Mittel in Ω.

⇒(∫

Ω|Dαuj(x+ tyj)−Dαuj(x)|p dx

)1/p

−→ 0 fur t 0.

⇒ ∃t1 ≤ t0∀0 < t < t1 : ‖uj,t − uj‖Wk,p(Ω) <η

2(N + 1).

Es ist: Γt1 ∩ Ω = ∅.

⇒ dist(Γt1 , Ω) > 0.

⇒ Ω ∩ Uxj ⊂⊂ Rn \ Γt1 .

Wegen uj,t1 ∈W k,p(Rn \ Γt1) und supp(uj,t1)|Ω ⊂ Uxj ∩ Ω ⊂⊂ Rn \ Γt1 gilt:

‖gε ∗ (uj,t1 |Ω)− uj,t1‖Wk,p(Ω) <η

2(N + 1)

fur ε > 0 hinreichend klein (Lemma 1.3.7).Setze ϕj := gε ∗ uj,t1 ∈ C∞0 (Rn).

⇒ ‖ϕj − uj‖Wk,p(Ω) ≤s.o.‖ϕj − uj,t1‖Wk,p(Ω) + ‖uj,t1 − uj‖Wk,p(Ω) ≤

η

N + 1.

Wir definieren ϕ :=∑N

j=0 ϕj ∈ C∞0 (Rn).

⇒ ‖u− ϕ‖Wk,p(Ω) =

∥∥∥∥∥∥N∑j=0

(ϕj − uj)

∥∥∥∥∥∥Wk,p(Ω)

≤N∑j=0

‖ϕj − uj‖Wk,p(Ω) ≤ η.

Bemerkung 1.4.17. Fur k ≥ 1 und 1 ≤ p <∞ ist

W k,p(Rn) = W k,p0 (Rn).

Ist eine direkte Folgerung des Satzes 1.4.11, denn der Rn erfullt naturlicherweise die Segmen-teigenschaft.

§5 Randwerte von W k,p0 (Ω)-Funktionen

Fur Funktionen einer Variablen u ∈ W 1,p0 (a, b) ,(a, b) ⊂ R ein Intervall und p > 1, gilt nach

Korollar 1.4.12:

W 1,p0 (a, b) → CB[a, b]

⇒ u(a) = u(b) = 0.

62

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§5 Randwerte von W k,p0 (Ω)-Funktionen

Es ist in diesem $ unser Ziel zu klaren, wann aus u ∈W k,p0 (Ω) auch u|∂Ω = 0 folgt.

Definition 1.5.1. Es seien Ω und Ω offene Mengen im Rn und ϕ : Ω→ Ω eine Abbildung.Dann heißt ϕ ein k-Diffeomorphismus (k ≥ 1), wenn ϕ ein Homoomorphismus5 ist undDαϕ ∈ CB(Ω), Dαϕ−1 ∈ CB(Ω) fur |α| ≤ k.Wenn eine solche Abbildung ϕ existiert, so heißen Ω und Ω k-diffeomorph.Zwei abgeschlossene Mengen A und A heißen k-diffeomorph, wenn es offene Mengen Ω undΩ gibt mit A ⊂ Ω und A ⊂ Ω, sowie Ω und Ω k-diffeomorph vermoge ϕ, wobei gilt ϕ(A) = A.

Anmerkung: Wenn ϕ ein k-Diffeomorphismus ist, so gilt: ∃c1, c2 > 0:

c1 < |detDϕ(x)| < c2 ∀x ∈ Ω,

c1 <∣∣detDϕ−1(x)

∣∣ < c2 ∀x ∈ Ω.

Satz 1.5.2. Es seien Ω und Ω k-diffeomorph vermoge ϕ. Dann gilt:Vermoge T : W k,p(Ω) → W k,p(Ω), (Tu) (y) := u

(ϕ−1(y)

), sind die Raume W k,p(Ω) und

W k,p(Ω) topologisch linear isomorph6.

Beweis: Man sieht sofort, dass T linear und injektiv ist. Ferner folgt:∫Ω|(Tu) (y)|p dy =

∫Ω

∣∣u (ϕ−1(y))∣∣p dy =

∫Ω|u(x)|p |detDϕ(x)| dx

≤s. Anmerkung

C

∫Ω|u(x)|p dx.

⇒(‖Tu‖Lp(Ω) ≤ C ‖u‖Lp(Ω) ⇐⇒ T ist stetig in Lp(Ω).

)Sei nun u ∈ C∞(Ω) ∩W k,p(Ω) und x = ϕ−1(y).

⇒ ∂

∂yi(Tu) (y) =

∂yiu(ϕ−1(y)

)=

n∑j=1

∂u

∂xj

(ϕ−1(y)

)·∂ϕ−1

j

∂yi(y)

⇒∫

Ω

∣∣∣∣ ∂∂yi (Tu) (y)∣∣∣∣p dy =

∫Ω

∣∣∣∣∣∣n∑j=1

∂u

∂xj

(ϕ−1(y)

)·∂ϕ−1

j

∂yi(y)

∣∣∣∣∣∣p

dy

=∫

Ω

∣∣∣∣∣∣n∑j=1

∂u(x)∂xj

∂ϕ−1j

∂yi(ϕ(x))

∣∣∣∣∣∣p

|detDϕ(x)| dx

≤ C(ϕ,ϕ−1)n∑j=1

∫Ω

∣∣∣∣ ∂u∂xj∣∣∣∣p dx = C(ϕ,ϕ−1) ‖u‖p

W 1,p(Ω).

5ϕ ist ein Homoomorphismus :⇔ ϕ ist bijektiv und ϕ,ϕ−1 sind stetig6d.h. T ist bijektiv und T, T−1 sind stetig

63

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

Weil C∞ ∩W k,p(Ω) dicht in W k,p(Ω) ist (Satz 1.3.13), gilt diese Abschatzung fur alle Funk-tionen aus W k,p(Ω).

Analog schließt man fur die hoheren Ableitungen.

⇒ ‖Tu‖Wk,p(Ω) ≤ C(ϕ,ϕ−1) ‖u‖Wk,p(Ω) .

Also ist T stetig auf W k,p(Ω).

Es bleibt zu zeigen, dass T surjektiv ist. Sei dazu w ∈W k,p(Ω) beliebig. Setze u(x) = w(ϕ(x)).

⇒ u ∈W k,p(Ω) (Kettenregel!)

und

(Tu) (y) = u(ϕ−1(y)

)= w

(ϕ ϕ−1(y)

)= w(y),

d.h. Tu = w, also ist T surjektiv.

Erganzung: Unter der stetigen Abbildung T ist das Bild eines kompakten Tragers wiederkompakt. Also:

T |Wk,p

0 (Ω): W k,p

0 (Ω)→W k,p0 (Ω) ist topologisch linear isomorph.

Definition 1.5.3. Sei Ω ⊂ Rn offen. Dann ist der Rand ∂Ω von der Klasse Ck (oder einfach

”∂Ω ist Ck-Rand“), wenn gilt:

∀x ∈ ∂Ω ∃U ⊂ Rn offene Umgebung von x:

(i) U ∩ Ω ist k-diffeomorph zu

B+1 :=

x ∈ Rn |

n∑i=1

x2i ≤ 1, xn ≥ 0

(ii) ϕ(∂Ω ∩ U) =x ∈ Rn |

∑ni=1 x

2i < 1, xn = 0

,

ϕ(∂U ∩ Ω) =x ∈ Rn |

∑ni=1 x

2i = 1, xn > 0

.

Skizze:

64

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§5 Randwerte von W k,p0 (Ω)-Funktionen

Es ist also ϕ−1|x∈K1(0) | xn=0 eine lokale Parametrisierung des Rands ∂Ω (oder auch ”derRand ∂Ω kann lokal glatt gebogen werden“!).

Bemerkung 1.5.4. Ist ∂Ω ein C1-Rand, so gilt:

(i) die Kegelbedingung,

(ii) die Segmenteigenschaft, falls Ω beschrankt ist.

(vgl. [7], S.44 - 64)

Anmerkung: Xα aus Beispiel 1.4.3 hat keinen C1-Rand.

Satz 1.5.5. Es sei u ∈W 1,p0 (Ω) ∩ C(Ω) und ∂Ω ein C1-Rand. Dann gilt:

u|∂Ω = 0 fur 1 < p <∞.

Beweis: Sei x ∈ ∂Ω und U offene Umgebung von x (gemaß Def. 1.5.3). Ferner sei W ⊂⊂ U ,x ∈W .

Wir betrachten die Abschneidefunktion ψ mit ψ(x) = 1 ∀x ∈W

⇒ ψ · u|W = u|W und ψ · u ∈W k,p0 (Ω ∩ U) ∀u ∈W k,p

0 (Ω)

Nach Satz 1.5.2 reicht es zu zeigen, dass die Aussage (des Satzes 1.5.5) fur u ∈ W 1,p0 (B+

1 ) ∩C(B+

1 ) gilt, denn sei u ∈W 1,p0 (Ω ∩ U) ∩ C(Ω ∩ U) beliebig

Erganzung⇒zu 1.5.2

∃u ∈W 1,p0 (B+

1 ) ∩ C(B+1 ) mit u = T u = uϕ−1.

Sei R :=x ∈ Rn |

∑ni=1 x

2i < 1, xn = 0

und x ∈ R.

⇒ ϕ−1(x) = x ∈ Ω ∩ U.

65

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

Wegen 0 = u(x) = (T u) (x) =(u ϕ−1

)(x) = u(x) und der Bijektivitat von ϕ folgt u|∂Ω = 0.

Wir beweisen jetzt die Behauptung des Satzes fur W 1,p0 (B+

1 ) ∩ C(B+1 ).

Sei x0 ∈ Rn−1 beliebig und x := (x0, 0) ∈ Rn. Betrachte den Zylinder

Sh := x = (x0, xn) ∈ Rn | 0 ≤ xn < h, |x0 − x0| < rh ,

wobei rh so gewahlt sei, dass hp < µ(Sh) und Sh ⊂ B+1 .

Es sei nun u ∈ C∞0 (B+1 ). (C∞0 (B+

1 ) liegt dicht in W 1,p0 (B+

1 )) wegen u(x1, · · · , xn−1, 0) = 0folgt:

u(x) =∫ xn

0

∂u

∂xn(x1, · · · , xn−1, ξ)dξ.

⇒Holder Ungl.

∀x ∈ Sh : |u(x)|p ≤ hp/q∫ h

0

∣∣∣∣ ∂∂xnu(x1, · · · , xn−1, ξ)∣∣∣∣p dξ.

⇒∫Sh

|u(x)|p dx ≤ hp/q∫ h

0

(∫Krh

(x0)

(∫ h

0

∣∣∣∣ ∂∂xnu(x1, · · · , xn−1, ξ)∣∣∣∣p dξ) dx0

)dxn

Integrand ist≤

unabh. von xn!h(p/q)+1

∫Krh

(∫ h

0

∣∣∣∣ ∂∂xnu(x1, · · · , xn−1, ξ)∣∣∣∣p dξ) dx0

= hp∫Sh

∣∣∣∣ ∂∂xnu(x1, · · · , xn−1, ξ)∣∣∣∣p dξ.

⇒ 1µ(Sh)

∫Sh

|u(x)|p dx ≤↑

∫Sh

∣∣∣∣ ∂∂xnu(x1, · · · , xn−1, ξ)∣∣∣∣p dξ

↓ h 0Voraus.

uber µ(Sh)↓ h 0

→ |u(x)|p → 0

66

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§5 Randwerte von W k,p0 (Ω)-Funktionen

Die Konvergenz auf der linken Seite des letzten Schrittes folgt aus Lemma 1.1.13Wir haben also erhalten:

∀u ∈ C∞0 (B+1 ) ∀x ∈ ∂B+

1 mit xn = 0 : |u(x)|p = 0.

Dichtheits-=⇒argument s.o.

∀u ∈W 1,p0 (B+

1 ) ∩ C(B+1 ) : u(x) = 0.

Die Wahl geeigneter Abschneidefunktionen (Beginn des Beweises!) liefert die Behauptung.

Satz 1.5.6. Sei Ω ⊂ Rn offen und beschrankt, ∂Ω sei C1-Rand. Dann gilt:∀u ∈W k,p(Ω) ∩W 1,p

0 (Ω), 1 < p <∞ und k > np :

u(x) = 0 ∀x ∈ ∂Ω.

Beweis: Sei u ∈ W k,p(Ω) ∩W 1,p0 (Ω), 1 < p <∞ und k > n

p . Da ∂Ω ein C1-Rand ist, geltendie Kegel- und Segmenteigenschaft (Bemerkung 1.5.4).

⇒Korollar 1.4.12

u ∈ C0B(Ω).

⇒ u ∈W k,p0 (Ω) ∩ C0

B(Ω).

⇒Satz 1.5.5

u|∂Ω = 0.

Satz 1.5.7. (Spuroperator): Es sei Ω ⊂ Rn beschrankt und ∂Ω ein C1-Rand, 1 ≤ p < ∞.Dann gilt:Es existiert ein beschrankter linearer Operator

S : W 1,p(Ω)→ Lp(∂Ω)

mit

(i) Su = u|∂Ω ∀u ∈W 1,p(Ω) ∩ C(Ω),

(ii) ‖Su‖Lp(∂Ω) ≤ C ‖u‖W 1,p(Ω) ∀u ∈W 1,p(Ω).

Die Konstante C hangt nur von p und Ω ab.

Bezeichnung: Su heißt die Spur von u auf ∂Ω.

Beweis: Es sei x0 ∈ ∂Ω. Wegen Satz 1.5.2 konnen wir annehmen, dass ∂Ω in einer Umgebungvon x0 ”flach“ ist und x0 ∈ x ∈ Rn | xn = 0.

Wir wahlen Kugeln KR(x0) und KR/2(x0), sowie eine Funktion u ∈ C1(Ω). Es gibt eineFunktion ψ ∈ C∞0 (KR(x0)) mit

ψ ≥ 0 in KR(x0),

ψ ≡ 1 auf KR/2(x0).

67

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

Sei Γ := ∂Ω ∩KR/2(x0).

Setzex′ := (x1, . . . , xn−1) ∈ Rn−1 = x ∈ Rn | xn = 0 = xn = 0

undK+R (x0) := x ∈ KR(x0) | xn ≥ 0 .

⇒∫

Γ|u|p dx′ ≤

∫xn=0

1 · ψ · |u|p dx′ =Gauß-Satz

∫K+

R (x0)

∂xn(ψ · |u|p) dx

hierbei ist 1 die xn-Kompononte der ausseren Normalen an Γ

=∫K+

R (x0)

ψxn · |u|p dx+ p |u|p−1︸ ︷︷ ︸

=:b

(sgnu) uxn︸︷︷︸=:a

ψ

dx

Youngsche≤

Ungl.7C

∫K+

R (x0)(|u|p + |uxn |

p) dx

≤ C

∫K+

R (x0)(|u|p + |Du|p) dx.

Insgesamt haben wir die Abschatzung:

‖u‖Lp(Γ) ≤ C ‖u‖W 1,p(Ω) (C ist eine generische Konstante!) (1.5)

Nun ist aber ∂Ω kompakt.

⇒ Es gibt endlich viele Punkte x0i ∈ ∂Ω, i = 1, 2, . . . , N und zugehorige offene Γi 3 x0

i mitΓi ⊂ ∂Ω und ∂Ω =

⋃Ni=1 Γi. Fur jedes i = 1, 2, . . . , N gilt gemaß (1.5):

‖u‖Lp(Γi)≤ C ‖u‖W 1,p(Ω) .

7Youngsche Ungleichung: a · b ≤ ap

p+ bq

q, 1

p+ 1

q= 1, a > 0, b > 0

68

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§5 Randwerte von W k,p0 (Ω)-Funktionen

Wir setzen Su := u|∂Ω.⇒ ‖Su‖Lp(∂Ω) ≤ C ‖u‖W 1,p(Ω) . (1.6)

C ist eine geeignete Konstante, die nicht von u abhangt. (1.6) gilt fur alle u ∈ C1(Ω).

Sei jetzt u ∈W 1,p(Ω).

⇒ ∃(um)m∈N ⊂ C∞(Ω) : um → u in W 1,p(Ω) (Satz 1.3.13) und Sum ist def.

(1.6)⇒ ‖Sum − Sul‖Lp(∂Ω) ≤ C ‖um − ul‖W 1,p(Ω) .

⇒ (Sum) ist Cauchy-Folge in Lp(∂Ω).

Das heisst, wir erweitern den Operator S auch auf Sobolev-Funktionen. Setze: Su = limm→∞

Sum.

(in Lp(∂Ω), da Lp(∂Ω) vollstandig).

Sei jetzt u ∈W 1,p(Ω)∩C(Ω). Man kann Funktionen um ∈ C∞(Ω) konstruieren, die gleichmaßiggegen u in Ω konvergieren.

⇒ Su = u|∂Ω.

Korollar 1.5.8. (Funktionen im W 1,p(Ω) mit Spur Null): Es sei Ω beschrankt und ∂Ω einC1-Rand. Dann gilt fur jedes u ∈W 1,p(Ω): Wenn

u ∈W 1,p0 (Ω) ⇒ Su = 0 auf ∂Ω (vgl. Satz 1.5.6).

Beweis: Sei u ∈W 1,p0 (Ω).

⇒ ∃(um) ∈ C∞0 (Ω) : um → u in W 1,p(Ω).

Sum = 0 auf ∂Ω, m = 1, 2, . . . und S : W 1,p(Ω)→ Lp(∂Ω) ist linear und beschrankt.

⇒ Su = 0 auf ∂Ω.

Es gilt auch die Umkehrung:

u ∈W 1,p(Ω), Su = 0 ⇒ u ∈W 1,p0 (Ω).

Zum Beweis verweisen wir auf die Literatur.

Bemerkung 1.5.9. Mit der Existenz von Randwerten fur Sobolev-Funktionen (Satz 1.5.7)konnen wir nun beweisen:

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

Greensche Formel fur Sobolev-Funktionen

Sei Ω ⊂ Rn ein beschranktes Gebiet mit C1–Rand. Zeigen Sie, dass die Greensche Formel∫Ω4u · vdx−

∫Ωu · 4vdx =

∫∂Ω

∂νu · Svdσ −

∫∂ΩSu · ∂

∂νvdσ

auch fur u ∈W 2,p(Ω), v ∈W 2,q(Ω) (mit 1p + 1

q = 1) gilt.Hierbei wird die Normalableitung durch

∂∂νu :=

n∑i=1

νi · S( ∂∂xiu) (ν – aussere Normale)

definiert.

Beweis:

Sei u, v ∈ C2(Ω), dann gelten die Greenschen Formeln siehe PDGl I, [1], also∫Ω

4u · vdx−∫

Ω

u · 4vdx =

∫∂Ω

∂νu · Svdσ −

∫∂Ω

Su · ∂∂νvdσ .

• Den allgemeinen Fall fur Sobolev-Funktionen durch ein Approximationsargument herleiten.

• Da Ω die Segmenteigenschaft hat, liegen nach Satz 1.4.11 die Funktionen aus C2(Ω) dicht in W 2,p(Ω)und W 2,q(Ω).

• Dann sind nur noch folgende Abschatzungen zu zeigen: mit der Holder-Ungleichung gilt:

〈4u, v〉 ≤ ‖4u‖Lp(Ω) · ‖v‖Lq(Ω) ≤ C ‖u‖W2,p(Ω) ‖v‖W2,q(Ω) .

Weiterhin gilt mit dem Spursatz 1.5.7∣∣∣∣∫∂Ω

∂νuSvdσ

∣∣∣∣ =

∣∣∣∣∣n∑

i=1

∫∂Ω

νiS

(∂

∂xiu

)· Svdσ

∣∣∣∣∣Holder-Ungl. fur

≤Transfo. im Rn−1

C

n∑i=1

∥∥∥∥S ( ∂

∂xiu

)∥∥∥∥Lp(∂Ω)

‖Sv‖L1(∂Ω)

Satz 1.5.7

≤ C1

n∑i=1

∥∥∥∥ ∂

∂xiu

∥∥∥∥W1,p(Ω)

‖v‖W1,q(Ω)

≤ C2 ‖u‖W2,p(Ω) ‖v‖W2,q(Ω) .

Die ubrigen Integrale schatzt man analog ab.

Nach dem Grenzubergang ‖uk − u‖W2,p(Ω) → 0 und ‖vk − v‖W2,q(Ω) → 0 mit uk, vk ∈ C2(Ω) erhaltman das Gewunschte.

Beispiel 1.5.10. Sei Ω := K2(0) ⊂ Rn,ΩI := K1(0) und ΩA := Ω \ ΩI . Weiterhin seienuI ∈W 1,p(ΩI) und uA ∈W 1,p(ΩA). Zeigen Sie, dass durch

u(x) :=uI(x) fur x ∈ ΩI

uA(x) fur x ∈ ΩA

eine Funktion aus dem W 1,p(Ω) definiert wird, wenn die Spuren von uI und uA auf demgemeinsamen Rand ∂ΩI ubereinstimmen.

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§6 Fortsetzung von W 1,p(Ω)-Funktionen

Beweis:

Mit dem gleichen Approximationsargument wie in obiger Bemerkung 1.5.9 gilt sofort auch die partielle Inte-gration fur Sobolev-Funktionen, d.h. fur u ∈W 1,p(Ω), v ∈W 1,q(Ω)∫

Ω

∂xiu · vdx =

∫∂Ω

Su · Sv · νidσ −∫

Ω

u∂

∂xivdx.

Betrachte nun

fi(x) :=

∂xiuI(x) fur x ∈ ΩI ,

∂∂xi

uA(x) fur x ∈ ΩA.

• Falls u ∈W 1,p(Ω), so mussten die fi die schwachen Ableitungen sein.

• Auf ∂ΩI Nullmenge braucht man sich fur fi nicht festzulegen.

• Weiterhin ist klar, dass u und fi in Lp(Ω) liegen.

Frage: Sind die fi tatsachlich die schwachen Ableitungen von u?

−⟨u,

∂xiϕ

⟩Ω

= −∫

ΩI

uI ·∂

∂xiϕdx−

∫ΩA

uA ·∂

∂xiϕdx

= +

∫ΩI

∂xiuI · ϕdx−

∫∂ΩI=∂K1(0)

νI,iSuiSϕdσ

+

∫ΩA

∂xiuA · ϕdx−

∫∂K1(0)

νA,iSuiSϕdσ .

Beachte in diesem Fall:

Es gilt νI = −νA . ⇒ Randintegrale heben sich weg. ⇒ −⟨u,

∂xiϕ

⟩Ω

= 〈fi, ϕ〉Ω .

Bemerkung: Das Ergebnis lasst sich auf jede Situation verallgemeinern, wo eine Menge Ω in zwei offene

Teilmengen ΩI und ΩA mit einer glatten”Trennflache“ zerlegt wird.

§6 Fortsetzung von W 1,p(Ω)-Funktionen

Im Folgenden sei stets 1 ≤ p <∞.

Satz 1.6.1. (Fortsetzungssatz): Es sei Ω beschrankt und ∂Ω ein C1-Rand. Weiter sei Ω′ einebeschrankte offene Menge mit Ω ⊂⊂ Ω′. Dann gilt:∃F : W 1,p(Ω)→W 1,p(Rn), linear und beschrankt, ∀u ∈W 1,p(Ω):

(i) Fu = u fast uberall in Ω,

(ii) supp(u) ⊂ Ω′,

(iii) ‖Fu‖W 1,p(Rn) ≤ C ‖u‖W 1,p(Ω), C hangt nur von p,Ω und Ω′ ab.

Beweis: Es sei x0 ∈ ∂Ω. Wir konnen annehmen, dass ∂Ω ”flach“ ist in einer Umgebung vonx0 und x0 ∈ xn = 0.

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

Fur r > 0

K+ := Kr(x0) ∩ xn ≥ 0 ⊂ Ω ,

K− := Kr(x0) ∩ xn ≤ 0 ⊂ Rn \ Ω .

Sei jetzt: u ∈ C1(Ω). Setze:

u(x) :=

u(x) fur x ∈ K+ ,

−3u(x1, . . . , xn−1,−xn) + 4u(x1, . . . , xn−1,−xn/2) fur x ∈ K− .

Reflexion ”hoherer Ordnung“ von K+ in K−.

Wir behaupten: u ∈ C1(Kr(x0)), denn mit den Abkurzungen

u− := u|K− und u+ := u|K+

gilt:

∂u−

∂xn(x) = 3

∂u

∂xn(x1, . . . , xn−1,−xn)− 2

∂u

∂xn(x1, . . . , xn−1,−xn/2) fur x ∈ K−

und damit fur die Randpunkte

∂u−

∂xn

∣∣∣∣xn=0

=∂u+

∂xn

∣∣∣∣xn=0

und weiter

∂u−

∂xi

∣∣∣∣xn=0

=∂u+

∂xi

∣∣∣∣xn=0

, i = 1, 2, . . . , n− 1.

⇒ Dαu−|xn=0 = Dαu+|xn=0 ∀ |α| ≤ 1.

⇒ u ∈ C1(Kr(x0)).

Man erkennt ferner:

‖u‖W 1,p(Kr(x0)) ≤ C ‖u‖W 1,p(K+) .

Die Konstante C hangt nicht von u ab.

72

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§6 Fortsetzung von W 1,p(Ω)-Funktionen

Sei jetzt ∂Ω nicht flach in einer Umgebung von x0. Da ∂Ω ein C1-Rand, so ist ∂Ω ist lokalparametrisierbar:

Ω ∩Kr(x0) =x ∈ Kr(x0) | xn > γ(x1, . . . , xn−1)

,

γ ist eine C1-Funktion, γ : Rn−1 → R.

Glattziehen des Randes in einer Umgebung von x0:

yi = xi =: Φi(x), i = 1, 2, . . . , n

yn := xn − γ(x1, . . . , xn−1) =: Φn(x)

∀x ∈ Rn

Sei u′(y) := u(Φ−1(y)). Fur die Funktion u′ gelten dann die vorangehenden Uberlegungen:∥∥u′∥∥W 1,p(Kr(y0))

≤ C∥∥u′∥∥

W 1,p(K+).

Setze W := Φ−1(Kr(y0)) und erhalte eine Fortsetzung u von u auf W :

‖u‖W 1,p(W ) ≤ C ‖u‖W 1,p(Ω) . (1.7)

Da aber ∂Ω kompakt ist, gibt es endlich viele Punkte x0i ∈ ∂Ω, offene Umgebungen Wi und

Fortsetzungen ui von u auf Wi (i = 1, 2, . . . , N) mit ∂Ω ⊂⋃Ni=1Wi.

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

Wahle W0 ⊂⊂ Ω mit Ω ⊂⋃Ni=0Wi.

Es sei ϕi eine entsprechende Zerlegung der ”Eins“. Wir definieren:

u :=N∑i=0

ϕiui, u0 := u.

Die Abschatzung (1.7) liefert dann:

‖u‖W 1,p(Rn) ≤ C ‖u‖W 1,p(Ω) , (1.8)

wobei C nicht von u abhangt. Weiter konnen wir supp(u) so wahlen (Wahl der Wi), dass

supp(u) ⊂ Ω′, Ω ⊂⊂ Ω′

gilt.Setze: Fu := u. F ist linear nach Konstruktion.

Die Konstruktion wurde fur u ∈ C∞(Ω) durchgefuhrt. Funktionen aus W 1,p(Ω) lassen sichaber beliebig genau durch C∞(Ω)-Funktionen approximieren. Entsprechend gilt (1.8) auchfur W 1,p(Ω)-Funktionen u.

§7 Differenzenquotienten

Definition 1.7.1. Der Differenzenquotient 4h,iu(x) wird definiert durch

4h,iu(x) := 4hu(x) :=u(x+ hei)− u(x)

h, h > 0, ei = (0, . . . , 0, 1, 0, . . . , 0).

↑i-te Stelle

Differenzenquotient von u in Richtung ei!

Lemma 1.7.2. Es sei u ∈W 1,p(Ω), Ω′ ⊂⊂ Ω. Dann gilt:

4hu ∈ Lp(Ω′) fur h < dist(Ω′, ∂Ω) und

‖4hu‖Lp(Ω′) ≤ ‖Diu‖Lp(Ω) .↑

schwache Ableitung bzgl. xi

Beweis: Sei u ∈W 1,p(Ω) ∩ C∞(Ω).

4hu =1h

[u(x1, . . . , xi−1, xi + h, xi+1, . . . , xn)− u(x1, . . . , xn)]

Hauptsatz der=

Diff.- und Int.-Rechnung

1h

∫ h

0Diu(x1, . . . , xi−1, xi + ξ, xi+1, . . . , xn)dξ.

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§7 Differenzenquotienten

⇒ |4hu|pHolder-≤

Ungl.

1h

∫ h

0|Diu(x+ ξei)|p dξ.

⇒∫

Ω′|4hu|p dx ≤ 1

h

∫ h

0

∫Ω′|Diu(x+ ξei)|p dx dξ

≤ 1h

∫ h

0

∫Ω|Diu(x)|p dx dξ fur h < dist(Ω′, ∂Ω)

= ‖Diu‖pLp(Ω) .

Dies gilt dann auch fur alle Funktionen aus W 1,p(Ω).

Lemma 1.7.3. Es seien 1 < p < ∞, u ∈ Lp(Ω), 4hu ∈ Lp(Ω′) fur Ω′ ⊂⊂ Ω und‖4hu‖Lp(Ω′) < K mit 0 < h < dist(Ω′, ∂Ω). Dann existiert die schwache Ableitung Diu ∈Lp(Ω′) und

‖Diu‖Lp(Ω′) < K.

Beweis: Wir wissen aus der Funktionalanalysis (1p + 1

q = 1):

(i) Lp(Ω) ist reflexiv, fur 1 < p <∞.

(ii) l ist ein stetiges lineares Funktional auf Lp(Ω) ⇐⇒

∃vl ∈ Lq(Ω) : l(u) =∫

Ωuvldx ∀u ∈ Lp(Ω),

(iii) beschrankte abgeschlossene Kugeln in Lp(Ω) sind schwach kompakt.

Wegen ‖4hu‖Lp(Ω′) ≤ K und (iii) existiert eine Folge hm → 0 mit 4hmu v8 in Lp(Ω′) furΩ′ ⊂⊂ Ω. Sei ϕ ∈ C∞0 (Ω′).

⇒∫

Ω(4hmu)ϕdx =

1hm

∫Ω

[u(x+ hmei)− u(x)]ϕ(x)dx

=1hm

∫Ωu(x) [−ϕ(x) + ϕ(x− hmei)] dx

Verschiebung ist moglich wegen supp(ϕ) ⊂⊂ Ω′ ⊂⊂ Ω

=1hm

∫Ωu(x)(−4−hmϕ) dx.

Hierbei ist definiert

4−hϕ :=1h

[ϕ(x)− ϕ(x− hei)] fur − h < 0 .

84hmu→ v in der schwachen Konvergenz.

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

Also:

(4hmu, ϕ) = (u,−4−hmϕ) (1.9)↓ hm → 0 ↓ hm → 0

(v, ϕ) = − (u,Diϕ)

⇒ v ist schwache Ableitung von u in Lp(Ω′).Ferner:

‖Diu‖Lp(Ω′) = ‖v‖Lp(Ω′) ≤ limm→∞

‖4hmu‖Lp(Ω′) .

§8 Die Poincare-Ungleichung

Satz 1.8.1. Es sei u ∈W k,p0 (Ω) und Ω beschrankt. Dann gilt:

‖u‖Wk,p(Ω) ≤ C

∑|α|=k

‖Dαu‖pLp(Ω)

1/p

, 1 ≤ p <∞,

C hangt nur von Ω ab.

Beweis: (Induktion uber k!)

k = 0: trivial!

k → k + 1:

‖u‖pWk+1,p(Ω)

Induktions-≤

voraussetzungC∑|α|=k

‖Dαu‖pLp(Ω) +∑

|α|=k+1

∫Ω|Dαu|p dx.

Sei jetzt u ∈W k+1,p0 (Ω). ⇒ ∀ |α| = k : Dαu ∈W 1,p

0 (Ω).Es muss also nur gezeigt werden:

∀v ∈W 1,p0 (Ω) : ‖v‖pLp(Ω) ≤ C

n∑i=1

‖Div‖pLp(Ω)

Das tun wir jetzt!Sei also v ∈ C∞0 (Ω). (Erinnerung: C∞0 (Ω) dicht in W 1,p

0 (Ω)!)

‖v‖pLp(Ω) =1n

n∑i=1

∫Ω|v(x)|p dx

=1n

n∑i=1

∫Ω|v(x)|p ∂

∂xi(xi)dx

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§8 Die Poincare-Ungleichung

=part. Int.

− 1n

n∑i=1

∫Ω

∂xi|v(x)|p xidx

≤ p

n

n∑i=1

∫Ω|v(x)|p−1 |Div(x)| |xi|dx

Ω beschrankt,≤

also |xi| ≤ d

pd

n

n∑i=1

∫Ω|v(x)|p−1 |Div(x)| dx

Der Fall p = 1 ist damit erledigt.Sei p 6= 1. (s.o.)

‖v‖pLp(Ω) ≤ pd

n

n∑i=1

∫Ω|v(x)|p−1 |Div(x)| dx

Holder-≤

Ungl.

pd

n

n∑i=1

(∫Ω|v(x)|(p−1)q dx

)1/q

·(∫

Ω|Div(x)|p dx

)1/p

≤(p−1)q=p

pd

n

(∫Ω|v(x)|p dx

)1/q n∑i=1

(∫Ω|Div(x)|p dx

)1/p

.

⇒ ‖v‖pLp(Ω) · ‖v‖−p/qLp(Ω)︸ ︷︷ ︸

=‖v‖p−p/qLp(Ω)

≤ pd

n︸︷︷︸=:C

n∑i=1

(∫Ω|Div(x)|p dx

)1/p

⇒p(1−1/q)=1

‖v‖Lp(Ω) ≤ Cn∑i=1

(∫Ω|Div(x)|p dx

)1/p

.

Damit ist die Zwischenbehauptung bewiesen.Insgesamt folgt damit:

‖u‖pWk+1,p(Ω)

≤ C

∑|α|=k

C

n∑i=1

∫Ω|DiD

αu|p dx

+∑

|α|=k+1

∫Ω|Dαu|p dx

≤ ˜C∑

|α|=k+1

∫Ω|Dαu|p dx.

Beispiel 1.8.2. Sei Ω ein beschranktes Gebiet des Rn und 1 ≤ r ≤ p. Sei u ∈W 1,p0 (Ω). Dann

gilt||u||Lr(Ω) ≤ C · ||∇u||Lp(Ω).

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Kapitel 1 Sobolev-Raume

Beweis: Aus Satz 1.8.1 folgt

‖u‖Lp(Ω) ≤ C ‖∇u‖Lp(Ω) .

Mit Satz 1.1.5

‖u‖Lr(Ω) ≤ Ln(Ω)1r− 1

p ‖u‖Lp(Ω) 1 ≤ r ≤ p <∞.

Korollar 1.8.3. Sei Ω beschrankt, dann gilt

W k,p0 (Ω) ⊂W k,p(Ω), aber W k,p

0 (Ω) 6= W k,p(Ω) fur 1 ≤ p <∞, k ≥ 1.

Bemerkung 1.8.4. Es gilt aber

W k,p0 (Rn) = W k,p(Rn)!

Siehe Bemerkung 1.4.17 (direkte Folgerung des Satzes 1.4.11).

78

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Kapitel 2

Elliptische Randwertprobleme

§1 Elliptische Differentialoperatoren 2. Ordnung

Wir betrachten lineare Differentialoperatoren 2. Ordnung von der Form

Lu :=∑|α|≤2

aα(x)Dαu =n∑

i,j=1

aij(x)DiDju+n∑i=1

bi(x)Diu+ c(x)u

mit aα ∈ C |α|(Ω) und aij = aji.

Der zu L formal adjungierte Differentialoperator ist

L∗u =∑|α|≤2

(−1)|α|Dα(aα(x)u),

also

(Lϕ,ψ) = (ϕ,L∗ψ) ∀ϕ,ψ ∈ C∞0 (Ω).

Definition 2.1.1. Der Operator

LHu :=∑|α|=2

aα(x)Dαu

heißt Hauptteil und

LH(x, ξ) :=n∑

i,j=1

aij(x)ξiξj , x ∈ Ω ⊂ Rn, ξ ∈ Rn

das Symbol von L.

Der Operator L heißt stark elliptisch in Ω, wenn

LH(x, ξ) 6= 0 ∀ξ ∈ Rn \ 0 , x ∈ Ω,

LH(x, ξ) ist eine quadratische Form in ξ.

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Kapitel 2 Elliptische Randwertprobleme

Lemma 2.1.2. Sei LH stark elliptisch in Ω und Ω′′ ⊂⊂ Ω ⊂ Rn. Dann gilt:

|LH(x, ξ)| ≥ c0 |ξ|2 , c0 > 0,∀ξ ∈ Rn, x ∈ Ω′′.

Beweis: LH(x, ξ) ist stetig auf Ω′′ × ∂K1(0).

⇒ ∃c0 > 0 :∣∣LH(x, ξ′)

∣∣ ≥ c0 fur x ∈ Ω,∣∣ξ′∣∣ = 1.

Sei ξ ∈ Rn \ 0 , ξ′ := ξ|ξ| .

⇒∣∣ξ′∣∣ = 1 und |LH(x, ξ)| =

∣∣LH(x, |ξ| ξ′)∣∣ LH quadr.

=Form in ξ

|ξ|2∣∣LH(x, ξ′)

∣∣ ≥s.o.

c0 |ξ|2 .

Bemerkung 2.1.3. Falls Ω′′ zusammenhangend ist und LH stark elliptisch, so gilt

LH(x, ξ) ≥ c0 |ξ|2 oder −LH(x, ξ) ≥ c0 |ξ|2 ∀ξ ∈ Rn,∀x ∈ Ω′′.

Definition 2.1.4. L heißt gleichmaßig stark elliptisch auf Ω, wenn es eine Konstante c0 > 0gibt mit

−LH(x, ξ) ≥ c0 |ξ|2 ∀x ∈ Ω ⊂ Rn,∀ξ ∈ Rn.

Beispiel 2.1.5.

(i) −4 ist gleichmaßig stark elliptisch auf Rn.

(ii) Sei Ω := (a, b) ⊂ R und a2(x)u′′ + a1(x)u′ + a0(x)u =: Lu.⇒ LH(x, ξ) = a2(x)ξ2, ξ ∈ R.⇒ −LH(x, ξ) = −a2(x)ξ2 ≥ c0ξ2 ⇐⇒ −a2(x) ≥ c0, ∀x ∈ (a, b).

Wir betrachten im Folgenden stets p = 2 (Hilbertraumtheorie fur elliptische Differentialope-ratoren):

Hk(Ω) := W k,2(Ω), ‖·‖k := ‖·‖Wk,2(Ω) ,

Hk0 (Ω) := W k,2

0 (Ω), ‖·‖0 := ‖·‖L2(Ω) .

Satz 2.1.6. (Gørdingsche Ungleichung): Seien Ω ⊂ Rn beschrankt und L gleichmaßig starkelliptisch in Ω mit aij ∈ C1

B(Ω) und bi, c ∈ CB(Ω). Dann gilt:

∀u ∈ H2(Ω) ∩H10 (Ω) : (Lu, u) ≥ c1 ‖u‖21 − k ‖u‖

22 , c1 > 0, k ≥ 0,

die nur von L und Ω abhangen.

80

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§2 Das Dirichlet-Problem

Beweis:

(Lu, u) =∫

Ω

[ n∑i,j=1

aij(x)DiDju(x) +n∑i=1

bi(x)Diu(x) + c(x)u(x)]u(x)dx

=∫

Ω

n∑i,j=1

aij(x)Diu(x)Dju(x) +n∑i=1

[bi(x)−

n∑j=1

Djaij(x)]Diu(x)u(x) + c(x)u2(x)

dx

↑part. Int., u ∈ H1

0 ∩H2, gegebenenfalls approximieren durch C10 ∩ C2-Funktionen

≥∫

Ω

(c0

n∑i=1

|Diu(x)|2 dx− c1n∑i=1

‖Diu‖0 · ‖u‖0

)− c2 ‖u‖20

↑L gleichmaßig stark elliptisch, ξ := ∇u(x)

c1 obere Schranke der Koeffizienten Djaij , bi; und c2 Schranke fur c

≥(c0 −

c1ε

2

)︸ ︷︷ ︸

=:c(ε)

n∑i=1

‖Diu‖20 −(c2 +

nc12ε

).︸ ︷︷ ︸

=:k

‖u‖20

↑Youngsche Ungleichung: a · b ≤ ε

2a2 +

1

2εb2

Wahle ε > 0 so klein, dass c(ε) =: c1 > 0. (Beachte c1 generische Konstante.)

Mit der Anwendung der Poincare- Ungleichung folgt:

(Lu, u) ≥ c1 ‖u‖21 − k ‖u‖20 .

§2 Das Dirichlet-Problem

Es sei L gleichmaßig stark elliptisch uber einem beschrankten offenen Gebiet Ω ⊂ Rn.

Definition 2.2.1. Das Problem

Lu = f in Ω

u = g auf ∂Ω

heißt Dirichlet-Problem uber Ω.

Eine klassische Losung u ∈ C2(Ω) ∩ C(Ω) existiert i.a. nicht immer. Beispiele hierzu habenwir schon kennengelernt.

Definition 2.2.2. Es sei f ∈ H0(Ω) = L2(Ω). Eine Funktion u ∈ H0(Ω) heißt schwacheLosung von Lu = f , wenn

(u, L∗ϕ) = (f, ϕ) ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω)

gilt.

81

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Kapitel 2 Elliptische Randwertprobleme

Eine schwache Losung u, die zusatzlich in H1(Ω) liegt, erfullt die Randbedingung u = g auf∂Ω im schwachen Sinn, falls

(u− g) ∈ H10 (Ω).

(Achtung: Voraussetzung hierfur g ∈ H1(Ω))

Anmerkung: Wir haben in Kapitel 1 (nur) fur Funktionen aus W 1,p0 (Ω) Aussagen uber

Randwerte ”Null“ hergeleitet.

Wir betrachten im Folgenden das Dirichlet-Problem

Lu = f in Ω,

u = g auf ∂Ω

mit f ∈ H0(Ω) und g ∈ H2(Ω).

Falls eine schwache Losung u ∈ H1(Ω) des Dirichlet-Problems existiert, gilt:

(u, L∗ϕ) = (f, ϕ) ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω)

(u− g) ∈ H10 (Ω).

Wir setzen: v := u− g ∈ H10 (Ω), u = v + g.

Wir haben also, da g ∈ H2(Ω):

(v, L∗ϕ) = (f − Lg, ϕ) ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω), v ∈ H10 (Ω). (2.1)

Resultat: Existiert ein v, dass (2.1) erfullt, so ist u = v + g schwache Losung des ursprung-lichen Dirichlet-Problems.

Definition 2.2.3. Seien f ∈ H0(Ω), g ∈ H2(Ω). Eine Funktion v ∈ H10 (Ω) heißt Losung des

schwachen Dirichlet-Problems

(v, L∗ϕ) = (f − Lg, ϕ) ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω).

Definition 2.2.4. Es seien aij ∈ C1B(Ω) und bi, c ∈ CB(Ω) fur i, j = 1, 2, . . . , n. Wir definie-

ren auf H1(Ω) die Bilinearform

B(u, v) :=∫

Ω

−n∑

i,j=1

aijDiu(x)Djv(x) +n∑i=1

bi(x)Diu(x)v(x) + c(x)u(x)v(x)

dx,

mit

bi(x) := bi(x)−n∑j=1

Djaij(x)

(vgl. Beweis der Gørdingschen Ungleichung).

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§3 Der Satz von Lax-Milgram

Offensichtlich gilt fur u ∈ H2(Ω), v ∈ H10 (Ω):

(Lu, v)︸ ︷︷ ︸ = B(u, v).

= (u, L∗v) fallsu, v ∈ H2(Ω) ∩H1

0 (Ω)

Die Definition einer Losung des Dirichlet-Problems, Definition 2.2.3, lasst sich auch so for-mulieren:

Gesucht: v ∈ H10 (Ω) mit B(v, ϕ) = (f − Lg︸ ︷︷ ︸

∈H0(Ω)

, ϕ) ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω).

Es genugt also im Folgenden das schwache Dirichlet-Problem zu untersuchen:

Gesucht: u ∈ H10 (Ω) mit B(u, ϕ) = (f, ϕ) ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω), wobei f ∈ H0(Ω).

Satz 2.2.5. Fur u, v ∈ H10 (Ω) gilt:

(i) |B(u, v)| ≤M ‖u‖1 · ‖v‖1 , M > 0 (Stetigkeit der Bilinearform (CSU)),

(ii) B(u, u) ≥ c1 ‖u‖21 − k ‖u‖20 , c1 > 0, k ≥ 0 (Gørdingsche Ungleichung).

Bemerkung 2.2.6. B(u, v) ist im allgemeinen nicht symmetrisch.

§3 Der Satz von Lax-Milgram

Satz 2.3.1. Es sei H ein Hilbert-Raum und B : H × H → R eine stetige, koerzitive Bi-linearform (d.h. |B(x, y)| ≤ M ‖x‖ · ‖y‖ und B(x, x) ≥ c ‖x‖2, c > 0 ∀x, y ∈ H). Danngilt:

∀y′0 ∈ H ′ ∃1 y0 ∈ H : B(x, y0) = y′0(x) ∀x ∈ H.stetiges lineares

Funktional auf H

Bemerkung 2.3.2. Wenn B symmetrisch ist, so wird durch B(u, v) ein aquivalentes Skalar-produkt auf H definiert. Dann ist Satz 2.3.1 der Darstellungssatz von Riesz.

Zusatz: Die bijektive Abbildung y 7−→ y0 ist in beiden Richtungen stetig.

Beweis (von Satz 2.3.1):Fur jedes y ∈ H ist B(·, y) ∈ H ′.Darst.-Satz=⇒von Riesz

∃1 z ∈ H ∀x ∈ H : B(x, y) = (x, z).

Wir definieren: T : H → H, Ty := z

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Kapitel 2 Elliptische Randwertprobleme

(i) T ist linear: klar!

(ii) T ist stetig:

|(x, Ty)| = |B(x, y)| ≤M ‖x‖ ‖y‖ ∀x ∈ H

⇒x=Ty

(‖Ty‖2 ≤M ‖Ty‖ ‖y‖︸ ︷︷ ︸

s.o.

⇔ ‖Ty‖ ≤M ‖y‖ ⇔ T stetig)

(iii) T ist injektiv: (x, Tx) = B(x, x) ≥koerz.

c ‖x‖2 ⇒

c ‖x‖2 ≤ (x, Tx) ≤ ‖x‖ ‖Tx‖ . (2.2)

(iv) T ist surjektiv: Angenommen, T ware nicht surjektiv.R(T ) ist abgeschlossen, denn sei (T (xn)) Cauchy-Folge

(2.2)⇒ ‖xn‖ ≤1c‖Txn‖ und damit ist (xn) Cauchy-Folge

⇒ ∃x ∈ H : xn → x

⇒stetig

Txn → T x ∈ H.

Es ist nun H = R(T )⊕R(T )⊥, und damit gilt nach Annahme:

∃y1 6= 0 ∀x ∈ H : (y1, Tx) = 0.

Insbesondere gilt:

0 = (y1, T y1)(2.2)

≥ c ‖y1‖2 > 0.

Damit ist T ein Isomorphismus und wegen (2.2) in beiden Richtungen stetig.

Sei jetzt y′0 ∈ H ′ gegeben.Satz=⇒

von Riesz∃1 z0 ∈ H ∀x ∈ H : y′0 = (x, z0) =

s.o.B(x, T−1z0).

Setze y0 := T−1z0 leistet das Gewunschte.

Die Richtigkeit des Zusatzes folgt aus der Stetigkeit der Zuordnung y′0 ↔ z0 (Satz von Riesz)und der Stetigkeit der Zuordnung z0 ↔ y0 = T−1z0.

Im Folgenden die Version dieses Satzes im Komplexen ohne Beweis.

Bemerkung 2.3.3 (Satz von Lax-Milgram fur C).Es sei H ein komplexer Hilbertraum und B : H ×H → C mit

i.) |B(x, y)| ≤M ‖x‖H ‖y‖H ∀x, y ∈ H (Stetigkeit)

ii.) ReB(x, x) + |ImB(x, x)| ≥ c ‖x‖2H , c > 0,∀x, y ∈ H (Koerzivitat)

Dann gilt:

∀y′0 ∈ H ′ ∃1 y0 ∈ H : B(x, y0) = y′0(x) ∀x ∈ H.

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§3 Der Satz von Lax-Milgram

Beispiel 2.3.4.Sei Ω ⊂ Rn ein beschranktes Gebiet mit C1–Rand.Wenden Sie den Satz von Lax-Milgram an, um eine geeignete Menge Λ ⊂ C so zu finden, dassdas Dirichletsche Randwertproblem fur f ∈ H0(Ω,C)

4u− ∂

∂x1u+ λu = f in Ω

u = 0 auf ∂Ω

fur λ ∈ Λ stets eindeutig schwach losbar ist.

a.) Uberlegen Sie sich B : H10 (Ω,C)×H1

0 (Ω,C)→ C!

b.) Mit dem Skalarprodukt uber C((u, v)L2(Ω,C) =

∫Ω uvdx

)lasst sich Re(∂u/∂x1, u)L2(Ω,C) =

0 zeigen.

c.) Zeigen Sie die Koerzitivitat fur ReB(u, u) + |ImB(u, u)|!

Beweis:

a.) Betrachte: −4u+ ∂∂x1

u− λu = −f . ⇒ B : H10 ×H1

0 → C

B(u, v) := (∇u,∇v)L2(Ω,C) +

(∂

∂x1u, v

)L2(Ω,C)

− λ(u, v)L2(Ω,C) .

b.) Wir diskutieren den storenden Term: Mit dem Gaußschen Satz (siehe Bemerkung 1.5.9 und Bemerkungzum Beispiel 1.5.10) gilt(

∂x1u, u

)=

∫Ω

∂x1u · udx = −

∫∂Ω

u · ∂

∂x1udx

Gesetze uber komplexe Zahlen:

=

(3)∫Ω

∂x1u · udx =

∫Ω

∂x1u · udx =

∫Ω

∂x1u · udx

⇒ Aus der Gleichheit (3) folgt:

Re

(∂

∂x1u, u

)L2(Ω,C)

= 0 .

c.) Fur die Koerzivitat ist zu zeigen

ReB(u, u) + |ImB(u, u)| ≥ c ‖u‖2H . (2.3)

Betrachte

ReB(u, u) = (∇u,∇u)L2(Ω,C) − (Reλ)(u, u)L2(Ω,C).

⇒ Fur λ ∈ Λ− := λ ∈ C | Reλ < 0 ist (2.3) erfullt.⇒ Mit Lax-Milgram im Komplexen ist die eindeutige schwache Losbarkeit garantiert.

Betrachte nun den Fall λ ∈ C mit Reλ ≥ 0. Wir haben

ImB(u, u) =

(∂

∂x1u, u

)L2(Ω,C)

− (Imλ) ‖u‖2L2(Ω,C)

⇒ |ImB(u, u)| ≥

∣∣∣∣∣ |Imλ| ‖u‖2L2(Ω) −

∣∣∣∣∣(

∂x1u, u

)L2(Ω,C)

∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣

Holder-

≥Ungl.

|Imλ| ‖u‖2L2(Ω) −∥∥∥∥ ∂

∂x1u

∥∥∥∥L2(Ω)

‖u‖L2(Ω)

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Kapitel 2 Elliptische Randwertprobleme

Youngsche

≥Ungl.

|Imλ| ‖u‖2L2(Ω) −ε

2

∥∥∥∥ ∂

∂x1u

∥∥∥∥2

L2(Ω)

− 1

2ε‖u‖2L2(Ω)

≥(|Imλ| − 1

)‖u‖2L2(Ω) −

ε

2‖∇u‖2L2(Ω)

Es ergibt sich damit insgesamt:

ReB(u, u) + |ImB(u, u)| ≥ ‖∇u‖2L2(Ω)

(1− ε

2

)+ ‖u‖2L2(Ω)

(|Imλ| − Reλ− 1

).

Im Falle

λ ∈ Λ+ :=

λ ∈ C | Reλ ≥ 0, |Imλ| > Reλ+

1

4

konnen wir ein ε ∈ (0, 2) finden, so dass

ReB(u, u) + |ImB(u, u)| ≥ µ0

(‖∇u‖2L2(Ω) + ‖u‖2L2(Ω)

)fur ein µ0 ∈ R+ und alle u ∈ H1

0 (Ω,C) gilt.⇒ Es folgt die Koerzivitat und damit die eindeutige Losbarkeit des betrachteten Randwertproblems

Beispiel 2.3.5 (Bi-harmonischer Operator).Sei Ω ⊂ Rn ein beschranktes Gebiet mit C1–Rand. Fur λ ∈ C betrachten wir das ProblemGegeben: f ∈ L2(Ω,C).Gesucht: u ∈ V := H2

0 (Ω,C) mit ∀ϕ ∈ V gelten∑

i,k=1

( ∂

∂xi

∂xku,

∂xi

∂xkϕ)L2(Ω,C)

+n∑i=1

( ∂

∂xiu,

∂xiϕ)L2(Ω,C)

+λ(u, ϕ

)L2(Ω,C)

=(f, ϕ

)L2(Ω,C)

(2.4)a.) Welches Randwertproblem wurde durch die schache Formulierung (2.4) beschrieben ?

b.) Fur welche λ gilt die eindeutige schwache Losbarkeit ?

Beweis:

a.) Fur ϕ ∈ C∞0 (Ω) erhalten wir mit dem Gaußschen Satz

(f, ϕ) = B(u, ϕ)

=

reeller Teil︷ ︸︸ ︷(u,

∂xk

∂xi

∂xi

∂xk︸ ︷︷ ︸ϕ)−(u,

∂xi

∂xiϕ)

+(u, λϕ)

Summenkonventionanwenden

= (u,44ϕ)− (u,4ϕ) + (u, λϕ) =: (u, L∗ϕ)

⇒ L = 44−4+ λ (oder man zieht mit dem Gaußschen Satz alles auf u).⇒ u ist schwache Losung von 44u−4u+ λu = f .Randbedingungen: Da V = H2

0 (Ω), haben wir Dirichletsche Randbedingungen. Es gilt Su = 0 imschwachen Sinne.

b.) Wende die komplexe Version des Satzes von Lax-Milgram an, aus Bemerkung 2.3.3. Hier gilt H20 (Ω,C).

Koerzitivitatsbedingung: ReB(u, u) + |ImB(u, u)| ≥ c ‖u‖2H20 (Ω,C)

Stetigkeitsbedingung: Ebenso wie oben.

Wegen∑n

i,k=1

∥∥∥ ∂∂xi

∂∂xk

u∥∥∥2

L2(Ω)=∑

|α|=2 ‖Dαu‖2L2(Ω)

ReB(u, u) =∑i,k

∫Ω

∣∣∣∣ ∂∂xi

∂xku

∣∣∣∣2 dx︸ ︷︷ ︸≥0

+

n∑i=1

∫Ω

∣∣∣∣ ∂∂xiu

∣∣∣∣2 dx︸ ︷︷ ︸≥0

+ Reλ

∫Ω

|u|2 dx︸ ︷︷ ︸≥0

(2.5)

86

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§4 Existenz schwacher Losungen des Dirichlet-Problems

Da |ImB(u, u)| ≥ 0, ist B fur Reλ > 0 in jedem Fall koerzitiv. Da Ω beschrankt ist, lasst sich Poincareanwenden und wir konnen auch λ = 0 zulassen.Wir diskutieren noch den Fall Reλ < 0 und Imλ 6= 0. Denn es ist klar fur Reλ < 0 und Imλ = 0konnen wir keine Aussage machen. Es ist

|ImB(u, u)| = |Imλ| ‖u‖2L2(Ω) .

Mit (2.5) gilt fur τ ∈ R+

τ ReB(u, u) + |ImB(u, u)| ≥ τ∑

1≤|α|≤2

‖Dαu‖2L2(Ω) + (|Imλ|+ τ Reλ) ‖u‖2L2(Ω) .

Wir wahlen

τ :=1

2· |Imλ||Reλ| > 0.

⇒ Fur λ ∈ C mit |Imλ| ≥ |Reλ| gilt damit die Koerzivitat und folglich die Losbarkeit nach Lax-Milgram.

Λ := λ ∈ C | |Imλ| > |Reλ| ,Reλ < 0 ∪ λ ∈ C | Reλ ≥ 0

§4 Existenz schwacher Losungen des Dirichlet-Problems

Die Existenz einer schwachen Losung liefert der Satz

Satz 2.4.1. Es seien Ω ⊂ Rn offen und beschrankt, sowie L gleichmaßig stark ellip-tisch uber Ω. Die Gørdingsche Ungleichung gelte in der strikten Form

((Lu, u) ≥ c1 ‖u‖21

∀u ∈ H10 (Ω) ∩H2(Ω)

)1. Dann gilt:

∀f ∈ H0(Ω) ∃1 u ∈ H10 (Ω) ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω) : B(u, ϕ) = (f, ϕ).

(schwache Losung des Dirichlet-Problems)

Zusatzlich ist die Abbildung G : H0(Ω)→ H0(Ω), f 7→ u, linear, injektiv und kompakt.

Beweis: Wir definieren ein lineares Funktional lf auf H10 (Ω) durch lf : H1

0 (Ω)→ R, lf (ϕ) :=(f, ϕ). Die durch f 7→ lf definierte Abbildung von H0 in (H1

0 )′ ist linear und stetig, dennwegen

|lf (ϕ)| ≤CSU‖f‖0 · ‖ϕ‖0 ≤ ‖f‖0 · ‖ϕ‖1

folgt

‖lf‖(H10 )′ ≤ ‖f‖0

und damit die Stetigkeit (Linearitat ist klar!).

1Das ist gleichbedeutend mit B(u, u) ≥ c1 ‖u‖21 ∀u ∈ H10 (Ω).

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Kapitel 2 Elliptische Randwertprobleme

Nach dem Satz von Lax-Milgram folgt:

∃1 u ∈ H10 (Ω) ∀ϕ ∈ H1

0 (Ω) : B(u, ϕ) = (f, ϕ).⊃

dichtC∞0 (Ω)

Außerdem hat man:

fstetig−→ lf

stetig−→Zusatz

v. L.-M.

ukompakt−→Satz v.Rellich

u

∈ ∈ ∈ ∈

H0(Ω) (H10 (Ω))′ H1

0 (Ω) H0(Ω)

Also ist der Operator G : H0(Ω) → H0(Ω) als Komposition linear, stetig und kompakt einkompakter Operator.

Der Satz 2.4.1 hat die Gørdingsche Ungleichung in ihrer strengen Form als Voraussetzung.Im allgemeinen gilt aber nur

B(u, u) ≥ c1 ‖u‖21 − k ‖u‖20 .

Das fuhrt uns zur Betrachtung des Operator L+ kI, fur den die Ungleichung ((L+ k)u, u) ≥c1 ‖u‖21 gilt, und damit zu einem Eigenwertproblem fur L (im Fall L := −4 zum Helmholtz-Problem).

Aus der Funktionalanalysis kennen wir den folgenden Satz:

Satz 2.4.2. Es sei H ein Hilbert-Raum und G : H → H ein linearer, kompakter Operator.Dann gilt:Das Spektrum2σ(G) von G besteht aus einer abzahlbaren Teilmenge von C mit 0 als einzigmoglichen Haufungspunkt; jedes λ ∈ σ(G)\0 ist Eigenwert von G mit endlicher Vielfachheit.

Satz 2.4.3. Es sei L gleichmaßig stark elliptisch uber einem beschrankten, offenen GebietΩ ⊂ Rn. Dann gilt:Bis auf eine abzahlbare diskrete Menge σ(L) ⊂ R mit +∞ als einzig moglichen Haufungspunktbesitzt das Dirichlet-Problem

(L− λI)u = f in Ω,

u = 0 auf ∂Ω

fur jedes f ∈ H0(Ω) genau eine schwache Losung u ∈ H10 (Ω).

Weiter gilt: Es ist λ 6∈ σ(L), genau dann wenn

∀ϕ ∈ C∞0 (Ω) : B(u, ϕ) = λ(u, ϕ) ⇒ u = 0.

2 Sei X ein normierter linearer Raum uber C und G : X → X ein linearer Operator. Alle λ ∈ C furdie (G − λI)−1 existiert und beschrankt ist, heißen regular. (G − λI)−1 =: Rλ heißt Resolvente von G.ρ(G) : λ ∈ C : λ regular heißt Resolventenmenge von G. Die Gesamtheit aller nichtregularen λ bildendas Spektrum von G, also σ(G) = C \ ρ(G). σp(G) : λ ∈ σ(G) : N(G − λI) 6= 0 ⊂ σ(G) ist dasPunktspektrum. λ ∈ σp(G) heißt Eigenwert von G. Losungen w 6= 0 von Gw = λw heißen Eigenvektoren zuλ.

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§4 Existenz schwacher Losungen des Dirichlet-Problems

Beweis: Nach der Gørdingschen Ungleichung gilt

(Lu, u) ≥ c1 ‖u‖21 − k ‖u‖20

und k hangt nur von L und Ω ab.Sei k jetzt fest gewahlt und L := L + kI. L erfullt alle Voraussetzungen von Satz 2.4.1.⇒ L+ kI besitzt kompakten Losungsoperator G : H0(Ω)→ H0(Ω).Sei jetzt u ∈ H1

0 (Ω) eine schwache Losung von(L− λI)u = f in Ω,

u = 0 auf ∂Ω.

⇔ u ∈ H10 (Ω) ist schwache Losung von

(L+ kI)u = f + (k + λ)u in Ω,

u = 0 auf ∂Ω.

⇔ u = G(f + (k + λ)u) ⇐⇒

G linearu− (k + λ)G(u) = G(f)

u = G(f) falls λ = −k,

1k+λu−G(u) = G(f)(k + λ)−1 falls λ 6= −k.

Es seien die reellen Eigenwerte von G (µm)m∈N, µm → 0. Dann gilt:

1k + λ

6= µm ⇔ λ 6= 1µm− k ( −→

m→∞±∞)

(d.h. σ(L) :=

1µm− k)

⇔(

1k+λI −G

): H0(Ω)→ H0(Ω) ist bijektiv und stetig invertierbar, d.h.(1

k+λI −G)−1

: H0(Ω)→ H0(Ω) existiert.

Denn 1k+λ ist aus der Resolventenmenge und G ist stetig und abgeschlossen (Satz von Riesz-

Schauder). Also λ 6∈ σ(L) :=

1µm− k | m ∈ N

(1

k+λI −G)u = G(f) 1

k+λ ist fur jedes

f ∈ H0(Ω) eindeutig losbar.

−∞ kommt als Grenzwert (m → ∞) von ( 1µm− k)m∈N nicht in Frage, denn fur λ ≤ −k ist

(L− λ)u = f auf Ω mit u|∂Ω = 0 eindeutig schwach losbar mit u ∈ H10 (Ω).

⇒ σ(L) : −k < λ1 < λ2 < . . .→ +∞.

Also fur λ 6∈ σ(L) gilt:

λ 6= −k : 1k+λu−G(u) = G(f) 1

k+λ eindeutig losbar,

λ = −k : u = G(f) eindeutig losbar

fur alle f ∈ H0(Ω)⇐⇒

u ist eindeutige schwache Losung von (L− λI)u = f in Ω mit u|∂Ω.

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Kapitel 2 Elliptische Randwertprobleme

Aus der Funktionalanalysis wissen wir:

µ kein Eigenwert von G ⇔ ( µu−Gu = 0 ⇒ u = 0 ) ,

d.h. λ 6∈ σ(L) ⇒ 1k+λ 6∈ σ(G).

1k+λ 6∈ σ(G) ⇔

λ 6= −k :1

k + λu−Gu = 0 ⇔ u = (k + λ)Gu ⇒ u = G((k + λ)u)

⇒ u eindeutige schwache Losung von (L+ k)u = (k + λ)u, u ∈ H10 (Ω),

d.h. B(u, ϕ) + k(u, ϕ) = (k + λ)(u, ϕ)⇒ u = 0,also B(u, ϕ) = λ(u, ϕ) ⇒ u = 0 ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω).

λ = −k : (L+ k)u = 0, u ∈ H10 (Ω) hat eindeutige schwache Losung u = 0.

Folgerung 2.4.4. Ist die schwache Losung des Dirichlet-Problems

B(u, ϕ) = (f, ϕ) ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω), u ∈ H10 (Ω)

fur ein f (z.B. f ≡ 0) eindeutig, so existiert sie fur jedes f . Aus der Eindeutigkeit folgt dieExistenz!

Beispiel 2.4.5. Sei L := −4. Die entsprechende Bilinearform ist

B(u, v) =∫

Ω

(n∑i=1

Diu(x)Div(x)

)dx

(strikt positiv definit!)

=⇒Satz 2.4.1

−4u = f in Ω,

u = 0 auf ∂Ω

ist fur jedes f und jede beschrankte offene Menge Ω eindeutig losbar.

Beispiel 2.4.6 (Gemischtes Randwertproblem).Sei Ω ⊂ Rn ein beschranktes, zusammenhangendes Gebiet mit C1–Rand und α ∈ C0(∂Ω).Finden Sie einen Hilbertraum H, eine Bilinearform B und eine Bedingung an α, so dass Siemit dem Satz von Lax-Milgram (Satz 2.3.1) auf die eindeutige schwache Losbarkeit folgendenRandwertproblems schliessen konnen

4u = f ,∂

∂~nu+ αu = g .

Beweis:Betrachte dazu −4u = −f . Wir fuhren ein λ ∈ R, λ ≥ 0 ein und betrachten allgemeiner

−4u+ λu = −f .

90

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§4 Existenz schwacher Losungen des Dirichlet-Problems

Fur λ = 0 haben wir die Originalgleichung. Sei ϕ ∈ C∞0 (Rn)|Ω.

⇒ (−f, ϕ)L2(Ω) = −∫

Ω

fϕdx =

∫Ω

(− div(∇u) + λu)ϕdx

Beispiel 1.5.10=

Gaußscher Satz

∫Ω

(∇u∇ϕ+ λuϕ)dx−∫

∂Ω

∇u · ~n︸ ︷︷ ︸=g−αSu

· S︸︷︷︸ϕdσSpuroperator

=

∫Ω

∇u∇ϕdx+ λ

∫Ω

uϕdx−∫

∂Ω

gSϕdσ +

∫∂Ω

αSuSϕdσ.

Das heißt, betrachte den Hilbertraum: H := H1(Ω).Bilinearform:

B(u, ϕ) := (∇u,∇ϕ)L2(Ω) + λ(u, ϕ)L2(Ω) + (αSu, Sϕ)L2(∂Ω) .

Dann ist nach Satz 1.4.11 ϕ ∈ C∞0 (Rn)|Ω dicht in H1(Ω). D.h.Gegeben: f ∈ L2(Ω), g ∈ L2(∂Ω)Gesucht: u ∈ H1(Ω) mit

B(u, ϕ) := −(f, ϕ)L2(Ω) + (g, Sϕ)L2(∂Ω) ∀ϕ ∈ H1(Ω).

Bedingung an α: α > 0.Um den Satz von Lax-Milgram 2.3.1 anzuwenden, muss vor allem die Koerzitivitat gezeigt werden.Ist λ > 0 ⇒ kein Problem,

B(u, u) := ‖∇u‖2L2(Ω) + λ ‖u‖2L2(Ω) + (αSu, Su)L2(∂Ω)︸ ︷︷ ︸≥0

≥ min(1, λ) ‖u‖H1,2(Ω) .

Betrachtung fur λ = 0: Es folgt eine ahnliche Argumentation wie in Kapitel 2, §4. Benutze die Folgerung 2.4.4,setze f = g = 0

Es gilt: Ist die schwache Losung

B(u, ϕ) = 0 ∀ϕ ∈ C∞0 (Rn)|Ω eindeutig,

so existiert sie fur jedes (F,ϕ) := −(f, ϕ)L2(Ω) + (g, Sϕ)L2(∂Ω).

Die einzige Erweiterung der Beweise, welche auf der Fredholmschen Alternative basieren, besteht darin, dasswir Testfunktionen ϕ ∈ C∞0 (Rn)|Ω benutzen, welche dicht in H1(Ω) liegen, anstatt ϕ ∈ C∞0 (Ω) ⊆

↑H1

0 (Ω).

dicht in

⇒ Betrachte ∫Ω

∇u∇ϕdx+

∫∂Ω

αSuSϕdσ = 0 ∀ϕ ∈ C∞0 (Rn)|Ω.

Wegen der Dichtheit lasst sich auch schreiben∫Ω

∇u∇ϕdx+

∫∂Ω

αSuSϕdσ = 0 ∀ϕ ∈ H1(Ω). (2.6)

(2.6) muss also auch geltern fur ϕ = u∫Ω

|∇u|2︸ ︷︷ ︸≥0

dx+

∫∂Ω

α |Su|2︸ ︷︷ ︸≥0

dσ = 0

⇒ |∇u| = 0 ⇒ falls Ω zusammenhangend ist, folgt u = const. ≡ c, da aber auch |Su|2 = 0 ⇒ c = 0.

Damit ist u = 0. Es existiert eine eindeutige Losung.

Frage: Wann sind schwache Losungen auch klassische Losungen, d.h. u ∈ C2(Ω)∩C(Ω) lostdas Dirichlet-Problem?

91

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Kapitel 2 Elliptische Randwertprobleme

§5 Regularitat schwacher Losungen im Inneren von Ω

Wir beweisen zur Regularitat im Inneren von Ω

Satz 2.5.1. Es seien L ein gleichmaßig stark elliptischer Differentialoperator,

Lu =n∑

i,j=1

aij(x)DiDju+n∑i=1

bi(x)Diu+ c(x)u,

mit aij(x) ∈ C1B(Ω), bi, c ∈ CB(Ω) und Ω ⊂ Rn ein offenes und beschranktes Gebiet. Dann

gilt:Ist u ∈ H1(Ω) eine schwache Losung von Lu = f (d.h. B(u, ϕ) = (u, L∗ϕ) = (f, ϕ) ∀ϕ ∈C∞0 (Ω)) mit f ∈ H0(Ω), dann ist u ∈ H2(Ω′) ∀Ω′ ⊂⊂ Ω (oder anders ausgedruckt u ∈H2

loc(Ω)).Zusatzlich gilt die apriori-Abschatzung

‖u‖H2(Ω′) ≤ K(‖u‖H0(Ω) + ‖f‖H0(Ω)

)wenn u ∈ H1

0 (Ω) ist. Die Konstante K hangt nur von L,Ω,Ω′ und dist(Ω′, ∂Ω) ab.

Beweis: Es sei u ∈ H1(Ω) und B(u, ϕ) = (f, ϕ) ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω), d.h.∫Ω

(−

n∑i,j=1

aij(x)DiuDjϕ)dx =

∫Ω

(−

n∑i=1

bi(x)︸ ︷︷ ︸∈ Diu︸︷︷︸∈ − c(x)︸︷︷︸∈ u+ f︸︷︷︸∈

)ϕ dx =: (g, ϕ)

CB(Ω) H0(Ω) CB(Ω) H0(Ω)

∀ϕ ∈ C∞0 (Ω) (aber auch ∀ϕ ∈ H10 (Ω), Dichtheitsargument!) und g ∈ H0(Ω).

Es sei jetzt h < dist(suppϕ, ∂Ω) und ϕ ∈ C∞0 (Ω) fest gewahlt.Lemma 1.7.3=⇒

Gleichung (1.9)∀v ∈ H0(Ω) : (v,4−hϕ) = −(4hv, ϕ).

Speziell fur

vj(x) := −n∑i=1

aij(x)Diu ∈ H0(Ω)

undϕj(x) := Djϕ ∈ C∞0 (Ω)

gilt also: ∫Ω

n∑j=1

4hvj · ϕjdx = −∫

Ω

n∑j=1

vj · 4−hϕjdx.

=⇒einsetzen!

∫Ω

n∑i,j=1

4h (aij(x)Diu(x))Djϕ

dx = −∫

Ω

n∑i,j=1

aij(x)Diu(x)Dj

∈C∞0 (Ω)︷ ︸︸ ︷(4−hϕ)︸ ︷︷ ︸

=4−hDjϕ

dx

(da ϕ ∈ C∞0 (Ω))

=s.o.

∫Ωg · 4−hϕdx.

92

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§5 Regularitat schwacher Losungen im Inneren von Ω

Nebenrechnung: 4h (aij(x)Diu(x)) = aij(x + hek)4hDiu(x) + 4haij(x)Diu(x), dabei ist4h := 4h,k.

Wir wollen 4hDi mit Di4h vertauschen.

Es sei4hDiu(x) = Di4hu(x) ∀x ∈ Ω′1 ⊂⊂ Ω, dist(Ω′

1, ∂Ω) > |h|, denn fur u ∈ C∞(Ω)∩H1(Ω)ist das klar und Funktionen aus H1(Ω) lassen sich durch Funktionen aus C∞(Ω) ∩ H1(Ω)approximieren:Sei (un)n∈N ⊂ C∞(Ω) ∩H1(Ω) mit

unn→∞−→ u in H1(Ω)

⇒ Diunn→∞−→ Diu in H0(Ω)

Di4hun = 4hDiun

n→∞−→ 4hDiu in H0(Ω′1)

4hunn→∞−→ 4hu

=⇒Lemma 1.2.5

4hDiu = Di4hu in H0(Ω′1).

Die Vertauschung ist also erlaubt.

⇒∫

Ω

n∑i,j=1

aij(x+ hek)Di4hu(x)Djϕ(x)dx =

=∫

Ω

[g(x)4−hϕ(x)−

n∑i,j=1

4haij(x)Diu(x)Djϕ(x)]dx. (2.7)

Wir schatzen die rechte Seite von (2.7) ab.

aij ∈ C1B(Ω) ⇒

MWS|4haij(x)| ≤ K1 ∀x ∈ Ω′ ⊂⊂ Ω,∀h < dist(Ω′, ∂Ω)

Sei supp(ϕ) ⊂ Ω′1 ⊂⊂ Ω.

=⇒Lemma 1.7.2

‖4−hϕ‖H0(Ω′1) ≤ ‖Dkϕ‖0 .

Ferner gilt gemaß Definition der Funktion g:

‖g‖0 ≤ K2 ‖u‖1 + ‖f‖0 ,

wobei K2 nur von aij , bi und c abhangt. Also:

rechte Seite von (2.7) ≤CSU

(K2 ‖u‖1 + ‖f‖0 +K1

n∑i=1

‖Diu‖0

)n∑j=1

‖Djϕ‖0

≤∑ni=1‖Diu‖0≤‖u‖1

(K3 ‖u‖1 + ‖f‖0)n∑j=1

‖Djϕ‖0 , (2.8)

K3 = K3(aij , bi, c), ∀ϕ ∈ H10 (Ω) (C∞0 (Ω) dicht in H1

0 (Ω)!)

93

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Kapitel 2 Elliptische Randwertprobleme

Wir konstruieren jetzt spezielle Testfunktionen Φ ∈ H10 (Ω):

Sei η ∈ C∞0 (Ω), 0 ≤ η ≤ 1 : η ≡ 1 auf Ω′, Ω′ ⊂⊂ Ω′1 ⊂⊂ Ω und |Djη(x)| ≤ c

d′ ,d′ := dist(Ω′, ∂Ω), und supp η ⊂ Ω′

1.

Setze: Φ := η2 4hu︸︷︷︸∈H1(Ω′1)

∈ H10 (Ω), |h| < dist(Ω′

1, ∂Ω).

(Lemma 1.7.2)

L ist gleichmaßig stark elliptisch:

c0

n∑i=1

∫Ω′1

η2(x) |Di4hu(x)|2 dx ≤∫

Ω′1

η2(x)

n∑i,j=1

aij(x+ hek)Di4hu(x)Dj4hu(x)

dx(

= c0

n∑i=1

∫Ωη2(x) |Di4hu(x)|2 dx wegen supp η ⊂ Ω′

1.)

Eine kurze Zwischenrechnung:

η2Dj4hu = DjΦ︸︷︷︸−2(4hu)ηDjη

= Dj(η2 · 4hu) = 2ηDjη4hu+ η2Dj4hu

⇒ c0

n∑i=1

∫Ωη2(x) |Di4hu(x)|2 dx

≤∫

Ω′1

η2(x)

n∑i,j=1

aij(x+ hek)Di4hu(x)Dj4hu(x)

dx=

∫Ω′1

n∑i,j=1

aij(x+ hek)Di4hu(x) [DjΦ(x)− 2(4hu(x))η(x)Djη(x)] dx

(2.8)

≤ (K3 ‖u‖1 + ‖f‖0)n∑j=1

‖DjΦ‖H0(Ω′1) +

+n∑

i,j=1

∣∣∣∣∣∣∣∫

Ω′1

aij(x+ hek)Di4hu(x) · 2(4hu(x))η(x)Djη(x)︸ ︷︷ ︸∈H1

0 (Ω′1)

dx

∣∣∣∣∣∣∣C.S.U +≤

Dreicks-Ungl.(K3 ‖u‖1 + ‖f‖0)

n∑j=1

(‖24hu ηDjη‖H0(Ω′1) +

∥∥η2Dj4hu∥∥H0(Ω′1)

)+

+K4

n∑i=1

‖ηDi4hu‖H0(Ω′1) · ‖4hu‖H0(Ω′1)︸ ︷︷ ︸≤‖u‖H1(Ω)

, K4 = K4(aij , d′).

∀u ∈ H1(Ω) (Lemma 1.7.2)

94

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§5 Regularitat schwacher Losungen im Inneren von Ω

⇒ c0

n∑i=1

∫Ωη2 |Di4hu|2 dx ≤

|η|≤1

≤|η|≤1

(K3 ‖u‖1 + ‖f‖0)

K5︸︷︷︸ ‖u‖1 +n∑j=1

‖ηDj4hu‖H0(Ω′1)

+

= K5(d′)

+K4 ‖u‖1 ·n∑i=1

‖ηDi4hu‖H0(Ω′1)

Youngsche Ungl.≤

a·b≤ ε2a2+ 1

2εb2

K6(‖u‖21 + ‖f‖20) + εK4

n∑j=1

‖ηDj4hu‖2H0(Ω′1) , K6 = K6(L, d′, ε).

Ergebnis:

c0

n∑i=1

∫Ωη2 |Di4hu|2 dx ≤ K6(‖u‖21 + ‖f‖20) + εK4

n∑j=1

‖ηDj4hu‖2H0(Ω′1)

⇒n∑i=1

‖ηDi4hu‖2H0(Ω′1)︸ ︷︷ ︸‖η4hDiu‖2H0(Ω′1)

≤ K6

c0 − ε︸ ︷︷ ︸=:K7>0

(‖u‖21 + ‖f‖20) fur h < dist(Ω′1, ∂Ω)

(ε > 0 klein genug!)

Die Vertauschung Di4hu = 4hDiu ist erlaubt, weil supp η ⊂ Ω′1, siehe oben.

η=1=⇒auf Ω′

n∑i=1

‖4hDiu‖ 62H0(Ω′)≤ K7

(‖u‖621 + ‖f‖620

)h < dist(Ω′

1, ∂Ω) .

Dann liefert aber Lemma 1.7.2:

∃DkDiu ∈ H0(Ω′), i, k = 1, 2, . . . , n.

undn∑i=1

‖DkDiu‖H0(Ω′) ≤ K8 (‖u‖1 + ‖f‖0) , k = 1, 2, . . . , n. (2.9)

⇒ u ∈ H2(Ω′).

Zum Nachweis der apriori-Abschatzung:

B(u, u) ≥Gørdingsche Ungl.

c1 ‖u‖21 − k ‖u‖20 falls u ∈ H1

0 (Ω).

⇔ ‖u‖21 ≤1c1

(B(u, u︸ ︷︷ ︸) + k ‖u‖20

)≤ 1c1

(‖f‖0 · ‖u‖0 + k ‖u‖20

).

= (f, u) ∀u ∈ H10 (Ω)

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Kapitel 2 Elliptische Randwertprobleme

⇒ ‖u‖ 621 ≤↑

1c1

[12‖f‖ 620 +

(12

+ k

)‖u‖ 620

]2ab ≤ a2 + b2

(2.9)⇒ ‖u‖H2(Ω′) ≤ K (‖u‖0 + ‖f‖0)

Satz 2.5.2. Es sei L wie in Satz 2.5.1 und aij ∈ Ck+1B (Ω), bi, c,∈ CkB(Ω), f ∈ Hk(Ω). Dann

gilt:

u ∈ H1(Ω) und B(u, ϕ) = (f, ϕ) ∀ϕ ∈ H10 (Ω) (bzw. ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω))

⇒ u ∈ Hk+2(Ω′) ∀Ω′ ⊂⊂ Ω ; d.h. u ∈ Hk+2loc (Ω) .

Weiter:

‖u‖Hk+2(Ω′) ≤ K (‖u‖1 + ‖f‖k) fur u ∈ H1(Ω),

‖u‖Hk+2(Ω′) ≤ K (‖u‖0 + ‖f‖k) fur u ∈ H10 (Ω).

Beweis: (Durch vollstandige Induktion)

k = 0: Satz 2.5.1.

k − 1→ k:

B(u,Dϕ) = (f,Dϕ) D := Dj , ϕ ∈ C∞0 (Ω)

und B(u,Dϕ) =∫

Ω

−∑i,j

aijDiuDjDϕ+∑i

biDiuDϕ+ cuDϕdx

=part. Int.

∫Ω

∑i,j

D(aijDiu)Djϕ−∑i

D(biDiu)ϕ−D(cu)ϕdx

=∫

Ω

∑i,j

aijDiDuDjϕ−∑i

biDiDuϕ− cDuϕdx︸ ︷︷ ︸

= −B(Du,ϕ)

+

+∫

Ω

∑i,j

DaijDiuDjϕ−∑i

DbiDiuϕ−Dcuϕdx︸ ︷︷ ︸

=: −BD(u, ϕ)(zughoriger Differentialoperator heißt LD!

)⇒ B(Du,ϕ) = −B(u,Dϕ)−BD(u, ϕ) = −(f,Dϕ)− (LDu, ϕ)

Anmerkung: Da nach Induktionsvoraussetzung u ∈ Hk+1(Ω′) ist, ist die partielle Integrationerlaubt. LD ist ein linearer Differentialoperator mit Koeffizienten aus Ck−1

B (Ω).

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§5 Regularitat schwacher Losungen im Inneren von Ω

Es gilt nun:

B(Du,ϕ) = (Df − LDu︸ ︷︷ ︸∈Hk−1(Ω′)

, ϕ) ∀ ϕ ∈ C∞0 (Ω)

⇒Satz 2.5.1

Du lost Lv = Df − LDu in Ω.

Nach Induktionsannahme: Du ∈ Hk+1(Ω′′) (d.h. u ∈ Hk+2(Ω′′)), Ω′′ ⊂⊂ Ω′ ⊂⊂ Ω und

‖Du‖Hk+1(Ω′′) ≤ K(‖Du‖H1(Ω′) + ‖Df‖Hk−1(Ω′) + ‖u‖Hk+1(Ω′)

)bzw.

‖Du‖Hk+1(Ω′′) ≤ K(‖Du‖H0(Ω′) + ‖Df‖Hk−1(Ω′) + ‖u‖Hk+1(Ω′)

).

Auf ‖u‖Hk+1(Ω′) wird nochmals die apriori-Abschatzung angewendet:

‖Du‖Hk+1(Ω′′) ≤ K(‖u‖H2(Ω′) + ‖f‖Hk(Ω′) + ‖u‖H1(Ω) + ‖f‖Hk−1(Ω)

)apriori-≤

Abschatzung

˜K(‖u‖H1(Ω) + ‖f‖H0(Ω) + ‖f‖Hk(Ω′) + ‖u‖H1(Ω) + ‖f‖Hk−1(Ω)

)≤

˜K(‖u‖1,Ω + ‖f‖k,Ω

)fur u ∈ H1(Ω).

Analog:

‖Du‖k+1,Ω′′ ≤˜K(‖u‖0,Ω + ‖f‖k,Ω

)fur u ∈ H1

0 (Ω).

Es war aber Ω′′ ⊂⊂ Ω beliebig.

Korollar 2.5.3. Die Voraussetzungen seien wie in Satz 2.5.2. Dann gilt:Wenn k > n

2 , so ist die schwache Losung u von

B(u, ϕ) = (f, ϕ) ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω)

im Inneren von Ω klassische Losung von Lu = f .

Beweis: Sei u ∈ Hk+2(Ω′). Dann folgt u ∈ C2B(Kr(x0)) fur alle Kugeln Kr(x0) ⊂⊂ Ω, da

Kr(x0) naturlich die Kegelbedingung erfullt. ⇒ u ∈ C2(Ω).Analog: f ∈ C(Ω).

B(u, ϕ) = (Lu, ϕ) = (f, ϕ) ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω)

⇒ Lu = f in Ω.

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Kapitel 2 Elliptische Randwertprobleme

Korollar 2.5.4. (Weylsches Lemma, 1940): Sei L gleichmaßig stark elliptisch und Ω be-schrankt. Alle Koeffizientenfunktionen von L und f seien in C∞(Ω). Dann ist jede schwacheLosung u ∈ L2(Ω) von

(u, L∗ϕ) = (f, ϕ) ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω)

in C∞(Ω), und es gilt:

Lu = f in Ω.

Beweisidee: Man zeigt: u ∈ H1(Ω), B(u, ϕ) = (f, ϕ) ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω) und wendet Satz 2.5.2an.

Beispiel 2.5.5 (Gegenbeispiel zu den Regularitatssatzen).Es sei

u : K1(0) \ 0 ⊂ R3 → R3 mit x 7→ x

|x|.

Zeigen Sie, dass u eine Losung von

4ui + ui

3∑α,β=1

|Dαuβ |2 = 0 fur i = 1, 2, 3.(Dα = ∂/∂xα

)(2.10)

ist. Wir konnen mit u := u auf K1(0) \ 0 und u(0) := 0 eine “schwache” Losung von (2.10)angeben. Die Daten von (2.10) sind C∞. Warum konnen wir trotzdem die Regularitatssatzenicht anwenden?

Beweis:

Obwohl vollkommen glatte Daten gegeben sind, findet man eine nichtglatte Losung.

Betrachte K1(0) \ 0 ist eine offene Menge, u ∈ C∞(K1(0) \ 0).

⇒ 4u1 =∂2

∂x21

x1

|x| +∂2

∂x22

x1

|x| +∂2

∂x23

x1

|x|

∂x1

x1

|x| =|x|2 − x2

1

|x|3,

∂2

∂x21

x1

|x| =−3x1(|x|2 − x2

1)

|x|5,

∂x2

x1

|x| =−x1x2

|x|3,

∂2

∂x22

x1

|x| =−x1(|x|2 − 3x2

2)

|x|5,

∂x3

x1

|x| =−x1x3

|x|3,

∂2

∂x23

x1

|x| =−x1(|x|2 − 3x2

3)

|x|5

⇒ 4u1 =x1

|x|

(− 2

|x|2

)

98

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§6 Regularitat am Rand von Ω

Berechne u1 · (∇u1∇u1 +∇u2∇u2 +∇u3∇u3):

∇u1∇u1 +∇u2∇u2 +∇u3∇u3 =

=

[(x2

2 + x23)

2

|x|6+x2

1x22

|x|6+x2

1x23

|x|6

]+

[x2

2x21

|x|6+

(x21 + x2

3)2

|x|6+x2

2x23

|x|6

]+

[x2

3x21

|x|6+x2

3x22

|x|6+

(x21 + x2

2)2

|x|6

]

=2(x2

1 + x22 + x2

3)2

|x|6

=2

|x|2

⇒ u auf K1(0) \ 0 ist starke Losung der Gleichung.Betrachte

u :=

u1 auf K1(0) \ 0u2 0

mit u1 := u, u2 := 0.⇒ Es lasst sich zeigen, dass u ∈ H1(K1(0),R3) ist und u

”schwache“ Losung fur die nichtlineare Gleichung

ist, d.h. ∫K1(0)

4ui + ui

3∑α,β=1

|Dαuβ |2ϕi dx = 0 ∀ϕi ∈ C∞0 (K1(0)), i = 1, 2, 3.

Trotzdem ist u eine unstetige Losung. Man kann die Regularitatssatze nicht anwenden, da die Gleichung

nichtlinear ist (nur semilinear).

§6 Regularitat am Rand von Ω

Wir fragen jetzt nach klassischen Losungen des Randwertproblems

Lu = f in Ω

u = g auf ∂Ω.

Lemma 2.6.1. Es seien Ω ⊂ Rn offen und Φ : Ω → Ω ein k-Diffeomorphismus mit k ≥2. Weiter sei L ein gleichmaßig stark elliptischer Differentialoperator uber Ω. Dann ist L,definiert durch

Lu(y) :=∑|α|≤2

aα(Φ−1(y)︸ ︷︷ ︸

=x

)Dαx u(Φ−1︸ ︷︷ ︸=u

(y)), u(x) := u (Φ(x)) ,

ein gleichmaßig stark elliptischer Differentialoperator auf Ω.

Beweis: Es ist u(x) = u (Φ(x)) oder u(y) = u(Φ−1(y)

)=: (Tu)(y).

⇒ ∂

∂xju(x) =

n∑k=1

∂u

∂yk(Φ(x))

∂Φk(x)∂xj

∂2

∂xi∂xju(x) =

n∑k,l=1

∂2u

∂yk∂yl(Φ(x))

∂Φk(x)∂xj

∂Φl(x)∂xi

+n∑k=1

∂u

∂yk(Φ(x))

∂2Φk(x)∂xi∂xj

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Kapitel 2 Elliptische Randwertprobleme

⇒n∑

i,j=1

aij(x)∂2

∂xi∂xju(x) =

=n∑

i,j=1

n∑k,l=1

aij(Φ−1(y)

) ∂Φk

(Φ−1(y)

)∂xj

∂Φl

(Φ−1(y)

)∂xi

∂2u(y)∂yk∂yl

+

+ Term mit Ableitung 1. Ordnung︸ ︷︷ ︸=: R

=n∑

k,l=1

n∑

i,j=1

aij(Φ−1(y)

) ∂Φk

∂xj

(Φ−1(y)

) ∂Φl

∂xi

(Φ−1(y)

)︸ ︷︷ ︸=: akl(y)

∂2

∂yk∂ylu(y) +R

Das Symbol von L ist

LH(y, η) =n∑

k,l=1

akl(y)ηkηl

=n∑

k,l=1

n∑

i,j=1

aij(x)∂Φk

∂xj(x)

∂Φl

∂xi(x)

ηkηl

=n∑

i,j=1

aij(x)n∑

k,l=1

∂xjΦk(x)ηk ·

∂xiΦl(x)ηl

=n∑

i,j=1

aij(x)ξiξj mit ξ = DΦ(x)T η ∈ Rn

⇒ −LH(y, η) = −LH(x,DΦ(x)T η) ≥ c0∣∣DΦ(x)T η

∣∣2 .Hierbei ist

DΦ(x) :=

∇Φ1...∇Φn

∈ Rn×n .

Wegen(DΦ−1(y)

)T · (DΦ(x))T = E folgt∣∣DΦ(x)T η

∣∣ ≥ ∥∥DΦ−1(y)T∥∥−1︸ ︷︷ ︸

>0

|η| und schließlich :

−LH(y, η) ≥ c0η2.

Satz 2.6.2. (Regularitat schwacher Losungen am Rand): Es seien Ω ⊂ Rn offen, beschranktund ∂Ω ein C2-Rand. Weiter sei L gleichmaßig stark elliptisch uber Ω mit Koeffizientenaij ∈ C1

B(Ω) und bi, c ∈ CB(Ω), i, j = 1, . . . , n. Dann gilt:Wenn u eine schwache Losung von

B(u, ϕ) = (f, ϕ) ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω)

100

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§6 Regularitat am Rand von Ω

mit f ∈ H0(Ω) und u ∈ H10 (Ω) ist, so gilt u ∈ H2(Ω) und

‖u‖2 ≤ K (‖u‖0 + ‖f‖0) .

Beweis: Der Rand ∂Ω ist C2 und kompakt. Es gibt eine endliche offene Uberdeckung⋃mk=1 Uk ⊃ ∂Ω und sei Ω \

⋃mk=1 Uk =: U0 ⊂⊂ Ω.

⇒ Ω ⊂⊂ U0 ∪ U1 ∪ . . . ∪ Um =: Ω

Nach Lemma 1.4.15 (Variante der Zerlegung der Eins) folgt:∃ψk ∈ C∞0 (Rn) : supp(ψk) ⊂ Uk, k = 0, 1, . . . ,m, und

∑mk=0 ψk(x) = 1 ∀x ∈ Ω.

Fur die schwache Losung u gilt damit

u =m∑k=0

ψku︸︷︷︸=:uk

=:m∑k=0

uk in Ω.

Es ist uk ∈ H10 (Ω ∩ Uk) wegen supp(ψk) ⊂ Uk und C∞0 (Ω) dicht in H1

0 (Ω), sowie u ∈ H10 (Ω).

Satz 2.5.1 liefert sofort: u ∈ H2(U0) und damit u0 ∈ H2(Ω) (suppu0 ⊂⊂ U0).Es muss jetzt gezeigt werden: uk ∈ H2(Ω), k = 1, 2, . . . ,m. Sei jetzt k ∈ 1, 2, . . . ,m fest.

101

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Kapitel 2 Elliptische Randwertprobleme

Der transformierte Differentialoperator L ist nach Lemma 1.6.1 gleichmaßig stark elliptischuber K1(0)+. u|Uk∩Ω ist schwache Losung von

B(u, ϕ) = (fUk∩Ω, ϕ) ∀ϕ ∈ C∞0 (Uk ∩ Ω)

⇔ B(Tu, ϕ) = (Tf, ϕ) ∀ϕ ∈ C∞0 (K1(0)+), s.o.

Φk : Uk ∩ Ω → K1(0)+

bzw. Uk ∩ Ω → K1(0)+.

u ∈ H1(Ω ∩ Uk) ⇒ Tu ∈ H1(K1(0)+).

Setze: Dj := ∂∂yj

.

⇒ Dj(Tu) ∈ H0(K1(0)+), j = 1, 2 . . . , n.

Im Beweis von Satz 2.5.1 haben wir gezeigt (uber Differenzenquotient), dass DiDj(Tu) exis-tiert und DiDj(Tu) ∈ H0(Kρ(0)+) fur i = 1, 2, . . . , n− 1, j = 1, 2, . . . , n, 0 < r < ρ < 1.

Nun ist supp(Tuk) ⊂ Kr(0)+ ⊂ Kρ(0)+ ∪ |y| < ρ | yn = 0.Dann folgt: DiDj(Tuk) ∈ H0(K1(0)+), i = 1, 2, . . . , n − 1, j = 1, 2, . . . , n. Es muss nochDnDn(Tuk) untersucht werden: D2

n(Tuk) = ∂2

∂y2n(Tuk).

Nach Satz 2.5.1 gilt ∂2

∂y2nTuk ∈ L2

loc(K1(0)+) existiert, also

∂2

∂y2n

Tuk ∈ H0(Ω′′) ∀Ω′′ ⊂⊂ K1(0)+ .

Wir mussen zeigen: D2n(Tuk) ∈ H0(K1(0)+). Wegen der Regularitat im Inneren gilt

L(Tu) = Tf,

was bedeutet:

a(0,...,0,2)︸ ︷︷ ︸=:an,n

(y)D2n(Tu) +

∑|α|≤2

aα(y)Dαy (Tu) = Tf.

102

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§6 Regularitat am Rand von Ω

Mit∑′

|α|≤2 := α 6= (0, . . . , 0, 2) folgt

an,n(y)︸ ︷︷ ︸≥d>0

D2n(Tu) = Tf︸︷︷︸∈ −

∑|α|≤2

′ aα(y)Dαy (Tu)︸ ︷︷ ︸∈

∈ H0(Kρ(0)+)

∀y ∈ Kρ(0)+, H0(K1(0)+) H0(Kρ(0)+)

da L gleichm.stark elliptisch

(Seite 102)

Tuk = Tu · Tψk ⇒ D2nTuk ∈ H0(Kρ(0)+) .

Wegen supp(Tuk) ⊂ Kr(0)+ fur 0 < r < ρ < 1 folgt

D2nTuk ∈ H0(K1(0)+)

=⇒Insgesamt!

Tuk ∈ H2(K1(0)+) ⇒ uk ∈ H2(Ω ∩ Uk).

Wegen supp(uk) ⊂ Uk folgt:

uk ∈ H2(Ω)

und mit u ∈∑m

k=0 uk schließlich u ∈ H2(Ω).

Es bleibt noch die apriori-Abschatzung zu beweisen:Wenn u ∈ H1

0 (Ω) schwache Losung von B(u, ϕ) = (f, ϕ) ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω) ist, dann haben wirgezeigt:

u ∈ H2(Ω) ∩H10 (Ω) und Lu = f in Ω.

Wir wissen aus der inneren Regularitat:

‖u‖H2(Ω′) ≤ K(‖u‖0 + ‖f‖0), K = K(1d′

)

mit d′ := dist(Ω′, ∂Ω), Ω′ ⊂⊂ Ω.Diese Abschatzung hilft nicht weiter im vorliegenden Fall.Wir betrachten daher den stark elliptischen Differentialoperator L+ kI mit

((L+ kI)u, u) ≥ c1 ‖u‖21 ,

u ∈ H2(Ω) ∩H10 (Ω) und den dazugehorigen Losungsoperator

G : H0(Ω)→ H10 (Ω) ∩H2(Ω), f 7→ u.

H10 (Ω) ∩H2(Ω) ist ein Banachraum, und es gilt

‖(L+ kI)u‖ ≥ c1 ‖u‖1 , (Gørdingsche Ungleichung)

also ist G = (L+ kI)−1 : H0(Ω)→ H10 (Ω) ∩H2(Ω) ein stetiger linearer Operator, d.h.

‖Gu‖2 ≤M ‖u‖0 ∀u ∈ H0(Ω).

Nun ist:

Lu = f ⇔ (L+ kI)u = f + ku ⇔ u = G(f + ku)

⇒ ‖u‖2 = ‖G(f + ku)‖2 ≤M ‖f + ku‖0 ≤M ‖f‖0 + kM ‖u‖0

103

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Kapitel 2 Elliptische Randwertprobleme

Satz 2.6.3. Es sei L gleichmaßig stark elliptisch, und fur die Koeffizienten gelte aij ∈Ck+1B (Ω), bi, c ∈ CkB(Ω) und f ∈ Hk(Ω). Ω sei offen und beschrankt mit C2- Rand ∂Ω.

Dann gilt:Jede schwache Losung u ∈ H1

0 (Ω) von

B(u, ϕ) = (f, ϕ) ∀ϕ ∈ C∞0 (Ω)

ist in Hk+2(Ω) und genugt der Abschatzung

‖u‖Hk+2(Ω) ≤ K(‖u‖H0(Ω) + ‖f‖Hk(Ω)

).

Beweis: Durch vollstandige Induktion, analog zu Satz 2.5.2.

Korollar 2.6.4. Es mogen die gleichen Voraussetzungen wie in Satz 2.6.3 erfullt sein. Danngilt:Wenn k > n

2 , so ist jede schwache Losung des Dirichlet-Problems

Lu = f in Ω

u = 0 auf ∂Ω

aus C2(Ω) und damit klassische Losung.

Beweis: Nach Voraussetzung (Satz 2.6.3) gilt u ∈ Hk+2(Ω). Das Gebiet Ω erfullt die Seg-menteigenschaft und die Kegelbedingung (∂Ω ist C2-Rand).

=⇒Korollar 1.4.12

u ∈ Hk+2(Ω) → C2B(Ω)

Ferner:

u ∈ H10 (Ω) ∩Hk+2(Ω) =⇒

Satz 1.5.6u = 0 auf ∂Ω.

Die Antwort auf die Frage, wann existieren schwache und daraus folgend auch klassischeLosungen des Dirichlet-Problems, gibt der Satz 2.4.3:

λ = 0 6∈ σ(L) ⇔ schwache (und damit unter den obigen Voraussetzungen)klassische Losung ist eindeutig bestimmt.

Anders ausgedruckt:Hat

Lu = 0 in Ω

u|∂Ω = 0

104

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§6 Regularitat am Rand von Ω

nur die triviale Losung, so besitzt das Dirichlet-Problem fur jede Seite f ∈ Hk(Ω) genau eineLosung (naturlich sind immer die Voraussetzungen von Korollar 2.6.4 als erfullt angenom-men!).

Eindeutigkeit ⇒ Existenz

Es reicht also (unter den Voraussetzungen von Korollar 2.6.4) die Eindeutigkeit in C2(Ω) ∩C(Ω) zu zeigen.Dazu haben wir in Partielle Differentialgleichungen I die Maximum-Prinzipien kennengelernt.Unter Bezug auf diese Resultate fassen wir zusammen:

Sei Lu =∑n

i,j=1 aij(x)DiDju+∑n

i=1 bi(x)Diu+ c(x)u gleichmaßig stark elliptisch mit aij ∈Ck+1B (Ω), bi, c ∈ CkB(Ω), k > n

2 . Ferner sei ∂Ω ein C2-Rand.Dann ist c(x) ≥ 0 in Ω hinreichend fur die eindeutige Existenz einer klassischen Losungu ∈ C2(Ω) ∩ C(Ω) des Dirichlet-Problems

Lu = f in Ω

u = 0 auf ∂Ω

fur jedes f ∈ Hk(Ω).Die Bedingung ist i.a. nicht notwendig!

Beispiel 2.6.5. Lu := −u′′ − u, d.h. c = −1.Problem: −u′′ − u = 0 in Ω := (0, π), u(0) = u(π) = 0.⇒ Neben u = 0 ist u(x) = sinx eine Losung.⇒ Lu = f hat i.a. keine Losung (zumindest keine eindeutige).

105

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Kapitel 3

Zeitabhangige Probleme

§1 Nochmals Sobolev-Raume

Wir betrachten zunachst den linearen Raum der beschrankten linearen Funktionale aufH10 (Ω)

und bezeichnen ihn mit H−1(Ω). Mit 〈·, ·〉 bezeichnen wir die Paarbildung auf H−1(Ω) ×H1

0 (Ω), also 〈f, u〉 ∈ R mit f ∈ H−1(Ω), u ∈ H10 (Ω).

Definition 3.1.1. Sei f ∈ H−1(Ω).

‖f‖H−1(Ω) := sup〈f, ϕ〉 | u ∈ H1

0 (Ω), ‖u‖H10 (Ω) ≤ 1

definiert eine Norm auf H−1(Ω), die ubliche Norm fur stetige lineare Operatoren.

Satz 3.1.2. Es sei f ∈ H−1(Ω). Dann gilt:∃f0, f1, . . . , fn ∈ L2(Ω) mit

〈f, v〉 =∫

Ω

(f0v +

n∑i=1

f iDiv

)dx ∀v ∈ H1

0 (Ω). (3.1)

Weiter gilt:

‖f‖H−1(Ω) = inf

(∫

Ω

n∑i=0

∣∣f i∣∣2 dx)1/2

| f i ∈ L2(Ω) gemaß (3.1)

. (3.2)

Bezeichnung: Gilt (3.1), so schreiben wir f = f0 +∑n

i=1 fi.

Beweis: Seien u, v ∈ H10 (Ω). Wir definieren auf H1

0 (Ω) ein inneres Produkt durch

(u, v)1 :=∫

Ω(Du ·Dv + u · v) dx.

Sei jetzt f ∈ H−1(Ω).

=⇒Darst.-Satz v. Riesz

∃1 u ∈ H10 (Ω) ∀v ∈ H1

0 (Ω) : (u, v)1 = 〈f, v〉 , d.h.

106

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§1 Nochmals Sobolev-Raume

∀v ∈ H10 (Ω) :

∫Ω

(Du ·Dv + u · v) dx = 〈f, v〉 . (3.3)

Setze: f0 := u, f i := Diu, (i = 1, 2, . . . , n). (3.4)

Damit gilt (3.1).

Zum Nachweis von (3.2) sei f ∈ H−1(Ω).

=⇒(3.1)

〈f, v〉 =∫

Ω

(g0v +

n∑i=1

giDiv

)dx ∀v ∈ H1

0 (Ω),

fur g0, g1, . . . , gn ∈ L2(Ω).Setze v := u in (3.3).

⇒∫

Ω

(|Du|2 + |u|2

)dx =

∫Ω

(g0u+

n∑i=1

giDiu

)dx

Youngsche≤

Ungl.

12

∫Ω

n∑i=0

∣∣gi∣∣2 dx+12

n∑i=0

|Diu|2

=⇒nach (3.4)

∫Ω

n∑i=0

∣∣f i∣∣2 dx ≤∫

Ω

n∑i=0

∣∣gi∣∣2 dx.Es gilt aber |〈f, v〉| ≤ ‖v‖H1

0 (Ω) ·(∫

Ω

∑ni=0

∣∣f i∣∣2 dx)1/2.

⇒ |〈f, v〉| ≤

(∫Ω

n∑i=0

∣∣f i∣∣2 dx)1/2

falls ‖v‖H10 (Ω) ≤ 1.

⇒ ‖f‖H−1(Ω) ≤

(∫Ω

n∑i=0

∣∣f i∣∣2 dx)1/2

.

Setze v := u/ ‖u‖H10 (Ω) in (3.3). Dies ”liefert Gleichheit“.

⇒ ‖f‖H−1(Ω) =

(∫Ω

n∑i=0

∣∣f i∣∣2 dx)1/2

.

Bemerkung 3.1.3 (Gelfand Triplet).Weisen Sie nach, dass gilt

H10 (Ω) $ L2(Ω)∼= ∼=

H−1(Ω) ⊃ L2(Ω)∗ .

107

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Kapitel 3 Zeitabhangige Probleme

Beweis:

H10 (Ω) ⊆ L2(Ω): Klar, und siehe Sprungfunktion H1

0 (Ω) 6= L2(Ω).

H10 (Ω) ∼= H−1(Ω): D.h. beide Raume sind isometrisch isomorph zueinander. Dann sagt man, man kann beide

Raume miteinander identifizieren, denn sie sind gleichmachtig und definieren die gleiche Topologie. DieseIdentifikation wird durch den Rieszschen Darstellungssatz gegeben, da H1

0 (Ω) Hilbertraum.

L2(Ω) ∼= L2(Ω)∗: Hier genauso, L2(Ω) auch Hilbertraum.

L2(Ω)∗ ⊆ H−1(Ω): Sei F ∈ L2(Ω)∗. Dann existiert mit dem Rieszschen Darstellungssatz ein f ∈ L2(Ω) mit

∀v ∈ L2(Ω) : F (v) =

∫Ω

fvdx

⇒ ∀v ∈ H10 (Ω) : F (v) =

∫Ω

fvdx und

|F (v)| ≤ ‖f‖L2(Ω) ‖v‖L2(Ω) ≤ ‖f‖L2(Ω) ‖v‖H10 (Ω)

⇒ F ∈ H10 (Ω)∗ = H−1(Ω).

Es gilt insgesamt: H10 (Ω) L2(Ω) ∼= L2(Ω)∗ ⊆ H−1(Ω) ∼= H1

0 (Ω).⊂6=Diese Kette besagt nur, dass J1 und J2 existieren mit:

J1 : H10 (Ω) → L2(Ω), klar: J2 := Id .

J2 : L2(Ω) → H10 (Ω), auch klar: −4u+ u = f hat eine eindeutige Losung in H1

0 (Ω)

Beide Abbildungen sind nicht bijektiv, und erst recht wurde nicht folgen: H10 (Ω) = L2(Ω).

• Beachte, dass mit J1 und J2 fur u ∈ H10 (Ω) jeweils zwei unterschiedliche Funktionale in H−1(Ω) zuge-

ordnet werden, namlich Fu, Fu ∈ H−1(Ω).

1.) Mit dem Rieszschen Darstellungssatz

Fu : v 7→ (u, v)L2(Ω) + (∇u,∇v)L2(Ω) ∀v ∈ H10 (Ω)

2.) Durch J2

Fu : v 7→ (u, v)L2(Ω) ∀v ∈ H10 (Ω)

Im ersten Fall erhalt man eine surjektive Abbildung, im zweiten Fall definitiv nicht.

• Beachte, dass weiter mit den Regularitatssatzen gilt:

J2 J1 : H10 (Ω) → H2

0 (Ω), und fur diesen ist H20 (Ω) H1

0 (Ω).⊂6=

Wenn man diese Spirale immer weiter nach unten geht, kommt man irgendwann zu den glatten Funk-tionen.

§2 Sobolev-Raume fur zeitabhangige Probleme

Wir betrachten jetzt Funktionen uber R mit Werten in einem Banachraum X.

Definition 3.2.1. Der Raum Lp(0, T ;X) besteht aus allen stark messbaren Funktionen u :[0, T ]→ X fur die

‖u‖Lp(0,T ;X) :=(∫ T

0‖u(t)‖p dt

)<∞, 1 ≤ p <∞

108

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§2 Sobolev-Raume fur zeitabhangige Probleme

bzw.

‖u‖L∞(0,T ;X) := ess sup0≤t≤T

‖u(t)‖ <∞

gilt.

Der Raum C([0, T ], X) besteht aus allen stetigen Funktionen u : [0, T ]→ X mit

‖u‖C([0,T ],X) := maxt∈[0,T ]

‖u(t)‖ <∞.

Definition 3.2.2. Es sei u ∈ L1(0, T ;X). Dann heißt v ∈ L1(0, T ;X) schwache Ableitungvon u (v = u′), wenn∫ T

0ϕ′(t)u(t)dt = −

∫ T

0ϕ(t)v(t)dt ∀ϕ ∈ C∞0 (0, T ).1

Definition 3.2.3. Der Sobolev-Raum W 1,p(0, T ;X) besteht aus allen Funktionen u ∈ Lp(0, T ;X)mit schwacher Ableitung u′ ∈ Lp(0, T ;X). Wir definieren

‖u‖W 1,p(0,T ;X) :=

(∫ T

0

(‖u(t)‖p + ‖u′(t)‖p

)dt)1/p

, 1 ≤ p <∞ ,

ess sup0≤t≤T

(‖u(t)‖+ ‖u′(t)‖) , p =∞ .

Im Fall p = 2 schreiben wir auch H1(0, T ;X) := W 1,2(0, T ;X).

Satz 3.2.4. Sei u ∈W 1,p(0, T ;X) fur 1 ≤ p ≤ ∞. Dann gilt:

(i) u ∈ C([0, T ], X) fast uberall (also nach Redefinition auf einer Menge vom Maße 0!)

(ii) u(t) = u(s) +∫ ts u

′(τ)dτ , 0 ≤ s ≤ t ≤ T(iii) max

0≤t≤T‖u(t)‖ ≤ C ‖u‖W 1,p(0,T ;X), C = C(T ).

Beweis: Wir setzen u auf (−∞, 0) und (0,+∞) durch 0 fort und definieren uε := gε ∗ u,wobei gε die Friedrichsche Glattung auf R ist (Satz 1.1.9).

=⇒Lemma 1.2.4

u′ε↑

= gε ∗ u′↑

auf (ε, T − ε)

starke Abl. schwache Abl.

Dann gilt:

uε → u in Lp(0, T ;X) (Satz 1.1.9),

u′ε → u′ in Lploc(0, T ;X) (Lemma 1.3.7).

1Die hier auftretenden Integrale sind Bochner-Integrale, d.h. Integrale uber Banach-Raum-wertige Funktio-nen.

109

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Kapitel 3 Zeitabhangige Probleme

Sei jetzt: 0 < s < t < T .

⇒ uε(t) = uε(s) +∫ t

su′ε(τ)dτ und daher (evtl. Teilfolge)

u(t) = u(s) +∫ t

su′(τ)dτ. (3.5)

Die Abbildung t 7→∫ t0 u

′(τ)dτ ist stetig. (Bochner)⇒ (i), (ii), (iii) folgt aus (3.5).

Bemerkung 3.2.5.Sei X ein Banachraum. Fur T± ∈ R+ definieren wir

I− := (−T−, 0) , I+ := (0,+T+) , I := I− ∪ 0 ∪ I+ .

Seien u± ∈ H1(I±, X) und u : I −→ X

t 7−→u−(t) fur t ∈ I−u+(t) fur t ∈ I+

Zeigen Sie u+(0) = u−(0) ⇐⇒ u ∈ H1(I,X) .

Beweis: Sei ϕ ∈ C∞0 ((−T−,+T+), X)

⇒ −∫ +T+

−T−

u∂

∂tϕdτ = −

∫ 0

−T−

u−∂

∂tϕdτ −

∫ +T+

0

u+∂

∂tϕdτ .

u− ∈ H1((−T−, 0), X) =⇒Produktregel

u− · ϕ ∈ H1((−T−, 0), X).

Mit Satz 3.2.4 (ii) und (i) folgt

−∫ +T+

−T−

u∂

∂tϕdτ =

∫ 0

−T−

∂tu−ϕdτ + (u−(0)ϕ(0)− u−(−T )ϕ(−T ))

+

∫ +T+

0

∂tu+ϕdτ + (u+(T+)ϕ(T+)− u+(0)ϕ(0))

=

∫ +T+

−T−

∂u−/∂t

∂u+/∂t

ϕdτ + (u−(0)− u+(0))ϕ(0)

⇒ u−(0) = u+(0) ⇔ u ∈ H1(I,X).

Satz 3.2.6. Sei u ∈ L2(0, T ;H10 (Ω)) und u′ ∈ L2(0, T ;H−1(Ω)). Dann gilt:

(i) u ∈ C([0, T ], L2(Ω)) fast uberall

(ii) Die Ableitung t 7→ ‖u(t)‖2L2(Ω) ist absolut stetig und

d

dt‖u(t)‖2L2(Ω) = 2

⟨u′(t), u(t)

⟩fast uberall in 0 ≤ t ≤ T

(iii) max0≤t≤T

‖u(t)‖L2(Ω) ≤ C(‖u‖L2(0,T ;H1

0 (Ω)) + ‖u′‖L2(0,T ;H−1(Ω))

), C = C(T ).

110

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§2 Sobolev-Raume fur zeitabhangige Probleme

Beweis: Sei u ∈ L2(0, T ;H10 (Ω)) mit u′ ∈ L2(0, T ;H−1(Ω)). Wir setzen u auf das Intervall

[−σ, T + σ], σ > 0 fort und regularisieren uε := gε ∗ u wie im Beweis zuvor.

⇒ d

dt

∥∥uε1(t)− uε2(t)∥∥2

L2(Ω)= 2

⟨u′ε1(t)− u

′ε2(t), uε1(t)− uε2(t)

⟩, ε1, ε2 > 0.

Integration liefert:∥∥uε1(t)− uε2(t)∥∥2

L2(Ω)=∥∥uε1(s)− uε2(s)∥∥2

L2(Ω)+ 2

∫ t

s

⟨u′ε1(τ)− u

′ε2(τ), uε1(τ)− uε2(τ)

⟩dτ

fur 0 ≤ s, t ≤ T .

|⟨u′ε1(τ)− u

′ε2(τ), uε1(τ)− uε2(τ)

⟩| ≤

∥∥u′ε1(τ)− u′ε2(τ)∥∥H−1(Ω)

∥∥uε1(τ)− uε2(τ)∥∥H10 (Ω)

Sei s ∈ (0, T ) mit uε(s)→ u(s) in L2(Ω).

⇒ limε1,ε2→0

sup0≤t≤T

∥∥uε1(t)− uε2(t)∥∥2

L2(Ω)≤

≤2ab≤a2+b2

limε1,ε2→0

∫ T

0

(∥∥u′ε1(τ)− u′ε2(τ)∥∥2

H−1(Ω)+∥∥uε1(τ)− uε2(τ)∥∥2

H10 (Ω)

)dτ = 0

Das heißt, uε ist Cauchy-Folge im Banachraum C([0, T ], L2(Ω)).Wir erhalten: ∃ v ∈ C([0, T ], L2(Ω)) mit

uεε→0−→ v in C([0, T ], L2(Ω)).

Ferner wissen wir (Satz 1.1.9):

uε(t)ε→0−→ u(t) fur fast alle t.

⇒ v = u fast uberall, d.h. (i).

Analog beweisen wir (ii):

‖uε(t)‖2L2(Ω) = ‖uε(s)‖

2L2(Ω) + 2

∫ t

s

⟨u′ε(τ), uε(τ)

⟩dτ.

Ganz analog wie oben schließen wir:

‖u(t)‖2L2(Ω) = ‖u(s)‖2L2(Ω) + 2∫ t

s

⟨u′(τ), u(τ)

⟩dτ.

⇒ (ii) nach Differenzieren.

Zum Nachweis von (iii) integrieren wir die letzte Beziehung bezuglich s:∫ T

0‖u(t)‖2L2(Ω) ds =

∫ T

0‖u(s)‖2L2(Ω) ds+ 2

∫ T

0

∫ t

s

⟨u′(τ), u(τ)

⟩dτ ds

⇒ T ‖u(t)‖2L2(Ω) ≤∫ T

0‖u(s)‖2L2(Ω) ds+ T

∫ T

02⟨u′(τ), u(τ)

⟩︸ ︷︷ ︸≤‖u(τ)‖2

H10(Ω)

+‖u′(τ)‖2H−1(Ω)

111

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Kapitel 3 Zeitabhangige Probleme

⇒ T ‖u(t)‖2L2(Ω) ≤ ‖u‖2L2(0,T ;L2(Ω)) + T ‖u‖2L2(0,T ;H10 (Ω)) + T

∥∥u′∥∥2

L2(0,T ;H−1(Ω))

⇒ max0≤t≤T

T ‖u(t)‖ 62L2(Ω)

≤ C(‖u‖ 62

L2(0,T ;H10 (Ω))

+ T∥∥u′∥∥62

L2(0,T ;H−1(Ω))

).

Wir geben noch einen Satz an, der die Aussage von Satz 3.2.6 verscharft, wenn man Abbil-dungen in ”bessere“ Raume hat.

Satz 3.2.7. Sei Ω ⊂ Rn offen und beschrankt mit C1-Rand ∂Ω, k ∈ N. Wenn u ∈ L2(0, T ;Hk+2(Ω))und u′ ∈ L2(0, T ;Hk+1(Ω)) ist, so gelten:

(i) u ∈ C([0, T ],Hk+1(Ω)) fast uberall

(ii) max0≤t≤T

‖u(t)‖Hk+1(Ω) ≤ C(‖u‖L2(0,T ;Hk+2(Ω)) + ‖u′‖L2(0,T ;Hk(Ω))

), C = C(k,Ω, T ).

§3 Parabolische Differentialgleichungen 2. Ordnung

Sei Ω ⊂ Rn offen und beschrankt, T > 0. Wir setzen:

ΩT := Ω× (0, T ].

Wir studieren das Anfangs-Randwertproblem

ut + Lu = f in ΩT ,

u = 0 auf ∂Ω× [0, T ], (3.6)

u = g auf Ω× t = 0 ,

wobei f : ΩT → R, g : Ω→ R gegeben sind und u : ΩT → R, u = u(x, t) gesucht ist.

Der lineare Differentialoperator L ist gegeben durch

Lu = −n∑

i,j=1

(aij(x, t)uxi)xj+

n∑i=1

bi(x, t)uxi + c(x, t)u (Divergenzform)

oder

Lu = −n∑

i,j=1

aij(x, t)↑

uxiuxj +n∑i=1

bi(x, t)↑

uxi + c(x, t)↑

u

Diffusion Transport Quelle

Der partielle Differentialoperator ∂∂t+L heißt gleichmaßig stark parabolisch, wenn L gleichmaßig

stark elliptisch ist.

Was ist eine schwache Losung von (3.6)?

112

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§3 Parabolische Differentialgleichungen 2. Ordnung

Wir gehen von L in der Divergenzform aus und nehmen an:

aij , bi, c ∈ L∞(ΩT ), i, j = 1, 2, . . . , n,

f ∈ L2(ΩT ),

g ∈ L2(Ω).

Außerdem sei stets aij = aji.

Wir definieren die zeitabhangige Bilinearform

B[u, v; t] :=∫

Ω

n∑i,j=1

aij(·, t)uxivxj +n∑i=1

bi(·, t)uxiv + c(·, t)uv

dx,

wobei u, v ∈ H10 (Ω) und t ∈ [0, T ] fast uberall sind.

Wir betrachten jetzt eine Losung von (3.6) als eine von der Zeit t abhangige Banachraum-wertige Abbildung

u : [0, T ] → H10 (Ω), (u(t))(x) := u(x, t).

Analog sei

f : [0, T ] → L2(Ω).

Die Differentialgleichung (3.6) in der Form

∂u

∂t+ Lu = f,

multipliziert mit v ∈ H10 (Ω) und partiell integriert, ergibt dann:

(u′, v)↑

+B[u, v; t] = (f, v) ′ :=∂

∂t.

inneres Produkt in L2(Ω)

Mit der Bezeichnung:

g0 := f −n∑i=1

biuxi − cu, gj :=n∑i=1

aijuxi

erhalt die Differentialgleichung (3.6) die Form

ut = g0 +n∑j=1

(gj)xj in ΩT .

Nach den Uberlegungen in §1, Satz 3.1.2, wird suggeriert, dass die rechte Seite in H−1(Ω)liegt und die Abschatzung

∥∥u′(t)∥∥H−1(Ω)

n∑j=0

‖gj‖2L2(Ω)

1/2

≤ C(‖u(t)‖H1

0 (Ω) +∥∥f(t)

∥∥L2(Ω)

)gilt. Diese Ungleichung legt die Definition nahe:

113

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Kapitel 3 Zeitabhangige Probleme

Definition 3.3.1. Eine Abbildung u ∈ L2(0, T ;H10 (Ω)) mit u′ ∈ L2(0, T ;H−1(Ω)) ist eine

schwache Losung von (3.6), wenn

(i) 〈u′, v〉+B[u, v; t] =⟨f, v⟩

fur alle v ∈ H10 (Ω) und fast alle t ∈ [0, T ] gilt und

(ii) u(0) = g.

Wir werden jetzt in drei Etappen zeigen, dass (3.6) eine (eindeutig) bestimmte schwacheLosung besitzt:

• Endlichdimensionale Approximation

• Energieabschatzung

• Grenzubergang

Im ersten Schritt losen wir (3.6) in einem endlichdimensionalen Raum (Projektion).

Es sei wk := wk(x) glatt, eine Orthonormalbasis wk∞k=1 in L2(Ω) und ein Orthogonalsystemin H1

0 (Ω); z.B. die Eigenfunktionen des Laplace-Operators in H10 (Ω). Wir suchen jetzt nach

einer Funktion

um : [0, T ]→ H10 (Ω), m ∈ N ,

der Form

um(t) :=m∑k=1

dkm(t)wk (3.7)

mit

dkm(0) = (g, wk), k = 1, 2, . . . ,m,

und

(u′m, wk)︸ ︷︷ ︸↑

+B[um, wk; t] = (f, wk)︸ ︷︷ ︸↑

, k = 1, 2, . . . ,m

L2(Ω)-Skalarprodukt L2(Ω)-Skalarprodukt

um heißt Galerkin-Projektion von u auf den (endlich-dimensionalen) Teilraum span w1, . . . , wm.

Satz 3.3.2. (Galerkinapproximation): Fur jedes m ∈ N gibt es genau eine Funktion

um(t) =m∑k=1

dkm(t)wk

mit

(u′m, wk) +B[um, wk; t] = (f, wk), k = 1, 2, . . . ,m,

dkm(0) = (g, wk), k = 1, 2, . . . ,m.

114

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§3 Parabolische Differentialgleichungen 2. Ordnung

Beweis: Aus dem Ansatz (3.7) folgt fur um:

(u′m, wk) = dkm′(t) (L2–Orthonormalitat der (wk)).

Der Ansatz (3.7) wird in die Bilinearform B eingesetzt:

B[um, wk; t] =m∑l=1

dlm(t)B[wl, wk; t]︸ ︷︷ ︸=:ek,l(t)

=m∑l=1

dlm(t)ek,l(t),

und fk(t) := (f(t), wk), k = 1, 2, . . . ,m.

dkm

′(t) +∑m

l=1 ek,l(t)dlm(t) = fk(t),

dkm(0) = (g, wk) fur k = 1, 2, . . . ,m.(3.8)

Dies ist ein lineares Anfangswertproblem fur ein System gewohnlicher Differentialgleichungen.

⇒ ∃1(d1m(t), . . . , dmm(t)

)=: dm(t), absolutstetig: (3.8) ist fast uberall erfullt in [0, T ].

⇒ um als Galerkinapproximation existiert und ist eindeutig bestimmt.

Satz 3.3.3. (Energieabschatzung): Es gibt eine Konstante C = C(L,Ω, T ), so dass

max0≤t≤T

‖um(t)‖L2(Ω) + ‖um‖L2(0,T ;H10 (Ω)) +

∥∥u′m∥∥L2(0,T ;H−1(Ω))≤ C

(∥∥f∥∥L2(0,T ;L2(Ω))

+ ‖g‖L2(Ω)

)gilt fur alle m ∈ N.

Beweis: Wir betrachten wieder die Gleichung fur um:

(u′m, wk) +B[um, wk; t] = (f, wk), k = 1, 2, . . . ,m,

mit 0 ≤ t ≤ T . Diese wird mit dkm(t) multipliziert und uber k aufsummiert.

⇒ (u′m, um) +B[um, um; t]︸ ︷︷ ︸ = (f, um) fur 0 ≤ t ≤ T fast uberall

genugt der Gørdingschen Ungleichung

≥ c0 ‖um(t)‖2H1

0 (Ω)− k ‖um(t)‖2L2(Ω)

Mit ∣∣(f, um)∣∣ ≤ ∥∥f(t)

∥∥L2(Ω)

· ‖um(t)‖L2(Ω) ≤12

∥∥f(t)∥∥2

L2(Ω)+

12‖um(t)‖2L2(Ω)

und

(u′m(t), um(t)) =d

dt

(12‖um(t)‖2L2(Ω)

)in [0, T ] fast uberall, erhalt man

d

dt

(‖um(t)‖2L2(Ω)

)+ 2c0 ‖um(t)‖2H1

0 (Ω) ≤ 2k ‖um(t)‖2L2(Ω) + ‖um(t)‖2L2(Ω) +∥∥f(t)

∥∥2

L2(Ω)(3.9)

115

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Kapitel 3 Zeitabhangige Probleme

⇒ d

dt

(‖um(t)‖2L2(Ω)

)≤ C1 ‖um(t)‖2L2(Ω) +

∥∥f(t)∥∥2

L2(Ω)in [0, T ] fast uberall.

Setze: η(t) := ‖um(t)‖2L2(Ω), ξ(t) :=∥∥f(t)

∥∥2

L2(Ω).

⇒ η′(t) ≤ C1η(t) + ξ(t) in [0, T ] fast uberall.

Wende darauf das Gronwallsche Lemma an und erhalte

η(t) ≤ eC1t

(η(0) +

∫ t

0ξ(τ)dτ

),

wobei

η(0) = ‖um(0)‖2L2(Ω) ≤↑‖g‖2L2(Ω) .

Besselsche Ungl.

⇒ max0≤t≤T

‖um(t)‖2L2(Ω) ≤ C2

(‖g‖2L2(Ω) +

∥∥f∥∥2

L2(0,T ;L2(Ω))

). (3.10)

Wir integrieren die Ungleichung (3.9) von 0 bis T :

‖um(T )‖2L2(Ω)︸ ︷︷ ︸≥0

−‖um(0)‖2L2(Ω)︸ ︷︷ ︸≤‖g‖2

L2(Ω)s.o.

+2c0∫ T

0‖um(t)‖2H1

0 (Ω) dt︸ ︷︷ ︸=‖um‖

2L2(0,T ;H1

0(Ω))

≤ 2k∫ T

0‖um(t)‖2L2(Ω) dt+

∫ T

0‖um(t)‖2L2(Ω) dt+

∫ T

0

∥∥f(t)∥∥2

L2(Ω)dt︸ ︷︷ ︸

=‖f‖2L2(0,T ;L2(Ω))

verwende=⇒(3.10)

‖um‖2L2(0,T ;H1

0 (Ω)) ≤ C(‖g‖2L2(Ω) +

∥∥f∥∥2

L2(0,T ;L2(Ω))

). (3.11)

Nun schatzen wir ‖u′m‖L2(H−1) ab:

Sei v ∈ H10 (Ω) mit ‖v‖H1

0 (Ω) ≤ 1. Die Funktion v lasst sich zerlegen in v = v1 + v2 mit

v1 ∈ span w1, . . . , wm und v2 ∈ span w1, . . . , wm⊥ bzgl. H10 (Ω).

Es gilt:

‖v1‖H10 (Ω) ≤ ‖v‖H1

0 (Ω) ≤ 1.

Aus (u′m, wl) + B[um, wl; t] = (f, wl), l = 1, 2, . . . ,m erhalten wir (da v1 Linearkombinationvon w1, . . . , wm)

(u′m(t), v1) +B[um, v1; t] = (f(t), v1).

v2∈span...⊥=⇒

⟨u′m(t), v

⟩= (u′m(t), v) = (u′m(t), v1) = (f(t), v1)−B[um, v1; t]

‖v1‖H10(Ω)

≤1

=⇒Beschranktheit von B

∣∣⟨u′m(t), v⟩∣∣ ≤ C

(∥∥f(t)∥∥L2(Ω)

+ ‖um(t)‖H10 (Ω)

).

116

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§3 Parabolische Differentialgleichungen 2. Ordnung

sup=⇒

‖v‖H1

0(Ω)≤1

∥∥u′m(t)∥∥H−1(Ω)

≤ C(∥∥f(t)

∥∥L2(Ω)

+ ‖um(t)‖H10 (Ω)

).

Youngsche=⇒

Ungleichung

∫ T

0

∥∥u′m(t)∥∥2

H−1(Ω)dt ≤ C ′

(∫ T

0

∥∥f(t)∥∥2

L2(Ω)dt+

∫ T

0‖um(t)‖2H1

0 (Ω) dt︸ ︷︷ ︸nach (3.11) abschatzen!

).

(3.11)=⇒

∥∥u′m∥∥2

L2(0,T ;H−1(Ω))≤ C ′′

(∥∥f∥∥2

L2(0,T ;L2(Ω))+ ‖g‖2L2(Ω)

).

Diese Ungleichung aufsummiert zu (3.10) und (3.11) liefert die Behauptung.

Satz 3.3.4. (Existenzsatz): Das parabolische Anfangs-Randwertproblem

ut + Lu = f in ΩT ,

u = 0 auf ∂Ω× [0, T ],

u = g auf Ω× t = 0 ,

besitzt eine schwache Losung u ∈ L2(0, T ;H10 (Ω)), u′ ∈ L2(0, T ;H−1(Ω)).

Beweis: Die Energieabschatzung (Satz 3.3.3) lehrt uns, dass die Galerkinfolge (um)m∈N inL2(0, T ;H1

0 (Ω)) und (u′m)m∈N in L2(0, T ;H−1(Ω)) beschrankt ist.Dann gibt es eine Teilfolge, die wir wieder mit (um)m∈N bezeichnen, so dass

um m→∞

u schwach in L2(0, T ;H10 (Ω)),

u′m v schwach in L2(0, T ;H−1(Ω))

fur ein u ∈ L2(0, T ;H10 (Ω)), v ∈ L2(0, T ;H−1(Ω)) gilt.

Sei ϕ ∈ C∞0 (0, T ) und w ∈ H10 (Ω) beliebig. Dann folgt wegen∫ T

0

⟨u′m, ϕw

⟩dt = −

∫ T

0

⟨um, ϕ

′w⟩dt (Def. der schwachen Ableitung!)ym→∞

ym→∞∫ T

0〈v, ϕw〉 dt = −

∫ T

0

⟨u, ϕ′w

⟩dt,

dass v = u′ gilt.

Fur N ∈ N betrachten wir die Funktion v ∈ C1([0, T ],H10 (Ω)) mit

v(t) =N∑k=1

dk(t)wk, (3.12)

wobei (dk(t))Nk=1 gegebene C1-Funktionen sind.In den Galerkingleichungen

(u′m, wk) +B[um, wk; t] = (f, wk), 0 ≤ t ≤ T, k = 1, 2, . . . ,m

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Kapitel 3 Zeitabhangige Probleme

fur die Teilfolge (um)m∈N wahlen wir m ≥ N , multiplizieren mit dk(t) und summieren aufvon 1 bis N und erhalten:∫ T

0

((u′m, v) +B[um, v; t]

)dt =

∫ T

0(f, v)dtym→∞

ym→∞∫ T

0

(⟨u′, v

⟩+B[u, v; t]

)dt =

∫ T

0(f, v)dt. (3.13)

Diese Beziehung gilt fur alle v ∈ L2(0, T ;H10 (Ω)), denn Funktionen der Form (3.12) sind dicht

in diesem Raum.

⇒⟨u′(t), v

⟩+B[u, v; t] = (f(t), v) ∀v ∈ H1

0 (Ω), t ∈ [0, T ] fast uberall.

=⇒Satz 3.2.6

u ∈ C([0, T ], L2(Ω)), d.h. u ist schwache Losung.

Es muss noch gezeigt werden, dass u die Anfangswerte annimmt: u(0) = g.

Es sei v ∈ C1([0, T ],H10 (Ω)) mit v(T ) = 0. Dann folgt durch partielle Integration von (3.13):

−∫ T

0

(⟨v′, u

⟩+B[u, v; t]

)dt =

∫ T

0(f, v)dt+ (u(0), v(0)), (3.14)

und analog

−∫ T

0

((v′, um) +B[um, v; t]

)dt =

∫ T

0(f, v)dt+ (um(0), v(0))ym→∞

ym→∞ym→∞

−∫ T

0

(⟨v′, u

⟩+B[u, v; t]

)dt =

∫ T

0(f, v)dt+ (g, v(0)). (3.15)

Subtraktion=⇒(3.14)von(3.15)

(g, v(0)) = (u(0), v(0)).

v(0) war beliebig in L2(Ω).

⇒ u(0) = g.

Satz 3.3.5. (Eindeutigkeit der schwachen Losung): Die schwache Losung des Anfangs-Rand-wertproblems (3.6) ist eindeutig bestimmt.

Beweis: Wir zeigen: Die einzige Losung des Anfangs-Randwertproblems zu den Daten f ≡g ≡ 0 ist u ≡ 0.

v:=u=⇒f≡0

⟨u′(t), u(t)

⟩+B[u(t), u(t); t] = 0

118

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§4 Hyperbolische Differentialgleichungen 2. Ordnung

=⇒Satz 3.2.6

d

dt

(12‖u(t)‖2L2(Ω)

)+B[u(t), u(t); t] =

⟨u′(t), u(t)

⟩+B[u(t), u(t); t] = 0.

Fur B gilt aber die Gørdingsche Ungleichung:

B[u(t), u(t); t] ≥ c0 ‖u(t)‖2H10 (Ω) − k ‖u(t)‖

2L2(Ω) ≥ −k ‖u(t)‖

2L2(Ω)

⇒ d

dt

(‖u(t)‖2L2(Ω)

)≤ C1 ‖u(t)‖2L2(Ω)

Gronwallsche⇒Ungleichung

‖u(t)‖2L2(Ω) ≤ eC1t · ‖u(0)‖2L2(Ω) = 0

⇒ u(t) = 0 fast uberall in [0, T ].

Aber u stetig in t.

⇒ u(t) ≡ 0 auf [0, T ].

§4 Hyperbolische Differentialgleichungen 2. Ordnung

Unter der gleichen Bezeichnung und Voraussetzung, wie in §3 (Ω ⊂ Rn offen und beschrankt,ΩT := Ω× (0, T ], T > 0) betrachten wir das hyperbolische Anfangs-Randwertproblem

utt + Lu = f in ΩT ,

u = 0 auf ∂Ω× [0, T ],

u = g auf Ω× t = 0 ,ut = h auf Ω× t = 0 ,

(3.16)

wobei f : ΩT → R, g, h : Ω → R gegebene Funktionen sind und u : ΩT → R, u = u(x, t)gesucht ist.

Definition 3.4.1. Der Operator L sei definiert wie in §3. Der Operator ∂2

∂t2+ L heißt

gleichmaßig stark hyperbolisch, wenn L gleichmaßig stark elliptisch fur (x, t) ∈ ΩT ist.

Was ist eine schwache Losung von (3.16)?

Wir gehen wieder von L in Divergenzform aus und nehmen an:

aij , bi, c ∈ C1(ΩT ), i, j = 1, 2, . . . , n,

f ∈ L2(ΩT ),

g ∈ H10 (Ω),

h ∈ L2(Ω),

sowie aij = aji.

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Kapitel 3 Zeitabhangige Probleme

Die zeitabhangige Bilinearform lautet jetzt wieder:

B[u, v; t] :=∫

Ω

n∑i,j=1

aij(·, t)uxivxj +n∑i=1

bi(·, t)uxiv + c(·, t)uv

dx,

fur alle u, v ∈ H10 (Ω) und 0 ≤ t ≤ T .

Was ist nun eine schwache Losung von (3.16)?

Dazu betrachten wir wieder

u : [0, T ] → H10 (Ω), und

f : [0, T ] → L2(Ω).

Fur festes v ∈ H10 (Ω) multiplizieren wir utt + Lu = f mit v und erhalten nach partieller

Integration

(u′′, v) +B[u, v; t] = (f, v), 0 ≤ t ≤ T,

wobei (·, ·) das innere Produkt in L2(Ω) ist. Wie im parabolischen Fall erhalt man

utt = g0 +n∑j=1

gjxj, (3.17)

wobei g0 := f −∑n

i=1 biuxi − cu und gj :=∑n

i=1 aijuxi , j = 1, 2, . . . , n gesetzt wurde. DieBeziehung (3.17) suggeriert die folgende Definition

Definition 3.4.2. Eine Funktion u : [0, T ]→ H10 (Ω), u ∈ L2(0, T ;H1

0 (Ω)), u′ ∈ L2(0, T ;L2(Ω)),u′′ ∈ L2(0, T ;H−1(Ω)) ist eine schwache Losung des hyperbolischen Anfangs-Randwertproblems(3.16), wenn

(i) 〈u′′, v〉+B[u, v; t] =⟨f, v⟩∀v ∈ H1

0 (Ω), fast uberall in 0 ≤ t ≤ T und

(ii) u(0) = g, u′(0) = h.

Anmerkung: Nach Satz 3.2.6 wissen wir, dass u ∈ C([0, T ], L2(Ω)

)und u′ ∈ C

([0, T ],H−1(Ω)

).

Daher ist die Forderung (ii) in Definition 3.4.2 sinnvoll.

Wie im parabolischen Fall machen wir den Galerkin-Ansatz:

um(t) :=m∑k=1

dkm(t)wk, m ∈ N, (3.18)

wobei wk∞k=1 eine orthonormale Basis in L2(Ω) und ein Orthogonalsystem in H10 (Ω) ist.

Die Forderung, dass die Anfangsbedingungen (ii) erfullt sein sollen, verlangt

dkm(0) = (g, wk)

dkm′(0) = (h,wk)

k = 1, 2, . . . ,m. (3.19)

120

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§4 Hyperbolische Differentialgleichungen 2. Ordnung

Aus (i) ergibt sich fur um: ⟨u′′m, wk

⟩+B[um, wk; t] = (f, wk) (3.20)

fur k = 1, 2, . . . ,m und 0 ≤ t ≤ T .

Satz 3.4.3. (Galerkinapproximation): Fur jedes m ∈ N gibt es ein eindeutig bestimmtes umder Form (3.18), welches (3.19) und (3.20) erfullt.

Beweis: Sei um in der Form (3.18) gegeben. Da (wk)k∈N ein orthonormales System in L2(Ω)ist, erhalt man aus (3.18)

(u′′m(t), wk) = dkm′′(t)

und - genau wie im parabolischen Fall -

B[um, wk; t] =m∑l=1

ek,l(t)dlm(t),

mit ek,l(t) := B[wl, wk; t], k, l = 1, 2, . . . ,m. Setze fk(t) := (f(t), wk).Alles in (3.20) eingesetzt, ergibt nachfolgendes Anfangswertproblem fur ein System gewohn-licher Differentialgleichungen

dkm′′(t) +

m∑l=1

ek,l(t)dlm(t) = fk(t), 0 ≤ t ≤ T, k = 1, 2, . . . ,m.

dkm(0) = (g, wk)

dkm′(0) = (h,wk)

k = 1, 2, . . . ,m.

Dieses lineare Anfangswertproblem hat eine eindeutig bestimmte Losung d1m(t), d2

m(t), . . . , dmm(t).

Satz 3.4.4. (Energieabschatzung): Unter den bisher gemachten Voraussetzungen gilt fur dieGalerkinapproximation um die Abschatzung:

max0≤t≤T

(‖um(t)‖H1

0 (Ω) +∥∥u′m(t)

∥∥L2(Ω)

)+∥∥u′′m(t)

∥∥L2(0,T ;H−1(Ω))

≤ C(‖f‖L2(0,T ;L2(Ω)) + ‖g‖H1

0 (Ω) + ‖h‖L2(Ω)

),

mit C = C(Ω, T, L), fur m ∈ N.

Beweis: Aus (3.20) folgt (nach Multiplikation mit dkm′(t) und Aufsummierung uber k)

(u′′m, u′m) +B[um, u

′m; t] = (f, u′m) fast uberall in [0, T ].

121

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Kapitel 3 Zeitabhangige Probleme

Unter Beachtung von

(u′′m, u′m) =

d

dt

(12

∥∥u′m∥∥2

L2(Ω)

)schreiben wir die letzte Beziehung aus:

d

dt

(12

∥∥u′m∥∥2

L2(Ω)

)+∫

Ω

n∑i,j=1

aijumxiu′mxj

dx︸ ︷︷ ︸=:B1

+∫

Ω

(m∑i=1

biumxiu′m + cumu

′m

)dx︸ ︷︷ ︸

=:B2

= (f, u′m)

=⇒aij=aji

B1 =d

dt

(12

∫Ω

n∑i,j=1

aijumxiumxj

dx︸ ︷︷ ︸=:A[um,um;t]

)− 1

2

∫Ω

n∑i,j=1

(aij)t umxiumxj

dx.

Youngsche=⇒

UngleichungB1 ≥ d

dt

(12A[um, um; t]

)− C ′ ‖um‖

2H1

0 (Ω) .

Ferner gilt (Youngsche Ungleichung):

|B2| ≤ C ′′(‖um‖

2H1

0 (Ω) +∥∥u′m∥∥2

L2(Ω)

).

Zusammengefasst:

d

dt

(∥∥u′m∥∥2

L2(Ω)+A[um, um; t]

)≤ C ′′′

(∥∥u′m∥∥2

L2(Ω)+ ‖um‖

2H1

0 (Ω)︸ ︷︷ ︸≤CA[um,um;t]

+ ‖f‖2L2(Ω)

)(gleichmaßige Hyperbolizitat)

≤ C(∥∥u′m∥∥2

L2(Ω)+A[um, um; t] + ‖f‖2L2(Ω)

)Setze: η(t) := ‖u′m(t)‖2L2(Ω) +A[um, um; t], ξ(t) :=

∥∥f(t)∥∥2

L2(Ω).

⇒ η′(t) ≤ C1η(t) + C2ξ(t).

Die Gronwallsche Ungleichung liefert:

η(t) ≤ eC1t

(η(0) + C2

∫ t

0ξ(s)ds

)Ferner gilt:

η(0) =∥∥u′m(0)

∥∥L2(Ω)

+A[um(0), um(0); 0] ≤ C(‖h‖2L2(Ω) + ‖g‖2H1

0 (Ω)

)

⇒∥∥u′m(t)

∥∥2

L2(Ω)+A[um(t), um(t); t] ≤ C

(‖g‖2H1

0 (Ω) + ‖h‖2L2(Ω) +∥∥f∥∥2

L2(0,T ;L2(Ω))

)gleichm.⇒Hyperbo.

max0≤t≤T

(‖um(t)‖2H1

0 (Ω) +∥∥u′m(t)

∥∥2

L2(Ω)

)≤ C

(‖g‖2H1

0 (Ω) + ‖h‖2L2(Ω) +∥∥f∥∥2

L2(0,T ;L2(Ω))

).

122

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§4 Hyperbolische Differentialgleichungen 2. Ordnung

Es fehlt noch die Abschatzung von ‖u′′‖L2(0,T ;H−1(Ω)):Sei v ∈ H1

0 (Ω) mit ‖v‖H10 (Ω) ≤ 1 und zerlege v in v = v1 + v2,

v1 ∈ span wkmk=1 und v2 ∈ (span wkmk=1)⊥ .

Es folgt ‖v1‖H10 (Ω) ≤ 1.

⇒⟨u′′m, v

⟩= (u′′m, v) = (u′′m, v1) = (f, v1)−B[um, v1; t]

=⇒‖v1‖H1

0(Ω)≤1

∣∣⟨u′′m, v⟩∣∣ ≤ C(∥∥f∥∥

L2(Ω)+ ‖um‖H1

0 (Ω)

).

Def. ‖·‖H−1=⇒

Youngsche Ungl.

∫ T

0

∥∥u′′m∥∥2

H−1(Ω)dt︸ ︷︷ ︸

=‖u′′m‖2L2(0,T ;H−1(Ω))

≤ C

∫ T

0

(∥∥f∥∥2

L2(Ω)+ ‖um‖

2H1

0 (Ω)

)dt

≤↑

C(‖g‖2H1

0 (Ω) + ‖h‖2L2(Ω) +∥∥f∥∥2

L2(0,T ;L2(Ω))

)Abschatzung

fur ‖um‖H10 (Ω)

eingesetzt

Aufaddieren der Abschatzung (bei gleicher rechter Seite) liefert die behauptete Ungleichung.

Satz 3.4.5. (Existenzsatz): Das hyperbolische Anfangs-Randwertproblem (3.16) besitzt eineschwache Losung.

Beweis: Wir verwenden wieder die Energieabschatzung und argumentieren ahnlich wie imparabolischen Fall:Die Folge (um)m∈N ist beschrankt in L2(0, T ;H1

0 (Ω)), (u′m)m∈N ist beschrankt in L2(0, T ;L2(Ω))und (u′′m)m∈N ist beschrankt in L2(0, T ;H−1(Ω)).⇒ Es gibt eine Teilfolge von (um)m∈N, die wir wieder mit (um)m∈N bezeichnen und u ∈L2(0, T ;H1

0 (Ω)) mit u′ ∈ L2(0, T ;L2(Ω)) und u′′ ∈ L2(0, T ;H−1(Ω)), so dass gilt:

um m→∞

u schwach in L2(0, T ;H10 (Ω)),

u′m m→∞

u′ schwach in L2(0, T ;L2(Ω)),

u′′m m→∞

u′′ schwach in L2(0, T ;H−1(Ω)).

(vgl. auch den Beweis des Existenzsatzes im parabolischen Fall!)

Wir betrachten jetzt eine Funktion v ∈ C1([0, T ],H10 (Ω)) der Form

v(t) =N∑k=1

dk(t)wk, N ∈ N fest und dk ∈ C1([0, T ]).

123

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Kapitel 3 Zeitabhangige Probleme

Sei jetzt m ≥ N . Wir multiplizieren (3.20) mit dk(t) und summieren von k = 1, 2, . . . , N :

⇒∫ T

0

(⟨u′′m(t), v(t)

⟩+B[um(t), v(t); t]

)dt =

∫ T

0(f, v)dt.

Die oben dargestellten Konvergenzen erlauben den Grenzubergang m→∞ um∫ T

0

(⟨u′′, v

⟩+B[u, v; t]

)dt =

∫ T

0(f, v)dt

zu erhalten.Da die Funktionen der Form v(t) =

∑Nk=1 d

k(t)wk dicht in L2(0, T ;H10 (Ω)) liegen, gilt diese

Beziehung fur alle v ∈ L2(0, T ;H10 (Ω)).

⇒⟨u′′, v

⟩+B[u, v; t] = (f, v) ∀v ∈ H1

0 (Ω) und fast uberall in [0, T ].

Wir wissen noch mehr, namlich:

u ∈ C([0, T ], L2(Ω)) und

u′ ∈ C([0, T ],H−1(Ω)).

Es bleibt die Annahme der Anfangswerte u(0) = g und u′(0) = h zu zeigen.

Dazu sei v ∈ C2([0, T ],H10 (Ω)) mit v(T ) = v′(T ) = 0. Zweimalige partielle Integration liefert:∫ T

0

((u, v′′) +B[u, v; t]

)dt =

∫ T

0(f, v)dt− (u(0), v′(0)) +

⟨u′(0), v(0)

⟩.

Analog erhalt man fur die Galerkingleichungen∫ T

0

((um, v

′′) +B[um, v; t])dt =

∫ T

0(f, v)dt− (um(0), v′(0))︸ ︷︷ ︸

→(g,v′(0))

+(u′m(0), v(0))︸ ︷︷ ︸→(h,v(0))

.ym→∞ym→∞∫ T

0

((u, v′′) +B[u, v; t]

)dt

⇒∫ T

0

((u, v′′) +B[u, v; t]

)dt =

∫ T

0(f, v)dt− (g, v′(0)) + (h, v(0)).

Subtraktion=⇒beider Gleich.

(g − u(0), v′(0)) = (h− u′(0), v(0)).

Da aber v beliebig war, muss g(0) = u(0) und h(0) = u′(0) gelten.

Bemerkung 3.4.6. Aus der Energieabschatzung erhalt man noch mehr, namlich:

u ∈ L∞(0, T ;H10 (Ω)), u′ ∈ L∞(0, T ;L2(Ω)), u′′ ∈ L2(0, T ;H−1(Ω)).

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§4 Hyperbolische Differentialgleichungen 2. Ordnung

Satz 3.4.7. (Eindeutigkeit der schwachen Losung): Eine schwache Losung von (3.16) isteindeutig.

Beweis: Es reicht zu zeigen, dass fur f ≡ 0, g ≡ h ≡ 0 die Abbildung u ≡ 0 die einzigeLosung von (3.16) ist.

Wir betrachten fur 0 ≤ s ≤ T die Funktion

v(t) =

∫ st u(τ)dτ fur 0 ≤ t ≤ s,

0 fur s ≤ t ≤ T.

⇒ v(t) ∈ H10 (Ω) ∀0 ≤ t ≤ T,

so dass v als Testfunktion hergenommen werden kann:∫ s

0

(⟨u′′, v

⟩+B[u, v; t]

)dt = 0

Wegen h ≡ 0 gemaß Definition von v gilt:

u′(0) = v(s) = 0

=⇒part. Int.

∫ s

0

(−(u′, v′) +B[u, v; t]

)dt = 0

v′=−u=⇒

in [0,s]

∫ s

0

(⟨u′, u

⟩−B[v′, v; t]

)dt = 0 (3.21)

Nebenrechnung:

d

dt

(12‖u‖2L2(Ω) −

12

∫Ω

( n∑i,j=1

aij(·, t)vxivxj

+n∑i=1

bi(·, t)vxiv + c(·, t)vv

)dx

)= (3.22)

=⟨u′, u

⟩−∫

Ω

( n∑i,j=1

aijv′xivxj

+n∑i=1

biv′xiv + cv′v

)dx︸ ︷︷ ︸

=B[v′,v;t]

− 12

∫Ω

( n∑i,j=1

a′ijvxivxj

+n∑i=1

b′ivxiv + c′vv

)dx︸ ︷︷ ︸

=:D[v,v;t]

−12

∫Ω

( n∑i=1

bivxi

=−u︷︸︸︷v′ −

n∑i=1

biv′xiv)dx︸ ︷︷ ︸

=:C[u′,v;t]

.

125

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Kapitel 3 Zeitabhangige Probleme

Nochmals Nebenrechnung:∫ s

0C[u′, v; t]dt =

12

∫ s

0

∫Ω

n∑i=1

bivxiudx dt+

12

∫Ω

∫ s

0

n∑i=1

biv′xivdt dx

=12

∫ s

0

∫Ω

n∑i=1

bivxiudx dt+

12

∫Ω

∫ s

0

− n∑i=1

vxi(b′iv +

=−u︷︸︸︷v′ bi)

dt dx+

+12

∫Ω

n∑i=1

bivxiv

∣∣∣∣∣s

0

dx (aber v(s) = 0)

Mit der Gørdingschen Ungleichung gilt:∫ s

0

d

dt

(12‖u‖2L2(Ω) −

12

∫Ω

( n∑i,j=1

aij(·, t)vxivxj

+n∑i=1

bi(·, t)vxiv + c(·, t)vv

)dx

)

=12‖u(s)‖2L2(Ω) −

12‖u(0)‖2L2(Ω)︸ ︷︷ ︸

=0

−12

∫Ω

( n∑i,j=1

aij(·, s)vxi(s)vxj

(s)︸ ︷︷ ︸=0

+n∑i=1

bi(·, s)vxi(s)v(s)︸ ︷︷ ︸

=0

+ c(·, s)v(s)v(s)︸ ︷︷ ︸=0

)dx

+12

∫Ω

( n∑i,j=1

aij(·, 0)vxi(0)vxj

(0) +n∑i=1

bi(·, 0)vxi(0)v(0) + c(·, 0)v(0)v(0)︸ ︷︷ ︸

≥c1‖v(0)‖2H1

0(Ω)−k‖v(0)‖2

L2(Ω)

)dx

Mit der Beschranktheit von D erhalt man durch Integration der Beziehung (3.22) und mit(3.21)

‖u(s)‖2L2(Ω) + ‖v(0)‖2H10 (Ω) ≤ C

(∫ s

0

(‖v‖2H1

0 (Ω) + ‖u‖2L2(Ω)

)dt+ ‖v(0)‖2L2(Ω)

)Mit der Definition

w(s) :=∫ s

0u(τ)dτ︸ ︷︷ ︸

=v(0)

(0 ≤ s ≤ T )

(nach Def. v)

erhalt man:

‖u(s)‖2L2(Ω) + ‖w(s)‖2H10 (Ω) ≤ C

(∫ s

0

(‖w(s)− w(t)‖2H1

0 (Ω)︸ ︷︷ ︸+ ‖u‖2L2(Ω)

)dt+ ‖w(s)‖2L2(Ω)

)Dreiecksungl.

≤2 ‖w(t)‖2

H10 (Ω)

+ 2 ‖w(s)‖2H1

0 (Ω)

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§4 Hyperbolische Differentialgleichungen 2. Ordnung

Aus der Eigenschaft von Bochner-Integralen folgt:

‖w(s)‖L2(Ω) ≤∫ s

0‖u(t)‖L2(Ω) dt.

Dann gilt:

‖u(s)‖2L2(Ω) + (1 + 2sC1) ‖w(s)‖2H10 (Ω) ≤ C1

∫ s

0

(‖w‖2H1

0 (Ω) + ‖u‖2L2(Ω)

)dt.

Wir wahlen T1 so klein, dass z.B.

1− 2sC1 ≥12

ist fur 0 ≤ s ≤ T1.

⇒ ∀0 ≤ s ≤ T1 : ‖u(s)‖2L2(Ω) + ‖w(s)‖2H10 (Ω) ≤ C

∫ s

0

(‖u(s)‖2L2(Ω) + ‖w(s)‖2H1

0 (Ω)

)dt

Gronwallsche=⇒Ungl.

u ≡ 0 in [0, T1].

Fuhre die gleichen Uberlegungen fur [T1, 2T1], [2T1, 3T1], . . . durch.

127