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abb. 2 Frühaugusteisches Marmorrelief mit der Apollinischen Trias bei einem Siegesopfer. Der im Hintergrund angegebene Kultbau könnte auf den von Octavian errichteten Apollotempel auf dem Palatin anspielen (Kat. 4.5). 1487 zum ersten Mal gedruckt worden; die Architekten der Renaissance haben es vielfach genutzt. Darin erfährt man über die Herausbildung der augusteischen Bautypen, auch über die verschiedenen Tempeltypen und die drei Säulenordnungen, die seit der griechischen Klassik Verwendung fanden, die do- rische, die ionische und die korinthische. Die gerade in grie- chischen Werkstätten in Rom erfundene Kompositordnung 4 mag Vitruv noch nicht benennen. Aber er stellt auch noch nicht heraus, was den Baumeistern von Caesar und Augustus wichtig war: enge, steile Säulenstellungen, die Verwendung von Marmor für die Fassaden und die Bevorzugung der ko- rinthischen Ordnung – so an den bedeutendsten Tempeln der Zeit auf dem Caesarforum (51–46 v. Chr.), auf dem Forum Ro- manum selbst mit dem Caesartempel (42–29 v. Chr.) und schließlich auf dem Augustusforum (42–2 v. Chr.). 5 Diese Marmortempel, zu denen noch viele weitere in Rom kamen, unter anderen der Apollotempel am Palast des Augustus auf dem Palatin (36–28 v. Chr.), leuchteten mit ihrer weiß-marmornen Architektur in der Stadt und verkündeten mit ihrer pflanzlich-korinthischen Ordnung die Kulturblüte, die man der Politik ihrer Stifter verdanken sollte (Abb. 2). Als aurea templa hat die zeitgenössische Poesie sie gefeiert, als »goldene Tempel« (so etwa bei Ovid und Properz), und damit auf das neu gewonnene Goldene Zeitalter angespielt. 6 Einer von ihnen, der Mars-Ultor-Tempel auf dem Augustusforum, 7 von dem wesentliche Reste (Abb. 3) dadurch stehen geblieben sind, dass die mittelalterliche Kirche S. Basilio darin eingebaut worden ist, hat den Architekten der Renaissance zur Verfü- gung gestanden und damit Einfluss auf die neuzeitliche Ar- chitektur in Europa genommen. 114 macht in marmor In der europäischen Kulturgeschich- te hat die architektonische Ausgestaltung Roms unter Augustus eine besondere Bedeutung. 1 Wie vorher nur im klassischen Athen, gehörte für drei Generationen die aktuell moderne Architektur zum kultur- politischen Programm der Zeit. Rom wurde als das Zentrum des neuen Imperiums zielstrebig seinen neuen Funktionen und den damit verbundenen Aussagen der jetzt maßgeblichen Politiker zugeführt. Es war im Sinn der zu Ende gegangenen Republik, dass große Bauunternehmungen vom Vermögen einzelner Bauherren kündeten, und es war im Sinn der sich neu konstituierenden Monarchie, dass alle wesentlichen Bau- maßnahmen in der Hauptstadt des Reichs mit dem Namen des princeps verbunden wurden. Augustus selbst hat lange Lis- ten der von ihm in Rom veranlassten Bauten in seinen Re- chenschaftsbericht aufgenommen. Man baute in Rom von alters her in örtlichem Stein und Stuck, in Ziegeln und Holz; das moderne Bauen im augustei- schen Rom nutzte das vor nicht langer Zeit erfundene opus caementicium (Gussmauerwerk) für die Bewältigung größe- rer Lasten und Spannweiten im Gewölbebau sowie belastbaren Kalkstein und neuerdings den klassischen Marmor für den als vorbildlich verstandenen Gliederbau. Forderte das Erste einen nahezu unbegrenzten Einsatz ungelernter Arbeitskräfte, so be- ruhte das Zweite auf einer lang währenden Ausbildung in Steinmetzbetrieben. Alle technischen Errungenschaften kul- minierten bei größter Detailgenauigkeit des Dekors in der Mo- numentalität aussagekräftiger Fassadenbauten (Abb. 1). Der Steindekor der augusteischen Bauten in Rom, beson- ders aus dem prestigeträchtigen Marmor, erlaubt es, die Ent- wicklung der Architektur der Zeit in drei Stilphasen einzutei- len: Die erste beginnt mit den aufwändigen Bauten Caesars in Rom nach seinen Galliensiegen um 50 v. Chr. und dauert bis in die Zeit der Alleinherrschaft seines Erben Octavian/Augus- tus nach 30 v. Chr. – die zweite schließt daran an bis zur Fer- tigstellung des größten Bauvorhabens der Zeit, des Augustus- forums, im Jahr 2 v. Chr. – die dritte reicht dann bis gegen 30 n. Chr. Man nennt die erste Phase der noch weitgehend von griechischen Marmorfachleuten ausgestalteten Architektur nach der damaligen politischen Konstellation »Stil der Zeit des Zweiten Triumvirats« (das Zweite Triumvirat des Antonius, Lepidus und Octavian dauerte von 43–32 v. Chr.), man ver- bindet die zweite, die augusteische Architektur prägende Pha- se mit dem »mittelaugusteischen Stil« und nennt die dritte Phase dann »spätaugusteisch-tiberischer Stil« (die erste Zeit des Tiberius als Nachfolger des Augustus nach 14 n. Chr. also eingeschlossen). 2 Die Namen sind Hilfsbegriffe, denn die Zeit- grenzen sind fließend, entsprechend der Zusammenstellung oder Auflösung der Bauhütten und Bildhauerwerkstätten. Aber sie helfen, die wesentlichen Architekturformen stilistisch zu unterscheiden und zeitlich zu ordnen und mit ihnen die entsprechenden, heute häufig aus ihren architektonischen Rahmen gerissenen, durch ihre Qualität auffallenden augus- teischen Marmorreliefs und das, was sie uns über die augus- teische Bildsprache mitteilen. In die erste dieser Stilphasen fallen auch die fachlichen Beobachtungen des Architekten Vitruv, die er in seinem be- rühmten Buch De architectura zusammengefasst und um 25 v. Chr. veröffentlicht hat. 3 Dieses Buch ist weniger eine An- leitung zum Bauen als eine Sammlung von Vorschriften, nach denen man Bauten beurteilen kann: Es ist in mehreren Hand- schriften des Mittelalters überliefert (Kat. 4.1) und im Jahr Macht in Marmor Die augusteische Architektur in Rom Wolf-Dieter Heilmeyer abb. 1 Modell des Mars-Ultor-Tempels und der Säulenhallen des Augustusforums in Rom (Museo dei Fori Imperiali, Rom). abb. 3 Von den Säulenreihen des Mars-Ultor-Tempels ist an der rechten Seite ein Teil in situ erhalten geblieben. 115

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abb. 2 Frühaugusteisches Marmorrelief mit der Apollinischen Trias bei einem Siegesopfer. Der im Hintergrund angegebene Kultbau könnte aufden von Octavian errichteten Apollotempel auf dem Palatin anspielen(Kat. 4.5).

1487 zum ersten Mal gedruckt worden; die Architekten derRenaissance haben es vielfach genutzt. Darin erfährt man überdie Herausbildung der augusteischen Bautypen, auch über dieverschiedenen Tempeltypen und die drei Säulenordnungen,

die seit der griechischen Klassik Verwendung fanden, die do-rische, die ionische und die korinthische. Die gerade in grie-chischen Werkstätten in Rom erfundene Kompositordnung4

mag Vitruv noch nicht benennen. Aber er stellt auch nochnicht heraus, was den Baumeistern von Caesar und Augustuswichtig war: enge, steile Säulenstellungen, die Verwendungvon Marmor für die Fassaden und die Bevorzugung der ko-rinthischen Ordnung – so an den bedeutendsten Tempeln derZeit auf dem Caesarforum (51–46 v. Chr.), auf dem Forum Ro-manum selbst mit dem Caesartempel (42–29 v. Chr.) undschließlich auf dem Augustusforum (42–2 v. Chr.).5

Diese Marmortempel, zu denen noch viele weitere inRom kamen, unter anderen der Apollotempel am Palast desAugustus auf dem Palatin (36–28 v. Chr.), leuchteten mit ihrerweiß-marmornen Architektur in der Stadt und verkündetenmit ihrer pflanzlich-korinthischen Ordnung die Kulturblüte,die man der Politik ihrer Stifter verdanken sollte (Abb. 2). Alsaurea templa hat die zeitgenössische Poesie sie gefeiert, als»goldene Tempel« (so etwa bei Ovid und Properz), und damitauf das neu gewonnene Goldene Zeitalter angespielt.6 Einervon ihnen, der Mars-Ultor-Tempel auf dem Augustusforum,7

von dem wesentliche Reste (Abb. 3) dadurch stehen gebliebensind, dass die mittelalterliche Kirche S. Basilio darin eingebautworden ist, hat den Architekten der Renaissance zur Verfü-gung gestanden und damit Einfluss auf die neuzeitliche Ar-chi tektur in Europa genommen.

114 macht in marmor

In der europäischen Kulturgeschich-te hat die architektonische Ausgestaltung

Roms unter Augustus eine besondere Bedeutung.1

Wie vorher nur im klassischen Athen, gehörte für dreiGenerationen die aktuell moderne Architektur zum kultur-politischen Programm der Zeit. Rom wurde als das Zentrumdes neuen Imperiums zielstrebig seinen neuen Funktionenund den damit verbundenen Aussagen der jetzt maßgeblichenPolitiker zugeführt. Es war im Sinn der zu Ende gegangenenRepublik, dass große Bauunternehmungen vom Vermögeneinzelner Bauherren kündeten, und es war im Sinn der sichneu konstituierenden Monarchie, dass alle wesentlichen Bau-maßnahmen in der Hauptstadt des Reichs mit dem Namendes princeps verbunden wurden. Augustus selbst hat lange Lis-ten der von ihm in Rom veranlassten Bauten in seinen Re-chenschaftsbericht aufgenommen.

Man baute in Rom von alters her in örtlichem Stein undStuck, in Ziegeln und Holz; das moderne Bauen im augustei-schen Rom nutzte das vor nicht langer Zeit erfundene opuscaementicium (Gussmauerwerk) für die Bewältigung größe-rer Lasten und Spannweiten im Gewölbebau sowie belastbarenKalkstein und neuerdings den klassischen Marmor für den als

vorbildlich verstandenen Gliederbau. Forderte das Erste einennahezu unbegrenzten Einsatz ungelernter Arbeitskräfte, so be-ruhte das Zweite auf einer lang währenden Ausbildung inSteinmetzbetrieben. Alle technischen Errungenschaften kul-minierten bei größter Detailgenauigkeit des Dekors in der Mo-numentalität aussagekräftiger Fassadenbauten (Abb. 1).

Der Steindekor der augusteischen Bauten in Rom, beson-ders aus dem prestigeträchtigen Marmor, erlaubt es, die Ent-wicklung der Architektur der Zeit in drei Stilphasen einzutei-len: Die erste beginnt mit den aufwändigen Bauten Caesars inRom nach seinen Galliensiegen um 50 v. Chr. und dauert bisin die Zeit der Alleinherrschaft seines Erben Octavian/Augus-tus nach 30 v. Chr. – die zweite schließt daran an bis zur Fer-tigstellung des größten Bauvorhabens der Zeit, des Augustus-forums, im Jahr 2 v. Chr. – die dritte reicht dann bis gegen30 n. Chr. Man nennt die erste Phase der noch weitgehend vongriechischen Marmorfachleuten ausgestalteten Architekturnach der damaligen politischen Konstellation »Stil der Zeit desZweiten Triumvirats« (das Zweite Triumvirat des Antonius,Lepidus und Octavian dauerte von 43–32 v. Chr.), man ver-bindet die zweite, die augusteische Architektur prägende Pha-se mit dem »mittelaugusteischen Stil« und nennt die drittePhase dann »spätaugusteisch-tiberischer Stil« (die erste Zeitdes Tiberius als Nachfolger des Augustus nach 14 n. Chr. alsoeingeschlossen).2 Die Namen sind Hilfsbegriffe, denn die Zeit-grenzen sind fließend, entsprechend der Zusammenstellungoder Auflösung der Bauhütten und Bildhauerwerkstätten.Aber sie helfen, die wesentlichen Architekturformen stilistischzu unterscheiden und zeitlich zu ordnen und mit ihnen dieentsprechenden, heute häufig aus ihren architektonischenRahmen gerissenen, durch ihre Qualität auffallenden augus-teischen Marmorreliefs und das, was sie uns über die augus-teische Bildsprache mitteilen.

In die erste dieser Stilphasen fallen auch die fachlichenBeobachtungen des Architekten Vitruv, die er in seinem be-rühmten Buch De architectura zusammengefasst und um25 v. Chr. veröffentlicht hat.3 Dieses Buch ist weniger eine An-leitung zum Bauen als eine Sammlung von Vorschriften, nachdenen man Bauten beurteilen kann: Es ist in mehreren Hand-schriften des Mittelalters überliefert (Kat. 4.1) und im Jahr

Macht in MarmorDie augusteische Architektur in RomWolf-Dieter Heilmeyer

abb. 1 Modell des Mars-Ultor-Tempels und der Säulenhallen des Augustusforums in Rom (Museo dei Fori Imperiali, Rom).

abb. 3 Von den Säulenreihen des Mars-Ultor-Tempels ist an der rechten Seite ein Teil in situ erhalten geblieben.

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Solche Funde spiegeln deutlich wider, dass Herodes in seinerBaupolitik eine politische Unterordnung oder zumindest Lo -ya litätsbekundung gegenüber Rom verfolgte. Dies gelang abernicht immer reibungslos: Als Herodes in Jerusalem ein Festfür Augustus veranstaltete, kam es zu Protesten der jüdischenBevölkerung, die eine solche Veranstaltung für unvereinbarmit den eigenen religiösen Traditionen hielt.22 Hier zeigt sich,in welch kompliziertem politischen Geflecht Herodes als jü-di scher Klientelkönig zu agieren und zwischen den InteressenRoms und denen seiner Bevölkerung zu vermitteln hatte.

Varus greift ein

Herodes haftete darüber hinaus gegenüber seinen jüdischenUntertanen noch ein familiärer »Makel« an: Die Familie desHerodes hatte nämlich idumäische Wurzeln, erst der Groß -vater des Herodes war zum Judentum übergetreten, weshalbdie Herrschaft des Herodes Zeit seines Lebens mit Legitima-tionsschwierigkeiten behaftet war.23 Herodes versuchte diesenunter anderem durch die Einbindung der Hasmonäer in dieKönigsfamilie zu entgehen, doch führten seine ausgedehnteHeiratspolitik und daraus resultierend die konkurrierendenSöhne des Königs aus unterschiedlichen Linien gegen Endeder Regierungszeit zu dynastischen Streitigkeiten und mehre-ren Hinrichtungen der Kinder des Herodes. In diese Streitig-keiten wurde Varus 5 v. Chr. involviert, und er beriet den Kö-nig im Verfahren gegen den Herodessohn Antipater, dem einMordplan gegen Herodes angelastet wurde.24 Varus übernahmbei dem Verfahren gegen Antipater, das schließlich mit einemTodesurteil endete, den Vorsitz. Hier tat Varus genau das, wasVelleius Paterculus ihm später in Germanien vorwarf, er tratin einer potenziell unruhigen Region als rechtsprechende In-stanz in lokalen Streitigkeiten auf.25 Dass solche Konsultatio-nen in Jerusalem nicht ungewöhnlich waren, zeigt der Berichtdes Iosephus. Er suggeriert, dass – als der Streitfall sich zu-spitzte – Varus sich nur zufällig im Jerusalemer Palast des He-rodes zu Beratungen aufgehalten habe. Allerdings ist durch-aus zu erwarten, dass der Statthalter von Syria gezielt undnicht zufällig in das Verfahren einbezogen wurde. Schließlichging es um einen möglichen Thronfolger des Herodes, und dasowohl Herodes als auch seine Nachfolger einer offiziellen Be-stätigung Roms und Augustus’ bedurften, ist dieser rang-höchste Vertreter Roms und des princeps im Vorderen Orientsinnvollerweise mit in den Prozess einbezogen worden.

Varus musste nach dem Tod des Herodes 4 v. Chr. erneutin die Angelegenheiten Judäas eingreifen.26 Dabei scheint einganzes Ursachenkonglomerat zu der Intervention geführt zuhaben. Dies waren einerseits Unzufriedenheit der Lokalbe-völkerung mit der vergangenen Herrschaft des Herodes, an-

Varus greift ein 165

an die sog. Villa della Farnesina in Rom, die möglicherweisedem Herodesfreund und Augustusvertrauten Marcus Agrippagehörte.16 Agrippa besuchte 15 v. Chr. das Königreich des He-rodes und unternahm mit dem König eine Besichtigungsreisezu dessen laufenden Bauprojekten.17

Loyalität und Konflikt

Auch in anderen Gattungen der materiellen Kultur lassen sichdirekte römische Importe aufzeigen. So belegen archäologi-sche Funde von der Palastfestung Masada, dass Herodes Äpfelaus Cumae und Philonianum-Wein (Kat. 6.26; 6.25) impor-tierte, und er ließ sich sogar garum, eine römische Fischsauce,liefern, dies freilich in einer speziell gefertigten ko scherenForm.18 Bei allen diesen römischen Importen, die in der judä -ischen Gesellschaft über den Königshof hinaus kaum rezipiertwurden, stellt sich die Frage, ob mit der Übernahme eine be-

son dere politische Programmatik verbunden war, die eine Aus- sage zum Verhältnis zwischen Herodes und Rom intendierte.Zielte die Übernahme solcher Güter und Techniken auf einedemonstrative Unterwerfung unter Rom oder ging es nur da-rum, die besten verfügbaren Güter zu haben und damit deneigenen Status zu betonen? Eine Beantwortung dieser Frageist schwierig.19 Wenn man eine politische Programmatik imSinne einer Unterwerfung unter Rom sehen möchte, so bestehtschnell die Gefahr einer Überinterpretation. Andererseits gibtes aber eine ganze Reihe an anderen archäologischen Zeugnis -sen, die gerade auf eine solche Unterwerfung oder zumindestostentative Loyalitätsbekundung hindeuten. Dazu zählen Stadt- gründungen des Herodes, die er, wie Caesarea und Sebaste,nach dem princeps benannte.20 Darüber hinaus gehörte Hero-des zu den Ersten, die den Kaiserkult einführten. In Sebaste,Paneas und Caesarea ließ er entsprechende Tempel errichten;ein monumentaler Fuß einer Kolossalstatue (Abb. 6) aus Cae-sarea könnte zu dem Kaiserkultbild am Ort gehört haben.21

164 Varus in Syrien

abb. 5 Ruinen des herodianischen Palastkomplexes, der sicheinst über drei Terrassen am Nordhang von Masada erstreckte.

abb. 6 Marmorfuß einer monumentalen Statue, vermutlich ausdem Kaiserkulttempel in Caesarea (Kat. 6.24).

dererseits Streitigkeiten um die Nachfolge und schließlichauch Übergriffe des Finanzprokurators der Provinz Syria, Sabinus, der Judäa in der Zeit zwischen dem Tod des Herodesund der Einsetzung von Nachfolgern durch Rom verwalten

abb. 7 Fersenbein (Nachbildung) mit Kreuzigungsnagel aus Jeru-salem (Kat. 6.31). Ob der Gekreuzigte als Aufständischer unter Varus hingerichtet wurde oder wegen eines anderen Vergehensdie Todesstrafe erhielt, lässt sich nicht zweifelsfrei beantworten.

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44 Im Dienste Roms

Um 47/46 v. Chr.

Publius Quinctilius Varus stammte aus einer der vornehms-ten Familien Roms, die schon in der mythologischen Frühzeitaus Alba Longa nach Rom übergesiedelt sein soll. Damit ge-hörten die Quinctilier zur altehrwürdigen Oberschicht der Patrizier, die die höchsten politischen und religiösen Ämterder Römischen Republik für sich beanspruchte. Das genaueGeburtsdatum des Varus ist nicht überliefert. Da zu vermutenist, dass er seine Ämter mit dem für sie festgelegten Mindest-alter bekleidete, wird er wohl im Jahr 47 oder 46 v. Chr. gebo-ren sein.

42 v. Chr.

Varus’ Vater, Sextus Quinctilius Varus, kämpfte als Parteigän-ger des Pompeius in den römischen Bürgerkriegen gegen Cae-sar. Bei Corfinium geriet er in Gefangenschaft, wurde aber vonCaesar begnadigt und wieder freigelassen. Als überzeugter Re-publikaner beteiligte er sich erneut an militärischen Opera-tionen in Nordafrika und Griechenland. In der Schlacht vonPhilippi kämpfte er 42 v. Chr. auf der Seite der Caesarmörder.Als sich deren Niederlage abzeichnete, ließ sich Sextus Quinc -tilius Varus von einem seiner Freigelassenen töten.

Ab 42 v. Chr.

Nach dem Tod seines Vaters wuchs Publius Quinctilius Varuswohl bei einem Verwandten auf. Möglicherweise handelte essich dabei um Quinctilius Varus aus Cremona, der mit Horazund Vergil befreundet war. Sollte dies zutreffen, hätte PubliusQuinctilius Varus in einem literarisch geprägten Umfeld ver-kehrt, das über Maecenas, einen berühmten Förderer vonKunst und Literatur, auch enge Verbindungen zu Augustus un-terhielt. Varus’ Schwestern gingen Ehen mit hochgestelltenMännern ein, die ebenfalls über beste Beziehungen zu Augus-tus verfügten.

Im Dienste Roms Publius Quinctilius Varus (47/46 v. Chr. – 9. n. Chr.)

Um 25 v. Chr.

Die Karrieren römischer Senatoren begannen mit unterge-ordneten Posten in der Zivilverwaltung und beim Militär. FürVarus liegen leider keine Quellen zu seinen frühen Ämternvor. Man könnte aber vermuten, dass er als Militärtribun anden Kriegen gegen die Kantabrer und Asturer im Norden derIberischen Halbinsel beteiligt war. Von 26 bis 24 v. Chr. leite-te Augustus die Kampfhandlungen persönlich, und auch seinStiefsohn Tiberius war damals als tribunus militum in Spanienanwesend.

Um 23 v. Chr.

Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt heiratete Varus eine Tochter des Agrippa, der als bester Freund des Augustusgalt und selbst zur Familie des princeps gehörte. Damit warVarus zugleich ein Schwager des Tiberius, der damals mit eineranderen Tochter des Agrippa verheiratet war. Varus bewegtesich also im engsten familiären Umfeld des Augustus undkonnte sich berechtigte Hoffnungen auf eine erfolgreiche Kar-riere in der römischen Politik machen. Um das Jahr 7 v. Chr.ging Varus dann eine zweite Ehe mit Claudia Pulchra, einerGroßnichte des Augustus, ein.

22–19 v. Chr.

Das erste, sicher überlieferte Amt übernahm Varus im Ge-folge des Augustus, als dieser 22–19 v. Chr. in den Osten desImperium reiste. Dabei amtierte Varus 22/21 v. Chr. alsquaestor Augusti, war als persönlicher Finanzbeamter also direkt dem princeps unterstellt. Auf dieser Reise wurde VarusZeuge, wie Augustus einen großen diplomatischen Erfolg erzielte. Er zwang Phraates IV., den König des mächtigen Partherreiches, dazu, die römische Vorherrschaft anzuer-kennen und zuvor erbeutete Feldzeichen wieder herauszu-geben.

8/7 v. Chr.

Nach einer obligatorischen Pause von fünf Jahren amtierte Va-rus 8/7 v. Chr. als Prokonsul in der Provinz Africa, einer der äl-testen und reichsten Besitzungen Roms. Hier war er für dieRechtsprechung, den Steuereinzug und Sicherungsaufgabenzuständig. In dieser Zeit prägten die nordafrikanischen Städ-te Achulla und Hadrumetum Münzen mit den bis heute einzi-gen sicher Varus zuzuordnenden Bildnissen.

7/6–4 v. Chr.

Nach seinem afrikanischen Prokonsulat übernahm Varus dieVerwaltung der strategisch wichtigen Provinz Syria. Als lega-tus Augusti pro praetore befehligte er vier Legionen, die dieOstgrenze des Imperium vor den Parthern schützen sollten.Während seiner Statthalterschaft war er auch mit Problemenim benachbarten Klientelreich Judäa unter Herodes dem Gro-ßen konfrontiert. Brisant wurde die Situation, als es nach demTod des Königs 4 v. Chr. zu schweren Unruhen kam, die Va-rus niederschlagen ließ.

4 v. Chr.–6 n. Chr.

Aus der Zeit zwischen Varus’ Statthalterschaft in Syrien undseinem Engagement in Germanien ist keine Nachricht überseine Person bekannt. Dies ließe sich durch seine enge Freund-schaft mit Tiberius erklären: Als sich Tiberius aus Enttäu-schung über die Missachtung durch Augustus von 6 v. Chr. bis2 n. Chr. freiwillig ins Exil nach Rhodos zurückzog, könnteauch Varus zwischenzeitlich ins politische Abseits geraten sein.Bald nach Tiberius’ Wiedereintritt in die Öffentlichkeit er-scheint auch Varus erneut auf der politischen Bühne.

6/7–9 n. Chr.

Als erfahrener und hochdekorierter Militärführer und Politi-ker übernahm Varus 6/7 n. Chr. den Posten eines legatus Au-gusti pro praetore in Germanien, das damals bereits als römi-sche Provinz galt. Zunächst konnte er auch hier erfolgreich fürRuhe und Ordnung sorgen. Doch im Herbst des Jahres9 n. Chr. geriet Varus mit der 17., 18. und 19. Legion im saltusTeutoburgiensis in einen Hinterhalt germanischer Stämme un-ter der Führung des abtrünnigen Cheruskerfürsten Armini-us. Im Angesicht der drohenden Niederlage stürzte sich Va-rus auf dem Schlachtfeld in sein Schwert.

lit Eck 2009; Wolters 2008, 75–88; John 1963. (T. E.)

Bronzemünze mit dem Porträt des Publius Quinctilius Varus (Kat. 6.10).

Im Dienste Roms 45

Um 17/16 v. Chr.

Wie für Varus’ Militärtribunat fehlen auch für seine Prätur an-tike Nachrichten. Die Magistratur bildete aber eine feste Etap-pe in der senatorischen Ämterlaufbahn. Angesichts des Min-destalters von 30 Jahren darf man also annehmen, dass Varus17 oder 16 v. Chr. als praetor diente und in dieser Funktionvornehmlich mit der Rechtsprechung betraut war.

15 v. Chr.

Mit den Völkern des Nordens kam Varus erstmals währenddes Alpenfeldzuges 15 v. Chr. in Kontakt. Varus war der Hee-resgruppe des Tiberius zugeordnet, die von Gallien aus gegenkeltische Stämme im Alpenvorland vorstieß und komman-dierte als legatus legionis XIX eine der Legionen, die 9 n. Chr.mit ihm in Germanien untergehen sollte. In den Alpen führ-te Varus die 19. Legion jedoch siegreich bis ins heutige Ober-bayern.

13 v. Chr.

Varus bekleidete 13 v. Chr. den Konsulat, das offiziell höchsteAmt im römischen Staat. Sein Amtskollege war niemand Ge-ringeres als Tiberius. Die beiden Konsuln veranstalteten auf-wändige Spiele zur Feier der Rückkehr des Augustus aus Gal-lien. Unter dem Vorsitz von Tiberius und Varus beschloss derrömische Senat außerdem die Errichtung der Ara Pacis, einesder Kernstücke des augusteischen Bauprogramms.

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abb. 2 Modell des Militärlagers Anreppen. Blick auf die Speicher-bauten (LWL-Römermuseum in Haltern am See).

Eine Legion bestand aus 5000 bis 5500 Mann, die somitzwischen 4,75 und 5,225 t am Tag und zwischen 1733,75 und1907,125 t im Jahr allein an Weizen verbrauchten! Diese Men-gen und damit das Problem ihrer Bereitstellung vergrößertensich bei mehreren Legionen entsprechend; bei fünf Legionenwurden bis zu 9600 t jährlich benötigt. Nicht zu vergessen sindauch die Rationen der Hilfstruppensoldaten und ihrer Tiere.Zudem mussten die Reit-, Last- und Zugtiere einer Legion zu-mindest im Winter gefüttert werden, was noch einmal rund1000 t Gerste im Jahr erforderte. Wein und Öl fanden trotz ih-rer für uns heute unhandlich erscheinenden Transportgefäßeihren Weg in jedes römische Lager, selbst wenn es erst kurzeZeit existierte.11 Amphorenfunde belegen Weine aus Kampa-nien und von den griechischen Inseln und die aus Oberadenbekannten Fässer erheblichen Fassungsvermögens deuten an,wie hoch der Verbrauch an meist gallischen Weinen war(Abb. 1). Auf einigen Fassdauben haben sich sogar die Namender Küfer erhalten: Gallus und Soliverus stellten Fässer ausWeißtanne her. Auch Fleisch stand zumindest gelegentlich aufdem Speiseplan, wie Funde von Schweineknochen aus Ober -aden zeigen. Auf Fisch, Gemüse, Obst und garum, die belieb-te Würzsauce aus vergorenem Fisch, wurde ebenfalls nicht ver-zichtet. Oberste Priorität jedoch hatte für die Legionskom-

Verbrauch einer Legion 197196 Tonnenweise Getreide

»Heere werden öfter durch Hun-gersnot als in der Schlacht aufgerieben; der

Hunger ist weit fürchterlicher als das Schwert.«1

Diese Worte des spätantiken Militärschriftstellers Ve-getius umreißen recht deutlich eines der drängendsten Prob -leme des römischen Heeres, dem zu Kriegs- wie zu Friedens-zeiten begegnet werden musste.

Die Heeresversorgung war eine der Schwachstellen aufFeldzügen und daher beliebtes Ziel des Gegners. In denKriegsgebieten standen in der Regel nicht ausreichend Vorrä-te zur Verfügung, sodass diese über größere Distanzen heran-geschafft, gesammelt und weiterverteilt werden mussten.2 Be-wohner anliegender Provinzen und, soweit möglich, auch be-freundete Stämme wurden zur Bereitstellung und zumTransport von Gütern verpflichtet; Getreide wurde aber auchangekauft. Größere Sammellager und kleinere Depots solltenden Nachschub sichern.3

In den über 20 Jahren unter römischer Herrschaft befandsich Germanien nicht in einem permanenten Zustand desKrieges. Wie weit die Römer das Land rechts des Rheins je-doch kontrollierten, ist umstritten. Unruhige Stämme musstenimmer wieder in ihre Schranken gewiesen werden, aber län-gere ruhige Phasen ließen die neuen Herren annehmen, siebesäßen in Germanien »eine fast tributpflichtige Provinz«.4 Siefestigten ihre Herrschaft und begannen Germanien adminis-trativ zu erschließen. Ihre Bauten, obgleich immer noch ausHolz, wurden beständiger; Wasserleitungen aus Blei zeigenebenso wie großzügig angelegte Grabbauten, dass die Römersich dauerhaft an der Lippe einrichteten. Auch fanden immermehr Handelswaren von weit her ihren Weg an die Lippe:Wein aus Italien und Gallien, Oliven und Früchte aus dem ge-samten Mittelmeerraum, und selbst Gewürze wie Pfeffer ausdem fernen Indien.

Wie viele Soldaten an welchen Orten links und rechts desRheins auf diese Lebensmittellieferungen angewiesen waren,kann nur vermutet werden. Tiberius befehligte 4/5 n. Chr. fünfLegionen; Varus verlor 9 n. Chr. drei Legionen, zwei weiterekonnten sich retten.5 Damit sind um die fünf Legionen in Ger-manien anzunehmen, zeitweise auch mehr. Aber Legionenund Standorte wechselten noch häufig. Erst mit der festen Sta-tionierung der Legionen in bestimmten Lagern lässt sich dieGröße und ungefähre Aufteilung der römischen Armee inGermanien erfassen. Dies ist aber frühestens unter Tiberiusentlang der Rheingrenze der Fall.6

Oftmals wurden Legionen in Gebieten eingesetzt, die ei-ne ausreichende Versorgung nicht zu leisten im Stande waren.Auch wenn das Germanien um Christi Geburt nicht demdunklen und undurchdringlichen Wald glich, den es oft in derheutigen Vorstellung einnimmt, so ist doch nicht anzuneh-men, dass die einheimische Agrarproduktion in der Lage war,die hier stationierten Truppen auch nur mit dem Nötigsten zuversorgen. Neben Lebensmitteln benötigten die Legionäreselbstverständlich auch Unterkunft, Kleidung, Waffen, Werk-zeuge und die jeweiligen Rohstoffe. »Man muss besonders da-rauf achten, dass weder im Winter Mangel an Brennholz undFutter, noch im Sommer an Wasser entsteht. Getreide, Wein,Essig und Salz dürfen zu keiner Zeit mangeln«, so Vegetius.7 In

Tonnenweise Getreide Die Versorgung der römischen Legionslager an der LippeKathrin Jaschke

Germanien kam außer Holz wohl kaum etwas in ausreichen-den Mengen vor, und damit hing das Leben der Legionäre vonentsprechenden Vorräten ab.

Verbrauch einer Legion

Die Feldzüge in Germanien und auch die spätere Stationie-rung von Legionen wären nicht möglich gewesen ohne denWeizen aus Gallien.8 Weizen bildete den Hauptbestandteil dertäglichen Essensrationen, die meist noch mit Speck, Käse undzuweilen Gemüse angereichert wurden. Einem Legionärstand eine tägliche Ration Getreide zu, das er selbst zu Breioder Brot verarbeiten musste.9 Die aus acht Mann bestehen-de Stubengemeinschaft (contubernium) kochte zusammenund erhielt wohl auch ihr Korn zusammen: einem modius,dem gängigen Getreidemaß, entsprechen etwa 8,7 l und 7,6 kgGetreide. Ein modius war wiederum in 16 sextarii à 0,546 Li-ter eingeteilt. Bei einem modius Getreide pro contuberniumam Tag entfielen auf jeden Legionär zwei sextarii und damit960 g. Die Römer bevorzugten Weizen; Gerste wurde an dieTiere verfüttert und an Legionäre nur als Strafmaßnahmeausgeteilt.10

abb. 1 Weinfass aus dem Römerlager Oberaden.

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5.29 Goldmünze des AugustusGoldAureus, Dm. 20 mm, 7,69 g, 5 h13–14 n. Chr.PS LugdunumMünzkabinett, Staatliche Museen zu Berlin,Acc. 1876 / 745, Objektnr. 18202574

Vorderseite: CAESAR AVGVSTVS DIVI F PATERPATRIAE. Kopf des Augustus mit Lorbeer-kranz nach rechts.Rückseite: TI CAESAR AVG – (F) TR POT XV.Kopf des Tiberius nach rechts.Durch die Angabe der tribunicia potestaszum 15. Mal lässt sich die Münze auf denZeitraum von Juni 13 n. Chr. bis Juni14 n. Chr. datieren. Es ist eine der letztenPrägungen unter Augustus, die zugleich dieEtablierung seines designierten NachfolgersTiberius zum Thema hat. Während Augus-tus sich als Sohn des göttlichen Gaius IuliusCaesar bezeichnet, wird Tiberius als Sohndes Augustus genannt, sodass sich beideMünzseiten wie eine fortlaufende Kette le-sen lassen.lit RIC I² Nr. 225; J. B. Giard, Bibliothèque nationale deFrance. Monnaies de l’Empire romain I. Auguste (Paris1988²) Nr. 1681. (B. W.)

5.30 Kameo mit dem Porträt desTiberius und eines iulisch-claudi-schen Prinzen

Sardonyx in drei SchichtenDm. 3 cmAnfang 1. Jh. n. Chr.Schatzkammer der Sainte-Chapelle in BourgesParis, Musée du Louvre, Département des Anti-

quités grecques, étrusques et romaines, Inv.:Bj 1845 – MR53

Jean de Berry (1340–1416) sam-melte wie sein älterer Bruder, derfranzösische König Karl V. (1364–1384), Kameen und Gemmen aus

antiker und jüngerer Zeit. Einige be-ließ man so wie sie waren, andere

wurden in Ringe gefasst, an Kruzifixenund Reliquienschreinen befestigt. DieserKameo mit den Bildnissen des Tiberius undeines anderen Prinzen aus der iulisch-clau-dischen Herrscherfamilie stammt von ei-nem Kreuzreliquiar, das Herzog von Berryfür die Sainte-Chapelle in Bourges in Auf-trag gegeben hat. Er war einst auf der Rück-seite des Kruzifixes am Ende des linkenKreuzarms angebracht. Die insgesamt neunKameen des vergoldeten Silberkreuzes wur-den während der Französischen Revolutionentfernt und dem neu eingerichteten Mu-seum von Bourges übergeben, das Edelme-tall schmolz man ein.Über die Benennung der beiden im Rechts-profil geschnittenen Gesichter gibt es meh-rere Hypothesen. In der drapierten, lorbeer-bekränzten Büste im Vordergrund erkenntman das Bildnis des Tiberius, des Sohnes

der Livia, den Augustus als seinen Nachfol-ger adoptierte. Das Porträt im Hintergrundwurde zunächst als Bildnis einer Frau, undzwar von Drusilla, der Schwester und Gat-tin des Kaisers Caligula, später dann alsBildnis des Germanicus oder des Caligulainterpretiert. Vergleicht man es jedoch mitden Marmorporträts in den KapitolinischenMuseen und dem Vatikan, so könnte diesesBildnis durchaus ein postumes Porträt vonDrusus maior sein. Ebenso könnte es sichum ein zeitgenössisches Porträt von Tibe-rius Gemellus, dem 19 n. Chr. geborenenEnkel des Kaisers, handeln.Wie die römischen Münzen, die eines derwichtigsten Medien zur Verbreitung vonHerrscherbildnissen und imperialen Ideolo-gien waren, diente auch die Glyptik zur po-litischen Propaganda, die gerade unter deniulisch-claudischen Herrschern weit ver-breitet war. Neben den großen Staatska-meen, die im Palast oder in anderen öffent-lichen Gebäuden zur Schau gestellt wurden,waren in seltene Steine geschnittene Bild-nisse des princeps oder von Mitgliedern sei-ner Familie kostbare Geschenke für einenkleinen Kreis politisch einflussreicher Per-sonen, oberste Verwaltungsbeamte, hoheOffiziere und Großgrundbesitzer, gedacht.lit A. Blanchet, Les camées de Bourges (Caen 1900) 8Abb. 3; Les fastes du gothique. Ausstellungskatalog Paris(Paris 1981) 211 Nr. 170, 3; W.-R. Megow, Kameen von Augustus bis Alexander Severus. Antike Münzen und Ge-schnittene Steine XI (Berlin 1987) 33 Nr. A 50; 180 f.; B. de

Chancel-Bardelot – C. Raynaud (Hrsg.), La Sainte-Chapelle de Bourges. Ausstellungskatalog Berry (Bour-ges 2004) 207 Nr. 53, 3. (C. G.)

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5.30

Statthalter Roms Die Verwaltung des Imperium

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7.4.5 KatapultpfeilspitzenEisenL. 8,3–12,7 cmca. 11–8 v. Chr.Römerlager HedemündenLandkreis Göttingen, Kreisarchäologie, Inv. Hedemü.5, FNr. 598, 678, 681, 703, 1228

Die schweren Projektilspitzen mit massiverVierkantspitze und Schafttülle dienten mitden ehemaligen kurzen Holzschäften über-wie gend als Pfeile der Katapultgeschütze derrömischen Artillerie. Diese standen stationärauf Wehrbauten wie Türmen, Lagerwällenund -palisaden an den Toren, aber auch aufSchiffen. Die unterschiedlichen Formen, Grö-ßen und Gewichte der Eisenspitzen lassenauf verschieden große Geschützmaschinenschließen. Bis auf rund 100 m Distanz wa renpräzise Schüsse möglich, mit ballistischerSchussbahn waren Entfernungen bis fast500 m erreichbar. Einige der Spitzen gehör-ten eventuell auch zu kleinen Wurfspeeren.lit K. Grote, Römerlager Hedemünden. Vor 2000 Jah-ren: Römer an der Werra. Sydekum-Schriften zur Ge-schichte der Stadt Münden 34 (Hann. Münden 2005) 40 f.Abb. 50; K. Grote, Das Römerlager im Werratal bei Hede-münden (Ldkr. Göttingen). Ein neuentdeckter Stützpunktder augusteischen Okkupationsvorstöße im rechtsrhei-nischen Germanien. In: Germania 84, 1, 2006, 27–59Abb. 8, 3; K. Grote, Neue Forschungen und Funde im augusteischen Römerlager bei Hedemünden (Werra). In: Göttinger Jahrbuch 54, 2006, 5–19 Abb. 4. (K. Gr.)

7.4.6 SchuhnägelEisenL. ca. 2 cmca. 11–8 v. Chr.Römerlager HedemündenLandkreis Göttingen, Kreisarchäologie, Inv. Hedemü.5, FNr. 328, 577, 608, 706, 768, 884,1119, 1431, 1446, 1834

Die Beschlagnägel waren unter die Sohleder Legionärssandalen, aber auch unter an-dere Schuhe mit bis zu 60 Exemplaren undin teilweise musterbildender Anordnungeingeschlagen. Typisch sind die spitzkegeli-gen Nagelköpfe, die oft deutlich abgelaufensind, sowie die kleinen plastischen Noppenauf ihrer Unterseite. Letztere dienten offen-sichtlich der besseren Fixierung auf der Le-dersohle. Im Römerlager Hedemündenwurden bislang über 500 Nägel gefunden,dabei in besonders großen Mengen auf denehemaligen Wegen und in den Toren derLagerbefestigung.lit K. Grote, Das Römerlager Hedemünden (Werra).Die archäologischen Arbeiten bis Jahresende 2007. 3. Vorbericht. In: Göttinger Jahrbuch 35, 2007, 5–17 Abb. 17.

(K. Gr.)

7.4.7 LegionärsdolchEisen, Buntmetall, Knochen / Horn, HolzL. 29,2 cm, B. Parierstange 6,2 cm, max. B. Klinge 3,7 cmSpätes 1. Jh. v. Chr.Römische Wegetrasse im Vorfeld des römi-schen Stützpunktes HedemündenLandkreis Göttingen, Kreisarchäologie,Inv. Oberode 57, FNr. 27

Das geschweifte zweischneidige, damaszier-te Klingenblatt des Dolches (pugio) besitztbeidseitig eine Mittelrippe mit Hohlkehlen.Der Griff mit Parierstange, Mittelknotenund Endknauf ist mehrlagig aufgebaut: Auf

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der innen durchlaufenden eisernen Griff-platte (Heftstumpf) liegen jeweils eine Kno-chen- bzw. Hornlage, darauf schließlich dieeisernen Außenschalen, alles durch Eisen-und Buntmetallniete zusammengehalten.Der Endknauf ist dagegen unter der Eisen-schale aus Holz geformt. Der Griff war ur-sprünglich komplett mit einer dünnen, mitPflanzen- und Weinrebenornamenten ver-zierten Pressblechumhüllung aus Bronzeoder Messing versehen. Dolche dieses Typs(pugio) gehörten zur allgemeinen Waffen-ausstattung des römischen Militärs. Einglei ches Exemplar fand sich auch direkt imRömerlager Hedemünden.lit K. Grote, Das Römerlager Hedemünden (Werra).Die archäologischen Arbeiten bis Jahresende 2007. 3. Vorbericht. In: Göttinger Jahrbuch 35, 2007, 5–17 Abb. 19;K. Grote, Römer an der Werra. In: Archäologie inDeutschland 4, 2007, 49. (K. Gr.)

7.4.8 Römische MünzenBronze oder MessingDm. 2,6 cm und 2,5 cmca. 11–8 v. Chr.Römerlager HedemündenLandkreis Göttingen, Kreisarchäologie, Inv. Hedemü.5 (FNr. 734 und 735)

Zwei Buntmetallmünzen, Nominalwert Asoder Dupondius, dienen als Beispiele derKleingeldfunde aus dem Römerlager Hede-münden und seinem vorgeschobenen Au-ßenlager »Kring«. Die Vorderseiten zeigen in Seitenansicht die Büsten von Augustus(rechts) und Agrippa. Auf den Rückseitenist ein an eine Palme angekettetes Krokodildargestellt, darüber die Buchstaben COLNEM. Es handelt sich um Prägungen ausder römischen Stadt Nemausus (Serie I, ca.um 20–8 v. Chr.), dem heutigen Nîmes inSüdfrankreich, bzw. um mutmaßliche Nach- prägungen aus den römischen Garnisons-orten im gallischen Reichsgebiet. Auf beidenMünzen sind nachträgliche Gegenstempelerkennbar (IMP, AVG bzw. ein vierspeichigesRad). Demnach handelte es sich hier – wiebei vielen anderen Münzen aus dem LagerHedemünden – um Geld aus Sonderzahlun-gen an die Truppe.lit K. Grote, Römerlager Hedemünden. Vor 2000 Jah-ren: Römer an der Werra. Sydekum-Schriften zur Ge-schichte der Stadt Münden 34 (Hann. Münden 2005) 35 f. Abb. 41–44; K. Grote, Das Römerlager im Werratalbei Hedemünden (Ldkr. Göttingen). Ein neuentdeckter Stützpunkt der augusteischen Okkupationsvorstöße imrechtsrheinischen Germanien. In: Germania 84, 1, 2006,27–59 Abb. 7; K. Grote, Neue Forschungen und Funde imaugusteischen Römerlager bei Hedemünden (Werra). In:Göttinger Jahrbuch 54, 2006, 5–19 Abb. 11; K. Grote, DieRömer an der Werra. Das Militärlager aus der Zeit deraugusteischen Germanienfeldzüge bei Hedemünden. In:D. Rohde – H. Schneider (Hrsg.), Hessen in der Antike.Die Chatten vom Zeitalter der Römer bis zur Alltagskul-tur der Gegenwart (Kassel 2006) 70–87 Abb. 44; K. Grote,Der römische Stützpunkt bei Hedemünden an der Wer-ra / Oberweser. Aspekte seiner logistischen Ausrichtungim Rahmen der augusteischen Germanienvorstöße. In:Rom auf dem Weg nach Germanien: Geostrategie, Vor-marschtrassen und Logistik. Internationales Kolloquiumin Delbrück-Anreppen vom 4. bis 6. November 2004. Bodenaltertümer Westfalens 45 (Mainz 2008) 323–343Abb. 5. (K. Gr.)

7.5 Pila muraliaEichenholzL. ca. 150–220 cm, max. D. 8 cmEnde 1. Jh. v. Chr. / Anfang 1. Jh. n. Chr.Römerlager Bergkamen-OberadenMuseum für Kunst und Kulturgeschichte Dort-mund, Inv. Nr. A 62 / 16,27,66,68

Pila muralia sind schlanke, an beiden Endenzugespitzte, vierkantige Eichenpfähle, die inihrer Mitte eine Taillierung aufweisen.1906 wurden bei Grabungen des Dortmun-der Museums ca. 300 Stück aus verstürztenGräben an der Nordwestseite des Römerla-gers Oberaden geborgen. Bedingt durch dieLagerung in dauerfeuchten Schichten habensich die sonst sehr seltenen Stücke gut erhal- ten. Allerdings haben große Kriegsverlusteund frühere unzulängliche Konservierungs-methoden diesen Fundreichtum stark redu-ziert.Die eingeschnitzten Inschriften, die ursprüng- lich auf ca. 70 Stücken zu finden waren, zei-gen in unterschiedlicher Lesbarkeit die Na-men von 18 Zenturien. Dies rührt daher,dass im römischen Heer das militärische Inventar mit dem Namen der betreuendenZenturien bzw. Kohorten versehen war.Verschiedene Nutzungen dieser heute z.T.geschrumpften und verzogenen Holzgerätewerden diskutiert. Da die Funktion als Wurf- waffe aus ballistischen Gründen nur als Se-kundärverwendung infrage kommt, erscheintder Einsatz als ambulanter Zaun von neben-einander in den Boden gerammten, mit Sei-

Gescheitert? – Augustus und Germanien 353

7.4.6

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