Maddrax - Unter Mutanten · Räder. Von den Ausmaßen her kam die Maschine fast an die britanischen...

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Der Gen-Mutantvon Bernd Frenz

Sie war tief verletzt, doch es war keine äußerliche Wunde, die Aruula die Tränen in die Augen trieb, während sie durch die Nacht rannte. Der Schmerz brachte ihre Brust schier zum Zerspringen. Maddrax hatte ein Kind – von einer anderen Frau!Nichts schien die Kränkung lindern zu können … bis plötzlich ein Brummen ertönte. Aruula erstarrte. Ihre Instinkte witterten Gefahr.Von einem Herzschlag auf den anderen war sie wieder die Kriegerin, die sich jederzeit in ihrer barbarischen Welt behaupten konnte.

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Klackend löste sich das Schwert aus der Rückenkralle und schmiegte sich in ihre Hand. Der doppelseitig geschliffene Stahl vermittelte ein Gefühl der Beruhigung, als Aruula ihn drohend in die Höhe reckte. In leicht geduckter Haltung, jederzeit bereit, durch einen schnellen Sprung die Position zu wechseln, spähte sie empor, um auszumachen, was dort nahte.

Das Brummen wurde so laut wie der knurrende Magen eines Taikeepirs, trotzdem sah sie nur eine Ausdehnung kompakter Finsternis, die sich langsam über sie hinweg schob. Mond und Sterne verschwanden wie hinter einem undurchlässigen Vorhang. Die Nacht um sie herum schien sich zusammen zu ziehen, bis auch das letzte Quäntchen Helligkeit gewichen war.

Aruula hatte plötzlich Mühe zu schlucken. Ihre Kehle fühlte sich an, als würde sie zuschwellen.

„Bei Wudan“, krächzte sie entsetzt. „Bist du ein fliegender Dämon?“ Die Frage diente nur dazu, Aruulas Schrecken Luft zu machen. Sie wusste schließlich genau, dass Orguudoos Heerscharen keine glatte, metallisch glänzende Haut besaßen, so wie das Ungetüm, das über ihr in der Luft verharrte.

Aus dem Vorderteil drangen plötzlich zwei grelle Strahlen, die kegelförmig in die Dun-kelheit schnitten.

Auf ihrer langen Wanderschaft hatte Aruula genügend Erfahrungen gesammelt, um zu erkennen, dass es sich um kein Tier, sondern um ein von Menschenhand geschaffenes Gerät handelte. Gleichzeitig mit dieser Erkenntnis blitzte eine weitere Lichtquelle auf. Grell wie die Sonne leuchtete sie herab. Aruula senkte den Blick, doch es war bereits zu spät.

Vor ihren geblendeten Augen tanzten helle Punkte.Scheinwerfer, schoss es ihr durch den Kopf. So nannte Maddrax diese künstlichen Son-

nen, die eine Nacht zum Tag machen konnten. Der hektisch umher kreisende Strahl riss Sträucher, Gräser und Steine aus der Dunkelheit, bis er schließlich Aruula erfasste.

Mit einem schnellen Sprung federte die Barbarin zur Seite und tauchte in die Dunkelheit ab. Doch der Lichtkegel rückte rasch wieder nach. Aruula kniff die Augenlider zusammen und hetzte davon, doch egal, wie viele Haken sie auch schlug, die Lichtsäule blieb an ihrem Körper kleben. Flucht ist sinnlos, gestand sie sich ein. Vor diesem Monster gibt es kein Entkommen.

Ein angriffslustiges Knurren auf den Lippen, wirbelte die Barbarin herum und riss den Bihänder in die Höhe. Eine geradezu lächerliche Geste angesichts des landenden Stahl-kolosses, aber das störte sie nicht. Mochte die Lage auch noch so aussichtslos erscheinen, Aruula war bereit, um ihr Leben zu kämpfen.

Der Boden unter ihren Füßen vibrierte, als die Maschine aufsetzte. Je länger sich Aruulas Pupillen an das gleißende Licht gewöhnten, desto deutlicher zeichnete sich die gewölbte Form in der Dunkelheit ab. An ihrer Unterseite entdeckte Aruula von Ketten umspannte

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Räder. Von den Ausmaßen her kam die Maschine fast an die britanischen EWATs heran, die Matt und sie in Laabsisch und Landàn* gesehen hatten.

Noch während Aruulas Gedanken in der Vergangenheit weilten, schälte sich ein recht-eckiges Stück aus der Fahrzeughülle und sank, am unteren Ende abknickend, in die Tiefe. Das musste eine Zugangsrampe sein. Der Umgang mit technischen Errungenschaften war ihr in den letzten Sommern zur Gewohnheit geworden.

Jeder Andere ihrer früheren Sippe wäre vor so einem dröhnenden Monstrum davon gelaufen. Sie entspannte dagegen, als sich in dem erleuchteten Zugang zwei in klobige Gewänder gehüllte Gestalten abzeichneten. Die gläsernen Helme, die ihre Köpfe umgaben, wiesen sie als Technos aus. Bleiche, kränklich wirkende Menschen, die schon so lange in ihren unterirdischen Bunkern hausten, dass sie sich nur noch in Schutzanzügen an die Oberfläche wagen konnten. Aruula hatte schon oft Kontakt mit Bunkermenschen gehabt, das letzte Mal vor wenigen Wochen erst.

Konnte es sein, dass diese Flugmaschine aus Moska stammte? Suchte man vielleicht nach Maddrax und ihr?

Nach kurzem Zögern senkte sie die Schwertspitze zu Boden, ohne ihre Hände vom Griff zu lösen. Ein deutliches Zeichen, dass sie keinen Streit suchte, aber weiterhin bereit war, sich gegen Angriffe zur Wehr zu setzen.

Die Bunkermenschen an der Rampe wandten einander die Köpfe zu. Aruula musste nicht einmal lauschen, um ihre Ratlosigkeit zu spüren. Beide schienen verwundert darüber, dass sie nicht als vermeintliche Götter angebetet wurden.

Es waren Augenblicke wie diese, in denen Aruula spürte, wie sehr sie sich in den ver-gangenen drei Sommern weiterentwickelt hatte. Aus der unzivilisierten Kriegerin war eine erfahrene Frau geworden, die um viele Geheimnisse dieser Welt wusste. Sie straffte den Rücken und gab die lauernde Haltung auf.

Die beiden Technos stiegen die Rampe herab und kamen mit verhaltenen Schritten auf Aruula zu. Worte in einer fremden Sprache dröhnten aus den Lautsprechern der Helme.

Leider trug Aruula keinen der russischen Universal-Translatoren bei sich, und die Sprache der Wandernden Völker schien den hohlwangigen, haarlosen Gestalten – auf die Entfernung ließ sich nicht erkennen, ob es Männer oder Frauen waren – unbekannt zu sein. Ruländisch war es jedenfalls nicht. Die linke Hand zum Gruß erhoben, versuchte Aruula es deshalb in der Sprache, die sie von Maddrax gelernt hatte: „Friede sei mit euch! Kommt ihr von der Community Landàn? Dann kennt ihr sicher Rulfan – er ist ein Freund von mir!“

Die Bunkermenschen hielten abrupt inne. Unter den Glashelmen zeichnete sich deutliche Verwirrung ab.

„Du … sprichst Englisch?“, stellte der Linke verblüfft fest.Aruula bemühte sich, ein Lächeln im Zaum zu halten, das sich auf ihre Lippen stehlen

* Leipzig und London

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wollte. Die Worte des Technos klangen weitaus ungelenker als ihre eigenen. Im Engli-schen war sie ihm überlegen. Vermutlich weil er aus einem Bunker stammte, der hier in Doyzland lag.

„Unglaublich!“ Der Techno konnte es immer noch nicht fassen. „Die lokalisierte Telepa-thin beherrscht eine der alten Sprachen!“ Verlegen sah er auf einen klobigen Gegenstand in seiner Hand, bei dem es sich wohl um eine Waffe handelte. Er ließ sie sinken, bevor er näher trat. „Eine zivilisierte Wilde, besser konnten wir es gar nicht treffen.“

„Ich bin keine Wilde.“ Sie legte ihre Stirn missbilligend in Falten. „Mein Name ist Aruula!“

„Ralf hat es nicht böse gemeint“, beschwichtigte der zweite Techno, bevor er fragte: „Du hast wohl schon einmal Kontakt zu einer Bunkerzivilisation gehabt? Zu einer aus England, nehme ich an?“

„Aus Britana“, verbesserte Aruula. „Dort tragen die Menschen ebensolche Anzüge wie ihr, um nicht krank zu werden, wenn sie an die Oberfläche gehen. Ist es bei euch genauso?“

Die Doyzen bestätigten durch ein Kopfnicken, ließen aber das Schwert, dessen Wirkungs-kreis sie bewusst mieden, nicht aus den Augen. Aruulas erkannte, dass die Technos mehr Angst vor ihr hatten als umgekehrt. Deshalb schwang sie die Klinge über den Rücken und ließ sie in der Halterung einrasten.

Vertrauensbildende Maßnahme, hätte Maddrax dieses Vorgehen genannt. Maddrax! Alleine sein Name erinnerte Aruula wieder an den Kummer, den der Gefährte ihr bereitet hatte. Sie blickte zurück in Richtung der Regierungsgebäude, doch außerhalb des Schein-werferlichts wirkte die Nacht wie eine undurchdringliche, schwarze Wand.

„Ihr beiden seid auf der Suche nach jemandem, der lauschen kann?“, versicherte sie sich, ob sie richtig verstanden hatte.

„Ja, genau, eine Telepathin! Du musst unbedingt mit uns kommen!“ Der rechte Techno trat so nah heran, dass Aruula vereinzelte rote Härchen sehen konnte, die auf seinen Brauen sprossen. „Wir brauchen deine Hilfe.“

Hoffnung und Verzweiflung auf dem bleichen Gesicht hielten sich die Waage. Den geschwungenen Augen nach zu urteilen, mochte es einer Frau gehören. Dieser Verdacht wurde bestätigt, als sie sich als Tanja vorstellte.

„Mitkommen?“, wiederholte Aruula in zweifelndem Ton. „Wohin denn?“„In unseren Bunker“, drängte Tanja. „Nach Hamburg.“„Das ist nicht allzu weit entfernt“, fügte Ralf lockend hinzu.„Ich weiß nicht“, wehrte Aruula ab. „Das geht mir etwas zu schnell.“ Sie war zwar

davon gelaufen – doch jetzt, wo sie alles hinter sich lassen konnte, schreckte sie vor dem entscheidenden Schritt zurück. Im Grunde ihres Herzens wollte sie Maddrax gar nicht verlassen. Egal, was auch geschehen war, sie würde ihm verzeihen, das wusste sie genau.

„Kommt doch mit zu meinen Gefährten“, schlug Aruula dem fremden Pärchen vor. „Sie

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sind nicht weit von hier. Dann könnt ihr alles erklären. Wenn es möglich ist, helfen wir euch gerne bei euren Pro-“

Die letzte Silbe ging in ein unartikuliertes Ächzen über. Unversehens wurde Aruula von einem stechenden Schmerz geschüttelt. Ihre Muskeln verkrampften sich, die Knie gaben unter ihrem Gewicht nach. Erst als sie nach vorn kippte, bemerkte sie, dass Tanja eine klobige Waffe gegen ihren nackten Bauch drückte. Grelle Lichtblitze schossen daraus hervor. Der knisternde Energiestoß wurde von den aufheulenden Triebwerken übertönt.

Die Technos fingen Aruula auf, bevor sie zu Boden schlagen konnte.„Tut mir leid“, entschuldigte sich Tanja, „aber für Diskussionen haben wir keine Zeit.“

Es mochte am Helmlautsprecher liegen, aber ihre Stimme klang plötzlich kalt und zynisch. „Deine Freunde brauchen wir nicht. Es geht nur um dich!“

Aruula besaß nicht einmal mehr die Kraft, nach einer Erklärung zu verlangen. Sie spürte nur noch, wie man sie an den Schultern packte und Richtung Panzer schleifte.

Dann verlor sie das Bewusstsein.

BerlinZehn Minuten zuvor„Aruula! Bleib hier!“ Matts Rufe verhallten, während seine Gefährtin hinter einigen

Brabeelenbüschen abtauchte. Obwohl sie ihn gehört haben musste, warf sie keinen Blick über die Schulter zurück, bevor sie eins mit der Dunkelheit wurde.

„So ein Mist!“ Matt ballte die Hände in hilflosem Zorn. Es war reiner Zufall gewesen, dass er nach einem ausgiebigen Gespräch mit Jenny Jensen ins Freie getreten war und gerade noch mitbekommen hatte, dass Aruula davon lief. „Warum können wir das Ganze nicht einfach vernünftig bereden?“ Weil sie eine impulsive Barbarin ist, die lieber handelt, statt Lindenblütentee zu schlürfen, antwortete er sich selbst im Stillen.

„Sie wird schon zurückkommen.“ Diese Stimme war nicht in seinen Gedanken, sondern laut und deutlich in seinem Rücken erklungen. „Lassen Sie Miss Aruula einfach etwas Zeit, um alles zu verarbeiten.“

Matt wirbelte herum, die Fäuste unwillkürlich erhoben.Mr. Black, der ihm gerade fürsorglich auf die Schulter klopfen wollte, zuckte zurück. Der

Hüne mit dem Gesicht Arnold Schwarzeneggers spürte deutlich, dass seine wohlmeinenden Worte das Gegenteil von dem erreicht hatten, was er eigentlich wollte.

Matts Unterkiefer mahlte nervös auf und nieder, als würde er auf einem Fruchtgummi kauen. Dass ihm Mr. Black Beziehungstipps gab, schien seine Anspannung noch weiter zu verschärfen.

Ehe der Rebellenführer etwas sagen konnte, wirbelte Matt auf dem Absatz herum, sprang

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über einen Mauerrest und hetzte in die Dunkelheit davon. Trotz des Vollmondes konnte man nicht weiter als zwanzig Meter sehen.

Von Aruula fehlte bereits jede Spur.Matt blieb nichts anderes übrig, als der Richtung zu folgen, in der er sie hatte verschwinden

sehen. Im Prinzip ein sinnloses Unterfangen ohne Ortskenntnis und mitten in der Nacht. Wenn Aruula nicht gefunden werden wollte, würde er sie auch nicht finden.

Verbissen umrundete Matt einen Brabeelenbusch und blieb prompt mit dem linken Stiefel in einer Dornenranke hängen. Für Sekunden musste er um sein Gleichgewicht kämpfen, erlangte dank eines schnellen Zwischenschritts jedoch die Balance zurück. Keuchend blieb er stehen und versuchte sich zu orientieren.

In welche Richtung mochte Aruula nur gelaufen sein? Lohnte es nach ihr zu rufen, oder vertrieb sie das endgültig aus seiner Nähe?

Mutlos trottete der Pilot weiter. An Umkehr war trotzdem nicht zu denken. Matt brauchte die Bewegung, um den Kopf frei zu bekommen. Warum ist sie erst jetzt weggelaufen und nicht schon bei der Nachricht, dass ich Vater geworden bin? Er gab sich die Antwort selbst: Weil sie trotz allem loyal ist. Sie wollte erst mithelfen, Jenny und Ann zu befreien, bevor sie sich um sich selber sorgt … Und ich Idiot spreche mich nicht mal mit ihr aus. Kein Wunder, dass …

Da drang plötzlich ein leises Brummen an sein Ohr. Zuerst glaubte Matt an eine Täuschung seiner überreizten Nerven, aber dann machte er einen guten Kilometer entfernt zwischen den Ruinen eine lang gezogene, gut acht Meter über dem Boden fliegende Silhouette aus. Die Grundform ähnelte einem stählernen Zeppelin, denn Flügel waren nicht zu erkennen.

Arbeitete das Flugobjekt mit Antigravitationstechnik?Dann flammten zwei Bug- und ein Suchscheinwerfer auf. Der auf den Boden gerichtete

Spot zuckte hektisch umher, bis er eine wohl bekannte Gestalt erfasste: Aruula.Matt spürte ein schmerzhaftes Kribbeln zwischen den Schulterblättern. Verdammt! Wer

immer da zur Landung ansetze, steuerte gezielt die Barbarin an, die sich nur mit ihrem Schwert verteidigen konnte.

Mit einem Mal waren alle Querelen vergessen. Matts Rechte wischte an der Hüfte vor-bei. Der Driller sprang wie von selbst in seine Hand. Eine Laserpistole wäre jetzt zwar besser gewesen, doch er konnte froh sein, überhaupt eine Waffe bei sich zu haben. Besorgt sprintete er los.

Er musste Aruula helfen, koste es, was es wolle.Während er sich einen Weg über Mauerreste und durch allgegenwärtiges Gestrüpp bahnte,

verfolgte Matt, was in sechs-, siebenhundert Metern Entfernung geschah.Zuerst schien alles gut zu verlaufen. Aruula unterhielt sich mit zwei Technos, die einen

friedlichen Eindruck machten. Dann jedoch wurde sie mit einem Schocker außer Gefecht gesetzt.

Obwohl er noch vierhundert Meter entfernt war, zögerte Matt nicht länger, als er sah,

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wie seine Gefährtin zu der offenen Rampe geschleppt wurde. Er blieb stehen, nahm den Driller in Beidhandanschlag und visierte einen Punkt neben dem Fluggerät an. Für einen gezielten Schuss war die Entfernung noch zu groß. Er konnte nur hoffen, genug Verwirrung zu stiften, um die Entführung zu verhindern.

Matts Finger drückte den Taster. Eines der Sprenggeschosse, nicht größer als die Spitze eines Kugelschreibers, jagte aus dem Lauf. Sekundenbruchteile später platzte die Erde neben dem Flugpanzer auf. Dreckklumpen und Pflanzenstränge wirbelten durch die Luft.

Das entstandene Loch klaffte nur wenige Zentimeter tief im Boden, doch es reichte aus, um die Technos erstarren zu lassen. Mit ihren Elektroschockern kamen sie sich vermutlich gerade ziemlich hilflos vor. Hektisch suchten sie nach der Ursache für die Explosion. Das Mündungsfeuer des Drillers hatten beide gesehen, deshalb richteten sie ihre mit kleinen Stablampen bestückten Schocker aus.

Zwei dünne Lichtfinger streckten sich Matt entgegen.Dem Mann aus der Vergangenheit war es nur recht, dass seine Konturen aus der Dunkel-

heit gerissen wurden. Seine Gegner sollten ruhig sehen, mit wem sie es zu tun bekamen. Inzwischen war er bis auf zweihundert Meter herangekommen.

„Lasst die Frau in Frieden!“, drohte er laut vernehmlich, während er weiter lief, „oder ich stanze euch ein paar Löcher in die Anzüge. Verstanden?“

Die beiden Technos hielten die bewusstlose Aruula so, dass sie ihnen als Deckung diente, und bellten laute Befehle in ihre Helmmikrofone. Es dauerte einen Moment, bis Matt die Worte für sich ins Englische übersetzt hatte. Sein Deutsch war etwas eingerostet, doch was er verstehen konnte, bedeutete so viel wie: „Feind auf acht Uhr! Feuer eröffnen!“

Ehe Matt abwägen konnte, ob es sich um eine Finte handelte, wurde das Brummen der Generatoren von einem metallischen Geräusch übertönt. Auf dem Dach des Schwebe-panzers wuchs knarrend eine Kuppel in die Höhe, die sich an der Vorderseite zu einem kurzen Rohr verjüngte.

„Macht keinen Scheiß!“, rief Matt in Deutsch und zielte mit dem Driller auf das Außen-team, doch der Bordschütze ignorierte diese Warnung.

Das Geschütz schwenkte weiter auf ihn ein. In der Mündung züngelte ein Netz aus Fun-ken, die sich zu einem weiß leuchtenden Ball verwoben. Was sich da innerhalb weniger Sekunden aufbaute, benötigte bald mehr Platz, als das Rohr bieten konnte. Die Entladung stand unmittelbar bevor.

Matt warf sich instinktiv zur Seite. Gerade noch rechtzeitig, um dem abgefeuerten Blitz zu entgehen. Während er sich in der Dunkelheit aus der Gefahrenzone rollte, beleuchtete der Suchscheinwerfer, wie das Gestrüpp an der Einschlagstelle in Flammen aufging.

Sekunden später fauchte ein zweiter Energiestoß durch die Nacht. Nur eine Handbreit entfernt jagte er über Matt hinweg. Hitzewellen drangen durch die Uniform und sengten die Haare von seiner Haut. Ein unmittelbarer Treffer hätte ihn glatt in ein Häufchen Asche verwandelt.

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Weitere Blitze blieben zum Glück aus. Die Kanone brauchte wohl einige Sekunden, bis sie wieder aufgeladen war. In dieser Zeit verlor ihn der Bordschütze aus den Augen. Ziellos glitt der Scheinwerfer über kniehohes Gestrüpp. Der Lichtfleck lag weit hinter ihm. Die Technos glaubten wohl, dass er die Flucht ergreifen wollte, doch da hatten sie sich gründlich verrechnet.

Matt robbte näher an den Stahlkoloss heran. Er musste nur den toten Winkel der Kanone erreichen, dann konnten ihm die Energiestöße nichts mehr anhaben. Während er sich flach über den Boden schob, nutzte das Außenteam die Gelegenheit zum Rückzug. Aruula in der Mitte unter-gehakt, stürmten sie die Rampe hinauf, die bereits wieder eingefahren wurde.

Das Motorengeräusch schwoll an. Die Technos wollte tatsächlich verschwinden!

Matt federte in die Höhe und lief geduckt auf das Fahr-zeug zu. Ein neuerlicher Blitz jagte über ihn hinweg, ohne ihm gefährlich zu werden. Er befand sich bereits im toten Winkel des Geschützes. Wütend beschleunigte er sein Tempo, doch der Abstand zwischen Rampe und Schleuse schmolz unbarmherzig zusammen. Ein Mensch von normalem Wuchs passte längst nicht mehr hindurch; trotzdem gab er nicht auf.

Die letzten Meter – ein Dokument seines Scheiterns.Matt stieß sich gerade vom Boden ab, als die Rampe

mit hydraulischem Zischen einrastete. Einen Wutschrei auf den Lippen, landete er auf der Panzerkette, doch es war zu spät. So viel er auch mit den Fäusten gegen die Schleuse hämmerte, der Zugang blieb verschlossen.

Das Einzige, was sich an dem Fahrzeug bewegte, war eine faustgroße Kamera, die surrend aus der Verkleidung fuhr und auf ihn einschwenkte. Matt hätte das verdammte Ding am liebsten mit dem Driller zerschossen, aber das wäre nur Munitionsverschwendung gewesen.

Er steckte die nutzlos gewordene Waffe hinter seinen Gürtel und tastete mit bloßen Fingern über die gepanzerte Schleuse. Zwecklos. Die Wölbung schloss nahtlos mit dem restlichen Fahrzeug ab.

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Alles was er entdeckte, war die Kennung „TFG 2“, die ihm im Licht des Suchschein-werfers entgegen sprang. Militärisch korrekt, wie man es von allen Armeen dieser Welt kannte, gab es am unteren Schleusenrand eine kleine Aufschrift, welche die Abkürzung erläuterte: Taktisches Fluggerät 2.

Die Beschriftung ließ auf eine lokale Bunkerzivilisation schließen – aber warum entführten deutsche Technos eine Barbarin, die nie zuvor mit ihnen in Kontakt gestanden hatte? Ob es sich um eine Verwechslung handelte?

Wütend fuchtelte Matt vor der Kamera herum und deutete auf das Air-Force-Abzeichen an seiner Uniform. „Hey, ihr bescheuerten Krauts! Wir sind Verbündete! Ich war sogar mal in Berlin stationiert!“

Der Amerikaner erwartete natürlich nicht, dass sich die TFG-Besatzung an fünfhundert Jahre alte Verträge gebunden fühlte, doch er hoffte, sie mit dem Emblem zumindest neu-gierig zu machen.

Der Wissensdurst der Technos hielt sich in Grenzen.Das Summen ihrer Triebwerke schwoll stärker an. Die Kettenglieder, auf denen Matt

stand, begannen zu vibrieren. Ohne Vorwarnung hob das TFG ab. Erst gewann es nur langsam, dann immer schneller an Höhe. Als es Geschwindigkeit aufnahm, hatte Matt gewaltige Mühe, seine Balance zu wahren. Der einzige Halt, der sich auf dem schwankenden Untergrund bot, war die Kamera, die neben ihm aus der Verkleidung ragte.

Matt packte sie mit der linken Hand, während er mit der Rechten weiter auf die Schleuse einhämmerte. „Seid ihr noch ganz dicht? Ihr seht doch wohl, dass ich kein Barbar bin!?“

Die Antwort der Technos bestand in lautem Kettenrasseln. Gleichzeitig wurden Matt die Füße unter dem Körper weggerissen.

Die Panzerkette drehte sich sinnlos ins Leere, nur in Gang gesetzt, um ihn in die Tiefe zu schleudern. Matt zog die Beine an und klammerte sich mit beiden Händen an der eckigen Kamera fest. Sie produzierte ein leises Surren. Offenbar sollte sie eingefahren werden, um ihn des letzten Halts zu berauben, doch seinem Gewicht hatte der schwache Elektromotor nichts entgegen zu setzen.

Lange konnte er diese Position allerdings nicht halten. Er musste dringend sicheren Stand finden. Nur wie?

Sein Versuch, sich zum Dach hinauf zu schwingen, hätte selbst einen trainierten Akro-baten vor eine unlösbare Aufgabe gestellt. Matt scheiterte an der glatten Außenwand, die keinen Halt bot, insbesondere, als das TFG plötzlich zur Seite kippte.

Diese verfluchten Technos versuchten alles, um ihn abzuschütteln!Matt packte fester zu, um ein Abgleiten zu verhindern, worauf sich die Gehäusekanten

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der Kamera noch tiefer in seine Hände gruben. Zwischen den Fingern quoll Feuchtigkeit hervor. Matt war nicht sicher, ob es sich nur um Schweiß oder bereits um Blut handelte.

Verzweifelt schaute er hinab.Das TFG war auf fünfzehn Meter gestiegen. Selbst wenn er in dichtem Gestrüpp landete,

würde er sich bei einem Sturz aus dieser Höhe alle Knochen brechen.In seiner Sorge um Aruula hatte er den richtigen Zeitpunkt zum Absprung verpasst. Nun

musste er sich weiter festklammern, ob er wollte oder nicht. Allzu lange würden seine Muskeln allerdings nicht mehr mitspielen. Wenn sie verkrampften, war das Unglück nicht mehr aufzuhalten.

Fieberhaft suchte er nach einem Ausweg aus der Misere, doch es gab einfach keine Mög-lichkeit, das Fahrzeug zu entern. Die TFG-Besatzung musste nur seelenruhig abwarten, bis der blinde Passagier die Kräfte verlor.

Eine Litanei unflätiger Flüche drang über Matts Lippen. Die meisten von ihnen hatten menschliche Ausscheidungen und den Geisteszustand der Technos zum Inhalt, doch außer einer kurzen Ablenkung brachte das Geschrei nichts ein. Mit seinem Latein am Ende, sah er sein Schicksal bildlich vor Augen: mit zerschmetterten Gliedern am Boden liegend.

Millimeter für Millimeter glitten seine Hände weiter ab.Doch kurz bevor er den Halt endgültig verlor, veränderte sich die Landschaft unter ihm.Mehrere Lagerfeuer beleuchteten in Felle gehüllte Menschen sowie eine dicht gedrängte

Herde unruhiger Frekkeuscher. Hinter dem Camp verwandelte sich der dornenreiche Untergrund in eine glatte schwarze Fläche, auf der sich die Mondscheibe widerspiegelte.

Ein See!, jubilierte der Pilot innerlich. Das war die Chance, auf die er gewartet hatte. Er wartete noch einige Sekunden, dann löste Matt die Hände von der Kamera. Während das Gehäuse in die Panzerung zurückschnellte, rauschte er wie ein Stein in die Tiefe.

Seinen Instinkten gehorchend, drehte er den Körper in der Luft, um mit den Füßen voran ins Wasser einzutauchen, und hielt den Atem an.

Der Aufprall war schmerzhaft. Klatschend schlugen die Fluten über ihm zusammen. Im Bruchteil einer Sekunde klebte Matt der Kampfanzug am Leib fest. Wasser drang ihm in Ohren und Nase und brannte in seinen Augen.

Obwohl seine Geschwindigkeit stetig gebremst wurde, ging es weit hinab, bis die Stiefel in weichem Morast versanken. Matt federte in den Knien nach, um den Aufprall zu mildern. Er überstand den Absturz, ohne sich etwas zu brechen oder zu verstauchen.

Glück gehabt.Über ihm tanzte silberner Schimmer auf den Wellen. Mit den schweren Stiefeln stieß er

sich ab und strebte mit kräftigen Schwimmstößen nach oben. Seine Lungen lechzten nach Sauerstoff. Prustend durchstieß er die Wasseroberfläche und rang nach Atem. Süße, reine Luft strömte die Kehle hinab. Nur wer dem Tod entkam, vermochte die wahre Köstlichkeit des Lebens zu schmecken – doch für philosophische Betrachtungen blieb Matt keine Zeit.

Die Technos durften nicht entkommen.

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Er musste sich beeilen.Entschlossen warf er sich nach vorn und zog mit schnellen Kraulbewegungen Richtung

Ufer. Die Feuer der Nomaden wiesen ihm den Weg. Es dauerte nicht einmal zwei Minuten, bis er sich triefend aus dem Wasser erhob und an Land wankte. Die schwankenden Schilf-rohre im Rücken, blieb er vor einigen mit Schwertern und Speeren bewaffneten Männern stehen, die ihm zögernd entgegen traten. Aus igluförmigen Lederzelten nahe dem Feuer drang Kindergeschrei.

„Atweeno tuu wa feesa?“*, erklang es aus den Reihen der Nomaden, die das TFG als dunkles Omen zu deuten schienen. Dass Matt von dem fliegenden Gejagudoo herunterge-fallen war, machte ihn zu einer übernatürlichen Erscheinung, der man besser mit Vorsicht begegnete.

„Maybii ree Orguudoo!“, warnte ein hochgewachsener Barbar, dessen Schädel bis auf eine kreisrunde Stelle am Hinterkopf kahl rasiert war. Rund um seinen geflochtenen Schopf glitzerte kalter Schweiß.

Die Kameraden des Zopfträgers brummten zustimmend. Auch sie hielten es für möglich, dass der Fremde dem bösen Gott Orguudoo diente.

Matt hatte die seltsame Sprache der Barbaren – ein Gemisch verschiedener europäischen Idiome – schon früh von Aruula gelernt. Nach seiner langen Reise durch England, Amerika und Russland war sie zwar etwas eingerostet, aber verständlich machen konnte er sich allemal.

Gern hätte er erklärt, dass sich der Stamm am See nicht ängstigen musste, doch die Sorge um Aruula trieb ihn zur Eile. Ohne große Vorrede zog er seinen Driller hervor und setzte den Wilden einen Schuss vor die Füße. Die Explosion, mit der die Erde auseinander platzte, trieb viele Nomaden in die Flucht. Einige ließen sogar die Waffen fallen, bevor sie schreiend zu den Lederiglus rannten.

Nur Zöpfchen und zwei weitere Krieger hielten die Stellung. Unartikulierte Laute aussto-ßend, fuchtelten sie mit ihren Speeren umher, wagten aber nicht, auf den vermeintlichen Dämonen einzudringen.

„Eja seea disuu“, gab Matt sich als Seegeist aus, bevor er in der Sprache der Wandernden Völker weiter verkündete: „Wer von meinem Wasser trinkt, muss mir einen Tribut zahlen. Einer eurer Frekkeuscher soll mir genügen.“

Zöpfchen und seine Freunde verstummten. Im Dunkeln war nicht zu erkennen, ob sie froh waren, mit dem Leben davon zu kommen, oder wegen des verlorenen Reittieres haderten. Matt nutzte ihre Unentschlossenheit, um vollendete Tatsachen zu schaffen. Mit schnellen Schritten überbrückte er die Entfernung zu den Riesenheuschrecken, die mit gefesselten Vorderbeinen hinter einem aus Seilen gespannten Korral grasten.

Routiniert zäumte er eines der Tiere mit Sattel und Kandare, während ein Stück entfernt

* Kommst du in Frieden?

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die Flüchtlinge aus den Zelten zurückkehrten. Matt konnte hören, wie Zöpfchen stolz berichtete, dass er den Seegeist durch ein Tieropfer besänftigt hätte. Statt Freudentaumel gab es lautes Wutgeschrei. Einer der Barbaren schien nicht sonderlich glücklich über diese Entscheidung zu sein. Vermutlich der Besitzer des Frekkeuschers, auf den Matt sich gerade schwang.

Ehe die Wut auf andere Nomaden übergreifen konnte, ließ ein lautes Summen alle zusammenfahren.

Das TFG kehrte zurück!Matt sprang zurück auf die Erde und verbarg sich zwischen den Frekkeuschern, die

ebenso von Furcht ergriffen wurden wie die Menschen.Von der Nomadengruppe drang lautes Klatschen herüber. Der eben noch so forsche

Querulant musste von allen Seiten Hiebe einstecken, weil er für die Rückkehr des Himmels-gefährts verantwortlich gemacht wurde. Die Abreibung war jedoch überflüssig. Das TFG kreiste lediglich über dem See, dessen Oberfläche mit Suchscheinwerfern erhellt wurde. Den Barbaren am Ufer widmete die Besatzung nicht mehr als einen kurzen Überflug, bevor der Weg fortgesetzt wurde.

Matt wartete, bis er sicher sein konnte, dass die Suche nach ihm eingestellt war. Dann schwang er sich in den Sattel, ließ den befreiten Frekkeuscher aus dem Gehege springen und nahm die Verfolgung auf.

TFG 2, PilotkanzelHauptmann Reuter zwinkerte mit den Lidern, um die Schweißbäche abzuwehren, die

immer wieder unbarmherzig in seine Augenwinkel drangen und seine ohnehin schon rot schimmernden Bindehäute noch weiter reizten. Das salzige Brennen in den Augen zerrte an der Konzentration. Wie gerne hätte er sich die feucht glänzende Stirn abgewischt, doch der verdammte Helm hinderte ihn selbst an dieser einfachen, von Urinstinkten geleiteten Geste. Stattdessen tippte er die Heimatkoordinaten in den Bordcomputer.

„Wann erfindet einer der Ingenieure endlich mal was Nützliches?“, brummte er ungehal-ten, bevor ein letzter Druck auf das Bedienungs-Pad die Eingabe abschloss. „Zum Beispiel einen Schweißabsauger für diese elenden Anzüge?“

Sein Copilot machte sich nicht die Mühe, über eine Antwort nachzudenken. Er wusste, dass Reuters Unmut nicht Ernst zu nehmen war. Schließlich gehörten die TFG-Besatzungen zu den Privilegierten, die regelmäßig der bedrückende Bunkerenge entkamen und auf der Oberfläche umherstreifen durften. Die unbequemen Anzüge, die sie vor Krankheitserregern schützten, waren ein geringer Preis angesichts des Anblicks von echten Wiesen, Flüssen oder der Sonne, die von einem strahlend blauen Himmel herab strahlte.

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Außenmissionen bedeuteten ein Stück Bewegungsfreiheit, das keiner von ihnen missen mochte. Manchmal mutierten ihre Aufträge aber auch zum Alptraum, etwa, wenn sie es mit einem tollwütigen Barbaren zu tun bekamen, der sich ans TFG hängte und kaum wieder abschütteln ließ.

Reuters Herzschlag beruhigte sich erst wieder, nachdem er auf Autopilot umgeschaltet hatte. So viel Aufregung wie heute gab es zum Glück nur selten. Normalerweise hatten sie es während eines Fluges höchstens mit ein paar Speeren oder Pfeilen zu tun, die von der Panzerung abprallten.

Der blonde Krieger hatte dagegen eine Schusswaffe besessen. Das war mehr als un-gewöhnlich. Gehörte er am Ende zu den gefürchteten Nordmännern, von denen frühere Expeditionen berichtet hatten, dass ihre Existenz als gesichert gelten musste, auch wenn der Hamburger Bunker bislang von ihnen verschont geblieben war?

Reuter sah zu seinem Copiloten hinüber. Leutnant Bogner spielte immer wieder die Sequenz ab, die von der Schleusenkamera aufgenommen worden war. Auf dem Konso-lenmonitor zeichnete sich ein abstoßend behaarter Schädel ab, der so dicht vor der Linse klebte, dass die Proportionen völlig verzerrt wurden.

„Der Kerl scheint zu wissen, dass er gefilmt wird.“ Bogner ließ die Szene zurücklaufen und sah sie sich erneut an. „Schau dir die seine Gestik an – als ob er uns etwas mitteilen will. Das würde aber bedeuten, dass er weiß, wie eine Kamera arbeitet.“

Diese Analyse brachte Reuter für einen Moment aus dem Konzept. „Das ist doch un-möglich“, stieß er hervor. „Digitale Übertragungstechnik übersteigt das Verständnis jedes Barbaren. Und aus einem Bunker kann der Kerl nicht stammen, sonst wäre er längst an Bakterien und Viren zugrunde gegangen.“

„Vielleicht gehört er einem Hilfsvolk an, das in Verbindung mit einer anderen Gemein-schaft steht“, spekulierte Bogner, bevor er jäh im Sitz hochschnellte. Sein Zeigefinger hämmerte auf den Pausenknopf des Abspielgerätes. Das Monitorbild gefror mitten in der Bewegung. Es war eine groteske Szene, in der der blonde Affe mit der Rechten auf sich beziehungsweise seine Brust deutete.

„Ich Tarzan!“, zitierte Reuter aus einem seiner liebsten Jugendbücher.„Quatsch“, wehrte der Leutnant ab. „Schau dir mal die Aufschrift über seiner Hemdtasche

an: US AIR FORCE! Er trägt eine historische Uniform in erstaunlich gutem Zustand! Wir hätten ihn nicht in den See werfen, sondern an Bord holen sollen. Es wäre interessant gewesen, mehr über ihn zu erfahren.“

Reuter zwinkerte nervös mit den Lidern, um neue Schweißfluten abzuwehren. Täuschte er sich vielleicht, oder war das gerade Kritik an seiner Handlungsweise gewesen?

„Für unplanmäßige Kontakte bestand weder Veranlassung, noch Zeit“, stellte er gereizt fest. „Wir haben einen klar umrissenen Auftrag, der durch nichts gefährdet werden darf. Daran besteht hoffentlich kein Zweifel, Herr Leutnant?“

Bogner gab ein unverständliches Brummen von sich, das genauso gut Zustimmung wie

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auch einen bissigen Kommentar bezüglich überflüssiger Befehlshierarchien beinhalten mochte. Genau wusste man das nie bei ihm. Ehe sein Vorgesetzter nachhaken konnte, hatte er bereits die Verbindung zur Krankenstation aktiviert. Das Standbild machte einer Halbtotalen Platz, die eine Krankenliege zeigte, auf der eine spärlich bekleidete Barbarin lag. Doktor Eggers kontrollierte gerade den Gehirnwellenscanner, mit dem er die Telepathin aufgespürt hatte, seine Kollegin Dang zog eine Spritze auf.

„Wie sieht es aus, Doc?“, fragte Bogner über Bordfunk. „Ist die Patientin wohlauf?“Die Ärzte sahen in Richtung der Stationskamera, als sie den Funkruf aus der Kanzel

hörten. Ein grünes Kontrolllicht signalisierte ihnen, dass eine Bildverbindung bestand.Eggers gab sich äußerst geschäftig, um nicht antworten zu müssen. Seine fahrigen Be-

wegungen ließen keinen Zweifel daran, dass er noch an der überstandenen Schießerei laborierte. Die Aufregungen der letzten Tage waren nicht spurlos an dem Mediziner vorüber gegangen.

Kein Wunder. Er hatte einige gute Freunde verloren.Tanja Dang zeigte sich wesentlich gefasster. „Alles in Ordnung“, versicherte sie. „Die

Telepathin hat ein Schlafmittel erhalten, damit sie bis zur Ankunft keine Schwierigkeiten macht. Ihre mentalen Werte übertreffen alle Erwartungen. Ich bin zuversichtlich, dass wir sie für unsere Zwecke einsetzen können.“

„Wollen wir es hoffen.“ Bogner unterbrach die Bildverbindung, doch seine Stimme wurde weiter an alle Besatzungsmitglieder übertragen. „Hoffen wir vor allem, dass es nicht längst zu spät ist.“

Er sah sich zu Hauptmann Reuter um, der seine offene Skepsis missbilligte, aber von einer Rüge absah. Wozu sollten sie sich auch mit gegenseitigen Durchhalteparolen blenden? Jeder von ihnen wusste, wie schlecht es um die Speicherstadt bestellt war. Schweigend flogen sie zurück zur Basis, einer ungewissen Zukunft entgegen.

Bogner holte das Standbild zurück auf den Bildschirm. Die animalische Entschlossenheit, die sich auf den Zügen des blonden Barbaren abzeichnete, erschreckte und faszinierte ihn zugleich.

Der Leutnant konnte sich nicht helfen. Irgendwie hatte er das sichere Gefühl, dass sie diesen Kerl noch einmal wiedersehen würden.

Obwohl Frekkeuscher zur Nachtblindheit neigten, trieb Matt das Tier dazu, dem davon-fliegenden TFG in großen Sprüngen nachzusetzen. Das Mondlicht und die baumarme Steppe erleichterten den Ritt, obwohl sich das scharfe Tempo nicht ewig durchhalten ließ.

Die kühle Nachtluft ließ Matt frösteln; die klamme Kleidung schien ihm auf der Haut zu gefrieren. Er zerrte eine Decke aus der Satteltasche und schlang sie sich um die Schultern,

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um den Körper so gut wie möglich zu wärmen. Erste Niesanfälle warfen ihn fast aus dem Sattel, doch für einen Aufenthalt am Feuer fehlte einfach die Zeit.

Der Abstand zum TFG war schon jetzt so groß, dass er Mühe hatte, den Flugpanzer in der Dunkelheit auszumachen. Aus Bodennähe zeichnete sich die Silhouette allerdings bei jedem neuen Sprung so deutlich gegen das Firmament ab, dass er sicher sein konnte, noch auf der richtigen Spur zu sein.

Das Techno-Gefährt wich nicht ein Grad von dem einmal eingeschlagenen Kurs ab, der schnurstracks nach Nordwesten führte. In seiner Zeit als aktiver Pilot hatte Matt genügend über Astronomie gelernt, um sich anhand von Sternenkonstellationen zu orientieren. Wenn ihn nicht alles täuschte, ging es Richtung Nordsee, und dort lag eigentlich nur eine Stadt, die groß genug gewesen war, um eine leistungs- und überlebensfähige Bunkergesellschaft hervorzubringen.

Hamburg!Mit Einsetzen der Morgendämmerung ließ Matt die Zügel schleifen. Inzwischen war er

jetzt sicher, das Ziel der Technos zu kennen, außerdem brauchte der Frekkeuscher eine Verschnaufpause. Mit kleineren Sprüngen ging es weiter, während das TFG am Horizont verschwand.

Eine Stunde später erreichten Matt einen breiten Flusslauf, der wie eine offene Wunde in der Landschaft klaffte. Die Elbe.

Die Sprünge des Frekkeuschers vergrößerten sich wieder, bis er zielgenau am Ufer landete, begierig, seinen Durst in der kalten Strömung zu löschen.

Matt verspürte ein Magenknurren und suchte in der Satteltasche nach etwas Essbarem. Er stieß auf getrocknete Früchte und einen Steintopf voller Pökelfleisch, dessen ranziger Geruch ihn nicht davon abhalten konnte, es bis auf den letzten Rest zu verzehren. Er war gerade dabei, die salzige Mahlzeit mit geschöpftem Wasser herunterzuspülen, als er einige Andronen sichtete, die am hiesigen Flussufer gen Süden zogen.

Es waren gut dreißig Tiere. Eine schwer bepackte Karawane, die von einer gut zehn Mal so großen Menschenmenge begleitet wurde. Männer, Frauen und Kinder trotteten gleichsam apathisch dahin, als läge ein Ereignis hinter ihnen, das all ihren Lebensmut aufgezehrt hätte.

So sahen keine Händler aus, die einen fernen Markt besuchen wollten. Dagegen sprach auch das wahllos zusammengesuchte Hab und Gut, das sie auf den Andronen transportier-ten. Nein, diese Menschen waren einzig und allein von der Hoffnung beseelt, ihr nacktes Leben zu retten.

Gespenstische Stille hing über dem Flüchtlingstross, nur durch das Stampfen der Ameisen oder gelegentlich Babygeschrei unterbrochen. Niemand schenkte Matt Beachtung, auch wenn der eine oder andere aus glanzlosen Augen herüber starrte. Erst als er sich in den Sattel schwang und seinen Frekkeuscher Richtung Norden lenkte, kam Unruhe auf. Die Nomaden begannen ihm aufgeregt zuzuwinken.

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Warnende Rufe wurden laut.Ein Andronenreiter mit wallend rotem Haar, der seinen Bart zu zwei langen Zöpfen

geflochten hatte, scherte aus dem Tross aus, um sich ihm in den Weg zu stellen. Die matt glänzenden Fühler der Reitameise zuckten hektisch umher, als ob sie einen Zusammenstoß mit dem Frekkeuscher fürchtete.

Matt zügelte seine Heuschrecke und schaute neugierig auf den in Fell und Leder gekleide-ten Barbaren hinab. Ein wollener Kapuzenumhang flatterte über dessen breiten Schultern, während er auf den Boden sprang und die letzten Meter zu Fuß herbei eilte.

„Kehr um, Fremder!“, verlangte der Rothaarige mit beinah religiösem Eifer. „Nördlich von hier findest du nur noch Verderben.“

„Tatsächlich?“ Matt gab sich wenig beeindruckt, denn er war Schwierigkeiten gewohnt. „Was ist euch widerfahren?“

„In Ambuur sammeln sich die Völker der Nacht“, berichtete der Andronenreiter aufgewühlt. „Nosfera, Wulfanen und Guule strömen aus allen Himmelsrichtungen herbei, und sie sind voller Hass auf alles, was menschlich ist. Nur mit knapper Not sind wir ihnen entkommen.“

Matt verkniff sich eine Verwünschung. Eine Horde wütender Mutanten machte sein Vorhaben nicht gerade leichter. Nachdenklich strich er über sein Kinn, das dringend einer Rasur bedurfte. „Nosfera und Wulfanen, die sich mit Guulen verbünden?“, dachte er laut nach. „So etwas höre ich zum ersten Mal.“

„Und doch ist es wahr!“ Der Andronenreiter warf beide Hände in die Luft, wie um die Götter als Zeugen anzurufen. „Niemand weiß, was in diese Kreaturen gefahren ist, dass sie uns den Krieg erklären. Zuerst haben sie sich nur bei den Maulwürfen gesammelt, aber dann wurden es so viele, dass sie auch die anderen Viertel überrannten. Sie rauben, morden und brennen alles nieder, was nicht schnell genug die Flucht ergreift. Und täglich werden es mehr.“

„Maulwürfe?“ Matt wurde hellhörig. „Redest du von Männern und Frauen, die unter der Erde leben?“

„Niemand weiß, ob es wirklich Menschen sind. Sie lassen niemanden in ihre Nähe, doch sie existieren, das weiß ich genau. Ihre Einstiegsschächte, die von unsichtbarem Tod um-geben sind, liegen nahe der Flussmündung. Selbst die Mutanten kommen nicht zu ihnen durch. Vielleicht ist es das, was sie so zornig macht.“

„Gut möglich“, sagte Matt, dem nicht wohl bei dem Gedanken war, sich durch eine Stadt voller Nosfera und Wulfanen kämpfen zu müssen. „So ein verdammter Mist!“

Von Flüchen dieser Art ließen sich Barbaren normalerweise nicht beeindrucken, doch der Andronenreiter zuckte zusammen, als hätte man mit der Peitsche nach ihm geschlagen. Es war die Erkenntnis, dass der Fremde – allen Warnungen zum Trotz – weiter reisen wollte, die ihn erschauern ließ.

„Ich habe keine andere Wahl“, erklärte Matt. „Die Maulwürfe haben meine Gefährtin geraubt. Ich muss ihnen nach, um sie zu befreien.“

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„Du bist wahrlich ein Mann von Ehre“, verkündete der Barbar. „Sag mir deinen Namen, damit wir der Nachwelt von deiner Treue zu deinem Weib berichten können.“

„Man nennt mich Maddrax“, antwortete der Pilot schmunzelnd. „Lass dir aber gesagt sein, dass ich vorhabe, alt und grau zu werden, um meinen Enkeln selbst von den Taten zu berichten. Und du kannst mir dabei helfen, Ambuur lebend zu erreichen.“

„Ich?“ Erbleichend trat der Andronenreiter zurück. „Ich habe selbst Frau und Kinder. So gerne ich dich bei deinem Abenteuer begleiten möchte, aber …“

„Schon gut“, beschwichtigte Matt den stammelnden Barbaren. „Alles was ich von dir brauche, ist dein Umhang und ein Paar Handschuhe. Ich gebe dir dafür eine warme Decke und diese Satteltasche samt Inhalt.“ Außer einigen trocknen Wurzeln war nicht mehr viel von Interesse darin, trotzdem willigte der Andronenreiter erleichtert in den Tausch ein. Es war wohl die Freude darüber, dass sein eigener Weg in die Sicherheit führte, die ihm den Abschied von seinen zerschlissenen Kleidungsstücken versüßte.

Nachdem Matt Umhang und Fäustlinge angezogen hatte, verabschiedete er sich von dem freundlichen Barbaren und setzte seinen Weg fort. Mit weiten Sprüngen ging es am Ufer entlang, Ambuur entgegen. Doch so flink sich der Frekkeuscher auch fortbewegte, kein Lebewesen war so schnell wie Neuigkeiten, die sich innerhalb einer Karawane verbreiteten.

Diesmal war es nur ein einziges Wort, das von Mund zu Mund ging, doch es symbo-lisierte den Mut eines Mannes, der weder Nosfera, Wulfanen noch Guule fürchtete, um seine Gefährtin zu retten.

Maddrax.

TFG 2, Bordzeit: 10:26 UhrHauptmann Reuter wartete, bis in den gepanzerten Cockpitscheiben einige markante

Ruinen sichtbar wurden, bevor er Kontakt zur Basis aufnahm. Es war bereits der zweite Funkruf, seitdem sie nahe genug waren, um die CF-Strahlung zu durchdringen. Im ersten hatte sie den Erfolg der Mission vermeldet und die baldige Rückkehr angekündigt. Falls es im Bunker daraufhin Jubel gegeben hatte, war er wohl in den atmosphärischen Störungen untergegangen.

„Beeilt euch!“ Mehr als dieser Kommentar war nicht zu ihnen durchgedrungen.Hoffentlich sind wir nicht schon zu spät. Dieser bedrückende Gedanke beherrschte, ja

lähmte geradezu die gesamte Besatzung.Reuter spürte einen eisigen Hauch zwischen seinen Schulterblättern. „TFG 2 an Spei-

cherstadt“, rief er in den Äther hinaus, um sich abzulenken. „Voraussichtliche Ankunft in acht Minuten. Bitte Landeprozedur einleiten.“

Sein Helm füllte sich mit statischem Rauschen, während er auf die Antwort wartete.

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„Speicherstadt an TFG 2“, schepperte es so laut, dass er die Lautstärke herab regeln musste. „Sicherungsgruppe steht bereit. Ihr könnt kommen.“

Reuter bestätigte die Antwort, bevor er die Verbindung unterbrach. Das ständige Knistern zerrte zu sehr an seinen Nerven.

Durch die Scheiben verfolgte er, wie sich das Stadtbild langsam änderte. Von einem dichten Pflanzenteppich überwucherte Trümmer wichen nach und nach fensterlosen Ruinen, in denen Menschen wie in Höhlen hausten. Dunkle Rauchfahnen, die aus Mauerspalten und Durchbrüchen stiegen, zeugten von dem primitiven Leben, das hier herrschte. Andere Gebäude wirkten dagegen wie ausgestorben, und wenn man die Flüchtlingsströme sah, die durch die Straßen zogen, wusste man auch warum.

Die Bewohner von Hamburg flohen vor den Mutanten, die überall ihr Unwesen trieben.Mit steinerner Miene beobachtete Reuter eine brennende Häuserzeile, vor der behaarte

Bestien triumphierend die Arme in die Höhe rissen. So wie sich diese Wulfanen aufführten, hatten sie das Feuer selbst gelegt.

„Das darf doch wohl nicht wahr sein!“ Reuter hatte nie viel für die unzivilisierten Barba-ren übrig gehabt, die in den Trümmern von Hamburg hausten, doch ihre abgeschlagenen Köpfe auf den Spießen der Wulfanen zu sehen, stieß ihm übel auf. Er war versucht, die Laserkanone zu aktivieren, doch die Rückkehr zur Speicherstadt besaß oberste Priorität. Für Rache war keine Zeit. Noch nicht.

„Später“, flüsterte er leise. „Ihr kommt alle an die Reihe, versprochen.“„Was meinst du?“, fragte Bogner verständnislos.Der Hauptmann winkte nur ab und starrte verbissen aus dem Fenster, während er das

TFG manuell über die Reste der einstigen Hafenstadt lenkte. Je näher sie der Elbe kamen, desto besser schienen die Gebäude erhalten zu sein. Erst auf dem zweiten Blick wurde sichtbar, dass nur noch wenig den Originalbauten entsprach. Überall war mit Stein, Holz und schmiedeeisernem Stahl geflickt worden, was im Laufe der Jahrhunderte zusammen zu brechen drohte.

Die Straßendecke war längst unter der Last schwerer Karren geborsten und einem Flick-werk aus aneinander gefügten Trümmerstücken gewichen. Verkehrsschilder, Hydranten und Ampeln existierten nicht mehr. Man hatte sie eingeschmolzen und zu primitiven Pflügen, Werkzeugen oder Waffen verarbeitet. Kaum ein Stein stand noch so wie vor fünfhundert Jahren. Lediglich einige besonders markante Punkte ließen ahnen, wo einst die Stadtteilgrenzen verlaufen waren.

Das TFG folgte einer breiten Schneise, die sich durch die Häuserschluchten zog. Alten Bunkerkarten zufolge handelte es sich um die Lübecker Straße, die in den Steindamm überging. Etwas voraus ragte bereits der Hauptbahnhof auf, den die Nosfera zu ihrem Hauptquartier erkoren hatten. Schwarz gekleidete Gestalten in Kapuzenmänteln rannten auf den Flachdächern umher. Beim Anblick des TFG reckten sie Bögen und Armbrüste drohend in die Höhe, doch kaum einer verschwendeten seine Pfeile im sinnlosen Beschuss

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der Panzerung. Von den wenigen Stahlspitzen, die trotzdem gegen die Außenhülle prallten, war im Inneren der Kanzel nichts zu hören.

Reuters Handschuh füllte sich mit Schweiß, während er den Steuerknüppel niederdrückte, um den Sinkflug einzuleiten. Seine Hand fühlte sich an, als stecke sie in einem gefüllten Aquarium, dabei waren es nur die eigenen Ausdünstungen, die sich im Inneren des Anzugs niederschlugen.

Unter ihnen liefen die Mutanten in den Häuserschluchten zusammen. Reuter war froh, die Außenalster zu erreichen, die seit dem Anstieg des Meeresspiegels auf breiter Front mit der Nordelbe verbunden war. Hierher konnten die Mutanten nicht folgen. Vom Jungfernstieg bis zu den Landungsbrücken war alles überflutet.

Einzelne Gebäudeteile ragten noch immer aus dem Wasser, wie eingesunkene Grabsteine auf einem verwaisten Friedhof.

Die Elbe selbst war auf das Dreifache der einstigen Größe angeschwollen. Bereits wenige Kilometer nördlich mündete sie in eine weit ins Landesinnere ragenden Bucht, die Ambuur – wie die Degenerierten Hamburg nannten – seit dem Kometeneinschlag zu einer Küstenstadt machte. Für große Teile des ehemaligen Stadtkerns hieß es seit „Christopher-Floyd“ Land unter, doch die weitläufige Bunkeranlage, die sich unter den Eckpunkten Messehallen, Congress Centrum und Botanisches Institut erstreckte, war zum Glück verschont geblieben. Der fünf Stockwerke tief gehende Komplex, der ihre Gemeinschaft über die Jahrhunderte vor Kälte und Strahlung geschützt hatte, trug den Namen „Neue Speicherstadt“.

Ein hoher, mit Starkstrom geladener Zaun umgab das oberirdische Areal, um sie vor ungebetenen Eindringlingen zu schützen. Eine Vorsichtsmaßnahme, die sich insbesondere in Zeiten wie diesen stets aufs Neue bewährte. Reuter näherte sich der Basis absichtlich von der Wasserseite, denn westlich von ihnen, im ehemaligen Altona, rotteten sich Hunderte von Mutanten zusammen, die jeden Überflug mit wütenden Attacken quittierten.

In einer eleganten Schleife zog das TFG über den östlichen Zaun hinweg und ging tiefer. Schlingkraut bedeckte den Boden wie ein grüner Teppich, doch inmitten des Pflanzenmeeres hob sich eine verwitterte Betonfläche ab, auf der ein roter Kreis eingezeichnet war.

„TFG 2 an Speicherstadt. Setzen zur Landung an.“„Verstanden, TFG 2. Haben Sichtkontakt.“In einem Betonwürfel, keine hundert Meter entfernt, sprang eine Stahltür auf. Ein Dutzend

Männer und Frauen liefen ins Freie, weit mehr, als in dem kleinen Gebäude Platz finden konnten. Sie waren durch eine manuelle Bodenschleuse aufgestiegen, um zu verhindern, dass jemand während der Landung in den Hangar eindrang.

Die Lasergewehre in ihren Händen glänzten ebenso silbern wie die Schutzanzüge, in denen sie steckten. Um ihre bleichen Köpfe vor der sengenden Sonne zu schützen, trugen sie weiße Kunststoffhelme mit einem Sichtfenster, das von der Stirn bis zum Kinn reichte.

Wie ein Schwarm aufgescheuchter Mücken stoben sie auseinander und gruppierten sich rund um das Landungsfeld. Reuter drosselte die Generatoren. Das Magnetfeld

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verlor an Kraft, die schwere Maschine sackte in die Tiefe. Kurz über dem Landekreis fing er das TFG ab und setzte so sanft auf, wie es mit einem gepanzerten Fahrzeug möglich war.

Bogner und er wurden in den Schalensitzen durchgeschüttelt, als die Panzerketten auf den Beton krachten. Eine vernünftige Federung war ein weiterer Punkt auf der Wunschliste, die ihm kein Ingenieur je erfüllen würde. Das Brummen der Generatoren erstarb, wohltuende Ruhe breitete sich aus. Die Maschine stand zielgenau im roten Kreis; trotzdem ging es weiter hinab.

Ein zehnmal zehn Meter großes Betonquadrat löste sich aus der Landebahn und sank mitsamt dem TFG in die Tiefe. Die Flugleitung musste es verdammt eilig haben, wenn sie den Aufzug aktivierte, ohne seine Landebestätigung abzuwarten. Geräuschlos fuhren sie ein Stockwerk hinab, in den Hangar, in dem die TFGs zwischen den Einsätzen gewartet wurden.

Der einfallende Sonnenschein vermischte sich mit dem sterilen, alles beherrschenden Neonlicht. Nicht nur die Umgebungstemperatur fiel ab, es wurde auch optisch einige Grad kälter.

Reuter wartete, bis die hydraulische Bühne den niedrigsten Punkt erreicht hatte, bevor er den Kettenantrieb aktivierte. Trotz aller Routine spürte er ein Kribbeln in den Fingern. Über die Rampe hinabzufahren kostete viel Feingefühl, aber auch diese Aufgabe meisterte er mit Bravur.

Sobald das Fahrzeug den Boden erreicht hatte, schnurrte der Aufzug in die Höhe und schloss wieder fugenlos mit der Decke ab. Reuter bemerkte nicht einmal, wie auch der letzte Sonnenstrahl aus der unterirdischen Halle verbannt wurde. Zwischen Beton und Kunstlicht aufgewachsen, weckte der Bunker heimatliche Gefühle in ihm.

Der Rest war Routine. Mit sicherer Hand parkte er die Maschine zwischen TFG 1 und 3 ein, nahm den Atomkern vom Netz und stellte auf Akkubetrieb um.

Zum Durchatmen blieb leider keine Zeit. Die Heckkamera zeigte eine Menschengruppe, die sich mit schnellen Schritten näherte.

„Der Bunkerrat im antiseptischen Bereich“, spottete Bogner. „Ein seltener Anblick.“ Frech wie immer, aber der Leutnant hatte recht.

„Vielleicht gibt es gar keinen septischen Bereich mehr“, sagte Reuter. Nicht weil er Bogner beipflichten wollte, sondern einfach, weil ihn das stete Brennen seiner Augen mürrisch machte.

Schweigend stemmte er sich aus dem Schalensitz hoch und eilte zur Seitenschleuse. Eggers und Dang, die einen kürzeren Weg hatten, warteten schon auf ihn. Immerhin, so viel Respekt vor seiner Kommandogewalt war vorhanden. Reuter gab ein Zeichen, dass sie öffnen konnten.

Zischend klappte die Tür nach außen und senkte sich, mit der Oberkante voran, zu Bo-den. Vor dem TFG warteten ein halbes Dutzend Männer und Frauen auf seine Meldung.

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Kanzler Stoll, sonst ein Vorbild an Ruhe und Zurückhaltung, platzte als erster hinaus: „Die Telepathin, wo ist sie?“

Seine schmale, leicht nach oben weisende Nasenspitze zuckte nervös, während er allen Ernstes den Hals reckte, um Ausschau nach Aruula zu halten. Stolls Aufregung war verständlich. In letzter Konsequenz trug er die Verantwortung für die ganze Misere, auch wenn er bei dem Projekt „Freiheit“ stets auf größtmögliche Sicherheit gedrängt hatte.

Die übrigen Ratsmitglieder enthielten sich entsprechend der Kritik. Jeder in der Spei-cherstadt hatte gewusst, worauf sie sich einließen, und das erhoffte Ergebnis schien alle Risiken wert gewesen zu sein. Nun, da das Desaster perfekt war, galt es, die Schäden zu klein wie möglich zu halten.

In ihrer aller Interesse.Reuter gab die Frage des Kanzlers an seine Begleiter weiter. Wie nicht anders zu erwarten,

ergriff Tanja Dang das Wort. „Wir hatten keine Gelegenheit, die Wilde zu einer Koopera-tion zu überreden“, erklärte sie, „darum habe ich sie mit einem Sedativ ruhig gestellt. Ich schlage vor, wir bringen Aruula – so lautet ihr Name – auf die Krankenstation, bevor wir das Gegenmittel spritzen. Falls sie sich unseren Wünschen widersetzt, haben wir dort die pharmazeutische Mittel, ihren Willen zu schwächen.“

Ein dunkles Krächzen drang aus dem Helmlautsprecher des Kanzlers. Wer Stoll gut genug kannte, wusste, dass es sich um ein Zeichen seiner Missbilligung handelte. „Entführen, unter Drogen setzen und den Willen schwächen“, hielt er der Ärztin vor. „Ist das alles, was Sie können? Primitiv oder nicht, wir haben es hier mit einem Menschen zu tun, Frau Kollegin, nicht mit einer abnormen Fehlbildung.“

Wer gedacht hatte, dass Dang vor der Rüge zurückzucken würde, sah sich getäuscht. Trotzig baute sie sich in der Schleuse auf und sah auf die Ratsmitglieder hinab.

„Ich habe lediglich das Wohl der Speicherstadt im Sinn“, stellte sie mit bebender Stimme klar. „Schließlich weiß niemand von uns, wie lange Geyer noch durchhält, oder sieht das einer von Ihnen anders?“

Für kurze Zeit wurde es so still, dass sich Hauptmann Reuter ernsthaft fragte, ob sein Helmfunk ausgefallen war. In Wirklichkeit herrschte betretenes Schweigen. Niemand mochte zugeben, dass die Medizinerin recht hatte.

Stoll rang sichtlich um Fassung. Ehe er zu einer Antwort ansetzen konnte, die zwangsläufig in einem neuen Wortgefecht münden würde, schob sich Eggers in den Vordergrund. Von der Zurückhaltung, die er während des Fluges an den Tag gelegt hatte, war nichts mehr zu spüren, als er verkündete: „Die Barbarin wird uns sicher aus freien Stücken helfen. Es ist nicht ihr erster Kontakt zu einer Bunkerzivilisation. Sie kennt unsere spezifischen Probleme und versteht zweifellos, was auf dem Spiel steht.“

„Umso besser!“ Kanzler Stoll ergriff dankbar die Gelegenheit, sein Gesicht zu wahren. Ohne auf Dangs vorherige Vorwürfe einzugehen, empfahl er: „Setzen Sie alles daran, dass

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ich so schnell wie möglich mit dieser Aruula reden kann. Denn in einem hat Ihre Kollegin zweifellos recht: Die Zeit rennt uns davon.“

Matt zügelte den Frekkeuscher, der auch mit seinen sechs Laufbeinen ein beachtliches Tempo vorlegte. Der vor ihnen liegende Straßenzug wirkte zwar verwaist, wies aber deut-liche Spuren von Plünderungen auf. Manche Wände waren schwarz vor Ruß, anderswo türmten sich roh gezimmerte Stühle, Tische und aufgebrochene Kisten übereinander.

In den behelfsmäßig ausgebesserten Ruinen hatten einmal Menschen gelebt, vielleicht sogar die Andronenreiter, die ihm unterwegs begegnet waren. Stallgeruch hing in der Luft, wurde aber zunehmend von etwas Süßlichem verdrängt. Matts Nasenflügel bebten, denn er kannte die Ursache dafür.

So roch der Tod, wenn er nur wenige Stunden alt war.Die Kapuze seines Umhangs tief ins Gesicht gezogen, trieb er den Frekkeuscher voran.

In kleinen Sprüngen setzte das Tier über einige umgeworfene Karren hinweg, die den Weg versperrten.

Bisher hatte Matt jede Begegnung mit Mutanten vermeiden können, doch je tiefer er in die Stadt vordrang, desto wahrscheinlicher wurde es, dass er entweder auf Nosfera, Wulfanen oder Guule stieß. Spätestens dann würde sich zeigen, ob seine Verkleidung etwas taugte.

Lautes Knallen ließ ihn zur Seite sehen, doch es handelte sich nur um ein zerfetztes Tuch, das im auffrischenden Wind flatterte. Einst war es, wie viele andere, als Sonnen- und Regenschutz aufgespannt worden, nun hatte es ein wütender Mob in Stücke gerissen.

Matts Nerven blieben angespannt. Hinter jeder Hausecke mochten jene lauern, die dieses Chaos zu verantworten hatten.

Ein Gebäude ohne Frontfassade gewährte den Blick auf erloschene Feuerstellen, um die sich früher ganze Barbarenfamilien geschart haben mochten. Wer von ihnen nicht rechtzeitig die Flucht ergriffen hatte, lag nun erschlagen neben den kalten Aschehaufen oder hing, an den Füßen aufgeknüpft, von der Decke herab. Die meisten Toten wiesen klaffende Halswunden auf; größere Blutlachen suchte Matt dagegen vergeblich.

Irgendjemand hatte die rote Flut, die aus ihnen hervor gequollen sein musste, aufgefangen und abgefüllt. Matt wusste, was das zu bedeuten hatte. Diese armen Teufel waren von den Nosfera regelrecht geschlachtet und ausgesaugt worden.

Es musste ein schreckliches Gemetzel gewesen sein. Je weiter Matt vordrang, desto mehr Leichen entdeckte er. Die Glücklichen unter ihnen, die an Ort und Stelle getötet worden waren, erkannte man daran, dass ihre Körper, schlaffen Gliederpuppen gleich, aus Durchbrüchen oder Fensteröffnungen ragten. Mit anderen hatten die Nosfera mehr Aufwand betrieben und dabei eine geradezu morbide Phantasie entwickelt, ihre Opfer in

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unterschiedlichsten Variationen mit abgespreizten Armen und Beine zwischen Hauswän-den, Bäumen und Dornensträuchern aufzuhängen.

Es schien sich um eine Art Ritual zu handeln, das immer mit zwei tiefen Schnitten in die Halsschlagadern endete.

Auf seiner Reise rund um die Welt hatte Matt zahlreiche Nosfera kennen gelernt, die sich um eine friedliche Koexistenz mit den Menschen bemühten. Die Bluttempler, ein Nosfera-Orden in Moskau, verehrte ihn sogar als Sohn der Finsternis – was immer das bedeuten mochte – und war um sein Wohl bemüht. Hier in Doyzland nutzte ihm das aber wenig. Die hiesigen Nosfera waren zweifellos Menschenjäger, die nicht nur aus reinem Hunger töteten, sondern auch noch Freude an ihrem grausamen Treiben fanden.

Matt kam es fast ein wenig schäbig vor, dass er sich ausgerechnet in der Verkleidung eines Blutsaugers durch Hamburg schlich, aber der Gedanke an Aruula half ihm, die aufkeimenden Skrupel beiseite zu drängen. Wenn es angesichts des Massakers auch nicht leicht fiel – er durfte keine Nerven zeigen, musste kühl und besonnen bleiben.

Matt wollte gerade nach rechts ausscheren, um durch ein begrüntes Trümmerfeld auf die Parallelstraße zu wechseln, als er einige Tote passierte, denen der Kopf oder einzelne Gliedmaßen fehlten.

Der Frekkeuscher scheute. Matt trieb ihn weiter.Nosfera interessierten sich für Blut, weil sich durch eine mutierte Form der Sichelzellen-

Anämie ihre weißen Blutkörperchen zu schnell abbauten und in regelmäßigen Abständen für Nachschub gesorgt werden musste. Darüber hinaus gehende Verstümmelungen waren ihnen fremd.

Hier musste noch etwas anderes im Spiel sein. Aasfressende Tiere ließen sich weit und breit nicht blicken. Überhaupt schien die gesamte Tierwelt verschwunden zu sein. Ein Umstand, der Matt erst jetzt verdächtig vorkam.

Seine rechte Hand verschwand unter dem Umhang. Wenn es hart auf hart ging, war der Driller seine einzige Überlebensgarantie.

Der Frekkeuscher tippelte plötzlich nur noch zaghaft weiter, scheute kurz und nahm dann seine langen Hinterbeine zur Hilfe, um über eine geborstene Stelle im Straßenbelag hinweg zu setzen. Ehe Matt stutzig werden konnte, wurde seine Aufmerksamkeit bereits auf mehrere humanoid wirkende Kreaturen gelenkt, die zwischen Mauerresten und abge-spannten Fellen näher huschten. Vorsichtig, jeden Schatten als Deckung nutzend, schlichen sie auf einen ausgebluteten Barbaren zu, dessen verrenkte Glieder von einem dornigen Klettergewächs an einer einsam stehenden Fassade gehalten wurden.

Matt zog an den Zügeln. Ein Signal, dem der Frekkeuscher nur zu gerne nachkam. Die grün bepelzten Beine verharrten mitten im Schritt.

Reiter und Insekt starrten gleichermaßen auf die knochigen, mit großen Grabhänden bewehrten Gestalten, die den Toten beschnüffelten.

Matts Neugierde stieß bei den Aasfressern auf Argwohn. Mit zischenden Lauten machten

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sie sich gegenseitig auf den unwillkommenen Zeugen aufmerksam. Zuerst geschah nichts weiter, dann geriet das Erdreich jenseits der Vorderfront in Bewegung.

Bleiche Arme stiegen aus dem Sand empor, stützten sich auf festem Untergrund ab und hievten unnatürlich bleiche, ausgemergelte Leiber in die Höhe. Noch ehe sie richtig aus den Tunneln heraus waren, wusste der Pilot schon, womit er es zu tun bekam.

Das waren Guule! Aas- und Knochenfresser, die unter der Erde lebten und mit Vorliebe Gräber plünderten.

Weißer Schleim tropfte aus halb offenen Mäulern, während sich die meisten weiter an dem Toten zu schaffen machten. Die im Sand postierten Wächter zogen dagegen schartigen Krummsäbel und gingen drohend auf Matt zu.

„Verssschwinde!“, zischte einer der fünf, der von allen am gefährlichsten aussah. Viel-leicht wegen des bizarres Symbols aus ineinander geschlungenen Linien, das auf seiner Stirn leuchtete. „Die Toten gehören unsss! Ihr habt nichtss mehr mit ihnen zu ssschaffen.“

Matt bezähmte den Wunsch, seinen Driller zu ziehen. Er durfte seine Tarnung nicht gefährden, auch wenn es ihm zuwider war, mit anzusehen, wie der Tote in Stücke gerissen wurde. Im Sattel weit nach vorn gebeugt, damit sein Gesicht unter der Kapuze nicht zu erkennen war, trat er den Rückzug an.

Der Frekkeuscher drehte gehorsam auf den Hinterbeinen und zischte davon. Da das Tier vor dem Loch in der Fahrbahndecke gescheut hatte, lenkte Matt ihn diesmal um die Stelle herum. Nur für den Fall, dass dort weitere Guule lauern mochten. Ihren Mangel an Mut und Kraft hatten die Leichenfresser schon immer durch Verschlagenheit ersetzt.

„Lasss dich hier nicht mehr blicken!“, spottete der Tätowierte lauthals. „Ssonsst wird ess dir wie den Mensschen ergehen, von denen ihr gessoffen habt.“

Immerhin, Kapuzenumhang und Handschuhe zeigten Wirkung. Die Guule hielten Matt für einen Nosfera.

Die fünf Säbelschwinger witterten Morgenluft. Durch Matts Rückzug selbstbewusst geworden, nahmen sie die Verfolgung auf. Mit weit ausholenden Sätzen rannten sie über die im Teer klaffende Lücke hinweg.

Bereits nach den ersten Schritten geriet der Sand unter ihnen in Bewegung. Ein leichtes Beben brachte alle ins Stolpern, doch das war nur der Vorbote einer Erdfontäne, die un-vermittelt in die Höhe schoss. Als sich die Sandschleier verflüchtigen, wurde die Sicht auf einen baumdicken Leib frei, der wie ein gigantischer Pflanzenstängel aus dem Boden ragte.

Es war aber keine Knospe, die sich an der Spitze öffnete, sondern das Maul eines Geja-gudoo, der nach seiner Beute schnappte.

Die Guule stoben entsetzt zur Seite, als sie sahen, wie der gefräßige Schlund auf sie niederkam. Schreiend versuchten sie festen Untergrund zu erreichen, doch einer war zu langsam. In einer schnellen Stoßbewegung stülpte sich das dehnbare Maul über den Flie-henden. Der Gejagudoo ließ alle vier Kiefer zuschnappen, sodass der Guul unterhalb der Knie gekappt wurde.

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Zwei herrenlose Füße flogen durch die Luft. Die hornigen, in langen Stacheln auslaufen-den Fersen galten wohl selbst unter Erdschlangen nicht als Delikatesse. Ein widerliches Geräusch von berstenden Knochen wurde laut, bevor der abtauchende Gejagudoo wieder in der Erde verschwand.

Die überlebenden Guule hielten keinen Moment im Schritt inne, sondern stolperten schreiend weiter. Ihre Panik war berechtigt. Noch ehe die erste Schwanzspitze verschwun-den war, kamen zwei weitere Schlangenmäuler an die Oberfläche. Die Neuankömmlinge mussten ihre Beute anhand der Trittgeräusche anvisiert haben, denn einer der Guule versank umgehend wie in einer Fallgrube. Bis zur Hüfte ging es in den dehnbaren Schlund hinab, bevor er von den Kiefern eingeklemmt und mit in die Tiefe gerissen wurde.

Einige übel riechende Schaumflocken, die durch die Luft wirbelten, mehr blieb nicht zurück.

Nur wenige Schritte entfernt lachte dem Tätowierten das Glück. Mit einem raschen Satz entkam er dem gefräßigen Maul, das ihn an den Beinen packen wollte. In seiner Panik geriet er jedoch ins Stolpern und schlug beinahe lang hin. Einen irren Angstschrei auf den Lippen, kämpfte er ums Gleichgewicht. Der Säbel in seiner Rechten schnitt mehrmals durch die Luft, doch die Hornplatten, mit denen sich die Schlangenmonster mühelos durch die Erde schraubten, konnte er mit solch ungezielten Schlägen nicht durchdringen.

In einer Drehbewegung schoss der Gejagudoo um den Tätowierten herum. Erst sah es so aus, als wollte er seine Beute umwickeln, dann entschied er sich dafür, sie im Rücken zu packen und in zwei Hälften zu zerteilen. Torso, Arme und Kopf zerrte er mit in die Tiefe, den Rest fraß eine weitere Schlange, die in dem Sandloch auftauchte.

„Wie viele sind das denn noch?“, stieß Matt ungläubig hervor. „Unter der Stadt muss es ja von diesen Viechern nur so wimmeln!“

Der Frekkeuscher schien gleicher Meinung zu sein. Eigenmächtig setzte er die Flucht fort, indem er sich mit seinen Sprungbeinen auf das nächstbeste Haus katapultierte. Einige lose Steine, die in die Tiefe bröckelten, ließen Matt an der Tragfähigkeit des Stockwerks zweifeln, aber zumindest waren sie hier oben für die gefräßigen Erdschlangen unerreichbar.

Die beiden letzten Guule erreichten festen Untergrund. Er schien ihnen jedoch erst sicher, als sie gut zehn Meter zwischen sich und das Sandloch gebracht hatten.

Für die Gejagudoo hatte sich die geborstene Teerdecke als ebenso ertragreich erwiesen wie ein Eisloch beim winterlichen Fischen. Die Erdschlangen konnten jedoch überall auftauchen, wo sie den Weg an die Oberfläche fanden.

Das bekamen auch die Guule auf der gegenüber liegenden Seite zu spüren, die den Tod ihrer Artgenossen mit Schrecken verfolgt hatten.

Die massiven Erdbewegungen waren nicht ohne Auswirkung geblieben. Von den Geja-gudoo unterminiert, geriet die allein stehende Fassade ins Wanken. Splitternd stürzte sie in sich zusammen und begrub etliche der Leichenfresser unter ihren Trümmern.

Doch das sah Matt nur noch aus den Augenwinkeln.

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Ein Schenkeldruck genügte, damit der Frekkeuscher zum nächsten Sprung ansetzte.

Matthew nutzte die Flucht über die Dächer, um sich neu zu orientieren. Auf sein Zeichen hin entfaltete der Frekkeuscher die Flügel, sodass er im sanften Gleitflug über die Häu-serzeilen hinweg segelte. Weiter südlich erstreckte sich eine breite Schneise, die an ein umzäuntes Areal grenzte, das an zwei weiteren Seiten von Elbe und Außenalster begrenzt wurde. Dort mussten die Bunker der Hamburger Community liegen.

Um kein unnötiges Aufsehen zu erregen, drängte Matt den Frekkeuscher zur Landung.Von nun an ging es in Bodennähe weiter, sorgfältig darauf bedacht, sich auf festem

Grund zu halten. Der Gejagudoo-Angriff steckte Mensch und Tier noch in den Knochen.Um die Orientierung zu behalten, folgte Matt einer breiten Kluft, die der ehemaligen

Rothenbaumchaussee entsprach. Vorbei an ehemaligen Theater- und Universitätsgebäuden, kam er dem Ziel rasch näher. Auf halbem Weg nahm jedoch ein Trupp Wulfanen, der einige Krüge mit vergorenen Beerensaft erbeutet hatte, die ganze Straßenbreite für sich in Beschlag.

Immer wieder „Tod allen Menschen!“ skandierend, torkelten sie Matt entgegen und boten lautstark an, den Trunk mit dem vermeintlichen Nosfera zu teilen.

Der Pilot ballte seine Rechte zu einer kämpferischen Geste, die ihm der Situation ange-messen erschien, und ritt einfach weiter. Nicht alle der schwerfällig gewordenen Wulfanen schafften es, den Frekkeuscherbeinen zu entkommen. Zwei erhielten so derbe Stöße gegen ihre Bastharnische, dass sie gegen ihre Gefährten taumelten.

Wüste Beschimpfungen wurden laut.„Blöder Blutsäufer, hast wohl Sonne unter die Kapuze bekommen?!“, war noch das

Freundlichste, was man ihm hinterher schrie. Auf die Idee, dass sich ein Mensch unter der Tarnung befinden könnte, kamen sie zum Glück nicht.

Frechheit siegt, dachte Matt, ohne sich der Illusion hinzugeben, dass es immer so glatt laufen würde.

Einige hundert Meter später schlug er sich seitlich in ein Trümmerfeld, das von der Außenalster her überspült wurde. Hier war die Gefahr, auf marodierende Mutanten zu stoßen, viel geringer.

Die Sonne hatte mittlerweile den höchsten Punkt am Himmel erreicht. Unter der Kutte wurde es stickig und heiß. Der Alltag eines Nosfera war wirklich kein Zuckerschlecken. Andererseits benötigten deren vertrocknete Körper auch mehr Wärme als die der Men-schen. Matt wischte sich den Schweiß von der Stirn, während er den Frekkeuscher über bemooste Mauern und durch enge Fensterhöhlen und Gassen lenkte, um sie unbemerkt näher ans Ziel zu bringen.

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Von Zeit zu Zeit hallte Stimmengewirr von den Wänden wider, doch in diesem Ruinenla-byrinth ließ sich nicht sagen, woher sie kamen oder wie weit sie entfernt waren. Manchmal dominierte der glucksende Akzent, der typisch für die Fischmäuler der Wulfanen war, dann setzte sich wieder der dunkle Bass eines Nosfera durch.

Zumindest diese beiden Mutantengruppen schienen sich im Kampf gegen die Menschen verbündet zu haben. Darauf ließen auch die Wortfetzen schließen, die an Matts Ohr drangen: „… die stecken doch alle unter einer Decke … verdammtes Barbaren-Gezücht … mein Bruder ist auch verschwunden …“

Aus diesem Gerede ließ sich nicht viel schließen, doch ein Satz kehrte so oft wieder, dass er sich in Matts Gedächtnis einprägte: „Hast du auch den Ruf vernommen?“

Wo immer diese Frage gestellt wurde, erscholl ein vielstimmiges: „Ja!“Was geht hier eigentlich vor? Matt hatte nicht übel Lust, der Angelegenheit näher auf

den Grund zu gehen, doch zuerst musste er sich um die Technos kümmern. Er lenkte den Frekkeuscher in einen Unterschlupf aus dicht beieinander stehenden Tannen, deren Spitzen sich wie ein großes Sägeblatt vor der Sonne abhoben. Matt glitt aus dem Sattel und setzte den Weg zu Fuß fort.

Er war noch keine zehn Schritte gegangen, als ihn ein steinernes Klacken erschreckte. Eiseskälte durchzuckte sein Rückenmark, während er in die Richtung des Geräusches spähte. Für die Länge eines Atemzugs meinte er im Schatten der nächstgelegenen Mauer eine Bewegung zu erkennen, dann war da nur noch kühle, gleichförmige Dunkelheit.

Vergeblich versuchte Matt den lichtlosen Fleck zu durchdringen, doch die Verkleidung eines Nosfera gab ihm noch lange nicht deren Nachtsicht.

Wahrscheinlich nur ein Nagetier, versuchte er sich einzureden. Aber sein in Hunderten von Kämpfen geschulter Instinkt vermeldete etwas anderes.

Was sollte er tun? Hingehen und womöglich kämpfen? Oder eine Tarnung aufrechter-halten, die eigentlich jede Heimlichkeit überflüssig machte?

Er entschied sich für Letzteres.Matt straffte den gebeugten Rücken und ging aufrecht weiter, auch wenn das die Gefahr

der Entdeckung vergrößerte.Nur noch ein mit rot blühendem Schlingkraut überwucherter Trümmerhaufen verdeckte

die Sicht auf das Bunkergelände. Matt zog sich an klebrigen Ranken empor, die auch den Füßen guten Halt boten.

Auf dem höchsten Punkt angelangt, sah er erstmals die Mutanten, deren Stimmen durch die Ruinen hallten. Die meisten von ihnen hatten sich auf der Schneise versam-melt, die nördlich des Bunkergeländes verlief. Reste eines Schienenbettes bewiesen, dass es sich um eine ehemalige S-Bahnstrecke handelte. Gut dreihundert Mutanten verteilten sich in großen und kleinen Gruppen, bevor ihm der geschwungene Straßen-verlauf die Sicht nahm. Nosfera und Wulfanen standen zumeist für sich, teilweise aber auch miteinander vereint. Überall wurde lautstark diskutiert. Vor allem darüber, wie

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sie den Zaun, der das Bunkerareal schützte, überwinden konnten, ohne in Aschehaufen verwandelt zu werden.

Einige verschmorte Körper, die an den Stahlstreben klebten, machten deutlich, wovon die Rede war. Die gesamte Konstruktion stand unter Strom!

Matt fluchte leise. Seinen Plan, das Hindernis mit dem Frekkeuscher zu überspringen, konnte er vergessen. Aus der Nähe war zu sehen, dass er es nicht nur mit einem fünf Meter hohen Zaun, sondern mit einem rundum laufenden Käfig zu tun hatte. Das auf Stelzen gelagerte Gitterdach zog sich mindestens fünfzig Meter ins Gelände hinein. Zu weit, um die Entfernung mit einem Frekkeuscher zu überbrücken.

Die Hände zu Fäusten geballt, zermarterte sich Matt den Kopf, wie er zu den Technos vordringen konnte. Einen Tunnel unter die Zäune graben? Das hatten sicher schon die Guule versucht und waren dabei vermutlich an spannungsführenden Erdnetzen gescheitert.

Was gab es dann für Möglichkeiten?„Ich finde einen Weg“, versprach Matt leise. „Das schwöre ich euch.“„Tatsächlich?“ Die Stimme in seinem Rücken konnte einen spöttischen Unterton nicht

verleugnen. „Wir sind ganz Ohr!“Verblüfft wirbelte Matt herum. Seine Hand wanderte Richtung Umhang, hielt aber auf

halbem Weg inne. Wenn er jetzt zur Waffe griff, war es mit der Tarnung aus. Kein kluger Schachzug angesichts der Mutanten-Armee, die am Zaun wartete. Außerdem hatten die beiden Nosfera, die vor ihm aus dem Boden gewachsen waren, ihre Klingen sicher schneller zur Hand als er den Driller.

„Warum so schreckhaft, Bruder?“ Wieder dieser Spott, diesmal eine Spur schärfer.Matt war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob ein muffiger Überwurf als Verkleidung

reichte. Verhüllt oder nicht, allein schon seine kräftige Statur unterschied ihn von den hageren Mutanten, die praktisch nur aus Haut und Knochen bestanden. Die beiden Nosfera, die vor ihm standen, brachten gemeinsam kaum mehr auf die Waage als er alleine.

Trotzdem ging von ihnen eine spürbare Bedrohung aus.Ihre Lederhandschuhe knirschten unheilvoll, während sie wie zufällig die Hände neben

den fein gearbeiteten Griffkörben ihrer Degen zur Faust schlossen. Was in den vertrockneten Gesichtern vor sich ging, ließ sich unter den Kapuzen nicht ausmachen. Ihre einheitliche Aufmachung zeigte jedoch, dass sie einem Clan, Orden oder Sonstigem angehörten. Le-derkombination und Überwurf bestanden aus feinstem Material. Auf Schulterhöhe waren identische Symbole in die Umhänge gestickt, bei einem in Rot, beim anderen in Blau.

Das erinnerte an die Rangabzeichen der Bluttempler, doch diese Nosfera sprachen kein verwaschenes Russisch, sondern die Sprache der eureeischen Barbaren. Wenn überhaupt, musste es sich also um einen deutschen Nosfera-Orden handeln.

„Vorhin, in den Schatten“, sagte Matt vorsichtig, „das wart ihr.“„Bestimmt hast du uns mit deinen scharfen Augen gesehen, Bruder“, drang es unter einer

der Kapuzen hervor. „Statt uns zu grüßen, bis du aber hier hinauf gestiegen. Warum nur?“

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„Sicher treibt ihn der gleiche Grund hierher wie alle anderen“, fügte der Nosfera mit den blauen Emblemen hinzu. Er schien im Rang eine Stufe tiefer als sein Weggefährte zu stehen.

Matt nickte. Würde er das Misstrauen der beiden zerstreuen können?Plötzlich kamen ihm die Wortfetzen in den Sinn, die er in den Ruinen gehört hatte.„Es war der Ruf, der mich an diesen Ort führte“, log er.„Tatsächlich?“ Dieses eine Wort genügte, um zu hören, dass jeder Spott aus der Stimme

des Nosfera verflogen war. Zurück blieb Kälte, so schneidend wie ein scharfes Messer.Sie wissen, dass ich ein Mensch bin! Die Erkenntnis traf Matt wie ein Schlag mit dem

Hammer. Warum gingen sie dann aber nicht auf ihn los? Was war das für ein grausames Spiel, das sie mit ihm trieben? Matts Lippen wurden so rau wie Sandpapier. „Außerdem suche ich meine Gefährtin Aruula“, fügte er hinzu. „Sie wurde von den Maulwürfen entführt und muss dort unten in einem der Bunker stecken.“

Die Nosfera blickten sich kurz an, gerade lange genug, um ein kaum wahrnehmbares Nicken auszutauschen. Ob der Untergebene ein Telepath war? Das würde vieles erklären. Matts zweite Antwort schien sie jedenfalls milder zu stimmen.

„So geht es dir wahrlich wie uns allen, Gefährte von Aruula“, verkündete der Anführer. „Aber hast du tatsächlich eine Idee, wie wir den heißen Zaun überwinden können?“

Matt blickte über die Schulter, hinab zu den Mutanten, die sich vor dem Bunkerareal drängten. Der bloße Hinweis auf einen Menschen, der sich in ihrer Nähe aufhielt, mochte genügen, um eine erbarmungslose Hetzjagd zu eröffnen. Nur wenn er den beiden Nosfera nützlich erschien, würden sie schweigen. Das spürte er genau.

Fieberhaft ließ Matt den Blick über die Umzäunung wandern, während sein Hirn nach einer Lösung suchte. Unter der Kapuze war es plötzlich unerträglich heiß, sodass jeder aufkeimende Gedanke sofort wieder verdorrte. Erst als er sich den Nosfera zuwandte, um sein Versagen einzugestehen, kam ihm die rettende Idee.

„Es gibt eine Möglichkeit“, versprach Matt. „Alleine ist es nicht zu schaffen, aber wenn wir zusammenarbeiten, könnte es klappen.“

Der Weg zurück ins Bewusstsein war wie die Reise durch einen dunklen Strudel, in schwin-delerregenden Kreisen immer höher hinauf, bis sie aus dem Meer der Ohnmacht ausgespien wurde. Aruulas Augenlider flatterten. Grelles Licht drang in ihre Pupillen.

Mit einem Aufschrei fuhr sie in die Höhe.„Ganz ruhig, es ist alles in Ordnung.“ Eine freundliche Stimme, ohne Namen oder Ge-

sicht. Sie sprach Englisch mit ihr. Einen Moment lang glaubte Aruula schon, wieder in Landàn zu sein, doch so sehr sich auch bemühte, mehr als ein paar Schemen, die sie dicht umstanden, ließen sich nicht ausmachen.

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Ihre Hand fuhr über die Schulter. Vergeblich. Der Griff des Bihänders befand sich nicht an der gewohnten Stelle. Sie war entwaffnet worden.

„Was ist mit ihr? War das Mittel zu stark?“ Die gleiche Stimme, diesmal besorgt.„Sie ist nur ein wenig orientierungslos, das gibt sich wieder.“ Diesmal sprach Tanja, die

Frau, die sie überwältigt hatte!Aruula wäre gerne wütend geworden, doch die Übelkeit, die in ihren Eingeweiden tobte,

ließ keinen Platz für andere Gefühle. Mühsam unterdrückte sie den Brechreiz, der ihre Kehle auf und ab tanzte. Sobald sich ihr Blick klärte, wurde es besser. Nur im Hinterkopf blieb ein schmerzhaftes Pochen zurück.

Das Erste, was Aruula bewusst wahrnahm, war die unbequeme Liege, auf der sie mit ausgestreckten Beinen saß. Danach fiel ihr auf, dass sie von gut einem Dutzend Technos umringt wurde, die in dem kleinen, streng nach Sauberkeit riechenden Raum nur mühsam Platz fanden.

Alle starrten sie gebannt an. Die Männer ihre blanken Brüste, die Frauen das schwarze Haar, das über ihre Schultern wallte.

Aruula stützte sich mit beiden Händen auf der Liege ab und schwang die Beine zur Seite. So ließ es sich besser sitzen. Ihre Finger krampften sich dennoch in die überstehende Liegefläche, um das Gleichgewicht zu halten.

„Möchtest du ein Glas Wasser?“ Der Mann mit der freundlichen Stimme drängte sich in den Vordergrund. Abgesehen von seinem aufgebläht wirkenden Schädel besaß er ein beinahe sympathisches Äußeres. Lachfalten kerbten die Augenwinkel ein, außerdem hatte er eine Stupsnase, die in den Himmel zeigte. Fast ein bisschen niedlich, fand Aruula.

„Leutnant, ein Glas Wasser für die Dame.“ Seine Stimme klang plötzlich befehlsgewohnt. Vielleicht war der scheppernde Helmlautsprecher daran schuld. An die Barbarin gewandt, ging es in gewohnt freundlichem Ton weiter: „Dein Name ist Aruula, nicht wahr? Ich bin Kanzler Stoll, das Ratsoberhaupt der Speicherstadt. Im Namen aller Einwohner heiße ich dich bei uns willkommen!“

Die Barbarin nahm ein transparentes Gefäß entgegen, das ihr gereicht wurde. Sie trank in kleinen Schlücken daraus, um Zeit zu gewinnen, während sie die Technos eingehend musterte. Was erwarteten diese unter Glas eingelegten Kahlköpfe eigentlich von ihr? Das sie zu der Entführung auch noch Danke sagte?

Das Wasser half, die rauen Stimmbänder zu glätten. Trotzdem klang es ein wenig kratzig, als sie entgegnete: „Ich kann mich nicht erinnern, eine Einladung angenommen zu haben.“

Verlegenes Hüsteln ließ so manche Helmmembrane erzittern. Den Technos schien die Geiselnahme tatsächlich unangenehm zu sein. Nur Tanja Dang bedachte die Barbarin mit einem abfälligen Blick. Aruula versuchte zu erlauschen, ob das schlechte Gewissen des Kanzlers echt oder nur zur Schau gestellt war. Doch sobald sich der Lauschsinn entfaltete, schwoll das Pochen im Hinterkopf schmerzhaft an.

Überrascht kapselte sie ihren Geist wieder ein. Es war gar keine Nachwirkung der Ohn-

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macht, die beständig auf sie einhämmerte, sondern eine geräuschlose Vibration, die diesen Raum, wenn nicht gar den ganzen Bunker erfüllte.

„Ich muss mich für das grobe Verhalten unseres medizinischen Personals entschuldi-gen“, riss der Kanzler sie aus ihren Gedanken. „Frau Dang ist bei der Kontaktaufnahme zweifellos übers Ziel hinaus geschossen, aber wir müssen ihr zugute halten, dass sie nur das Beste für die Speicherstadt im Sinne hatte.“

Mit tadelndem Blick wendeten sich mehrere Technos zu der Gescholtenen um, die nun doch schuldbewusst die Augen niederschlug. „Tut mir leid, dass ich so grob war“, brachte sie gepresst hervor.

Aruula gefiel es, die böse Frau so zerknirscht zu sehen. „Schon gut“, gab sie sich groß-mütig, schaukelte mit den Beinen und sah Stoll neugierig an. „Was ist nun so furchtbar Schlimmes passiert, dass ihr mich hierher gebracht habt? Vielleicht kann ich ja wirklich helfen.“

Lautes Aufatmen in der ganzen Runde. Aruula nahm einen Schluck Wasser, um ihr Grinsen zu überdecken. So richtig bedrohlich wirkten die Technos nicht auf sie, zumal ihr plötzlich jeder Wunsch von den Augen abgelesen wurde. Als ein leises Knurren in ihrer Magengegend ertönte, beorderte Stoll sogleich eine Mahlzeit herbei. Während Aruula sich insgeheim die kommenden Köstlichkeiten ausmalte, setzte der Kanzler zu der gewünschten Erklärung an.

„Man hat mir berichtet, dass du schon einmal Kontakt zu britischen Communities hattest“, begann er umständlich. „Sicherlich hast du dort die Schwierigkeiten erlebt, die es mit sich bringt, wenn man den Bunker nur in Schutzanzügen verlassen kann.“

Aruula nickte. Der Wunsch nach Bewegungsfreiheit beherrschte alle Technos, die sie kannte.

Ein triumphierendes Lächeln kerbte Stolls Mundwinkel ein. „Siehst du“, heischte er um Zustimmung, „uns geht es genauso. Darum haben wir versucht, aus einer Kombination verschiedener Gene einen Impfstoff zu entwickeln, der unsere Körper widerstandsfähiger … Ach, du verstehst wahrscheinlich gar nicht, was ich meine, oder? Es geht um eine Art Me-dizin. Wenn wir sie schlucken, könnte ich mich mit dir unterhalten, ohne diesen dummen Anzug tragen zu müssen. Die Bakterien in deinem Körper … winzig kleine Lebewesen, die für normale Menschen ungefährlich sind, und aber krank machen, könnten mir dann nichts mehr anhaben.“

Also etwas wie das Serum, das Mr. Black an die östlichen Communities verteilt hat. Aruula nickte, um zu zeigen, dass sie den Worten folgen konnte. Stoll schien begeistert von ihrer schnellen Auffassungsgabe, gleichzeitig schlich sich ein gequälter Ausdruck in seine Züge.

„Leider hat es einen Unfall gegeben“, erklärte er. „Die Laboratorien im vierten und fünften Kellergeschoss wurden komplett abgeschottet. Und der einzige Mann, der den Zutrittscode kennt, befindet sich auf der anderen Seite der Hauptschleuse.“

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Ein Techno trug ein Tablett herein, auf dem ein dampfender Teller stand. Aruulas Träume von Wakuda-Keule und Brabeelenkompott zerstoben beim Anblick bunter Portionen, die eine breiartige Konsistenz aufwiesen. Nach einem Probebissen, der durchaus würzig schmeckte, löffelte sie die Mahlzeit aber trotzdem in sich hinein.

Ein Blick in Richtung des Kanzlers signalisierte, dass er fortfahren sollte.Das Bunkeroberhaupt schwieg noch einen Moment, als müsste er die nächsten Worte

besonders gründlich abwägen. Beschwörend hob er an: „Jetzt kommt der Punkt, an dem wir dringend deine Hilfe brauchen, Aruula. Herr Geyer, der Wissenschaftler auf der anderen Seite, wurde bei dem Unfall schwer verletzt. Er kann uns die richtige Kombination nicht mehr mitteilen, deshalb brauchen wir jemanden, der seine Gedanken liest und uns so Zutritt zu den unteren Stockwerken verschafft. Wenn man der Auswertung unseres Mentalscanners glauben darf, bist du eine Person, die zu solch einer großen Tat fähig ist. Verstehst du?“

„Sicher!“ Aruula legte den Löffel beiseite und begann den Teller abzulecken. Aus den Augenwinkeln konnte sie beobachten, wie einige Technos das Gesicht verzogen. Eine Reaktion auf ihre Tischmanieren, die Aruula diebisches Vergnügen bereitete – denn ei-gentlich hatte sie sich diese Unsitte bereits seit Jahren abgewöhnt. Zufrieden stellte sie den Teller beiseite.

„Bringt ihr mich danach zu meinen Freunden zurück?“, wollte sie wissen.Der Kanzler breitete die Hände in einer theatralischen Aber-selbstverständlich-Geste

aus. „Natürlich. Wofür hältst du uns denn?“Aruula Beifall blieb verhalten. Es gab noch etwas, das sie von den Technos wollte. „Mein

Schwert“, forderte sie. „Gebt es mir zurück. Sonst fühle ich mich nicht sicher.“Stolls Augen verdunkelten sich. Der Zwiespalt, in dem er sich befand, zeichnete sich

deutlich auf seinem Gesicht ab.Eine scharfe Klinge in den Händen einer Barbarin – konnte er dieses Risiko eingehen?

Schließlich reichte schon ein simpler Schnitt, um den Schutzanzug eines Technos zu zerstören. Andererseits – wenn Aruula ihnen helfen sollte, mussten sie ihr dann nicht auch Vertrauen entgegen bringen?

Nach kurzem Überlegen entschied er sich zugunsten der Barbarin. Der Mann, der das Schwert verwahrte, wurde herbei gerufen. Die Waffe wanderte zurück in Aruulas Rü-ckenhalterung.

Unter den Technos breitete sich atemlose Spannung aus. Einige Soldaten hoben sogar die Mündung ihrer Lasergewehre an, um gegen eine überraschende Attacke gewappnet zu sein.

Aruula hatte jedoch nicht vor, sich in einen aussichtslosen Kampf zu stürzen. Ihre Würde war wieder hergestellt worden, das genügte ihr vorläufig. „Gut“, sagte sie zufrieden. „Be-eilen wir uns. Ich will zu meinem Gefährten zurück.“

Einige Technos applaudierten erleichtert, während Stoll reihum Befehle erteilte: „Lieb-nau, sorgen Sie für einen abgeschotteten Korridor zu Schleuse vier. Alle Bewohner ohne

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Schutzanzug dürfen die keimfreien Bereiche nicht mehr verlassen. Hauptmann Reuter, Dompteure bereithalten. Niemand weiß, wie es in den unteren Stockwerken aussieht. Medizinisches Personal, Leibgarde und Ratsmitglieder begleiten mich.“

Die ruhige Stimme des Kanzlers schwankte bei keinem Wort. An der präzisen Art, wie seine Anweisungen ausgeführt wurden, zeigte sich, welch großen Respekt er bei den Technos genoss.

Ein guter Häuptling, dachte Aruula, während sie von der Liege glitt. Das Pochen unter ihrer Schädeldecke hielt zwar unvermindert an, trotzdem war sie sicher, die gewünschte Information erlauschen zu können. Und falls nicht, war es auch nicht tragisch. Sie musste ja nicht im Anzug herum laufen. Ihr genügten zwei kniehohe Stiefel und ein knapper Lendenschurz aus Taratzenfell, um auf der Oberfläche zu bestehen.

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Während sie einige Technos, die ihr etwas zu unverblümt auf den blanken Busen starrten, mit tadelnden Blicken bedachte, hörte sie den Helmlautsprecher des Kanzlers schnarren. „Leutnant Bogner an Führungsstab. Im nördlichen Sektor braut sich etwas zusammen. Sieht so aus, als ob einige der Rudel einen Plan verfolgen.“

Stoll schien irritiert, wenn nicht gar verärgert über die Störung. „Zaunspannung aufrecht erhalten und bei Bedarf Feuerbefehl erteilen“, gab er kurz angebunden zurück. „Zukünf-tig etwas mehr Eigeninitiative, Herr Leutnant. Hier unten geht es in die heiße Phase der Operation.“

„Probleme?“, fragte Aruula, während sie zum Flur begleitet wurde. Am Ende des Ganges wartete schon ein offener Fahrstuhl, um sie drei Etagen tiefer zu bringen.

Der Kanzler winkte lässig ab. „Nur ein bei paar streunende Tiere, die an unser Tür kratzen. Reine Routine.“

„Die Krieger stehen bereit, Bruder Gandar!“Der Nosfera mit den roten Emblemen, der sich als Haupt der Nachtwandler, eines doyzen

Nosfera-Ordens, vorgestellt hatte, nahm die Meldung schweigend entgegen. Während er sich Matthew Drax zuwandte, fiel Sonnenlicht unter seine Kapuze. Zwei matte Reflexe markierten die Position seiner Augen. Mehr war in dem Schatten, der das Gesicht bedeckte, nicht zu sehen. Trotzdem strahlte er Würde und Weisheit aus, als er sagte: „Fast dreihundert Nosfera und Wulfanen warteten auf dein Kommando, Bruder Maddrax. Alles Weitere liegt bei dir.“

Matt hatte etwas Mühe, seinen unruhig umher tänzelnden Frekkeuscher im Zaum zu halten. Ob das Tier bereits ahnte, was auf sie zukam?

Der Blick des Piloten wanderte über die lange Reihe von Mutanten, die mit dem Rücken zum Zaun Aufstellung genommen hatte. Jeder von ihnen hielt Ast, Rohr oder Pfahl in Händen, gerade das, was in den Ruinen auf die Schnelle zu finden gewesen war.

„Also gut“, befahl Matt mit lauter Stimme. „Fangt an!“Dreihundert Armpaare rissen ihre Schlagwerkzeuge in die Höhe – und ließen sie zurück

auf den Boden prallen. Ein dumpfes Schlaggewitter ertönte, ungeordnet und disharmonisch. Die versammelte Schar besaß keine militärische Disziplin, deshalb hämmerten alle wild durcheinander. Mit der Zeit kristallisierte sich jedoch ein einheitlicher Rhythmus heraus, der als dumpfe Schwingung durch den Boden getragen wurde.

Matt musste den scheuenden Frekkeuscher hart an die Kandare nehmen, damit er nicht in Richtung Zaun ausscherte. „Ganz ruhig, mein Lieber.“ Die Streicheleinheiten auf den bepelzten Hinterkopf zeigten Wirkung. „Ich weiß, dass durch die Erschütterungen Geja-gudoo angelockt werden. Das ist ja der Sinn der Übung.“

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Minutenlang setzte sich das Stampfen fort. Den ersten Mutanten wurden die Arme lahm, doch einige Ordensbrüder, die an der Doppelreihe entlang liefen, sorgten dafür, dass niemand nachließ. Auch wenn die Muskeln schmerzten, es musste weitergehen.

Die Zeit verrann und zerrte an den Nerven.Obwohl Matt die Gejagudoo fürchtete, wünschte er sich nichts sehnlicher als ihr Erschei-

nen herbei. Jede Minute, die ereignislos verstrich, gab seinen Plan weiter der Lächerlichkeit preis. Ein Scheitern konnte leicht mit seinem Ableben enden.

Schon wurden erste Spottrufe laut.Da bemerkte Matt, wie sich die Haltung des Frekkeuschers versteifte. Sekundenlang

stand das Insekt völlig regungslos, dann warf es seinen grünen Kopf in die Höhe.Gandar sah bereits, was vor sich ging, ehe Matt ihn darauf aufmerksam machen konnte.

Mit einer herrischen Geste befahl der Nosfera, das Klopfen einzustellen. Seine Ordensbrüder sorgten dafür, dass alle sofort inne hielten.

Unnatürliche Ruhe breitete sich aus. Nur der Frekkeuscher rieb nervös die Sprungbeine aneinander. Die Blicke richteten sich auf Roderik, den Nachtwandler mit den blauen Ordensemblemen. Gandars Stellvertreter strich die Kapuze zur Seite, kniete nieder und presste seine verschrumpelte weiße Ohrmuschel auf den Boden. Einige Wulfanen machten es ihm nach, weil sie dem eigenen Gehör mehr Vertrauen schenkten. Es war jedoch Ro-derik, der als Erster in die Höhe sprang und rief: „Da sind Erschütterungen im Erdreich! Die Gejagudoo kommen!“

Es bedurfte keines Rückzugssignals, um die Mutanten auf festen Grund zu beordern. Jeder, der noch bei klarem Verstand war, rettete sich auf die intakte Fahrbahndecke und von dort weiter auf Bäume und Mauerreste. Jeder, nur nicht Commander Matthew Drax, Ex-US-Airforce-Pilot und anerkannter Selbstmordkandidat, dessen Aufgabe es war, die Erdschlangen weiter anzulocken.

Sein Frekkeuscher wollte dieses mörderische Spiel nicht mitmachen, doch Matt wickelte sich die ledernen Zügel um beide Hände und brachte das Tier zur Raison. Es war ein stiller Kampf zwischen Insekt und Reiter, bis der Frekkeuscher widerwillig einlenkte und am Zaun auf und ab lief.

Das Trappeln der sechs Beine dröhnte ungewohnt laut in aller Ohren. Matt war sich nie darüber klar gewesen, welchen Lärm ein normaler Ritt verursachte. Besonders für jene, die ihr Leben jenseits der Grasnarbe fristeten.

Nervös beobachtete er den schmalen Streifen, auf dem sie entlang trabten. Erzitterten die Halme dort vorn wegen unterirdischer Schwingungen, oder wiegten sie sich einfach nur im Wind? Schweiß sammelte sich in Matts Nacken, während die Doppelkrallen der Heuschrecke übers Gras stampften.

Haltung bewahren, mahnte er sich. Der Plan durfte nicht durch Ängstlichkeit gefährdet werden. Im Zweifelsfall war es ohnehin besser, sich auf den Instinkt des Frekkeuschers zu verlassen. Das Tier lief inzwischen ruhig am Zaun entlang. Matt ließ die Zügel locker.

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Ein Entgegenkommen, das er umgehend bereute, weil sich das Insekt sofort senkrecht in die Luft katapultierte.

„Hey, was …?“, protestierte Matt, der sich nur mit Mühe im Sattel halten konnte.Die Antwort folgte in Form einer brüllenden Sandfontäne, die neben ihnen empor schoss.

Unter dem körnigen Schleier zeichnete sich der Schatten eines Gejagudoo ab. Rasend schnell stieg das Tier in die Höhe, als hätte es den Sprung des Frekkeuschers voraus geahnt. Das Maul streckte sich Insekt und Reiter entgegen. Hinter den auseinander klappenden Kiefern glänzte ein dunkelroter Schlund von gut zwei Metern Durchmesser.

Die folgenden Sekunden dehnten sich für Matt zu einer Ewigkeit. Wie in Zeitlupe kam der Kopf des Gejagudoo immer näher heran. Jeder einzelne Zahn zeichnete sich in aller Deutlichkeit an den vier Kiefern ab.

Die Erdschlange war ein geschickter Jäger. Statt nach dem aufsteigenden Insektenleib zu schnappen, attackierte sie lieber die ausgestreckten Sprungbeine, die viel tiefer hingen.

Verdammt, das wurde eng!Zu eng.Matt verpasste fast den Moment, in dem der Gejagudoo zuschnappte. Plötzlich ging alles

blitzschnell. Messerscharfe Zähne gruben sich in einen der Läufe. Gleichzeitig krallte sich der Gejagudoo im Boden fest. Der Frekkeuscher kam mit einem mörderischen Ruck zum Stillstand und fiel zurück – in einem Bogen direkt auf den Elektrozaun zu!

Auch ein Ausbreiten der Flügel konnte die Wucht nicht mindern, mit der er aufkam. Berstendes Chitin erfüllte die Luft, als die Flügelpaare in der Mitte abknickten.

Matts Verstand setzte vollkommen aus, seine Reflexe gewannen die Oberhand. Ohne nachzudenken, stemmte er sich im Sattel hoch und stieß sich ab, weg vom Zaun. Gleißende Lichtkaskaden begleiteten seinen Weg in die Tiefe.

Gejagudoo und Frekkeuscher krachten gemeinsam in die Gitterstreben, die das Bunke-rareal umzäunten. Mehrere tausend Volt peitschten durch ihre riesigen Leiber, die sich in Agonie wanden.

Dem Gewicht beider Kreaturen konnte selbst die eiserne Konstruktion nicht widerstehen. Von einem dichten Netz aus züngelnden Blitzen umgeben, brach alles in sich zusammen.

Matt kam unmittelbar neben dem Hinterleib des Gejagudoo auf. Frisch aufgewühlter Sand dämpfte seine Landung, die nach einer Schulterrolle auf dem Rücken endete. Das Gebrüll des verbrennenden Frekkeuschers gellte in seinen Ohren, während er sich in die Höhe stemmte.

Das Tier starb, weil es ihm gehorcht hatte. Kein schöner Gedanke.Matts Gehirn blendete alles aus, was seinem primären Ziel – zu überleben – entgegen

stand. In weiten Sätzen hetzte er auf die überwucherte Fahrbahn zu. Links und rechts von ihm brachen weitere Gejagudoo zwischen Gras und Schlingkraut hervor. Die seismischen Schwingungen ihres tobenden Artgenossen hatten sie fehlgeleitet. Erst als sie mit den Körpern bereits aus dem Boden waren, sahen sie, dass ihnen die Beute entwischte.

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Matt warf sich auf die intakte Teerdecke, rappelte sich auf und lief weiter. Weg, nur weg! Der Gestank von verbranntem Fleisch wogte widerlich penetrant über ihn hinweg.

Matt spürte eine Erschütterung unter seinen Füßen.Rings um ihn entstanden Risse in der Fahrbahn, die sich zu einem spinnennetzförmigen

Muster ausweiteten. Matt erhöhte sein Tempo, sprang über einige Trümmerstücke und schwang sich auf die rostige Karosserie eines zerfallenen Magirus Deutz. Hinter ihm gab es weitere Erschütterungen. Teerstücke spritzten durch die Luft, gefolgt von einem Gejagudoo-Kopf, der sich einen halben Meter in die Höhe schraubte, bevor er überraschend vorsichtig die Umgebung sondierte.

Die verkohlten Leiber seiner Artgenossen schienen ihm die Lust am Angriff zu nehmen. Zwei weiteren Bestien, die nahe dem Zaun empor blickten, ging es nicht anders. Ihre primitiven Hirne verstanden zwar nicht, was gerade vorgefallen war, aber dass Gefahr drohte, witterten sie ganz genau.

Mit aufgestellten Hornplatten gruben sie sich zurück in den Boden und verschwanden so lautlos, wie sie gekommen waren.

Stille senkte sich über das Schlachtfeld. Nur Matts eigener Herzschlag trommelte in seinen Ohren, während er die Stelle betrachtete, wo Gejagudoo und Frekkeuscher den Zaun ein-gedrückt hatten. Die dabei entstandene Lücke maß knapp zwei Meter, das musste genügen.

Matt sah sich zu den Mutanten um, die alles aus sicherer Entfernung verfolgt hatten. Keiner machte Anstalten, näher zu kommen. Wer wollte ihnen verdenken, dass sie dem Frieden noch nicht recht trauten? Die Gejagudoo konnten durchaus noch unter der Erdoberfläche lauern, für Stunden oder Tage sogar.

Einer würde den Minensucher spielen müssen, und wie es aussah, blieb diese Aufgabe erneut an dem Mann aus der Vergangenheit hängen. Lasst doch den Menschen die Drecks-arbeit machen! In Gedanken zitierte Matt eine depressive TV-Figur mit viel zu kurzen Armen vom Anfang des 21. Jahrhunderts:

Mist!Doch in der Tat war Beeilung angesagt. Die Technos durften nicht zur Besinnung kommen.Entschlossen zog er den Driller und sprang von der Karosserie herab. Der Aufprall pflanzte

sich zweifellos unter der Erde fort, trotzdem blieb alles ruhig. Im Zickzacklauf ging es über Straße und S-Bahnschneise hinweg, doch Matts Vorsichtsmaßnahmen erwiesen sich als überflüssig. Kein Gejagudoo ließ sich mehr blicken. Die Biester schienen tatsächlich genug zu haben.

Vor dem zerstörten Gitter angelangt, hielt Matt den Atem an, wegen des bestialischen Gestanks, den die verkohlten Tiere verströmten.

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Züngelnde Entladungen bewiesen, dass die Gitterstäbe weiterhin Strom führten. Matt spürte, wie seine Knie weich wurden. Hoffentlich war die Spannung nicht so hoch, dass er beim Sprung einen Lichtbogen auslöste.

Bloß nicht zu lange überlegen, sonst verließ ihn noch der Mut.Geschwindigkeit war sein einziger Trumpf.Er nahm drei Schritte Anlauf und stieß sich mit dem rechten Fuß ab. Während er die

Lücke passierte, stellten sich ihm die Haare auf, aber das war auch schon alles. Die leise brummenden Stäbe blieben zurück, ohne ihn zu grillen. Wieder auf dem Boden angekom-men, musste Matt nur noch einem kreisrunden Stück Drahtgeflecht ausweichen, das von oben herab hing.

Danach war der Weg endgültig frei.Er wartete nicht auf die Mutanten. Den Driller in der Rechten, hetzte er unter dem sum-

menden Dach hinweg, bis er freies Gelände erreichte. Ein Blick über die Schulter zeigte, dass die ersten Nosfera am offenen Zaun ankamen. Durchweg Nachtwandler. Gandar wagte als erster von ihnen den Sprung aufs Gelände. Die anderen folgten. Und hinter ihnen nahte die große Gruppe der unorganisierten Nosfera und Wulfanen.

Matt war das nur recht. Die Technos hatten vermutlich längst gemerkt, was sich hier zusammenbraute. Falls es zum Kampf kam, konnte er Verstärkung brauchen. Oder besser gesagt – Ablenkung. Matt dachte nämlich gar nicht daran, mit den blutrünstigen Mutanten länger als unbedingt nötig gemeinsame Sache zu machen.

Mit raschem Blick orientierte er sich auf dem eingezäunten Areal. Zur Linken erhoben sich die Ruinen des Congress Centrums. Vor ihm lag eine Rasenfläche, die durch die Jahrhunderte baumfrei gehalten worden war. Knapp tausend Meter entfernt erstreckte sich eine große Betonpiste, auf der ein roter Landekreis eingezeichnet war. Dort musste das TFG niedergegangen sein.

Zweihundert Meter weiter rechts ragte eine halbrunde Betonkuppel auf, die nur eine Stahltür aufwies.

„Dort gehen die Kahlköpfe ein und aus!“, keuchte Gandar, der inzwischen zu Matt auf-geschlossen hatte. „Wenn wir die Tür aufgebrochen haben, machen wir kurzen Prozess.“ Mit der Spitze seines Degens deutete er auf das anvisierte Ziel. Die übrigen Ordensbrüder zogen ebenfalls blank. Nachfolgende Wulfanen schwenkten Schwerter und Säbel. Brüllend stürmten sie vor, einer ungleichen Auseinandersetzung entgegen.

Matthew ließ den wilden Haufen an sich vorüber ziehen, bevor er sich in Richtung des Congress Centrums wandte. Gegen die Laserkanonen der Technos kam man nicht mit blanker Klinge an, da bedurfte es schon ein subtileres Vorgehens. Er tauchte gerade hinter der entglasten Front ab, als auf der Betonkuppel ein Geschützrohr ausgefahren wurde.

In dunkler Ahnung der heraufziehenden Gefahr verlangsamten die Mutanten ihre Schritte. Ehe Matt eine Warnung rufen konnte, fauchte schon die erste Salve über das freie Feld.

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Leder, Bast oder Körperhaar konnten die gebündelten Lichtstöße nicht aufhalten. Gnadenlos durchschlugen sie jeden Widerstand und hinterließen dampfende Austrittswunden.

Fünf Mutanten brachen auf der Stelle zusammen. Einige waren tot, bevor sie den Boden berührten. Andere wälzten sich schreiend in ihrem eigenen Blut.

Gandar wurde ebenfalls anvisiert, konnte sich aber durch einen Hechtsprung zur Seite retten. In seinem Umhang entstand ein schwelendes Brandloch, ansonsten blieb er unver-sehrt.

„Auseinander!“, befahl er den konfusen Mutanten. „Verteilt euch, damit die Maulwürfe nicht wissen, auf wen sie zuerst schießen sollen.“ Eine kurze Feuerpause nutzend, versuchte er Ordnung in die Angriffsreihen zu bringen, doch es war schon zu spät.

Panik breitete sich aus.Von der überlegenen Technik eingeschüchtert, rannten die meisten Angreifer zurück

zum Zaun. Andere, wie Gandar und seine Mannen, stoben auf der Suche nach Deckung auseinander. Wenn es den Ordensbrüdern gelang, sich bis Einbruch der Nacht zu verstecken, waren sie mit ihren scharfen Augen jedem Menschen überlegen.

Die Technos vereitelten diese Taktik und nahmen alle, die nicht flohen, gezielt unter Feuer. Zwei Nosfera, die auf der Landebahn umher irrten, gingen in Flammen auf. Sie hatten gehofft, irgendwo dort in die Tiefe zu gelangen. Über einen Aufzug für die TFG vielleicht?

Das Feuer konzentrierte sich plötzlich auf Gandar, den man als Anführer identifiziert hatte. Schuss um Schuss fauchte aus der Kanone, doch dem wendigen Nachtwand-ler gelang es stets aufs Neue, den Strahlen auszuweichen. Schwarze Brandflecken säumten seinen Fluchtweg. Selbst der Beton auf der Piste schmolz unter den hohen Temperaturen.

Mit einem verzweifelten Sprung brachte sich Gandar hinter einem Mauerrest in Sicher-heit, der kaum als Deckung taugte. Drei kurze Feuerstöße reichten aus, um die brüchigen Ziegel in geschmolzenen Quarz zu verwandeln.

Gandar war erneut schutzlos. Eine Feuerpause – vermutlich um die Konverter aufzuladen – räumte ihm jedoch eine letzte Galgenfrist ein.

Matt streifte die Kapuze seines Umhangs ab, um besser sehen zu können. Was konnte er tun, um Gandar zu helfen? Unschlüssig schätzte er die Entfernung zur Betonkuppel ab. Ob er nahe genug für einen gezielten Schuss aus dem Driller war?

Gandar blickte zu ihm herüber, ohne jede Verwunderung, einen Menschen zu sehen. Der Nachtwandler hatte es also die ganze Zeit gewusst.

Matt erhob sich aus der Deckung und streckte den Arm aus, um die Kanone anzuvisieren, als ein hohes Singen ertönte. Keinen Meter entfernt platzte die moosbewachsene Wand auseinander. Aufsteigender Dampf entblößte einen glitzernden Schmelztrichter. Klarer Fall von Laserbeschuss. Matt wollte herumwirbeln, aber eine scharfe Stimme ließ seine Drehung gefrieren: „Halt, Commander! Keine falsche Bewegung!“

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Der Befehl kam auf Englisch! Matt senkte die Waffe und drehte sich betont langsam um. Erst als er in die Mündungen von vier Lasergewehren starrte, polterte der Driller zu Boden.

Hinter ihm nahm die Bunkerkanone erneut das Feuer auf. Für die Nosfera und Wulfanen sah es schlecht aus.

Einer der vier Technos in Schutzanzügen, die ihn bedrohten, trat hinter einem von Schling-kraut bewachsenen Mauerrest hervor. „So ist es schon viel besser, Air Force.“

Matt sah an sich herunter, aber seine Uniform wurde von dem Umhang verdeckt.„Woher wissen Sie, wer ich bin?“, fragte er verwirrt.Der Techno lachte dumpf unter seinem Helm. „Wir sind uns schon mal begegnet, Com-

mander; nun ja, fast. Vor einigen Stunden, als Sie auf dem TFG herumgetanzt sind. Mir scheint, meine Vorgesetzten haben Ihre Hartnäckigkeit unterschätzt. Ich bin übrigens Leutnant Bogner.“

„Matthew Drax; meinen Dienstgrad kennen sie ja schon“, stellte auch Matt sich vor. „Sie haben meine Gefährtin entführt, Leutnant. So etwas nehme ich im Allgemeinen sehr übel, besonders bei Bunkerleuten, von denen man eigentlich ein zivilisierteres Verhalten erwarten könnte.“

Bogner deutete ein verständnisvolles Nicken an. „Aruula ist unversehrt“, versicherte er. „Schieben Sie Ihre Explosivwaffe mit dem Fuß herüber, Commander. Dann können Sie sich selbst davon überzeugen, wie gut es der Dame geht.“

Angesichts der auf ihn gerichteten Lasergewehre blieb Matt keine große Wahl. Ein kurzer Tritt und der Driller schlitterte dem Techno entgegen. Bogner nahm ihn auf und ließ die eigene Waffe sinken.

„Alles klar“, sagte er in Richtung seiner Männer. „Wir nehmen den Ami mit nach unten.“

Matt begleitete die Technos zwei Räume weiter, zu einer getarnten Schleuse, die ins Bunkersystem hinab führte. Bogners Männer schienen nicht gerade davon begeistert zu sein.

„Wissen Sie wirklich, was Sie da tun, Herr Leutnant?“, fragte einer von ihnen.„Aber sicher“, grinste Bogner. „Ich entwickle Eigeninitiative.“

Ein bläulich schimmerndes Stahlschott versperrte den Zugang. Groß und wuchtig, wie es war, strahlte es etwas Endgültiges aus. Handräder oder Griffe suchte man daran vergeblich; beinahe so, als ob es nicht dafür konstruiert worden wäre, sich jemals zu öffnen.

„Titanlegierung, anderthalb Meter dick“, sagte Kanzler Stoll, als ob das von besonderer Bedeutung wäre. „Mit unseren mobilen Laserkanonen kommen wir da nicht durch. – Wie viel Zeit bleibt uns noch zur Umweltkontrolle?“

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Eggers, dem die Frage galt, starrte auf den am linken Arm befestigten PDA. Seine Finger flogen über die Tasten, bis das gewünschte Ergebnis aufblinkte.

„Noch neun Stunden und achtundzwanzig Minuten, bevor der Sauerstoffanteil unter ein kritisches Niveau fällt“, teilte er beflissen mit.

Stolls Lippen pressten sich zu einem schmalen, blutleeren Strich zusammen. Der kahle Schädel unter seinem Glashelm glänzte wächsern, während er Aruula eindringlich ansah. „Wenn wir die Umweltkontrolle nicht bald wieder in Gang bekommen, müssen die Be-wohner der Speicherstadt qualvoll ersticken.“

„Ich tue alles, was in meiner Macht steht“, versprach die Barbarin.Der Kanzler seufzte dankbar, doch die Anspannung auf seinem Gesicht blieb. Gemeinsam

durchschritten sie den kurzen Flur, der vom Fahrstuhl aus zur Schleuse führte. Links und rechts gingen zwei normale Türen ab, bevor sie an eine abmontierte Schalttafel gelangten, aus deren Inneren eine Handvoll Drähte ragte. Zwei von ihnen waren mit einem tragba-ren Computer verbunden, auf dessen LED-Bildschirm ständig wechselnde Zahlenfolgen blinkten.

Ein Techno, der das laufende Programm beobachtete, sah zu Stoll auf und schüttelte den Kopf. „Nichts“, bedauerte er. „Es kann Tage dauern, bis wir den Code auf diese Weise entschlüsseln.“

Der Kanzler sah auf das entblößte Stahlgerippe in der Wand. „Die Gegensprechanlage funktioniert noch?“

„Kein Problem.“ Eggers trat neben ihn, machte sich an der pendelnden Abdeckung zu schaffen und hielt Sekunden später ein quadratisches Bauteil in der Hand. Den hiesigen Teil der Gegensprechanlage. Einen Knopfdruck später fragte er: „Herr Geyer, hören Sie mich?“

Bedrückende Stille folgte, dann ein brüchiges: „Lasst mich doch in Ruhe sterben!“„Gott sein Dank, er lebt noch.“ Einer der umstehenden Technos sprach aus, was alle

dachten.„Moment mal – ihr könnt mit ihm reden?“, fragte Aruula verblüfft. „Aber … warum

fragt ihr ihn nicht einfach, wie man die Türe öffnet?“Aruula konnte förmlich spüren, wie der Kanzler innerlich zusammenzuckte, auch wenn

er sich äußerlich nichts anmerken ließ. Er gab dem Techniker einen Wink, der die Ver-bindung deaktivierte.

„Tut mir leid, wenn ich mich vielleicht missverständlich ausgedrückt habe, Miss Aruula“, ließ er dann vernehmen, „aber unser Problem ist … Nun, Herr Geyer weigert sich, die Kombination zu nennen. Sein Geist ist verwirrt. Ihm ist es egal, wenn wir alle hier draußen sterben.“

„Oh.“ Aruula schauderte. In Gedanken eines Verrückten einzudringen war immer ein Risiko. Man konnte selbst Schaden nehmen, wenn man sich zu lange darin verweilte, und musste zudem den Zorn der Götter fürchten, die ja nicht ohne Grund den Geist des Betroffenen mit einem Fluch belegt hatten.

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Aber in diesem Fall ging es nur darum, eine Reihenfolge von Zahlen und Symbolen zu erlauschen, wie Stoll ihr erzählt hatte. Dieses Risiko war also tragbar.

„Nun?“, fragte Kanzler Stoll, als Aruula nicht antwortete. „Können wir anfangen?“Die Barbarin spürte die erwartungsvollen Blicke in ihrem Nacken. Es war angenehm und

erschreckend zugleich, im Mittelpunkt aller Hoffnungen zu stehen. Sie nickte. „Er muss an den Code denken, damit ich ihn sehen kann“, wies sie die Technos an. „Je intensiver er daran denkt, desto besser.“

Eggers nickte, überlegt kurz, dann drückte er auf den Sprechknopf. Aruula setzte unter-dessen sich auf den Boden und nahm die typische Haltung ein, in der das Lauschen, die Gabe ihres Volkes, besonders leicht vonstatten ging: die Beine angezogen und mit beiden Armen umschlungen und den Kopf zwischen die Knie gelegt.

Eggers räusperte sich. „Geyer, nehmen Sie Vernunft an“, bat er. „Nennen Sie uns endlich den Zugangscode, damit wir hinein können. Nur ein paar Zahlen, und alles wird gut! Sie erinnern sich doch an die Kombination, oder?“

„Verschwindet“, hallte die fremde Stimme durch den Gang. „Ihr Unmenschen habt jedes Recht verwirkt, die Laboratorien zu betreten!“

Kanzler Stoll machte seinem Ärger Luft: „Vollkommen verrückt geworden, der Kerl! Was bildet der sich nur ein? Lässt uns hier verrecken und –“

„Bitte, Herr Kanzler, mäßigen Sie sich.“ Eggers hob beschwichtigend die Arme. „Sie stören die Konzentration der Telepathin.“

Eine Entschuldigung murmelnd, trat Stoll zur Seite. Dabei gab er die Sicht auf Aruula für einige Personen frei, die gerade aus dem Aufzug traten.

„Aruula!“, klang eine Stimme herüber.„Maddrax!“ Aruulas Herz zersprang fast vor Freude, als sie hochblickte und einen blonden

Haarschopf zwischen zwei Glashelmen sah. „Wie kommst du denn hierher?“Der Gedanke an ihre Rivalin und das Kind waren für den Moment nicht wichtig. Alles

was zählte, war der Gefährte, der sie auch diesmal nicht im Stich gelassen hatte. Die Wie-dersehensfreude ließ Aruula ihre Mission vergessen. Sie sprang auf und drängte mit beiden Armen die Technos zur Seite. Ein paar schnelle Schritte, dann flog sie Matt an den Hals.

Der feste Druck seiner Arme spendete Trost, Liebe und Sicherheit zugleich. Zärtlich fuhr er ihr durchs Haar, strich eine lange Strähne zur Seite und flüsterte: „Geht es dir gut?“

Seine Sorge rührte die Barbarin. Sie war ihm also immer noch wichtig; wichtiger als Jenny Jensen. „Mir hat keiner was getan“, versicherte sie. „Und du? Bist du noch böse, weil ich weggelaufen bin?“

Der Kuss, den Maddrax ihr gab, schaffte auch die letzten Zweifel aus der Welt. Es war eine Erwiderung, wie Aruula sie liebte: direkt, ehrlich und ohne viele Worte. Dann flüsterte er ihr zu: „Wir reden später über alles! Wenn wir allein sind.“

Richtig; fast hätte Aruula die Bitte der Technos vergessen. Es gab noch eine Aufgabe, die erledigt werden musste.

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„Herr Leutnant, was hat das zu bedeuten?“, klang Kanzler Stolls Stimme auf. Mühsam unterdrückter Zorn nicht nur über die Störung schwang darin mit.

Bogner gestattete sich ein rebellisches Grinsen, bevor er ausführte, wie er den Gefährten der Telepathin erkannt und gefangen genommen hatte.

„Gefangen?“ Diese Formulierung behagte Aruula ganz und gar nicht. „Ich dachte, wir wären eure Gäste?“

„Aber natürlich, Aruula, deshalb hast du doch auch dein Schwert zurück bekommen.“ Mit der Ruhe des Kanzlers war es allmählich vorbei. „Hilf uns einfach, den Code her-auszufinden, dann könnt ihr beide sofort wieder gehen. Eines unser TFGs wird dich und deinen Freund sogar zurück nach Berlin bringen.“

Dass Matt mehr war als ein einfacher Nomade, schien das Bunkeroberhaupt momentan wenig zu interessieren. Mit hektischen Gesten winkte er Aruula zurück zum Schott, wo Eggers weiter auf Geyer einredete.

Matt wich seiner Gefährtin nicht mehr von der Seite.„Was ist hier eigentlich los?“, fragte er unwillig. „Die Mutanten, die durch Hamburg

streifen, scheinen nicht gut auf Menschen zu sprechen zu sein.“Stoll wirbelte auf dem Absatz herum. „Nicht gut zu sprechen?“ Sein Gesicht zog sich

unter dem gewölbten Glas in die Länge. Speichel benetzte die Innenseite des Helms und lief in kleinen Bahnen in seinen Anzugskragen. „Das klingt ja fast, als ob Sie diesen De-generierten so etwas wie menschliche Gefühle oder gar Intelligenz zubilligen?“

„In der Tat, das tue ich“, antwortete Matt vollkommen ruhig. „Und ich frage mich, ob Ihr Tür-Problem in Zusammenhang mit den Unruhen stehen könnte.“

„In der Tat, das tut es“, blaffte der Kanzler. „Die Belagerung unseres Areals dauert nämlich schon seit Wochen an, und Professor Geyer war genau so ein Besserwisser wie Sie. Er glaubte auch, dass man mit diesen … Tieren verhandeln könnte. Zum Dank sind sie über Geyer hergefallen. Dabei muss er sich eine Infektion zugezogen haben, die ihm langsam das Gehirn wegfrisst. Er leidet nicht nur unter Wahnvorstellungen, er hat auch die Frischluftzufuhr der oberen Stockwerke deaktiviert. Wenn uns Ihre Freundin nicht helfen kann, müssen über fünfhundert Einwohner der Speicherstadt sterben – und das alles nur, weil die Mutanten nicht gut auf uns zu sprechen sind! Genügt Ihnen das als Erklärung?“

Die Stimme des Kanzlers schraubte sich bei jedem Wort höher, bis sie am Schluss auch ohne Helmlautsprecher gut zu verstehen war. Matt zeigte sich gebührend beeindruckt, zumindest in so weit, dass er weitere Fragen auf später verschob. Den Technos bei der Erhaltung des Bunkers zu helfen, konnte nicht verkehrt sein. Schließlich mochte auch diese Gemeinschaft einmal ein wichtiger Baustein im Kampf gegen die Daa’muren werden.

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Aruula löste sich von ihm, hockte sich wieder hin und legte den Kopf zwischen die Knie. Eggers wedelte aufgeregt mit der Hand, um zu signalisieren, dass sie schleunigst Kontakt zu Geyer aufnehmen sollte. Dabei forderte er laufend: „Werden Sie endlich vernünftig, Professor. Denken Sie in Ruhe nach und geben Sie uns den Code!“

Aruula presste beide Hände gegen den Kopf und öffnete ihren Geist. Zu lauschen war für sie eine natürliche Gabe, die sie schon unzählige Male eingesetzt hatte. Diesmal war es jedoch unerwartet schwierig, sich in Trance zu versetzen. Sie spürte ein scharfes Brennen, das von ihrem Nacken abwärts durch alle Nerven zuckte. Ein lautes Tosen umgab ihre Gedanken, die sich den Weg wie durch dichten Nebel oder Sturm bahnen mussten.

Sie konzentrierte sich auf das vor ihr liegende Schott und drang durch den Stahl wie durch die Maschen eines Fischernetzes. Auf der anderen Seite spürte sie einen menschlichen Geist, in den sie vorsichtig eindrang.

Eine Flut von flackernden Bildern wirbelte ihr entgegen. Eingerahmt von Strömen aus Blut, die alles in einen roten Schleier tauchten, sah sie vor Hass geifernde Mutanten, sterbende Technos und eine geschlossene Kammer mit der Aufschrift „G13“.

Die Infektion musste Geyer an den Rand des Wahnsinns getrieben haben.Aruula lavierte zwischen den fremden Eindrücken hindurch, bis sie eine pulsierende

Symbolreihe aufspürte … die plötzlich hinter anderen Visionen verschwand, als ob sie sich der Entdeckung entziehen wollte. Das musste der Code sein, an den Geyer während des Gesprächs unwillkürlich dachte.

Die Bedeutung arabischer Ziffern hatte Aruula von Matthew gelernt, sodass sie die Zahlen- und Symbolkolonne problemlos vorlesen konnte.

„Acht, fünf, Dreieck, zwei, null“, begann sie. Ein entferntes Piepen, nicht mehr als ein Echo aus einer anderen Welt, zeigte an, dass die Kombination sofort in den Computer eingegeben wurde. „Kreis, neun, vier, acht, sieben. Das war’s.“

Aruula löste sich aus dem fremden Geist und beendete die Trance. Das unangenehme Brennen, das ihren Körper durchflutet hatte, ließ augenblicklich nach. Schwer atmend blickte sie in die Höhe.

Im ersten Moment passierte nichts, dann ertönte ein hydraulisches Zischen. Mit einem harten Ruck geriet das Schott in Bewegung; schwenkte erst langsam, dann immer schneller nach innen. Die Sicht auf den dahinter liegenden Vorraum wurde frei – und auf einen leichenblassen Mann, der sich inmitten von zersplittertem Glas auf den Fliesen krümmte. Sein Körper war mit so vielen Schnittwunden übersät, dass der Laborkittel mehr rosa als weiß glänzte.

„Professor Geyer!“, rief Eggers erschrocken. Ehe jemand anderes reagieren konnte, sprang er durch die Schleuse und kniete neben dem Verletzten nieder. „Keine Sorge, Professor, wir kriegen Sie schon wieder hin.“

„Nein“, wehrte Geyer ab. „Gehen Sie, bevor es zu spät ist.“ Seine Hand ertastete eine Scherbe, vermutlich um sich die Pulsadern zu öffnen. Eggers packte sein Handgelenk,

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um eine Kurzschlusshandlung zu verhindern. Stattdessen hätte er lieber den toten Winkel hinter der Schleusentür erkunden sollen. Aus der Deckung schoss plötzlich ein behaarter Schatten hervor.

„Ein Wulfane!“, warnte Matt, doch der Griff nach seinem Driller ging ins Leere.Eggers stieß noch einen überraschten Laut aus, dann war der Mutant, der einen zer-

schlagenen Glaskolben in den Pranken hielt, auch schon über ihm. Der kreisrunde, scharf gezackte Rand zischte herab, schnitt durch den silbernen Schutzanzug und bohrte sich tief in die Schulter des Mediziners.

Unter den übrigen Technos wurden Schreie laut, während der Wulfane abwechselnd auf Eggers und Geyer einstach. Nun wurde auch dem Letzten klar, dass sich der Professor mit der Scherbe hatte zur Wehr setzen wollen.

Ein Laserstrahl beendete die Attacke des Wulfanen. Leutnant Bogner hatte gefeuert, und er übernahm auch sonst die Initiative.

„Schützt den Kanzler“, befahl er zwei Soldaten, die Stoll und seine Stellvertreter umge-hend zum Aufzug drängten.

Das Lasergewehr im Anschlag, sicherte Bogner den Rückzug ab, doch von dem getrof-fenen Wulfanen ging keine Gefahr mehr aus. Der Bastharnisch war unterhalb der linken Schulter zu einer schwarzen Masse verkohlt. Von solch einem Treffer erholte sich niemand mehr. Der Mutant kippte stöhnend zur Seite und gab den Blick auf seine blutüberströmten Opfer frei.

„Hauptmann Reuter!“, rief Bogner über Funk. „Dompteure zum Einsatz! Die unteren Stockwerke müssen gesichert werden!“

Die Flurtüren flogen nach innen und gaben den Weg für die Verstärkung frei, die in den Nebenräumen auf ihren Einsatz gewartet hatte. Die Bodenfliesen erzitterten unter harten Schritten, als dreißig mit Schutzanzügen und Laserwaffen ausgerüstete Technos in den Laborkomplex stürmten. Tanja Dang und die übrigen Wissenschaftler schlossen sich dem Trupp an, danach wirkte der Gang wie leergefegt.

Außer Matt und Aruula war nur noch Bogner zurückgeblieben.Der Leutnant zog den Driller aus einer Außentasche hervor und warf ihn Matt in einer

lässigen Bewegung zu. „Wartet am besten hier“, bot er den beiden an, „das dürfte am sichersten sein. Der Aufzug bleibt gesperrt, bis der Kanzler und die Ratsmitglieder in Sicherheit sind.“

Ehe Matt Protest einlegen konnte, eilte der Leutnant schon durch die Schleuse da-von. Singende Lasersalven und Schreie wurden laut, während ihn der erste Quergang verschluckte. In den Tiefen des Laborkomplexes spielte sich ein Kampf auf Leben und Tod ab.

Matthew stieß einen herzhaften Fluch aus, der ihm schon seit Stunden auf den Lippen brannte. Langsam hätte er gerne gewusst, was wirklich in der Speicherstadt vor sich ging. Aruula dachte indessen praktischer. Nachdem sie festgestellt hatte, dass Geyer und Eggers

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ihren Stichverletzungen erlegen waren, kniete sie neben dem Wulfanen nieder, der ein leises Stöhnen von sich gab.

„Wird er überleben?“, fragte Matt.„Nein.“ Die Ehrlichkeit der Barbarin wirkte manchmal kalt und gefühllos, doch dieser

Schein trog. Aruula quälten solche Ereignisse genauso wie jeden anderen, doch sie hatte gelernt, sich in entscheidenden Augenblicken auf das Wesentliche zu konzentrieren. „Aber bevor er stirbt, kann er uns noch verraten, wie er hierher gekommen ist.“

„Wie soll das gehen?“, warf Matt ein. „Wir sprechen ja nicht einmal seine Sprache.“Aruula drehte den Mutanten herum. Sein kraterförmiges Fischmaul öffnete und schloss

sich in lautlosen Bewegungen. Roter Speichel quoll ihm über die wulstigen Lippen. Die Barbarin strich durch das dichte Fell zwischen seinen Ohren.

„Ich werde versuchen, in seinen Gedanken zu lesen“, sagte sie entschlossen. Dann ließ sie ihr Kinn aufs Brustbein sacken und konzentrierte sich.

Schmerzen, Leid und Einsamkeit. Aruula tauchte in ein Meer aus Emotionen ein, die von ihr abglitten wie Tau auf einem Blütenblatt. Geduldig sortierte sie die Erinnerungsfetzen, auf denen sich etwas erkennen ließ. Bei einem Tier wäre ihr das nicht gelungen. Aber Maddrax und sie wussten, dass die Wulfanen trotz ihres Äußeren keineswegs Tiere waren. Im Gegenteil besaßen sie eine komplexe Kultur, die auf Kampf und Ehre basierte.

Zwei TFG, die über einem Wulfanendorf kreisten und aus Bordkanonen feuerten. Hütten, die in Flammen aufgingen. Thika und ihre Tochter, die unter den heißen Lichtstrahlen verglühten. Netze, die vom Himmel fielen. Gefangenschaft. Panik. Angst. Hoffnungslosig-keit. Alles nur kurze Momente, bis Aruula endlich auf etwas Zusammenhängendes stieß, das sich zu erlauschen lohnte …

Der Zischlaut, mit dem sich die Tür öffnete, war das schlimmste Geräusch auf Erden. Duroc wich verängstigt zurück, bis einige Stahlstreben seine Flucht stoppten. Die Wul-fanen, Nosfera und Guule in den übrigen Käfigen reagierten nicht anders. Jeder begann zu zittern, wenn die Kahlköpfe den Raum betraten, denn mit ihnen kamen der Tod und die Schmerzen.

Diesmal traten gleich drei auf einmal herein. Geyer, Dang und Eggers. Der Wulfane hatte ihre Namen im Laufe der Zeit gelernt, so wie einige Brocken ihrer Sprache, die nur entfernt Ähnlichkeit mit dem Dialekt der in Ambuur lebenden Barbaren besaß.

Eggers und Dang schoben eine Liege vor sich her, auf der ein bewusstloser Guul lag, der mit Lederriemen festgeschnallt war.

„Noch eine arme Wisaau, die sie gefangen haben“, brummte Nuuk, der Nosfera aus

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dem Nachbarkäfig. Duroc nickte, obwohl er für die aasfressenden Guule keine großen Sympathien hegte.

„Den Neuzugang in Zelle Fünf“, ordnete Eggers an. „Vorsicht, wenn ihr ihn losschnallt. Die Betäubung liegt schon einige Stunden zurück.“

So seltsam es klang, aber die Kahlköpfe fürchteten jede Berührung eines Gefangenen. Zum Beweis, dass sie die alleinige Anwesenheit der Mutanten krank machen konnte, trugen sie stets silberne Gewänder und durchsichtige Kopfhauben, wenn sie das Verließ betraten. Jenseits der Doppeltür – die von ihnen Schleuse genannt wurde – liefen die Kahlköpfe ohne Schutzkleidung herum. So wie ihr Häuptling, der gerade durch eine Scheibe in der gegenüberliegenden Wand herein sah.

„Gibt es schon frohe Neuigkeiten?“, erfüllte seine dunkle Stimme den ganzen Raum, obwohl er eigentlich nebenan stand. Stoll schien eine Art Zauberer zu sein.

„Ich habe gerade erst mit der Visite begonnen, Kanzler!“, antwortete Geyer ungehalten. Er musste ein sehr mächtiger Medizinmann sein, dass er sich diesen Ton gegenüber dem Häuptling herausnehmen durfte.

Geyer drückte auf einem Gerät herum, das an seinem Arm befestigt war, bis es ein lautes Piepsen von sich gab. Dann schritt er die mannshohen, mit Wasser gefüllten Glaszylinder ab, die inmitten der Käfige zu einem hufeisenförmigen Rund angeordnet waren. Vor dem dritten blieb er stehen und blickte auf einen formlosen grauen Klumpen, der in einem Strom aufsteigender Luftblasen tanzte. Bläuliches Licht, das vom Tankdeckel herabstrahlte, raubte Geyer jeden Gesichtsschatten. Das ließ ihn kalt und herzlos aussehen, so wie es in seinem Charakter entsprach.

„Aus Genmasse sieben wird nichts mehr!“, rief er über die Schulter. „Die ist reif für den Konverter!“

„Wir kümmern uns gleich darum“, versicherte Eggers, während er den Guul von der Liege in den leeren Käfig wuchtete. Dang, die mit verschränkten Armen daneben stand, ließ ihren Blick über die besetzten Käfige wandern. In ihre Mundwinkel kerbte sich ein bitterer Zug.

„Diese Kreaturen sind kaum selbst lebensfähig“, spottete sie. „Wie soll da aus ihren Genen etwas entstehen, das uns nützlich werden kann?“

„Unsinn!“, belehrte sie Geyer. „Niedere Lebensformen oder nicht, diese Tiere haben uns alle etwas voraus. Sie können auf der Oberfläche bestehen, wir nicht.“

Der Professor ließ einige Tanks aus und blieb vor einem Zylinder stehen, in dem ein aufrecht schwebendes Geschöpf heranwuchs, das über zwei muskulöse Arme und Beine verfügte. „Genmasse dreizehn“, erklärte er stolz. „Ein Mix, der die besten Eigenschaften aller auf humanoidem Erbgut beruhenden Rassen in sich vereint. Wenn es uns gelingt, aus seinen Zellen ein Enzym zu gewinnen, das unsere Abwehrstoffe stärkt, können wir uns bald völlig frei auf der Oberfläche bewe …“

„Das glauben Sie doch wohl selbst nicht“, brauste Dang auf. „Aus diesem degenerierten

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Genmüll“, ihre im Kreis herumfahrende Hand deutete auf die Mutanten in den Käfigen, „wird nie etwas entstehen, das mit unserem Stoffwechsel kompatibel ist. Wir sollten diese Virenträger schleunigst eliminieren und lieber mit Material arbeiten, das unserer Physiog-nomie wesentlich ähnlicher ist. Etwa dem verblödeten Pack, das über uns in den Trümmern herumkriecht.“

„Schluss damit!“ Die Stimme des Häuptlings ließ selbst Dang zusammenfahren. „Die Bar-baren, von denen Sie reden, sind Menschen, keine Tiere. Ihre diesbezüglichen Vorschläge wurden daher vom Ethikrat zurückgewiesen – zu recht, wie ich anmerken möchte. Wenn Sie mit den derzeitigen Forschungsbedingungen nicht zurechtkommen, Frau Kollegin, kann ich Sie aber gerne von der Mitarbeit am Gen-X-Projekt entbinden.“

Duroc schob sich so tief in die Käfigecke, wie es die Stahlstreben zuließen. Den Kopf zwischen den Armen, lauschte er verängstigt dem tobenden Streit. Wenn sich ihre Peiniger heute schon gegenseitig so anfauchten, wie schlimm würde es dann erst für die Gefangenen werden?

Nuuk verfiel dagegen in völlige Apathie. Seine blutleeren Lippen bewegten sich un-entwegt, ohne einen einzigen Ton hervorzubringen. Vermutlich betete er darum, dass man ihm den rechten Arm lassen möge. Den linken hatte er bei einer Zwangsamputation eingebüßt. Teile davon schwammen noch in einer Nährlösung, andere befanden sich in dem Klumpen, aus dem G13 heran wuchs.

Dabei konnte der Nosfera noch von Glück reden. Andere Gefangene hatten ihr Gehirn auf dem Operationstisch verloren.

„Es tut mir leid, dass ich mich habe gehen lassen, Herr Kanzler.“ Dang schlug die Augen nieder und verbeugte sich fast. So unterwürfig hatte der Wulfane sie noch nie erlebt. „Ich bin frustriert, weil es nicht richtig voran geht. In Zukunft werde ich mich besser zusam-menreißen, das verspreche ich.“

„Schon gut.“ Stolls Zorn verflog so schnell, wie er in ihm aufgestiegen war. „Früher oder später erwischt uns alle der Bunkerkoller. Warum begleiten Sie mich nicht für einige Stunden in den Freizeitbereich? Danach geht Ihnen die Arbeit sicher viel leichter von der Hand.“

Dang nahm das Angebot dankend an und trat in die Schleuse. Ultraviolettes Licht leuchtete zwischen den Türen auf, bevor ihr Anzug mit einer keimtötenden Lösung besprüht wurde. Kurze Zeit später erschien sie auf der anderen Seite der Panzerglasscheibe, wo sie sich des Anzugs entledigte und mit dem Kanzler davon ging.

Eggers sah seiner Kollegin nur kopfschüttelnd nach. „Na prima, und ich darf wieder die ganze Arbeit alleine machen.“

Schlafstörungen, Tobsuchtsanfälle, Weinkrämpfe. Tage und Nächte, die sich nur durch das An- und Abschalten der Beleuchtung voneinander unterschieden. Duroc fühlte sich immer öfter dem Wahnsinn nahe, besonders wenn er den „Ruf“ hörte …

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Duroc wusste auch nicht genau warum, aber er riss sich das Fell büschelweise aus. Ob-wohl die kahle Stelle an seinem Unterarm längst wundgescheuert war, rückte er ihren ausgefransten Rändern immer wieder aufs Neue zu Leibe. Es war wie eine Sucht, der er nicht widerstehen konnte.

Guule, Nosfera und Wulfanen! Eure Stammesbrüder brauchen Hilfe!Überrascht hielt er in der schmerzhaften Tätigkeit inne. Da war sie wieder, die Stimme

in seinem Kopf.Kommt und helft uns! Die Kahlköpfe von Ambuur halten uns gefangen!In den Käfigen ringsum schreckten die Mutanten aus ihrer Lethargie auf. Nur Nuuk

lag weiter auf dem Käfigboden. Vermutlich tot. Sie würden es beim nächsten Rundgang erfahren, wenn Eggers ihn auf die rollende Liege warf und zum Konverter fuhr.

Verzweifle nicht, Duroc. Meine Rufe verhallen nicht ungehört! Unsere Völker stehen bereits in Ambuur, ich kann ihre Anwesenheit spüren. Sie setzen alles daran, uns aus diesem Verlies zu befreien.

Der Wulfane zuckte zusammen. Nie zuvor hatte ihn die Stimme direkt angesprochen. Was hatte das zu bedeuten? Unsicher sah er sich um, getragen von der leisen Hoffnung, dass ihm jemand einen Streich spielen wollte.

Aber wie sollte das wohl gehen? Die Stimme war in seinem Kopf erklungen, das wusste er genau. Und so, wie ihn die anderen Mutanten anstarrten, hatten sie ebenfalls gehört, wie er angesprochen wurde. Einige nickten ungläubig, als ob sie Duroc versichern wollten, dass er noch bei Sinnen wäre.

Der Einzige, der den Ruf nicht zu hören schien, war Professor Geyer. Der Kahlkopf stand vor einer stählernen Box, in der auf Augenhöhe nur ein handbreites, vergittertes Guckloch klaffte. Darin saß Genmasse dreizehn, seit sie die Gitter ihres Käfigs verbogen hatte.

Eine unbedachte Tat, inzwischen gehe ich geschickter vor.Hinter den kurzen Stäben glitzerten zwei wache Augen, die an Geyer vorbei direkt zu

Duroc blickten. Der Wulfane schüttelte verwirrt den Kopf.„Dumm“, brummelte er leise und zupfte sich weitere Haare aus. „Ich werde dumm, völlig

dumm. Bald fresse ich meinen eigenen Fuß, so wie die Guule, und dann schafft man mich zum Konverter.“

Gib nicht auf. Ich habe einen Weg gefunden, wie wir hier heraus kommen können.„Nein, nein.“ Duroc schüttelte den Kopf. Büschel um Büschel segelte zu Boden. „Es

gibt keinen Weg in die Freiheit. Nicht lebendig. Nur tot, oder zusammengerührt, in einem der Wassertanks. Dann wird man eine Genmasse, so wie du.“

Ein Reagenzglas zerschellte an den Gitterstäben. Feine Splitter regneten durch den Käfig. Einige blieben in Durocs Fell hängen, wo sie ihn schneiden würden, wenn er darüber rieb. Aber das war ihm egal.

„Still, du Mistvieh!“, brüllte Geyer aufgebracht. „Bei diesem ständigen Geknurre kann doch kein Mensch arbeiten!“

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Nur einen Atemzug später fasste er sich an den Kopf. Ein gequältes Stöhnen drang über seine Lippen, während er an den Glaszylindern vorbeistolperte und sich am Labortisch festhalten musste, um nicht in die Knie zu gehen. „Was rede ich da nur?“, jammerte er plötzlich. „Wie kann ich diese armen Kreaturen nur so schlecht behandeln? Sie sind uns Menschen doch viel zu ähnlich, um Tiere zu sein!“

„Professor? Ist alles in Ordnung?“ Eggers war nebenan an die Glasscheibe getreten. Seine Stimme erklang auf ähnlich geheimnisvolle Weise im Labor, wie die von G13 in Durocs Kopf.

Geyers Gesichtszüge entspannten sich wieder. Der Schmerz schien von ihm zu weichen. Zurück blieb Verwirrung, und ein Hauch von Angst.

„Danke, mir gehts gut“, versicherte er. „Es war nur ein kurzer Migräneanfall.“ Sich die Schläfen reibend, ließ er sich auf einen Stuhl nieder und legte eine Pause ein.

Hast du gesehen? Ich kann Macht über Geyer gewinnen. Nur noch eine Weile, dann wird er uns selbst befreien!

Zum ersten Mal seit unendlich langer Zeit schöpfte Duroc wieder Mut.

Hoffnungsschimmer blitzten auf. Erinnerungsfetzen, in denen Geyer sich immer stärker veränderte, bis er plötzlich zur Tat schritt und sie alle befreite …

„Warnung! Kontamination der Ebenen vier und fünf! Sicherheitspersonal ausrücken, Bewaffnung und Schutzanzüge erforderlich! Eindringlingsalarm!“

Seit Geyer die Schleuse geöffnet hatte, hallte die Stimme laut durch alle Gänge und Räume. Die Kahlköpfe, die ihnen begegneten, schrien in Todesangst auf, lange bevor sie unter den Krallen und Zähnen der Ausbrecher starben. Duroc wollte Rache, so wie die anderen Mutanten. Und er wollte den Schlüssel, mit dem sie Genmasse dreizehn aus seinem Verlies befreien konnten. Schließlich war der Sinneswandel des Professors nur ihm zu verdanken.

„Schneller, schneller!“, trieb Geyer sie an. „Wir müssen die Etagenschleuse vor der Sicherheitsmannschaft erreichen, sonst war alles umsonst!“

Ein Lichtstrahl zerteilte die Luft im Flur. Die Umgebungstemperatur stieg schlagartig an, während es dem Guul, der getroffen wurde, den Kopf zerschmolz. Der kahlköpfige Schütze wollte erneut abdrücken, doch von einem Hustenanfall geschüttelt hielt er inne.

Duroc nutzte den Moment, um mit einem stabförmigen Gefäß auszuholen, das er von einem Labortisch geklaubt hatte. Der gläserne Prügel lag fast so gut in der Hand wie sein Bronzeschwert. Blitzschnell stieß er das stumpfe Ende vor und rammte es dem überraschten Gegner unterhalb des Kinns tief in den Hals hinein. Röchelnd ging der Kahlkopf zu Boden. Zwei splitternde Hiebe gegen seine Schläfe brachten ihn für immer zum Schweigen.

Andere Kahlköpfe, die sich den Mutanten entgegenstellten, wurden ebenfalls nieder-

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gemacht. Die meisten von ihnen hatten sowieso schon mit dem Leben abgeschlossen. Sie starben an den kleinen Tierchen, die Wulfanen, Nosfera und Guule mit jedem Atemzug in die Luft pusteten.

Duroc schloss wieder zu Geyer auf, denn er hatte geschworen, den Professor nicht mehr aus den Augen zu lassen. Die Etagenschleuse rückte näher, doch Geyers Wutschrei zeigte, dass sie zu spät waren. Bewaffnete Krieger in Schutzanzügen riegelten den Zugang ab, bis sich das Schott vollständig geschlossen hatte.

„Kontaminierter Bereich versiegelt. Desinfektion vorbereiten!“Geyer stieß eine Flut haltloser Verwünschungen aus, während er an die Schalttafel sprang

und auf einigen Tasten herumhämmerte.„Autorisation Geyer, Medizinischer Leiter“, sprach er in eine runde Öffnung, schob

die Lider des linken Auges mit Daumen und Zeigefinger auseinander und wartete, bis ein Lichtstrahl über die Pupille wanderte.

„Netzhautscan abgeschlossen“, erklärte eine unbekannte Stimme. „Autorisation bestä-tigt.“

„Jetzt kriege ich euch dran“, triumphierte Geyer, während er die Tastatur erneut bear-beitete.

„Neuer Zugangscode bestätigt.“ Duroc machte sich schon lange keine Gedanken mehr darum, woher solche Stimmen kamen. Er nahm sie einfach als gegeben hin.

Der Professor sah ihn an, als ob sie plötzlich Freunde, nicht Peiniger und Opfer wären. „Jetzt kann Stoll die unteren Etagen nicht mehr mit Gas fluten, sondern muss mit uns verhandeln, um hier herein zu kommen. Sie brauchen nämlich schleunigst Zugang zur Umweltkontrolle, die wegen der Kontamination automatisch heruntergefahren wurde. Wir haben den Kanzler und die ganze Bande am Arsch, verstehst du?“

Was sollte Duroc dazu sagen? Geyer hätte seine barbarische Sprache sowieso nicht ver-standen. Zum Glück hustete sich der Professor lieber die Seele aus dem Leib, als auf eine Antwort zu warten. Die Viren! Tiere, so klein, dass er sich ihre Existenz nicht vorstellen konnte, und trotzdem würden sie Geyer den Tod bringen. Nicht sofort, aber in einigen Tagen.

„Warnung! Etagenschleuse blockiert. Warnung! Etagenschleuse blockiert!“Die laute Stimme, die an ihren Nerven zerrte, brach unvermittelt ab. Dafür schepperte

es, wenn auch leiser, aus einem runden Abschnitt neben dem Tor: „Geyer, sind Sie wahn-sinnig geworden? Unterstützen Sie diese Bestien etwa, oder fürchten Sie so sehr um Ihr eigenes Leben, dass Sie dafür die Existenz der Speicherstadt aufs Spiel setzen? Geben Sie uns den neuen Zugangscode, damit wir die Desinfektion der abgeschotteten Bereiche einleiten können.“

„Damit Sie die Etage unter Gas setzen können, meinen Sie wohl“, widersprach Geyer hustend. Obwohl roter Schleim über seine Lippen drang, fuhr er fort: „Aber daraus wird nichts. Wenn ich sterbe, kommen Sie niemals rechtzeitig an die Umweltkontrolle.“

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Stille breitete sich aus. So schwer, dass sie auf den Schultern lastete.„Es steht also eins zu eins“, kam es zerknirscht aus dem Lautsprecher.„Nein, das hier ist kein Patt“, wehrte Geyer ab. „Wir haben nichts mehr zu verlieren, ihr

da draußen dagegen alles!“

Die Erinnerungen, die Aruula empfing, wurden immer dunkler. Sie sah noch einige Bild-fetzen, in denen der von G13 besessene Geyer versuchte, den Abzug der Gefangenen zu erreichen. Stoll zeigte sich aber unnachgiebig, bis hin zu dem Moment, an dem sich das Stahlschott überraschend öffnete.

Duroc witterte Verrat und ging daran, Geyer mit dem zersplitterten Glaskolben zu strafen. Einer der letzten Eindrücke, die Aruula empfing, war ihr eigenes Gesicht, das sich dem sterbenden Wulfanen näherte. Dann gab es nur noch allumfassende Dunkelheit, tiefer als jede Ohnmacht, die sie schon durchlebt hatte.

Das konnte nur eins bedeuten.Duroc war tot.

Als der Kontakt abbrach, sackte Aruula erschöpft zusammen. Matt schloss seine Gefährtin fest in die Arme, während sie erst stammelnd, dann immer flüssiger von den Erinnerungen des Wulfanen berichtete. Nicht alles, was sie sagte, ergab sofort einen Sinn, doch nach und nach fügten sich einige Teile des Puzzles zu einem vagen Bildfragment zusammen.

„Der Ruf, der so viele Mutanten nach Ambuur zieht, geht also von diesem Laborkomplex aus“, resümierte Matt. „Leider macht die aufgebrachte Menge dort oben keinen Unter-schied zwischen Technos und Barbaren. Jeder, der ein Mensch ist, muss für die grausamen Forschungen der Speicherstadt büßen.“

Aruula bettete den Kopf des toten Wulfanen vorsichtig zu Boden. Normalerweise hegte sie nicht viel Sympathie für die hässlichen Fischmäuler, doch Durocs Schicksal berührte sie. Vielleicht, weil sie all die Angst und den Schmerz, die er durchleiden musste, mit jeder Faser ihres eigenen Leibes gespürt hatte. Das verband sie miteinander, auch wenn sie sonst nicht viel gemein haben mochten.

„Was machen wir jetzt?“, fragte Aruula, die den Kopf leicht neigte, um in den Labor-komplex hinein zu lauschen. Laserschüsse, dumpfe Schläge und Angstschreie vermischten sich dort zu einem dichten Klangteppich, der sie unwillkürlich erschauern ließ. Mutanten und Technos lieferten sich ein unerbittliches Gefecht, in dem von keiner Seite Pardon gegeben oder erwartet wurde.

„Ich würde sagen: abhauen“, sagte Matthew. „Die Mutanten ziehen alle Menschen für ihre Gefangenschaft zur Verantwortung, da werden sie bei uns keine Ausnahme machen.

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Außerdem ist nicht sicher, ob uns die Technos wirklich ziehen lassen, auch wenn du deine Aufgabe erfüllt hast.“ Er ging zur Fahrstuhltür hinüber, doch so tief er die Ruftaste auch in die Metallblende drückte, die Kabine kehrte nicht zurück.

„Immer noch blockiert“, stellte er seufzend fest. „Und selbst wenn wir an die Oberfläche gelangen, müssen wir immer noch durch eine ganze Stadt voller aufgebrachter Mutanten.“

Aruula erhob sich, ein entschlossenes Funkeln in den Augen.„G13“, zischte sie scharf. „Er stachelt die Mutanten zum Kampf an.“ Sie zog ihr Schwert

und schlug eine Acht aus dem Handgelenk, als wollte sie einen unsichtbaren Gegner in Stücke schlagen. „Wenn wir den Horden da oben die Angriffswut nehmen wollen, müssen wir den Ruf stoppen.“

„In Ordnung“, stimmt Matt zu. „Vielleicht finden wir auch etwas, das uns mit dem Fahrstuhl weiter hilft.“

Ein kurzes Nicken reichte beiden zur Verständigung. Matt und Aruula waren ein einge-spieltes Team, zusammengeschweißt durch unzählige gemeinsam durchstandene Aben-teuer. Sie wussten, dass sie einander bedingungslos vertrauen konnten.

Sich gegenseitig mit Driller und Schwert Deckung gebend, drangen beide in den links abzweigenden Gang ein, der sie tiefer in das Labyrinth aus Laboratorien, Lager- und Freizeiträumen führte. Weißes Kunstlicht leuchtete Boden und Wände bis auf die letzte Keramikfliese aus. Nirgendwo ein Schatten, in dem ein Gegner lauern konnte, aber auch keiner, der Schutz bot.

Schnelle Reflexe und ein zielsicheres Auge waren von nun an die einzige Überlebens-garantie.

Der Gefechtslärm wurde lauter.Den Driller in der Rechten, tastete sich Matt an der Wand entlang, die auf halber Höhe

von Scheiben unterbrochen wurde, durch die man in ein leeres Labor sehen konnte. Den Verwüstungen nach zu schließen, hatten die Mutanten dort ihrer Wut freien Lauf gelassen. Messgeräte, Versuchsaufbauten und Testkulturen – alles war entweder demoliert oder zerschmettert worden. Ein Meer von Scherben bedeckte den Fliesenboden. Dazwischen lagen umgestürzte Labortische, denen die Beine fehlten. Vermutlich hatte man die Stahl-rohre abgerissen, um sie als Waffen zu benutzen.

In Matts Nacken perlte kalter Schweiß auf, der sich rasch zu kleinen, das Rückrat hinab laufenden Strömen vereinigte. Rechts vor ihnen zweigte ein Gang ab. Ob sich hinter der Ecke jemand verbarg, ließ sich leider erst sehen, wenn es zu spät war. Der Pilot wollte schon mit einer sportlichen Schulterrolle daran vorbei setzen, aber Aruula hielt ihn zurück. Sie kniete nieder und nahm ihre Lauschposition ein.

„Vorsicht!“, flüsterte sie. „Jemand lauert auf uns.“Matt visierte den abzweigenden Gang mit dem Driller an, doch als Aruula wieder auf

beiden Füßen stand, brüllte sie plötzlich: „Duck dich!“Der Pilot stellte aber keine überflüssigen Fragen, sondern reagierte einfach. Noch während

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er in die Knie ging, zerplatzte die Laborscheibe hinter ihm. Ein animalisches Fauchen mischte sich unter die Scherben, die auf seinen Rücken regneten. Ehe Matt reagieren konnte, wischte Aruulas Bihänder schon über ihn hinweg.

Ein saugendes Geräusch wurde laut, gefolgt von einem Sprudeln.Blutrote Tropfen regneten vor ihm nieder, während er mit einem Schlag zu Boden gerissen

wurde. Eine abgetrennte Kapuze schlug auf und polterte wie eine Bowlingkugel durch den Gang davon. Der Rumpf des Nosfera rutschte neben ihm zu Boden. Der Kerl hatte wohl lange kein Blut nicht mehr getrunken, denn es strömten nur zwei kümmerliche Rinnsale über die Fliesen. Matt achtete darauf, nicht in der sich ausbreitenden Lache auszurutschen, als er in die Höhe sprang.

„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte Aruula besorgt.Statt zu antworten, streckte Matt den Arm aus und feuerte über die rechte Schulter der

überraschten Barbarin. Das Drillergeschoss riss einen Wulfanen von den Beinen, der sie rücklings anfallen wollte.

Und hinter der Flurecke quollen bereits weitere Mutanten hervor! Mit zwei schnellen Schritten federte Aruula zurück, um Bewegungsfreiheit für ihr Schwert zu bekommen. Mit einer blitzschnellen Bewegung aus dem Handgelenk wehrte sie ein Eisenrohr ab, das ein Guul auf sie niederfahren ließ. Auf seinem hageren Gesicht zeichnete sich in rascher Folge Enttäuschung, Verblüffung und Todesangst ab, als sie den Schlag nicht nur parierte, sondern ihrerseits zum Angriff überging.

Der Mutant in dem zerschlissenen Lendenschurz besaß zweifellos Übung im Umgang mit der Klinge, doch eine grifflose Stange war kein Säbel. Es kostete ihn erhebliche Mühe, Aruulas Schwerthiebe abzufangen. Was ihm an Bewaffnung fehlte, macht er jedoch durch Kampfeswillen und Opferbereitschaft wieder wett.

Das eigene Leben schien ihm nicht viel zu bedeuten. Er öffnete die Deckung und nahm bewusst einige Verletzungen in Kauf, nur um gleichzeitig auf Aruula einschlagen zu können.

Matt wäre seiner Gefährtin gern zur Hilfe gekommen, doch er musste sich einem weiteren Wulfanen widmen, der im Schutz der Fechtenden herangeschlichen war und nun zum Sprung ansetzte.

Matt wich zurück, um den heransausenden Pranken zu entgehen, stolperte dabei aber über den geköpften Nosfera. Aus der Not eine Tugend machend, ließ er sich ganz nach hinten fallen, zog die Knie an, presste das Kinn auf die Brust und vollführte eine Rolle rückwärts.

Es half nicht viel.Ein Schatten verdunkelte seine Sicht. Für den Bruchteil einer Sekunde sah Matt das

weit aufgerissene Kratermaul direkt auf sich zuschießen. Noch in der Rolle stieß er die angezogenen Beine in die Höhe. Seine Absätze bohrten sich in den Bastharnisch des Wul-fanen, dessen Flugbahn schwungvoll verlängert wurde und erst unterhalb der zersplitterten Scheibe endete.

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Direkt an der Wand.Der Triumphschrei des Mutanten endete abrupt. Sein Körper wurde zusammengestaucht,

bevor er zu Boden schlug.Matthew hatte keine Zeit, sich an dem Anblick des ausgeknockten Gegners zu weiden.

Die nächsten Wulfanen stürmten heran. Diesmal blieb genügend Zeit den Driller in An-schlag zu bringen.

Er hatte keine Wahl, als scharf zu schießen. Die Drillergeschosse explodierten in Brust und Bauch der anstürmenden Gegner. Doch für jeden Mutanten, der von den Einschlägen zurückgeworfen wurde, tauchte ein weiterer aus dem Seitengang auf. Allein ihre Masse machte sie zu gefährlichen Gegnern, dazu waren einige mit Lasergewehren bewaffnet, die sie von toten Technos erbeutet hatten.

Matt warf sich zur Seite, um einem blendend weißen Lichtstrahl zu entgehen, der ihm fast Ohr und Wange verbrannte. Bevor er mit der Schulter voran aufkam, feuerte der Pilot zurück. Den Mutanten riss es mitten im Lauf von den Beinen. Das Lasergewehr polterte zu Boden und blieb nur wenige Fliesen von Matt entfernt liegen.

Der Pilot wuchtete sich nach vorne, streckte den Waffenarm aus und feuerte auch im Liegen unablässig weiter. Zwei Guule prallten zurück, als wären sie gegen eine Wand gelaufen. Mit ihren Leibern blockierten sie die nachrückenden Angreifer.

Die Verwirrung währte nur Sekunden, doch diese Zeitspanne reichte Matt, um sich des Lasergewehrs zu bemächtigen. Die Handhabung war herzlich einfach. Abzug mit dem Zeigefinger umfassen und durchziehen. Keine Sicherung, kein Rückstoß. Nur eine Energieanzeige, die weit vom roten Bereich entfernt war.

Eine Lasersalve genügte, um für einen allgemeinen Rückzug zu sorgen. Keuchend rich-tete sich Matthew auf und sah zu Aruula hinüber, die gerade einen Wulfanen in die Flucht schlug. Zu ihren Füßen lagen zwei Nosfera, die die Begegnung mit ihrem Schwert nicht überlebt hatten.

Matt schauderte bei dem Gedanken, dass dies vermutlich erst der Anfang der Kämpfe gewesen war.

Er steckte den Driller in die Beintasche und behielt das Lasergewehr im Hüftanschlag. „Los, weiter!“, rief er Aruula zu. „Bevor die Mutanten mit Verstärkung wiederkommen!“

Zunächst liefen sie ziellos drauflos, immer in der Sorge, dass weitere Gegner hinter Türen, Ecken oder Glaswänden auftauchen würden. Nach einiger Zeit bemerkte Matt farbige Markierungen, die von Zeit zu Zeit das sterile Weiß der Wände durchbrachen.

„Das sind Richtungsanzeiger“, vermutete er. „Wenn die hiesigen Technos nur etwas von der deutschen Gründlichkeit früherer Zeiten behalten haben, ist alles hier nach einer genauen Logik aufgebaut. Wir müssen nur herausfinden, welcher Farbton uns wohin führt.“

Statt weiter durch die Gänge zu hetzten, betraten sie ein leerstehendes Labor, um nach Anhaltspunkten zu suchen. Und tatsächlich fand Matt an einer der Wände einen Rettungs-plan, der den nächstgelegenen Fluchtweg bei einer Notevakuierung beschrieb. In einer

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am Rand eingetragenen Legende wurden den Farbbereichen verschiedene Abkürzungen zugeordnet, die Matt anfangs etwas ratlos machten. Neben Hellblau stand UWK, neben Rot SB und neben Grün AKZ. Er musste seine Deutschkenntnisse einige Zeit strapazieren, bis ihm aufging, das UWK für Umweltkontrolle, SB für Septischer Bereich* und Grün für Atomkraftzentrale stand.

Zufrieden tippte er auf ein rot umrandetes Areal innerhalb des Plans.„Septischer Bereich“, erklärte er Aruula. „Dort wurden die Forschungen an den Mutanten

durchgeführt. Das ist unser nächstes Ziel.“Matt wollte sich gerade die genaue Lage des abgeschotteten Bereichs einprägen, als er aus

den Augenwinkeln einen Techno bemerkte, der an den Laborfenstern vorbei marschierte. Verdutzt über ihren Anblick, wirbelte der Doyze herum und hob die Waffe an. Ob er Aruula nicht erkannte oder einfach grundsätzlich auf alles feuerte, was keinen Schutzanzug trug, ließ sich nicht ergründen, denn die Trennscheibe schmolz bereits unter dem ersten Schuss zusammen. Flüssiges Glas tropfte zu Boden, während der Laserstrahl seinen Weg fortsetzte.

Matt und Aruula sprangen zur Seite, als die Mündung in ihre Richtung zeigte. Der Strahl traf die hinter ihnen liegende Wand. Der Gestank von geschmolzenem Plastik füllte den Raum, während Matt das Feuer erwiderte. Seine Schüsse zogen so knapp über den Techno hinweg, dass danach auf der Oberseite des Helms eine Furche sichtbar wurde.

Mit einer derartigen Gegenwehr hatte der Doyze wohl nicht gerechnet. Zwei ungezielte Schüsse in den Raum abgebend, rannte er davon. Nur seine Lautsprecherstimme war noch zu hören: „Heiser an alle! Vorsicht! Die beiden Barbaren stehen auf der Seite der Mutanten! Sie müssen einen unserer Leute überwältigt haben; der Blonde ist mit einem Lasergewehr bewaffnet!“

Matt starrte auf die Strahlenwaffe in seinen Händen. Verdammt, deswegen hatte der Kerl sofort auf sie gefeuert. Hoffentlich ließ sich dieses Missverständnis aufklären.

„Wir müssen weiter“, riss ihn Aruula aus seinen Gedanken.Der Barbarin war weder Furcht noch Ärger wegen des neuerlichen Ungemachs anzuse-

hen, vermutlich verspürte sie auch nichts dergleichen. Sie nahm die Umstände einfach als gegeben hin und reagierte entsprechend.

So wie es sich für eine echte Kriegerin geziemte.

Den roten Pfeilen folgend, schlichen Matt und Aruula weiter durch ein Labyrinth aus Räu-men und Gängen. Wo es ging, vermieden sie eine Begegnung mit Mutanten und Technos; trotzdem kam es immer wieder zu Situationen, in denen ihnen gar nichts anderes übrig

* septisch = mit Keimen behaftet

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blieb, als sich ihrer Haut mit Waffengewalt zu wehren. Sie waren gerade einer Horde heim-tückischer Guule entkommen, als sie in einen Gang gerieten, in dem die Deckenleuchten ausgefallen waren. Aruula musste nicht lauschen, um festzustellen, ob es sich um eine Falle handelte. Das spürte Matt auch so.

Mit einem schnellen Sprung hechtete er in eine offen stehende Labortür ihm schräg gegenüber. Noch bevor er die Deckung erreichte, blitzten zwei gleißend helle Strahlen im Dunkeln auf. Der kurze Moment reichte, um die Position der Schützen zu verraten.

Matt ging hinter dem Türrahmen in Deckung und feuerte zurück. Da für die Technos bereits ein Riss im Anzug den sicheren Tod bedeutete, hielt er bewusst zu hoch, um sie mit gezieltem Sperrfeuer zurückzutreiben. Die Strahlen schmorten zwei Löcher in die Decke und schlossen dort die Stromleitungen kurz. Gleißende Funken regneten in die Tiefe, gefolgt von einigen Blechstücken, die sich aus der Halterung lösten.

Statt klein beizugeben, schossen sich die beiden Technos jedoch immer besser ein. Knapp über Matt fraß sich ein Lichtfinger in den Türrahmen. Im nächsten Moment tropfte glühendes Metall auf seine Hände. Schmerz und Schrecken wurden für Sekunden so groß, dass Matt die Kontrolle verlor.

Statt im Labor abzutauchen, bleib er völlig paralysiert in der Tür hocken, wie ein Kaninchen, das auf die Schlange starrt. Ein willkommenes Ziel, selbst für ungeübte Schützen.

Ohne Aruula wäre es in diesem Moment um Matt geschehen gewesen. Die Barbarin sprang mit einem wilden Kampfschrei in den Gang und schleuderte ein Stahlrohr, das sie einem Nosfera abgenommen hatte, in Richtung der Technos. Und obwohl die primitive Waffe viel zu früh niederging und den Bunkerleuten praktisch vor die Füße rollte, erreichte Aruula ihr Ziel: Sie lenkte die Aufmerksamkeit auf sich.

Die nächsten Schüsse galten ihr, obwohl sie längst wieder im Hauptgang abgetaucht war.Als Matt sah, dass seine Freundin unter Beschuss stand, ließ er alle Rücksicht fahren. Er

legte auf die Technos an und zog den Abzug durch. Zwei Mal. Zwei Treffer. Doch dieser Sieg hinterließ einen schalen Beigeschmack.

„Dieser Wahnsinn muss schleunigst ein Ende haben“, fluchte Matt und betrachtete seine Hand. Zwei metallene Tropfen hatten Brandblasen darauf hinterlassen, die höllisch schmerzten. „Wo ist nur die verdammte Septische Zone?“

Aruula streckte schweigend den Arm aus, und deutete auf ein rot gestrichenes Schott am Ende des Hauptganges, noch etwa fünfzig Meter entfernt. Sie hatte recht, dort musste es sein. Gemeinsam liefen sie näher. Unterwegs entdeckte Matt einen Notfall-Kasten mit rotem Kreuz an der Wand. Er öffnete ihn, schmierte eine Brandsalbe über seine Wunden und klebte zwei großflächige Pflaster darüber. Dann eilten sie weiter, stellten sich links und rechts des Schotts auf und warfen einen Blick durch die Sichtfenster.

Mehr als das Innere einer Doppelschleuse ließ sich aber nicht erkennen.Matt versuchte das äußere Schott zu öffnen, doch dazu bedurfte es eines speziellen

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Sicherheitscodes, den er nicht besaß. Fieberhaft überlegte er, was ihm Aruula über die Erinnerungen des Wulfanen erzählt hatte. Demnach musste es einen Raum mit einer Sicht-scheibe in den Septischen Bereich geben!

Die nächste Tür war nur wenige Meter entfernt. Auf dem Weg dorthin passierten sie ein mit Ruß gerändertes Wandloch, aus dem die Enden einer Stromleitung ragten. Matt wollte sich den Schaden gerade näher betrachten, als Aruula, die schon vor der Tür verharrte, plötzlich Gefahr signalisierte.

Matt warf einen Blick auf die Energieanzeige des Lasergewehrs. Halbvoll. Sie konnten – und mussten – es also wagen. Die Waffe im Hüftanschlag, stellte er sich vor die Schiebetür, während Aruula den seitlich am Rahmen angebrachten Sensor berührte.

Zischend verschwand der Stahl in der Wand, doch der Blick in den dahinter liegenden Raum wurde von einem massiven Schatten blockiert, der im nächsten Augenblick in zwei dunkle Silhouetten zerfiel. Es waren Nosfera, die zugeschliffene Stahlspitzen schwangen, als wären es Dolche!

Matt sah die Stiche gar nicht kommen, er reagierte rein instinktiv. Ehe ihm einer der Nosfera zu nahe kommen konnte, gingen ihre mageren Körper bereits unter dem Laserstrahl in Flammen auf. Mit einem synchronen Schrei gingen sie zu Boden.

Matt und Aruula griffen zu und wälzten die Gestalten am Boden, bis die Flammen erstickt waren. Sie blickten in gebrochene Augen; die beiden waren tot. Also drangen sie weiter in den Kontrollraum vor.

Ein Druck auf den Lichtsensor ließ die Deckenröhren aufflammen. Außer dem typischen Chaos aus umgestürzten Schränken und Tischen gab es aber nichts Besonderes zu sehen. Bis auf eine zwei mal drei Meter große Panzerglasscheibe, die einen Blick in den Neben-raum gestattete.

„Bei Wudan!“ Selbst Aruula schien bei dem, was sie dort sah, das Blut in den Adern zu gefrieren. Statt neben ihren Gefährten zu treten, machte sie jedoch einige Schritte zur Seite und ließ den Bihänder zwischen zwei umgestürzten Tischen niedersausen. Der Guul, der sich dort versteckt hatte, starb mit gespaltenem Schädel und einem wütenden Zischen auf den Lippen.

„Du musst vorsichtiger sein“, tadelte Aruula, während Matt einen Tisch aufrichtete, auf dem sich die Gegensprechanlage aufbauen ließ.

Seine Bemühungen lösten im Septischen Bereich nur minderes Interesse aus. Inmitten von leeren Käfigen und beleuchteten Wasserzylindern saß Doktor Tanja Dang auf einem Labortisch und schaute aus glanzlosen Augen zu ihnen herüber. Der Glashelm der Techno war zerschmettert. Nur der Hinterkopf wurde noch durch eine halbschalenförmige Scherbe bedeckt. Vermutlich hatte sie das einem der drei Guule zu verdanken, die mit schweren Laserverbrennungen am Boden lagen.

Matt stellte einen viereckigen Kasten auf, aus dem ein flexibles Stangenmikrofon ragte. Er drückte den Sprechknopf und fragte: „Können wir Ihnen irgendwie helfen?“

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Die Medizinerin stieß ein trockenes Lachen aus. „Nein. Wenn das jemand könnte, hätten wir diesen ganzen Unsinn nicht veranstalten müssen.“ Sie machte eine wegwerfende Bewegung in Richtung der Versuchstanks. „Ich bin tot, weil keiner auf mich hören wollte. Ich habe immer gesagt, dass wir mit Barbaren experimentieren sollen, aber Stoll und die anderen wollten davon nie etwas wissen …“

„Vermutlich, weil sie noch nicht ganz so irre sind wie du“, knurrte Matt, ohne die Lippen zu bewegen. Sobald er den Sprechknopf drückte, war er jedoch wieder die Freundlichkeit in Person. „Aruula und ich haben den Verdacht, dass eines der Gen-Experimente für den Aufruhr verantwortlich sein könnte. Würden Sie uns in den Septischen Bereich lassen, damit wir uns umsehen können?“

Die Apathie in Dangs Augen wich einem wütendem Funkeln. „Glauben Sie ernsthaft, ich würde hier drinnen hocken, wenn sich die Schleuse noch öffnen ließe? Es gab einen Kurzschluss, der alles lahmgelegt hat. Um hier herein zu kommen, muss erst jemand den Schaden reparieren, die Stromzufuhr in der AKZ neu schalten und eine Alphazutrittsbe-rechtigung besorgen. Kein Zuckerschlecken, wenn man bedenkt, was hier unten los ist.“

Dem konnte Matt nur zustimmen. So sehr ihn das Schicksal der Medizinerin auch bewegte – ob Dang ihre letzten Stunden im Septischen Bereich oder einige Meter weiter in einem genauso trostlosen Raum verbrachte, machte letztlich keinen Unterschied. Deshalb fragte er: „Haben Sie eine Möglichkeit, die telepathischen Botschaften des G13-Experiments zu stoppen?“

Doktor Dang deutete auf ein Lasergewehr, das neben ihr auf dem Tisch lag. „Leergeschos-sen“, bedauerte sie. „Hätte ich gewusst, dass ich damit noch ein gutes Werk vollbringen kann, hätte ich nicht die letzte Energie für das Panzerglas verschwendet.“ Die Techno wies auf einige Rußpartikel, die die Trennscheibe verschmutzten. Allzu viel hatten die Laserstöße wirklich nicht gebracht.

Aruula stieß ein leises Stöhnen aus.„Was ist los?“, fragte Matt erschrocken.„Ich habe versucht, in den Nebenraum zu lauschen“, antwortete die Barbarin. „Dort gibt

es eine Vibration, die mir Kopfschmerzen verursacht. Ich glaube, es ist G13.“„Wenigstens ist das Biest noch da“, sagte Matt. Er wollte Aruula noch sanft über die

Wange streicheln, doch ein lautes Scheppern der Lautsprecher ließ ihn herumfahren. Was sich im ersten Moment wie Kanonendonner anhörte, war in Wirklichkeit ein Hustenanfall, der Doktor Dang quälte. Bekümmert schaute sie auf einige rote Spritzer in ihrer Handfläche, die sie vor den Mund gehalten hatte.

Matt kaute nervös auf den Lippen herum, dann stand sein Entschluss fest. „Wir holen Sie da raus“, versprach er durchs Mikrofon. „Sie müssen uns nur sagen, woher wir eine Alphaberechtigung bekommen.“

Dangs Grinsen fiel so breit aus, dass ihre blutbefleckten Zähne sichtbar wurden. „Dazu

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bräuchten Sie schon Professor Geyers blaue Augen, mein Lieber. Die Abfrage läuft nämlich über einen Netzhautscan.“

Matt verzog das Gesicht. Nicht nur, weil ihm eine Magnetkarte lieber gewesen wäre, sondern auch, weil sie den ganzen Weg zu Geyer noch einmal zurückgehen mussten. Aber er stand zu seinem Wort. Schon deshalb, weil Aruula und ihm gar nichts anderes übrig blieb, als sich Zugang zum Septischen Bereich zu verschaffen.

„Halten Sie durch“, bat er Dang. „Wir beeilen uns.“

Den Kurzschluss aufzuspüren war die leichteste der drei Aufgaben. Wie Matt sich bereits gedacht hatte, handelte es sich um den Laserbeschuss an der Flurwand, bei dem die Strom-zufuhr für die Schleuse beschädigt worden war. Mit etwas handwerklichem Geschick ließen sich die zerrissenen Drähte wieder miteinander verbinden. Eine Rolle Klebeband aus einem Lagerraum half ihm bei der Isolierung. Danach ging es, geleitet von den grünen Pfeilen, in Richtung Atomkraft-Zentrale. Auf dem Weg dorthin lauerten viele Gefahren, doch mittlerweile hatten Matt und Aruula einige Routine dabei entwickelt, sich der an-greifenden Mutanten und Technos zu erwehren.

Abgekämpft erreichten sie ein grünes Schott, das sich ohne besondere Sicherheitsvorkeh-rungen betreten ließ. Drinnen befand sich ein großes Wasserbecken, in dem fünf Brennstäbe genügend Energie für die gesamte Speicherstadt produzierten. Rund um das Bassin reihten sich verschiedene Kontrollpulte aneinander, mit denen Spannung und Stromstärke für die verschiedenen Abteilungen geregelt wurden.

Auf der Suche nach der Schleusensicherung überflog Matt eine Vielzahl von Schaltern und Drehknöpfen, von denen die meisten nur verwirrende Kürzel aufwiesen, die einem Laien wenig sagten. Wie sollte er in diesem elektronischen Heuhaufen nur den richtigen Schalter finden?

Aruula hatte – wie so oft – eine passende Lösung parat. „Es ist bestimmt dieser hier“, erklärte sie stolz. „Es ist der Größte von allen.“

„Deshalb ist es noch lange nicht der, den wir suchen“, versuchte Matt zu erklären, doch dazu war es zu spät. Aruula hatte den Schalter bereits umgelegt.

Einen Augenblick lang geschah überhaupt nichts, dann wurde in ihrem Rücken ein Sprudeln laut! Entsetzt blickte der Pilot über die Berüstung des Kühlbeckens, in dem das Wasser plötzlich Blasen schlug.

„Warnung!“, erklang eine Computerstimme. „Kettenreaktion gerät außer Kontrolle. Reduzierung möglich innerhalb der nächsten 30 Sekunden. Noch 29 Sekunden, 28 Sekun-den, 27 Sekunden …“

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Aruula blickte schuldbewusst auf die Konsole hinab. „Ich glaube, da ist was schief gegangen“, vermutete sie. Zu recht.

Matt sprang an ihre Seite und brachte den bewussten Schalter zurück in seine Ausgangs-stellung. Die Computerstimme erstarb augenblicklich, das Sprudeln hielt jedoch noch eine Weile an, bevor es im Becken wieder ruhiger wurde.

Gerade noch mal gut gegangen! Matt atmete erleichtert auf. Dann sah er strafend zu Aruula hinüber, die verlegen mit der Stiefelspitze auf dem Boden scharte.

„Mach das bitte nie wieder!“, forderte er eindringlich. „Mit Kernspaltung ist nicht zu spaßen.“

„Pfff!“ Aruula entlüftete ihre Lungen mit einem verächtlichen Laut. „Als wenn der große Maddrax noch nie etwas falsch gemacht hätte.“

„Ich habe jedenfalls noch keine Atomexplosion …“, begann er, hielt dann aber inne, als ihm einige unschöne Erlebnisse in New York in den Sinn kamen, von denen Aruula zum Glück nichts wusste. „Nun, fass einfach nichts mehr an, okay?“, schärfte Matt ihr ein, während er die Konsolen weiter absuchte. Nach einigen Minuten durchschaute er die Anordnungen so weit, dass er die Auswahl zuerst auf alle Sicherungen für das vierte Erdgeschoss und dann auf den Septischen Bereich eingrenzen konnte.

„Aha, das ist es doch“, triumphierte Matthew, als er die Aufschrift SB-DS entdeckte. „Septischer Bereich – Doppelschleuse. Es lebe der Abkürzungswahn.“

Er legte den Schalter um und beobachtete zufrieden, wie der dazugehörige Voltmesser aus-schlug. Was sie jetzt noch brauchten, war eine Alphavollmacht, um die Schleuse freizugeben.

Der Weg zurück zum Eingang erwies sich als überraschend unproblematisch. Mutanten und Technos hatten sich entweder gegenseitig so weit dezimiert, dass sie keine Gefahr mehr darstellten, oder ihre Kämpfe hatten sich weiter ins Innere verlagert. Matt und Aruula konnte das nur recht sein.

Doch nicht alle Mutanten hatten das Weite gesucht. Als sie den Professor erreichten, wurde sein Leichnam gerade von einer Horde schmatzender Guule umringt. Einer der dürren Gesellen angelte nach den Augäpfeln des Toten, die er wohl für eine besondere Delikatesse hielt.

Matt und Aruula machten schnell ein Ende mit der Leichenfledderei. Doch nachdem die Guule niedergestreckt oder in die Flucht geschlagen waren, stellten sie zu ihrem Entsetzten fest, dass Geyer keine Augen mehr besaß.

„Das darf doch nicht wahr sein!“ Aruula versetzte dem gefräßigen Guul, der vor ihr auf den Fliesen lag, einen wütenden Tritt in die Seite. „Jetzt war alles umsonst!“

Der Stoß zeigte umgehend Wirkung. In einem Nervenreflex entkrampften sich Finger und Kiefer des toten Mutanten. Plötzlich rollte etwas Rundes, Kleines über den Boden. Aruula sprang sofort hinzu und hob es auf.

„Wudan ist mit uns!“, freute sie sich, während sie Geyers Augapfel zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. „Jetzt brauchen wir nicht den ganzen Mann mitzuschleppen.“

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Matthew spürte einen sauren Geschmack in der Kehle, enthielt sich aber jedes Kommen-tars. Schließlich konnte er froh sein, dass Aruula freiwillig den Transport des glitschigen, aber eminent wichtigen Sehorgans übernahm.

Auf schnellstem Weg, nur durch einige Scharmützel unterbrochen, ging es zurück zum Septischen Bereich. Die Schleuse führte tatsächlich wieder Strom, so weit hatte alles ge-klappt. Aruula musste nur noch Geyers Augapfel vor den Netzhautscanner halten, damit die Identität des Professors bestätigt wurde.

Zischend glitt das äußere Schott auf und machte den Weg frei. Nachdem sie eingetreten waren, wurde die Tür wieder luftdicht verschlossen. Erst danach glitt die Innenschleuse auf. Als ob es noch einen keimfreien Bereich gäbe, der geschützt werden müsste.

Tanja Dang empfing sie mit einem dankbaren Lächeln. „Unglaublich“, staunte die Techno-Ärztin. „Ihr beide habt es tatsächlich geschafft.“ Sie rutschte vom Labortisch und wollte Matt und Aruula entgegen gehen, doch eine Hustenattacke ließ sie nach wenigen Schritten inne halten. „Entschuldigung“, keuchte sie, verzweifelt nach Atem ringend. „Ich komme nicht dagegen an.“ Das Angebot, sich stützen zu lassen, lehnte sie jedoch brüsk ab. Selbst jetzt, bereits vom Tod gezeichnet, schien sie noch die Berührung durch unreine Oberflä-chenbewohner zu scheuen. „Kümmert euch lieber um den Gen-Mutanten. Ihr findet ihn dort drüben, in der stählernen Kammer mit der Aufschrift G13.“

Die Ärztin hatte recht. Sie durften keine Zeit mehr verlieren. Den Gewehrkolben gegen die Hüfte gedrückt, schritt Matthew voran. Hinter ihnen öffnete und schloss sich die Innenschleuse. Ein Blick über die Schulter zeigte, dass Tanja Dang aus dem Septischen Bereich floh. In ihrem Zustand konnte sie ohnehin keinen Kampf mehr austragen.

Matthew strich mit seiner freien Hand über die Zellentür, die nahtlos mit dem Stahl der Kammer abschloss. „Wie zum Teufel lässt sich das Ding öffnen?“, fragte er laut.

Die Antwort dröhnte verzerrt aus den Deckenlautsprechern. „Natürlich vom Kontrollraum aus, du hirnloser Barbarentrottel!“

Perplex sah er zu der Panzerglasscheibe hinüber, hinter der sich Tanja Dangs Gesicht ab-zeichnete. Die Ärztin war auf dem schnellsten Weg nach nebenan gelaufen. Nun schwenkte sie eine Magnetkarte, die gleich darauf in einem Bedienungspult verschwand. Sobald die Kontrolllampen von rot auf grün sprangen, hämmerte sie mit ihrem Handballen auf einen gewölbten Schalter, der bis zum Anschlag in der Konsole verschwand.

Blanker Irrsinn funkelte in Dangs Augen, während sie freudig erregt verfolgte, wie sich die Tür der Stahlkammer öffnete. „Seht zu, wie ihr mit dem Killer fertig werdet!“, spie sie aus. „Verrecken sollt ihr, wie alle anderen, denen ich meinen Tod zu verdanken habe!“

Matt suchte vergeblich nach Worten, um ihr klarzumachen, wie sehr sie sich irrte, doch ein tierisches Schnauben ließ ihn zusammenfahren.

Aus dem stählernen Verlies quälte sich eine geradezu monströse Gestalt hervor, die,

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als sie sich aufrichtete, fast mit dem Kopf an die Decke stieß. Der Gen-Mutant musste gut drei Meter groß sein. Seine Haut war bleich und fast haarlos wie die von Guulen und Nosfera, doch das zerfaserte Maul und sein Körperbau zeigten die Verwandtschaft zu den Wulfanen. Dicke Muskelstränge zogen sich über Schultern, Brustkasten und Bauch. Der Nacken und die Taille waren dicke Wülste, die Pranken breit wie die von Leichenfressern.

Matt kamen berechtigte Zweifel, ob dieses Biest mit ein paar Laserschüssen zu bezwingen war. Hinter der Panzerglasscheibe erhaschte er noch einen kurzen Blick auf Dangs Feixen, dann eilte die Ärztin davon. Matt wäre ihr am liebsten nach, um sie zur Rechenschaft zu ziehen, doch der Gen-Mutant bedurfte jetzt seiner ganzen Aufmerksamkeit.

Eben noch hatte der unförmige Riese neben der Kammer gestanden, jetzt wuchtete er sich mit überraschend federnden Sätzen durch das Labor – auf ihn und Aruula zu! Matt drückte den Schaft des Lasergewehrs an die Schulter und visierte die Bestie über Kimme und Korn an.

Dann zog er den Abzug durch. Der Laserstrahl durchschnitt das Labor und riss eine dampfende Wunde in die Brust des Monsters. Der Gen-Mutant blieb stehen. Doch statt nach hinten umzufallen, wankte er nur ein wenig. Und dann … warfen sich die Wundränder auf und wuchsen in Sekundenschnelle wieder zusammen, bis von der Verletzung nicht mehr als eine Narbe übrig blieb.

Regenerationskräfte bis zum Anschlag. Matt überlief ein kalter Schauer. So ein Dreck!Das Ungeheuer schien sich für eine Sekunde stillschweigend an seinem Schrecken zu

ergötzen, bevor es einen weiteren Schritt vorwärts machte und drohend die Pranken hob.Matt tat das Einzige, was ihm übrig blieb: Er feuerte weiter – wieder und wieder.Jeder der Laserstrahlen fraß sich tief in die Brust des Mutanten. Dampfend schmolz das

Fleisch von seinen Rippen, schneller als er regenerieren konnte.Es war ein Wettlauf mit der Zeit. Denn der rasch abfallende Energiepegel seines Gewehres

würde über Erfolg oder Tod entscheiden. Schon jetzt nahm die Intensität der Strahlen bei jedem Schuss weiter ab …!

„Warum fügst du mir solches Leid zu, Mensch? Ich sehe doch, dass du keiner meiner Kerkermeister bist!“

Matt erstarrte, als die dunkle Stimme erklang. Was ihn erschreckte, war weniger der Inhalt der Worte, als vielmehr die Tatsache, dass Aruula sie ausgesprochen hatte!

Seine Gefährtin stand mit hängenden Armen neben ihm. Ein Zittern lief durch ihren verkrampften Brustkorb. Ihre Pupillen waren so weit nach hinten gekippt, dass nur noch das Weiße in ihren Augen schimmerte.

Dem Monster entging nicht, dass Matt vor Schrecken und Wut erbleichte.„Es tut mir leid, dass ich mich deiner Gefährtin bedienen muss“, sagte es durch Aruulas

Mund. „Doch nur sie besitzt die Gabe, durch die ich zu euch sprechen kann.“Matt konnte sehen, wie die Lasereinschnitte in dem bleichen Fleischberg zusammen-

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wuchsen. War das Ganze nur eine Finte, um sich Zeit zu verschaffen, oder wollte G13 wirklich mit ihm verhandeln? Er war offensichtlich intelligent – doch musste es bei diesen Anlagen nicht eine böse Intelligenz sein?

Das Gewehr wog plötzlich doppelt schwer in Matthews schweißnassen Händen. Er hielt es weiter auf den Gen-Mutanten gerichtet.

„Wenn du Frieden willst, dann lass Aruula frei!“, verlangte Matt.Seine Worte zeigten Wirkung. Die Barbarin entspannte sich im Bruchteil einer Sekunde,

und ihre Augen kippten auf ein normales Maß zurück. Befreites Keuchen lockerte ihre Stimmbänder. „Er … er …“, stammelte sie in normalen Tonfall, „… ist nicht böse. G13 will nur seine Freiheit.“

„Aruula und ich wollen ebenfalls hier heraus“, sagte Matt an das Monster gewandt, „doch die Mutanten, die du zur Hilfe gerufen hast, töten jeden Menschen, der das Gelände verlässt.“

„Ich weiß. Das habe ich in den Gedanken deiner Gefährtin gesehen“, drang es gleich darauf dunkel aus Aruulas Mund. Das war wieder der Gen-Mutant, der durch sie sprach. „Diese Taten lagen nicht in meiner Absicht. Führt mich an die Oberfläche, und ich sorge dafür, dass den Unschuldigen kein Leid mehr geschieht.“

Matt registrierte wohl, dass G13 damit die Bunkerbesatzung ausschloss – aber konnte man etwas anderes von ihm erwarten? Er schien ihm wie das Frankenstein-Monster: im Grunde geistig noch ein Kind, das in seinem bisherigen Leben nur Qualen und Unrecht erleiden musste. Seine Peiniger hatten keine Gnade zu erwarten.

Die Wachstumshormone, mit denen ihn die Technos vollgepumpt hatten, mussten auch für seine schnelle Regeneration verantwortlich sein. Die Wunden in seinem Körper hatten sich inzwischen vollkommen geschlossen. Nur einige Narben markierten die Stellen, an denen eben noch Rippen durchgeschimmert hatten.

Matt nahm die Gewehrmündung nicht einen Millimeter aus dem Ziel. Falls die Bestie doch über ihn herfiel, konnte er sie mit einem Schuss in die Augen vielleicht lange genug blenden, um mit Aruula aus dem Labor zu fliehen.

Doch plötzlich spürte er eine Hand auf seiner Schulter, weich und beruhigend zugleich. Aruulas Hand.

„Er sagt die Wahrheit“, beschwor sie ihn mit ihrer normalen Stimme. „Er hat mir einen Blick in seine Gedanken gestattet. Das Angebot ist ehrlich gemeint.“

In ihren Augen war etwas Vertrautes, als ob sie wieder ganz die Alte wäre. Matt ließ die Waffe sinken, aber nur so weit, dass er sie jederzeit wieder in Anschlag reißen konnte.

„In Ordnung“, stimmte er zu. „Dann lasst uns so schnell wie möglich gehen. Mit etwas Glück sind die Fahrstühle nicht mehr blockiert.“

G13 drehte sich um, wusste aber offensichtlich nicht, wie er die Schleusentür öffnen konnte. Seine Finger tasteten hilflos über das Innenschott, als suchte er nach einer Mög-lichkeit, es mit bloßen Händen abzureißen.

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Aruula kam ihm zur Hilfe. Matt blieb fast das Herz stehen, als sie sich ohne Zögern in die Reichweite des Mutanten wagte, doch seine Sorge war unbegründet. G13 brummte zufrieden, als das Schott sich zischend öffnete.

Zusammen mit dem Fleischberg wurde es eng in der Schleuse, als sie die Prozedur der UV-Bestrahlung über sich ergehen lassen mussten. Matt war froh, als sich das Außenschott öffnete und sie in den Gang entließ.

„Dort entlang“, wies er in Richtung der Fahrstühle.Sie waren noch keine fünf Schritte weit gekommen, als eine altbekannte Alarmmeldung

aus den Stationslautsprechern hallte.„Warnung! Kettenreaktion gerät außer Kontrolle. Reduzierung möglich innerhalb der

nächsten 30 Sekunden. Noch 29 Sekunden, 28 Sekunden, 27 Sekunden …“Aruula blieb stehen. „Damit habe ich jetzt aber wirklich nichts zu tun.“„Natürlich nicht“, entgegnete Matt. „Das haben wir mit Sicherheit unserer Frau Doktor

zu verdanken. Los, vielleicht können wir noch das Schlimmste verhindern!“Er wusste genau, dass sie es nicht in fünfundzwanzig Sekunden bis zur Atomkraft-

Zentrale schaffen konnten – trotzdem versuchte er es. Mit Aruula und dem Gen-Mutanten im Gefolge, hetzte er durch die menschenleeren Gänge. Doch als sich das grüne Schott der Atomkraft-Zentrale am Ende des Flurs abzeichnete, ging der Countdown bereits seinem Ende entgegen.

„… zwei Sekunden, eine Sekunde“, dröhnte es aus den Lautsprechern. Die danach ein-tretende Stille schmerzte beinahe in den Ohren, allerdings nicht so stark wie die gleich darauf losheulende Sirene.

„Kettenreaktion außer Kontrolle!“, kam eine neue Durchsage, die von der Sirene untermalt wurde. „Kernschmelze in 20 Minuten. Achtung; der Vorgang ist nicht aufzuhalten! Noch 19 Minuten und 55 Sekunden … Noch 19 Minuten und 50 Sekunden … Noch 19 …“

Ein Trupp Technos kam vor ihnen am AKZ an. Als der erste durch das offene Schott trat, wurde er von einem Laserstrahl niedergestreckt.

„Ihr sollt alle verrecken, so wie ich!“, schrillte eine Stimme aus dem Kontrollraum – un-verkennbar die von Tanja Dang. Sekunden später trat sie aus dem Schott, ihr Lasergewehr in der Hand. Die umstehenden Technos legten auf sie an, doch ehe jemand schießen konnte, presste sich Dang den eigenen Gewehrlauf unter das Kinn und betätigte den Abzug. Ein kurzes Blitzen quer durch ihren Kopf, dann sackte sie leblos zu Boden.

Obwohl Matt den Selbstmord nur aus weiter Ferne gesehen hatte, wandte er den Blick ab. „So ein Wahnsinn“, flüsterte er. „Und nur weil sie mit der eigenen Sterblichkeit nicht klarkommt, reißt sie alle anderen mit in den Abgrund.“

„Wir werden sterben“, erklärte Aruula, und als Matt sie erstaunt ansah, bemerkte er, dass sie zu G13 gesprochen hatte. Offenbar hatte er ihr eine telepathische Frage gestellt.

„Wenn wir vorher nicht hier heraus kommen“, ergänzte er. „In neunzehn Minuten fliegt alles in die Luft.“

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„… noch 18 Minuten und 55 Sekunden“, verbesserte die Durchsage unerbittlich.„Eine Explosion“, antwortete Aruula auf eine unhörbare Frage. „Ein großer Feuerball,

der alles zu Asche verbrennt – auch dich.“Der Gen-Mutant nickte. Er hatte den Ernst der Lage begriffen.„Zu den Fahrstühlen!“, befahl Matt. „Das ist der kürzeste …“Er brach mitten im Satz ab, als sie feststellen mussten, dass ihnen einige Technos den

Weg versperrten. Darunter auch Heiser, der wieder einmal voreilige Schlüsse zog.„Da sind die Verbrecher, die die Kernschmelze ausgelöst haben!“, hetzte er seine Ka-

meraden auf, die prompt ihre Waffen hoben. Nun ja, angesichts des drei Meter großen Gen-Mutants hätten sie sie wohl ohnehin gehoben.

Matt fluchte. Ohne jede Ausweichmöglichkeit, mitten im Gang waren sie den Lasern hilflos ausgeliefert. Doch ehe die erste Entladung durch die Luft schneiden konnte, setzte sich der Gen-Mutant in Bewegung. Brüllend und wild mit den Armen schlagend stürzte er auf seine Peiniger los.

Sein massiger Leib nahm gut die Hälfte des Ganges ein und bot damit eine gute Deckung für Matt und Aruula. Zumal die Technos in wilder Panik nur auf ihn feuerten, um seinen Sturmlauf aufzuhalten.

G13 steckte die Treffer ein, ohne auch nur ins Wanken zu geraten. Heißer, übelriechender Dampf zog über seine Schultern hinweg, doch die Laserwunden vermochten ihn nicht zu stoppen.

Mit wirbelnden Fäusten fuhr unter die Technos, die gar nicht wussten, wie ihnen geschah. G13 besaß keine ausgefeilte Kampftechnik, die hatte er bei seinen überlegenen Kräften auch gar nicht nötig. Gewehre und Menschen flogen wie Spielzeuge zur Seite.

In Sekunden war der Weg frei.Vorläufig zumindest.

Im Kielwasser des tobenden Gen-Mutanten kamen Matt und Aruula schnell voran. Hin und wieder gaben sie kurze Anweisungen, in welcher Richtung es weiter ging, mehr brauchten sie nicht zu tun. Einige versprengte Technos, die ihnen noch in den Weg traten, wurden von G13 kurzerhand beiseite gewischt.

Der neue Verbündete erwies sich aber nicht nur als perfekte Kampfmaschine, sondern stellte auch seine telepathischen Fähigkeiten eindrucksvoll unter Beweis. Aus allen Rich-tungen strömten überlebende Gefangene herbei, die sich ihnen anschlossen. Aruula und Matt hatten nichts vor ihnen zu befürchten.

Mit einem Pulk von gut fünfzehn Mutanten erreichten sie die Hauptschleuse. Matt drängte sich an die Spitze der Gruppe, um nach dem Fahrstuhl zu sehen. Hoffentlich hatte man in

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den oberen Stockwerken nicht vergessen, dass hier unten noch Sicherungspersonal seinen Dienst verrichtete.

„Evakuierung läuft. Kernschmelze in 16 Minuten und 25 Sekunden“, verkündete der Lautsprecher. Die Zeit lief ihnen unerbittlich davon.

Matts Handballen hämmerte auf den Rufknopf. Ein feines, fast sanftes Klingeln unter-malte die aufgleitenden Fahrstuhltüren. Dahinter wurde eine beleuchtete Kabine sichtbar. Kanzler Stoll hatte die Blockade tatsächlich aufgehoben.

„Los, alle da rein“, befahl Matt.Zum Glück war die Kabine für große Lasten ausgelegt, denn allein G13 brauchte

schon Platz für drei. Nachdem die Gruppe drinnen war, fuhren die Türen langsam wieder zu.

In dem immer schmaler werdenden Spalt wurden noch einige Technos sichtbar, die mit lautem Wutgeheul näher kamen, doch keiner von ihnen wagte zu feuern, aus Furcht, den Fahrstuhl zu beschädigen. Matt erkannte das ungläubige Gesicht von Leutnant Bogner, dem er die Andeutung eines militärischen Grußes schenkte. Schließlich war der Offizier so fair gewesen, ihm den Driller zurückzugeben.

Die leuchtenden Stockwerkziffern wechselten sich in schneller Folge ab, als sie mit Ex-pressgeschwindigkeit in die Höhe schossen. Erst in der obersten Etage, dem TFG-Hangar, hielten sie an.

Als sich die Türen öffneten, blickten sie auf ein wimmelndes Chaos aus durcheinander rennenden Technos, die nicht mehr als ihr nacktes – wenn auch in Schutzanzüge gehülltes – Leben zu retten suchten.

Das Erscheinen der Mutanten sorgte für einiges Entsetzen, doch niemand blieb stehen, um sich einem Kampf zu stellen. Alle waren darauf erpicht, in einem der startenden TFGs unterzukommen. Der Fahrzeugaufzug war längst in die Tiefe gefahren. Oben, in der Decke des Hangars, klaffte nun ein acht mal vierzehn Meter großes Loch, durch das die Sonne einfiel.

Ein mit Flüchtlingen voll besetzter TFG rollte gerade die Rampe hinauf und blieb auf der Aufzugsplatte stehen. Statt hydraulisch in die Höhe zu fahren, setzte der Pilot jedoch das Antigravitationstriebwerk in Gang und schwebte durch die Hangaröffnung davon. Auf diese Weise machte er schneller Platz für die nachrückenden Fahrzeuge. Die ganze Prozedur musste schon oft geübt worden sein, denn innerhalb von zwei Minuten leerte sich der komplette Hangar.

Nur zwei unbesetzte TFGs blieben zurück, wohl für die Unglücklichen, die jetzt noch im Inneren des Bunkers waren.

Zwei der Wulfanen rannten auf einen Treppenschacht zu, der in die Höhe führte, doch Matt ließ sie durch G13 zurückrufen. „Wir nehmen einen der Flugpanzer“, erklärte er. „Zu Fuß haben wir keine Chance, der Explosion zu entkommen.“

Matthew Drax konnte sich eines mulmigen Gefühls nicht erwehren, als die Meute aus

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Nosfera, Guuls und Wulfanen den nächstgelegenen Flugpanzer enterte. Aber der Gen-Mutant schien sie alle unter Kontrolle zu haben.

Hoffentlich – sonst würde dies ein kurzer Flug werden!Während sich Matt in der Pilotenkanzel niederließ, sorgte Aruula dafür, dass alle an

Bord kamen. Dann schloss sie die Seitenschleuse, und Matthew setzte die Fahrketten in Bewegung. Seine Erfahrungen mit englischen und russischen Flugpanzern reichten aus, um das unbekannte Gefährt steuern zu können.

Auf dem Weg zur Rampe konnte er durchs Bugfenster sehen, wie Bogner und seine Männer mit einem Expressfahrstuhl eintrafen. Matt hätte gerne verfolgt, wie sie den letzten TFG besetzten, doch er musste sich auf die eigene Flucht konzentrieren. Mit sicherer Hand lenkte er die Rampe hinauf und aktivierte gleichzeitig die Antigrav-Triebwerke, sodass sie im 45-Grad-Winkel aufstiegen und durch die offene Hangardecke stießen.

Gleißendes Sonnenlicht empfing sie, aber auch der Anblick von fliehenden Nosfera, die über die Lichtung liefen. Gandar und seine Ordensbrüder. Sie waren dem Tode geweiht, ohne es zu ahnen. Die Explosion würde alles im Umkreis von mehreren Kilometern ver-wüsten.

Verdammte Atomkraft! Die Menschen des frühen 21. Jahrhunderts hatten schon gewusst, warum sie langfristig darauf verzichten wollten. Auch wenn den endgültigen Anstoß dazu erst ein Super-GAU in Japan im Jahr 2011 geben musste. Leider machte der Komet alle diesbezüglichen Pläne zunichte. Und Commander Matthew Drax musste sich – wieder einmal – mit den Hinterlassenschaften herumschlagen …

Obwohl ihm die Zeit unter den Nägeln brannte, setzte Matt zur Landung an, um die vermummten Gestalten aufzunehmen. Die Panzerketten hatten noch nicht den Boden berührt, als er sah, wovor die Nachtwandler flohen.

Unmittelbar vor dem Fahrzeug brach ein Gejagudoo aus der Erde, größer, breiter und mächtiger als alle anderen Exemplare dieser Gattung, die Matt je gesehen hatte. Zweifellos ein Muttertier!

Ihrem Umfang entsprechend, schien die Erdschlange einen Riesenappetit zu haben, denn sie stürzte sich auf die größte Beute, die sie ausmachen konnte: den TFG!

In einer schnellen Bewegung stieß das nach vier Seiten aufklappbare Maul herab und brachte das Fahrzeug zum Erbeben.

Trotzdem biss es sich an den Panzerplatten die Reißzähne aus. Die Insassen konnten hören, wie etwas Scharfes, Spitzes über die Außenhülle kratzte, bis der Gejagudoo einsah, dass dieser Brocken eine Nummer zu groß für ihn war. Stattdessen wandte er sich bequemeren Opfern zu, wie den Nosfera, die sich vor der Seitenrampe drängten.

Drohend richtete es seinen Vorderleib hoch auf, um die Mutanten anzuvisieren – doch ein Schuss aus der Bordkanone machte dem Gejagudoo einen Strich durch die Rechnung. Der Laserstrahl zerschnitt einen der vier Kiefer.

Fauchend zuckte das Tier zur Seite und schüttelte den Kopf wie ein angeschlagener

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Boxer. Doch statt mit der Verletzung klein beizugeben, drehte es den Kopf, um zu sehen, woher die schmerzhafte Attacke gekommen war.

Matt wartete nicht, bis sich der Gejagudoo von seiner Überraschung erholt hatte, sondern visierte das Tier erneut an. Er drückte den Feuerknopf. Und hielt ihn fest.

Gleißende Lichtstrahlen schlugen kaskadenartig in den Schlangenkörper ein, der plötzlich von einem schwarz verkohlten Linienmuster überzogen wurde. Kreischend sackte die Bestie zusammen und wand sich auf dem Boden.

„Alle Nosfera an Bord!“, rief Aruula von hinten und schloss die Seitenluke. Matt be-schleunigte.

In einer leichten Linkskurve zog er über das Bunkerareal hinweg und versuchte möglichst viel an Höhe und Weite zu gewinnen. Jede Sekunde, die ohne die Reaktor-Explosion verstrich, erhöhte ihre Lebenschance.

„Weiter, weiter, weiter“, murmelte er wie in einem persönlichen Mantra, während unter ihnen die Häuserzeilen hinwegzogen.

Das TFG hatte schon fast den Stadtrand erreicht, als hinter ihnen der Atompilz in den Himmel stieg.

Sekunden später wurden das TFG von der Druckwelle erfasst. Das Fahrzeug bäumte sich auf, als wollte es sich in der Luft querstellen. Aruula und die Mutanten wurden umher gewirbelt, nur Matt blieb durch die Sicherheitsgurte im Pilotensitz und hielt den Steuer-knüppel mit beiden Händen fest umklammert.

Einige schreckliche Sekunden lang verloren sie rapide an Höhe, dann stabilisierte sich die Lage und sie konnten den Flug fortsetzen. Matt warf einen besorgten Blick auf den Geigerzähler in der Instrumententafel, aber noch hatte die radioaktive Strahlung sie nicht erreicht. Und wenn er das Tempo hielt, würde das auch nicht passieren.

Unten in Ambuur sah es nicht so gut aus.Zwischen Elbe und Alster, genau dort, wo einst der Bunkerkomplex stand, klaffte ein

riesiger Krater, der sich bereits mit Wasser zu füllen begann. Alles Leben, was sich noch dort unten in den Ruinen befunden hatte, war auf einen Schlag ausgelöscht worden.

Matt schüttelte den Kopf, um die dunklen Gedanken zu vertreiben. Es war ihm und Aruula immerhin gelungen, eine Reihe von Leben zu retten. Das war es, was wirklich zählte.

Aruula … Der Gedanken an sie brachte eine Saite in Matt zum Klingen. Dass sie aus Berlin fortgelaufen war, schmerzte ihn. Hatte sie etwa angenommen, nun, da er um seine Tochter wusste, würde er sich von ihr abwenden? Er musste dringend mit ihr reden und ihr klar machen, dass weder er noch Jenny scharf darauf waren, nun eine Familie zu gründen und sesshaft zu werden. Der Platz seiner ehemaligen Flieger-Kameradin war hier bei ihrem Volk – der seine lag irgendwo dort draußen, im Kampf gegen die Daa’muren. Gemeinsam mit Aruula. Die er wirklich liebte …

Eine verhüllte Gestalt tauchte im Durchgang zum Cockpit auf. „Darf ich eintreten?“ Die Stimme gehörte zweifelsfrei Gandar. Die Kapuze des Nosfera bestand nur noch aus

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verkohlten Fetzen, und seine empfindliche Haut schien stark gerötet, trotzdem spalteten sich seine vertrockneten Lippen zu einem breiten Grinsen.

Matt deutete nur auf den leeren Copilotensitz, als Zeichen, dass der Ordensbruder Platz nehmen sollte.

„Bruder Maddrax“, lachte Gandar dunkel. „Was für ein Glück, dass wir nie unter deinen schäbigen Umhang gesehen haben. Sonst säßen wir jetzt alle nicht hier.“

„Man sollte eben nie nach dem Äußeren gehen“, sagte Matt.Schweigend sah ihn Gandar an und schien seine Gedanken zu sammeln, bevor er sagte:

„Du sprichst weise, Bruder“, sagte er dann ernst. „Weißt du, von Osten her verbreitet sich unter vielen Orden die Legende, dass uns Gott Murrnau einen Diener sandte, der die Nosfera vor dem Untergang bewahren soll. Die Bluttempler senden überall Boten aus, die behaupten, dieser Sohn der Finsternis wäre ein Mensch mit blondem Haar, und sein Name sei Maddrax.“

Neugierig sah er zur Seite, um Matts Reaktion zu beobachten. Der Pilot nickte nur, um zu bestätigen, dass es sich bei diesem Maddrax um niemand anderen als ihn handelte.

Gandar lachte leise. Ein sympathischer Laut, der so gar nicht zu seinem düsteren Äuße-ren passen wollte. „Unglaublich.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich wollte bisher nicht an das Gerede der anderen Orden glauben, doch nun scheint es, als ob auch die Nachtwandler Teil deiner Legende geworden sind.“

Matt wusste nicht, was er dazu sagen sollte, und selbst Gandar schien die Situation nicht unnötig zerreden zu wollen.

Schweigend flogen sie Richtung Osten, weit genug fort, dass ihnen der radioaktive Fallout nichts anhaben konnte. Bevor sie Berlin erreichten, würde Matt die Passagiere absetzen, damit sie ihren eigenen Weg fanden.

Plötzlich war es ihm, als ob er eine Arche steuern würde, mit genau jenen Völkern an Bord, denen das neue Zeitalter gehörte: Guule, Nosfera, Wulfanen sowie ein Mutant, der die besten Eigenschaften aller drei Rassen in sich vereinigte.

Vielleicht war es eine Art Vorsehung, dass diese Gruppe überlebt hatte, viele der Technos dagegen nicht. Vielleicht waren die Mutanten die Herren dieser neuen, harten Zeit, die nie einen Fehler vergab.

Dass auch die Menschen dazu gehörten, dafür wollte er sich einsetzen …

ENDE

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Hallo MADDRAX-Fans!

Ihr habt euch die Online-Ausgabe dieses Romans aus dem Internet geladen – herzlich willkommen also in der Welt von MADDRAX! Aber warum stellen wir Band 95 überhaupt kostenlos zur Verfügung? Ganz einfach: Weil der Jubiläumsband 300 einen damaligen Hand-

lungsstrang aus „Der Gen-Mutant“ aufgreift. Natürlich ist es zum Verständnis nicht notwendig, den Roman zu lesen – wir dachten aber, es ist ein netter Service und ein interessanter Blick in frühere MADDRAX-Zeiten. Zudem war dieser Band als Vorlage zu einem leider nie realisierten Computerspiel gedacht! Das nachfolgende Exposé von Bernd Frenz und mir zeigt, wie’s gedacht war:

ACHTUNG: Da die Handlung in den Spielabschnitten verraten wird – auch wenn sie in einigen Punkten vom Manuskript abweicht – empfehle ich dringend, dieses Skript erst nach dem Roman zu lesen!

Exposé für das MADDRAX-Computerspiel

Vorspann (mittels eines Films): In knappen, aber eindrucksvollen Bildern werden zu den Credits die Kometenkatastrophe, der Zeitsprung, das Treffen zwischen Matt und Aruula und ihr gemeinsamer Aufbruch in eine für Matt fremde Welt gezeigt, kommentiert von einem Erzähler. Zu überlegen wäre es, davon auch eine „Langfassung“ als ca. 20-mi-nütigen Film in Spielgrafik anzubieten, die detaillierter in das MADDRAX-Universum einführt.

1. Spielabschnitt / Spieler: Aruula / Aufgabe: JagdUm die Steuerung der Charaktere zu erlernen und sich ein bisschen an der Landschaft zu erfreuen, darf der Spieler auf die Jagd gehen: Mit einem Langbogen schießt er (bzw. Aruula) auf Wisaaun, Kamauler und Gerule. Dies ist ein Übungslevel ohne größere Gefahren in einer Vorort-Landschaft mit kleinen Häuserruinen, einer Tankstelle und überwucherten Straßen. Zum Schluss steigert sich der Schwierigkeitsgrad durch einen Siragippen-Angriff.

2. Spielabschnitt / CutsceneMatt folgt Aruula, als er ein Summen hört – und wenig später ein fliegender Panzer („Taktisches Flug-Gerät“ genannt) aus den Wolken herab stößt! Aruula bleibt geblendet stehen und wird in das Gefährt entführt. Matt rennt so schnell er kann, doch als er zu der Stelle kommt, hebt das TFG bereits ab. Matt hängt sich außen dran und wird in die Lüfte gehoben. Das Ganze läuft als Film ab. Dabei wird klar, dass der Spieler nun auf

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Matt „überwechselt“. Die Sequenz endet, als sich Matt in einen See fallen lässt und ans Ufer schwimmt.

3. Spielabschnitt / Spieler: Matt / Aufgabe: Frekkeuscher-RittMatt bemerkt eine Herde Frekkeuscher, die am Ufer grast. Er schwimmt hinüber und fängt einen davon ein. Das Spiel mutiert zu einem Flugsimulator, bei dem man versucht, das TFG einzuholen (was nicht gelingen kann). Dabei muss man Lande- und Absprungstellen finden, auf denen der Frekkeuscher glatt aufkommt, ansonsten gibts Punktabzug. Für mehr Spannung sorgen mutierte Vögel und ein Eluu, die den Weg des Helden kreuzen und die er von seinem Reittier aus mit einem Driller abschießen muss. Zum Ende hin dominiert ein Hindernisflug zwischen den Gebäuden Hamburgs hindurch.

4. Spielabschnitt / CutsceneAls Film läuft die Landung in den Häuserschluchten Hamburgs ab. Das TFG ist außer Sicht geraten, und Matt landet irgendwo in der Stadt auf einer Rasenfläche. Bevor er um die Pläne der Technos weiß, will er lieber unentdeckt bleiben. Kaum ist der Frekkeu-scher gelandet, wird er von mehreren Gejagudoo, die aus dem Boden brechen, getötet.

5. Spielabschnitt / Spieler: Matt / Aufgabe: Vorkämpfen zum BunkerMatt kämpft sich durch die Ruinenstadt und stellt sich allerlei Viehzeug, wobei man einige Sehenswürdigkeiten einbauen sollte. Um den Weg zum Bunker zu finden, helfen ihm Bar-baren (Non Player Characters), denen er beisteht oder für die er kleine Aufträge erledigt, mit Hinweisen und Karten. Die größte Gefahr sind die Gejagudoo, die aber nur dort aus dem Boden brechen können, wo ihnen kein Asphalt den Weg versperrt; Matt muss sich also einen sicheren Weg suchen. Das ermöglicht auch einen Ausschluss diverser Gebäude, die einfach von Rasen umgeben sind. Wird Matt verletzt, sinkt sein Punkte-Konto. In einem Waffenladen sucht er sich einige noch funktionierende Knarren und räumt Wulfanen, Guule und Nosfera ab. Auch Taratzen, Siragippen und Tausende von kleinen Käfern mischen mit. In einem Krankenhaus kann er seine Gesundheit auffrischen. Munition findet er auch bei skelettierten Polizisten und Soldaten. Ein Teil des Levels in Hafennähe ist überflutet (der Meeresspiegel stieg um gut acht Meter) und muss schwimmend und im Kampf gegen mutierte Raubfische gemeistert werden. Schließlich erreicht Matt den Bunker, überwindet den Elektrozaun und dringt in die Anlage ein.

6. Spielabschnitt / CutsceneUmblende zu Aruula. Die Technos haben sie zwar entführt, wollen ihr aber nichts Böses. Sie suchten lediglich einen Telepathen für einen besonderen Job: Der Zugang zu den unteren Abteilungen des Bunkers ist blockiert, und der Einzige, der die Kombination

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kennt, liegt sterbend hinter der verschlossenen Tür, zu schwach, um die Kontrollen zu bedienen. Aruula soll die Kombination in seinem Gedächtnis lesen.Als Film wird die Absicht der Technos klar gemacht. Dabei muss deutlich werden, dass sie an einer Immunschwäche leiden, die sie zwingt, außerhalb ihres Bunkers – und so lange sie mit Aruula zusammen sind – hermetische Schutzanzüge zu tragen.

7. Spielabschnitt / Spieler: Matt / Aufgabe: Eindringen in den BunkerHier sollte Matt nun drei Rätselaufgaben zu knacken haben, um die obere und zwei weitere Bunkertüren zu öffnen. Dann muss er sich möglichst ungesehen vorantasten, bis er entdeckt und gefasst wird, was früher oder später, jedoch erst nach dem Lösen der Rätsel unweigerlich passiert. Bis dahin kann er Technos, die auf ihn aufmerksam werden, niederschlagen (nicht töten; versucht er dies, geht sofort ein Alarm los!).

8. Spielabschnitt / CutsceneMatt wird zu Aruula gebracht und erfährt, was Sache ist. Bei der geistigen Verschmelzung Aruulas mit dem sterbenden Techno wird sie in dessen „Todesvisionen“ hinein gesogen.

9. Spielabschnitt / Spieler: Aruula / Aufgabe: Herausfinden der ZahlenkombinationNun steuert der Spieler Aruula quasi durch den sterbenden Verstand des Technos auf der Suche nach der Kombination. Das Level ist eine Mischung aus Rätseln und Kampf in einer bizarren, aus Erinnerungen erzeugten Umgebung (den Gang, durch den Aruula wandert, ist eine organische, pulsierende Röhre, die immer wieder in gestaltgewordene Erinnerungsbilder mündet), wobei immer mehr Teile des Gehirns absterben. Waffen erzeugt die Barbarin durch ihre Vorstellungskraft, wozu aber für effektivere Waffen ein gewisser Punktelevel erreicht werden muss. Wenn sie endlich den „Ausgang“ erreicht, muss sie die Zahlen gefunden haben. Dieses Level sollte nicht so sehr auf Konfrontation, sondern mehr auf Geschicklichkeit setzen.

10. Spielabschnitt / CutsceneDie Tür wird geöffnet – aber dahinter wartet nicht nur der nunmehr tote Techno! Ein Wulfane stürzt vor und wird von den Bunkermenschen über den Haufen geschossen. Doch schon rumort es in den Tiefen der Anlage; da kommen noch weitere Schrecken näher! Eine plötzlich aufmarschierende Truppe der Technos stürmt den unteren Bunker mit schweren Waffen, während Matt und Aruula einigermaßen verdutzt zurück bleiben. Matt spricht mit dem sterbenden Wulfanen, der die Menschensprache leidlich versteht. So erfahren er und Aruula in wenigen Sätzen, was geschehen ist: Der Wulfane und einige Artgenossen, aber auch Guule und Nosfera wurden von den Technos in den Bunker verbracht, wo man Experimente an ihnen vornahm, bis ein Techno (der Tote hinter der Tür) sie vor einigen Tagen befreite. Doch die anderen bemerkten den Verrat und schlossen die Tür. Im Gegenzug

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änderte ihr Befreier die Kombination; da alle Vorräte auf seiner Seite gelagert waren, hoffte er so auf ein Druckmittel. Ein Patt entstand – bis jetzt!

11. Spielabschnitt / Spieler Matt oder Aruula / Aufgabe: Vordringen zum LaborNun hat der Spieler die Möglichkeit, zwischen Matt und Aruula zu wählen (was für das ganze weitere Spiel gilt! Matt (schwerer) hat die bessere Bewaffnung, Aruula (einfa-cher) ihre telepathischen Fähigkeiten, die wie ein Radar funktionieren; dadurch kann sie Feinde früher wahrnehmen. Entscheidet sich der Spieler für Matt, bleibt Aruula hinter ihm und warnt ihn einige Sekunden vor einem Angriff; wählt er Aruula, gibt Matt ihr Rückendeckung. Es geht hinab in das Bunkerlabyrinth, wobei u.a. folgende Bereiche durchquert werden müssen:– ein hier installiertes Biotop, das für Nahrung und Sauerstoff sorgt,– ein Lavasee, aus dem Dampf und Hitze gewonnen werden,– die vormals abgeschotteten Kerker der Mutanten,– den Reaktor, dessen Strahlung man nur mit vorher gefundenen Schutzanzügen übersteht,– ein überfluteter Bereich, in dem die Helden schwimmen und tauchen müssen,– und schließlich das Labor, in dem sich letzte Technos gegen die Eindringlinge wehren.Wichtig: Es ist nicht in Matts und Aruulas Interesse, alles zu töten, was ihnen vor die Waffen kommt! Wenn möglich, verbergen sie sich, bis die Gefahr vorüber ist, und wehren sich nur bei Angriffen. Ihr primäres Ziel muss das Labor sein!

12. Spielabschnitt / CutsceneMatt und Aruula kommen im Labor an und erfahren von einem dort verbliebenen Techno, dessen Helm zersprungen ist, um was es eigentlich geht. Die Hamburger Bunker-Commu-nity suchte – genau wie der Weltrat von 30 Jahren – nach einem Gen, das ihr Immunsystem wieder aufbaut. Dazu wurden Versuche mit Mutationen gemacht, die aus menschlicher DNS hervorgingen, eben Wulfanen, Nosfera und Guule. Etliche der bedauernswerten Kreaturen starben, bis man ein Monstrum schuf, das die DNS aller Mutanten in sich vereinte und das darüber hinaus schwach telepathische Kräfte entwickelte. Es beeinflusste einen der Wissenschaftler dahingehend, die Eingekerkerten zu befreien; den Rest kennt man ja. Nun wird Matt auch die Anwesenheit der Mutanten in Hamburg klar: Die Völker suchen nach ihren verschwundenen Angehörigen.An dieser Stelle der Geschichte drückt der todgeweihte Techno einen Knopf: „Und nun seht selbst, wie ihr mit dem Killer fertig werdet!“ Eine Luke zum Labor öffnet sich – und das Monstrum erscheint; eine Mischung aus den drei besagten Völkern mit der Nachtsicht und dem Blutdurst der Nosfera, der Stärke und Wildheit der Wulfanen und den Instinkten der Guule. Dazu ist es fast drei Meter groß. Die Kreatur wendet sich den Helden zu, als es plötzlich vom Eingang des Labors her beschossen wird: Einige Technos stehen dort

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mit Laserwaffen und nehmen es unter Feuer. Die Kreatur wendet sich ab und stürmt auf die Technos zu, die den Rücktritt antreten.

13. Spielabschnitt / Spieler: Matt oder Aruula (wie gewählt) / Aufgabe: Gen-MutantDer Spieler bleibt bei dem Charakter, den er/sie gewählt hat. Die beiden folgen dem Monstrum, das furchtbar unter den Technos wütet. Die sind natürlich der Meinung, die Fremden hätten es befreit, und nehmen auch sie unter Feuer. Wieder müssen Matt & Aruula kämpfen und werden schließlich von dem Gen-Monster gehetzt. Sie können es nicht besiegen und werden immer weiter zurück gedrängt, bis sie in der Falle sitzen.

14. Spielabschnitt / CutsceneDas Monstrum packt Aruulas Kopf, um selbigen zu zerquetschen – und stellt dabei eher unabsichtlich einen telepathischen Kontakt zu ihr her. In Sekunden erkennt es die Rolle, die sie und Matt in dieser Geschichte spielen, und erklärt ihr seine friedlichen Absichten. Es will nichts weiter als aus der Gefangenschaft entfliehen!Umblende zum Techno im Labor: Über eine Videoüberwachung sieht er nur noch tote Kameraden überall – und die „Verbrüderung“ der Fremden mit dem Monster. Er aktiviert die Selbstzerstörung des Bunkers! Ein Countdown gibt über Lautsprecher bekannt, dass noch zwanzig Minuten bleiben, bis hier alles in die Luft fliegt.

15. Spielabschnitt / Matt oder Aruula (wie gewählt) / Aufgabe: Flucht zur OberflächeIn diesem Level gilt: wenige Kämpfe (mit den letzten Technos), dafür viel Geschicklich-keit. Durch einen einstürzenden Gang werden die Freunde voneinander getrennt. Der gewählte Charakter muss sich allein durchschlagen, während der andere Part zusammen mit dem Gen-Mutanten den Weg meistert. Die ersten Gerätschaften explodieren, die Atemluft wird schlechter und der Weg ist immer wieder versperrt. Findet der Spieler den Weg bis zu einem bestimmten Zeitpunkt alleine nicht, bricht automatisch die Kreatur durch eine Decke und holt ihn nach oben. So wird gewährleistet, dass man nach spätestens zehn Minuten die Oberfläche erreicht, wo ein Stück entfernt das TFG noch auf einer Landeplattform steht.

16. Spielabschnitt / CutsceneVom Bunker bis zum TFG hat die Gruppe (Matt, Aruula, Genmutant) noch knapp zwan-zig Meter zu überwinden – über sandiges Terrain. Als sie gerade loslaufen, bricht ein gewaltiges Gejagudoo-Muttertier aus dem Boden. Die Kamera „fährt in Matt ein“, um zu verdeutlichen, dass nur er mit seinen weitreichenden Waffen eine Chance hat. Er scheucht die anderen zum TFG und stellt sich der Bestie.

17. Spielabschnitt / Spieler: Matt / Aufgabe: EndgegnerWie bei Endgegnern üblich, muss geballert werden, bis der Lauf glüht, gepaart mit der

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Geschicklichkeit, sich nicht erwischen zu lassen. Matt umkreist das Muttertier, das sich immer wieder in den Boden wühlt, um an anderer Stelle aufzutauchen. Ein Kräfte-Balken zeigt den Zustand der Bestie an, der aber ab einem gewissen Grad nicht mehr weiter absinkt. In diesem Augenblick ruft Aruula aus dem TFG, es mit der Bordkanonen zu versuchen. Matt muss also zum Panzer laufen, die Kanone ausrichten und dem Vieh den finalen Fangschuss geben (der nur dann Wirkung zeigt, wenn dessen Gesundheitsniveau auf dem besagten „Schwellenwert“ liegt).

18. Spielabschnitt / CutsceneDas TFG mit den beiden Helden und dem Gen-Monster an Bord startet und nimmt Kurs nach Südosten, mitten durch die Stadt.

19. Spielabschnitt / Spieler: Matt / Aufgabe: Flucht aus HamburgDas Level besteht aus einem Flugsimulator; man muss das TFG (das nicht höher als zehn Meter fliegen kann) sicher zwischen den Gebäuden Hamburgs hindurch lenken, während es von den Druckwellen der Explosionen durchgeschüttelt wird. Das kann natürlich nur Matt als Pilot. Dieses Level muss derart atemberaubend und hektisch werden, dass der Spannungsbogen nach der Vernichtung des Endgegners nicht abbricht.

20. Spielabschnitt / Cutscene: EndsequenzNach der optisch spektakulären Zerstörung von halb Hamburg beim Einbruch des Bunker-kraters landet Matt außerhalb der Stadt und lässt den Gen-Mutanten aussteigen. Das Spiel endet mit der Erkenntnis, dass die Grenze zwischen Gut und Böse nicht fest definierbar ist und diese optisch scheußliche Kreatur der „menschlichste“ aller Bunkerbewohner war. Das Schlussbild zeigt, wie das TFG mit Matt und Aruula wieder startet und neuen Abenteuern entgegen fliegt …

So weit das Game-Skript. Ich hoffe, Ihr fandet es informativ – und habt es nicht vor dem Roman gelesen! Wenn doch: selbst schuld! J

Zum Schluss noch ein wichtiger rechtlicher Hinweis: Diese PDF-Datei darf nur für den privaten Gebrauch geladen, genutzt und ausgedruckt werden; eine Vervielfälti-gung und kommerzielle Nutzung in jedweder Form, auch auszugsweise, ist untersagt! © Bastei Lübbe 2011

So, und nun wünsche ich weiterhin ein spannendes Lesevergnügen mit MADDRAX, auch über Band 300 hinaus!

Euer MAD MIKE

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