M. Ziegler, Die vita et passio Cypriani: Aussageabsicht und historischer Hintergrund

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in: Klio 91, 2009, pp. 458-471

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Mario Ziegler (Erlangen)

Die Vita et passio Cypriani: Aussageabsichtund historischer Hintergrund1

Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung ist der Lebens- und Martyriumsbericht deskarthagischen Bischofs Cyprian (gestorben 258, das Geburtsjahr ist unbekannt).2 DieseSchrift bezieht ihre große Bedeutung aus der Tatsache, daß ihr erster Teil die fruhestebekannte christliche Heiligenbiographie darstellt. Adolf Harnack3 sah in ihr den Archetypeiner Literaturform, die ab dem 4. Jahrhundert großte Bedeutsamkeit erlangen sollte: derHeiligenvita. Ich mochte die Schrift erneut untersuchen und mich dabei auch dieser um-strittenen Frage annahern.4

Autor und Abfassungszeit

Der Text selbst ist anonym uberliefert, ebenso erwahnt das fruheste Manuskript, dasKenntnis von der Vita hat, keinen Verfassernamen. Es handelt sich hierbei um die vonTheodor Mommsen entdeckte „Cheltenham-Liste“5 aus der 2. Halfte des 4. Jahrhun-derts.6 Auf Grund einer wenig spater (392/93) verfaßten Stelle bei Hieronymus schrieb

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1 Fur die Durchsicht des Manuskripts danke ich Prof. Dr. Hartwin Brandt (Bamberg).2 In der Literatur ist gelegentlich ein Geburtsjahr um 200/10 fur Cyprian zu lesen, wofur allerdings jeder

sichere Beweis fehlt. Die Ruckrechnungen aus dem Zeitpunkt von Cyprians conversio (X. Thani Nayagam,The Carthaginian clergy during the episcopate of Saint Cyprian, Tuticorin 1950, 5) oder seiner Bischofswahl(G. Clarke, Dissertatio biographica/chronologica, in: G. Diercks (Hg.), Sancti Cypriani Episcopi Epistularium, Bd. 3:Prolegomena [CCL 3 D], Turnhout 1999, 681) sind ebenso spekulativ wie die Annahme von M. Sage, Cy-prian (Patristic Monograph Series 1), Cambridge/Mass. 1975, 103, man konne Cyprian eine Generation vorder Lebenszeit des Pontius datieren. Besonders diffus wird diese These dadurch, daß wir die Lebensdatendes Pontius ebenfalls nicht kennen. Sage behilft sich mit der Behauptung, man konne fur ihn ein Alter von30 Jahren bei Abfassung der Vita und somit ein Geburtsjahr um 220/25 ansetzen, womit er auf ein Ge-burtsjahr von ca. 200 fur Cyprian kommt. Ehrlicher ist jedenfalls die freimutige Auskunft des Augustinusuber Cyprian: Quando natus est ignoramus. Et quia hodie passus est, natalem eius hodie celebramus (Aug. serm. 310,1).

3 A. Harnack, Das Leben Cyprians von Pontius. Die erste christliche Biographie (TU 39,3), Leipzig 1913, v. a.33.

4 Gegen Harnacks Bewertung etwa P. Schmidt, Pontius, Vita Cypriani, in: HLL 4, 1997, 434 (§ 472.10). ZurEntwicklung der antiken Heiligenvita allgemein vgl. M. Pellegrino, Ponzio. Vita e martirio di San Cipriano(Verba seniorum), Alba 1955, 7ff.

5 Nach dem Codex Cheltenhamensis 12266 aus dem 10. Jahrhundert, in welchem sie enthalten ist; heute auch alsCodex Mommsenianus bezeichnet.

6 Mommsen selbst datierte das Entstehen dieser Liste in das Jahr 359 (Th. Mommsen, Zur lateinischen Sti-chometrie, Hermes 211, 1885, 142––156, hier 143), ebenso etwa C. Mohrmann, Introduzione, in: dies. (Hg.),Vita di Cipriano, Vita di Ambrogio, Vita di Agostino (Vite dei Santi 3), Verona 1975, IX––LXIII, hier XIIoder V. Saxer, La Vita Cypriani de Pontius, „premiere biographie chretienne“, in: N. Duval (Hg.), Orbis Ro-manus Christianusque ab Diocletiani aetate usque ad Heraclium, Paris 1995, 237––251, hier 238, wahrend sieSchmidt (Anm. 4) in die Jahre 370/90 datierte.

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man jedoch bis ins fruhe 20. Jahrhundert weitgehend unwidersprochen das Werk demkarthagischen Diakon Pontius zu: Pontius, diaconus Cypriani, usque ad diem passionis eius cum

ipso exilium sustinens, egregium volumen vitae et passionis Cypriani reliquit (Hier. vir. ill. 68). Daspaßt gut zu der Darstellung des Autors, der in V(ita) Cypr(iani) 12,3 von sich als Gefahr-ten Cyprians in der Verbannung spricht und in 15,5 seine Anwesenheit beim Martyriumdes Bischofs deutlich macht.7 Erst 1913 zog mit Richard Reitzenstein erstmals ein For-scher die Augenzeugenschaft des Autors vollstandig in Zweifel und vermutete, ein spate-rer Verfasser habe das Material fur die vita et passio aus den Schriften Cyprians entnom-men.8 Dieser These, die von Josef Martin wiederaufgenommen wurde,9 widersprachbereits Peter Corssen,10 heute wird allgemein von einem Autor ausgegangen, der die Ge-schehnisse zumindest teilweise selbst miterlebte, und dieser Verfasser mit dem Pontiusder Hieronymus-Stelle gleichgesetzt.11 Das starkste Indiz fur eine solche Augenzeugen-schaft stellt der abrupte Wechsel in die erste Person Plural in der Stelle V. Cypr. 12,3 dar,denn dieser Wechsel, verbunden mit dem sehr personlichen Einschub nam et me inter do-

mesticos comites dignatio caritatis eius elegerat exulem voluntarium, spricht fur ein personlichesErleben des Autors. Michele Pellegrino, der als erster auf diese Besonderheit hinwies,12

warf zudem die Frage auf, wieso der Autor, wenn er die Bekanntschaft mit Cyprian nurfingiert hatte, diese nicht zeitlich fruher angesetzt hatte als erst in den letzten Lebens-jahren des Bischofs. Doch ist dieses argumentum ex silentio naturlich anfechtbar.

Nimmt man die Augenzeugenschaft des Autors als gegeben an, kann man daraus wei-tere Ruckschlusse ziehen. Zum einen laßt es einen Hinweis auf die Person des Verfasserszu. Da er mit Cyprian das Schicksal der Verbannung teilte, kann man in ihm einen Kleri-ker vermuten.13 Zum anderen ist eine Abfassung bald nach Cyprians Tod am 14. Septem-ber 258 wahrscheinlich,14 was mit den Ergebnissen linguistischer Untersuchungen desTextes ubereinstimmt.15 Prazisere Eingrenzungen sind nicht moglich, da lediglich das

7 Die Angabe Thani Nayagams (Anm. 2) 6 und 76, Pontius sei Augenzeuge von Cyprians Priesterweihe ge-wesen, entbehrt jeglicher Grundlage.

8 R. Reitzenstein, Die Nachrichten uber den Tod Cyprians. Ein philologischer Beitrag zur Geschichte derMartyrerliteratur (SHAW 1913, 14), Heidelberg 1913, man beachte die programmatische Kapiteluberschrift„Die angebliche Biographie des Pseudo-Pontius“, 46.

9 J. Martin, Die Vita et Passio Cypriani, HJ 39, 1918/19, 674––712 passim.10 P. Corssen, Das Martyrium des Bischofs Cyprian, II, ZNTW 15, 1914, 285––316. Zu der gesamten Kontro-

verse vgl. auch D. Hoster, Die Form der fruhesten lateinischen Heiligenviten von der Vita Cypriani bis zurVita Ambrosii und ihr Heiligenideal, Diss. Koln 1963, 32ff.

11 Etwa J. Aronen, Indebtedness to Passio Perpetuae in Pontius’ Vita Cypriani, VChr 38, 1984, 67––76, hier 67;S. Deleani, La Vita Cypriani, Connaissance des Peres de l’Eglise 56, 1994, 9––13, hier 9; E. Elm, Die Machtder Weisheit. Das Bild des Bischofs in der Vita Augustini des Possidius und anderen spatantiken und fruh-mittelalterlichen Bischofsviten (Studies in the History of Christian Thought 109), Leiden/Boston 2003, 65.

12 Pellegrino (Anm. 4) 62.13 Harnack (Anm. 3) 3.14 So die uberwiegende Forschungsmeinung. Einen sehr weiten Rahmen wahlt F. Lotter, Severinus von Nori-

cum. Legende und historische Wirklichkeit (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 12), Stuttgart1976, 61 („spatestens zu Beginn des 4. Jh.“), abgelehnt wird eine Entstehung bald nach dem Tod Cypriansdurch Schmidt (Anm. 4) 433, dessen Argument, die Leser wurden Cyprian bereits weniger personlich dennals Schriftsteller kennen, jedoch nicht uberzeugt.

15 Mohrmann (Anm. 6) XXV: „Dopo un esame minuzioso della lingua della Vita, credo che nessuno dei suoielementi contrasti con quanto conosciamo della lingua dei cristiani dell’Africa del Nord, verso la meta delterzo secolo. Nessuna delle sue forme appartiene a un idioma piu tardivo.“; P. Molinelli, Diffusione dellacultura e nuove norme linguistiche in biografie del III––IV secolo, AntTard 9, 2001, 139––147.

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Martyrium des romischen Bischofs Xystus II. als weiteres Ereignis greifbar ist (V. Cypr.14,1), das jedoch ebenfalls ins Jahr 258 verweist.16

Versuche, Pontius genauer zu fassen, scheiterten. Adhemar d’Ales’ Zuschreibung ande-rer Werke des Cyprians-Corpus (de laude martyrii, quod idola dii non sint, passio sanctorum

Mariani et Jacobi, passio sanctorum Montani et Lucii) an Pontius17 wurde allgemein abgelehnt.18

Auch eine Gleichsetzung des Autors Pontius mit einem in der Inschrift CIL VIII,1 980 =ILS II,1 6817 genannten „C. Helvius Honoratus mit dem Beinamen Pontius“ kann nichtuberzeugen. Diese These, die durch Hermann Dessau19 aufgestellt wurde, basiert darauf,daß der inschriftlich belegte Pontius als Aedil, Duumvir und curator alimentorum distribuen-

dorum wichtige Aufgaben der lokalen Verwaltung in seiner Heimatstadt Curubis (heuteKorba/Qurbah in Tunesien) ubernahm, eben jener Stadt, in welche Cyprian verbanntwurde.

Der epigraphische Befund spricht nicht gegen diese Gleichsetzung, denn die Buchsta-benform (litterae actuariae oblongae) und der Gebrauch des signum (bzw. supernomen) Ponti,20

das von der ubrigen Inschrift abgesetzt, mit großeren Buchstaben geschrieben und imGenitiv auftritt, sprechen fur eine Datierung der Inschrift ins 3. Jahrhundert.21 Allerdingsmachen mehrere Argumente diese These unwahrscheinlich.

Zum einen mußte Pontius, der bereits vor der Verbannung Cyprians nach Curubis zudessen Anhangerkreis gestoßen war22 und spatestens zu diesem Zeitpunkt seine weltlicheKarriere beendet hatte, die genannten �mter in sehr jungen Jahren bekleidet haben. Diesmag nicht ganz unmoglich sein, zumal wir Pontius’ Chronologie nicht kennen,23 aberdoch immerhin ein Indiz gegen die Gleichsetzung.24 Ebenso schwer wiegt die Frage, wieein Magistrat aus Curubis mit dem karthagischen Bischof in Kontakt kommen konnte.Dessau selbst lost das Problem auf die einzig mogliche Art: „Der Curubitaner Pontiuswurde, nachdem er den Pflichten gegen seine Vaterstadt durch �bernahme der Munici-palamter und manche besondre Leistungen genugt hatte, fur das Christentum gewonnen,schloß sich dem Bischof der nahen Metropole an und trat als Diacon in deren Clerusein; als Cyprian nach Curubis verwiesen wurde, verstand es sich von selbst, daß Pontiusihn begleitete.“25 Auch hier ist Dessaus These nicht von vorneherein unmoglich, Zweifel

16 Laut Liber Pontificalis XXV starb Xystus im Konsulatsjahr des M. Nummius Tuscus und des MummiusBassus.

17 A. d’Ales, Le diacre Pontius, RecSR 8, 1918, 319––378.18 Bereits H. Delehaye in seiner Besprechung zu d’Ales (AB 39, 1921, 171), vgl. auch Pellegrino (Anm. 4) 63;

Sage (Anm. 2) 391 mit Anm. 3.19 H. Dessau, Pontius, der Biograph Cyprians, Hermes 51, 1916, 65––72; ders., Das Alter der romischen Mu-

nicipalbeamten, Hermes 53, 1918, 221––224. Gelegentlich wird die Gleichsetzung auch heute noch furmoglich gehalten: R. Salcedo Gomez, El corpus epistolar de Cipriano de Carthago (249––258): Estructura,composicion y cronologıa, Diss. Barcelona 2002, online unter http://www.tdr.cesca.es/TDX-1009107––114656/, 23 Anm. 2.

20 Zum Phanomen des signum vgl. Th. Mommsen, Sallustius = Salutius und das signum, Hermes 37, 1902,443––455; W. Kubitschek, s. v. signum, in: RE II A2, 2361––2455, bes. 2448ff., sowie besonders I. Kajanto,Supernomina. A study in Latin epigraphy, Helsinki 1966.

21 So bereits Dessau, Pontius (Anm. 19) 71. Fur seine Hinweise zur Datierung der Inschrift bin ich Dr. Man-fred G. Schmidt (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften) zu Dank verpflichtet.

22 V. Cypr. 12,3.23 Vgl. die �berlegungen in Anm. 2.24 So bereits P. Corssen, Das Martyrium des Bischofs Cyprian, IV, ZNTW 18, 1917/18, 118––139, vgl. dazu

auch die Antwort Dessaus, Alter (Anm. 19).25 Dessau, Pontius (Anm. 19) 72.

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an der Vorstellung vom Provinzbeamten, der sich dem Bischof des immerhin 65 km ent-fernten Karthago anschloß, um dann mit diesem im Rahmen der Verbannung an seinealte Wirkungsstatte zuruckzukehren, mussen aber erlaubt sein.

Ein dritter Einwand betrifft Dessaus Hauptargument fur die Gleichsetzung, namlichdie angebliche Zuneigung, mit der der Vitenautor Curubis in V. Cypr. 12,1––2 schildert.Bereits Harnack26 vermutete zu Kap. 11,7 f., dem Verfasser sei die Schonheit und derKomfort des Verbannungsortes unangenehm gewesen, weshalb er ein Gedankenspiel an-stellte, in dem er sich den Ort denkbar abstoßend ausmalte. Zudem ist naturlich selbstim Fall einer positiven Schilderung des Verbannungsortes keineswegs ein geographischerZusammenhang mit dem Autor naheliegend: „The step from praise of a locality to resi-dence in it [. . .] is not a necessary one.“27

Der Aufbau des Werkes

Seine Vorgehensweise legt der Autor in V. Cypr. 2,3 dar: Er verwertete neben den Aktenaus dem Prozeß gegen Cyprian28 eigene Beobachtung (si quibus eius interfui) und Augen-zeugenberichte (si qua de antiquioribus comperi). Aus diesen Bestandteilen entstand eineZweiteilung29 in Leben und Martyrium Cyprians, was wiederum zu der zitierten Erwah-nung einer vita et passio in Hier. vir. ill. 68 paßt.

Vita-Teil:Kapitel 1 PrologKapitel 2––10 �ffentliches und privates Leben Cyprians

2––4 Die Zeit von der Taufe bis zur Bischofsweihe5 Bischofsweihe6 Wirken als Bischof7––8 Einschub: Rechtfertigung der Flucht9 Wirken als Bischof zur Zeit der Pest10 Cyprian als Vorbild seiner Gemeinde

Kapitel 11––12,2 Die Verbannung nach Curubis

Passio-Teil:Kapitel 12,3––18 Vorbereitung und Verlauf des MartyriumsKapitel 19 Nachruf

Der Einschnitt zwischen V. Cypr. 12,2 und 12,3 scheint mir durch den abrupten �ber-gang von der Schilderung des Verbannungsortes Curubis zu der Vision Cyprians, die seinMartyrium ankundigt, sinnvoll, selbst wenn bereits die altesten Editionen den Abschnitt12,1––2 zur folgenden Schilderung der Vision ziehen.30 Kapitel 11 deutet zwar durch die

26 Harnack (Anm. 3) 20.27 Sage (Anm. 2) 391.28 V. Cypr. 11,1. Zu den Acta Cypriani vgl. A. Wlosok, Acta (Passio) Cypriani, in: HLL 4, 1997, 426––427

(§ 472.4).29 F. Kemper, De vitarum Cypriani, Martini Turonensis, Ambrosii. Augustini Rationibus: commentatio philologica, Diss.

Munster 1904, 9 sieht noch einen Einschnitt zwischen den Kapiteln 4 und 5, so daß sich bei ihm eineDreiteilung ergibt.

30 So etwa in der ersten Edition uberhaupt, J. Pearson/J. Fell, Sancti Caecilii Cypriani Opera recognita & illustrataper Joannem Oxoniensem episcopum; accedunt Annales Cyprianici, sive, Tredecim annorum; quibus S. Cyprianus inter Chri-stianos versatus est, brevis historia chronologice delineata per Joannem Cestriensem, Oxford 1682.

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Verbannung schon auf kunftiges Leiden hin, weshalb es oft zum zweiten Teil gezogenwurde,31 doch wird der Gedanke des Martyriums erst ab Kapitel 12 thematisiert.

Ich mochte im folgenden einige zentrale Aspekte der Vita et passio Cypriani aufgreifen,wobei ich mich auf den Vita-Teil konzentriere.

Die Begrundung fur die Abfassung

Bereits in den ersten Satzen kundigt Pontius seine Absicht an: Er mochte die Taten undVerdienste (opera ac merita) Cyprians darlegen:

V. Cypr. 1,1: Cyprianus, religiosus antistes ac testis Dei gloriosus, etsi multa

conscripsit, per quae memoria digni nominis supervivat, etsi eloquentiae eius ac

Dei gratiae larga fecunditas ita se copia et ubertate sermonis extendit ut usque in

finem mundi fortasse non taceat: tamen, quia operibus eius ac meritis etiam haec

praerogativa debetur, placuit summatim pauca conscribere, non quo aliquem vel

gentilium lateat tanti viri vita, sed ut ad posteros quoque nostros incomparabile et

grande documentum in immortalem memoriam porrigatur [. . .]

Wahrend die Schriften Cyprians bereits bekannt sind, mochte Pontius durch sein Werkauch die Taten seines Helden unsterblich machen. Dabei geht es ihm nicht darum, Cy-prian lediglich zu Beruhmtheit zu verhelfen, sondern er mochte den kunftigen Christenein „unvergleichliches und großartiges Vorbild“ vor Augen stellen. Damit ist die eigent-liche Absicht der Schrift nach Pontius’ eigener Aussage nicht panegyrisch, sondern pada-gogisch.32 Eine gewisse panegyrische Komponente muß man dennoch in Rechnung stel-len, da Cyprian in jeder Hinsicht glanzvoll dargestellt wird. Ob von Dritten die Bitte zurAbfassung des Buches an Pontius herangetragen worden war, wie er selbst es darstellt,33

ist nicht zu ermitteln, jedoch (wenn man seine Augenzeugenschaft fur gegeben annimmt)nicht unplausibel.

Entscheidende Voraussetzungen fur Cyprians Taten sind seine Beredsamkeit (eloquentia)und die Gnade Gottes (Dei gratia). Doch auch wenn beide in V. Cypr. 1,1 im gleichenAtemzug genannt werden, wird aus dem weiteren Verlauf der Schrift deutlich, daß siekeineswegs gleichwertig sind. Die gottliche Gnade ist ein zentrales Element in CypriansLeben, durch das er etwa auch unmittelbar nach der Taufe das Priesteramt erhielt.34 DieBeredsamkeit dagegen sieht Pontius ambivalent, weil sie eine weltliche Eigenschaft istund im Zusammenhang mit Cyprians Bildung steht, die fur Pontius ausdrucklich keine

31 P. Monceaux, Histoire litteraire de l’Afrique chretienne depuis les origines jusqu’ al’invasion arabe, Bd. 2:Saint Cyprien et son temps, Paris 1902, 190f.; J. Baer, Des heiligen Kirchenvaters Caecilius Cyprianus Trak-tate. Des Diakons Pontius Leben des hl. Cyprianus (Bibliothek der Kirchenvater 34), Kempten/Munchen1918, 1; Martin (Anm. 9) 689; Pellegrino (Anm. 4) 75ff.; G. Lomiento, La Bibbia nella compositio della VitaCypriani di Ponzio, VetChr 5, 1968, 23––60, hier 23 Anm. 1; Mohrmann (Anm. 6) XVI; Sage (Anm. 2)96 mit Anm. 3; S. Sbordone, Caratteristiche strutturali di alcune vite di santi dei sec. III––IV, Koinonia 2,1978, 57––67, hier 58f.; Elm (Anm. 11) 74.

32 Daher scheinen mir Charakterisierungen der Schrift wie die von B. Altaner/A. Stuiber, Patrologie. Leben,Schriften und Lehre der Kirchenvater, Freiburg i. Br. 1993, 172 als „ein Panegyrikus, dessen historischeAngaben oft unrichtig oder zweifelhaft sind“, zu weitgehend.

33 V. Cypr. 1,4––6. M. Muller/R. Deferrari, Life of St. Cyprian by Pontius, in: R. Deferrari (Hg.), Early Christi-an Biographies, Washington D. C. 1952, 1––24, hier 3, bezeichnen diese drangenden Fragen der Interessier-ten als entscheidende Motivation fur Pontius zur Abfassung der Vita: „Therefore, the biography actuallyanswers a demand of the day, and Pontius was decidedly not loath to meet it.“

34 V. Cypr. 3,3, vgl. auch V. Cypr. 6,1.

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Rolle spielt.35 An dieser Stelle jedoch scheint die eloquentia eine Folgerung aus der GnadeGottes zu sein,36 vielleicht in Analogie zu Lk 12,11: „Wenn man euch vor die Gerichteder Synagogen und vor die Herrscher und Machthaber schleppt, dann macht euch keineSorgen, wie ihr euch verteidigen oder was ihr sagen sollt. Denn der Heilige Geist wirdeuch in der gleichen Stunde eingeben, was ihr sagen mußt.“ Auch in spateren Heiligenvi-ten findet sich gelegentlich die Zusammenstellung von eloquentia und gottlicher gratia.37

Von zentraler Bedeutung ist die Stelle V. Cypr. 1,2: Certe durum erat, ut cum maiores nostri

plebeis et catecuminis martyrium consecutis tantum honoris pro martyrii ipsius veneratione debuerint, ut

de passionibus eorum multa aut ut prope dixerim paene cuncta conscripserint, utique ut ad nostram

quoque notitiam qui nondum nati fuimus pervenirent, Cypriani tanti sacerdotis et tanti martyris passio

praeteriretur, qui et sine martyrio habuit quae doceret. Pontius schreibt zunachst wie wichtig essei, das Leiden eines so bedeutenden Priesters und großen Martyrers wie Cyprian nichtstillschweigend zu ubergehen. Damit bleibt er noch in einem traditionellen Begrundungs-schema der vorangegangenen christlichen Literatur: Entscheidendes Kriterium fur dieHeiligkeit einer Person ist das Lebensende –– das Blutzeugnis fur den Glauben machteinen Menschen zum Heiligen, nicht ein vorangegangenes vorbildliches Leben. Folgerich-tig war der vorherrschende Literaturtyp die passio, als deren erstes Beispiel der Marty-riumsbericht des Polykarp von Smyrna aus den 50er Jahren des 2. Jahrhunderts gilt.38

Dieser herkommlichen Sichtweise folgt Pontius zunachst: Cyprian verdient Verehrungwegen seines Leidens. Daß er Priester und sogar der erste Bischof war, der in Africa dasMartyrium erlitt,39 macht ihn zu einem wesentlich wichtigeren Beispiel als Laien40 oderKatechumenen –– mit diesem Hinweis wird auf die etwa 50 Jahre zuvor verfaßte passio

der karthagischen Martyrerinnen Perpetua und Felicitas angespielt41 –– beeinflußt abernicht den Grad seiner Heiligkeit. Doch mit dem letzten Nebensatz bricht Pontius ausdiesem Schema aus: Cyprian hatte die Christen sogar ohne sein Martyrium lehren konnen.Er ist tantus sacerdos, daher Vorbild, folglich muß man sein sacerdotium darstellen, was furdie vorangegangenen Passionen nicht galt. Dies relativiert die absolute Bedeutung desMartyriums, ohne ihm grundsatzlich den Wert abzusprechen, denn Cyprian, der als Bi-schof so vorbildlich gewirkt hat, erleidet zusatzlich das Martyrium, das damit als „passen-der und kronender Abschluß eines heiligen Lebens“42 dem Leser vor Augen gestellt wird.

35 V. Cypr. 2,2.36 So auch A. Bastiaensen im Kommentar zur Vita Cypriani, in: Mohrmann, Vita di Cipriano (Anm. 6) 249.37 Ferrandus, Vita Fulgentii 20: Dicitur tamen requirenti diutius, quis plenissime posset testimoniis evidentibus vindicare

veritatem catholici dogmatis, esse inter episcopos exulantes beatum Fulgentium, cui nihil deesset in scientia, plurimum redun-daret in gratia, qui sapienter et eloquenter roganti regi satisfaceret.

38 Zu den Datierungsansatzen des Martyrium Polycarpi B. Dehandschutter, The Martyrium Polycarpi: a century ofresearch, in: ANRW II 27.1, 1993, 485––522, bes. 497ff. Zu christlichen passiones allgemein vgl. etwaH. Limburg, s. v. Heilige. IV. Historisch-theologisch, in: LThK3 4, 2006, 1275––1276.

39 Vgl. auch V. Cypr. 19,1. Zu diesem Thema Th. Baumeister, Der heilige Bischof. �berlegungen zur VitaCypriani (Studia Patristica XVIII,3), Lowen 1989, 275––281 passim.

40 Das Wort plebeius muß hier mit „Laie“ ubersetzt werden, vgl. V. Cypr. 3,4; 5,3; 9,6; 10,2; 15,5; 18,6. ZurVerwendung von plebs/plebeius in diesem Sinn E. Lofstedt, Syntactica. Studien und Beitrage zur historischenSyntax des Lateins, 2. Teil: Syntaktisch-stilistische Gesichtspunkte und Probleme (Acta Regiae Societatis Huma-niorum Litterarum Lundensis X,2), Lund u. a. 1933, 469f.; H. Janssen, Kultur und Sprache: Zur Geschichteder alten Kirche im Spiegel der Sprachentwicklung. Von Tertullian bis Cyprian (Latinitas christianorum primaeva8), Nimwegen 1938, 54––72 und C. Mohrmann, Les origines de la latinite chretienne a Rome, VChr 3,1949, 67––106, hier 102.

41 Vgl. Aronen (Anm. 11) passim; Saxer (Anm. 6) 239ff.42 Baumeister (Anm. 39) 276.

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Das Leben Cyprians bis zur Bischofsweihe

Mit Kapitel 2 setzt Pontius mit der Schilderung von Cyprians Leben ein, wobei er dieZeit vor dessen Taufe ausblendet: Unde igitur incipiam? Unde exordium bonorum eius adgredi-

ar, nisi a principio fidei et nativitate caelesti? Siquidem hominis Dei facta non debent aliunde nume-

rari nisi ex quo Deo natus est.43 Dieses Verfahren widerspricht der traditionellen Vorge-hensweise, eine Biographie mit Vaterland (patria), Familie (parentes maioresque) undVorzeichen (responsa vel auguria) zu beginnen.44 Pontius rechtfertigt sein Vorgehen mitdem Hinweis, daß die eigentliche Geburt des Menschen die aus Gott sei.45 Dennochbleibt diese Art der Darstellung fur die antiken Heiligenviten eine Ausnahme, ublicher-weise wird zumindest kurz auf die Herkunft oder Familie des Protagonisten eingegan-gen.46 Im Fall des Cyprian ware ein Verweis auf die Familie besonders naheliegend ge-wesen, gehorte er doch der gehobenen Gesellschaft Karthagos an.47 Ob er wirklichMitglied des karthagischen Stadtrates war, wie Gregor von Nazianz behauptet,48 sei da-hingestellt, doch war er in jedem Fall in seiner Heimatstadt eine persona insignis, wassogar im Zusammenhang mit seiner Flucht in der Decischen Verfolgung als Begrun-dung anerkannt wird.49 Man beachte auch seine hochgestellten Bekannten50 sowie seinbetrachtliches finanzielles Vermogen. In V. Cypr. 15,1 sind seine Garten erwahnt,51 zu-dem waren seine Geldmittel groß genug, um zahlreiche Bedurftige zu unterstutzen,52

die Hinterbliebenen seines geistigen Vaters Caecilianus zu versorgen53 und sogar nachseiner Flucht noch Geld fur wohltatige Zwecke aufzuwenden.54 Die Bildung des Cy-

43 V. Cypr. 2.44 Quint. inst. III 7,10f.45 Vgl. auch V. Cypr. 2,5: Die Taufe ist die secunda nativitas oder 11,4: mit der Taufe beginnt ein neues Leben:

dum enim se a carnalibus desideriis continentia sancti spiritus abstinens conversationem prioris hominibus exponit, inter civessuos aut ut prope dixerium inter parentes ipsos vitae terrestris alienus est. Der Gedanke der nativitas caelestis ist cypria-nisch, vgl. Cypr. de zelo et livore 13, Cypr. de oratione dominica 17.

46 Ich kann die Aussage W. Berschins, Biographie und Epochenstil im lateinischen Mittelalter, Bd. 1: Vonder Passio Perpetuae zu den Dialogi Gregors des Großen (Quellen und Untersuchungen zur lateinischenPhilologie des Mittelalters 8), Stuttgart 1986, 60, Pontius’ Schema werde charakteristisch fur die christ-liche Biographie, nicht teilen. Wenn Kindheit und Jugend ubergangen werden (mussen), wird dies alsMangel empfunden: Eugippus, epistula ad Paschasium 7: ½. . .�unde, sicut moris est, texendae cuiuspiam vitaesumatur exordium. Ein geradezu kontrares Konzept zu Pontius (was die Begrundung angeht) verfolgtPaulinus in der Vita Ambrosii 2,2: Unde a die nativitatis eius narrandi initium sumam, ut gratia viri ab incuna-bulis quae fuerit agnoscatur.

47 Vgl. zu Cyprians Herkunft und Familie R. Younge, Cyprian of Carthage. Conversion and influence, Diss.Berkeley 1979, 65ff. und Sage (Anm. 2) 104ff.

48 Greg. Naz. or. 24.6 (PG 35, Sp. 1176 B). Gegen diese Aussage –– allerdings ohne Gegenargument –– Sage(Anm. 2) 107 Anm. 1.

49 Cypr. epist. 8,1,1. H. Gulzow, Cyprian und Novatian. Der Briefwechsel zwischen den Gemeinden in Romund Karthago zur Zeit der Verfolgung des Kaisers Decius (Beitrage zur historischen Theologie 48), Tubin-gen 1975, 33ff. geht davon aus, daß diese Formulierung des romischen Klerus ironisch gemeint gewesensei.

50 V. Cypr. 14,3: plures egregii et clarissimi ordinis et sanguinis, sed et saeculari nobilitate generosi.51 Ebenso Acta Cypriani 2,2.52 V. Cypr. 2,7, vgl. auch Hier. vir. ill. 67.53 V. Cypr. 4,3.54 Cypr. epist. 7,2. Zu der sozial und okonomisch guten Situation Cyprians vgl. C. Bobertz, Cyprian of Cartha-

ge as Patron. A social historical study of the role of bishop in the ancient Christian community of NorthAfrica, Diss. Yale 1989, 75ff.

464 M. Ziegler, Die Vita et passio Cypriani

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prian scheint ebenfalls ausgezeichnet gewesen zu sein, bezeichnen ihn spatere christli-chen Autoren doch als Lehrer der Rhetorik.55

Den Grund fur das Verschweigen dieser Verhaltnisse sieht Eva Elm56 in dem Neid,den die hohe Abstammung Cyprians beim Klerus erregt habe und die nicht zu der aneinen Bischof gerichteten Forderung der humilitas passe. Doch scheint mir diese Argu-mentation wenig uberzeugend. Der hohe Stand wird an mehreren Stellen erwahnt, ohnedaß ein einziges Mal der Neid der Zeitgenossen angedeutet wurde. Die Kontroversenmit einigen der Presbyter entsprangen aus der Schnelligkeit, mit der Cyprian zum Bischofgewahlt wurde. Daß diese Schnelligkeit durch seine Freigebigkeit der Gemeinde gegen-uber und damit letztlich aus seinen wirtschaftlichen Moglichkeiten resultierte, ist anzu-nehmen, bedingt aber nicht zwingend, daß Pontius diese wirtschaftliche Situation ver-schweigen mußte. Humilitas als Begrundung scheidet m. E. ebenfalls aus, im Gegenteilwerden die finanziellen Moglichkeiten Cyprians im Kontext seiner reichen karitativen Ta-tigkeit indirekt angesprochen und dadurch legitimiert.57

Es spricht nicht dagegen, Pontius’ eigene Begrundung fur sein Verschweigen der Ju-gend des Helden in V. Cypr. 2,2 zu ubernehmen: Fuerint licet studia et bonae artes devotum

pectus inbuerint, tamen illa praetereo; nondum enim ad utilitatem nisi saeculi pertinebant. Allerdingshalt er diesen Grundsatz nicht konsequent durch, zumindest deutet er die Taten Cypriansvor seiner Taufe in V. Cypr. 3,4 an: Multa sunt quae adhuc plebeius, multa quae iam presbyter

fecerit. Auch in diesem Gesichtspunkt wurde die Schrift des Pontius nicht stilbildend furspatere Viten. Dort wird die (weltliche) Bildung des Helden eher als Auszeichnung be-trachtet und manchmal ausdrucklich betont.58

Pontius erwahnt zunachst in V. Cypr. 2,359 und 460 die Bekehrung Cyprians, ohne de-tailliert darauf einzugehen. Josef Martin61 sah in diesen Stellen ein Problem der Reihen-folge: „Einmal (c. 2,3) behauptet Pontius, daß Cyprian infolge des Studiums der hl.Schriften ,zum Licht der geistlichen Weisheit emporgetaucht sei‘ [. . .] An der 2. Stellewird, nachdem in c. 3 selbst schon von der Priesterweihe des jungen Christen die Redewar, nachgetragen, daß die Bekehrung der Wirksamkeit eines Presbyters Caecilianus zudanken sei.“ Doch diese Problematik existiert nicht: In V. Cypr. 2,3 spricht Pontius vomZeitpunkt der Bekehrung, mit dem er seinen Bericht beginnen will, jedoch geht er inkeiner Weise auf Details der conversio ein, was er im ubrigen auch im folgenden nicht tut.Denn seinen Bericht uber die guten Werke, die Cyprian als Laie und Priester getan hat(V. Cypr. 3), schließt er mit dem Satz: Et sic per bonorum omnium documenta decurrens, dum

meliores semper imitatur, etiam ipse se fecit imitandum. Dem folgt in Kapitel 4 mit dem Presby-ter Caecilianus, „einem gerechten und denkwurdigen Mann aus dem Kreise jener Guten“,geradezu die Personalisierung dieser documenta bonorum, da Cyprian zu ihm mit „gehorsa-mer Verehrung nicht mehr wie zu einem gleichaltrigen Herzensfreund, sondern zu dem

55 Lact. inst. 5,1,24; Hier. vir. ill. 67,1.; Hier. epist. 84,2; Hier. chron. 258; Aug. serm. 312,4. Zu Cypriansweltlicher Karriere G. Clarke, The secular profession of St. Cyprian of Carthage, Latomus 24, 1965,633––638 und Sage (Anm. 2) 107ff., zu seinen rhetorischen Fahigkeiten als Indiz fur seine Bildung Younge(Anm. 47) 53ff.

56 Elm (Anm. 11) 71.57 V. Cypr. 2,7.58 Z. B. Hier. V(ita) Hil(arionis) 2.59 Postquam et sacras litteras didicit et mundi nube discussa in lucem sapientiae spiritalis emersit [. . .] dicam.60 Erat sane illi etiam de bonis contubernium viri iusti et laudabilis memoriae Caeciliani et aetate tunc et honore presbyteri, qui

eum ad agnitionem verae divinitatis a saeculi errore correxerat.61 Martin (Anm. 9) 677ff.

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Vater seines neuen Lebens aufblickte.“62 Auch hier liegt das Augenmerk also keinesfallsauf Einzelheiten der Bekehrung, sondern auf dem neuen Leben nach derselben, fur dasCaecilianus die Rolle eines geistigen Vaters einnimmt.63

Zwischen und nach diesen beiden Notizen uber die Bekehrung beschreibt Pontiusden Weg Cyprians bis zur Bischofswahl64 im Jahre 248/49,65 der sich durch die GnadeGottes in geradezu ubermenschlicher Schnelligkeit vollzieht. Dabei gelten fur Cypriannicht einmal die Warnungen des Apostels Paulus, Neubekehrte nicht zum Bischof zuwahlen,66 da Cyprian ungeachtet seines biologischen Alters die „im Glauben Alten“weit uberragt.67 Nachdem Cyprians Bescheidenheit hervorgehoben wird, mit der er dieangetragene Ehre zunachst ausschlagt (5,2), beugt er sich schließlich dem Drangen derGemeinde (5,3).

In V. Cypr. 5 ist mehrfach die Rede von der Rolle, die das Volk bei Cyprians Wahlspielte: Er sei iudicio bzw. inspirante Dei et plebis favore gewahlt worden (5,1––2). Die These,die Wahl sei auf Druck des Volkes gegen das Votum des Klerus durchgesetzt wordenund lasse sich durch Cyprians prominente Rolle als Aristokrat und patronus zahlreicherChristen in Karthago erklaren,68 ist sehr einleuchtend und erklart die Spannungen mitTeilen des Presbyteriums, die nach der Wahl auftraten.

Die Kontroversen in der Gemeinde von Karthago

Kapitel 5 bringt zum ersten Mal negative Tone in die Vita hinein, indem kritische Stim-men im Zusammenhang mit Cyprians Wahl erwahnt werden: invitus dico, sed dicam necesse

est: quidam illi restiterunt ut et vinceret (5,6). Bereits das Wort vinceret deutet an, daß es einen,Kampf‘ gegeben haben muß, aus dem Cyprian als Sieger hervorging. Diese Kontroversebeschreibt Cyprian selbst an mehreren Stellen seiner Briefe:

Contumelias episcopatus nostri dissimulare et ferre possem, sicut dissimulari sem-

per et pertuli. Sed dissimulandi nunc locus non est, quando decipiatur fraternitas

nostra a quibusdam vestrum.69 Hoc enim quorundam presbyterorum malignitas et

perfidia perfecit, ne ad vos ante diem Paschae venire licuisset, dum coniurationis

suae memores et antiqua illa contra episcopatum meum immo contra suffragium

vestrum et dei iudicium, venena retinentes instaurant veterem contra nos inpugna-

tionem suam et sacrilegas machinationes insidiis solitis denuo renovant.70

62 V. Cypr. 4,2: Hunc toto honore atque omni observantia diligebat, obsequenti veneratione suspiciens, non iam ut amicumanimae coaequalem, sed tamquam novae vitae parentem.

63 Eine solche „geistige Vaterfigur“ ist in den spateren Heiligenviten nicht selten, vgl. etwa den alten Einsied-ler in der Vita Antonii (Athan. V[ita] Ant[onii] 3) oder Antonius selbst als Vater des Hilarion (Hier. V. Hil.3).

64 Vielleicht sogar ohne die Zwischenstufe des Priesteramtes, falls presbyterium und sacerdotium hier beideAspekte des Bischofsamtes meinen, vgl. Bobertz (Anm. 54) 96ff.

65 Eine Ruckrechung ist aus epist. 59 aus dem Jahr 252 (zur Datierung Clarke [Anm. 2] 700) moglich, in derCyprian davon spricht (59,1), er habe sich schon im vierten Jahr im Amt des Bischofs bewahrt (plebi suae inepiscopatu quadriennio iam probatus).

66 1 Tim 3,6.67 V. Cypr. 2,8.68 Bobertz (Anm. 54) 92ff., 120ff.; J. Burns, Cyprian the bishop (Routledge early church monographs), Lon-

don/New York 2002, 1.69 Cypr. epist. 16,2.70 Cypr. epist. 43,1,2.

466 M. Ziegler, Die Vita et passio Cypriani

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Mit der Formulierung retinentes instaurant veterem contra nos inpugnationem suam spielt Cyprianauf die Geschehnisse an, die sich bei seiner Wahl ereigneten. Sein schneller Aufstiegscheint eine Opposition im Presbyterium hervorgerufen zu haben, da einige altere Pres-byter die Erhebung als illegitim betrachteten. Diese latente Opposition entlud sich zweiJahre spater in einem Schisma,71 das sich an der Behandlung der in der Decischen Ver-folgung Abgefallenen (lapsi) entzundete. Cyprians schwankende Haltung in der Frage,aber auch die Kontroversen in der romischen Gemeinde, fuhrten zu einer Spaltung derKirche von Karthago in eine rigoristische Partei unter Maximus und einer laxistischenGruppierung unter dem Gegenbischof Fortunatus.72

Dieser gesamte Hintergrund wird von Pontius verschwiegen. Er nutzt die angespro-chenen kritischen Stimmen, um Cyprians Milde und Nachsicht gegen diese nach seinerWahl in leuchtenden Farben zu malen und die lenitas, patientia, benevolentia, indulgentia undclementia des Bischofs zu betonen.

Cyprians Flucht

Ein Schlussel zum Verstandnis der Vita stellt Kapitel 7 dar. Nach den zuvor geschildertenzahlreichen guten Werken schließt Pontius an: Statim denique pro talibus meritis etiam proscrip-

tionis gloriam consecuta est.73 Dies ist eindeutig als eine Steigerung zu dem gedacht, was zu-vor berichtet wurde: Cyprian glanzt nicht nur durch seine personlichen Tugenden, er trittnicht nur durch seine Werke hervor, sondern er leidet auch fur seinen Glauben. Denktman diese Klimax weiter, kann nur noch das Martyrium als weitere Steigerung folgen.Und in der Tat setzt Pontius fort: Posset quidem tunc pro velocitate qua semper omnia consecutus

est etiam martyrii circa eum debita corona properare, maxime cum et suffragiis saepe repetitis ad leonem

postularetur.74 Aber hier erfolgt die Wende: Cyprian stirbt nicht.In der Verfolgung des Decius entzog sich der Bischof im Fruhjahr 25075 dem Marty-

rium durch Flucht. Er selbst deutete in seinen Briefen diesen Schritt als Maßnahme zumallgemeinen Wohl. Sein Ruckzug sei erfolgt, um nicht die Gefahr fur die Bruder noch zusteigern:

Oportet nos tamen paci communi consulere et interdum quamvis cum taedio animi

nostri deesse vobis, ne praesentia nostri invidiam et violentiam gentilium provocet

et simus auctores rumpendae pacis, qui nos magis quieti omnium consulere debe-

mus.76 Tamen potius visum est adhuc interim latebram et quietem tenere respectu

utilitatum aliarum quae ad pacem omnium nostrum pertinet et salutem [. . .]77

Nam sicut domini mandata instruunt, orto statim turbationis impetu primo, cum

me clamore violento frequenter populus flagitasset, non tam meam salutem quam

71 Zum Hintergrund der Kontroversen in Karthago vgl. G. Dunn, Cyprian’s rival bishops and their communi-ties, Augustinianum 45, 2005, 61––93, hier 62ff. und P. Siniscalco/P. Mattei, Introduction, in: M. Bevenot/P. Siniscalco (Hgg.), Cyprien de Carthage: L’unite de l’Eglise (SChr 500), Paris 2006, 9––135, hier 25ff. ZumKlerus in Karthago zur Zeit Cyprians vgl. Thani Nayagam (Anm. 2).

72 Zu den Exponenten dieser Partei vgl. Thani Nayagam (Anm. 2) 71ff. und Dunn (Anm. 71) passim.73 V. Cypr. 7,1.74 V. Cypr. 7,2.75 Datierung vgl. Bobertz (Anm. 54) 130 mit Zusammenstellung der Quellen (Anm. 1).76 Cypr. epist. 7.77 Cypr. epist. 14,1.

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quietem fratrum publicam cogitans interim secessi, ne per inverecundam praesen-

tiam nostram seditio quae coeperat plus provocaretur.78

Dennoch trug ihm sein Verhalten herbe Kritik innerhalb und außerhalb der karthagischenKirche ein. Die Gemeinde von Rom griff ihn wegen seines Ruckzugs zunachst an (Cypr.epist. 8) und konnte erst nach mehreren Schreiben Cyprians beschwichtigt werden.79

Pontius setzt sich intensiv mit dem Thema der Flucht auseinander. In V. Cypr. 7,13wendet er sich gegen den Vorwurf, sie sei aus Furcht geschehen. Sein Argument lautet:Wenn Cyprian aus Furcht das Martyrium vermieden hatte, hatte er das Gleiche acht Jahrespater getan, als er aber standhaft den Martyrertod erlitt. Seine Begrundung des Ruck-zugs aus Karthago zielt zunachst auf den Nutzen der Kirche: Cyprian, als eine Stutzeseiner Gemeinde, mußte den Mitbrudern erhalten bleiben: nisi per omnes ordines gloriarum

transeundum illi esset et sic ad summa veniendum, et nisi inminentes ruinae ope iam fecundi pectoris

indigerent.80 Es folgt ein langes Gedankenspiel, was gewesen ware, wenn Cyprian nichtmehr hatte wirken konnen, in das Pontius zugleich die Titel der Werke Cyprians einbet-tet: Wer hatte dann die Jungfrauen zu einem gottgefalligen Leben angehalten? Wer hattedie Gefallenen Buße gelehrt? Wer hatte die Vorwurfe der Heiden widerlegt? Mit jedemWort wird dem Leser nahe gelegt, daß die Flucht Cyprians geradezu notwendig war, erwar ein vir necessarius tam multis et tam bonis rebus (V. Cypr. 7,12).

Doch nicht nur rationale Grunde werden zur Begrundung herangezogen, sondern vorallem der Wille Gottes. Die Argumentation des Pontius gipfelt in V. Cypr. 7,14 in demSatz: Der Ruckzug war Gottes Wille, wenn sich Cyprian ihm widersetzt hatte, ware selbstdas Martyrium Sunde gewesen.81 Dieser Gedanke, der in den Kapiteln 882 und 14,483

noch einmal aufgenommen wird, nimmt spatere hagiographische Werke vorweg. Wennsich Cyprian auf Gottes Geheiß dem Martyrium entzieht, damit die Gemeinde nichtohne geistlichen Fuhrer bleibt, klingt der in der spateren Literatur außerordentlich ver-breitete Gegensatz zwischen der Pflicht an, die dem Heiligen durch seine Stellung aufer-legt wird, und dem Wunsch, sich von der irdischen Welt zu losen.84 In den spaterenViten finden wir ahnliche Berichte, im Fall des agyptischen Einsiedlers Antonius sogaraus der Feder zweier unterschiedlicher Autoren. Athanasius berichtet in der Vita Antonii,der Monch habe sich nach dem Martyrium gesehnt, „und es schien ihn zu schmerzen,daß er nicht Zeugnis abgelegt hatte. Der Herr aber bewahrte ihn zu unserem und andererHeil, auf daß er auch in der Askese, die er aus der Schrift gelernt hatte, ein Lehrer furviele werde.“85 In der Vita Pauli des Hieronymus wird dem Protagonisten Paulus vonTheben die entscheidende Rolle zugewiesen. Wieder sehnt sich Antonius nach dem Tod,sein Gesprachspartner Paulus ermahnt ihn, als Vorbild fur seine Bruder die Last desLebens weiter auf sich zu nehmen.86 In der vorliegenden Stelle hatte es Cyprian –– man

78 Cypr. epist. 20,1,2.79 Vgl. v. a. Gulzow (Anm. 49) passim.80 V. Cypr. 7,2. Diese Argumentation verwendet Cyprian selbst in epist. 20.81 V. Cypr. 7,14: credidit se, nisi Domino latebram tunc iubenti paruisset, etiam ipsa passione peccaret.82 V. Cypr. 8,1: Dum enim quae videntur postmodum subsecuta satiamus, sequitur ut probemus secessum illum non hominis

pusillitate conceptum, sed, sicuti est vere, fuisse divinum.83 Auch vor seinem Martyrium baten viele Cyprian zur Flucht, doch diesmal bleibt das divinum imperium aus.84 Sehr richtig bemerkt durch Hoster (Anm. 10) 42 Anm. 22. In spateren Viten wird dieser innere Konflikt

zwischen dem Wunsch des Helden nach vita contemplativa und der erforderlichen vita activa ausgetragen.85 Athan. V. Ant. 46.86 Hier. Vita Pauli 12.

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denke auch an Pontius’ Formulierung debita corona martyrii –– verdient gehabt, das Marty-rium erleiden zu durfen. Daß es ihm zu diesem Zeitpunkt noch nicht vergonnt war, stelltPontius als unwillkommene Pflicht dar.

Fazit

Die Ausfuhrlichkeit, mit der Pontius das Verhalten seines Protagonisten in der Verfol-gung beschreibt (in immerhin zwei von insgesamt nur 19 Kapiteln), beweist, wie wich-tig es ihm war, den Aspekt der Flucht zu thematisieren. Wahrend andere problemati-sche Details im Leben Cyprians, etwa der Ketzertaufstreit, unerwahnt bleiben, wird dieFlucht angesprochen und als notwendige Tat im Interesse der Kirche umgedeutet. Vie-les spricht dafur, daß Pontius in diesem Punkt auf kritische Stimmen reagierte, die sichgegen Cyprian erhoben hatten, so daß er sich genotigt sah, seinen Helden posthum zuverteidigen. Einen direkten Reflex auf diese Kritik sehe ich in der Stelle Viderint qui

putant posse fortuitu ista contingere; ecclesia illis clara luce respondet et dicit: Ego sine Dei nutu

necessarios reservari non admitto, non credo.87 –– offenbar wurde von bestimmten Personenin Frage gestellt, daß Cyprians Flucht Gottes Wille war,88 wie auch die Verschiebungseines Verhors um einen Tag als Intervention Gottes bestritten wurde: Forsitan tamen

quaerat aliquis, quae causa fuerit a praetorio revertendi ad principem. Et volunt hoc scilicet quidam

de suo tunc proconsulem voluisse.89 Die hier zu Tage tretende apologetische Funktion derSchrift wurde schon oft betont,90 eine wichtige Folgerung aus dieser Erkenntnis findetsich dagegen nur sehr selten in der Forschung: Sieht man in der Abwehr von posthumgeaußerten Angriffen gegen Cyprian den Hauptgrund fur die Konzeption der vita et

passio in der vorliegenden Form, dann wurde dies bedeuten, daß die erste christlicheVita ein Zufallsprodukt aus aktuellem Anlaß ist.91 Da, wie beschrieben, das Kriteriumfur die Heiligkeit eines Menschen sein Martyrium war, hatte fur einen Lobpreis Cy-prians der zweite Teil der Pontius-Schrift ausgereicht, der immerhin die Halfte desWerkes ausmacht.92 Der erste Teil verfolgte einen anderen Zweck: Er diente nicht inerster Linie der Verherrlichung des Heiligen, sondern der Abwehr der Angriffe gegenden Menschen Cyprian, seine rasche kirchliche Karriere und sein Verhalten in der De-cischen Verfolgung.

Von daher wird verstandlich, warum die Vita Cypriani in dieser Form keine Nachfolgergefunden hat. Eine Auflistung der christlichen Heiligenviten des 3. und 4. Jahrhundertsergibt das folgende Bild:93

87 V. Cypr. 8,5.88 So bereits Reitzenstein (Anm. 8) 64f.89 V. Cypr. 15,7.90 Z. B. Reitzenstein (Anm. 8) 64ff., Hoster (Anm. 10) 38, Clarke (Anm. 55) 634, H. Montgomery, Pontius’

Vita S. Cypriani and the making of a saint, SO 71, 1996, 195––215, hier 214f., Schmidt (Anm. 4) 434. Zuschwach stellt Harnack (Anm. 3) 39 die Rechtfertigung der Flucht als „Nebenzweck“ hin.

91 Nur Sage (Anm. 2) 97 argumentiert in diese Richtung.92 „[. . .] so wird schon vom Umfang her unterstrichen, daß diese [die passio] in der Optik der fruhen Christen

die eigentliche gloria begrundete.“ (P. Schmidt, Die Cyprian-Vita des Presbyters Pontius –– Biographie oderlaudatio funebris?, in: L. Benz [Hg.], ScriptOralia Romana. Die romische Literatur zwischen Mundlichkeit undSchriftlichkeit [ScriptOralia 118, Reihe A, Altertumswissenschaftliche Reihe 29], Tubingen 2001, 305––318,hier 306.)

93 Nach Pellegrino (Anm. 4) 12ff.

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� Vita Cypriani (Pontius, um 258)� Vita des Pamphilos von Caesarea94 (Pierius von Alexandria, nach

309/10,95 verloren)� Vita des Pamphilos von Caesarea96 (Eusebius von Caesarea, nach

309/10, verloren)� Lobrede auf Eusebius von Caesarea97 (Acacius von Caesarea,

verloren)� Vita Pachomii (nach 347)98

� Vita Antonii (Athanasius von Alexandria, 356)99

� Vita des Eusebius von Emesa100 (Georgios von Laodicea, nach359,101 verloren)

� Hieronymus:� Vita des Paulus von Theben (375/77)102

� Vita des Malchus (ca. 390)103

� Vita des Hilarion von Gaza (vor 392)104

� Biographische Anklange in De viris illustribus und den Briefen105

Die �bersicht zeigt ein bemerkenswertes �bergewicht von griechischen gegenuber latei-nischen Viten. Selbst wenn man generell ein starkes �berwiegen griechischer hagiogra-phischer Literatur in der Spatantike annehmen muß,106 halte ich dieses Ungleichgewichtfur bemerkenswert, besonders im Vergleich mit den zeitgleich entstandenen Martyriums-berichten: In der Zeit zwischen 280 und 370, also etwa der Zeit, in der auch die aufge-zahlten Heiligenviten verfaßt wurden, entstanden 14 lateinische passiones.107 Die Heiligen-viten hingegen sind bis zu den Schriften des Hieronymus mit Ausnahme der Pontius-

94 C. de Boor, Neue Fragmente des Papias, Hegesippus und Pierius in bisher unbekannten Excerpten aus derKirchengeschichte des Philippus Sidetes (TU 5,2), Berlin 1888, 165––184, hier 180f., postulierte eine solcheSchrift auf Grund eines Exzerpts unbekannter Herkunft im Codex Baroccianus 142 (Fr. 7 bei de Boor,170f.: koŁ co| ei¤ | soØ m biØ om sot“ a' ciŁ ot PaluiŁ kot). Ihm folgend Pellegrino (Anm. 4) 12f.

95 Pamphilos erlitt am 16.2.309 oder 310 das Martyrium (vgl. W. Bienert, s. v. Pamphilos, in: LThK3 7, 2006,1307).

96 Eus. HE VI 32,3; VII 32,25; VIII 13,6; Eus. de martyribus Palestinae 11,3; Hier. adversus Rufinum I 9.97 Sokr. II 4.98 Pachomius starb wohl 347 (T. Baumeister, s. v. Pachomios, in: LThK3 6, 2006, 1254––1255, hier 1254).99 Datierung J. Fontaine, Die Vita Antonii des Athanasius und ihre lateinischen �bersetzungen, in: HLL 5,

1989, 535ff. (§ 599), hier 535.100 Sokr. II 9; Soz. III 6.101 Eusebius starb um das Jahr 359 (vgl. M. Stark, s. v. Eusebius von Emesa, in: LThK3 3, 2006, 1010).102 Datierung K. Frank, s. v. Paulos von Theben, in: LThK3 7, 2006, 1528f.103 Datierung H. Drobner, s. v. Malchos, in: LThK3 6, 2006, 1238.104 Datierung E. Grunbeck, s. v. Hilarion von Gaza, in: LThK3 5, 2006, 98.105 Nepotianus (Hier. epist. 60), Fabiola (epist. 77), Paula (epist. 108), Marcella (epist. 127).106 Die CPL fuhrt bis zum Tod des Beda Venerabilis (735) ca. 200 lateinische Heiligenleben fur das ge-

samte Abendland auf (Berschin [Anm. 46] 4). E. Muhlenberg, Les debuts de la biographie chretienne,RThPh 122, 1990, 517––529, hier 519, schatzt demgegenuber eine funffache Menge an griechischenTexten.

107 Vgl. J. Fontaine, Hagiographische Literatur: Martyrerberichte und -akten von 280 bis 370 n. Chr., in: HLL5, 1989, 517––535 (§§ 593––598): Passionen des Maximilianus, des Marcellus, des Typasius, des Felix, derMaxima, Donatilla und Secunda, der Crispina, des Saturninus, Dativus, Felix, Ampelius und ihrer Gefahr-ten, des Julius, des Serenus, des Quirinius, des Phileas, des Donatus und Advocatus, des Marculus und desIsaac und Maximianus.

470 M. Ziegler, Die Vita et passio Cypriani

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Schrift nur in griechischer Sprache bekannt.108 Dies zeigt deutlich, daß die Vita Cypriani

fur die lateinische Literatur eine Sonderrolle einnimmt. Sie steht außerhalb der eigentli-chen Entwicklung des Genres,109 die sich im griechischsprachigen Osten vollzog. DieseSonderrolle wird noch deutlicher, wenn man die strukturellen Unterschiede zwischen derVita Cypriani und spateren Lebensbeschreibungen betrachtet, besonders die stetig zuneh-mende Beschreibung von Wundertaten des Protagonisten. Solche fehlen in der Vita Cy-

priani vollig, wahrend in der Vita Antonii standige Damonenkampfe, aber auch Heilwun-der und Visionen des Antonius beschrieben werden. In der lateinischen Literatur fanddie Vita et passio Cypriani keine Nachfolger, in ihr dominieren reine passiones, in denen dasLeben der Protagonisten vor ihrem Martyrium keine Rolle spielte und demzufolge nichtdargestellt wurde. Mit den Monchsviten des Hieronymus erreicht die Gattung der Heili-genvita erst gegen Ende des 4. Jahrhunderts auch die lateinische Literatur, doch stellendiese eindeutig Adaptionen der Vita Antonii dar.

Zusammenfassung

Die Vita et passio Cypriani, die mit großter Wahrscheinlichkeit vom karthagischen Presby-ter Pontius verfaßt wurde, verfolgt mehrere Absichten: Neben einer panegyrischen undeiner padagogischen Funktion muß auch eine starke apologetische Tendenz angenommenwerden, da sich Pontius ausfuhrlich mit den Vorwurfen auseinandersetzt, die Cyprianwegen dessen Flucht in der Christenverfolgung des Decius gemacht wurden. Diese apo-logetische Funktion ist in hohem Maß fur die Abfassung des ersten Teiles der Schriftverantwortlich, der die traditionelle Literaturgattung der passio um die Schilderung desLebens des Heiligen erweitert. Spatere christliche Autoren greifen jedoch weiterhin aufdie herkommlichen reinen Martyriumsberichte zuruck, so daß die Schrift des Pontius inder lateinischen Literatur eine Sonderstellung einnimmt.

Summary

The Vita et passio Cypriani, most likely written by the Carthaginian presbyter Pontius, stri-ves for several goals: In addition to its panegyrical and pedagogical intention a strongapologetic task must be supposed. Pontius deals extensively with the accusations againstCyprian because of his abscondence in the Decian persecution. This apologetic intentionis largely responsible for the composition of the first part of Pontius’ work, in which thetraditional literary genre passio is enlarged by the description of the Saint’s life. In Latinliterature Pontius’s writing holds a particular position, because later Christian authorscontinued to write mere passiones.

Keywords: Cyprian, passio, 3. Jh. n. Chr., Spatantike, Kaiserzeit, Pontius

108 Die lateinische Fassung der Vita Pachomii stellt eine �bersetzung eines fruheren koptischen Originals dar.Daruber hinaus ist das Verhaltnis der verschiedenen Fassungen (koptisch, griechisch, lateinisch, arabisch)zueinander weitgehend ungeklart (Altaner/Stuiber [Anm. 32] 263; Baumeister [Anm. 98]).

109 Daher sind Entwicklungslinien von der Vita Cypriani zu den spateren Heiligenviten, wie sie etwa E. Gian-narelli, Dal vescovo Cipriano al vescovo Martino: Modelli ,doppi‘ di santita e scritture anomale, in: I. Gua-landri/F. Conca/R. Passarella (Hgg.), Nuovo e antico nella cultura greco-latina di IV––VI secolo, Mailand2005, 331––350, zieht –– so verlockend sie im Einzelfall auch sein mogen –– unzulassig.

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