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Filmskript: Mackie Messer auf dem Weg ins Kino Mackie Messer auf dem Weg ins Kino – Hinter den Kulissen des Dreigroschenfilms (Sendung) 46800113 (DVD-Signatur Medienzentren) Filmskript: Mackie Messer auf dem Weg ins Kino – Hinter den Kulissen des Dreigroschenfilms 00:00 Filmclip „Die Liebesleute fahren Boot…“ 00:14 Dreharbeiten für einen Film über die Dreigroschenoper. Bertolt Brecht wollte sein Theaterstück, das 1928 uraufgeführt wurde, auch verfilmen, aber dazu kam es nicht. 00:30 90 Jahre später wird der Kinofilm „Mackie Messer“ in München uraufgeführt. 00:35 Der Regisseur Joachim Lang erzählt darin vom überwältigenden Erfolg der Dreigroschenoper auf der Bühne und davon wie das Filmprojekt von Bertolt Brecht scheiterte. Und er zeigt, wie es vielleicht ausgesehen hätte. 00:50 Filmclip „Ist das die neue Form der Oper?...“ 00:59 Titel: Mackie Messer auf dem Weg ins Kino-Hinter den Kulissen des Dreigroschenfilms 01:17 O-Ton Joachim Lang Die Dreigroschenoper ist weltberühmt, ist aktuell und es ist auffallend, dass es ganz wenige Verfilmungen der Dreigroschenoper gibt. Die letzte deutschsprachige ist über 50 Jahre alt und nur wenige wissen, dass es ein Filmexposé gibt. Daraus entnehme ich gewisse Handlungsstränge, nehme weitere Brecht-Texte dazu und verbinde es mit einer Rahmenhandlung, die ins Berlin der 20er Jahre führt. 01:40 Dreharbeiten am berühmten Theater Brechts. Die Szene zeigt die Minuten nach der erfolgreichen Uraufführung der Dreigroschenoper im August 1928 – hier mit Lars Eidinger als Bertolt Brecht und Robert Stadlober als Kurt Weill. 01:59 O-Ton Joachim Lang Ich möchte den Staub, der sich in den Jahrzehnten über dieses wichtige und große Stück der Weltliteratur gelegt hat, entfernen und es in einen aktuellen und brisanten Kontext bringen. Man kann sagen: der Haifisch soll wieder Zähne bekommen. 02:14 Filmclip „Erst kommt das Fressen...“ © Planet Schule 2018

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Filmskript: Mackie Messer auf dem Weg ins Kino

Mackie Messer auf dem Weg ins Kino – Hinter den Kulissen des Dreigroschenfilms (Sendung)46800113 (DVD-Signatur Medienzentren)

Filmskript: Mackie Messer auf dem Weg ins Kino – Hinter den Kulissen des Dreigroschenfilms

00:00 Filmclip „Die Liebesleute fahren Boot…“00:14 Dreharbeiten für einen Film über die Dreigroschenoper. Bertolt Brecht wollte sein

Theaterstück, das 1928 uraufgeführt wurde, auch verfilmen, aber dazu kam es nicht. 00:30 90 Jahre später wird der Kinofilm „Mackie Messer“ in München uraufgeführt. 00:35 Der Regisseur Joachim Lang erzählt darin vom überwältigenden Erfolg der

Dreigroschenoper auf der Bühne und davon wie das Filmprojekt von Bertolt Brecht scheiterte. Und er zeigt, wie es vielleicht ausgesehen hätte.

00:50 Filmclip „Ist das die neue Form der Oper?...“00:59 Titel: Mackie Messer auf dem Weg ins Kino-Hinter den Kulissen des

Dreigroschenfilms01:17 O-Ton Joachim Lang

Die Dreigroschenoper ist weltberühmt, ist aktuell und es ist auffallend, dass es ganz wenige Verfilmungen der Dreigroschenoper gibt. Die letzte deutschsprachige ist über 50 Jahre alt und nur wenige wissen, dass es ein Filmexposé gibt. Daraus entnehme ich gewisse Handlungsstränge, nehme weitere Brecht-Texte dazu und verbinde es mit einer Rahmenhandlung, die ins Berlin der 20er Jahre führt.

01:40 Dreharbeiten am berühmten Theater Brechts. Die Szene zeigt die Minuten nach der erfolgreichen Uraufführung der Dreigroschenoper im August 1928 – hier mit Lars Eidinger als Bertolt Brecht und Robert Stadlober als Kurt Weill.

01:59 O-Ton Joachim LangIch möchte den Staub, der sich in den Jahrzehnten über dieses wichtige und große Stück der Weltliteratur gelegt hat, entfernen und es in einen aktuellen und brisanten Kontext bringen. Man kann sagen: der Haifisch soll wieder Zähne bekommen.

02:14 Filmclip „Erst kommt das Fressen...“ 02:41 O-Ton Joachim Lang

Alles, was Brecht sagt, sind Zitate. Zitate aus seinem gesamten Werk und seinem gesamten Leben. Es sind alles Stücke von Baal, Dickicht, Sezuan, Galilei – überall sind Teile drin. Mir wäre es zu langweilig gewesen, seine Arbeitsweise zu imitieren und ihm Worte in den Mund zu legen. Mit meinem Verfahren versuche ich, das sicher neu und ungewohnt ist, dem Dichter näher zu kommen, seinen Geist, sein Denken, seine Kunst zu erfassen. Auch die anderen Künstler sprechen mit ihrer Stimme. Ich will damit den Künstlern ihre Stimme wiedergeben.

03:17 O-Ton Lars EidingerIm Grunde ist das für mich der größte Genuss, dass man so eintaucht in diesen Kosmos, und dass man über den Film die Möglichkeit hat, einen sehr komplexen Zusammenhang verdichtet oder komprimiert darzustellen. Das hat mir auch von Anfang an an dem Buch am besten gefallen. Dass man das Gefühl hat, wann hat man schon mal die Möglichkeit, den geballten Brecht, wenn auch destilliert, aber so dargeboten zu kriegen.

03:44 Filmclip „Liebe auf den ersten Griff“

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03:59 O-Ton Hannah HerzsprungAlle sind sehr neugierig, was wird das? In welche Richtung geht das? Von Anfang an auch. Weil es so einen Film ja auch tatsächlich so in der Art noch nie gegeben hat, oder von uns im Ensemble keiner sowas in der Richtung schon mal gemacht hat. Und das ist irgendwie eine schöne Atmosphäre und ein schönes Miteinander, weil jeder sich so gegenseitig unterstützt, und es ist halt so eine tolle Atmosphäre, und das bringt uns alle irgendwie schön zusammen.

04:24 O-Ton Joachim LangDie Dreigroschenoper ist ein Räuberstück. Es geht um den Kampf zweier Banditen: Mackie Messer auf der einen Seite, der Zuhälter und Bandenkönig. Auf der anderen Seite Peachum, der Bettlerkönig, der Bettler künstlich ausstaffiert und damit sein Geschäft macht. Die beiden geraten in Konflikt, weil die Tochter von Peachum, die Polly, Macheath heiratet, es kommt zu allerlei Turbulenzen bis zum Schluss dann.

04:58 Vom Erfolg ihrer „Anti-Oper“ werden Bertolt Brecht und der Komponist Kurt Weill völlig überrascht. Denn eigentlich scheint ein Skandal vorprogrammiert. Joachim Lang inszeniert die verpatzte Generalprobe von 1928: wie einst bei Brecht mit Starbesetzung.Neben Lars Eidinger: Joachim Król, Meike Droste, Christian Redl, Robert Stadlober und Tobias Moretti als Mackie Messer.

05:32 Letzte Regieanweisungen: Die Szene spielt am Tag der Uraufführung der Dreigroschenoper, um 5 Uhr morgens. Die Nerven liegen blank. Die Schauspieler streiten mit dem Regisseur Brecht über Rollen und Texte.

06:13 O-Ton Joachim LangEs soll ein Film werden, wie es ihn noch nie gab: der vereinigt Wort, Theater, Musik, Tanz, verschiedene Handlungsdimensionen, er zeigt ´ne ungewohnte Sichtweise, Blick in die Kamera, Zwischentitel, alles was Neues, alles ein Versuch, ein Risiko, ein Experiment. Und ich hoffe, dass das Publikum Interesse daran findet. Ich setze da auch auf die Intelligenz des Publikums.

06:39 Filmclip „Tünche nötig“06:52 Bei der künstlerischen Arbeit an der Dreigroschenoper spielen die Frauen um Bertolt

Brecht eine wichtige Rolle. Dazu gehören neben seiner Frau Helene Weigel seine Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann, die Schauspielerin Carola Neher und Kurt Weills Frau Lotte Lenja - gespielt von Peri Baumeister, Hannah Herzsprung und Britta Hammelstein.

07:17 O-Ton Lars EidingerBeim Lesen hat sich das für mich sinnlich noch gar nicht so erschlossen, aber in dem Moment, wo wir alle zum ersten Mal zusammen waren und die Peri Baumeister und die Britta Hammelstein und die Meike Droste und diese Frauen und ich und das plötzlich so etwas kommunenartiges hatte. Das fand ich total stark.

07:38 Der Film von Joachim Lang ist auch eine Hommage an die starken und modernen Frauen um Brecht. Peri Baumeister spielt Elisabeth Hauptmann. Ohne diese wichtige Mitarbeiterin Brechts gäbe es die Dreigroschenoper gar nicht.

07:57 O-Ton Peri BaumeisterIch hab mir die Haare abschneiden lassen. Und das hat mir wahnsinnig viel geholfen, weil damals mit dem Bubikopf der 20er Jahre, ist ja nicht nur eine Frisur,

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die man hübsch fand, sondern weil es zur Emanzipationsbewegung gehört hat Also, ich bin nicht mehr die Frau mit den langen Haaren oder dem Lockenkopf, sondern ich schneide mir die Haare kurz, und dieser Vorgang hat einfach politische und gesellschaftliche Hintergründe. Und deshalb habe ich gedacht, ich wollte schon immer die Haare abschneiden, jetzt mache ich es für die Figur. Und das hat viel mit mir gemacht.

08:30 Dreharbeiten am Set der Dreigroschen-Bar. Sie wird Ende der 1920er Jahre in Berlin eröffnet und spielt nur Lieder von Bertolt Brecht und Kurt Weill. Die Künstler treffen den Nerv des Publikums. Später wird die Stimmung in dieser Zeit der Weltwirtschaftskrise als Tanz auf dem Vulkan bezeichnet. Brecht und Weill liefern den Sound dazu.

08:56 Filmclip Lieder / „Die ganze Welt tanzt…“09:35 O-Ton Robert Stadlober

Im Gegensatz zu dem vielleicht manchmal etwas polternden, relativ ausgestellten, Brecht war er, glaube ich, eher der Zurückhaltende, aber eben nicht bescheidene. Er war sich seines Genies schon sehr bewusst, hat es aber nicht so offensiv zu Markte getragen wie Brecht. Das ist natürlich interessant als Schauspieler, quasi so einen Gegenpunkt setzen zu können zu einem Hauptdarsteller Lars Eidinger.

10:15 Die Kunst des Tanzes spielt in dem Film eine große Rolle. Diese Szenen entstehen in Zusammenarbeit mit dem Choreographen Eric Gauthier und seiner Kompagnie.

10:53 Filmclip Tanzszenen 11:21 Lucia Faust hat für Brechts Dreigroschenoper die Kostüme gemacht. Für die

Londoner Unterwelt um 1900, in der die Dreigroschenoper spielt, hat sie einen völlig neuen Look geschaffen, historisch, aber mit aktuellen Bezügen.

11:35 O-Ton Lucia FaustMir war wichtig, dass man überall im 19.Jahrhundert so leichte Irritationen hat. Sie hat so Punk-Stulpen im 19. Jahrhundert dazu. Es sind immer nur kleine Elemente, so dass der Zuschauer, so ganz nach Brecht, immer eigentlich was anderes vorgesetzt bekommt, als der Zuschauer vielleicht erwartet – und das gerne erst auf den zweiten Blick. Und das muss ich ganz ehrlich sagen, ist kostümtechnisch natürlich die größte Herausforderung bei dem Film, einen eigenen Stil zu entwickeln für diese Fantasiewelt Brechts, wie dieser Dreigroschenfilm aussehen könnte.

12:15 Der Bandenführer Mackie Messer heiratet Polly und legt Wert auf bürgerliches Auftreten.

12:20 Filmclip „Fisch mit Messer“ 12:39 O-Ton Tobias Moretti

Mackie Messer als Zuhälter und Kleinkrimineller definiert sich so über den Inbegriff der Bürgerlichkeit. Lang überhöht und hat die Hochzeit in einem Schloss stattfinden lassen.

12:54 Filmclip „Mir wird wieder ganz schlecht…“13:06 Vorbereitungen zur Probe einer der großen Tanzszenen im Film. Eine

anspruchsvolle Choreografie für den berühmten „Kanonensong“ steht bevor. Die feine Hochzeitsgesellschaft wird ihn tanzen.

13:20 O-Ton Hannah Herzsprung

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Ich hab noch nie einen Film gemacht mit Gesang und Tanz und Spielszenen, die dann so ineinander übergehen und ich find’s großartig.

13:35 O-Ton Eric GauthierIm Tanz wir tanzen alles nach vorne. Du bist mein Zuschauer gerade, und wir tanzen alles zu dir. Aber im Film gibt es keine Bühne, der ganze Raum ist die Bühne. Die Kamera ist auch hinten. Und es ist schon ein anderes Spiel für mich. Die Choreografie ist nicht nur ein Weg, aber alle Wege. Man nutzt jede Ecke, weil die Kamera kann auch da sein und da sein. Tricky.

14:00 Filmclip „Kanonensong“14:08 Der Kanonensong, ein Höhepunkt der Dreigroschenoper, beschreibt die

Freundschaft zwischen den alten Kriegskameraden Macheath und Tiger Brown, gespielt von Christian Redl.

14:21 O-Ton Joachim LangDie Komik entsteht ja schon dadurch, dass der oberste Gangster und der oberste Polizeichef Freunde sind. Tiger Brown ist so ne gespaltene Persönlichkeit. Er ist im Beruf streng und liefert auch die Gauner ans Messer und im Privatleben ist er ganz weich. Also eine ganz moderne Figur, wie jemand - ein Diktator, der in seinem Amt ein Killer ist, und gleichzeitig dann zu seinen Kindern lieb ist.

14:55 Gesellschaftliche Widersprüche zeigen und mit Seh- und Hörgewohnheiten brechen – diese Absicht Bertolt Brechts bringt Joachim Lang mit seinem Film auf die Leinwand. Ganz wichtig dabei: ein präzises Zusammenspiel und perfektes Timing.

15:20 O-Ton Tobias MorettiMan hat ja auch den Anspruch, dass man das, was man möchte, auch umsetzen kann. Und das war eben das Problem, jetzt gerade. Und davor habe ich mal vergessen zu singen, weil man sich nur auf die Bewegung konzentriert. Und so weiter. Ach, das ist einfach brutal, aber es ist toll!

15:37 Filmclip „Kanonensong / Elend und Polizisten“15:54 O-Ton Joachim Król

Wenn sie diese zombiehaften Massen durch die überreagierenden Polizeiketten marschieren lassen, unaufhaltsam marschieren, dann fühl ich mich schon an Bilder erinnert, die wir jeden Tag in der Tagesschau sehen. Wir haben eine immer mehr auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich. Wir haben aufkommenden Rechtsradikalismus, wir haben den Aufmarsch der Ärmsten der Armen an den Grenzen von Europa. Reden wir über 1920/1930 – nein, wir reden über 2018. Also aktueller geht’s ja gar nicht.

16:29 Filmclip „“Kamerawelten“16:34 Die Bildgestaltung ist von Kameramann David Slama. In poetischen Bildern schafft

er für den Dreigroschenfilm ein Kunst-London um 1900. Die Kamera zeigt die gesellschaftlichen Verhältnisse und lässt den Zuschauern Raum für eine kritische Sichtweise.

17:01 O-Ton David SlamaIm Prinzip ist das immer mein Auge und mein Kopf halt, der so Bilder schafft, also die Fantasie. Der Traum ist so vielschichtig, wie so eine entrückte Wirklichkeit, oder so was. Also, es ist Wirklichkeit aber es ist auch ein Traum und es ist vielleicht was Neues. Und das finde ich ist das Interessante.

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17:28 O-Ton Joachim LangEr ist ein großer Künstler, dem es gelungen ist, eine neue Dreigroschenwelt zu schaffen. Auf der einen Seite die Dreigroschenwelt, die ästhetisch anders arbeitet als die Brecht-Welt. Wir arbeiten mit ruhigen Einstellungen, mit Fahrten, mit Schienen, auch mit Steadycam. Ein anderes Licht, ein anderes Grading. Die Brecht-Welt, die dokumentarisch mit Handkamera, da sind wir dichter dran und nehmen Unschärfen in Kauf. Das ist David hervorragend gelungen.

17:59 Filmclip „Ich versuche es noch einmal…“ 18:29 O-Ton Joachim Lang

Brecht war ein gesellschaftskritischer Autor und das durchzieht sein ganzes Werk. In der Rahmenhandlung geht es auch um die Kritik an der Filmindustrie und um den Versuch, etwas Neues zu wagen.

18:44 Szenenwechsel ins Reich des Jonathan Jeremiah Peachum. Der Bettlerkönig, gespielt von Joachim Król, ist Pollys Vater und Ehemann von Celia Peachum, gespielt von Claudia Michelsen.

19:02 Der Film zeigt Peachum als vielschichtigen Charakter und auch als eine ganz moderne Figur.

19:09 Filmclip “Morgenchoral“19:36 O-Ton Joachim Lang

Peachum wird normalerweise in den Inszenierungen einfach als geizig, als hartherzig dargestellt. Das finde ich falsch. Er muss die Bettler schlecht aussehen lassen, sonst werden sie arbeitslos und sein Unternehmen geht unter. Also auch er im Zwang der Verhältnisse. Deswegen ist er nicht einfach nur ein Geizkragen. Er kann nicht anders. Durch das hat durchaus auch eine weiche Seite, die Joachim hervorragend zum Ausdruck bringt.

20:12 Filmclip „Der lästige Zitterer“ 20:23 O-Ton Joachim Lang

Das ist die große Clowns-Nummer, die Peachum in der Dreigroschenoper hat: Die fünf Grundtypen des Elends zu spielen, die man normalerweise auf der Bühne gespielt sieht, und wir haben das in den Film übertragen: Wie er auf die Kamera zu stolpert, wie ihn Filch gerade noch rettet. Toll geworden, find ich.

20:41 Filmclip „Peachum und Filch“20:52 O-Ton Joachim Król

Heute würde man sagen, er ist ein Wirtschaftsliberaler, ein Neocom. Auf der Bühne ist das ja oft so ein Krauter, so ein Kleinunternehmer, der da seine Strippen zieht. Wir haben natürlich jetzt die filmischen Mittel und haben einen, ja, Großunternehmer dargestellt. Er sagt ja in einer Szene, hier malen 1200 Leute in den Filialen, um dann zu demonstrieren. Also bitte, das ist kein Mittelständler mehr, das ist ein Großunternehmer.

21:35 O-Ton Joachim KrólDas Set ist atemberaubend. Uns blieb wirklich die Spucke weg. Da kann man den Leuten, die das gebaut haben, nur ein Riesenkompliment machen. Der Raum spielt den Schauspieler mit. Das ist toll.

21:48 Die beeindruckende Welt des Bettlerkönigs Peachum erschuf der Bühnenbildner Benedikt Herforth.

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21:54 O-Ton Benedikt HerforthIch wollt Peachum eine Größe geben, dass es also wirklich klar wird, mit welcher Masse an Elend er eigentlich Geld verdient. Eine Wolke des Elends. Man weiß nicht genau, sind das Erhängte? Es ist so in einer Schattenwelt ganz bewusst gehalten. Die Inspiration war, als wir in Nordrhein-Westfalen eine Waschkaue uns angeguckt hatten, wo die Kumpels ihre Bergmannskluft gegen ihre Alltagsklamotten wechseln. Die legen dann ihre Sachen in Körbe und ziehen sie an Ketten an die Decke. Und dann haben wir diese Halle gefunden, und dann bot es sich natürlich an, das in die Realität zu übersetzen.

22:37 Die Musik ist zentral in dem Film, so wie sie es auch für Brechts Dreigroschenoper war. Der Komponist und Weill-Interpret HK Gruber hat als musikalischer Leiter auch die Songs mit den Schauspielern aufgenommen und intensiv mit ihnen gearbeitet. Was die Musik von Kurt Weill betrifft, ist er Purist:

22:58 O-Ton HK GruberWenn man heute Weill-Musik authentisch spielen will, darf man sich nicht verführen lassen, dieses Triolenfeeling, das man dann später aus dem Jazz kannte, in die Musik aus dem Jahre ´28 hinein zu mogeln. Dann würde man der Aggressivität dieser Musik nicht gerecht werden. Also, diese Musik hat immer gefletschte Zähne und die ist wahnsinnig aggressiv und frech.

23:28 O-Ton HK GruberDie Dreigroschenmusik ist ja nicht für Opernsänger komponiert, sondern für Schauspieler. Und die Herausforderung für die Schauspieler ist, dass sie sehr, sehr komplizierte - also für Schauspieler komplizierte - Aufgaben zu lösen haben und jetzt mit ihrem schauspielerischen Talent überspielen müssen, die Probleme, die sie haben. Und das macht den Charme des Stücks im Prinzip aus, dass Schauspieler sozusagen nach dem Prinzip Hoffnung Oper suggerieren.

24:39 O-Ton Christian RedlDas ist richtig Leistungssport. Also, ich möchte mir nicht vorstellen, was ein Wagner-Sänger am Abend leistet! Also, 6 Stunden Wagner, das ist die Hölle. Aber das ist auch nicht ganz einfach für einen Nicht-Sänger, sozusagen.

25:07 O-Ton Christian RedlDas ist die extreme Version, sozusagen. Da traut man sich sehr expressionistisch. Wie auch, wenn man sich ein expressionistisches Bild anguckt, zum Beispiel: wie damals gemalt wurde. Das ist jetzt in die Sprache übersetzt, sozusagen, mit großen, heftigen Strichen und verwirrten Figuren, und ich weiß nicht was, und kreuz und quer und rauf und runter. Ach, und so. Das ist Ausdruck, AUS-DRUCK!

25:44 Das Vokalensemble des Südwestrundfunks und das SWR-Symphonieorchester haben die Musik für den Film eingespielt.

26:00 Der „Gründungssong“ von Bertolt Brecht wurde für den Film erstmals vertont.26:17 Filmclip „Gründungssong“26:30 O-Ton Joachim Lang

In der Oper sagt Mackie Messer die Sätze: „Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie, was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“. Diese legendären Sätze, die werden bei uns im Film vollzogen. Bei uns gehen die Räuber

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über die Brücke und verwandeln sich durch Morphing in Banker der Gegenwart, zu modernen Beherrschern des Geldmarktes.

26:56 Was Brecht in den 1920er Jahren beschrieben hat, ist angesichts der heutigen Krisen und Konflikte aktueller denn je. Die Figur des Macheath verkörpert den Übergang vom Verbrecherboss zum Bankdirektor. Und auch Polly erkennt die Zeichen der Zeit.

27:18 O-Ton Joachim LangSie macht eine Wandlung durch. Sie macht eine Wandlung von einem verliebten kleinen Mädchen durch bis zu einer selbstbewussten Frau, die die ganze Situation für Macheath rettet, die die Bank kauft und die Wende des Films herbeibringt. Das ist ihr herausragend gelungen.

27:35 Filmclip „Polly mit Geldkoffer“ 27:45 O-Ton Joachim Lang

Wir machen nicht nur ein Morphing an sich, sondern auch ein zeitliches Morphing. Wir enden im 21. Jahrhundert. Macheath ist ja aus dem Gefängnis befreit worden. Er ist Bankdirektor. Er hat so eine Rede gehalten, die so eine Art Wahlkampfrede ist, vielleicht auch an Trump erinnert.

28:07 Filmclip „Meiner Meinung nach…“28:45 O-Ton Tobias Moretti

Also, die Aktualität entbehrt ja jeder Beschreibung. Das konnte man ja so wirklich auch nicht wissen am Anfang des Jahrhunderts. Genau wie es Macheath in den 20er Jahren beschreibt, so war es ja nicht nur damals, so ist es ja auch heute.

28:59 Filmclip „Warum schreiben Sie bei allem Erfolg…“ 29:12 Abspann29:33 ENDE

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