Mädchenerziehung und -sozialisation in der Zeit des Nationalsozialismus und ihre...

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Renate Strien Mädchenerziehung und -sozialisation in der Zeit des Nationalsozialismus und ihre lebensgeschichtliche Bedeutung

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Renate Strien Mädchenerziehung und -sozialisation in der Zeit des N ationalsozialismus und ihre lebensgeschichtliche Bedeutung

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Forschung Erziehungswissenschaft

Band 88

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Renate Strien

Mädchenerziehung und -sozialisation in der Zeit des N ationalsozialismus und ihre lebensgeschichtliche Bedeutung Lehrerinnen erinnern sich an ihre Jugend während des Dritten Reiches

Leske + Budrich, Opladen 2000

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Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich

ISBN 978-3-8100-2716-0 ISBN 978-3-663-01372-3 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-01372-3

© 2000 Leske + Budrich, Opladen

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FürP.

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Inhalt

Vorwort und Danksagung ..................... ....... ......... ........... ..... .... .......... 11

1.

2.

2.1 2.2

Einleitung ........................................................................... .

Das narrative Interview in der biographischen Forschung ........................................................................... . Methodische Probleme ........................................................ . Methodische Konsequenzen ................................................ .

13

25 25 30

Exkurs: (Auto)biographische Erzählungen ....................................... 33

3. 3.1 3.2

4. 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.2 4.2.1 4.2.1.1 4.2.1.2 4.2.1.3 4.2.2 4.2.2.1 4.2.2.2 4.2.2.3 4.2.2.4 4.2.2.5

Die Durchführung der Interviews ................................... .. Vorbereitung und Entstehung der Interviews ...................... . Die Gesprächssituation in den Interviews ........................... .

Bearbeitung der Interviews ............................................. .. V orbereitung des Materials ................................................ .. Transkription ....................................................................... . Inhaltliche Validität ............................................................. . Paraphrasierung ................................................................... . Auswertung der Interviewtexte .......................................... .. Konstruktion der Gesamtdarstellung .................................. .. Textstruktur und Textsorten ............................................... .. Thematische Gliederung des Textes .................................... . Rahmenschaltungen ............................................................. . Ergänzende Untersuchungen ............................................... . Selbstaussagen ..................................................................... . "Lebensweisheiten" ............................................................. . Sprachstil / Sprachebenen .................................................... . Evaluationen ........................................................................ . Metaphorischer Sprachgebrauch ......................................... .

37 37 38

41 42 42 42 43 43 43 43 47 48 53 54 56 56 58 61

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5. 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.2 5.2.1 5.2.1.2 5.2.2 5.2.2.1 5.2.2.2 5.2.2.3 5.2.3 5.2.3.1 5.2.3.2 5.2.3.3 5.2.3.4 5.2.3.5 5.2.4 5.2.4.1 5.2.4.2

5.2.4.3 5.2.5

5.3 5.3.1 5.3.2

5.3.2.1 5.3.2.2 5.3.2.3 5.3.3 5.3.3.1 5.3.3.2 5.4 5.4.1 5.4.2 5.5

5.5.1 5.5.1.1 5.5.1.2

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Quervergleiche der Interviewaussagen ............................ . Persönliche Daten ................................................................ . Altersstruktur ....................................................................... . Familiensituation ................................................................. . Herkunftsorte ....................................................................... . Erziehungsinstanzen ............................................................ . Eltern ................................................................................... . Familiale Erziehung ............................................................. . Schule .................................................................................. . Unterricht: Fächer und Verfahren ....................................... .. Sonderveranstaltungen - Lager ........................................ .. Lehrer .................................................................................. . BDM: Jungmädelbund und Bund deutscher Mädel ............. . Dienstpflicht ........................................................................ . Uniform ............................................................................... . Dienst ................................................................................... . Führerinnen ......................................................................... . Erzieherische Einwirkung .................................................. . Reichsarbeitsdienst und andere Organisationen .................. . RAD ..................................................................................... . Kriegshilfsdienst, Deutsches Rotes Kreuz, Studentenausgleichsdienst ................................................... . Auswirkungen ..................................................................... . Elternhaus, Schule, Jugendorganisationen - drei Säulen nationalsozialistischer Erziehung? ....................................... . Sonstige Einflüsse 1933-1945 ............................................ .. Zeitereignisse ....................................................................... . Propaganda - Politische Atmosphäre -Parteiorganisationen ............................................................ . NS-Organisationen .............................................................. . Medien ................................................................................. . Atmosphäre im Alltag ......................................................... . Kriegsjahre .......................................................................... . Erlebnisse ............................................................................ . Verarbeitung ........................................................................ . Biographische Bedeutung des Jahres 1945 .......................... . Zusammenbruch und Neuanfang? ...................................... .. Verarbeitungs- und Wandlungsprozesse ............................ .. Nachwirkungen der Zeit des Nationalsozialismus im persönlichen und beruflichen Bereich ................................. . Persönlichkeitsenwicklung .................................................. . Wertvorstellungen ............................................................... . Geschlechtsbezogenes Rollenverständnis ............................ .

63 63 63 63 65 65 65 66 69 71 75 78 80 80 82 82 84 84 89 89

92 95

96 98 98

99 100 104 106 109 109 115 119 119 124

128 129 129 135

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5.5.1.3 5.5.1.4 5.5.2 5.5.2.1 5.5.2.2 5.5.2.3 5.5.2.4

6. 6.1 6.2

Politische Einstellung .......................................................... . Zusammenfassung ............................................................... . Berufsleben .......................................................................... . Berufswahl ........................................................................... . Berufsidentität ..................................................................... . Pädagogische Vorstellungen ................................................ . Zusammenfassung ............................................................... .

Schlu8 ................................................................................. . Reflexion des methodischen Vorgehens .............................. . Zusammenfassung und Bewertung der Untersuchungsergebnisse .................................................... .

137 142 143 143 145 152 158

161 161

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Literatur ............................................................................................... 173

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Vorwort und Danksagung

Dieses Buch ist die gekürzte Fassung einer Dissertation gleichen Titels, die 1998 von der Bergischen Universität - Gesamthochschule Wuppertal, Fach­bereich Erziehungswissenschaften, angenommen wurde.

Betreut wurde die Arbeit von Herrn Professor Dr. Fritz Böversen, dem ich für seine sehr verständnisvolle und anregende Unterstützung ganz herz­lich danken möchte.

Zu besonderem Dank bin ich aber auch meinen Interviewpartnerinnen verpflichtet, die sich für das Thema meiner Untersuchung interessierten und mir ihre Lebensgeschichten mit groBer Offenheit erzählten. Ohne ihr Enga­gement und ihr Vertrauen wäre meine Arbeit nicht möglich gewesen.

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1. Einleitung

Das Interesse an der Erziehung im Nationalsozialismus ist auch heute, mehr als fünfzig Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches, noch nicht erloschen. Im Gegenteil wird das Thema sogar wieder häufiger in der Öffentlichkeit aufgegriffen: im Zusammenhang mit der Frage nach den Ursachen für rechts­radikale Strömungen innerhalb der heutigen Jugendgeneration, im Vergleich mit den Erfahrungen der Jugendlichen in der ehemaligen DDR oder angeregt durch Filme, die sich mit dem Holocaust auseinandersetzen. Junge Menschen zeigen ihr Interesse an der Zeit des Nationalsozialismus und werfen teilweise ihrer Elterngeneration vor, sie darüber nicht ausreichend informiert zu haben, weshalb sich manche mit ihren Fragen an die Generation der GroBeltern wenden. l Aber auch viele dieser Älteren - wie eine Reihe der für die hier vorgestellte Untersuchung interviewten Frauen - waren in jüngeren Lebens­jahren wenig bereit, sich mit den Ereignissen während der national­sozialistischen Herrschaft zu beschäftigen, und versuchen erst jetzt, die eige­nen Erlebnisse rückblickend bes ser zu verstehen und sich zu vergewissern, als wie typisch ihre Erfahrungen anzusehen sind. Wie weit dies es Interesse an der Vergangenheit als Charakteristikum des höheren Lebensalters zu deuten ist und wie weit es durch die Überlegung ausgelöst wird, ob sich et­was Ähnliches heute wieder ereignen könnte, dürfte im Einzelfall nicht im­mer abzugrenzen sein.

Auch wissenschaftliche Untersuchungen befassen sich nach wie vor mit dieser Phase der jüngeren deutschen Vergangenheit, dabei aus pädagogischer Sicht mit der nationalsozialistischen Erziehungspolitik und - seltener - mit den Wirkungen und der Verarbeitung der Erlebnisse junger Menschen im

Nicht immer ist allein die fehlende Gesprächsbereitschaft der älteren Generation die Ursa­che, wenn in Familien die NS-Zeit und insbesondere die NS-Verbrechen nicht oder nicht mehr thematisiert wurden. Brendier weist auf verschiedene Formen gegenseitiger Blockie­rung der Gesprächsbereitschaft zwischen Zeitzeugen und Nachgeborenen hin, wobei die Jüngeren aus Rücksichtnahme, urn Konflikte zu vermeiden oder aus Furcht vor möglichen Offenbarungen schuldhafter Verstrickungen von Angehörigen ihr Fragebedürfnis unter­drückten oder die Älteren auswichen, urn offensiven Fragen, Vorwürfen und Kritik zu entgehen, mit denen Kinder oder Enkel ihnen bereits begegnet waren. Brendier, Konrad: Die NS-Geschichte als Sozialisationsfaktor und Identitätsballast der Enkelgeneration. In: Bar On, D.: "Da ist etwas kaputtgegangen an den Wurzeln ... " Iden­titätsformation deutscher und israelischer Jugendlicher im Schatten des Holocaust. Frank­furtlM: Campus 1997, S. 53-104, v. a. S. 84. Vgl. auch: Hardtmann, Gertrud: Die Dritte Generation in Deutschland. In: Bar On 1997, S. 105-136.

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Dritten Reich.2 In Arbeiten zur letzteren Thematik wird immer wieder Fragen nachgegangen, die ebenso auBerhalb der Wissenschaft gestellt werden: Wie

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So u. a. Berg, Christa; Ellger-Rüttgardt, Sieglind (Hrsg.): "Du bist nichts, Dein Volk ist alles". Forschungen zum Verhältnis von Pädagogik und Nationalsozialismus. Weinheim: Deutscher Studien Verlag 1991; Dithmar, Reinhard (Hrsg.): Schule und Unterricht im Dritten Reich. Neuwied: Luchter­hand 1989; Gamm, Hans-Jochen: Führung und Verführung. Pädagogik des Nationalsozialismus. München: List 1964; Giesecke, Hermann: Hitlers Pädagogen. Theorie und Praxis nationalsozialistischer Erzie­hung. Weinheim, München: Juventa 1993; Glaser, Hermann; Silenius, Axel (Hrsg.): Jugend im Dritten Reich. Frankfurt/M.: Tribüne 1975; Heinemann, Manfred (Hrsg.): Erziehung und Schulung im Dritten Reich. Teil I: Kinder­garten, Schule, Jugend, Berufserziehung. Teil 2: Hochschule, Erwachsenenbildung. Stutt­gart: Klett-Cotta 1980; Herrmann, Ulrich (Hrsg.): "Die Formung des Volksgenossen." Der "Erziehungsstaat" des Dritten Reiches. Weinheim, Basel: Beltz 1985; Herrmann, Ulrich; Oelkers, Jürgen (Hrsg.): Pädagogik und Nationalsozialismus. Wein­heim, Basel: Beltz 1989; Keim, Wolfgang (Hrsg.): Pädagogen und Pädagogik im Nationalsozialismus. Ein unerle­digtes Problem der Erziehungswissenschaft. FrankfurtlM., Bern, New York, Paris: Lang 1988; Keim, Wolfgang: Erziehung unter der Nazi-Diktatur. Bd.1. Antidemokratische Potentiaie, Machtantritt und Machtdurchsetzung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1995; Kipp, Martin; Miller-Kipp, Gisela: Erkundungen im Halbdunkel. Einundzwanzig Studien zur Berufserziehung und Pädagogik im Nationalsozialismus. (2.Aufl.) FrankfurtlM.: Ver­lag der GAFB 1995; Klafki, Wolfgang (Hrsg.): Verführung, Distanzierung, Ernüchterung. Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus. Autobiographisches aus erziehungswissenschaftlicher Sicht. Weinheim, Base!: Beltz 1988; Lingelbach, Karl Ch.: Erziehung und Erziehungstheorie im nationalsozialistischen Deutschland. Ursprünge und Wandlungen der 1933-1945 in Deutschland vorherrschenden erziehungstheoretischen Strömungen; ihre politischen Funktionen und ihr Verhältnis zur auBerschulischen Erziehungspraxis des "Dritten Reiches". FrankfurtlM.: dipa-Verlag 1987; Platner, Geert; Schüler der Gerhart-Hauptmann-Schule in Kassei (Hrsg.): Schule im Drit­ten Reich. Erziehung zum Tod. Eine Dokumentation. Köln: Pahl-Rugenstein 1988; Scholtz, Haraid: Erziehung und Unterricht unterm Hakenkreuz. Göttingen: Vandenhoeck u. Ruprecht 1985; Stahlmann, Martin; Schiedeck, Jürgen: "Erziehung zur Gemeinschaft - Auslese durch Gemeinschaft". Zur Zurichtung des Menschen im Nationalsozialismus. Mit einem Nachw. v. Heinrich Kupffer. Bielefeld: Karin Böllert KT-Verlag 1991. In der Einleitung zu "Erziehung und Schulung im Dritten Reich" (Heinemann T. 1, 1980, S. 19) wird auf die sich wandeinden Schwerpunkte im Bereich der Pädagogik bei der Be­schäftigung mit der Zeit des Nationalsozialismus verwiesen: nach der "primär anthro­pologisch orientierten, moralisch wertenden Auseinandersetzung" in der Nachkriegszeit dominierte in den siebziger Jahren das "Interesse an der Erarbeitung eines gesicherten Er­kenntnisstandes und an dessen Erweiterung". Bei den neueren Veröffentlichungen steht noch das gleiche Erkenntnisinteresse im Vordergrund.

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war es damals wirklich in Deutschland? Wie lückenlos war die äuBere und -noch wichtiger - die innere Erfassung insbesondere der Jugend? Welchen Einflüssen und welchem Druck war der einzelne Heranwachsende aus­gesetzt? Was wuBte er, und was konnte er überhaupt wissen? Wie erlebten die jungen Menschen das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft, und wie ging es nach 1945 für sie weiter?

Allerdings wies Schörken schon 1984 in der Einleitung zu seiner Unter­suchung über ehemalige Luftwaffenhelfer3 zu Recht darauf hin, daB sich in der Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit ein Genera­tionswechsel vollziehe. Heute ist die Zahl derjenigen, die diese Zeit bewuSt miterlebten, naturgemäB noch geringer geworden, und die wissenschaftliche Auseinandersetzung damit wird zwangsläufig von Angehörigen der nachge­borenen Generation geführt, die, da ohne eigene Erfahrungen, lediglich auf die Dokumente aus der damaligen Zeit und auf die Berichte der noch leben­den Zeitzeugen angewiesen sind.

DaB diese Bedingungen den VerständnisprozeB erschweren, ist einleuch­tend. Die offiziellen Verlautbarungen spiegeln zwar die Absichten des NS­Regimes wider, nicht aber deren tatsächliche Realisierung; und im Gespräch mit Zeitzeugen fehlt den Jüngeren vieles an Voraussetzungen, was sie sich -wenn sie sich dessen überhaupt bewuBt werden - erst fragend erschlieBen müssen, darnit ihnen nicht Bedeutungsnuancen in den Berichten aus der da­maligen Zeit entgehen.4 Wie eine derartige asymmetrische Kommunika­tionssituation auch zu besonders anschaulichen Schilderungen der befragten "Experten" führen kann, wird gelegentlich berichtet, ändert aber nichts an den Verständnisbarrieren auf seiten der Wissenschaftler.5

Andererseits wäre es ein TrugschluB anzunehmen, allein die Tatsache, diese Zeit selbst miterlebt zu haben, befähige zu eindeutigen Aussagen dar­über. Inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daB Aussagen über "die" Deutschen im Dritten Reich nur in sehr eingeschränkter Form möglich sind und daB je nach Fragestellung sorgfältig nach Sozialstatus, ökono-

Schörken, Rolf: Luftwaffenhelfer und Drittes Reich. Die Entstehung eines politischen BewuBtseins. Stuttgart: Klett-Cotta 1984, S. 5. Siehe hierzu die von Klaus zitierten ÄuBerungen einer von ihm befragten ehemaligen ho­hen BDM-Führerin. Klaus, Martin: Mädchenerziehung zur Zeit der faschistischen Herr­schaft in Deutschland. Der Bund Deutscher Mädel. FrankfurtlM.: dipa-Verlag 1983, S. 116. Ihre persönlichen Schwierigkeiten bei der Beschäftigung mit dem Thema Nationalsozia­lismus schiIdem Wissenschaftlerinnen in Gravenhorst, L.; Tatschmurat, C. (Hrsg.): Töch­ter-Fragen. NS-Frauen-Geschichte. Freiburg i.Br.: Kore 1990, v. a. Tatschmurat, Carmen: Das Nichterlebte erinnem. Eine Konsequenz für wissenschaftliches Arbeiten, gelehrt durch die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus, S. 355-370. Von derartigen Erfahrungen mit ihren viel älteren Gesprächspartnerinnen berichten z. B. Klaus 1983, S.45 und Danz, Gisela: Berufsbiographien zwischen gestem und heute: Volksschullehrerinnen, geboren urn die Jahrhundertwende, berichten; eine qualitative Studie. Weinheim: Deutscher Studien Verlag 1990, S. 180 f.

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mischen Bedingungen, Beruf, W ohnort, aber auch nach Geschlecht und Reli­gionszugehörigkeit der Betroffenen differenziert werden muB. Die Aussage, dem nationalsozialistischen Regime sei es gelungen, entsprechend seinem Anspruch das gesamte deutsche Volk und insbesondere die gesamte Jugend­generation dieser Zeit sowohl ideologisch als auch konkret zu erfassen, hat sich nicht halten können, auch wenn in der Literatur teilweise immer noch der politische Anspruch des Nationalsozialismus in seiner Totatilität mit der Realität im damaligen Deutschland gleichgesetzt wird. So stellt etwa Kinz in ihrer Untersuchung zum BDM die Frage, wie es geschehen konnte, daB die nationalsozialistischen Machthaber ein ganzes Volk für ihre Zwecke miB­brauchen konnten.6 Es gelang ihnen aber wo hl trotz der umfassenden, ausge­feilten Organisation doch nicht, etwa in alle sozialen Milieus in gleicher Wei­se einzudringen7; und ebenso, wie viele Jugendliche sich begeistern lieBen und sich mit Enthusiasmus in der Hitlerjugend oder in einer anderen Organi­sation engagierten, gab es durchaus auch Möglichkeiten für die einzelnen, sich manchem politischen Anspruch zu entziehen.

Dies galt insbesondere für Mädchen.R Soweit sie sich nicht offen wider­setzten, sondern den Weg in eine Haltung unauffälliger Anpassung fanden, muBte dies nicht bedeuten, daB sie sich ebenso in ihrer Überzeugung an die nationalsozialistische Ideologie angepaBt hatten. Es ersparte ihnen aber im allgemeinen eine rigidere soziale KontrolIe und dadurch auch Repressalien, solange abweichende Meinungen nicht unvorsichtig geäuBert wurden. DaB ei ne derart "schizophrene Situation" - wie es eine der für die vorliegende Untersuchung befragten Frauen auBerhalb des Interviews einmal formulierte - keine Sicherheit garantierte und von den Betroffenen auch als sehr bela­stend empfunden werden konnte, verweist wiederum auf die Notwendigkeit, nicht nur die Erlebnisse in dieser Zeit, sondern auch deren individuelle Ver­arbeitung und die Bedeutung für den Lebensverlauf der Befragten zu berück­sichtigenY

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Kinz, Gabriele: Der Bund Deutscher Mädel. Ein Beitrag zur auSerschulischen Mädchene­rziehung im NationaIsozialismus. FrankfurtlM., Bern, New York, Paris: Lang 1988, S. 2. Siehe hierzu u. a. Broszat, Martin u. a. (Hrsg): Bayem in der NS-Zeit. SoziaIe Lage und politisches Verhalten der Bevölkerung im Spiegel vertraulicher Berichte. München, Wien: Oldenbourg 1977. Vgl. Reese, Dagmar: Straff, aber nicht stramm - herb, aber nicht derb. Zur Verge­sellschaftung von Mädchen durch den BDM im sozialkulturellen Vergleich zweier Mi­lieus. Weinheim, Basel: Be1tz 1989. Darum bemühen sich z. B. Möding, die sich im Rahmen der Oral History mit den SoziaIi­sationserfahrungen von Mädchen in NS-Organisationen auseinandersetzt, Kock, die ehe­malige BDM-Führerinnen befragte, und Rosenthal, die die Bedeutung des 8. Mai 1945 exemplarisch an einzelnen Lebensgeschichten untersucht: Möding, Nori: "Ich muS irgendwo engagiert sein - fragen Sie mich bioS nicht, warum." Überlegungen zu Sozialisationserfahrungen von Mädchen in NS-Organisationen. In: Niet­hammer, L.; v. Plato, A. (Hrsg.): "Wir kriegenjetzt andere Zeiten." Auf der Suche nach der Erfahrung des Volkes in nachfaschistischen Ländem. Lebensgeschichte und Sozialkultur

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Allerdings fin den sich unter den Veröffentlichungen zu Themen zur Zeit des Nationalsozialismus immer noch recht wenige, die sich explizit mit dem Erleben von Mädchen befassen. Literaturaussagen über die Jugend im Dritten Reich beziehen sich überwiegend auf männliche Jugendliche. Abgesehen da­von, daB das Leben von Frauen und Mädchen insgesamt bei der Geschichts­betrachtung nur selten Beachtung findet, liegt ei ne männlich dominierte Sichtweise bei nationalsozialistischen Themen auch in der Natur der Sache begründet. Der Nationalsozialismus war eine absolut auf den Mann ausge­richtete Ideologie. Die umfangreiche Dokumentation von Jahnke/Buddrus "Deutsche Jugend 1933-1945"10 spiegelt in ihrer quantitativen Aufteilung von Originaltexten sehr deutlich das Ungleichgewicht zwischen den Ge­schlechtern und die Nachrangigkeit weiblicher Thematik wider. Sowohl auf ein Podest überschwenglicher, verklärender Verehrung gehoben als auch gleichzeitig rigoros aus allen qualifizierten Positionen herausgedrängt, fand die Frau nach der NS-Ideologie ihre wesensgemäBe Erfüllung in der Aufgabe als Gefährtin des Mannes, des Kämpfers, und durch die Geburt und Aufzucht reinrassiger Kinder. ll Entsprechend hatte "das Ziel der weiblichen Erziehung

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im Ruhrgebiet 1930 bis 1960. Bd. 3, Berlin, Bonn: Dietz Nachf. 1985, S. 256-304; Kock, Lisa: "Man war bestätigt und man konnte etwas!" Der Bund Deutscher Mädel im Spie­gel der Erinnerungen ehemaliger Mädelführerinnen. Münster, New York: Waxmann 1994; RosenthaI, Gabriele: ... Wenn alles in Scherben fällt. Von Leben und Sinnwelt der Kriegs­generation. Typen biographischer Wandlungen. Opladen: Leske u. Budrich 1987. Jahnke, Karl Heinz; Buddrus, Michael: Deutsche Jugend 1933-1945. Eine Dokumentati­on. Hamburg: VSA-Verlag 1989. Sehr deutlich wird diese Bestimmung weiblicher Aufgaben und die Überhöhung des Bil­des der deutschen Mutter dargesteJlt in Weyrather, Irmgard: Muttertag und Mutterkreuz. Der Kult urn die "deutsche Mutter" im Nationalsozialismus. FrankfurtlM.: Fischer Ta­schenbuch 1993. Vgl. auch: Benz, Ute (Hrsg.): Frauen im Nationalsozialismus. Dokumente und Zeugnisse. München: Beck, 1993; Ebbinghaus, Angelika: Opfer und Täterinnen. Frauenbiographien des Nationalsozialismus. (Nördlingen 1987) FrankfurtlM.: Fischer Taschenbuch 1996; Frauengruppe Faschismusforschung: Mutterkreuz und Arbeitsbuch. Zur Geschichte der Frauen in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. FrankfurtlM.: Fischer Ta­schenbuch 1981; Grevenhorst, Lerke; Tatschmurat, Carmen (Hrsg.): Töchter-Fragen. NS-Frauen­Geschichte. Freiburg i. Br.: Kore 1990; Klinksiek, Dorothee: Die Frau im NS-Staat. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1982 (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Nr.44); Szepansky, Gerda: "Blitzmädel", "He1denmutter", "Kriegerwitwe"; Frauenleben im Zwei­ten Weltkrieg. FrankfurtlM.: Fischer Taschenbuch 1986; Thalmann, Rita: Frausein im Dritten Reich. München, Wien: Hanser 1984; Westenrieder, Norbert: "Deutsche Frauen und Mädchen!" Vom Alltagsleben 1933-1945. Düsseldorf: Droste 1984; Wiggershaus, Renate: Frauen unterm Nationalsozialismus. Wuppertal: Peter Harnmer 1984. Allerdings wenden sich die feministischen Wissenschaftlerinnen unter den Autorinnen

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unvemückbar die kommende Mutter zu sein", wie Adolf Hitler es - inzwi­schen vielfach zitiert - in "Mein Kampf' eindeutig formulierte 12•

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Neben einer Zahl autobiographischer Texte13 gibt es einige wissen-

(v. a. Ebbinghaus) gegen eine einseitige Darstellung der Frau im Dritten Reich. Sie halten das Bild von der Frau ausschlieSlich als Opfer der männlichen Machthaber für falsch und wollen es einerseits durch ihre Rolle als Mittäterin im NS-Staat erweitert sehen, anderer­seits erinnem sie an die Zahl der im Widerstand gegen das Regime aktiven Frauen. Hitler, Adolf: Mein Kampf. Ungekürzte Ausgabe. München: Zentralverlag der NSDAP Frz. Eher Nachf. 1936, S. 460. Zum Beispie!: Bremer, Sigrid: Muckefuck und Kameradschaft. Mädchenzeit im Dritten Reich. Von der Kinderlandverschickung 1940 bis zum Studium 1946. FrankfurtfM.: R.G. Fischer 1988; Feidel-Mertz, Hildegard: Dazwischen und dagegen. In: Klafki, Wolfgang (Hrsg.): Verfüh­rung, Distanzierung, Emüchterung. Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus. Auto­biographisches aus erziehungswissenschaftlicher Sicht. Weinheim, Basel: Beltz 1988, S. 197-209; Finckh, Renate: "Mit uns zieht die neue Zeit." Stationen auf dem Glauben an Deutschland und den Führer. In: Herrmann, Ulrich (Hrsg.): "Die Formung des Volksgenossen." Der "Erziehungsstaat" des Dritten Reiches. Weinheim, Base!: Beltz 1985, S. 291-302; Freise, Gerda: Jugend im Nationalsozialismus - Versuch einer kritischen Vergegen­wärtigung der Vergangenheit. In: Klafki, Wolfgang (Hrsg.): Verführung, Distanzierung, Emüchterung. Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus. Autobiographisches aus er­ziehungswissenschaftlicher Sicht. Weinheim, Base!: Beltz 1988, S. 19-44; Maschmann, Melita: Fazit. Kein Rechtfertigungsversuch. Stuttgart: Deutsche Verlags­AnstaltGmbH.1963; Maschmann, Melita: Mentalitäre Dispositionen für den "Führerstaat". In: Herrmann, U. (Hrsg.): "Die Formung des Volksgenossen." Der "Erziehungsstaat" des Dritten Reiches. Weinheim, Base!: Be!tz 1985, S. 285-290; Rath, Waldtraut: Kindheit und Mädchenjahre im Dritten Reich. In: KIafki, Wolfgang (Hrsg.): Verführung, Distanzierung, Emüchterung. Kindheit und Jugend im National­sozialismus. Autobiographisches aus erziehungswissenschaftlicher Sicht. Weinheim, Ba­se!: Be!tz 1988, S. 184-196; Reich-Ranicki, Marcel (Hrsg.): Meine Schulzeit im Dritten Reich. Erinnerungen deutscher Schriftsteller. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1982. Darin zwei Beiträge weiblicher Auto­rinnen: König, Barbara: Die verpaSte Chance, S. 121-130; Stem, Carola: Hitlerlieder sin­gend zogen wir durehs Dorf, S. 147-154; Riemeck, Renate: Unversehrt durchs Dritte Reieh. In: KIafki, W. (Hrsg.): Verführung, Di­stanzierung, Emüchterung. Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus. Autobiographi­sches aus erziehungswissenschaftlicher Sicht. Weinheim, Basel: Beltz 1988, S. 45-55; Stemheim-Peters, Eva: Die Zeit der groSen Täuschungen. Eine Jugend im Nationalsozia­lismus. Bielefeld: Verlag Wissenschaft u. Politik 1992; Stolten, Inge: leh kann mich an den Tag von Hitlers "Machtergreifung" nicht erinnem. In: Der alltägliche Faschismus: Frauen im Dritten Reich. Berlin, Bonn: Dietz 1981, S.90-115; Walb, Lore: leh, die Alte - ich, die Junge. Konfrontation mit meinen Tagebüchem 1933-1945. Berlin: Aufbau 1997. Vgl. auch weitere Titel in: Cloer, Ernst u. a.: Das Dritte Reich im Jugendbuch. Zwanzig neue Jugendbuch-Analysen. Weinheim, Basel: Beltz 1988. Das bekannteste Beispie! für die literarische Verarbeitung von Erinnerungen an die Mäd­chenzeit im Dritten Reich dürfte sein: Wolf, Christa: Kindheitsmuster. Berlin, Weimar: Aufbau 1990.

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schaftliche Untersuchungen, die sich mit einzelnen Aspekten der Mädchen­erziehung im Dritten Reich befassen, wie dem BDM, selten auch dem Reichsarbeitsdienst (RADwJ) oder dem Landjahr und gelegentlich mit Frau­gen zur schulischen Erziehung von Mädchen. 14

Die Autobiographien wurden vor allem von ehemaligen Anhängerinnen des Nationalsozialismus verfaBt, die zudem überwiegend als Führerinnen im BDM oder im RAD engagiert waren. So besteht die Gefahr, daB sie trotz des erkennbaren Bemühens einiger Autorinnen urn kritische Distanz ein ein­seitiges Bild der damaligen Atmosphäre zeichnen.

In den wissenschaftlichen Veröffentlichungen wird teilweise die Einwir­kung durch eine der Erziehungsinstanzen, insbesondere den BDM als heraus­ragende Organisation, mit "der" Mädchenerziehung im Nationalsozialismus gleichgesetzt. 15 Das führt verschiedentlich zu dem Ergebnis einer anschei-

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Untersuchungen zu einze1nen Erziehungsinstitutionen: Conradt, Sylvia; Heckmann-Janz, Kirsten: " ... du heiratest ja doch!" 80 Jahre Schulge­schichte von Frauen. FrankfurtJM.: Fischer Taschenbuch 1985, S. 127-189; Kinz, Gabriele (Der Bund Deutscher Mädel) 1980; Klaus, Martin: Mädchenerziehung zur Zeit der faschistischen Herrschaft in Deutschland. Der Bund Deutscher Mädel. 2 Bde. FrankfurtlM.: dipa-Verlag 1983; Klaus, Martin: Mädchen in der Hitlerjugend. Die Erziehung zur "deutschen Frau". Köln: Pahl-Rugenstein, 1980; Kleiber, Lore: "Wo ihr seid, da soli die Sonne scheinen!" - Der Frauenarbeitsdienst am Ende der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. In: Frauengruppe Faschismus­forschung: Mutterkreuz und Arbeitsbuch. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 1981, S.188-214; Kock, Lisa: "Man war bestätigt und man konnte etwas!" Der Bund Deutscher Mädel im Spiegel der Erinnerungen ehemaliger Mädelführerinnen. Münster, New York: Waxmann 1994; Miller, Gisela: Erziehung durch den Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend (RADwJ). Ein Beitrag zur Aufklärung nationalsozialistischer Erziehungsideologie. In: Heinemann, M. (Hrsg.): Erziehung und Schulung im Dritten Reich. Teil 2: Hochschule, Erwachsenenbildung. Stuttgart: Klett-Cotta 1980, S. 170-193; Miller-Kipp, Gisela: Der Bund Deutscher Mädel in der HitleIjugend. In: Herrmann, U. (Hrsg.): "Die Forrnung des Volksgenossen." Der "Erziehungsstaat" des Dritten Reiches. Weinheim, Base!: Beltz 1985, S. 189-205; Möding, Nori 1985; Niehuis, Edith: Das Landjahr. Eine Jugenderziehungseinrichtung in der Zeit des National­sozialismus. Nörten-Hardenberg: Wico 1984; Reese, Dagrnar (Bund Deutscher Mädel) 1981; Reese, Dagrnar (Vergesellschaftung von Mädchen durch den BDM) 1989; Rosenthal. Gabriele (Hrsg.). unter Mitarbeit von Claudia Gather u. a.: Die HitleIjugend­Generation. Biographische Thematisierung als Vergangenheitsbewältigung. Essen: Verlag Die Blaue Eule 1986; Wiggershaus, Renate: Frauen unterrn Nationalsozialismus. Kap. III: Der Griff nach den deutschen Mädchen und Frauen. Wuppertal: Peter Hammer 1984, S. 35-62. Klaus (Mädchen in der Hitlerjugend, 1980) geht von der Annahme aus, daB der "HJ ( ... ) als Staatsjugend die gesamte auBerschulische Erziehung und KontrolIe der Jugend des Dritten Reiches (oblag) - neben den geringen Einflüssen des Eltemhauses." So scheint es ihm auch "konsequent, Programm und Praxis der Mädchenerziehung des Nationalsozialis-

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nend einheitlichen, nationalsozialistisch ausgerichteten Erziehung, obgleich davon auszugehen ist, daB viele Heranwachsende im Elternhaus, in der Schu­Ie und in den verschiedenen politischen Organisationen durchaus mehr oder minder unterschiedlichen Erziehungseinflüssen unterlagen. Berücksichtigt man zudem, daB im Dritten Reich gar keine einheitliche Erziehungs­konzeption existierte, erweist es sich für ein realistisches Bild von Erziehung im Nationalsozialismus urn so mehr als notwendig, die konkreten Erfah­rungen der einzelnen nach erzieherischen EinfluBsphären differenziert zu er­fassen.

Wenn sich das Interesse nicht nur auf die Erlebnisse in der NS-Zeit, son­dern auch auf deren Verarbeitung richtet, dann ist gleichzeitig die Frage an­gesprochen, was als Ergebnis der eigenen Auseinandersetzung von der Gene­ration, die den Nationalsozialismus selbst erlebte, an die nächsten Generatio­nen vermittelt wurde. Dieser Frage müssen sich Pädagog(inn)en in ganz be­sonderem MaBe stellen. In der Literatur finden sich derartige Überlegungen am ehesten im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Fach Politische Bildung. 16 Nur vereinzelt wird explizit ein Zusammenhang zwischen Erfah­rungen in der NS-Zeit und der Begründung von Erziehungszielen bei Leh­rer(inne)n hergestellt. 17

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mus an der HJ, in der Mädchenorganisation BDM aufzuzeigen" (S. 7). Auch 1983 konstatiert er noch, der BDM lasse sich "als das 'Herzstück' und die tragende Säule der Mädchen-'Ausrichtung' bezeichnen" und sei "typische Ausdrucksform pädago­gischer Praxis im 'Dritten Reich' " gewesen. (Mädchenerziehung, S. 20) Besonders zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang Rüdiger, Jutta (Hrsg.): Die Hitlerjugend und ihr Selbstverständnis im Spiegel ihrer Aufgabengebiete. Lindhorst: Askania 1983. Die ehemalige Reichsreferentin für den BDM, nach 1945 als Psychoiogin tätig, stellt ohne das geringste Anzeichen von UnrechtsbewuBtsein sich selbst und alle für den BDM Ver­antwortlichen als Idealisten dar, die nur leider durch einige wenige getäuscht worden sei­en. Sie vertritt nach wie vor alle Ansprüche der Hitlerjugend als gut und notwendig, auch z. B. den extremen Einsatz der jungen Menschen während des Krieges. Nur vereinzelt fin­den sich im Text verbale Konzessionen an die heutige Leserschaft, indem die Autorin ei­nem auf ihrer ungebrochenen Überzeugung fuBenden Urteil, etwa über "abseitige, bin­dungslose, arbeitsscheue" Jugendliche, ein "nach den damaligen Wertvorstellungen" hin­zufügt. Aber sie besteht mit gleichem darauf, daB "die Minderheit der Jugendlichen, die sich abseits hielt ( ... ), sich selbst aus der Gemeinschaft ausgeschlossen" hatte und "aty­pisch für ihre Zeit" war (S. 321). Zum Beispiel bei Becker, Egon; Herkommer, Sebastian; Bergmann, Joachim: Erziehung zur Anpassung? Eine soziologische Untersuchung der politischen Bildung in den Schulen. (2.Aufl.) Schwalbach bei FrankfurtlM.: Wochenschau 1968. Derartige Hinweise finden sich z. B. bei Brehmer, Ilse (Hrsg.): Lehrerinnen. Zur Ge­schichte eines Frauenberufes. Texte aus dem Lehrerinnenalltag. München, Wien, Bal­timore: Urban u. Schwarzenberg 1980; Gah!ings, Ilse; Möhring, Elle: Die Volksschullehrerin. Sozialgeschichte und Gegenwarts­lage. Heidelberg: Quelle u. Meyer 1984; Klafki, Wolfgang (Hrsg.): Verführung, Distanzierung, Ernüchterung. Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus. Autobiographisches aus erziehungswissenschaftlicher Sicht. Weinheim, Basel: Beltz 1988;

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Die vorliegende Untersuchung befaBt sich mit Erinnerungen von Volks­schullehrerinnen - jetzt Grund- bzw. Hauptschullehrerinnen - an ihre Jugend im Nationalsozialismus und geht der Frage nach, welche Bedeutung den Jah­ren zwischen 1933 und 1945 für die Persönlichkeitsentwicklung und den Le­bensverlauf der Befragten - auch im beruflichen Bereich - zuzumessen ist.

Im einzelnen sind dabei auBer den speziellen Erziehungs- und Soziali­sationserfahrungen herausgehobene Zeitereignisse, vor allem die Kriegsjahre, zu berücksichtigen und die Auswirkungen, die sie auf das Leben der einzel­nen hatten, aber auch die Alltagserfahrungen der Mädchen, die Atmosphäre in den Familien und in der Öffentlichkeit, und wie weit sie als von der politi­schen Situation geprägt erlebt wurden. Dabei richtet sich das Untersu­chungsinteresse nicht so sehr auf die Geschehensabläufe selbst, sondern vor allem auf das subjektive Erleben und dessen Verarbeitung, das aus mehreren Perspektiven zu beleuchten ist: Wie wirkten die Erlebnisse damals auf die Befragten, wie beeinfluBten sie deren Persönlichkeitsentwicklung und Be­rufsidentität, und wie werden sie heute von ihnen bewertet?

Pädagoginnen, die ihre Jugend im Dritten Reich erlebten, bringen einige günstige Voraussetzungen für eine Befragung zu dem genannten Thema mit. Sie verfügen nicht nur über Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialis­mus, sondern müBten aufgrund ihrer beruflichen Kompetenz auch in der La­ge sein, diese Erlebnisse in ihrer Wirkung auf die eigene Erziehung und So­zialisation differenziert zu reflektieren und zu beurteilen.

Darüber hinaus handelt es sich bei ihnen urn Vertreterinnen jener Pädago­ginnengeneration, die seit den sechziger, teilweise schon seit den fünfziger Jahren die schulische Erziehung von Kindern und Jugendlichen bis in die Gegenwart hinein weitgehend mitzuverantworten hatte; denn mit den Lehre­rinnen der Grundschule, früher der Volksschule (männliche Lehrer sind hier bekanntlich bei wei tem in der Minderzahl), kommen alle Kinder in Kontakt, und der Erziehungsauftrag der genannten Schulformen - und ebenso der Hauptschule - ist nach wie vor unbestritten. IR Damit unterliegt die Tätigkeit der Grund- und Hauptschullehrer/innen gegebenenfalls auch in besonderem

IR "Die Landesverfassung gibt die Erziehungsziele für alle Schulformen verbindlich vor. Im Zusammenhang mit diesen Erziehungszielen hat die Grundschule die Aufgabe, dem Kind die Welt zu eröffnen, es zu einer sachlichen Erfüllung des Lemens anzuhalten und zu mitmenschlichem Verhalten zu führen. Darüber hinaus muB die Grundschule das kritische BewuBtsein der Kinder früh aktivieren und elementare Formen der Mitbestimmung er­möglichen." Richtlinien und Lehrpläne für die Grundschule in Nordrhein-Westfalen. Ra­tingen, Kastellaun, Düsseldorf: Henn 1973, S. 3. ,,'Qualifikation für die Bewältigung von Lebenssituationen'. Unterricht und Erziehung in der Hauptschule sollen auf konkrete Lebensbewältigung unter den Bedingungen einer demokratisch-pluralen, wissenschaftsbestimmten Industrie- und Konsumgesellschaft vor­bereiten und tragfahige Erfahrungen mit Selbstbestimmbarkeit und in sozialem und öf­fentlichem Handeln als Grundlage für eine mündige Existenz unter Berücksichtigung von deren personalen Voraussetzungen bereitstellen." Richtlinien und Lehrpläne für die Hauptschule in Nordrhein-Westfalen. Ratingen, Kastellaun, Düsseldorf: Henn 1973, S. 4.

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MaBe einem Wandel des Verständnisses von wünschenswerter Erziehung in­nerhalb der Gesellschaft.

Die Befragten repräsentieren so nicht nur einen Teil von vierzig Jahren Geschichte der Volks sc hu Ie und - in deren Nachfolge - der Grund- und Hauptschule, sondern verkörpern ebenso einen wesentlichen Faktor der praktischen Umsetzung gesellschaftlich akzeptierter Erziehungsziele inner­halb dieses Zeitraums. Gerade weil trotz der verbindlichen Vorgaben der pädagogische ProzeB immer auch von den Beteiligten als Personen abhängt, interessiert es, ob und wie sich individuelle Erziehungs- und Sozialisations­erfahrungen der Befragten aus der NS-Zeit bei der Wahl und Gestaltung ihres Berufs niedergeschlagen haben.

Aber es wird auch ein hoher Anspruch an die Informantinnen gestellt. Die Problematik lebensgeschichtlichen Erinnerns zu diesem Thema19 fordert von ihnen einen mehrfachen Perspektivenwechsel und ein hohes MaB an Selbstreflexion:

Sie sollen sich möglichst getreu erinnern; sie sollen das Erinnerte bewerten, ohne in Stereotype zu verfallen, ob­gleich es sich urn ein öffentlich und privat vielfach diskutiertes Thema handelt; sie sollen die eigene Person - der Vergangenheit und Gegenwart - re­flektieren und ihre Selbstwahrnehmung und Selbstbeurteilung offen­baren.

Basis der hier vorgestellten qualitativen Untersuchung sind autobiogra­phisch-narrative Interviews, die mit zwölf - in der Mehrzahl bereits pensio­nierten - Pädagoginnen durchgeführt wurden.

Die Arbeit ist so gegliedert, daB zunächst die methodischen Entschei­dungen und die Entstehung der Interviewtexte dargestellt werden. Dann wird der InterpretationsprozeB in allen Schritten detailliert offengelegt, wobei sich der erste Teil der Arbeit auf die Analyse der einzelnen Interviews, der zweite Teil auf Quervergleiche zwischen den biographischen Darstellungen bezieht.

Jedes Interview wurde differenziert im Hinblick auf die Person und die Biographie der Erzählerin ausgewertet.

AnschlieBend wurden die Interviews nach teils vorher festgelegten, teils induktiv aus dem Interviewmaterial gewonnen en inhaltlichen Schwerpunkten gegenübergestellt und auf der Basis der Einzelinterpretationen hinsichtlich erkennbarer Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Zusammenhänge unter­sucht.

Die die Untersuchung strukturierenden Leitfragen richten sich auf die seinerzeitigen äuBeren Einwirkungen, auf die Persönlichkeitsentwicklung der

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Zu den grundsätzlichen Problemen lebensgeschichtlichen Erinnems und Erzählens s. die Kapitel "Das narrative Interview in der biographischen Forschung" und "Autobiographi­sche Erzählungen".

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Befragten und ihre Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, die Auswirkungen der NS-Zeit auf ihre Lebensgestaltung und die heutige Bedeu­tung dieser Erfahrungen für die Befragten.

Die Fragestellungen der Untersuchung lauten im einzelnen:

1. Welche Bedeutung hatten die verschiedenen Erziehungsinstanzen (El­ternhaus, Schule, Hitlerjugend und andere Organisationen): Was wurde den Befragten vermittelt? Wie stark war der ideologische EinfluB? Waren die erzieherischen Einwirkungen tendenziell gleichge­richtet oder gegenläufig, einander verstärkend oder aufhebend? Traten Konflikte zwischen den einzelnen Erziehungsinstanzen auf? Welche Bedeutung besaB die allgemeine Politisierung des Alltags im Leben der Mädchen? Wie wirkten sich äuBere Ereignisse aus, vor allem die Kriegsjahre und das Ende des NS-Regimes?

2. Wie wurde die Persönlichkeitsentwicklung der Befragten in ihrer Jugend beeinfluBt: Welche Werte übernahmen sie? Welches Selbstbild entwickelten sie, und in welchen Verhaltensweisen manifestierte es sich? Wie wirkte sich auf die heranwachsenden Mädchen die Sonderstellung der Jugend aus, die mit einer gewissen Macht, aber auch sehr früher Ver­antwortung verbunden war, und welche Geschlechtsrollenbilder besaBen für sie Gültigkeit?

3. Wie war die politische Einstellung der Befragten in ihrer Jugend: Wie weit verfügten sie überhaupt über ei ne bewuBte politische Einstel­lung? War sie durch Übereinstimmung mit der nationalsozialistischen Ideologie gekennzeichnet, durch Distanzierung, Abwehr oder Abkehr? Wie verarbeiteten sie den ideologischen und moralischen Zusammen­bruch des Nationalsozialismus im Jahr 1945?

4. Welche Auswirkungen hatten die Jahre von 1933-1945 auf die weitere Identitätsfindung und Lebensgestaltung der Befragten: Wo her gewannen sie ihre Wertorientierung nach dem Paradigmen­wechsel des Jahres 1945? Wie verarbeiteten sie ihre Erfahrungen aus dieser Zeit, und wie weit hatten sie das Bedürfnis, das Ergebnis dieser inneren Auseinander­setzung anderen zu vermitteln? Welche Lebensziele setzten sie sich? Wurde die Entscheidung für einen pädagogischen Beruf und die Ausge­staltung ihrer beruflichen Tätigkeit bei ihnen durch die Erlebnisse in der NS-Zeit beeinfluBt? Wie wirkten diese Jahre sich auf die äuBeren Bedingungen ihres späteren Lebens aus?

5. Welche Bedeutung haben die Erfahrungen heute für die Befragten:

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Wie beurteilen sie heute den Nationalsozialismus und die von ihm ver­tretenen Werte? Finden sich in ihren Wertvorstellungen, ihren Erziehungszielen, ihrer Einstellung zur Politik Überreste seinerzeit vermittelter Einstellungen oder konträre - eventuell auch emotionale - Gegenreaktionen darauf?

Die zusammenfassenden Aussagen innerhalb und am SchluB der Arbeit ba­sieren nicht auf einer repräsentativen Auswahl der Inforrnantinnen, sollen aber dennoch über die Gruppe der Befragten hinausweisen.

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2. Das narrative Interview in der biographischen Forschung

2.1 Methodische Probleme

Die sozialwissenschaftliche biographische Forschung, im engeren Sinn teil­weise auch als "biographische Methode" bezeichnet, hat das Ziel, über Le­bensgeschichten einen methodischen Zugang zum sozialen Leben zu finden, "der

1. möglichst umfassend ist, 2. auch die Eigenperspektive der handeinden Subjekte thematisiert, 3. die historische Dimension berücksichtigt. "20

Dabei soli sie insbesondere die ProzeBhaftigkeit des sozialen Lebens verdeut­lichen, "die 'Geschichte', wie es anfing, was dann kam und wie es sich bis heute entwickelt hat"21. Sie basiert auf der Erwartung, daB auf dem Weg über eine historische Rekonstruktion des individuellen Lebens dessen Gegenwart "besser verstanden" werden kann (Kohli 1981, S. 273).

Als Material benutzte die biographische Methode früher vor allem "menschliche" oder "persönliche Dokurnente" ("human" oder "personal documents") (Fuchs 1984, S. 112 ff.) wie Briefe, Tagebücher, (Auto-)Bio­graphien.22 Neuerdings arbeitet sie zum gröBten Teil mit Datenmaterial, das aus biographischen Interviews gewonnen wurde.23

Auf seiten des Befragten müssen dabei gewisse Voraussetzungen erfül1t sein. Der Erzähler muB sein Leben als persönlichen Lebenslauf unter beson­deren Bedingungen und als individuelI gestaltbar verstehen, und er muB fähig und bereit sein, es als "chronologisch geordneten Rückblick", genau: als

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Kohli, Martin: Wie es zur biographischen Methode kam und was daraus geworden ist. In: Zeitschrift für Soziologie, 10(1981)3, S. 273-293. Fuchs, Werner: Biographische Forschung. Eine Einführung in Praxis und Methoden. Opladen: Westdeutscher Verl. 1984, S. 145. Da diese für die Forschung schwer zugänglich sind, wurden sie allerdings teilweise erst für den jeweiligen Untersuchungszweck produziert. Dabei handelt es sich fast ausschlieBlich urn Varianten des qualitativen Interviews, die sich je nach dem MaB der Vorgaben und Strukturierung durch den Interviewer zwischen dem relativ gebundenen Leitfaden-Interview und dem weitgehend offenen narrativen In­terview einordnen lassen. Wenn auch verschiedentlich für eine produktive Auseinandersetzung mit qualitativen wie quantitativen Verfahren (z. B. Fuchs 1984, S. 134) und eine stärkere Annäherung der Vertreter beider Richtungen (Voges 1987, S. 19) plädiert wird, bedient die Biographie­forschung sich - im Gegensatz zur quantitativ ausgerichteten Lebenslaufforschung - doch immer noch überwiegend qua1itativer Vorgehensweisen.

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"umgedrehten Rückblick" darzustellen24, denn "jedes autobiographische Do­kument ( ... ) (i st) seiner Zeitstruktur nach sowohl vergegenwärtigte Vergan­genheit und erinnerte Gegenwart (des leh) wie auch Entwurf in die Zu­kunft."25

Die biographische Methode geht davon aus, daB es so etwas wie eine "wahre Lebensgeschichte" gibt. "Sie nimmt ei ne Identität des Befragten an, die es ihm erlaube, alles, was er gemacht hat und was ihm geschehen ist, auf sich selbst als einen gleichbleibenden Kern der Persönlichkeit zu beziehen -und zu berichten" (Fuchs in Niethammer 1980, S. 339), und sie übernimmt die implizite Prämisse der meisten Identitätstheorien, daB der einzelne das Bedürfnis hat, sein Handeln in einen sinnvollen konsistenten Zusammenhang zu bringen.26

Als Befragungsform, die es poten ti ellen Informanten erleichtert, ihre Le­bensgeschichte offen und in eigener Strukturierung darzustellen, erscheint das narrative Interview - vor al1em mit dem Namen Fritz Schütze verbunden - als besonders angemessen.27

Diese nicht-standardisierte Technik zur Hervorlockung und Auswertung von themenbezogenen Stegreiferzählungen basiert auf zwei Annahmen: daB die narrative Darstellungsweise - vorausgesetzt, der Informant berichtet über eigenerlebte Erfahrungen - diejenige ist, die am engsten an die Handlungs­wirklichkeit und entsprechende Orientierungsbestände des Informanten an-

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Fuchs, Wemer: Möglichkeiten der biographischen Methode. In: Nietharnmer, L. (Hrsg.): Lebenserfahrung und kollektives Gedächtnis. Die Praxis der Oral History. FrankfurtlM.: Syndikat 1980, S. 338. Auemheimer, Georg: Kategorien zur Interpretation von autobiographischen Dokumenten. In: Heinze, Th. (Hrsg.): Hermeneutisch lebensgeschichtliche Forschung, Bd.l: Theoreti­sche und methodologische Konzepte. Hagen: Femuniversität 1990, S. 62. Kohli, Martin (Hrsg.): Soziologie des Lebenslaufs. Darrnstadt, Neuwied: Luchterhand 1978, S. 27. Fuchs (1984, S. 231) übt allerdings grundsätzliche Kritik an der Annahme einer dauer­haften Identität, die er für eine Fiktion hält. Darüber hinaus gibt er zu bedenken, daB nicht alle Menschen gewohnt seien, ihre in unterschiedlichen Lebensbereichen gewonnenen Er­fahrungen auf eine eindeutige Identität hin integriert zu präsentieren. Es wird von ihm und anderen Autoren für die Erfassung subjektiv erlebter singulärer Er­eignisse und Ereignisketten im Rahmen von Untersuchungen zur Analyse von bio­graphischen Strukturen oder von Statuspassagen, in Interaktionsfeldstudien oder als nar­ratives Experteninterview eingesetzt. An einem Projekt zur Erforschung von kommunalen Machtstrukturen demonstriert Schüt­ze exemplarisch die Erhebungstechnik bei narrativen Interviews und gibt Hinweise zur Auswertung des so gewonnenen Materials. Schütze, Fritz: Die Technik des narrativen Interviews in Interaktionsfeldstudien - darge­stellt an einem Projekt zur Erforschung von kommunalen Machtstrukturen. Arbeitsberich­te und Forschungsmaterialien der Universität Bielefeld, (2.Aufl.) Ms. 1978; Schütze, Fritz: Biographieforschung und narrative Interviews. In: Neue Praxis 13(1983)3, S.283-293; Schütze, Fritz: Das narrative Interview in Interaktionsfeldstudien I. Hagen: Femuni­versität, 1987.

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schlieBt (Schütze 1978, S.62), und daB die Erzählsituation ei ne Eigendy­namik entwickelt, wenn der Befragte die Erzählung selbst strukturieren kann.

Trotz der Forderung nach Nichtreaktivität soziologischer Forschungs­methoden ist das narrative Interview ein kommunikatives Forschungs­instrument, wie auch Schütze einräumt (Schütze 1978, S. 34 f.). Der EinfluB des Interviewers als Interaktionspartner soll dabei allerdings im Idealfall aus­schlieBlich dazu dienen, den Informanten zu möglichst komplexem Erzählen zu motivieren, ei ne Aufgabe, die besonders hohe Ansprüche an das Verhal­ten des Interviewers stellt.

Der hohe Anspruch, den Schütze mit seinem Verfahren verbindet, wird von dessen Kritikern in mehrfacher Hinsicht in Frage gestellt. Die Kritik zielt auf die Ergiebigkeit und sozialwissenschaftliche Relevanz sowie die Gültig­keit der Ergebnisse und auf die Ökonomie des Verfahrens. Zunächst setzte sie bei der Datenerhebung von narrativen und allgemein von qualitativen In­terviews an, dann in zunehmendem MaB auch bei der Datenauswertung.

Bude wei st kritisch auf den engen Zusammenhang von Datenerhebung und -auswertung bei autobiographisch-narrativen Interviews hin sowie auf die für ihn fragwürdigen implizit enthaltenen subjekttheoretischen und er­kenntnistheoretischen Vorannahmen. 2R Narrationsanalysen ermöglichten le­diglich eine Aussage darüber, wie Menschen ihre wörtliche Rede gestalten, aber kei ne Entscheidung darüber, "welche ÄuBerungen in einem proto­kollierten Interviewtext die 'primäre' Erfahrung und welche die 'sekundäre' Deutung dokumentieren". Auch sei es ein TrugschluB anzunehmen, daB alle Erfahrungen sich in Erzählungen umsetzen lieBen. (Bude 1988, S. 334 f.)

Gerhardt sieht bei autobiographisch-narrativen Interviews die Gefahren von "naivem Empirismus" und "radikalem Subjektivismus".29 Dem Postulat eines unmittelbaren Zugangs zum Forschungsmaterial - Hypothesen sollen sich aus den Daten ergeben und nicht umgekehrt - begegnet sie unter Bezug auf Adorno mit dem Hinweis, eine hypothesenfreie Sozialforschung gebe es nicht (S. 232). Auch sei es fraglich, "ob der Forscher überhaupt ermitteln kann, was im Leben des Befragten 'wirklich' vorgeht", wenn "eine gemein­sam nachvollziehbare gesellschaftliche (oder gar soziologische) Begrifflich­keit als Bezugspunkt nicht erlaubt ist." (S. 235.) Darüber hinaus bleibe die bloBe Beschreibung einmaliger Lebensvorgänge aus der Intention heraus zu zeigen, 'wie es eigentlich ist und war', soziologisch irrelevant.

Gerhardt (S. 235 f.) weist auf, wie Schütze diesen Gefahren me­thodologisch begegnet, indem er durch vier aus der Ethnomethodologie und der Phänomenologie übernommene Setzungen den Bereich, in dem die Gül­tigkeitsfrage relevant ist, radikal einschränkt.30 Letztlich ist die Gültig-

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Bude, Heinz: Der Fall und die Theorie. In: Oruppendynamik 19(1988)4, S. 328 ff. Oerhardt, Ute: Erzähldaten und Hypothesenkonstruktion. In: Kölner Zeitschrift für So­ziologie und Sozialpsychologie, 37(1985)1, S. 231, S. 234. Es handelt sich dabei urn:

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keitsfrage dann nur noch für den Zugang zum Interviewmaterial zu be­antworten: "So reduziert sich die Frage, wann Aussagen gültig genannt wer­den können, auf die Bedingungen für die 'Reinheit' oder 'Verzerrung' in den Daten, also die Umstände der Kommunikation im Interview bzw. die 're­flexive Kompetenz' des Interviewers." (S. 236.)

DaB aber das Interviewerverhalten in der realen Kommunikations­situation nicht immer idealtypisch den Regeln entspricht, muB als selbst­verständlich vorausgesetzt werden. Hopf geht davon aus, daB in jedem qua­litativen Interview Kunstfehler enthalten sindY Auch Schütze sieht das Di­lemma, in dem sich der Interviewer befindet, der sich einerseits ganz na­türlich, wie in einer alItäglichen Gesprächssituation verhalten solI, anderer­seits sein Forschungsinteresse und eventuell seinen thematischen Leitfaden zu verfolgen hat.

Hinzu kommt, daB es für die Auswertung und Interpretation biographi­scher Interviewtexte keine eindeutigen "rezeptförmigen" Regeln gibt, son­dern nur verschiedenartige Vorgehensweisen, die je nach theoretischer Ori­entierung und Forschungsziel einer Untersuchung unterschiedlich geeignet sind. So bleibt insgesamt trotz der für die einzelnen Verfahren festgelegten Erhebungs- und Auswertungsschritte ein erhebliches intuitives Moment be­stehen, was in der Literatur teils kritisch angemerkt, teils positiv bewertet wird.32

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1. "Die Relevanzannahme. Es wird vorausgesetzt, daB in der Stegreiferzählung in 'ana­loger' Form widerspiegelnd zum Ausdruck kommt, was sich im Leben des Interview­ten ereignet und zu dessen Relevanzsystem aufgeschichtet hat."

2. "Die Homologieannahme. Es werden zwei Ordnungsstrukturen angenommen, "näm­lich zum einen eine langfristige ProzeBstruktur projektierter Identität( en) im Lebens­lauf, und zum anderen eine (oder mehrere) kurzfristige, die die situationalen Selbst­darstellungen prägen und ihrerseits auf einen vorherrschenden langfristigen Lebens­entwurf festgelegt sind."

3. "Die Dokumentationsannahme". Aufgrund der "Annahme einer Disparität von Wor­täuBerung und Bedeutung, Verhalten und Account, ... in der Ethnomethodologie als Indexikalität bekannt", ist ein spezielles Auslegungsverfahren notwendig, urn ein er­zähltes Ereignis als 'Dokument' einem Strukturzusammenhang, z. B. einer Gesamt­biographie, zuzuordnen. Eine so1che Zuordnung soli "die Hypothesenbildung, aus dem Text des narrativen Interviews herauswachsend, ... leisten können".

4. "Die Intersubjektivitätsannahme". Schütze setzt eine phänomenologisch begründete "vor aller Erfahrung gegebene 'universale apriorische Interaktionslogik'" voraus, die sicherstellt, daB bei der Interpretation der Erzähltexte nicht zufällige, sondern rele­vante Strukturen erkannt und gedeutet werden. Gerhardt 1985, S. 235 f.

Hopf, Christel: Die Pseudo-Exploration. Überiegungen zur Technik quaIitativer Inter­views in der Sozialforschung. In: Zeitschrift für Soziologie 7(1978)2, S. 108. So z. B. Lüders/Reichertz skeptisch: "Die Erkenntnis gelingt dem Hermeneuten mithilfe des abduktiven Schlusses (Peirce), der stark mit der Intuition verwandt ist und keinesfalls die Überzeugungskraft des induktiven oder deduktiven Schlusses besitzl." Lüders, Chri­stian; Reichertz, Jo: Wissenschaftliche Praxis ist, wenn alles funktioniert und keiner weiB warum. Bemerkungen zur Entwicklung qualitativer Sozialforschung. In: Sozialwissen­schaftliche Literatur Rundschau 9(1986)12, S. 95.

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Über Einzelprobleme, die bei der Erhebung und Auswertung lebens­geschichtlicher narrativer Interviews in praxi auftreten und zu Fehlerquellen werden können, berichten ei ne Reihe von Autoren. 33

Die aufgezeigten Schwierigkeiten lassen sich wie folgt zusammenfassen:

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Die Bereitschaft und auch die Fähigkeit zu erzählen sind nicht bei allen Befragten gleich ausgeprägt. Neben soziokulturell begründeten Unter­schieden spielen persönliche Eigenarten eine nicht zu unterschätzende Rolle. Der Wissenschaftler kann sowohl auf sehr verschlossene Inter­viewpartner treffen als auch auf den notorischen Erzähler, dessen über­reichlich produzierte Geschichten "leer" sind. Die Interaktionssituation des Interviews wird durch eine Vielzahl von Variablen mitbestimmt, die auf das Erzählverhalten des Interviewten zu­rückwirken. Auch bei lediglich immanenten Nachfragen wirkt sich das Interesse des Interviewers selektiv und steuernd auf den Interviewverlauf aus. Das thematisch gebundene Forschungsinteresse läBt den ökologischen Aspekt, die Frage nach dem sozialen Lebensraum des Befragten, leicht aus dem Blick geraten. Erzähltexte, Beschreibungen und Argumentationstexte sind in dem Da­tenmaterial oft untrennbar miteinander verbunden, oder wesentliche Aus-

Dagegen Bude, ebenfalls unter Bezug auf Peirce: Eine "theoretisch interessante Einsicht (steil!) sich nur dann (ein), wenn der Interpret sich traut, den Boden verläBlicher Metho­den zu verlassen und ins Freie zu treten." Bude 1988, S. lOl ff. Hopf (Die Pseudo-Exploration) 1978, S. lOl ff.; Mühlfeld, Klaus u. a.: Auswertungsprobleme offener Interviews. In: Soziale Welt 32 (1981)3, S. 325-352; Herbert, Uli: Erinnerung in Fertigteilen. In: Literatur und Erfahrung 10(1982), S. 37; Südmersen, Ilse: Hilfe, ich ersticke in Texten! Eine Anleitung zur Aufarbeitung narrativer Interviews. In: Neue Praxis 13(1983)3, S. 298 ff.; Fuchs, Wemer: Biographische Forschung. Opladen: Westdeutscher Verl., 1984; S. 276 ff.; Bude (Der Sozialforscher) 1985, S. 332 ff.; Gerhardt (Erzähldaten) 1985, S. 252; Wiedemann, Peter M.: Erzählte Wirklichkeit. Zur Theorie und Auswertung narrativer In­terviews. Weinheim, München: Psychologie-Verl.-Union, Beltz 1986, S. 97; Rosenthal (Von Leben und Sinnwelt) 1987, S. 120 ff.; Bahrdt, Hans-Paul: Autobiographische Methoden, Lebensverlaufforschung und Soziolo­gie. In: Voges, W. (Hrsg.): Methoden der Biographie- und Lebenslaufforschung. Opladen: Leske u. Budrich 1987, S. 84; Baacke, Dieter: Zum Problem "Lebensweltverstehen". Zu Theorie und Praxis qualitativ­narrativer Interiews. In: Heinze, Th. 1990, S. 30 ff.; Danz, Gisela (Berufsbiographien) 1990, S. 178 ff.; Windolf, Paul: Probleme der Erhebung und Auswertung sozialwissenschaftlicher Daten. In: Heine, Th. 1990, S. 203 ff.; Zinnecker, Jürgen: Einige forschungsstrategische Überlegungen zum Typus hermeneu­tisch-Iebensgeschichtlicher Untersuchungen. In: Heinze, Th. 1990, S. 137; RosenthaI, Gabriele: Erlebte und erzählte Lebensgeschichte. Gestalt und Struktur biographi­scher Selbstbeschreibungen. FrankfurtlM., New York: Campus 1995, S. 62, S. 150-160.

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sagen sind lediglich in nicht-narrativen Textsequenzen enthalten, was den Auswertenden zu Auswahlentscheidungen zwingt. Die Bearbeitung der Daten kann aus zeitökonomischen Gründen, wegen der Fülle des MateriaIs, selektiv verlaufen und/oder entsprechend dem the­matischen Interesse des Wissenschaftlers, indem dieser z. B. die Texte vor­schnell strukturiert oder seinen eigenen Kategorien gemäB zergliedert. Es können bestimmte Interpretationsformen entfallen, weil sie die Kom­petenz des Sozialwissenschaftlers als Bearbeiter übersteigen.34

2.2 Methodische Konsequenzen

In der methodologischen Diskussion (s. o. Anmerkungen) finden sich aber auch Empfehlungen zur Verbesserung der biographischen Interpretationsver­fahren, die vielfach bereits Eingang in die wissenschaftliche Praxis gefunden haben:

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Die Triangulierung, die Überprüfung der gewonnen en Daten durch wei­tere, unabhängige Quellen, die kommunikative Validierung, also die Rücksprache mit dem Befragten, die Reliabilitätsprüfung durch Vergleichen der Interpretationsergebnisse mehrerer Forscher bzw. durch weitestgehende Offenlegung aller Interpretationsvoraussetzun­gen und -schritte und insgesamt die Weiterentwicklung der Interpretationstechnik, auch unter Einbezug von Vertretern anderer wissenschaftlicher Disziplinen (Literaturwissenschaftler, Linguisten, Historiker, Psychologen).35

Ähnlich sehen Lüders/Reichertz als zentrale Gefahren für die gesamte qualitative Sozial­forschung: 1. Das Problem der 8eliebigkeit in bezug auf Validität und Reliabilität. Sie lehnen es

ab, die Kriterien der "harten" Sozialforschung auch auf die qualitative anzuwenden, fordern aber, einen Weg zu suchen, "wie Analysen von Rezipienten nachvollzogen und überprüft werden können."

2. Das Problem der Generalisierbarkeit durch die Lücke zwischen Fallanalysen und all­gemeinen Aussagen.

3. Das Problem der Ökonomisierung des Prozesses der Datenanalyse. 4. Das Problem der Darstellbarkeit. Der Akt des Interpretierens ist nicht in einern rext

abbildbar und damit schwierig nachzuvollziehen und zu überprüfen. 5. Das Problem des Selbst- und Wissenschaftsverständnisses, das für sie in den unter­

schiedlichen erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Konzepten liegt. Lüders! Reichertz 1986, S. 87, S. 96 f.

Auf Einwände gegen diese Vorschläge bzw. damit verbundene Probleme wird im Zu­sammenhang mit der Beschreibung des methodischen Vorgehens bei der vorliegenden Untersuchung näher eingegangen.

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Innerhalb der vorliegenden Untersuchung wurden die Interaktionssituation im Interview und das Interviewerverhalten in jedem Einzelfall ausführlich dargestellt und kritisch reflektiert.36

Triangulierung und kommunikative Validierung wurden, soweit mög­lich, eingesetzt.

Urn inhaltlich bedeutsame Textelemente nicht nach formalen Kriterien ausscheiden zu müssen, wurden die Interviewtexte vollständig bearbeitet, al­lerdings unter besonderer Berücksichtigung der narrativen Passagen. 37

Es wurden keinerlei Quervergleiche angestellt, ehe nicht das gesamte Interviewmaterial für umfassende Einzelanalysen genutzt worden war.

ZusätzIich zu der inhaltlichen Analyse der Interviewtexte wurden die darin verwendeten Sprachmittel untersucht.

Der Interpretationsvorgang wurde in allen Schritten ausführlich - mit Textbeispielen - dokurnentiert.

Die QualitätsmaBstäbe, die an lebensgeschichtliches Material und an des­sen Auswertung gelegt werden sollten, seien hier noch einmal zusam­menfassend so dargestellt, wie sie für ei ne "psychologische Biographik" in Analogie zu denjenigen der "harten" Sozialforschung formuliert wurden:

- Forderung nach Überschaubarkeit der Bedingungen, unter denen Gesche­hen wie Bericht darüber zustandekamen (als Gegenstück zur Kontrollier­barkeit der Bedingungen im wissenschaftlichen Experiment);

- Forderung nach Unvoreingenommenheit oder zumindest nach umfas­sender, nicht grob verzerrender Darstellung (als Gegenstück zum Kriteri­urn der Vergleichbarkeit mehrerer Versuchsdurchläufe);

- Forderung nach Konkretheit der Aussagen: Informationen über wichtige Sozialmerkmale, historische Kontexteinbettung einer Begebenheit, Tempe­ramentslage des Erzählers (als Gegenstück zu der objektivitätsverbürgen­den Präzision experimenteller Bedingungen);

- Forderung nach Vollständigkeit der dargestellten Lebensgeschichte mit Beachtung wichtiger Einzelheiten und der subjektiven Sichtweise des In­formanten (als Gegenstück zur Repräsentativität der experimentellen Be­dingungen zur Abbildung psychischer Realität);

- Forderung nach Dokumentierbarkeit: ergänzende Erhebung von biogra­phischen Informationen nach expliziten Kriterien;

- Forderung nach Zentralität der berichteten EreignisselMerkmalelErfah­rungen, bezagen auf die Fragestellung der Untersuchung (als Abschwä­chung der Vollständigkeitsforderung). (VgI. Spöhring 1989, S. 278 f.)

Sie dienten für das methodische Vorgehen bei der hier vorgestellten Untersu­chung als verpflichtende Orientierungspunkte.

36

37

Dies geschah zunächst direkt nach Beendigung jedes Interviews, sodann mehrfach bei der Bearbeitung des Interviewtextes. Zur Rechtfertigung eines solchen Vorgehens s. Kap. 4.2.1.1.

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Exkurs: (Auto )biographische Erzählungen

Lebensgeschichtliches Erinnern erfolgt nicht interesselos (vgl. Kohli 1981, S. 290 f.) und nicht unabhängig von der aktuellen Situation, in der die Erinne­rungen thematisiert werden.

So kommt es, daB derselbe Mensch bei verschiedenen Gelegenheiten -ohne jeweils unwahrhaftig zu sein - unterschiedliche Lebensgeschichten er­zählen kann. Als "strukturierte Selbstbilder" unterliegen sie der "Färbung aus dem Heute" (Fuchs 1984, S. 63). Entsprechend seiner gegenwärtigen Sicht­wei se, vielleicht nur abhängig von seiner Stimmung oder seinem Befinden, retuschiert der Erzähler die Vergangenheit einerseits teilweise und läBt ande­rerseits jene Teile unangerührt, die zu seinem gerade bevorzugten Selbstbild passen. 3R

Die lebensgeschichtliche Darstellung wird auch durch die kommunika­tiven Faktoren der Erzählsituation beeinfluBt, durch die Antizipation des Hö­rerinteresses, durch den Zweck, den der Sprecher mit der Erzählung verfolgt, das Selbstbild, das er seinem Kommunikationspartner von sich vermitteln will.

Da nicht alles Erlebte erzählt werden kann, erfolgt eine Auswahl. Erzählt wird vor allem AuBergewöhnliches. Lebenszeiten, die von Routine ohne Hö­hen und Tiefen geprägt waren, sind für die Erinnerung wenig ergiebig und lassen sich nur schwer in einer Erzählung wiedergeben.

Zeitgeschichtliche Einschnitte oder Phasen hingegen können die Schil­derung der persönlichen Erlebnisse domini eren oder als Markierungspunkte strukturieren, nicht in der Form geschichtlicher Erinnerung, sondern mit Be­zügen auf die kollektive Geschichte durch "Vorgaben, ( ... ) die aus einem 'kollektiven Gedächtnis' an gemeinsam erlebte und durchlebte geschichtliche Prozesse stammen" (Lehmann zit. in Fuchs 1984, S. 76).

Vor allem aber ist der Erzähler im allgemeinen bemüht, seine Lebensge­schichte unter einen übergreifenden Sinnzusammenhang zu stellen. Dies be­ruht nicht nur auf dem Bedürfnis, die Fülle seiner - oft widersprüchlichen -Erlebnisse zu einer sinnhaften Gestalt zusammenzufassen und dadurch zu ordnen, sondern es ist auch ein Mittel, leidvolle Erfahrungen, eigenes Versa­gen, Abweichen von ursprünglichen Lebensplänen als letztlich doch sinnvoll selbst bes ser ertragen und nach auBen leichter vertreten zu können. Die so-

3R Dasse1be gilt bekanntennaBen für das mono logische Erinnem. So kann etwa jemand, der gerade ein groBes Erfolgs- oder MiBerfolgserIebnis hatte, unter Umständen für sich selbst sein gesamtes Leben als eine Kette von Siegen oder Niederlagen deuten.

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zialen Regeln unserer Gesellschaft verlangen im Prinzip jedem ei ne von Sinn getragene und möglichst in sich stimmige Lebensgeschichte ab. Die Grundannahme von der Konstanz seines Handeins macht den einzelnen für seine soziale Umwelt berechenbar. Andererseits zwingt sie ihn, auffällige Veränderungen innerhalb seiner Biographie zu rechtfertigen. Kontinuität, im Sinne von einer Sequenz von Zuständen, die nach einer allgemeinen Regel ineinander übergehen, wird dabei akzeptiert, mit Veränderungen etwa durch den biologischen AlterungsprozeB oder durch Statuswechsel. Andere Verän­derungen, die keiner derartigen Regel folgen, können nur mithilfe des Nach­weises von biographischer Konsistenz einsichtig gemacht werden. Sie müs­sen sinnhaft oder erklärbar sein. So werden dann etwa das Ausbrechen aus einem scheinbar vorgezeichneten Lebensablauf oder Konversionen nun rück­blickend als bereits früher angebahnt dargestellt oder als zwangsläufig, durch kritische äuBere Ereignisse ausgelöst, gedeutet. Auf diese Weise können bio­graphische Brüche nachträglich "geheilt" werden. Eine solche Form der Plausibilisierung ist auch deshalb nicht ungewöhnlich, weil Biographie als gelungene Sinnfigur - wenn überhaupt - erst nachträglich zu lebensge­schichtlichen Konstellationen und Problemsituationen erreicht wird (vgl. Fuchs 1984, S. 215). Sprachlich drückt sich das in den entsprechenden Seg­menten der Erzählung durch explizite Erklärungen, häufig auch durch legiti­matorische Elemente aus.

Die Textgestalt der meisten lebensgeschichtlichen Erzählungen wei st ei­ne bestimmte Ordnungsstruktur auto Sie entspricht der chronologisch geord­neten Sequenz narrativer Teilsätze, die, wie Labov und Waletzky heraus­fanden, Erzähltexte generell charakterisiert. Der Aufbau der biographischen Erzählungen folgt dem Schema:

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34

Erzählsegment Abstrakt Orientierungsteil Komplikationsteil Evaluation Lösungsteil Coda

Funktion Ankündigung/ Legitimation Schauplatzcharakteristik Ereignisdarstellung Bewertung Ergebnisdarstellung AbschluB39

Nach Labov, William: Sprache im sozialen Kontext. Beschreibung und Erklärung struktu­relIer und sozialer Bedeutung von Sprachvariation. Bd.2. Hrsg. v. N. Dittmar u. B.-O. Rieck. KönigsteinlTs.: Scriptor 1978, S. 67 ff. Das Schema orientiert sich an der referentiellen und der evaluativen Funktion als den Haupt­kennzeichen von Erzählungen selbsterlebter Ereignisse. Indizes wie Namen, Ortsangaben, deiktische Ausdrücke sowie die chronologische Anordnung der Erzähleinheiten erfüllen die referentielIe Funktion. Die evaluative Funktion wird durch die Wortwahl und durch die spe­ziellen Evaluationsteile der Erzählung geleistet. Vgl. Wiedemann 1986, S. 72; Fischer, Wolf­ram: Struktur und Funktion erzählter Lebensgeschichten, S. 320. In: Kohli, M. (Hrsg.): So­ziologie des Lebenslaufs. Darmstadt, Neuwied: Luchterhand, 1978, S. 311-336.

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Lebensgeschichtliche GroBerzählungen enthalten auch Verschachtelungen dieser Kategorien bzw. Teilgeschichten, die innerhalb der Gesamterzählung eine der genannten Funktionen übernehmen.

Nach der einleitenden Ankündigung der Erzählung wird dem Zuhörer zunächst der zeitliche, räumliche und situative Rahmen des vergangenen Ge­schehens im Orientierungsteil verdeutlicht.

Dann folgt der eigentliche Kern der Erzählung, Komplikation und Eva­luation, das berichtenswerte Ereignis und die Bewertung des Geschehens. Der Komplikationsteil ist auf ei ne Ereigniszuspitzung, einen Höhepunkt hin angelegt und wird detaillierter ausgeführt als andere Teile der Erzählung.

Die Evaluation ist ein für die Ausdeutung des Textes besonders interes­santes Erzählsegment. Sie setzt sich aus "disparaten Evaluationsatomen" zu­sammen, die an verschiedenen Stellen der Erzählung plaziert werden (Wie­demann 1986, S. 80). Die einzelnen Evaluationen können die narrative Dar­stellung unterbrechen, in die Ereignisschilderung eingebaut sein oder einen eigenen Textteil bilden und werden durch ganz unterschiedliche sprachliche Mittel ausgedrückt. Labov unterscheidet vier Prozeduren, mittels derer eva­luiert wird.40

Die Evaluationen bewerten das erzählte Geschehen und bringen neben den thematischen Relevanzen die Auslegungsrelevanzen mit ein. Dabei kön­nen sie die seinerzeitige Einstellung des Erzählers zum dargestellten Ereignis wiedergeben oder dessen heutige Beurteilung. Sie deuten auf die subjektive Sinngebung des Erzählers, seine Realitätskonstruktion hin und sind gleich­zeitig als Hinweise auf den Verwendungssinn der Erzählung zu verstehen (Wiedemann 1986, S. 81). Evaluationsteile in der GroBerzählung, von Fi­scher "Globalevaluationen" genannt, sind als der die Textproduktion steu­ernde Rahmen anzusehen, in den die einzelnen Elemente - die Einzel­geschichten - konsistent eingepaBt werden müssen. Bei lebensgeschicht­lichen Erzählungen manifestieren sie vermutlich die latenten Sinnstrukturen des Erzählers (Fischer 1978, S. 322). Der Lösungsteil gibt den Ausgang des geschilderten Ereignisses wieder, falls dieses zu einem Resultat führte; sonst kann er wegfallen. Mit der Coda kenn­zeichnet der Erzähler das Ende seiner Erzählung, oft in floskelhafter Form, wie: "Das war's," oder : "So, mehr weiB ich nicht." Damit ist gleichzeitig die kommunikative Dominanz des Erzählers, die ihm für die Dauer des Erzählens eingeräumt wurde, beendet.

40 Es handelt si eh urn die Intensivierung dureh die Zuweisung von Adjektiven, Modalparti­keln, Betonungen u. a., den Vergleieh, die maximale DetaiJlierung dureh Korrelativa und die extensive Explikation. Wiedemann 1986, S. 81.

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3. Die Durchführung der Interviews

3.1 Vorbereitnng nnd Entstehnng der Interviews

Vor Beginn der Interviewphase wurde ein Katalog für die Untersuchung inter­essanter und vermutlich zur Sprache kommen der Themen zusammengestellt. Dieser diente bei sechs Probeinterviews mit Frauen derselben Altersgruppe wie die späteren Interviewpartnerinnen, jedoch aus anderen Berufen, als Orientierungshilfe für eventuelle Nachfragen. Anhand dieser ersten Interviewergebnisse wurde der Themenkatalog noch mals korrigiert bzw. er­gänzt.

Alle Interviews wurden von der Verfasserin der Untersuchung selbst durchgeführt. Sie kamen überwiegend durch direkte Anfrage der Inter­viewerin, teilweise durch Vermittlung einer anderen Interviewpartnerin zu­stande. Bei der ersten Kontaktaufnahme wurden auch Untersuchungs­interesse und Befragungsform erläutert. Nicht alle der ursprünglich Ange­sprochenen waren zu einem Interview bereit. Während einzelne lebhaftes Interesse bekundeten und auf einen baldigen Befragungstermin drängten, lehnten andere sofort oder nach einigen Tagen mit unterschiedlicher Begrün­dung ab; zwei erklärten ihre Einwilligung erst nach einer längeren Bedenk­zeit. Das bedeutet auch, daB auf diese Weise bereits eine Vorauswahl der In­formantinnen erfolgte.

Es handelt sich bei ihnen urn Pädagoginnen der Jahrgänge 1914 bis 1932, die an Volks-, später Grund- und Hauptschulen in Nordrhein-West­falen tätig waren. Die meisten waren zum Zeitpunkt des Interviews bereits pensioniert bzw. standen kurz vor ihrer Pensionierung. Drei der Befragten sind inzwischen verstorben, ei ne davon wenige Wochen nach Beendigung des Interviews.

Die Interviews wurden zwischen Mai und November 1993 durchgeführt, d.h. teils vor, teils nach dem Brandanschlag in Solingen, der sich - wie einige der Befragten selbst erklärten - direkt auf deren Gesprächsbereitschaft aus­wirkte, positiv oder negativ.

Die Interviewsituation war naturgemäB stark durch das Verhältnis der Gesprächspartnerinnen zueinander bestimmt. Im vorliegenden Fall heiBt das, daB sich die Beteiligten - bis auf zwei Ausnahmen - nicht fremd waren, was eine freundschaftliche Beziehung über viele Jahre, eine enge oder flüchtige Bekanntschaft aus gemeinsamer Arbeit oder auch nur ein gelegentliches frü­heres Zusammentreffen bedeuten konnte.

Meist wurde die Befragung beim ers ten Treffen abgeschlossen, in den übrigen Fällen erfolgten ein bis drei weitere Kontakte, weil entweder die In-

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terviewerin noch Fragen zu stellen hatte oder eine Befragte den Wunsch äu­Berte, ihrem Bericht noch etwas hinzuzufügen. A, C, E und M reflektierten in diesem Zusammenhang auch die Relevanz ihrer Erinnerungsarbeit für sich selbst.

Im Hinblick auf ei ne Veröffentlichung wünschten einige Informantinnen ei ne Anonymisierung ihrer Interviewaussagen, andere verzichteten ausdrück­lich darauf. Entsprechend wurde verfahren, ohne untersuchungsrelevante Einzelheiten zu verändern. Die Namen der Interviewten wurden generell weggelassen, auch wenn dies im Einzelfall nicht verlangt worden war.

3.2 Die Gesprächssituation in den Interviews

Die Interviews fanden im allgemeinen in der W ohnung der Befragten statt, wobei nur in einem Fall ei ne weitere Person - der Ehemann - anwesend war. Eine der Informantinnen reiste ausschlieBlich für die Befragung aus ihrem mehr als zwei Autostunden entfernten Wohnort an. In diesem Fall fand das Interview in der W ohnung der Interviewerin statt. Die Befragungen liefen über mehrere Stunden, teilweise bis zur völligen Erschöpfung der Informan­tinnen, die aber trotz mehrfacher Angebote das Gespräch nicht unterbrechen woUten, ehe sie selbst das SchluBsignal gaben.

Die Treffen verliefen immer in freundlich entspannter Atmosphäre, mit­teilweise sehr langen - informellen Gesprächen vor und besonders nach der eigentlichen Befragung. Diese dauerte jeweils zwischen einer und mehr als vier Stunden und wurde bei vier Informantinnen bei ein bis drei weiteren Treffen fortgesetzt.

Nicht alle Befragten waren mit dem Einsatz eines Kassettenrecorders einverstanden, obgleich dessen Benutzung bei der Vorinformation angespro­chen worden war. Als Begründung wurde meist angegeben, sie fühlten sich durch das Gerät "irritiert", was nicht immer der einzige Grund für die Ableh­nung zu sein schien. Eine der Informantinnen erklärte sich schlieBlich doch zur Aufzeichnung des Interviews bereit. In den übrigen drei Fällen wurde nicht auf die Befragung verzichtet, sondern das Gespräch wurde mitsteno­graphiert, was die Befragten akzeptierten. Die Art der Aufzeichnung wurde in den Interviewprotokollen jeweils vermerkt.

Der Eingangsstimulus wurde stets gleich formuliert. 41 Zusätzlich wurde noch einmal kurz auf das beim Vorgespräch vereinbarte Vorgehen - zu-

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"leh bin daran interessiert zu erfahren, wie Sie Ihre Kindheit und Jugend im Dritten Reich erlebt haben und we1che Bedeutung diese Erlebnisse damals und in Ihrem weiteren Leben für Sie hatten. Es wäre schön, wenn Sie mir etwas über Ihr damaiiges Leben erzählen würden, von Ihrer Familie, Ihren Lebensumständen, von Menschen, die Ihnen wichtig waren, von Ereignis-

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nächst freies Erzählen, ohne Vorgaben der Interviewerin, erst dann Nachfra­gen - verWIesen.

Allen Interviewpartnerinnen war das Untersuchungsinteresse der Inter­viewerin vor dem ers ten Treffen in groben Zügen bekannt. Dies wirkte sich in unterschiedlicher Weise auf die Befragungen aus. Einzelne Informantin­nen identifizierten sich so stark mit dem Untersuchungsgegenstand, daB sie selbst Vorschläge zu thematischen Schwerpunkten oder sogar zum Untersu­chungsansatz machten. Allerdings führte das möglicherweise auch dazu, daB sie sich ihren Bericht teilweise mehr als erwünscht bereits vorher zurechtleg­ten. In der Interviewsituation allerdings erwiesen sich dann tatsächlich meist - nicht immer - die Zugzwänge des Erzählens als stärker.

Andere Befragte suchten aufschluBreiche Materialien aus der in Frage stehenden Zeit heraus und steIlten sie der Interviewerin zur Verfügung: Fo­tos, Tagebuchaufzeichnungen, Briefe, selbstverfaBte Texte, Dokurnente, Schulhefte und -bücher usw ..

Die Eingangssituation der Gespräche dürfte entkrampfter gewesen sein als bei vöIlig Fremden. Innerhalb der Gespräche könnte aber gerade der Be­kanntheitsgrad zusätzliche Hemmungen verursacht haben, wenn es urn das Berichten persönlicher, teilweise als peinlich empfundener Einzelheiten ging. Wie stark derartige Hemmungen sich ausgewirkt haben, ist schwer einzu­schätzen. Andererseits läBt sich aus einigen Indizien (offenbarte persönliche Details, die erwiesenermaBen auBerhalb der Familie bisher nie erzählt wur­den und z. B. bei zwei der Befragten zu innerfamiliären Auseinandersetzun­gen führten) folgern, wann das Vertrauen in die Diskretion der Interviewerin überwog bzw. der Ezählzwang stärker war.

Ein Problem war der Zwang zu einem betont nicht-direktiven Gesprächs­verhalten der Interviewerin. Eine solche Gesprächshaltung entspricht nicht derjenigen in einer Alltagskommunikation, auch nicht derjenigen in einem Gespräch über persönliche Inhalte. Am nächsten kommt sie noch der Situati­on, wenn einer der Gesprächspartner ein starkes Mitteilungsbedürfnis hat, wobei aber wiederum bei emotional besetzten Inhalten der Wunsch nach Vergewisserung, Bestätigung, Verstärkung durch das Gegenüber besteht. Dieser läBt sich keineswegs allein durch Nicken, "hm, hm" und ähnliche wertneutrale ÄuBerungen befriedigen.

Selbstverständlich wurde in derartigen Momenten an die vorherige Ver­einbarung der geplanten Gesprächsform erinnert: zunächst möglichst aus­führliche, nicht unterbrochene Darstellung durch die Interviewte, erst dann Nachfragen der Interviewerin. Dennoch waren immer wieder Irritationen zu beobachten, nicht nur bei solchen Interviewpartnerinnen, die unsicher waren,

sen, die Ihr Leben beeinfluBten. Am hilfreichsten wäre es, wenn Sie möglichst konkret be­richten würden, was Sie selbst erlebt haben. Während Sie erzählen, möchte ich noch nichts sagen, werde mir aber einige Stichpunkte notieren, zu denen ich dann später noch Fragen stellen kann."

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ob das von ihnen zu Berichtende überhaupt der Rede wert und interessant genug sei, ob sie sich ausreichend zu erinnern vermöchten, ob sie die richtige Darstellungsform fänden. Besonders dann, wenn in einer vertrauensvollen, persönlichen Atmosphäre (und hier mag gerade der Bekanntschaftsgrad eine Rolle gespielt haben) ei ne gute, ergiebige Erzählsituation entstanden war, wirkten derartige Irritationen sich hemmend auf den ErzählfluB aus. Die In­terviewten schienen auch mehrfach im Gegenzug für das von ihnen Darge­botene - "do ut des" - eine Eigenleistung der Interviewerin durch "Bekennt­nisse" zu erwarten. Es blieb dann nur die Möglichkeit, auch hier zunächst an die Vereinbarung für das Gespräch zu erinnern, was aber nicht immer aus­reichte. Da sich ein - womöglich gar wertendes - Eingehen auf das Erzählte in dieser Interviewphase verbot, andererseits auch keine Inhalte vorgeprägt werden sollten, wurde eine Art Paraphrasierung von inhaltlichen Nachfragen in persönlicher Darstellung versucht. ("Bei mir war es so ... Wie war das bei Ihnen ?") Für den Gesprächsverlauf waren solche Interventionen, wenn sie sich denn nicht vermeiden lieBen, durchaus hilfreich. Wie weit sie den noch die Erzählrichtung mitbestimmt haben, läBt sich nicht eindeutig feststellen. Andererseits verbietet es sich, nicht nur aus Gründen der Forschungsethik, die Interviewten zu "benutzen", sondern die Kommunikation sollte auch in der Interviewsituation so echt und wahrhaftig wie möglich gestaltet werden. Deshalb wurde im konkreten Fall von der Interviewerin gelegentlich bewuBt gegen die idealtypischen Verhaltensregeln verstoBen, insbesondere bei inti­men Bekenntnissen oder Erinnerungen, die die Erzählenden heftig bewegten, zum Weinen brachten oder zeitweilig am Weitersprechen hinderten.

Nicht bei allen Interviews signalisierte ei ne explizite Coda (C: "Fertig." E: "Aber ich glaube, jetzt muB endgültig SchluB sein. ") den AbschluB der biographischen Darstellung. Einzelne Befragte gingen von der Erzählphase selbst zum Bilanzierungsteil und dabei zu immer persönlicheren monolo­gischen Reflexionen über, die später aus Gründen der Diskretion bei der Transkription ausgespart wurden.

Direkt im AnschluB an jedes Interview wurde ein ausführliches Gedächt­nisprotokoll über die äuBeren Bedingungen und den Verlauf des Treffens an­gefertigt.

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4. Bearbeitung der Interviews

Die Interviews wurden zunächst transkribiert, dann auf ihre inhaltliche Validi­tät überprüft. AnschlieBend erfolgten eine ausführliche und ei ne zusammen­fassende Paraphrasierung des gesamten Textes. Als Orientierungshilfe für die weitere Bearbeitung des Interviewtextes wurde ein tabellarischer Lebenslauf der jeweiligen Befragten angefertigt sowie eine knappe Übersicht über Daten und Ortsangaben der erwähnten Ereignisse.

Danach wurden Textstruktur und Darstellungsschemata untersucht: Es wurden die übergreifende ÄuBerungsform des jeweiligen Interviewtextes sowie die thematische Segmentierung und die Darstellungsweise der Einzel­episoden festgestellt und Synopsen der erzählten Ereignisse und geschilder­ten Situationen angefertigt.

Der nächste Auswertungsschritt richtete sich auf die ErschlieBung von Erfahrungszusammenhängen und verborgen en Sinnstrukturen. Hierzu wur­den der Rahmen der biographischen Darstellung rekonstruiert und ausge­wählte Datensätze detailliert analysiert.

Die am SchluB entwickelten Hypothesen über die biographische Gesamt­formung und über generelle Deutungsmuster der Befragten wurden je nach Bereitschaft der Interviewten zu einer Rückkopplung mit diesen besprochen, d.h. nicht mit allen in Form einer umfassenden kommunikativen Validierung.

Zur Triangulation wurde bei den einzelnen Auswertungsschritten, soweit mäglich, Quellenmaterial herangezogen. Teilweise war es von den Befragten selbst zur Verfügung gestellt worden. Darüber hinaus konnten zu verschie­denen geschilderten Begebenheiten weitere Zeitzeugen befragt werden.

Nicht immer erwies sich im Einzelfall die strikte Einhaltung einer festen zeitlichen Abfolge aller Untersuchungsschritte als sinnvoll; es konnten auch nicht in künstlicher analytischer Trennung nur ganz bestimmte Aspekte mehrdimensionaler Ergebnisse berücksichtigt werden. So wurden z. B. Hin­wei se auf die Deutungsmuster der Befragten in ganz unterschiedlichen Un­tersuchungsphasen gewonnen, und auffällige sprachliche Befunde lieBen sich nach mehreren Kategorien einordnen und interpretieren. Die allgemeine Rei­henfolge, zunächst die thematischen Relevanzen, dann die Auslegungs­relevanzen zu erfassen und für die Gesamtdeutung zusätzliche Detailanalysen vorzunehmen, wurde jedoch stets eingehalten.

Erst nach dem AbschluB aller Einzelanalysen wurden Quervergleiche zu thematischen Schwerpunkten der Interviews angestellt.

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Das Auswertungsverfahren der Einzelinterviews wird im folgenden ex­emplarisch dargestellt.42

4.1 Vorbereitung des Materials

4.1.1 Transkription

Die Interviewtexte wurden vollständig und durch die Interviewerin selbst transkribiert. Dabei wurde ein mittleres MaG an Genauigkeit gewählt, das ei­nen arbeitsökonomisch noch vertretbaren Aufwand erforderte. Ausgelassen wurden lediglich einige - meist in der letzten Phase des Interviews gemachte - Bemerkungen über die Befragten selbst oder über andere Personen, deren sehr persönlicher Inhalt für das Interviewthema ohne Bedeutung waren. An den betreffenden Stellen des Gesprächsprotokolls findet sich ein ent­sprechender Hinweis.

Die Transkription gibt die gesprochene Sprache wieder einschlieBlich -soweit möglich - prosodischer Elemente und parasprachlicher Mittel. Wieder­holungen, Selbstkorrekturen, unvollständige Wörter ("Schulprä-, Regierungs­präsident") oder Füllsel wie "eh", "hm" u. ä. wurden ebenso festgehalten wie auffällige Artikulation, z. B.: [undeutlich], oder Intonation, z. B.: [sehr laut], [zornig], "i mme r" (bei gedehnter Aussprache) sowie Lachen, Weinen: [lacht lei se ], [weint] . Pausen sind ungefähr entsprechend ihrer Dauer durch Punkte gekennzeichnet. Die Interpunktion orientiert sich an der Sprechweise und dient als Verständnishilfe, erscheint also nicht immer regelgeleitet.

4.1.2 lnhaltliche Validität

Bei der Überprüfung der inhaltlichen Validität jedes Interviewtextes wurde die gesamte Interviewsituation berücksichtigt sowie einerseits die vermutli­che Inszenierungsperspektive der Erzählerin erfaBt, auch unter Berücksichti­gung von Rückzugsindikatoren (wie z. B. Erzählabbrüche, Aussparungen oder abrupte Themenwechsel), von Hervorhebungen oder Verschleierungs­tendenzen, andererseits das Verhalten der Interviewerin .

Hierfür wurde zunächst das Gedächtnisprotokoll zur Interviewsituation herangezogen. Dann wurde der transkribierte Interviewtext als Ganzes gele­sen, und parallel dazu wurden nochmals Teile der Kassettenaufnahmen abge­hört, urn akustische Auffälligkeiten nuanciert berücksichtigen zu können. Er-

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42

Vgl. zur Datenanalyse Wiedemann 1986, S. 166 f., dessen an Schütze orientiertem Vorge­hen weitgehend gefolgt wurde.

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ste Eindrücke, eventuell auch Hinweise auf - noch - unklare Textstellen wurden dabei schriftlich festgehalten. Diese zusätzlichen Notizen sollten kei­ne vorzeitige Interpretation fixieren, sondern sie wurden umgekehrt gerade als Dokumentation des Interpretationsprozesses angefertigt und erst wieder während späterer Auswertungsschritte zum Vergleich herangezogen.

Alle Interviewtexte erschienen für ei ne ausführliche Interpretation ausrei­chend inhaltlich valide.

4.1.3 Paraphrasierung

In qualitativen Untersuchungen werden umfangreichere Texte nicht immer in voller Länge paraphrasiert; teilweise wird dieser Arbeitsschritt auf eine nach bestimmten Kriterien getroffene Auswahl von Inhalten oder Textstrukturen beschränkt. 43

Bei der vorliegenden Untersuchung wurde trotz des erheblichen Arbeits­aufwandes jeder Interviewtext nach der inhaltlichen Validierung in voller Länge zweifach paraphrasiert, sowohl ausführlich als auch zusammenfas­send. Das Paraphrasieren der fremden Texte hatte ei ne disziplinierende Wir­kung auf die Auswertende; es zwang sie, sich ganz auf die Perspektive der Befragten einzustellen, und trug so dazu bei, ei ne vorschnelle Fremd-Inter­pretation zu verhindern. Deshalb wurden in dieser Bearbeitungsphase auch nur sehr vorsichtig, oft in Frageform, spontan sich anbietende Interpretatio­nen als Hypothesen festgehalten. Bei der zusammenfassenden Paraphrasie­rung, die auch der Ökonomisierung der weiteren Arbeit diente, wurden gleichzeitig erste Kategorisierungen vorgenommen.

4.2 Auswertung der Interviewtexte

4.2.1 Konstruktion der Gesamtdarstellung

4.2.1.1 Textstruktur und Textsorten

Zwar wurde den Befragten vorgeschlagen, chronologisch zu erzählen, es wurde aber nicht darauf bestanden. Insofern ist der formale Textaufbau eben­so von Interesse wie die inhaltliche Auswahl und die Ausgestaltung der Ein­zelthemen:

43 Ein soIches Vorgehen beschreiben z. B. Mayring, Philipp: Qualitative Inhaltsanalyse. Grondlagen und Techniken. Weinheim: Deutscher Studien Verlag, 1983, S. 56 f.; Südmer­sen 1983, S. 298 f.; Danz 1990, S. 194.

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1. Wie ist die Gesarntdarstellung angelegt, d. h. handelt es sich eher urn eine lebensgeschichtliche GroBerzählung oder urn Einzelgeschichten? Von welcher Anfangserzählung aus entwickelt die Erzählerin ihre Darstellung, wornit beendet sie sie?

2. Was wird berichtet, was wird ausgespart, d. h. woran erinnert die Befrag­te sich, was hält sie für zurn Thema gehörend, was wählt sie als berich­tenswert aus, oder was ist sie bereit zu berichten?

3. Wie werden bestirnrnte Einzelthernen dargestellt, d.h. an welcher Stelle der Gesarnterzählung, in welchern Urnfang, welcher Intensität und in wel­cher Forrn (Textsorte und Perspektive)?

4. Wie sind die dargestellten Ereignisse einzuordnen, d. h. in welcher Zeit liegen sie? In welchen sozialen Räurnen sind sie anzusiedeln und welche Personen werden einbezogen?

Das narrative Interview solI thernenbezogene Stegreiferzählungen hervor­locken; aber rnöglicherweise, weil das Thema der Untersuchung zu einer Re­flexion herausfordert, die bei den Befragten seit langern unabhängig von der Befragung stattgefunden hat, bereitete es rnanchen stellen wei se Probleme, sich auf die Ebene anschaulichen Erzählens einzulassen.

Dennoch war ein zusarnrnenhängender Bericht zu diesern Thema für eini­ge Interviewte so neu oder so interessant, daB sie vorn Fazit selbst überrascht waren und urn eine Kopie des Materials baten, da sie dies als Information für ihre Familie oder als Teil einer Familiengeschichte bewahren woUten.

In urngekehrtern Sinn ist ein anderes Phänornen zu erwähnen: die Tatsa­che, daB es sich bei den Befragten urn erfahrene Pädagoginnen handelt, die darin geübt sind, Sachverhalte in "lebensnahe" Erzählungen zu transfor­mieren. Auch wenn immer davon ausgegangen wird, daB die Darstellung, je konkreter und detaillierter sie ist, urn so echter die seinerzeitige Erlebnisper­spektive wiedergibt (z. B. Wiedemann 1986, S. 66), sind in den Interviews "Erlebniserzählungen" enthalten, die in der dargestellten Form nicht als au­thentisch angesehen werden können. Dazu gehört das Erlebnis von E, die während des Krieges von einern Tiefflieger beschossen wurde. Das Ereignis als solches wurde von anderen Personen bestätigt. Der geschilderte Ablauf ist nach Aussage ei nes erfahrenen Piloten jedoch technisch absolut unrnäglich.

" ... kam ein englischer Jagdflieger und veranstaltete mit mir SchieBübungen. Also rechts und links von mir kamen die Einschläge vom Maschinengewehr, und er traf mich nicht. Als ich nach einer Wei Ie hochguckte, sah ich in der Glaskanzei der Maschine - sie flog so tief, daB ich das gut erkennen konnte - das Profil eines sehr hübschen jungen Engländers. In dem Zorn, den ich hatte, ( ... ) zeigte ich ihm den Vogel. Da lachte er, machte eine Handbewegung und startete senkrecht in die Höhe und war weg."

Auch "historische Legenden" fallen unter diese Kategorie. Ein solches Ste­reotyp, das rückblickend für den Erzählenden eine Zeit oder Situation cha­rakterisiert, könnte die Geschichte von dem Flügel sein, der einer jüdischen

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Familie in der "Reichskristallnacht" am 9. November 1938 aus dem Fenster geworfen wurde. Sie taucht mehrfach in den Interviews auf, auch wenn die Befragten sonst keinerlei genaue Erinnerungen an Ausschreitungen gegen­über Juden haben.

Darüber hinaus lassen sich grundsätzliche V orbehalte gegenüber einer allzu rigiden Beschränkung auf rein narrative Texte vorbringen. Abgesehen davon, daB Schütze selbst die Definition der "Erzählung" relativ weit faBt, äuBern z. B. Wiedemann (1986, S. 96) und Rosenthal (1987, S. 119 ff.) be­gründete Bedenken, für die Auswertung ausschlieBlich erzählende Texte aus­zuwählen. Rosenthal geht sogar umgekehrt davon aus, daB der Textstruktur der biographischen Gesamtdarstellung und dabei gerade auch dem Anteil nicht-narrativer Textsegmente besondere Bedeutung für die Interpretation des biographischen Gesamtrahmens des Befragten zuzumessen ist.

Rosenthal (1987, S. 397 ff.) nimmt an, daB eine aus der Gegenwarts­perspektive kontrollierte Darstellung des Lebens, die durch zum Gesamtrah­men passende Beispiele belegt wird und relativ viele Argumentationen ent­hält, auf einen totalen VerwandlungsprozeB schlieBen läBt: Der Berichtende versucht so nachträglich seinem Lebensablauf Konsistenz zu verleihen.

Lebensgeschichtliche GroBerzählungen erwartet Rosenthal eher bei Per­sonen, die eine partielIe Wandlung durchliefen, sich dessen auch bewuBt sind, aber - anders als bei einer totalen Verwandlung - keinen Rechtferti­gungsdruck empfinden.

Werden beim Interview auf Impulse des Interviewers hin - auch längere - Erzählungen zu einzelnen lebensgeschichtlichen Ereignissen und Phasen produziert, so glaubt Rosenthal darin einen Hinweis auf ei ne latente Wand­lung des Erzählers erkennen zu können. Ohne explizite Theorie für den eige­nen biographischen Werdegang, seien Personen dieses Typus eher geneigt, sich am verrnuteten Relevanzsystem des Interviewers zu orientieren und le­bensgeschichtliche Einzelerzählungen danach auszuwählen.

Einige Ergebnisse der Analyse der vorliegenden Interviews könnten den Ansatz Rosenthals stützen. B und D, die sich weniger aus eigenem Interesse als der Interviewerin zu Gefallen der Befragung stellten, orientierten sich an­scheinend auch an deren Impulsen und vermeintlichen Erwartungen. Beide sind sich keiner tiefergehenden biographischen Wandlung bewuBt. Dagegen entsprechen die Ausführungen von E am ehesten einer Mischform aus bio­graphischer GroBerzählung und einer aus der Gegenwart kontrollierten Dar­stellung. Sie enthalten eine Reihe von Brüchen und Inkonsistenzen, die E auch teilweise selbst reflektierte und zu rechtfertigen versuchte. E hatte sich seit langem sehr intensiv mit der eigenen Biographie auseinandergesetzt, und dieser ProzeB war auch zum Zeitpunkt des Interviews noch nicht abge­schlossen. Dies alles könnte auf ei ne prozeBhafte Mischung aus partieller Wandlung und totaler Verwandlung hindeuten. Schwierig zu interpretieren ist der Interviewtext von A. Vom Typ her handelt es sich urn ei ne stark argu-

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mentativ aufgebaute, aus der Gegenwart kontrollierte Darstellung. Ob daraus auf einen totalen VerwandlungsprozeB der Befragten geschlossen werden kann, erscheint unter Berücksichtigung der weiteren Auswertungsergebnisse jedoch als fraglich.

Auch Wiedemann wendet sich gegen ei ne Aussonderung aller nicht-nar­rativen Textteile (S. 104). Er macht einen grundlegenden Unterschied zwi­schen initiativ produzierten Erzählungen und solchen, die im Rahmen eines narrativen Interviews "hervorgelockt" werden sollen. Der Befragte kann in der Interviewsituation auch auf andere Textsorten ausweichen, insbesondere dann, wenn subjektive Bestimmungen, wie die eigene Biographie, themati­siert werden sollen, die sich nicht vollständig in narrativer Form darstellen lassen.44

Diese Argumente lieBen es gerechtfertigt erscheinen, alle Textsorten in die Auswertung mit einzubeziehen, allerdings in unterschiedlicher Weise. Die "Geschichten" wurden am ausführlichsten analysiert; manche Untersu­chungsformen verboten sich bei einigen Textsorten von selbst. So kann der Komplikationsaufbau naturgemäB nur bei Ereignisdarstellungen untersucht werden. Evaluationen hingegen finden sich auch in argumentativen Texttei­len, wurden aber jeweils nach dem Ort ihres Auftretens gesondert ausgewer­tet.

Andererseits war es durchaus aufschluBreich festzustellen, zu welchen Teilthemen detailliert und aus der persönlichen Perspektive erzählt und zu welchen in objektivierter Form berichtet wurde, welche Inhalte in Ver­fahrensbeschreibungen verallgemeinernd typisiert oder durch eine Zustands­beschreibung charakterisiert und welche in einer Verlaufs- oder Vorgehens­beschreibung als iterative Muster dargestellt wurden. Zwar traten die se Text­sorten nicht nur rein, sondern auch als Mischformen auf, aber die mei sten Texte in den Interviews lieBen sich doch identifizieren und unter Berücksich­tigung ihrer Darstellungsform interpretieren.

G e r z ä hit von den Schikanen, denen sie beim RAD ausgesetzt war, und b e r ic h te t über die spätere Verfolgung durch die Stasi in der sowje­tisch besetzten Zone. Das erste Erlebnis schildert sie fast mit einer Portion Humor; es hat sie nicht traumatisiert. Über das zweite hat sie aus Angst für sich und andere jahrelang geschwiegen, und sie versucht auch im Interwiew die Erinnerung daran nicht allzu lebendig werden zu lassen; denn noch heute wiegen die Erlebnisse in der SBZ für sie viel schwerer als diejenigen wäh­rend der NS-Zeit.

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Wiedemann unterscheidet und berücksichtigt in narrativen Interviews die ErzähIung, die er durch Selbstthematisierung, diachrone Perspektive, singulären Ereignisraum und kom­plikationsorientierte Abwicklung gekennzeichnet sieht; die Verfahrensbeschreibung; die Zustandsbeschreibung; die Verlaufs- und Vorgehensbeschreibung; den Bericht, d.h. hier: den Se1bstbericht. Wiedemann 1986, S. 96 ff.

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"Und wie ich ganz kaputt von der Fabrik zurückkomme, ruft mich diese Führerin in ihr Zimmer und sagt: 'Hier, putzen! Und Ofen heizen!' Hatte ich noch nie gemacht. Also ich Kohlen geholt und irgendwie angesteckt, und der Ofen qualmt. Die ganze Stube war voll. Hat die rnich angebrüllt! Nächsten Samstag wieder. Na und dann hab ich's extra qualmen lassen, da war ich quitt. Und die sagt gar nichts, und Ofen hab ich auch nie mehr geheizt, jawoll."

"Also ich wurde hinbestellt und bedroht, immer wieder, und befragt, von verschiedenen Herren, einer aus Berlin und einer aus dem Ort. Und dann wurde der Druck immer stär­ker, und ich sollte andere beobachten und dann berichten. Und ich konnte mit niemand darüber reden, durfte ich nicht, auch nicht mit der Familie. Man hatte ja eine wahnsinnige Angst. Und dann bin ich eben geflüchtet."

C gibt ei ne Bes c h rei bun g ihres eigenen seelischen Zustands während eines Kriegseinsatzes:

"Wir wuBten, unsere Männer und Väter und Freunde, alles war drauBen, und es war ja praktisch fast peinlich, also noch seinen, seinen Lebenslauf normal weiterzumachen. Bei all den schrecklichen Nachrichten, die man hörte. Und man war eben zu totaler Pflicht­erfüllung erzogen und zum Einsatz. Und ich war verzweifeIt, als der Arzt mir sagte, der Stabsarzt mir sagte, nein, Sie dürfen nicht weitermachen."

Gleichzeitig liefert die Befragte mit dieser Zustandsbeschreibung ei ne "Theo­rie" zur Erklärung ihres Verhaltens. (Vgl. hierzu Wiedemann S. 99) Ver I a u f s- und V 0 r g e hen s bes c h rei bun gen finden sich bei Sitten und Gebräuchen:

"lch trug ja, hatte ja ganz lange Zöpfe, und wir muBten immer einen Hut tragen. Als ich über vierzehn war, muBte ich immer einen Hut tragen und Handschuhe. Wie das üblich war,"

Auch indirekte Bewertungen drücken sich durch ein vermutlich nicht wört­lich zu nehmendes "immer wieder" aus:

"Da habe ich immer furchtbar gelacht," bagatellisiert D die Feierlichkeit des allmorgend­lichen Fahnenappells beim RAD. C und G betonen die Gefahr einer Überwachung durch die Gestapo: "Bei uns wurde immer, wenn Besuch kam, eine Kaffeemütze über das Tele­fon gestülpt." "Wenn bei uns Geburtstag war oder was und die Freunde und Verwandten meiner Eltern aus der Stadt kamen, sagten sie immer: Wie schön, jetzt können wir aus Herzenslust schimpfen, hier sind keine Nachbarn."

4.2.1.2 Thematische Gliederung des Textes

Die einzelnen Textsegmente wurden zunächst abgegrenzt und aufgelistet; so zeichnete sich die Episodenstruktur des Textes ab. Dabei wurde die grobe Ordnung (chronologisch, systematisch, ausgehend von einzelnen Episoden) deutlich. Von besonderem Interesse war auch, mit welchem Thema die Dar stellung begonnen und womit sie beendet wurde. Wenn die Befragte B z. B. als erstes betont, von "all diesen Dingen mit den Juden" nichts gewuBt zu ha-

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ben, so ist dies in der Interpretation zu berücksichtigen: als Konzession an die vermutete Erwartung der Interviewerin, als Stereotyp ("NS-Zeit gleich Vernichtung der Juden"), als legitimatorischer Akt - je nach weiteren Indika­toren im Interviewtext. H, seinerzeit aus der SBZ geflüchtet, zieht gleich zu Anfang den Vergleich zwischen "Aufarbeitung der Stasi-Sache und des Drit­ten Reichs". K beginnt mit ihrer Konfrontation mit nationalsozialistischen Bräuchen in der Volksschule, F mit der Einberufung des Vaters zu Kriegsbe­ginn. Fünf Befragte schildern zunächst ihren Heirnatort. A und D begründen damit anschlieBend die eigene Ahnungslosigkeit in politischen Fragen bzw. den selbstverständlichen Eintritt in den BDM. E, G und M leiten hingegen auf die elterliche Familie bzw. auf die umfangreiche Familiengeschichte über. C beschreibt die elterliche Wohnung und dann die Lebensverhältnisse der Familie. L begin nt mit dem Thema "Schule", das auch den gröBten Raum in ihrer gesamten Darstellung einnimmt; die Schule war für sie lange mit starken Angstgefühlen verbunden. I hingegen stellt ihre Einschätzung der ei­genen Haltung in der Jugend als naiv und egozentrisch an den Anfang ihrer Ausführungen und erklärt damit ihre eingeschränkte Wahrnehmung in dieser Zeit.

Die zweite und dritte Interviewphase (die Ph asen der narrativen Nachfra­gen und der Argumentation) wurden mit berücksichtigt, jedoch abgesetzt von der ersten Spontanerzählung, da diese Interviewteile nicht mehr ausschlieB­lich von den Befragten strukturiert worden waren, auch wenn in diesen Pha­sen ebenfalls narrative Strukturen ausgelöst wurden.

Die Episodenstruktur lieB die thematischen Relevanzen in der biographi­schen Darstellung erkennen und lieferte gleichzeitig Hinweise auf die Kon­struktion des Gesamtrahmens und damit auf die Auslegungsrelevanzen. M etwa baut ihre Gesamtdarstellung in zehn Episoden, chronologisch geordnet, auf. Die zweite Episode (Schulzeit) fällt dabei als bei weitem umfangreichste auf; vor allem die für die Befragte traumatischen Erlebnisse in der Kinder­landverschickung während des Krieges nehmen go Ben Raum ein.

4.2.1.3 Rahmenschaltungen

Urn die biographische Gesamtformung zu erschlieBen, den "Rahmen" zu re­konstruieren, der "Lebensereignisse zusammenfügt und als ein Leben identifi­zierbar macht" (Wiedemann 1986, S. 108), wurden die "Rahmenschaltun­gen" im Aufbau der lebensgeschichtlichen Darstellung untersucht. Hier inter­essierte die Art, wie die einzelnen Episoden und darin wieder die einzelnen Erzählungen miteinander verbunden sind - aufzählend aneinandergereiht, vergleichend, finaloder kausal verknüpft usw. - und wie jede Episode bzw. Erzählung zu einem thematischen Schwerpunkt von der Erzählerin gewertet wurde.

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M stellt ihren Lebensablauf überwiegend in der Form einer Ereigniskette dar. Diese Reihung erweckt im Zusammenhang mit den Evaluationen der einzelnen Ereignisse den Eindruck einer zwangsläufigen, kaum zu beeinflus­sen den Abfolge. Die Erzählerin sieht sich offenbar in vielen Lebenssituatio­nen als Opfer der äuBeren Umstände oder als unfähig, sich gegenüber ande­ren Menschen zu behaupten. Erst unter äuBerstem Leidensdruck scheint sie in der Lage gewesen zu sein, sich Konflikten zu entziehen oder sich zu weh­ren. Nur langsam entwickelte sie sich zu einer Persönlichkeit, die genügend Selbstsicherheit besitzt, urn Ansprüche nicht nur für andere, sondern auch für sich selbst zu vertreten. Dieser ProzeB allmählicher Befreiung - auch von so­zialen Zwängen - ist bei der Befragten offenbar noch nicht abgeschlossen, und auch das vorliegende Interview scheint zu einem Schritt auf diesem We­ge geworden zu sein.

C folgt zwar wie M in ihrer biographischen Erzählung im groBen und ganzen ebenfalls der Chronologie, hebt aber in besonderem MaBe eigene Entwicklungsprozesse, vor allem in der frühen Jugend und der Adoleszenz, hervor, die sie aus dem Heute heraus wertet.

Sie schildert ihr unangepaBtes Verhalten im BDM und kommentiert es: "Und so zeigte ich also meinen Protest gegen vieles." Evaluationen von Erlebnissen aus dem Bereich politi­scher Erfahrung und Meinungsbildung: "leh wundere mich, daB es mich gar nicht erstaunt hat, (daB jüdische Mitschülerinnen verschwanden. R.S.) ( ... ) Es ist eigentlich etwas, was mir jetzt erst beim Zurückerinnern klar wird. Die waren alle nicht mehr da." Zum Syn­agogenbrand im November 1938: "DaB uns das nicht weiter berührte, ich weiB es nicht." Als sie erzählt, wie eine Bekannte sie über die Ausrottung der Juden zu informieren ver­suchte: "Und dann bin ich weggegangen und habe dan ach keinen Kontakt mehr mit ihr gehabt. Weil ich das nicht haben wollte, daB so was möglich war, und bei meiner Ein­stellung." Über einen Tagebucheintrag aus dem Jahr 1937 mit einer Liedstrophe: "Das ist doch unerträglich!".

A beginnt ihre Darstellung mit dem "politischen Umbruch" im Jahr 1933 und baut sie dann zu einem erheblichen Teil argumentativ auf. Erlebniserzählun­gen dienen als Belege für Evaluationen; soweit sie negativ zu beurteilende Ereignisse der NS-ZeÎt enthalten, schlieBen sich Rechtfertigungen ader Ent­schuldigungen an Die Befragte erzählt van abendlicher Musik im RAD:

"Wir haben fast alle geweint vor lau ter Begeisterung. Das war schön. Dieses Gemein­schaftsgefühl war schön. Das war sehr positivo Und das hat ... die Jugend auch geprägt. Hat auch ihre Begeisterung geweckt. Weil- es war was Schönes. Man hat ihnen ein ldeal geboten. Ob das nun ein gutes oder ein angeknacktes war, ist egal, sie hatten aber eins."

Sie erzählt von ihrem Au-pair-Aufenthalt 1934 in Frankreieh. Ihre Gastgeber, die Kontakt zu geflüchteten deutschen Juden hatten, fürchteten sich, nach Deutschland zu fahren. Die Befragte kommentiert das aus ihrer heutigen Sicht:

"Das waren natürlich kluge Mensehen, die wahrseheinlich wuBten, im VersailIer Vertrag steekt der neue Krieg drin, war ja ganz klar."

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Damit suggeriert sie einen zwangsläufigen Verlauf, den nicht die National­sozialisten zu verantworten hatten; und sie beendet ihre Erzählung baga­tellisierend:

"Er ist dann aber doch gefahren, kam zurück, ist ihm auch nix passiert. "

Zeitsprünge, die die chronologische Ordnung einer biographischen Erzählung durchbrechen, können Hinweise auf verborgene Sinnstrukturen beinhalten. C beginnt von den Erlebnissen ihres Vaters in der Nachkriegszeit zu erzählen, die ihr noch heute sehr nahegehen, und bricht abrupt ab:

"So, das war, war diese, dieser Verlauf( ... )"

Dann springt sie zurück in die für sie weitgehend unbelastete Schulzeit:

"In der Schu\e eh waren eh wir waren sehr sportlich.".

E "vergiBt" mehrfach Episoden, in denen sie Negatives über andere Men­schen berichten muB. DaB sie sie dann an anderer Stelle doch nachträgt, könnte durch den GestaltschlieBungs- oder den Detaillierungszwang im Pro­zeB des Erzählens bewirkt worden sein. Sie schildert ihre Einsätze für Opfer des Bombenkrieges in den letzten Kriegsmonaten. Dann wechselt sie plötz­lich das Thema:

"Was ich noch nicht berichtet habe, das kommt jetzt etwas verspätet, das ist die Kristall­nacht. ( ... ) Und es verschwanden nach und nach alle Judentöchter aus der Schule, und es verschwand auch ein Mischlingskind, dessen Vater Missionar war ( ... ). Unter diesen von mir eben beschriebenen Lehrern gab es eine Sport\ehrerin, die Missionarstochter war, und das habe ich eben bei den Damen vergessen, aktives Parteimitglied war. Die hat mich derartig geschunden ( ... )."

Auch Schlüsselerlebnisse in der Biographie der Befragten zeichnen sich in unterschiedlichen thematischen Zusammenhängen ab. H über ein Erlebnis im Sportunterricht der Oberschule:

"Das war schon schlimm." "Diese Antipathie (gegen den Sport) ist so tief verwurzelt, daB ich noch heute sage, ich mag nicht!"

Für E änderte sich schlagartig ihre gesamte politische Einstellung, als der Ausbruch des Krieges verkündet wurde. Sie schildert eine öffentliche Ver­anstaltung am Tag der Kriegserklärung:

"Und als ich da stand und hörte das, da kam mir doch in dieser Klarheit zum ersten Mal die Idee, daB mein Vater immer recht gehabt hatte. ( ... ) Mit Kriegsausbruch änderte sich alles. Vor allen Dingen mein Verhältnis zur Hinterfragung der Ansichten meines Vaters. Mir war also zum BewuBtsein gekommen, daB mein Vater recht hatte. Und von daher war ich bedeutend aufmerksamer gegenüber dem, was sich so in meinem Elternhaus abspielte und was gesagt wurde."

C beschreibt den Schock, den sie bei Kriegsende erlebte:

"Und dann kam die gewaltige " Ernüchterung und all das Schreckliche, was man dann er­fuhr, und die grauenhafte Enttäuschung ( ... ) über all das, was uns angetan worden war."

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Inkonsistenzen innerhalb der Gesamtdarstellung werden deutlich sowie even­tuelle Versuche der Befragten, Brüche zu negieren oder sie zu "heilen": Ver­änderungen durch bewuBte oder unbewuBte Umdeutung der früheren Ereig­nisse oder des Verhaltens der beteiligten Personen plausibel zu machen oder sie zu legitimieren:

B, die dem Nationalsozialismus eigentlich - wie sie betont - fernstand, zu ihrem Eintritt in den BDM, wo sie auch ein Amt übernahm:

"Ja, man wollte doch Abitur machen, also man ging in den BDM."

Später wurde ihr Mann von der Gestapo verfolgt. Dessen ungeachtet be­schreibt sie, daB ihre Familie freundschaftlichen Umgang mit einem Mitbe­wohner pflegte, der überzeugter Nationalsozialist war und eine höhere Posi­tion bei Goebbels innehatte, und erklärt:

"Wir haben uns ja alle als anständige Leute kennengelernt, wir die und sie uns, nicht. leh nehme an, daB das bei ihm eben Karrieredenken war."

Dennoch muB die Befragte anschlieBend berichten, daB der "anständige Mann" bei Kriegsende das Haus, in dem auch ihre Familie wohnte, in Brand steckte, urn seinen Tod vorzutäuschen.

4.2.1.4 Einzelepisoden

Es folgte die Detailanalyse aller Textteile, die Ereignis- oder Situationsdar­stellungen enthalten.

Die Untersuchung der erzählten Lebensereignisse und geschilderten Si­tuationen richtete sich vor allem auf die Beteiligung der Erzählenden, auf den Komplikationsaufbau bei kritisch en Ereignissen und damit auf die Art und Wei se ihrer Bewä1tigung sowie darauf, wie das Erlebte rückwirkend darge­stellt wurde.

Hierzu wurden Synopsen der einzelnen Episoden angefertigt, die die Verarbeitung der dargestellten Ereignisse und die Rolle der Ich-Erzählerin darin zeigen.

Die Befragte M z. B. schildert innerhalb der Episode "Studium" ihre Er­lebnisse in einem Deutschseminar. In der Erzählung ist ein doppelter Erwar­tungsbruch enthalten: Die Studentin strengt sich ungeheuer an, erlebt aber nicht, wie - aufgrund ihrer Schulerfahrungen und auch gemäB den Normvor­stellungen - erwartet, einen Erfolg, sondern einen MiBerfolg. Darauf reagiert sie einmal passiv, das Unrecht erduldend - sie beschreibt nur, wie sie er­schöpft weinend auf einer Bank lag - und einmal aktiv, indem sie zwar kei­nen offenen Widerstand leistet, aber doch etwas bis dahin nie Vorgekomme­nes tut, nämlich das Seminar verläBt.

Betrachtet man die Erzählung unter dem Gesichtspunkt der Erfolgs­orientierung der Akteurin, die sich nicht mit derjenigen der Erzählerin zum

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jetzigen Zeitpunkt decken muB, so ist die Darstellung im ersten Teil als "Op­fererzählung", im zweiten als Erzählung vom Typ "Kampf mit dem unvor­hergesehenen Hindernis" oder vom Typ "Überwindung des Schicksals" ein­zuordnen, je nachdem, ob die Akteurin beim zweiten Versuch einen Erfolg oder aufgrund ihrer Erfahrung einen MiBerfolg erwartete. Bei einer negativen Erwartung und einem positiven Ausgang des Ereignisses hätte es sich urn den Typ der "Erzählung vom glücklichen Zufall" gehandelt (vgl. Wiedemann 1986, S. 147). Die Zuordnung aller Erzählungen innerhalb der biographi­schen Gesamtdarstellung lieferte Hinweise auf bevorzugte Verhaltensweisen und die Erfolgsorientierung der Erzählenden bei der Bewältigung kritischer Situationen.

Urn Entwicklungsprozesse der Befragten nachzuvollziehen war es auf­schluBreich festzustellen, welche Rolle die Befragten in ihren Erzählungen aus den verschiedenen Lebensepochen spielten - Kämpferin, Retterin, Opfer, Zuschauerin, Teilnehmerin, Haupt- oder Nebenperson, Agierende oder Rea­gierende usw. - und welches MaB an Aktivität sie dabei zeigten. In der Le­bensgeschichte von A ist auf diese Weise eine Entwicklung von der distan­zierten Zuschauerrolle zu innerer Anteilnahme, dann offenem Bekenntnis der eigenen Einstellung und stärkerer Aktivität, die sich schlieBlich auch ge gen äuBere Widerstände richtet, abzulesen. Bei E verläuft die Entwicklung um­gekehrt von ihrer Rolle der - zunächst naiv, dann reflektiert - energisch Zu­packenden und Sich-Einmischenden hin zu einer zunehmend von Verunsi­cherung geprägten Beobachterrolle.

Eine besondere Bedeutung ist auch der Perspektive, aus der eigene Le­bensereignisse erzählt und gewertet werden, zuzumessen. Deshalb wurde be­achtet

- wer welche Inhalte in der 1. Person singularis darstellte: C, die sich sehr intensiv mit ihren Erlebnissen in der NS-Zeit auseinandergesetzt hat, erzählte überwiegend aus der lch-Perspektive, ebenso wie I, die ihre betont individua­listische Haltung herausstellte.

- wann eine Befragte ihre Erlebnisse aus dem Bliekwinkel einer anderen Pers on wiedergab: Bei E z. B. geschah dies vor allem dann, wenn sie über eigene Leistungen berichtete.

- sich durch das "wir" in eine gröBere Gruppe einreihte:

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M schildert die Wohnung des GroBvaters, mit dessen Person sie sich stark identi­fizierte, als habe sie selbst dort gewohnt: "Wir hatten einen Hängeboden. A verallgemeinert die eigene politische Einstellung: "Wir waren begeistert" oder "Da haben wir doch gesagt, ( ... ) wir wollen keine Ideale mehr", legitimiert sie damit und verleiht ihr gleichzeitig mehr Gewicht. In ähnlicher Weise verfährt E, wenn sie über das Geschehen beim Einmarsch der Amerikaner berichtet, was in dies er Form erwiesenermaBen nicht authentisch ist: "Im X. reiner StraBe] war es auf jeden Fall sa, daB wir gerufen haben: Wir sind frei! Wir können frei denken undjetzt auch sagen, was wir denken!"

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durch die 3. Person pluralis sich selbst nicht den Akteuren zuordnete: A äuBert sich über die Beurteilung der Juden in der NS-Zeit mit Vorsicht nur stellver­tretend durch andere, obgleich sie, u. a. durch die Wortwahl, erkennen läBt, daB sie diese Einschätzung teilt: "Die meisten ( ... ) haben zwar g e wuB t, daB die Juden nun ein ganz schlimrnes Volk waren ( ... )."

durch das indifferente "man" auf eine vage Allgemeinheit verwies oder durch den Gebrauch des unpersönlichen Passivs gar keine handeInden Personen nannte.

Gerade für den Gebrauch des "man" boten sich viele Beispiele mit unter­schiedlicher rhetorischer Funktion. Es ersetzte "ich", "wir" sowie die Benen­nung anderer Personen und wurde sowohl bagatellisierend als auch legitimie­rend gebraucht. Das Erzählte kann durch das "man" als üblich, als nichts Au­Bergewöhnliches dargestellt werden; es wird dann zur "Routine" erklärt. Das Ausweichen auf "man", ebenso wie auf das unpersönliche Passiv, kann dazu dienen, den "Täter" in einer Aussage zu verschweigen. Es kann aber auch ein Zeichen von Zurückhaltung sein, die verbietet, sich selbst - auch nur verbal -in den Mittelpunkt zu stellen, und die der Generation der Befragten noch allgemein anerzogen wurde.

G wich bei in der lch-Form erzählten Erlebnissen fast immer dann auf das "man" aus, wenn sie auf ihre Emotionen zu sprechen kam: "Dinge, die einen entsetzt haben. ( ... ) Es war ja nicht oft, daB man das so zu spüren bekam." "Man hat sehr viel gearbeitet so, aber es war eben nicht so, vielleicht nicht so effizient, als wenn man [lacht] studiert hätte." "Man ist ... also man leidet irgendwie da drunter, also [lacht] das Abitur ist nischt jewe­sen ... "

Die legitimierende Absicht durch Verallgemeinerung wird in den folgenden Beispielen deutlich: "Wenn ich fünfzig gewesen wäre damals ( ... ), wäre man vielleicht kritischer ge­wesen." K über ihr eigen es Verhalten während der Rundfunkübertragungen von Hitlerre­den: "Bei Reden war das so, daB ( ... ) auch nicht Musik geübt wurde in der Zeit."

BeispieIe, bei denen die Verschweigung der "Täter" innerhalb einer Erlebniserzählung im Vordergrund gestanden haben dürfte: "Als ich hier nach X. kam, ich meine, da hatte man auch genug Vorbehalte gegen (Lehrer aus der SBZ)", deutet G persönliche Schwierigkei­ten mit Kollegen und Vorgesetzten nur an.

" ... sah man, wie da gegenüber das Hab und Gut der Juden auf die StraBe geworfen wurde .... Das wurde natürlich sehr hochgespieIt, daB man da so'n biBchen mal den Dau-men draufhalten wollte," äuBert sich A, die kein Hehl daraus macht, daB sie immer noch zum Nationalsozialismus steht, über den 9. Nov. 1938.

4.2.2 Ergänzende Untersuchungen

Zusätzliche inhaltliche und formale Untersuchungen des Gesamttextes sowie ausgewählter Textsequenzen und Textelemente zielen auf die von Schütze so bezeichnete "Wissensanalyse". Oh ne daB damit in vollem Umfang der von

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Schütze formulierte quasi tiefenpsychologische Anspruch verbunden würde, die "Orientierungs-, Verarbeitungs-, Deutungs-, Selbstdefinitions-, Legitima­tions-, Ausblendungs- und Verdrängungsfunktion" der ÄuBerungen zu erfas­sen und zu interpretieren (Schütze 1983, S. 86 f.), erweiterten diese Untersu­chungen doch die Interpretationsansätze und dienten der Absicherung zuvor hypothetisch formulierter Deutungen.

4.2.2.1 Selbstaussagen

Die Informantinnen äuBerten sich nicht erst im Bilanzierungsteil des Inter­views als "Experten und Theoretiker ihrer selbst", wie Schütze (1983) die Funktion dieser letzten Phase des autobiographisch-narrativen Interviews sieht. Ihre über die ganze Darstellung verteilten expliziten Selbstaussagen be­ziehen sich einerseits auf die Vergangenheit, andererseits auf die Gegenwart.

In diesen Evaluationen spiegelt sich das Selbstbild der Befragten aus de­ren heutiger Sicht erkennbar wider, wenn man berücksichtigt, daB in die Dar­stellung immer auch bewuBte und unbewuBte Färbungen des Selbstbildes mit einflieBen.45 An zwei Beispielen solI demonstriert werden, daB eine ge­sonderte Erfassung der Selbstaussagen sinnvoll ist.

C (Auswahl): "Ich hatte und habe noch fürchterliche Angst vor Streit." "Ich war idealistisch, zu totaler preuBische Pflichterfüllung erzogen." "Ich war hochfahrend und hochmütig". "Nach dem Krieg stieg ich von meinem hohen RoB herunter." "Ich war erfolgreich, und das in kürzerer Zeit als üblich." "Ich bin heute ein glücklicher Mensch."

E (Auswahl): "lch hatte ein wahnsinniges Minderwertigkeitsgefühl gegenüber meinem Bruder. Vnd das war auch berechtigt, ich war die taube NuB der Familie." "Ich war stolz, für die Familie etwas organisiert zu haben." "Ich habe mich schofel verhalten, hatte aber Erfolg." "Ich war im Grunde ängstlich." "lch hatte keine Angst mehr." "Ich bin heute dankbar und zufrieden mit meinem Leben." "Ich bin heute innerlich total verunsichert."

4S V gl. zur Erfassung und Interpretation von Evaluationen Kap. 4.2.2.4.

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C E

Eigene Wünsche: nicht vorhanden? unterdrückt

Selbstwertgefühl: früher: selbstverständlich Immer zwiespältig, anmaBend; schwankend zwischen heute: ausgeglichen Extremen

Frustrations- groB mäBig toleranz:

Erfolgs- investiert eigene Anstren- nur scheinbar (verba!) orientierung: gung; nimmt dann Erfolge miBerfolgsorientiert; Er-

gel assen hin folgsbewertung je nach Fremdbeurteilung

Ausgeglichenheit: innerer Frieden Zerrissenheit

Die Selbstbilder der Befragten C und E ähneln sich in mehrfacher Hinsicht. Die erstere schildert sich als naiv und sehr behütet in familiärer Geborgenheit aufgewachsen; ihr ganzes Leben sieht sie stark von Person und Beruf des Vaters geprägt. Die Bindung an die Kirche und eine prinzipiell patriotische Einstellung sind für sie weitere noch heute gültige Fixpunkte. Sie war und ist gefühlvoll und harmoniebedürftig, aber auch aktiv und leistungsorientiert. Früher bejahte sie ein ganz traditionelles Geschlechtsrollenbild, in dem die Frau dem Mann zugeordnet ist; heute hat sie im Prinzip ei ne etwas eman­zipiertere Sichtweise, oh ne jedoch ihr Verhalten zu ändern. Seinerzeit war sie auch sehr standesbewuBt, was sie heute als "Dünkel" verurteilt, ohne auf be­stimmte Umgangsformen verzichten zu wollen. Nach 1945 versuchte sie, sich nicht nur politisch völlig umzuorientieren; dennoch sieht sie sich in vie­len Bereichen immer noch den alten Werten verhaftet. In schweren inneren Auseinandersetzungen hat sie aber zu einer festen Position in ihrer Wertori­entierung und zu Frieden mit sich selbst gefunden.

Auch die zweite Befragte sieht sich vor allem durch die Person des Va­ters geprägt. Ihre starke emotionale Bindung an Familie und Vorfahren ist mit einem gewis sen elitären BewuBtsein verbunden. Ihre Wertorientierung war stets durch die Gebote ihrer Kirche bestimmt, wenn auch nicht ohne ern­ste innere Auseinandersetzungen. Nicht immer vermochte sie die geforderte christliche Demut aufzubringen. Sie sieht sich überaus selbstkritisch, erken nt in sich eine Mischung aus Dominanz und Zurückhaltung, Stolz und geringem SelbstbewuBtsein. Sehr aktiv und leistungsorientiert, vermochte sie trotz zahlreicher Erfolgserlebnisse ihrem eigenen hohen Anspruch selten zu ent­sprechen. Schon früh lehnte sie für sich die Übernahme der traditionellen weiblichen Rolle ab. Der daraus resultierende Konflikt ist für sie noch nicht gelöst; in ihrer Lebensgestaltung wich sie ihm aus, indem sie keine Ehe ein­ging. Ihre politisch-gesellschaftliche Einstellung hat sich von fast naiver Be­geisterung für einen demokratischen Staat im Jahr 1945 heute zu einer irri-

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tiert kritischen Haltung gewandelt. Auch in anderen Bereichen - z. B. auf dem Gebiet der Pädagogik - hat sie viel von ihrer früheren Sicherheit verlo­ren und ist noch immer oder wieder auf der Suche nach befriedigenden Ant­worten auf sie bedrängende Fragen.

4.2.2.2 "Lebensweisheiten"

Redensarten, Gemeinplätze und von den Befragten als GesetzmäBigkeiten formulierte "Lebensweisheiten" mögen oft banal klingen, sind aber als Hin­wei se auf deren Wertorientierungen und Lebensmaximen ernstzunehmen. Sie enthalten sprachlich komprimierte Erfahrungen, die die Erzählerinnen selbst gemacht oder von anderen übernommen haben. Deshalb wurden sie bei allen Interviewtexten gesondert erfaBt.

Die jeweilige Funktion dies er ÄuBerungen innerhalb der Gesamtdarstel­lung muB aus dem Kontext, manchmal auch aus dem Tonfall hergeleitet wer­den. Die zitierten Beispiele waren überwiegend Legitimationen, die der Er­klärung und Entschuldigung eigenen oder fremden Verhaltens gegenüber der Interviewerin dienten. Teilweise waren sie aber auch als Mittel der Selbstver­gewisserung und Selbstbestätigung oh ne Adressatenbezug zu deuten oder sie dienten mehreren Zwecken gleichzeitig.

A: "Arbeit hat noch immer geholfen, Jammern nicht." "Ohne FleiB kannst du nichts werden." "Wehe dem Besiegten, fertig ist die Laube." "In jedem Krieg verliert einer. Hat man eben Pech gehabt." C: "Wohne über deinem Stand, kleide dich nach deinem Stand, iB unter deinem Stand." E: "Bewähren tut sich innere Ethik, inneres Pflichtgefühl, innere Disziplin nUf im Extrem­fall." "Man sieht es nUf in Extremsituationen, wie weit ein Mensch urn des Nächsten willen ver­zichten kann. "Der mit einer gewis sen Härte trainierte Mensch bewältigt einiges besser." "In der vielleicht auch erzwungenen Haltung ZUf Pflicht kommen im Sozialverhalten bes­sere Ergebnisse zustande als bei zuviel Freiheit." G kommentierte in einem van ihrer sonstigen lebhaften Sprechweise deutlich abweichen­den, versonnenen Ton eigen es Unverständnis: "Manches kann man erst nachfühlen, wenn man's selbst in Ähnlichem ader irgendwie erlebt hat. ,Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen. '"

4.2.2.3 Sprachstil / Sprachebenen

Die Sprech- und Erzählweise der Befragten ist durch ihre berufliche Übung naturgemäB routinierter, als dies bei Angehörigen anderer Berufe zu erwarten wäre, weshalb druckreife Formulierungen auch nicht als Hinweis auf eine ex­treme KontrolIe ihrer ÄuBerungen gedeutet wurde. Wenn sich allerdings die Sprechweise innerhalb des Interviews veränderte oder die Intonation dem In­halt einer ÄuBerung eindeutig nicht entsprach, wurde der betreffende Textteil

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genauer untersucht, Z.B. wenn Befragte gerade von ihren schrecklichsten Er­lebnissen aus dem Krieg scheinbar emotionslos mit betont sachlich-kühler Stimme berichteten.

Die Sprache der Interviewten ist überwiegend eine Mischung aus kor-rektem Hochdeutsch und Umgangssprache, mit Einsprengseln, die

der Mundart: M benutzt "Kappes" als herabsetzendes, aber durch die Wortwahl etwas gemildertes Urteil über kirchlichen Pomp.

- dem Jargon einer Gruppe oder Zeit: Bei Erzählungen aus ihrer Schul- oder RAD-Zeit enthält die Sprache von G vieIe Ele­mente der damaligen saloppen Redeweise junger Mädchen. Die Lehrer "triezten nicht", ei ne Lehrerin war eine "ganz Flotte", der Direktor fand, die Schülerinnen machten "Dämlichkeiten", beim RAD "kriegte" sie "Klamotten und dampfte ab".

- oder einer Fachsprache zuzurechnen sind: E, selbst ohne direkte Berührung mit militärischen Kreisen, spricht im militärischen Fachjargon u. a. von "Kaleus" statt "Kapitänleutnanten" und vergleicht die Sitzord­nung der Enkel am groBväterlichen Tisch mit der in einem U-Boot.

Der für das Untersuchungsthema bedeutsame Gebrauch von Bezeichnungen aus der NS-Zeit spiegelt auch wider, ob die Erzählerinnen ihre Erlebnisse stärker aus der damaligen oder aus der heutigen Sicht darstellten; es sei denn, daB es sich urn Begriffe handelt, die heute nicht immer oder gar nicht mehr mit ihrer Entstehung in Verbindung gebracht werden oder deren Konnotation sich gewandelt hat. 46

In einer Episode begegnete G "Zwangsarbeiterinnen", nicht "Fremdarbeiterinnen", wie die Sprachregelung seinerzeit lautete. D war mit anderen "Mädchen", nicht "Arbeitsmaiden", in einem "Mädchenlager" des RAD untergebracht. Der Begriff "Reichskristallnacht", der sich seinerzeit als verharmlosende Bezeichnung für den 9. November 1938 durchsetzte, ist heute so in der Sprache etabliert, daB er von den meisten Befragten ohne verbale "Anführungsstriche" gebraucht wird.

Soweit sich in Teilen eines Interviewtextes ein bevorzugter Sprachstil ab­zeichnet, wurde dies besonders beachtet. Häufungen von pejorativen Formu­lierungen oder Euphemismen, Ironie, vielfältige legitimatorische Elemente, verhüllender Sprachgebrauch durch betont vage Formulierungen, sehr sachli­che oder sehr emotionale Darstellung und andere Auffälligkeiten bei be­stimmten Themen waren bei der Interpretation ebenso zu berücksichtigen wie ein abrupter Wechsel der Sprachebene innerhalb eines Interviews.

Bei den Erzählungen der Befragten zum Thema "Juden im Dritten Reich" finden sich zahlreiche vage Umschreibungen, die aber unterschiedlich

46 Vgl. hierzu auch Klemperer, der zahlreiche BeispieIe für die Einführung neuer Bezeich­nungen und den Bedeutungswandel vorhandener Begriffe in der NS-Zeit anführt. Klempe­rer, Viktor: LTI. Notizbuch eines Philologen. (15.Aufl.) Leipzig: Reclam 1996.

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zu interpretieren sind. So nennt A die Vorkommnisse am 9.11.1938 "diese Geschichte" und weigert sich damit, wie sie an anderen Interviewstellen auch einräumt, sich negativ über den NS zu äuBern. Dagegen ist bei G: "Sonst ha­ben wir da keinerlei eh Dinge gehabt," eher verlegene Sprachlosigkeit zu vermuten, ei ne Interpretation, die ebenfalls durch andere Textstellen bestätigt wird. F, die sich insgesamt einer sachlich distanzierten Sprache bediente, wurde bei der Schilderung ihrer Erlebnisse mit einer RAD-Führerin sehr emotional und wechselte dabei auch die Sprachebene:

"Da hätte ich unsere Alte also abmurksen können."

4.2.2.4 Evaluationen

Die Evaluationen in den Erzählungen der Befragten und in den übrigen Inter­viewteilen lieBen sich in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen nur re1ativ umständlich erfassen. Auch waren sie mit besonderer Sorgfalt in ih­rem Kontext und im Vergleich mit anderen Textstellen zu den selben Inhal­ten zu interpretieren. Wegen ihres Bezugs zu den thematischen und Aus­legungsrelevanzen der Erzählerinnen schien der Arbeitsaufwand jedoch ge­rechtfertigt.

Neben expliziten und impliziten Wertungen durch einzelne Formulie­run gen - A bezeichnet z.B. einen Kommunisten pejorativ als "Ortsbullen" -können auch gröBere Textteile evaluative Funktion innerhalb der Gesamt­darstellung haben.

Als auffällig registriert wurde eine Evaluation, wenn sie

- unzutreffend: A nennt die im Rundfunk übertragenen Reden von HitIer und Goebbels "begeisternd" und "StraBenfeger wie heute ein FuBballspiel". Tatsächlich bewirkte aber nicht all ge­meine Zustimmung, sondern eine starke soziale KontrolIe, teilweise handgreiflich durch Parteirnitglieder ausgeübt, daB die "Volksgenossen" wenigstens den Anschein erwecken muBten, daB sie diese Reden anhörten.

- unangemessen: E berichtet von schweren Zahn- und Kieferverletzungen, die sie bei einem Bomben­angriff erlitt und die erst Monate später notdürftig behandelt werden konnten, und nennt das alles bagateIIisierend "sehr nebensächlich".

- widersprüchlich: E beurteilt ihre musikalischen Fähigkeiten gIeichzeitig als gering und - durch ein Bei­spiel - als gut.

- "falsch", d.h. nicht im Wortsinn gemeint, erschien:

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F bezeichnet ihre Erlebnisse im RAD, wo sie gelernt habe, wie man sich vor der Ar­beit drückt, als wertvolle Lebenserfahrung, was aus dem Kontext heraus als Ironie zu verstehen ist.

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oder bei indirekter Formulierung: E wertet ihre Leistung als junge Rotkreuzhelferin bei der Bergung von Bombenopfern nur durch den Mund anderer Personen, des Direktors ihrer Schule und eines Wehr­machtsoffiziers. Ersterer habe sie gefragt: "Wie machst du das nur?", letzterer habe festgestellt: "So etwas müssen wir nicht an der Front machen." lm Zusammenhang mit anderen Textstellen legen diese Evaluationen die Interpretation nahe, daB die Er­zählerin eigene Leistungen zwar registriert, sie aber nicht positiv werten will oder kann. Als Erklärung hierfür bieten sich - gestützt durch eine Reihe von Selbstaussagen - die reJigiöse Einstellung, aber auch ein gestörtes SelbstbewuBtsein der Befragten an.

Bei der Auswertung war auch die Plazierung der Evaluation innerhalb einer Erzählung zu berücksichtigen. Mit der externen Evaluation unterbricht die Erzählerin ihre Darstellung und wendet sich direkt an die Adressatin.

"Wenn Sie überlegen, daB ein Lehrer 180 (Mark) verdiente, war das viel Geld." "Der hat mich zur Minna gemacht, das können Sie sich gar nicht vorstellen."

Die interne Evaluation gibt, in die Ereignisschilderung eingebaut, eher die damalige Wertung der Erzählerin wieder.47

"Vnd da hab ich (mir) gesagt, das geht nicht, ( ... ) das kannst du nicht mehr."

Nicht immer sind die erinnerte und die heutige Bewertung des erzählten Er­eignisses bereits durch die Positionierung der Evaluation erkennbar48 • Inter­essant sind vor allem jene Beispieie, bei denen die Wertungen voneinander abweichen, was als Hinweis auf ei ne Veränderung der Deutungsmuster der Erzählerin anzusehen ist.

C schildert, wie sie als junges Mädchen mit ihren Freundinnen ihre Tanzstundenherren nach deren familiärem Hintergrund aussuchte. Sie leitet ihre Erzählung ein mit "Dies elende verdammte StandesbewuBtsein! Dieser Standesdünkel!" und berichtet dann: "Volksschullehrer galt einfach nichts. ( ... ) Vnd das war dann also, das war dann also nicht so, so anerkannt."

Als Prozesse der Evaluierung werden die Intensivierung, z. B. durch Adjek­tive, Modalpartikel oder auch durch die Betonung, der Vergleich mit dem Normalverlauf und der Gebrauch von Korrelativa und von Explikativa unter­schieden. Wiedemann (1986, S. 81) sieht lediglich bei der Ausdeutung in extenso durch Explikativa einen Bezug zur Auslegungsrelevanz; in allen an­deren Fällen erkennt er nur Hinweise auf thematische Relevanzen.

DaB aber gerade die quantitative Verteilung - bzw. das Fehlen - von Evaluationen, unabhängig von deren Art, Hinweise auch auf Auslegungs­relevanzen zu liefern vermag, beachtet Wiedemann nicht. In der vorliegen­den Untersuchung finden sich hierfür ei ne Reihe von Beispielen, die bei der Interpretation nicht unberücksichtigt bleiben konnten. So weist die Schilde-

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48 Labov 1978, S. 74-79; vgl. auch Labov u. Waletzky, zitiert in Wiedemann 1986, S. 80 f. Wiedemann bezeichnet diese beiden Bewertungsweisen unter Bezug auf Quasthoff als G­und E-Evaluation. Wiedemann 1986, S. 82.

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rung von E, wie ihr Bruder bei dem recht brutalen väterlichen Schwimm­untericht fast ertrank, keinerlei Evaluation auf. Hingegen finden sich in ihren Erzählungen zahlreiche positive Wertungen anderer Menschen. Die Inter­pretation, daB die Befragte möglichst nichts Negatives über andere Menschen denken und berichten will, wie dies ihrer christlichen Einstellung entspricht, wird durch ihre ÄuBerungen an anderer Stelle bestätigt.

"Bei einem Ferienaufenthalt, als mein Bruder noch nicht laufen konnte, warf mein Vater ihn einmal in den FluB, er sollte schwimmen lemen. Er ging unter, wurde blaurot, und mein Vater muBte ihn herausholen, auf den Kopf stellen und klopfen, bis er wieder zu sich kam."

Eine Form impliziter Evaluationen, die relativ häufig in den Interviewtexten auftreten, sind Bagatellisierungen. Euphemistisch überhöhte Formulierungen kommen im Gegensatz dazu seltener vor. Ein Textbeispiel, in dem der Eu­phemismus gleichzeitig bagatellisierende Funktion hat: Als der GroBvater von Eden Militärdienst quittieren muBte, wurde er - sachlich unzutreffend -"suspendiert", nicht "aus der Armee ausgestoBen" oder "entlassen".

Mit bagatellisierenden Formulierungen können über ihre wertende Funk­tion hinaus verschiedene Zwecke verfolgt werden. Sie geben auch Hinweise darauf, wie die Erzählerin ihre Mitteilung verstanden wissen und welche Wirkung sie damit erzielen will.

Die Bagatellisierungen in den Interviewtexten manifestierten sich unter­schiedlich,

- in einem Wechsel der Sprachebene, in Lachen oder einem "naja", das mit einem Achselzucken der Schilderung belastender Erlebnisse folgte: L lachte bei der Schilderung, daB sie sich als Kind aus Angst vor der Schule jeden Morgen übergab. M in ihrer Lebensbilanz über ihre nicht realisierten Pläne: "Dat wär wat für mich je­wesen, ne. Naja."

- in Relativierung oder Rücknahme gerade geäuBerter Wertungen: Wann immer sie Negatives über andere berichtete, fügte E eine positive ÄuBerung über deren Reue an; überzeugte Nationalsozialisten "schämten sich" ihrer Taten, Ge­meindemitglieder, die es der Befragten bei ihrem kirchlichen Engagement sehr schwer gemacht hatten, "fragten später: , W as habe ich da eigentlich gemacht. ".

- in einer verharmlosenden oder euphemistischen Formulierung: E über ihre BDM-Zeit, in der sie sich stärker engagierte, als dies ihrer späteren politi­schen Überzeugung entsprach: "leh habe auch noch die grüne Schnur der - Jungmä­delschaftführerin war glaube ich die kleinste Gruppe - getragen," und über ihr lebens­gefàhrliches Kriegserlebnis mit einem Tiefflieger, der "SchieBübungen" mit ihr veran­staltete: "Das waren so die makabren Streiche".

- durch den Gebrauch von Diminutiven:

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"Ja, das war mein Mütterchen und mein Väterchen", so E, die sonst immer von "Mut­ter" und "Vater" sprach, als Evaluation ei nes unangenehmen Erlebnisses, bei dessen Schilderung sie negative Verhaltensweisen ihrer Eltem erwähnen muBte.

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Dabei war offenbar nicht immer nur die Interviewerin in ihrer Zuhörerrolle Adressatin der bagatellisierenden Darstellung; gelegentlich schien eine Er­zählerin sich selbst - gleichsam beschwörend - der Bedeutungslosigkeit des Erzählten vergewissern zu wollen. Dies war vor allem dann der Fal!, wenn biographische Krisen und Brüche thematisiert wurden oder die Erinnerung an sehr belastende Erlebnisse starke Emotionen auslöste.

4.2.2.5 Metaphorischer Sprachgebrauch

Als Interpretationshilfe für das Selbstkonzept und die zentralen Deutungsmu­ster der Befragten bietet sich auch der metaphorische Sprachgebrauch an. Interessant ist dabei unter anderem das W ortfeld der "Bewegung" im Zusam­menhang mit dem eigenen Lebensablauf und demjenigen nahestehender Per­sonen.

Für M etwa scheinen die Erfahrungen in ihrem eigenen Lebensverlauf und die Beobachtungen, die sie bei den biographischen Karrieren anderer Menschen machte, zu ungefähr folgendem Erklärungsmuster zusammen­geflossen zu sein: Es gibt aktive, bestimmende Menschen, die sich gegenüber den schwächeren durchsetzen und diese benachteiligen. Auch schicksalhafte Fügungen und übermächtige gesellschaftliche Kräfte bevorzugen die Star­ken, Erfolgsgewohnten zuungunsten der "Opfer", denen Anstrengung und Leistung nur wenig nützen. Allenfalls andere starke Menschen können ihnen Hilfe leis ten und verschaffen, was ihnen zukommt. Zur Kategorie der "Op­fer" zählt die Befragte sich selbst sowie ihre Familie. Dennoch hat sie sich nicht endgültig mit dieser Rolle abgefunden und ihre Anstrengungen nicht aufgegeben. In jüngster Zeit beginnt sie sich von der Opferrolle etwas zu emanzipieren, sich auf eigene Stärken zu besinnen und sich in Ma8en gegen­über anderen zu behaupten.

M selbst bzw. ihre Eltern: "still, im Schatten stehend" "runtersacken" "nicht FuB fassen" "kippen" "zur Minna gemacht werden" "gerettet werden" "Nebenmittelpunkt sein"

Andere Personen: "steigen und steigen höher und höher" "bestimmend sein" "brillieren " "treibende Kraft sein" "im Mittelpunkt stehen"

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5. Quervergleiche der Interviewaussagen

Im folgenden wird zunächst ei ne Übersicht über die seinerzeitigen persönli­chen Bedingungen der Interviewten gegeben. Dann werden ihre Erlebnisse in der Zeit des Nationalsozialismus und deren Verarbeitung gegenübergestellt und schlieSlich die Folgen dieser Erlebnisse und die Spuren, die sie in der Entwicklung und im Leben der Befragten bis in die Gegenwart hinein hin­terlassen haben. Bei jedem thematischen Schwerpunkt wird von den Dar­stellungen der Erzählerinnen, und damit auch ihrer subjektiven Sicht, ausge­gangen.

5.1 Persönliche Daten

5.1.1 Altersstruktur

Die Geburtsjahre der Informantinnen verteilen sich auf einen Zeitraum von annähernd zwanzig Jahren: 1914, 1918, 1923, 1924, 1925, 1926, 1927, 1928, 1928, 1929, 1930, 1932. Es sind also solche darunter, die sich 1933 bereits im Jugendalter - eine fast im Erwachsenenalter - und solche, die sich erst im Kindes oder Kleinkindalter befanden.49 Während die ältesten Befragten ihre Kindheit, mehr oder minder bewuSt, noch in der Weimarer Republik verleb­ten, waren die jüngsten 1945 erst "Jungmädel" und hatten bis dahin keine andere Art von Staat kennengelernt.50 Diese unterschiedlichen Bedingungen sind beim Vergleich der Interviewaussagen zu berücksichtigen.

5.1.2 F amiliensituation

Ganz deutlich wird in den Berichten der Informantinnen, wie stark der Ab­lauf ihres Lebens von der sozio-ökonomischen Situation der Familie be­stimmt wurde.

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Auf eine genaue aItersbezogene Definition der Begriffe "Kindheit", "Jugend", "Adoleszenz" und evt. "Postadoleszenz", die in der Jugendforschung unterschiedlich interpretiert werden, wird an dieser Stelle verzichtet. Vgl. hierzu Markefka, Manfred: Jugend und Jugendforschung in der Bundesrepublik. In: Markefka, M.; Nave-Herz, R. (Hrsg.): Handbuch der Farnilien­und Jugendforschung Bd.2. Neuwied, Frankfurt: Luchterhand 1989, S. 21, 23. Die älteste Informantin fällt insofem etwas aus dem Rahmen, aIs sie nur am (damaIs noch freiwilligen) Arbeitsdienst teilgenommen hat.

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Die Befragten entstammen der unteren bis oberen Mittelschicht. Das Spektrum der väterlichen Berufe spannt sich vom (Fach-)Arbeiter bis zum Offizier; am häufigsten wird der Beruf des Angestellten angegeben, der wie­derum sehr unterschiedlich einzuordnen ist, je nachdem ob es sich urn einen bescheidenen Posten bei der Kommunalverwaltung oder urn den ei nes Proku­risten in einer groBen Firma handelt. Drei Väter waren Handwerker, einer Volksschullehrer.51

Die Berufe der Väter im Überblick:

2 Väter Facharbeiter; 1 Vater Lokführer; 1 Vater unselbständiger Handwerker; 2 Väter selbständige Handwerker; 1 Vater Dorfschullehrer; 1 Vater technischer Angestellter; 2 Väter Verwaltungsangestellte; I Vater leitender kaufmännischer Angestellter; 1 Vater Berufsoffizier.

Der Lebenszuschnitt in den elterlichen Familien wird überwiegend als be­scheiden, von Einschränkungen, aber nicht von Not gekennzeichnet, beschrie­ben. Nur zwei Informantinnen schildern etwas groBzügigere Verhältnisse; in ihren Familien wurden auch Hausangestellte beschäftigt.

Alle Befragten wuchsen in vollständigen Familien auf, eine nach dem Tod der leiblichen Mutter mit Stiefmutter und Halbbruder. Vier waren das er­ste von zwei, eine das dritte von vier Geschwisterkindern. Die mei sten Infor­mantinnen jedoch waren Einzelkinder, was von mehreren explizit mit der schwierigen wirtschaftlichen Lage der zwanziger und frühen dreiBiger Jahre, in einem Fall mit dem Beginn des Krieges erklärt wird. DaB die Kontakte aber meist nicht auf die Kleinfamilie beschränkt blieben, geht daraus hervor, daB etwa die Hälfte der Befragten ausdrücklich Verwandte aus dem weiteren Familienkreis als wichtige und enge Bezugspersonen nennt, die teilweise mehr EinfluB ausübten und Anregungen unterschiedlichster Art vermittelten als die Eltern.

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Damit entsprechen die väterlichen Berufe dem üblichen familiären Hintergrund von Leh­rerinnen aus der Generation der Befragten. Vgl. Hom, Hartrnut: Volksschullehremach­wuchs. Untersuchungen zur Quantität und Qualität. Weinheim, Berlin, Base!: Beltz 1968, S.127.

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5.1.3 Herkunftsorte

Die meisten Interviewten verlebten ihre Kindheit und Jugend in Solingen, Wuppertal oder Remscheid oder in der näheren Umgebung dieser drei Städte, zwei in kleinen Orten des Sauerlandes bzw. des Hunsrücks, zwei in kleineren Städten im östlichen Deutschland; eine wechselte etliche Male den Wohnort und lebte sowohl in GroBstädten wie Berlin und Hamburg als auch in ländli­chen Kleinstädten Norddeutschlands. Darüber hinaus berichten alle Infor­mantinnen über Erlebnisse aus weiteren Orten, wo sie sich insbesondere durch Kriegsereignisse und Dienstverpflichtungen aufhielten, so daB Berichte aus den verschiedensten Teilen Deutschlands vorliegen.

Für die vorliegende Untersuchung sind diese Voraussetzungen teils hin­derlich, weil sich die Relevanz der jeweiligen örtlichen Bedingungen bei der Interpretation unterschiedlicher kindlicher und jugendlicher Erlebnisse der Befragten in dem gegebenen Rahmen kaum berücksichtigen läBt. So war et­wa in den zwanziger und auch noch in den dreiBiger Jahren von Solingen nur als vom "roten Solingen" die Rede, entsprechend der hier überwiegend ver­breiteten politischen Einstellung. Diese bewirkte naturgemäB ein anderes Meinungsklima als es etwa in der Hauptstadt Berlin herrschte, wo sich die Zentralen der staatlichen Macht befanden und ein erheblicher Anteil der Be­völkerung beruflich oder über persönliche Kontakte mit diesen verbunden war - Ursache dafür, daB während des Dritten Reichs in bestimmten Stadttei­len Berlins eine wesentlich rigidere soziale KontrolIe hinsichtlich des "kor­rekten" politischen Verhaltens herrschte als andernorts. Wenn sich allerdings gleichartige Berichte der Befragten auf unterschiedliche Orte beziehen, dann können die se Aussagen urn so stärker gewichtet werden.

5.2 Erziehungsinstanzen

5.2.1 Eltern

Es wurde in den Interviewtexten jeweils den Fragen nachgegangen, wie Va­ter und Mutter ihre Rolle in der Familie sahen, welches Erziehungskonzept sie vertraten, welche Leitbilder die Befragten für ihre Identitätsentwicklung in der Familie fanden und wie eventuelle Konflikte innerhalb der Familie oder zwischen Familienangehörigen und auBerfamiliären Instanzen bewältigt wurden. Urn die Bedeutung der elterlichen Familie für die politische Soziali­sation der Informantinnen zu erfassen, wurde die Einstellung der Eltern zum Nationalsozialismus besonders berücksichtigt.

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5.2.1.1 Familienstruktur

Es zeigt sich, daB die Befragten die Rollenverteilung in ihren elterlichen Fa­milien ziemlich übereinstimmend schildern. Die Position des Vaters war fast immer durch eindeutige Dominanz gekennzeichnet. Er war das "Familien­oberhaupt" und traf die meisten wesentlichen Entscheidungen für die Familie als Gemeinschaft ebenso wie für die einzelnen Familienmitglieder und stieB dabei nur selten auf offenen Widerspruch.

Zum einen resultierte die SonderrolIe des Vaters aus der ökonomischen Abhängigkeit der übrigen Familie von ihm. Seine Berufstätigkeit war meist die einzige Einnahmequelle der Familie und bestimmte so den Rahmen ihres gesamten Lebenszuschnitts. Zum anderen entsprach sie der gängigen Vor­stellung von der familialen Rollenverteilung.52 Ein zu deutliches Abweichen von der vorherrschenden patriarchalischen Familienstruktur hätte seinerzeit zu einer EinbuBe an sozialem Ansehen nicht nur für den Mann, sondern auch für seine Frau und die übrige Familie geführt. Die Anerkennung des An­spruchs auf die Rolle der obersten Autoritätsperson brauchte der Vater des­halb gar nicht einzufordern. Aus einigen Berichten geht hervor, daB ihm die­se Rolle nicht nur stillschweigend überlassen, sondern selbst dann abverlangt wurde, wenn sie ihm als einem entscheidungsschwachen oder wenig durch­setzungsfähigen Menschen von seiner Veranlagung her eigentlich gar nicht lag.

Auch die Entscheidung über den Rahmen und die Zielrichtung der Erzie­hung und Ausbildung der Töchter wurde den Berichten nach überwiegend durch den Vater bestimmt oder ihm überlassen. Wie weit die Mütter, in deren Händen ja der quantitativ gröBte Teil der praktischen Erziehung lag, sich den väterlichen Vorgaben aus Überzeugung oder wider Willen anpaBten, wissen die meisten Befragten nicht zu sagen. Von Konflikten zwischen den Eltern im Hinblick auf die Erziehung der Tochter berichtet nur E. Eigene Konflikte mit den Eltern schildern A, B, E und M, wobei ErziehungsmaBnahmen, aber auch die von der elterlichen abweichende politische Einstellung der Tochter, bzw. in einem Fall die ihres zukünftigen Ehemannes, die Ursache waren.

5.2.1.2 Familiale Erziehung

Die Erziehung der Befragten im Elternhaus war generelI auf eine traditionelI weibliche Rolle, in schichtspezifischen Varianten, ausgerichtet, meist als Re­produktion der mütterlichen Rolle, erweitert durch den Wunsch nach einer

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Baumert steilte auch noch in der ersten Nachkriegszeit in einer Untersuchung zur Lebenssi­tuation der Jugend fest, wie sehr die bürgerliche GeseJlschaft nach wie vor auf den traditio­nellen Familienforrnen beharrte und welche Bedeutung dabei der Person des Vaters für die Innen- und Au8enwirkung der Familie zukam. Baumert, Gerhard: Jugend der Nachkriegszeit. Lebensverhältnisse und Reaktionsweisen. Darmstadt: Roether 1952, S. 38 f., S. 52.

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anspruchsvolleren Bildung für die Tochter. Die meisten Informantinnen hat­ten keine Probierne, die se Rollenzuweisung zu akzeptieren. Eine Berufstätig­keit wurde überwiegend als Überbrückung der Zeit bis zur Heirat angesehen, entsprechend wurde nach Möglichkeit eine nicht zu lange und nicht zu kost­spielige Ausbildung gewählt, anders als bei männlichen Familienmitgliedern. Eine Geschlechtserziehung im engeren Sinne erlebten die Befragten in der Familie nicht; sexuelle Aufklärung erfolgte allenfalls in ganz eingeschränkter Form. Ihrem eigenen Bekunden nach wuchsen die Informantinnen in dieser Hinsicht völlig weltfremd auf, was für einzelne den späteren Kontakt mit an­deren Lebenssphären, etwa bei der Landarbeit, bei der Betreuung sozial­schwacher kinderreicher Familien oder im Lazaretteinsatz, zu einem Schock­erlebnis machte.

Der familiale Erziehungsstil war fast ausschlieBlich autoritär, teilweise sehr streng, mit harten Sanktionen, öfter aber gemildert durch die liebevolle Zuwendung der Mutter, teilweise auch des Vaters. Offenbar akzeptierten die Töchter fast immer die ErziehungsmaBnahmen als gerechtfertigt oder zumin­dest als üblich. Die durch die Eltern vermittelten Werte wurden von diesen auch verkörpert und vorgelebt; keine Informantin berichtet von einer Diskre­panz zwischen dem Anspruch der Eltern und deren eigener Haltung. Rück­bliekend nennen die mei sten Befragten PflichtbewuBtsein, FleiB, Bescheiden­heit als oberste Ziele der elterlichen Erziehung, in graduellen Varianten, je nachdem, ob die Eltern die "preuBischen Tugenden" und höchste Opfer­bereitschaft für das Vaterland hervorhoben, ob für sie die christlichen Gebote und der Dienst am Nächsten Richtschnur des Handeins waren ader ob ihr Wertekatalog eine andere ethische Basis hatte.

Alle Eltern erzogen ihre Töchter zu prinzipieller Loyalität gegenüber dem Staat und seinen Vertretern, vor allem diejenigen, die ihr Leben nach der Tradition der protestantischen Kirche ausrichteten. Nur wenige machten im Dritten Reich Abstriche von dieser Haltung. So hatten die Eltern von E und M Kontakt zu oppositionellen Kreisen und verbargen dies nicht gänzlich var ihren Töchtern. Andere hingegen hielten die Töchter in dieser Zeit gera­de besonders dazu an, sich anzupassen und allen offiziellen Forderungen nachzukommen, wie z. B. H u. K berichten.

Kam es zu Konflikten mit anderen Erziehungsinstitutionen (Schule, KL V, BDM, sonstige Organisationen), wie dies mehrfach berichtet wird, so wurden sie von den Eltern oft gar nicht registriert, die Informantinnen muB­ten sie in ihrem jugendlichen Alter alleine bewältigen. C, E, G, H, L, M schildern einige sehr schwerwiegende Vorfälle, die sie aus den unterschied­lichsten Gründen den Eltern gar nicht zur Kenntnis brachten oder bei denen sie sich an keinerlei verbale oder konkrete Reaktionen der Eltern zu erinnern vermögen.

H hatte sich durch die Schikanen ei nes Sportlehrers beim Turnen ernst­haft verletzt.

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" ... und dann muBte ich weitermachen. Und mir war so schlecht. Bis dann eine Mitschüle­rin sagte: 'Darf die sich denn nicht hinsetzen, der geht es so schIecht! ' 'Dann soli sich die Memme hinsetzen!' sagte er. Und ich hatte schon richtigen Schüttelfrost. Und dann muBte ich mich nachher am Lehrerzimmer melden, und da habe ich dann ganz zaghaft geklopft. Da kam er mit seinem Butterbrot an die Tür: 'Na, es ist ja nichts pas siert. ' Und ich habe aus Scham, den Anforderungen nicht zu genügen, diesen ganzen Vorfall meinen Eltern verschwiegen. leh habe noch lange Zeit gehumpelt, und das ist auch heute noch das, was mir Beschwerden macht."

E: "Grundsätzlich woUten meine Eltern, daB wir sonntags zu keinen Veranstaltungen von Jungvolk oder Jungmädelgruppen gingen. Das haben wir auch lange versucht durchzuhal­ten, aber die Pressalien wurden immer stärker, und mein Bruder muBte auch Strafexerzie­ren machen, und ich wurde immer vor der ganzen Gruppe zusammengestaucht. Diese Tei­lung dann, das war eine Not, das hielt ich dann nicht mehr aus. Ein absolutes Verbot ha­ben mein Vater und auch mei ne Mutter uns nicht zugemutet. Wir haben aber leider auch nie darüber gesprochen. Wir Kinder haben uns dann einfach entschieden."

Wenn die Töchter Unterstützung fanden, waren es häufiger die Mütter als die Väter, die sich für sie einsetzten und den auBerhäuslichen Ansprüchen entge­gentraten. Dabei muBten einzelne Befragte die irritierende Erfahrung ma­ehen, daB die Autorität ihrer Mutter gegenüber derjenigen der Vertreter staat­licher Organisationen, z. B. in Auseinandersetzungen urn die BDM-Dienst­pflicht, machtlos blieb.

L: "Einmal hatten meine GroBeltern Goldhochzeit, und da war ich nicht zum Dienst. Dann trafen wir meine Führerin ein paar Tage später auf der StraBe, und da hat die meine Mutter vieUeicht angefaucht, auf der StraBe, wieso sie ihre Tochter nicht zum Dienst ge­schickt hätte. Und meine Mutter konnte ja gar nichts dagegen sagen."

Meist verstärkend, selten als Gegengewicht wirkte das elterliche Vorbild auf die Einstellung der Befragten in politischen Fragen. Einige beobachteten, wie die Eltern groBe Hoffnungen auf das neue Regime setzten, andere erlebten, wie ihr Vater seine in gefährlichem MaBe abweichende Meinung aufrecht und offen vertrat, und wieder andere wurden im Elternhaus zu immerwacher V orsicht angehalten und dazu, die eigene Einstellung niemandem zu offenba­ren. Meist war die politische Haltung des Vaters richtungweisend für die ge­samte Familie. Die Übereinstimmung der Ehepartner dürfte zu einem Teil darauf zurüekzuführen gewesen sein, daB die Frauen sich wenig für Politik interessierten, si eh kein kompetentes Urteil zutrauten oder sich mehr an der wirtschaftlichen Situation der Familie als an politischen Prinzipien orientier­ten. Auch nur selten wird von familialen Konflikten durch eine divergierende Einstellung der Tochter berichtet.

Insgesamt entsteht der Eindruck einer durch die politische Situation und den totalitären Anspruch des Staates nicht entscheidend beeinfluBten fami­lialen Erziehung. Das Elternhaus als eine der drei Säulen des national­sozialistischen Erziehungsstaates hatte ein weitaus stärkeres Gewicht als die

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nicht-familialen Erziehungs- und Sozialisationsinstanzen53, was aber nicht zu einer Distanzierung vom Nationalsozialismus führte, sondern mehrfach gera­de zu einer Annäherung an dessen Ansprüche. Denn auch wenn die politische Einstellung der Eltern sich gegen die Ideologie des Nationalsozialismus richtete, bereitete die Erziehung zu Obrigkeitsdenken und Konformismus ei­nerseits, PflichtbewuStsein und Opferbereitschaft andererseits letztlich den Boden für ein de facto die Forderungen des nationalsozialistischen Regimes weitgehend erfüllendes Verhalten.

5.2.2 Schule

Wenn die Berichte der Interviewten über ihre Erlebnisse in der Schule im Dritten Reich - und teil wei se in der Nachkriegszeit - im folgenden unter per­sönlichem und politischem Aspekt gegenübergestellt werden, so ist zu be­rücksichtigen, daB sie nur bedingt vergleichbar sind.

Die Darstellungen beziehen sich auf die ersten vier Jahre der Volksschu­le, auf die gesamte Oberschulzeit, in einem Fall auf die ersten drei Jahre der Hauptschule und in einem anderen auf die oberen Klassen der Volksschule und zweieinhalb Jahre Ausbildung an einer Lehrerbildungsanstalt (LBA). Letztere solI, da sie von der Informantin, die anschlieSend eine Oberschule besuchte, ebenfalls als "Schule" beschrieben wird, an dieser Stelle mit erfaBt werden.

Zeitlich verteilt sich der Schulbesuch der Informantinnen auf die gesamte NS-Zeit sowie die ersten Nachkriegsjahre, wobei für die mittleren Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft (1937 - 1941), als ei ne entsprechende neue Erziehungspolitik sich etabliert haben konnte, ebenso wie für die letzten Jah­re des Regimes, in denen der Schulunterricht stark durch den Krieg beein­fluSt wurde, von der Mehrzahl der Interviewten Berichte vorliegen.

Die Befragten erinnern sich mit mehr oder minder positiven Gefühlen an ihre Schulzeit, wofür aber überwiegend übliche persönliche Gründe angegeben werden, wie eigene Leistungsfähigkeit und Lernbereitschaft, soziales Umfeld und vor allem sympathische oder weniger sympathische Lehrer. Nur in den Be-

53 Reichsjugendführer 8aldur von Schirach betonte, von den drei Kräften, die "in sinnvollem Zusammenwirken" für die Entwicklung der Jugend verantwortlich seien - Elternhaus, Schule, HJ -, sei "die Familie die kleinste Einheit im Volksganzen, aber die bedeutungs­vollste", und die Reichsjugendführung bemühte sich sehr, das Vertrauen und die Sympa­thie der Elternschaft zu gewinnen. Vor allem nach dem Inkrafttreten der Jugenddienstver­ordnung im Jahr 1939 vertrat die Hl dennoch in der Praxis zunehmend ihren Anspruch auf das Monopol in der Erziehung. Aber "der Unterminierung des Familienlebens durch HJ­Einflüsse (waren) RiegeI vorgeschoben, die nicht zuletzt in dem starken Zusarnmenhalt der Familienmitglieder untereinander verankert waren", wie Kater feststellt. Kater, MichaeI H.: Die deutsche Elternschaft im nationaIsoziaIistischen Erziehungssy­stem. In Herrmann, U. 1985, S. 80, S. 82.

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richten über einzelne Erlebnisse erklären die Informantinnen negative, ganz selten positive Erinnerungen mit der politischen Einstellung von Lehrern oder mit den Auswirkungen der nationalsozialistischen Erziehungspolitik.

Die Tendenz in der Beurteilung "es geschah nichts AuBergewöhnliches" kann von jeder einzelnen Befragten durch Berichte aus relativ normal verlau­fenen Schuljahren untermauert werden; dies gilt für die Zeit vor dem Krieg oder, je nach Wohnort oder Grad der Betroffenheit der einzelnen Familien durch die Kriegsereignisse, auch noch für die ersten Kriegsjahre.54 Im Gegen­teil, gegenüber den während der Kriegsjahre alle Lebensgrundlagen erschüt­ternden Ereignissen in der AuBenwelt bot die Schule offenbar Halt und Ori­entierung als Refugium, das noch weitgehend nach den vertrauten MaBstäben funktionierte. Wiederholt wird insbesondere von den jüngeren Befragten be­richtet, wie gerade auch das SchlieBen der Schulen gegen Kriegsende als Zeichen des Verlustes aller vertrauten Ordnung empfunden wurde, und wie sie die Wiederaufnahme des Schulunterrichts nach dem Kriegsende erleich­tert als ein Stück zurückgewonnener Normalität begrüBten. Aber auch die Älteren unter den Interviewten, die während des Krieges in einem weit über ihr Alter und ihre physischen und psychischen Kräfte hinausgehenden MaBe zu Sonderdiensten herangezogen wurden, berichten aus dem gleichen Zeit­raum von unbeschwerten Schulerlebnissen, von harmlosen Streichen, von ju­gendlicher Schwärmerei, Freundschaften und Eifersüchteleien, von beschei­denen Festen und von mädchenhaften Kleidersorgen.

Keine Informantin erinnert sich, jüdische Lehrer gehabt zu haben, kaum eine weiB Erlebnisse mit jüdischen Mitschülerinnen zu berichten. So wurde auch deren unauffälliges "Verschwinden" von der Mehrzahl der Befragten erst im nachhinein registriert, als die Verbrechen an den Juden nach dem En­de des Dritten Reichs allgemein bekannt wurden. Heute äuBern mehrere Er­zählerinnen Verwunderung, Beschämung und SchuldbewuBtsein ob ihrer da­mali gen Ahnungslosigkeit und ihres Desinteresses - angesichts des seinerzei­tigen jugendlichen Alters der Befragten und des Verhaltens der Erwachsenen in ihrer Umgebung sicherlich eine so nicht gerechtfertigte Wertung.

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Die Berichte entsprechen damit auf der individuellen Ebene der in der Literatur immer wieder getroffenen Feststellung, daB in die Schule, insbesondere die höhere Schule, nicht in dem MaBe eingegriffen wurde, wie manche Kräfte im NS-Staat dies gewünscht hätten, und daB "die totalitäre Bewegung innerhalb der Institution Schule nicht so vorangekom­men ist, wie es viele pädagogisch-didaktische Arbeiten ... glauben machen", wie Scholtz (1985, S. 253) konstatiert. D. und G. Nixdorf glauben dies so erklären zu können, "daB sich zunehmend die Ansicht durchsetzte, weder die Lehrer noch die Schule als Ganzes seien ein besonders brauchbares Instrument zur Verbreitung nationalsozialistischer Weltanschauung", und die Hl, die radi­kaler vorgehen konnte, sich als für die weltanschauliche Erziehung wesentlich besser ge­eignet anbot. Nixdorf, Delia u. Gerd: Politisierung und Neutralisierung der Schule in der NS-Zeit. In: Mommsen, H.; Willems, S. (Hrsg.): Herrschaftsalltag im Dritten Reich. Düsseldorf: Schwann im Patmos-Verl. 1988, S. 231.

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5.2.2.1 Unterricht: Fächer und Verfahren

Die meisten Interviewten betonen, ihr Unterricht sei überhaupt nicht oder nur in geringem MaBe durch nationa1sozialistische Tendenzen beeinfluBt gewe­sen; das wird sowohl von der Volksschule als auch von der Oberschule und von der Lehrerbildungsanstalt berichtet. Dies mag für die Wahrnehmung der damals kindlichen oder jugendlichen Schülerinnen zutreffen, auch decken sich die Berichte mehrerer ehemaliger Schülerinnen der selben Schule. Des­senungeachtet berichten die Befragten Einzelheiten, die in Teilbereichen ein anderes Bild zeichnen.

Die Inhalte des Fachs Deutsch, insbesondere des Literaturunterrichts, werden am ehesten als nach ideologischen Kriterien ausgewählt angesehen. Insbesondere an die Lesebuchtexte in den unteren Klassen der Oberschule er­innern sich die Befragten. Eine besitzt noch ein Lesebuch aus dieser Zeit, an dem sie belegt, wie den "normalen" Texten unverbunden rein ideologische über Kriegserlebnisse aus dem Ersten Weltkrieg oder das Engagement junger Menschen in BDM und Jungvolk hinzugefügt worden waren.55 An einen be­wuBtseinsverändernden EinfluB derartiger Texte erinnert sich keine Infor­mantin. Sie wurden naiv rezipiert und wie alle anderen Geschichten mehr oder minder gern gelesen und bearbeitet, je nachdem wie interessant sie zu lesen waren.

Als ebenso problemlos aufgenommen erinnern sich einige der Befragten an die Themen von Aufsätzen oder freiwillig geschriebenen Texten patrioti­schen Inhalts. Beim heutigen Lesen wird ihnen bewuBt, wie weit sie seiner­zeit eben doch ideologisch beeinfluBt waren. C und E legten der Interviewe­rin im Original mehrere derartige selbstverfaBte Texte vor.

E: "Die Verdienste unserer Dichter urn das Werden völkischen Deutschtums wurden in ihrer Zeit nicht gewürdigt. Erst heute beginnt ihr Kampf Früchte zu tragen. "

"Urn für die Gemeinschaft unseres Volkes von Nutzen zu sein, wird der Mensch erzogen. Nicht alle Menschen denken zuerst an die Pflichten, die sie als Mitglied unseres Volkes zu erfüllen haben. Als Egoisten steht ihnen das Wohl ihres Ichs über dem Wohl der Ge­meinschaft. "

C: "Vier Jahre Hakenkreuz in Deutschland. Wieviel hat unser groBer Führer in den Jah­ren weit über seine Versprechungen hinaus getan: die Saarbefreiung, völlige Herstellung

55 Ziel des Deutschunterrichts in der Volksschule war es, "Stolz auf deutsche Art wachzuru­fen", und hierzu waren "die Dichtung vom Weltkrieg und die Kampfdichtung der natio­nalsozialistischen Bewegung" besonders zu beachten, wie aus einem Handbuch für den Deutschunterricht aus dem Jahr 1941 hervorgeht. Der Deutschunterricht der höheren Schule sollte nach den Richtlinien ebenfalls "DeutschbewuBtsein" und die Kenntnis des "völkisch-geschichtlichen Lebens" vermitteln. Zitiert in Flessau, Kurt-Ingo: Schule der Diktatur. Lehrpläne und Schulbücher des Nationalsozialismus. FrankfurtJM.: Fischer Ta­schenbuch, 1979 (1977), S. 81, S. 102. Vgl. auch: Dithmar, Reinhard: Richtlinien und Realität. Deutschunterricht im Gymnasium nach der "Machtergreifung". In: Dithmar 1989, S. 21-37.

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der nationalen Souveränität, der Bau der Reichsautobahn, WHW, Eintopf usw. Wir kön­nen ihm nicht genug danken."

Heute erscheint ihnen ihre tendenzielle, der seinerzeitigen Ideologie teilweise geradezu schwärmerisch folgende Ausdrucksweise als nicht mehr nachvoll­ziehbare jugendliche Verirrung. "Das ist ja unerträglich!" war die spontane Reaktion von C beim Durchlesen eines solchen Textes. Da aber beide In­formantinnen sehr offen über ihre seinerzeitige Einstellung gegenüber dem Nationalsozialismus gesprochen hatten, bestätigten diese zusätzlichen Belege nur die inhaltliche Validität der Interviewaussagen. Anderen Interviewten sind auch noch vaterländische Gedichte oder solche rein nationalsozialisti­schen Inhalts geläufig, ohne ihnen jetzt mehr zu bedeuten als ei ne Erinnerung aus ihrer Jugendzeit.

Hervorzuheben ist das Fach Leibeserziehung als eines, das zwar kaum als direkt politisch geprägt erlebt wurde, das aber aus ideologischen Gründen ein überproportionales Gewicht erhielt56 und dadurch je nach körperlicher Fähigkeit der Schülerinnen positiv oder negativ wirkte. Eine entscheidende Rolle spielte dabei, daB hier viel mehr noch als in anderen Fächern der Rah­men der eigenen Leistungsfähikgeit weitgehend festgelegt war, so daB An­strengung, FleiB, Leistungsbereitschaft nur sehr geringfügig über Erfolg oder MiBerfolg mitbestimmten. Der Leistungsdruck wirkte urn so frustrierender, als die Schülerinnen sich ihm weitestgehend ausgeliefert fühlten. Die meisten Sportlehrer steuerten der unbarmherzigen Auslese und Ausmerze in ihrem Fach offenbar auch nicht gegen. So konnte eine Motivation allenfalls bei körperlich überdurchschnittlich begabten Schülerinnen aufgebaut werden. Die Interviews enthalten ei ne ganze Anzahl anschaulicher Berichte von den Konsequenzen guter oder unzureichender Leistungen im Sport. H litt unter den hohen Anforderungen und der rücksichtslosen Härte ihres Sportlehrers in einem MaBe, daB sie noch heute traumatisiert jegliche Art von Sport - selbst als Zuschauerin - ablehnt. Espricht von "Schikane", F von "qualvollem Zwang". C hingegen erkennt "eine ungerechte Bevorzugung" aufgrund ihrer Erfolge und auch M glaubt, von ihren sportlichen Leistungen im übrigen Unterricht "profitiert" zu haben.

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In den Stundentafeln mr den Unterricht in der höheren Schule war das Fach Leibeserzie­hung dasjenige mit der relativ höchsten Stundenzahl. F1essau 1979, S. 101. Bemett weist darauf hin, daB die nationalsozialistische Leibeserziehung auf zentralen tra­dierten Vorstellungen aufbaute. Bereits vorhandene Inhalte und Methoden wurden ge­nutzt, im nationalsozialistischen Sinn erweitert und rigoros durchgesetzt. Bemett, Hajo: Das Kraftpotential der Nation. Leibeserziehung im Dienst der politischen Macht. In: HerrmannlOelkers 1989, S. 167-192. Ziel des Sportunterrichts mr Mädchen war es, diese als Pendant zum Ziel "Wehrhaftig­keit" bei den Jungen zur Härte gegen sich selbst zu erziehen und damit auf das Ertragen von Not und Leid vorzubereiten. Heymen, Norbert u. a.: Erziehung zur Wehrhaftigkeit im Sportunterricht. In: DithmarI 1989, S. 163-185. S. 170.

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H: "leh war die Kleinste, ich war nur so'n Hemd. Und der machte mit uns Übungen, die für mich nicht gingen, weil ich eben einfach zu klein war. Also so am Barren, der dann für mich viel zu hoch war, daB ich nicht ran kam und so. Und im Schwimmen! Drei Meter tief einen Zehn-Liter-Eimer hochholen, bis ich grün war! Also ich hatte überhaupt keine Chance, und der Sport war ja sozusagen das wichtigste Fach. Seitdem hasse ich den Sport. Noch heute!"

M: "In der Schule hieB es, Vogel friB oder stirb, in aIlen Fächern, und dann: ,Ein deut­sches Mädchen muB immer die besten Leistungen bringen!' Das war später im KLV-La­ger noch schlimmer. Aber ich war ja zum Glück immer sehr gut im Sport, und das wurde dann rausgesteIlt, da kam ich gut weg."

Das Fach Geschichte wird nicht so häufig als erkennbar ideologisch beein­fluBt genannt, wie dies erwartet werden könnteY A ist noch im nachhinein begeistert von der Lebensnähe ihres in der Oberstufe erlebten Geschichtsun­terrichts, der sie aber - wie anzumerken ist - nach eigenem Bekunden doch nichts von der Bedeutung des politischen Umbruchs im Jahr 1933 bemerken lieB. Da nur das letzte Schuljahr der Informantin in die Zeit des Nationalso­zialismus fiel, spricht dies allerdings eher gegen den Geschichtsunterricht in der Weimarer Republik. C hingegen hatte zu Anfang des Krieges eine heftige Auseinandersetzung mit einem Geschichtslehrer, der ihr eine sachlich richtig gelöste Aufgabe im Sinne der nationalsozialistischen Geschichtsdeutung ver­fälschte.

Diese Befragte erzählt auch das skurrilste Beispiel für die übereifrige Anpassung einzelner Lehrer: Im Englischunterricht muBten die Schülerinnen Begriffe wie "Blockwart", "Untergauführerin" und andere ausgefallene Dienstbezeichnungen verschiedener NS-Organisationen übersetzen.

Mehrere Informantinnen berichten, es seien Hitlerreden oder - während des Krieges - die Frontlage im Unterricht besprochen worden. Ein solcher Unterrichtsinhalt wurde aber offenbar als nichts Besonderes, sondern als rei­ner Wissensstoff empfunden und akzeptiert. G berichtet, wie sie einmal über den Wehrmachtsbericht nicht informiert war und nach dieser für sie peinli­chen Erfahrung stets darauf bedacht war, alle "Sondermeldungen" im Radio genau zu verfolgen. Wie stark auch im engsten Sinn politische Inhalte noch in der Erinnerung zu reinem Abfragewissen wertneutral umgedeutet werden können, demonstriert der Bericht von K, die als Beleg für einen "guten und aktuellen Unterricht" ausgerechnet Hitlerreden anführt, die am nächsten Tag "in einem guten Gespräch" in der Schule wiederholt worden seien.

Der Biologie- und Rassenkundeunterricht wird in den Berichten selten erwähnt, und dann nie ohne den Hinweis auf die den Befragten schon damals

57 Gies (S. 46) steUt fest, daB dem Fach Geschichte zwar eine erheblich gesteigerte Bedeu­tung zugesprochen wurde, die relativ geringe Zahl der Wochenstunden diesen Anspruch jedoch nicht widerspiegeIte. Gies, Horst: Geschichtsunterricht als deutschkundliche Wei­hestunde. Historische Nabelschau in der nationalsozialistischen Schule. In DithmarI 1989, S.35-58.

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auffällige Diskrepanz zwischen dem Ideal der "nordischen Rasse" und dem körperlichen Erscheinungsbild der obersten Parteiführer.

Interessant sind die - allerdings wenigen - Beschreibungen der Unter­richtsformen.

C erlebte in ihren verschiedenen Oberschulen insgesamt einen typisch gymnasialen, frontal ausgerichteten Unterricht, der vor allem auf die persön­liche Autorität der Lehrer baute. E erinnert sich an vielfältige Gelegenheiten zu Diskussionen und selbständiger Arbeit während ihrer Oberstufenjahre und verrnutet, daB eine Reihe ihrer damaligen Lehrer der Landschulbewegung entstammten. Auch K berichtet aus ihrer Zeit an der LBA von der Möglich­keit zu Diskussionen und dem Bemühen der Lehrer, die Kritikfähigkeit ihrer Zöglinge zu fördern. Die von der Befragten angeführten Beispiele lassen sich als Formen ei nes stark zielgerichteten, fragendentwickelnden Unterrichts deuten, der sich von der engen, ganz auf Gehorsam und Disziplin angelegten Führung in ihrer Volksschulzeit - die die Befragte aber völlig akzeptiert hatte - als relativ frei abhob. L erlebte in der Volksschule und weitgehend auch noch in der Oberschule einen streng autoritär angelegten Frontalunterricht.

Obwohl als Jüngste unter den Interviewten 1945 erst zwölf Jahre alt, er­innert M sich am präzisesten an den erlebten Unterrichtsstil. Sie unter­scheidet deutlich zwischen der Warmherzigkeit ihrer nicht sehr autoritär auf­tretenden katholischen Lehrerin an der Bekenntnisschule und dem straffen, auf Disziplin und Leistung ausgerichteten Führungsstil ihrer späteren natio­nalsozialistischen Lehrerinnen. DaB die Befragte hier einen prinzipiellen Unterschied zu erkennen glaubt, dürfte auch damit zusammenhängen, daB sie sich auf einer der neu gegründeten Hauptschulen einem harschen Unterricht­ston, hohen fachlichen Leistungsanforderungen und einer Erziehung zu ideologisch begründeter Härte gegenübersah. 5R Diese Anforderungen kulmi­nierten in der KL V -Zeit, in der die Befragte aber trotz der starken psychi­schen Belastung auch positive Erfahrungen durch die mit der Lagersituation verbundene Eigenverantwortung und Bewährungsmöglichkeit in Realsitua­tionen machte. Später, während des Studiums und im Beruf, glaubte sie in Prinzipien der Reformpädagogik Elemente des selbst in der Hauptschule er­lebten Unterrichts wiederzuerkennen59 und schöpfte aus den eigenen Erfah­rungen Anregungen für ihre Tätigkeit als Lehrerin.

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Die Hauptschule war als Ausleseschule konzipiert und sollte der restlosen Erfassung aller Schüler und Schülerinnen rnit überdurchschnittlichen Grundschulleistungen dienen, urn sie als Nachwuchs für volkswichtige Berufe bereitzustellen. Vgl. Scholtz, Harald: Die Schule als Erziehungsfaktor. In: Heinernann, T.l, 1980, S. 41 f.; StahlrnannlSchiedeck 1991, S. 42f. Auch in den 1938 neu forrnulierten Richtlinien für die Oberschule lassen sich Ideen der Reformpädagogik nachweisen. Vgl. Giesecke 1993, S. 135 f.

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5.2.2.2 Sonderveranstaltungen - Lager

Der Staatsjugendtag, der von 1934 bis 1936 sonnabends durchgeführt wurde (vg!. Scholtz 1985, S. 50), hat bei keiner der davon betroffenen Informantin­nen einen tieferen Eindruck hinterlassen; es können auch keine Einzelheiten des Verlaufs aus der Erinnerung reproduziert werden.

Hingegen berichten alle Befragten über morgendliche Flaggenappelle in der Schule, über Feierstunden aus den unterschiedlichsten Anlässen (Mutter­tag, Führergeburtstag, Führerreden, Kriegsereignisse, z. B. der Fall von Sta­lingrad) sowie über Sammelaktionen (Heilkräuter, Kartoffelkäfer) anstelle des Unterrichts und über längerfristige Einsätze auBerhalb der Schule, haupt­sächlich während des Krieges.60 Die Ausnahmesituation im KLV-Lager wird auch hier wieder deutlich, wenn eine seinerzeit zwölfjährige Befragte ihren Kriegshilfsdienst in einer Spielwarenfabrik während der KL V -Zeit schildert.

Einige Informantinnen erinnern sich an die reservierte bis ablehnende Haltung ihrer Schulleiter gegenüber dem Staatsjugendtag und den sonstigen Sonderveranstaltungen, die die Unterrichtszeit reduzierten und einen Eingriff in die Autonomie der Schule darstellten.

Die jungen Mädchen selbst hatten offenbar keine einheitliche Einstellung zu den verschiedenen Veranstaltungen. Sie begrüBten nicht genereIl freudig die Befreiung vom Schulunterricht, vielleicht auch, weil die meisten der In­terviewten angeben, nicht ungern zur Schule gegangen zu sein. Sammlungen, die sie nicht recht ernstnahmen, führten sie eher lässig durch.

Politische Veranstaltungen, die im institutionellen Rahmen der Schule stattfanden, hatten schon mehr Gewicht. Der regelmäBige Flaggenappell wur­de von einer Informantin (E) selbst mitgestaltet, die als Schulführerin daran beteiligt war, ohne ideologisch mit dem Nationalsozialismus übereinzu­stimmen. Sie betont, diese Aufgabe von ihrem Direktor angeboten bekom­men und sie übernommen zu haben, urn "Schlimmeres durch fanatischere Mitschülerinnen zu verhüten", oh ne jedoch darzulegen, wie sie selbst sich dann konkret verhielt. Von den anderen Befragten wurden diese morgendli­chen Appelle als lästig, jedoch nicht als sehr bedrückend oder indoktrinie­rend empfunden. Allerdings berichtet in diesem Zusammenhang auch keine von erhebenden patriotischen GefÜhlen. Es tauchen eher vordergTÜndige Er­innerungen auf, wie die an das lange Stillstehen und daran, wie der zum Hit­lergruB erhobene Arm beim Sin gen erlahmte und sich spätestens beim Ab­singen des Horst-Wessel-Liedes, das stets auf das Deutschlandlied folgte,

Die Klassen 7 der höheren Mädchenschulen wurden auswärts in der Landwirtschaft einge­setzt, jüngere Schülerinnen nur tageweise in täglich vom Eltemhaus erreichbaren Orten. V gl. Durchführungsbestimmungen der Reichsjugendführung zur Anordnung des Gene­ralbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz Fritz Sauckel über den Kriegseinsatz der Ju­gend in der Landwirtschaft, 30.4.1942; Dok. 222 in Jahnke/Buddrus 1989, S. 346.

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kaum noch hochhalten lieB, so daB er schon einmal der vor einem Stehenden auf die Schulter gelegt wurde.

Binen tieferen Eindruck hinteriieBen während des Krieges Sonderveran­staltungen anläBlich des Beginns oder Endes eines neuen Feldzuges oder die Bekanntgabe von "Sondermeldungen", die meist für die ganze Schule in der Aula erfolgte. Interessanterweise werden überwiegend als bedrückend em­pfundene Beispiele genannt (etwa die offizielle Bekanntgabe des "Aus­bruchs" des Krieges mit RuBiand, wie es damals hieB, oder des Falls von Sta­lingrad) und kaum Siegesfeiern (wie die zur Kapitulation Frankreichs). Diese Erinnerung dürfte aber, wenn auch im Einzelfall zutreffend, in der Selektion doch durch die Erfahrungen der späteren Kriegsjahre und die heutige Sicht­wei se der Interviewten gefärbt sein; denn in der euphemistischen Sprache der offiziellen Verlautbarungen wurden seinerzeit auch militärische Niederlagen positiv umgedeutet, und aus der Schilderung der damaligen Einstellung der Befragten an anderer Stelle geht deutlich hervor, daB die meisten von ihnen sehr lange, manche bis zum SchluB, an den immer wieder beschworenen deutschen Endsieg glaubten.

Während Erntehilfe und DRK-Einsatz anstelle des Schulunterrichts oder parallel dazu stattfanden, bildete die Zeit der Kinderlandverschickung ei ne einzigartige Verquickung von Schule und Lagerleben. Die drei hier berich­teten Fälle spiegein das ganze Spektrum in der Beurteilung der KL V wider, das sich auch in der Literatur findet. 61 Entscheidend für die positiven oder

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Exemplarisch seien hier drei Veröffentlichungen genannt: Dabel malt ein sehr positives Bild der Kinderlandverschickung - s. auch Buchtitel - und bestreitet die Richtigkeit von Literaturaussagen über das Interesse der Hl, die KL V zu ei­ner noch weitergehenden Erfassung der lugend zu nutzen. Dabel, Gerhard: Die erweiterte Kinder-Land-Verschickung. KLV-Lager 1940-1945. Dokumentation über den "GröBten Soziologischen Versuch aller Zeiten" (Zitat aus GroBbritannien). Freiburg: Schillinger, 1981, S. 300. Auch Larass stellt neben einigen negativen Erinnerungen von Beteiligten an die KL V vor allem positive Erfahrungen heraus und bezieht sich dabei, ebenso wie andere Autoren, auf Dabels 1981 im Auftrag der Dokumentations-Arbeitsgemeinschaft KLV e.V. erstellte Pu­blikation. Larass, Claus: Der Zug der Kinder. München: Meyster, 1983. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daB Dabel selbst als letzter Leiter der "Dienststelle Kinderlandverschickung" in der Reichsjugendführung in Berlin tätig war und im nachhin­ein sehr bemüht ist, einen unpolitischen Eindruck von der gesamten Aktion zu vermitte1n. Als Beispiel seien die Illustrationen des Buchs genannt, die zum groBen Teil aus damali­gen offiziellen Veröffentlichungen stammen und ein fröhlich-unbeschwertes Bild zeich­nen. Bei der neutralen Bildunterschrift "Wirtschaftshelferinnen" feh1t dann allerdings ein wenigstens nachträglicher Hinweis darauf, daB es sich hierbei vielfach urn Ostarbeiterin­nen handel te. Hermand hingegen schildert in der autobiographischen Darstellung seiner KLV-Zeit ohne jede Beschönigung die brutale Realität des Lagerlebens, die für ihn wie für viele andere zur traumatischen Erfahrung wurde. Hermand, Jost: Als Pimpf in Polen. FrankfurtlM.: Fi­scher Taschenbuch 1984.

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negativen Erinnerungen der Betroffenen sind die höchst unterschiedlichen Erfahrungen mit ihren Betreuerinnen.

Für die eine bei Verwandten einquartierte Informantin brachte die se Zeit keine auBergewöhnlichen Ereignisse. Von den beiden, die in KL V -Lagern lebten, hatte eine das Glück, von einer fürsorglichen Lagerleiterin und einer freundlichen Lehrerin betreut zu werden. So konnte die KL V -Zeit für das behütet aufgewachsene, mit dreizehn Jahren immer noch sehr unselbständige Mädchen zu einer Phase persönlicher Bewährung mit einer Fülle ermuti­gender Erfolgserlebnisse werden. Die andere Befragte, mit elf Jahren in das KL V-Lager verlegt, fühlte sich einer egoistischen und gefühlsarmen Lehrerin ausgeliefert und hat überwiegend traumatische Erinnerungen an diese Zeit, die sie noch heute belasten.

L: "Mit den Führerinnen, die hatten ja zu bestimmen, mit denen haben wir sehr groBes Glück gehabt. Und mit den Lehrerinnen auch, die kamen aus sehr christlichen Familien. Und der Zusammenhalt innerhalb der Klassen war eigentlich sehr, sehr gut. Wir waren ja auch einander ausgeliefert.(oo) Heimweh hatten wir kaum, wir waren ja immer so beschäf­tigt. Ja ich habe ganz begeistert nach Hause geschrieben von dem schönen Weihnachts­fest, was wir hatten. Das war also in dieser Gemeinschaft wirklich sehr, sehr schön. (00') Und dann waren wir auch ein biBchen stolz, was wir geschafft haben, und ich auch."

M: "Wir haben ungeheuer schlechtes Essen gehabt, und wir haben auch festgestellt, daB also die Köchinnen mit Deckung von unserer Lehrerin als der Verantwortlichen dann doch eh auch manche Dinge abgezweigt haben. Wir kriegten also zum Beispiel Mehlsup­pen, und ich entsinne mich noch, daB man also an den Rand dieses Tellers so reihenweise die Maden legte. Die gossen das nicht mal durch 'n Sieb. Also das war ganz schlimm. leh kann heute noch bestimmte Suppen nicht essen. Und die Lehrerin nahm an unserem Essen oft nicht teil. (00') Sie hatte auch ei ne schöne Zweizimmerwohnung. Wir waren auf groBen Zimmern, Strohsäcke, Betten übereinander, militärische Ordnung, Appel! morgens, dieser Zeitplan war rigoros. Sehr viel Sport und abends noch trainiert, und dann wurde aussor­tiert. Wir waren doch noch Kinder!"

Eine andere Form totaler Erfassung erfuhr K während ihrer Ausbildung an der Lehrerbildungsanstalt. Diese Informantin erlebte, auch schon im Muste­rungslager, die strengste Kontrolle und die rigideste Disziplin.62 Sie be­schreibt einen genau reglementierten Tagesablauf mit ständiger Beobachtung ihres Verhaltens auch auBerhalb der Unterrichtsstunden und ein Gemein­schaftsleben, das so gut wie gar keinen Raum für individuelle Beschäftigun­gen lieB. Ihr persönlich war dieses Arrangement allerdings nicht unange­nehm, und auch die konzentrierte, bis in die organisierten Freizeitaktivitäten reichende weltanschauliche Ausrichtung, die aus ihrer Schilderung hervor­geht, wurde von ihr offenbar oh ne Vorbehalt akzeptiert.

62 Zwischen 1940 und 1943 wurden 257 Lehrerbildungsanstalten gegründet, auf deren Er­ziehungsstil die HJ wesentlich EinfluB nahm. Scholtz 1985, S. 101 f. Allein der offizielle Begriff "Musterungslager" für die Probezeit der Aspiranten weckt -gewiB nicht unabsichtlich - militärische, aber keine pädagogischen Assoziationen.

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5.2.2.3 Lehrer

Übereinstimmend äuBern sich die Befragten zur politischen Einstellung ihrer damaligen Lehrer, es habe darunter keine, fast kei ne oder zumindest keine fanatischen ("schlimmen") Nationalsozialisten gegeben. B berichtet von ei­nem Lehrer, der sich - obwohl überzeugter Nationalsozialist und SS-Mitglied - stets "sehr menschlich verhalten" habe und der auch die Lektüre im Deutschunterricht lediglich nach der literarischen Qualität ausgewählt und Heine als Autor deshalb nicht ausgespart habe. Diesem Lehrer habe sie nach dem Krieg auch ein entsprechendes Leumundszeugnis ("Persilschein") für seine Entnazifizierung ausgestellt. Inwiefern er sich denn als "überzeugter Nationalsozialist" zu erkennen gegeben habe, kann die Befragte nicht kon­kret darlegen und weiB auch nichts über Konflikte, in die dieser Lehrer durch sein nicht immer systemkonformes Verhalten eventuell geraten sein könnte.

Dieser Bericht ist ein Beispiel dafür, wie vorsichtig derartige Beurteilun­gen, die wie hier auf einem einzigen Vorkommnis beruhen können, zu be­werten sind. Aber es zeigt sich daran auch, daB die politische Einstellung der Lehrer nicht a priori in die Beurteilung durch ihre ehemaligen Schülerinnen mit einflieBt, sondern anscheinend nur mehr ihr Verhalten als Menschen und Pädagogen gesehen wird.

Im Laufe ihrer Erlebnisberichte aus der Schule schildern die Befragten dann doch einzelne ganz andersartige V orfälle.

C berichtet von Konflikten mit einzelnen Lehrern, die Unterrichtsinhalte nationalsozialistisch verfälscht dargestellt haben wollten, von einem Religi­onslehrer, der sich abfällig über Pfarrerstöchter unter den Schülerinnen äu­Berte und von einer heftigen persönlichen Auseinandersetzung mit einem Lehrer, der die Befragte angezeigt hatte, sie habe militärische Geheimnisse, die sie durch ihren Vater erfahren habe, in der Schule ausgeplaudert.

Auch E erlebte schwere persönliche Schikanen durch eine Sportlehrerin, ei ne überzeugte Nationalsozialistin, die später politische Motive für ihr Ver­halten angab. Interessant ist, daB E im Interview zunächst mehrfach betont hatte, an ihrer Schule seien keine engagierten Nationalsozialisten unter den Lehrern gewesen, und sich erst später in einem ganz anderen Erzählzusam­menhang an den spektakulären Vorfall mit ihrer Sportlehrerin erinnerte. In diesem speziellen Fall lassen sich Verdrängung und Legitimierungsbemü­hung der Informantin mit ihrer überzeugt christlichen, auf Vergebung einge­stellten Haltung erklären, die sie sogar veranlaBte, einer Frau, von der sie in anderem Zusammenhang denunziert worden war, 1945 eine entlastende Be­scheinigung für die Entnazifizierung auszustellen.

In den Berichten anderer Informantinnen finden sich belanglosere Vor­fälle. Negatives Verhalten von Lehrern wird dabei heute von den Befragten allein als menschliches Versagen verurteilt; politische Motive hierfür werden

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nicht als erschwerender Umstand, gelegentlich aber als Entschuldigung ange­sehen.

Die HJ-Vertrauenslehrer, deren Wirken zugunsten engagierter HJ-Ange­höriger unter den männlichen Schülern in autobiographischen Erzählungen oder in der Literatur zum Schulwesen des Nationalsozialismus gelegentlich erwähnt wird63, scheinen an den von den Informantinnen besuchten Mäd­chenschulen, oder zumindest für die Befragten, keine Rolle gespielt zu ha­ben.

Zwar erinnert sich keine der Informantinnen an überzeugte National­sozialisten unter ihren Lehrerinnen und Lehrern, deren Begeisterung mit­reiBend auf die Schülerinnen gewirkt hätte. Andererseits weiB auch kaum ei­ne Befragte konkret über oppositionell eingestellte Lehrer zu berichten, was mehr über die eingeschränkte Wahrnehmung der Schülerinnen als über die tatsächlichen Verhältnisse an ihren Schulen aussagen dürfte. So erklärt D, erst nach dem Krieg erfahren zu haben, daB sich unter ihren Mitschülerinnen ei ne Halbjüdin befunden hatte, die von den Lehrern abgeschirmt und ge­schützt worden war. fi4 Eine Ausnahme bildet C, die eine Begegnung mit einer ihr bekannten, aber nicht an ihrer Schule tätigen Lehrerin schildert, bei der diese sich sehr offen über die Judenverfolgung äuBerte. Das junge Mädchen hingegen wies diese Mitteilungen ebenso ungläubig wie entsetzt von sich und brach dann den Kontakt zu dieser Frau ab.

Im ganzen gesehen zei gen die Berichte einerseits, wie unterschiedlich der der einzelnen Schule und dem einzelnen Lehrer verbliebene Freiraum ausgedeutet und genutzt wurde. Andererseits lassen sie erkennen, daB man­che ideologische EinfluBnahme den Befragten seinerzeit nicht bewuBt wurde. Heute ist deshalb nicht mehr zu rekonstruieren, wie authentisch deren über­wiegend "unpolitische" Erinnerungen sind. Es ist jedoch als Ergebnis festzu­halten, daB im Rückblick das Bild der Schule und der Lehrer für die Befrag­ten weitgehend frei von politisch begründeten Wertungen geblieben ist. Auch läBt sich ei ne umfassende intentionale "Umerziehung durch Unterricht" im Sinne des Nationalsozialismus aus den Berichten der hier Interviewten nicht ablesen.

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Das Amt des Vertrauenslehrers der HJ wurde 1938 eingeführt. Min. EriaB vom 18.2.1938 über die Vertrauenslehrer der HJ, zit. nach: Nixdorf 1988, S. 248. Vgl. zur Situation der Lehrer auch Klewitz, Marion: Lehrersein im Dritten Reich. Analy­sen lebensgeschichtlicher Erzählungen zum beruflichen Selbstverständnis. Weinheim, München: Juventa 1987; Klewitz, Marion: Berufsbiographien von Lehrerinnen und Leh­rem während der NS-Zeit. In: Berg I Ellger-Rüttgardt 1991, S. 173-188; Lehrerlebens­geschichten. Lehrerinnen und Lehrer aus Berlin und Leiden (Holland) erzählen. Gesam­melt u. eingeleitet v. Manuela du Bois-Reymond u. Bruno Schonig. Weinheim, Basel: Beltz 1982; Schonig, Bruno: Lehrerinnen und Lehrer im Nationalsozialismus. Ein unerle­digtes Problem der Erziehungswissenschaft. FrankfurtlM., Bern, New York, Paris: Lang 1988, S. 89-112.

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5.2.3 RDM: lungmädelbund und Rund deutscher Mädel

Die Befragten sehen die Zeit im BDM65 überwiegend als wenig relevante Phase ihres Jugendlebens an. Diese Wertung steht im Gegensatz zu der Ge­wichtung, die die staatliche Jugendorganisation in Publikationen erfährt, wenn die Intentionen der Reichsjugendführung mit deren erfolgreicher Um­setzung in der Praxis gleichgesetzt werden, wie zum Beispiel verschie­dentlich bei Klaus (1980; 1983).66 Die meisten Interviewberichte über Erleb­nisse aus diesen Jahren bleiben relativ farblos. Erst bei Nachfragen gewinnen einige Erinnerungen für die Befragten schärfere Konturen, und bei manchen wird ein ReflexionsprozeB ausgelöst, der sie selbst überrascht.

5.2.3.1 Dienstpflicht

An ihren Eintritt in den JM oder BDM67 erinnern die Informantinnen sich nicht als ein herausragendes Erlebnis, und auch die offizielle Aufnahme mit der Überreichung von Halstuch und Knoten erscheint nur wenigen erwähnens­wert.

Die Motive, aus denen heraus die älteren Befragten der nationalsozialisti­schen Jugendorganisation freiwillig beitraten, sind recht unterschiedlich. Die ei­nen berichten, ihr Eintritt in den BDM habe sich durch zufällige Kontakte mit

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Im Text wird bei allgemeinen Aussagen der übergeordnete Begriff BDM benutzt, ohne zwischen dem Jungmädchenbund (JM), der Organisation für die zehn- bis vierzehnjähri­gen Mädchen, und dem BDM im engeren Sinn, dem Bund Deutscher Mädel, der Organi­sation für die vierzehn- bis achtzehnjährigen Mädchen, zu unterscheiden. Die Benennun­gen sind insofern irreführend, als der JM und der BDM zum BDM zählten, ebenso wie Jungvolk (JV) und Hitler-Jugend (Hl) zur HJ, der (männlichen) Hitler-Jugend, und alle diese Organisationen gemeinsam zu "der" HJ, der Hitler-Jugend als Staatsjugendorganisa­tion, gehörten. Wo es sich urn spezielIe Angaben einzelner Inforrnantinnen handelt, wird die genaue Bezeichnung verwende!. Lingelbach (1987, S. 259) kritisiert im gleichen Sinn: "Von Stippel bis Gamm begreift man das Dritte Reich als ein pyramidenförrnig aufgebautes Herrschaftssystem mit einheit­lich konzipierter Erziehungstheorie und -praxis ... ". Er hält deshalb weitergehende erzie­hungswissenschaftliche Problemanalysen für notwendig. Miller-Kipp sieht speziell den BDM erziehungshistorisch immer noch als kaum erforscht an. Sie weist zwar in ihrer eigenen Untersuchung auch darauf hin, daB die Hitler-Jugend "das wichtigste Segment des nationalsozialistischen Erziehungskreises" war und insbeson­dere die Mädchen "für die längste Zeit und ... mit der gröBten Vollständigkeit" erfaBte, kommt aber im Hinblick auf die Wirkung der Erziehung im BDM zu differenzierteren Er­gebnissen. In Kipp/Miller-Kipp 1995, S 153. Je nach Alter der Inforrnantinnen bezie hen sich ihre Berichte teils auf die Zeit, als die Mitgliedschaft im BDM noch freiwillig war, teils auf die Jahre der Pflicht-HJ. Durch Gesetz vom 21.12.1936 war sie zur "Staatsjugend" erklärt worden. Jahnke/Buddrus 1989, Pflicht wurde die HJ-Mitgliedschaft jedoch erst mit der zweiten Durchführungsverord­nung zum obigen Gesetz vom 1.12.1939. Jahnke/Buddrus 1989, Dokument Nr.69, S. 121; Dokument Nr.107, S. 160 ff.

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BDM-Mitgliedern ergeben oder sei mit einem gewis sen Druck gefordert wor­den, wie bei B von dem Direktor ihrer Oberschule. Bei anderen Befragten spiel­te die BDM-Mitgliedschaft als Demonstration vorgeblicher oder tatsächlicher nationalsozialistischer Gesinnung der Eltern eine Rolle.

In den Jahren der Pflicht-HJ ab 1939 war die Aufnahme des jeweiligen Jahrgangs in die Jugendorganisation zum Geburtstag des Führers am 20. April68 bereits so weit im allgemeinen BewuBtsein verankert, daB die An­meldung, die im übrigen oft in den Räumen der Schulen erfolgte, als ebenso "amtlich" wie die Einschulung hingenommen wurde.

Man erfährt weder aus dies er Zeit noch aus der der freiwilligen Mitglied­schaft etwas über massiven Widerstand von Eltern, aber auch nichts von freudiger Zustimmung. E entschied sich zwar aus Interesse an dem Freizeit­angebot des JM zur Teilnahme, lenkte damit aber gleichzeitig von der oppo­sitionellen Haltung ihrer Eltern ab. Die Eltern von Herwarteten von ihren beiden Töchtern den Beitritt zum JM als demonstratives Zeichen für politi­sches Wohlverhalten der Familie. Soweit Vorbehalte geäuBert wurden, hatten diese ihre Ursache in der ablehnenden Haltung der Eltern gegenüber dem NS-Regime und seinen Organisationen, oder sie be zogen sich auch lediglich auf den Umgang, den die Töchter in der Jugendorganisation haben würden. Einige Eltern gaben ihre Einstellung durch mehr oder minder gewagte Akte der Verweigerung zu erkennen, ohne daB in jedem Fall Konsequenzen daraus erwuchsen. Beispieie, die aus der Zeit der Pflicht-HJ berichtet werden: L be­kam nie eine richtige Uniform; M wurde von der Mutter dem Dienst fernge­halten, bis eine BDM-Führerin sie unter Druck setzte. Der Vater von G er­laubte seiner Tochter nicht, so lange von zu Hause wegzubleiben, wie der Dienst dies erfardert hätte. Die Tachter versäumte dadurch einzelne Veran­staltungen, aber es entstanden ihr daraus kei ne Nachteile.

Die Dienstpflicht wurde auch nach dem Inkrafttreten der Jugenddienst­verordnung 1939 nicht immer mit aller Strenge durchgesetzt; es gab Mög­lichkeiten, sie absichtlich ader aus Nachlässigkeit zu umgehen ader sich wie C für den sonntäglichen Kirchenbesuch anstelle des Dienstes zu entscheiden. Allerdings hingen diese Möglichkeiten offenbar weitgehend von den jeweils verantwortlichen Führerinnen und deren mehr ader minder strenger Haltung ab, wie die Berichte van L und M zeigen; deren Mütter muBten sich gegen­über den BDM-Führerinnen rechtfertigen, weil ihre Töchter nicht zum Dienst erschienen waren69• Einige Informantinnen absolvierten ihren Dienst in Son-

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Die Jugenddienstverordnung legte die Aufnahme in die Hitler-Jugend am 20. April eines je­den lahres fest und verpflichtete die Erziehungsberechtigten, die ,Jugendlichen", die im Ka­lendeIjahr das 10. Lebensjahr voliendeten, bis zum 15. März beim zuständigen HJ-Führer­Führerinnen werden nicht erwähnt - anzumelden. Vgl. JahnkelBuddrus 1989, S. 162. Vgl. auch die als Dok. 268 und Dok. 274 in lahnke/Buddrus abgedruckten Drohbriefe von HJ-Führem. Insofem bagatellisiert die ehemalige Reichsreferentin des BDM lutta Rüdiger (1983, S. 319) die Bedeutung der lugenddienstverordnung in unzulässiger Wei se, wenn sie behauptet, es sei

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derformationen oder ersatzweise in anderen Organisationen. B genoB zeit­wei lig eine Segelflugausbildung, F war als Klavierspielerin im Bannorche­ster; E absolvierte ihren Dienst während des Krieges im DRK, D im städti­schen Chor. In "Glaube und Schönheit", der Organisation für die über Acht­zehnjährigen, war nur eine Informantin für kurze Zeit Mitglied; sie hat kaum Erinnerungen daran.

5.2.3.2 Uniform

Die "Uniform als Ehrenkleid" hatte für die meisten Befragten keine besonde­re ideologische Bedeutung. Lediglich C erinnert sich an die feierliche Über­reichung von Halstuch und Knoten als ein erhebendes Erlebnis. L berichtet dagegen, daB ihre Mutter die Anschaffung der korrekten BDM-Kleidung im Krieg, vermutlich als diskreten Akt der Opposition, hintertrieb.

Dennoch hatte das Tragen der "Kluft" seine praktischen Auswirkungen. Der enge Rock unterschied sich besonders für die neu eingetretenen Zehnjäh­ri gen deutlich von ihrer gewohnten altersgemäBen Kleidung. Er symbolisier­te nicht nur den Eintritt in eine V orstufe des Erwachsenenlebens, sondern forderte einen festen, disziplinierten Gang, abgesehen davon, daB Herumto­ben in der Uniform ohnehin nicht zulässig war. Das Tragen der Kletterweste statt eines Mantels, das Fehlen einer Kopfbedeckung zwangen zur körperli­chen Abhärtung.

Beim Auftreten in der Öffentlichkeit forderte die Uniform ein würdiges Verhalten, sie bot aber auch den Schutz der sichtbaren Gruppenzugehörig­keit, verlieh damit Sicherheit und verschaffte ei ne gewisse Anerkennung durch die Erwachsenen. Nur K jedoch erinnert sich, die Ästhetik in der Gleichförmigkeit der uniformierten Kolonnen gen ossen zu haben.

5.2.3.3 Dienst

Die Erinnerungen der Befragten an ihren BDM-Dienst beziehen sich vor al­lem auf die Heimabende bzw. -nachmittage, auf Geländespiele und Fahrten, auf Feiern, überraschenderweise seltener auf Sport, der viel häufiger im Zu­sammenhang mit der Schule erwähnt wird.

Der Verlauf der Heimabende70 hing ganz vom persönlichen Geschick der jeweiligen Führerin ab, die darin weitgehend auf sich allein gestellt war71 •

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allenfalls in wenigen AusnahmefaIlen "vielleicht ein gewisser Druck ausgeübt worden". In den Erzählungen wird nicht immer zwischen Heimabenden und Heimnachrnittagen unterschieden. Tatsächlich fanden im JM hauptsächlich Heimnachmittage, im BDM übli­cherweise Heimabende statt. Eine gründliche und systematische Auslese und Schulung der Führerinnen wurde zwar seinerzeit durchaus als notwendig erkannt, jedoch weder quantitativ noch qualitativ be­wältigt. Vgl. u. a. Miller-Kipp 1985, S. 195 f.

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Trotz thematischer Vorgaben in groben Umrissen entstand so keine einheit­liche Gestaltung, und die Dienstzeit wurde nicht immer zielgerichtet genutzt. Mehrfach wird bei der Beschreibung von Heimabenden der Jungmädel der Vergleich mit "Kindergeburtstagsspielen" genannt. Gedichte und Vorlese­texte entsprachen zum Teil diesem Niveau; D erinnert sich aus ihrer JM-Zeit an das gemeinsame Lesen des Kinderbuchs "Familie Pfäffling". Darüber hin­aus wurde öfter gebastelt oder gehandarbeitet.

An die Behandlung nationalsozialistischer Themen können die Infor­mantinnen sich zunächst nicht erinnern; auf Nachfragen kommen ihnen dann doch Inhalte wie etwa Daten aus dem Leben Adolf Hitlers, Geschichten über Leo Schlageter und andere nationalsozialistische Vorbilder oder Erzählungen von Teilnehmern des Ersten Weltkriegs72 ins BewuBtsein, die aber seinerzeit offensichtlich ganz naiv rezipiert und reproduziert wurden. Wie weit sie un­tergründig die Identifikation mit dem nationalsozialistischen Staat oder mit dem Nationalsozialismus als Ideologie unterstützten, läBt sich schwer ab­schätzen. Auf jeden Fall haben Teile der in ihnen propagierten Wert­vorstellungen für die meisten Informantinnen bis heute Gültigkeit behalten, wie noch aufzuzeigen sein wird.

Ein- oder mehrtägige Fahrten waren bei den Befragten beliebte Sonder­veranstaltungen. Abgesehen von dem Zwang zum Gemeinschaftsleben, das nicht allen angenehm war, und der körperlichen Anstrengung, die bei den Fahrten weniger als im Sport beklagt wurde, erweiterte sich hier der Erfah­rungsraum der jungen Mädchen, sei es durch intensives Erleben der Natur, sei es durch die Teilnahme an teilweise eindrucksvollen kulturellen Ver­anstaltungen, z. B. den Weimarer Kulturtagen mit sehr guten Theaterauffüh­rungen. An Aufmärsche erinnern die Befragten sich nicht; lediglich B berich­tet, einmal mit dem BDM zum Reichsparteitag nach Nürnberg gefahren zu sein, für sie ein interessantes Erlebnis, ohne - wie sie bis heute glaubt - Aus­wirkungen auf ihre gemäBigt positive Einstellung gegenüber der national­sozialistischen Ideologie.

Die Möglichkeit der Bewährung im Krieg durch die dem BDM zusätz­lich übertragenen Aufgaben73 schlägt sich in den Berichten der Informantin-

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Derartige Themen waren verpflichtend. Vgl. Rüdiger, Kap. "Die weltanschauliche Schu­lung", S. 103-114. Da die Führerinnen für ihre Aufgabe aber nur sehr unzulänglich ausgebildet waren, kann von einer einheitlichen Handhabung der weltanschaulichen Schulung nicht ausgegangen werden. Bereits am 1.9.1939 erging ein allgemeiner Befehl der Reichsreferentin des BDM lutta Rüdiger zur erhöhten Kriegsbereitschaft an die Führerinnen. lahnke/Buddrus 1989, Dok. Nr.l80, S. 306. Zahlreiche Anordnungen der Reichsjugendführung zu Sonderaufgaben des BDM im Luft­schutz, bei kulturellen Einsätzen, bei Sammlungen, in der Erntehilfe, im Gesundheits­dienst und bei anderen sozialen Aufgaben folgten im Laufe des Krieges. Vgl. Rüdiger 1983.

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nen nicht als Motivationsschub für den BDM-Dienst nieder. Zwei der älteren Befragten waren inzwischen dem scheinbar unpolitischen Roten Kreuz bei­getreten. Hier brachten sie ihr ganzes humanitäres Engagement ein; der BDM erschien ihnen gerade nicht als der dafür geeignete Ort. Die übrigen berich­ten wohl von kriegsbedingter Tätigkeit im BDM - Sammeln von Kräutern, Bucheckern, Kartoffelkäfern sowie von Altpapier, Spinnstoffen und Metal­len, Anfertigung von Kleidung für Soldaten und kinderreiche Familien, Her­stellen von Spielzeug, urn einige Beispiele zu nennen - diese Aktivitäten wurden aber nicht als Opferdienst für die Volksgemeinschaft erlebt, sondern als normale Beschäftigung innerhalb des gewohnten Dienstes.

5.2.3.4 Führerinnen

Eine wichtige Rolle spielten naturgemäB die Führerinnen, in den unteren BDM-Einheiten Mädchen, die nur wenig älter als ihre Kameradinnen und meist höhere Schülerinnen waren. Oft weckten sie Sympathie bis hin zu backfischhafter Schwärmerei. Wie weit ihre Vorbildfunktion bei den Befrag­ten seinerzeit wirkte, können diese selbst nicht mehr eindeutig sagen. Durch die Autorität ihres Amtes steIlten die jungen Führerinnen aHerdings diejenige der Eltern in Frage. Der Dienst hatte Vorrang vor privaten Unternehmungen, was sicherlich auch einmal als angenehm empfunden wurde. Aber sehr ver­unsichernd wirkten Erlebnisse, bei denen die Mütter von Informantinnen sich vor einer Führerin verantworten und schlieBlich dem von dieser ausgeübten Druck beugen muBten.

Nur drei der Befragten (C, E, H) hatten selbst zeitweilig niedrige Führe­rinnenpositionen (Schaft- bzw. Scharführerin) inne. Sie berichten wenig dar­über. Herinnert sich an ihren Stolz, Jüngeren helfen und etwas beibringen zu können. C blieb vor allem die Erinnerung an das Gefühl höchster Peinlich­keit, wenn sie, womöglich gar vor Jungen, mit piepsiger Stimme martialische Befehle geben oder etwas vorsingen muBte. G wurde eine Führerinnenpo­sition angetragen; ihr Vater versagte seine Einwilligung, ohne daB dies nega­tive Konsequenzen gehabt hätte, weil er nicht wünschte, daB die Tochter zu lange auBer Hause war. An die Mitgliedschaft in einer sogenannten FA­Schaft (Führerinnen-Anwärter-Schaft) oder eine sonstige Form der Vorberei­tung erinnert sich keine der Befragten. Der Anteil der Führerinnen unter den Interviewten als höhere Schülerinnen wäre sicherlich gröBer gewesen, wenn nicht einige ihren Dienst auBerhalb des allgemeinen BDM abgeleistet hätten.

5.2.3.5 Erzieherische Einwirkung

Zu fragen ist, wie intensive Spuren der BDM-Dienst im Leben der jungen Mädchen für kürzere oder längere Zeit hinterlieB. Dabei ist zu bedenken, daB das Leitbild, nach dem sich die Erziehung der Mädchen im BDM ausrichtete,

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einem gewis sen Wandep4 unterlag, der auch eine veränderte Gewichtung der erwünschten Eigenschaften und Verhaltensweisen eines "deutschen Mädels" nach sich zog. Als Konstante, die alle diese Leitbilder bestimmte, kann die Bereitschaft zum "Dienst" im weÎtesten Sinne angesehen werden, als Pendant der "Kampfbereitschaft" in der männlichen Erziehung.

Für die Befragten selbst sind die subtileren Formen der ideologisch be­gründeten Beeinflussung oft nicht mehr erkennbar, doch deren Wirkung läBt sich aus den Berichten an vielfältigen Beispielen als "Lernerfolg" ablesen.

Von verschiedenen Autoren wird dem BDM eine emanzipatorische Wir­kung zugeschrieben 75, weil er den sozialen Raum für Mädchen, insbesondere für solche aus dem Arbeitermilieu, erweitert habe. Je nach sozialem Status der elterlichen Familie ist hier jedoch ein Unterschied zu machen. Etwa für Mädchen aus Familien bürgerlicher Lebensweise wurde der soziale Raum durch den Wegfall, die Reduzierung oder die Veränderung von anderen or­ganisierten oder ritualisierten Gruppierungen auch eingeengt. Für Vereins­mitgliedschaften fehlte zunehmend die Zeit, manchmal auch das Interesse. Sport wurde von den staatlichen Organisationen vereinnahmt. Gesellschaftli­che Zirkel - eine Informantin berichtet von einem privaten Literaturkreis, der sich dann auflöste - traten in den Hintergrund.

Sichtbar veränderten sich die Verhaltensmuster der Mädchen unter den neuen Anforderungen. Die Befragten muBten mit dem Wechsel des sozialen Feldes ihren unterschiedlichen Rollen als BDM-Mitglied oder als wo hl­erzogene "Tochter aus gutem Hause" genügen. Das galt schon für die sozia­len Umgangsformen. Junge Mädchen hatten üblicherweise jegliches Aufse­hen zu vermeiden, lei se zu sprechen und sich anmutig und sittsam zu bewe­gen; auch für die angemessene Kleidung gab es je nach sozialer Schicht mehr oder minder strenge Konventionen. So berichtet C, daB sie und ihre Schwe­ster ab dem vierzehnten Lebensjahr - auch noch während des Krieges - nicht mehr oh ne Hut und Handschuhe ausgehen durf ten. Im BDM muBten die Mädchen dage gen lernen, mit ihrem Auftreten Aufmerksamkeit zu wecken, unter den Augen der Öffentlichkeit im Gleichschritt zu marschieren, zu sin­gen, als Führerin auch militärisch geprägte Befehle zu geben. Der erhobene Arm beim "Heil Hitler" löste nicht nur den zivilen GruB, sondern auch den mädchenhaften Knicks ab. Nicht allen fiel die Umstellung leicht.

Ohnehin konnten die jungen Mädchen im BDM nur für eine begrenzte Auswahl von Situationen Verhaltenssicherheit gewinnen. Etwa für das Zusam-

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Miller-Kipp (1985, S. 189) weist einen solchen Wandel des Leitbildes vom Typ des "fri­schen deutschen Mädels" über den der "hilfsbereiten Kameradin" zum Typ "tapferes Mä­del" bzw. "heldische Frau" anhand der von der Reichsjugendführung herausgegebenen Li­teratur nach. Diese Entwicklung spiegelt die Anpassung der Anforderungen an die äuBe­ren Bedingungen, nicht an Bedürfnisse der Mädchen wider. Beispielsweise von Giesecke 1993, S. 210; Möding 1985, S. 294 f.; Reulecke, Jürgen: " ... und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben!" Der Weg in die Staatsjugend von der Weimarer Republik zur NS-Zeit. In: Herrmannl Oelkers 1989, S. 248.

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sammentreffen mit jungen Männern fehlten ihnen Verhaltensmuster. Im pri­vaten Bereich hatten sie gewisse ritualisierte Umgangsformen in der Tanz­stunde lernen können. Eindeutig für BDM-Mädel war nur, daB in der natio­nalsozialistischen Hierarchie Männer den Frauen übergeordnet waren: Die höchsten Führungspositionen auch in der Reichsjugendführung hatten Män­ner inne (vgl. u. a. Klaus 1983, S. 201), und die Befragten konnten erleben, wie die strengsten unter ihren Führerinnen beim Zusammentreffen mit Füh­rem der Hitlerjugend freiwillig oder gezwungenermaBen ein unterwürfiges Verhalten an den Tag legten oder sogar zu kokettieren begannen.

Kontakte zum anderen Geschlecht wurden im BDM in keiner Weise the­matisiert. Auf ihre vielbeschworene Rolle als Gefährtin des Mannes und zu­künftige Mutter wurden die jungen Mädchen nicht vorbereitet. Der Komplex "Sexualität" war ohnehin völlig tabuisiert.76

Das Wissen, das im BDM vermittelt wurde, war insgesamt auf das natio­nalsozialistische Frauenbild der unpolitischen Hausfrau und Mutter ausge­richtet, oh ne aber deren Aufgabenfeld realitätsnah zu erschlieBen, auch wenn die jungen Mädchen im Bereich von Hauswirtschaft, Krankenpflege, Kinder­betreuung einige Erfahrungen sammeln konnten. Damit wurde gleichzeitig der Rahmen für ihre spätere Berufswahl abgesteckt.

Soweit Kenntnisse in Handarbeiten und Bastelarbeiten vermittelt wur­den, orientierte sich die Ausführung immer eng an der Volkskunst. Auch die Pflege deutschen Brauchtums, vor allem aus dem bäuerlichen Leben, von Volkstanz und Volksmusik nahm einen groBen Raum bei der Gestaltung von Feierstunden ein und begründete bei mehreren der Interviewten lebenslange Vorlieben. Von allen Befragten wird der Fundus an Volksliedern, den sie aus ihrer BDM-Zeit mitnahmen, als Positivum genannt; an die "NS-Pflichtlieder" - eine Sammlung von vaterländischen, soldatischen Liedern von oft weihe­vollem Klang und mit düsteren Texten von Kampf, Opfer und Tod, die alle HJ-Angehörigen im Laufe der Zeit lernen muBten - erinnern sie sich nur noch zum Teil. Musik spielte im BDM ei ne groBe Rolle, wie sich alle Infor­mantinnen erinnern, und neb en dem Singen wurde Instrumentalmusik, zum Beispiel in den Bannorchestern, betrieben. Bei öffentlichen Auftritten wurde freies Sprechen, Vorsingen, Dirigieren eingeübt, Fähigkeiten, auf die manche Befragte später als Lehrerin dankbar zurückgriff.

Nur marginale Bedeutung hatte im BDM, anders als in der männlichen Hitlerjugend, alles, was mit Technik zusammenhing, auch wenn es einige Be­rührungspunkte gab. Eine Frau wie die Fliegerin Hanna Reitsch, die auch im Krieg Einsätze als Testpilotin flog, war ein bewundertes Vorbild; und verein-

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In Rüdigers umfangreicher Oarstellung des "Erziehungsauftrags" und des "sozialen Auf­trags" des BOM (s. Inhaltsverzeichnis) oder unter den von ihr auf S. 104 ff. zitierten "we­sentlichen Schulungsthemen" findet sich keinerlei Hinweis auf Geschlechtserziehung. Oem entsprechen die Berichte der Befragten z. B. von Sanktionen gegenüber solchen Mädchen, die durch Kontakte zu Jungen ihre Uniform "entehrt" hatten.

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zelt hatten BDM-Mitglieder, wie die Befragte B, die Möglichkeit, zum Bei­spiel den Segelflugschein zu machen. Das waren aber Ausnahmen, und im Krieg wurden noch stärker als bisher die bäuerlichen und handwerklichen Tätigkeiten als die für die Volksgemeinschaft wichtigsten herausgestellt, un­geachtet der Tatsache, daB schon bald auch achtzehnjährige Mädchen - wie mehrere Informantinnen - im Rahmen des Kriegshilfsdienstes gezwun­genermaBen mit Technik, nun allerdings mit Kriegstechnik, konfrontiert wurden.

Was die Lernerfahrungen der Befragten hinsichtlich des Sozialverhaltens anbetrifft, so kristallisieren sich viele urn den Begriff der Gemeinschaft, sei damit die Mädelgruppe im BDM gemeint, sei es das ganze Volk. Anpassung war das Ziel, nicht Herausragen aus der Gruppe, sondern Aufgehen in ihr. Aufzufallen, zum Beispiel in der Marschkolonne, war meist mit Sanktionen verbunden, abweichendes Verhalten galt a priori als negativ; es sei denn, man erbrachte auBergewöhnliche Leistungen, die aber dann der Gemein­schaft zugerechnet wurden. Im Sport oder auch bei Sammlungen, etwa für das WHW (Winterhilfswerk), erlebten die Befragten, daB ein Wettbewerb zwischen den einzelnen Gruppen durchaus gefördert wurde.

Überdurchschnittliches Wissen wurde weniger geschätzt, Intellektualität, schon gar weibliche, war nicht erwünscht, Nachdenklichkeit, die vielleicht auch zu Zweifeln hätte führen können, hatte keinen Platz. Statt dessen wurde bei den Mädchen ei ne unreflektierte, gefühlvolle Haltung vorausgesetzt und gefördert, und gleichzeitig wurden sie in einen rastlosen Aktionismus hinein­getrieben.

Der Wert der einzelnen war ausschlieBlich durch ihren Nutzen für die Gemeinschaft definiert, was den Befragten seinerzeit zwar vielfältig vermit­telt, aber doch nicht voll bewuBt wurde. Nicht besondere Fähigkeiten, schon gar nicht individuelle Interessen an sich waren relevant, sondern dieselben nur dann, wenn sie innerhalb der Gruppe oder zu deren Selbstdarstellung nach auBen hin zu gebrauchen waren. Dies galt auch und gerade für den mu­sischen Bereich. Wer etwa ein Instrument beherrschte, stand unter dem Druck, interne Feierstunden wie öffentliche Auftritte, zum Beispiel für Sol­daten, mitzugestalten. Die bloBe Freude an der Betätigung als solcher war unangemessen, ja löste bei ganz angepaBten Mädchen sogar Schuldgefühle aus, weil sie sich damit der Gemeinschaft entzogen.

Individualismus jedweder Art war nicht nur verpönt, sondern wurde durch entsprechende Arrangements auch systematisch abtrainiert. Das Auf­brechen individualistischer Zurückgezogenheit durch den Zwang zum Ge­meinschaftsleben (besonders auf Fahrten mit der Übernachtung in Schlafsä­len, gemeinschaftlicher Körperreinigung, zwangsweisem Tausch von mitge­brachter Verpflegung und persönlichen Ausrüstungsgegenständen) war für einige Informantinnen ei ne angenehme Erfahrung, bei anderen hinterlieB es eine traumatische, lebenslange Aversion gegen kollektive U nternehmungen.

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Hilfsbereitschaft und der Einsatz für Schwächere wurde propagiert und nach auBen in Aktionen für kinderreiche Familien, Verwundete, auch Alte demonstriert. Erst im Rückblick konnten die Befragten erkennen, daB die Auswahl der Objekte ihrer Hilfsaktionen nicht vorrangig nach Bedürftigkeit, sondern danach erfolgte, wie sie in die nationalsozialistische Ideologie paS­ten. Ebenso entdeckten sie erst im nachhinein, daB sich in ihre eigene fürsor­gerische Haltung auch ein Quentchen gutbürgerlicher Überheblichkeit gegen­über manchen Hilfsbedürftigen gemischt hatte.77

Innerhalb der Mädelgruppen wurden die Interviewten zwar zu gegensei­tiger Hilfe aufgefordert, erlebten aber meist wenig Verständnis für Leistungs­schwächere; alle waren gefordert, sich voll einzusetzen, und nicht das Bemü­hen, sondern der Erfolg zählte. Es waren auch nicht immer alle sozialen Un­terschiede im Umgang der BDM-Mädchen untereinander aufgehoben. K stieB im BDM aufgrund ihrer Herkunft aus einer Arbeiterfamilie zeitweilig auf Ablehnung; andere Interviewte hatten auch im BDM-Dienst ausschlieB­lich Kontakt mit Mädchen gleicher sozialer Herkunft. Das Führerinnen­Korps rekrutierte sich zu einem ganz groBen Teil aus höheren Schülerinnen, die auf diese Weise Führungsqualitäten bei sich entdecken und entwickeln konnten und so ihre bereits vorhandene Überlegenheit noch verstärkten.

Die im BDM vermittelten Werte bergen oft Widersprüche in sich78 : Op­ferbereitschaft und Leistungsorientierung; Absehen von der eigenen Person zugunsten der Gemeinschaft, aber auch Wettbewerbsdenken; bedingungslo­ser Gehorsam, jedoch Durchsetzungsfähigkeit in Führungspositionen; Wert­schätzung von körperlicher Stärke neben Emotionalität bis hin zum Pathos; Orientierung an männlichen, sogar soldatischen Normen hinsichtlich Einsatz und Leistung, an traditione11 weiblichen hinsichtlich des Verhaltens gegen­über dem anderen Geschlecht.

Der Frage, wie sich die Begegnung mit diesem Wertekatalog auf die Identitätsentwicklung der Befragten auswirkte, sol1 in Kap. 5.5 ausführlicher nachgegangen werden.

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Ähnliches findet sich in anderen autobiographischen Berichten, z. B. bei Maschmann 1963, u. a. S. 76, oder bei Finckh: Renate Finckh im Gespräch mit Heike Mundzeck. In: Der alltägliche Faschismus, 1981, S. 68-79. Möding registrierte bei den von ihr befragten ehemaligen BDM-Mitgliedem ähnlich wi­dersprüchliche Lemerfahrungen. Möding 1985, S. 277 f. Miller-Kipp kommt - unter anderem wegen der auch von ihr aufgewiesenen Ungereimt­heiten in der BDM-Erziehung - zu dem Ergebnis, daB der "Beitrag des BDM zur Bildung und Ausbildung der weiblichen Jugend alles in allem dürftig" gewesen sei. Miller-Kipp 1985, S. 199.

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5.2.4 Reichsarbeitsdienst und andere Organisationen

Sechs der sieben älteren Befragten waren im Reichsarbeitsdienst. Zwei davon leisteten ihren Dienst in Friedenszeiten ab, ei ne freiwillig, für die zweite als angehende Studentin war er Pflicht.79 Die fünf jüngsten Befragten kamen noch nicht für den Arbeitsdienst in Frage. Die übrigen Informantinnen unter­lagen der Dienstpflicht während des Krieges. Sie wurden mit ihrer RAD-Ein­heit nach Beendigung der Dienstzeit automatisch in den Kriegshilfsdienst übernommen80• C muBte den Arbeitsdienst aus gesundheitlichen Gründen nach einigen W ochen abbrechen, arbeitete aber beim Deutschen Roten Kreuz, wo sie sich schon vorher engagiert hatte, und im Studentenausgleichs­dienst weiter. Auch E leistete aus gesundheitlichen Gründen anstelle des Reichsarbeitsdienstes ihren Kriegshilfsdienst beim DRK, wo sie bereits als Schülerin gearbeitet hatte, und wurde danach im Studentenausgleichsdienst eingesetzt.

5.2.4.1 RAD

Die ältesten Teilnehmerinnen berichten am unbefangensten von ihrer RAD­Zeit. Anfänglich hatten die Arbeitsmaiden noch Seltenheitswert, und die we­nigen Führerinnen fühlten sich als Elite und zu besonderem Einsatz ver­pflichtet (vgl. auch Kleiber 1981, S. 205 ff.).

Mit der allgemeinen Dienstpflicht für den weiblichen RAD im Jahr 193981 trat ein Mangel an Führerinnen auf. Auch weniger qualifizierte junge Frauen stiegen jetzt in diese Position auf und hatten andererseits ein sehr viel schwieriger zu motivierendes Kollektiv in den nun nicht mehr freiwillig ein­getretenen Arbeitsmaiden vor sich.82 Die Berichte von Fund G veran­schaulichen, wie für ihre Aufgabe nicht qualifizierte Führerinnen sich in Drill und Schikanen flüchteten, besonders gegenüber den ihnen bildungsmäBig überlegenen Abiturientinnen.

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Im Text wird einheitlich die geläufige Bezeichnung Reichsarbeitsdienst (RAD) verwen­det. Tatsächlich hieB er erst ab 1936 als staatliche Einrichtung "Reichsarbeitsdienst" bzw. "Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend" (RADwJ). Vgl. Miller 1980, S. 171. Durch FührererlaB vom 29.7.1941 wurden alle Arbeitsmaiden im AnschluB an den sechs Monate dauemden Arbeitsdienst zum Kriegshilfsdienst verpflichtet. Ursprünglich sollte es sich dabei urn Tätigkeiten in "fraulichen" 8ereichen handeln. Das wurde aber sehr bald nicht mehr durchgehalten; der Einsatz erfolgte vielfach in der Rüstungsindustrie und ab Herbst 1943 au eh in der Wehrmaeht. Miller 1980, S. 181. Verordnung über die Durehfuhrung der Reiehsarbeitsdienstpflicht fur die weibliche Jugend vom 4. September 1939, naeh der die Zahl der Arbeitsmaiden einschlieBlich Stammpersonal auf 100 000 erhöht werden sollte. Dok. in Kallsperger, Anna: Nationalsozialistische Erzie­hung im Reichsarbeitsdienst fur die weibliehe Jugend. Leipzig: Leiner 1939, S. 99. M. Masehmann schildert aus der Perspektive der Führerin das unterschiedliche Verhalten von Arbeitsmaiden, die sich zu einem Einsatz freiwillig gemeldet bzw. die dazu verpflich­tet worden waren. Maschmann 1963, S. 133 f.

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F: "Wir hatten so eine verrückte Führerin, der waren wir ausgeliefert. Vor allem haBte sie Abiturientinnen. Sie hatte wohl Minderwertigkeitskomplexe, denke ich mir. Das war eigent­lich eine primitive Frau. Da wurden Schulungsabende gemacht, da kamen dann einige mit 'ner dummen Frage, und dann konnte sie nicht weiter, und dann wurde SchluB gemacht. Spindappell machte sie mit Vorliebe samstags, alles rausgerissen, auf den Boden, das dauer­te, dann war der Nachmittag rum. Und was wir arbeiten muBten - dreiBig Zentner Kohlen schaufeln und so. Aber ich habe niemals solche Lebenserfahrung gemacht wie in dieser Zeit beim Arbeitsdienst. Als ich da weg kam, wuBte ich, wie man drei Stunden lang ein kleines Fenster putzt, zu mehreren, und wie man sich vor jeder Arbeit drückt."

Obwohl der Reichsarbeitsdienst ein Spiegel der Volksgemeinschaft sein soll­te, wird doch wiederholt von einem Sonderstatus, zum Teil sogar von Son­derlagern der Abiturientinnen berichtet. Aber einige der Befragten erinnern sich auch gerne an das Zusammentreffen mit jungen Frauen aus allen sozia­len Schichten, das sie als persönliche Bereicherung empfanden, weil sich für sie damit eine "ganz neue Welt, die Welt der Arbeiter, auftat", wie eine es beschreibt.

Für alle Befragten spielte der RAD die Rolle, die üblicherweise in der Literatur über den BDM letzterem zugeschrieben wird.83 Der Arbeitsdienst, nicht der BDM, war für sie der Ort intensiver Begegnung mit Angehörigen anderer sozialer Schichten, also der "Volksgemeinschaft", sowohl unter den Kameradinnen als auch beim Arbeitseinsatz. Die Dienstpflicht, die im Jung­mädchenbund oder BDM noch kein sonderliches Gewicht hatte, wurde von den jungen Arbeitsmaiden ernstgenomrnen.

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Der RAD nimmt neben der Hitlerjugend in der Literatur zur nationalsozialistischen Erzie­hung nur einen geringen Raum ein. Wenn überhaupt, ist meist nur der männliche Arbeits­dienst berücksichtigt, verschiedentlich wird er gar nicht erwähnt, wie z. B. bei Herrmann 1985, HerrmannlOelkers 1989, Giesecke 1993. Diese Vemachlässigung scheint angesichts der Bedeutung, die dem RAD als ausgewiesener "Erziehungseinrichtung" des nationalso­zialistischen Staates beige messen wurde, und angesichts seiner Auswirkungen für das Le­ben der Betroffenen nicht gerechtfertigt. Lingelbach hebt hervor, daB die ,,'wehrpolitische' Grundkonzeption der künftigen 'Er­ziehungsschule des Dritten Reiches'" bereits vor 1933 festgelegt worden sei. Die typisie­rende "Formung" des Arbeitsmannes durch eine kollektive BewuBtseinsbildung sei dann über die nationalsozialistisch geprägte Sinndeutung des Arbeits-, Kameradschafts- und Naturerlebnisses erfolgt. Lingelbach 1987, S. 133, S. 142 ff. Miller kritisiert, daB Lingelbach in seiner - 1970 erstmals publizierten - Analyse berufs­und sozialpolitische Aspekte vemachlässigt. Sie selbst befaBt sich v. a. mit dem weibli­chen Arbeitsdienst. In ihm sieht sie ein ursprünglich "arbeitsmarktpolitisches und sozial­pädagogisch orientiertes Instrument auf Zeit", das von den Nationalsozialisten erziehungs­politisch umfunktioniert und zur Dauereinrichtung gemacht wurde. In Friedenszeiten des Dritten Reiches sei der RADwJ weder erziehungspolitisch noch wirtschaftspolitisch not­wendig gewesen, sein Ausbau sei allein nach machtpolitischen Entscheidungen zugunsten des Reichsarbeitsführers Hierl erfolgt; der Arbeitsdienst habe sich erst im Krieg als nützli­ches Potential an Arbeitskräften "bewährt". Insgesamt kommt Mller zu dem scharfen Ur­teil, der RADwJ habe als Instrument des MiBbrauchs der gesellschaftlichen Funktionen Arbeit und Erziehung der politischen wie ökonomischen Unterdrückung der Frau gedient. Miller 1980, S. 171, S. 182, S. 179 ff., S. 190.

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C: "Ich war tief beschämt und weinte bittere Tränen, als wieder mein Muskelrheuma auf­trat.( ... ) Und sofort wurde man wieder nach Hause geschickt."

D: "Es war doch Pflicht. Die Soldaten taten doch auch ihe Pflicht."

Aber auch der Drill, der von ehemaligen Angehörigen des Jungvoiks und der Hitlerjugend immer wieder beschrieben wird, begegnete den Befragten erst­malig im RAD-Lager, und teilweise fühlten sie sich der Willkür ihrer Vorge­setzten in einem MaBe ausgeliefert, wie dies sonst nur über brutale Rekruten­ausbildung beim Militär berichtet wird.

Überhaupt sahen die jungen Frauen sich im Arbeitsdienst, der dann in den letzten Jahren in den Kriegshilfsdienst einmündete, vielfach nicht mehr dem sonst im Dritten Reich vertretenen weiblichen Rollenklischee entspre­chend behandelt. Sie, die eine gewisse Rücksichtnahme auf ihre körperlichen Fähigkeiten gewohnt waren und gelernt hatten, wieviel Wert auf ihr Aus­sehen in Uniform gelegt wurde, erhielten teil wei se verschmutzte, nicht pas­sende Uniformen. Etliche lebten in primitivsten, fast unbewohnbaren Unter­künften und wurden bis zur Erschöpfung eingesetzt.

Dennoch, an die grobe, anstrengende Arbeit auf dem Land oder im Haushalt erinnern die Informantinnen sich mit Stolz und Befriedigung, so­weit sie sie für sich mit Sinn erfüllen konnten; sei es als lebenspraktische Ausbildung wie D, sei es als freudig geleisteter Dienst für das Vaterland wie C. Diejenigen, die unter den Schikanen ihrer Führerinnen zu leiden hatten, haBten mei st auch die ihncn auferlegte Arbeit. Teilweise handelte es sich da­bei urn reine StrafmaBnahmen, wenn etwa F berichtet, sie habe tagelang mit anderen Arbeitsmaiden zusammen die Balken eines abgebrannten Hauses sinnlos hin- und herschieppen müssen.

Der RAD, als staatliche Einrichtung, die im Nationalsozialismus ebenso wie das Militär als Erziehungsinstitution angesehen wurde, sollte einerseits dem Dienst am Volk, andcrerseits der Ausbildung der jungen Menschen für das Leben im nationalsozialistischen Staat dienen. Diese Zielvorstellung muB auch für den weiblichen RAD herangezogen werden, da keine eigene, die sich deutlich von der des männlichen RAD abgrenzte, formuliert wurde. (Vgl. Kallsperger 1939, S. 35 ff.) Die Befragten können ein solches Ergebnis ihrer eigenen RAD-Zeit nur sehr eingeschränkt bestätigen.

Die politischen Schulungen hinterlieBen bei den Informantinnen keinen tieferen Eindruck, teil wei se wurden sie als primitiv belächelt. Eher erinnert man sich an die täglichen Rituale, vor allem an das gemeinsame Singen, we­niger noch an den feierlichen Flaggenappell. Liebe zur Musik und einen Fundus an Volksliedern nennen so einige Interviewte als blei benden Gewinn ihrer RAD-Zeit. Aber auch die Liebe zur Natur einer ganz bestimmten Land­schaft blieb einer der Befragten aus den Monaten beim RAD. Andere geben an, praktische Kenntnisse in Haushaltsarbeiten oder im Umgang mit Kindern gewonnen zu haben.

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A: "Das hat unheimlich viel Sp aB gemacht mit den Kindern, das Spielen, und hat man auch mal schimpfen müssen, aber die waren glücklich. leh war ja an Kinder nicht ge­wöhnt."

D: "leh habe richtig putzen gelernt beim RAD, kannte ich ja nicht. ,Zuerst werden alle beweglichen Gegenstände aus dem Raum entfernt.' So mache ich das zwar nicht mehr genau, aber ich habe da was gelernt. Und Wollsachen waschen haben wir richtig gelernt. Wir muBten auch die privaten Pullover unserer Führerin waschen. Die wurden vorher ausgemessen, wie lang sie waren, und hinterher genauso lang wieder gezogen. Und Tischdekorationen machen haben wir gelernt, einen Moosteller machen im Frühjahr. Ich habe auch Verbände mach en gelernt, das hat mir später richtig genützt, wenn unsere Kin­der einen Verband brauchten."

DaB der RAD in der Biographie aller Betroffenen ein stärkeres Gewicht hat als der BDM, dem sie länger angehörten, ist zu einem wesentlichen Teil der Lagersituation zuzuschreiben.R4 Für viele war der RAD eine Lebensschule, wo sie sich erstmalig in einer Gruppe oder auch gegenüber einer Vorge­setzten behaupten muBten, und F nennt ironisch als ihren Gewinn aus dieser Zeit, hier habe sie gelernt, sich "zu drücken".

5.2.4.2 Kriegshilfsdienst, Deutsches Rotes Kreuz, Studentenausgleichsdienst

Aus ihrem Kriegshilfsdienst berichten die betreffenden Informantinnen eben­faBs vereinzelt persönliche Schikanen. Derartige Erfahrungen treten aber für sie in der Erinnerung in den Hintergrund; denn die Einsätze im Kriegshilfs­dienst waren meist erheblich härter als diejenigen im RAD. Nur F, die nicht ungern die Arbeit eines Ingenieurs in einer Fabrik übernahm, erinnert sich re­lativ unbelastet an diese Zeit, ebenso wie C an ihren kurzen Einsatz als Schulhelferin im Studentenausgleichsdienst.

Diejenigen Informantinnen, die ihren Dienst im DRK ableisteten, litten unter den oft schrecklichen Erlebnissen bei ihren Einsätzen und fühlten sich von der auf ihnen lasten den Verantwortung völlig erdrückt.

Andere fanden sich im Kriegseinsatz hinter Flak-Scheinwerfern und Such­geräten wieder, waren Soldaten unterstellt, die nicht mehr die gewohnte ritterli­che Rücksichtnahme zeigten, sondern die jungen Frauen wie Soldaten im Kampfeinsatz behandelten, und muBten wie diese täglich ihr Leben einsetzen.

C: "leh erinnere mich vor allem an vier Wochen Nachtdienst als Schwesternhelferin, wo ich mit meinen neunzehn Jahren ganz allein Nachtwache machen muBte. Und wir hatten

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StahlmanniSchiedeck gehen davon aus, daB das "Lager letztlich Ausdrucksform des Na­tionalsozialismus selbst" ist, weil das "Lagerprinzip die Auffassung des Nationalsozialis­mus vom normalen Leben als chronische Kampfsituation wider(spiegelt)". Sie schreiben deshalb dem Lager geradezu prototypischen Charakter für die NS-Erziehung zu. Durch konsequente Egalisierung, Emotionalisierung und Heroisierung sei in der Lagersituation letztlich die Disziplinierung der Betroffenen als übergeordnetes Ziel verfolgt worden. StahlmanniSchiedeck 1991, S. 70 f., S. 110 f.

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ja nun Schwerstkranke, Malariakranke, Lungenentzündungen und so was, dabei, und ... eh, diese ganz groBe Verantwortung, die einem dort aufgebürdet wurde! Und nachts kam dann natürlich die Müdigkeit, denn tagsüber waren ja die Fliegeralarme gewesen, und dann nahm ich nachts einen der B1echbecher, die wir ja nur hatten, mit Wasser drin, und setzte mich vornübergebeugt auf den Stuhl, und immer wenn der Blechbecher runterfiel, dann wachte ich wieder auf. Und da erlebte ich eben auch die schrecklichen Dinge, daB ich mei ne ersten Toten erlebte, bei ihnen war, bei den Sterbenden blieb. Es war schreck­Iich, diese ungeheure Verantwortung dann. Aber dankbarst habe ich die Kameradschaft der Soldaten erlebt. Und daB man seine PfIicht tat. Eben diese idealistischen Bilder - ich wollte noch so gerne als Operationsschwester an die Front."

D: "Also ich war dann hinterher bei der Flak, direkt vom Arbeitsdienst aus abgeordnet. In regulären Flakstellungen, bei Scheinwerfern, eh sollten wir dann die feindlichen Flugzeu­ge erfassen. Ein paarmal haben wir auch einen drin gehabt in unserem Scheinwerfer. Und unser Vorgesetzter, da hatten wir einen Leutnant. Da muBten wir immer vor dem stramm­stehen, mit Melden und GrüBen, wie Soldaten, und der hat uns auch richtig zusammenge­brüllt. Nicht wie die FreiwilIigen, die Flakhelferinnen, sondern wie die Flaksoldaten. Und andere von uns wurden ausgebildet als Horcherinnen am Horchgerät. Und die sind eh, da war dann ein Angriff, und die sind ... , zwei von unseren Mädchen, die mit uns im Arbeits­dienst waren, die sind dann beim eh .. Fliegerangriff umgekommen."

E: "Durch die Luftrninen waren die Menschen verschüttet. Viele staken bei den Ber­gungsarbeiten noch lebend mit dem Oberkörper aus den Trümmern heraus. Auch drei Schwestern, die wir kannten. Die jüngste konnten wir mit unserem Rettungstrupp heraus­bekommen, aber die beiden älteren, obwohl wir noch mit ihnen sprechen konnten, die konnten wir nicht herausbekommen ... Noch wochenlang war der Leichengeruch über der Stadt. Die Toten wurden entlang der StraBen zur Identifizierung geIegt, und die wurden von den Angehörigen auf Schubkarren zum Friedhof gefahren. Und ich war erst mit der Verpflegung der Überlebenden beschäftigt und dann mit dieser Identifizierung auch be­schäftigt. Das dauerte Monate. Und eine Mutter war da, die suchte wochenlang ihre Tochter, mit einem kleinen Stückchen Schottenstoff in der Hand. Das war .. für mich oft gar nicht mehr.. .. zu verkraften. Sie verlor dann auch total den Verstand, ich weiB gar nicht, was schlieBlich aus ihr geworden ist."

Aber auch hier wieder erfolgte die Verarbeitung des Erlebten in unterschied­licher Weise, je nach dem Grad an Übereinstimmung, Distanzierung oder In­differenz, mit dem die Befragten der herrschenden Ideologie gegenüberstan­den, und nach dem MaB, in dem sie persönliche Motive in ihrem Handeln verwirklicht sehen konnten, wie sich am deutlichsten in der Gegenüberstel­lung der Erzählungen von C und E einerseits, Fund G andererseits zeigt. So ist die längerfristige Wirkung dieser Kriegseinsätze auch nicht einheitlich zu bewerten.

Der Stolz auf die seinerzeit erbrachten Leistungen klingt noch heute in den Berichten an. Wiederholt wird die Anerkennung gerade durch Männer zum Beweis angeführt, denn den männlichen MaBstab, das Ziel, den Män­nern, ja den Soldaten gleich zu sein, hatten diese jungen Frauen voU interna­lisiert. E erinnert sich an die Hochachtung, die Offiziere und Feuerwehrleute ihr und ihrem DRK-Rettungstrupp zoUten. Als eaus gesundheitlichen Grün­den ihre Aktivitäten einschränken muBte, litt sie sehr darunter, ja fühlte sich

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als Versager; wenn die Soldaten "drauBen" kämpften, glaubte sie nicht zu­rückstehen zu können und wollte sie im "Heimatkampf' unterstützen. D, die sonst eher ei ne indifferente Einstellung zu ihrem Dienst hatte, "konnte doch keine Fahnenflucht begehen", womit sie zu erklären versucht, weshalb sie sich noch in den letzten Kriegstagen verzweifelt bemühte, in die Flakstellung zu ihren Kameradinnen zurückzukommen.

Die aufopferungsvolle Tätigkeit in einer Organisation wie dem DRK bot aber jenen, die seinerzeit nicht (wie E) oder nur unter gewissen Vorbehalten (wie C) mit der offiziellen Ideologie übereinstimmten, auch die Möglichkeit einer Identifikation oh ne Loyalitätskonflikt durch die gedankliche Hilfskon­struktion: Diese Aufgaben kann ich akzeptieren, weil sie moralisch unanfecht­bar sind.

Die Entscheidung für den Dienst bei dem als unpolitisch angesehenen DRK schützte gleichzeitig vor einer zu engen Verbindung mit dem BDM und anderen Parteiorganisationen. Für E besiegelte der Beitritt zum DRK die Wandlung ihrer politischen Einstellung. Überrascht war sie, als sie bei der Entnazifizierung nach dem Krieg wegen ihrer DRK-Mitgliedschaft als Ange­hörige einer NS-Organisation eingestuft wurde. R5 Bei C spielte das traditio­nelle Engagement der Frauen aus Offiziersfamilien im Lazarettdienst ei ne nicht unwesentliche Rolle. Das Bild der Rotekreuz-Schwester war allgemein idealistisch überhöht, und von den Soldaten wurden den Schwestern gerade­zu schwärmerische Verehrung, aber auch hohe Erwartungen entgegenge­bracht.

C, bis dahin noch immer eine recht behütete höhere Tochter, erlebte ih­ren Rotkreuzdienst als ei ne Mischung aus schockierenden Begegnungen mit einer ihr fremden Realität des Lebens, rücksichtsloser Ausbeutung und Selbstausbeutung bis zum physischen Zusammenbruch bei der Pflege sowie tiefer Dankbarkeit und taktvoller Ritterlichkeit von seiten der Verwundeten.

E sah unendliches Leid bei ihrer gefährlichen Tätigkeit als Leiterin eines Rettungstrupps für Bombenopfer. In einer späteren Bürotätigkeit im Gesund­heitsamt lernte sie die Lebensformen und die sie schockierende Sexualität "asozialer" Familien kennen und hatte einen ernsten politischen Konflikt, der gefährlich für sie hätte ausgehen können. Aber alle diese Erinnerungen blie­ben für das ganze Leben der Befragten überschattet durch die Bilder von durch die Bomben Verstümmelten und Getöteten.

Ihr hektischer Aktionismus half nicht nur dies er Informantin, sich zu betäuben, die auf sie einstürmenden Schrecknisse und die Sorge urn die Zu­kunft durch die rastlose Arbeit bis zur BewuBtlosigkeit zu ertragen und das Hinausschieben eines als notwendig erkannten umfangreichen Refle­xionsprozesses vor sich selbst zu legitimieren.

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Zur Bewertung der Rolle des DRK im nationalsozialistischen Staat vgl. Lichtenstein, Hei­ner: AngepaBt und treu ergeben. Das Rote Kreuz im "Dritten Reieh". Mit einem Vorwort von Prof. Or. R. Kempner. Köln: Bund-Verlag 1988.

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5.2.4.3 Auswirkungen

Was, auBer den teils angenehmen, oft bedrückenden Erinnerungen, ist den Befragten aus dies er Zeit geblieben?

Konkret bedeutete der Dienst in den oben genannten Organisationen zu­nächst einen Verlust an Ausbildungszeit, der sich zum Beispiel für C und E entscheidend auf ihre Lebensplanung auswirkte. Praktische Kenntnisse in Krankenpflege, Unterricht, Büroarbeiten usw. bildeten lediglich Neben­effekte, wenn sie auch teil wei se später privat oder im Beruf wieder aufge­griffen wurden.

Wesentlich waren hingegen die Auswirkungen, die insbesondere der Kriegseinsatz auf die Identitätsentwicklung der Befragten hatte. Trotz man­cher sonstiger Paralleien zu Aussagen, die sich in der Literatur über den BDM finden, gilt dies nicht für die Feststellung, der Dienst habe "Schein­identitäten" produziert (Klaus 1983, S.354, über den BDM). Für die am stärksten engagierten Informantinnen C und E kann dies allenfalls in sehr be­schränktem MaBe bestätigt werden. Beide hatten die Entscheidung für die Art ihres Engagements selbst getroffen, sahen die Ziele ihrer Tätigkeit als in Übereinstimmung mit ihren christlichen Wertvorstellungen stehend an und konnten, ja muBten ihre Arbeit in weitgehend eigener Verantwortung durch­führen.

In anderer Hinsicht läBt sich die Wirkung des Dienstes in den genannten Organisationen mit der dem BDM zugeschriebenen vergleichen. Weit über ihr Lebensalter hinaus gefordert, reiften die Befragten an ihren Aufgaben, er­hielten positive Rückmeldungen und Anerkennung, ihr Selbstvertrauen wur­de gestärkt, und sie empfanden auch Stolz und Befriedigung. Aber die stän­dige Selbstverleugnung und physische wie psychische Überforderung wirk­ten lange nach und lösten bei der einen Informantin Jahre später einen kör­perlichen, bei der anderen einen nervlichen Zusammenbruch aus.

Der zeitlich begrenzte Vorgriff auf einen Status mit gröBerer Selbstän­digkeit blieb eine Zwischenphase im Leben der Befragten; anschlieBend er­folgte die Rückstufung. Für die nächste Lebensphase hatten sie keine hilfrei­che Orientierung mitgenommen. Sie griffen auf alte Verhaltensmuster zu­rück, verhielten sich wieder wie das junge Mädchen aus der Zeit davor und schlüpften zurück in die Rolle der abhängigen Tochter, Schülerin, Studentin, Anzulernenden oder selbst als Ehefrau in diejenige der sich stets unter­ordnenden, aufopferungsvollen Helferin. Ihre Identitätsentwicklung ver­zögerte sich, und einige von ihnen brauchten Jahre, bis sie ein stabiles Selbstbild entwickeln konnten.

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5.2.5 Elternhaus, Schule, Jugendorganisationen - drei Säulen nationalsozialistischer Erziehung?

Die erzieherische Totalerfasung der jungen Generation sollte durch eine gleichartige ideologische nationalsozialistische Ausrichtung im Elternhaus, in der Schule und in den Jugendorganisationen gewährleistet werden (Kater 1985, S. 79, S. 81).

Zwar blieben den jungen Mädchen tatsächlich nur geringe Freiräume zwischen der Schule, den Verpflichtungen durch JM-Bund oder BDM und häuslichen Anforderungen. Aber diese Fremdbestimmung bezog sich haupt­sächlich auf die Zeiteinteilung und auf die Auswahl an Freizeitbeschäftigun­gen und nur in geringerem MaB auf bewuBt erlebte ideologische Beeinflus­sung. Wie gezeigt wurde, litten die Befragten nicht besonders unter dieser Si­tuation, die zudem weniger in einem ÜbermaB auBerhäuslicher Forderungen als in der generelI geringeren Freizügigkeit für Mädchen begründet war. Sie löste deshalb bei ihnen auch keine Abwehrreaktionen aus, wie sie von männ­lichen Jugendlichen bekannt sind, von denen nicht wenige sich auBerhalb der offiziellen Organisationen zusammenfanden und bewuBt Verhaltensformen kultivierten, die den nationalsozialistischen Normen zuwiderliefen.86

In der Lagersituation hingegen - sei es nun in der KL V oder im RAD -, wenn der gesamte Tagesablauf durchorganisiert war und die Möglichkeit selbst eines zeitweiligen Rückzugs in die Privatsphäre entfie1 und wo teil­weise ein geradezu militärischer Drill herrschte, war der Leidensdruck bei den Befragten entsprechend gröBer und führte auch zu heftigem innerem

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Bei den Jugendsubkulturen im Dritten Reich sind diejenigen zu unterscheiden, die sich im Arbeitermilieu entwickelten, wie die "EdelweiBpiraten" oder die Leipziger "Meuten", und die "Swingjugend", die sich aus Jugendlichen der gehobenen MitteIschicht zusammen­setzte. Die Swingjugend verhielt sich absolut unpolitisch. Die Meuten pflegten Umgangs­formen, die bündische und kommunistische Elemente enthieIten. Die EdeIweiBpiraten provozierten bewuBt die Hitlerjugend, einige von ihnen beteiligten sich auch an emst­haften Aktionen des politischen Widerstandes. Mädchen waren am ehesten in der Swingjugend in einigen GroBstädten zu finden, blieben aber auch hier bei wei tem in der Minderzahl. Vgl. Peukert, Detlev: Volksgenossen und Gemeinschaftsfremde. Anpassung, Ausrnerze und Aufbegehren unter dem Nationalsozialismus. Köln: Bund-Verl., 1982, S. 182 ff.; Peukert, Detlev: EdeIweiBpiraten, Meuten, Swing. Jugendsubkulturen irn Dritten Reich. In: Herrmann (1985) S. 216-231. Alle diese Gmppierungen wurden von den staatlichen Organen verfolgt. Siehe hierzu: Bericht des Reichsjustizrninisteriums über die Leipziger Meuten, Frühjahr 1940. Dok. 285 in: JahnkelBuddrus, S. 428 ff.; Bericht der Gestapo in Wuppertal über das Auftreten von Gruppen der EdeIweiBpiraten, 21.10.1942. Dok. 296 in: Jahnke/Buddrus, S. 442 f.; Anweisung der Gestapo in Köln zur Verfolgung oppositioneller Jugendgruppen, 27.1.1943. Dok. 301 in: Jahnke/Buddrus, S. 450 f.; Bericht der Gestapo über eine Gruppe der EdelweiBpiraten in Rheydt, 27.5.1943. Dok. 307 in: JahnkelBuddrus, S. 457.

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oder äuBerem Widerstand. Da ihnen aber keine Ausweichmöglichkeit in eine Szene der Gegenkultur offenstand, muBten sie sich dem System anpassen oder ihre Konflikte systemintern austragen, wie an einzelnen Beispielen ver­deutlicht wurde.

Die Erziehung der Befragten im Elternhaus war nicht explizit an der na­tionalsozialistischen Ideologie orientiert, wenn sie dieser auch in verschie­dener Hinsicht nicht zuwiderlief. In der Schule kamen die Mädchen durchaus im Unterricht wie in Sonderveranstaltungen mit Gedankengut des National­sozialismus in Berührung, wie ihnen auch einzelne Vertreter der national­sozialistischen Ideologie unter den Lehrern begegneten, aber nicht in einem MaBe, daB von einer insgesamt durch den Nationalsozialismus geprägten Schule gesprochen werden könnte.

Auf der anderen Seite besaB die politische Jugendorganisation, der BDM bzw. JM-Bund, seinerzeit im BewuBtsein der meisten Befragten wenig mehr Bedeutung als irgendeine andere Freizeitorganisation. Insbesondere lebten sie im Elternhaus nicht derart eingeengt, daB die Mitgliedschaft im BDM ih­nen wesentliche emanzipatorische Möglichkeiten eröffnete. Es bestand auch keine so lückenlose Überwachung, daB die eine oder andere der Befragten nicht dem BDM-Dienst gelegentlich oder auf Dauer ausweichen konnte. Schon allein deshalb löste er nur ganz selten negative Gefühle bei den Be­fragten aus, wie etwa der RAD, wenn dieser mit extremem Drill und persön­lichen Schikanen verbunden war. Andererseits bot der RAD, ebenso wie zum Beispiel auch der Dienst im DRK, insbesondere während des Krieges durch die gröBere Verantwortung und die höheren Anforderungen mit der Befriedi­gung über die eigene Leistung einen motivierenden Ausgleich für die härte­ren Bedingungen.

Konflikte zwischen den einzelnen Erziehungsmächten existierten, kamen aber für die Befragten nur gelegentlich offen zum Ausbruch. Die Mädchen erlebten, wie Vertreter der Schule ihre Abneigung nicht so sehr gegen die Ideologie des Nationalsozialismus, als vielmehr gegen die Ansprüche, mit denen der nationalsozialistische Staat in die schulischen Abläufe eingriff, ausdrückten. Die Befragten selbst fühlten sich dadurch aber meist nicht di­rekt betroffen. Stärker irritierte es sie, wenn ihre Eltern sich den Forderungen der jungen Vertreterinnen der Staatsjugendorganisation beugen muBten. Das beeinträchtigte aber in den Augen der Töchter nicht die elterliche Autorität. Offene Konflikte durch konkurrierende Ansprüche der Hitlerjugend und der Kirche als Institution erlebten die Informantinnen fast gar nicht. Der Besuch des GoUesdienstes und des Konfirmandenunterrichts wurde nur ganz verein­zelt bei zeitlicher Überschneidung mit dem BDM-Dienst erschwert; auf der anderen Seite bezog die Amtskirche auch nicht für die Befragten klar er­kennbar Stellung gegen die Ideologie des Nationalsozialismus und deren praktische Umsetzung. Die meisten Interviewten gehörten der evangelischen Kirche an und begegneten darin während des Dritten Reiches "Deutschen

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Christen". Von den Aktivitäten der Bekennenden Kirche erfuhren sie über­wiegend erst nach dem Krieg. Die drei Katholikinnen hatten keinen oder fast keinen Kontakt zu ihrer Kirche. Lediglich zwei - evangelische - Befragte hörten während des Krieges etwas über Graf Galen.

Die Interviewberichte machen deutlich, daB jede einze1ne Befragte For­men nationalsozialistischer Erziehung ausgesetzt war, auch wenn das nicht allen bewuBt wurde. Die geschilderten Erfahrungen variieren aber doch so weit, daB sie ein Beleg dafür sind, daB weder von einer lückenlosen Erfas­sung noch von einer einheitlichen NS-Erziehung der gesamten damaligen Ju­gendgeneration gesprochen werden kann.

5.3 Sonstige Einflüsse 1933-1945

Im folgenden steht die Frage im Mittelpunkt, welche sonstigen Faktoren in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft das Leben der Informantinnen prägten. Dazu sollen zunächst die Berichte über historische Ereignisse, dann diejenigen über die Wahrnehmung atmosphärischer Komponenten näher be­trachtet werden. SchlieBlich werden die Erlebnisse der Befragten während des Krieges gesondert erfaBt, nicht nur, weil in dieser Zeit das Leben jeder einzelnen durch die politische Situation am intensivsten betroffen war; die Endphase des Krieges leitete mit dem Zusammenbruch des nationalsozialisti­schen Regimes auch ei ne rückblickende Bilanzierung dieser Jahre ein.

5.3.1 Zeitereignisse

NaturgemäB berichten nur die älteren unter den Befragten aus der Zeit vor 1933, und die Gruppe der jüngsten kann sich kaum an Ereignisse vor dem Kriegsbeginn erinnern.87 Ganz deutlich wird auch, wie weit bei allen die Be-

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In den Interviews erwähnte Zeitereignisse: - Ereignisse vor 1933: A, B, E; - 30.1.1933: A, B, E; Röhmputsch: C; - Tod Hindenburgs: C; - Rückgewinnung des Saargebiets: C; - Einmarsch im Rheinland: A; - Olympiade: A; - Spanischer Bürgerkrieg: C; 9.11.1938: A, C, D, E, F, G, L; - AnschluB Österreichs: A; - Einmarsch im Sudetenland: A; - Kriegsbeginn: A, B, D, E, F, G, I, K, L, M; - verschiedene Feldzüge: A, C, L; - Stalingrad: C, G; - 20.7.1944: A, C, D, F, G, K;

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dingungen der eigenen Lebensumstände mit einflossen: Die Handwerker­töchter wissen mehr über die wirtschaftliche Notsituation zu berichten, die Offizierstochter war durch die Position ihres Vaters schon im Kindesalter auch von im engeren Sinn politischen oder militärischen Geschehnissen per­sönlich betroffen.

DaB bis auf ei ne alle älteren Interviewten den 9.11.1938 erwähnen, auch wenn sie nicht, wie F, die neb en der Synagoge ihrer Heimatstadt wohnte, selbst etwas von den Ereignissen wahrnahmen, dürfte eine Konzession an die vermutete Erwartungshaltung der Interviewerin sein. Das meiste hierzu Be­richtete fuBt auf Hörensagen, und die Schilderungen blei ben überwiegend blaB.

Fast alle Befragten drücken ihr heutiges Unbehagen und Unverständnis darüber aus, daB sie seinerzeit auf die Vorfälle nicht deutlicher negativ re­agierten. Dies dürfte als Versuch einer Legitimierung einzuordnen sein, wo­bei das heutige Wissen mit der eigenen damaligen BewuBtseinslage vermengt wird.

Viele der Ereignisse bis zum Kriegsausbruch besaBen nicht nur wegen des damaligen jugendlichen Alters der Befragten für diese keine erkennbare persönliche Relevanz und wurden deshalb allenfalls halb unbewuBt atmo­sphärisch wahrgenommen. Dazu beigetragen haben dürfte auch, daB über po­litische Themen in vielen Familien wenig gesprochen wurde, zumindest in Anwesenheit der Kinder oder gar mit ihnen. Man hielt grundsätzlich Politik für keinen angemessenen Gesprächsgegenstand oder - was den Berichten nach nicht selten der Fall war - wollte die Kinder schützen: sei es vor einer Verunsicherung durch das Wissen von einer regimekritischen Einstellung der Eltern oder davor, diese ungewollt zu denunzieren, z. B. durch die Weiterga­be negativer MeinungsäuBerungen. Einzelne Informantinnen, wie C und E, in deren Familien die Eltern ihre Töchter an politischen Gesprächen teilhaben lieBen, haben auch detailliertere Erinnerungen. Insgesamt jedoch fühlten die Befragten sich durch die historischen Ereignisse wenig berührt. Ihr Interesse daran erwachte erst mehr oder minder stark mit dem Beginn des Krieges (s. hierzu Kap. 5.3.3).

5.3.2 Propaganda - Politische Atmosphäre - Parteiorganisationen

Obgleich in den Interviews der Schwerpunkt auf eigene Erlebnisse der Be­fragten gelegt wurde, flieBen in die Berichte zu diesem Themenbereich mehr als bei anderen Fragen Erinnerungen an das Verhalten oder an ÄuBerungen ihrer Eltern mit ein. Ihr jugendliches Alter konfrontierte die Befragten sel-

- Ereignisse in der Endphase des Krieges: alle; - Kriegsende: 8, C, D, E, F, G, H, K, L, M; - Ereignisse in der ersten Nachkriegszeit: A, C, D, E, F, G, H, K, L, M.

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tener direkt mit den verschiedenen NS-Organisationen und lieB sie die Er­scheinungsformen der nationalsozialistischen Propaganda auch weniger be­wuBt wahrnehmen als ihre Eltern, die eher Vergleichsmöglichkeiten mit ei­nem anderen politischen System hatten. Darüber hinaus war die Einstellung der meisten Befragten zu allen politischen Fragen durch diejenige der Eltern, mei st sogar des Vaters, vorgeprägt, wie den Interviews insgesamt zu entneh­men ist (vg!. Kap. 5.2.1). Insofern wäre eine klare Trennung zwischen direkt und indirekt Erlebtem in diesem Bereich kaum zu leis ten.

Was die Informantinnen an Erinnerungen über das Erscheinungsbild der unterschiedlichen NS-Organisationen, die ldeologisierung des öffentlichen Lebens, die Eingriffe in die Privatsphäre und die "propagandistische Dauer­berieselung", wie Klafki es nennt (1991, S. 161), mitteilen, kann zu einer Vorstellung von dem MaB der Politisierung des Alltags im nationalsozialisti­schen Staat beitragen. Die nicht immer so offenkundigen Auswirkungen auf das Leben und die Persönlichkeit der Befragten werden genauer im Kapitel 5.5 untersucht.

5.3.2.1 NS-Organisationen

Im einzelnen berichten die Interviewten über Erlebnisse mit den Vertretern der diversen NS-Organisationen, über ihre damalige Vorstellung von den herausragenden Figuren des Nationalsozialismus, an der Spitze derjenigen Adolf Hitlers, über die Selbstdarstellung des Nationalsozialismus in öffent­lichen Veranstaltungen, über allgegenwärtige Symbole und Rituale und über Information und Propaganda in den Medien.

Den Befragten sind nicht sehr viele Erlebnisse mit Angehörigen der NS­Organisationen als auffällig im Gedächtnis geblieben, wobei über das Ver­halten der Einzelpersonen milder geurteilt wird, als über dasjenige der Mit­glieder als anonymer Gesamtheit.

Von den verschiedenen Organisationen existierte bei den Befragten ein tendenziell übereinstimmendes Bild, das in etwa der Volksmeinung, wie sie aus anderen Berichten bekannt ist, entspricht und ei ne bestimmte Rangord­nung in der Wertschätzung erkennen läBt. (Vg!. die Stimmungsberichte in Broszat 1977 und die Dokumente politischen Widerstandes in JahnkelBudd­rus 1989).

Zwei Organisationen fallen dabei ins Auge: die NSDAP, überall präsent als Verkörperung des umfassenden Machtanspruchs des nationalsozialisti­schen Staates, und die Geheime Staatspolizei als dessen Schrecken verbrei­tendes Machtinstrument. Während jede der Befragten NSDAP-Mitglieder kannte, blieb die Gestapo für die meisten im dunkeln, etwas Unheimliches, Angstbesetztes, worüber nicht offen gesprochen wurde, gleich, ob man nur Gerüchte kannte oder über lnformationen verfügte, die zum gefährlichen "geheimen Wissen" gehörten. Mehrere Informantinnen erinnern sich, daB bei

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Gesprächen über politisch brisante Themen in ihrem Elternhaus das Telefon zugedeckt wurde, weil man befürchtete, daB man auch in der Privatsphäre abgehört würde. Immerhin vier Befragte berichten von Verhören oder Haus­suchungen durch die Gestapo, die sie selbst oder Familienangehörige betra­fen, bis auf einen Fall allerdings oh ne gravierende Folgen. Auch diese Infor­man tinnen verfügten über nicht mehr konkretes Wissen über die Organisati­on als andere.

Obgleich die Väter einer Reihe von Befragten Mitglieder der NSDAP geworden waren - wenn auch, wie die Töchter sich heute erinnern, teilweise unter Druck -, war die mehrfach berichtete Vorstellung von dem Parteige­nossen, dem PG, als einem sozial Unterprivilegierten, der sich durch die Mit­gliedschaft Vorteile erhoffte, selbst in ei ni gen dieser Familien verbreitet. Po­litische Leiter, wegen der Farbe ihrer Uniformen abfällig "Goldfasane" ge­nannt, und andere Funktionäre, die "Bonzen", wurden oft pauschal als bloBe NutznieBer der mit ihrer Position verbundenen Privilegien angesehen. Abwei­chende Erlebnisse wurden von den Informantinnen eher als die Regel bestäti­gende Ausnahmen gewertet, wie die Formulierungen in den Berichten hierzu verraten. Deutlich wird allerdings auch, daB das Bild von dem Parteigenossen als einem Opportunisten wesentlich durch Erlebnisse während des Krieges und nach der Kapitulation mitbestimmt wird, so daB die heutige Darstellung vermutlich nicht in allen Einzelheiten authentisch die Einschätzung aus der Zeit vor 1945 wiedergibt.

SA und SS wurden insbesondere in moralischer Hinsicht negativer als die NSDAP eingestuft, wobei die SS als gefährlicher angesehen wurde; da beide aber für die Befragten keine groBe persönliche Bedeutung besaBen, dürfte hier ebenfalls die globale Einschätzung und zusätzlich, wie bei der NSDAP, die rückblickende Wertung mit eingeflossen sein.

Als eher lästig sahen viele Interviewte Organisationen wie WHW (Win­terhilfswerk) und Luftschutz oder auch die NS-Frauenschaft an. Deren Mit­glieder erschienen ihnen oft als geltungssüchtige Wichtigtuer und stieBen al­lein deshalb auf inneren Widerstand, weil sie mit ihren Forderungen in die Privatsphäre eindrangen.

Auch wer zu den offenkundig nationalsoziahstischen Organisationen auf Distanz ging, nutzte gerne die scheinbar unpolitischen. Mehrere Informantin­nen berichten von dem unbeschwerten Erlebnis einer Familienreise mit der KdF ("Kraft durch Freude")RR, zwei Befragte suchten im Roten Kreuz eine ideologiefreie Alternative zum BDM-Dienst.

Die NS-Gemeinsehaft "Kraft dureh Freude" war bereits 1933 naeh dem Muster der von Mus­solini 1925 gegrundeten Organisation ,,11 Dopolavoro" gebildet worden, orientierte sich aber auch au den sozialen Einrichtungen der Gewerksehaften in der Weimarer Republik. Sie wuehs zu einem gigantisehen Apparat au, der si eh sehlieBlieh mit allen Bereichen der Freizeit- und Urlaubsgestaltung befaGte. Vor allem durch das Programm "Reisen und Wandem" erlangte sie in der Bevölkerung groGe Popularität und betreute naeh eigenen

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In der Darstellung der Befragten wird der NS-Staat mehr durch die Viel­zahl der Organisationen als durch die Personen seiner herausragenden Reprä­sentanten verkörpert. Über die meisten führenden Persönlichkeiten des Na­tionalsozialismus scheint sich die Mehrzahl der Interviewten keine Gedanken gemacht zu haben. Allenfalls durch Anekdoten gestützte Pauschalurteile (über Görings Leibesfülle und seine Vorliebe für prächtige Uniformen, über seine Ankündigung, er wolle Meier heiBen, wenn ein feindliches Flugzeug über die deutsche Grenze gelange, oder über Goebbels' wenig "arisch-nordi­sc her" Erscheinung) fallen ihnen heute noch zu einzelnen Namen ein. Ob dies am damals jugendlichen Alter der Befragten liegt oder ob in ihren elter­lichen Familien ebenso vage Vorstellungen herrschten, kann im nachhinein nicht festgestellt werden. Zwei Informantinnen berichten sogar, sich seiner­zeit nicht einmal mit der Person Adolf Hitlers gedanklich auseinandergesetzt zu haben. In der Vorstellung der meisten Befragten spielte er aber verständli­cherweise eine bedeutende Rolle, auch wenn nicht alle dies explizit erklären und einige ausdrücklich betonen, sie seien dem Hitler-Mythos nicht erlegen. Mehrere Informantinnen schildern hingegen, wie sie bis zum Tag der Kapitu­lation auf die Kraft des Führers und obersten Befehlshabers vertrauten und wie sein Bild als machtvolle und moralisch integre Persönlichkeit bis zum SchluB für sie unangetastet blieb (vg!. auch Kap. 5.3.3. u. Kap. 5.4.).

C in einem Brief: "Zwei Stunden lang sprach unser geliebter Führer. !eh verstand nicht alles, aber ich bemerkte doch, wie bedeutend diese Rede war. HeiB und kalt stieg es mir den Rücken rauf, und ich hatte immer Angst, daB man mein inneres Zittern hören konn­te."

Vnd als ei ne Bekannte sie über die KZs aufzuklären versuchte: "Nein, habe ich gesagt, das sind ganz bestimmt Latrinengerüchte. ( ... ) Selbst wenn irgendwelche Leute von der SS oder der SA .... aber Hitier, der weiB das ... nicht! ( ... ) Vnd meine beste Freundin sagte einmal: 'Er ist ein Verbrecher!' Vnd ich sagte: 'Nein, er ist der einzige, der kein Verbre­cher ist.'"

A: ,,!eh weiB noch diese Rede zu Beginn des Krieges: '!eh ziehe diesen Rock nicht aus, oder ich gehe unter.' Ja, mehr als dein Leben kannste ja nicht geben, oder? Ist das nicht anständig?"

Eine der Befragten erzählt von einer Bekannten, die nach einem Zusammen­treffen mit Hitler von dessen Charisma fasziniert war und, wie dies häufiger be­richtet wird, vor allem von der Intensität seines Blicks schwärmte. Derartige Berichte nicht nur weiblicher Zeitzeugen - als ein Beispiel sei Smelsers Dar­stellung von Ernst HanfstaengI genannt - widerlegen einerseits die Deutung, bei der Wirkung des Führers auf Frauen habe es sich einfach urn ein massen­erotisches Phänomen gehandelt, enthalten aber durchaus Elemente schwärmeri-

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Angaben bis zum Jahr 1938 mehr als JO Millionen Urlauber. Auch wenn diese Zahl nicht nachprüfbar ist, kann die propagandistische Wirkung gerade der Urlaubsreisen nicht be­zwei feit werden. Vgl. Grube, Frank; Richter, Gerhard: Alltag im Dritten Reich. So lebten die Deutschen 1933-1945. Hamburg: Hoffmann u. Campe 1982, S. 123.

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scher Verehrung und lassen sich nicht nur durch die positive wirtschaftliche Entwicklung erklären, wie Giesecke (1993, S. 217) dies versucht. An den Satz "Wenn das der Führer wüBte" erinnem mehrere Interviewte sich nicht nur als Metapher, sondem auch als wörtliches Zitat, mit dem sie selbst und viele ande­re bei Zweifeln an der Wahrhaftigkeit der offiziellen Darstellungen als letzten psychologischen Halt wenigstens ihren Glauben an dieses Idol beschworen.89

Obgleich sie nicht zu den NS-Organisationen zählt, schei nt es doch an­gebracht, in diesem Zusammenhang auch die besondere Rolle zu erwähnen, die die Wehrmacht für die Befragten spielte. Von einigen als Teil des Regi­mes abgelehnt, von anderen als Gegengewicht zur Staatspartei geschätzt, bil­dete sie für alle ei ne unlösbar in das öffentliche Leben integrierte Kraft und bestimmte nicht unerheblich die allgemeine Atmosphäre. Dies gilt naturge­mäB in besonderem MaBe für die Kriegsjahre. Wenn selbst sonst allem Mili­tärischen femstehende Informantinnen aus dieser Zeit berichten, wieviel Sympathie sie für Soldaten in Uniform empfanden und welche Ablehnung bei ihnen der Anblick gesunder junger Männer in Zivilkleidung auslöste, so zeigt dies, wie weit von ihnen das von der nationalsozialistischen Propaganda geschickt genutzte Bild des Soldaten als Vaterlandsverteidiger internalisiert worden war. DaB die Wehrmacht nicht nur für das deutsche Volk, sondem de facto vor allem für den Erhalt der nationalsozialistischen Herrschaft kämpfte, geriet dabei aus dem Blick. Der Frage, wie weit sich einzelne Befragte mit dem vom Nationalsozialismus propagierten soldatischen Leitbild auch selbst identifizierten, wird an anderer Stelle (Kap. 5.5.1) nachgegangen.

Einen wichtigen Beitrag zur Selbstdarstellung des Nationalsozialismus und der einzelnen Organisationen leisteten öffentliche Veranstaltungen, seien es groBe Kundgebungen, Aufmärsche, Paraden oder Feierstunden aus den ver­schiedensten Anlässen. Auf derartige Ereignisse beziehen sich nur wenige In­formantinnen in ihren Berichten, soweit sie nicht - z. B. vom BDM aus - selbst daran teilnahmen. Von GroBveranstaltungen könnten die Eltem die jungen Mädchen nach Möglichkeit femgehalten haben, vor allem dann, wenn sie in ei­nem kleinen Ort wohnten, in dem selbst dergleichen nicht stattfand. Einzelne Befragte erinnem sich jedoch noch heute sehr deutlich an die suggestive Wir­kung solcher feierlichen Inszenierungen, bei denen sie sich, durch Musik und Ritual eingestimmt, von der Begeisterung der Menge mitreiBen lieBen, wie In­formantinnen mit seinerzeit ganz unterschiedlicher politischer Einstellung be­richten.

R9 Kershaw setzt sich ausführlich mit Entstehung und Wirkung sowie mit der propagandisti­schen Nutzung des Hitler-Mythos auseinander. Er bezieht sich auf zahlreiche Berichte und Dokumente, die die Wirkung der Person des Führers - sowohl in persönlichen Begegnun­gen als auch in der Distanz - belegen. Kershaw, Ian: Hitlers Popularität. Mythos und Realität im Dritten Reich. In Momm­senIWillems 1988, S. 24-52. Smelser, Roland u. a. (Hrsg.): Die braune Elite 11. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchge­sellschaft 1993, S. 137-149.

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M: "Wenn ich daran denke, wenn man auf sa einer Veranstaltung war, auf sa einer riesi­gen, in 'nem Stadion ader auch mal auf einem Feld ... all die Fahnen, die Farbe, das Zere­moniell, die Musik - ich muG gestehen, das konnte richtig zu euphorischen Zuständen führen, ich war da auch nicht van frei."

Den V orbeimarsch uniformierter Kolonnen müBten alle Befragten miterlebt haben. Einige berichten auch von dem Versuch, Aufmärschen auszuweichen, urn nicht am StraBenrand lange stillstehen und mit erhobenem Arm die Fah­nen grüBen und das Deutschlandlied und das Horst-Wessel-Lied mitsingen zu müssen. Tiefere Eindrücke hinterlieBen derartige Erlebnisse bei den Be­fragten anscheinend nicht. Lediglich eine kann noch heute nachempfinden, wie stark sie sich durch den Anblick der geordneten, einheitlich gekleideten Kolonnen ästhetisch angesprochen fühlte.

5.3.2.2 Medien

Die Bedeutung der Medien für die Totalerfassung der Bürger - oder "Volks­genossen", wie seinerzeit die Sprachregelung lautete - ist bekannt. Wie sie den InformationsfluB beherrschten und durch Beschränkung, Steuerung, Ver­änderung von Nachrichten eine künstliche Wirklichkeit schufen und wieviel Propaganda sie vermittelten, geben einige Erzählungen von Informantinnen anschaulich wieder.90 Danach spielte in den Elternhäusern der Befragten der Rundfunk die herausragende Rolle; die Entwicklung des Volksempfängers hatte sich für das Regime offensichtlich ausgezahlt.

Alle Interviewten erinnern sich an die Rundfunkübertragungen der Hit­lerreden und an die menschenleeren StraBen während dieser Zeit. Durch die soziale Kontrolle war gewährleistet, daB der Führer sein Volk zumindest aku­stisch weitestgehend erreichte; die Stimmlage, Intonation und Lautstärke ha­ben noch alle Befragten im Ohr. Einzelne berichten, daB in ihrer Familie das Radio gelegentlich pro forma laut eingestellt, die Sendung aber nicht ange­hört wurde. Dennoch haben alle Informantinnen, auch die jüngsten, selbst Reden des Führers gehört, sei es mit schwärmerischer Verehrung, sei es, weil sie ihnen daheim nicht ausweichen konnten oder weil die Reden im Schul­unterricht behandelt wurden. Neben den Ansprachen Adolf Hitlers erinnern die meisten Befragten sich an die nasale Stimme und die teils beschwörende, teils einpeitschende Redeweise von Joseph Goebbels.

Einprägsame Rundfunksendungen waren für die Befragten auch die Wehrmachtsberichte, noch mehr die durch ein musikalisches Signal ange-

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Zur Rolle der Medien vgl. Focke, HaraId; Strocka, Monika: Alltag unterm Hakenkreuz. Bd.3: Alltag der Gleichgeschalteten. Wie die Nazis Kultur, Justiz und Presse braun fárb­ten. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 1985, S. 1 1-76; Frei, Norbert: NationaIsoziaiistische Presse und Propaganda. In: Broszat, M; Möller, H. (Hrsg.): Das Dritte Reich. Herrschaftstrukturen und Geschichte. Vorträge aus dem Institut für Zeitgeschichte. München: Beck 1983, S. 152-175.

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kündigten Sondermeldungen während des Krieges, die von allen mit Interes­se verfolgt wurden, gleich, ob sie das Gehörte gläubig für bare Münze nah­men, skeptisch abwogen oder als Propagandalüge verwarfen.

Der Rundfunk unterstützte durch seine Programmgestaltung die Ziele des nationalsozialistischen Regimes, was im Laufe der Jahre - und vor allem im Krieg - immer deutlicher wurde. Abgesehen von denoffenkundig politi­sc hen und den Nachrichtensendungen erinnern Befragte sich an das Musik­programm, das immer mehr Märsche und Soldatenlieder enthielt, und an die beliebten Wunschkonzerte während des Krieges, die mit der Übermittlung von GrüBen zwischen Front und Heimat an die Emotionen der Hörer appel­lierten.

Von anderen Medien berichten die Interviewten sehr viel weniger. Die offizielle Tageszeitung, der "Völkische Beobachter", wurde vermutlich in vielen Elternhäusern gelesen, aber nur einzelne Befragte erinnern sich an ihn wegen seines ungewöhnlichen Formats. An die sogenannten "Stürmerkä­sten", in denen an markanten öffentlichen Plätzen das Blatt Julius Streichers aushing, erinnern sich wenige Informantinnen, aber nicht an Artikel daraus, die als rei8erisch und teilweise obszön verrufen waren.

Die Unzahl von Plakaten und propagandistischen Aufschriften auf Häu­serwänden oder Eisenbahnwaggons glauben die Befragten schlieBlich kaum noch bewuBt wahrgenommen zu haben, obgleich alle noch die eine oder an­dere Parole - "Räder müssen rollen für den Sieg", "Feind hört mit" usw. -kennen, die sich ihnen eingeprägt haben wie bekannte Werbeslogans.

Nicht oft werden in den Interviews die W ochenschauen erwähnt, die ein wesentliches Propagandamedium waren und sowohl dazu dienten, Informa­tionen gesteuert zu lancieren, als auch im Krieg erheblich dazu beitrugen, in der Bevölkerung das gewünschte Bild des tapferen, siegreichen deutschen Soldaten zu verankern. Für die meisten Befragten waren sie deshalb von minderer Bedeutung, weil sie nicht oft Gelegenheit hatten, das Kino zu besu­chen. An gewisse Spielfilme, deren Thematik während des Krieges zuneh­mend durch Intentionen der nationalsozialistischen Propaganda bestimmt war, wie " ... reitet für Deutschland", "Ohm Krüger", "Der groBe König" oder "Kolberg", erinnern sich dennoch einige Informantinnen als sehr eindrucks­voll. Seinerzeit nahmen sie die Filme lediglich als Unterhaltung wahr; heute sprechen sie ihnen ei ne längerfristige ideologische Wirkung nicht ganz abyl Das gleiche gilt, vermutlich in noch stärkerem MaBe, für die damals verbrei­tete und auch von den Interviewten gelesene Literatur nationalistischen und

91 In einer genauen Analyse von Spiel- und nichtfiktionalen Filmen aus der Zeit des Dritten Reichs deckt Hoffmann die Mechanismen der teils offenkundigen, teils subtilen ideolo­gischen Beeinflussung speziell durch dieses Medium auf, das vom Nationalsozialismus erstmalig so umfassend wie perfekt genutzt wurde. Hoffmann, Hilmar: "Und die Fahne führt uns in die Ewigkeit". Propaganda im NS-Film. Bd.l. Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch 1988.

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kämpferischen Inhalts, die nicht von nationalsozialistischen Autoren stam­men muBte, aber mit der offiziellen Ideologie weitgehend übereinstimmte. DaB ihr ei ne Funktion als nicht ganz offensichtliches Propagandamittel zuge­schrieben wurde, läBt sich aus den Interviewberichten ablesen, wonach der­artige Bücher, fast als einzige, auch noch zur Zeit der Papierknappheit wäh­rend des Krieges zu kaufen waren. Hier sind einerseits Verfasser wie Hans Grimm ("Volk ohne Raum"), Werner Beurnelburg ("Sperrfeuer urn Deutschland, "Gruppe Bosemüller") oder Hans Zöberlein ("Der Glaube an Deutschland") zu nennen, aber auch die zahlreichen Sammlungen germani­scher Götter- und Heldensagen für die Jugend.

5.3.2.3 Atmosphäre im Alltag

Wie stark der Alltag seinerzeit durch Anforderungen des nationalsozialisti­schen Systems bestimmt und wie vielfältig das Leben in der Öffentlichkeit mit nationalsozialistischen Symbolen und Ritualen durchsetzt war, wurde den Befragten offenbar nur noch gelegentlich bewuBt. Es fällt ihnen heute schwer, Beispiele für das zu finden, was damals selbstverständlich geworden war und kaum noch registriert wurde. Einige der Befragten - v. a. B, G, K und L - kommen dadurch zu dem SchluB, die Atmosphäre in ihrem Lebens­bereich sei gar nicht so umfassend vom Nationalsozialismus geprägt ge­wesen, obgleich ihre Berichte dem streckenweise klar widersprechen. Aber offenbar wurde diesen Informantinnen auch von den Erwachsenen durch de­ren Verhalten und ihre Deutung des Erlebten nicht das Gefühl ständiger Ein­griffe, Änderungen, Pressionen vermittelt. Andererseits lassen sich in den Berichten noch partielle Freiräume erkennen, die es dem einzelnen erlaubten, sich der totalen Erfassung und Kontrolle zu entziehen.

Der HitlergruB mit erhobenem Arm war als Symbol der neuen Ära be­sonders augenfällig. Einige Informantinnen erinnern sich an Situationen, in denen sie als Kinder von besonders regimetreuen Erwachsenen angehalten wurden, auch bei informellen Anlässen nicht mehr mit Knicks und "Guten Tag" zu grüBen, wie eigentlich noch üblich, sondern in der offiziellen Form mit erhobenem Arm und "Heil Hitler". Derartige Erlebnisse waren allerdings Ausnahmen. Gerade der Zwang zum einheitlichen politischen GruB forderte aber auch zu Akten der Verweigerung heraus, harmloseren, wenn nur ver­traute Umgangsformen nicht aufgegeben wurden, oder gefährlicheren, wenn es sich urn die provokante Demonstration einer abweichenden Gesinnung handelte, wie bei dem Vater und dem Schwiegervater von C, die sich als ho­he Offiziere auf diese Weise doppelt exponierten.

Auch die Aufforderung, zu den unterschiedlichsten Anlässen die Haken­kreuzfahne zu hissen, wurde nicht in den Familien aller Befragten ganz ohne Widerstand hingenommen. In der ersten Zeit des NS-Regimes wichen einige noch auf die alte Reichskriegsflagge aus; später konnte man das Plaggen

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schon einmal "vergessen haben" oder vorschützen, man habe nur Platz für ei­ne ganz kleine Fahne.

Einige Episoden finden sich in den Erzählungen, bei denen ähnliche Ausweichmanöver oder unauffällige Verweigerungen im Zusammenhang mit Aktionen wie dem Eintopfsonntag oder Haussammlungen - seltener bei den regelmäBigen StraBensammlungen des WHW (Winterhilfswerks) - von den Eltern der Informantinnen gewagt wurden. lm allgemeinen aber wurden der­artige Forderungen hingen ommen und im MindestmaB erfüllt. Der Verkauf der WHW-Abzeichen löste verschiedentlich sogar eine richtige Sammelwut aus. Einige Befragte erinnern sich noch an ganz bestimmte kunsthandwerk­lich geschmackvoll gestaltete Figuren, ei ne besitzt heute noch welche.

Was sich bereits in der Auswahl der von den Befragten für berichtens­wert erachteten Ereignisse zeigt, ist die Relevanz der Kriegsjahre als einer nicht nur für die Biographie der einzelnen auBergewöhnlichen Phase (s. Kap. 5.3.3), in der auch der Alltag viel stärker politisiert wurde, in der alle Hand­lungen im politischen Feld bedeutsamer, folgenreicher, unter Umständen ge­fährIicher wurden. Dennoch waren selbst in dieser Zeit lnformationsnetz und Kontrolle nicht engmaschig genug, urn die Verbreitung geheimen Wis sens, sogar solchen über Konzentrationslager und Judenverfolgungen, von Gerüch­ten oder auch von politischen Witzen ganz zu unterbinden, wodurch dann möglicherweise, nicht immer, die Wirkung der Propaganda beeinträchtigt wurde. E, F, M wurden auf diesem We ge in ihrer kritischen Haltung bestärkt, während C sich vor allen lnformationen, die sie hätten verunsichern können, verschloB.

L: "Wo wir in der KLV waren, hat ei ne Mitschülerin erzählt, ... daB diese Wirtin wohl manchmal auch sehr offen gesprochen hat und eh daB manchmal, kann ich rnich erinnern, hätte's so komisch in der Luft gerochen. Dann hätte die gesagt, aha, jetzt wäre's wieder so weit, also das kommt eh von dem nahegelegenen KZ her. Und daB sie dann die Wäsche nicht drauBen aufgehängt haben."

M: "Wir hatten dann in der Nähe (des KLV-Lagers) ein Konzentrationslager, die dann unsere Wäsche wuschen. Und dann waren da sa Zettel drin: Rufe bitte ader schreibe bitte ein Briefchen an Frau Sowieso in Berlin, ich lebe noch und bin da und da. ( ... ) Und diese Lehrerin hat das sofort weitergeleitet."

Beim Vergleich der Erinnerungen der Befragten zeigt sich wieder, daB bei al­len Gemeinsamkeiten in mancher Hinsicht keine genereIl gültigen Feststel­lungen möglich sind. Alle, gleich ob noch Kind oder schon junge Frau, trafen neben den Ansprüchen, die das Regime in dieser Zeit an jede einzelne von ihnen und an jede ihrer Familien steIlte, auf eine Öffentlichkeit, die weitge­hend durchsetzt war mit nationalsozialistischen Elementen. Dennoch war die Atrnosphäre nicht überall gleich, sondern hing von der direkten Nachbar­schaft und vom W ohnort ab, wie sich in der Gegenüberstellung der Berichte aus dem "roten" Solingen mit denjenigen aus BerIin oder Düsseldorf oder andererseits denen aus relativ unpolitisch gebliebenen kleinen Orten auf dem

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Lande zeigt. Deutliche Unterschiede bestanden nicht nur hinsichtlich des MaBes an allgemeiner Konvergenz oder Divergenz mit der herrschenden Ideologie sondern auch hinsichtlich der Reichweite der sozialen KontrolIe, die keineswegs nur von überzeugten Nationalsozialisten ausgeübt wurde.

Urn so mehr Gewicht gewann für die einzelnen der Rückhalt in der Fa­milie und deren Verhältnis zur Öffentlichkeit. Wo die Familie sich nach au­Ben abkapselte und Kontakte fast nur noch mit Verwandten und engen Freun­den gepflegt wurden, wie bei G, I und L, reduzierten sich auch die Mög­lichkeiten der Befragten, die nationalsozialistisch geprägte Öffentlichkeit bewuBt wahrzunehmen. Wo innerhalb der Familie eine offene argumentative Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Ideologie stattfand, wie bei E und M, waren die Befragten in Grenzen aufgeklärt und gegen allzu plumpe Propaganda immunisiert. Wo die Familie in ihrer Einstellung mit dem System übereinstimmte und sich dem Neuen bereitwillig öffnete, wie bei A und H, wurden die Erfahrungen der Befragten durch selektive Wahr­nehmung und einseitige Bewertung gefärbt. Bestätigt werden diese Feststel­lungen durch die Berichte der Informantinnen über diejenigen Zeiten, die sie in Lagern verbrachten, wo sie nicht wie beim BDM nach den Dienststunden wieder in die familiäre EinfluBsphäre zurückkehrten, sondern in den Sog der auBerhäuslichen ideologischen Beeinflussung gerieten.

Was in den Erinnerungen der Informantinnen an die Atmosphäre im Dritten Reich nicht besonders hervorgehoben wird, sich nur aus einer Summe von scheinbar nebensächlichen Eindrücken, Bildern, Bemerkungen erschlie­Ben läBt, ist ei ne unmerkliche Gewöhnung an die nationalsozialistischen MaBstäbe. Diese betrifft mehr oder weniger alle Befragten, unabhängig von ihrer seinerzeitigen Einstellung zum NS-Regime. Eine ganz wesentliche Rol­Ie spielte dabei die Sprache, sowohl als Mittel der Indoktrination als auch als Indikator für den Erfolg'der Beeinflussung. Die penetrant sich wiederholende Propaganda büBte im Laufe der Jahre etwas von ihrer direkten Wirkung ein; wirkungsvoller war die nicht immer so leicht als tendenziös erkennbare ein­seitige Darstellung von Ereignissen und Sachverhalten. Am unauffälligsten und gerade deshalb urn so gefährlicher war der EinfluB der allmählichen Ver­änderung des Sprachgebrauchs - durch Neueinführung oder Umdeutung von Begriffen, durch Wandlung von Konnotationen und durch Bedeutungsverla­gerungen, durch den bevorzugten Gebrauch bestimmter Wortbildungsfor­men.92 So schlichen sich unmerklich Elemente nationalsozialistischer Denk­wei se in die Ansichten und Wertvorstellungen der Adressaten, auch in die

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Eine Vielzahl von Beispielen für die Spraehe des Nationalsozialismus findet si eh bei Klemperer (LTl). Es ist interessant festzustellen, wieviel sieh von dem, was der Autor sei­nerzeit aufwies, in der Gegenwartsspraehe erhalten hat, aueh wenn dieser Zusammenhang heute meist nicht mehr hergestellt wird. Vgl. auch Sternberger, Dolf; Storz, Gerhard; Süskind, W.E.: Aus dem Wörterbuch des Unmenschen. Hamburg: Claassen 1957.

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der Befragten, ein und blieben lange, teilweise bis in die Gegenwart wirksarn, wie noch genauer dargestellt werden wird.

5.3.3 Kriegsjahre

Weshalb die Kriegsjahre gesondert behandelt werden, wurde bereits weiter oben erläutert.

Es sollen die persönlichen Erlebnisse während des Krieges und deren Wirkungen auf die Biographie der Befragten untersucht werden. Dabei wird zunächst gegenübergestellt, welche Ereignisse, Erfahrungen und Einstel­lungen aus dieser Zeit von den Informantinnen als für sie bedeutsam berich­tet werden. Dann werden die direkten und indirekten Auswirkungen der Kriegsereignisse und des Kriegsendes auf ihr Leben und ihre Entwicklung dargestellt, und es wird versucht aufzudecken, welche Faktoren die Verar­beitung der Erlebnisse in dieser Zeit beeinfluBten.

5.3.3.1 Erlebnisse

Die Berichte der Befragten über die Jahre von 1939 bis 1945 handeln von der Veränderung oder dem Verlust des vertrauten Lebensrahmens, von der Be­einträchtigung der Ausbildung, von Ortswechseln, meist verbunden mit dem Verlust der familiären Sicherheit, von materieller Not, von physischer Be­drohung und Verletzungen. Sie beschrei ben die psychische Belastung durch das Erleben von Extremsituationen und geben die damalige Einstellung der Informantinnen zum Krieg und seinem Verlauf wieder.

Die Befragten waren bei Kriegsbeginn zwischen sieben und fünfund­zwanzig Jahren alt. Einige erinnern sich noch an Einzelheiten des Tages, an dem der Ausbruch des Krieges verkündet wurde; wobei der gebräuchliche Begriff "Ausbruch" mit der Konnotation von "NaturgewaIt" und "Schicksal­haf tem" gleichzeitig die offizielle Lesart dieses Ereignisses darstellt. Die meisten akzeptierten die Darstellung der nationalsozialistischen Propaganda, der Führer habe den Frieden erhalten wollen, aber die Feinde Deutschlands hätten den Krieg ausgelöst. Nun werde man "zurückschlagen". Nicht alle Be­fragten nahmen seinerzeit diesen Tag als einen ganz besonderen wahr; heute fällt es ihnen allerdings schwer, das Wissen urn den späteren Verlauf des Krieges von den authentischen Erinnerungen an seinen Beginn zu trennen. Manchen teilte sich die Besorgnis ihrer EItern mit, vor allem, wenn der Vater Teilnehmer des Ersten WeItkriegs gewesen war.

C: "Und wir standen am StraBenrand und .. ein ganzes Regiment, das weiB keiner, wieviel das waren, mit bespannten, bespannten und berittenen eh Einheiten eh zogen und klap­perten und marschierten sie durch die StraBen. Und es war ganz still, und die Musik war zwar vorwegmarschiert, aber... dann war, war es ganz still. Und alles stand an der StraBe

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und keiner freute sich. Viele weinten auch; denn unsere Mütter hatten ja den Kriegsaus­bruch 1914 erlebt, und den Krieg 14/18, und unsere Väter auch natürlich. Und dann sind wir zum Bahnhof, wie die verladen wurden in die Güterwagen, und dann fuhren sie los, und dann hörte man noch das 'MuG i denn zum Städele hinaus'. Und zu Hause, da saGen wir mit meiner Mutter, und da kamen ja, kam die Stimme van Hitler: 'Ab heute früh wird zurückgeschossen.' Und da ... weinte meine Mutter und wir mil."

Andere wiederum glaubten, wie auch viele Erwachsene, zunächst opti­mistisch an einen baldigen Sieg der deutschen Wehrmacht. Für eine Befragte war der Kriegsbeginn der Beweis, daB ihr Vater, der diesen Krieg immer schon prophezeit hatte, auch sonst mit seiner negativen Einschätzung des Nationalsozialismus recht hatte, was sie bis dahin nicht hatte glauben wollen.

Die Auswirkungen der neuen Situation bekamen alle Informantinnen sehr bald in ihrem persönlichen Lebensbereich zu spüren. Als erstes machten sich im Alltag die Lebensmittelrationierung und die Verdunklung bemerkbar, wenn auch anfänglich ohne allzu einschneidende Konsequenzen. Wo der Vater, vielleicht auch der Ehemann, Soldat wurde, war die Familie sofort mehr als andere direkt betroffen.

Für die meisten Befragten waren die schweren Bombenangriffe in den Jahren 1943/44 die erste Konfrontation mit dem eigentlichen Kriegs­geschehen. Einige wenige kamen erst während des Endkampfes 1945 damit in Berührung.

Bis dahin hatten sie die Kriegssituation vor allem durch eine Reihe von Einschränkungen zu spüren bekommen. Die Bewirtschaftung von Lebens­mitteln und Gebrauchsgütern wurde sehr schnell zum Alltag. Keine der In­formantinnen berichtet, in den ersten Kriegsjahren Hunger gelitten zu haben. Die allgemeine Versorgungslage wurde auch während des Krieges nie so schlecht wie in dem berüchtigten "Steckrübenwinter" des Ersten Weltkriegs. Vor allem den Müttern gelang es, durch Rezepte, die nicht verfügbare Zu­taten durch andere ersetzten, durch "Organisieren" und geschicktes Wirt­schaften, ihre Familien einigermaBen ausreichend zu ernähren und gegen den Mangel abzuschirmen. Allenfalls das Anstehen vor den Geschäften wurde zu einem Teil der häuslichen Hilfe, die die Töchter zu leisten hatten. Auch bei der Beschaffung der Bekleidung gelang es den Müttern offenbar, die gröBte Not abzuwenden. Holz- und Strohschuhe, gekauft oder selbst hergestellt, er­setzten die Lederschuhe, vorhandene Kleidung wurde umgearbeitet, oder es wurden auch einmal Gardinen für die Anfertigung eines Tanzkleides verwen­det. Dies alles änderte sich in dem Augenblick, wenn ei ne Familie ausge­bombt wurde oder wenn die Befragten in einem Lager der KL V oder des RAD auf Gedeih und Verderb der Gemeinschaftsversorgung ausgeliefert wa­ren. Aus derartigen Situationen oder aus den letzten W ochen des Krieges stammen dann auch die Berichte von teilweise zum Trauma gewordenen Er­lebnissen gröBten Mangels und verzweifelter Anstrengungen bei der Nah­rungsbeschaffung. Die Erinnerungen an ekelerregendes Essen, an die Beteili-

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gung an der Schlachtung geliebter Kaninchen oder eines Pferdes, an Ham­sterfahrten oder auch nur an die Angst, beim Anstehen nach Lebensmitteln zu kurz zu kommen, beeinflussen noch heute das Verhalten einiger Infor­mantinnen. Sie berichten unter anderem von Hamsterkäufen, Angstzuständen beim Schlangestehen im Supermarkt und zwanghaften EBgewohnheiten.

Ein weiterer Bereich, in dem die Kriegsereignisse das Leben der Zivilbe­völkerung beeinträchtigten, waren die Verkehrsverbindungen. Private Reise­möglichkeiten wurden stark eingeschränkt, was für die meisten Informantin­nen jedoch zunächst ohne Bedeutung blieb. Gegen Ende des Krieges erlebten sie dann allerdings Fahrten in total überfüllten Zügen, die vielfach auch noch von Tieffliegern angegriffen wurden, oder muBten in den von Bomben zer­störten Städten weite Strecken zu FuB zurücklegen, weil keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr in Betrieb waren. Derartige Berichte finden sich in allen Interviews. Aber diese Bedingungen wurden als Erschwernisse des Alltags hingenommen, und die jungen Mädchen empfanden allenfalls Stolz, wie sie sie bewältigten, oh ne sich der Gefahren, denen sie dabei ausgesetzt waren, recht bewuBt zu werden.

Bis auf zwei waren alle Informantinnen bei Kriegsbeginn noch Schüle­rinnen. Auch das Schulleben veränderte sich sehr bald. Die eingezogenen Lehrer wurden durch alte, reaktivierte ersetzt, Schulen muBten geräumt wer­den, was zu Schichtunterricht führte. Im Laufe des Krieges fiel häufiger Un­terricht aus, sei es durch Fliegeralarme, sei es durch auBerschulische Aktio­nen. Die jüngeren Befragten nahmen notgedrungen an der KL V teil, weil ihre Heimatschulen geschlossen wurden. An den Evakuierungsorten war der Un­terricht allein schon durch die begrenzte Zahl der zur Verfügung stehenden Lehrer beeinträchtigt. Für die älteren Schülerinnen wurde das Abitur vorver­legt. Die betroffenen Informantinnen haben bis heute den Eindruck, die so entstandenen Lücken ihrer Schulbildung nie ganz aufgeholt zu haben. Wer wie Fund G nur das sogenannte "Notabitur" ablegte, besaB später keine gül­tige Hochschulreife.

Auch Berufswahl und Berufsausbildung wurden durch den Krieg beein­fluBt. Alle Abiturientinnen verloren ein halbes Jahr Ausbildungszeit durch die Verpflichtung zum Kriegshilfsdienst im AnschluB an den RAD. Das hatte für D, F, G die Konsequenz, daB sie vor Kriegsende kei ne Ausbildung mehr beginnen konnten und nach Kriegsende mit der Berufsrichtung vorliebneh­men muBten, die sich zufällig anbot. C unterbrach mitten im Krieg aus Über­zeugung ihr Studium, weil sie glaubte, auf ihre Weise in der Heimat etwas dem Dienst der Soldaten an der Front Entsprechendes leisten zu müssen. Letztlich kostete sie diese Entscheidung den Studienplatz und damit den ge­wünschten Beruf. Ähnlich erging es E, die durch ihre Einsätze beim Roten Kreuz und im Studentenausgleichsdienst nur wenige Semester ihres Medizin­studiums abschloB, so daB sie dieses nach dem Krieg, als weibliche Studie­rende erst ab einer bestimmten Semesterzahl an der Universität zuge1assen

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wurden, nicht mehr fortführen konnte und mit einer neuen Berufsausbildung beginnen muBte.

Von dem Luftkrieg wurden zunächst nur die LuftschutzmaBnahmen spürbar. Die Verdunklung wurde rasch zu einem Teil des Alltags, und die Befragten erinnern sich, wie bald sie sich an die abendliche Dunkelheit auf den StraBen mit kaum wahrnehmbarem Laternenlicht und abgeblendeten Fahrzeugscheinwerfern gewöhnt hatten und daran, die eigene Wohnung ab­solut sicher zu verdunkeln, und an die schrillen Rufe "Licht aus!", wenn dies nicht ganz gelungen war. Wie weit auch die VerdunkelungsmaBnahmen den Charakter des AuBergewöhnlichen verloren und sogar in der Mode ihren Niederschlag fanden, veranschaulichen die Erzählungen von den leuchtenden Anstecknadeln, die man im Dunkeln trug und kei nes wegs nur nach Brauch­barkeit, sondern auch nach modischen Kriterien aussuchte.

Die Fliegeralarme werden von allen Informantinnen, die nicht durch die Lage ihres W ohnorts nur wenige erlebten, als anfängliche Sensation, dann aber bald als Tortur beschrieben. Allein die häufige Unterbrechung des Nachtschlafs und der zunehmende Schlafmangel hinterlieBen bei vielen tiefe­re Spuren als viele andere Auswirkungen des Krieges. Hier konnten auch die Eltern ihre Kinder nicht mehr abschirmen, und manche Befragte erinnert sich ihrer totalen physischen und psychischen Erschöpfung. Hinzu kamen dann die schweren Luftangriffe mit Spreng- und Brandbomben, später auch mit TieffliegerbeschuB, die in wachsendem MaBe Todesangst auslösten. Mehr als eine Informantin reagiert noch heute traumatisch auf den Klang von Sirenen. Der Verlust des Geborgenheit bietenden Heims und des persönlichen Besit­zes durch die Bomben wird von den Betroffenen, jedenfalls im Rückblick, dennoch relativ gelassen geschildert.

F: "leh wollte bloS noch schlafen, schlafen, schlafen. Und ich weiS noch, daS ich weinend vor Müdigkeit vor meinem Bett stand. leh wollte nicht mehr in den Keiler, und dann ha­ben wir eine ganze Weile bei Bekannten geschlafen, auf dem Küchenboden jede Nacht. Die Sirenen, die weckten einen ja doch immer auf, ... die höre ich heute noch, kann ich auch gar nicht ertragen, wenn die jetzt mal heulen, dann schüttelt's mich richtig. leh hab bloS immer gedacht, wenn der Krieg mal vorbei ist, kann ich endlich durchschlafen. Spä­ter wurden wir dann auch ausgebombt."

I: "leh hab immer geträumt, von Fliegerangriffen. Und dann hatte ich Angst, daS die Luftminen uns die Lungen zerrissen, das hieS es doch immer, daS die das taten, und dann habe ich so ausgeatmet, wenn die so pfiffen .. heulten, also so .. so ... die hörte man doch, wenn die runterkamen."

Erschütternd war für die jungen Menschen die reale Erfahrung einer Bedro­hung von Leib und Leben. Diejenigen, die nicht aus den bombengefährdeten Gebieten evakuiert wurden, waren dem Anblick von Schwerverletzten und Toten, die durch die Brände zum Teil schrecklich entstellt waren, ausgesetzt. Eine Befragte wurde mit neunzehn Jahren bei einem Bombenangriff selbst halb verschüttet und durch Trümmer ihres Hauses erheblich verletzt.

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M " Bei diesem Tagangriff, da hab ich mich einfach in den Graben geschmissen, neben der StraBe. Die hatten keine .. eh eh die hatten Sickergruben, das ging ja alles in dieses eh .. da lag ich also in dem GÜllegraben. ( ... ) Und diese Sinnlosigkeit des Todes eines Jun­gen, der also da mit aufgeschlitztem Bauch und herausquellenden Därmen dann unten an unserer StraBe an der Hecke lag und der dann eben in diesem .. Zinksarg aufgebahrt war, mein Jugendfreund. DaB also ein Schulkamerad, genau so alt wie ich, so sinnlos da von einem Splitter getroffen, von Bomben, daB der da so leiden muBte. Und an derselben An­lage ging ich mit meiner Freundin, und wir wollten noch mal auf der Bank sitzen irgend­wie, und dann kamen die Tiefflieger. Und wir lagen dann auf dem Boden, mit dem Ge­sicht in diesem Dreck, und dann ging es tack tack tack tack tack ... "

E: "leh schloB gerade die Tür auf, da kam akute Luftgefahr, und gleichzeitig fielen zwei Bomben. Meine Eltern waren noch oben in der Wohnung, und durch diese Bombenein­schläge fielen die Türen und Mauerwerk auf uns, und wir konnten uns nicht befreien und haben die erste und zweite Angriffswelle nicht in den Keiler gekonnt, erst zwischen der zweiten und dritten WeiIe, da sind wir in den Keiler gerutscht. Inzwischen war das ganze Treppenhaus voll Schutt, und ich habe zu meinem Vater gesagt: 'Hier können wir nicht mehr raus.' Und er hat zu mir gesagt: 'leh glaube auch.' Wir sind dann doch rausgekom­men, und ich war im Gesicht verletzt. leh hatte die ganze rechte Zahnseite des Oberkie­fers herausgeschlagen bekommen, auch mit einem Stück Kieferknochen. Wir hatten den ganzen Mund voller Glassplitter, besser: Glaspulver, aber wir merkten das gar nicht."

Einige Informantinnen wurden im Kriegshilfsdienst bei der Flak eingesetzt, oh ne sich immer bewuBt zu sein, daB sie damit zur kämpfenden Truppe ge­hörten. Eine leitete einen Rettungstrupp für Bombenopfer. Der physisch sehr anstrengende Einsatz bis zur totalen Erschöpfung, die Last der Verantwor­tung, die ständige Lebensgefahr und die bedrückenden Bilder von Tod und Verwüstung forderten den jungen Frauen und Mädchen die letzten Kraftre­serven ab.

Darüber hinaus brachen diese Ereignisse ein Tabu. Die bis dahin gültige Trennung zwischen der Welt der Soldaten mit dem direkten Erleben des Krieges und derjenigen von Frauen und Kindern, die beschützt und dem Kampf mit Waffen ferngehalten worden waren, war aufgehoben. Bis dahin war die Aufgabe der deutschen Frau stets auf die Fürsorge für den Mann, den Bereich des Helfens, Versorgens, Pflegens beschränkt geblieben. Im Gegen­teil, die russischen Soldatinnen waren von der nationalsozialistischen Propa­ganda als verabscheuungswürdige Flintenweiber angeprangert worden,93

93 Zwei BeispieIe dafür, wie sich der MaBstab dessen, was Mädchen und Frauen zuzumuten sei, im Verlauf des Krieges verschob: Im Sommer 1944 forderte das Oberkommando der Wehrmacht die Verwendung der Schülerinnen der zukünftigen 8.Klassen der Oberschulen aIs Wehrmachtshelferinnen. Die Reichsjugendführung lehnte dies ab und sprach sich "für einen Einsatz in erzieherischen Berufen, denen die Mädels näherständen" aus. Jahn­ke/Buddrus 1989, S. 384. Im März 1945 wurde bereits die Aufstellung von bewaffneten "Frauen-Bataillonen" dis­kutiert. Nach eigenen Angaben lehnte die BDM-Reichsreferentin Jutta Rüdiger diese ka­tegorisch ab, während der Reichsjugendführer Axmann sie befürwortet habe. Rüdiger 1983, S. 305 f. Nach anderen Quellen wurde ein solches Bataillon jedoch noch gebildet. V gl. Bab. Betti-

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Jetzt übernahmen die Befragten aktiv bis dahin den Männern vorbehaltene Rollen im Kampfgeschehen, ohne sich allerdings dieses Tabubruchs bewuBt zu werden. Sie unterwarfen sich den männlichen Normen und empfanden Stolz, wenn sie diesen entsprachen und wenn sie - so D - "genauso ihre Pflicht taten wie die Soldaten".

H: "Da kam der Instinkt des alten Soldaten in meinem Vater wieder hoch, und den hat er auf mich übertragen. Wenn die Tiefflieger kamen, rief er immer: ,Deckung!' Das habe ich dann gelernt. ( ... ) Vnd als er weg war, habe ich alles für meine Mutter organisiert ( ... ) und auch immer aufgepaBt. Vnd als dann Panzeralarm kam und die da oben alles beaasten, da habe ich uns verbarrikadiert, im Keiler. Oben war ja der Teufellos! Nachher waren alle Fenster kaputt im Haus. BloB bei uns nicht. Zum Glück hatte die Kleine ja die Fenster ausgehängt."

E: "Aus der brennenden BismarckstraBe in Düsseldorf hatte ich mit meiner Gruppe von (DRK-) Mädchen die Menschen herausgeholt. Vnd nun waren wir inzwischen vom Feuer total umschlossen. Vnd da hörte ich Schreie aus der Richtung Bahnhof, und plötzlich kam ein ganz starker Wasserstrahl, und die älteren Feuerwehrmänner, aber die hielten sich et­was vom Feuer zurück, und die riefen: 'Lauft da durch!' Vnd als ich als letzte ankam, fing mich ein Offizier auf, der war auf Fronturlaub und half, und der sagte zu mir: 'Fräu­lein, so was müssen wir nicht an der Front machen!'

In den letzten Kriegstagen gerieten alle Befragten in die Kämpfe zwischen den zurückweichenden deutschen Truppen und den Alliierten. Sie erlebten Tieffliegerangriffe, Panzereinsätze, ArtilleriebeschuB und fanden sich im Zentrum von Infanteriekämpfen. Sie muBten urn ihr Leben bangen, und eini­ge von ihnen muBten den Tod Gleichaltriger miterleben.

Die meisten befanden sich in Gebieten, die zunächst von den Ameri­kanern erobert wurden. Zwei Informantinnen lebten in der späteren Sow­jetischen Besatzungszone. Anderen gelang es, vor Übernahme ihres Gebietes durch die Russen auf abenteuerliche Weise nach Westen in ihre Heimatorte zurückzukehren. Alle Befragten erinnern sich an die weiBen Tücher, die zum Zeichen der Kapitulation aus den Häusern hingen. Viele sahen sie mit groBer Erleichterung; ei ni ge aber empfanden ein Gefühl tiefer Scham, daB die Volksgenossen, erklärte Nationalsozialisten oft sogar als erste, sich so "wür­delos dem Feind ergaben".

E, die sich "befreit" fühlte - eine Formulierung, die andere Befragte be­wuBt ablehnen -, berichtet von Szenen der Begeisterung auf den StraBen ih­res Wohnviertels, als die Amerikaner die Stadt Solingen erobert hatten. An­dere Informantinnen erlebten ei ne eher bedrückte Stimmung. Die Unsi­cherheit, wie die "Feinde" sich den Deutschen gegenüber verhalten würden, löste zunächst Angst aus. Die Befragten hatten aber keine besonders negati­ven Erlebnisse, auch nicht diejenigen, die in der Nähe nunmehr aufgelöster Fremdarbeiter- oder Kriegsgefangenenlager wohnten. Ein paar Diebstähle

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na: "Frauen helfen siegen". In: Kuhn, Annette (Hrsg.): Frauenleben im NS-Alltag. Pfaf­fenweiier: Centaurus 1994.

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und Beschlagnahmungen wurden relativ gelassen ertragen. Ausgerechnet E, deren Vater Kontakt zu oppositionellen Kreisen gehabt hatte, wurde als Mit­glied des DRK als einer NS-Organisation kurzfristig zu Aufräumarbeiten zwangsverpflichtet, was sie aber ohne groBen Widerstand akzeptierte. Die übrigen Befragten waren weder von derartigen StrafmaBnahmen noch von der Entnazifizierung persönlich betroffen.

Dann begann der neue Alltag, reglementiert und eingeschränkt, aber ohne Bedrohung des Lebens. Die Erzählerinnen erinnern sich noch heute, wie dank­bar sie waren, endlich ohne Fliegeralarm nachts durchschlafen zu können.

Die Versorgungslage war schlecht. Die Mehrzahl der Befragten hatte im Krieg Wohnung und Besitz zumindest teil wei se eingebüBt. In den meisten Familien fielen die Väter - oder Ehemänner - zunächst als Ernährer aus, weil sie noch in Gefangenschaft waren, kei ne Arbeit fanden oder durch die Entna­zifizierung ihren Posten verloren. Wieder, wie schon im Krieg, sprangen die Mädchen und jungen Frauen ein. Einige der Befragten nahmen primitivste Arbeiten im Haushalt oder in der Landwirtschaft an, urn ihre Familie zu un­terstützen.

Damit waren zunächst noch nicht grundlegend andere Verhaltensmuster als während der Kriegszeit erforderlich. Der eingeübte Aktivismus wurde von vielen beibehalten und stand einer Reflexion der jüngsten Vergangenheit ebenso wie einer bewuBten Neuorientierung im Wege. Wenige Befragte hat­ten Gelegenheit und Interesse, so wie E, die kulturellen und politischen An­gebote der Alliierten zur "Umerziehung" der Deutschen zu nutzen. Als nach und nach die Einzelheiten über die NS-Verbrechen bekannt wurden, lösten sie bei den Informantinnen Entsetzen, bei einer auch Unglauben aus. Interes­santerweise wissen viele von ihnen nicht mehr, wann und wie sie darüber in­formiert wurden. Von sich aus waren nur wenige der Befragten an einer weiteren Aufklärung interessiert. Sie wollten das Kapitel Nationalsozialismus für sich rasch und endgültig abschlieBen (vgl. Kap. 5.4).

5.3.3.2 Verarbeitung

Die Erfahrungen der Kriegsjahre hinterlieBen bei den Betroffenen tiefe, oft lebenslange Spuren. Die biographische Bedeutung dies er Zeit für die einzel­nen Befragten ist dennoch unterschiedlich. Zunächst hängt sie naturgemäB von AusmaB, Schwere und Dauer der Erlebnisse ab. Dann war es wesentlich, ob die Befragten sich in ihrer Familie geborgen fühlen konnten oder ob diese sich veränderte oder auflöste, wenn etwa der Vater eingezogen und die Mut­ter dienstverpflichtet wurde oder wenn die Tochter sich allein in einer Lager­gemeinschaft behaupten muBte.

Das Lebensalter scheint keine relevante Rolle für die unterschiedliche Verarbeitung der Kriegserlebnisse gespielt zu haben. Es finden sich in den Berichten älterer wie jüngerer Informantinnen Beispiele für ei ne relative In-

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dolenz (A, D, L) ebenso wie für die differenzierte Wahrnehmung von Ereig­nissen (C, E, M).

Der Glaube an einen deutschen Sieg jedoch beeinfluBte die Stimmung und damit die Einsatzbereitschaft vieler Informantinnen. Der Kriegsbeginn war von den meisten nicht begrüBt worden. Für zwei Befragte wurde er sogar zum Schlüsselerlebnis, das ihre bis dahin relativ positive Einstellung zum Nationalsozialismus schlagartig veränderte. Doch die anfänglichen Erfolge der deutschen Wehrmacht lösten in vielen Familien - auch in solchen, die der nationalsozialistischen Ideologie fernstanden - euphorische Siegesvor­stellungen aus. Der Euphemismus "Blitzkrieg" ist einer Reihe von Informan­tinnen aus dieser Zeit noch geläufig. Für die meisten Befragten begann der Ernst des Krieges erst in den Jahren 1943/44, wobei Stalingrad bei vielen ei­nen BewuBtseinswandel einleitete, auch wenn sie bis dahin noch in den Jubel über die deutschen Siege mit eingestimmt hatten. Die rasant wachsende Zahl gefallener, vermiBter und schwer verwundeter Soldaten waren jeder der Be­fragten bewuBt, sei es durch die Todesanzeigen, über betroffene Verwandte und Bekannte oder durch Begegnungen in der Öffentlichkeit.

C: "Und dann kamen sehr bald, dann verschwand mal da eine meiner Mitschülerinnen vom Essen, mal da eine, da war nämlich immer die .. Postausgabe. Und dann sah man sie mit 'ner schwarzen .. Armbinde an der Jacke oder so. Und ... dann gingen viele auch weg von der Schule, weil ihre Väter gefallen waren. Es war grau-, wirklich grausig."

M: "Im Lazaretteinsatz, da muBten wir sie besuchen, diese Soldaten, also Kopfschüsse, schreckliche Verbrennungen, die also Hauttransplantationen hatten. Dieses Abhärten, Kinder müssen es ertragen können, einen Mann mit einem zerfetzten Gesicht zu sehen. Nur, wir haben ja die schweren Fälle gar nicht gesehen. Die Verwundeten kamen dann und liefen .. unter den Bandagen liefen ihnen da so die Tränen herunter."

Einen weiteren AnstoB zur Reflexion bildeten die Ereignisse urn den 20Juliy4 Die Wirkung auf die Informantinnen war unterschiedlich und reichte von Empörung und verstärkter Solidarisierung mit den nicht opponie­renden Soldaten (A, C, D) bis zur Enttäuschung, daB ei ne letzte Chance auf ein glimpfliches Ende des Krieges vertan schien (F, G). Die Familie von C hatte unter den Verhafteten des 20. Juli persönliche Freunde. Dennoch ent­stand für den Vater der Befragten, und damit auch für sie selbst, kein Loya­litätskonflikt. Der Vater fühlte sich allein seinem Eid als Offizier verpflichtet, die Tochter sah sich als Teil der Notgemeinschaft des deutschen Volkes, oh­ne Ansehen politischer Positionen.

Trotz des Rückzugs der deutschen Truppen an allen Fronten gegen Ende des Krieges glaubten etliche Befragte, genau wie ihre Eltern, bis zum SchluB

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Wenn man eine gewisse natürliche jugendliche Unbekümmertheit berücksichtigt, ent­spricht die "Stimmungskurve" der Befragten in den Kriegsjahren in Abhängigkeit von be­stimmten Ereignissen in etwa derjenigen der Gesamtbevölkerung, wie sie sich aus gehei­men nationalsozialistischen Lage- und Stimmungsberichten ebenso wie aus denen der SOPADE ablesen läBt. Vgl. u. a. Broszat 1977.

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an die Möglichkeit ei nes deutschen Sieges. Wer, wie die meisten der Inter­viewten, nur über die bruchstückhaften, oft widersprüchlichen offiziellen In­formationen verfügte, die schlieBlich sogar ganz ausblieben, vertraute - wie A, C, D, G, H dies berichten - urn so eher auf Gerüchte, denen zufolge Ge­heimwaffen und die häufig beschworene "Ersatzarmee Wenck" im letzten Augenblick die Rettung bringen würden.

C: "In unserem Nachbarhaus war ein Offizier aus dem OKW (Oberkommando der Wehr­macht) einquartiert, und der hat erzählt, ja em das würde, wir hätten noch 'ne Geheimwaf­fe, und die Russen würden da stehen b\eiben, ganz sieher. Und daB der Führer selbst die Verteidigung von Berlin leitete."

D. "Und natürlich haben wir geglaubt, die V 2 kommt noch und so neue geheime Flug­zeuge. Und dann natürlich die Ersatzarmee Wenck. Darauf haben wir immer gewartet. Davon wurde doch immer geredet. Und auf die Soldaten haben wir em schon auch ver­traut."

Die Kapitulation der deutschen Wehrmacht kam so für viele trotz der deso­laten militärischen Lage überraschend und stürzte sie zunächst in Enttäu­schung und Verwirrung. Nur langsam vermochten sie für sich eine neue Ori­entierung zu finden; einige benötigten dazu Jahre ihres Lebens (s. hierzu aus­führlich Kap. 5.4).

Die Einstellung der Befragten zum Krieg wie zum Nationalsozialismus hing nicht direkt von eigenen Erlebnissen ab. Wie den Erzählungen von A, C, D, H, K zu entnehmen ist, hatte die persönliche Konfrontation mit dem Kriegsgeschehen eher einen solidarisierenden als einen distanzierenden Ef­fekt, teilweise bewirkte sie sogar einen starken Motivationsschub; und umge­kehrt haben auch solche Informantinnen - z. B. Fund I - den Krieg in schrecklicher Erinnerung, die weniger als andere selbst davon betroffen wa­ren.

Wesentlich waren die Verarbeitungshilfen, die den Befragten für ihre Erlebnisse zur Verfügung standen oder die sie sich selbst konstruierten und die wiederum von dem Grad der Konvergenz oder Divergenz ihrer Ein­stellung zur nationalsozialistischen Ideologie und gegebenenfalls von der Bindung an ein konkurrierendes Wertesystem beeinfluBt waren. Allerdings dienten die se Hilfen in den überwiegenden Fällen nur zur Bewältigung der aktuellen Situation, die eigentliche Aufarbeitung der Erlebnisse wurde aufge­schoben und muBte später nachgeholt werden. Die insgesamt dem National­sozialismus gegenüber positive Gestimmtheit von A, D und H stärkte auch ihre Zuversicht in einen guten Ausgang des Krieges und gab ihnen Rückhalt bei der psychischen Bewältigung belastender Erlebnisse. C, die dem Natio­nalsozialismus als politischer Bewegung fernstand, in den von ihm vertrete­nen Werten aber viele ihrer eigenen preuBisch-protestantischen Überzeugung wiederzufinden glaubte, fühlte sich durch die Kriegssituation aufgerufen zu selbstloser patriotischer Pflichterfüllung. Der schwere, aufopferungsvolle Dienst beim DRK, den sie bis zum physischen Zusammenbruch ausübte,

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vermittelte ihr trotz der Überforderung und der lastenden Verantwortung emotionale Befriedigung und einen gewis sen Stolz auf das Geleistete. Das Loyalitätsgefühl für ihr Vaterland gebot ihr auch, jeden Zweifel an der Not­wendigkeit dies es Krieges zu unterdrücken. E, die seit Kriegsbeginn mit kri­tischem Blick viele MiBstände des Nationalsozialismus entdeckt hatte, stürzte sich in rastlose Aktivität im humanitären Bereich, die ihrem christlichen Glauben entsprach. Die Arbeit bis zur totalen Erschöpfung half ihr gleichzei­tig, die entsetzlichen Bilder von Tod und Zerstörung aus ihrem BewuBtsein zu verdrängen, denen sie sich bei ihrem Einsatz zur Rettung von Bombenop­fern gegenübersah. Jahre später, als sie einen totalen physischen und psychi­sc hen Zusammenbruch erlitt, holten die Erinnerungen sie wieder ein und lie­Ben sie seitdem nie wieder los. Andere Befragte hatten in der durch den Krieg verschärften Lagersituation im RAD oder in der KL V ein Gefühl hilf­losen Ausgeliefertseins und wuBten den auBergewöhnlichen Belastungen, auch Schikanen durch die Lagerleiterinnen, meist nicht zu begegnen.

Wie aus den Berichten deutlich wird, wurde das Verhalten der Befragten in dieser Zeit wesentlich durch das individuelle Aktivitätspotential bestimmt. Diejenigen, die von ihrer Persönlichkeitsstruktur her ihre Lebenssituationen aktiv zu gestalten gewohnt waren, suchten sich selbst ein Aufgabenfeld, das ihre ganze Kraft forderte, ihnen aber auch ein gewisses MaB an Eigen­verantwortung bot. Diejenigen, die zu einer mehr pass iv erduldenden Hal­tung neigten, fügten sich auch jetzt in die Rolle des Opfers. Die meisten wuchsen aber an den Herausforderungen und reagierten schlieBlich, wenn der Druck zu stark wurde, mit heftiger Gegenwehr oder entwickelten zumin­dest auf Zeit ein ihrer Persönlichkeit sonst fremdes MaB an Initiative und Selbständigkeit, wie F, G und L.

Für die Identitätsentwicklung der Befragten erwiesen die Kriegsjahre sich so als eine Lebensphase der äuBersten Belastung, aber auch der Bewährung. Fast alle waren für längere Zeit entfernt von ihrem Elternhaus auf sich selbst gestellt, was bei ihnen einerseits Ängste, andererseits Reifungsprozesse aus­löste. Bei der Bewältigung von Ernstsituationen waren die jungen Mädchen nicht nur gezwungen, über ihr Alter hinaus Verantwortung zu übernehmen, sondern konnten auch ihr traditionelles weibliches Rollenrepertoire erweitern. Das erleichterte ihnen das Ertragen der schweren, oft traumatischen Erlebnisse und verlieh diesen durch das Gefühl von Selbstbestätigung und Stolz auf das Geleistete in der Erinnerung sogar auch eine gewisse positive Färbung.

Wie sehr dennoch die Erfahrungen aus den Kriegsjahren auf den Inter­viewten lasteten, läBt sich daraus ablesen, daB die meisten seitdem jede Art kriegerischer Auseinandersetzung prinzipiell ablehnen. Wenn dann allerdings von einigen zur Begründung ihrer Einstellung auf das unrühmliche Kriegsen­de und die entsetzlich hohe Zahl deutscher Opfer hingewiesen wird, drängt sich die Frage auf, ob ein für Deutschland günstigerer Ausgang in den Augen dieser Befragten den Krieg weniger schrecklich hätte erscheinen lassen.

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5.4 Biographische Bedeutung des Jahres 1945

5.4.1 Zusammenbruch und Neuanfang?

Die Interviewten beschreiben die Umwälzungen im Jahr 1945 als einen ent­scheidenden Einschnitt in ihrer Biographie, trotz der Erleichterung über das Ende der Kamptbandlungen auch verbunden mit Verunsicherung und negati­ven Gefühlen. Die sehr schwierigen Lebensverhältnisse, das allmähliche Be­kanntwerden der NS-Verbrechen, vor allem aber der Zwang, sich völlig neu zu orientieren, fallen den Befragten als hervorstechend ein, wenn sie sich an diese Zeit erinnern.

Bei der Bewältigung der neuen Situation wie auch bei der Verarbeitung der bis dahin zurückgedrängten Eindrücke und Erlebnisse erhielten die Be­fragten so gut wie keine Hilfe. Die aktuellen Versorgungsprobleme lieBen kaum Raum für andere Gedanken; das Geschehen der jüngsten Vergangen­heit wurde in den meisten Familien wenig oder gar nicht thematisiert. Im Ge­genteil, man versuchte, so rasch wie möglich zur "Normalität" zurückzukeh­ren und das alte Leben mit den von früher vertrauten Verhaltensmustern wie­der aufzunehmen.

Hinzu kam, daB die Jugend nun nicht mehr die privilegierte und umwor­bene Gruppe war wie in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft. Urn so schmerzlicher war gerade für die vorher aktivsten unter den Befragten nach der Euphorie der Bewährung das Erwachen. Sinn und Ziel ihres bishe­rigen Handelns existierten nicht mehr. Sie muBten sich jetzt unter Bedin­gungen bewähren, auf die sie in keiner Wei se vorbereitet worden waren und für die ihnen Wertorientierungen und Handlungsmuster fehlten. Wer von den Befragten sich besonders engagiert und mit Entscheidungsgewalt verbundene Verantwortung getragen hatte, erlitt nun einen doppelten Statusverlust. Die Frühreife auf Zeit wurde ihnen wieder aberkannt; sie hatten zu ihren alten, mit sehr viel weniger Selbständigkeit ausgestatteten Rollen zurückzukehren.

Als Mädchen oder junge Frauen waren die Befragten doppelt betroffen. Auch die während des Krieges und in der ersten Nachkriegszeit meist veränder­te familiale Rollenverteilung nun erneut umzustellen war für alle Beteiligten nicht einfach. Die Männer erwarteten, ihre selbstverständliche Dominanz wie­derzugewinnen, die Frauen in den Familien - Mütter wie Töchter - wurden da­mit nicht nur von einer lastenden Verantwortung befreit, sondern muBten auch auf einen erheblichen Teil der zeitweilig gewonnenen Freiheit und Selbständig­keit verzichten. Nicht allen Befragten gelang eine rasche Umorientierung, bei manchen war sie ein längerer ProzeB, der nicht ohne Spannungen innerhalb der Familie ablief. A, E und F wehrten sich dagegen, H und L bedauerten die Ver­änderung, schickten sich aber darein, G nahm sie mit Erleichterung auf.

A: "Und mein Mann hat mir nicht nur einmal gesagt: 'Ich weiB gar nicht,' - und das muB man mal gut hören, was er gesagt hat - 'du warst so ein sanftes Täubchen, und ich war so an­fallig dafür, ich fand das so toll. Du bist so har t geworden!' Damit ist alles gesagt. Die

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Trümmerfrauen muBten das, was die Männer kaputtgemacht hatten, wieder aufbauen, und sie hätten, als sie zurückkamen, doch so gerne so 'ne sanfte .. Kuh gehabt. So war's. Vnd so war es auch, wenn sie beruflich mit Frauen zu tun hatten. Das war sicher... du kannst dich ja nicht zurückentwickeln. Daran ist bestimmt auch manche Ehe kaputtgegangen."

G: "leh war'n biBchen verwöhnt, ich wollte doch nicht immer .. wie'n Mann .. , ich hab mir gewünscht, mal wieder so richtig auf Händen getragen zu werden."

Wie nachhaltig die Veränderungen des Jahres 1945 sich auf das Leben der Befragten auswirkten, hing aber vor allem entscheidend davon ab, wie eng die einzelnen der nationalsozialistischen Ideologie als dem bis dahin das Le­ben in Deutschland bestimmenden Wertesystem verbunden gewesen waren: wie weit sie sie als ihr Deutungsmuster internalisiert hatten, ob und wann Di­stanzierungsprozesse abgelaufen waren und wann und in welcher Form eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus als Ganzem erfolgte. Am heftigsten muBte das schreckliche Ende des Krieges dann diejenigen treffen, die bis zum SchluB an die Legitimität des nationalsozialistischen Staates und an einen deutschen Sieg geglaubt hatten.

Deshalb solI noch einmal näher betrachtet werden, was die einzelnen Be­fragten über ihre Einstellung zum Nationalsozialismus und deren Entwick­lung im Laufe der Zeit - auch über das Ende des Dritten Reiches hinaus und bis heute - mitteilen, über ihre eigene Sichtweise, ihre Beobachtungen und Reflexionsprozesse.

Vergleicht man die diesbezüglichen ÄuBerungen in den Interviews, so zeigen sich hinsichtlich der Einstellungen und Handlungsorientierungen bei allen generationsbedingten Gemeinsamkeiten doch charakteristische Unter­schiede bei den Befragten.

Klafki ordnet das Verhalten junger Menschen im Dritten Reich entspre­chend dem Grad der Übereinstimmung mit dem Nationalsozialismus fünf idealtypischen Formen ZU. 95 Er setzt zwar voraus, daB nur Annäherungs- und

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Kafki nennt I. den überzeugten jungen Nationalsozialisten, der sich voll mit dem NationaIsozialis­

mus identifizierte, 2. den Mitläufer, der sich bei mittlerem oder geringem Engagement zumindest partiell

mit dem erlebten Anspruch oder Angebot des NationaIsozialismus identifizierte, 3. den Pragmatiker, der bei selektiver Identifikation mit Teilelementen dessen, was er aIs

Programmatik und ReaIität des NationaIsoziaIismus erfuhr, sich dasjenige zunutze machte, was ihm für seine subjektiven Interessen geeignet schien, und andererseits ver­suchte, sich den sonstigen Anforderungen des Regimes so weit wie möglich zu ent­ziehen,

4. den Distanzierten, Sich-Entziehenden oder Resistenten, der die programmatischen und faktischen Charakteristika des nationalsoziaIistischen Herrschaftssystems ab­Iehnte, sich dessen Ansprüchen soweit wie möglich entzog und seine AntihaItung oder sein Nicht-Mitmachen mehr oder minder deutlich zeigte oder aber durch Scheinanpassung maskierte,

5. den aktiv Widerstehenden, der eigene Formen des Widerstandes entwickelte oder sich bereits bestehenden Gruppen anschloB.

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Mischformen der Typen in der Realität zu finden gewesen seien; aber auch mit dieser Einschränkung lassen sich die Befragten der vorliegenden Unter­suchung hier nur bedingt, einige gar nicht zuordnen.

B, D, H, K entsprechen am ehesten Varianten des Typs der "Mitläufe­rin". F, G, I und evt. auch L könnten dem Typ der "Sich-Entziehenden oder Resistenten" in unterschiedlicher Ausformung zugerechnet werden. Die bei­den extremen Typen der "überzeugten Nationalsozialistin" und der "aktiv Widerstehenden" sind gar nicht vertreten. A verhielt sich trotz ihrer vehe­ment erklärten nationalsozialistischen Überzeugung zu passiv, urn unter den ersteren Typ zu fallen; der letztere dürfte ohnehin sehr selten zu finden sein.

E und z.T. auch C projizierten die an sie gestellten Ansprüche des Natio­nalsozialismus auf ein anderes Wertesystem, welches für sie bestimmend war, das des protestantischen Christentums. Auf diese Wei se blieben sie in der Ausnahmesituation des Kriegseinsatzes handlungsfähig; denn die konkre­ten Forderungen beider Wertesysteme deckten sich partielI so weit, daB die Befragten scheinbar, oh ne mit den nationalsozialistischen Normen in Kon­flikt zu geraten, in Übereinstimmung mit den christlichen Geboten handeln konnten. C glaubte, beiden Wertesystemen gerecht werden zu können; deren fundamentale Unterschiede erkannte sie erst im nachhinein. E glaubte sich dem Nationalsozialismus zu verweigern; de facto hatte sie sich dennoch täu­sc hen und vereinnahmen lassen, wie sie viel später erkannte.

Diese zuletzt beschriebene Haltung läBt sich in der Aufzählung Klafkis keinem Typ zuordnen. Die betreffenden Informantinnen waren eben keine "Pragmatikerinnen", da sie gerade nicht die Verwirklichung subjektiver In­teressen verfolgten, sondern - im übertragenen und wörtlichen Sinn - zur Selbstaufopferung für die politisch gegebene Gemeinschaft bereit waren; da­bei verfremdeten sie aber die gebotene ideologische Legitimierung ihrer Hal­tung. Man könnte diesen weiteren Typ vielleicht als "Umdeuter" bezeichnen und müBte danach unterscheiden, ob sich die Selbsttäuschung auf die natio­nalsozialistische Ideologie, wie bei C, oder auf die Freiheit des eigenen Han­deins, wie bei E, bezog.

Es scheint, als eigne sich das gesamte Schema Klafkis bes ser zur Erfas­sung der Haltungen männlicher als weiblicher Jugendlicher aus der Generati­on der Informantinnen. Letztere neigten in der mittleren Jugend- und der Adoleszenzphase generell kaum dazu, aufzubegehren oder als Tabubrüche zu wertende Handlungen zu erproben, wie sie dies bei ihren männlichen AI­tersgenossen erlebten.

Die Haltung der mei sten Interviewten läBt sich so beschreiben, daB sie sich bemühten, im Einklang mit den ihnen im Nationalsozialismus begeg­nenden Anforderungen zu leben, indem sie sie unreflektiert hinnahmen und

Vgl. Klatki, Wolfgang: Typische Faktorenkonstellationen für Identitätsbildungspro­zesse von Kindem und Jugendlichen im Nationalsozialismus im Spiegel autobiogra­phischer Berichte. In: BerglEllger-Rüttgardt 1991, S. 161 f.

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sich unauffällig angepaBt verhielten oder indem sie ihre abweichende Ein­stellung maskierten. In der Mehrzahl hatten sie ein ausgeprägtes Harmonie­bedürfnis, das sie wünschen lieB, im Einvernehmen mit den Autoritätsperso­nen und deren Normen leben zu können, wie dies ihrer stark auf Wohlver­halten und weibliche Anpassung ausgerichteten Erziehung entsprachY6

Der moralisch-politische IdentitätsbildungsprozeS der Befragten im Lau­fe der Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft verlief nicht kontinuier­lich. Klafki stellt fest, daB sich bei den meisten jungen Menschen zwischen 1933 und 1945 ihre eher identifikatorische Einstellung dem NS-System ge­genüber zu Ernüchterung, verbunden mit partielIer Kritik oder sogar Distan­zierung, gewandelt habe. Als häufigsten Zeitpunkt hierfür nennt er die Vor­kriegszeit, eine Steigerung sei mit der Kriegswende 1942/43 zu verzeichnen. In den vorliegenden Interviewberichten zeigt sich hingegen, daB die Jahre 1942/43 zwar auch hier einen Wendepunkt bedeuten, jedoch nur in bezug auf die Einstellung der Befragten zum Krieg und seinem siegreichen Ausgang. Verunsicherungen in ihrer nationalsozialistischen Einstellung kamen bei den Informantinnen dadurch nicht auf oder wurden unterdrückt; teil wei se ist so­gar eine gegenläufige Entwicklung ihrer Einstellung erkennbar.

Für die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Ideologie wirkte der Krieg mit seiner existenziellen Bedrohung, die das Volk zur "Notge­meinschaft" zusammenschweiBte, bei den Befragten gerade nicht intensivie­rend, sondern als Moratorium. Die Reflexion nationalsozialistischer Ziele und Werte wurde zurückgesteIlt, entweder in einem ProzeB der Solidarisierung, weil die Befragten sich, wie z. B. A, C oder D, in der Situation des "Kampfes urn die Existenz des Vaterlandes" zu absoluter Loyalität gegenüber diesem Staat verpflichtet fühlten oder weil die aktuellen Ereignisse keinen Raum und keine Kraft für eine tiefgreifende Reflexion lieSen, wie bei E, die sich, wie sie es heute sieht, zum Teil auch in die rastlose Tätigkeit stürzte, urn eben nicht nachdenken zu müssen. Wie weit sie sich damit ungewollt auf die Linie der na­tionalsozialistischen Zielsetzung einlieB, wurde ihr erst Jahre später bewuBt.

Eindeutig ist aus den Schilderungen der Informantinnen die Bedeutung der Familie als eines entscheidenden Faktors für die politisch-moralische Grundorientierung der Heranwachsenden abzulesen. Sie wurde an anderer Stelle (Kap. 5.2) bereits aufgezeigt. Belege für Ablösungsprozesse von der Familie, wie sie in der Pubertät aufzutreten pflegen, finden sich hinsichtlich der politischen Einstellung in den Berichten jedoch nicht.97 C ging in diesem

97

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V gl. hierzu auch die Untersuchungsergebnisse zu Jugendsubkulturen im Dritten Reich z. B. von Peukert 1982 u. 1985. Wie viele der Befragten überdies von ihrer Persönlichkeitsstruktur her mehr zu kon ver­genten als divergenten Denkprozessen und Haltungen tendierten, wird noch in Kap.5.5.l aufgegriffen werden. Klafki konstatierte bei den von ihm untersuchten FälJen ebenfalls die Bedeutsamkeit der Familie für die politische Orientierung der jungen Menschen. Er fand aber auch BeispieJe für gegenläufige Entwicklungen, die er auf das Verselbständigungsmotiv zum Zeitpunkt

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Alter auf Distanz zum BDM, was de facto eine Annäherung an die Einstel­lung ihrer Eltern bedeutete; E schwenkte zu diesem Zeitpunkt sogar völlig auf die politische Linie ihrer Eltern ein.

Die Erzählungen der Befragten enthalten zahlreiche Beispiele dafür, daB Meinungsbildungsprozesse generell weniger über sachbezogene Argumen­tation oder Reflexion, als nach Sympathie oder Antipathie für bestimmte Per­sonen abliefen. So kamen viele Bewertungen von NS-Organisationen durch persönliche Begegnungen mit einzelnen ihrer Mitglieder zustande, wie das negative Urteil über die NSDAP, entsprechend dem Verhalten der Parteige­nossen, das positive über den BDM, wenn die betreffende Inforrnantin ihre Führerin bewunderte, und das positive oder negative Urteil über den RAD, entsprechend den individuellen Erfahrungen mit den RAD-Führerinnen Cvgl. Kap. 5.2.3 und 5.2.4).

Dennoch nennen die Befragten für die eigene politische Sozialisation, wenn diese über eine allgemeine Gestimmtheit hinaus in ei ne feste Position mündete, keine auBerfamiliären Identifikationsfiguren. Wo von Menschen berichtet wird, die dazu hätten werden können, handelt es sich nie urn über­zeugte Nationalsozialisten, sondern urn Gegner des Regimes: die französi­sche Au-pair-Familie von A, die schon 1935 die fatale politische Entwick­lung in Deutschland klar erkannt hatte, oder die Bekannte von C, die diese während des Krieges über die Ermordung der jüdischen Bevölkerung aufzu­klären versuchte. Doch die jungen Frauen wehrten sich ge gen so1che EinfluB­nahme. A mied fortan das Thema Politik in ihrer Gastfamilie, Cbrach den Kontakt zu der Bekannten gänzlich ab. 9R

Auch andere Erlebnisse der Informantinnen, die zu Distanz schaffenden Erfahrungen hätten werden können - wie die Ereignisse des 9.11.1938, Be­gegnungen mit KZ-Insassen, Juden, Zwangsarbeitern oder bei ei ni gen Be-

9R

des Eintritts in die Pubertät zurückführt. Klafki 1991, S. 165 f. Einen derartigen AblösungsprozeB beschreibt lediglich C mil der Entwicklung ihres Ehe­mannes, eines ehemaligen Napola-Zöglings. Das legt die Vermutung nahe, daB sich hier wiederum das tendenziell unterschiedliche Verhalten von weiblichen und männlichen Ju­gendlichen widerspiegelt, entsprechend dem "mehr passiven bzw. mehr aktiven Modus ih­rer Sozialisation", wie in Untersuchungen nicht nur für die Generation der Befragten im­mer noch festgestellt wird. Bilden, Helga: Geschlechtsspezifische Sozialisation. In: Hur­relmann, K.; Ulich, D. (Hrsg.): Handbuch der Sozialisationsforschung. Weinheim, Basel: Beltz 1980, S. 777-812. M. Maschmann beschreibt in "Fazit" die gleiche Erfahrung: "Es gibt mir jetzt zu denken, daB alle älteren Männer und Frauen, die in jenen Jahren eine gewisse Faszination auf mich ausübten, zugleich eine Enttäuschung für mich bedeuteten: Sie waren keine 'wirkli­chen Nationalsozialisten'. ( ... ) Der Grund ist einleuchtend: instinktiv fiel meine Wahl auf Leute, die dank ihrer charakterlichen Qualität und geistigen Überlegenheit zu viel Durch­bliek hatten, urn si eh mit dem Nationalsozialismus zu identifizieren. Die übrigen Erwach­senen, die so NS-besessen waren wie ich, hatten nicht den Rang von echten Lehrmeistem. ( ... ) Im Laufe der Jahre entstand ein aus Trauer und Trotz genährtes Ressentiment: Die Al­ten (nämlich die, auf die es ankommt) lassen uns allein!" Maschmann 1963, S. 200.

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fragten die direkte oder indirekte Konfrontation mit der Gestapo -, hatten allenfalls kurzfristige Irritationen zur Folge, blieben aber fast immer ohne dauerhafte Konsequenzen. Ob dem eher eine selektive Wahrnehmung nur des Wünschenswerten zugrunde lag oder ob es sich urn einen ProzeB mehr oder weniger bewuBter Verdrängung handelte, ist nicht mehr zu klären. Eine der wenigen Ausnahmen bildet die Reaktion von E, für die der Kriegsbeginn zum Schlüsselerlebnis wurde und deren von da an distanzierte Haltung sich später durch die Entdeckung von Beweisen für Zwangssterilisationen zu noch entschiedenerer Ablehnung des Nationalsozialismus wandelte.

Die Einwirkung sonstiger Faktoren auf die politische Sozialisation der Befragten stellt sich teilweise anders dar als bei den von Klafki untersuchten Fällen. Die Wirkungskraft des idealisierten Hitler-Bildes läBt sich auch in den vorliegenden Interviewberichten klar erkennen. Zwar betonen die mei­sten Informantinnen, dem Hitler-Mythos nicht erlegen zu sein; die Beschrei­bung ihres Vertrauens in den Führer als den obersten Befehlshaber, der den Krieg noch zum Guten wenden könne, und ihres beharrlichen Festhaltens an der Vorstellung von Adolf Hitler als einer charismatischen und moralisch integren Persönlichkeit sprechen jedoch ei ne andere Sprache. Was hingegen die Faszination durch die ästhetischen Inszenierungen des Nationalsozialis­mus anbetrifft, die auf der emotionalen Ebene zu einer positiven Gestimmt­heit beitragen konnten, so schildern die Informantinnen anders als die von Klafki Befragten eine Wirkung dieser Propagandamittel gerade aus der AI­tersphase jenseits von Kindheit und Pubertät. Auch enthalten die vor­liegen den Interviews keine Beispiele für Kontakte mit "a- oder antinational­sozialistischen jugendlichen Subkulturen" (Klafki 1991, S.170), die sich u. a. durch gruppenspezifische Kleidung und Musik definierten. Im Gegenteil finden sich zahlreiche Belege dafür, daB die Geschmacksbildung der Be­fragten in bezug auf Musik, Mode, Kunst, Handwerk, Brauchtum durch die im Dritten Reich einseitige Bevorzugung der Volkskunst geprägt wurde bzw. ihr weitestgehend entsprach, ohne daB dies bei allen als Zeichen einer gene­rellen Übereinstimmung mit den Forderungen des Nationalsozialismus zu deuten ist.

5.4.2 Verarbeitungs- und Wandlungsprozesse

Welche biographische Bedeutung hatte nun das Jahr 1945 für die Befragten? Die Mehrzahl von ihnen hatte sich, wie gezeigt wurde, bis zum Ende des

nationalsozialistischen Regimes nicht oder nur teilweise von dessen Ideen losgesagt. Mit der deutschen Kapitulation und spätestens mit dem Bekannt­werden der NS-Verbrechen muBten sie sich nun eigentlich der Auseinander­setzung mit der nationalsozialistischen Ideologie, der Legitimationsbasis ih­res bisherigen Handeins, stellen.

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Aber die Krisensituation des Jahres 1945 war heteronom ausge1öst; die grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Realität und des offiziell gültigen Wertesystems war von auBen her erfolgt.99 Dies konnte bei der ein­zelnen Befragten zu einer Lebenskrise führen, muBte es aber nicht, wenn es gelang, die alte und die neue Wirklichkeit in einen konsistenten Sinnzu­sammenhang zu bringen, indem die Veränderung der Wirklichkeit nicht wahrgenommen oder geleugnet wurde oder indem sich die neue Wirklichkeit noch mit Hilfe der alten Deutungsmuster interpretieren lieB. [(Xl

Tatsächlich waren die Reaktionen der Befragten auf die Aufklärung über all das Entsetzliche, was im Namen der nationalsozialistischen Ideologie ge­schehen war, durchaus unterschiedlich. Nach dem anfänglichen allgemeinen Schock über das Erfahrene reichten sie von Legitimationsversuchen über Verdrängung bis zu eigenen Schuldgefühlen.

A: "Erstens sind es sowieso keine sechs Millionen .. luden, die getötet worden sind. Und dann müssen auch die Bombenopfer und die Vertriebenenopfer aufgelistet werden ... fand ich immer.( ... ) Nach dem Krieg - die einzigen Bösen waren doch wir, ja. Es ist ganz klar, daB wir eine gewaltige Schuld auf uns geladen haben, das .. bestreitet ja auch nie­mand. NUf wir waren ja nicht alleine die Unmenschen!"

99 Rosenthal, die sich bei der Untersuchung von Wandlungsprozessen subjektiver Deutungs­strukturen u. a. an Schütz, Mannheim und Berger/Luckmann orientiert, differenziert -idealtypisch - zwischen heteronom produzierten und autonom konstituierten Krisen. Er­stere bedeuten, unabhängig davon, ob sie subjektiv als Krise erfahren werden oder nicht, eine veränderte Lebenssituation, die zu weiteren Krisenerfahrungen führen und Wand­lungsprozesse in Gang setzen kann. Rosenthal1987, S. 40 ff.

IW Berger/Luckmann unterscheiden in ihrer Analyse der subjektiven Wahrnehmungsweisen von Wirklichkeit zwei Arten von Wandlungsprozessen: die "Resozialisation", bei der die Vergangenheit uminterpretiert wied, urn ihr die gegenwärtige Wirklichkeit anzupassen, und die "sekundären Sozialisation", bei der die Gegenwart so interpretiert wird, daB sie in kontinuierlicher Verbindung zur Vergangenheit steht. Berger, Peter L.; Luckmann, Tho­mas: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssozio­logie. FrankfurtlM.: Fischer Taschenbuch 1980 (1977), S. 174. Die Resozialisation ist mit einer ausgeprägten Veränderung der internalisierten Weltsicht verbunden, bis hin zur totalen Verwandlung im Sinne einer Konversion: " ... Transforma-tionen, die, verglichen mit geringeren Veränderungen, total erscheinen ... wollen (wir) 'Verwandlungen' nennen." S. 168. Handelt es sich nur urn eine partielle Verwandlung der subjektiven Wirklichkeit ohne allzu krasse Brüche und ohne daB die Vergangenheit - wie bei der Resozialisation - völlig neu aufgerollt wird, so sehen Berger/Luckmann die "Schwierigkeit, den Zusammenhang zwischen früheren und späteren Elementen der sub­jektiven Wirklichkeit zu sichem." S. 173. Bei der sekundären Sozialisation wiederum werden tatsächlich zustande gekommene Transformationen verkleinert, urn die Gegenwart der Vergangenheit anzupassen. S. 174 Rosenthal bezieht sich zwar auf Berger/Luckmann, bezeichnet aber die "unmerklichen, vom Subjekt nicht bewuSt erlebten Wandlungsprozesse, die zu keiner einschneidenden Veränderung der Selbstwahrnehmung des Subjekts führen," nicht mit dem u. U. irrefüh­renden Terminus "Sekundärsozialisation", sondern als "latente Wandlungen", die sie von den "partiellen und totalen Verwandlungen", d.h. den "Resozialisierungsprozessen" bei Berger/Luckmann, unterscheidet. Rosenthal1987, S. 29. In diesem Sinne werden die Begriffe im folgenden benutzt.

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C: "Es war eine gewaltige .. Ernüchterung und Entsetzen über all das Schreckliche, was man dann erfuhr, und die grauenhafte Enttäuschung ... diese tiefe, tiefe Enttäuschung. Wir hatten doch bis zum SchluB geglaubt."

G: "Im nachhinein, als man das alles so hörte, was da geschehen war . .ich meine, man war.. manches, was man eben selbst gehört hat oder gesehen hat, vorher also, wie diese jungen Zwangsarbeiterinnen da, da war man entsetzt.. und auch betroffen. Aber man hat ja nichts dagegen unternommen. Die Konsequenzen hat man gefürchtet. Also ich meine, man ist, soweit man's beurteilen kann, nicht selbst menschlich schuldig geworden an ir­gend jemandem ... Aber man war auch keine Sophie ScholI. Nicht mal, nicht mal ein Bruchteil davon."

E: "Mich treibt diese ganze Vernichtung der Juden noch immer so urn, daB ich meine, ich kann nicht drüberkommen. Und wir wuBten ... mehr als andere. Und ich denke immer, was hätte man noch tun können."

Den gröBten Kontrast bildeten dabei die Verhaltensweisen von A und C: derjenigen, die sich nie, weder damals noch später, von den Ideen des Natio­nalsozialismus lossagte, und derjenigen, die sich - ihren eigenen Worten nach - "selbst umerzog". Die meisten der übrigen Befragten reagierten kurz­fris tig sehr emotional. Lediglich E fühlte sich verpflichtet, darüber hinaus auch aktiv zu werden und sich direkt für politische und gesellschaftliche Be­lange zu engagieren. G und H hingegen, die zu dieser Zeit in Ostdeutschland lebten, verweigerten jede Reflexion über das von Deutschen in der Vergan­genheit begangene Unrecht, solange sie selbst unter der kommunistischen Herrschaft zu leiden hatten.

Es zeigt sich, daB die äuBere Krisensituation keineswegs bei allen Be­fragten eine Lebenskrise auslöste, auch wenn die Interviewten selbst sinnge­mäB von einer solchen sprechen. Bei dem gröBten Teil von ihnen kam es zwar durch das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft tatsächlich zu ei­ner mehr oder minder ausgeprägten Veränderung ihrer subjektiven Wirklich­keit und ihrer Deutungsmuster, aber die se Wandlungsprozesse verliefen doch sehr unterschiedlich. Nur C beschreibt eine totale Verwandlung mit allen Charakteristika einer Konversion; E hatte ei ne tiefgreifende Wandlung zu ei­nem früheren Zeitpunkt erlebt. Bei den übrigen sind, wenn überhaupt, allen­falls partielIe oder von ihnen selbst negierte latente Wandlungsprozesse zu erkennen, die oh ne tiefgreifende psychische Konsequenzen blieben und auch nicht alle sofort, sondern zum Teil erst mit Verzögerung Jahre später einsetz­ten.

Nun bedarf es für ei ne erfolgreiche, dauernde Verwandlung einer über­zeugenden Plausibilitätsstruktur, die dem Individuum durch "signifikante Andere" vermittelt wird, mit denen es zu einer tiefen Identifikation kommen muB (BergerlLuckmann 1980, S. 168). Gerade diese Bedingung war bei den meisten der Befragten nicht gegeben. Sie trafen nicht gleich auf eine Plausi­bilitätsstruktur, die an die Stelle der offiziell jetzt verworfenen hätte treten können, vor allem weil es an den "signifikanten Anderen" für ihre Vermitt­lung fehlte.

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Viele Informantinnen geben an, "darüber" nicht einmal mit ihren Eltern gesprochen zu haben, weder damals noch später, sei es aus mangelndem In­teresse der einen oder anderen Seite, sei es aus Scheu, wie sie heute noch aus der vagen, verhüllenden Formulierung spricht. Auch die Hilflosigkeit und das Versagen anderer Erwachsener, z. B. in den Ausbildungsinstitutionen, wird von den Befragten beschrieben. Die Schulen und ebenso die Hochschu­len sparten das Thema "politische Vergangenheit" nicht nur in der ersten Nachkriegszeit peinlich genau aus, von ganz vereinzelten Ausnahmen, wie allein M sie schildert, abgesehen. In ihren Kirchen fanden die Befragten ebenfalls nicht die erhoffte Hilfe bei der Verarbeitung des Erlebten. C schloB sich statt dessen schlieBlich für ei ne bestimmte Zeit einer sektiererischen reli­giösen Gruppe an, wo sie "signifikante Andere" fand.

E kam als einzige in den GenuB der "Umerziehung" durch Organisatio­nen der Alliierten. Abgesehen davon, daB die übrigen Befragten daran auch kein Interesse zeigten, setzten gerade die Engländer - und die meisten Infor­mantinnen lebten in der nach der Eroberung durch die Amerikaner von den Engländern besetzten Zone - auf die Eigenverantwortlichkeit der Deutschen bei ihrer Umerziehung und lieBen es im Gegensatz zu den Amerikanern an konstruktiven "Reeducation"-MaBnahmen fehlen. 101

Nicht nur die mangelnde Hilfe bei der Verarbeitung des Erlebten wird heute von den Interviewten konstatiert. Ein anderer Umstand machte es den Menschen auch leicht, trotz Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse das alte Leben auf der individuellen Ebene relativ unverändert beizubehalten.

Nach den allerersten, vielfach unkoordinierten MaBnahmen, die nicht von langer Dauer waren, setzten sich viele der alten bürokratischen Struktu­ren, die über die Zuteilung von Chancen und Berechtigungen zu befinden hatten, wieder durch. Im Dritten Reich Benachteiligte oder Verfolgte erhiel­ten keinen wesentlichen Ausgleich. Betroffene Familien fanden sich nach dem Ende des NS-Regimes in einer schlechteren (E) oder zumindest nicht besseren (M) sozialen und wirtschaftlichen Situation wieder als zuvor. Die Entnazifizierung führte allenfalls zu einer Pensionskürzung, wie bei dem Schwiegervater von A, die bei der berichtenden Informantin aber noch heute Empörung auslöst, oder zu einer vorübergehenden Entfernung aus dem Dienst, wie bei dem Vater von D. Hier drängt sich die Vorstellung auf, daB die Entnazifizierung als gesellschaftliche MaBnahme die Rolle eines for­malen Reinigungsrituals spielte, das vom einzelnen nicht überzeugt aner­kan nt werden muBte, aber es ihm ermöglichte, ohne allzu groBe EinbuBen als "geläutert" zur gewohnten Alltagsroutine zurückzukehren.

So erlebten die jungen Mädchen, wie viele in der Welt der Erwachsenen den Neuanfang gestalteten, ohne bei sich ei ne biographische Wandlung zu­zulassen: indem sie zwar dem Alten rasch abschworen, dann aber so schnell

lOl Vgl. Pakschies, Günter: Umerziehung in der Britischen Zone 1945-1949. Untersuchungen zur britischen reeducation-Politik. Weinheim, Basel: Beltz 1979, S. 266.

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und mit so wenig Nachdenken über das Vergangene wie eben möglich in materieller und sozialer Hinsicht in die Normalität des Status quo ante zu­rückdrängten; allerdings nicht in den der Jahre vor 1933, sondern in den - für die meisten Familien besseren - der ersten Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft. Eine Ausnahme bildete der Vater von C, der seine ungerechtfer­tigte Inhaftierung als angeblicher Kriegsverbrecher in "christlicher Demut und als BuBe" ertrug.

Bei dem damaligen jugendlichen Alter der meisten Inforrnantinnen ist es verständlich, daB auch eine Reihe von ihnen eine ähnliche Haltung wie die Er­wachsenen einnahm, die von A. und M. Mitscherlich psychoanalytisch als "Un­fähigkeit zu trauern"102 gedeutet wurde. Betrachtet man die Befragten als Ver­treterinnen ihrer Generation, so sind ihre Berichte nicht untypisch, und ihre rückblickende Selbstdarstellung entspricht weitgehend dem Bild der "skep­tischen Generation", wie Schelsky es 1957 zeichnete lO3, auch wenn sie ihrem Lebensalter nach nicht mehr insgesamt dazuzurechnen sind. Der "kritische Po­sitivismus" (Schelsky S. 79), den sie entwickelten, richtete sich auf naheliegen­de, lebenspraktische Ziele und machte die jungen Menschen handlungsfähig. Einer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit war er nicht förderlich.

5.5 Nachwirkungen der Zeit des Nationalsozialismus im persönlichen und beruflichen Bereich

Unabhängig davon, in wie unterschiedlicher BewuBtheit und Intensität die Befragten sich selbst mit den Spuren auseinandersetzten, die die Jahre natio­nalsozialistischen Einflusses bei ihnen auf Dauer hinterlieBen, solI im folgen­den der Versuch gemacht werden, derartige Spuren im späteren Leben der Befragten aufzufinden. Es werden heutige Einstellungen der Befragten und,

102 Mitscherlich, Alexander u. Margarete: Die Unfàhigkeit zu trauem. Grundlagen kollektiven Verhaltens. (23.Aufl.) München: Piper 1994 (Serie Piper), S. 13-66.

103 Schelsky beschreibt den "Konkretismus" der Jugend (Adomo) und wehrt sich dagegen, diese Geisteshaltung negativ zu beurteilen. "Die Jugend folgt nur den Erfahrungen, die ihr genauso wie den Erwachsenen beschert worden sind, und sie tut es aufWegen, die sie bei den Erwachsenen als erfolgreich sieht. Sie hatte es bitter notwendig, sich aus der Welt der Illusionen, der Ideologien und den von allen möglichen Organisationen vorgedachten Er­kenntnisangeboten die paar konkreten Sicherheiten ihres persönlcihen Daseins heraus­zulesen, die noch Fundament ihrer Lebensführung sein konnten. Sie hat aus dieser Erfah­rung eine generelIe Geisteshaltung gemacht, einen kritischen Positivismus der Le­benssicherheit, der lieber im Kleinen, aber Handfesten verharren, als sich auf unüberprüf­bare Verallgemeinerungen der Lebensziele einlasen, der sich nicht bluffen, nicht verfüh­ren lassen will."

128

Schelsky, Helmut: Die skeptische Generation. Eine Soziologie der deutschen Jugend. FrankfurtlM., Berlin, Wien: Ullstein Taschenbuch 1975 (zuerst ersch. bei Diederichs 1957), S. 78 f.

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soweit aus den Interviews zu erschlieBen, auch so1che aus den Jahren seit dem Ende des nationalsozialistischen Regimes unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, und darüber hinaus wird versucht festzustellen, inwieweit sich die Erfahrungen aus der NS-Zeit in der beruflichen Tätigkeit der Befragten aus­wirkten.

5.5.1 Persönlichkeitsenwicklung

5.5 .1.1 Wertvorstellungen

Es stellt sich die Frage, in we1chen Bereichen und in we1cher Form - über­einstimmend oder gegenläufig - sich im Normensystem der Befragten Re­likte ihres Kontaktes mit der nationalsozialistischen Ideologie finden. Des­halb sollen die Werte, die von den Befragten für sich selbst akzeptiert und als allgemein wünschenswert angesehen werden, in Bezug zu den vom National­sozialismus vertretenen gesetzt und Paralleien oder Diskrepanzen aufgezeigt werden.

Wenn sich die durch den Nationalsozialismus vermittelten Wertvorstel­lungen und Forderungen durch

- einen ideologisch begründeten, überhöhten Gemeinschaftsbegriff - Opferbereitschaft des einzelnen bis zur Selbstaufopferung - Unterordnung und bedingungslosen Gehorsam gegenüber hierarchisch

Höhergestellten, den gegebenen, nicht gewählten "Führern", und Macht­ausübung gegenüber Untergeordneten

- Nationalstolz und rassistisches ElitebewuBtsein - Kamptbereitschaft und Militarismus - einen allgemeinen Leistungsanspruch, verbunden mit Härte gegen sich

selbst und andere, dazu Aktivität als Wert sui generis - Fixierung auf Jugend, Kraft, Gesundheit - festgelegte Geschlechtsrollen mit männlicher Dominanz

beschreiben lassen, stellen - Individualismus und Nonkonformismus - Infragestellen von Amtsautorität, "Zivi1courage" und die Forderung nach

individueller Verantwortung - Intellektualität - GenuB und MuBe - Akzeptieren von Schwäche, Krankheit, Alter - nicht-traditionelle Rollenverhalten sowie die Emanzipation unterprivile-

gierter sozialer Gruppen - Weltoffenheit und Wertschätzung von Fremdartigem - Pazifismus

die Gegenpole dar.

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Wo die Haltungen und Einstellungen der Interviewten einzuordnen sind, läBt sich zu einem erheblichen Teil aus den Interviewanalysen erschlieBen, die explizit und implizit in Erzählungen und in Antworten auf Nachfragen zu be­stimmten Schlüsselbegriffen 104 geäuBerte Meinungen der Befragten zu Per­sönlichkeitswerten, kulturellen, sozialen und politischen Werten erfassen.

Obgleich keine einheitliche ideologische Klammer zu erkennen ist, son­dern als Basis für die persönliche Wertehierarchie der einzelnen Informantin­nen sowohl ein allgemeiner "humanistischer Idealismus" (F, I), als auch mehr oder minder profiliertes Christenturn (B, C, D, E, G, L) oder eine parteipolitisch geprägte soziale Einstellung (M) genannt werden, konzentrieren sich doch die Stellungnahmen der Befragten nicht nur urn die gleichen markanten Begriffe, sondern wei sen auch in ihrer Aussage tendenzielle Ähnlichkeiten auf.

Einen hohen Stellenwert besitzen für alle Befragten "Idealismus" und "Selbstlosigkeit", womit sie auszudrücken versuchen, daB sie ganz allgemein ideelle Werte höher angesiedelt sehen wollen als materielle. So wünschen sie sich auch bei jungen Menschen die Fähigkeit, sich für Ideale zu begeistern und einzusetzen. 105

Allerdings sehen einige von ihnen in Erinnerung an ihre eigene Soziali­sation im Dritten Reich doch die Gefahren, die mit einer solchen unreflektiert idealistischen Einstellung verbunden sind, wie leicht sie sich manipulieren und ausnutzen läBt, wenn isolierte Tugenden zum Selbstzweck werden und die dahinterstehende Ideologie nicht mehr kritisch in Frage gestellt wird. Was aber in der heutigen Zeit eine tragfähige Ideologie für die Mehrheit sein könnte, glauben die Befragten nicht beantworten zu können, auch nicht die­jenigen, die für die ethische Ausrichtung des eigenen Lebens fest auf das Christenturn bauen.

So beschreiben sich einige der Interviewten (besonders A, E, F, L, M) selbst als hilflos in dem Zwiespalt, etwas zu wünschen, was sie nicht mit konkretem Inhalt zu füllen vermögen. Damit mag es auch zusammenhängen, daB die meisten erklären, sie scheuten sich heute noch, eigene Überzeugun­gen gegenüber anderen - teilweise sogar innerhalb der eigenen Familie - mit Nachdruck zu vertreten, und setzten ihre Hoffnung allenfalls auf die Wirkung eines unaufdringlichen persönlichen Beispieis.

104 Soweit die Interviewten sich nicht bereits selbst dazu geäuBert hatten, wurden sie im Nachfrageteil des Interviews U. a. gebeten zu erläutem, was sie heute mit Begriffen wie "Gemeinschaft", "Deutschland", "Deutschtum", "Vaterland", "Patriotismus" und "Natio­nalstolz" verbinden.

105 Der 1O-14jährigen Jugend in der Nachkriegszeit, der altersmäBig auch die jüngeren Infor­mantinnen nahestanden, wurde aufgrund umfànglicher Studien in den Jahren 1949-51 ei­ne Verhaltensweise zugeschrieben, die "extrem aufs Praktische, dem Interesse der Selbst­erhaltung Dienende, Naheliegende" gerichtet war, "ein gewisser Vulgärmaterialismus", wie Adomo es 1952 in der Einführung zu Baumert (S. X) formulierte. Das legt die Ver­mutung nahe, daB auch die Befragten in der damaligen Zeit weniger idealistisch einge­stellt waren als heute.

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Wie weit hier eine gewisse altersabhängige Resignation mitspricht, kann nur vermutet werden. Allerdings decken sich die angeführten Meinungs­äuBerungen einerseits mit Erzählungen der Interviewten zu diesem Thema, die sich auf ihr Verhalten in früheren Jahren beziehen. Andererseits haben die Solinger Ereignisse des Jahres 1993 bei den meisten eine tiefe Verun­sicherung ausgelöst, ob sie mit ihrer Zurückhaltung nicht auch eine gewisse Schuld durch Unterlassung auf sich geladen haben. Beides deutet darauf hin, daB die Darstellung der Befragten über die Gegenwart hinaus in wesentlichen Punkten auch für die Vergangenheit authentisch ist.

Die Verpflichtung zu selbstlosem Dienst für einzelne andere, für eine be­stimmte Gemeinschaft oder - vager - für die "Allgemeinheit" akzeptieren im Prinzip alle Befragten für sich. 106 Das korrekte Beamtentum ihres Berufs­Iebens sehen sie als ei ne Form derartiger Pflichterfüllung an. 107 Immer wieder setzen die Interviewten sich gerade mit dem Begriff der "Pflicht" auseinan­der, der in ihrer eigenen Erziehung eine so zentraIe Rolle spielte, sei es als Pflichtgefühl gegenüber dem Vaterland, das A und C immer noch em­pfinden, als Verpflichtung zu einer christlichen Lebensführung, wie E es für sich definiert, oder als generelles inneres Pflichtgefühl, als Akzeptieren der Verbindlichkeit von Anforderungen unterschiedlichster Art, wie es die übri­gen Befragten beschreiben. Obgleich nicht alle mehr bereit sind, auf jegliche Selbstverwirklichung zugunsten eines gröBeren Ganzen zu verzichten, und ei ni ge der Befragten den Pflichtbegriff im Hinblick auf seine Pervertierung durch das NS-Regime sehr kritisch sehen, kann sich doch keine von ihnen bei der Reflexion ihrer eigenen Normen davon lösen. Ein sprachliches Sym­ptom dieser anerzogenen Zurücknahme der eigenen Person ist der Gebrauch des verhüllenden "man". Die Interviewten verwenden es häufig, aber weni­ger zur Legitimierung eigener Ansprüche als zur Bagatellisierung eigener Leistungen (s. Textbeispiele in Kap.4.2.2.4). Damit unterscheiden sie sich auffällig von der zeittypischen Egozentrik, die sich auch im heutigen Sprach­gebrauch durch das ostentative "ieh" widerspiegelt. Ebenso scheuen die mei­sten von ihnen alle Formen eines exponierten Auftretens in der Öffentlich­keit.

106 "Was sich erhält, ist das gelemte Verhaltensmuster der Einordnung und des Einsatzes für eine Gemeinschaft in sozialer Verantwortung", beschreibt Möding (1985, S. 293) bei Frauen etwa der Geburtsjahrgänge der hier Befragten, jedoch mit anderem Bildungsgang, als ein Ergebnis der Sozialisationserfahrungen von Mädchen im Dritten Reich.

107 Diese1be Einstellung fanden Becker u. a. bei Lehrem und Beamten in der Schulverwal­tung, die sie in den sechziger Jahren zu ihren politischen Vorstellungen befragten. Die Au­toren interpretieren derartige Verhaltensnormen eher negativ als aus der Ära des Wilhel­minischen Deutschlands tradierte kleinbürgerliche "Anweisungen zur Anpassung an die gegebenen Umstände des Lebens, Aufforderungen zum Gehorsam und autoritätsgebunde­ner Unterordnung". Becker, Egon; Herkommer, Sebastian; Bergmann, Joachim: Erziehung zur Anpassung? Eine soziologische Untersuchung der politischen Bildung in den Schulen. (2.Aufl.) Schwalbach b. FrankfurtlM.: Wochenschau, S. 153.

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Der Grad der persönlichen Opferbereitschaft differiert aber unter den Be­fragten. Die Mehrzahl nimmt heute auch eigenes W ohlbefinden - ein aus­kömmliches, bequemes Leben, ein gewisses MaB an Luxus durch Besitztü­mer, die über das Notwendige hinausgehen, Reisen, Freizeitaktivitäten - als selbstverständlich für sich in Anspruch. Andere verlangen sich mehr ab. Die immer noch die nationalsozialistische Ideologie bejahende Befragte A ist für rigorose Härte ge gen sich selbst und zeigt dies auch durch die Art ihrer Le­bensgestaltung.

Für die stark durch den Protestantismus geprägten Informantinnen gibt es keine Alternative zu dem Bekenntnis zu Selbstlosigkeit und christlicher Bescheidenheit, das sie alltäglich in ihrem Handeln überzeugend demonstrie­ren. De facto nähern sie sich mit dieser Haltung wiederum einer den national­sozialistischen Forderungen gemäBen Lebensführung, wie sie ihnen aus der Jugendzeit vertraut ist, trotz ihrer absoluten Ablehnung der damals damit ver­bundenen Intentionen.

Wenn die Befragten von der Erfahrung sprechen, auch selbst auf Anteil­nahme und Hilfe anderer angewiesen zu sein, beziehen sich fast alle auf ihre Erlebnisse in den Krisensituationen der Kriegs- und Nachkriegszeit. Diese lassen sie Formen emotionaler Verbundenheit als für sie notwendige Basis des alltäglichen Zusammenlebens suchen, sei es, daB sie sie als Freundschaft, Kameradschaft, Empathie oder christliche Agape beschreiben.

Die Nähe und Intensität des gewünschten Zusammenlebens mit anderen hängt von der Einstellung der einzelnen gegenüber dem Begriff der Gemein­schaft ab, der bei vielen noch immer vorrangig durch ihre Erlebnisse in der Jugendzeit geprägt ist. Hierbei wird zwischen der konkreten Gemeinschaft und einer anonymen Gesamtheit oder auch dem abstrakten Begriff dif­ferenziert. Für eine Reihe von Interviewten ist das Gemeinschaftserlebnis, zum Beispiel in einem Lager oder in einer in anderer Form zusammenleben­den Gruppe, etwas Angenehmes und damit Wünschenswertes. Andere lehnen nach ihren Erfahrungen ei ne solche enge Gemeinschaft und die damit ver­bundene physische und emotionale Nähe prinzipiell ab. Eine soziale Verant­wortung gegenüber der anonymen groBen Gemeinschaft des Volkes, der Mitmenschen - im einzelnen wird das nicht ausgeführt - bejahen alle Be­fragten. Die Begründungen variieren von dem religiös motivierten Gebot der Nächstenliebe über spontanes Mitgefühl mit Notleidenden bis zu alten Vor­stellungen von der Volksgemeinschaft, in der jeder für jeden verantwortlich war, oder auch dem sozialen Engagement als traditioneller Aufgabe einer Fa­milie gehobenen Standes. Entsprechend dieser Einstellung sind alle Befrag­ten auf die ei ne oder andere Weise im sozialen Bereich engagiert. Sie setzen sich in der Kirchengemeinde, in sozialen Einrichtungen, in einem Verein oder in ihrer Nachbarschaft für Kinder, Kranke, alte Menschen, Obdachlose, Ausländer ein, teilweise mit einem erheblichen Aufwand an Zeit und Kraft.

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Tendenziell übereinstimmend sind die ÄuBerungen der Interviewten zu dem Komplex "Leistungsmotivation und Aktivität". Der Begriff der Leistung hat für sie alle einen hohen Stellenwert, auch wenn er für sie nicht nur positi­ve Konnotationen aufweist. Er wird in den unterschiedlichsten Zusam­menhängen herangezogen, sei es bei gesamtgesellschaftlichen Themen, bei Berichten aus der Berufspraxis oder bei der Reflexion der eigenen Lebensge­staltung, und unabhängig davon, welche Haltung die betreffende Informantin gegenüber jenen einnimmt, die eine irgendwie geartete normierte Leistung nicht erbringen.

Alle Befragten schätzen bei sich selbst und anderen Anstrengungsbereit­schaft, Überwindung eigener Schwächen, Selbstdisziplin und FleiB neben EntschluBkraft und einer zupackenden Pragmatik. Unzureichende Leistungen können sie, teilweise nach negativen eigenen Erfahrungen, am ehesten aufgrund physischer Unzulänglichkeiten tolerieren, wenngleich sie körper­liche Kraft, Belastbarkeit und physische Gesundheit als einen hohen Wert an­sehen. Von sich und anderen erwarten sie stets zumindest das Bemühen um Leistungsverbesserung. Einschränkungen durch die Beschwernisse des hö­heren Lebensalters können die meisten bei sich selbst sehr schlecht akzeptie­ren, versuchen sie zu negieren oder hadern mit der eigenen Unzulänglichkeit, die sie als Versagen empfinden.

Für viele stellt Aktivität immer noch einen Wert an sich dar, als den sie sie überwiegend in der nationalsozialistischen Erziehung zu schätzen lernten. MuBe finden sie zwar auch erstrebenswert, können sie aber selbst kaum ruhi­gen Gewissens genieBen. So hebt D als besonderen Gewinn ihrer RAD-Zeit hervor: "Im RAD habe ich gelernt ... ich kann mich heute immer irgendwie beschäftigen." Wenn auch nur einzelne heute noch die ihnen seinerzeit ver­mittelte Maxime "Besser etwas Falsches tun (oder entscheiden), als gar nichts!" vertreten, wird doch "Nachdenklichkeit" von keiner der Befragten ausdrücklich als wünschenswert genannt.

In ihrer Einstellung zu hierarchischen Ordnungen und dem Begriff der Autorität unterscheiden die Befragten sich. Während die meisten auf Anpas­sung, Unterordnung, absolute Gesetzestreue und die prinzipielle Anerken­nung von Amtsautorität setzen, womit sie gegebenenfalls auch ihre eigene Position als unangreifbar sehen möchten, vertreten einige Befragte Zivilcou­rage, Unabhängigkeit von auBengesteuerten Normen und divergentes Denken als Werte, die sie gerade durch ihre Erlebnisse in der Zeit des Nationalsozia­lismus für ihr ganzes Leben als bedeutsam schätzen lernten. Sie fühlen sich in ihren Entscheidungen nur noch dem eigenen Gewissen verpflichtet und sind bzw. waren bereit, daraus entstehende Konflikte mit der Obrigkeit -auch im beruflichen Bereich mit Vorgesetzten - in Kauf zu nehmen.

Entsprechend erwarten die ersteren von Abhängigen - eigenen Kindern, Untergebenen, Schülern - weitgehende Anpassung, Gehorsam, Disziplin und Unterordnung, während die letzteren sich divergentes Denken, Kritikfähig-

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keit und emanzipiertes Vertreten eines eigenen Standpunkts auch von ihrem Gegenüber in solchen asymmetrisch angelegten Beziehungen wünschen.

Ebenfalls geteilt sind die Meinungen der Befragten hinsichtlich der Wertschätzung von Emotionalität bzw. Rationalität, und die Art und Weise ihrer eigenen Argumentation ist ein Abbild dieser unterschiedlichen Einstel­lung. "Intelligenz" wird von den Befragten nicht immer, "Intellektualität" nie als wünschenswert genannt. Die meisten heben hervor, für wieviel wertvoller sie Gemüt, Warmherzigkeit und tiefes Empfindungsvermögen insbesondere bei Frauen halten als die Fähigkeit zu nüchternem Denken. Öfter wird auch negativ wertend von "kaltem" Intellekt im Kontrast zur "Lebensklugheit" und "Herzenswärme" gesprochen, was den scheinbaren Gegensatz einander ausschlieBender Alternativen noch antithetisch zuspitzt. In diesen Meinungs­äuBerungen deuten sich zumindest Parallelen zu der Überbetonung der Emo­tionalität und der Geringschätzung intellektueller Fähigkeiten im Nationalso­zialismus an, oh ne daB sich daraus zwingend ein kausaler Zusammenhang herleiten lieBe. Einige wenige Informantinnen allerdings begründen umge­kehrt ihre Wertschätzung von Rationalität, Intellekt, Argumentationsfähigkeit und ihre generelle Skepsis gegenüber jeglichen Appellen auf emotionaler Ebene gerade mit der schmerzlichen Erfahrung eigener Anfälligkeit für ge­schickt eingesetzte affektive Reize, die sie in ihrer Jugend kritiklos in die ideologische FalIe des Nationalsozialismus hatte tappen lassen.

Nicht nur als Pädagoginnen bildeten die Befragten sich ihre Meinung dar­über, was den nachwachsenden Generationen an Inhalten zu vermitteln sei.

Alle schätzen das, was sie ei ne "gute Bildung" nennen, worunter sie die Kenntnis der klassischen deutschen Bildungsinhalte, vor allem aus der Litera­tur, Musik und bilden den Kunst, verstehen. Die Auswahl, die sie bei ihren Konzert-, Theater- und Museumsbesuchen treffen, spiegelt dieses Interesse wider. Damit bewegen die Befragten sich - unabhängig von dem kulturellen Angebot ihres Elternhauses - auf der Linie des deutschen Bildungsbürger­tums der dreiBiger Jahre. Einzelne gehen so weit, alle moderne Musik (K) oder Literatur (A) nicht nur abzulehnen, sondern sogar für die "Verrohung der heutigen Jugend" verantwortlich zu machen.

Musische Interessen und Fähigkeiten haben für die meisten Befragten ei­nen höheren Stellenwert als naturwissenschaftliche oder gar technische. Einige üben in ihrer Freizeit selbst Musik aus oder befassen sich mit gestaltender Kunst. Dazu steht nicht im Widerspruch, daB etliche Befragte als wertvolles Ergebnis ihrer Erziehung im Elternhaus, aber auch der Erfahrungen in den NS­Jugendorganisationen, ihre Naturverbundenheit nennen, die oft in dem Gefühl einer tiefen Heimatliebe aufgeht. Wandern und Gartenarbeit sind ebenfalls häu­fig genannte Freizeitbeschäftigungen. Nur wenige sehen hingegen technisches Wissen als wesentlichen Bestandteil eines zeitgemäBen Bildungskanons an -und dann vor allem für Jungen -, auch wenn sie selbst im BDM, RAD oder Kriegshilfsdienst mit Technik umzugehen lernten, und nur zwei (E, F) äuBern

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gewisse eigene Interessen auf diesem Gebiet. Eher glauben die Befragten an den Wert biologischer Kenntnisse, womit sie sich wieder innerhalb des Rah­mens der ihnen selbst vermittelten Inhalte weiblicher Bildung aus der Zeit des Nationalsozialismus bewegen. Dies gilt sinngemäB auch für die unter den Be­fragten verbreitete Vorliebe für Volkstumskunst und -handwerk.

Körperliche Ertüchtigung hingegen wird ganz unterschiedlich bewertet, entsprechend den individuellen Erfahrungen vor allem aus der Zeit des Drit­ten Reiches, wie die Interviewten selbst erklären. Wer sich seinerzeit darin begabt zeigte, schätzt Sport auch heute noch als sinnvolle Betätigung gerade für junge Menschen; drei der Befragten betrieben selbst etwas Freizeitsport. Aber wer von ihnen die Härte des nationalsozialistischen Sportunterrichts gegen sich gerichtet erlebte, hat immer noch ein gestörtes, teilweise geradezu traumatisches Verhältnis dazu (F, H) und tut sich deshalb auch schwer, Ver­ständnis für sportliche Interessen und Aktivitäten der heutigen Jugend aufzu­bringen. Das Erlebnis des schicksalhaften Ausgeliefertseins - weil bei kör­perlicher Unzulänglichkeit keine persönliche Anstrengung an dem "Verdam­mungsurteil" etwas zu ändern vermochte - wirkt hier immer noch nach. Damit haben aber auch diese Informantinnen, obwohl selbst Opfer des ausgeprägten Leistungsprinzips und des Körperkults in der nationalsozialistischen Erzie­hung, deren Normen internalisiert.

5.5.1.2 Geschlechtsbezogenes Rollenverständnis

Ein Bereich, in dem sich die eigene Sozialisation offenbar besonders prägend auf die Einstellung der Befragten auswirkte, ist die Ausgestaltung der Ge­schlechtsrollen. Selbst fast ausnahmslos im Sinne der traditionellen Vorstel­lung von den geschlechtstypisch unterschiedlichen Rollen von Mann und Frau erzogen, wurde bei den Befragten auch durch die Konfrontation mit dem nationalsozialistischen Frauenbild keine tiefgreifende Irritation ausge­löst. Die zeitweilige Erweiterung des weiblichen Handlungsspielraums - ins­besondere während des Krieges - wurde, nicht immer ganz konfliktfrei, spä­ter wieder aufgegeben, und sie veränderte bei keiner der Befragten dauerhaft deren Lebensentwurf.

Als bestimmende und prägende Persönlichkeiten ihrer Jugend und Er­wachsenenzeit, auch als Leitbilder für die eigene Lebensgestaltung, werden von den Interviewten interessanterweise mehr Männer als Frauen genannt. Dennoch blieben sie selbst letztlich der alten weiblichen RoBe verhaftet, der die meisten sich auch aus unterschiedlichen Motiven und oh ne dauerhafte Identitätskonflikte unterwarfen.

Da für die Mehrzahl der Interviewten (bis auf E, F, I) Heirat und ein Fa­milienleben mit Kindern als wünschenswerte Lebensplanung auBer Frage standen, sollte eine Berufstätigkeit im allgemeinen nur zur Überbrückung der Zeit dienen, bis sie sich ihrer eigentlichen Aufgabe in der Familie widmen

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würden. Das wirkte sich auch auf die Berufswahl dergestalt aus, daB ei ne ma­teriell und zeitlich nicht zu aufwendige Ausbildung gesucht wurde und mög­lichst auch ein Beruf, der für eine Hausfrau und Mutter nützliche Kenntnisse vermittelte. Nicht alle konnten diesen Lebensentwurf realisieren; sieben der Befragten sind bzw. waren verheiratet, vier davon mit einem bis vier Kin­dern, drei mit unerfülltem Kinderwunsch.

Die Mütter unter ihnen ordneten ihre Berufstätigkeit ganz selbstverständ­lich den familiären Pflichten unter. A und B kehrten erst in das Berufsleben zurück, als ihre Kinder weitgehend selbständig waren. D konnte die Ansprü­che von Beruf und Familie gut miteinander vereinbaren, weil ihr ausrei­chende häusliche Hilfe zur Verfügung stand. Lediglich C, als lange Zeit Al­leinerziehende, die aus materielIer Not berufstätig sein muBte, fürchtet, ihre Kinder zeitweilig vernachlässigt zu haben, obgleich sie gerade in dem Beruf als Lehrerin auf günstige äuBere Bedingungen trafo

Letztlich leb ten alle Befragten in Rollen, die durch den Bezug auf das männliche Geschlecht definiert waren. Die einen schickten sich in die ihnen vorgegebene Ausgestaltung der weiblichen Rolle, die sie dem Manne zu-, wenn nicht sogar unterordnete. Die anderen opponierten gegen ei ne solche Rollenzuweisung, konnten aber auch nur auf eine Variante innerhalb des vorhandenen Repertoires ausweichen, weil sie sich ge gen das tradierte Rol­lenverständnis nicht durchzusetzen vermochten. Nur dadurch, daB sie einen Teilbereich des Lebens aussparten und auf eine Ehe verzichteten, erweiterte sich ihr sonstiger Handlungsspielraum und näherte sich demjenigen an, der üblicherweise dem männlichen Geschlecht vorbehalten blieb.

Auch wenn sich ein kausaler Zusammenhang nicht sicher nachweisen läBt, ist doch erkennbar, daB das Frauenbild der Befragten mit dem vom Na­tionalsozialismus propagierten weitgehend übereinstimmt, unabhängig da­von, ob sie es für sich selbst ganz oder partiell akzeptierten oder ablehnten. Dieses Leitbild war ja nicht allein unter Aussparung jeglicher Sexualität auf das Mutterideal beschränkt (vgl. Giesecke 1993, S. 209 f.). Reese spricht so­gar von einer Palette nationalsozialistischer Weiblichkeitsbilder, die sich Z.T. konträr gegenüberstanden. Allerdings sieht sie alle diese Varianten auf eine "verstärkte gesellschaftliche Verfügbarkeit von Frauen und Mädchen" hin ausgerichtet (1989, S.59). Das entspricht ganz den Lebensläufen der Be­fragten, die sich je nach Bedarf in der Kriegszeit für die (Volks-)Gemein­schaft, später in Familie oder Beruf verpflichten lieBen, von denen aber kaum eine selbst die Initiative ergriff und ihr Leben nach ihren eigenen Bedürfnis­sen gestaltete, und wenn sie dies tat, dann muBte sie sich dafür rechtfertigen oder glaubte zumindest, dies vor sich selbst und anderen tun zu müssen. So führt etwa E im Interview zur Legitimierung ihrer Entscheidung für die Ehe­losigkeit ihre Krankheit als wesentlich an, obgleich sie für sich die Rolle der "Frau als Dienerin des Mannes" ablehnt und auch "finanziell von keinem Mann abhängen möchte".

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Die Befragten erkennen heute selbst, daB ihre Einstellung nicht mehr zeitgemäB ist und billigen den Frauen der jüngeren Generation ein anders­artiges Rollenverständnis zu, können sich allerdings nicht vorstellen, wie sich dies konkret auswirken könnte, und sind durchaus skeptisch, ob damit eine glücklichere Lebensgestaltung gewährleistet ist. Ganz ablehnend stehen sie, in deren eigener Erziehung meist nicht einmal eine sexuelle Aufklärung statt­fand, der heutigen sexuellen Freizügigkeit gegenüber. Diese sind sie auch nicht als Teil weiblicher Emanzipation zu akzeptieren bereit.

Den Bemühungen urn ei ne erweiterte Emanzipation der Frau folgen die Befragten ohnehin mit ambivalenten Gefühlen. Einerseits registrieren sie weibliche Benachteiligungen, andererseits schätzen sie Vorzüge, die ihnen aus dem Bild der Frau als ei nes schutzbedürftigen Wesens erwachsen. Die mei sten haben sich so weit mit der ihnen zugewiesenen Rolle arrangiert, daB sie für sich selbst nicht das Bedürfnis haben, dagegen zu opponieren. Sie zei­gen aber Verständnis, wenn ihre Töchter und deren Generationsgenossinnen sich damit nicht mehr abfinden wollen und für Veränderungen kämpfen.

5.5.1.3 Politische Einstellung

Die gegenwärtige politische Einstellung der Befragten ist für eine Gegen­überstellung schwierig zu erfassen, weil die meisten sich nicht zu jedem Aspekt eindeutig artikulieren. Mit einer Ausnahme bekennen sich jedoch alle Informantinnen vorbehaltlos zur Demokratie als Staatsform; H bezeichnet sich sogar emphatisch als "dankbare Demokratin". Schwierig wird es für die Befragten, wenn sie versuchen, ihr Verhältnis zu unserem Staat zu konkreti­sieren. Als Verkörperung der Demokratie bleibt er ihrem Urteil nach weit hinter ihren idealistischen Vorstellungen zurück.

Als BeckerlHerkommerlBergmann sich Anfang der sechziger Jahre mit den politischen V orstellungen von Lehrern befaBten, kamen sie ebenfalls zu dem Ergebnis, daB für die von ihnen Befragten "die konkrete Welt unter der Dichotomie von Idealen und schlechter Realität" erschien (1968, S. 155). Sie führen diese Denkweise auf die "Abneigung, die Wirklichkeit von partiku­laren materiellen Interessen in Politik und Gesellschaft anzuerkennen," zu­rück.

Soweit sie ihr Urteil begründen, bemängeln die Informantinnen vor al­lem ein ÜbermaB an Freizügigkeit für den einzelnen Bürger, das ihrer Mei­nung nach den Staat im ganzen gefährdet. A lehnt die Demokratie als Staats­form sogar grundsätzlich ab, weil sie sie für nicht praktikabel hält. Fast alle Befragten fordern ganz rigide MaBnahmen zum Schutze des Staates, ohne Bedenken, dadurch einen Teil ihrer demokratischen Freiheiten aufzugeben. Dabei sind einzelne von ihnen wiederum gerade urn die Erhaltung demokra­tischer Grundvoraussetzungen besorgt und sehen unser Staatswesen bereits als eine Form von Diktatur an, eine Diktatur der Wirtschaftsmächte, denen

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sie sich hilflos ausgeliefert fühlen. Lediglich eine Interviewte setzt ihre Hoff­nung entsprechend ihrer parteipolitischen Ausrichtung auf einen Regierungs­wechsel, von dem sie sich auch ei ne Stärkung der Demokratie durch gröBere soziale Gerechtigkeit verspricht. lOR Es macht den Eindruck, als bereite es den meisten der Befragten Schwierigkeiten, ihre theoretische Vorstellung vom Funktionieren eines demokratischen Staatswesens mit Inhalt zu füllen und auf die eigene Person und das eigene Leben zu beziehen. Sie scheinen immer wieder in die Position der nicht teilnehmenden Zuschauer zu rücken 109, und auch ihr Versuch, den Staat nach der beobachteten Politik und diese nach für das Individuum gültigen moralischen Kategorien zu bewerten, muB schei­tern.

Becker/HerkommerlBergmann stieBen bei ihren Umfragen auf ähnliche Vorstellungen. "An die Stelle eines angemessenen Begriffs von der Gesell­schaft treten abstrakte Erwägungen über 'Gemeinschaft' und die 'Natur des Menschen'. Bruchstücke tradierter mittelständischer Ideologien, kaum reflek­tierte Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit und mangeindes Verständnis der gegenwärtigen sozialen und politischen Realität mischen sich vielfältig und schei nb ar widerspruchslos" (1968, S. 151), urteilen sie hart und ohne auf die Motive für ein Verharren in solchen überholten Denkmustern einzuge­hen.

Dennoch müssen auffällige Parallelen zwischen den seinerzeitigen Er­gebnissen und den Interviewaussagen einer Reihe von Befragten der vorlie­gen den Untersuchung eingeräumt werden. Das könnte so zu deuten sein, daB die politische Sozialisation der Informantinnen an diesem Punkt oder in die­ser Zeit stockte und sie sich auf die weitere Entwicklung in der Bundesrepu­blik nicht mehr ein- oder umzustellen vermochten.

Von dem Deutschlandbild, das ihnen in ihrer Jugend vermittelt wurde, sind alle Interviewten abgerückt, obschon sie ihm teilweise noch nachtrauern. Aber eine ganze Reihe von ihnen scheinen auch heute noch nicht sicher zu wissen, was sie an dessen Platz rücken möchten, was statt seiner diese emo­tionale Leerstelle ausfüllen könnte. Begriffe wie "Deutschland", "Deutsch­turn", "Nationalstolz" lösen bei ei ni gen Interviewten sehr emotional getönte ÄuBerungen aus, die ein breites Spektrum von Haltungen widerspiegeln, von

lOR Hopf steilte 1974 Varianten des Poli tik - und Staatsverständnisses in unserer Gesellschaft aus fast zwei Jahrzehnten gegenüber. Er kam zu dem Ergebnis, ihnen allen sei es gemein­sam, "daB sie die GesellschaftsverhäItnisse in der Bundesrepublik und die darin auftreten­den sozialen, ökonomischen und politischen Interessengegensätze gar nicht oder nur ab­gelöst von der Struktur politischer Herrschaftsverhältnisse betrachten." Hopf, Amulf: LehrerbewuBtsein im Wandel. Eine empirische Untersuchung über politische und gesell­schaftliche EinsteIIungen bei Junglehrem. Düsseldorf: Schwann 1974, S. 109.

109 Diese Haltung entspricht immer noch derjenigen, die Adomo in den sechziger Jahren be­schrieb: die Demokratie habe sich nicht derart in Deutschland eingebürgert, daB die Men­schen sie wirklich als ihre eigene Sache erführen. Zitiert in BeckerlHerkommer/Bergmann 1968, S. 156.

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unverändertem Nationalismus bis zu leidenschaftlicher Ablehnung aller pa­triotischen GefÜhle.

Die übrigen Befragten finden zu den angesprochenen Begriffen keinen rechten Zugang mehr, sie sehen sie als überholt an und wollen sich selbst eher als Europäerinnen denn als Deutsche sehen. Aber dann werden doch auch bei ihnen wieder unterdrückte Emotionen lebendig, die sie sich scheu­en, in W orte zu kleiden. IlO Manche scheinen vor allem der emotionalen Si­cherheit durch den selbstverständlichen Patriotismus ihrer Jugendzeit nach­zutrauern. Sie he ge eigentlich "immer noch die alten Gefühle, nur in be schei­denerem Ma8e", sagt eine der Befragten schlie8lich vorsichtig. 111

A: "Jeder hängt doch an seinem Vaterland! Das ist doch nur natürlich! Warum wir Deut­schen nicht?"

C: "leh will ..... ich wiJl zufrieden sein, daB ich Deutsche bin, und ich hasse alles, was das Deutsche zu sehr . eh in den Dreck zieht. Für mich ist Vaterland eh mein Land, meine Na­tion, mein Volk und die Menschen, die meine Sprache sprechen. Das kann ich auch nicht aufgeben. (00') Aber nichts van früher. Nein, nein, nein. Ich bin, ich bin wirklich, ader ich habe mich selber auch umerzogen, das muB ich sagen."

F : "Ich bin nicht so für das rein Deutsche. leh bin da eher Europäerin. leh bin wohl schon gleich nach dem Krieg zuviel herumgekommen."

I: "Das hat für mich alles gar keine Bedeutung. Wenn man mich im Ausland fragt, aus weJchem Land ich komme, dann sage ich immer: 'Ich bin Kosmopolitin. ,,,

D: "Finde ich idiotisch! Völlig idiotisch! Das ist vorbei! Wir sind nicht anders als andere, da bin ich drüber weg.( .. ) Aber wenn ich dann so höre - Masuren, und das heiBt heute, das liegt in Polen - das ist für mich ganz schrecklich, ich weiB gar nicht, was ich da sagen soli."

E: "Das ist sa viel schichtig. leh kann das heute gar nicht mehr so beantworten. leh war immer überzeugte Demokratin und habe alles von früher abgelehnt.. Aber ich bin sehr verunsichert, auch in dieser Beziehung."

Auch wenn sie ihre Einstellung gegenüber Fremden innerhalb des eigenen Landes darlegen, sich über ausländische Mitbürger oder ausländische Schüler und deren Bedürfnisse, Rechte, Ansprüche äuBern, sind die Stellungnahmen der Befragten zurückhaltend und betont wertneutral. Nur vorsichtig weisen sie auf Probleme und Mi8stände hin, die sie erkannt zu haben glauben. Es macht den Eindruck, als wollten sie sich selbst und anderen beweisen, daB sie

IlO Möding (1985) stieB bei ihrer Untersuchung auf ähnliche gefühlsbedingte HaJtungen und Unsicherheiten bei den von ihr befragten Frauen. Sie deutet sie so, daB ,,Politik von der vemünftigen Beurteilung befreit" sei. S. 291 ff.

III Auch Becker/Herkommer/Bergmann (1968) muBten einräumen, daB in den von ihnen ge­führten Interviews "der für die Mittelstandsideologie früher typische NationaJismus, die Identifikation mit dem Nationalstaat," nahezu völlig fehlte; nur einige Interviewte gaben "zögemd zu bedenken, nicht alle deutschen Tugenden und nationalen Symbole seien ab­zulehnen." S. 154.

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ihre Lektion aus der Vergangenheit gelernt haben. Noch deutlicher sind sie auf politisch korrekte Formulierungen bedacht, wenn sie über Juden sprechen oder über das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel. Tatsächlich haben die meisten Befragten gar keinen Kontakt zu Juden in der Bundesrepublik, wodurch ihre ÄuBerungen weitgehend theoretisch bleiben. Allerdings wird auch nicht bei allen Befragten deutlich, ob sie sich mit diesem Thema ganz persönlich und differenziert bis zu einem für sie schlüssigen Ergebnis aus­einandergesetzt haben und wie dieses Ergebnis gegebenenfalls aussieht.

Wie stark die eigenen Erlebnisse der Jahre bis 1945 noch heute nachwir­ken, zeigt sich ebenfalls, wenn die Befragten zu der Rolle des Militärs in der Bundesrepublik Stellung beziehen. Den Krieg als Mittel der Politik lehnen sie alle vehement ab, wobei ganz emotional die eigenen Erfahrungen als Opfer der "schrecklichen Auswirkungen", nicht prinzipielle politische Überlegungen den Ausschlag geben. Zusätze, die die Verantwortung für die furchtbaren Folgen des Krieges "nicht nur den Deutschen, sondern auch den anderen Nationen" zu­schreiben, und die Formulierung "die Deutschen", nie "wir Deutsche", drücken dabei eine innere Distanzierung zu den Verantwortlichen aus, wie sie häufig bei der Diskussion der nationalen Schuldfrage anklingt.

Die Bundeswehr wird von den mei sten als für die Sicherung des Friedens notwendige Verteidigungseinrichtung akzeptiert. Die zentrale Rolle, die dem Soldatenturn bis 1945 eingeräumt wurde, und die Verherrlichung alles Militäri­schen lehnen die Befragten jedoch heute spontan ebenso ab wie den Krieg.

I: "leh dachte schon damals als Kind, und ich denke noch heute: Ganz schrecklich, so ein Krieg! Und: Es gibt nichts, überhaupt gar nichts, was einen Krieg rechtfertigt!!"

C: "Und obwohl das Militärische immer wichtig für mich war, ich habe .. meine Kinder ha­ben niemals ein Kriegsspielzeug bekommen. Nie! Und wenn ein Kind auf der StraBe, am Wegrand steht und so 'ne Pistole, 'ne Wasserpistole oder so hat oder so 'n kleines Gewehr und macht peng peng peng, also dann halte ich an, steig ich aus und schrei das Kind an."

Aber dann stellen einzelne doch fest, daB sie selbst immer noch vieles nach letztlich soldatischen WertrnaBstäben betrachten und bewerten. Sie wünschen sich auch mehr Anerkennung des Soldatenberufs und vermissen die Unifor­men als normalen Anblick im StraBenbild. Auch andere nehmen eine ambi­valente Position ein, lehnen kognitiv alles Militärische ab und argumentieren scheinbar überzeugt dage gen, urn sich dann irritiert eingestehen zu müssen, daB sie sich immer noch mit positiven Gefühlen an das Erscheinungsbild der ehemaligen deutschen Wehrmacht erinnern und die Vorstellung von dem deutschen Soldaten als dem besten und heldenhaftesten Kämpfer nie aufge­geben haben. Wenn hier offenbar auch die alten Prägungen durchscheinen, so dürften sie sich doch auf marginale nostalgische Gefühle beschränken und für die politische Grundhaltung der Befragten oh ne Relevanz bleiben.

Diese Grundhaltung, die oben bereits als prinzipiell den demokratischen Staat bejahend beschrieben wurde, bleibt aber dem durch die verschiedenen

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Parteien geprägten politischen Tagesgeschehen gegenüber auffällig distan­ziert, ja ablehnend. Es scheint, als verunsichere die alltägliche Konfrontation mit politischen Entscheidungen die Befragten, und dies nicht erst in ihrem jetzigen höheren Lebensalter, wie sich aus den Interviews ergibt.

Zwar lehnen sie den totalitären Staat, wie sie ihn in ihrer Jugend unter dem Nationalsozialismus kennenlernten, fast ausnahmslos ab. Aber die poli­tische Gleichschaltung hatte ihnen doch auch eine Orientierung erleichtert, selbst wenn sie mit der propagierten Ideologie nicht übereinstimmten. Die Vielfait demokratischer Entscheidungsprozesse scheint auf sie dagegen ver­wirrend zu wirken. Anders, als dies in der Gegenwart bei ehemaligen DDR­Bürgern zu beobachten ist (vg!. "Spiegel" 44/95 S. 40 ff.), suchten die Be­fragten nicht Schutz in einem neuen Kollektiv, sondern zogen sich in die Pri­vatsphäre zurück, mit Kontakten zu Einzelpersonen oder überschaubaren Gruppen, die eine face-to-face-Interaktion erlaubten.

Das dürfte auch dazu beigetragen haben, daB nur wenige von ihnen be­reit waren, sich in einer Phase ihres Lebens politisch zu engagieren, sei es in einem öffentlichen Amt oder nur im Rahmen beruflicher oder anderer Inter­essenvertretungen. 112 Für diese politische Abstinenz gab es jedoch auch noch andere GrÜnde. Die Vorstellung, daB das Aufgabenfeld der Frau zunächst in­nerhalb der Familie liegt, lieB bei vielen gar nicht erst die Idee eines politi­schen Engagements aufkommen. Die Befragten haben in der Mehrzahl keine weiblichen Muster für "öffentliche Verhaltensweisen" kennengelernt und einüben können. Es fehlte an Vorbildern, und der Verhaltenskodex, der in der Bundesrepublik nach 1945 wieder akzeptiert wurde, sah für Frauen kaum ein Auftreten in der Öffentlichkeit vor. In Ostdeutschland war dies zwar et­was anders. Aber die Öffentlichkeit der SBZ war so stark politisch geprägt, daB die beiden Befragten, die von dort in den Westen übersiedelten, mit Po­litik höchst negative Erinnerungen verbanden und nunmehr ein urn so zu­rückhaltenderes Verhalten entwickelten.

Hinzu kommt das ganz starke Harmoniebedürfnis, das alle Befragten auszeichnet und bei vielen mit einer geringen Konflikttoleranz verbunden ist. Einige erklären diese Haltung mit der Gemeinschaftserziehung in ihrer Ju­gendzeit, andere mit ihrer religiösen Einstellung. Die meisten sind bereit, auch persönliche Ansprüche aufzugeben, urn Konflikte zu vermeiden. In den Interviews finden sich ei ne Reihe von Beispielen für Bagatellisierungen oder euphemistische Umdeutungen, durch die Konflikte nicht als solche benannt werden müssen (vg!. KapA.2.2A). Das prädestinierte die Befragten nicht ge­rade für politische Aktivitäten in der Öffentlichkeit, die zwangsläufig auch zu Kontroversen geführt hätten. Zu sozialem Engagement in einem überschau-

112 Den Wunsch, das eigene Leben möglichst von Poli tik frei zu halten, drückten zahlreiche Generationsgenossen der Befragten auch schon in den sechziger Jahren aus. Vgl. Bek­ker/Herkommer/Bergmann 1968, S. 156. Es ist zu vermuten, daB die jetzt Interviewten sich seinerzeit ähnlich geäuBert hätten.

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baren Rahmen - in der Gemeinde, in der Nachbarschaft - waren und sind sie hingegen bereit, soweit es sich urn Aktivitäten innerhalb des traditionell weiblichen Aufgabenfeldes der Fürsorge für Hilfsbedürftige und Benach­teiligte handelt.

5.5.1.4 Zusammenfassung

Die ethischen, sozialen und politischen Wertorientierungen und Verhaltens­dispositionen der Befragten sollten auf Spuren von Einflüssen aus der Zeit des Nationalsozialismus hin näher betrachtet werden.

Die Interviewten selbst beurteilen die ihnen seinerzeit vermittelten Werte heute unterschiedlich. Einige Befragte sehen sie insgesarnt - bis auf Ausnah­men, die weiter oben aufgewiesen wurden - ungebrochen positiv: "Die Wer­te waren gut, sie wurden nur miBbraucht." Andere Informantinnen stellen sie sehr kritisch in Frage, und dennoch sind viele dieser Werte, mit einer verän­derten ideologischen Legitimation, auch für sie bedeutsam geblieben.

In der Identitätsentwicklung der Befragten haben die Jahre bis 1945 ihre Spuren in der leidenschaftlichen Ablehnung von Gewalt und der Wertschät­zung immaterieller Güter hinterlassen, in einem auf das Gemeinwohl ausge­richteten PflichtbewuBtsein und der Neigung zu Aktivismus, in antiintellek­tuelIer Gefühlsbetontheit, Technikferne, Naturverbundenheit und in einem traditionellen, an der Volkskunst orientierten Geschmack.

Ein- und Unterordnung akzeptieren die Interviewten zum groBen Teil auch heute noch, weil sie damit nicht ausschlieBlich negative Erfahrungen verbinden und weil sie ihr Selbstwertgefühl letztlich immer noch vor allem aus der Aufopferung des Selbst und dem Dienst für andere gewinnen.

Auch in der Einstellung der Befragten zu Staat und Politik wirken die Er­fahrungen ihrer Jugendjahre nach. Fast alle haben der Ideologie des National­sozialismus ei ne deutliche Absage erteilt, was bei den meisten jedoch nicht zu einem bes onderen staatsbürgerlichen Engagement führte. Sie haben es in all den Jahren seit dem Ende des Dritten Reiches weitgehend vermieden, an politischen Entscheidungsprozessen aktiv zu partizipieren. DaB dies bei der Mehrzahl keine prinzipielle Ablehnung der Bundesrepublik als demokrati­sches Staatswesen bedeutete, sondern auf Unsicherheit und mangeinder Er­fahrung beruhte, wurde weiter oben ausgeführt.

Die meisten politischen MeinungsäuBerungen der Informantinnen ähneln in einem überraschenden Grad denjenigen der von Becker/Herkommer/Berg­mann vor drei Jahrzehnten Befragten (u. a. S. 154). Das legt die deprimierende Folgerung nahe, daB es immer noch nicht gelungen ist, bei den Befragten der vorliegenden Untersuchung, vermutlich aber auch bei anderen Generations­genossinnen, an die Stelle, die früher Deutschland als das geliebte und verehrte Vaterland einnahm, ein klares Bild der Bundesrepublik zu rocken und rational und emotional zu verankern. Dadurch wurde es ihnen erheblich erschwert, als Staatsbürgerinnen ihren Anteil an unserem Staat zu erkennen und zu akzeptieren.

142

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Dieser Haltung entsprach es, daB viele Jahre lang kaum eine der Befragten öffentlich oder gegenüber der jüngeren Generation - auch den eigenen Kindem gegenüber - zu politischen Fragen Stellung nehmen mochte. Die gegenwärtige politische Situation hat diese Haltung erschüttert. Die Befragten vermissen un­ter den heutigen Politikem profilierte Persönlichkeiten und beobachten mit Skepsis bis Pessimismus das Aufkommen rechtsradikaler Strömungen, die bei ihnen gröBere Ängste auslösen als der früher so gefürchtete Linksradikalismus. Mehrere äuBem die Besorgnis, ein neuer "starker Mann" könne heute wieder leicht die groBe Mehrheit für sich gewinnen, und nicht wenige fragen sich, ob sie ihre bisher gepflegte politische Abstinenz noch rechtfertigen können, ohne sich an einer derartigen Entwicklung mitschuldig zu machen. Allein die Tatsa­che, daB sie sich für die Interviews dieser Untersuchung zur Verfügung steIlten, was sie teilweise zunächst groBe Überwindung kostete, war ein bewuBter Schritt in der Richtung auf ein stärkeres Engagement bei politischen Fragen.

5.5.2 Berufsleben

Verschiedene Auswirkungen ihrer Jugenderlebnisse im Dritten Reich auf die Persönlichkeitsentwicklung der Befragten wurden bereits aufgewiesen, ohne explizit den Bereich des Berufslebens mitzuerfassen. Alle ergriffen den Lehrerberuf erst nach 1945. Im folgenden wird nun der Frage nachgegangen, ob und gegebenenfalls wie die Erfahrungen mit den nationalsozialistischen Erziehungsmächten einerseits den BerufswahlprozeB, andererseits die Gestal­tung des eigenen Unterrichts bei den Informantinnen beeinfluBte.

5.5.2.1 Berufswahl

Wie sich aus den Interviewaussagen ergibt, wollten ursprünglich nur wenige der Befragten Lehrerin werden. "Lehrerin" als ersten Berufswunsch nennen le­diglich vier der Befragten, von denen wiederum nur eine diesen Wunsch ohne Umwege verwirklichen konnte. Sechs - also jede zweite - strebten einen ande­ren Beruf an. Zwei hatten zunächst keine klare Berufsvorstellung. Andererseits waren unter den sieben Befragten, die vor der Lehrerausbildung in einem ande­ren Beruf tätig waren, drei, die eigentlich hatten Lehrerin werden wollen.

Wenn auch diese Ergebnisse keinen Anspruch auf Repräsentativität erhe­ben können, so verweisen sie doch auf ein Phänomen, das jene Jahrgänge charakterisiert, deren Eintritt in das Berufsleben durch die Situation der Kriegs- und Nachkriegsjahre bestimmt war, als - insbesondere für junge Frauen - nur sehr wenige Ausbildungsmöglichkeiten zur Verfügung standen. DaB es sich bei der Lehrerberufswahl ohnehin vielfach urn ei ne Sekundär­entscheidung handelt, wurde in U ntersuchungen wiederholt festgestellt. 113

113 Rosensträter weist bei den PH-Studenten der ersten Nachkriegszeit auf die besonders hohe Quote derjenigen hin, die zuvor ein anderes Studium begonnen hatten. Rosensträter, Hein-

143

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Die Berufswahlmotive angehender Lehrer lassen sich nach

1. materiellen Motiven, 2. der Befriedigung ichhafter seelischer Bedürfnisse, 3. der Befriedigung derartiger Bedürfnisse, die zugleich als berufsbedeutsam

empfunden werden, 4. vorhandenen Begabungen und Fähigkeiten, 5. erfolgten menschlichen Begegnungen und 6. einem Rest verschiedenster Motive

aufg1iedern, wobei die nichtmateriellen Motive zahlenmäBig überwiegen, wie von mehreren Autoren nachgewiesen wurde. 114

Bei den Befragten der vorliegenden Untersuchung ist das Ergebnis ein anderes. Materielle Motive sind bei den Mehrfachnennungen und den Über­schneidungen unterschiedlicher Motive am häufigsten vertreten, beziehen sich aber nur zum Teil auf Einkommen und (Krisen-)Sicherheit des Berufs, häufig hingegen auf das kurze und weniger kostspielige Studium.

Die Begründungen im einzelnen:

A B C D E F G H

K L M

1. 2. 3. 4. 5. 6. x H H x x X

x X x x x x

x H

H x x x

x

H

x x

x H H

x H

x x x H

x

(H = Hauptmotiv; x = nachrangige Motive)

x

H H

Für C waren die Anrechnung ihres früheren Studiums und die für sie als AJleinerziehende günstige Arbeitszeitregelung des Berufs wichtig.

rieh: Zum Wandel des RekrutierungsfeJdes der Volksschullehrer (1967). In: Gemer, B. (Hrsg.): Der Lehrer und Erzieher. (3.erw. Aufl.) Bad HeiJbrunn: KJinkhardt 1971, S. 137.VgI. hierzu auch Hom 1968, S. 292. Rosensträter sieht generelI die Berufswahl eines Teils der Lehramtsstudenten seit der Aka­demisierung der Volkssehullehrerausbildung als "resignativ, durch ein Zurücksteeken zu­vor angestrebter Leistungs- und Berufsziele" bestimmt an. S. 143. Auch Sehwänke geht - u. a. unter Berücksichtigung von Untersuchungsergebnissen anderer Autoren, wie Birk und Fröhlich - davon aus, daB etwa ein Drittel der Studienanfánger an leh­rerausbiJdenden Institutionen nicht primär den Lehrerberuf anstrebte, sondem eine Se­kundärentscheidung getroffen hat. Schwänke, Ulf: Der Beruf des Lehrers. ProfessionaJisie­rung und Autonomie im historischen ProzeB. Weinheim, München: Juventa VerI. 1988, S. 84.

114 Hom 1968, S. 328;

144

Schwänke (1988, S. 73 ff.) stellt u. a. die in dieser Hinsicht einander ähnelnden Ergeb­nisse von Lucker, Hom und Baus et.aI. aus den Jahren 1962, 1968 und 1977 gegenüber.

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G und H stand in der bes onderen Situation in der Sowjetischen Besatzungszone kein an­derer Beruf als der der Neulehrerin offen. Die beiden Informantinnen qualifizierten sich durch eine mehrstufige berufsbegIeitende Ausbildung und durch Zusatzkurse, muBten aber dennoch nach Übersiedlung in die BRD eine Ergänzungsausbildung mit AbschluB­prüfung absolvieren.

Bei den unter 5. genannten "menschlichen Begegnungen" handelt es sich auBer bei K nicht urn Lehrer, sondern urn zufällige Ratgeber, die die betreffende Befragten auf den Beruf der Volksschullehrerin als möglicherweise für sie geeignet aufmerksam machten.

5.5.2.2 Berufsidentität

DaB die Mehrzahl der Befragten sich aus rationalen Gründen für den Beruf entschied, schlieBt eine spätere Entwicklung zu einer insgesamt positiven Einstellung und einer Identifikation mit der Lehrerrolle nicht aus, wie die Be­fragungsergebnisse zeigen.

Ein wesentlicher Faktor bei ihrer ersten Berufswahl war für die Inter­viewten das Bild der Volksschullehrerin und des Volksschullehrers, wie es sich ihnen von auBen darstellte. Fünf der Befragten, die betonen, sie hätten sich früher gar nicht vorstellen können, einmal an einer Volksschule zu un­terrichten, nennen als Begründung hierfür nicht nur Desinteresse an der päd­agogischen Tätigkeit und die Vorstellung, sich damit auf ein zu niedriges gei­stiges Niveau zu begeben, sondern auch das geringe Sozialprestige des Be­rufs. ll5 Zwei Befragte schildern an konkreten Beispielen, mit welchem Dün-

115 Mit dem Sozialprestige des Volksschullehrers bzw. der Volksschullehrerin in den ver­schiedenen sozialen Schichten setzten sich etliche Autoren auseinander, u. a.: Recum, Hasso von: Volksschullehrerberuf und soziale Mobilität. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 7(1955)4, S. 574-579; Schuh, Eduard: Der Volksschullehrer. Störfaktoren im Berufsleben und ihre Rückwirkung auf die Einstellung im Beruf. Berlin u. a.: Schroedel 1962, S. 44 ff.; Hom 1968, S. 323; Zinnecker, Jürgen: Lehrerinnen der 50er und 60er Jahre. Bildungsforschung kritisch gele­sen. In: Brehmer, I. (Hrsg.): Lehrerinnen. Zur Geschichte eines Frauenberufs. Texte aus dem Lehrerinnenalltag. München, Wien, Baltimore: Urban u. Schwarzenberg 1980, S. 206 ff.; Schwänke 1988, S. 9, S. 219; Stahl, Uta: Professionalität und Zufriedenheit im Beruf. Eine empirische Studie an Grund­und Hauptschulen. Weinheim: Deutscher Studien Verlag 1995, S. 299. Sie kommen zu dem Ergebnis, daB das soziale Ansehen des Lehrers insgesarnt geringer als dasjenige anderer Berufe mit ähnlicher Ausbildung ist und daB der Volksschul- bzw. GIH­Lehrer immer noch in der sozialen Hierarchie deutlich unter dem des Gymnasiallehrers rangiert, auch wenn beide Berufe sich in der Ausbildung und den Aufgaben zunehmend angenähert haben. Allerdings gilt dies nach den veröffentlichten Untersuchungsergebnis­sen vor allem für Männer; für Frauen galt und gilt der Beruf weitgehend noch heute eher als sozial angemessen, wie sich auch Lehrerinnen aus höheren soziaIen Schichten rekrutie­ren als ihre männlichen Kollegen. Insofem sind die Einstellungen der betreffenden Be­fragten nicht berufstypisch.

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keI - wie sie rückblickend seIbst urteilen - insbesondere männlichen Volks­schullehrern in ihrer bürgerlichen Herkunftsschicht begegnet wurde und wie diejenigen ihrer Mitschülerinnen, die sich für die Ausbildung als Volks­schullehrerin entschieden, herablassend als geistig wenig anspruchsvoll belä­chelt wurden.

So bedeutete die spätere Tätigkeit in diesem Beruf für einige der Be­fragten subjektiv einen sozialen Abstieg. Vier von ihnen erreichten herausge­hobene berufliche Positionen, leiteten groBe Schulen und waren jahrelang in der Lehreraus- und -fortbildung tätig. Es würde den Rahmen der vorliegen­den Untersuchung sprengen, wäre aber interessant festzustellen, ob hier ein Zusammenhang besteht, etwa in der Art, daB die betreffenden Informan­tinnen ihre Berufstätigkeit aufwerteten, indem sie sich seIbst besonders quali­fizierten, oder daB sie sich - vielleicht auch als nachträgliche Legitimation ihrer Entscheidung - im Laufe der Zeit doch so stark mit ihren beruflichen Aufgaben identifizierten, daB sie dann ein überdurchschnittliches Engage­ment entwickelten.

Andere Befragte, die einer Familie der unteren Mittelschicht entstarnmen, wo der Beruf der Lehrerin höher angesehen war, erzielten durch ihn einen Sta­tusgewinn und erlebten die Zugehörigkeit zu dem Berufsstand als sozialen Auf­stieg. Lemberg konstatiert ein hohes MaB an Selbstsicherheit und Berufszufrie­denheit gerade bei Lehrern, die aus unteren Sozialschichten kommen. 116

Rückblickend zeigen sich jedoch nicht nur diese, sondern ausnahmslos alle Interviewten mit ihrer mehr oder minder freiwilligen Berufswahl sehr zufrieden und haben auch ein überwiegend positives Bild vom Beruf der Volksschulleh­rerin entwickelt, unabhängig davon, welche Position sie selbst erreichten und ob sie noch berufstätig sind. Auch unterbrach keine der Informantinnen ihre Tätigkeit oder beendete sie vor Erreichen der Altersgrenze.

Die frühere Ablehnung des Berufs scheint sich also nicht negativ auf die Motivation der Befragten ausgewirkt zu haben. Sie beurteilen ihre beruflichen Erfahrungen bei durchaus kritischer Abwägung dessen, was sie bei ihren Schülern bewirken konnten, in bemerkenswerter Übereinstimmung als positiv und insbesondere den Umgang mit den Schülern als emotional befriedigend.

Die Zufriedenheit mit dem Beruf wird aber auch damit begründet, daB er sich besonders für Frauen eigne. Die Befragten nennen mehrere GrÜnde. Die Ausbildung sei kurz und mit relativ geringen Kosten verbunden, die Arbeits­bedingungen - insbesondere die Arbeitszeit mit vormittäglichem Unterricht und langen Ferien - beeinträchtigten gegebenenfalls das Familienleben in ge­ringerem MaBe als bei anderen Tätigkeiten. Darüber hinaus werde der Beruf auch in der Gesellschaft allgemein für Frauen akzeptiert. Hier decken sich al­so die Erfahrungen der Befragten mit ihren Erwartungen, die seinerzeit be­reits in die Berufswahlentscheidung mit einflossen.

116 Lemberg, Eugen: Die soziale Rolle des Lehrers. (1970) In: Gemer 1976, S. 143.

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Diese Argurnente werden vorwiegend, aber nicht ausschlieBlich von den sieben verheirateten Inforrnantinnen vorgebracht und von den vier Befragten, deren Ehernänner den gleichen Beruf wie sie ausübten, als zweifache Er­leichterung für die Bewältigung der eigenen Doppelrolle angeführt.

DaB der Beruf des Volksschullehrers bzw. der -lehrerin nur sehr wenige Karrierechancen bietet, ernpfinden alle jene Befragten, die sich selbst nie urn ein Beförderungsarnt bernühten, nicht als Negativurn. Dazu zählen bis auf die zeitweilig alleinerziehende C alle verheirateten Inforrnantinnen. Für diese Frauen, die ihren Beruf gem ausübten, ihn aber nicht als den Mittelpunkt ih­res Lebens sahen, könnte es sogar entlastend gewirkt haben, daB die Konkur­renzsituation entschärft blieb, weil auch die rneisten Kolleginnen während ih­res gesarnten Berufslebens keine Aussicht hatten, über die Position einer ein­fachen Lehrerin hinaus aufzusteigen. 117

Als eine wesentliche Ursache für den niedrigen Anteil von Frauen in Funktionsstellen wird häufig angeführt, Lehrerinnen seien durch ihre Dop­pelbelastung in Haushalt und Beruf deutlich weniger karriereorientiert als ih­re rnännlichen Kollegen. 1lR Daneben dürfte aber auch ein traditionelles Rol­lenverständnis, wie es in der für die Befragten relevanten Zeit noch vor­herrschte, einer als "unweiblich" verstandenen Leitungs- und Vorgesetzten­funktion entgegengestanden haben. 119

Als Ende der sechziger Jahre Bernühungen urn die Professionalisierung des Lehrerberufs einsetzten, war ein Schritt auf diesern Wege die Verände­rung der Ausbildung rnit einer Reduzierung der Fächer und der Speziali-

117 Abgesehen davon, daB es generelI nur wenige Beförderungsmöglichkeiten für Lehrer gibt, sind die Frauen in gehobenen Positionen deutlich unterrepräsentiert, wenn auch heute nicht mehr ganz in dem MaBe wie 1974, als das Zahlenverhältnis Schulleiterinnen gegen­über Schulleitern etwa 1:7 bzw. etwa I: I 0 zwischen weiblichen und männlichen Schulauf­sichtsbeamten betrug. V gl. Statistiken in Brehmer 1980, S. 242 f. Im Jahr 1998 haben z. B. von den 25 Grundschulen einer mittelgroBen Stadt in NRW 8 weib­liche, 17 männliche Schulleiter; die 5 Hauptschulen werden ausschlieBlich von Rektoren ge­leitet.

IIR Vgl. Lernberg 1970, S. ISO; Schwänke 1988, S. 130 ff. Letzterer hebt in diesem Zusammenhang hervor, daB Lehrerinnen bei Konflikten zwischen beruflichen und familiären Verpflichtungen fast immer die beruflichen hintanstellen. Ein Beispiel hierfür bietet C, die auf ein Stipendium für ein Aufbaustudium verzichtete, weil sie sich als einfache Lehrerin besser um ihre Kinder kümmern konnte.

119 Gahlings und Moering berichten sowohl BeispieIe für ein derartiges Verständnis vieler Lehre­rinnen als auch solche heftigen männlichen Widerstandes gegen Frauen in Funktionsstellen. Gahlings, Ilse; Moering, ElJe: Die Volksschullehrerin. Sozialgeschichte und Gegenwarts­lage. Heidelberg: Quelle u. Meyer 1962, S. 159 ff., S. 231 ff. Ähnliches findet sich bei Zinnecker, der verschiedene Aspekte der Berufstätigkeit von Lehre­rinnen in den sechziger und siebziger Jahren differenziert darstellt. Zinnecker 1980, S. 202-227. V gl. auch den Überblick über die Forschungsergebnisse zur geschlechtsspezifischen Be­rufsgestaltung von Lehrerinnen und Lehrern bei Hänsel, Dagmar: Frauen und Männer im Lehrberuf. In: Pädagogik, 49(1997)4, S. 16-21.

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sierung auf Schulstufen sowie der Verlagerung des Studiums an die Univer­sitäten. Das ging allerdings mit einer de facto verlängerten Studiendauer ein­her. Dieser Entwicklung steht die Mehrzahl der Befragten eher skeptisch ge­genüber, nicht nur wegen des erhöhten Zeitaufwandes; sie vermissen dabei auch den engeren Bezug zur Unterrichtspraxis ihrer eigenen Ausbildung und halten die stärkere Wissenschaftsorientierung der jetzigen Ausbildung für ir­relevant und wenig hilfreich. 120

Letztlich dürfte hier immer noch die Vorstellung vom "geborenen Erzie­her" (Spranger) als dem Idealbild des Lehrers mitsprechen, die bis Ende der sechziger Jahre, also zur Zeit der Ausbildung der Befragten, vorherrschte121

und die von dies en offensichtlich problemlos übernommen wurde. Ebenso wurde im Nationalsozialismus davon ausgegangen, daB die Fähigkeiten für das Amt einer Führerin oder eines Führers nicht erlernt werden könnten, sondern angeboren oder nicht angeboren seien.

Obgleich sie ja zum gröBten Teil gerade nicht vorrangig aus pädagogi­schem Interesse oder "Liebe zum Kind" ihren Beruf wählten, gehen die mei­sten Befragten davon aus, daB sie die Fähigkeit, mit Kindern umzugehen, be­reits vor ihrer Ausbildung besaBen. Als erfolgreichsten Weg zur Verbesse­rung derartiger angeborener Fähigkeiten sehen sie immer noch die eigene Unterrichtsarbeit unter der Anleitung erfahrener Praktiker an. Eine Art Mei­sterlehre würde vermutlich am ehesten ihrer Vorstellung einer effizienten praxisorientierten Ausbildung entsprechen.

Unzulänglichkeiten der eigenen Ausbildung werden nur vereinzelt kriti­siert, wobei das Aussparen der jüngsten Geschichte bemängelt wird (von E

120 Die Urteile der Informantinnen ähneln sich. obgleich sie selbst unterschiedliche Ausbildungs­formen erlebten. Zwei Befragte durchliefen die Kurzausbildung als Schulhelferin in der SBZ, die sie durch eine Zusatzausbildung und später in Westdeutschland ein verkürztes Studium ergänzten. Eine Befragte besuchte zunächst während der NS-Zeit eineinhalb Jahre lang eine Pädagogische Akademie, eine andere eineinhalb Jahre eine LBA; beide setzten dann ihre Ausbildung als Aushilfslehrerin, eine mit anschlie8endem verkürztem Studium, fort.

121 Von Hentig (1959) und Wilhelm (1963) nahmen dieses verbreitete Berufsverständnis schon früh zum Anla8, gegen den "geborenen" und für den "gelemten" Erzieher zu argu­mentieren. Hentig, Hartmut v.: Der Beruf des Lehrers. In: Gemer 1976, S. 19; Wilhelm, Theodor: Das Selbstbewu8tsein des Lehrers. In: Gemer 1976, S. 31 ff.

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Andererseits ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fragen der pädagogischen Professionalität auch heute noch keineswegs abgeschlossen, wie aktuelle Veröffent­lichungen belegen: so die Studie zur Professionalität und Zufriedenheit im Beruf von Grund- und Hauptschullehrerinnen und -lehrem von U. Stahl (1995) oder Aufsätze wie Hom, Klaus-Peter; Lüders, Christian: Erziehungswissenschaftliche Ausbildung zwischen Disziplin und Profession. Zur Einleitung in den Themenschwerpunkt. In: Zeitschrift für Pädagogik 43(1997)5, S. 759-769; Hansel, Toni; Jendrowiak, Hans-Wemer: Der Beitrag des erziehungswissenschaftlichen Studiums an der Universität zur Professionalisierung von Grundschullehrem. In: Pädago­gische Rundschau 51(1997)2, S. 155-164; Bauer, Karl-Oswald: Pädagogische Professionalität und Lehrerarbeit. In: Pädagogik 49(1997)4, S. 22-26.

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und M) bzw. das Niveau der Lehrerausbildung seinerzeit in der SBZ (von G). Nur zwei Befragte, die selbst an Studienseminaren tätig waren, treten für eine generell noch stärkere Professionalisierung der Lehrerausbildung ein. Die Mehrzahl der Interviewten war und ist wenig an Fragen der Ausbildung in­teressiert. DaB dies nicht nur mit ihrem Lebensalter und der zeitlichen Di­stanz zur eigenen Ausbildungszeit zusammenhängt, zeigt sich darin, daB die meisten auch FortbildungsmaBnahmen sehr reserviert gegenüberstehen, so­weit deren praktischer Nutzen für die Unterrichtsarbeit nicht direkt erkennbar ist. Eine derartige Haltung wird von einer Reihe von Autoren bei vielen Leh­rerinnen konstatiert, am häufigsten bei solchen mit familiären Verpflichtun­gen. Sie wird mit deren Rollenverständnis einerseits und ihrer Doppelbela­stung durch Beruf und häusliche Aufgaben andererseits begründet. 122

Während also erzieherische und soziale Aufgaben und auch ei ne damit verbundene Mehrbelastung akzeptiert wurden, versuchten die meisten Be­fragten, Verwaltungsaufgaben möglichst auszuweichen. Auch zu einer Be­teiligung in Gremien zur Vertretung beruflicher Interessen war kaum ei ne von ihnen bereit; selbst die bloBe Mitgliedschaft in einem der Berufs­verbände kam für eine Reihe von ihnen nicht in Frage. Nicht nur die Scheu var zusätzlicher Arbeitsbelastung dürfte die Ursache für diese Haltung gewe­sen sein. Damit bewegten die Befragten sich auch wieder im Rahmen des tradierten - und ebenso während ihrer Jugend in der Zeit des Dritten Reiches gültigen - weiblichen Rollenstereotyps, welches ein soziales Engagement nicht nur zuläBt, sondern sogar fordert, solange sich dieses nicht über den fürsorgerischen Bereich hinaus auch auf den politischen ausweitet. 123

Entsprechend geschlechtstypisch verstanden und gestalteten die Befragten auch ihre Berufsrolle. Viele geben an, sie hätten sich für ihre Schülerinnen und Schüler ähnlich verantwortlich gefühlt wie eine Mutter für die eigenen Kinder. Eine derartige Interpretation der Lehrerinnenrolle wird als unprofessionell durchaus nicht allgemein positiv gewertet. 124 Auf die Befragten bezogen, könn­te aber auch der Befund einer von Zinnecker (1980) zitierten Untersuchung aus

122 Moering in Gahlings/Moering 1962, S.233; Lemberg 1970, S.150; Brehmer 1980, S.360f.

123 "DaB die Frau dem Organisiertsein mit einer natürlichen Abwehr begegnet, weil das Weibliche dem Lebendigen zu nahe steht, ist ei ne - wenigstens in Europa - gängige Vor­stellung, die durch Erfahrung bestätigt wird" stellt Gahlings 1962 (S. 152) fest, und Breh­mer (1980, S. 384 f.) erklärt diese HaItung ais durchaus verständliche Verweigerung und Ablehnung "der 'here'schenden gesellschaftlichen Strategien". Schwänke (1988, S. 133) glaubt bereits ein etwas verstärktes Engagement in der vermehrten Mitarbeit von Frauen in Lehrerverbänden und Gewerkschaften zu erkennen. Es ist jedoch auch heute noch fest­zustellen, daB Frauen in den Organisationen auf den höheren Ebenen der Hierarchie, eben­so wie in der Schule auf Funktionsstellen, nach wie vor stark untereepräsentiert sind.

124 Vgl. z. B. von Maydelll970, zitiert in Schwänke 1988, S. 131; Giesecke, Hermann: Zum Selbstverständnis des professionellen Pädagogen. (1969) In: Gemer 1976, S. 41; Brehmer 1988, S. 377-388.

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den USA zutreffen, demzufolge eine intensive Beschäftigung und Identifikation der Lehrerin mit familialen Rollenerwartungen ihre positive Einstellung zu den beruflichen Aufgaben keineswegs gefahrdet, sondem eher verstärkt.

Nach der Einteilung Caselmanns in logotrope oder paidotrope Lehrertypen fällt die Mehrzahl der Befragten unter die letztere Kategorie. 125 Nur Fund I sa­hen sich vorrangig als Vertreterinnen ihrer Fächer. Folgerichtig entschieden sich 1968 auch neun der Befragten für die Grundschule - und damit für die Ar­beit mit jüngeren Kindem, bei der der Schwerpunkt im erzieherischen Bereich liegt - und nur drei für die Hauptschule mit ausgeprägtem Fachunterricht.126

Die Auswirkungen einer solchen an Geschlechtsrollenstereotypen orien­tierten Gestaltung eines zum groBen Teil von Frauen ausgeübten Berufs wur­den in der Literatur wiederholt diskutiert (s. u. a. Brehmer 1980, S.242; Schwänke 1988, S. 130). Ende der sechziger Jahre wies von Maydell in einer Untersuchung nach, daB bei PH-Studenten der Volksschullehrerberuf über­wiegend als lediglich für Frauen akzeptabel angesehen wurde. Auch hier ar­gumentierten die Befragten - wie die Informantinnen der vorliegenden Un­tersuchung - damit, daB dieser Beruf sich ohne VerstoB gegen die weiblichen Rollennormen ausüben las se. Diese ,,'Feminisierung' der Lehrerrolle", die von Maydell als die "familiale Interpretation der berufsspezifischen Tätigkei­ten sowie die Übertragung der Attribute der tradierten femininen Ge­schlechtsrolle auf das Berufsrollenmuster" beschreibt, stellt der Autor als we­sentliches Hindernis im ProfessionalisierungsprozeB des Lehrerberufs dar (zit. in Schwänke 1988, S. 133).

125 Schuh (1962, S. 34) hält diese Unterschcidung auch bei Volksschullehrern für zutreffend. Schwänke (1988, S. 77) zitiert hingegen mehrere Autoren, die aufgrund späterer Untersu­chungen der dieser Einteilung zugrundcgelegten dichotomen Ausprägung des Lehreren­gagements widersprechen; zur Erklärung der Wahl einer Schulform bietet sich das Sche­ma jedoch an, während andere Typisierungen von Lehrern aus späteren Untersuchungen (vgl. Terhart) sich dafür weniger eignen. Terhart, Ewald: Lehrerbiographien. In: König, E.; Zedler, P.: Bilanz qualitativer Forschung. Bd.II: Methoden. Weinheim: Deutscher Stu­dien Verlag 1995, S. 225-264.

126 Diese Aufteilung entspricht einer allgemeinen Tendenz bei der Entscheidung von Lehre­rinnen für eine Unterrichts- oder Schulstufe. Der Anteil der Frauen ist in der Grundschule bei weitem am höchsten - männliche Lehrer sind hier bereits die Ausnahme -, im Gymna­sium am niedrigsten.

150

Zinnecker (1980, S. 207) gibt für das Jahr 1965 den Anteil der Lehrerinnen an der Ge­samtheit der Lehrer in der Primarstufe mit 52%, in der Sekundarstufe mit 35% an. Breh­mer (1980, S. 237) zitiert aus den Grund- und Strukturdaten des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft 1975 etwas veränderte Zahlenverhältnisse: an Grund- und Hauptschulen 63% Lehrerinnen, an Sonderschulen 63,9%, an Realschulen 51,7%, an Gymnasien 37%. Der prozentuale Anteil der Lehrerinnen hat sich seitdem nicht mehr we­sentlich verändert, lediglich in der Primarstufe hat er noch erheblich zugenommen. Für das Jahr 1993 werden Zahlen angegeben, die in Grund-/Hauptschulen 73% entsprechen, die sich aber in 82,4% für die Grundschulen und 53,1 % für die Hauptschulen aufgliedern; in Sonderschulen sind 69%, in Realschulen 53,8%, in Gymnasien 43,2% weibliche Lehr­kräfte beschäftigt. Statistisches Jahrbuch f. d. Bundesrepublik Deutschland 1995, S. 387.

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Wenn auch andere Autoren - so z. B. Schwänke selbst (S. 134), der sich u. a. auf eine Untersuchung von Wältz bezieht - eine Veränderung dieser Ge­schlechtsrollenstereotypen erhoffen oder bereits feststellen zu können glau­ben, so entspricht bei der Mehrzahl der Befragten die Einstellung zu ihrer be­ruflichen Tätigkeit doch auch heute noch weitgehend dem durch von May­dell beschriebenen alten Berufsrollenmuster. 127

Ihr Berufsverständnis leiteten die meisten Befragten nicht aus Vorbildern unter ihren eigenen Lehrern ab. Dies mag auch damit zusammenhängen, daB sie sich vor allem an die Zeit in der Oberschule erinnern und diese Erfah­rungen sich nur sehr bedingt auf die eigene Berufsarbeit in der Volksschule übertragen lieBen. Soweit Befragte sich an der eigenen Schulzeit orientierten, werden weniger positive, sondern eher negative Beispiele für das Lehrer­verhalten genanntl28, wie sie selbst es in ihrem Unterricht dann zu vermeiden suchten. Ihre hauptsächlichen Erfahrungen sammmelten sie während der Ausbildung - hier wird auch das hilfreiche Beispiel kompetenter Mentoren angeführt -, aber die Mehrzahl der Befragten glaubt, daB bei ihnen der ei­gentliche LernprozeB erst mit der selbständigen, eigenverantwortlichen Tä­tigkeit einsetzte.

Dann allerdings besannen sie sich über das im Studium erworbene Wis­sen und die eigenen Schulerlebnisse hinaus auch auf Erfahrungen in den NS­Organisationen. Im BDM, RAD, KLV-Lager und in der LBA waren sie (A, C, D, E, H, L, M), wenn auch unreflektiert, als Mitglieder oder als Führerin (B, C, E, H = Führerinnen) mit der Bewältigung von Leitungsaufgaben, mit Autoritätsfragen und Gruppenprozessen konfrontiert worden. An diesen Er­lebnissen orientierten sich etliche der Befragten ohne ideologische Berüh­rungsängste, nicht bei der Zielsetzung, aber bei der Gestaltung des Gemein­schaftslebens in der Schule, und einzelne herausragende Persönlichkeiten unter ihren damaligen Führerinnen konnten dabei durchaus als Vorbild dienen. Ins­besondere den MaBstab für ihre Autorität als Lehrerin bezagen einige Befragte aus der Erinnerung an die fraglose Anerkennung ihrer BDM- oder RAD­Führerinnen. Daneben griffen sie auf seinerzeit erworbenes Wissen und prak­tische Fähigkeiten - Liedgut, Singen, Dirigieren, Vortragen - gerne zurück.

H: "leh habe überhaupt da (als JM-Führerin) manches gelernt... Und das hat einem dann später auch wieder in der Schule genützt."

M: "leh glaube, ... meine ganze Lehrertätigkeit ist bestimmt worden (durch) dieses natio-nalsozialistische ... Lagerleben ... leh habe wohl unbewuBt das mir später herausgepickt, was also ... jetzt nicht mit den Härten des Nationalsozialismus zusammenhing."

127 ÄuBerungen jüngerer Lehrerinnen legen den SchluB nahe, daB auch bei nicht wenigen von ihnen ein derartiges Berufsverständnis zu finden ist. Vgl. hierzu u. a. Stahl 1995, v. a. S. 70 u. S. 290 ff.

128 Ähnliches berichtet Hom (1968, S. 282 f.), der bei Lehramtsstudenten "bedeutend selte­ner" eine "Beeinflussung durch positive Lehrervorbilder" als "heftige Kritik an ehema­ligen Lehrern und den Wunsch, es später einmal besser zu machen" feststellen konnte.

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D: "Die (RAD-Führerin) hatte eine unglaubliche Autorität. ... Ich habe rnir auch hinterher in der Schule so eine Autorität gewünscht."

5.5.2.3 Pädagogische Vorstellungen

Die teil wei se Orientierung der Befragten an Leitbildern aus der NS-Zeit schei nt im Unterricht, in Anlehnung an den betont kameradschaftlichen Um­gang der Führenden mit ihrer Gefolgschaft, zu einer Verringerung der Di­stanz im Lehrer/Schüler-Verhältnis beigetragen zu haben.

Auch in anderer Hinsicht wei sen die pädagogischen Vorstellungen der Befragten Paralleien zu den in ihrer eigenen Jugendzeit gültigen auf. Das muBte naturgemäB gelegentliche Irritationen bis Konflikte im Zusammen­treffen mit unter andersartigen Bedingungen herangewachsenen Genera­tionen von Schülern und Kolleginnen auslösen, sowohl was die Erziehungs­ziele als auch was die Umgangsformen und alltäglichen Verhaltensweisen anbetrifft. Hiermit lassen sich auch die mehrfache Erwähnung von "gutem Benehmen" und "Umgangsformen" als Erziehungsziel erklären sowie Be­richte über "Respektlosigkeiten" von Schülerinnen, Schülern und jüngeren Kolleginnen.

Bei der Beschreibung ihrer Vision eines wünschenswerten Unterrichts werden von den Befragten häufig Begriffe wie Disziplin, Ordnung, FleiB, PflichtbewuBtsein, Gehorsam und Anerkennung von Autorität gebraucht, al­so jene Werte, die eigentlich durch die NS-Zeit als "Sekundärtugenden" in Verruf geraten sind. Allerdings argumentieren sie - bis auf zwei - nicht ideo­logisch und prinzipiell, sondern pragmatisch aus der Erfahrung der alltägli­chen Unterrichtssituation heraus, die ihnen zunehmend schwer beherrschbar, ja teilweise chaotisch erscheint. Die "antiautoritäre Erziehung" ist für die meisten Befragten das absolute Gegenbild dessen, was sie selbst vertreten. Dennoch heben mehrere besonders hervor, für wie wichtig sie ei ne angstfreie und ermutigende Atmosphäre in der Schule halten. Einzelne Befragte nennen die Peter-Petersen-Schule oder die Montessori-Pädagogik als ihre Wunsch­vorstellung, oh ne allerdings derartige Konzepte selbst erprobt zu haben.

In ihrem Unterricht tendierten sie nach eigener Darstellung überwiegend zu einem "autoritären Führungsstil", der tatsächlich aber durch persönliche Zuwendung, emotionale Wärme und das Bestreben, trotz ausgeprägter Lei­stungsorientierung schwächere Schüler nicht zu entmutigen, sondern zu för­dern, auch sozialintegrative Elemente enthielt. Weil sie glaubten, nur so sei eine positive Arbeitshaltung als Voraussetzung für erfolgreiche Lernprozesse zu vermitteln, neigten die Befragten zu starker Lenkung des Unterrichts mit ausgeprägter Lehrerdominanz, auch wenn sie hofften, die se schrittweise re­duzieren zu können. Sie, die selbst sehr früh Verantwortung getragen hatten, gingen nun doch von der mangeinden Reife ihrer Zöglinge aus. Lediglich bei der Vermittlung moralischer Werte scheuten sie eine direkte Belehrung. Das

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lag auch daran, daB die Pluralität der Werte und Anschauungen in der ge­genwärtigen Gesellschaft sie irritierte, was sie zurückhaltend in der expliziten Vertretung einer für sie selbst gültigen Wertorientierung machte. Lieber ver­trauten sie via Modellernen auf die Wirkung ihres eigenen Beispieis.

Nur wenige Informantinnen bemühten sich aus Überzeugung urn einen eindeutig sozialintegrativen Führungsstil, unabhängig von der Klassenstufe, also auch schon in der Grundschule. Sie setzten auf eine freiheitliche Form der Aktivierung ihrer Schüler und waren bereit, zugunsten der unterschied­lich ablaufenden Lernprozesse eine gröBere Selbständigkeit der Lerngruppen sowie auch ei ne damit verbundene stärkere Unruhe in ihrem Unterricht zu tolerieren. Die Haltung der Mehrzahl der Befragten entspricht damit noch dem zur Zeit ihrer Ausbildung und ersten berufspraktischen Jahre herr­schenden Unterrichtsverständnis, auch wenn sie sich de facto bis zu einem gewis sen Grad der Veränderung der Sozialformen und der Organisation von Unterricht angepaBt haben und die heutige Entwicklung keineswegs nur ne­gativ beurteilen. "Man erzieht nicht mehr so frustriert wie früher", drückt D es aus.

Die Gesamtheit der von den Befragten verfolgten Erziehungsziele grup­piert sich urn drei Schwerpunkte: WertbewuBtsein, Charakterbildung und Lebenstüchtigkeit. Innerhalb dieser Gruppierungen werden durchaus unter­schiedliche, zum Teil sogar gegensätzliche Akzente gesetzt. So reicht die gewünschte Wertorientierung von einem aUgemeinen Humanismus über eine betont christliche Ausrichtung bis zum Pazifismus; aber auch die entschiede­ne Ablehnung prinzipieller Gewaltlosigkeit und - auf die Pädagogik übertra­gen - der Friedenserziehung findet sich je nach der eigenen Einstellung der Befragten unter deren ÄuBerungen.

Bei den Zielen der Charakterbildung werden häufig Selbstdisziplin, An­erkennung von Autorität, Anpassung (auch i.S. von angepaBtem Verhalten), FleiB und verwandte Begriffe genannt, daneben aber auch Gemeinschafts­sinn, Verantwortungsgefühl, Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft. Seltener hingegen tauchen Termini wie Selbstverantwortlichkeit, Kritik- und Kommu­nikationsfähigkeit auf sowie das, was manche der Befragten zusammenfas­send "demokratische Gesinnung" nennen.

Darüber hinaus möchten die Informantinnen ihren Schülerinnen und Schülern eine gute Bildung, umfangreiches Faktenwissen, Leistungsbereit­schaft, Belastbarkeit, einige auch Reflexionsfähigkeit als Voraus zur Lebens­bewältigung vermitteln.

Diese Aufzählungen machen deutlich, daB keine allgemeingültigen Er­ziehungsziele existieren 129, sondern daB jede der Befragten in Übereinstim-

129 Zurn gleichen Ergebnis kam Gahlings in den sechziger Jahren. Gahlings/Moering 1962, S.182. Eine deutliche Tendenz in vielen Bildungsplänen und pädagogischen Schriften der fünfzi­ger und sechziger Jahre, "alle bisher in der Debatte urn die Erziehungsziele vorkornrnen-

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mung mit ihrer Persönlichkeitsstruktur und ohne erkennbaren normativen Druck einer äu8eren Instanz ihre eigenen Ziele finden und verfolgen konnte (und muBte), soweit diese nicht in offenem Gegensatz zu den relativ weit und abstrakt formulierten Vorgaben der Richtlinien standen. 130

Ein expliziter Bezug zu den Erfahrungen der NS-Zeit wird von den Be­fragten in diesem Zusammenhang nur selten hergestellt, anders als dies zum Beispiel Gahlings von Lehrerinnen in den sechziger Jahren berichtet (S. 183). Lediglich drei der Befragten treten unter Hinweis auf ihre eigenen Jugender­lebnisse im Dritten Reich für Ziele im Sinne einer emanzipatorischen Päd­agogik ein. Die Berufswahl der Befragten war ja keineswegs - wie dies durchaus denkbar gewesen wäre - mit der Intention erfolgt, nach den eigenen negativen Erfahrungen nun die nächste Generation demokratiefähig zu ma­chen. Nur vereinzelt war die Entscheidung einer Befragten für ein Unter­richtsfach ("kritischer" Geschichtsunterricht, Religionsunterricht) dergestalt motiviert gewesen. Das "Kapitel Nationalsozialismus" sahen die meisten -auch für sich selbst - als abgeschlossen an, in der festen Überzeugung, der­gleichen könne sich nie wiederholen.

Einige wenige politisch besonders Interessierte, v. a. E und M, griffen immer wieder Themen im Unterricht auf, die sich direkt oder indirekt auf die jüngste deutsche Vergangenheit bezogen, andere immerhin gelegentlich; eine Reihe sah weder Gelegenheit noch Notwendigkeit dazu. Wieder andere hät­ten gerne ihre besonderen eigenen Erfahrungen weitergegeben, hatten aber Bedenken oder stieBen auf Widerstände und mieden derartige Themen in Zukunft. Dazu zählen A, die gerne ihre negative Einstellung gegenüber den alliierten "Siegermächten" geäuBert hätte, sowie G und H, die in der Bundes­republik auf wenig Verständnis für ihre Erlebnisse in der SBZ trafen. C wie­derum fürchtete, ungewollt etwas von nationalsozialistischem Gedankengut zu verbreiten. Besonders, als sie Geschichtsunterricht "in einer zweiklassigen Schule in einer sehr rechten Gegend" gab, war sie darauf bedacht, alles das, wodurch sie selbst - bewuBt oder unbewuBt - im Sinn des Nationalsozialis­mus geprägt worden war, "total rauszulassen, urn nur dieses nicht an Kinder weiterzugeben", wie sie erklärt. Die meisten Befragten sparten den gesamten

den Argurnente und Ansichten synkretistisch zu berücksichtigen", weisen Becker/Her­kornrner/Bergrnann (1968, S. 10), besonders für den Bereich der politischen Bildung, nach. Heute setzt die Erziehungswissenschaft sich darnit auseinander, daB sie keine in unserer Gesellschaft tragfahigen Normen und Werte zu postulieren vermag, selbst wenn dies ge­wünscht würde. Vgl. z. B. Schuhrnacher, Eva: Gedanken zu "Erziehungswissenschaft in der Krise". In: Pädagogische Rundschau 51(1997)1, S. 41-50.

BO Eine Übersicht über die urn 1960 in den Richtlinien der Bundesländer an den Volksschul­lehrer gestellten Anforderungen verdeutlicht die ihrn gewährte Freiheit (Schuh 1961, S. 29 f.). Schuh beurteilt die se Offenheit positiv, einern solchen realistischen Anspruch könne jeder Lehrer genügen. Dern ist aber auch entgegenzuhalten, daB auf diese Weise dern einzelnen Lehrer eine viel gröBere Eigenverantwortung zufiel, der sich vermutlich nicht alle gewachsen fühlten.

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Bereich "Politik" (und im weitesten Sinn politische Verhaltensweisen) inner­halb des beruflichen Feldes gänzlich aus, ei ne verbreitete Haltung unter Päd­agogen, insbesondere Volksschullehrerinnen. 131

Hopf (1974) nimmt an, die politische Zurückhaltung vieler Lehrer beru­he auf den "im Beamten- und Lehrerstatus enthaltenen wichtigen Verhal­tensnormen ( ... ), die den Lehrern statt beliebiger politischer Stellungnahmen nur bestimmte Ausdrucks- und Verhaltensweisen abzuleiten gestatten". Tat­sächlich sei aber der politische Spielraum "gröBer als gemeinhin angenom­men" (S. 101). Wie weit derartige Überlegungen die Befragten beeinfluBten, geht aus den Interviews nicht hervor. Aber auffällig ist doch, mit welcher Hochachtung sie von einzelnen ihrer eigenen Lehrer sprechen, die selbst im Dritten Reich den Mut hatten, offen ihre Meinung zu äuBern, und wie zu­rückhaltend sie selbst sich später als Lehrerinnen verhielten. Es ist zu ver­muten, daB weniger Bedenken vor möglichen beruflichen Konflikten die Be­fragten bewegten als ihr Verhältnis zu allem, was dem Komplex "Poli tik" zuzurechnen ist.

Die Mehrzahl der Informantinnen zeigt auch in ihrem privaten Leben gegenüber der Poli tik, vor allem gegenüber der durch die verschiedenen Parteien und Interessengruppen bestimmten Tagespolitik, ei ne distanzierte, teil wei se ablehnende Haltung. Diese beruht, wie in den Interviews deutlich wurde, hauptsächlich auf der Enttäuschung über die Diskrepanz zwischen ei­ner an sittlichen Normen orientierten Idealvorstellung des politischen Lebens und der Realität (vgl. Kap. 5.5.1.2). Eine derartige Sichtweise wurde von BeckerlHerkommerlBergmann in den sechziger Jahren als für die se Genera­tion und in besonderem MaBe als für Lehrer charakteristisch beschrieben. Sie erklären sie als Folge einer harmonistischen Vorstellung von Staat und Ge­sellschaft, die - auf das Gemeinwohl gerichtet - partikulare Interessen leug­net und die in ihren Konsequenzen manifest konservativ ist (S. 154). Auch die ÄuBerungen der Befragten in den Interviews legen eine solche Interpre­tation nahe.

Die oben beschriebene reservierte Haltung der meisten Befragten richtet sich im Unterricht ge gen im engeren Sinn politische Themen und äuBert sich in der Zurückhaltung gegenüber Inhalten und Methoden, die "öffentliche" Verhaltensweisen zum Ziel haben. Kommunikationsfähigkeit wird nicht von allen als besonders relevantes Lernziel angesehen, Diskussionsfreudigkeit, etwa innerhalb der Gruppenarbeit, nicht immer geschätzt, sondern teilweise abfällig mit "sinnlosem Herumdiskutieren" assoziiert; und Projekte, wie das

131 Becker/Herkommer/Bergmann (1968, S. 126) weisen z. B. auf das geringe Interesse von Lehrerinnen an politischer Bildung hin. Zinnecker (1980, S. 218) zitiert die Feststellung von Kratzsch u. a., se1bst die Kritik an der beste hen den SchulpoIitik oder an vorgesetzten Behörden sei bei Lehrerinnen unausge­prägt und ihre Bereitschaft, gegebenenfalls zu streiken, deutlich geringer als diejenige ih­rer männlichen Kollegen.

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von einer Informantin als wertvoll erwähnte "Schüler schreiben einen Brief an den Oberbürgermeister, urn einen Spielplatz zu erhalten", sind für einige Befragte nur Beispiele für Vergeudung von Unterrichtszeit.

Man könnte nun zu dem Ergebnis kommen, die pädagogischen Bemü­hungen der meisten Befragten zielten insgesamt auf den kulturell gebildeten und lebenstüchtigen Menschen mit einer sozialen Kompetenz, die ihn befä­higt, sich in ei ne gegebene Gemeinschaft einzuordnen, nicht aber auf das po­litisch reife und mündige Individuurn, das die Gesellschaft aktiv, unter Um­ständen auch kontrovers, mitgestaltet. 132 Eine solche Beschreibung wäre je­doch einseitig und deshalb nicht gerechtfertigt. Sie könnte auch das Men­schenbild der Pädagogen in der NS-Zeit abdecken; bei genauerer Betrach­tung werden aber wesentliche Unterschiede zur pädagogischen Arbeit der Befragten deutlich, die hervorzuheben sind.

GewiB vertraten die meisten Informantinnen in ihrer intentionalen und funktionalen Erziehung und durch ihr eigenes Beispiel Autoritätsglauben, Anpassung, bereitwillige Einordnung in hierarchische Strukturen, Disziplin und Leistungsbereitschaft. Aber sie bekannten sich auch zu einer pädagogi­schen Verantwortung, die sie ihre Schüler und deren Bedürfnisse ernstneh­men lieB. Sie vermittelten ihnen vieles, was sich von den Erfahrungen ihrer eigenen Sozialisation in der Zeit des Nationalsozialismus unterschied, und legten damit eine Basis für Verhaltensweisen, die die Schüler auf das Leben in einem demokratischen Staat vorbereiten halfen.

Die Befragten bemühten sich intensiv urn ein Schulklima, das von per­sönlicher Wärme und Nähe, von Zuwendung und Fürsorge bestimmt war. Härte zeigten sie eher gegen sich selbst als gegenüber anderen.

Sie betrieben und vertraten nicht die Verachtung und Aussonderung Lei­stungsschwächerer, wie sie es in ihrer Jugend erlebt hatten, sondern deren Förderung, so wie es einem zeitgemäBen Erziehungskonzept entspricht und auch in den auf der Landesverfassung fuBenden Richtlinien gefordert wird.

Ebenso selbstverständlich vermittelten sie ihren Schülerinnen und Schü­lern Aufgeschlossenheit gegenüber Fremden und Fremdartigem, nicht die prinzipielle Ablehnung und Abwertung alles "Undeutschen".

Und alle Befragten bezogen in der Erziehung - mit welchem Erfolg auch immer in Konkurrenz zu den auBerschulischen Miterziehern - eindeutig Stel­lung gegen Gewaltausübung. Hierbei setzten sie wohl am konsequentesten ihre Erfahrungen aus der Kriegszeit urn.

Wenn sie selbst auf ihren beruflichen Weg und die Ergebnisse ihres Wir­kens zurückblicken, äuBern die Befragten sÏch nicht unzufrieden, aber zwie­spältig oder unsicher.

132 Ende der sechziger Jahre steilte Hom fest, es sei auffallend, daB trotz aller Bemühungen urn die politische Bildungsarbeit auf den Schulen und in der Lehrerbildung immer noch die Mehrzahl der angehenden Volksschullehrer den sogenannten musischen und sportli­chen Menschen heranbilden wolle. Hom 1968, S. 276.

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Einzelne - wie z. B. F - schätzen ihre EinfluBmöglichkeiten als Lehrerin im Verhältnis zu anderen Erziehungsmächten a priori als gering ein; ob ganz überzeugt oder vielleicht auch als Rationalisierung enttäuschender Erfah­rungen, läBt sich nicht eindeutig feststellen. Andere versuchen, sich rück­blickend Rechenschaft abzulegen, ob sie sich ihrem Berufsethos gemäB ge­nügend eingesetzt haben oder ob sie nicht noch intensiver oder geschickter auf die ihnen anvertrauten jungen Menschen hätten einwirken können.

Was die Befragten an der heutigen Jugend und den gegenwärtigen Erzie­hungseinrichtungen irritiert, bezieht sich auf drei Hauptgesichtspunkte.

Die mei sten Informantinnen fühlen sich durch die politischen Ereignisse der letzten Jahre, insbesondere soweit sie ausländische Mitbürger betreffen, in ihrem beruflichen Selbstverständnis verunsichert. Sie glauben zw ar, selbst zumindest zur Integration der verschiedenen Gruppen einer multikulturellen Schülerschaft beigetragen zu haben, und hoffen auf Fähigkeiten der jungen Generation von Schülern und auch Lehrern, die diesen helfen können, sich in den veränderten Verhältnissen zu bewähren. Sie fragen sich aber heute, ob nicht auch sie selbst in der Erziehung versagt haben; denn sie befürchten nun, daB vor allem jüngere Menschen sich letztlich doch nicht als ausreichend re­sistent gegen rechtsradikale Strömungen erweisen.

Was sie ebenfalls am Erfolg der eigenen Arbeit, wenn auch nicht an der Richtigkeit ihrer Ziele zweifeln läBt, ist die Beobachtung eines stark ausge­prägten Egoismus und geringen MaBes an Gemeinsinn bei der Jugend, verbun­den mit einem Mangel an verbindlichen Wertorientierungen. Aus der eigenen Erfahrung heraus fürchten sie aber gleichzeitig den MiBbrauch etwaiger Vor­bilder und Leitfiguren; besonders E und M äuBern derartige Bedenken.

Andere Interviewte bedauern vor allem das Fehlen der "Disziplin", wie sie selbst sie verstehen, bei den jungen Menschen und in der Schule, was sie als Folge pauschal der "antiautoritären Erziehung" zuschreiben. Diese emp­finden sie offensichtlich immer noch als leichtfertiges Aufgeben bewährter Verhaltensnormen, auch wenn sie es andererseits als Positivum ansehen, daB die starren autoritären Strukturen früherer Erziehung sich gelockert haben; insofern kommen sie zu teilweise widersprüchlichen Beurteilungen. Neben der "antiautoritären Erziehung" werden von einigen Befragten die Erschei­nungen der aktuellen Jugendkultur als pädagogisch höchst problematisch be­trachtet. Einzelne gehen so weit, Popmusik und ÄuBerlichkeiten wie Mode und Kosmetik für die - wie sie es sehen - Fehlentwicklung der heutigen Ju­gend verantwortlich zu machen, die sich für sie am deutlichsten in der sexu­ellen Freizügigkeit verkörpert. m

133 Vgl. hierzu auch Fippinger, der auf ähnliche Unsicherheit bei von ihm befragten Lehrern stieB. Fippinger, Franz: Schule und Geschlechtererziehung. Eine empirische Untersuchung zur Einstellung der Lehrer und Lehrerinnen. Weinheim, Berlin, Basel: Beltz 1969, S. 81, S.9l.

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K: "Wenn Sie mich zum Verbrecher machen wollen, brauchen Sie dazu nur diese Musik, die die hören. Und wie die sich anziehen! Da fehlt mir jedes Verständnis."

Andere Befragte berichten von den Problemen, die ihnen der pflichtgemäB erteilte Unterricht in Sexualerziehung bereitete, und wie sich dabei die Dis­krepanz zwischen ihren eigenen Auffassungen und denjenigen der Schüle­rinnen oder jüngeren Kolleginnen teils erschwerend, teils aber auch erleich­ternd auswirkte.

In den ÄuBerungen klingt insgesamt eine gewisse Skepsis an, aber ei ne "déformation professionelle" lassen sie nicht erkennen. Auch pädagogische Resignation drückt keine der Befragten aus, vielleicht weil sie nicht mit idealistisch überhöhten Vorstellungen in den Beruf gingen, oder aber weil sie sich eine solche Haltung nicht erlauben, die sich mit ihrer sonstigen tatkräfti­gen, pragmatischen Einstellung nicht vertragen würde.

5.5.2,4 Zusammenfassung

Es wurde deutlich, daB die Befragten sich bei aller überzeugten Ablehnung der NS-Ideologie in mehrfacher Hinsicht von der vorherigen Lehrerinnen­generation weniger unterscheiden, als sie das selbst vermutet hätten. Da Ähnlichkeiten wie Abweichungen bei den meisten Befragten nicht darauf be­ruhen, daB sie überlegt für oder ge gen die nationalsozialistische Erzie­hungspraxis Position bezogen, wurden sie ihnen zum gröBten Teil auch erst aus AniaB dieses Interviews bewuBt.

Gründe hierfür dürften unter anderem in der Ausbildung der Informan­tinnen liegen, die einerseits die Erfahrungen der NS-Zeit weder thematisierte noch Hilfe zu deren Verarbeitung bot, andererseits ei ne Pädagogik vermit­telte, die sich selbst noch nicht grundlegend mit derjenigen des Dritten Rei­ches auseinandergesetzt hatte, sondern - unter Aussparung der NS-Zeit - an die geisteswissenschaftliche Pädagogik aus der Weimarer Zeit anknüpfte und erst Jahre später begann, sich an gesellschaftlichen Vorgängen zu orientie­ren. 134

Aber es war auch ei ne Kontinuität in den Personen angelegt: in den Be­fragten selbst, die - mehr als sie sich eingestehen mochten - durch die Erleb­nisse in den Jahren bis 1945 und der ersten Nachkriegszeit geprägt waren und denen beim Rückgriff auf eigene Erfahrungen mit Erziehung und Unter­richt nur solche aus eben dieser Zeit zur Verfügung standen, in der die inner­und auBerfamiliären Normen, unabhängig von der ideologischen Ausrichtung des Elternhauses, in mancherlei Hinsicht übereinstimmten (vgl. Kap. 5.2.5), darüber hinaus durch das Vorbild der Mentoren, älterer Lehrer, von denen

134 Vgl. u. a. Reble 1985 (1975), S. 318 u. 367 ff.; Doch auch Reble selbst widmet der Päd­agogik des Nationalsozialismus nur 4 von 106 Seiten, die in seiner "Geschichte der Päd­agogik" auf das 20. Jahrhundert entfallen.

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etliche, auch ohne überzeugte Nationalsozialisten gewesen zu sein, unreflek­tiert die alte Pädagogik tradierten. C berichtet allerdings von ehemaligen Kollegen, die noch in den sechziger Jahren spürbar von der nationalsoziali­stischen Ideologie beeinfluBt waren und dies in ihrem Unterricht keineswegs verbargen. 135

So sind neben den klaren Unterschieden, durch die sich die Erziehungs­tätigkeit dieser Lehrerinnengeneration von der in mehrfacher Hinsicht inhu­manen Erziehungspraxis ihrer eigenen Jugendzeit absetzt, auch die deutli­chen Übereinstimmungen und Fortführungen bei der Ausgestaltung der Leh­rerrolle, in den Erziehungsvorstellungen und in der Unterrichtsgestaltung zu erklären.

Damit bilden die Befragten keine Ausnahme unter ihren Kolleginnen. Obgleich nur wenige von ihnen den Beruf aus Überzeugung gewählt haben, entsprechen sie doch in der Mehrzahl - auch mit ihrer tendenziell konserva­tiven und apolitischen Einstellung - dem Bild der Volksschullehrerin ihrer Zeit, wie es sich in Selbstdarstellungen und Beschreibungen widerspiegelt. 136

Die Entscheidung für den Beruf war für die Generation der Befragten kein emanzipatorischer Akt mehr, und an dem Erfolg weiblicher Emanzi­pation in den letzten Jahrzehnten partizipierten sie ohne eigenes Zutun inso­fern, als sie sich nicht mehr mit einem niedrigeren Gehalt als ihre männlichen Kollegen begnügen muBten und auch Ehe und Berufstätigkeit verbinden konnten, was früheren Lehrerinnengenerationen nicht immer möglich war. 137

135 DaB die bildungspolitische Entwicklung nach 1945 im Land Nordrhein-Westfalen, in dem die Interviewten überwiegend tätig waren, in besonderem MaB restaurativen - wenn auch nicht nationalsozialistischen - Tendenzen folgte, weist Himmelstein auf. Himmelstein, Klaus: Kreuz statt Führerbild. Zur Volksschulentwicklung in Nordrhein­Westfalen 1945-1950. Frankfurt/M., Bern, New York: Peter Lang 1986.

136 Gahlings/Moering 1961; Hom 1968; Brehmer, Zinnecker, Danzmann, Füllberg u. a. je­weils in: Brehmer (Hrsg.) 1980; Schwänke 1988; Danz 1990, v. a. S. 130--141.

137 Ab 1933 polemisierten die Nationalsozialisten gegen "Doppelverdiener", um berufstätige Frauen von ihren Posten zu verdrängen, und übernahmen schlieBlich die umstrittene Zöli­batsklausel der Weimarer Zeit. Beamtinnen, die "wirtschaftlich versorgt" waren, konnten seit 1933 von den Behörden ohne Antrag entlassen werden. Das Beamtengesetz von 1937 fixierte diese Regelungen, die dann 1940 wegen des kriegsbedingten Lehrermangels wie­der etwas gelockert wurden. Vgl. Kampmann, Doris: "Zölibat - ohne uns! Die soziale Situation und politische Eisntel­lung der Lehrerinnen in der Weimarer Republik. In: Frauengruppe Faschismusforschung 1981, S. 91 f.; Said, Erika: Zur Situation der Lehrerinnen in der Zeit des nationalsozialismus. In: Frauen­gruppe Faschismusforschung 1981, S. 110 ff.; Gahlings/Moering 1962, S. 129. In den fünfziger Jahren steilte dann das Bundesbeamtengesetz alle Beamtinnen den Be­amten gleich, was de facto auch eine Entscheidung zugunsten verheirateter Lehrerinnen war. Zinnecker 1980, S. 220. Unabhängig von den beamtenrechtlichen Bedingungen legte das Ideal der konfessionell gebundenen Lehrerin lange Zeit den Verzicht auf die Ehe nahe. Gahlings weist dies nicht nur für die katholische Lehrerin nach, sondern zitiert auch aus dem Jahr 1950 Hammels-

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Die Anforderungen an ihr Verhalten im Beruf begegneten ihnen zu­nächst noch in der Form von Tugendkatalogen und moralischen Appellen, die "sich aus einer ungebrochen idealistischen Weltsicht ableitete(n)" (Schwänke 1988, S. 87). Sie selbst sahen ihre Tätigkeit aber bereits ohne idealistische Überhöhung. Dennoch fühlten sie sich einem Berufsethos so weit verpflichtet, daB sie ihre Arbeit nicht als bloBen "Job" verstanden, wie W. Flitner138 es für diese Generation befürchtet hatte.

Ihre Berufsrolle interpretierten die meisten familial und folgten in ihren pädagogischen VorstellUngen nur mit Verzögerung und nicht in allen Aspekten dem Wandel des Erziehungsverständnisses, der sich in den Jahren ihrer Tätigkeit VOllZOg.

Gemeinsam ist den Befragten darüber hinaus, was sie als Angehörige je­ner Frauengeneration kennzeichnet, die durch die Zeit des national­sozialistischen Regimes, und besonders durch die Kriegsjahre, entscheidend in ihrer Persönlichkeitsentwicklung beeinfluBt wurde. Mit den mehr oder minder ausgeprägten Relikten aus dies er Zeit wurden in den Informantinnen als Lehrerinnen dann auch deren Schülerinnen und Schüler konfrontiert.

Vor allem aber konnten die meisten Befragten sich in ihrem Geschlechts­rollenverständnis noch nicht entscheidend von den Stereotypen aus der Zeit ihrer eigenen Sozialisation lösen, weder für ihr eigenes Leben, noch in ihren Erziehungsnormen. So begegneten sie ihren Schülerinnen und Schülern mit weitgehend festgelegten geschlechtstypischen Vorstellungen, die in dieser Ausprägung nicht mehr den Erfahrungen und dem Selbstbild der heutigen Jugend entsprechen. Nicht nur die Zuweisung tradierter Geschlechtsrollen, auch die Ausrichtung auf das Ideal des Lebens in einer VOllständigen Familie dürfte die gegenwärtige Situation sehr vieler Kinder und Jugendlicher ver­fehlen.

Generationskonflikte sind nichts Ungewöhnliches. Durch den abrupten Paradigmenwechsel im Jahr 1945 nach dem Zusammenbruch des NS­Regimes traten sie im Urn gang mit der nachwachsenden Generation erwar­tungsgemäB in noch verschärfter Form auf. Dem muBten sich die Befragten stellen und unter in vielerlei Hinsicht erschwerten Bedingungen ihr Leben mit einem Beruf meistern, den etliche sich nicht gewünscht hatten. DaB sie sich dieser Aufgabe mit allen ihren Fähigkeiten verantwortungsbewuBt wid­meten, ist deshalb urn so höher zu bewerten.

beck, daB in dem "EntschluB zum Lehrerinnenberuf das volle Ja - nicht zur Ehelosigkeit, aber zur Möglichkeit, ehelos zu bleiben - genauso eingebracht werden muB wie die ande­re Möglichkeit, in einer echten Mannesliebe den Weg aus dem Beruf zu Ehe und Mutter­schaft zu finden." Gahlings/Moering 1962, S. 148 ff.

13R Flitner, Wilhelm: Vom Stand des Lehrers. (1958) In: Gemer 1976, S. 112.

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6. SchluB

Mit der hier vorgestellten Untersuchung sollte aufgezeigt werden, welche Bedeutung die Kindheits- und Jugenderlebnisse unter dem Nationalsozia­lismus für das Leben der befragten Pädagoginnen hatten und in welcher Hin­sicht sie dauerhafte Spuren bei diesen hinterlieBen, und es sollte der Frage nachgegangen werden, wie weit sich dabei Gemeinsamkeiten innerhalb der interviewten Gruppe erkennen lassen.

6.1 Reflexion des methodischen Vorgehens

Das narrative Interviewerwies sich als für den Untersuchungsgegenstand gut geeignete, ergiebige Befragungsform. Das gewonnene Datenmaterial be­schränkte sich nicht auf den Wissensbestand der Befragten, sondern lieferte auch Hinweise auf deren Eigentheorien und Selbstbilder.

Auf mit dem Verfahren möglicherweise verbundene Probleme hinsicht­lich der Datenerhebung und -auswertung wurde bereits in Kap. 2.1 verwie­sen. Einige seien im Rückblick auf die vorliegende Untersuchung noch ein­mal angesprochen.

Die Forderung nach einer spontanen, in keiner Weise vorstrukturierten Anfangserzählung konnte bei einzelnen Interviews nicht oder nur partiell er­füllt werden. Allerdings dürfte es auch in anderen Untersuchungen zu ähn­lich heftig diskutierten Themen manchen Informanten schwerfallen, ihre Äu­Berungen nicht zu stark von den Ergebnissen eigener Reflexionsprozesse und / oder von vermuteten Hörererwartungen beeinflussen zu lassen.

Die erwarteten Zugzwänge des Erzählens wirkten sich je nach Kom­munikationssituation in den Interviews unterschiedlich stark, im Ergebnis je­doch insgesamt positiv aus. Deutlich zeigt dies die Reaktion der Befragten. Manche registrierten, wie die Interviewsituation für sie zunehmend mäeuti­sc he Funktion erhielt. Eine erschrak zunächst, als ihr bewuBt wurde, was sie alles offen ausgesprochen hatte; dann empfand sie groBe Erleichterung, auf diese Weise erstmalig gewisse in ihrer Familie geitende Tabus gebrochen zu haben. Allerdings wurden auch die Gefahren deutlich, die, unter for­schungsethischen Gesichtspunkten betrachtet, in der Wirkung der im Inter­view herbeigeführten Erzählsituation und dem "Wiedererleben" früherer Er­eignisse liegen können. Die Verantwortung der Wissenschaftler ist bei dieser

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Befragungsform in besonderem MaBe gefordert. Bei den Interviewten der vorliegenden Untersuchung handelte es sich urn recht selbstsichere, sprach­gewandte Frauen. Dennoch war für sie das Sichzurückversetzen in die eigene Vergangenheit und die Erinnerung an oft mit starken Emotionen verbundene Erlebnisse teil wei se sehr belastend. Deshalb wurden von der Interviewerin in Einzelfällen interessante Inhalte nicht angesprochen oder nicht weiter ver­folgt. Bei weniger stabilen Persönlichkeiten müBte noch behutsamer vorge­gangen werden, selbst auf die Gefahr hin, auf diese Weise ergiebige Infor­mationsquellen nicht voll ausschöpfen zu können.

Gelegentlich ergaben sich Schwierigkeiten aus den teilweise paradoxen Ansprüchen an die Rolle der Interviewerin als zwar authentische, aber nicht steuernde Kommunikationspartnerin; allerdings beeinträchtigten sie die Ge­sprächsbereitschaft der Befragten erfreulicherweise nur kurzfristig. Sehr deutlich wurde die Ambivalenz der Beziehung zwischen den Gesprächs­partnern im Interview. Sie ist zwar durch das Thema sachorientiert, kann sich dazu aber auch, wenn die Kommunikation glückt, für die Dauer des Ge­sprächs sehr persönlich, ja intim gestalten. Einige Informantinnen leiteten daraus Erwartungen auf eine Fortführung dieses Kontaktes ab. In der metho­dologischen Literatur wird teilweise darauf verwiesen, daB sich allein aus Zeitgründen im ForschungsprozeB eine derartige Beziehung verbiete. Der Interviewer müsse sich bei derartigen Erwartungen deutlich zurückziehen; er sei schlieBlich kein Therapeut. 139 Dem kann jedoch so nicht zugestimmt wer­den. GewiB hat der Wissenschaftler hier keine therapeutische A u f gab e. Aber gerade bei emotionalisierten Inhalten löst er den noch zwangsläufig psychische Prozesse bei den Befragten aus - etliche Belege hierfür finden sich in den vorliegenden Interviewberichten -, deren Folgen er sich, soweit ihm dies möglich ist, stellen muB, wenn er seine Gesprächspartner als Per­sönlichkeiten achtet und sie nicht nur als nützliche QueUen benutzen will. In der vorliegenden Untersuchung zeigten drei Befragte noch nach den Inter­views ein ausgeprägtes Gesprächsbedürfnis, dem auch entsprochen wurde. In einem Fall führte dies über längere Zeit zu wiederholten Kontakten mit in­tensivem Gedankenaustausch.

139 Aus derartigen ÄuBerungen spricht auch die Sorge, einmal ausgelöste psychische Prozesse nicht mehr steuem zu können. So hält Baacke (1990, S. 31) wegen der Komplexität der Rollenbeziehungen zwischen den Beteiligten im Interview eine psychoanalytische Schu­lung des Interviewers für notwendig, damit er auftretende Probleme erkennen und ange­messen lösen könne.

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Brüggemeier/Wierling appellieren an den WissenschaftIer, seine eigenen Möglichkeiten realistisch einzuschätzen und bei dem Befragten gar nicht erst unerfüllbare Hoffnungen auf einen intensiven Kontakt zu wecken. Brüggemeier, Franz-Josef; Wierling, Dorothee: Einführung in die Dral History. KE 2: Das Interview. Hagen: Femuniversität 1986, S. 50. Fuchs (1984, S. 266 f.) weist auf mög1iche Prob1eme bei der Auswertung und Interpretati­on von Interviews hin, wenn zwischen Forscher und Befragtem aus der Forschungsarbeit heraus eine intensive mensch1iche Beziehung entstanden is!.

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Bei der Auswertung der Daten zeigten sich erwartungsgemäB arbeitsöko­nomische Probleme. Die Offenheit des Verfahrens, die ei ne vorschnelle Strukturierung des Materials im Hinblick auf das Untersuchungsinteresse verhindern und so der Selbstdarstellung der Interviewten gröBeres Gewicht verleihen solI, hat ihren Preis. Der Arbeitsaufwand bei einer ausführlichen Analyse des gesamten Textes ist erheblich; dennoch erscheint er bei der vor­liegenden Untersuchung wegen des weit gespannten biographischen Themas als gerechtfertigt.

Eine Reduzierung des Datenmaterials durch einen eingrenzenden Erzähl­stimulus könnte bei manchen Themen ein Ausweg sein, sofern sich eine rein quantitative, wertneutrale Eingrenzung formulieren läBt. Als problematisch wäre hingegen der Versuch anzusehen, anders als im vorliegenden Fall nur Teile des Datenmaterials auszuwerten; denn es ist fraglich, wie gewährleistet werden könnte, daB nicht ungewollt nur die besonders auffälligen oder be­stimmte Interpretationen stützenden Textstellen ausgewählt würden.

Die Entscheidung ge gen ei ne Aussonderung der nicht-narrativen Text­teile und für eine zusätzliche Untersuchung sprachlicher Details erwies sich als sinnvoll und fruchtbar. Eine übermäBige Gewichtung der ErzähItexte ver­bot sich u. a. deshalb, weil sich darunter auch unechte Erlebniserzählungen und bereits zu Stereotypen geronnene Geschichten fanden. Die sprachlichen Detailanalysen brachten wertvolle Erkenntnisse, die hypothetisch formulierte Interpretationen zu bestätigen, auszubauen oder zu korrigieren vermochten. Es wäre allerdings wünschenswert, wenn weitere Erfahrungen mit Ergänzun­gen der von Schütze vorgegebenen Auswertungsschritte gemacht und dabei Wege zu einer weniger aufwendigen Bearbeitung erprobt würden.

6.2 Zusammenfassung und Bewertung der Untersuchungsergebnisse

Vergleicht man die Biographien der Befragten, so lassen sich trotz der AI­tersstreuung, die auch ei ne unterschiedliche Art und Dauer nationalsozialisti­schen EinfIusses bedeutet, und bei aller individuellen Verschiedenheit viele Gemeinsamkeiten erkennen.

Zunächst fälIt ins Auge, daB die Erlebnisse der Befragten nicht die These von einer totalen Erfassung und Gleichstellung der gesamten Jugend bestäti­gen, wie sie verschiedentlich in pädagogisch-historischen Darstellungen ver­treten wird. Eine Reihe von Beispielen aus den Interviews belegen, daB die jungen Mädchen Nischen und Freiräume für sich fanden. Mehreren gelang es, sich zeitweilig ganz der KontrolIe der nationalsozialistischen Organisatio­nen zu entziehen oder sich erfolgreich in KonfIikten mit deren Vertretern zu

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behaupten. Die Freundschaften und altersgemäBen Gewohnheiten wurden nicht durch den Dienst im BDM ersetzt, und auch tradierte soziale Privilegi­en blieben für die Töchter aus solchen Familien weitgehend erhalten.

Darüber hinaus war individuelle Sinnfindung systemkonform für weibli­che Heranwachsende leichter zu erreichen als für männliche. Die Befragten hatten Gelegenheit, sich innerhalb und auBerhalb der staatlichen Jugendorga­nisation im kulturellen wie im sozialen Bereich zu engagieren, was ihren In­teressen und dem weiblichen Rollenstereotyp entsprach und zumindest dem Anschein nach unpolitisch blieb.

Der BDM spielte insgesamt für die Informantinnen nicht die dominante Rolle, die ihm in der Mehrzahl der Veröffentlichungen zur Mädchenerzie­hung im Dritten Reich zugeschrieben wird. 140 Die Erfahrungen im Reichsar­beitsdienst und im Roten Kreuz oder während des Kriegshilfsdienstes hatten, wie aufgezeigt wurde, seinerzeit gröBeres Gewicht und langfristig eine sehr viel intensivere Wirkung auf die Individualitätsentwicklung der Betroffenen, als der Dienst in der Hitler-Jugend. Es ist zu verrnuten, daB dies für die mei­sten ehemaligen Mitglieder der genannten Organisationen zutrifft. Deshalb wären zur Ergänzung der bisher wenigen diesbezüglichen Veröffentlichun­gen weitere Untersuchungen von Interesse.

Nach den Interviewergebnissen gilt sinngemäB das gleiche für die Zeit der Kinderlandverschickung im Gegensatz zum normalen Schulunterricht. Auch die KL V wird in der Literatur zur Schule im Nationalsozialismus meist vernachlässigt. Die Erlebnisse der Informantinnen entsprechen der Auffas­sung, daB die Schule in diesen Jahren nicht einheitlich nationalsozialistisch ausgerichtet war. Sie enthalten aber Hinweise darauf, we1chem MaB an Be­einflussung die Heranwachsenden in der KL V unterliegen konnten.

Die Erziehung der Befragten wurde, solange sie in der Familie lebten, ungeachtet des erklärten Anspruchs des nationalsozialistischen Staates, vor­rangig durch die Eltern bestimmt. Diese prägten fast immer auch die zustim­mende oder ablehnende Haltung der Töchter gegenüber dem herrschenden Regime. Die Auswirkungen der Orientierung an unterschiedlichen Wertesy­sternen und der verschiedenartigen politischen Einstellung in den Elternhäu­sern waren für die Sozialisation der Befragten jedoch letztlich unerheblich; sie verlief insgesamt weitestgehend im Sinne des NS-Regimes. Die Heran­wachsenden entwickelten Haltungen und Verhaltensweisen, mit denen sie sich de facto in die ihnen vom Staat zudiktierte Rolle einfügten.

Als Erklärung hierfür fanden sich in den Darstellungen der Interviewten mehrere Faktoren, die im Sinne eines "heimlichen politischen Lehrplans" zu­sammenwirkten: die Affinität zwischen den bürgerlich geprägten Erziehungs­vorstellungen ihrer Eltern und den Anforderungen des nationalsozialistischen Staates an weibliche Heranwachsende, die mehr oder minder offenkundige Be-

140 So z. B. von Klaus 1980 u. 1983, der auch häufig in anderen Publikationen zitiert wird.

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fenkundige Beeinflussung aller Lebensbereiche im Sinne der nationalsoziali­stischen Ideologie und der Interessen des Regimes sowie seit Kriegsbeginn die bes onderen Bedingungen dieser Ausnahmesituation, in der viele sonst gültige Normen und psychische Abwehrmechanismen auBer Kraft gesetzt wurden.

Den Befragten selbst wurde ihre "Nazifizierung" allein deshalb kaum bewuBt, weil die öffentlich vertretenen Werte ebenso verführerisch wie täu­schend nahe an den ihnen vertrauten lagen. Die Wertorientierung ihrer Fami­lien, in denen vaterländische Gesinnung, Loyalität gegenüber der Obrigkeit und selbstlose Pflichterfüllung nicht in Frage gestellt wurden und wo Mäd­chenerziehung sich an einem traditionellen Frauenbild orientierte, lieB auch bei ideologischen Differcnzen Verhaltensnormen zustandekommen, die sich mit den Forderungen des NS-Staats durchaus vertrugen.

Zwar wird die Frage, ob es überhaupt eine einheitlich ausgerichtete natio­nalsozialistische 'Erziehung' gegeben habe, in der Literatur unterschiedlich be­antwortetl41 • Aber Charakteristika der Einwirkung auf die weibliche Jugend im Dritten Reich sind in den Interviews klar zu identifizieren. Sie fanden ihren Niederschlag nicht so sehr in der expliziten Vermittlung nationalsozialistischer Glaubenssätze, als vielmehr indirekt in der Organisation und in der inhaltlichen Ausgestaltung des Schulunterrichts und in den Formen und Inhalten des Dien­stes in den verschiedenen staatlichen Organisationen für die weibliche Jugend.

DaB sie sich im Grundsatz nicht am Wohl der Heranwachsenden, son­dern an deren Nutzen für die Gemeinschaft orientierte, diskreditiert nicht nur die ethische Basis dies er EinfluBnahme, sondern letztlich auch alle ihre Er­scheinungsformen, unabhängig von deren subjektiver Wirkung auf die Be­troffenen. W ohltaten wie Opfer wurden ihnen zuteil oder abverlangt, wie das groBe Ganze es erfordertc. Die Erlebnisberichte der Befragten belegen, wie sich für sie die Anforderungen parallel zu den offiziellen Leitbildern je nach Bedarf des Staates wandelten und wie unzulänglich die Mädchen und jungen Frauen für diese Anfordcrungen qualifiziert wurden. Erst viel später erkann­ten sie, in weJchem MaBc sie sich hatten funktionalisieren lassen.

Hinzu kommt die stete Beeinflussung, der die Befragten in ihrem Alltag ausgesetzt waren. Die langsame, aber konsequente ideologische Durch­setzung aller Lebensbereiche nahmen sie oft gar nicht mehr wahr, so daB sich für sie die Grenzen zwischen dem Früher und dem Heute, zwischen Altem und Neuem, sogar zwischen Zustimmung und Ablehnung verwischten. Auch das schrittweise Umdeuten bestehender Normen und Begriffe erleichterte das Einsickern nationalsozialistischen Ideenguts. Wenn sich sogar von den Nazis verfolgte Juden der schleichenden Wirkung der immerwährenden Propa-

141 So splicht Scholtz von Erziehung, nicht aber von Sozialisation der Jugend im Dritten Reich (1985, S. 18). Gamm sieht das Kind im NS-System hingegen nur noch als "Zucht­material für den neuen Typ, den die Ideologen verlangten" (1964, S. 25). Vgl. auch Lingelbach 1987, S. 13-21; ders. 1988, S. 47-63.

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ganda nicht ganz entziehen konnten, wie Viktor Klemperer anschaulich dar­stellt142, wieviel weniger dann die Informantinnen als junge Menschen, die über andersartige Erfahrungen nicht verfügten.

Dies alles verschärfte sich noch während des Krieges. Die meisten Befrag­ten erlebten ihn - und sehen ihn noch heute - wie ein unheilvoll über sie her­einbrechendes Naturereignis, das sie alle Kräfte mobilisieren lieS. Für politische Wertungen schien nun nicht die rechte Zeit zu sein. Die schrecklichen Erlebnis­se eigenen und fremden Leides hinterlie8en traumatische Spuren in der Psyche der jungen Menschen, führten aber bei der Mehrzahl der Interviewten seinerzeit nicht zu einer deutlichen inneren Distanzierung von der nationalsozialistischen Führung, sondern lösten teilweise sogar Solidarisierungsprozesse aus.

In den Berichten der Befragten über diese Zeit wird in erschreckendem Ma8e deutlich, welche geringe Wirkung Informationen - auch diejenigen über einzelne offiziell verheimlichte Sachverhalte, wie die Zustände in den Konzentrationslagern, die Ausrottung der Juden, die Verfolgung von Regi­megegnern - gegenüber derjenigen der etablierten Propaganda hatten. Meh­rere Befragte erinnern sich, solche Mitteilungen selbst dann, wenn es sich dabei erkennbar urn mehr als Gerüchte handelte, ungläubig zurückgewiesen oder irrational umgedeutet zu haben. Derartige Informationen veränderten aber auch nicht das Verhalten der wenigen, die sie aufgrund ihrer Ablehnung des Nationalsozialismus ernst nahmen; denn für die Dauer der existenziellen Bedrohung des deutschen Volkes fühlten die jungen Frauen ungeachtet ihrer politisch motivierten Vorbehalte die moralische Verpflichtung, sich dem Dienst für die Gemeinschaft nicht zu entziehen.

Das Jahr 1945 markiert erwartungsgemä8 für alle interviewten Frauen einen wichtigen biographischen Einschnitt. Doch nur bei einer von ihnen lö­sten die Ereignisse auch ei ne Lebenskrise aus. Für sie ging der äuSerliche Zusammenbruch mit dem Verlust ihrer gesamten bisherigen Orientierungs­muster einher. Die übrigen Befragten - bis auf die älteste - vollzogen oder vollendeten ihre Trennung vom Nationalsozialismus, aber es gelang ihnen, ihr bisheriges und ihr weiteres Leben konsistent zu gestalten oder für sich als konsistent zu deuten.

Ein solches Bedürfnis nach Stabilisierung der eigenen Psyche teil ten die Informantinnen mit der Mehrzahl der damals in Deutschland lebenden Men­schen. Interessant ist, welche Argumentationen und Verhaltenskonsequenzen die hier Befragten in diesem Zusammenhang entwickelten. Es konnten vier Argumentationsmuster bei ihnen aufgewiesen werden. 143

142 Vgl. Klemperer, Viktor: LIl. 1996/1957; ders.: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Ia­gebücher 1933-1945. Hrsg. v. W. Nowojski unterMitarb. v. H. Klemperer. Bd. 1 u. 2. Berlin: Aufbau 1995.

143 Partiell ähneln sie der Strategie der Entpolitisierung, die G. Rosenthal bei den von ihr inter­viewten Frauen und Männem antraf, sind damit aber nicht identisch. Rosenthal 1990, S. 237 ff.

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Die (vom Ergebnis her) rückwärtsgerichtete Argumentation: So wie frü­her der Zweck durch die darauf verwendeten Mittel aufgewertet wurde (wenn für die Idee des Nationalsozialismus so groBe Opfer gebracht wurden, konnte er nicht moralisch verwerflich sein), so wurde er jetzt von seinen Folgen her verurteilt. Die entschiedene Abwendung vom Nationalsozialismus fuBte auf der nachträglichen Aufklärung über das entsetzliche AusmaB der NS­Verbrechen und die prinzipielle Ablehnung militärischer Auseinandersetzun­gen auf dem schrecklichen Ausgang des Krieges.

Die pauschalisierende Argumentation: Die Ungeheuerlichkeit der natio­nalsozialistischen Verbrechen hob sie über jede realistische Vorstellung hin­aus auf die Ebene des "Bösen" schlechthin. Man selbst fühlte sich getäuscht und verraten. Schuld waren abstrakt "die Politik" und "die Politiker", denn die NS-GröBen waren nicht als Menschen, sondern als symbolisch überhöhte Gestalten wahrgenommen worden. Ergo setzte sich eine aUgemeine Abnei­gung, bis hin zum Ekel, gegenüber Poli tik und Politikern fest.

Die individualisierende Argumentation: Die eigenen Erlebnisse im Drit­ten Reich korrespondierten nicht mit dem, was man nun über den National­sozialismus erfuhr. Man konnte sich die persönlich bekannten Nazis nicht als an Verbrechen Beteiligte vorstellen, hatte unter den ganz überzeugten einige als durchaus integre Persönlichkeiten erlebt. Man selbst hatte Opfer gebracht, hatte sich an überlieferten Tugenden orientiert und damit Anerkennung er­fahren. Also kam es nicht auf die ideologische Orientierung des einzelnen an, sondern auf sein Verhalten. Es gab keine Veranlassung, die eigenen Werte kritisch zu überprüfen oder das eigene Verhalten entscheidend zu verändern, aber nur noch in einem überschaubaren sozialen Raum traute man sich ein Urteil über das Verhalten anderer Menschen zu.

Die "pars-pro-toto"-Argumentation: DaB man selbst so vieles nicht ge­wuBt (oder nicht zur Kenntnis gen ommen) hatte, verleitete zu dem SchluB, allgemeine Information hätte das schreckliche Geschehen im NS-Staat ver­hindert oder gestoppt. Allein "Wissen" würde also bereits vor der Wieder­holung einer politischen Entwicklung wie im Dritten Reich schützen.

An ei ne darüber hinausgehende Auseinandersetzung mit dem National­sozialismus erinnern sich nur drei der interviewten Frauen. Den meisten reichte seinerzeit das subjektive Gefühl des Neuanfangs. In ihrer politischen Sozialisation war es ein Neuanfang ex negativo: Sie wuBten, was sie nie wie­der glauben, tun und erleben woUten, aber nicht, was sie in die so entstande­ne LeerstelIe einsetzen könnten. Als einziges, aber vages Gegenbild bot sich - zumindest in den westlichen Besatzungszonen - die Demokratie an. Ohne konkrete VorsteUung von den politischen Mechanismen oder von einer eige­nen RoUe dabei wurden diese jungen Mädchen und Frauen zu willigen, aber politisch ahnungslosen Demokratinnen. In der GeseUschaft der Nachkriegs­zeit begegneten sie, wie die Interviews sehr deutlich zeigen, nicht den "signi­fikanten Anderen" (BergerlLuckmann), mit denen sie sich nunmehr hätten

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identifizieren können. Damit fehlte ihnen ei ne wesentliche Voraussetzung für einen umfassenden WandlungsprozeB.

DaB die gängige Metapher von der "Stunde Null" leicht falsche Vorstel­lungen von der Situation in Westdeutschland im Jahr 1945 auslöst, ist be­kannt; unter der Oberfläche äuBerer Veränderungen blieb mehr erhalten, als es zunächst schien. Wie weit die gesellschaftlichen Bedingungen in den Nachkriegsjahren und auch noch später den habituellen Prägungen junger Frauen aus der NS-Zeit nicht nur nicht gegensteuerten, sondern sie als er­wünscht noch verstärkten, wurde im Rahmen der Interviewanalysen an Bei­spielen aufgezeigt.

Für die Befragten selbst waren diese erlernten Verhaltensweisen ohne ihren ideologischen Überbau nicht negativ besetzt; denn aus der Bereitschaft, die ei­gene Person und die eigenen Ansprüche zugunsten der Gemeinschaft zurückzu­stellen, hatten sie ihr Selbstwertgefühl bezogen, die Fähigkeit, in Krisensitua­tionen durch Aktivität und Anstrengung Probleme nach fremdbestimmten Normen zu bewältigen, hatte ihnen Erfolgserlebnisse vermittelt und die Bereit­schaft, sich hierarchischen Strukturen unterzuordnen, hatte ihnen Sicherheit verliehen. Darin glichen sie der Mehrzahl ihrer Altersgenossinnen.

Auch in der Nachkriegsgesellschaft Westdeutschlands wurde ein solches Verhalten bei Frauen honoriert, wie die Erlebnisse der Informantinnen bele­gen. Zeitgenossen, wie z. B. NohP44, hielten Frauen überhaupt für fähiger, die damalige Krisensituation zu bestehen, als Männer. Wiederum änderte sich im Laufe der Jahre das weibliche Rollenbild in der Gesellschaft in erster Linie nicht nach den Bedürfnissen der Frauen selbst, sondern nach politisch­wirtschaftlichen Interessen; nach der Phase des Wiederaufbaus galt erneut die Familie als der der Frau gemäBe Lebensraum.

Probleme entstanden da, wo die Frauen mit ihrem in der Krisenzeit ge­wachsenen Selbstvertrauen das traditionelle geschlechtsbezogene Macht­gefüge gefährdeten. Oerartige Erfahrungen machten auch die Befragten. Letztlich aber überwog ihr Harmoniebedürfnis alle ansatzweisen emanzi­patorischen Bestrebungen. 145

Die von den meisten geäuBerte Zufriedenheit mit der eigenen Biographie läBt sich vor allem durch den subjektiv geglückten KompromiB ihrer Lebens­form erk1ären, die mit dem - von mehreren nur zufällig gewählten - Beruf der Volksschullehrerin dem traditionellen weiblichen Rollenverständnis entgegen­kam, aber nicht unbedingt zu einer Entscheidung zwischen Beruf und Familie zwang.

Ihre Wertvorstellungen und ihr erworbenes Verhaltensrepertoire waren dabei nicht nur nicht hinderlich, sondern sogar erwünscht. Die Lehrerrolle

144 Nohl, Herman (1947): Rückzug ins einfache Leben.ln: GlaserlSilenius 1975, S. 119. 145 Ähnlich konnte N. Möding bei von ihr befragten Arbeiterfrauen aus dem Ruhrgebiet fest­

stellen, daB sie nicht selbst, sondem erst in der Generation der Töchter und für diese zu weiblicher Selbstverwirklichung fanden. S. 283, 293 f.

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wurde apolitisch verstanden; ansonsten ähnelte das gültige Leitbild der Volksschullehrerin stark dem Idealtypus einer guten NS-Führerin. Vor einem Wiederaufleben nationalsozialistischer Ideen innerhalb der Schule fühlte man sich sicher. "Eigentlich wünsche ich mir alles wie früher, nur besser," sagte ei ne der Frauen noch jetzt im Interview.

Probleme entstanden für die Mehrzahl von ihnen erst im Laufe ihres Be­rufslebens. Wie sich in der Untersuchung zeigte, begannen sie meist etwa Anfang der 70er Jahre, als die den Befragten wichtigen mittelständischen Werte an Bedeutung verloren und sich im Gefolge der Bildungsreform auch die bis dahin eher restaurativen Tendenzen unterliegende Volksschule in NRW veränderte. Die bei den Interviewten überwiegende familiale Interpre­tation ihrer Berufsrolle vertrug sich nicht mit den zunehmenden Bemühungen urn eine Professionalisierung des Lehrerberufs. Ihre fürsorglich-autoritäre Erziehungsauffasung stand im Widerstreit zum Anspruch einer emanzipatori­sc hen Erziehung in der Schule. Ihre Bildungsvorstellungen kollidierten mit der Forderung nach selbstbestimmtem Lemen und der Vermittlung von Fä­higkeiten, die benötigt werden, urn sich in einer demokratischen Gesellschaft und einer technisierten Welt behaupten zu können.

Dennoch wurde bei den Befragten eine hohe Berufszufriedenheit festge­stellt, die vor allem auf positiven emotionalen Erfahrungen basiert. Die mehr­fach geäu8erten Zweifel an dem Erfolg ihrer pädagogischen Tätigkeit sind erst rückblickend angesichts der aktuellen Jugendprobleme geweckt worden.

Sie laufen parallel mit einem durch die allgemeine Wertediskussion aus­gelösten und durch die gesellschaftliche Entwicklung verstärkten Gefühl per­sönlicher Verunsicherung, das alle Frauen im Interview zu erkennen gaben, und mit ihrer wachsenden Sensibilisierung für politische Prozesse.

"Vielleicht bin ich heute noch ein Nazi", bekannte Jürgen Henningsen 1981 provokativ und selbstkritisch. 146 Ähnliches hätte anfänglich - bis auf A - keine der Befragten geäu8ert. Im Laufe der Interviews kamen ihnen dann aber selbst etliche Spuren der damaligen Zeit in ihrem Verhalten und in ihren Wertvorstellungen zum BewuBtsein. In diesem Sinne hat Adolf Hitler mit seinem Wort über die Jugend also doch recht behalten: " ... - und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben!"147

Die Untersuchung bestätigte allerdings die Notwendigkeit, die Erfah­rungen weiblicher und männlicher Heranwachsender aus der Zeit des Dritten Reichs wegen der in vielem sehr unterschiedlichen Bedingungen getrennt zu behandeln. Die Geschlechtsgenossenschaft schuf gröBere Gemeinsamkeiten als die Zeitgenossenschaft. Die Frage nach der Rolle der Frauen im National­sozialismus als "Opfer oder Täterinnen", wie die Frauenforschung sie stelltl48, ist im Hinblick auf die hier Interviewten den noch nicht hilfreich.

146 Henningsen (1981/1982) in Herrrnann 1985, S. 333. 147 Zit. nach Miller-Kipp 1995, S. 152. 148 V gl. GravenhorstlTatschmurat 1990.

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Sie hatten gelernt, sich emotional ansprechen zu lassen, tatkräftig zu handeln und vertrauensvoll zu glauben; sie hatten nicht gelernt, kritisch zu reflektieren, persönliche Ansprüche zu vertreten, Interessenkonflikte auszu­halten. So ausgestattet, bemühten sie sich vorbehaltlos, die an sie gestellten Forderungen zu erfüllen, im Dritten Reich ebenso wie später, im privaten Umfeld wie im Beruf, und scheuten sich auch nicht, persönlich einen hohen Preis dafür zu zahlen.

In ihrer politischen Einstellung befinden sie sich noch auf dem Weg zwi­schen Vergangenheit und Gegenwart. Die im nationalsozialistischen Führer­staat realisierte Herrschaftsvorstellung haben sie hinter sich zurückgelassen, aber mit den Resten ihrer Sehnsucht nach einer charismatischen Führung sind sie noch nicht am selbstgewählten Ziel "Demokratie" angelangt. "Man solI Menschen immer Entwicklungsprozesse zutrauen", wie eine Informantin es formulierte.

Vorbild für Jüngere können und wollen die Befragten nicht sein, aber Anregungen vermögen sie zu geben. Sie sind der Gesellschaft der Bundes­republik, deren Teil sie wurden, nichts schuldig geblieben. Was ihnen an po­litischer Kompetenz fehlte, haben sie durch das hohe MaB an sozialer Kom­petenz ausgeglichen, die sie bis heute auszeichnet, und die in unserer Zeit übersteigerter egozentrischer "Selbstverwirklichung" ebenso hochgeschätzt wie wertvoll ist.

Das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft liegt mehr als fünfzig Jahre zurück; weniger als ein Viertel so lange hat sie insgesamt gedauert. Das In­teresse an dem, was die letzten Zeitzeugen dieser Epoche berichten können, ist wieder gewachsen. Die Gefahr dabei ist, daB die Nachgeborenen von der Warte ihres heutigen Wissens aus den Zeitzeugen mit moralisch hohem An­spruch begegnen, der leicht zu einem "Das könnte uns heute nicht passieren; wir wären wacher, kritischer, wehrhafter!" führt. Dem zu begegnen sind per­sönliche Lebenserzählungen sicher besser geeignet als theoretische Abhand­lungen. DaB die Erinnerungsarbeit auch für diejenigen, die ihr Leben "ja ei­gentlich kennen", Gewinn bringt, belegen ÄuBerungen mehrerer interviewter Frauen.

Es geht aber nicht nur urn ein besseres Verstehen der Vergangenheit. Zwar leben wir in keinem totalitären Staat, aber leichtfertig wäre es, die Er­fahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus vorschnell als überholt und nicht - auf andere Weise - wiederholbar einzuordnen.

Seinerzeit erzeugte die umfassende Propaganda mit dem in dieser Form und diesem AusmaB erstmaligen Einsatz moderner Medien auch bei wider­ständigen Menschen ei ne spürbare Wirkung. Heute sind die durch die Mas­senmedien verbreiteten Botschaften zwar uneinheitlich, aber die technische Entwicklung ist viel weiter fortgeschritten, und insbesondere das Fernsehen hat einen fast "totalitären" EinfluB gewonnen; und wieder ist es die Jugend,

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die den Mechanismen der Meinungsbeeinflussung besonders intensiv ausge­setzt ist. DaB "Wissen" allein vor Manipulation nicht schützt, ist die ein­dringliche Erfahrung aus der Vergangenheit, die ebenfalls noch Gültigkeit besitzt. Im Gegenteil, die Fülle des heute verfügbaren Wissens neutralisiert dessen Wirkung sogar, weil der einzelne sie nicht mehr zu handhaben ver­mag.

Unter dem nationalsozialistischen Regime war der private Raum die letzte dem einzelnen verbleibende Schutzzone. Später war die Beschränkung auf die überschaubare Welt im kleinen mit der Abkehr vom öffentlich­politischen Leben verbunden, wie bei den Befragten dieser Untersuchung. Heute zeichnen sich ähnliche Tendenzen ab; der Rückzug ins Private wird als Begleiterscheinung des Modernisierungsschubs in der Gesellschaft hinge­nommen. Aber mit dem Verzicht auf aktive Mitwirkung wird auch der An­spruch auf Mitbestimmung aufgegeben und damit ein entscheidendes Krite­rium, das unsere Gesellschaftsform von derjenigen des totalitären Staates unterscheidet.

Was alles Menschen aus Furcht vor den möglichen Konsequenzen noch als "normal" hinzunehmen oder umzudeuten bereit sind, zeigte sich im Ex­trem unter der Herrschaft des Nationalsozialismus. Das Bedürfnis nach Nor­malität, nach Erhalt der Sicherheit verleihenden Routine ist aber zu allen Zeiten ein starkes Motiv, das die Wahrnehmung gefährlicher Entwicklungen behindert, vor allem wenn sich daraus die Notwendigkeit zu exponiertem ei­genem Handeln erge ben könnte. Davon sind wir auch heute nicht frei. Den­noch bleibt uns keine andere Hoffnung als die auf unsere eigene Handlungs­fähigkeit. "Wenn der Sinn von Politik Freiheit ist, so heiBt dies, daB wir in diesem Raum - und in keinem anderen - in der Tat das Recht haben, Wunder zu erwarten. Nicht weil wir wundergläubig wären, sondern weil die Men­schen, solange sie handeln können, das Unwahrscheinliche und Unerrechen­bare zu leisten imstande sind und dauernd leisten, ob sie es wissen oder nicht."149

149 Arendt, Hannah: Was ist Politik? Fragmente aus dem NachlaB. Hrsg. v. U. Ludz. Mün­chen: Piper 1993. S. 35.

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