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Laurenz LüttekenRichard StraussMusik der Moderne

Mit 17 Abbildungen

Reclam

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Inhalt 5

Inhalt

Vorwort 7Zeittafel 13

I Strauss und die Moderne1. Strauss-Bilder 212. Die andere Moderne 30

II Zwischen Patriziat und Aristokratie1. München als geistige Lebensform 432. Familie und Lebenswelt 503. Bildung und Lektüre 54

III Das Ende des 19. Jahrhunderts: Der Abschied von den traditionellen Gattungen1. Strauss und die Tradition 602. Inspiration und kompositorisches Handwerk 653. Wider den Sonatensatz: Letzte Sinfonik,

letzte Kammermusik 71 IV Poesie des Imaginativen: Lieder

1. Das Lied als musikalische Denkform 802. Strauss als Leser und der Kanon der Dichter 863. Grenzgänge: Lyrik und Chor 924. Erste und letzte Lieder 98

V Musik und Leben: Der Kapellmeister und seine Ämter1. Anfänge: Meiningen, Weimar, München 1032. Berlin und die Moderne 1083. Wien und die republikanische Aufgabe 1154. Strauss als Dirigent 119

VI Poesie des Realen: Tondichtungen1. Abgrenzungen von Wagner 1282. Abschied von einer Metaphysik der Tonkunst 1373. ›Autobiographie‹ und neue musikalische

Semantik 142 VII Musik ohne Metaphysik: Der Weg zur Oper

1. Künstleropern 1472. Das neue Theater: Max Reinhardt in Berlin 152

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6 Inhalt

3. Das orientalische Altertum und der ›Nerven-contrapunkt‹ 157

4. Das Ende der Instrumentalmusik 164VIII Das »erreichte Soziale«: Strauss und Hofmannsthal

1. Sprachkrisen und der »Weg ins Soziale« 1722. Schweigen und tanzen 1793. Die plastische Antike 1864. Die neue Wirklichkeit: Märchen und Operette 191

IX Die neue Mythologie und die Plastizität der Tonkunst1. Mozarts Melodie und Wagners Orchester:

Tonalität und die neue musikalische Mitteilbarkeit 197

2. Die Gegenwart des Theaters 2023. Musik als Festspiel: Salzburg 208

X Musik und Wirklichkeit1. Lebenswelten: Soziale Lebenspraxis und die Villen in

Garmisch und Wien 2122. Urheberrecht und musikalische Materialität 2193. Reichsmusikkammer 224

XI Nach Hofmannsthals Tod1. Intermezzo mit Stefan Zweig 2332. Joseph Gregor und die letzten Pläne 238

XII Metamorphosen und das Ende der Geschichte1. Letzte Werke 2472. Selbstdeutungen: Metamorphosen 2543. Die neue Gegenwart der Geschichte? 261

Anhang

Werkverzeichnis 269Literaturhinweise 304Personenregister 309Abbildungsnachweis 316Dank 318Zum Autor 319

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Vorwort 7

Vorwort

Die Zugehörigkeit von Richard Strauss zur musikalischen (und nicht nur zur musikalischen) Moderne ist ab den 1950er Jahren im-mer entschiedener bezweifelt worden. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein. Doch in der sich formierenden, erstmals von Paul Bekker so apostrophierten ›neuen Musik‹ mit all ihren Proklamatio-nen, Verlautbarungen und Verheißungen blieb Strauss ein errati-scher Block auch deswegen, weil er sich ebenso entschieden wie an-haltend der damit verbundenen Neigung zur erklärenden Selbst-deutung verweigert hat. Die vermeintliche Fülle der von ihm überlieferten Texte täuscht darüber hinweg, dass es sich durchweg um notizenartige Marginalien und Gelegenheitskundgebungen handelt, mitnichten um systematische Selbstauslegungen, die er bei seinen Zeitgenossen so verachtet hat, und zu denen er sich nicht einmal in der wuchernden publizistischen Kontroverse um die Sa­lome (1905) hat hinreißen lassen. Selbst ein Schlüsselwerk wie der Rosenkavalier (1911) blieb ohne jegliche begleitende Erläuterungen. Der einzige programmatische Text zu seinen Hintergründen ist nicht mehr als eine knappe essayistische Skizze, bezeichnenderwei-se verfasst von Hofmannsthal, der ihr den nur auf den ersten Blick paradoxen Titel des ›Ungeschriebenen Nachworts‹ mitgegeben hat. Und der eine Fall, in dem sich beide Autoren zu Stellungnahmen unterschiedlichen Zuschnitts veranlasst sahen, im Kontext der Ägyptischen Helena (1928), lässt sich letztlich als genau begründbare Ausnahme begreifen.

Strauss, der ein leidenschaftlicher Leser war und der seine huma-nistische Bildung dennoch eher verborgen denn demonstrativ nach außen getragen hat, blieb als Persönlichkeit unnahbar, weil er sein Werk, das doch das Biographische zuweilen geradezu unverfroren zur Schau zu stellen schien, von deutenden Steuerungen freihielt. Selbst Hofmannsthal bekannte, den übergreifenden Zusammen-hang im Œuvre des Komponisten erst nach einer langen mündlichen Darlegung begriffen zu haben – also in einem Gespräch, das privat blieb und bleiben sollte. Zur Verschriftlichung derartiger Gedanken sah sich Strauss jedenfalls nie veranlasst. Der einzige in einem em-

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8 Vorwort

phatischen Sinne ›weltanschauliche‹ Text, den er verfasste, blieb der Intimität des Privaten vorbehalten: Das Tagebuch der für ihn so prä-genden Erholungsreise nach Griechenland und Ägypten in den Jah-ren 1892 und 1893 war den Zeitgenossen unbekannt und wurde erst sehr viel später durch Willi Schuh wenigstens in Teilen der Öffent-lichkeit zugänglich gemacht. Es ist diese Zurückhaltung umso er-staunlicher, als dem Lebenswerk – das immerhin die schwer zu er-messende Spanne von fast 80 Jahren kompositorischer Aktivität umfasst – eine in ihrer Konsequenz und Beharrlichkeit einschüch-ternde Sy stematik mitgegeben wurde. Dieses Werk entfaltet sich in der Dichotomie von Tondichtungen und Opern, die gerahmt wird von den ›frühen‹ Beiträgen zu den traditionellen Instrumentalgat-tungen und einem ausdrücklich als solchem klassifizierten ›Spät-werk‹. Und sie wird – nicht unwesentlich – begleitet von der zwar nicht stets gleich intensiven, aber doch anhaltenden Produktion von Liedern. Die ›Ausbruchsversuche‹ aus diesem System sind selten, et-wa in den Klavierwerken für Paul Wittgenstein oder in der Preisgabe bestimmter Grundsätze im Intermezzo (1924), sie stellen es wegen ihrer komplexen Bezüge zu ihm aber nicht in Frage, sondern unter-mauern seine Gültigkeit.

In einer erheblichen Anstrengung verkörperte Strauss willentlich, hierin Mahler vergleichbar, die unter dem Eindruck Wagners eigent-lich zerbrochene Einheit von Komponist und Dirigent – mit demsel-ben Nachdruck überdies, mit dem er als Opernkomponist, der er nun im Gegensatz zu Mahler war, die Wagnersche Einheit von Li-brettist und Komponist aufkündigte. Und wohl als einziger unter den bedeutenden deutschsprachigen Komponisten um und nach 1900 verzichtete er, abge sehen von einer ebenso kurzfristig wie halbherzig wahr genommenen Meisterklasse, auf eine Lehrtätigkeit, auf die Ausbildung von Schülern oder die Versammlung von ›Jün-gern‹ und vermied zeit seines Lebens eine Konservatoriumsprofes-sur. Strauss blieb auch in dieser Hinsicht unnahbar, weil er sich, ver-blüffend nur auf den ersten Blick, sogar im Technischen des Kompo-nierens der Selbstauslegung entzog. Das eine einzige Mal, wo er sich – durchaus im Sinne einer vorläufigen, mit dem Heldenleben (1899) in mancher Beziehung stehenden Lebensbilanz – zu einer

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Vorwort 9

Stellungnahme entschloss, erfolgte sie wiederum indirekt: als Bear-beitung des Traité d’instrumentation von Hector Berlioz (1904).

Ein Begleitumstand dieser Selbstverbergung zeigt sich auch in ei-nem merkwürdigen Phänomen, das ihn, den großen Antimetaphy-siker der Tonkunst, ausgerechnet mit dem Metaphysiker Anton Bruckner (1824–1896) verbindet. Über Strauss existiert eine unüber-schaubare Fülle von Anekdoten, durch Dritte kolportiert, nicht sel-ten mit ostentativer Lust am Klatsch und einer schwer begreiflichen Beharrlichkeit. Sie sind jedoch nichts anderes als sekundäre Mittei-lungsformen, in denen die Attitüde eines unbewussten ›Musikan-tentums‹, das sich vorgeblich auch in der lebenslangen Lust am Skat-spiel zu erkennen gab, geradezu leitmotivisch hervortritt – eine Atti-tüde, die weniger der Freilegung von Charakterzügen dient als deren Kaschierung. Es lässt sich wohl auch dies als Technik verstehen, einer in Selbstoffenbarungen regelrecht vernarrten Zeitgenossenschaft ein für allemal auszuweichen. Der feinsinnige Intellektuelle, der sich in der weitgehend erhaltenen Garmischer Bibliothek offenbart, schirmte sich nach außen ab, ungeachtet der Tatsache, dass er weder an mangelndem Selbstbewusstsein litt noch an fehlender Laune zu jovialem, mitunter geradezu krachledernem Erfolgsstolz. Strauss war eine durch und durch öffentliche Person – und hielt diese Öf-fentlichkeit dennoch auf merkwürdige Weise von sich fern. Dieser im Grunde lebenslang erkennbare Habitus ist verwirrend auch des-wegen, weil der Komponist – hierin in seinem, dem 20. Jahrhundert wohl am ehesten Paul Hindemith, Dmitri Schostakowitsch oder Da-rius Milhaud vergleichbar – über eine nie nachlassende, zuweilen ge-radezu berserkerhafte kreative Energie verfügte, die, wie im Schaffen des Jahrzehnts zwischen 1909 und 1919, letztlich unbegreifliche Aus-maße annehmen konnte.

Dieser Drang zu unbedingter, ruheloser Tätigkeit, der sich auch in der selbst auferlegten Fülle seiner dirigentischen und organisatori-schen Aufgaben äußert, wurde, obwohl eigentlich ein Zug der Mo-derne, überwölbt von der immer nachdrücklicher und immer diffe-renzierter werdenden Hinwendung zur griechischen Antike. Diese ›heidnische‹ Antike, gleichsam geläutert durch ihre rohe, brutale, anti-klassische Gegenseite (von Salome und Elektra), wurde für ihn

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10 Vorwort

zunehmend zum humanen Korrektiv einer nach seiner Einschät-zung technizistischen, das christlich-mittelalterliche Erbe unrettbar verspielenden Gegenwart des 20. Jahrhunderts. Aber selbst diese Wendung sollte aus sich heraus wirken, sie blieb ohne programmati-sche Erklärungen, auch und gerade in den dramatischen Zeitläuften seiner späten Jahre. Seine Verstrickung in den Nationalsozialismus, basierend auf einem komplizierten Geflecht aus Anziehung, gepaart mit manchen Taktlosigkeiten, und Abstoßung, gepaart mit manchen Instinktlosigkeiten, sowie zunehmend überschattet von der Bedro-hung für Leib und Leben seiner jüdischen Schwiegertochter und ih-rer schließlich ermordeten Familienmitglieder, blieb von dieser Ab-schottung nicht unberührt, da sich der Komponist im Grunde aller weltanschaulichen Bekundungen in einer merkwürdig konsequen-ten und zugleich suspekten Indifferenz enthielt.

All dies blieb nicht ohne Folgen für die Rezeption, galt Strauss doch, positiv wie negativ, als Fremdkörper im 20. Jahrhundert. Die einen subsumierten ihn, in einer schwer erträglichen Spreizung ele-mentarer logischer Grundsätze, unter der Rubrik ›Spätromantik‹, die anderen erblickten in ihm den Verräter an der Moderne, ein Re-likt oder (nicht minder problematisch) einen durch den National-sozialismus heillos diskreditierten Opportunisten. Erschwert wird dies alles durch den Umstand, dass der angeblich endgültig in die Geschichte entlassene Komponist sogar mit seinen vermeintlich weniger bedeutenden Werken am Ende des 20. Jahrhunderts auf ei-ne erstaunliche Weise in das Repertoire der Opernhäuser und Or-chester zurückgekehrt ist. Seine Präsenz erstreckt sich längst nicht mehr nur auf Elektra oder den Rosenkavalier, sondern umfasst in-zwischen, wenn auch in unterschiedlichen Staffelungen, alle seine Bühnenwerke und Tondichtungen. So mag es angemessen sein, sich dem Komponisten fernab jener Klischees, die sich vor allem ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts um ihn herum ausgebildet haben, anzunähern. Dies ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ohne Risiko, weil viele der dafür eigentlich notwendigen Voraus-setzungen erst ansatzweise oder noch gar nicht existieren. Eine wirklich differenzierte Strauss-Forschung hat sich erst ab dem spä-teren 20. Jahrhundert herausgebildet, die systematische Material-

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Vorwort 11

sichtung und -sicherung, im digitalen Quellenverzeichnis zumin-dest in Angriff genommen, zeichnet sich nur in Umrissen ab. Brief-ausgaben existieren in Editionen ganz unterschiedlichen, mitunter zweifelhaften philologischen Zuschnitts, ein annähernd vollständi-ger Überblick über die Korrespondenz ist nach wie vor illusorisch. Eine kritische Ausgabe seiner Werke – verbunden mit systemati-schen Einsichten in den äußerst komplizierten Schaffensprozess – steht erst am Anfang.

Und doch, das 20. Jahrhundert, aus dem Strauss so gerne – unter welchen Vorzeichen auch immer – ausgeklammert worden ist, ist seit langem vorbei. Es ist daher wohl an der Zeit, einen neuen, ei-nen unvoreingenommenen Blick auf den Komponisten zu versu-chen, allerdings mit dem Ziel, ihn nicht als Querstand, sondern als Verkörperung seiner Zeit zu verstehen. Die vielleicht nicht zufällig Fragment gebliebene biographische Erzählung von Willi Schuh mag dabei – unfreiwillig – veranschaulichen, warum gerade dieser Mo-dus des 19. Jahrhunderts für einen Komponisten wie ihn im Grunde unangemessen ist. Dass es also ›die‹ Strauss-Biographie nicht gibt (hier ein weiterer bemerkenswerter Unterschied zu Mahler oder Schönberg), liegt vielleicht auf stärkere Weise im Gegenstand selbst begründet, als es lange Zeit den Anschein hatte. So versteht sich die vorliegende Annäherung gewiss nicht primär als Biographie, son-dern als umfangreicherer Essay, als Versuch im eigentlichen Wort-sinn. Das beigegebene Werkverzeichnis, die Zeittafel sowie das kurze Literaturverzeichnis sollen dabei leichte Orientierung bieten, so dass sich die Nachweise im Text auf die notwendigen Belege be-schränken können. Da Strauss von einer neuen, Wagners Vorgabe ins Gegenteil verkehrenden Überblendung von Kunst und Leben, von Werk und tätiger Biographie bewegt war, wird sich in einer sol-chen Annäherung das eine vom anderen nicht trennen lassen – oh-ne dass daraus biographische Erzählungen oder Werkporträts her-vorgehen sollen. Dieser Weg mag als riskant und allzu vorläufig an-muten, er mag zudem Widerspruch erregen. Im Blick auf die Herausforderung, die der Komponist Strauss auch im 21. Jahrhun-dert darstellt, erscheint er aber – nicht zuletzt aus einem genuin hermeneutischen Interesse heraus – als angemessen. Denn die Zei-

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12 Vorwort

ten, wo man sich ›zu Strauss verhielt‹, ›für ihn‹ oder ›gegen ihn‹ war, sind, so unsinnig derlei Bekundungen ohnehin sein mögen, vorbei. Es geht, in der zunehmenden historischen Distanz, darum, Möglichkeiten des Verstehens zu erkunden. Dazu will dieses Buch einen kleinen Beitrag leisten.

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Zeittafel 13

Zeittafel

1864 Richard Georg Strauss wird am 11. Juni in München geboren (Altheimer Eck 16, im sogenannten Pschorr-Haus, im Zweiten Weltkrieg teilzerstört, erhaltene Teile 1963 abgerissen; Gedenktafel erhalten); Eltern: Franz Strauss (1822–1905) und Josepha Strauss, geb. Pschorr (1838–1910)

Der Vater, Franz Joseph Strauss, geboren in Parkstein (Oberpfalz) als un-ehelicher Sohn der Maria Anna Kunigunde Walter (Vater: Urban Strauss), wurde 1845 Münchner Bürger und zwei Jahre darauf Mitglied des Bayeri-schen Hoforchesters; 1851 Heirat mit Elise Maria Seiff (geb. 1821), Tod des Sohnes Johann Franz (geb. 1852) im Geburtsjahr, der Tochter Klara Fran-ziska (geb. 1853) sowie der Ehefrau während einer Cholera-Epidemie 1854; 1863 Heirat mit Josepha Pschorr; gegen 1870, wie die Familie Pschorr, Übertritt zur (auch von Ludwig II. geförderten) altkatholischen Kirche

1867 Geburt der Schwester Johanna Strauss († 1966) am 9. Juni, des einzigen weiteren Kindes

1868 Beginn des Klavierunterrichts (bei August Tombo, 1842–1878, Harfenist der Hofkapelle), ab 1872 des Violinunterrichts (bei Benno Walter 1847–1901, Konzertmeister der Hofkapelle)

1870 Eintritt in die Domschule München; früheste erhaltene Komposi-tionen

1874 Übergang zum Königlichen Ludwig-Gymnasium, München; im Jahr dar-auf Beginn des Kompositionsunterrichts bei Friedrich Wilhelm Meyer (1818–1893)

1881 Erste öffentliche Aufführungen, darunter das Streichquartett op. 2 sowie die d-Moll-Sinfonie, dirigiert von Hermann Levi; das op. 2 erschien im Druck beim Münchner Verlag Joseph Aibl von Eduard Spitzweg (1811–1884, Bruder des Malers Carl Spitzweg) und seinem Sohn Eugen Spitz-weg (1840–1914); der von Strauss bevorzugte Verlag (bis zu den Liedern op. 37, mit den sieben Ausnahmen von 1 [1881 bei Breitkopf & Härtel], 4, 15, 17, 22, 31 und 33, alleiniges Publikationshaus) wurde 1904 an die Uni-versal-Edition verkauft

1882 Abitur; erster Besuch Bayreuths (mit dem – Wagner ablehnenden – Vater zur Uraufführung des Parsifal); erste Aufführungen außerhalb Mün-chens (op. 7 in Dresden unter Franz Wüllner, die Klavierversion des op. 8 in Wien mit Benno Walter und dem Komponisten); Immatrikulation an der Universität München für die Fächer Ästhetik, Kulturgeschichte und Philosophie; wichtigste akademische Lehrer: der Rechtshegelianer Moriz Carrière (1817–1895), der Idealist und Logiker Carl von Prantl (1820–1888)

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14 Zeittafel

sowie der Ordinarius für Kulturgeschichte und Statistik Wilhelm Hein-rich von Riehl (1823–1897)

1883 Mitwirkung im vom Vater geleiteten Orchester Wilde Gung’l (Wilde Schaukel), bis etwa 1885; im Herbst Aufgabe des Studiums und mehrmo-natiger Aufenthalt in Berlin; dort wichtige Begegnungen, v. a. mit Hans von Bülow (1830–1894) ab Februar 1884; Aufführung der Suite op. 4 durch Bülow in Meiningen

1884 Mehrere spektakuläre Uraufführungen, darunter die f-Moll-Sinfonie in New York unter Theodor Thomas (1835–1905); vermutlich Beginn einer längeren, ebenso intensiven wie schwierigen Liaison mit der verheirate-ten Dora Wihan (1860–1938)

1885 Auf Vermittlung Bülows Ernennung zum Hofmusikdirektor Herzog Georgs II. von Sachsen-Meiningen (reg. 1866–1914) in Meiningen (1. Ok-tober, bis zum 1. Dezember neben Bülow); die kleine, aber bedeutende Hofkapelle war inzwischen – parallel zum Hoftheater – eine Institu-tion von europäischer Ausstrahlung; erste Begegnungen mit Johannes Brahms (1833–1897) sowie mit dem schon 1882 von Bülow berufenen Geiger und glühenden Wagner-Anhänger Alexander Ritter (1833–1896); Beginn der lebenslangen Auseinandersetzung mit Wagners Schaffen; Jo-sepha Strauss muss erstmals für längere Zeit in eine Nervenheilanstalt (Oberbayerische Kreisirrenanstalt Giesing; ab 1894 mehrfach Aufenthal-te); über die Diagnose gibt es keine verlässlichen Informationen; ein Zu-sammenhang mit der Ehe mit Franz Strauss (von Richard Strauss später als verbittert, heftig, jähzornig und tyrannisch beschrieben) wahrschein-lich

1886 Erste Italienreise (April/Mai), deren Frucht die ›sinfonische Fantasie‹ Aus Italien op. 16 ist; im Sommer Besuch Bayreuths, erste Kontakte zu Cosi-ma Wagner; Verdienstkreuz für Kunst und Wissenschaft in Meiningen – Im August Ernennung zum Dritten Kapellmeister an der Münchner Hof-oper; kurz zuvor Absetzung des für geisteskrank erklärten Königs Lud-wig II.; Übernahme der Regierung durch Prinz Luitpold (Proklamation einer Reichsverweserschaft)

1887 UA Aus Italien op. 16 (Hans von Bülow gewidmet) in München; UA Wandrers Sturmlied op. 14 in Köln; erste Begegnung mit Gustav Mahler (1860–1911); in München auch gelegentliche Betätigung als Lehrer, unter den Schülern die Sopranistin Pauline de Ahna (1863–1950), Tochter des bayerischen Generalmajors Adolf de Ahna (1830–1906) und seiner Frau Marie, geb. Huber (1837–1923)

1888 Zweite Italienreise (Mai/Juni)1889 Zum 1. Oktober (bzw. zum 1. Oktober 1890) Ernennung zum Zweiten

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Zeittafel 15

Großherzoglich-Sächsischen Kapellmeister in Weimar, Wohnung in der Erfurter Straße 19 (Gedenktafel); Verpflichtung von Pauline de Ahna und UA Don Juan op. 20 in Weimar; persönliche Nähe zu Cosima Wagner (1837–1930) und vorübergehende Annäherung an ihr zunehmend völ-kisch-antisemitisches Umfeld; musikalischer Assistent in Bayreuth

1890 UA Tod und Verklärung op. 24 in Eisenach; UA der ohne opus-Zahl ge-druckten Burleske durch Eugen d’Albert ebd.; UA Macbeth op. 23 (2. Fas-sung) in Weimar

1891 Im Mai schwere, nicht richtig auskurierte Erkrankung (Lungenentzün-dung); im August in Bayreuth als Assistent, Pauline de Ahna als Elisa-beth; Mädchenblumen (op. 22) als erstes Werk im Verlag von Adolph Fürstner (1833–1908) erschienen; ab 1900 erscheinen alle wichtigen Kompositionen, insbesondere die Opern (bis zur Schweigsamen Frau), im Verlag Fürstner (von seinem Sohn Otto [1886–1958] bis zu seiner Flucht aus Deutschland 1935 und bis Anfang der 1940er Jahre von Johan-nes Oertel unter seinem Namen weitergeführt)

1892 Musikalische und szenische Einstudierung von Tristan und Isolde in Wei-mar (17. Januar); im Mai Zusammenbruch und lebensgefährliche Erkran-kung (Rippenfell-Entzündung); nach Amtsaufgabe und Rekonvaleszenz im November Beginn einer langen, vom Onkel Georg Pschorr finanzier-ten Erholungsreise nach Ägypten, auf dem Hinweg über Griechenland, auf dem Rückweg über Sizilien; umfangreiches Reisetagebuch (Spiegel der Auseinandersetzung mit Nietzsche); während der bis zum Juni des Folgejahrs andauernden Reise Entstehung der ersten Oper, Guntram

1893 Nach der Rückkehr (Juni) Wiederaufnahme der Tätigkeit in Weimar; UA Macbeth op. 23 (3. Fassung) in Berlin; am 23. Dezember Leitung der Ur-aufführung von Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel in Weimar

1894 UA Guntram op. 25 (1. Fassung) in Weimar; am Tage der Uraufführung (10. Mai) Verlobung mit Pauline de Ahna (Sängerin der Freihild); Hoch-zeit am 10. September in Marquartstein (Chiemgau), am Sommersitz der Familie de Ahna (Gedenktafel an der Burgkapelle) – Zum 1. Oktober Bestallung als Königlicher Kapellmeister in München, zunächst noch neben dem inzwischen körperlich beeinträchtigten Hermann Levi (1839–1900, endgültig im Ruhestand 1896); im Winter Übernahme der Verpflichtung des in Kairo verstorbenen Hans von Bülow bei den Berli-ner Philharmonikern; erste Dirigate in Bayreuth (Tannhäuser), begin-nende Distanz zu Cosima Wagner und ihrem Umfeld

1895 UA Till Eulenspiegels lustige Streiche op. 28 in Köln1896 UA Also sprach Zarathustra op. 30 in Frankfurt a. M.; Bruch mit Bay-

reuth, aus ideologischen Gründen sowie wegen der unüberbrückbaren

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16 Zeittafel

Differenzen zu Wagners Sohn Siegfried (1869–1930); Strauss ist dort fortan unerwünschte Person

1897 UA Enoch Arden op. 38 in München; Geburt des einzigen Kindes, des Sohnes Franz (1897–1980) in München, nach schwieriger Schwanger-schaft und unter lebensgefährlichen Umständen

1898 UA Don Quixote op. 35 in Köln; zum 1. Oktober Bestallung als Erster Preußischer Kapellmeister an der Hofoper Berlin, neben Carl Muck (1859–1940); Begründung der zwanzigjährigen institutionellen Bindung an Berlin (bis 1919); Umzug nach Charlottenburg (Knesebeckstraße 30) – Am 30. September Gründung der Genossenschaft deutscher Komponi­sten, gemeinsam mit dem Juristen und Musiker Friedrich Rösch (1862–1925) und dem Mathematiker Hans Sommer (1837–1922), zur unmittel-baren Einflussnahme auf das Urheberrecht; 1903 Umwandlung zur Genossenschaft deutscher Tonsetzer (unter dem Präsidium von Strauss); 1915 Abspaltung der Genossenschaft zur Verwertung musikalischer Auf­führungsrechte (GEMA)

1899 UA Ein Heldenleben op. 40 in Frankfurt a. M.; Kontakte zur Berliner Secession; erste Begegnung mit Hugo von Hofmannsthal (1874–1929)

1901 UA Feuersnot op. 50 in Dresden durch Ernst von Schuch (1846–1914); Be-ginn der bis zum Lebensende währenden Beziehung zum Dresdner Opernhaus; Wahl zum Vorsitzenden des Allgemeinen Deutschen Musik­vereins

1903 Ehrenpromotion durch die Philosophische Fakultät der Universität Hei-delberg (seitdem Verwendung des Doktortitels); zu diesem Anlass UA Taillefer op. 52 in der Heidelberger Stadthalle; erstes Strauss-Fest in Lon-don

1904 UA Symphonia domestica op. 53 in New York; Begründung und Heraus-gabe der monographischen Reihe Die Musik; Ehrenmitgliedschaft der Vereinigung schaffender Tonkünstler in Wien; Ehrenbürger von Cincin-nati und Morgantown – Umzug in die Joachimsthaler Straße 17 in Berlin (Haus im Zweiten Weltkrieg zerstört)

1905 Tod des Vaters Franz in München; UA Salome op. 54 in Dresden, mit an-schließender publizistischer Kontroverse

1906 Beginn der Zusammenarbeit mit Hugo von Hofmannsthal; Planungen einer Villa in Garmisch

1907 Salome-Dirigat in Paris; Ernennung zum Offizier der Legion d’Honneur; Mitherausgeber der Zeitschrift Morgen

1908 Ernennung zum Generalmusikdirektor in Berlin (neben Carl Muck); Übernahme der Leitung der Konzerte der Hofkapelle; schon 1905 Re-duktion der Anwesenheitspflicht (Oktober bis April), nun ein Jahr Ur-

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Zeittafel 17

laub von den Dienstpflichten, allerdings bei Übernahme der Konzerte der königlichen Kapelle – Ende Mai Bezug der von Emanuel Seidl (1856–1919) entworfenen Villa in der Garmischer Zoeppritzstraße

1909 Strauss-Woche in Dresden, dabei UA Elektra op. 58; Mitglied der Akade­mie der Künste in Berlin; Ehrenvorsitzender des Allgemeinen Deutschen Musikvereins

1910 Tod der Mutter Josepha in München; auf eigenen Wunsch Beurlaubung als Generalmusikdirektor, aber weiterhin ständiger Gastdirigent der Hofkapelle; Verleihung des Bayerischen Maximiliansordens für Wissen­schaft und Kunst; Strauss-Wochen in Frankfurt a. M. und München

1911 UA Der Rosenkavalier op. 59 in Dresden; endgültige Auflösung des Ver-trags als Generalmusikdirektor in Berlin; weiterhin ständiger Dirigent der Hofkapelle und Gastdirigent der Hofoper; Veröffentlichung einer Biographie durch den Dirigenten Max Steinitzer (1864–1936)

1912 UA der von Max Reinhardt (1873–1943) angeregten Ariadne auf Naxos/ Der Bürger als Edelmann op. 60 in Stuttgart; Umzug in die luxuriöse Wohnung am Kaiserdamm 39 (heute Heerstraße 2) in Berlin (Gedenk-tafel)

1913 UA Festliches Präludium op. 61 in Wien zur Einweihung des neuen Kon-zerthauses; UA Deutsche Motette op. 62 in Berlin

1914 UA Josephs Legende op. 63 in Paris; Ehrenpromotion durch die Univer-sität Oxford; Mitglied des Ehrenpräsidiums der von Wilhelm Solf gelei-teten Deutschen Gesellschaft 1914; Enthüllung einer Gedenktafel am Münchner Geburtshaus; Benennung einer ›Strauss-Straße‹ – Nach Kriegsbeginn Sperrung der Londoner Bankguthaben

1915 UA Eine Alpensinfonie op. 64 in Berlin (durch die Dresdner Hofkapelle)1916 UA Ariadne auf Naxos  – Neue Bearbeitung op. 60 in Wien; Ehrenmit-

glied der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien1917 Zögerliche Übernahme einer Meisterklasse für Komposition an der Berli-

ner Akademie der Künste (bis 1920); Gründung der Salzburger Festspiel­Gemeinde in Wien durch Friedrich Gehmacher (1866–1942) und Hein-rich Damisch (1872–1961); in deren Kunstrat Hofmannsthal, Reinhardt, Strauss, Franz Schalk (1863–1931) und Alfred Roller (1864–1935)

1918 Letztes Konzert der Berliner Hofkapelle am 8. November, am Vorabend der Abdankung Kaiser Wilhelms II.; Ernennung zum Interims-Leiter der nun nicht mehr höfischen Berliner Oper; Strauss-Woche in Wien; Er-nennung zum Direktor der Wiener Oper (gemeinsam mit Franz Schalk), unter Widerständen; nach Kriegsende im November Enteignung des Londoner Vermögens

1919 UA Die Frau ohne Schatten op. 65 in Wien; Übernahme des Wiener

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18 Zeittafel

Amts gegen immer stärkere Widerstände; Umzug nach Wien, Wohnung erst gastweise in der Löwelstraße 8 (Mozartplatz), dann in der Mozart-gasse 4 (Gedenktafel); Planungen einer Villa im von der Stadt Wien für 90 Jahre verpachteten sogenannten ›Kammergarten‹ des Belvedere

1921 UA der Drei Hymnen nach Hölderlin op. 71 in Berlin; erste Donaueschin­ger Kammermusik­Aufführungen zur Förderung zeitgenössischer Ton­kunst mit Strauss als Ehrenvorsitzendem; neuerliche Tournee in die Ver-einigten Staaten wegen anhaltender finanzieller Probleme; Schirmherr der Internationalen Kammermusikaufführungen in Salzburg, dem Vor-läufer der Internat ionalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM; Ehrenprä-sident Strauss)

1922 Ehrenmitglied der Salzburger Festspiel­Gemeinde; erste Opernauffüh-rungen in Salzburg (Mozart)

1923 Ehrenmitglied der Akademie der bildenden Künste in Wien und der Wie-ner Philharmoniker

1924 UA Intermezzo op. 72 in Dresden; Strauss-Fest in Wien, darin UA Schlagobers op. 70; Ehrenbürger der Städte München, Wien und Salz-burg; Ehrenpräsident der Salzburger Festspiele; Mitglied des Ordens pour le mérite für Wissenschaften und Künste; Auflösung des Wiener Ver-trags – Hochzeit des Sohnes Franz mit Alice Grab (1904–1991)

1925 UA Parergon zur Symphonia domestica op. 73 in Dresden – Im Dezember Bezug der neuen, von Michael Rosenauer (1884–1971) entworfenen Villa in der Jacquingasse in Wien (Gedenktafel); Ehrenbürger der Stadt Wei-mar

1926 UA des Films Der Rosenkavalier in Dresden; Griechenlandreise; Pla-nung eines Festspielhauses in Athen; Ehrenbürger von Naxos – Publika-tion des von beiden Korrespondenzpartnern durchgesehenen und für den Druck freigegebenen Briefwechsels mit Hofmannsthal durch Franz Strauss

1927 Geburt des ersten Enkels Richard († 2007)1928 UA Die ägyptische Helena op. 75 in Dresden; UA Panathenäenzug op. 74

in Dresden; UA Die Tageszeiten op. 76 in Wien1929 Überraschender Tod Hofmannsthals in Rodaun (15. Juli); Arabella vom

Dichter nicht mehr vollendet1932 Strauss-Woche in München; auf Vermittlung Anton Kippenbergs (1874–

1950) erste Begegnung mit Stefan Zweig (1881–1942); Geburt des zweiten Enkels Christian

1933 UA Arabella op. 79 in Dresden; die Aufführung findet am 1. Juli, ein knappes halbes Jahr nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler statt, ei-ne Machtprobe mit der nationalsozialistischen Diktatur, überschattet

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Zeittafel 19

von der erzwungenen Demission Fritz Buschs (1890–1951) und den SA-Angriffen auf den Intendanten Alfred Reucker (1868–1958); Beginn der Zusammenarbeit mit Clemens Krauss (1893–1954) – Am 16. April Mitun-terzeichner des Thomas Mann ins Exil zwingenden Protestes der Richard­Wagner­Stadt München – Im Sommer freiwillige Rückkehr nach Bay-reuth, dort (bei den letzten Parsifal-Aufführungen in der Produktion der Uraufführung) Einspringer für den aus Protest gegen das nationalsozia-listische Deutschland fernbleibenden Arturo Toscanini – Am 15. Novem-ber (und nach kontroversen internen Planspielen) Ernennung zum Präsi-denten der neu geschaffenen Reichsmusikkammer (dort Begründung der Standesvertretung der deutschen Komponisten); daraufhin Widmung des Liedes Das Bächlein (auf einen apokryphen Goethe-Text, postum op. 88, Nr. 1) an Joseph Goebbels

1934 Ehrenmitglied der Dresdner Staatsoper; Ehrenbürger der Stadt Dresden; Präsident des Ständigen Rats für die Internationale Zusammenarbeit der Komponisten, einer NS-Gegenorganisation zur IGNM; neuerliches Diri-gat in Bayreuth (Neuinszenierung des Parsifal); Auszeichnung mit dem 1922 gegründeten, in der NS-Zeit aber weiter verliehenen Adlerschild des Deutschen Reiches; Ernennung zum Groß-Offizier des Ordre von Oran-je-Nassau durch die niederländische Königin; Johannes-Brahms-Me-daille

1935 UA Die schweigsame Frau op. 80 in Dresden unter schweren Konflikten; nach vier Aufführungen Absetzung und Verbot des Werkes; wegen der Verbindungen zu Zweig und nach Abfangen eines regimekritischen Brie-fes erzwungener Rücktritt vom Reichsmusikkammer-Präsidium, Verbot des weiteren Erscheinens in Bayreuth durch Hitler – Uneinheitliches, weiterhin von politischen Instinktlosigkeiten geprägtes Verhältnis des Komponisten (der Göring noch im April ein Arabella-Autograph zur Hochzeit geschenkt hatte) zur Diktatur

1936 UA der (bereits 1932 vom Olympischen Komitee bestellten) Olympischen Hymne im Berliner Olympiastadion zur Eröffnung der Olympischen Spiele am 1. August (Vorspiel des Werkes vor Hitler durch den Kompo-nisten schon im März 1935); Goldene Medaille der Philharmonic Society in London

1938 UA Friedenstag op. 81 in München; UA Daphne op. 82 in Dresden; trotz massiver Vorbehalte durch Goebbels Aufwertung von Strauss und seiner Musik zu einer Art Staatskunst – Nach den Verwüstungen der »Reichs-kristallnacht« und dem Einmarsch in Österreich massive Bedrohungen für die jüdische Familie Grab; im letzten Moment Organisation der Flucht von Alices Mutter in die Schweiz; Emigration anderer Familien-

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20 Zeittafel

mitglieder, v. a. in die USA; 1941 Tod der nach Lodz deportierten Elly Grab (einer Tante von Alice); Konfiszierung des Grabschen Vermögens

1940 UA Guntram op. 25 (2. Fassung) in Weimar1942 UA Capriccio op. 85 in München; Wiener Beethoven-Preis; Selbstmord

Stefan Zweigs in Brasilien1943 UA Zweites Hornkonzert in Salzburg – Kurzfristige Internierung von

Sohn und Schwiegertochter in Wien (beendet durch Intervention Baldur von Schirachs); Scheitern des spektakulären Versuchs, die in Theresien-stadt inhaftierte Großmutter Alices durch persönliche Anwesenheit frei-zubekommen

1944 Halböffentliche Generalprobe Die Liebe der Danae op. 83 in Salzburg un-ter Aufhebung des Theaterverbots (UA: ebd. 1952); UA Sonatine Aus der Werkstatt eines Invaliden in Dresden; Strauss-Wochen in Wien und Dresden zum 80. Geburtstag; durch erneutes Abfangen eines regimekri-tischen Briefes in Garmisch Erklärung zur unerwünschten Person im NS-Staat; Verlust aller Privilegien, Auflösung der Villa in Wien

1945 Unmittelbar nach Kriegsende Übersiedlung in die Schweiz (unter Mithil-fe von Willi Schuh, 1900–1986), zunächst nach Baden bei Zürich, dann (nach einem Zerwürfnis mit dem Hotelier des dortigen Hotels Verena­hof ) nach Montreux (Hotel Palace; Denkmal)

1946 UA Metamorphosen in Zürich; UA Zweite Sonatine in Winterthur; UA Oboenkonzert in Zürich; Operation in Lausanne

1947 UA Symphonische Fantasie aus Die Frau ohne Schatten in Wien; am 31. Januar Erteilung der österreichischen Staatsbürgerschaft; am 7. Juni Abschluss des Entnazifizierungsverfahrens in Garmisch (»nicht betrof-fen«); bei einer von Montreux aus angetretenen England-Reise nochmals Auftritt als Dirigent

1948 UA Duett­Concertino in Lugano; Aberkennung der Ehrenmitgliedschaft der IGNM (verliehen 1923)

1949 UA Symphonisches Fragment aus Josephs Legende in Cincinnati; im Mai Rückkehr von Montreux nach Garmisch; Ehrung durch die Staatsregie-rung des neu gegründeten Freistaates Bayern, Ehrenbürger von Garmisch und Bayreuth; Ehrenpromotion durch die Philosophische Fakultät der Universität München; am 13. Juli letztes öffentliches Dirigat im Münch-ner Prinzregententheater; am 8. September Tod in Garmisch; Beiset-zungsfeierlichkeiten in München (unter der musikalischen Leitung von Georg Solti, 1912–1997), Bestattung der Urne auf dem Garmischer Fried-hof erst Jahrzehnte später

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1. Strauss-Bilder 21

I Strauss und die Moderne

1. Strauss-Bilder

Vielen seiner Zeitgenossen mag Strauss als Glückskind erschienen sein: begünstigt durch ein ebenso musikalisches wie begütertes El-ternhaus, beschenkt mit einer anscheinend keinerlei Begrenzungen unterliegenden Begabung, in jungen Jahren schon verwöhnt durch spektakuläre Erfolge – und bereits als Dreißigjähriger am Ende aller Möglichkeiten dessen angelangt, was die äußeren Karrieremuster für einen Musiker seines Schlages überhaupt bereitzuhalten vermoch-ten. Damit verband sich ein erstaunliches, durch die einzige schwere gesundheitliche Krise seines Lebens, die Lungen- und Rippenfell-entzündung 1891/92, nicht beeinträchtigtes kompositorisches Lei-stungsvermögen, gepaart mit einem Selbstbewusstsein, das sich vor allem in einer regelrechten kompositorischen Rücksichtslosigkeit zu erkennen gab. Strauss war sowohl in seinem Gestaltungswillen als auch in den daraus hervorgehenden technischen Anforderungen an die Musiker zu nie nachlassender Kompromisslosigkeit aufgelegt, was ihm bereits in den Tondichtungen den Ruf eingetragen hat, ein genuiner Vertreter der ›Moderne‹ zu sein. Mit der Wendung zu den Bühnenwerken hat sich dieser Habitus nochmals verfestigt, auch, weil von Beginn an (zumindest ab der Feuersnot, 1901) Konflikte mit der Zensur nicht nur unausweichlich waren, sondern im Grunde ge-sucht wurden. Salome (1905) und Elektra (1909) galten daher nicht allein dem Publikum als schockierend, sie fanden überdies die Miss-billigung seines obersten Dienstherrn. Kaiser Wilhelm II. distan-zierte sich wahrnehmbar von seinem Hofkapellmeister, ein uner-hörter Vorgang, der dennoch keine Konsequenzen für das Dienst-verhältnis heraufbeschwor, ungeachtet der hohen Gagen für Strauss und der immer nonchalanter betriebenen Dehnung seiner Vertrags-pflichten. Zur Bedingungslosigkeit seines Schaffens gehörten aber auch jene Herausforderungen, die sich, und hier beginnend mit dem Guntram (1894), allen stellten, die mit seinen Werken zu tun hatten: den beispiellos geforderten Sängern, den zu riesenhaften Formatio-nen gefügten Orchestermusikern, den Dirigenten, den Regisseuren,

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22 I Strauss und die Moderne

den Bühnenbildnern – und nicht zuletzt den Zuschauern und Zuhö-rern. Innerhalb weniger Jahre war Strauss nicht nur zum berühm-testen und bestbezahlten, sondern zugleich zum umstrittensten deutschen Komponisten der Gegenwart geworden, dessen Salome schließlich eine von Felix Draeseke mit seiner 1906 publizierten Po-lemik über Konfusion in der Musik eingeleitete publizistische Kon-troverse ungekannten Ausmaßes ausgelöst hat.1

Diese zwiespältige öffentliche Wahrnehmung zeitigte eine eigen-artige Konsequenz. Strauss erregte um 1900 nicht nur Aufmerksam-keit in Artikeln und Pamphleten, er wurde zu jenem Komponisten, über den am meisten publiziert wurde und der auch das Interesse der zeitgenössischen Musikwissenschaft auf sich zog. 1896 erschien eine erste Monographie in Prag, zwei Jahre später eine weitere auf Nieder-ländisch, dann eine französische, darauf ein amerikanischer Sam-melband, 1908 zudem ein englischer Titel des späteren Wagner-Bio-graphen Ernest Newman.2 Neben zahlreichen Aufsätzen, die einzel-nen Werken gewidmet sind, wurde um 1900 gleich eine ganze Serie von zum Teil umfangreichen Strauss-Büchern in deutscher Sprache veröffentlicht, mit Gustav Brecher, Rudolf Batka und Max Steinitzer an der Spitze.3 1911, im Jahr der Uraufführung des Rosenkavalier, er-

1 Felix Draeseke, Die Konfusion in der Musik. Ein Mahnruf, Stuttgart 1906; vgl. die Dokumente bei Susanne Shigihara (Hrsg.), ›Die Konfusion in der Musik‹. Felix Draesekes Kampfschrift von 1906 und ihre Folgen, Bonn 1990 (Veröf-fentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft, 4).

2 Arthur Seidl / Wilhelm Klatte, Richard Strauss. Eine Charakterskizze, Prag 1896; Wouter Hutschenruyter, Richard Strauss, Haarlem 1898. (Mannen en vrouwen van beteekenis in onze dagen, 29,5); G[ustave] Jorissenne, Richard Strauss. Essai critique et biologique, Brüssel 1899 (zuvor in Revue de Belgique 30 (1898), S. 55–72, 173–182 und 301–319); James Huneker, Mezzotints in Mod­ern Music. Brahms, Tschaikowsky, Chopin, Richard Strauss, Liszt and Wagner, New York 1899, S. 141 ff.; Ernest Newman [eig. William Roberts], Richard Strauss. With a Personal Note by Alfred Kalisch, London 1908 (Living Masters of Music, 8).

3 Gustav Brecher, Richard Strauss. Eine monographische Skizze, Leipzig o. J. [1901]. (Moderne Musiker.); Erich Urban, Richard Strauss, Berlin 1901 (Mo-derne Essays zur Kunst und Literatur, 4); Rudolf Batka, Richard Strauss, Leip-zig 1908 (Persönlichkeiten, 16); Max Steinitzer, Richard Strauss. Biographie,

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Richard Strauss um 1895FotografieStrauss hat sich um die Mitte der 1890er Jahre bei den renommierten Münchner Hof-fotografen Lützel porträtieren lassen. Die Brüder Lützel hatten ihr Geschäft ab ca. 1892 in der Maffeistraße, also im eleganten Zentrum der Residenzstadt. Strauss wurde 1894 zum Königlichen Kapellmeister bestallt, und die Aufnahme ist in diesem Zusammen-hang zu sehen. Auf ihr ist dennoch kein arrivierter Künstler abgebildet, auch fehlen alle Hinweise auf eine musikalische Tätigkeit. Strauss zeigt sich als junger, eleganter, fast bohemehafter Mann, den man nicht in einem Hofamt, sondern in der jungen Kunst- und Literaturszene der Stadt vermuten würde.

wegen überlaufender fußnote Textrahmen auf Seite 23 minimiert

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24 I Strauss und die Moderne

schien ein erstes, vom Musikschriftsteller Richard Specht (1870–1932) herausgegebenes Werkverzeichnis, und dasjenige, das der Konservatoriumslehrer Max Steinitzer (1864–1936) gleichzeitig als Grundlage seiner mehrere Auflagen erlebenden Biographie verwen-dete, ist deswegen von Bedeutung, weil ihm Kompositionen zur Verfügung standen, deren Verbleib bis heute ungewiss ist. Der Mu-sikkritiker Oskar Bie (1864–1938), selbst Autor zweier Bände der von Strauss begründeten Reihe Die Musik, brachte das Pro blem auf den Punkt. Erprobt in kulturgeschichtlichen Betrachtungsweisen ordne-te er in einem Buch von 1906 die Dinge auf ungewohnte, aber erhel-lende Weise: Die moderne Musik und Richard Strauss. In einem fik-tiven Brief sah er die weiten Verzweigungen der gegenwärtigen europäischen Musik kulminieren in dessen Schaffen: »Strauß ent-wickelt in äußerster Konsequenz die wesentlichen Qualitäten un-serer neuen Musik, die sich von der architektonischen des klassi-schen Zeitalters immer mehr zu emanzipieren beginnt: die melodi-sche Harmonie.«4

Die Auflösung der Opposition von Melodie und Harmonie, ei-nes seit dem 18. Jahrhundert schwelenden, auch das 19. Jahrhun-dert prägenden, fundamentalen kompositorischen und ästheti-schen Konflikts (vereinfachend konzentriert auf die Frage, ob die Melodie der Harmonie voraus- oder aus ihr hervorgehe), schien dem Komponisten seinen Platz in der Gegenwart zu sichern. Dies war gepaart mit den äußeren Reizen wie den Dissonanzen, der Orchestersprache oder der bloßen Lautstärke. In seinem Gedicht »Zwei Künstlerinnen« parodierte Otto Julius Bierbaum (1865–1910) dieses unangefochten Zeitgemäße, wenn er die Kriegsgöttin Bellona sich gegen die sanfte Cäcilia mit einer martialischen, Strauss überbietenden Welteroberungs-Sinfonie zur Wehr setzen lässt:

Berlin 1911; Richard Specht, Vollständiges Verzeichnis der im Druck erschiene­nen Werke von Richard Strauss. Mit Portrait und biographischen Daten sowie einer Einführung, Wien o. J. [1911].

4 Oskar Bie, Die moderne Musik und Richard Strauss. Mit acht Bildnissen und sieben Notenbeilagen, Berlin o. J. [1906], S. 72.

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1. Strauss-Bilder 25

Bellona zog die Stirne kraus Und murmelte verdrießlich: So eine kleine Sinfonie Kann schließlich Auch Doktor Richard Strauß. Ich brauch noch viel mehr Blech und Krach, Bei dem Gewimmer wird mir schwach; Oh, hätt ich Massen, Massen, Mein ganzes Seelenungestüm In einem Fugenungetüm Gewaltig loszulassen.5

Bierbaum, der große Ironiker des Fin de siècle, war es auch, der in sei-ner Parodie eines Berliner Salon-Gesprächs zu Protokoll gab, der Komponist, der »Conquistadore der Musik« sei unterdessen zu einer öffentlichen Person sui generis, zu einem Tagesthema des Bildungs-bürgertums geworden:

Bismarck, Harden, Stinde, Goethe, Wagner, Bungert, Dahn, Homer, Fledermaus und Zauberflöte, Ludolf Waldmann, Meyerbeer; China, Japan, Böcklin, Thumann, Thoma, Werner, Stuck und Knaus, Johann, Eduard, Richard Strauß, Kaiser Wilhelm, Robert Schumann… Mahlzeit! Mahlzeit!! Laßts mi aus!!!6

Strauss galt folglich nicht allein als Vertreter der Moderne, sondern, wie Bie es nahegelegt hat, als deren eigentlicher Motor, weit über den

5 Otto Julius Bierbaum, »Zwei Künstlerinnen«, in: O. J. B.: Gesammelte Werke in zehn Bänden, hrsg. von Michael Georg Conrad und Hans Brandenburg. Bd. 1: Gedichte, München 1921, S. 235–239, hier S. 236.

6 Otto Julius Bierbaum, »Ein Löffel Suppe (Berliner Erinnerung)«, in: ebd., S. 411 f. Das Wort des »Conquistadore« bei Specht, Verzeichnis (wie Anm. 3), S. 4.