MACHEN Paris für Veganer · 2020. 9. 25. · Vive les Veggies! Für Öko-Freunde hütet Paris...

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Der Potager du Roi des Sonnenkönigs ist heute Europas größter ökologischer Obst- und Gemüsegarten. MACHEN Paris für Veganer Magazin 10·2020 126

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Der Potager du Roi des Sonnenkönigs ist heute Europas größter ökologischer Obst- und Gemüsegarten.

MACHEN Paris für Veganer

Magazin 10·2020126

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Vive les Veggies!

Für Öko-Freunde hütet Paris einen spekta-kulären Geheimtipp, und Veganer können in der Hauptstadt der kulinarischen Genüsse eine perfekte Subkultur entdecken, vom veganen Frühstücks-Café bis zu Kosmetik und veganer Mode.

TEXT UND FOTOS HANNAH GLASER

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„Jeder kennt den Spiegelsaal von Versailles;

aber kaum einer kennt

den Nutzgarten.“

L udwig XIV war vier Jahre alt als er zum König ernannt wurde und herrschte sagenhafte 72 Jahre. In

dieser Zeit führte er 30 Kriege, ließ den Prachtboulevard Champs-Élysées und das Schloss Versailles mit 700 Zimmern bauen, wo er seine Amtsgeschäfte meist aus dem königlichen Schlafgemach, sprich aus dem Bett führte. Er sah sich als Mittelpunkt der Welt, zeugte mit Ehefrauen und Maitressen zahllose Kinder, und auch sein kulinari-scher Appetit war unmäßig. Wie seine Schwägerin Liselotte von der Pfalz notier-te, verspeiste er bei einem normalen Mit-tagstisch vier Teller Suppe, einen Fasan, ein Rebhuhn, zwei fette Scheiben Schin-ken, Hammelfleisch mit Brühe, eine Platte mit Süßigkeiten und zum Abschluss ge-kochte Eier und jede Menge Obst.

Das Obst zum Dessert kam aus dem Gar-ten des Königs – „Le Potager du Roi“ – der in Versailles eigens in fünfjähriger Arbeit angelegt worden war, und in dem ein Heer aus Gärtnern mit ungeheurem Erfindungs-reichtum alles wachsen und gedeihen ließ, wonach dem König der Sinn stand. Denn seine Majestät bestand darauf, auch die Natur seinem Willen zu unterwerfen, ver-langte an Weihnachten Spargel zu speisen und im Januar sechs Sorten frische Erd-beeren. Zu einer Zeit als selbst in Holland noch kein einziges Gewächshaus stand – das wurde erst Jahrzehnte später erfunden. Alles Obst hatte übrigens in rauen Mengen vorrätig zu sein, denn am Hofe lebten et-liche hundert Menschen und 4000 Feigen zu einer einzigen Mahlzeit waren nichts Ungewöhnliches.

Diesen historischen Garten des Königs gibt es bis heute und er wird komplett öko-logisch bewirtschaftet. Doch anders als der Spiegelsaal von Versailles ist dieser größte Nutzgarten der Welt in kaum einem Reise-führer zu finden – der Besuch ist der Hö-

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hepunkt der Reise „Paris für Veganer“ des Frankfurter Spezialisten France écotours.

Bei einer Führung erfährt man im Detail was Jean-Baptiste La Quintinie, Chef des königlichen Obst- und Gemüsegartens, seinerzeit alles unternahm, um die Saison-zeiten der Natur auszutricksen. 13 Fußball-felder groß ist der Garten und in streng barocker Symmetrie angelegt, um auch dem Auge zu gefallen. Denn wenn der Son-nenkönig Besuch bekam, vom Dogen von Venedig oder dem Herrscher von Siam, ge-hörte der exotische Garten zu den Schau-stücken, die er gerne persönlich präsen-tierte. Das königliche Tor, das goldene „Grille du Roi“ mit den Insignien des Son-nenkönigs, ist Teil des Rundgangs und das einzige erhaltene Originaltor in ganz Ver-sailles.

Um die Natur zu überlisten. ließ der obers te Pflanzenflüsterer an der Außen-mauer des Gartens Treibnischen bauen, 29 Kammern mit nach Süden, Westen und Osten ausgerichteten Wänden, die im Win-ter als Wärmespeicher dienten. Hier wur-

den Melonen, Feigen, Gurken, Pfirsiche, Nektarinen und Erdbeeren gezogen. Zur Erwärmung der Erde nutzte der Meister Pferdemist, der in den königlichen Stallun-gen reichlich produziert wurde. Der warme Mist wurde auf die Beete aufgetragen und mit Stroh abgedeckt, diese Prozedur muss-te täglich mehrmals wiederholt werden. Zum Frühtreiben setzte man Strohhauben und Glasglocken über die Saat.

Glückliche Franzosen Natürlich wussten La Quintinie und seine Gärtnerschar alles über die Werkzeuge des Pfropfens, über Lehm, Wachs und Messer und darüber wie man Pflanzen beschnitt, wie man Aprikosen mit Pfählen stützte, wie man mit Rauch dem Mehltau auf den Stachelbeeren zu Leibe rückte und den Fei-genbäumen die kranken Teile abschnitt. 2.500 Obstbäume gab es damals im Garten, vor allem Birn- und Apfelbäume, dazu 700 Feigenbäume; heute wachsen hier immer noch 160 Apfel- und 140 Birnensorten. Sei-nerzeit waren sie höchst kunstvoll be-

schnitten, wobei das Spalierobst so ange-ordnet war, dass die Bäume optimaler, aber immer unterschiedlicher Sonneneinstrah-lung ausgesetzt waren, auf diese Weise wurde die Erntephase ausgedehnt und die zu kunstvollen Formen geschnittenen Bäu-me waren eine Zierde für den Garten – viel davon ist heute noch zu sehen.

Wenn man dann – noch voller Staunen – mit der Metro nach Paris zurückfährt, vielleicht um durch Veggietown im 9. und 10. Arrondissement zu bummeln, bei Le Faitout vegane Tapas zu verspeisen und bei Jay & Joy köstlichen veganen Käse zu ver-kosten, geht einem doch der verfressene Sonnenkönig nicht mehr aus dem Sinn. Glückliche Franzosen. Wieso hatten wir in unserer Geschichte nur hartleibige, lust-feindliche Gestalten, die uns alles Mögliche hinterlassen haben, aber keinen Paradies-garten wie den Potager du Roi.

Tipps für den perfekten nachhaltigen Urlaub in ParisTIPPS

1 Laetitia ist eine der Gründerinnen des Restaurants Breathe, wo sie ne-benbei für gute Laune sorgt.

2 Mary Carmen-Jähnke von Jay & Joy zaubert köstlichen Käse ganz ohne tierische Milch.

3 Traumhafte Frühlingsrolle aus ma-riniertem Rotkohl mit Mango und Erdnusssauce im Breathe.

4 Je nach Jahreszeit gibt’s gebacke-ne Brokkoli-Brote als Tapas im Res-taurant Le Faitout .

5 Frühstück im Coffee Shop Comp-toir Veggie mit frischen Waffeln und Guacamole.

6 Bei Olivier Campardou kann man lernen wie die japanischen Soba-Nu-deln entstehen.

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ÜBERNACHTEN Das Zazie Hôtel im 9. Arrondissement ist ein originelles, nachhaltiges Sozialprojekt, das schwer vermittelbare Menschen be-schäftigt. Die Betten sind neu, die übrigen Möbel stammen von Flohmärkten und wur-den aufpoliert. Der Gare de Lyon ist zehn Fußminuten entfernt. Doppelzimmer 79 Euro, Frühstück 9 Euro. zaziehotel.paris

Das Hôtel du Printemps liegt in der Nähe der Metro-Haltestellen Nation und Picpus und unweit vom Place de la Nation. Das Bio-Hotel ist nachhaltig zertifiziert, hat 20 Zimmer, eine Lounge mit Kamin und einen kleinen Innenhof. Mittwoch und Samstag Markt in der Nähe. Einzelzimmer ab 90 Euro, Doppelzimmer ab 110 Euro. hotel-paris-printemps.com

Das Hôtel Le Pavillon im Zentrum von Paris am linken Seine-Ufer war früher ein Kloster und ist heute ein nachhaltig zerti-fiziertes Drei-Sterne-Hotel mit 15 indivi-duell eingerichteten Zimmern, davon drei speziell für elektrosensible Gäste. Das hausgemachte Bio-Frühstück gibt’s auch auf der Terrasse. Doppelzimmer ab 135 Euro. green-spirit-hotels.com

Die Eden Lodge im 11. Arrondissement wurde 2015 eröffnet und steht für ultima-tiven Öko-Luxus – mit italienischen Bä-dern und japanischen WCs. Das klimaneu-trale Haus hat zwei Suiten, drei Zimmer und 500 qm Garten. Zimmer 225 Euro, Suite 350 Euro. Edenlodgeparis.net

ESSEN Breathe: Schon das Ambiente ist einen Be-such wert. Im 19. Jahrhundert war das Haus ein Teestudio, der Dichter Baudelaire ge-hörte zu den Stammgästen. Unter der Stuckdecke und inmitten verspiegelter Wände wird kreative vegetarische Küche serviert. Wochentags 18.30–22.30 Uhr, Wochenende ab 12 Uhr. breathe-restaurant.com

Comptoir Veggie: Waffeln mit Guacamo-le und Cream Cheese zum Frühstück? Von Dienstag bis Samstag zaubert Justine in diesem kleinen, gemütlichen Coffee Shop von 10–18 Uhr vegane Leckereien. comptoirveggie.com

Le Faitout: Ab 17 Uhr gibt es in dieser Bras-serie Tapas und die Klassiker der französi-schen Küche in veganer Version, dazu ve-gane Weine. lefaitout.fr

VG Patisserie: Die Kultadresse für vegane Süßnasen auf dem Boulevard Voltaire wur-de 2016 als erste vegane Patisserie Frank-reichs gegründet. Wer es lieber deftig mag, findet im Feinkost-Café auch vegane Pizza und Focaccia. vgpatisserie.fr

für den nachhaltigen und veganen Aufenthalt

in Paris

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ERLEBENAtelier Soba: Olivier Campardou ist ei-gentlich Landwirt und Züchter, in den Py-renäen stellte er lange Jahre Kosmetik aus Eselsmilch her. Dann verschlug es ihn nach Japan wo er nach einer dreijährigen Aus-bildung sein Diplom in der Herstellung von Soba-Nudeln ablegte. In seinem Pariser Atelier kann man von Dienstag bis Samstag ganz frisch jene dünnen, graubraunen (glu-tenfreien) Nudeln aus Buchweizen kaufen, die aus der japanischen Küche nicht weg-zudenken sind. Der Meister erläutert die Herstellung der Bio-Ware und veranstaltet freitags und sonntags Kurse. atelier-soba-paris.com

Le potager du roi: Der Obst- und Gemüse-garten Ludwigs XIV. in Versailles ist von April bis Oktober Do-So von 10–18 Uhr ge-öffnet, November bis März Di–Fr 10–18 Uhr. Eintritt 5 Euro, mit Führung am Wochen-ende 8 Euro. Wer mit France écotours unter-wegs ist, nimmt an einer Privatführung teil.

EINK AUFENAujourd’hui Demain: Im Concept Store führt Rafael Francisco fair gehandelte ve-gane Lebensmittel, Bücher zum Thema, Kleidung und Schuhe, u.a. auch Sneakers des deutschen Fair Trade Labels „Ethle-tic“. Im angeschlossenen Coffee Shop gibt es vegane Snacks. aujourdhui-demain.com

Jay & Joy: Nirgendwo in Paris kauft man besseren veganen Käse als bei den Spezia-listen Mary Carmen-Jähnke aus Venezuela und Eric Jähnke aus dem Schwarzwald. Mit etwas Glück kann man bei der Herstellung zuschauen. jay-joy.com

Manifeste 011: Die Zwillinge Maud und Judith Pouzin eröffneten 2017 die erste vegane Modeboutique, mit 30 Brands aus aller Welt und großer Auswahl an Hand-taschen und Schmuck. manifeste011.com

Véganie: Der vegane Kosmetikladen un-weit vom Centre Pompidou führt mehr als drei Dutzend internationale Marken und Produkte von Body Lotion bis Rasiercreme und Nagellack. veganie.com

VERANSTALTER Bei France écotours, spezialisiert auf nachhaltigen Urlaub in Frankreich, zeigen passionierte Französinnen ihre Heimat wie sie wirklich ist, Begegnungen mit Einhei-mischen gehören zentral zum Programm. Die kleinen Reisegruppen übernachten in Öko-Häusern, die Küche ist bio bzw. in die-sem Fall vegan.

Die viertägige Reise „Paris für Veganer“ wird das ganze Jahr über angeboten, im Oktober an vier Terminen. Sie kostet mit drei Hotelnächten mit Frühstück, zwei Abendessen, allen Besichtigungen, Trans-fers und geführten Touren 960 Euro. France écotours bietet außerdem Familien-urlaub (Ferien im Baumhaus, am Meer oder im Zigeunerwagen), Rad- und Wanderrei-sen (u.a. Auvergne, Pyrenäen, Massif Cen-tral, Cevennen, Provence) und Yoga- sowie Qigong-Reisen an. france-ecotours.com

PS: Als besonders chic galten am Hofe des Sonnenkönigs übrigens die neu entdeckten Erbsen, die als Betthupferl verzehrt wurden.

Noch heute kann man über 60 verschiedene Spalierformen im königlichen Garten studieren.

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