Luhmann, Niklas - Frauen, Männer und George Spencer Brown

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46 Zeitschrift furSoziologic, J g. 17,Heft I, Februnr 1988,S, 34-46

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Frauen, Manner und George Spencer Brown

Niklas Luhmann

Fakultat fur Soziologie, Universitat Bielefeld, Postfach 8640,0·4800 Bielefeld I

Zusammenfassung: Frauenforschung mu B ihren Gcgenstand mit Hil fe e iner Unter sche idung bezeichnen, narn-

lich der Untcrscheidung vonFrauen und Mannern. Sie braucht also theoretische Konzeptionen, die mit Unterschei-

dungen anfangen. Bis heutc hat s ic j edoch keinen Zugang zu derjenigcu Logik gefunden, die r ad ikal genau d ie se s

Anliegcn ver folgt - die Logik von George Spencer Brown, cine nic~tstat ioniire Logik fUr das Prozess ieren vonUnterscheidungen. Ocr Beitrag versucht nicht, diesen Calculus anzuwenden ..Er verfolgt einige Konsequenzen der

Weisung "draw a distinction!". Dabei werden zwei Beschrtinkungen entfaltet . Die erste betrifft die Willkur der Wahlder Unterscheidung, mit der man anfangr. Warurn gerade Frauen/Manner undnicht, zum Beispiel, wahr/unwahr? Dies

Problem wird gelost durch die Anweisung, den/die Beobachicr/inzu beobachtcn, der/dlemitseiner/ihrer Unterschei-

dung arbeitet. Die zweite Beschrankung bezieht s ich auf gesellschaf tl iche und his torische Bedingungen f iir denGebrauch von Unterschcidungen zur Herstellung von Anschlullfdhlgkeit: In dern Mal le , a ls die Gesellschaft die Form

ihrer primaren Dil fe rcnz ie rung ander t und von s tr at if ikator is cher zu funkt iona le r Dif fe rcnz ie rung ube rgeh t, kann dieUnterscheidung von Mann ern und Frauen nicht rnehr in e inern asymmet ri schen S innebenu tz t werden, urn den

Mannern die Funktion der Reprtisentation desSystems im System zu geben. Die entsprechende Semantik muB ersetzt

werden durch cine Sernantik der Gleichheit, Das bcdeutet, daB das Paradox, daf ein System in sich selbst nochrnals

vorkommt, ersetzt worden muB durch das Paradox der Ununterscheidbarkeit des Unterschiedenen. DerBeitragerortert einige Konsequenzen dieser Verandcrung der Paradoxic und ihrer Auf lo sung fur die Frauenbewegung.

I . 1969). Die Rezension gibt im i ihrigen Blackwell als

Verlag an. Andere Angaben deuten auf Allen &

Unwin hin. Hat man das Buch in derHand, dann

sieht man: Die Logik Spencer Browns ist in einer

bezaubernden Weise einfach und kompliziert, ele-

gant und verschachtelt und damit zuganglich wie

ein Labyr inth mit nur einern deutl ichmarkier ten

Eingang. Offensichtl ich hat all dies verhinder t, daB

die FrauenforschungZugang zu der jenigen Logik

gefunden hat, die ihrer Struktur nach eine maskuli-ne Logik und deshalb abzulehnen ist,

Nur Spencer Brown selbsthat die volle Tragweite

seines Ansatzes begriffen und dem Therna Frau

durch eine zweite PublikationRechnung getragen.

Diese Publ ikat ion i st unterelnernPseudonym er-

schienen, das wiederum nur den "Schliissel", aber

nichts.weiter in dieHandgibt(Keys1971). Sie ist

durch ein vermutlich absichtsvoll herbeigeftihrtesver legerisches MiBgeschick. so gut wie unerreich-

bar. Wie es der Zufall will, hat mirein Glucksfall

aus AniaB einer Tagung uberHexen und ahnliches

in Trier eine Copie indie Hande gespielt:" Erst mit

Zugang zu dieserPublikation erschliellt sich die

Moglichkeit einer feminist ischdistanzier ten Lektu-

Unbestreitbar ist das, was sich inletzter Zeit als

.Frauenforschung" zu etablieren beginnt, durche in ungewohnlich hohes MaB an Selbs tref erenz

ausgezeichne t. Die log ischen Grundlagen d ies er

Struktur s ind jedoch ungeklart geblieben, und das

hat wei treichende pr ak ti sche Folgen f li r .Ansehen

und Durchsetzungsvermogen dieser neuartigen

Forscbungsabsichten,

Der Grund fur diesen Mifistand liegt,wie im fol-

genden gezeigt werden 5 0 1 1 , in einer Reihe von

wissenschaftsgeschichtlichen, und der Verdacht

kommt auf: wissenschaftstypischen Zufallen, de-

ren Hiiufungund Ineinandergreifen man fast als

Absicht auf fassen konnte. Das fur diese Fragen

entscheidende Werk von George Spencer Brown

(1969/1971)· ist nahezu unbekannt geblieben. Wie

man hort, ist derAutor ein Logiker, Segelflieger

und Sportreporter. Ein renomrnierter deutscher

Verlag hat sich mangels Empfehlung durch Phi-

losophen nicht zur Ubersetzung seines Buches ent-

schlieBen konnen, In den Universitatsbibliotheken

sucht man den grundlegenden Text, obwohl vor-

handen, vergeblich, weil Spencer Brown es ver-

meidet, seinen Namen durch einen Bindestrich zu

verbinden und damit erreicht, daf seine Publika- I So auch im.Cumulative Book Index 1969 und, trotz

t ion unzut re ffend unter dem Allenvel tsnamen meinesHinweise s, inder Univer si ra rsbibl io thek Biele-

Brown gef iihr t wird. IDie wichtigste Rezension .ist feld.

in einemGrolihandelskatalog f iir rnoglicherweise \zIch danke Herrn Hans-Peter Meyer f tirdie Anfer tigung

unverkaufliche Waren erschienen (von Foerster \ einer Photokopie,.. ~

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Zei tsch ri ft Iur Soz io logie, Jg. 17, Hef t 1 ,Feb ruar 1988, S . 47-71

re derLogikvonSpencer Brown, d ie ihre rs ei ts nur

eine.Protologik. mit deutlichen - aber gekappten

(vgl. Varela 1975) - selbs treferentiel len Beziigen

i st , Dies e Unkenntn is und das Feh len e iner Meta-

protolo i' fu r Frauen fo r schung hat fatale ~

ur a s, was wir eingangs a ls ungewohnliches Aus-

maB an Selbstreferenz der Frauenforschung ausge-

macht ha tt en , Sie wird zu schne ll in Akt ion umge-

setzt. Dies ist ein seit langem bekannter, (Hoff-

mann, o. 1.: 197) heute aber etwas '[alrrnodischl

wirkender Ausweg aus Reflexionsverlegenheiten.

Er kar in mit hoch entwickeltem Sinn fiir Symbolikp r ak t iz i er t w e r de n . So w er de n a n m ei ne r F ak ult at

die Namenschilder an Turen zu Dienstzimrnern

geloscht, wennsich d er I nh a be r des Namens un d

ZimmersinPriifungenvon Feministinnen als un-

eingestimmt erweist . Auch haben engagierte Frau-

en eine Fakult~t~konferenz meiner Fakultat tiber-

fallen, urn .dasphysische Substrat f iir Abstimmun-

gen zu zerstoren, und zwar so schnell, zwischen

Angriff und Zugriff nur wenige Sekunden, daB gar

keine Zeit blieb f tlr Ref lexion. Solche handgreif li-

chen Auswege haben jedoch den Nachtei l s chwer

repetierbar zu seintSie lassen sich nicht auf Dauer

stel len, wei l s ie zura sch anNovi ti it und In ter es se

verlieren1uch konnen Frauen, modebewulit,

heute nieht mehr gut in den his torischen Kostumender Studentenrevolution·. auftreten. Nicht zuletzt

ware zu bedenken, dafl der "Geist der Tat" eherein Reflexionswert derCfrl) zu sein scheint und

daf weder.die Erfolge dieser Reflexion noch die

Nahe zuihrsich der Frauenforschung vorbehalts-

los empfehlen la ss en. lmmerh in : d ie Manne r, d ie

meinen, s ie hii tten,was Frauen betriff t, schon alles

gesehen, werden heute eines Besseren belehrt,

Neben diesen .aufdringlichen Aktivitaten, deren

Zeit bereits zu Ende geht, hat sich Frauenfor-

schungIn einern fachlich ernst zu nehmenden,

methodisch kontrollierten, theoretisch und empiri-

schen Sinne \tisher nicht ausdifferenzieren konneq,.}

Es f eh ltnich t an Publ ikat ionen i iber Fr auen und an

Hinweisen auf die Risiken, Gefi ih rdungen und Be-

nachteiligungenihresDaseins ;Was aber als spezi-

fisch darauf gerichtete Forschung angeboten wird,

wirkt eher.wie jaywalking auf gefahrlichem Gelan-

de. In dieser Situation durfte s ich ein s tarker s truk-

tur bewuBtes Vorgehen empfehlen , das zunachst

e inma l die Frage zu kliiren harte, in welchern Sinne

d ie Unte rs cheidungvon Mannern und Frauen (=

Frauen und Mannern?) iiberhaupt eine Theoriebil-

II dung steuern kann. Es ginge dabei urn di elogi-

schen Grundlagen der Frauenforsehung und zu-

gleich urn ihre ideologische und empir ische Veror -

tung in de r modernen Gese ll seha fL Es i st d ie The-

se derfolgendenUberlegungen, daf die Logik, die

I deolog ieabhangigkei t und die fakt ischen Bedin-

gungen der Fr auenforschung in ein und demselben

Uberlegungsgang geklart werden konnen.

II.F rauenfors chung muB die Diff erenz von Mann und

Frau (urn es in der herkommlichen Reihenfolge zu

sagen) zugrundelegen konnen . I hre Theoriemog-

l ichkei ten hangen davon ab, wie d ie se \Di ffe renzl

gefaBt, wie s ie in die Form einer [Unterscheidung Igebracht wird. Einrnal abgesehen von allen natura-

l en Unte rs cheidungen, d ie davon ausgehen , daB es

eine entsprechende Differenz gibt, und die damit

immer schon recht viel Festlegung un besehen in

die Theorie i ibernehmen (man muBte dann nach-

fassen und fragen, was Manner bzw Frauen eigent-

lichsind); eroffnetdieLoglk von Spencer Brown

den Zugang zur Fors chung mi t e iner Anweisung :

draw a dist inct ion! Tr ef fe cine Unte rsche idungl

Wer kommandiert hier? Ein Mann? Und was ge-

schieht? Die Einfi ih rung e iner Unter sche idung i st

zunachst einmal die Einfuhrung einer Form. Eine

Form ist d ie Unters cheidung eine r Innense it e (des

Unte rs ch iedenen) von eine r Aullense it e (des Son-

st igen). Also i st d ie E inf iihrung jeder Unte rs chei -

dungselbst schon eine Unterschei dung. Und wer

unterscheidet diese Unterscheidung? Alles Begin-

nen beginnt mit Schonbegonnenhaben, also mit

eine r Paradoxie (Glanvi ll eNare la 1981). Spence r

Brown zeigt jedoch,daB dies die Entwieklung

eines Kalkiils nicht behindert und spater, wenn der

Kalkiil komplex genug ist , bereinigt werden kann.

Gleichviel : ohne Aus fuhrung dies er Anweisung i st

keine Beobachtung mdgl ich. Beobachtung (ein-

schliel ll ich Selbstbeobachtung, zum Beispiel der

Frau als Frau) IiiBtsich geradezu definieren als

Gewinnung urid Transformation von Information

mit Hilfe ei ner Unterscheidung, Es muB mit Hilfe

einer Unterscheidung feststellbar sein, was durche ine I nf ormat ion ' ausgeschlos sen wird , und im FaI-

le des Frauseins istdies verstandlicherweise dasMannsein .:' .

3 Selbstverstandlich gilt dies auch dann, wenn ein sekun-

dares Interesseaufkornmt, die Unterscheidung wiederzu verwischen c ider unkennt li ch zu machen. Ode r wenn

man fur bes timrnte Opera tionen e inen Rejek tionswer t

im Sinne VOll Got tha rd Gun th er b en ot ig t, der di e Un-

terscheidung, ohne das Unterschiedene sclbst aufzuhe-

be n, fUr den Moment neutrulisiert. VgL Gunther (1976

und 1976a).

Niklas Luhmann : F rauen, Manne r un d George Spencer Brown 49

Nun ist j edoch gar n icht ohne wei tere s e rs ich tl ich,

was damit gewonnen oder auch verspielt sein

konnte, wenn man die Informationsgewinnung

und Verarbei tung mit einer Unterscheidung be-

ginnt - etwa der von Mann und Frau oder irgendei-

ner anderen. Es ist an dieser Stelle, daf Spencer

Brown die entscheidende Einsieht Iiefert, Spencer

.. Brown faBt in einem Operator zwei verschiede-

ne Funktionen zusammen, namlich das Unter-

sche iden und das Bezeichnen (di st inct ion. ind ica-

t ion) . Eine Unterscheidung al s solche is t dann

gleichsam unvolls tandig, operativ imperfekt, wenn

sie nicht zugleich die eine Seite , die unterschieden

wird, bezeichnet. Das Bezeichnen hat demnach

nur im Rahmen einer Unterscheidung Sinn, wah-

trend diese nur den S inn haben kann, eine Bezeich-

nung vorzube re it en . Die ander e Sei te wi rd zugang-

l ich gehal ten , s ie i st durch e in "c ross ing" e rre ich-

bar. Das gilt aber, wie leicht zu sehen, nur auf-

g rund de r in der Ausgangsope rat ion ber ei ts ange-

leg ten Asymmet ri e. Die Asymmetric drtickt sich

sodann in den beiden f undamenta len Axiomen aus

(und we itere s ind n ieht not ig ), Die Wiederholung

der Operation kondensiert das Bezeichnete, fugt

aber nichts hinzu (The value of the call made again

is the value of the call). Fiir die Wiederhol ung des

cross ing gil t das Gegenteil (The val ue of the cros-

sing made again is not the value of the crossing).

Es kommt zu einer Formanreicherung, zur Refle-

x ion anhand der Gr enze, s ch li el ll ich zum re -ent ry1 der Unterscheidung in den Raum, in dem sie etwas

unterscheidet.

DaB es nur diese eine Grundoperation gibt, hat

auch zur Folge, daB sie Geschichte macht. Sie

kann, einmal gesetzt, nicht wieder ausgeloscht

werden, denn dafi ir s teh t keine eigene Opera tion

zur Verfugung. Es gibt keinen Weg zuriick zum

"unmarked space". Der Anfang ist fatal. Wenn

man e twas ande rn wil l, dann nur mi t Opera tionen,

d ie immer schon Unter scheidungen und Beze ich-

nungen, Trennungen und Asymmetrisierungen in

einem lei st en. Deshalb t re ten auch d ie Fo lgepro-

b leme im Systernaufbau tempora li si ert auf . Es gibt

zum Beisp ie l kein gleichze it iges Ja und Nein , a lso

keine Wide rspruche, sonde rn nur. e in Osz il li eren

zwischen beiden Moglichkeiten, was dann aller-

dings einem Beobachter, der von Zeitverhaltnissen

im System abstrahiert .Ials Widerspruch erscheinen

mag. Also ist die Frage, mit welcher Unterschei-

dung (etwa der von Mann und Frau?) man an-

fangt, rat ional unentscheidbar, aber folgenreich.

Wir werden den 50 gebildeten Kalkiil nicht weiter

verfolgen, sondern nur einige Implikationen des

Ansatzes klarstelIen:

Unters cheidungen konnen sich nieh t s elbs t un te r-

scheiden. Immerhin kann ein Beobachter Unter -

scheidungen unterscheiden, zum Beispiel danach,

ob sie mit Hilfe des Zusatzaxioms des ausgeschlos-

senen Dritten einUniversum konst ru ie ren oder ob

s ie a ls b loBe Duale fung ie ren . Die ers tgenannten

Moglichke it en konnte man auch total isi erende Un-

ters che idungen nennen. Die klassische (heute um-

str it tene) Logik . is t der vielleicht beruhmteste Fall.

Sie hat zu Paradoxien gefiihrt, die man ausklam-

mern muSte; und sch li el il ich zu e inem " re- en try"

der Unterscheidung in das durch sie Unterschiede-

ne, so daB man als wahr nur noch akzeptiert, was

"wahr und nieht unwahr" ist . Ist die Unterschei-

dung von Frauen und Manne rn al s total isi erende

Unterscheidung geme in t, und wenn ja, wie werden

die dann falligen Zusatzbestimmungen gehand-

habt? Oder ist diese Frage schon die Falle, die eine

mannliche Logik aufs tel lt , u rn Frauenforschung

schon vom Ansatz her auf eine abschussige Bahn

zu bringen?

Unterscheidungen werdenjarbitrar !getrof fen. Das

heiBt aber n ich ts wei te r, a ls daB sie n icht beobach-

tungsunabhangig gegeben sind. Si e er geben s ich

nicht aus der Sache selbst, im Falle von Mannern

und Frauen zum Beispiel nicht auseinern anthro-polog ischen Grundtatbestand. S ie sind Konst ruk-

tionen einer Realitat, die auch auf ganz andere

Weis e im Ausgangvon ganz andereri Unterschei-

dungen konst ruiertwerden konnte. Das schlieBt

n icht aus, dal iihreBenutzung (wiee in Beobachter

sehen kann) motiviert i st und begri inde t werden

kann; und selbst verstandlich bleiben jederzeit

.Postrationalis ierungen" (Glanville 1984) moglich,

Desha lb lau te t die Ausgangsanwe isung mi t Rech t

treffe eine Unterscheidung (sonst lauft gar niehts) .

Aber ist schon das die Faile? Und sollte man

folgI ich den Frauen raten: treffe keine Unterschei-

dung?

Schl iel ll ich i st zu beachten , daB ansch luBf iihige

Unte rs cheidungen e ine (wie immer minima le, wie

immer rever sible) Asymmetri si er ung e rfo rdern .

Die e ine (und nicht dieandere) Seite wird bezeich-

net. Es liegt auf der Hand, daB dieUnterscheidung

zugleich Anfang undEnde des Operierens ware,

wenn sie keine Bezeichnung mit sich ftihrte. Man

hatte dann keinen Anhaltspunkt dafiir, auf wel-

cher Seite die Operation fortgesetzt werden konn-

te (und sei es als cross ing) . Die Maschine bliebe

stehen. Wie in der aristotelischen Physik das

Gleiehgewieht ein defizienter Zustand ist, weil er

die Bewegung hindert, i hrennatiirliehen Ort auf-

zusuchen, so ist auch die reine Unterscheidung

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50 Zeitschrift fur Soziologic, J g.17,Heft 1,Februar 1988, S. 47-71

unschlussig, Mank6nntezwar einwenden, daB die

Wahl der Bezeichnungder(Situation iiber lassen

bleibenkonnte-nUllderMann, mal die Frau -

nachMaBgabe·· einerJaireri Gleichberechtigung

us\v:Abei das ware auf dieser Ebene des Theorie-

aufbauseinTrugschluB; denn darnit ware die Ord-

nungderSi tua tionen de r Logik i iber geordnet , si e

wiirdedieOperationen beherrschen, man hatte in

Wahrheireine Hierarchie, in der die Operation

nurrioch ausft ihrt , was die Situation ver langt (und

als Soziologe konnte man hinzuf iigen : man ' we iB ,

daB das mi t Machtver ha ltni ss en, Sch ichtung usw.korreliert) .

So also nicht! Anscheinend gibt es Griinde, Unter -

scheidungennichr v61lig seitenneutral z u h an dh a-

Iben , sonder n durch eine leich telPr ii fe renz t ru r d ie

e ine Sei te zu mark ier en . Man denke an beri ihmte

Hille wie: Subjekt/Objekf, F igur /Grund, Zeichen/

Beze ichne te s, Tex t/Kontex t, System/Umwelt ,

Her r/Knech t. Dami t wird weder bestritten, daB

je de Se ite nu r in bezug auf die andere Simi. hat,

noch daB jederzeit ein hlbergang von der.einen.zur

anderen Seitem6giich 1St.Es muB aber verhinder t

werden, daB die Operation inelner Unentscheid-

barkeit steckenbleibtwie Buridans Esel zwischen

den Heuhaufen; un d es muB auch verbinder t wer-

den, daB alleindie Situation den Ausweg angibt

unddamitsich der Struktur uberordnet, weil dannkeine Erwar tungen mehr gebildet werden konnen.

~s kon~ te a lso seinen berechtigten Grund haben , I, ( e rn e, I ei ch te Asyrnmetrisierung als+Perfektions-

merkma l in d ie .Grundoper at ion e inzubauen . Wir

vermuten: bereits darinsteckt die Entscheidung

dieser Logik fur den Mann. Aber ist sie zu ver-meiden?

m.

Mit dieserFrage verlassen wir Spencer Brown,denn es geh t j etzt u rn e ine inhal tl iche In te rpre ta -

tion des KaIkiils, eine semantische, wenn nicht

soziologische Klarung des Sinns einer Asymmetri-

s ierung, dieschon in die Eingangsoperation unauf-

hebbar eingebaut ist.

Zl iges tanden ,j a beton t wiid von Soziolooen n ich t•.. 0

selteu, daB dIe Typenbeschreibung bzw. die Klass i-

f ikaticin von Menschen als M1innern bzw. Frauen

einen sozialenDef init ionsprozeB voraussetzt und

von ihm abhangt. (Tyrell 1986) Es geht danach

letzt li chum Mannsb ilde r und Weibsb ilde r. Dann

wird sich eln empir isch orientier ter Soziologe aber

noch leicht wunde rn rmiss en , daB die Klassi fika-

t ion in so hohem Mal le fakt isch zut ri fft , das he ifi t:

mit biologischen Merkrnalen ubereinstimmt - so

a ls ob d ie Gesel ls chaft doch er st e inmal nachsieh t,

bevor sie jemanden als Mann bzw. als Frau klassi-

fiziert.Auch muf man das linguis tische Mater ial,

aus dem solche Vorstel lungen oft abgezogen wer-

den, als hochgradig unzuverlassig ansehen." Si-

cher, und auch gegen Nachforschungen durch So-

ziologen gefeit, ist ja, daB nur wirkliche Frauen

Kinde r gebar en kormen, auch wenn die s i rgendei -

ne Ar t von Interven tion vorauss etzt . Das mag zware in AnIaB se in, noch nich t und n icht mehr gebar fa-

h ige Fr auen aus der Geschlecht sk la ss ifikat ion he r-

auszunehmen, s ie g leichsam zu neut ral is ier en .

Aber daraus konnte man kaum fo lger n, daB mann-

liche und weibliche Personen vor und nach der

Zeugungsf1ihigkeit durcbgehend verwechselt wer-

den. Es kommt auBerhalb dieses Bereichs eben

nur auf dieU nters cheidung nicht so sehr an.

Terminologisch sollte deshalb zwischen Klassifika-

t ion und Unterscheidungen sorgfaltig unterschie-

den werden , besonde rs wenn man he rausa rbei ten

wi ll , was denn , und warurn es, sozialer Variat ion

unterliegt. rNur die Unterscheidung Mann und

Frau i st kul turell variabel, nicht auch die Eigen-schaft , Mann bzw. Frau zu se in . Kla ss ifikat ionen

dienen nur der Befestigung von Unterscheidungen

am Objekt mit cler Folge, daB 'am Objekt dann

auch Unterscheidungen unterschieden werden

k on ne n. " F ii r das In te res se des Soziologen an Un -

terscheidungen ist aber nicht di e Gleichheit der

4 Im Schwyzerdiltsch beispielsweise werden Frauen,wenn ihr Name fttr vcrtrauten Urngang benutzt wird

(und das geht, wassoziale Beziehungen anlangt, weit

tiber Inrirnverhllltnisse hinaus), grammatisch mitsachli-chem Geschlecht bezeichnet: s 'Gritl i, s 'Hildi , Es ist

aber nicht.bekannt geworden, daB die Schweizer des-hulb be l derZeugung. von Nachwuchs besonder eSchwierigkeiten gehabt hatten.

5 In diesemZusammenhang wareesintercssant, zu wis-sen,ob irgendwelche Zusammenhiinge fcststellbar sind

zwischen denSaussure~ Vorlesungeit def 90erJahre, die

bereits differeit.ztheoretisch gearbCitet sind, und denwenig spilter publizierten Arbeiten von Durkheim und

Mauss tiber Klassifikation.

NiklasLuhmann: Frauen, Manner und George Spencer Brown 51

Ausgangspunkt," die ja nur heiBen kann , daB es

auf d ie Unters cheidung nicht ankomrnt , sonde rn

eine wi e immer I eich te und r eversible Asymme-

trie." Sieht man sich urn, gibt es in den Sozialwis-

senschaften wenig Angebote, die das erforderl iche

theoretische Niveau einhalten. Man findet aber

eine sehr gehaltvolle Interpretation, die zudem

den Vorteil hat, am Beispiel von Adam und Eva

illustrierbar zu sein. Ich rneine die "opposition

hierarchique", die Louis Dumont (1983: 210ff.

und passim) analysiert.

Man wurde das kompliziert e Verb ii ltni s a syrnme-

trischer Unterscheidungen zur Hierarchie verfeh-

l en , wenn man dabei nur an d ie e in fache Diffe renz

von oben und unten denkt und den Mann als den

Haushaltsvorstand, als den . Herrn derFrau an-

s ieht. Das ware trivial - weil ohne Schwier igkeiten

urnkehrbar. Man f indet zwar so1che Beschreibun-

gen in der alteuropaischen Haushaltslehre. Zu-

gleich nihmt sich aber die politische Theorie seit

Ar istoteles , . d ies e bar ba ri sche Anordnung t ibe r-

wunden zu haben ." Man kornmandiert d ie Frauen

(,Anders Hartmann Tyrell (Brief vorn 3. Apr il 1987) .

Tyrell weist mich auf die Bedeutung von Komplemen-

taritat hin. Zumindest log isch i st dies aber kein Primar-

begriff,sondern (ahnlich wie .W e ch se lw ir ku ng ") , e in

Bcgriff, del' eine Verdoppelung von Asyrnmetrien, also

hier so etwaswie soziale Rollcnteilung voraussetzt unddann die daraus zu gewinnende Ganzheit betont. Au-

I ie rd cm r ru lf it e K omp le m en ta rl ta t. v er ku rz t auf wech -

s e l se i t ig e Spez if lka tion von M e rk rn al en , z u cinern ho -

hen MaB an Systemgeschlosscnheit der Beziehungen

von Mann und Frau fuhren - ein in der modernenGescl ls chaf t s chwer vol lz iehbarcr Gedankc . Immerhin

ist derzeit theoretisch nochoffen, ob man mit Iogischenun d math er nat isc hen Anal ys en na chwei se n ka nn , da ll

K om pl em en ra ri ta t e in b es on de re r T yp us von Unter-scheidung isr. Siehe dazu Goguen/Varela (1979) - mit

besonderer Inspiration am Fall male/female (S. 40).

1So geschcn k6nnte man das Postulat der Gleichheit

auch als Paradoxic ansehen, namlich als Behauptung

ciner Unterscheidung, die keine ist, weil sic operativ

keine Folgen habcn dar f. . Dann haue man wiederurn

die Logik von.Spencer Brown zu konsultieren, bei der

cs sich urn eine nichtstationHre Logik de!' operativenBehandlung von Paradoxien handelt. Jed!! andere Ver·

s ion von "Glc ichhe it " muB sich d ie Frage gcfa ll en

lass en , weshalb und in wc lchen Hinsich ten sic sichselbst nicht ernst nimmt.

~ Vgl. Pol. 1252b 5 - die Frau mit dem ..animalischen" ,aber auch in der Grammatik verwendetcn, von sozialer

Ordnung noeh absehenden Ausdruck thelys bezeich·nend. Spiiter alsStandurdtopos der [(ommentnre: Inter

barbaros femina ct servos eundem habent ordinem.

nicht, man regiert sie "pol it isch", (Po l. 1259a,

40-1259b 1) das heillt: nach ihrem fre ien Wi ll en .

Wir wollen versuchen, dies in eine modernere

Begrifflichkeit zu iibersetzen.

Ausgangspunkt ist das Problem der asymrnetr is ier-

ten Unterscheidung, das Spencer Brown uns hin-

terliiBt. 9 Diese Struktur wird von Dumont unter

Bezeichnungen wie "opposition hierarchique"

oder "eng lobement du contraire" auf eine zugleichinterne und ex te rne Ref erenz bezogen: intern auf 1

das jeweils entgegengesetzte und extern auf das

Ganze, dem das, was dieUnterscheidung unter-

scbeidet, als Teil angehort. HI Entsprechend dieser

Doppelebene von Ganzem u n d . T ei le n kann man

zwei verschiedene Darstellungen ihres Zusarnmen-

hangs wahlen, Die erste nennen wir (nicht Du-

mont !) Emanat ion. Aus einer Einheit entsteht eine

Differenz, in der das, was die Einheit war, als

Gegenteil seines Gegenteils wiedervorkommt. Da-

fur gibt es haufenweise Belege. Die alte Gesell-

scha ft , d ie auf Fami li en aufbaut und aus Fami li en

besteht, entwickelt eine Dif ferenzierung von Fami-

lie und Korporation, in der die Familie nicht Kor-

poration ist (Durkheim 1 93 01 19 73 : 1ff.). Der heili-

ge Kosmos glieder t sich in eine Differenz, in der

das Heilige wiedervorkommt als Gegensatz zu

wel tl ichen Ange legenhei ten (Assmann 1984 : 9ff. ,

insbes. 13). Das Ich der Fichteschen Wissen-

schaftslehre projiziert ein Nicht -Ich , von dem es

sich dann zu unterscheiden .weiB (Fichte 17941

1962). Oder: Aus Adam entstehen durch einen

kle inen ope rat iven Eingri ff Adam und sein Ripp-

stuck, Adam und Eva. Dasjenige Moment, das die

Kontinuitat zurn Ursprung wahrt, hat dadurch of-

fenbar eine Art Vorrang. Es sichert, ohne fortan

das Ganze zu sein, die Systernatizitat der neuen

Struktur. Der .,englobement du contraire" wird

zur "opposition hierarchique" . Der hervorragende

Teil sichert, wenn man so sagen darf, der Unter-

scheidung eine sie uberformende Asymmetrie.

Darin besteht sein Wert. Abel' erst die moderne

'J Es ist unwahrscheinlich, daB Dumont, obwohl mit eng-

lischen Verhiiltnisscn vertraut, Spencer Brown kennt.

Er crwiihnt ihn jedenfalls nicht. Urn somehr bcsagt dicoffenbar zuffiUig cntstanderie AnschluBfiihigkcit als

Hinweis auf eine nicht bdiebig var iierbare Proble·

matik.

!IJ , .Hicrarchic" meint hier und im folgendcn also nicht

etwa: Machtiiberlegenhcit oder gar Befehlsberechti-gung, sondern immer: dic Zugeh6rigkeit von Teilen zu

einem Ganzen. die Ihnen ihre relative Eigenstiindig-keit erm6glicht.

5/17/2018 Luhmann, Niklas - Frauen, Männer und George Spencer Brown - slidepdf.com

http://slidepdf.com/reader/full/luhmann-niklas-frauen-maenner-und-george-spencer-brown 4/13

Zei tsch ri ft fur Soz io logie, Jg. 17, Hef t 1 ,Februa r 1988, S . 47-71 53i kl as Luhmann: Fr auen , Manne r u nd Geo rg e Sp en cer Br own

Ideologie wird, Dumont zufolge, " fait ( Ia syrnetr ie

presumee) et valeur (l'additif.asymetrique}" tren-

nen (Dumont 1983: 215f.). Eine genuin hierarchi-

sche Denkweise kann diese Trennung nieht volIzie-

hen . Fur s ie i st d ie se Asymmetri si er ung keine F ra -

ge derPraferenz oder der Wunschbarkeit 11, son-

demeineFrageder Reprasentation: der Repra-

sentationdesGanzen irn Ganzen, der Vergegen-

wartigungdes Unsichtbaren im Sichtbaren, des

Erscl1einens von Ordnung.

Daher ist die Asymmetrie durchaus inver tierbar.

Francois Loryot betont zum Bei spiel mit Nach-druck, daB es Frauen gibt, die manehe Manner an

Geist und Fahigkett ttbertreffen: Gott zeigt sich

nicht zuletzt darin, daB er aus Wenigem viel rna-

chen kann (Loryot 1614, Buch I, Abschnitt IX). Es

widersprich t der Asymmetri c auch n icht , wenn es

Si tuat ionen g ib t, in denen d ie F rauen den Vorr ang

vor Mannern haben oder in denen die weltliche

Palit ik wichtiger ist als das Heilige, Im Grenzfalle

kann. sich eine "hierarchie bidimensionelle" ent-

wickeln (Dumont 1983: 244). In die Sprache von

Spencer Brownriiekubersetzt: die Unterscheidung

i er rnog li ch t dadur cl r, daB sie d ie Bezeichnung er -

moglicht, auch das . "crossing" und damit erst die

Anreicherung, Allein hatte Adam sich im Paradies

schrecklich gelangwei lt .Obe r Eva bekam er dur chSunde Arbeit.Felix culpa.P

mannlich", 13 obwohl es doch leicht i st , d ie E rfah-

rung zu machen, daf Frauen sieh nieht irren

konnen .

nuB von Vorzugsposi tionen (f ru it io ) ein Moment

ihrer Rechtferrigung. 17

Entspreehend wurde der Frau die Spezialfunktion

zugewiesen, fu r das Geba ren von Nachwuchs, a lso

fur d ie Reprodukt ion der Menschhe it zustand ig zu

sein. DaB dies so ist, ist ja eigentlich auch unbe-

s treitbar , nicht jedoch sind es alle Konsequenzen,

die daraus gezogen wurden. Der Marchese Mal-

vezzi zum Beispiel folgert daraus, daB Manner

Frauen nattlrlicherweise im Hinblick auf diese

Funktion ansehen; urid er rat deshalb dem Ftir-

sten, keine Frauen in Audienz zu einpfangen, wei I

das zu MiBverst iindni ssen und Versuchungen An-

laB geben konnte (Malvezzi 1635 : 157ff.). Aber

ohnehin: Was hatten Frauen in der Audienz zu

suchen, wenn sie niehts anderes zu reprasentieren

haben al s ihre Fahigkeit Nachwuchs auf die Welt

zu bringen.

Erst mit dem Buchdruck und dem Urnbau der

Gesell schaft in Richtung auf eine prirnar funktio- ~

nale Di ffe renz ie rung wi rd d ie ser St ruk tu r a llmah-

l ich ihre Plaus ib il it1i t[entzogen .)John Donne ( ein

auch in vielen ande ren Hins iehten de r Frauenfor-

schung zu empfehlende r Autor) k lag t ber ei ts t iber

die Egozentrizit at der Manner - ii ber das Ausbre-

chen aus den Bedingungen, die sie uls Art zureprasentieren haben. 18 Seit dem 17. Jahrhundert

gib t es denn auch so e twas wie femini st is che Bewe-

gungen, denen Diskrepanzen zwischen Sachla-

gen und Wertungen auffallen." Selt der zwei ten

Ha lft e des 18. Jahrhunder ts kann man den Verlust

geht) . Wir ersparen uns Hinweise und Einzelanaly-

sen. Es kommt nur darauf an, daB in den vorneu-

zei tl ichen Gese ll schaften , d ie den Typus e iner pri -

mar segrnen ta ren Diffe renzierung ube rschri tt en

hat ten , e ine im System s ichtbar e Reprasen tat ion

vorausgese tz t werden konnte - se i es al s Zentrum

(etwa: Tempel, Palast, Stadt), sei es als Spitze der

Rangordnung. Fur diese Positionen gab es, auch

wenn sie offensichtlich Sonderposi tionen im Sy-

stem waren und gerade deshalb, keine Konkur-

renz. Undenkbar , daB die eigentl ichen Qualitaten

gesellschaftlichen Lebens durch die Bauern aufdern Land oder das Personal in der K i ic h e r ep ra -

sentiert werden konnten, und naturlich war die

gesamte Positionsrekrutierung bis hin zur Rekru-

tierung von Heiligen 15 darauf abgestellt.

Diese Ergebnisse lassen keine direkten Ruck-

schli isse auf Beziehungen zwischen Mann und Frau

zu, aber sie machen verstandlich, daf man ganz

allgemein von Reprasentationsasyrnmetrien ausge-

hen konnte, ja muBte. Die Gesellschaf tsstruktur

• legte durch ihren Differenzierungstypus fest, daB

• Ordnung nur 50 wahrgenomrnen werden konnte;

und das erklart auch, daB eine Differenzierung

zwi schen Seinsfakten und Werten dazu gar nicht

erforderlich war. Man konnte sehen, daB es so

war , und wer das Gegen te il b eh au pt et h ar te , ware

im Irrtum gewesen.

In dieser Ordnung war die Reprasentation Sache

I des Mannes 16 Entsprechend begunst ig ten das Tu-

gendschema und die Korperbeschreibung den

Mann, wenngleich sie natilrlich sowohl fur den

Mann als auch ftlr die Frau lobende und tadelnde

Worte, a lso e ine komple tt e Mora l bere ithiel ten.

Auch wurden Frauen dadurch benachteiligt, daB

s ich das Heldi sche in e inem Hang zur Gewal ts am-

keit und zur Korperverletzung prasentierte (im-

rnerhin: Judith!). Vor allem aber war in dieser

Semant ik , fu r uns kaum noch nachvollziehba r, Ge-

Wenn Hierarchie Ordnungsbedingung schlechthin

ist (weil Teile nur Teile eines Ganzen sein kon-

nen), kann es im Rahmen einer "opposition hi er-

archique" keine .freie" Anerkennung des anderen

a ls ande ren geben . Es g ib t nur d ie heiden Moglich-

keiten: die Anerkennung des anderen in seiner

durch die Zugehorigkeit zugewiesenen Stellung

(etwa: als Geschopf Gottes) oder die Anerken-

nung im Konflikt. 14 Auf der Basi s von Gle ichhe it

ware Anerkennung schlicht iiberfhissig - es sei

derm, daB man das Individuum ganz modern denkt

a ls ausges ta tt et mi t e iner n ontolog is chen Defekt ,

a ls innerl ich ane rkennungsbed ii rf tig, j a ane rken-

nungss ii ch tig, al s en tf remdet und ube rvortei lt , a ls

angewiesen auf.Kompensation,

Wir hal ten d ie se Gemei ri sa rnke it von Merkma len

der ."opposit ion hierarchique"· fes t als Anzeichen

eines Strukturgewinns , dasheiBt einer Einschran-

kung von Moglichkeiten. Die Hierarchiesemantik

geht tiber di e bloBe Grundoperation des unter-

scheidenden Beze ichnens h inaus und gib t ihr e inen

kontextabhangigen Sinn. Damit stehen wir aber

auch vor der Frage nach den sozia!s trukturellenBedingungen, unter denen d ies e Einschrankung

e in evo lu tionar er Er fa lg s ein konnte. Und spez ie ll

Ein von Dumont nicht eigens betonter Aspekt ist mochte man wissen: worauf stiitzt 5ieh eigentlich

dabei die Ininvertierbarkeit der Hierarchie (von die Annahrne, daB es innerhalb eines Ganzen Teile

demhier unvermeidlichen Bakhtin und seinen Ra- geben musse, die mehr als andere und mehr als '

belais-Analysen einmal abgesehen). Die Ininver - I ihre Gegenteile zur Reprasentation des Ganzen

tierbarkeit der Hierarchic schei nt die Vorausset- befahigt seien?

zung zu sein fi ir d ie Inver ti er bar ke it auf der Ebene

derUnterscheidung. Damit h angt z u sa r nmen , daB

die Reprasentatio-, nach Art einer EinbahnstraBe

angelegr ist. Si e vermittelt P o si ti on s st ar ke n , n ic h t

aber Posit ionsschwachen. So schlieBt zum Beispiel

niemand von .Jrren ist rnenschlich" auf .Jrren ist

Ist diese Frage einma! gestellt, dann fallt auf, daB

traditionelle Gesellschaf ten aufgrund ihres Diffe-

renzierungstypus tat sach li ch i iber Posi tionen mi t

konkurrenzf reien Moglichkeiten der Reprasenta-

tion verfugen konnten. Das galt bereits dann,

wenn sich e ine Diff erenz ie rung nach Zentr um und

Peripherie ausbildete, das galt fur sogenannte

"rank societies" .und das galt erst recht fur valls trat if iz ierte Gesellschaf tssysterne, in denen sozia-

l e Sch ichten mi t deu tl iehen Grenzen d ie pri rnar en

Subsysteme bildeten (ein iibrigens gar nieht sehr

haufiger Fall, aber der, der der Neuzeit voraus-

t7 Hie rb ei is t n at ur lic h a uc h der s pa te re Si nnwan de l d er

Seman ti k v on "Gen uB" im Auge z u be hal ten , Sp ez ie ll

da zu da s H is to ri sc he Wor ter bu ch de r Ph ilo so ph ie s. v.

Genu f (Bd . 3, Ba se l- St utt ga rt 1 97 4, S p. 3 16 -3 22) u nd

Bi nder ( 19 76 ). D ie Ver and er un g kor rel ier t g en au mit

der Auf lo sung h ie ra rchi sche r Asymmet ri si erungen

und rep rnsentat iver Gcgenbegr if fl ichkei ten. S ie f iihr t

zu e iner auf Repra sentat ion geg rundeten , in s ich selbs tnochrna ls h ie ra rchi si er ten Dif le rcnz ic rung der Form

guten Lebens t iber d ie anthropolog is ie rt e Leich tform

d es "pla isi r" zu ei nem Ex is te nz be gr if f, i n dem unb e-

st rei tbar e Ans pr uc he a n d ie Ges el lsc ha ft v er an ke rt

worden konncn.

lB. I ch z it ie re Donne (1982 : 276 ):

"Pr ince , sub ject , f athe r, son , a re things forgo t

Fo r e ve ry man al on e th in ks he h at h g ot

To be a phoenix, and that then can be

Non e of th at k ind, o fwhi ch he is , bu t h e" .

(Zcile 215-218)

19 Fuhrend, wie in vielen Dingen, England. VgJ. z. B.

Nadelhaft (1982).

15 Vgl. George/George (1955) mit dem Ergebnis: 78%

Obersch icht , 5% Unter schich t. und e rs t vom 18. Jahr-

hunde rt ab c ine d ra st is che Tendenz zur Anderung.

16 Wohlgemerkt : d ie Repra scntat ion der Ordnung , Nicht

das , was Femln is tinnen heu te bevorzugt wahrnehmen

und Pha llok ra ti e nennen: d ie Selbs tr ep ra sentat ion des

Mannes durch den penis erectus. Umgekehrt findet

miln auch, daB der Pha llus im Sti le Lacans i iber schi it zt

w ir d a ls H inwei s a uf da s Se in; a be r da nn ha ben Femi,

nistinnen die Schwierigkeit, noch cine Position zu

nn de n, di e e twas a nd er ~s s ei n Konn tc a ls ei n H inwei s

, au f den Hinwe is auf das Sein.

II Siehe z. B. i n b ezug auf d as Dual von re ch ts und li nks ,

Dumont (1983: S. 240).

12 Man beach te h ie r besonde rs d ie selbs tr cf eren ti el le Ge-

sch lo ssenhe it des 'opcrat iven Kon textes . au f der Bas is

der Leitdifferenz Mann/Frau. Die an sich fnszinierende

Mog li chke it , daB Eva den Apfel der Sch lange zu essen

ge ge be n u nd d amit da s Bos e z ur S el bs tr efl ex io n ge -

br uc ht MIt e; · w ir d ga r n ic ht e rwoge n. D ie · Sc hl an ge

b le ib t ausgeschlos sene r Dri tt er , und e rs t Valery wird

seinen Faust uberlegen lassen; Mephisto zu verf(ihren.

Zuspfit!

IJ Selbst James Keys (ulias George Spencer Brown)

scheint bei diesem Gedanken zu z6gern. Vgl. Keys

(1971 : 96) .

!~ Vgl. h ie rzu Dumont ( 19 83: 2 60[ ,) m it de f w icht ige n

E insi ch t, Konfl ik t sei e ine Alterna tivform von Integ ra -

tion.

 

5/17/2018 Luhmann, Niklas - Frauen, Männer und George Spencer Brown - slidepdf.com

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Zci tsch ri ft f ii r Soz io logie, 19. 17, Hef t 1 ,Februa r 1988, S . 47-71

IV.er-Reprdsentation (Foucault) fes ts tellen. Die Be-

muhurigen, die Oberlegenhe it des Mannes fe stzu-

balte .n;wirkellvon da ab verkrampf t, und unglaub-

wii~dig-:-etwa.in dem Insistieren auf Jungfraulich-

keit. beiderEheschlieBung un d i.double standard"

a ls dem Versuch , ' .d ie Uberlegenhei t des Mannes

dadurehzufestigen, daB.der Frau Vergleichsmog-

lichkeiten -.abgeschnitten werden. So nirnmt es

nichtWunder , .daB Reprasentation durch den

Mann schliefllichnur noch als Selbstreprasentation

des Mannes wahrgenommen werden kann , al so al s

pure AnIl 1 aBung.Dami t i st a ll erd ings noeh n icht ausgemach t, wel -

cher Logik des Unte rs cheidens und des Beze ich-

nens man .jetzt fo lgen konnte. Es g ib t, zumindest

heute, in. der Gesellschan. keine konkurrenzf reie

Position ftir Repriisentat ion. Keines der Funk-

t ions syster ne kann s ie in Anspruch nehmen; oder

anders gesagt: jedes, soweit es urn die eigene

I Funktion geht . Man r n u fl d a h er e ine Semantik und

e.in sO~ial.strukture,lies Arran....e.ment finden kon-nen, die ohne Reprasentation des Systems im Sy-

stem aU5kommen.Man muB deshalb wohl auf jene

"opposi tion h ie ra rchique" und auf Repra senta-

tionsasymrnetrien verzichten; aber heiBt diesdann:

sogleich den Riesensprung zu unbedingter Gleich-

heit tun, die dann zwar .Jier rschaf tsfrei '' zele brier t

werdenkann, aber urn so rnehr irn Dunkeln l aBt

was nun eigentl ich den Ausschlag gibt, Vielleicht

dasDurchhai teve rm6gen und die starker en Ner -ven im Kontlikt?

Modernem Denken entspricht es, auch in der

Hierarchie noch Zirkel zu entdecken, und das

scheint dem heutigen Verhal tnis von Mann und

Fr aubess er zu ent sprechen. Eine "tangled h ie rar -

chy" a lso im S inne von Dougla s Hofstad ter (1985;

vgl, Dupuy 1984): Mal ist der eine oben, mal die

andere. Kaum glaubt man, gewonnen zu haben,

stellt man fest, daB man verloren hat. Wer die

Herrs cha ft ausfiben wil l, r nuf gehorchen ler nen.

SoJche Systerne sind, wi e man weili, umweltemp-findlich in einern ganz spezifischen Sinne. Jede

S tari .ing is t ihnen wil lkommen und wird umfunk-

t ioniert i n ein Moment interner Regulation. Rei-

zensie also, karmtc man vermuten, die beteiligten

psychischen Systeme dazu, das notwendige MaB an

Storung beizutragen? 1st die auf sich gestellte,

Gleichheit betoriende Beziehung von Frau und

Mann viel lei ch t desha lh e ine besonders r eizvol leBeziehung?

Bevor wir allzu rasch urteilen, sol lten wir uns die

Fragestellung in Erinnerung rufen und nach funk-

t iona l aqu ivalenten Mogl ichkei ten de r Problem-

losung suchen, Es ging, wie erinnerlich,um die in

die Grundoperation des Unt erscheidens und Be-I

zeiehnens e ingebaute Asyrnrnet ri e. E in Verzich t

darauf ftihrt zur absoluten Herrschaft des Chaos

der S ituat ionen. Darauf i st n iemand vorbe re it et .l

Aber wie und wozu konnte man die Asymmetrie

hal ten, wenn das Gesel ls chaft ssystem nich t mehrasymmetrisch wer tet? Es wird doch nicht genugen,

zu sagen, daB di e Logik anders nicht in die Gange

komme? Bevor wir weitergehen, sollten wir uns

daher eine andere, ebenfalls traditionsgesicherte

Losung ansehen. Sie fo lg t eine r rhetori sch ausge-

formten Moral des Lobens und Tadelns, die gegen

Ende des Mi tt el al ter s aufgrund ant iker Vorb ilde r

als Renaissance zu besonderer Blute gebrachtwurde,

I n ge radezu schema ti scher Weise bed ient si ch d ie-

se Rhe tor ik s tanda rd isi ert er Kataloge fi ir Tugen-

den und Laster. Sie s ieh t dabei , wei l nur so "ampli -

fiziert" werden kann, von jeder Bezugnahrne auf

ind iv idue ll e Daten und Biographien abo Histori -

sche Pe rson li chke it en , zum Beisp ie l Alexander,werden, vollig entindividualis iert , a ls bloBe Muster

vorgefuhrt , Jedes Individuum ist dami t aufgefor-

dert , s ich und ander e in der Distanz zum Exempla-

r ischen einzuschatzen, Quer zu dieser Unterschei-

dung steht die Unterscheidung von Herren und

Damen (naturlich: der Oberschicht, denn die Un-

terschicht, die arbeiten muls, ist weder tugend-

noch Ias terfahig), Norrnalerweise werden Trakta-

te, so wie auch die Erziehung selbst , filr Herren

und fiir Darnen getrennt. L' honneste homme und

l 'honneste femme sind versehiedene Gegenstande

mi t j e spezi fi schen Auspragungen des Tugend- und

Lasterschemas. "Die" Moral wird damit in eine

rnannl iche und e ine we ib li che Ausf iihrung d iff e-

renziert. Man kann ger adezu eine "h ie rar ch ie b idi -mensionel le" im Sinne von Dumont e rkennen. In

die se Gleichhei t kann dann unbemerk t Ungleich-

heit einfl ieBen in der Form einer Dif ferenzierung

der Anforderungeri-Aber werden Frauen dadurch

d iskriminiert , wird dadurch e ine Asymmet ri si e-

rung erreieht, und wie?

DaB es eine realist ische, anzilgliche Literatur f iber

Frauen gibt, steht auGer Frage, aber das ist nicht

die Operationsweise der rhetorischen MoraL Sie

wirk t gerade umgekehrt durch das I-Ioch tre iben

von Anforderungen, an denen man die Realitat aLs

Abweichung ablesen kann, ohne daB dies gesagt

Nikl as Luhmann: F ra ue n. Mann er u nd Geor ge S pen ce r Br own 55

werden mull, Gerade das Lob der Frauen kann

dann al s Schema der Diskriminierung angesetzt

werden mi ts amt wohlmeinender Kenntni sse fiber

ihr e besonde ren Gefi ih rdungen und Schwachen .

Auch hie r a lso e ine Mogl ichkei t, zur Asymmet ri -

sierung einer Unterscheidung zu komrnen, ohne

daB die Asymmet ri e zu ungleichen Wertungen ver-

dickt werden muB. Es braucht gar nicht gesagt zu

werden, daB die Frauen schlechter sind als die

Manne r, und das kann vemi in ft igerweise auch gar

nicht gesagt werden, wenn beide ihre Seelen von

Gatt erhalten, Es ergibt sich erst aus einern Urn-kehrschlufs , im Vergleich von Ideal und Reali ta t.

Die L itera tu r, d ie auf Sexualgeschehen ansp ie lt ,

zeigt eine deutlich dorninierende Rolle des Man-

nes. Die Frau kontrolliert bestenfalls (wenn es

nicht urn Gewalt geht ) das Tempo, mit dem sie sich

auf Vorschlage einlalit. Immerhin wird Liebe fur

den Idealfall als ein bei derseiti ger Wunsch stili-

siert. 20 Genere Il g il t j edoch die Fr au im Verg le ich

zum Mann als weniger perfekt. Das ergibt sich

quasi automatisch aus den Adelswertungen: die

Frauen sind schwach und wei ch und kal t, die Man-

ner kra ft ig , har t und h itzig, Aucb die Fr auen selbs t

seien dieser Meinung, meint Pietro Andrea Ca-

nanhiero, weil s ic , wie bekannt, l ieber mannlichen

a ls weibl ichen Nachwuchs auf d ie Welt b ringen , 21

Allerdings mull hier dann rasch ein auf der Hand

l iegender Fehl schluf b lock ie rt werden. Wenn man

so direkt die Adelswertungen ilbernimmt, hatte

das die Folge, daB nur die Manner, nicht aber die

Frauen ade lig s ein konnten . Dies i st na ti ir li ch n icht

der Fall. Es kann filr Adel dann doch nicht auf

Robustheit ankornmen, sanst waren "i fachini piu

nobil i de Gent ilhuorn in i, e l I e best ie de g l'huomi-

ni" (Canonhiero 1606: 25f.). Man sieht hier das

Ambiva lentwerden der Repra sen ta tion : Wenn s ie

in der Gesellschaft dem Adel obliegt aufgrund

seiner naturli chen Qualitaten: wie kann sie dunn

aufgrund des g le ichen QuaJ ifika tionsschemas den

Mannern und nicht den Fr auen zugesprochen wer-

den, obwohl der Adel auf Endogamie und reiner

Abstammung beruht?

Schon hier zei gt sich also (und wir werden dieses

Problem vers cha rf t ant re ffen , wenn es nich t mehr

urn St ra ti fika tion , sonder n urn funk tionale Di ffe -

I renzierung gebt), daB die Unterscheidung von

20 Siehe den Verglei ch de. sAmad is -Romans mit Fabeln,

E rzah lungen usw. bel Gic r (1986).

21 "Per che I e d onn e gr avl de d es id er ano di pa rt or ire ma-

schi, e non femine. segno evidente dell'imperfezzione

lora". So Canonhiero (I6 0G : 24).

Mann und Frau mi t dem jewe il igen Schema gese ll -

schaf tl icher Dif ferenzierung schlecht zu kombinie-

ren i st , Das bedurf te genauere r h istori sche r Erf or - .

schung, f ilr die hier nur eine Art Lekti lreanleitung

fixiert werden kann. Wirbetrachten nur noch ei-

nen Sanderfal1: ei nen von einer Dame verfaBten

Vergleieh von Damen und Herren, den Traktat

von Lucre ti a Mar inel la , Le nobil it a e t eccel lenze

delle donne: e i diffetti, e mancamenti de gli huo-

mini, Venet ia 1600. Hi er werden Damen und Her-

ren in einem Traktat gegenilbergestellt, und das

Schema Frau/Mann wird von einer Frau mit demMora lschema .von Tugend/Laster zur Kongruenz

gebracht, .Die Damen werden als tugendhaft, die

Herr en .a ls l asterhaft darges tel lt . Man konnte ver -

rnuten, daB die opposi tion hierarchique einfach

umgedreht worden ist und den Frauen nun die

Reprasentat ion der moral is chen Weltordnung zu-

gedach t wi rd . Wir wiss en n icht , ob d ie Verfa ss er in

so gedacht hat. Wenn ja, dann ist sie auf die

mannliche Logik der asyrnmetr is ierten Unterschei-

dung here ingefa ll en . Denn dies e Tugend/Las te r-

Rhetorik ist nur ein Spiegel (und wird nicht selten

so bezeichnet), der der Welt vorgehalten wird.

Und in d ie sem Spiegel wird man dann ra sch e rken-

nen, daB die Damen nicht so tugendhaft sind, wie

s ie se in so ll ten, d ie Herr en dagegen n ich t so las te r-haft , wie sie se in konnten , Die einen en tt auschen

unangenehm, d ie ande ren ent tauschen angenehm.

Kein Wunder dann , daB die Damen s ich verf tihren

lassen, und die Herren dazu tendieren, ihre Bin-

dungen bald wieder aufzulosen.

So wird denn auch eine Lehre verstandlich, die

besagt, daB es filr eine Frau leichter sei, einen

guten Mann zu finden, als urngekehrt ftir den

Mann eine gute Frau. 22 Man sieh t: d ie Asymme-

trie kann sich auch zum Vorteil der benachteiligten

Seite auswirken: Die Frau wi rd durch die Ehe eher

angenehm, der Mann eher unangenehrn fiber-

rascht. Ob es wirklich so war? Jedenfalls folgt

daraus eine weitere Asymmetric: "Vir mulierem

non mulier vi rum corri git ". (Patricius 1518: Fol,

LVII).

Auch dies sind. HUe von Asymmetrisierung mit

Moglichkeiten der Inversion, Falle von dis tinction,

ind icat ion und cr ossing . Zugleich vers ch le ier t d ie

Not \vendigkei t e ines Umkehrschluss es in der ope-

ra tiv ei riges etzten Unter scheidung von Ideal it ii t

und Realitiit die Riehtung der Asymmetrie. Sie

fungiert auf der Ebene des Ideals iri der einen,

2" "Foemina v irum fac il iu s e ligi t bonum quam vir foemi -

nam", heiBt e s bei Pat ri cius (1518 foL LVII) .

 

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5 6 Zeitschrift furSoziologie, 19. 17,Heft 1, Februar 1988,S. 47-71

realistischerweise dagegen in der. andereriRich-

tung. Geschicht li ch kann die s dami t zusa rnmen-

hangen, daf die Rhetorik des Darnenlobs den

Verfa ll de r Ri tt erkul tu r ( die Klage daniber be-

ginnt bereits im.Ia . Jahrhundert) besser uberstan-

den hat als die Rhetorik des Herrenlobs, Aber

auch dieseErklarung wurde nur zeigen, daB die

maskuline Logik des asymmetrisierenden Unter-

scheidensg le ichsam hin ter dem Riicken der off i-

ziellenSemantik operier t und die Verhaltnisse wie-

der in.R ich tung auf eine Uherlegenhe it des Man-

nes zurechttiickt.Auch dieses Arrangement verschwindet dann aber

init demZusammenbruch der Rhetorik, spatestens

iin 18. Jahrhunderr, spatestens mit dem Roman.

Das Tugendschemn wird nun, vor allem seit R i-

chardsons "Pamela", so vorgeftihrt , daBder Leser

es entschlusseln und es nicht nur in Richtung auf

Abweichung, sondern auch in Richtung auf Indivi-

dualitat decodier en kann. Die Asymmetric hatte

sich nun auf Individuen zu beziehen , und zwar auf

Individuen ,d ie in derWeise, wie sie selbst und

andere beobachten, wie s ie Briefe und Tagebucher

schreiben, vern Leser beobachtet werden konnen.

Wenn aber jetzt dies Beobachten des Beobach-

tens, d ies e "s econd order cybe rnet ic s" (Heinz von

Foers ter) zum Normalfall der Reali ta tsprasenta-

tioriwird: wieWBt sich dann das Unterscheiden

noch asymmetrisieren? Als Unterscheiden von Be-

obachterndurch Beobachter? Als Unterscheidung

von Frauen und Mannern durch d ie f er nini st is che

Bewegung? Und wenn, wird s ich dann die Fr auen-

forschung von der feministisehen Bewegung unter-

scheiden konnen?

v ;

Indem Malle , als die Gesellschaf t s ich von stratif i-

katorischer auf funktionale Differenzierung um -

s te ll t, wird ein a lt es Pa radox obsolet und e in neues

: t ri tt an seine Stel le. Das alte Paradox lautet: wieein System in si ch selbst nochmal s vorkommen

konne , und es wurde durch den Begri ff der Repra -

sentation aufgeI6st . Die dadurch bedingten Asym-

metri enwerden heu te vor dem Hin te rg rund e iner

Norm der Gleichheitkritisiert. Aber diese Norm

inv is ib il isi ert ihre rse it sein Par adox ndml ich' das

Paradox derU minterscheidbarkeit d~s Unterschie-

denen. Mit deriParadoxen verandern sich die sie

auf losenden Seil1a.ntike~, und zugleich werden die

jetzt i iberzeugenden Losungen einer s tarker dyna-

mischenGesellschaft angepaBt. Asymmetrien wer-

den als Relikte einer iilteren Gesellsehaft aufgefaSt

und die Gleiehheit wird entsprechend zum Re-

f ormziel . I hr Pa radox wir d in d ie Zukunf t ausgela-

gert , d ie noch nicht das Prob lem der gegenwarti-

gen Bernuhungen ist (und auch darin liegt eine

Affinitat zu der Zeit in Betracht ziehenden Logik

von Spencer Brown). Die feminis tische Bewegung

hebt ab, Seligkeit suchend. Sie benutzt dabei die

Unterscheidung von Frauen und Mannern zur Be-

obachtung der Realitat, und zwar mit dem Zi ele,

Asymmetrien zu eliminieren. Wenn es aber zu- :

trifft, daB die Asymmetrien die Brauchbarkeit ei-

, ner Untersche idung e rs t konst ituier en : was beob-achtet dann die femini st is che Bewegung mi t Hil fe

ihrer Leitunterscheidung? Sich selbst?

Wir waren vom Tatbestand einer auffalligen

Selbstreferenz der Frauenforschung ausgegangen

und konnten h ie r e ine Erk lar ung gefunden haben ,

wennman Frauenforschung urnstandslos dem Fe-

minismus zurechnen kann. Aber das ist zunachst

nur eine Vermutung, und wir rnussen zu einer

sorgfaltigeren Analyse ausholen, denn diese Va-

ri an te der Semari tik asymmet ri si erender Unter-

sche idungen , d ie auf Resymmetri si er ung abz iel t,

ist sehr viel reicher als aile Vorl aufer, die wir bis

jetzt vor Augen hatten.

Die Losung, die Spencer Brown (unter dem Pseu-donym James Keys) anbietet, besteht nur aus Ge-

schichten und Gedichten, die ein tieferes Ver-

standnis andeuten, ohne den Schliissel dafilr zu

l ief er n. Die Zent ra lkategor ie e iner L iebe, d ie man

nur zu zweit gewinnen kann, setzt sich der lcgi-

schen Analyse entgegen, ohne sie aufnehmen und

einschlieBen zu konnen. Die Unterscheidung von

Mann und Frau wird damit ihres Charakters als

einer Unterscheidung im Sinne der Logik von

Spencer Brown entkleidet - deshalb wahl das

Pseudonym! -, ohne daB ihr theoretischer art

bestimmt werden konnte. Dahinte r scheint die

Idee zu stehen, daB es di ese eine Unterscheidung

gibt, die sich der operativen Logik des "draw a

dist inction!" entzieht. Eine Unterscheidung, dienicht unterscheidet, sondern verschmilzt? Eine Pa- jradoxie? Wenn die Frauenforsehung hier anschlie-

Ben woll te , wurde das ihre r rech t l ieblosen Pr ax is

den Boden entziehen, ohne daB auf Anhieb zu

sehen ware, wohin das fuhrt .

Eine bereits deutlieh erkennbare Variante ist: je-

de, s ei es pos it ive, se i e snegat ive, Orien ti er ung am

Mann abzulehnen und dami t auch d ie Untersche i-

dung von Mann und Frau aufzugeben. Dann liegt

es nahe, die weibliche Identitat nicht uber diese

IUnte rs cheidung sonder n i ibe rden we ib li ehen Kar-

per zu gewinnen, Ein solcher Ruckzug auf den

NiklasLuhmann: Frauen, Manner und George Spencer Brown 57

Kerper fuhrt jedoch in all die Verlegenheiten, die

es eine rFr au ber ei ten muB, wenn s ie s ic h aufgefor-

dert sieht , sich mit anderen Frauen unter diesem

Gesichtspunkt zu vergleichen; und wozu, wenn

ni cht im Blick auf den Mann? Es wi rd jedenfal ls

nur e ine Auswahl sein, die sich am Strand expo-

niert. Man wird gerade das FaBliche durch eine

unfaBliche Semiot ik ver hul len mussen, ode r man

wird scha rfe Diskriminierungen unter Ges icht s-

punk ten wie jung, schon, vorzeigbar zu akzeptie-

ren haben.

Weitere Bemuhungen in dieser Richtung solltenweder abgeschnitten noeh vorab en tmutigt wer-

den. Einstweilen beeindrucken jedoch vor all ern

die Schwierigkei ten und die Gef ahr, immer wieder

in d ie n icht mehr soz ia l gr ei fbar e Leibl ichkei t ode r

in eine platte Entgegensetzung von (mannlichem)

Vers tand und (weibl ichem] Gefi ih l abzuglei ten .

Wenn man auBerdem weder Hierarehisierung

noch Asymmetri si erung in Richtung Mann akzep-

tieren will: was bleibt dann an funktional und

strukturell aquivalenten Moglichkeiten ubr ig?

Die auffa ll igste Tendenz geh t in Rich tung auf eine

(vorlaufige) Umkehrung der Asymmetrisierung.

Wir wollen das Resymmetrisierung nennen, wohl

zu unters eheiden vom bloBen c rossing . Die Fr auengewinnen Fr eude an dem Gedanken , se lbst Bevor-

zugungen zu beanspr uchen , wenn auch nur b is zum

Jiingsten Tag der Herstellung volls tandiger Gleich-

heit. Das laBt sich mit stati stischen Methoden un-

termauern, di e zeigen, daB das was im Einzelfall

nicht zutrifft, im groBen und ganzen doch richtig

ist . Und es ist eine in hohem MaBe legit imationsfa-

: hige semantische Struktur, die auch in anderen

Ber eichen in Gebraueh i st : Sie begnugt sich auf de r

Grund lage des unbestrittenen Wertes der Gleich-

heit mit temporalisierten (aber nicht notwendig

temperiert en) Ge ltungsanspruchen . Aus der Zei t-

• bedingtheit der Anspruche ergibt sich zwanglos

• ihre Dringlichkeit . Das errnoglicht es, rnits tarken

Uberzeugungen zu hantieren, und Forschungen inEntwicklungslandern bieten dazu die Gelegenheit ,

s ich am drastischen Fall zu starken,

Kein Zufall dann, wie aus dem Programm des

Wor te rbuchs . ,Gesch icht li che Grundbegri ffe " e r-

s ichtlich (vgl. Koselleck 1972) , daB Ternporalis ie-

rung mj t I deo logi si er ung e inhe rgeh t. Als Ausweg

aus der puren Par adox ie e iner Unter scheidung , d ie

f

nicht unter scheide t, sche in t si ch a ls Ausweg e inzu-

burgern, daB die dargestellten logischen Probleme

mit Hilfe von Ideologie gelost werden. Das ist,

solange es keine Logik gibt, die Paradoxien ver-

dauen kann, nicht zu beanstanden. Die Problem-

verschiebung von Logik auf Ideologie ist eine

Moglichkeit der Entparadoxierung desUnterschei-

dens, die akzeptiert werden muB, wenn das Ver-

dauungssystem der Logik selbs t d ie s n icht l ei st en

kann, sondern auf vorgangige Entparadoxierung,

etwa nach Art der Typentheorie angewiesen

bleibt. Zu fordern ist nur, daB dieses Verfahren

mit mehr Umsicht und mehr Transparenz prakti-

ziert werde,

Die typisch zugrundegelegte Ideologie erfordert

Gleichbehandlung von Miinnern und Frauen, Ge-

nau das rech tf ert ig t Ungleichbehandlung von Man"nern und Frauen zur Korrektur bestehender Un-

gleichheiten, namlich zur Bevorzugung von Be-

nachtei ligten . Das e rmogl icht e s innerhalb der Un-

terscheidung (dist inction) das Bezeichnen ( indica-

t ion) immer dor thin zu dir igieren, wo Ungleichheit

im Sinne eines Naehholbedarfs fur Gleichstellung Ibest eht und weitere Operationen dann dort anzu-

schlieBen.

Bier muf man sich zunachst uber die Modernitii t

der Problemstellung Rechenschaf t ablegen. Solan-

ge d ie Geschlech ts ro ll e, vor a ll em die des e rwach-

senen Mannes, in sich viele andere Roll en (oder in

e in fachen Gesel lschaf ten soga r: fas t a ll e ander en

Rollen) einschloli, gab es gar keinen sernantischenRaurn f tir die Unterscheidung von gleich/ungleich.

So lange war denn auch d ie Komplementa rro ll e der

Frau zwar asymmetrisch zugeordnet, nicht aber

t iber das Formalschema gle ich/ungleich mi t der des

Mannes verknupft . Alter und Geschlecht r egel ten

selbst den Zugang zu anderenRollen; und dann

war es n ich t rnog li ch , auBerdem noch zu fragen, ob

in bezug da rauf nun Gleichhei t oder Ungleichhe it

der Geschlechter herrsche, Erst in dem Malie, als

der t iber das Geschlecht l aufende Zuwe isungszu-

s ammenhang an Bedeu tung verliert, kommt die

F rage der Gleichhe it von Sachlagen und Chancen

auf. Erst wenn das Geschlecht keinen Unterschied

mehr r nacht , dar f e s dann auch keinen Unter schied

mehr rnachen.

LaBt man sich darauf ein, dann verschwinden die

bisher diskutier ten Probleme rnit einern Schlage.

Die Unterscheidung von Mannern und Frauen

dient dann nur noch dazu, Ungleichheiten festzu-

stellen. Frauen leben Ianger als Manner, haben

abe r s ch lech ter e Kar ri erechancen und geringere

Renten . Sie s ind in physi schen Kampfen unterl e-

gen, in verbalen uberlegen. In bestimmten Beru-

fen, zum Beispiel Professoren, Mullnrbeiter,

Leuch tturmwarter findet man s ie se lt ene r, inande -

ren, zum Beispiel bei Schreibarbeiten und in der

Krankenpflege, findet man sie haufiger als Miin-

 

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5 8 Zeitschrift fUr Soziologie, Jg. 17, Heft 1.Februar 1988, S .47 -71

nern' ·Siegreifen weniger haufig zur Pfeife als

Manner.undsind.weilsie dieses Symbol zwanglo-

ser <¥erhandlungsbereitschaft nicht handhaben

konnen , sonder n a ll enf al ls spi tze Ziga ret ten rau-

chen.nach traditioneller bri tischer Auffassung fur

den civil service ungeeignet. 23 Die Di ffe renz in der

Ver teilung von Frauen und Manne rn auf bewerte-

te Po s it i on e n k a n n zunehmen oder abnehmen . Sie

kann regiona l s treuen , und d ies kann mi t wei teren

Faktoren zusammenhangen. In Spanien findet

man zum Beispiel, wohl wegen des relativ ger ingen

Gehal te s, mehr Frauen im Hochschuldienst als inDeutschland. In A sie n u nd selbs t in Griechenland

findet man sie s chon im St raBenbau beschaf tigt , in

Deutschland noch nicht. Fests tellungen dieser Art

bleiben jedoch wissenschaf tl ich uninteressante

Tatsachenberichte. Wer dies bestreiten will, und es

wird bestr it ten werden, muB sich zu einer relativ

anspruchslosen Auffassung von wissensehaftlicher

Fors chung bekennen . Der Wert so lche r Feststel-

lung liegt in ihrer AnschluBftihigkeit fur praktische

Forderungen und Appelle, dieunterderPramisse

f des Gleichheitspostulats aus der bloBen Fests tel-

lung der. Ungleichheit autornatisch folgen. Mit

uberraschender Unbefangenheit lassen sich dar-

aufhin Frauenrechte reklamieren, wo der V er-

gleichzu Ungunsten der Frauausgeht, und Man-nerrechte imilmgekehrtenFal l - gerade weil der

Unterschied von Mann und Frau fiir das infrage

stehendeProblem irrelevant ist . Gerade die I rrele-

vanz de r Unterscheidung von Mann. undFrau fuhrt

so zum auffalligen Steil stell en der Anspruche von

Frauen, unddas ideologische Engagement verhin-

dert, daB die Merkwurdigkeit dieses Schlusses

ilberhaupt bewuBt wird.

Naturlich s ind Frauen von d er a ll ge rn e in e n D ia le k-

tik der Gleichheitsideologie keineswegs ausgenorn-

men, und das konnte man he u te wissen und sich

r e ch tze i t ig . k lar machen . Die Ideologie funktioniert

im angestrebten Sinne, solange eklatante U n-

gleichlieiten vorl iegen und e in N ac hh ol be da rf r e-

k la mie rt w erd en k ann , Je mehr diese Lage in

Richtung a u f G l e ic h h ei t e ingeebnet wird , des to

mehr funktioniert die Gleichheitsidee als Ideologie

e ine rr epre ssiven Mer itokra ti e; denn wer es dann,

ob Mann oderFrau, zu nichts bringt, hat seIber

SchUld.

Diese UberIegungenwollen nicht zu einer glei-

chermaBen ideologischen Gegenposition einladen.

21 Vgl. Royal Commission on the Civil Service

(1929-30), Minutes of Evidence Q 8936 und 8937, z it .

bei Kingsley (1944 : 184f.).

Es geht hier nicht urn die Frage, ob Frauen im

Guten wie im Sehleehten mehr Gleichbehandlung

erfahren sollen als bisher oder nicht. Die These ist

vielmehr, daB diese Frage, was den Funktionssinn

der Unterscheidung von Mannern undFrauen an-

geht, an die Stelle der hierarchisierenden Asym-

metrisierung getreten ist .

E in wei ter er Aspek t dieser Losung ist , daB im

Verhal tn is von Fr auen und Manne rn das Kopie ren

von Bediirfnissen und Zielen freigegeben wird.

Vor dem Hinterg rund der Sozialanthropologie Re-

ne Girards laBt sich die weitreichende Bedeutung

d ie se r Fre igabe ermes sen (Gira rd 1972 und 1978).

Vor allern: sie ftihrt in P ar ad ox ie n u nd in unlosba-

re, sieh verscharfende Konflikte, two immer

Knappheiten infrage stehen.Hrie sozialstrukturell

bedingten, religios formulier ten " interdits" fallen.

Die Knappheit, man blicke nur auf den Arbeits-

markt, vergroliert sich und jeder Fortschritt, vor

al lem in der Wirt schaft , bes ei tigt und vergroher t

Knappheit. 24 Frauen streben in die Berufe der

Manner , si e beanspruchen sexuelle Freiheiten und

In it ia tivrech te imUmfange der Manner , s ie suchen

gleiehes Einkommen und gleiche Spendierfahig-

keit, was auf Seiten del' Manner zu r Legitimationdes Abwartens, der Passivitat, der Tragheit, des

Sichernahrenlassens f iihr t. Es gibt dunn keine sinn-

volle division dll travail sexuelle (Durkheim)

mehr. Was dereine tut/nichttut, muB auch der

andere anstreben/verrneiden. Das fuhrt in die Pa-

radoxie: zu wenig und zu vie!. So wird Hausarbeit

knapp, weil zll w en ig fur b eide zu tun is t, u nd

zugleich wire! sie ein sta ndiges Z uv iel an Bela-

stung, weil keiner zustandig ist und jeder das

Recht hat, auf die Mitwirkung des anderen zu

warten. Wie schon aus AnlaBder Erorterung des

Zusarnmenbruchs . von Hierarchisierungen be- >merkt,ergibt sich daraus eine Uberordnung del'

Situation un d des. Arrangements uber die Unter-

scheidung, Mit u nd g eg en Habermas kounte man •

auf eine "zwanglose" Vorherrschaft der nieht ge-

neralls ierten Vernunf t schlieBen. Faktisch werden

individuelle Beziehungen zwischen Frau und Mann

darnit auf den schrnalen Pfad gefiihrt, auf dem

Streit und ausgehandelte Ordnung nicht unter-

scheidbar sind.

2" DaB ni ch t al lc inau f da s Verh ii ltn is v on Miin ner n u nd

Frauen zuriickzufiihren ist , sondernallch aufdieAuf·

h eb ung mlde re r Iml ta tio ns ver bo te, z um Be is pi el s ol ·

cher der 50zialen Stratif ikation. zui 'i iekgeht. sci vor·

sorgUch angcmerkt. Zu al1gemeinen Konsequenzen

und zur P roblemversch iebung von Rel ig ion zu Okono·

mie vgl . Bueh Dumouchel lDupuy (L979).

N ik la s L uhmann : Fra ue n, Manner u nd Geo rg e Spe nc er Brown 59

Schl ieBlich zeigt die Erfahrung, daB die Idee der

Gleichheit zwar einfach ist, die Verhaltnisse aber

kompl iziert , j a l et zt li ch paradox sind . Gleichbe-

handlung wird zum Bewegungsmotiv, ohne daB die

Frauen behaupten konnten (oder auch nur woll-

ten), sie seien nichts anderes als kastrierte Man-

ner. Bewegen sie sich also in eine Riehtung, die

ihre Identitat nur im Verzicht auf ihre Identitfit

finden kann? Oder fallen die ideologisch-organisa-

tori schen Mogl ichke it en der F rauenbewegung und

ihre Identitatsreflexion zwangslaufig auseinander?

Wir kommen darauf zuruck. Aber auch i rn ideolo-gi sch-organi sa to ri schen Bere ich i st · Gleichhei t

nicht ohne weiteres zu haben. Sinnvolle Unter-

schiede drangen si eh immer wieder auf, und sei es

nur, daB diachrone Gleichheit ("Bestandsschutz")

und synchrone Gl eichheit nicht zu vereinbaren

sind. Auch eine Politik der Ungleichheitskompen-

sationsungleichheit friBt sieh nur langsarn in die

bestehenden Regulierungen der Arbeitswelt, del'

Versorgung, der sozialen Sieherung und der Aus-

b ildung hinein. So wird Be te il igung an burokr at i-

schen Prozes sen der Umregu lier ung notwendig,

Feminis tinnen erwerben Fachkenntnisse, schlagen

Anderungen vor , versuchen das Durchse tzba re zu

erreichen und das noeh n icht Durchse tzbar e aufzu-

schieben - und zugleich w er de n , wie e s s ch ei nt ,diese Verfahren un d Regulierungen von anderer

Seite benutzt , um ihren Zorn abzulenken,

~VI.

Die Ideologie der Gleichheit postuliert fur die

Unterscheidung das Ideal der Ununterscheidbar-

keit und drangt sie i n diese Riehtung. Die Unter-

scheidung ble ib t r elevant , so lange s ie dazu d ient ,

~ Ungleichheiten zu kristallisieren. Welche Un-

gleichhei ten in d ie sem Zusammenhang zah len, fi-

xiert e in in jeder h is to ri sc he n L a ge neu zu bestirn-

mendes Anspruchsn iveau . Man wird s ich voraus-

sich tl ich immer an vorhandenen Ungleichhei tenabarbeiten konnen, und insofern ist der Unter-

scheidung von Mann und Frau wie auch der femi-

: n i st i sc h en Bewegungen eine Zukunft vorauszusa-

gen. Der Horizont fUr Gleichstellungsambitionen

ist. unendlich und in jeder Ausgangsposition zu

aktua li si er en . So las sen sieh jewe il s aus dem Stand

heraus Dring li ehke it en aufbauen und pflegen , und

imNorma lfa l1 t ri tt d ie se Aktivi ta t an d ie Stel le von

f Retlexion.Unser Interesse zielt jedoch auf grundsatzliehere

Fragen. Die im vorigen Absehnitt dargestellte

Ordnungllat Eigenschaften, die darauf hindeuten,

daB sie durch die Struktur der modernen Gesell-

schaft diktier t s ind. Vordergrundig i st d ies dar an

zu erkennen, daB Gegenideologien zwar moglich

sind, abel' dann wie angehangt wirken und im

Grunde dem gleichen Ordnungsscherna folgen.

Man kann die Lage der Manner in Erinnerung

rufen, etwa mit dem Argument, daB auch sie ge-

genuber Frauen benacht eiligt sind. Man kann auf

begrilndbaren Ungleichheiten bestehen. All das

prak ti ziert aber nur d ie Ideo logie der Gleichhei t.

DaB die Unters cheidung selbs t nur t iber vorausge-

setzte Wertungen praktikabel wird und nicht mehrin. einerikosmischen Hierarchic abgesichert ist,

diirfteunbestreitbar sein. Es kann deshalb, auch in

d ies er n Tex t, . nich t darum gehen , der Frauenfor-

schung entgegenzu tr eten .I'Oie.Frage i st nur , Db

s ich ihr Ref lexionsniveau verbessern laBt.]

Hierzu bietet, wie mir scheint, die operative Logik

Spence r Browns e inen Ansatzpunkt . Sie best immt

die Einheit, von der sie ausgeht, als Operation und

die Operation selbst als Einrichtung einer Unter -

s ehe idung. Das e rlaub t e s, aber h ie rf ii r k on ne n w ir

uns n icht mehr auf Spencer Brown s tu tzenvMog-

lichkeiten und Formen des Unterscheidens mit It

gesellschaf tsstrukturellen Bedingungen zu korre-

l ieren, d ie den fakt is chen Vol lzug der Oper at ion

erst errnoglichen.

Ih rem Selbs tver standni s nach setzt d ie Oper at ion

im Voraussetzungslosen, im "unmarked space"

ein." Die Bedingungen ihre r Moglichkeit verwei-

s en jedoch auf e in Gese ll schaft ssystem (ode r wenn

man eine psychische Systemreferenz will: auf ein

BewuBtsein), d as s ic h in s o lc h e n Ope ra t io n e n au-

t opoietisch reproduziert. Obwohl die Logik ihre

Ausgangsoperation als voraussetzungslos einfiihrt,

naml ich al s bel iebig mogl iche, aber fo lgenre iche

Transformation von Einheit in Differenz, ist bei

soziologischer Betrachtung offensichtl ich, daf i jede

Einfuhrung e iner Unter scheidung (jede Ausfuh -

rung des Befehls: draw a distinction!) nur in einer

Gesellschaft moglich ist. rDaraus fo lg t d ie Fr agenach dem Verhal tn is von Gesel lschaf tss truktur

und logischer Operation.j Eine Frauenforsehung,

d ie d ie se Frage n icht s tel lt , wird s ich unversehens

dem Duktus einer Logik ausgeliefert finden, die

fi ir si e e ine maskul ine Logik i st , und sich dadurch

gedrlingt f iihlen, eine Gegenposition zu beziehen,

:!5 Das heiBt nicht zuletzt, das hierbei nicht einmal die

Differenz der Werle wahr/unwahr vorausgesetzt ist

und daB d ie se (Proto-}Log ik vor a ll er Aussagcnlog ik

li egt , di e si ch da nn n ur n oe h mit d en Bed in gu nge n cl er

Zuordnung von Wahrhei tswert enzu Aussagen bcfaB t.

 

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Zeitschrift furSoziologie, Jg. 17,Heft 1,Februar 1988, S. 47-71

die sich nur noch als Gefuhl oder als Expression

oder als Aktion ausdrucken kann;».

SelbstverstiiI1dlichkarill diesnicht heilien, daB die

GesellschaftfestlegtbZ:\v. ausschlieBt, welche Un-

t ersche idungen benutzbar sind . Es geht n ich t u rn

BegrenzungdesRepeitoires. Natiirl ich kann in

jederGeseJlschaftiwischen Miinnern und Frauen

i i nt e rs c h ie d en we rd en . Schlielilich kann jedes Ob-

jektzumAtisgangspunkt der Unterscheidung "dies

t undnicht s anderes" gemacht werden. Die Frage

nach dem'Verhalmj, Von Gesellschaftsstruktur

und logi scher Operat ion gre ift t ie fe r: Sic be tri fftd ie Mi igl ichke it en der Asymmetri si erung inner-

halb der Unte rs cheidungen und, da raus fo lgend,

das Verhaltnis verschiedener gesellschaftlich wich-

tigerUnterscheidungen zueinander, i

Im AnschluB an die vorausgegangenen Uberlegun-

gen laBt s i ch nunmeh r leicht ausmachen daB die

Handhabung asymmetrisierender Unter~cheidim-

gen erleiehtert wird, wenn die Struktur der Gesell-

scha ft e ine Repri isentat ion der Gese ll schaft in der

Gese ll scha ft (der Welt in der Wel t, des Systems im

Systems, des Ganzendurcheinen Teil des Ganzen)

ermoglicht. Dies ist immer dann der Fall wenn

dafur konkLlrrenzfreie Positionen oder Subs~steme

zur Verfiigung stehen, Traditionelle Gesellschafts-

fo rma tionen , die auf St ra ti fika tion oder auf Zen-

t rumlPe ripherie-Di ffe renz ie rung ode r (im typ i-

schen.Fall) . auf belden Formen der Subsystembil-

dung aufbauten, konnten solche Posit ionen anbie-

t en - se i. es al soberste Sch icht , s ei es a ls Zent rum.

Andere Gesellsehaf tsbereiehe kamen ganz offen-

sichtlich nicht in Betracht. 26

• Die mo~erne Gesel lschaf t b ietet ein vol lig ver an-

dertes Bildvund eben deshal b eignet sich die Un-

tersche ldung von Manne rri und Frauen sowe it s ie

nicht funktionssystemspezifische Relev~nz besitzt,

2 . Altere ?esellschaftsfonpationcn segmentaren Typs

batten diese Miiglichkeil noch nicht. Sie hatten ihree.igeneDiffere~zierung in Regeln der Exogarnie abge-

s ichert , a lso.die Unterscheidung von Mannern und

Frauen gleichsamquerstehend zur Unterscheidung der

Siedlungen, Familien und Geschlcchter verwendet,

Vor ihnengab es verinutlich Gesellschaften, die ihreDiffercnzierungsfQrmen·direkt aus naturalen Unter-

scheidungen wi e alt/jung oder Mann/Frau entwickel-

ten. (Eine hi~rftir interessante Fallanalyse ist: Barth,

1975).Man sl~ht daran, daB die relative Bedeutungder U~terscheldung Mann/Frau im Laure der gesell-schaftlichen Evolution abnimrnt und daB dies mit def

·~usdiff~re~zierung des Gesellschaftssysterns aufgrundelgenstandlger, spezifisch sozialer Differenzierungs-farmen zusammenhangt.

1naml ich Fami li enbi ldung err nog li ch t, nur noch da-

zu, soziale Bewegungen zu s timulier en . Das beda rf

einer etwas ausfuhrlicheren Erlauterung,

Wenn die wichtigsten Subsysteme der Gesellschaf t

anhand von Funktionen ausdi ffe renziert s ind, und

das Gesellschaf tssystern selbs t s ieh auf funktionale

Differenzierung einzustellen beginnt , entfallen die

Vorausse tzungen fur e ine Reprasentat ion der Ge-

sellschaft in der Gesellschaft, Es gibt dafur keine

konkurr enzfre ien Posi tionen mehr: Weder d ie Po-

litik noch die Erziehung, weder die Wirtschaft

noch die Wissenschaft konnen in Ansprueh neh-

men, mehr als andere fur die Gesellschaft zustan-

dig zu sein. Jede dieser Funktionen i st unentbehr-

l ich, j ede Iimi ti ert d ie Mogl ichkei ten de r ander en ,

a ber keine k an n sich se lbst an d ie Stel le der ande-

ren setzen. Dann gibt es aber keine untersehei-

dungsirnmanenten Asymmetrien mehr, die an der

Gesellschaf t selbs t einen heimlichen Rtickhal t fin-

den. Die Auffassung, daB Ordnung mehr mit Rel i-

gion al s mit Polit ik (oder mehr mit Politik als mit

Re ligion) zu tun hat teoder daB gesel ls ehaft li ehe

Sinnzusamrnerihange eher an die Position des

Mannes als an die Position derFrau ankniipfen, so

daB . die Unterscheidung selbst das Bezeichnen

schon dirigiert (ohne c ross ing auszuschl ieBen),

verliert ihre Plausibilitat. Wenn nun diese Ande-

rung von Plausibilitatsbedingungen eintritt und

wohl irreversibel eingetreten ist : welche Leitdif fe-

renzen k6nnen sieh dann evolutionar bewahren

und was besagt diese Auslesebedingung fttr ande- •

re , immer noch mogl iche und wieht ige Unter schei - '

dungen (hierzu auch Luhmann 1986a)?

Es bewahr en sich nun vor a ll em die jen igen b inar en

Codierungen , d ie d ie Asymmet ri si erung dadureh

abschwachen , daf s ie das crossing e rleieh te rn und

d:m Gegenwert fast die gleiche Bedeutung geben

wie dem Hauptwert. Man kann diese Erleiehte-

rung a ls Techni sier ung beze ichnen, J edenfa ll s e r-

fordert sie eine Distanzierung von jeder rnorali-

schen Codierung. Wahre Satze sind nicht mora-

Iisch besser als unwahre Satze, Programme von

Regie rungsparteien sind n icht mora li sch bes se r a ls

Programme vor i Opposit ionsparteien. DerEigen-

turner einer Sache ist nicht in einer morali schen

bes se ren Si tuat ion al s der Nich te igen tumer d ies er

Sache. Und in jedern Faile versueht man, tiber

Ins ti tutionalis ierurig der Moglichkeit des Wechsels

s ich die Moglichkeit der Ver lagerung von Anknup-

f ungen auf d ie Gegenpos it ion off en zu hal ten . E ine

schwache Asymmetri e b le ib t zwar e rhal ten, denn

d ie Gese ll schaft kenn te n icht nur a ls Unwahrhe it ,

nur als Opposition, nur als Nichteigentum usw.

NiklasLuhmann: Frauen, Manner und George Spencer Brown 61

reprasentiert werden. Die Einheit der Ordnung

beruht aber jetzt , deu tl icher a ls j e zuvor, auf Bista-

J bilitat, auf zweiseitigen Ankntipfungsmoglichkei-

ten und damit auf einer offenen Zukunft. Die

Moglichke it des Wechse ls (a ls Kr it ik , a ls Tausch ,

als Regie rungswechsel , ur n bel diesen Beispielen

zu bleiben} wird wichtiger als die gegenwartige

Festlegung von Zustanden.

Schon im Bereich der funktional ausdifferenzier -

ten Subsysterne funkt ioniert dies e Logik der bina-

ren Codierung nieht gleiehmiiBig gut. Es gibt

Funktionssysterne - man denke an Religion, anKunst, vielleicht an Erziehung -, di e unterdiesem

Modus der Selbstselektion leiden und di e Bedin-

gungen de r Techn isierung ihre r Le itdi ffe renzen

n icht g le ichsam spie lend e rfi il len k6nnen .27 Erst

recht li egt auf der Hand, daB zahlreiehe andere,

ehemals r iehtige oder moglicherweise wichtige Un-

ters che idungen fi ir die Codierung von Funktions-

systemen ni cht in Betracht kommen. Das gilt mit

besonder s wei tre ichenden Folgen fi lr d ie oko logi -

sche Differenz, also fur di e Di fferenz des Gesell-

schaftssystems und seiner Umwelt (hierzu Luh-

mann 1986) . Dasselbe triff t fur die Unterscheidung

von Frauen und Manne rn zu. Dies Abgehangt sein

bedeutet n icht , daB die se Unterscheidungen n ieht

mehr sinnvoll sind, nicht mehr vorkommen, nicht

mehr benutzt werden konnen. Nur ihre gesell-

schaf tsstrukturelle Veror tung und ihre Integration

mi t den Funkt ions systemen bere it et er hebl iche,

nahezu unauflosbare Schwierigkeiten,

In d ie se r Saeh lage l iegt d ie gener at ive Bedingung

sozialer Bewegungen, e ines spez ifi sch neuzei tl i-

chen Phanomens, das im St rude l der Haupts trom-

Evolut ion auftauch t und e ine in v ie le rl ei Hinsich-

ten abhangige Opposit ion betreibt. Die hochkonti-

gente Selektivitat derErfolgsstrukturen der rno-

der nen Gese ll sehaft re iz t, j a zwing t d ie se s System

zur Selbstbeobachtung, denn eine zureichend

komplexe externe Beobaehtung kann es nieht ge-

ben. Die Selbstbeobachtung des Gesellschaf tssy-stems kann zu Texten, zu Besehreibungen gerin-

nen und dann in weitgehend ungeklarten (sicher

zufallsabhangigen, s icher kontingenzkausalen)

Konstel lat ionen zur Ents tehung und zur autopoie-

t ischen Entwieklung sozialer Bewegung f tihren. Es

sind sicher nicht einfach Rationalitatsdefizite in

n Dies ist natilrl ich ein his torisch bedingtes Urteil. Da

die Erfnhrungen mit der neuen Ordnung erst zwei- his

dreihundert Jahre alt sind, kann man Moglichkeiten

der Nachevolution anderer Funktionssysteme nlcht.. aussch!ieBen.

der herr schenden Ordnung, andere rs ei ts abe r auch

nicht anthropologiseh vorgegebene, i ibergangene

Bedfi rfn is se , d ie den AnstoB d af ur b il de n ( hi er zu

aueh Japp 1984 und 1986) . Ehe r s timuliert sie die

Moglichkei t , a lt e ode r neue Unterscheidungen und

Bez ei c hnungen vo rz u sc h l ag en , die mit den Codes

der Funktionssysteme verdrilngt oder sonstwie

nicht zureiehend berucksichtigt s ind.

Er staunl ich b le ib t d ie Bindung an d ie Ideo logien ,

die gleichsarn als Nebenprodukt der Codierungen, '.

al s auf sie abgestimmte Wertsetzungen entstanden

sind. Bis in die Details geht es aueh der okologi-schen Bewegung urn Erhaltung des erreichten

Stan des gesel lschaft l icher Errungensehaften und

urn Zusarnmenhange zwischen Mengenentschei-

dungen und Vertei lungsentscheidungen, urn Si -

eherheit und urn Vorsorge fiir Zukunft; und die

feministische Bewegung eopiert vollig phantasielos

Karrierechancen, Freiheiten, Rentenanspruche

oder sonst ige Chancen der Manner - was immer

ihr ins Visier komrnt , ohne den Anspruch auf

Gleichbehandlung zu begnmden. Soziale Bewe-

gungen sind zugleich auropoietische und epigeneti-

sche Systeme; sie gehen von ihrer Definition der

Si tuat ion aus, s ie proklamieren ihre Ausgangsun-

terscheidung (draw a distinction) und folgen der

damit angesetzten Logik, Aber die Gesellsehaft

st el lt Ihnen daf ur nur d ie Form sozialer Bewegung

zur Verfugung, wenn und wei! es sich nicht urn

Unterscheidungen handelt, die sieh als Codes fur

Funktionssysteme eignen.

Wi irden wi r, gebunden an al t- ode r moderneuro-

pa is che Begri ff li ehke it en, in de r Postmode rne I e-

ben, so bliebe nur zu sagen, daB auf dieseWeise

de r Anspruch auf vern linft iges Mensehen leben

zer rieben wird, Mehr an den aktuellenProblemen

orientiert, konnte man sieh aber aueh fragen, ob

Formen der Integration zwischen Funktionssyste-

men und sozialen Bewegungen evo lu ie ren werden

- I ntegra tion begri ff en n ich t al s konsensuel le Har-

monie, sondern als ein wechselseit iges Hineinpres-sen von Limitierungen, als weehselseitige Be-

schrankung von Freiheitsgraden f iir selektive Ope-

rationen.

VII.

Soziale Bewegungen beobachten die funktional

dif ferenzierte Gesellschaf t mit Hilfe eigenti irnli-

cher Le itdi ffe renzen, d ie s ich n icht zur Codierung

von Funktionssystemen eignen und eben deshalb

fUr eine noch nieht vorprogrammierte Beobach-

tung fr eigegeben sind . Mit eine r Einschrankung ,

 

5/17/2018 Luhmann, Niklas - Frauen, Männer und George Spencer Brown - slidepdf.com

http://slidepdf.com/reader/full/luhmann-niklas-frauen-maenner-und-george-spencer-brown 9/13

Zeitschrift fur Soziologie, Jg . 17, Heft 1 ,Feb ruar 1988, S . 47-71

die wir im folgenden Abschnirr aufgreifen werden,

gilt dies a uc h f ur die Leitdif ferenz Mann/Frau. Urn

die Konsequenzen einer solchen Querbeobachtung

in Distanz zuden Codes und Opera tionsweisen der

Funktionssysteme abschatzen zu konnen, mussen

wir zuvor ein weiteres 10gisches Merkrnal von Un-

ters cheidungen in Bet racht z iehen , das wir bi sher

zur Vereinfachung der .Darstellung ubergangen ha-

ben. Da Unterscheidungen Zweieropposit ionen

(DuaIe) s ind,2lls tel lt s ich stets die Fragenach dem

AnschluB dritterund weiterer Moglichkeiten, Man

kann mithin Unterscheidungen danach unterschei-den, wie s ie dieses Problem stellen und behandeln,

und mi t d ie se r Frage stoBt man auf wich tige Diffe -

renzen zwischen alter turnlichen Dualen, unter ih-

nen mannlichlweiblich, auf der einen Seite und

denjenigen binaren Codes , die s ich bei der Ausdif-

ferenzierung von Funktionssystemen bewahren.

Qualita tive Duale haben in alteren Gesellschaf ten

vor allem die Funktion, die vorherrschend analogi-

s ierende Dcnkweise fallweise zu durchbrechen und

Entscheidungen f ii r d ie s und nicht das mit einer

Hintergrundsemantik, vor allem mit bezug aufs

Ganze auszustatten.29 Fi ir qua li ta tive Duale al ten

St il s gi lt , daB s ie dr it te Mogl ichkei ten g le ichsam

auf naturliche Weise abstoBen . Gelei te t durch d ie

Unterscheidung von Mann und Frau kornmt mannichtvon selbs t darauf' , daB es dritte Moglichkei-

ten geben konnte. Man kann nattirl ich geschlechts-

los e Dinge in Rechnung stel len und eventuel l Kin-

der d ie sem Bere ich zuordnen , aber darin l iegt ftir

die Handhabung der Unterscheidung von Mann

undFr au kein P roblem. Bei hoher Relevanz d ie se r

Unterscheidung miissen nur Unscharfen und

Ubergange, etwa .Geschlechtsumwandlungen,

Hermaphrodi ten e tc. , t abui si ert , annihi li ert , ins

Monstr6se abgeschoben oder sonstwie abnorrnali-

siert werden. 3(1 Dufur gibt es bis in die frtihe Neu-

zeit. hinein gute Belege. Solange sich der Aus-

28 .Di e Gnlnde dufur konntcn nur in wci tl au flgen Unter -

suchungen iiber informationsverarbeitungstechnischc

Vorzuge von b inarcn Scherna ti si erungen gek la rt wer -

den. Wirmilssendas hier alsbekannt voraussetzen.

2. Fiir cine Auswahl a us de r sehr urnfangreichen For-

schungvgl, Needham (1973). In diesem Kontext.fin-

den sich imiibrigen g an z t yp is ch jene asymmetrisie·renden Struktureti.derPrikminenz der einen Seile, aufdiewirobenunter III. bercitseingegangen sind.

3!lZu dicsemschrallgemeinen Erfordemis, symbolisiert. z. B. durch die Nichtplaiierbarkeit der Nul! im Uber·gangvon positiv;m negativ,vgl. auch Leach (1982: 8,

86,222 und 6fter) ~

schluB dritter Moglichkeiten nahezu von selbs t ver -

steht, funktionieren religiose bzw, hierarchische

Losungen des Problems. Siefunktionieren unter

geringen Belastungen, mit wenig AnlaB zu Zwei-

f eln. Das ausgeschlos sene Dri tt e kann al s re ligio-

ses Geheimnis oder im Sinn VOn Transzendenz

oder als hierarchisch ubergeordnetes Ganzes wie-

dereingefuhrt werden. Es ist in der Kcnstitutions-

bed ingung der Unte rs cheidung und in ihre r imma-

nen ten Asymmet ri e immer schon be rucksich tigt .

Die s andert s ich mi t dem Ubergang zu hochgr ad ig

techni siert en Codes , d ie den Bezug auf dri tt e Wer-te explizit ausschliefsen, paradoxiebewuBt werden

und sich mi t der Denkbarkei t e iner mehrwert igen

Codierung ausei nandersetzen mussen. Gute Bei-

spiele dafur findet man in der Wahrhei tslogik und

einer sehr alten Diskussion uber unverrneidliche

Unbestimmbarkeiten, mehrwertige Logik und

Spez ial regeln zur E liminier ung von Pa radoxien .

Ahnliche Sachverhalte wurde man vermutlich am

Rechts code fe st st el len konnen, wenn man die neu-

zeitliche Umformung der alten (hierarchieabhangi-

gen) Problematik del' Derogation (vgl. Bonucci

19D6; de Mattei 1969) in Vorstellungen uber

Staatsrason, naturliche Rechte und schlieBlich Ge-

walt als Grundlage der Geltung des positiven

Reents genauer erforschen wurde, Diese Entwick-lungen zu e iner techni sch per fekten Codierung

z iehen jedoch g leichsam an der Unter scheidung

von Mann und Frau vorbei, und der Differenz-

punkt s cheint im Problem des ausgesch lossenen

Dri tt en zu l iegen . Da jede Ausfuhrung der Anwei -

sung "draw a dist inc tion!" e in ausgeschloss enes

Drittes produziert und dies prazisiert in dem Ma-

Be, a ls s ie nich t nur d ie beze ichnete Form, sonde rn

auch das von ihr Unte rs ch iedene fi ir Beze ichnun-

gen zugang lich r nach t, l ieg t h ier e in Verg le ichs-

punkt, und man konnte hier ansetzen und zu

klaren versuchen, wesha lb d ie Unter scheidung von

Mann und Frauan dern Sieges lauf de r techn ischen

Codes nicht tei lnimmt und deshalb als Unterschei-

dung von Frau und Mann nur noch ftir Unruhesorgt.

Dazu g ib t e s noch keine h in re ichend sorgfa lt igen

Untersuchungen, wir sind also auf erste Mut-

maBungen angewiesen. Hal t man sich an die logi-

sche CodierungderWahrheitals Leitfaden, dann

zeigt s ich ein Zusammenhang zwischen (1) Techni-

zitat des Code im Sinne einer Abschwachung der

Asymmetri e und e iner Er leich te rung des c ross ing,

(2) Universalitat und Spezifitat desProblems der

selbs treferentiel len Paradoxien, die aIle Operatio-

nen unter dem Code blockieren, aber mit spezifi-

schen Instruktionen (a la Typenhierarchie) besei-

NiklasLuhmann: Frauen, Manner und George Spencer Brown 6 3

t ig t werden konnen; und (3) Verz icht auf re ligiose

und/oder hierarchische Problernlosungsmittel ,

wenn man bereit ist, Unbegrundbarkeit (Godell)

der Deblockierungsinstruktionen in Kauf zu neh-

men. Auf der Grundlage einer derar t leistungsfahi-

gen Codierung konnen dann die Parsons'schen

pattern var iables universality/specif icity realisier t

werden. Das heiBt: jeder Sinn, der im Codebereich

zum Thema wird , ka rin auf unive rs el le spez ifi sche

Weise behandelt werden, auch dann, wenn der

Eigensinn dieses Sinnes (zum Beisp ie l d ie politi-

sche Intention del' Recht svorschrift , der lebens-weltl iche Bedeutungskontext von Aussagen, die

personl icher Affini ta t zu e iner kaufl ichen Ware )

damit nicht angemessen ber iicksichtigt wird. Eben

das e rmogl ich t d ie Ausd iffe renzierungvon Funk-

tionssystemen unter der Regel des ausgeschlosse-

nen Dritten mit Vorbehalt del ' Wiedereinfuhrung

des ausgeschloss enen Dri tt en in den Opera tions be -

re ich des Codes in del ' Form nieh t Von Codie rung ,

sondern von Programmierung (zum Beispiel:

.Liebhaberpreise" in der Wirtschaft oder die ver-

, :f as sungsr echt li che Berucksicht igung der pol it i-

schen Prarnissen des Recht s, ohne daB damit eine

dreiwertige Struktur rechtmafsig/rechtswidrig/poli-

t isch oppor tun akzeptier t werden miifl te).

Die vielleicht wichtigste Eigenschaft solcher Codesverdient einen besonderen Hinweis, gerade wei l

sie auf die Unterscheidung von Frauen und Man-

nern nicht (oder doch?) iibernommen werden

kann, Die Codes schliefsen vor allern Entscheidun-

gen aus und ein. Die Entscheidung, fi ir d ie eine

oder d ie andere Sei te (f ur Rech t, s ta tt fi lr Unrech t;

ftlr unwahr, statt ftir wahr) ist das im Code ausge-

schlossene Dritte, das in das durch den Code gebil-dete System zugleich eingeschloss en i st , Ohne Ein-

schluB des ausgesch lossenen Dri tt en (oder : ohne

Ausschluf durch Codierung des eingeschlossenen

Dritten) kommt es nicht zur Systembildung. In

bezug auf den Code ist die Entscheidung der Para-

si t im Sinne von Michel Ser res (1981), und System-

b ildung i st folglich e laboriert e Par adox ie . EineGesellschaf t, die s ich durch codierte Funktionssy-

steme fuhren liiBt, erzeugt wie keine zuvor einen

Bedarf fur Entscheidungen, die s ie nicht legit irnie-

ren, jedenfalls nicht auf die Werte ihrer Codes

zuri ickfi ih ren kann . Deshalb muB uber "Geltungs-

ansprilche" unabsehbar verhandelt werden, des-

halb wird Legitimation zumDauerproblem, des-

halb wird ei ne Supersemantik der "unverletzli-

chen" Werte geschaffen, d ie d ie Pa radox ie aufneh-

men, inv isibi li si eren und be jahungsfi ih ig zuruck-

strahlen kann. Deshalb wird, und das ist die struk-

turell wirksame Antwort auf das Problem, zwi-

schen Codierung und Programmierung unterschie-

den und die Kriterien des Richtigen werden erst

auf der Ebene der anderbaren Entscheidungspro-

gramme festgelegt, Deshalb entsteht in nie zuvor

gekanntem AusmaBe Organisation.

Erneut an Spencer Brown anschlieBend kann man

die s Problem auch a ls Problem der Unive rs al isi e-

rung einer Unterscheidung darstellen. Das Univer-

sellsetzen einer Unterscheidung fiihrt zu einer

Form ohne AuBenseite - so wie die Elementarset-

zung einer Unterscheidung zu einer Form ohne

Innenseite fi ihrt. In beiden Fall en entsteht eineformlose.Form, eine Paradoxie (Glanville/Varela

1981). Spencer Brown weiB Rat, wir haben es

schcn erwahnt, durch eine Prozeduralisierung der

Paradoxic. Auch die Systemtheorie weiB Ra t. Sie

kann einen binaren Code wie einen reizunspezifi-

schen Codierungsmechan ismus behande ln , der al -

les, was ihm die Umwelt zuspielt, behandeln kann,

aber nur in der Form systerneigener Operationen,

also nur in Ausdifferenzierung eines geschlossenen

rekursiven Systems;" Wenn man aber auf diese

Krucken der Logik bzw, der Systemtheorie ver-

z ichten wil l: wie kommt man dann zu eine r theore-

tisch hinreichend genauen Erfassung des Pro-

blems?

Diese nur in knappen Strichen skizzierte Preble-

rnatik von binaren Untersche idungen laBt s ich nur

schwer auf die Unterscheidung von Mann und

Frau ubertragen.V Der Grund diirfte sein, daB

s ich die oben genannten Bedingungen der Techni -

s ier ung und die hochart ifi zi el le Kons trukt ion des,

wiedere ingef iihrt en ausgeschlossenen. . Dri tt en -'

des Ausschlusses qua Code und der Wiedereinfi ih-

rung qua Programm - in diesem Falle ni cht reali-

sieren lassen. Man kann es gedanklich leicht

durchspielen: Als Code wurde die Unterscheidung

in ihrem Syst em den Parasiten Entscheidung er-

zeugen, der den Code sofor t erodieren wurde. Das

Ent scheiden lieB e sich nicht ausschli efien. ohne

daB es zugleich wieder ins System eingeschlossen

werden mtillte. Und dann ware unabweisbar zu

entscheiden, wer entscheidet: der Mann oder die

31 Vgl. fur einige erkenntnistheoretische Konsequenzen

soleher "undifferenzier ten Codierung", ungeregtdurch neurophysiologische Forschungen, von Foerster

(1987: mfr.).

n leh wiiBte aber gem, was genau Paul Valery(1960 : 354 ) gemeint hat mit: "Entre homme et fern·me, iln'y a pas trois possibilites".

 

5/17/2018 Luhmann, Niklas - Frauen, Männer und George Spencer Brown - slidepdf.com

http://slidepdf.com/reader/full/luhmann-niklas-frauen-maenner-und-george-spencer-brown 10/13

64 Zeitschriftfi ir Soziologie , Jg. 17, Heft 1,Februar 1988, S . 47-71

Frau.33

Auch die Universali sierung der Unter-

seheidung von Mannund FrauJiiBt sich kaum bis

ins logische Extrem durchziehen. Immerhin konn-

te man sich eineTendenzdieser Art vor stel len, d ie

dann d ie auf tre tenden Pa radoxien en tweder in d ie

Ambiguiti itendeshef tigen.Feminismus oder in die

Funktionssystel1lbildung der Familien auflost. Wir

kornmendarauf zuriick.

Tro tz d ies er s trukture ll en Schwache, t ro tz dies er

Schwierigkeiten in der Behand lungde r Par adox ie

des eingesehlossenen ausgeschlossenen Dritten be-

hal t die Unterscheidung Frau/Mann auch in dermodernen Gesellsehaf t ihre eigenti imliche Funk-

t ion, d ie Ankniipf ung von Bezeichnungen zu diri -

gieren, wenngleich nur fur Fail e, in denen es tat-

s achl ich ur n Frauen bzw. Manne r geh t. Die Beob-

aehtung der Funktionssysteme anhand dieser Un -

terscheidung lauft dann iiber eine prinzipiell in-

kongruente Perspektive. 34

Das ftihrt dazu, daB die Funktionssysteme, die

unter je ihrem Code autopoietisch-geschlossen

operieren, die Unter scheidung von Mannern rind

Frauen aufnehrnen konnen, wenn dies inihrem

Funkt ionskontext sinnvoll ist.Die Warengestal -

tung und Werbring der Wirtschaft mag si eh ver-

mehrt auf Frauen einstellen, wenn diese als Kaufer

ffir bisher typisch von Mannern gekaufte Waren in

Be trach t kommen. Die Unte rnehmenspol it ik der

"corporate identity" mag sich trendbewuBt vo r den

Frauenverneigen und den Posten "Frauen" in ihre

Sozialbilanzen aufnehmen, besonders wenn die

Grenzen zwischen Markt und Offentlichkeit

durchlass iger werden (BuB 1983) . Die polit ischen

Par te ien mcgen es fur opportun hal ten , vermehrt

Frauen al s Kandidat innen aufzustel len, Die Wis-

senschaft mag sich unter den B es ch ra nk un ge n i h-

rer theoret ischen und methodischen Mittel auf

l lDaB di es es Pr obl em i n Eh en lo sb ar is t (n icht zul etz t

durch Arrangements, die sicherstellen, daB derjenige,

der ent sche idet , n icht unbed ingt der jenige i st , der dasHef t i n d er Hand ha t), soli h ie r nu r a nge rn er kt wer -

den. Wir kommen darauf zunick.

J. Die Diskrepanz wird konkret I al ibar , wenn d ie Auf fa s-

sung v er tr et en w i rd , daB Frauenforschung nur von

Fra ue n ad aq uat be tr iebe n wor de n kon ne ( ei n Argu -

ment aus dem Antiquariat der ciceronisch-quintil iani-

s ch en Rh et or ik) ode r wenn di e Aufs ch re iqua lit at v on

Aussagen neben Wahrheit und Unwahrheit gleichsam

a ls d ri ll er Wert an ge bot eri w ird , Das s ind i rn u br igen

Phiinornene, die zusatzlich darauf hindeuten, daB

selbst die GJeichstellungsideologie keine adiiqunte se-

mant is che Impl ement at ion de r Le it dif fe renz Mann r

Frau ermoglicht.

.Frauenforschung" einstellen. Die Sprachempfeh-

lung mag s ich durchsetzen, zumindest in offiziellen

Dokumenten immer auch das andere Geschlecht

mi tzuerwahnen: Mini ster /Mini st er in , Saugl ing/

Siiuglingin usw. Damit werden jedoch nur Pro-

gramme modifiziert, die unter andersartigen Co-

des angesetzt und auf die Allokation andersart iger

Werte ausgerichtet sind. Was auf der Ebene des

Code a ls dritter Wert ausgeschlossen bleiben muB,

kann auf der Ebene der Programme in das System

wiedereingefiihrt werden - aber nur im Rahmen

der dadurch gegebenen Beschrankungen.

Gerade da s kann e ine soziale Bewegung, d ie sich

selbs t unter der Leitdif ferenz Frau/Mann etabliert ,

n icht zufri edenstel len. Sie tendiert , ungeach tet a l-

Ier logischen Probleme, zur Universalis ierung ihrer

Le itdi ffe renz. Angesich ts j ener Adapt ionen in den

Funktionssystemen mag die Fr auenbewegung sich

uber Erreichtes f reuen,Positionsgewinne normali-

sieren und sie alsAusgangsbasis filr weitere Ver-

besserungen benutzen. 1m Prinzip realisiert sie

ihre eigene Leitdifferenz dann aber nur als Ideo-:

logie: als unendlicher Hor izont fur ein Gleichheits-"

streben, das ers t bei einer Ver teilung 50 : 50 zur

Ruhe kame, wie s ie nur irn extrem unwahrscheinli-

chen, zuf fi ll igen Fall von den Funktionssystemen

se lbst e rzeugt werden wurde. Auch die Frauenbe -

wegung hat, wie man damn sieht, es mit einer

Diffe renz von Codier ung und Programmierung zu

tun. Ihr Code ist die Unterscheidung von Frau und

Mann. Ihr Programm ist d ie Gleichstel lung . Ih re

Logik i st e ine der Ambigui ti it . Ih re Dunke ls tel le,

die in dieser Differenz von Codierung und Pro-

gr ammierung sich verb irg t, i st : daB man nicht f ra -

gendarf, was das eine mit dem anderen t iberhaupt

zu tun hat .

Kaum erortert worden ist bisher die Frage, wie

sich das St reben nachHers te llung von Gleichhei t

auf die Ver trauensbildung in sozialen Beziehungen

auswi rk t ( vgl . Barber 1983 : 38ff~ ). Die Ideo logie

sagt uns natur lich: Gleichheit sei -Voraussetzungfur alles Vertrauen, ohne sie gabe es nur "Herr-

schaft" (ohne Vertrauen?). Viel leieht hat sich die

Soz io logie mi t d ies er Auskunft vors chne ll zufr ie-

dengegeben. Vertrauen ist fur sie kein Thema.

Dennoch gabe es hier eine der wenigen Moglich-

kei ten, Theorienannahme ernpi ri sch zu ube rpru-

fen. Gleichheit ist ein extrem unwahrscheinlicher

Zustand. Will man ihn erreichen, potenziert man

Gegnerschaften und Hindernisse. Hat man ihn

e rr eich t, li eg t der Ri ickfa ll in Ungleiehhe it en (Ne-

gentropie) auf der Hand. Wie auch bei der Idee

des G1e ichgewieht s handel t e s s ieh eigent li ch nur

Nik la s Lu hmann : F ra ue n, Manne r und Geor ge S pe nc er B rown 65

urn eine Kont ro ll idee zur Uberwachung von hoch-

wahrscheinl ichen Abweichungen. Jeder wi rd zum

mogl i chen St orer, jedes Ereignis wird zum mogli-

chen Prazedenzfa ll fu r kunf tige Ungleiehhei ten. In

der Perspektive von Herstellungs- bzw. Verhinde-

r ungsabsichten s ind d ie s Risiken, die, wenn man

s ie ignorier en wi ll , Vert rauen er fo rdern , aber eben

deshalb, sehr leicht auch in MiBtrauen umsehlagen

konnen, wenn man die Erfahrung maehen mull,

daB sich d ie e rs trebte Gle ichhe it bzw. e in Gleich-

gewicht der unvermeidlichen Ungleichheiten nicht

einstellt.Welche Oualitat soziale Beziehungen annehmen

werden, die sich dem gesellschaftlich-ideologisch

empfohlenen Gleichheitspostulat unterstel len bzw.

gleichwertig eingestufte Ungleichheiten ins Ge-

wicht zu bringen ve rsuchen , i st eine off ene Frage.

J e d ich te r und funk tionaler das Beziehungsnetz,

das diesen Anforderungen genligen muB, desto

wahrscheinlicher die Storung, desto gr6Ber der

Uberwachungsaufwand, desto posit iver vielleicht

auch die Erfahrung, wenn es trotzdem gelingt.

Jedenfalls ist es aber von der Makrologik gesell-

s chaft li cher Ideo logie zur Mikrologik konkreter

sozialer Systeme ein weiter Weg, urn dessen Be-

dingungen, Strukt uren, Ri siken und Abwege die

Frauenforschung sich zu ihrer eigenen Entmuti-gung mehr als bisher kiimmern sollte.

VIII.

An diesern Punkt angelangt, mussen wir einen

bisher ubergangenen Sachverhalt einbeziehen: daB

es auch ein Funkt ionssystem gibt, das in spezifi-

s cher Weis e gerade durch d ie Unter scheidung von

Mann und Frau codiert ist : die Familie. Was irn-

mer d ie Fami li e e inst gewesen i st : in der modernen

Gesellschaft realisiert sie fiir einen Bereich die

funktionale Dif ferenzierung des Gesamtsystems.

Sie hat keine andere Wahl, hat aber gerade auf-

g rund dies er Di ffe renz ie rungsf orm die Chance , e t-

was Unwahrscheinliches zu realisieren.

Auch der Fami li e l iegt heute d ie Unters cheidung

von Mann und Frau zugrunde. Sie dient ihr im

Sinne von i ndifferent er Codierung=' zur Abwei -

sung ex te rner Relevanzen und zur Organ is ie rung

eigener Rekursivitat, Das fuhrt auf die Frage, in

welchem Verhaltnis die Verwendung der Unter-

scheidung Mann/Frau als Code fur Famil ienbil-

J> Bzw. mit v on Fo er st er ( 198 7) : un di ff er en zi ert er Co -

dierung.

dung und die .Verwendung der gleichen Unter-

s cheidungen FraulMann a ls d is tinct ion d ir ec tri ce

ferninist ischer Bewegungen zueinander s tehen und

wel che Spannungen und Folgeprobleme sieh aus

dieser Doppelverwendung ergeben.

Wir konnen die weitlaufige Diskussion tiber

"Funktionsverlrist" oder funktionale Spezifikation

der modernen , durch Intimitat gebundenen Klein-

familie hi er beiseit e lassen. Unter dem hier ge-

wahlten Blickwinkel ergibt s ich eine langwahrende

Kontinu it at daraus , daB Fami li en al s soziale Syste-

me durch die Unterscheidung von Mann und Fraucodiert sind und i hre gesellschaftliche Funktion

unter anderem gerade dar in besteht, diese Unter-

scheidung damit zu bl oekieren und zu verhindern,

daB sie als gesamtgesellschaftliche, aile anderen

Unter scheidungen media ti si erende Diffe renz fun-

giert.36 Die Entwieklung der modernen Farnilie

stellt di esen Code nicht in Fragersie baut nur die

zahlreichen multifunktionalen: (religiosen, wirt-

seha ft li chen , pol it isehen und sch li efi li ch zum Te il

scga r er zieheri schen) Verwendungen ab , d ie unter

diesem Code institutionalisiert worden waren. Da-

mit entsprieht sie einem allgemeinen Trend zu

funktionaler Differenzierung, der Redundanz-

ver zich te , das heiSt Verz ieh te auf Mehrfachabsi -

cherung einer Funktion durch Multifunktionalitatihre r Trager einr ich tungen er fo rdert . Rel ig iose ,

wirtschaft l iche etc. Funktionen konnen dann nur

noeh in den daf ur ausd iff er enziert en Einrich tun-

gen und nieht mehr zugleieh aueh in Familien

erfiillt werden.F Multifunktionalitat wird durch

Interdependenzen, durch wechselseit ige Abhan-

gigkeit ohne Substitutionsrnoglichkeiten ersetzt.

Wenn sol ehe Entwicklungen die gesellschaftliche

Funktion der Familie reduzieren, rnuflt e man er-

36 Dar in d ii rf te wah l d ie evo lu tionare Errungenschaf t des

Uberganges von sehr fruhen Gesellschuftsformationcn

zu segmentnrcr Diffcrenzierung gelegen haben, Vgl.

a uch ob en Anm. 26 .

J1 DaB diese Entwick lung seh r f ri ih beg innt , l aB t s ich vor

a ll ern am Beisp ie l der schon f ri lh ausdi ff er enzier ten

Rel ig ion. verdeut li chen , Die famil ia le Ahnenve rch-

rung wird, r el ig ionspo li ti sch woh l seh r bewuBt, durch

da s Dogma de r Er bs und e b oy kot tie rt: Man ve re hr t di e

Vor fa hr en n icht , man f tir ch te t si e ni ch t, man b ck lagt

ihre Sanden und b it te t [ (i r s i e u rn Vergebung! Ent sp re -

chend ver li er t d ie Farni li e im Mit te la lt er ihre rel ig io se

Bedeu tung , und e rs t nachdern d ie se Reinigung rad ikal

durchgefiihrt ist, wird die Familie im Gefolge der

Reforma tion a ls r el ig ionspi idagog isches Ins trumen t

der P rakt iz ie rung von All tags frommigkei t (Devo tion )

wieder aufgewertet.

 

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http://slidepdf.com/reader/full/luhmann-niklas-frauen-maenner-und-george-spencer-brown 11/13

6 6 Zeitschrift fUrSoziologie. Jg. i7, Heft 1,Februar 1988,S. 47-71

warten, daB die Diff er enzvon Mann undFrau al s

eigentlicher, unverzichtbarer Code der Familien-

b i ld u ng s i ch s c ha r fe r profilier t. Die Frage i st d a nn ,

ob diese Unterscheidung. solchen Anforderungen

gewachsen ist. Invielen Hinsichten sind auch hier

Entwick lungen zu beobach ten, die auf e inen Ab-

bau .derjenigenAsymmetri en h indeuten , d ie den

Sinn dieserUnterseheidung mit externen Referen-

zen angereichfm hatten. Seit langem sind zum

BeispielPosit ionsregulierungen im Gesehleehts-

verkehr,diea ls norma l und al s naturl ich empfun-

dell wordenwaren, umstr it ten und fur individuelleHandhabung fre igegeben. Sic werden jedenfa ll s

niell! mehr mit der Natur von Mann und Frau

gerechtfert igt . r" Auch gesellschaftliche Vorgaben

von .Primarver an twortung fur E inkomrnen, von

Arbeits teilung undovon Rollendif ferenz beim Er-

ziehen der Kinder werden, keineswegs nur von

feminis tischer Seite , kri tisier t undbefinden sich in

Legit imationsschwierigkeiten. Die (bis auf weite-

res) unvermeidbare Differenz, daB nur Frauen

Kinder austragen und gebiiren konnen. wird als

eine Art. entschadigungsbediirftiges ..Sonderopfer

dargestellt, daB durch Gegenleist ungen im Ar-

beits -undRentenrecht honor iert werderi sollte,

Wie mansich den Kindem, Nachbarn, Gasten

usw. gegeniiber verhalt, ist ein ad hoc abstim-mungsbediirftiges Geschehen ohne tonangebende

Lei trollen. Wer seine Erwartungen noch an Mo-

dellen wie Kavalier oderDame ausrichtet, sieht

s ichzunehmend mi t Verhal tensweisen konf ron-

tiert, die auf der souveranen Verstiindigung des

Pa a re s be ru h en,

Aile Anzeichen deuten auf einen Abbau der di-

s tinction.directr ice Mann/Frau auch f tir das Farni-

l ienleben h in . Es i st nur konsequent , wenn Kinder

ihre El te rn dann nich t mehr mi t Vater und Mut ter

anreden. sondern mit Vornamen. Die Farnilie wur-

de sich so zu e inem nich tcod ier ten System entwik-

kelnund ger ade darin ihre gese ll scha ft li che Ano-

malie finden. Es ware eine groBere Formenvielfalt

und eben dadurch in de r Gesamthei t de r Fami li en

hohe re Komplexi ti it mogl ich - vorausgesetzt , daf

das Fehlen eine r Codier unc dank der Kle inhei t des

Systems auf der Ebene de; In ter ak tion durch Auf-

bau systerrigeschichtlicher Sinnfixierungen m~ge-

glichen werden kar in. Man kann sieh den Grenzf~ll

vorstellen, in dem das System sich nur durch dIe

Unterscheidung von Mannund Frau codiert und

33 Schon die Romantiker hatten bekanntlich Rollen-tauseh zu Ic!.!itimierenversuchL Fur cine heutige Erhe-

bun!!mit D~ten <Jusder DDR, leider ohne KorrelationmitSchichtung,siehe StarkelFriedrich(1984: 205ff.).

diese Unterscheidung nur als Nichtunterscheidung

L· b 39handhabt - un d man k on nte d as te e nennen.

Die femini st is ehe Bewegung ger at so in e in e igen-

tumlich ambivalentes Verhaltnis zu Fami lien. So-

weit sie auf Gleichheit besteht und Empfindlich-keiten, etwa in bezug auf "Gewalt in Ehen", zu

manipu li er en ver sueh t, findet si e in den Asymm~-

trien der Unt erscheidung von Mann und Frau kei-

nen (oder rasch abklingenden) Widerst~n.d; si.e

findet aber Widerstand in de r hohen Ind ividual i-

si erung von Fami li ensystemen; denn warum sol lt e

e s einem Paar verwehrt werden , s ich auf Vorherr -schaft des Mannes, auf Asymmetrisierung von In-

i ti at ivgepflogenhei ten, auf t rad it ione ll e Fo :m~n

der Aul lendarstellung zu einigen, gerade well die

Unterscheidung von Mann und Frau zahlt und

zug le ich n ich tzah lt ? Ger ade d ie Starrhei t . ?: r Lei t-

d iffe renz, die e ine soziale Bewegung benot ig t, um

sich selbst zu formieren, wird auf Familien nicht

iibertragbar sei n. Und hier wie auch sonst rnogen

d ie Fami li en sch li el il ich wie interne Abscho ttun-

gen wirken, die verhindern, daB die durch 70ziale

Bewegungen angefachten Sturme das Schiff derQ •

Gesellschaft zum Sinken bnngen.

Da es heute weniger wichtig geworden ist, den

Kindern Vater zu beschaffen (St ichworte: sowohl

Not als auch Wohlfahrtss taat), kann die Frauenbe-

wegung sich zu Fami li en d is tanziert verhal ten und

eventue ll den Ri .i ekzug auf e ine griechi sche lnsel

empfehlen. Andererseit s i st di e Familie der Ort,

an dem die Unterscheidung Mann/Frau modern,

das hei lst a ls Nichtunters che idung pr ak ti ziert wer -

den kann. So bleiben der Bewegung die Mittel der

unheilssensationellen Exalt ierung. Sie lebt, durch-

aus aufgrund von nachweisbarenTatsachen, ~on

Emporungsgenufi, 4[1 Wer aber den Au!ger.egt~elts-

bedarf einer Wohlfahrtsgesellschaft 51Gh I II dieser

Weise zu Nutze macht, wird bald die Erfahrung

machen daG die Gesel lschaf t andere , neuer e The-

men bevorzugt und die Klagender Frauen .,nieht

mehr horen kann". Ohnehin ist ja die Auffassungauchheutencch verbrei tet, daB Frauenleiden von

einem Punkte aus zu kurieren seien (Ulrich, der

Mann ohneEigenschaften), und sei dies heute der

o f fe n tl i ch e Hau sha l t:

J9 Anch Heinz von Foerster spricht in seiner Rezcllsion

1969(also vor "Only Two Can Play This Ga?I~")~omGrenzfall eines "calculus of love, where dlstlilctlons

are suspendend and all isone" .

"0 Odo Marquard (1985: 131) spricht. un.danch d_aswilr-de passen, in einem sehr viel allgememerell Smn von

"Emp6rungsuberaufwand" .

NiklasLuhmann: Frauen, Manner und George Spencer Brown 67

Das Wiedereinbringen des Themas Mann und

Frau in die Familie ver folgt, soweit bisher zu er-

kennen hochselektive Interessen. Es geht jeden-

falls ni~ht darum, der Unterscheidung einen Si~n

zugeben. Sieht man sieh naher an, ,was ?araufhm

den Ehen und Familien zugedacht wird, sind es vorallern Organisationsvorschriften. Die Hausarbeit

soli nach Dauer und Gewicht wie die Belastung

von Rucksacken beim Wandern gleich verteilt,

elastisch organisiert und zugleich mit dem MaE

und der zei tl ichen Lage von externer Erwerbsar-

beit abgestimmt werden. Man tut. es nicht "fUr"den anderen als Ausdruck von Liebe, man iiber-

n immt mi t Sei tenb li ck da rauf, was der ande re tut,

e inen . "fai ren" Antei l, und den Organi sat ionen de r

beruflichen Arbeit wird zugemutet, sich auf die

s elek tive Akkord ie rung der Hausa rbei t e inzustel -

len, sie zu ermoglichen, sichihr anzupasse~. Man

prob t L iebe gewisse rrnafs en auf dern Terra in v~n

Arbeitsorganisation. Die schar fe biirger lic.he Dlf -

ferenzierung von Arbeitswelt und Haus wird auf-

gegeben (siehe Droz lS2? : 1?8f~.;Mi~helet 18~~;

Jef frey 1972) . So berechtigt dies 1St:die Durchlas-

sigkeit begunstigt auch eine Ausbreitung von Or-

ganisation wie durch Osmose.

Im Anschluf an die Ausfuhrungen tiber die Para-

t doxiepr ob leme des Untersche idens l iiBt s ich nun-• mehr folgendes vermuten: Die feministische Be-

wegung tendier t zu e iner Univer sa li si er~ng ihr es

Code. Sie propagiert seine Unterscheidung als

Form ohne AuBenseite, ohne Schranke, ohne

Rucksi cht. Sie verstri ckt sich damit in die Para-

doxie der formlosen Form. Sie ver langt Gleichheit,

ohne akzeptieren zu konnen, daB dies Postulat

se ine e igene Grundlage , d ie Unte rs cheidung , ver -

schluckt, 41 Der Farnilie stellt sich das Problem an

entgegengesetzten Ende. Sie elementar is iert ih:en

Code. Sie behande lt ihn a ls Formohne Innensei te ,

als Symbol der Selbsteinigkeit des ~nterschi~de-

nen. Beides kann naturlich so, wre forrnuliert,

nicht funkt ionieren. Aber es macht einen Unter-

schied aus, von we1chem Paradox man ausgeh t, ur n

den Weg zuruck zur Entscheidung oder, wie man-

che lieber sagen wiirden, den Weg zuruck zur

Vernunf t zu f inden.

"1 Fi lr die Logik von Spenccr Brown macht eben d ie s

keine besonderen Schwierigkciten, da hier im Vollzugdes Procedere ohnehin ein re-entry der Unterschei-

dung in sich selbs t vorgesehcn is1. Speziell hierzu

GlanvillelVarela (1981).

I X .

I n dem MaBe, a ls die Frauenforschung inn :rhalb

derWissenschaft und die F rauenbewegung mner-

halb der Gesellschaf t s ich selbs tbestimmt ausdiffe-

renzieren, setzen sie sich auch der Beobachtung

aus. Die Bewegung selbst identifiziert sich mit

ihren Zielen, Sie darf sich aufgrund allgemein ak-

zeptier ter ideologischer Wer tm.uste.r (Gle~ehheit)

dazu berech tigt fi ih len und openert msowe it , ohn .e

Widerspruch zu finden. Die Beobachter schwe~-

gen. Sie warten abo Sie folgen der Bewegung mit

oder ohne Sympathie: teils amusiert, teils iiber-ra scht , t ei ls befremdet . Aufgrund Erfahrung kann

man annehmen: das kann nieht lange dauern. Wo

es ernst wird, bieten die Funktionssystem~ und

ihre Organ is at ionen h inr eiehende , j a of t zwmge~-

de Moglichkeiten, aus sachlichen Grunden Vorsto-

Be der Frauenf rakt ionen abzu lehnen oder zu verta-

gen. Man kann getrost einem. ~esc.hl uB. zustirn-

men, daB im Fai le g le icher Oual ifikat ion eme Fr?u

den Vorzug vor einem Mann verdient, wenn im

konkre ten Fal l dann immer noch bes tri tt en werden

kann, daB ein Fall gleicher Qualifikationen vor-

l ieg t. S elbs t wenn man Ouotenfr auen h i~ne~men

miiBte, lieBe sich darnit in den Organisationen

immer noch leben.

Die vorstehenden Uberlegungen versuchen, eine

andere Art der Beobachtung anzubieten - eine Art

der Beobachtung, d ie s ieh mogl icherweise auch zur

Ubernahme in d ie Se lbst ref lex ion der Bewegung

eignet . Der Ausgangspunkt ist aueh hier: Distanz

zu den proklamierten Zielen der Bewegu~g, zu

ihre r (wie immer konsensfi ih igen). I deo lo~le ~nd

damit zu der gesell schaft lichen. Nische , die erne

selbs treferentiel le Organisation der Frauenbewe-

gung ermcglicht und protegiert. Die Beob~chtu~g •

Igeht nicht von den Zielen aus, denn das w~rde ste

sofort in Anhanger und Gegner, Sympathl sant~n

und Boykottierer spalten je nachdern, ob man die

Zielsetzungen akzeptiert oder ablehnt. De~ VO.r-

schlag ist, den Leitfaden der Beobacht~ng nicht inden Zielen , sondern in den Unterscheldungen zu

finden mit denen die Bewegung ihre Informa-

tionsv~rarbeitung strukturier t, Dann erseheint die-

se Ni sche als Ausschnitt einer weit eren Urnwel t,

und der Beobachter kann sehen, daB die Frauen-

bewegung sieht, was sie sieht, und daf sie ~icht

s ieh t, was sie n icht si eh t. .12 Man konnte, urn emen

41 Diese Unterschcidung von Nische und Umwelt ilber-

nehme ich von Matumnn (1982: 43ff.). Sic cntspricht,

mi t bezug auf . .Umwelt ", n ieht dem a llgen:einen

Sprachgebrauch dcr Systemt~eorie, kannaber Iller ZUT

Kliirung des Sachverhaltes bCltmgen.

 

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Zei tsch ri ft fur Soz lo logie, Jg. 17, Hef t 1,Februar 1988, S . 47-71

g an z and er e n Theor iekontext heranzuziehen, auch

sagen, daf die Semantik der Frauenbewegung als

e in Diskurs im Sinne Foucaul ts beobachtet wird ,

naml ich kuhl , unengag ie rt und nur dar an inter es -

s iert , zu sehen, wie Dif ferenzen Dif ferenzen erzeu-

gen und sich dadurch ein eigenti irnliches Verhalt-

nis von Beleuchtung und Abdunklung herausdif fe-renziert , 43 .

Halten wir also noch einmal fest, daB die Unter-

scheidung von Mann und Frau, d ie e ine Asymme-

t ri si er ung er fo rdert , den Mann begunst ig t, der d ie

gese ll schaft li che Ordnung r epras en ti ert und derdeshalb zunachst bezeichne t \ver den muB. Wenn

abe r d ie Repra sentat ion n ieh t mehr t ragt : welche

andere Asymmetrisierung ware denkbar und wie

konnte s ie eingesetzt werden, urn das Bezeiehnen

auf d ie F rau h inzu lenken? Im AnschluB an Nietz-

sche ("Viel leicht ist die Wahrheit ein Weib, das

Gri inde hat , ihre Gri inde n ieht sehen zu lass en")

s ch lagt Eva Meyer (1983) in e iner auf dem Niveau

logischer und epistemologischer Probleme durch-

daehten Arbeit vor, das Sicheinlassen auf Para-

dox ie und die Invi sibi li si erung des Pa radoxen a ls

Ausgangspunkt fur eine Semiotik des Weiblichen

zu wahlen, Darnit. trara, vielleicht gegen die Inten-

t ionen der Verf as se rin, auch d ie al te Einsieh t wie-

der in Kraft, daB Liebe mit Wahrheit nichts zu tunhabenwi ll . Unabhang ig aber von so lchen Codie -

rungsproblernen gesellschaftlicher Differenzierung

(vgl. Luhmann 1982) , lassen diese Oberlegungen

zu einer Semiotik des Weiblichen es zu, unter-

schied li cl ie Weis en der Entparadoxierung zu un-

terscheiden und diese Unterscheidung fiir die

Asymmet ri si erung der Oppos it ion Mann/Frau zu

nutzen,ohne in d ie Fehler eine r b loBen Vorr ang-

umkehrung oder e iner schl ichten Besei tigung des

Unterschieds zu ver fallen. Aus dem Paradox selbs t

die Moglichkeit eines logisch garantier t unmogli-

chen Verhaltens zu ziehen:das ware in der Tat ein

genaues Gegenstiick zu Hierarchie und Reprasen-

tation: denn Hierarchie und Reprasentation des

·IJ DaB· d am it d as I nk ra ft tr et en cines Diskurses als

Mach tf rage b eha nd el t werd en ka nn und ni ch t a ls F ra -

g e d er e vo lu ti nn ii re n S el ek ti on u nt er z un eh me nd e in -

schrankenden ..Bedingungen gesellschnftsstruktureller

Kornpat ib il it ar , dur ft e in muncher Weise den Selbs t-

dar st el lungsinten tionen der F rauenbewegung entge -

ge nk ommen. Wir l us se n di e Mtig lic hk ei te n d er F ou ·

cau lt schen Rckonzeptua li si erungcn bci se it c und be·

nutzen. d ie scn Hinwe is nur ,. u rn d ie ungewohnl iche

Robus the it c ine r di ffe re nz th eo rc tis ch en Ana ly se z u

ve rd eu tl ich cn .S ic w ii rd es og ar di e Ums et zu ng i n e i-

nen gauz andersart igenl1lCorickontext uberstehcn.

Systems im System sind schon Entfaltungen der

Paradoxi e des aus Tei len bestehenden Ganzen.

Wenn diese Formen nicht mehr funktionieren,

Iiegt es nahe, nach funkti onalen Aquivalenten

Ausschau zu halten. Das liefe auf ei ne andere Art

von Asymrnetrisierung der Unterscheidung hin-

aus. Der AnmaBung der Reprasentation im Kon-

text von Hierarchie wurde die AnmaBung der Am-

biva lenz im Kontex t von Pa radox ie entgegenge-

setzt. Das wiirde auch Eva (der anderen!) gerecht

werden, die ja schon sundig sein muBte, urn auf die

Schlange zu horen und es zu werden. Die Frauware im Vorteil, weil sie im ableugnenden Um-

gang mit Paradoxien gei ibt er , geschickter, uber-

zeugender ope rieren kann; wei l s ie , schon sundig,

noeh unschuldig sein kann; weil si e mit mehr Ab-

stand zur Wahrheit zurechtkommen und die not-

wendige Inkonsequenz a ls Notwendigkei t auf s ich

nehmen kann.. wahrend der Mann (immer noch

Reprasen tan t der Ordnung) im Zwiespal t von Auf-

richtigkeit und Luge nicht mehr Mann sein kann,

sondern jarnmerlich scheitert.

Wenn man so argumentiert, verdicht et man frei-

l ich Sehri tt fu r Schri tt d ie Untersche idung zu eine r

anthropologischen Dif ferenz. Die Argumentation

wird dann auf eine unhaltbare Weise empirisch

und spekulativ. Das muB jedoch nieht sein. Die

angedeut ete Struktur eines differentiel len Um-

gangs mit Grundparadoxien systemiseher Selbstre-

fe renz t rag t si ch selbst . Man kann sich e ine Gegen-

position zur Reprasentation vorstellen, die nicht

auf einen bloBen Umtauseh des Primats, also auf

eine Ablosung in der Herrschaft, also auf eine

Bestat igung del ' Hier archie dur ch Nachfo lge ange-

wiesen ist . Dies ist dann freil ieh eine sehr abstrakte

Opposition - gewonnen aus einer Mehrheit von

funkti onal aquivalenten Moglichkeiten des Um-

gangs mit Paradoxic. Sie fordert, wenn man das

sagen darf, eine "Frau ohneEigenschaften" - eine

Position, die einnehmen kann, wer oder was im-

mer s ich der Vorherrschaft einer Unterscheidung

entzieht,

E s g ib t deshalb keine zwingenden log is chen Grun-

de dafur, die Unterscheidung von Mann und Frau

auf diese Dif ferenz von Formen der Entparadoxie-

rung zu beziehen. Es hatte, wie gezeigt, gesell-

schaftsstrukturelle Grunde gegeben fur eine Be-

vorzugung der Reprasent ation (mit dem dann na-

heliegenden Gedanken: durehden Mann). Es gibt

heu te wahrs cheinl ich keine ebenso . zwingenden

GrLinde fUr die Bevorzugung der Invis ibil is ierung

in anderen, inkommunikablen .Formen; und erst

rech t i st n ich t ausgemacht , weshalb d ie s e ine spez i-

Nikl as Luhmann: Fr auen , Manne r u nd Geo rg e S pe nce r Br own 69

fisch weibliche Problernlosung sein und bleiben

musse. Immerh in : d ies e Frage in e inem begri ff li ch

kontrollierten Kontext aufzuwerfen, mag auf die

Dauer e rg iebiger se in a ls d ie Daue rverst ri ckung in

Gleichstell ungskampfe nach dem Zuschnitt von

Ideologien und Organisationen,

GewiB, dieser Ausweg wurde in schwindelerregen-

de Hohen der Abstraktion fuhren, Es ist aber auch

nicht der Si nn dieser Uberlegungen, ei nen Ersatz

anzubieten fur das ideologisch-organisator ische

Engagement im Kampf urn Planstel len, Einkorn-

mensanteile, Hausarbeitsabwalzung, Rentenaus-gleich usw. Ohne solche Z iele wii rde kein Soziolo-

ge der Frauenbewegung, wenn es denn sei n muB,

Organ isa tionsfi ih igke it at tes ti eren, Man wir d das

nicht durch Empfehlung von Sonderformen der

Entparadoxierung ersetzen konnen, Wie in allen

Funktionsbere ichen so sche inen auch h ie r Ref le-

"xionstheor ien und Organisationsmoglichkeiten

auseinanderzuklaf fen. Die faktischen Aktivitaten

der Frauenbewegung konnen nur ideolog isch, das

heiBt : nur durch Hinweis auf unbest ri tt ene Werte,

gereeh tfe rt ig t werden . Sie mussen auf dar an meB-

bar e Hoff nungen und Erfo lge h inweisen konnen.

Spes addita suscitat iras. Darnit sind jedoch die

Moglichke it en der gesel lschaf tl ichen Ref lex ion,

und das sollte hier beJegt werden, nicht ausge-s chopft . Die Reflexion mag das Weib li che zu iden-

t ifi zi eren ode r zu desident ifi zi eren ve rsuchen; nur

ist das Weibliche , zum Gluck, wird man sagen

durfen, keine Frau.

Vielleicht konnte daher Frauenforschung eine

Aufgabe darin sehen , d ie se Di ffe renz von Organ i-

sation und Reflexion im Auge zu behalten. Sic

muBte dann in der Lage sein, i n d el' Bewegung die

Bewegung so zu beobachten, als ob es von auBen

ware. Sie miiBte zu den Zielen und Wertvorstel-

lungen der FrauenbewegungDist anz gewinnen

4~ Dabe i si nd ver schi ede ne Wege ga ng bar . Man ko nn te

im Sinne der Logik von Spencer Brown entfalten,wohin es f iihr t, wenn man mit d ie se r Unter sche idung

anfangr. Bcachtl ich ist auch der Versuch von Eva

Meye r (1 98 3) . ci ne S emiot ikd es Wei bl ich en z u e nt -

wer fen un d si e i n d as d adu rc h Bez ei ch ne te ei nzuf uh-

fe n, wobe i d as Bez ei ch ne te ci ne Fr au se in ka nn , a ber

auch anderes und vielleicht sogar ein Mann. Aus der

S iehl Spencer Browns wti rde das auf e in . ,r e- en try" der

Unt ers ch ei du ng i n da s dUfCh si c Unt ers ch ie dc ne h in -

au sl au fe n. In je dem Fal le e nt ste ht au f so lc he n Wcg cn

e ine polykon textumle Hyperkomplexi ti it , d ie g le ich-

wah l M6g lic hk ei te n fi ndcn muB, s ic h se lb st a ls Kon-

t ext fUr Oper at io ne n ( zum Be isp ie l d ef Fr au en fo f-

schung) zu verwenden.

konnen, und dafiir genugt es nicht, sieh vom Ak-

t ioni smus de r vergangenen Jahren loszusagen. Sie

muSte beobachten und beschreiben konnen, mit

Hilfe welcher Unterscheidung von Frauen und

Mannern d ie F rauenbewegung s ich se lbst iden ti fi -

ziert. Sie mi lllte klaren, welche anderen Unter-

scheidungen sich mit der Hilfe der Unterscheidung

von Frau und Mann uberhaupt kont rollieren ·las-

sen." Dafur muSte sie s elbs t si ch zunachst von der

Mann/Frau-Unterscheidung dis tanzieren konnen,

und zwar mit Hilfe der Unterscheidung von inter-

ner und externer Beobaehtung der Frauenbewe-

gung. Ein solches Unterscheiden von der Unter-

scheidung ist in der Logik von Spencer Brown

nich t vorgesehen. Vie ll ei ch t i st auch das ein Grund

dafi ir, daB Spence r Brown se lbst si e dann a ls mas -

kul ine Logik behandeln und e inen Art ikulat ions-

rahmen auBerhalb suchen mull , u rn Phanomenen

wie Frau und Liebe gerecht werden zu konnen. Es

gibt inzwischen aber auch Uberlegungen, ob es

n ich t mogl ich se in konnte, e in kybernet isches Os-

zil lieren, zwischen externer und interner Beobach-

tung zu stabilisieren (Braten 1986). Zur Zeit ist

noch vol lig unk la r, welche Art Logik der Reflex ion

dafi ir in Be trach t kame , welche Art von Systemen

diese Art von crossing in der eigenen System/

Umwelt -Referenz handhaben konnte und weIcheArt von Sinn dabei kondensieren wurde.iEiniger-

maBen kontr ol li er bar e Analysen re iehen nur b is in

Vorfragen dieses Gedankens.

Immerhin Jiegen in diesern Bereich Moglichkeiten

des Ansehlusses an faszinierende interdisziplinare

Theorieentwicklungen. Wenn die Frauenfor-

s ehung sich f ur so lche Mogl ichke it en n ich t o ffnet

oder wenn sie keine niveaugleichen andersart igen

Grundlagen findet, bleibt ihr wohl nur der An-

schluf an jene verstoekte, belligerente Selbstrefe-

renz, die jeder externe Beobachter, der sieh nieht

zur Par te inahme und zum Mitleiden ent sch li eB t,

ablehnen wird. Und dann wird die Frauenbewe-

gung, mit sich selbst geschlagen, sehr leieht in

Situationen kommen, in denen sie nur noch dieWahl hat, gefahrlich zu werden oder lacherlich.

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